Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich und wünsche uns einen
guten Tag.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich ein
paar Hinweise zu geben.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({0})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN sowie der
Abgeordneten Undine Kurth ({1}), Bärbel Höhn,
Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbot der Einfuhr von Wildvögeln
- Drucksache 16/1502 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja
Kipping, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Wohnungslosigkeit vermeiden - Wiedereinführung von
Beihilfen und Übernahme von Mietschulden auch für
Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Bezieher
- Drucksache 16/1201 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
Beeinträchtigung der Pressefreiheit durch Aktivitäten des
Bundesnachrichtendienstes
Der Tagesordnungspunkt 3 wird abgesetzt. Die üblicherweise auf die Kernzeit folgenden Beratungen ohne
Aussprache sollen erst nach dem Tagesordnungspunkt 6
aufgerufen werden. Von der Frist für den Beginn der
Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden. Schließlich mache ich auf die geänderte Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 35. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nunmehr
dem Haushaltsausschuss nur nach § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Volker Beck ({4}), Birgitt Bender,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Verlängerung der Ich-AG
- Drucksache 16/1405 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1:
Fragestunde
- Drucksachen 16/1466, 16/1529 Der Ablauf der Fragestunde wurde Ihnen schriftlich
mitgeteilt.
Ich rufe zu Beginn der Fragestunde gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage der Kollegin Cornelia Hirsch auf Drucksache 16/1529 auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
den Ergebnissen der PISA-Sonderauswertung zu Migration,
die am Montag, dem 15. Mai 2006, der Öffentlichkeit vorgestellt wurde?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Bitte schön, Herr
Staatssekretär.
Redetext
Guten Morgen, Herr Präsident! Ich beantworte die
Frage der Abgeordneten Hirsch wie folgt:
Der vorliegende OECD-Bericht zur Frage der Bildungschancen von Migrantenkindern basiert auf der
PISA-Studie aus dem Jahre 2003 und vergleicht die Ergebnisse der 17 Teilnehmerstaaten, die unter ihren Schülerinnen und Schülern einen hohen Migrantenanteil
haben. Er stellt für Deutschland eine wichtige Unterstützung bei unseren Bemühungen um eine bessere Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund dar.
Der Bericht zeigt, dass die Bewältigung dieser Herausforderung für zahlreiche Staaten der Welt wie auch
für Deutschland ein zentrales Anliegen ist. Die Ergebnisse des Berichts ermöglichen uns, von erfolgreichen
Ansätzen anderer Staaten - etwa bei der systematischen
Sprachförderung - zu lernen, und er bestärkt uns in unseren Bemühungen zur Weiterentwicklung und zum
Ausbau der bereits ergriffenen Initiativen.
Gemeinsam mit den Ländern hat der Bund in den vergangenen Jahren ein ganzes Bündel von Maßnahmen auf
den Weg gebracht, um Integration durch Bildung zu fördern. Zu nennen sind hier insbesondere eine gezielte und
frühzeitig beginnende Sprachförderung vom Kindergarten bis zum Übergang in die Berufsausbildung, ein verstärkter Bildungsauftrag des Kindergartens sowie eine
bessere Verzahnung von Kindergarten und Grundschule.
Darauf aufbauend müssen nun weitere Anstrengungen
unternommen werden, um Kindern und Jugendlichen
mit Migrationshintergrund einen erfolgreichen Bildungsweg zu ermöglichen.
Zusatzfrage?
Ja, bitte. - Ich möchte mich gerne erkundigen, ob es
wegen der weiteren Anstrengungen und wegen des Ausbaus der Maßnahmen Änderungen im Haushaltsentwurf
geben wird. Denn es war nicht absehbar, dass die Ergebnisse dieser Studie für die Bundesrepublik so desaströs
sein würden. Es müsste hier also eindeutig nachgebessert werden.
Frau Abgeordnete Hirsch, ich muss Ihnen insofern
widersprechen, als dieses Ergebnis durchaus absehbar
war. Denn es handelt sich nicht um eine neue Studie,
sondern um eine Sonderauswertung der Studie aus dem
Jahre 2003. Es hat bereits im Vorfeld detaillierte Auswertungen dieser PISA-Studie auch im Hinblick auf die
Situation von Kindern mit Migrationshintergrund gegeben. Das heißt, die grundlegenden Ergebnisse waren bekannt, wenn auch nicht in dem Detaillierungsgrad, was
etwa den Vergleich mit anderen Ländern angeht.
Die Bundesregierung hat durch eine Reihe von Maßnahmen auch bei der Aufstellung des Bundeshaushalts
2006 dem sich hieraus ergebenden politischen Handlungsbedarf Rechnung getragen.
Ich nenne einen weiteren Punkt, nämlich die Bereitstellung von finanziellen Mitteln im Rahmen des Förderprogramms Jobstarter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für die Förderung im Bereich der
beruflichen Bildung. Derzeit fließen etwa 20 Prozent der
Mittel aus diesem Programmpaket in Unternehmen, deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben. Auch
dies hat einen indirekten Bezug zu dem genannten
Thema und zeigt, dass wir an vielen Stellen Haushaltsmittel bereitstellen.
Weitere Zusatzfrage?
Ja, bitte. - Die Förderung der beruflichen Bildung ist
zweifelsohne sehr wichtig. Gleichzeitig ist es aber sicherlich auch wichtig, dass schon in der Vorschule und
in der Schule gezielt gefördert wird. Hier interessiert
mich, inwieweit die Bundesregierung sicherstellen kann,
dass alle Kinder und Jugendlichen in allen Bundesländern unabhängig von ihrem rechtlichen Status ein Recht
auf Schulbesuch haben. Vor allen Dingen interessiert
mich dabei, was das im Zuge der Föderalismusreform
bedeutet. Verbessern sich die Ausgangsbedingungen
oder verschlechtern sie sich und welche Konsequenzen
zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen?
Frau Abgeordnete Hirsch, ich darf auf zahlreiche
Stellungnahmen verweisen, die insbesondere gemeinsam
mit der Kultusministerkonferenz abgegeben worden
sind, weil die Zuständigkeiten hierfür natürlich ganz wesentlich bei den Ländern liegen.
Bei der Präsentation der Ergebnisse der OECD-Studie
am Montag wurde ja gleichlautend folgende Priorität gesetzt: Von Bundesbildungsministerin Schavan wurde
darauf hingewiesen, dass die frühe Förderung von Migrantenkindern eine hohe Priorität haben muss. Für die
Kultusminister der Länder wurde von Senator Böger
darauf hingewiesen, dass die Sprachkompetenz in
Deutsch der Schlüssel für Bildungserfolg und Integration ist. Die zuständige Staatsministerin Maria Böhmer
hat gesagt, dass eine durchgängige Sprachförderung entscheidend ist. - Das heißt, alle Beteiligten im Bund und
in den Ländern legen eine sehr hohe Priorität auf eine
durchgängige und frühzeitige Sprachförderung, die bereits vor der Grundschule, das heißt, im Kindergarten,
beginnt und mit den Bildungsaktivitäten, die sich in der
Grundschule und in den weiteren Bildungsgängen anschließen, verzahnt werden muss.
Zusatzfrage des Kollegen Gehring.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich kann an die Frage
meiner Kollegin nahtlos anknüpfen.
Ich möchte die Bundesregierung fragen: Welche bildungspolitischen Maßnahmen zur Förderung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird die Bundesregierung künftig - insbesondere ab dem Jahr 2007 - im
Schul- und Bildungsbereich durchführen, und zwar insbesondere für den Fall, dass die Föderalismusreform in
der jetzt geplanten Fassung umgesetzt wird, und vor dem
Hintergrund, dass im Zusammenhang mit der Auswertung der PISA-Studie abermals gesagt wurde, dass insbesondere eine Ganztagsförderung - wir wissen, dass
die Investitionsprogramme für Ganztagsschulen nach
dieser Föderalismusreform künftig nicht mehr möglich
sind - besonders gut für die Förderung von Migrantinnen und Migranten ist?
Herr Abgeordneter, ich darf auf Ihre Frage in dreierlei
Hinsicht antworten.
Erstens. Es ist nicht richtig, dass das Ganztagsschulprogramm sozusagen auslaufen würde, sondern es ist sichergestellt, dass es in seiner vollen Größenordnung von
4 Milliarden Euro abgeschlossen wird, also auch in den
Teilen, die nach Verabschiedung der Föderalismusreform realisiert werden.
Zum Zweiten ändert sich die Kompetenzverteilung
im Bereich der Schule nicht, weil die entsprechenden
Kompetenzen im Wesentlichen auch bisher schon bei
den Ländern lagen. Hier ändert sich also nichts.
Zum Dritten darf ich Sie darauf hinweisen, dass auch
im Gesetzentwurf bezüglich der Föderalismusreform
ausdrücklich eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und
Ländern im Hinblick auf die Standards unseres deutschen Bildungswesens im internationalen Vergleich vorgesehen ist. Gerade bei solchen Studien ist also ein
gemeinsamer Ansatzpunkt für politische Handlungsstrategien gegeben.
Weitere Zusatzfrage, Kollegin Hasselmann.
Herr Staatssekretär, Punkt eins: Sie haben gerade davon gesprochen, dass Programme auslaufen. Können Sie
uns erklären, was der Unterschied zwischen „nicht mehr
weiter gefördert“ und „auslaufen“ ist?
Punkt zwei: Sie haben gerade von der Gemeinschaftsaufgabe geredet und sind sehr zuversichtlich, dass in diesem Kontext solche Programme weiterhin möglich sind.
Wie stellen Sie sich das angesichts des Kooperationsverbotes vor, das in der Föderalismusreform gerade für den
Frau Abgeordnete, ich darf Sie darauf hinweisen, dass
auch von Ihrer Fraktion in der vergangenen Wahlperiode
das Ganztagsschulprogramm mit auf den Weg gebracht
worden ist. Es ist vorgesehen, dass Finanzmittel in einem Volumen von 4 Milliarden Euro für dieses Programm bereitgestellt werden. Die große Koalition hat
bei den Koalitionsverhandlungen sichergestellt, dass dieses Programm vollständig abgewickelt wird. Wegen des
Mittelabflusses dauert das etwas länger. Daher gibt es
kein wie auch immer geartetes vorzeitiges Auslaufen
dieses Programms.
Können Sie mir noch einmal ein Stichwort für die
zweite Frage geben?
Das zweite Stichwort war das in der Föderalismusreform vorgesehene Kooperationsverbot. Können Sie
sich vorstellen, dass der Bund noch einmal ein ähnliches
Programm auf den Weg bringt?
Frau Abgeordnete, Ihnen ist sicherlich nicht entgangen, dass die Bundesbildungsministerin gemeinsam mit
den Kultusministern der Länder derzeit beim Thema
„Zukunft der Hochschulen“ im Hinblick auf die Ausstattung mit ausreichendem Personal wegen des bevorstehenden Anstiegs der Studentenzahl einerseits und zur
Verstärkung der Forschung an den Hochschulen andererseits an der Ausarbeitung eines Hochschulpaktes auf der
Basis der geplanten Föderalismusreform arbeitet. Genau
dies wäre ein Beispiel dafür, wie eine gemeinsame Zielerreichung unter Berücksichtigung der gemeinsam definierten Ziele und der jeweils unterschiedlichen zugewiesenen verfassungsrechtlichen Kompetenzen von Bund
und Ländern möglich ist. Das, was im Moment für den
Bereich der Hochschulen angestrebt wird, ist natürlich
auch für andere Bereiche vorstellbar.
Ich rufe nun aus dem gleichen Geschäftsbereich, dem
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die
Frage 7 des Kollegen Keskin auf:
Welche konkreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage der PISA-Studie 2003, wonach
Arbeiterkinder eine viermal geringere Chance haben, ein
Gymnasium zu besuchen, als Kinder aus sozial besser gestellten Schichten?
Ich bitte auch hier um Beantwortung.
Die Verbesserung der frühen und individuellen Förderung von Kindern und Jugendlichen ist ein zentraler Ansatzpunkt, um dem Zusammenhang zwischen Lernerfolg
und sozialer Herkunft zu begegnen. Dazu gehört neben
einer intensivierten Zusammenarbeit von Kindergarten
und Grundschule wesentlich die Verbesserung früher
sprachlicher Förderung der Kinder. Sie muss bereits in
den ersten Lebensjahren einsetzen, um vor allem
Sprachdefizite frühzeitig zu erkennen und ihnen gezielt
entgegenzuwirken. Dem Ziel, die Stärken aller Kinder
zu entwickeln und Benachteiligungen frühzeitig zu vermeiden, dient unter anderem das mit 4 Milliarden Euro
ausgestattete Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung
und Betreuung“, also das angesprochene Ganztagsschulprogramm, mit dem der Bund die Länder seit 2003 beim
bedarfsgerechten Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen
unterstützt.
Die Bundesregierung unterstützt die vielfältigen
Maßnahmen in den Ländern durch Aktivitäten im Bereich der Bildungsforschung, insbesondere um die Wirksamkeit durchgeführter Maßnahmen zu überprüfen und
Voraussetzungen für den Transfer der Ergebnisse zu
schaffen. Darüber hinaus setzt die Bundesregierung einen Akzent bei der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Arbeit in Tageseinrichtungen für Kinder
und bei deren Trägern. Weiterhin wird die Bundesregierung mit dem Auf- und Ausbau von Mehrgenerationenhäusern eine neue Art familienorientierter Infrastruktur
verstärken, die mithelfen soll, Kinder früh und gut zu
fördern, Eltern in der Erziehungsaufgabe zu unterstützen, die Potenziale der älteren Generation zu nutzen,
eine Plattform für familiennahe Dienstleistungen zu
schaffen und den Zusammenhalt der Generationen auch
außerhalb des Familienverbandes neu zu stiften.
Generell ist darauf hinzuweisen, dass die Umsetzung
von Reformen im Bereich vorschulischer und schulischer Bildung in der Zuständigkeit von Ländern, Kommunen und Trägerverbänden liegt.
Zusatzfragen?
Herr Staatssekretär, die PISA-Studien belegen jedoch,
dass wir strukturelle Veränderungen und Verbesserungen
im Bildungssystem benötigen. Sie haben zwar ein Bündel von Maßnahmen beschrieben, aber welche strukturellen Verbesserungen oder Veränderungen gedenkt die
Bundesregierung, hier vorzunehmen?
Herr Abgeordneter, ich darf auf die Antwort verweisen, die ich soeben vorgetragen habe. Sie müssen Folgendes sehen: Eine Reihe dieser Maßnahmen ist zu einem Zeitpunkt beschlossen worden oder mit ihrer
Realisierung ist erst begonnen worden, nachdem diese
Studie abgeschlossen war. Diese Studie wurde im Jahr
2003 erstellt; das war das Jahr, in dem beispielsweise das
Ganztagsschulprogramm beschlossen wurde.
Ich darf ferner darauf verweisen - das ist noch einmal
ein Bezug auf die Frage der Kollegin Hirsch zur Situation von Kindern mit Migrationshintergrund -, dass die
Bemühungen zur Förderung der Kenntnisse der deutschen Sprache überwiegend erst in den letzten Jahren
massiv ausgebaut worden sind. Die Früchte dieser Bemühungen werden wir erst bei künftigen Studien erkennen. Die Bundesregierung sieht sich aber in dem eingeschlagenen Weg sehr bestärkt, insbesondere was die
Förderung der sprachlichen Fähigkeiten angeht. Dies betrifft gleichermaßen die Situation von Arbeiterkindern.
Nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich meinte mit strukturellen Verbesserungen zum Beispiel, ob die Bundesregierung gedenkt, die Ausweitung des Angebots an Ganztagsschulen in Angriff zu nehmen bzw. darauf Einfluss zu
nehmen, dass dies in den Bundesländern geschieht. Ist
die Bundesregierung der Auffassung, dass die Hauptschulen jetzt richtig reformiert werden müssen?
Herr Abgeordneter, eine Ausweitung des Ganztagsschulprogrammes ist nicht geplant und die Weiterentwicklung der Schulformen ist eine Angelegenheit, die in
den Kompetenzbereich der Länder fällt, über die aber
natürlich, wie Sie wissen, in den letzten Jahren sehr intensiv diskutiert worden ist.
Zusatzfrage des Kollegen Gehring.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort einige
sehr wichtige Maßnahmen zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund aufgezählt.
Es gibt noch eine weitere wichtige Maßnahme: das
Bund-Länder-Programm „Förderung von Kindern und
Jugendlichen mit Migrationshintergrund“, FörMig.
Meine Frage lautet: Was würde aus diesem Programm
nach der Umsetzung der Föderalismusreform in der bisher geplanten Form werden? Denn die Laufzeit dieses
Programms ist bis 2009 vereinbart.
Herr Abgeordneter, dieses Programm ist - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen - in der Tat zunächst einmal bis 2009 terminiert. Das heißt, es wird über die gesamte Wahlperiode weiterlaufen. Ich darf darüber hinaus
darauf aufmerksam machen, dass das Thema „Situation
der Migranten in unserem Land“ für die Bundesrepublik
eine sehr hohe Priorität hat. Deswegen wird in der zweiten Juliwoche bei der Bundeskanzlerin ein Integrationsgipfel stattfinden. Dabei wird natürlich auch über weitere und zusätzliche Schwerpunkte zur Verbesserung der
Situation von Migrantenfamilien und auch der Kinder
und Jugendlichen diskutiert. In diesem Zusammenhang
wird dann zu entscheiden sein, in welcher Weise dieses
oder andere Programme gegebenenfalls über die jetzige
Wahlperiode hinaus fortgesetzt werden können.
Frau Kollegin Hirsch.
Sie haben jetzt gerade den Integrationsgipfel angesprochen und davor in Ihrer Antwort auf die Frage des
Kollegen Keskin die gemeinsame Bildungsforschung erwähnt und ausgeführt, wie sie zukünftig gestaltet werden
soll. Zu beiden Punkten habe ich die Nachfrage, wie Sie
sich das konkret vorstellen. Es handelt sich doch immer
nur um unverbindliche Absichtserklärungen und Appelle. Aber welche Möglichkeiten stehen der Bundesregierung nach der Föderalismusreform, so wie sie in der
derzeitigen Fassung geplant ist, noch zu, um Programme
aufzulegen, die finanziell untersetzt sind und wirklich
Auswirkungen auf die Verbesserung der Bildungssituation haben?
Frau Abgeordnete, ich darf Sie zunächst einmal darauf hinweisen, dass die Länder beim Integrationsgipfel
im Juli vertreten sein werden. Von daher ist das Zusammenwirken bei diesem sehr wichtigen Thema sichergestellt.
Darüber hinaus darf ich Sie darauf hinweisen, dass es
gerade nicht darum geht, unverbindliche Absichtserklärungen abzugeben. Im Hinblick auf das Pilotprojekt im
Hochschulbereich - ich will es einmal so nennen - ist es
unser festes Ziel, zu klaren Vereinbarungen zu kommen,
allerdings auf der Basis der verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten. Das bedeutet, dass derjenige, der zuständig ist, auch die finanzielle Verantwortung tragen muss.
Es ist nicht vorstellbar, dass sich der Bund finanziell an
Vorhaben beteiligt, für die er nicht zuständig ist. Genau
das ist gegenwärtig Gegenstand der Beratungen, die wir
zum Zwecke der Präzisierung im Rahmen der Föderalismusreform durchführen. Die Anhörungen hierzu sind
noch nicht abgeschlossen.
Herr Kollege Beck.
Ich möchte wissen, welche Konzeption die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem frühkindlichen
Spracherwerb bei Migranten verfolgt. Es gibt ja zwei
Probleme: zum einen hinsichtlich der Qualität unserer
Kindergarteneinrichtungen - hier geht es um die Frage,
inwiefern sie in pädagogischer Hinsicht auf den Spracherwerb ausgerichtet sind -, zum anderen hinsichtlich des
Kindergartenbesuchs.
Wir wissen, dass über 10 Prozent der Kinder aus Migrantenfamilien, die sozial benachteiligten und bildungsfernen Schichten angehören, nicht in den Kindergarten
gehen. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren, ob das Bundesbildungsministerium die Haltung der
Bundesfamilienministerin unterstützt, die die Einführung eines Kindergartenpflichtjahres gefordert hat.
Unabhängig davon, ob man dieses Problem durch die
Einführung eines Kindergartenpflichtjahres lösen kann,
was angesichts der Kompetenzverteilung nicht ganz einfach ist, ist die Bundesregierung der festen Überzeugung, dass der Besuch des Kindergartens und die Förderung der deutschen Sprachkenntnisse bereits vor dem
Eintritt in die Grundschule wesentliche Voraussetzungen
für eine anschließende erfolgreiche Schulkarriere sind.
Was die Migrantenfamilien betrifft, haben wir es mit
einer Reihe von besonderen Problemen zu tun, die unter
Umständen zur Folge haben, dass die Kinder aus diesen
Familien in dem einen oder anderen Fall nicht in den
Kindergarten gehen. Diese Probleme gehen weit über
die schulische bzw. vorschulische Situation, wie wir sie
bei anderen Gruppen vorfinden, hinaus.
Dieses Thema wird sicherlich auch bei Veranstaltungen, die im Anschluss an den Integrationsgipfel stattfinden, eine Rolle spielen; denn es betrifft das soziale Umfeld der Migrantenkinder. Wir müssen erreichen, dass
die Bedeutung des Kindergartenbesuchs für die spätere
schulische Entwicklung der Kinder in den Migrantenfamilien mehr als bisher erkannt wird.
Könnten Sie jetzt wohl meine Frage beantworten?
Das war meine Antwort auf Ihre Frage.
Nein. Ich wollte die Haltung Ihres Ministeriums zum
Vorschlag der Familienministerin erfahren.
Herr Abgeordneter, ich habe deutlich gemacht, dass
die Einführung eines Kindergartenpflichtjahres auch aus
verfassungsrechtlichen Gründen nicht gerade einfach ist.
Die Bundesregierung hat im Moment nicht die Absicht,
eine solche Regelung zu schaffen.
Frau Kollegin Haßelmann.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer
Antwort betont, wie wichtig das Thema Integration für
die Bundesregierung ist, auch im Hinblick auf die Vorbereitung des Integrationsgipfels. Wie ist diese Aussage
Ihrer Meinung nach damit in Einklang zu bringen, dass
Sie beabsichtigen, die im Bundeshaushalt 2006 für die
Förderung der Integration bereitgestellten Mittel um
über 60 Millionen Euro zu kürzen? Wird das nicht dazu
führen, dass wir bestimmten Gruppen von Migrantinnen
und Migranten in Zukunft nicht mehr die Möglichkeit
werden geben können, an Sprachkursen teilzunehmen?
Ich denke zum Beispiel an die so genannten Bestandsausländerinnen und Bestandsausländer.
Frau Abgeordnete, zur Situation des Gesamthaushalts
kann ich Ihnen im Moment keine Daten nennen, weil sie
mir zur Stunde nicht vorliegen. Was den Haushalt des
Bildungsministeriums angeht, kann ich Ihnen sagen,
dass genügend Mittel zur Verfügung stehen, um auch in
Zukunft im erforderlichen Ausmaß für eine Verbesserung der Situation der Migranten und insbesondere für
eine Verstärkung unserer Integrationsbemühungen zu
sorgen. An einigen Stellen werden diese Mittel, zum
Beispiel im Zusammenhang mit den Aktivitäten des Programmpakets Job-Starter, sogar ausgeweitet. Für den
Bereich des Bildungsministeriums ist die Behauptung,
es käme hier zu einer rückläufigen Entwicklung, also
nicht richtig.
Die nächste Frage hat Frau Kollegin Höger-Neuling,
bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen,
dass Lehrer und Lehrerinnen und Erzieher und Erzieherinnen eine besondere Verantwortung haben. Wie will
die Bundesregierung in Zukunft, nach der Föderalismusreform, auf eine Reform der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern und Erzieherinnen und Erziehern Einfluss nehmen?
Frau Abgeordnete, ich darf Sie darauf hinweisen, dass
dieses Problem bereits heute besteht, da die Kompetenzen hierfür bei den Ländern, den Kommunen und den
Trägern der Einrichtungen liegen. In der Art und Weise,
wie man gemeinsame Ziele bislang formuliert hat, wird
das auch in Zukunft möglich sein; ein Anlass dazu können internationale Vergleichsstudien wie PISA sein.
Weitere Zusatzfragen gibt es nicht. Dann setzen wir
jetzt die Fragestunde nach Erledigung der dringlichen
Frage sowie der damit verbundenen Frage in der Reihenfolge der Geschäftsbereiche der Bundesministerien, wie
sie Ihnen vorliegt, fort.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen 1 und 2 werden
schriftlich beantwortet, sodass wir gleich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit
kommen. Hier steht zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Höger-Neuling auf:
Welche Position nimmt die Bundesregierung in der Debatte über die Resolution „Global framework on essential
health research and development“, Internationales Rahmenprogramm für unverzichtbare Forschung und Entwicklung im
Gesundheitsbereich, auf der 59. Weltgesundheitsversammlung der WHO vom 22. bis 26. Mai 2006 in Genf ein, die von
den Regierungen Kenias und Brasiliens eingebracht wurde,
und wie wird sie abstimmen?
Frau Abgeordnete Höger-Neuling, Ihr Einverständnis
vorausgesetzt, würde ich die Fragen 3 und 4 wegen des
inneren Zusammenhangs gerne zusammen beantworten.
({0})
Dann rufe ich zugleich Frage 4 auf:
Wie schätzt die Bundesregierung den Bericht „Public
Health, Innovation und geistige Eigentumsrechte“ der zweijährigen Expertenkommission „Geistige Eigentumsrechte, Innovation und Public Health“ der WHO von April 2006 ein
und wie bewertet sie die innovationsfördernde oder -hemmende Wirkung der Arzneimittelpatentierung in Bezug auf
die Behandlung von HIV, Neglected Diseases und anderen
epidemiologisch wichtigen Erkrankungen in ärmeren Ländern?
Ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Die Bundesregierung unterstützt grundsätzlich alle Maßnahmen, die
geeignet sind, die Versorgung mit Medikamenten für
Menschen in Not oder zur Prävention zu verbessern.
Man sieht auch die Notwendigkeit, die Diskussion über
bereits existierende internationale Mechanismen fortzuführen, um der Dynamik des Themas Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung hat daher auch sehr begrüßt,
dass die Thematik an eine unabhängige Expertenkommission mit dem Auftrag eines Abschlussberichtes gegeben wurde. Der Bericht sollte ursprünglich im
Dezember 2005/Januar 2006 vorliegen. Er wurde nun
erst im April 2006, nach mehr als zweijähriger Tätigkeit,
vorgelegt. Er umfasst knapp 230 Seiten und enthält etwa
60 bis 80 Einzelempfehlungen. Dieser begrüßenswert
gründliche und differenzierte Bericht erfordert eine
ebenso gründliche Prüfung. Die Meinungsbildung der
Bundesregierung sowie eines Großteils der anderen
WHO-Mitgliedstaaten konnte in der Kürze der Zeit noch
nicht abgeschlossen werden.
Zudem liegen bislang äußerst kontroverse Vorschläge
zur Reaktion auf den Bericht vor, sodass nach einer anfänglichen Diskussion während der Weltgesundheitsversammlung in einen umfassenden Dialog eingetreten und
über eventuelle Forderungen aus dem Bericht entschieden werden kann. In diesem Dialog werden die Grundprinzipien des Entwurfs von Kenia und Brasilien eine
große Rolle spielen.
Schon jetzt lässt sich allerdings sagen, dass eine Umsetzung der Resolution von Kenia und Brasilien in der
jetzt vorliegenden Form sowie die Umsetzung aller Vorschläge des Berichts der Commission on Intellectual
Property Rights, Innovation and Public Health zu einem
völkerrechtlich verpflichtenden internationalen Rahmenwerk zur Forschungsförderung und zu einem globalen
Aktionsplan führen würde. Angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen der Notwendigkeit zu weltweit
koordinierten Anstrengungen der Staatengemeinschaft
auf dem Gebiet der Pharmaforschung zur Bekämpfung
wesentlicher Krankheiten und den sehr unterschiedlichen nationalen Strukturen in den Gesundheits-, Finanzierungs- und Wirtschaftssystemen vieler WHOMitgliedstaaten sowie der Forschung kann die Bundesregierung den vorliegenden Resolutionsentwurf nicht
uneingeschränkt unterstützen. Zum einen ist es fragwürdig, ob ein Prozess zur Erarbeitung eines Rahmenabkommens über Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereich angesichts der kontroversen Interessenlage
innerhalb der Staatengemeinschaft und des bisherigen
Ratifikationsverhaltens der USA der beste Weg ist. Zum
anderen liegt es im Interesse Deutschlands, unnötige
Doppelstrukturen zu vermeiden.
Die deutsche Delegation zur Weltgesundheitsversammlung wird sich gemeinsam mit den EU-Partnern
offen und konstruktiv mit den Vorschlägen der Resolution Kenias und Brasiliens auseinander setzen. Sie wird
insbesondere darauf achten, dass dem Kernanliegen, die
Medikamentenversorgung zu verbessern, entsprochen
und dieses Ziel durch geeignete Maßnahmen weiter verfolgt wird.
Ihre Zusatzfragen, Frau Kollegin.
Vor dem Hintergrund, dass ein großer Mangel hinsichtlich geeigneter und erschwinglicher Medikamente
zur Behandlung vernachlässigter Krankheiten besteht
und dass laut amerikanischer Arzneimittelbehörde - Sie
sagten, es gebe nur viele Forschungsberichte, es gibt
aber auch konkrete Ergebnisse - 90 Prozent aller neu zugelassenen Medikamente keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen besitzen, was auch für unseren nationalen
Markt von Bedeutung ist, frage ich Sie: Unterstützt die
Bundesregierung den Inhalt der Resolution und damit
den Vorstoß Kenias, globale Richtlinien und Mechanismen für eine Arzneimittelforschung zu entwickeln, die
sich am öffentlichen Interesse ausrichtet und die tatsächlich dazu beiträgt, dass dringend benötigte und gleichzeitig bezahlbare Medikamente auf den Markt kommen?
Frau Abgeordnete, ich will auf den Kern meiner Antwort verweisen und noch einmal deutlich machen, dass
wir das Ziel ausdrücklich unterstützen, die Medikamentenversorgung gerade in den ärmsten Ländern und in den
Entwicklungsländern sicherzustellen, in denen trotz der
fehlenden Finanzmittel gerade auch eine Versorgung mit
patentgeschützten Medikamenten gewährleistet werden
muss. Allerdings bedarf es einer intensiven Diskussion
darüber, ob die im Resolutionsentwurf bzw. im Antrag
vorgeschlagenen Wege und Instrumente dazu geeignet
sind, dieses Ziel zu erreichen. Das muss sorgfältig geprüft und diskutiert werden.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Die WHO-Expertenkommission ist in ihrem Bericht
zu dem Ergebnis gekommen, dass Patente Innovationen
behindern. Wie stehen Sie zu diesem Ergebnis? Wie
wollen Sie in Zukunft dazu beitragen, dass der Zugang
zu Forschung und Entwicklung nicht durch Patente blockiert wird?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung glaubt, dass
Patentschutz, auch internationaler Patentschutz, eine
wichtige Voraussetzung für Innovationen ist, und zwar
auch im medizinischen und pharmakologischen Bereich.
Die Bundesregierung sieht allerdings auch, dass es eine
Interessenskollision hinsichtlich der finanziellen Möglichkeiten gerade der ärmeren und ärmsten Länder in der
Welt gibt. Das war nicht zuletzt der Grund, weswegen
sich die Bundesregierung im Zusammenhang mit den
Verhandlungen auf der Ebene der WTO sehr intensiv
beim TRIPS-Abkommen eingesetzt hat, Zwangspatentierungen auch grenzüberschreitender Art möglich zu
machen. Die letzten völkerrechtlichen Vereinbarungen
hierzu sind erst im Dezember letzten Jahres verbindlich
geworden. Die Europäische Union und damit auch
Deutschland gehören zu den Teilen der Weltgemeinschaft, die diese Regelungen gefordert haben und an deren Erarbeitung intensiv beteiligt waren. Es ist aber
wichtig, diese neuen Mechanismen zu erproben und zu
nutzen. Ich glaube, das muss der nächste Schritt sein.
Das war Ihre letzte Zusatzfrage, Frau Höger-Neuling.
Vielen Dank. - Kollege Seifert, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade von einem Interessenkonflikt gesprochen und gesagt, dass sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene einsetzen will.
Das klingt sehr gut.
Aber auch die Pharmaindustrie in Deutschland hat ein
massives Interesse an Profit. Will sich die Bundesregierung wirklich mit diesen Unternehmen anlegen? Wir
sind ständig großen Werbekampagnen ausgesetzt. Die
Unternehmen sagen, dass Forschung und insbesondere
Forschung für patentgeschützte Medikamente notwendig
ist, um Fortschritte bei der medizinischen Behandlung
zu erzielen. Wie schon in der vorangegangenen Frage
zum Ausdruck gekommen ist, wird nur mit 10 Prozent
der neu zugelassenen Medikamente tatsächlich ein medizinischer Fortschritt erreicht. Wie will sich die Bundesregierung mit den Pharmafirmen anlegen, die nur patentieren um des Patentierens willen, ohne dass dabei ein
wirklicher Fortschritt erzielt wird?
Herr Abgeordneter, ich darf auf meine Antwort auf
die vorher formulierte Nachfrage verweisen. Mit den
Ergänzungen zum TRIPS-Abkommen besteht auch für
ärmste und arme Entwicklungsländer die Möglichkeit,
Zwangspatentierungen vorzunehmen. Wir glauben, dass
das im internationalen und entwicklungspolitischen Bereich ein wichtiges neues Instrument ist.
Die Europäische Union gehört mit zu den Ersten, die
dieses neue Instrument grenzüberschreitender Zwangspatentierungen umgesetzt hat. Ich erinnere daran, dass
wir dazu eine europäische Verordnung auf den Weg bringen konnten. Wir sehen also die Notwendigkeit, dass
sich auch deutsche Firmen daran beteiligen. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Wir hoffen
sehr, dass sich viele Entwicklungsländer und Länder in
Not dieser neuen Instrumentarien bedienen.
Herr Seifert, eine weitere Zwischenfrage können Sie
leider nicht stellen.
({0})
- Gut, dann wollen wir eine großzügige Interpretation
zur Grundlage des Verfahrens machen. Bitte schön, Herr
Kollege Seifert.
Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Großzügigkeit. Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage in Bezug auf das, wie Sie es nannten, zögerliche Verhalten der
USA, internationale Vereinbarungen und Konferenzbeschlüsse anzuerkennen. Wie wird die Bundesregierung
auf die befreundeten USA einwirken, damit sie sich in
diesen Fragen etwas kooperativer verhalten, so wie Sie
es von der Bundesregierung behauptet haben?
Herr Abgeordneter, die beiden Fragen, die Ihre Kollegin gestellt hat, zielen darauf, das Vorfeld der in der
kommenden Woche stattfindenden WHO-Generalversammlung zu beschreiben. Ich gehe davon aus, dass auf
dieser Versammlung auch vor dem Hintergrund des zur
Diskussion stehenden Expertenberichtes zu diesem
Thema eine intensive Debatte stattfinden wird.
Deutschland wird dort die Position, die ich beschrieben habe, aktiv vertreten. Es wird allerdings sehr
schwierig oder kaum möglich sein, die Vorschläge, die
in diesem Bericht von den unterschiedlichen Interessenlagen thematisiert werden - dabei geht es um Grenzen
von staatlichem Dirigismus und um die Frage, ob man
über eine Gesamtorganisation überstaatlicher Art in die
Forschungsfreiheit eingreifen kann -, umzusetzen. In
diese Debatte werden wir uns einbringen.
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Anton Hofreiter
auf:
Darf aus der Antwort „Aus Sicht der Bundesregierung ist
es entscheidend, in welchem Maß die Industrie bereit ist, bei
dem Projekt weitgehende Einstandspflichten zu übernehmen,
insbesondere mit Blick auf die Gestehungs- und Instandhaltungskosten sowie die Verfügbarkeit des Systems“ auf
Frage 6 „In welchem Maß beteiligt sich die Industrie, die die
Strecke angeblich als Referenzstrecke benötigt, an den Kosten?“ in der Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 16/1331 geschlossen werden, dass zum jetzigen
Zeitpunkt sich die Industrie nicht an den Kosten beteiligt?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege
Hofreiter, wenn Sie damit die verlorenen Zuschüsse der
Industrie für dieses konkrete Projekt meinen: Ja. Sie haben nach dem jetzigen Zeitpunkt gefragt.
Zusatzfrage?
Das heißt, die Bundesregierung gesteht zu, dass bei
geschätzten Gesamtkosten von 1,8 Milliarden Euro für
das Transrapidprojekt eine Finanzierungslücke von mindestens 1 Milliarde Euro bzw. bei realistischen, intern
geschätzten Kosten von 2,5 Milliarden Euro eine Finanzierungslücke von 1,7 Milliarden Euro besteht?
Diese Frage kann ich nicht bejahen. Diesen Schluss
können Sie auch nicht aus meiner Antwort auf Ihre
Frage ziehen.
Sie können keine weitere Frage mehr stellen; denn
das waren Ihre beiden Zusatzfragen.
({0})
- Entschuldigung, dann bin ich schneller als Ihre Frage.
Bitte schön.
Ihre Antwort erstaunt mich. Wie denkt die Bundesregierung, die fehlenden 1 Milliarde bzw. 1,7 Milliarden
Euro aufzubringen, oder woher soll das Geld kommen?
Herr Dr. Hofreiter, ich habe auf Ihre erste Frage geantwortet: zum jetzigen Zeitpunkt ja. Das ist schon ein
Hinweis darauf, dass die Gespräche zur Realisierung des
angesprochenen Projektes noch laufen. Sie gestehen mir
sicherlich zu, dass ich erst nach Beendigung der Gespräche in der Lage sein werde, Ihnen eine umfassende Antwort zu geben. Es macht jedenfalls keinen Sinn, Wasserstandsmeldungen über laufende Gespräche zu geben.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin
Klug zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Verfolgt die Bundesregierung für Biogas, das nach einer
Gasreinigung als Kraftstoff ebenso eingesetzt werden kann
wie Erdgas, jedoch aufgrund der CO2-Neutralität einen erheblich größeren Umweltvorteil hat, eine Markteinführungsstrategie und, wenn ja, wie sieht diese aus?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Kollegin Behm, Ihre Frage nach einer Markteinführungsstrategie für Biogas als Kraftstoff beantworte ich
wie folgt: Voraussetzung für die Markteinführung des
Kraftstoffs Biomethan, also auf Erdgasqualität aufbereitetes Biogas, sind die Verfügbarkeit von biomethantauglichen Serienfahrzeugen und ein Tankstellennetz zur
Nutzung von Biomethan, entweder in reiner Form oder
dem Erdgas beigemischter Form. Biomethan und Erdgas
sind hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung
und ihrer Kraftstoffeigenschaften praktisch identisch.
Durch die vom Bundesumweltministerium bereits seit
1992 - unter anderem zur Luftreinhaltung - mit einer
Fülle von Fördermaßnahmen verfolgte Markteinführung
von Erdgasfahrzeugen und durch die vom Bundesgesetzgeber 2002 beschlossene Mineralölsteuerbegünstigung
bis 2020 für Erdgas als Kraftstoff sind wesentliche Voraussetzungen auch für die Markteinführung von Biomethan bereits geschaffen.
Heute bietet die Mehrzahl der Fahrzeughersteller,
zum Beispiel Volkswagen, Opel, Ford, Volvo, Renault,
Peugeot, Citroën, Mercedes, Fiat, MAN und Iveco, serienmäßig biomethantaugliche Fahrzeuge in zunehmend
optimierter Form an. Auch das im Aufbau befindliche
Tankstellennetz kann angesichts der Privilegierung von
Erdgas nach dem Vorbild von Schweden und der
Schweiz für Biomethan genutzt werden.
Der Markteinführung des Kraftstoffs Biomethan dient
auch die Begünstigung von Biogas beim Zugang zum
Erdgasnetz im Energiewirtschaftsgesetz und in der Gasnetzzugangsverordnung. Nach § 2 a Mineralölsteuergesetz wird für Biogas eine unter Berücksichtigung der
Überkompensationsregelung stehende Steuerbegünstigung - derzeit in Form einer Steuerbefreiung - gewährt.
Auch nach dem neuen Energiesteuergesetz, über das derzeit viel diskutiert wird und das voraussichtlich zum
1. August 2006 in Kraft treten und das Mineralölsteuergesetz ablösen wird, soll es bei dieser Steuerbegünstigung bleiben. Aus der zum 1. Januar 2007 geplanten
Quotenregelung für Biokraftstoffe ergibt sich für Biogas
ebenfalls keine steuerliche Änderung, da es für Biogas
keine zu erfüllende Quote geben wird. Biogas bleibt
vielmehr vorbehaltlich der Überkompensationsregelung
nach wie vor steuerfrei.
Ich will zum Schluss noch darauf hinweisen, dass die
Erdgaswirtschaft am 2. Mai dieses Jahres infolge des
Energiegipfels eine Selbstverpflichtung abgegeben hat,
nach der bis zum Jahr 2010 10 Prozent und bis zum Jahr
2020 20 Prozent Biomethan bei der Nutzung von Erdgas
dem Kraftstoff beigemischt werden sollen. Das wird also
mehr sein als das, was wir über die Beimischungsquote
in den Bereichen Diesel und Benzin erreichen werden.
Das wird von der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt. Ich denke, damit sind wir im Bereich Biogas als
Kraftstoff auf einem sehr guten Weg.
Bitte schön, Frau Behm.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung meiner Frage. Ich habe noch zwei Nachfragen. Erstens. Wie schätzen Sie die Realisierungschancen
und insbesondere den Zeitplan eines Biogaseinspeisegesetzes analog zu den Regelungen betreffend die Einspeisung von erneuerbaren Energien in das Stromnetz ein?
Ursprünglich wollte ich nach der Überwindung des Widerstands der Erdgaswirtschaft fragen. Da Sie aber bereits auf die Selbstverpflichtung hingewiesen haben,
möchte ich fragen, wie ernst diese Selbstverpflichtung
zu nehmen ist. Wir haben ja schlechte Erfahrungen mit
Selbstverpflichtungen gemacht.
Darf ich meine zweite Nachfrage gleich anschließen?
- Sehen Sie es als geboten an, die Kapazitäten zur Gasreinigung eilig auszubauen? Gibt es dafür eine Förderstrategie aus Ihrem Hause?
Wir nehmen die Selbstverpflichtung natürlich sehr
ernst. Sie ist ein Teil des gesamten Energiekonzeptes und
Gegenstand des Energiegipfels. Wir werden die Erdgaswirtschaft - sie hat selbst ein Interesse daran, in diesen
Markt einzusteigen - natürlich beim Wort nehmen. Das
Bundesumweltministerium unterstützt, was die gesamte
Kraftstoffqualität und die Erdgasreinigung angeht, Demonstrationsvorhaben, um in diesem Bereich einen
Schritt voranzukommen.
Für ein Biogaseinspeisegesetz nach dem Muster des
EEG sehen wir zurzeit keinen Bedarf, weil sich auf dem
Gebiet Biogas in den letzten Jahren mit den Instrumenten, die wir derzeit schon haben, sehr viel entwickelt hat.
Wir sind der Auffassung, dass diese Instrumente ausreichen.
Es gibt keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Keskin auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung in dem angekündigten
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hinsichtlich der Beweispflicht sicherzustellen, dass durch die Anzeige einer erfahrenen Diskriminierung der/die Betroffene keine beruflichen und/oder persönlichen Nachteile zu befürchten hat?
Werter Kollege Dr. Keskin, nach § 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
steht den Beschäftigten, die sich benachteiligt fühlen, die
Möglichkeit offen, sich bei den zuständigen Stellen des
Betriebes, des Unternehmens oder der Dienststelle zu
beschweren. Darüber hinaus kann auch der Rechtsweg
beschritten werden.
Um Ihre Frage zu beantworten: Es gibt das Maßregelungsverbot. In § 16 Abs. 1 dieses Gesetzentwurfs heißt
es:
Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der
Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen,
benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den
Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.
Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen dieses gerade
dargelegte Maßregelungsverbot nach § 16 Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz können sich die Beschäftigten
sowie Zeuginnen oder Zeugen gerichtlich zur Wehr setzen. In diesem Verfahren findet dann die Regelung über
die Beweislastverteilung nach § 22 des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes entsprechende Anwendung.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Erfahrungen in einigen Ländern, beispielsweise in Schweden und in Großbritannien,
zeigen: Wenn die Beweislast nicht bei dem Beschuldigten, sondern bei dem Betroffenen liegt, dann gibt es erhebliche Hemmschwellen bei den Betroffenen, gegen
ihre Diskriminierung vorzugehen. Meinen Sie daher
nicht, dass die Beweislast bei den Beschuldigten liegen
müsste?
Nein, ganz im Gegenteil, Herr Dr. Keskin. Ich glaube,
dass die geplante Regelung eine Erleichterung ist; denn
damit wird an die Erfahrungen angeknüpft, die wir bereits mit § 611 a Abs. 1 Satz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches gemacht haben. Dementsprechend muss der
Betroffene Tatsachen glaubhaft machen, die eine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals
vermuten lassen. Dann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass keine ungerechtfertigte Benachteiligung vorliegt. Wir leben also bereits mit vergleichbaren
Regelungen und haben genügend Erfahrungen gesammelt.
Da ich ein Stück weit den Hintergrund Ihrer Frage erkenne - es ist zulässig, in diesem Sinne nachzufragen -,
will ich auf Folgendes verweisen: Wir alle fühlen uns sicherer, wenn wir uns klar machen, dass es ähnliche Regelungen bereits in anderen Rechtsbereichen gibt. Wie
Sie aus Ihrer bisherigen Berufsbiografie wissen, gibt es
solche Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz. In
§ 84 Abs. 3 dieses Gesetzes ist geregelt, dass sich ein
Arbeitnehmer, der sich vom Arbeitgeber benachteiligt
oder ungerecht behandelt fühlt, beim Betriebsrat beschweren kann und dass ihm deswegen keine Nachteile
entstehen dürfen. Ein ähnliches Benachteiligungsverbot
gibt es bei den Funktionsträgern der Betriebsverfassung,
im Personalvertretungsrecht und im SGB IX, Schwerbehindertenrecht. Dieses Verbot ist also bereits Praxis. Die
Erfahrungen, die wir damit gemacht haben, lassen es uns
als zulässig erscheinen, für eine solche Regelung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu sorgen.
Es ist völlig klar, dass wir immer aufpassen müssen
und dass der Betroffene im Zweifelsfall die Möglichkeit
zu einer gerichtlichen Klärung haben muss.
Eine weitere Zusatzfrage sehe ich nicht. - Dann der
Kollege Beck, bitte.
Die Beweislastregel hat im letzten Jahr zu einer der
großen Kontroversen in der Diskussion über das Antidiskriminierungsgesetz geführt. Sie haben zu Recht festgestellt, dass diese Regelung - in diesem Gesetzentwurf
ebenso wie in dem aus dem vergangenen Jahr - eins zu
eins dem Wortlaut des § 611 a BGB entspricht. Dennoch
wurde in diesem Haus - insbesondere vonseiten der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion im letzten Jahr; dieses
Jahr nur noch von der FDP-Fraktion - die Behauptung
erhoben, es handele sich um eine Beweislastumkehr, wie
sie von der PDS gerade ins Gespräch gebracht wird.
Wie erklären Sie sich den Meinungswandel, der bei
der Bewertung dieser Klausel stattgefunden hat, weil im
letzten Jahr viele noch nicht in der Lage waren, die Vorschrift zu lesen, und nun feststellen, dass es dabei um die
zwingende Umsetzung des EU-Rechts geht? Wie will
die Bundesregierung darüber aufklären - auch gegenüber den Wirtschaftsverbänden, die ebenfalls immer
noch solche Behauptungen verbreiten -, dass es sich bei
der Beweislastverschiebung nach § 611 a BGB um eine
seit 25 Jahre bewährte Regelung in unserer Rechtsordnung handelt und dass sie in keiner Weise mit Dokumentationspflichten und einer Beweislastumkehr verbunden
werden kann, wie es in der Debatte polemisch behauptet
wird?
Da Sie gute Erfahrungen damit gemacht haben, die
Union zu überzeugen,
Volker Beck ({0})
({1})
können Sie diese Erfahrungen vielleicht auf die FDP und
die Wirtschaftsverbände ausdehnen.
Werter Herr Kollege Beck, Sie haben in Ihre Frage
genau genommen drei oder vier Unterfragen mit aufgenommen. Eine Frage bezog sich darauf, wie wir uns den
Meinungswandel erklären. Ich glaube, dass der demokratische parlamentarische Diskurs und die Rücksprache
mit Menschen, die entsprechende Erfahrungen gemacht
haben, dazu beitragen, dass man die Dinge etwas genauer hinterfragt und die Realitäten erkennt.
Ich denke, dass dieses Verfahren der Öffentlichkeit
deutlich macht, was beabsichtigt ist und dass dies im
Kern eher eine Stärkung des Betroffenen bedeutet, sodass die Befürchtungen, die dagegen vorgebracht wurden, nicht berechtigt sind. Vor diesem Hintergrund gehe
ich für den weiteren Diskurs über dieses Gesetz, der
auch von den Verbänden geführt wird, davon aus, dass
keine zusätzlichen Belastungen auf die Betroffenen zukommen, sondern dass es darum geht, ein Gesetz, das
auf europäischer Ebene gewollt ist, in der Bundesrepublik umzusetzen.
Kollegin Enkelmann.
Wir reden gerade über Antidiskriminierung. Herr
Staatssekretär, sind Sie bereit, den Kollegen Beck darüber aufzuklären, dass diese Fraktion „Die Linke“
heißt?
({0})
Werte Frau Kollegin Dr. Enkelmann, ich glaube, die
Beantwortung dieser Frage durch mich ist nach der Form
und dem Inhalt Ihrer Fragestellung nicht mehr notwendig.
({0})
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Ich rufe
die Frage 9 des Kollegen Volker Beck auf:
Treffen Presseberichte ({0}) zu, denen zufolge der beamtete Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Dr. Bernd
Pfaffenbach neuer Hauptgeschäftsführer und Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, BDI,
werden soll, und, wenn ja, wie vereinbart sich die Aufnahme
dieser Tätigkeit mit § 69 a des Bundesbeamtengesetzes?
Zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär Schauerte
das Wort.
Entsprechende Meldungen entbehren jeglicher
Grundlage, Herr Beck. Die zwischenzeitliche Ankündigung der Nachbesetzung der Position belegt dies. Es hat
keinerlei Kontakte bezüglich eines beruflichen Wechsels
zwischen Herrn Staatssekretär Dr. Bernd Pfaffenbach
und dem Bundesverband der Deutschen Industrie gegeben.
({0})
Herr Dr. Pfaffenbach nimmt seine Aufgaben als
Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie sowie als persönlicher Beauftragter
der Bundeskanzlerin für die Weltwirtschaftsgipfel der
G-8-Staaten sehr gerne wahr und möchte diese Tätigkeit
auch in Zukunft ausüben.
Herr Kollege Beck.
So lernen wir doch immer wieder, dass vieles, was in
der Zeitung steht, auch falsch sein kann.
({0})
Deshalb haben wir danach gefragt, ob diese Informationen stimmen. Nun sind wir etwas schlauer.
Teilen Sie denn unsere Einschätzung, dass in dem
Fall, dass die Informationen in der „Wirtschaftswoche“
gestimmt hätten, § 69 a Bundesbeamtengesetz zum Tragen gekommen wäre?
Sehr geehrter Herr Kollege, da die Möglichkeiten, hypothetische Fragen zu jedem behaupteten Sachverhalt zu
stellen, unendlich groß sind, sollten wir uns aus Gründen
einer vernünftigen Disziplin darauf beschränken, uns mit
dem Tatsächlichen - eben nicht mit dem Hypothetischen - zu befassen.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Die an das Kanzleramt gestellten Fragen - das sind
die Fragen 10 bis 13 - werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Frau Kollegin Staatssekretärin Hendricks steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 14 und 15 werden schriftlich beantwortet.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Rohde auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die derzeitige Bewertung von unbebauten und bebauten Grundstücken
im Rahmen des Schenkung- und Erbschaftsteuerrechts nicht
verfassungsgemäß ist, da sie im Vergleich zur Bewertung von
Kapital andere Maßstäbe ansetzt?
Wenn Sie, Frau Staatssekretärin, die Frage freundlicherweise beantworten.
Gerne, Herr Präsident. - Herr Kollege Rohde, das
Bundesverfassungsgericht hat in seiner Erbschaftsteuerentscheidung vom 22. Juni 1995 nicht den Ansatz der
Immobilien mit Verkehrswerten gefordert. Es hat vielmehr ausgeführt - ich zitiere wörtlich -: Die gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen hängt davon ab,
dass für die einzelnen zur Erbschaft gehörenden wirtschaftlichen Einheiten und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die deren Werte in
ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. - Damit hat das
Gericht dem Gesetzgeber einen Gestaltungsfreiraum zuerkannt.
Herr Kollege Rohde.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ich bin jetzt nicht ganz schlau geworden aus Ihrer Antwort, ob Sie dazu eine Änderung planen oder nicht. Deshalb einfach die Nachfrage: Plant die Bundesregierung
unabhängig von dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Reform der Erbschaftsteuer?
Herr Kollege Rohde, die erste Frage, die Sie für die
Fragestunde gestellt haben, richtet sich auf das Bewertungsgesetz. In der Tat, das Bewertungsgesetz läuft am
Ende des Jahres aus. Die Bundesregierung ist in Vorbereitungen dafür, dem Parlament einen Vorschlag vorzulegen.
Was die Erbschaftsteuer anbelangt, so wissen Sie,
dass die Koalitionsfraktionen vorgesehen haben, den
Übergang des betrieblichen Vermögens mit dem Ziel der
Fortführung von Unternehmen zu erleichtern. Dies ist
parallel in Vorbereitung.
Weitere Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Welche Konsequenzen zieht denn die Bundesregierung aus dem Umstand, dass wir im europäischen Vergleich eine sehr hohe
Steuerquote bei der Erbschaftsteuer haben und andere
Länder wie Italien oder Schweizer Kantone oder auch
Portugal die Erbschaftsteuer ganz abgeschafft haben?
Man könnte jetzt gegenüberstellen: Nimmt man einmal
Erbschaftsteuer auf Vermögen ein oder hat man laufend
Steuereinnahmen von Kapitalerträgen aus dem Vermögen? Einige Bundesbürger könnten ja jetzt Vermögen in
die benachbarten Länder schaffen.
Herr Kollege Rohde, nicht alle in Ihrer Frage enthaltenen Unterstellungen sind zutreffend. Es ist nicht so,
dass die Bundesrepublik Deutschland im europäischen
oder gar im internationalen Vergleich hohe Erbschaftsteuern vorsieht; das Gegenteil ist der Fall. Es ist zwar
richtig, dass in einzelnen Ländern mittlerweile die Erbschaftsteuern gesenkt worden sind, aber durchaus von
einem deutlich höheren Niveau ausgehend, oder sogar
- auch das gibt es - zur Abschaffung vorgeschlagen
worden sind. Das ist aber mit einer anderen Kapitalertragsbesteuerung, mit laufender Besteuerung aus bestehendem Vermögen verbunden.
Was den Vergleich der Besteuerung des realen Besitzes der Menschen angeht, also auf welche Art und Weise
besteuert wird - Vermögensteuer, Erbschaftsteuer,
Grundsteuer oder wie auch immer -, ist festzustellen,
dass sich das im Prinzip zunächst einmal auf dieselben
Güter richtet, dass das aber international sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Insgesamt gesehen ist die Besteuerung auf die Substanz - so kann man das sagen,
wenn man das zusammenfasst - in der Bundesrepublik
Deutschland im internationalen Vergleich außerordentlich niedrig, und zwar sowohl was den Privatbesitz anbelangt als auch was das betriebliche Vermögen anbelangt.
Herr Kollege Beck.
Frau Staatssekretärin, obwohl ich die Ausführungen,
die Sie gerade zur Bewertung der erbschaftsteuerrechtlichen Situation in Deutschland im Vergleich zu anderen
europäischen Staaten gemacht haben, grundsätzlich
teile, muss ich fragen: Stimmen Sie mit mir darin überein, dass das zumindest für eine Gruppe nicht zutrifft,
nämlich für die Gruppe der Menschen, die in eingetragenen Partnerschaften leben? Da bestehen Unterhaltsverpflichtungen - eine Stellung wie Ehegatten -, aber erbrechtlich werden die Partner nach wie vor wie Fremde
behandelt, nämlich mit geringem Freibetrag und hoher
Steuerprogression bei der Erbschaftsteuer. Stimmen Sie
mit mir darin überein, dass hier dringend Änderungsbedarf besteht?
Herr Kollege Beck, Sie kennen meine Position dazu.
Wir haben in früheren Legislaturperioden auch zu diesem Thema schon zusammengearbeitet. Ich persönlich
bin weiterhin der Auffassung, dass in der Tat aus dem
Rechtsinstitut der eingetragenen Partnerschaft mit den
damit verbundenen gegenseitigen Verpflichtungen auch
die steuerrechtlichen Schlüsse gezogen werden müssen.
Wie wir wissen, gibt es dazu Verfahren vor dem BundesParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
verfassungsgericht. Spätestens die Entscheidungen dieses Gerichts werden dem Bundesgesetzgeber Aufträge
erteilen.
Frage 17 des Kollegen Rohde:
Gedenkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der
Tatsache, dass die am 1. Januar 1996 beschlossene und Ende
2001 verlängerte Anpassung der Bewertung auf 70 Prozent
des Verkehrswertes am 30. Juni 2006 endgültig ausläuft, diesen Zustand zu ändern?
Herr Kollege Rohde, zum Jahresende 2006 läuft die
Regelung aus, die die Ermittlung der Grundbesitzwerte
nach den Wertverhältnissen des 1. Januar 1996 vorschreibt. In Zusammenarbeit mit den aufkommensberechtigten Ländern bereitet die Bundesregierung derzeit
ein Gesetz vor, das notwendige Änderungen der Bedarfsbewertung enthält. Voraussichtlich wird dabei vorgeschlagen werden, diese Regelung aufzugeben.
Vor grundlegenden Änderungen der Bewertungsvorschriften sollte jedoch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 22. Mai 2002 abgewartet werden. Wie Sie
wissen, hat der Bundesfinanzhof dem Bundesverfassungsgericht einen Vorlagebeschluss vorgelegt, der sich
auf die Erbschaftsbesteuerung und die dabei unterschiedliche Bewertung von Grundbesitz und betrieblichem Vermögen bezieht. Das Bundesverfassungsgericht
hat im März in seiner Mitteilung über die voraussichtlich
für dieses Jahr anstehenden Entscheidungen angekündigt, dass es hierzu eine Entscheidung noch in diesem
Jahr treffen möchte.
Zusatzfragen?
Herr Präsident, ich habe zwei Zusatzfragen. Soll ich
sie der Einfachheit halber zusammen stellen?
Von mir aus gerne.
Frau Staatssekretärin, wie sollen denn nach Auffas-
sung der Bundesregierung, wenn Sie jetzt einen Gesetz-
entwurf planen, bebaute oder unbebaute Grundstücke
zukünftig für die Festsetzung der Erbschaft- und Schen-
kungsteuer bewertet werden, mit wie viel Prozent des
tatsächlichen Verkehrswertes? Gibt es da schon erste
Tendenzen innerhalb Ihres Ministeriums?
Zum Zweiten: Plant die Bundesregierung, auch Le-
bensversicherungen künftig nicht mehr mit zwei Dritteln
der eingezahlten Prämien, sondern mit dem Rückkaufs-
wert zu bewerten?
Herr Kollege, zur zweiten Frage kann ich Ihnen kei-
nen aktuellen Stand berichten; das kann ich Ihnen aus
dem Kopf nicht genau sagen. Aber wir sind ja auch noch
in Vorbereitungen. Wir werden dem Gesetzgeber natür-
lich zu gegebener Zeit unsere Vorschläge machen. Dies
wird spätestens relativ kurz nach der Sommerpause ge-
schehen; denn das Gesetzgebungsverfahren muss bis
Ende des Jahres abgeschlossen werden, weil das Bewer-
tungsgesetz zum Ende dieses Jahres ausläuft.
Was die Verkehrswerte von Immobilien anbelangt, so
wird sich die Bewertung natürlich am Verkehrswert
orientieren. Aber selbstverständlich wird beachtet wer-
den, dass Immobilien eine geringere Fungibilität haben
als Kapitalvermögen - also nicht so leicht verwertbar
sind wie Kapitalvermögen, um das vereinfacht auszu-
drücken -, sodass ein Abschlag vom Verkehrswert vor-
genommen werden wird. Wie hoch dieser Abschlag sein
wird, wird Gegenstand der politischen Auseinanderset-
zung sein.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 f auf:
a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung
Neue Impulse für Innovation und Wachstum
durch Forschung und Entwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse
Aigner, Michael Kretschmer, Katherina Reiche
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die technologische Leistungsfähigkeit mit dem
6-Milliarden-Euro-Programm und der HighTech-Strategie stärken
- Drucksache 16/1546 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten
Müller ({2}), Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Präsident Dr. Norbert Lammert
Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Innovationen für Deutschland durch das
7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union
- Drucksache 16/1547 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innovationen brauchen Freiheit - Für mehr
Arbeit und Wohlstand
- Drucksache 16/1532 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006
und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 16/1245 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und Entwicklung - Neue Impulse für Innovation und
Wachstum
- Drucksache 16/1400 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel Stunden vorgesehen sind. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau
Dr. Schavan.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Deutschlands Stärken sind
weltweit anerkannt. Sie liegen in seiner hohen politischen und sozialen Stabilität, seiner leistungsfähigen Infrastruktur und seiner führenden Rolle in Europa.
Deutschland ist weltweit die drittgrößte Industrienation
und mit seinen technologiestarken Unternehmen seit
Jahren Exportweltmeister.
Aber andere holen auf. Wer den Blick auf die Investitionen für Forschung und Entwicklung bezogen auf das
jeweilige Bruttoinlandsprodukt wirft, stellt fest: Japan
liegt bei 3,2 Prozent, Schweden bei 4 Prozent, Israel
sogar bei 4,5 Prozent. Deshalb ist die Erreichung des
3-Prozent-Ziels bis zum Ende dieser Legislaturperiode
für uns so zentral wichtig im internationalen Wettbewerb.
({0})
Sie ist auch deshalb wichtig, weil die genannten Länder
uns vor Augen führen, dass neue Kraft- und Wohlstandsquellen - das haben jene Länder erkannt und das gilt
auch für uns - bei Forschung und Innovation zu suchen
sind. Sie sind der Schlüssel für Zukunftsfähigkeit. Sie
sind die Quelle für künftigen Wohlstand. Forschung und
Entwicklung sind die neuen Kraftquellen für den Fortschritt einer Gesellschaft und sie sind vor allem die zentrale Kraftquelle für die Zukunftschancen künftiger Generationen.
({1})
Das gilt auch für den internationalen Dialog. Im internationalen Gespräch erweisen sich Wissenschaft und
Forschung als die zentralen Wettbewerbsfaktoren. Um
also Deutschland eine starke Position in der Forschung
zu sichern, um unsere Position auszubauen, bietet die
Globalisierung mehr Chancen als Risiken. Deshalb rücken Wissenschaft und Forschung zunehmend auf die
vorderen Plätze der internationalen Agenda. Deshalb ist
unser Ziel, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft
und Wissenschaftsnation in Europa nicht nur seinen Beitrag leistet, sondern aktiv mitgestaltet.
Von den Erfolgen profitieren wir in besonderem
Maße; denn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
sind unsere wichtigsten Handelspartner. Wir brauchen
also einen Paradigmenwechsel in der europäischen Forschungsförderung. Die Bundesregierung hat erheblich
daran mitgewirkt, die Ausgaben der EU verstärkt auf
Zukunftsinvestitionen auszurichten. Insbesondere die
Sozial- und Strukturfonds werden herangezogen, um
Forschung und Innovationen zu finanzieren. Das GeBundesministerin Dr. Annette Schavan
samtbudget für das 7. Forschungsrahmenprogramm
mit seiner Laufzeit bis zum Jahre 2013 wurde im Vergleich zum 6. Forschungsrahmenprogramm auch auf Initiative der Bundesregierung deutlich erhöht. Die dafür
bereitgestellten Mittel liegen im Jahr 2013 um drei Viertel über denen von 2006. Das ist das Fundament für die
nächsten Jahre.
({2})
Wir nehmen auch Einfluss auf die Art künftiger Forschungsförderung, auf die Strukturen künftiger Forschungsförderung in Europa. Zu Beginn unserer europäischen Ratspräsidentschaft wird der Europäische
Forschungsrat eingesetzt werden. Erstmalig gibt es ein
hochkarätiges Instrument zur Förderung exzellenter Pionierforschung unter Selbstverwaltung der Wissenschaft.
Wer sich in Europa ein bisschen auskennt, weiß: Das ist
nicht selbstverständlich. Dieser Forschungsrat etabliert
nach dem Vorbild der Deutschen Forschungsgemeinschaft erstmals eine wirklich unabhängige Forschungsförderung in Europa. Das ist die Voraussetzung für
europäische Exzellenzförderung in Wissenschaft und
Forschung.
({3})
So greifen also die europäische und die deutsche Forschungs- und Technologiepolitik ineinander. Das Ziel
dieser Bundesregierung ist es, den Aufbau des europäischen Forschungsraumes entscheidend voranzubringen.
Für einen Paradigmenwechsel in der europäischen
Forschungsförderung brauchen wir darüber hinaus ein
solides inhaltliches Fundament. Ein Leitthema unserer
Ratspräsidentschaft lautet deshalb: Grundlagenforschung zur Stärkung von Innovationen und für mehr
Wachstum und Beschäftigung. Wir suchen die bilaterale
Zusammenarbeit mit interessierten Mitgliedstaaten, um
unsere Pilotprojekte für die europäische Ebene reif zu
machen.
So haben wir gemeinsam mit Frankreich mehrere
Projekte in Hightechfeldern vereinbart. Wir führen im
Zeitraum unserer Präsidentschaft eine Reihe hochkarätiger Fachkonferenzen in Deutschland durch. Sie sind
Thementreiber und wissenschaftlich-technologische
Aushängeschilder für Deutschland. Dies gilt zum Beispiel für die Biotechnologie, die Nanotechnologie und
die Sicherheitsforschung.
Deutschland muss für Spitzenforscher aus der ganzen
Welt attraktiver werden. Deutschland wird Leitmärkte
und Innovationsräume für technologische Entwicklungen schaffen. Deshalb werden die Wissenschafts-, die
Forschungs- und die Technologiepolitik - die Bundeskanzlerin hat dies in ihrer Regierungserklärung angesprochen - Schwerpunkte der europäischen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 sein.
({4})
Wir investieren 6 Milliarden Euro zusätzlich in
Schlüssel- und Querschnittstechnologien sowie in Maßnahmen, die den Forschungsstandort Deutschland stärken.
Das heißt - diese Feststellung ist nicht übertrieben -, nie
hat eine Bundesregierung so viel in Forschung und Entwicklung investiert, nie hat sie sich so intensiv mit der
Frage der Umsetzung, der Konkretisierung von Innovationsstrategien beschäftigt!
({5})
Allein im Jahr 2006 - und daran ist die SPD beteiligt
({6})
- sehen Sie, es ist gar nicht so schlimm - werden zusätzlich 700 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Wir gehen damit in Vorleistung, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Von diesen 3 Prozent sollen Bund und Länder
1 Prozent aufbringen. Das ist kein leicht zu erreichendes
Ziel.
Zugleich ist klar: Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit
unseres Landes gibt es dazu keine Alternative. Deshalb
müssen wir auch an die Adresse der Wirtschaft sagen,
sie soll jetzt nicht kleinmütig sein und sich nicht schon
jetzt auf Kompromisse vorbereiten. Es darf keine Kompromisse geben. Die 3 Prozent müssen erreicht werden.
Dazu muss die Wirtschaft in Deutschland einen erheblichen Beitrag leisten.
({7})
Wir müssen in Menschen und Talente investieren,
Brücken schlagen von der Forschung zu den Märkten
der Zukunft. Deutschland soll sich deshalb wirklich von
der Bildungspolitik über die Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik zu einer Talentschmiede entwickeln, junge Talente und Exzellenz in
Schule und Hochschule fördern, berufliche Bildung verbessern, Integration von Migranten mit einem wirklich
klar definierten Zielpaket und Zeitplan verbessern. Wir
brauchen in Deutschland jeden jungen Mann und jede
junge Frau, um unser Land zukunftsfähig zu machen.
Allein 90 000 zusätzliche Ingenieure sind notwendig,
um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Geld ist das eine,
Exzellenz in der Förderung von Talenten ist das andere.
({8})
Exzellenzförderung beginnt nicht erst bei der vereinbarten Exzellenzinitiative, sie beginnt bei der Begabtenförderung. Deshalb haben wir erstmals mit diesem Haushaltsjahr die hierfür zur Verfügung stehenden Mittel
erhöht. Außerdem gilt: Wissenschaft und Grundlagenforschung sind die Grundpfeiler für exzellente Innovationen. Ideen gedeihen am besten in einem Klima von
Freiheit, Offenheit und intellektuellem Wettbewerb. Autonomie und Wettbewerb sind deshalb die Leitbilder unserer Wissenschaftspolitik. Ich finde, wir sollten uns in
den nächsten Jahren nicht so viel mit der Frage beschäftigen, wer was am besten regelt, sondern damit, wie am
besten Freiraum für junge Talente, für neue Ideen in
Deutschland entsteht.
({9})
Neben der Exzellenzinitiative leistet der Pakt für
Forschung und Innovation einen entscheidenden Beitrag für mehr Leistung. Im Übrigen sind die Exzellenzinitiative einerseits und der Pakt für Forschung und Innovation andererseits zwei exzellente Beispiele für eine
gute Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern, in der gemeinsame strategische Ziele vereinbart
werden, in der die gemeinsame Bereitschaft zum Ausdruck kommt, zu investieren. Ich bin davon überzeugt:
Diese beiden Initiativen sind Beispiele für die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Bereich von
Forschungs- und Technologiepolitik auch in den nächsten Jahren.
({10})
Der Mittelzuwachs von mindestens 3 Prozent für den
Pakt für Forschung und Innovation ist auch wegen der
im internationalen Wettbewerb entstandenen ungewöhnlichen Dynamik wichtig. Allein in China sind im Zeitraum von 1997 bis 2004 mehr Forscher ausgebildet worden und in ihre Arbeit eingestiegen, als die Gesamtzahl
aller in Deutschland tätigen Forscher ausmacht. Wir wissen aus China, Indien und anderen Regionen der Welt,
dass dort eine Dynamik entsteht, die für uns eine große
Herausforderung ist und jedes Gefühl der Selbstzufriedenheit verbietet.
Deshalb darf auch nicht schon jetzt damit begonnen
werden, von einem Studentenberg zu sprechen. Mehr
Studierende in Deutschland sind eine Chance für dieses
Land, sie sind ein Glücksfall. Deshalb brauchen wir einen Hochschulpakt 2020 zwischen dem Bund und den
Ländern.
({11})
Eine Politik für Wachstum und Innovation ist ein Projekt der gesamten Bundesregierung. Deshalb danke ich
meinen Kolleginnen und Kollegen für die kollegiale
und, wie ich finde, zukunftsweisende Arbeit. Wir alle
haben in den letzten Jahren, quer durch die Fraktionen,
beklagt, dass Forschungs- und Technologiepolitik zunehmend über viele Häuser verteilt worden ist, wodurch
es immer schwieriger wurde, zu einer wirklich stimmigen Politik, zu einer Politik aus einem Guss, zu kommen. Mit unserer gemeinsamen Arbeit an der Hightechstrategie wird das verändert. Wir bearbeiten gemeinsam
17 verschiedene Innovationsfelder. Dadurch bietet sich
seit vielen Jahren erstmals wieder die Chance, zu einer
Innovationspolitik aus einem Guss zu kommen. Dafür
herzlichen Dank!
({12})
Von diesen 17 Innovationsstrategien seien drei beispielhaft genannt:
Erstens. Energieforschung. Moderne Energietechnologien sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft. Das ist schon beim ersten Energiegipfel deutlich geworden. Die Bundesregierung wird deshalb in
dieser Legislaturperiode, im Zeitraum von 2006 bis
2009, rund 2 Milliarden Euro in diesen Bereich investieren. Die Sicherung der deutschen Spitzenstellung bei
modernen Energietechnologien ist nur durch gemeinsame Anstrengungen von Staat und Wirtschaft erreichbar. Bereits jetzt hat die Industrie 2 Milliarden Euro an
eigenen Investitionen zugesagt.
Das mit der Wirtschaft konzipierte Fachprogramm
wird das energieoptimierte Bauen voranbringen. Daneben gibt es Modellvorhaben für Niedrigenergiehäuser.
Die Diffusion neuer Technologien in den Markt wird
durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm flankiert
und beschleunigt. Die Brennstoffzellentechnologie soll
zu einer verlässlichen und preiswerten Alternative für
die unterschiedlichsten Anwendungsfelder entwickelt
werden. In dem neuen nationalen Innovationsprogramm
werden die Aktivitäten der Industrie, der Wissenschaft
und der Forschung von der Grundlagenforschung bis zur
Markteinführung gebündelt. Wir blicken also schärfer
auf die gesamte Wertschöpfungskette. Das ist im Übrigen eine Strategie, die wir auch in den europäischen Dialog einbringen werden.
Wir bauen die Forschung zu erneuerbaren Energien
aus. Mit Modellvorhaben zu Offshorewindanlagen soll
der Einstieg in die Multimegawattklasse unter Hochseebedingungen getestet werden.
Deutschland darf bei der Kernenergie- und Fusionsforschung den Anschluss an den internationalen wissenschaftlichen Standard nicht verlieren.
({13})
Der Ausstiegsbeschluss ist das eine. Er kann aber nicht
bedeuten, dass wir jedwedes Know-how in diesem technologischen Bereich verloren gehen lassen.
({14})
Es ist deshalb richtig, dass das Bundesumweltministerium und mein Haus einen Schwerpunkt auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich
des Strahlenschutzes, der Kernenergiesicherheit sowie
der Erforschung von Schlüsseltechnologien für die europäische Kernfusionsversuchsanlage ITER legen. Dazu
gehört auch die Entwicklung einer neuen Generation von
Kohle- und Gaskraftwerken. Sie sollen hocheffizient arbeiten, das heißt, die Anlageneffizienz muss sich innerhalb der kommenden 15 Jahre um 20 Prozent verbessern, sie sollen CO2-emissionsfrei werden und damit
wesentliche Beiträge zum Klimaschutz leisten.
({15})
Zweitens. Gesundheitsforschung. Die demografische Entwicklung mit einer steigenden Lebenserwartung
wird eine zunehmende Herausforderung für die medizinische Forschung. Die aktuellen Debatten zur Gesundheitsreform machen deutlich, dass der Beitrag der
medizinischen Forschung zu einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem für alle an Bedeutung gewinnt.
Medizinische Forschung soll die Vorbeugung,
Diagnose und Heilung von Krankheiten verbessern. Wir
müssen die Forschung in diesem Bereich so optimieren
- das wird der zentrale Gedanke der Innovationsstrategie
im Bereich der Gesundheitsforschung sein -, dass die
Ergebnisse dieser Forschung von der medizinischen und
pharmazeutischen Industrie rascher genutzt werden können. Klinische Forschung wird gestärkt. An Kliniken
werden Behandlungs- und Forschungszentren ausgebaut. Das ist das Herzstück der Gesundheitsforschung in
den nächsten Jahren. Damit wird das Know-how in unserem Land erhalten. Denn wer hier forscht, hat auch einen hohen Anreiz, in Deutschland zu produzieren.
({16})
In ihr Gesundheitsforschungsprogramm investiert die
Bundesregierung jährlich rund 150 Millionen Euro, um
Krankheitsursachen zu ergründen, wirksame Behandlungsmethoden zu entwickeln, Prävention und Gesundheitsvorsorge sowie den Transfer von Forschungsergebnissen ins Gesundheitswesen zu verbessern. Damit
leisten wir auch auf Forschungsebene einen wirksamen
Beitrag zu einem leistungsfähigen und finanzierbaren
Gesundheitswesen.
Drittens. Biotechnologie. Für den Durchbuch in der
Biotechnologiebranche setzen wir ein sichtbares Signal,
damit Deutschland in Europa führend wird hinsichtlich
Umsatz und Beschäftigtenzahlen. Auch hier gilt:
Deutschland muss Talentschmiede für wissenschaftlichen Spitzennachwuchs sein und Gründungen ausbauen.
Wir müssen in unserem Land Exzellenzcluster etablieren, zum Beispiel in der Forschung mit adulten Stammzellen und in der Weißen Biotechnologie. Wir müssen
den Technologietransfer beschleunigen und alle unsere
Aktivitäten immer auch auf die Beseitigung von Wachstumsbremsen ausrichten.
Unser Ziel ist die Erschließung des vollen Potenzials
der Biotechnologie innerhalb vieler Industriezweige: in
der Pharma-, Chemie- und Lebensmittelindustrie, in der
Energiewirtschaft und in der Landwirtschaft. Mit den
Bio-Regios haben wir in der Clusterpolitik gute Erfahrungen gemacht. Daran werden wir anknüpfen. Wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, legen wir einen besonderen
Schwerpunkt auf die Herausbildung von Innovationsclustern.
Im Hinblick auf diese 17 Innovationsfelder stellt sich
sofort die Frage: Wie erreichen wir - auch das muss und
wird Teil des Programms sein, das wir im Sommer vorlegen -, dass es weitere Anreizsysteme für mehr Investitionen der Wirtschaft in Forschung und Innovation gibt?
Es liegt eine Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch, zum
Beispiel die Einführung einer Forschungsprämie. Ich bin
davon überzeugt: Wir müssen in den nächsten Wochen
und Monaten darüber Entscheidungen treffen; denn auch
dieser Bereich ist Voraussetzung dafür, dass das 3-Prozent-Ziel in Deutschland erreicht werden kann.
Ein gutes Beispiel für eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
sind die „Partner für Innovation“. Von deren Vorschlägen sind 16 Projekte bereits realisiert. 52 Projekte werden derzeit hinsichtlich ihrer möglichen Umsetzungen
geprüft. Die Bundesregierung intensiviert diesen begonnenen Dialog weiter. Es gibt einen Dialog zum einen mit
dem Rat für Innovation und Wachstum und zum anderen
mit einer „Forschungsunion Wissenschaft - Wirtschaft“
beim BMBF, die am 23. Juni ihre Arbeit aufnimmt. An
der Spitze stehen der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Professor Bullinger, sowie der Präsident des Stifterverbandes, Herr Dr. Oetker. Das wird den kontinuierlichen Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft
fördern.
Wirksame Umsetzung von Strategien setzt voraus,
von Beginn an zu gemeinsamen Strategien zwischen
Wirtschaft und Wissenschaft zu kommen. Ich bin den
Vertretern der Wissenschaft und der Wirtschaft sehr
dankbar dafür, dass wir in den nächsten Monaten, wenn
es um die Weichenstellungen auf den 17 Innovationsfeldern gehen wird, zu einem Dialog kommen. Dieser Dialog soll kein allgemeines Gespräch über das sein, was
sein müsste, sondern muss in Zielvereinbarungen über
Investitionen seitens der Wirtschaft münden.
({17})
Mit Blick auf Innovationshemmnisse im Bereich des
Mittelstandes steigert die Bundesregierung die Fördermittel für Forschung und Entwicklung im Mittelstand
überproportional. Sie erleichtert kleinen und mittleren
Unternehmen den Zugang zu Fachprogrammen und öffnet neue Wege der Innovationsfinanzierung als neue
Möglichkeiten, bisherige Innovationshemmnisse im
Mittelstand abzubauen. Wir wissen, dass das Potenzial
in den kleineren und mittleren innovativen Unternehmen
noch nicht voll ausgeschöpft ist.
Die Grundlage jeder erfolgreichen Innovationspolitik
ist eine Wirtschaftspolitik, die Wachstum und Wettbewerb verpflichtet ist. Auch deshalb sind die Reform der
Unternehmensbesteuerung und die Minderung bürokratischer Lasten für den Innovationsstandort von herausragender Bedeutung. Wir rufen die Unternehmen dazu auf,
den beginnenden Konjunkturaufschwung für neue Spielräume im Bereich der Investitionen für Innovationen zu
nutzen.
Meine Damen und Herren, neue Wachstumsfelder
werden vor allem von jungen Unternehmen erschlossen.
Sie brauchen eine Anschubfinanzierung und die Bereitstellung von Wagniskapital.
({18})
Neben der Schaffung von Anreizsystemen werden in den
nächsten Wochen deshalb auch Gespräche mit der
Finanzwirtschaft über neue Finanzierungskonzepte zur
Förderung von Forschung und mehr Investitionen in die
Forschung sowie für Innovationen stattfinden.
Schließlich werden wir funktionierende internationale
Regeln zum Schutz geistigen Eigentums schaffen.
Deutschland gehört bei der Zahl der Patentanmeldungen
international zur Spitzengruppe und ist als Exporteur
von Technologiegütern in starkem Maße von Verletzungen dieser Rechte betroffen. Die Verbesserung des
Schutzes und der Verwertung geistigen Eigentums hat
für uns Priorität. Auch das ist eine wichtige Brücke von
der Forschung in die Märkte.
({19})
Klare Impulse für den europäischen Forschungsstandort, 17 Innovationsfelder im Rahmen einer Hightechstrategie, neue Anreizsysteme für mehr Investitionen in die
Forschungsförderung, neue finanzwirtschaftliche Konzepte, Verbindung deutscher und europäischer Forschungspolitik - mit diesem Paket setzt die Bundesregierung Signale dafür, dass die Innovationspolitik wirklich
der rote Faden ihrer Politik ist und dass sie davon überzeugt ist, dass das der Schlüssel für wirtschaftliche Dynamik ist. Das ist im Übrigen auch die Antwort auf die
Frage, welche Chancen künftige Generationen in
Deutschland haben, und das ist der Motor für soziale
Entwicklungen sowie die Antwort auf die Frage, wie wir
die soziale Sicherheit in Deutschland gewährleisten. Das
geschieht nämlich nicht mehr vorrangig über die klassische Sozialpolitik, dazu braucht es eine dynamische Innovationspolitik.
Deshalb danke ich den beiden Koalitionsfraktionen
dafür, dass wir schon in den ersten Haushaltsberatungen
wichtige Weichen gestellt haben, damit Deutschland einer der attraktivsten Wissenschaftsstandorte und Motor
für die europäische Forschungs- und Technologiepolitik
werden kann.
Ich danke Ihnen.
({20})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer
möchte, dass Deutschland als Forschungsstandort in der
Champions League der Industrienationen mitspielt, der
muss in der Tat auf Freiheit und Wettbewerb setzen.
({0})
Frau Kanzlerin, Sie haben in Ihrer ersten Regierungserklärung zu Recht gesagt, Deutschland müsse mehr
Freiheit wagen und die Wachstumsbremsen müssten
endlich gelöst werden. Ich frage Sie aber: Wo ist die
Freiheit für die Forschung, von der Sie sprachen, in
wichtigen Zukunftsfeldern geblieben? Bisher sind den
großen Worten aus unserer Sicht nämlich keine Taten
gefolgt. Denken Sie nur an die Grüne Gentechnik oder
zum Beispiel auch an die Sicherheitsforschung im Bereich der Kerntechnik. Das sind Zukunftsfelder für die
Forschungspolitik. Wer mehr Freiheit in der Forschung
will, muss auf Chancen neuer Forschungsfelder und
Technologien setzen und darf eben nicht allein an deren
Risiken denken.
({1})
Die Forschungs- und Technologiepolitik muss ideologiefrei auf Zukunftsfelder und Spitzentechnologien setzen.
Dazu gehören natürlich die Lebenswissenschaften, die
Nanotechnologie, die optischen Technologien und die
Informationstechnologie. Das sind unsere Stärken in
Deutschland.
Die Biotechnologie ist mit der Gentechnologie eine
Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Da können
wir an Fahrt gewinnen. Wir haben gesehen, dass Anfang
der 90er-Jahre eine ideologische Diskussion bei der Roten Gentechnik stattgefunden hat. Dann gab es eine
große Nachfrage nach gentechnisch hergestellten Medikamenten wie dem Insulin. Seitdem ist der gordische
Knoten durchschlagen. Wir erwarten, dass wir uns auch
bei der embryonalen Stammzellforschung bewegen.
Diese Bundesregierung gibt den Stammzellforschern in
Deutschland aber keine Rechtssicherheit. Stattdessen
kriminalisiert sie durch deutsches Recht die Stammzellforscher im Ausland und wirbt bei den EU-Mitgliedstaaten dafür, dass die Förderprogramme in das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm nicht mehr aufgenommen
werden. Das hat nichts mit Freiheit der Forschung zu
tun.
({2})
Nach der Lektüre der Unterrichtung durch die Bundesregierung suchte ich natürlich nach einem klaren Signal für die grüne Biotechnologie. In der Regierungserklärung sagte Frau Merkel: Wir müssen auf die
Freiheit der Entwicklungsmöglichkeiten in der Nano-,
Bio- und Informationstechnologie setzen. Aber die ideologischen Scheingefechte nach grünem Muster gehen in
dieser Regierungskoalition weiter. Neuerdings beteiligt
sich der CSU-Generalsekretär an der Debatte. Er lehnt
die Grüne Gentechnik ab mit der Begründung: Weil die
ökologischen Langzeitwirkungen noch nicht erforscht
seien, dürfe es keine Freilandversuche mit gentechnisch
veränderten Pflanzen geben.
({3})
Das ist ja unglaublich. Der Mann weiß nicht, dass es dabei genau um Sicherheitsforschung geht und dass insbesondere in Bayern - wo leider durch kriminelle Handlungen Mineralöl auf einem Versuchsfeld im Landkreis
Fürstenfeldbruck ausgebracht worden ist - untersucht
werden sollte, welche Auswirkungen der in den Vorjahren erfolgte Anbau von gentechnisch veränderten Kartoffeln auf die Bodenqualität und auf Folgefrüchte hat.
Darum geht es in der Sicherheitsforschung. Ich frage
Herrn Söder: Wird eigentlich von Amts wegen ermittelt?
Aus meiner Sicht ist das eine kriminelle Handlung, die
dort vorgenommen worden ist, und hat wirklich nichts
mit Freiheit von Forschung zu tun.
({4})
Das erinnert mich eher an provinziellen Populismus. Ich
fordere die Bundeskanzlerin auf, diese plumpen Debatten zu unterbinden, die dem Forschungsstandort
Deutschland schaden.
({5})
Meine Damen und Herren, der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit hat uns auf Stärken und
Chancen hingewiesen. Sie, Frau Ministerin Schavan, haben zu Recht die Stärken genannt. Ich will darauf hinweisen, dass in diesem Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit auch deutlich gemacht wird, dass der
Innovationsmotor in Deutschland nachlässt. Der Bericht
zeigt zum Beispiel, dass die Innovationsbeteiligung
von kleinen und mittleren Unternehmen dringend erhöht werden muss; das haben Sie zu Recht gesagt. Während 1999 noch 65 Prozent der KMU neue Produkte auf
den Markt gebracht haben, waren es 2003 nur
59 Prozent.
Dazu gehört natürlich, Anreizsysteme zu schaffen.
Die bei KfW und Hausbanken beantragten Kredite
scheitern meist, weil die kleinen und mittelständischen
Unternehmen keine Sicherheiten bieten können; in den
neuen Bundesländern haben 80 Prozent der mittelständischen Unternehmen nur fünf bis zwanzig Beschäftigte.
Wir brauchen einen Gründerboom von Wissenschaftlern
mit guten Ideen. Die Tatsache, dass Deutschland bei Patentanmeldungen international Spitze und Europameister
ist, die neuen Produkte jedoch überwiegend im Ausland
gefertigt werden, ist eine unserer größten Wachstumsbremsen. Die muss gelöst werden. Schaffen Sie einen Innovationsfonds für Neugründungen, Frau Ministerin;
das wäre eine gute Idee. Ich nehme es gerne auf, dass Sie
mit der Finanzwirtschaft darüber reden. Wir werden
diese Idee jedenfalls vorantreiben.
Hochschulen sind Keimzellen für Innovationen. Die
Hochschulen brauchen mehr Freiheit. Die Studierenden
müssen sich zukünftig ihre Hochschulen selbst aussuchen können - auch das ist Freiheit. Wer den Zentralismus im Bund nicht will, kann ihn nicht durch den
Zentralismus in den Ländern ersetzen. Kapazitätsverordnungen, zentrale Vergabe von Studienplätzen - all das
sind Hemmschuhe für die Autonomie und den Wettbewerb der Hochschulen. Deshalb fordern wir Liberale seit
langem die grundgesetzliche Verankerung der Autonomie, damit die Freiheit von Hochschulen in diesem Land
tatsächlich verwirklicht wird.
({6})
Kluge Köpfe sind unser wichtigstes Kapital. Vor allem in unseren Schulen und Hochschulen entscheidet
sich die Zukunfts- und Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns
bewusst machen, dass wir in bestimmten Branchen
Nachwuchsprobleme und Fachkräftemangel haben. Wer
von Ihnen auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung war, weiß, dass gerade die Luft- und Raumfahrtindustrie deutlich gemacht hat, dass Tausende von
Ingenieuren fehlen. Auch darüber muss dieses Land
nachdenken.
Dass der Bund sich beim Hochschulbau aus der Verantwortung zieht, das ist Ihre Politik. Aber ich weise
darauf hin, dass bei der Verteilung der Mittel für den
Hochschulbau ein Schlüssel herangezogen wird, der
letztendlich eine Wettbewerbsverzerrung für die nordund ostdeutschen Bundesländer nach sich zieht. Wir
wollen Wettbewerb, aber zu fairen Bedingungen. Deswegen heißt Wettbewerb für uns, dass die finanzschwachen Länder bei der Verteilung von Hochschulbaumitteln gegenüber den finanzstarken Ländern nicht
benachteiligt sind; dafür müssen Sie sorgen.
Wir fordern eine Zukunftsinitiative für die neuen
Bundesländer. Die Hochschulen und Universitäten in
den neuen Bundesländern sind Keimzellen für innovative Cluster. Darauf müssen wir setzen. Deswegen fordern wir seit letztem Wochenende, die Solidarpaktmittel
zukünftig auch für Investitionen in die Hochschulen, in
den Hochschulbau und nicht nur in Beton zuzulassen.
Das wäre eine wegweisende Maßnahme für die neuen
Bundesländer.
Frau Kollegin Pieper, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Sehr verehrte Frau Ministerin, Innovationen brauchen
vor allem mehr Freiheit. Das ist die Voraussetzung für
dauerhaften Wohlstand und mehr Arbeit in Deutschland.
Aber wer mehr Freiheit will, muss auch mehr Freiheit
wagen. Sie, Frau Ministerin, stehen noch zu sehr auf der
Bremse. Lösen Sie sie und wir gewinnen an Fahrt.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Burchardt für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Ausführungen von Frau Pieper reizen eigentlich zu einer etwas längeren Replik. Wenn Sie über Freiheit und Ideologiefreiheit reden, dann denke ich an Ihren Minister in
Nordrhein-Westfalen, der gerade auf dem Altar marktliberaler Ideologie die Freiheit der Wissenschaft opfert.
({0})
Aber das ist nicht das heutige Thema. Darüber können
wir sicherlich noch an anderer Stelle diskutieren.
Mit dem 6-Milliarden-Euro-Programm hält die
Koalition Wort. Der Bund leistet seinen Beitrag zur Erreichung des Lissabonziels. Er geht in Vorleistung. Frau
Schavan, Sie werden verstehen, dass ich noch eine Anmerkung zu Ihren Ausführungen machen muss und
dazu, was diese Bundesregierung jetzt endlich leistet.
Dieses Land hat leider Jahre verloren, weil dieses 6-Milliarden-Euro-Programm von der Union im Bundesrat in
den letzten Jahren blockiert worden ist. Aber wir freuen
uns, dass es mit Ihnen in der großen Koalition jetzt diesen Fortschritt gibt.
({1})
Wir bringen Nachhaltigkeit in das erfolgreich
Begonnene: bei der Exzellenzinitiative, beim Pakt für
Forschung und bei der Förderung von Schlüsseltechnologien. Wir als Sozialdemokraten sehen in der Hightechstrategie durchaus den richtigen Ansatz, privates Kapital
für mehr Investitionen in Innovationen zu mobilisieren.
Aber jetzt muss auch die Wirtschaft kommen.
({2})
Wir warten noch auf die sichtbaren, verbindlichen
Zusagen und Zeichen, dass das auch so sein wird. Die
Wirtschaft muss sich vom kurzfristigen Denken der
letzten Jahre lösen. Das ist angesichts der stagnierenden
F-und-E-Aufwendungen und vor allen Dingen der Reduzierung des F-und-E-Personalstamms in der Wirtschaft
deutlich geworden. Das muss sich ändern.
Wir freuen uns, dass der Löwenanteil des 6-Milliarden-Euro-Programms beim Forschungsministerium
liegt. Wir freuen uns auch, dass die Federführung bei Ihnen, Frau Schavan, bei der Forschungsministerin, liegt.
An dieser Stelle sagen wir: Respekt.
({3})
Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
verweist auf die Vorteile des Innovationssystems. Sie
liegen in der exzellenten Forschungsinfrastruktur, in der
Vernetzung, in den bestehenden Clustern und auch in der
Umsetzung von Innovationen im Bereich des Exports
von Technologiegütern. Das alles ist gut. Doch es ist lediglich eine Momentaufnahme. Der Film läuft weiter
und bei genauem Hinsehen zeigen sich Risse im Fundament, wie der Bericht das so bildhaft darstellt. Das Bildungssystem ist das Fundament für Innovation und
Wachstum. Es ist eindeutig nicht leistungsfähig genug
und scheint zum Handicap für Innovation und Wachstum
zu werden.
({4})
Dass Deutschland beim internationalen Innovations-Benchmark noch im Mittelfeld liegt, ist der Bildungsexpansion der 70er-Jahre zu verdanken. Doch seit
anderthalb Jahrzehnten - die OECD hat es uns ins
Stammbuch geschrieben - stagniert das Qualifikationsniveau der Bevölkerung ebenso wie die Bildungsausgaben. Deutschland ist vom internationalen Trend der
Höherqualifizierung abgekoppelt. Um den damit verbundenen Abwärtstrend abzuwenden und eine nachhaltige Förderung von Wachstum und Innovation zu betreiben, ist das 6-Milliarden-Euro-Programm eine
notwendige, aber keine hinreichende Bedingung.
({5})
Not tut eine Bildungsoffensive zur Sicherung des
Nachwuchses des Innovationssystems. Wir als Sozialdemokraten sagen dazu: Bildung für alle, von Anfang an,
ein Leben lang. Es braucht Mut zur Veränderung, konsequentes Handeln und Bereitschaft zur Kooperation.
Ich will das gerne anhand von drei Stichworten und
vor aktuellem Hintergrund konkretisieren:
Mein erstes Stichwort: Die Weiterbildung muss systematisch zur vierten Säule des Bildungssystems ausgebaut werden. Das Entscheidende haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Wie Frau Schavan jüngst
anlässlich des VDI-Jubiläums sagte, ist all das nicht neu;
das ist richtig. Jetzt muss bei der Umsetzung der Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, Tempo gemacht werden.
Wir brauchen keine neuen Gesprächskreise. Es ist
zwar immer gut, miteinander zu reden, aber Innovation
bedeutet, Wissen anzuwenden. Das Wissen, was zu tun
ist, um eine Innovationsoffensive im Weiterbildungsbereich auf den Weg zu bringen, liegt schon auf dem Tisch.
Dazu haben die Ergebnisse der Arbeit der Expertenkommission und das Forum Bildung beigetragen. Nun
kommt es darauf an, dieses Wissen schneller in Anwendung zu bringen.
({6})
Wir unterstützen die Arbeiten, die im Ministerium
zum Thema Bildungssparen angelaufen sind. Aber das
kann nicht alles sein. Denn Talente und Begabungen gibt
es nicht nur in jungen Jahren, sondern auch im Erwachsenenalter. Sie dürfen aber nicht an das materielle Einkommen gekoppelt sein, also daran, ob es sich jemand
leisten kann, für seine Weiterbildung Geld zur Seite zu
legen. Die Förderung der „zweiten Chance“ ist genauso
notwendig.
({7})
Zweites Stichwort: das Innovationshandicap Schulsystem. Es ist für zu viele Rutschbahn und nicht Startbahn. Nahezu wöchentlich werden neue Belege dafür
geliefert. Ökonomisch formuliert ist das der Engpassfaktor für das Humankapital. Länger gemeinsam lernen, das
wäre die dringendste soziale Innovation. Mit den Strukturen des 19. Jahrhunderts ist angesichts des globalen
Wettbewerbs allenfalls die rote Laterne, aber nun wirklich kein Spitzenplatz zu erreichen.
({8})
Frau Schavan, ich habe gelesen, dass Sie den Ländern
Gespräche über eine zweite Phase des Ganztagsschulprogramms angeboten haben. Wir wären sehr interessiert, mit Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, wie
man dieses Programm möglicherweise fortführen
könnte.
Hier gibt es aber - damit bin ich bei meinem dritten
Stichwort - ein kleines Problem: die anstehende Föderalismusreform mit ihrem Finanzhilfe- und Kooperationsverbot. Damit wären dem Bund jegliche Möglichkeiten
genommen, zum Kitten der Risse im Innovationsfundament beizutragen. Das könnte er nur noch in informativer Hinsicht tun, zum Beispiel über das Berichtswesen
und in Form von Studien und Forschung, aber nicht
mehr in instrumenteller. Darauf käme es allerdings entscheidend an.
({9})
Das Urteil der Fachwelt ist erdrückend: Diese Reform
gefährdet den Hochschul- und Forschungsstandort
Deutschland. Der Hochschulpakt wäre total legal nicht
mehr möglich, so wichtig er unserer Meinung nach auch
ist.
Noch ein Satz zur Gesundheitsforschung - denn Sie,
Frau Schavan, haben hier einen Schwerpunkt gesetzt -:
Das Auslaufen der Hochschulbauförderung, von der zu
fast 40 Prozent die Unikliniken profitieren, bedeutet,
dass es in Deutschland mittelfristig zum Ende der Gesundheitsforschung kommt. Denn die Unikliniken sind
die Hauptträger der Gesundheitsforschung.
Deswegen kann man an dieser Stelle aus vielerlei
Gründen nur sagen, dass das Gebot der Stunde lautet:
Wer wirklich Innovation und Wachstum fördern will, der
muss heute Mut zu Korrekturen an der Föderalismusreform haben. Wir Sozialdemokraten streiten dafür.
Mittlerweile tut das auch der erste Landesbildungsminister der Union; wir haben für Sie alle noch einen Platz an
unserer Seite.
({10})
Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin Petra
Sitte das Wort.
({0})
Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren!
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf
längere Sicht nicht gut entwickelt. Die Bedingungen für eine dynamische technologische Erneuerung und einen nachhaltigen Strukturwandel in
Richtung Wissenswirtschaft müssen deutlich verbessert werden.
Das sind die ersten beiden Sätze des Berichtes zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.
Jetzt zitiere ich den Kernsatz aus der Pressemitteilung
der SPD-Kollegen Tauss und Röspel dazu:
({0})
- Ja, ja, Herr Tauss. Sie erinnern mich immer an Faust I,
Vers 2086: „des Basses Grundgewalt“. - In Ihrer Pressemitteilung heißt es:
Der … Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2006 ist zugleich ein wichtiger Beleg dafür,
dass es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist,
Deutschland wieder zu einem führenden Forschungs-, Wissenschafts- und Innovationsstandort
in der Welt zu machen.
({1})
- Um diesen Kernsatz überhaupt zu finden, musste man
alles gelesen haben.
Ob diese Pressemitteilung einer getrübten Wahrnehmung oder einer Fehleinschätzung entspringt, sei einmal
dahingestellt. Sie ist allerdings ein lehrhaftes Beispiel
dafür, wie sinnvoll das Studium von Originalquellen ist.
Im Falle dieses Technologieberichtes lohnt sich das Lesen ganz außerordentlich. Dieser Bericht selbst basiert
nämlich auf der Arbeit von neun außeruniversitären Forschungsinstituten und er ist ein beredtes Beispiel dafür,
wie wissenschaftliche Kompetenz zur Reflexion gesellschaftlicher Problemlagen eingesetzt werden kann. Bei
dem Bericht handelt es sich um einen Auftrag aus der
Politik. Gerade durch solche Beauftragungen aus der
Politik muss sich Wissenschaft den Problemen der Gesellschaft öffnen.
Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft wertete in seiner Rede vor dem Wissenschaftlichen Rat positiv - ich zitiere -,
dass Wissenschaft und Forschung sich heute einer
großen Unterstützung aus Politik und Öffentlichkeit
erfreuen können.
({2})
Er wies aber zugleich auch auf die gestiegenen Erwartungen hin:
Die Gesellschaft erwartet von der Wissenschaft Lösungen oder zumindest Hilfestellungen, um angesichts der großen globalen Herausforderungen zu
bestehen … Natürlich ist Wissenschaft nicht
zweckfrei, sondern einem allgemeinen humanen
Zweck verpflichtet.
Weiter heißt es:
Und Wissenschaft wirkt sich auf die Gesellschaft
aus, weil ihre Ergebnisse Anwendung finden und
damit für jeden erfahrbar werden. Wichtig ist, dass
sich jeder einzelne Wissenschaftler um eine sorgfältige Arbeit bemüht. Ist das nicht der Fall, leidet
- verständlicherweise - das Vertrauen in die Wissenschaft als Ganze.
So weit der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.
Skepsis gegenüber der Wissenschaft wächst vor allem
dann, wenn diese nur eindimensional nach Zielvorgaben
von Politik arbeitet. Wenn beispielsweise die Menschen
Sachverständige in Kommissionen wie zum Beispiel in
der zu Hartz IV als Kronzeugen für nachhaltige Verschlechterungen der eigenen Lebenssituation erfahren,
dann ist das ebenjener Vertrauensverlust.
({3})
In der Verantwortung der Wissenschaft steht es
aber, eine Bandbreite an Handlungsalternativen aufzumachen und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Dabei
müssen jene Experten auch Sensibilität für die Zumutbarkeit und für Grenzen des gesellschaftlichen Friedens
haben. Politik wiederum darf sich umgekehrt nicht
hinter der Objektivität von Vorschlägen aus der Wissenschaft verstecken; denn für die Wahl des konkreten Lösungsansatzes ist immer noch sie selbst verantwortlich.
({4})
Wenn Ministerin Schavan Forschung als „Teil der intellektuellen Kultur des Landes“ bewertet, dann gehört
der eben skizzierte Ansatz, nämlich Wissenschaft und
Forschung in gesellschaftlicher Verantwortung zu denken, dazu - und das ist keine Ideologielastigkeit, Frau
Pieper.
({5})
Wenn Sie also, wie im Antrag gefordert, sehr bald den
Rat für Innovation und Wachstum einsetzen, dann doch
genau mit der Zielrichtung, zu fordern, dass Wissenschaft mehrdimensional ist.
Die vorliegenden Anträge und die Stellungnahme der
Bundesregierung sind demgegenüber ausgesprochen
technologielastig. Stärker in den Mittelpunkt rücken
müssten unserer Meinung nach die Forschung zum gesellschaftlichen Wandel, zum Erkennen und Verstehen
sozialer Entwicklungsprozesse, das generative Verhalten
der Menschen, die Alterung der Bevölkerung, Bildungsund Kommunikationsforschung - und auch Koordination und Wirksamkeit von Fiskal- und Steuerpolitik.
Schließlich soll Politik sensitiv und frühzeitig Steuerungsoptionen entwickeln und öffentlich zur Diskussion
stellen. Leider laufen diese Felder in dem viele Seiten
umfassenden Koalitionsantrag zum 6-Milliarden-EuroProgramm in einem Dreizeiler unter Punkt 15 - das ist
deutlich unter „ferner liefen“. Im Antrag zum 7. Forschungsrahmenprogramm der EU dagegen wird diesen
Feldern ein wenig mehr Raum eingeräumt. Die EU misst
diesen Feldern offensichtlich ein größeres Gewicht bei.
Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich einem Missverständnis vorbeugen: Wir werfen Ihnen Technologielastigkeit nur deshalb vor, weil Sie nicht in vergleichbarem Umfang und Tiefgang die Förderung von
Wissenschaft und Forschung in den anderen Disziplinen
fordern.
Soweit es um technologische Forschung und Entwicklung geht, werden im Bericht der Bundesregierung,
in der Regierungserklärung selbst und, mit einigen Abstrichen, in den vorliegenden Anträgen sowohl hinsichtlich der Systematik als auch des Inhalts die wichtigsten
Problemkreise erkannt. Das war - das wissen Sie so gut
wie ich - längst fällig. Im Technologiebericht ist zu lesen - Zitat -:
Die Bedingungen für eine dynamische technologische Erneuerung und einen nachhaltigen Strukturwandel in Richtung Wissenswirtschaft müssen
deutlich besser werden.
Es ist auch zu lesen, dass andere Länder bei der Förderung von Bildung und Wissenschaft sowie von Forschung und Technologie seit Jahren deutlich weiter sind.
Die aufgeführten Schwerpunkte, die in diesem Bericht bzw. auch in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen sind, wie die Bio- und Nanotechnologie, Informationstechnologie und Raumfahrt, scheinen
uns durchaus richtig gesetzt zu sein. Es wird jedoch eine
Binnendifferenzierung innerhalb dieser Felder geben
müssen; denn jedes ist in der Breite nicht abzudecken
und zu finanzieren.
Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Sich in diesem
Zusammenhang auf die Gesundheitsforschung zu konzentrieren, halten wir für richtig. Allerdings sollte sich
die Bundesregierung darauf vorbereiten, dass die Forschungsergebnisse aus den Bereichen Medizintechnik,
Diagnostik und Therapie Erwartungen wecken werden,
deren Erfüllung die Leistungsfähigkeit unseres gegenwärtigen Gesundheitssystems aber bei weitem übersteigen würde. Zu der Förderung der so wichtigen Gesundheitsforschung gibt es leider keinen vergleichbaren
Ansatz in der Gesundheitspolitik, der darauf zielt, dass
die Anwendung der Forschungsergebnisse allen zugute
kommen kann, und zwar unabhängig von der Zahlungsfähigkeit des Einzelnen.
({6})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung will
bis 2006 eine ressortübergreifende Strategie zur nationalen Sicherheitsforschung erarbeiten. Das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU wird erstmals den Bereich Sicherheitsforschung einschließen. Wir teilen aber
ausdrücklich nicht die Position der EU-Kommission,
wonach die Trennung zwischen militärischer und ziviler
Forschung ein Hemmnis darstellt. Ein europäisches Programm für Sicherheitsforschung ab 2007 sollte keinesfalls dazu dienen, die ohnehin vorhandenen Grauzonen
auszuweiten.
({7})
Wir nehmen daher sehr aufmerksam zur Kenntnis, was
Sie in Ihren Programmen und in Ihren Anträgen geschrieben haben, nämlich mit dem Sicherheitsforschungsprogramm keine Forschung für unmittelbar militärische Zwecke zu unterstützen. Es bleibt Raum für
Interpretationen; das ist mir klar. Aber wir werden am
Ende sehen, wie es wirklich aussieht. Dagegen teilen wir
vollständig Ihre Zielstellung, dass Forschung zur Konfliktvermeidung und zur Friedenssicherung verstärkt
werden muss.
({8})
Meine Damen und Herren, alle vorliegenden Berichte
und Anträge gehen auf den gravierenden Widerspruch
nicht ein, dass durch den Einsatz von Wissenschaft und
Forschung in den letzten Jahren auch Tausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind. Diese destruktiven
sozialen Wirkungen müssen ebenfalls zum Gegenstand
der Untersuchung, zum Gegenstand unseres politischen
Denkens und Handelns gemacht werden.
({9})
Das heißt, es geht auch darum, innovative Wege aus der
Massenarbeitslosigkeit zu finden. 6 Milliarden Euro für
Forschung und Entwicklung sind ein Anfang, aber nicht
die Lösung.
Dass in diesem Zusammenhang die kleinen und mittelständischen Unternehmen ins Zentrum Ihrer Politik
gerückt werden, halten wir für ausgesprochen wichtig;
denn es sind vor allem diese Unternehmen, die die
Masse an Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen zur
Verfügung stellen und über eine besondere Innovationsfähigkeit verfügen. Hier besteht ein besonderes Potenzial für die Entwicklung in Ostdeutschland, damit dort
innovative und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze entstehen. Das ist eine Strategie gegen Niedriglohnarbeitsplätze.
({10})
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Das mache ich gern.
Ich will abschließend noch einen Hinweis geben: Es
ist dramatisch, was im Bericht zum Bereich Weiterbildung steht; dieses Thema hat schon vorhin eine Rolle
gespielt. Darauf werden wir im Rahmen der Haushaltsdebatte zurückkommen müssen.
Innovation ist kein Naturereignis, das einfach so über
uns kommt. Sie ist ein Prozess, den es zu gestalten gilt,
und zwar innovativ in Inhalt, in Form und natürlich in
den Ergebnissen.
Danke schön.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Ilse Aigner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die
Bundesregierung hat vor ungefähr sechs Wochen den
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit vorgelegt. Er kommt gleich am Anfang auf den Punkt:
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf
längere Sicht nicht gut entwickelt.
Von Rissen im Fundament, von geringer Neigung zu investiven Anstrengungen und zum Strukturwandel sowie
von einer schlechteren Position, wenn es um Spitzentechnologie geht, ist die Rede.
Längst spielen wir nicht mehr in den Medaillenrängen. Lagen wir Ende der 80er-Jahre noch auf Platz drei,
so sind wir jetzt auf Rang neun abgerutscht. So heißt die
Quintessenz des Berichts: Abstieg vermeiden, Anschluss
gewinnen. Noch haben wir alle Chancen. Wir dürfen nur
nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir haben uns
in den vergangenen Jahren zu sehr auf die Bewahrung
des vermeintlich Erreichten konzentriert und hatten
keine Antennen und Sensoren für die Signale der Zukunft. Die Signale für die Zukunft kommen aus Forschung und Entwicklung. Genau deshalb investieren
wir in diesem Bereich bis 2009 zusätzlich 6 Milliarden
Euro. Das ist die größte Steigerung seit der Wiedervereinigung.
({0})
Das ist unsere Zukunftsantenne.
Allerdings wirkt die beste Antenne nicht, wenn sie
nicht auf die Sender ausgerichtet ist. Die Sender sind in
unserem Fall die Hochschulen, die Forschungseinrichtungen und die innovative Wirtschaft. Ausrichtung, Signalbündelung und Verstärkung - genau das ist das Ziel
der Hightechstrategie. „Zielgenau ausrichten“ heißt: Wir
müssen uns jede Branche und jeden innovativen Bereich genau ansehen. Wir brauchen Konzepte: für die
Pharmaindustrie, für die Gentechnologie, die Luft- und
Raumfahrt, die Informationstechnologie usw. Unser Ziel
sind schlüssige Innovationsstrategien. Zur Forschungsförderung in der Biotechnologie gehört zum Beispiel ein
forschungsfreundliches Gentechnikgesetz. Damit sich
neue Entwicklungen in der Informationstechnologie
durchsetzen, muss eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur vorhanden sein.
Mit unserer Antenne müssen wir uns ebenso auf neue
Bereiche und Herausforderungen ausrichten. Sicherheit
in einer offenen und leider auch terroristisch bedrohten
Welt ist ein großes Forschungsthema. Von der Ursachenforschung bis zu den Frühwarnsystemen, von der Schadensvorbeugung bis zu den Handlungsstrategien im konkreten Krisenfall - das ist ein riesiges Forschungsgebiet.
Deshalb werden wir in dieser Legislaturperiode ein stringentes und zukunftsweisendes Konzept für die Sicherheitsforschung entwickeln.
Ein weiteres lohnendes Feld ist im umfassenden
Sinne auch die Alternsforschung. Gemeint ist Gesundheitsforschung mit dem Fokus auf Ältere. Gemeint sind
Konzepte, die die Fähigkeiten älterer Arbeitnehmer
positiv zur Geltung bringen.
({1})
Gemeint ist auch Technik, die auf Ältere zugeschnitten
ist. Wer da die Nase vorn hat, wird den demografischen
Wandel nicht nur leichter bewältigen, sondern hat auch
einen Fuß im Markt der Zukunft.
({2})
Wesentlich an einer guten Antenne sind aber auch die
Verstärkerelemente; denn sie machen mehr aus einem
Signal. Wir müssen mehr aus unseren Forschungsergebnissen machen. Unsere Grundlagenforschung ist
sehr gut und liefert viele Ergebnisse. Aus ihnen müssen
aber auch Innovationen werden. Noch klafft eine Lücke
in unserem Fördersystem. Zwischen dem Forschungsergebnis und der vermarktbaren Entwicklung fehlt uns ein
Stück. Die Entwicklung von Prototypen oder die Phase I
der Medikamentenentwicklung bezahlt niemand.
Schlimmer noch: Manchmal kümmert sich auch niemand darum. Wir wollen das ändern.
({3})
Ich freue mich, dass die Forschung selbst die Initiative ergreift und Ideen entwickelt. So hat die MaxPlanck-Gesellschaft das Modell eines Innovationsfonds vorgestellt. Um Hightechgründungen zu realisieren, brauche ich nicht nur Ideen, sondern auch Geld. Um
Geld zu bekommen, brauche ich Ideen, die schon ein
Stück weiter sind als die Grundlagenforschung. Genau
hier besteht eine Lücke; diese soll der Innovationsfonds
schließen. Ich finde, wir sollten diesen Vorschlag intensiv prüfen.
Wir brauchen neuen Schwung für die Forschung im
Mittelstand. Das Rückgrat unserer Wirtschaft muss
wieder die Speerspitze der Innovation sein. Unsere europäischen Wettbewerber setzen auf viele verschiedene Instrumente. Der Plan „Innovation“ in Frankreich setzt auf
Sonderkonditionen im Steuerrecht. Die Niederländer geben kleinen und mittleren Unternehmen Innovationsgutscheine; sie können diese Gutscheine bei Forschungseinrichtungen direkt einlösen. Für Deutschland fordern der
BDI und andere seit langem eine Forschungsprämie.
Forschungseinrichtungen und Hochschulen sollen sie erhalten, wenn sie mit Unternehmen zusammenarbeiten
und dementsprechend Drittmittel einwerben.
Der Charme all dieser Vorschläge und Modelle ist,
dass sie auf Freiheit und Wettbewerb, auf Unternehmertum und Zusammenarbeit setzen. Gleichwohl gibt es
auch Risiken. Zum Beispiel könnte es zu Mitnahmeeffekten oder - noch schlimmer - zu Wettbewerbsverzerrungen kommen. Deshalb müssen wir genau hinsehen. Ich bin dafür, dass wir Schritt für Schritt vorgehen
und mit Pilotprojekten und Modellvorhaben anfangen,
das allerdings schnell. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.
({4})
Die Antenne steht. Wir sind gerade dabei, sie zielgenau auszurichten. Das 6-Milliarden-Euro-Programm und
die Hightechstrategie sind sehr starke Signale. Nun müssen wir auch die Adressaten auf Empfang stellen. Ich appelliere deshalb an die Wirtschaft, die Wissenschaft und
die Bundesländer, die Signale nicht nur aufzunehmen,
sondern mit eigenem Engagement zu verstärken. Wenn
wir unsere Kräfte bündeln, können wir erfolgreich sein.
Wir können vielleicht mit gemeinsamer Kraftanstrengung ein sehr kleines Eingangssignal in ein klangvolles
und kraftvolles Zukunftskonzert für Deutschland verwandeln.
({5})
Das Wort hat nun die Kollegin Krista Sager für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass
unser geschätzter ehemaliger Koalitionspartner nun in
der großen Koalition eine neue Regierungsheimat gefunden hat, hat immerhin die kleine angenehme Nebenwirkung, dass die große Koalition in ihrem Antrag eingestehen muss, dass unter Rot-Grün in der Forschungspolitik
sehr viel gemacht wurde, um die Defizite aus den 90erJahren ansatzweise auszugleichen und Versäumtes nachzuholen.
({0})
- Genau darauf sind wir stolz. - Dass dem so ist, sieht
man daran, dass das 6-Milliarden-Euro-Programm nur
2,8 Milliarden Euro für neue Maßnahmen vorsieht. Ansonsten werden die Programme und Initiativen der Vorgängerregierung fortgesetzt.
Wir sind in der Nanoforschung in der Tat weitergekommen. In der Medizintechnik sind wir sogar Spitze.
Aber es ist auch richtig: Jede Atempause bedeutet einen
massiven Rückschritt, weil die internationale Dynamik
in Forschung und Entwicklung enorm zugenommen hat.
In anderen Ländern wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Umso wichtiger ist es daher, dass die jetzige Regierung an dem 3-Prozent-Ziel der Lissabonstrategie
festhält und es weiterverfolgt. Aber wenn wir dieses Ziel
erreichen wollen, dann müssen wir sowohl auf der EUEbene als auch auf der nationalen Ebene uns noch konsequenter von alten Subventionen in überholte Strukturen verabschieden.
({1})
Das wird uns nicht erspart bleiben, wenn wir mehr Ressourcen für Forschung und Entwicklung freisetzen wollen. Umweltschädliche Subventionen können wir uns
dann erst recht nicht mehr leisten. Das alte Spiel „Die
eine Volkspartei klammert sich an die Eigenheimzulage
und die andere Volkspartei klammert sich an die Steinkohleförderung“ werden wir in Zukunft nicht mehr spielen können.
({2})
Wir können uns auch nicht erlauben, dass der Bund
seine Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung erhöht, während die Länder und die Wirtschaft
ihre Anstrengungen reduzieren. Frau Bundesministerin,
Sie sind jetzt wirklich gefordert, mit den Ländern verbindliche Vereinbarungen über deren Beitrag zum staatlichen Anteil zu treffen. Die Bundeskanzlerin ist - ich
verweise auf den bei ihr angesiedelten Rat für Innovation und Wachstum - ebenfalls gefordert, verbindliche
Vereinbarungen mit der Wirtschaft zu treffen, durch die
verhindert wird, dass diese ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeit verringert oder ins Ausland verlagert
und dann die privaten Hände für Leistungen der öffentlichen Hand aufhält.
({3})
Sonst kommen wir dem 3-Prozent-Ziel nicht näher.
Wenn wir die Rahmenbedingungen für Innovationen
verbessern wollen, dann müssen wir hier - Frau
Burchardt hat es zu Recht getan - leider auch wieder
über die Föderalismusreform sprechen.
({4})
Uns bleiben nur wenige Wochen, um eine falsche Weichenstellung zu verhindern.
Frau Bundesministerin, wenn Sie glauben, Sie könnten als Innovationsministerin glänzen, sich aber als Bildungsministerin verabschieden, indem Sie sich über die
Föderalismusreform selber kaltstellen, dann irren Sie
sich.
({5})
Kein Land der Welt kann bei Forschung und Innovation
dauerhaft in der ersten Liga spielen und bei Bildung
dauerhaft schlecht sein. Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Innovation beginnt nun einmal in den Köpfen.
({6})
Die neuesten Ergebnisse über die schlechten Bildungschancen von jungen Menschen mit Migrationshintergrund sind wirklich alarmierend. Diese jungen
Menschen könnten einen Beitrag zu unserer Wohlstandsentwicklung leisten. Perspektivisch werden sie aber
Kosten für unsere Sozialsysteme verursachen, weil sie in
und an unserem Bildungssystem scheitern. Angesichts
dessen darf sich der Bund kein Kooperationsverbot auferlegen. Das geht einfach nicht.
({7})
Das ist eine Vergeudung von menschlichen und finanziellen Ressourcen. Das ist schlichtweg nicht verantwortlich.
Angesichts des demografischen Wandels können wir
es auch nicht zulassen, dass die Länder und die Hochschulen Studienplätze abbauen, obwohl wir mehr Studienbewerber bekommen, und dass der Bund sagt: Na ja,
mal sehen, wie es geht. - Sie denken jetzt darüber nach,
wie Sie im Rahmen des Hochschulpaktes den Murks,
den Sie geplant haben, umgehen können. Dazu sage ich:
Dann lassen Sie den Murks lieber gleich und sorgen Sie
dafür, dass der Bund hier weiterhin eine aktive Rolle
spielt.
({8})
Auch was die Finanzierungsregelung bei der Auflösung der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ angeht, gilt: Wenn Sie es mit der regionalen Clusterbildung
- gerade in den neuen Bundesländern - ernst meinen,
dann werden Sie nicht so, wie geplant, vorgehen können.
Wir brauchen nämlich eine leistungsfähige wissenschaftliche Infrastruktur. Frau Burchardt hat Recht: Es
gibt keinen Bereich, dessen Zukunft so unsicher ist wie
den der klinischen Forschung. Dennoch haben Sie diesen Bereich gerade zu einer Art Leuchtturm erklärt.
({9})
Wenn Sie das wirklich so sehen, dann müssen Sie die
Zukunft dieses Bereichs sichern.
Innovation braucht Leitbilder für Gesellschaft, Wissenschaft, Forschung und Unternehmen. Ein zentrales
Leitbild für Innovation ist die Unabhängigkeit von endlichen Ressourcen. Ziel muss Ressourceneffizienz, Ressourceneinsparung, die Abkehr vom Öl und die Zuwendung zu regenerativen Energien und zu nachwachsenden
Rohstoffen sein. Ein solches Leitbild kann in der Tat einen großen innovativen Schub im Baubereich, im Verkehrsbereich, im Energiebereich, im Bereich der industriellen Produktion, im Bereich der Logistik und im
Bereich der Materialforschung bringen. Auf diesen globalen Märkten der Zukunft haben wir wirklich große
Chancen.
({10})
Für uns als Grüne ist es völlig unstrittig, dass die Nanotechnologie und die Weiße Biotechnologie in geschlossenen Systemen einen sehr großen Beitrag zur
Materialeffizienz leisten können. Wer zu diesem Beitrag
Ja sagt, der muss aber auch die notwendige Begleitforschung bejahen, die frühzeitig Risiken aufdeckt und für
Akzeptanz und Sicherheit sorgt. Auch da nehme ich Sie
in die Pflicht.
({11})
Ich finde es richtig, dass Sie das Innovationspotenzial kleiner und mittlerer Unternehmen stärker einbeziehen wollen. Dabei haben Sie uns an Ihrer Seite. Aber
dann hören Sie bitte auf, ständig aus ideologischen Motiven gerade die kleinen und mittleren Unternehmen zu
verunsichern, die in innovative Unternehmensgründungen investiert haben und Arbeitsplätze in den Bereichen
regenerative Energien, nachwachsende Rohstoffe, aber
auch im Bereich der Biokraftstoffe geschaffen haben.
Diese Unternehmen brauchen Planungssicherheit.
({12})
Frau Ministerin, Sie können sich darauf verlassen,
dass wir Sie gegen jeden Angriff unterstützen werden,
wenn Sie bei Ihrer Position in den bioethischen Fragen
- zum Beispiel hinsichtlich der embryonalen Stammzellenforschung - bleiben. Aber wenn Sie da im guten
Sinne konservativ sind und für den Lebensschutz eintreten, dann verträgt sich das nicht damit, dass Sie zukünftigen Generationen die strahlende Fracht einer Rolle rückwärts in der Atomtechnik aufbürden wollen. Das passt
nicht zusammen.
({13})
Es ist uns nicht entgangen, dass Sie die Atomtechnologie gewissermaßen von hinten durch die kalte Küche
über die Atomforschung im Energiebereich wieder hoffähig machen wollen. Das ist und bleibt ein Irrweg.
({14})
Das zeigt sich auch an Ihrem Haushalt, der schon jetzt
bis 2007 mit Kosten von über einer halben Milliarde
Euro für den notwendigen Rückbau von Kernforschungsanlagen belastet ist. Dieses Geld hätten wir gut
für Zukunftsentwicklungen gebrauchen können.
({15})
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung in Ihre Richtung, Frau Pieper. Bei der Grünen Gentechnik stehen
Risiken und der geringe ökonomische Nutzen in keinem
Verhältnis. Gerade im Heimatland unserer Bundesministerin haben die Landwirte zu Recht gegen eine weitere
Liberalisierung protestiert. Aber wenn Sie als Vertreterin
einer freiheitlichen Partei von der Bundeskanzlerin verlangen, dass die Diskussion unterbunden werden soll,
bringen Sie damit eine Form von Basta-Liberalismus
zum Ausdruck, den ich bei einer freiheitlichen Partei geradezu sensationell finde.
({16})
Das Wort hat nun die Kollegin Ute Berg für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Geht ein deutscher Techniker mit ein paar Konservendosen in den Urwald, kommt er mit einer Lokomotive heraus.
Das hat Felix Wankel, der Erfinder des Wankelmotors,
einmal gesagt, um die Kreativität deutscher Ingenieure
zu beschreiben. Deutsche Erfinder sind nach wie vor
Spitze und als Kooperationspartner weltweiß heiß begehrt. Das unterstreicht auch der neue Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.
Deutschland ist unter den großen Volkswirtschaften
hinter Japan das patentintensivste Land weltweit.
12 Prozent aller weltmarktrelevanten Patente stammen
von Erfindern aus Deutschland. Deutsche Produkte sind
weltweit gefragt. Nicht zuletzt deshalb wurde Deutschland letztes Jahr zum dritten Mal hintereinander Exportweltmeister.
Allerdings hat das hier - das ist sehr bedauerlich - in
den letzten Jahren weder zu einem starken Wirtschaftswachstum noch zu einem spürbaren Abbau der hohen
Arbeitslosigkeit geführt. Wie kommt das? Bei genauerer
Betrachtung der Lage stellt man fest, dass wir auf dem
Gebiet der hochwertigen Gebrauchstechnologie mit dem
Automobilbau und dem Maschinenbau an der Spitze
sehr stark sind. Bei Spitzentechnologien hingegen
- Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt, Computer und
Elektronik - müssen wir noch deutlich stärker werden.
Gerade diese Branchen haben überdurchschnittliche
Wachstumschancen. Weil sie stark expandieren, schaffen
sie auch neue Beschäftigung. Deutschland muss daher
die Potenziale, die die Spitzentechnologien bieten, noch
stärker nutzen. Gleiches gilt für den Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen, also der Dienstleistungen, die vor allem Informationen und Wissen verarbeiten und damit zu neuen Produkten führen und neue
Märkte erschließen.
({0})
Die Spannbreite reicht hierbei von der intelligenten Benutzerführung im Internet bis zu neuartigen Verfahren
des Lernens.
Für die Erschließung dieser neuen Wachstumsfelder
muss der Staat aber Anreize geben. Es ist deshalb gut,
dass die Bundesregierung in den nächsten Jahren
6 Milliarden Euro zusätzlich in Forschung und Entwicklung investiert.
({1})
Es ist auch gut, dass sie einen Schwerpunkt darauf legt,
die Innovationskraft der kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken;
({2})
denn diese Unternehmen beteiligen sich laut Bericht zur
technologischen Leistungsfähigkeit zunehmend an der
Spitzenforschung und bei wissensintensiven Dienstleistungen.
Wie wichtig der innovative Mittelstand insgesamt für
den Standort Deutschland ist, wird daran deutlich, dass
rund 95 Prozent der innovativen Unternehmen weniger
als 500 Beschäftigte haben, also zum Mittelstand gehören. Die bewährten Programme des Wirtschaftsministeriums - Frau Sager wies schon darauf hin -, zum Beispiel Pro Inno, die Industrielle Gemeinschaftsforschung
und Inno-Net, stärken gezielt Vernetzungen und Kooperationen zwischen diesen Unternehmen und Wissenschaft und Forschung. Sie werden natürlich weitergeführt.
Bei kleinen und jungen Unternehmen bestehen häufig
auch Defizite im systematischen Management von
Innovationen. Hier muss auf vielfältige Weise geholfen
werden, zum Beispiel durch Innovationscoaches, die aus
anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen in
Unternehmen gehen und dort maßgeschneiderte innovative technologische Konzepte entwickeln und damit Akzeptanz für Neues schaffen.
({3})
Umgekehrt sollten Wissenschaftler, die in der Industrie
tätig sind, verstärkt in Forschungseinrichtungen gehen.
Aufgrund ihrer Kenntnis des Marktes ist es für sie nämlich leichter, Ergebnisse der Grundlagenforschung zu
marktreifen Produkten und letztlich zur Erschließung
von Märkten zu bringen. Das ist für unsere Volkswirtschaft immens wichtig. Forschungsergebnisse werden
bei uns zu selten zu einem Reifegrad gebracht, an den
die Industrie dann nahtlos anknüpfen kann, um daraus
neue und innovative Produkte für die Menschen zu machen.
Die Garching Innovation GmbH, eine Einrichtung der
Max-Planck-Gesellschaft für den Technologietransfer,
hat die Situation kürzlich wie folgt umschrieben: Es ist
oft so, als würde man für viel Geld ein neues Auto entwickeln und am Ende feststellen, dass das Geld für die
Räder nicht mehr reicht, und nun versuchen, es ohne Räder zu verkaufen. - Das funktioniert natürlich nicht besonders gut.
Ein wesentliches Handicap für innovative risikobereite Unternehmer und Wissenschaftler ist die Schwäche
des Wagniskapitalmarkts.
({4})
Die Mehrheit der forschenden Unternehmen in Deutschland klagt über Probleme bei der Kreditbeschaffung. Das
gilt in besonderem Maße für Existenzgründer. Daher
werden das Programm „Exist“ weitergeführt, der Hightechgründerfonds ausgebaut und weitere Möglichkeiten
geschaffen, etwa über Beteiligungskapital oder langfristige günstige Darlehen, innovative Unternehmen zu stützen.
Abschließend noch eine Bemerkung zur Rolle der Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen. Wir
werden daran gemessen werden, ob es uns gelingt, die
6 Milliarden Euro auch tatsächlich für Forschung und
Entwicklung zu mobilisieren und die Hightechinitiative
zum Erfolg zu führen. Lippenbekenntnisse reichen nicht.
({5})
„Es ist nicht genug, zu wollen, man muss es auch tun“,
hat schon Goethe einmal gesagt. Lassen Sie uns also gemeinsam dafür sorgen, dass es auch wirklich getan wird!
({6})
Nun hat das Wort die Kollegin Ulrike Flach für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Gleich zu Beginn: Die FDP hat nie etwas gegen Hightechstrategien gehabt, weder in der Vergangenheit bei
dem Masterplan von Herrn Clement noch jetzt bei dem
schavanschen Strategieansatz. Aber man muss sehr deutlich und klar sagen: Diese Strategie ist bisher nur in den
kleinsten Anfängen zu erkennen, Frau Schavan. Das ist
unser Problem.
({0})
Wir haben schon bei der letzten Rede hier feststellen
müssen, was es eigentlich heißt, wenn in einem Ministerium etwas umgesetzt wird. So haben wir voll Erstaunen
feststellen müssen, dass die Leuchtturmprojekte, die Sie
uns hier vorstellen - wie Biotechnologie, Gesundheit
und Medizin, System Erde, Mikrosystemtechnik -, genau die Projekte waren, an denen Herr Eichel im letzten
Jahr gespart hat. Das ist nicht das, was wir unter Hightechstrategie verstehen, Frau Schavan.
({1})
Damals gab es die Sparbüchse 2005, jetzt gibt es die
Nachfolgesparbüchse 2006. Schon aus haushalterischen
Gründen - da sind wir völlig der Meinung unserer Haushälterkollegen von der SPD und der CDU/CSU - werden
Sie die Exzellenzinitiative in diesem Jahr nicht auf den
Weg bringen können. Die globale Minderausgabe erfasst
genau dieses Topprojekt Ihrer Initiative.
({2})
- Ich sage doch: Sie werden sie schon aus haushalterischen Gründen nicht umsetzen können. Das heißt doch
in der Praxis - Herr Riesenhuber weiß das genauso gut
wie ich -, dass das Projekt gar nicht ans Laufen kommt.
Schauen Sie sich die Leuchttürme doch bitte schön
einmal an! Als wir vor zwei Tagen in Ihrem Ministerium
nachgefragt haben, hat man uns gesagt, die Leitungsebene habe noch über keinen dieser Leuchttürme abschließend entschieden. Was ist das für eine Strategie,
meine Damen und Herren? Da fehlt einfach ein Ansatz,
an dem man erkennen könnte, dass hier das Jahr 2006
zielführend angegangen wird und wir zu dem Ergebnis
kommen, das wir alle wollen, nämlich zu Innovation in
diesem Lande.
Zweiter Punkt: die eigenständige Handschrift. Sie haben mir im Haushaltsausschuss gesagt, Sie wollten das
nicht mehr hören. Sie werden es sich aber anhören müssen, Frau Schavan. Sie setzen Programme von
Edelgard Bulmahn in diesem Jahr um, nicht mehr und
nicht weniger.
({3})
Sie setzen nur überall ein kleines Hütchen drauf. Aber
das muss man Ihnen lassen: Sie haben eine deutlich prosaischere Art als Edelgard Bulmahn.
({4})
Die Programme werden jetzt nicht mehr mit Anglizismen benannt, sondern mit wunderschönen Bezeichnungen wie - das ist mein Lieblingsprogramm -: „Nano
geht in die Produktion“. Ich finde, das hört sich eher
nach einem DDR-Spielfilm an als nach einem neuen Innovationsansatz.
Neu ist - danach werden Sie sich fragen lassen müssen, Frau Schavan - zum Beispiel der Ansatz, den Sie in
der Hightechstrategie vortragen, dass der Bund sich offensichtlich - ich bitte um Aufklärung, wenn es nicht so
ist - finanziell am Bau eines Demonstrationskraftwerkes und an Offshoretestfields beteiligen möchte. Da
möchte ich schon wissen - ich vermute, Kollege
Hagemann ebenfalls -: Was versteckt sich dahinter? Erstens ist das ein merkwürdiger ökonomischer Ansatz und
zweitens ist es ein merkwürdiger finanzieller Ansatz. Da
brauchen wir schon Aufklärung.
Abschließend: Sie sind hier heute angetreten, um uns
zu sagen, dass Sie die Federführung für die Hightechstrategie haben. Wir haben, Frau Bulmahn
({5})
- Entschuldigung, Frau Schavan; man sieht, das mit den
Hüten ist offensichtlich wahr -, Herrn Glos gefragt, was
er denn davon hält. Herr Glos hat uns auch geantwortet;
er ist ja ein höflicher Mensch. Er hat mir klipp und klar
mündlich gesagt, die Koordinierungsaufgaben blieben
im Wirtschaftsministerium; wenn sich das nicht bewähren sollte, könne man darüber ja noch einmal nachdenken. Schriftlich hat er uns mitgeteilt, die F-und-E-Vorhaben der Bundesregierung würden unter der - man achte
auf das Wort - redaktionellen Federführung des BMBF
abgestimmt und gebündelt dargestellt.
Frau Sager, ich vermute, auch Sie werden sich erinnern: Ähnliche Probleme hatte Frau Bulmahn in der letzten Legislaturperiode. Das ist nichts Neues, Frau
Schavan; das ist ganz offensichtlich das Gleiche, was
Frau Bulmahn erlebt hat. Die Abstimmung ist eben nicht
so, wie sie sein sollte. Ich setze sehr darauf, dass wir in
den nächsten Monaten etwas Besseres sehen als im Augenblick.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Professor Dr. Heinz
Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Flach, ich bewundere es, mit welch fröhlicher Leidenschaft Sie an die Sache herangehen. Aber etwas mehr Muße, bitte! Frau Schavan ist gerade gestartet.
Sie hat einige Punkte geregelt, die überzeugend sind; ich
gehe gleich darauf ein. Sie aber gehen mit dem Glauben
heran, es habe sich nichts geändert. Stattdessen gibt es
Schwung und Begeisterung. Selbst unter der Regierung
unseres hoch verehrten Koalitionspartners, der SPD, ist
trotz deren hervorragender Leistung
({0})
nicht alles vollkommen gewesen. Die Grünen, Frau
Sager, haben mitregiert. Das war natürlich eine echte
Schwierigkeit für unsere Freunde von der SPD. Deshalb
war die Situation für den Mittelstand nicht ganz so begeisternd, wie Sie es dargestellt haben.
Frau Flach, die globale Minderausgabe ist so angelegt
- das ist vom Haushaltsausschuss sorgfältig überprüft
worden -, dass die Exzellenzinitiative innerhalb der
vorgesehenen Zeitpläne trotz der geplanten Einschränkungen ohne finanzielle Behinderung durchgeführt werden kann.
({1})
Ich muss mich überhaupt im Namen des Ressorts Forschung mit besonderer Herzlichkeit für die konstruktive
Einstellung des Haushaltsausschusses und des Finanzministers bedanken. Die vorfristige Freigabe der Mittel
für 2006 ist eine ausgezeichnete Sache. Wir bedanken
uns dafür; denn wir brauchen diese Mittel.
Frau Berg hat davon gesprochen, dass die Gelder trotz
der globalen Minderausgabe so fließen sollten, wie dies
festgelegt worden ist. Auch da bauen wir auf die freundschaftliche Hilfe des Haushaltsauschusses, darauf, dass
der gesamte vorgesehene Betrag wirklich für Forschung
ausgegeben wird. 6 Milliarden Euro wurden versprochen; 6 Milliarden Euro müssen es sein. Herr Finanzminister, Sie schauen her zu mir: Danke für Ihre zustimmende Begrüßung! Sie werden daran mitarbeiten, dass
wir das Geld wirklich so erhalten, wie wir es benötigen.
- Die Regierung - wir vertrauen auf den Finanzminister - hat 6 Milliarden Euro versprochen. Die werden wir
auch bekommen.
({2})
Herr Kollege Riesenhuber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Frau Kollegin, herzlich willkommen.
({0})
Herr Riesenhuber, Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass eine globale Minderausgabe natürlich erst einmal erwirtschaftet werden muss. Wenn wir uns
anschauen, was im Augenblick im zuständigen Ministerium geschieht, dann kommt man zu dem Ergebnis - Sie
werden mir zustimmen müssen; ich frage Sie ausdrücklich danach -: Derzeit muss erst einmal der alte Teil der
Projekte abgearbeitet werden. Die Mittel, die wir für die
Exzellenzinitiative brauchen, benötigen wir nämlich im
Augenblick nicht; sie ist ja noch nicht gestartet. Deswegen ist dieses Geld erst einmal herausgenommen worden. Sie werden ja wohl nicht unterstellen, dass irgendjemand die für die Forschung vorgesehenen 6 Milliarden
Euro nicht einstellen will. Aber die für dieses Jahr vorgesehenen Mittel werden nicht abfließen.
({0})
Das ist meine Aussage.
Liebe Frau Flach, der erste Punkt ist: Die Exzellenzinitiative bleibt - das ist klar - in dem geplanten Rahmen. Sie wird starten. Die für diese Initiative vorgesehenen 1,9 Milliarden Euro werden ausgegeben werden.
Der zweite Punkt ist: Dies läuft nach sachlichen Gesetzen. Dann, wenn die Ausschreibungen beendet worden sind, werden die Gelder zur Verfügung stehen.
({0})
Ich bedanke mich für das herzliche Nicken des Finanzministers.
Der dritte Punkt ist: Ich halte eine globale Minderausgabe für eine wirklich schwierige Angelegenheit.
Wir bedanken uns auch hier dafür, dass uns der Finanzminister bestätigt hat, dass die für die Forschung vorgesehenen 6 Milliarden Euro davon verschont bleiben. Das
ist eine großartige Sache.
Wir haben auch in diesem Jahr eine globale Minderausgabe zu erwirtschaften; Sie haben völlig Recht. Diese
wird in einem Haushalt, der eine Steigerungsrate hatte,
wie er sie in den vergangenen Jahren nie gehabt hatte,
schrittweise erwirtschaftet werden. Es gab bei den Projekten einen Stau, der darauf hinauslief, dass wir eine
staatlich organisierte Innovationsverhinderungsmaschine bezahlt haben. Das lief darauf hinaus, dass für Pro
Inno 600 Projekte bestätigt worden waren - sie waren
gut und hätten dem Mittelstand geholfen -, aber nicht
bewilligt werden konnten. Jetzt sehe ich mit Stolz und
Vergnügen, dass Frau Schavan innerhalb des Aprils die
Durchführung dieser 600 Projekte bewilligt hat. Ich sehe
mit Freude und Begeisterung, wie der Mittelstand unter
dieser Koalition voller Unternehmungsgeist aufblüht
und neue Entschlüsse fasst.
({1})
Ich sehe mit Zuversicht, dass Sie von der FDP uns dabei
unterstützen werden.
({2})
Frau Schavan hat uns für den Sommer die Vorlage einer Hightechstrategie versprochen. Wir sehen mit Neugier, was hier kommen wird. Sie haben exzellente Voraussetzungen. Sie haben ein bisschen mehr Geld, was ja
hilfreich ist. Jetzt bauen wir auf die kreative Intelligenz
unserer Bundesregierung. Da sieht die Sache so aus: Sie
sagen, die Hightechstrategie integriert nicht nur die unterschiedlichen Forschungsbereiche, sondern umfasst
auch die Normen und Standards, die Infrastruktur, die
Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Es ist eine Strategie, die die unterschiedlichen Elemente, vom Patentwesen bis zur innovativen öffentlichen Beschaffung, integriert. Das ist ziemlich anspruchsvoll.
Der Wirtschaftsminister sitzt hier in Gestalt des Kollegen Schauerte.
({3})
- Ich finde es toll, dass er hier ist. Ich bin dankbar und
glücklich. Es ist immer eine Belebung. - Das Wirtschaftsministerium verfolgt eine anspruchsvolle Strategie. Wir haben die Ressorts, die einzelnen Fachabteilungen und Unterabteilungen mit Forschungsreferaten
angereichert. Das ist anspruchsvoller, als wenn wir nur
einen „Forschungsblock“ gemacht hätten. Die Integration innerhalb der Bundesregierung ist genau Ausdruck
dieser integrierten Strategie. Frau Schavan, in einer idealen Welt hätten wir für Forschung ein eigenes Ministerium, zu dem vielleicht auch noch das Bundespatentamt
und die Bundesanstalt für Geowissenschaften sowie
noch viele andere Einrichtungen gehören könnten.
({4})
Das ist in der Weisheit dieser großen Koalition, die
wir alle respektieren, bewundern und tragen, anders entschieden worden.
({5})
Jetzt ist eine kraftvolle Koordination hin zu einer einzigen integrierten Strategie notwendig, die so mitreißend
ist, dass sich das ganze deutsche Volk freut.
({6})
An einigen Stellen werden durchaus neue Fragen auftauchen. Ich finde es ausgezeichnet, dass Sie die Forschungsprämie mit einem erheblichen Maß an Sympathie angesprochen haben. Dieses Instrument verbindet
die kleinen und mittleren Unternehmen sowie die wissenschaftlichen Institutionen zum Nutzen beider, ist unbürokratisch und schnell und kann Dynamik entfalten.
Ob wir es nur auf kleine und mittlere Unternehmen oder
auch auf größere anwenden, darüber muss man noch
sprechen. Das Prinzip ist prima.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung
mutig genug ist, auch einmal eine Diskussion über die
Tax-Credits zu führen. Das heißt, dass mehr als
100 Prozent der Forschungskosten abgeschrieben werden können, wobei durchaus zwischen großen und kleinen Unternehmen unterschieden werden muss. Diese
Differenzierung gibt es auch in anderen Ländern. Wir
haben hier ein schnelles und unbürokratisches Instrument, das auch die Mehrzahl der OECD-Länder nutzt.
Es wäre reizvoll, hierüber zu reden, wobei in diesem
Moment der Herr Finanzminister seine Akten liest, was
ich verstehe.
({7})
Trotzdem kann man die Sachdiskussion hier doch mit
Fröhlichkeit angehen.
({8})
Wir müssen noch einige neue Gebiete angehen, so
etwa die Alternsforschung, die vor 15 Jahren schon einmal ein Thema war - Sie sind noch nicht so alt, als dass
Sie das hier am eigenen Leib hätten erfahren können -,
({9})
dann aber ein bisschen versackt ist. Wir müssen uns auch
mit der klinischen Forschung befassen. Für jede Universität sind in den Haushalten der Länder viele Dutzende
Millionen eingestellt und trotzdem ist die Forschung rudimentär. Wenn alles für klinische Forschung ausgegeben würde, was in den Länderhaushalten eingestellt ist,
würden wir das NIH in den USA mit Fröhlichkeit überholen. Wir müssen die Frage angehen, was wir mit der
Sicherheitsforschung als einer integrierten Querschnittstechnologie machen können. Wir müssen noch einmal
die sinkende Zahl der Unternehmensgründungen angehen. Wir haben Fonds der Bundesregierung, die stärker
sind als in irgendeinem anderen Land: EIF/ERP, den
Hightechgründerfonds. Ich kann noch mehr aufzählen.
Der Punkt ist nicht, dass wir im Gespräch mit dem
Finanzminister einige Fragen zum Verlustvortrag kleiner
und mittlerer Unternehmen stellen. Das ist auch wichtig.
Wichtiger aber ist eine andere Frage: Wo können wir ansetzen? Die Zahl der Unternehmensgründungen im
Hightechbereich in Deutschland war im vergangenen
Jahr rückläufig. Das können wir uns nicht leisten. Auf
diesem Gebiet haben wir den schnellsten und engagiertesten Transfer: Wenn jemand ein Unternehmen gründet,
kämpft er für seinen eigenen Kopf und sein eigenes
Geld. Der feste Glaube, dass die 38-Stunden-Woche das
Höchste in der Welt sei, relativiert sich dann sehr
schnell.
({10})
Es hat mir gefallen, dass Sie beiläufig - dieses Wort
wird eine ziemlich zentrale Rolle einnehmen - vom
Wettbewerb gesprochen haben. Im Kern wird es darum
gehen, ob wir den Wettbewerb so organisieren können,
dass sich jeder seinen eigenen Erfolg zuschreiben kann
und Lust an der eigenen Leistung hat.
Frau Sager, Sie haben einige skeptische Bemerkungen zu den Ländern und zur Föderalismusreform gemacht. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt, wenn
jedes Land für das verantwortlich ist, was in seiner
Schul- und Hochschulpolitik passiert, wenn die Länder
miteinander konkurrieren und wenn jedes Land zeigen
muss, wie gut es ist. Schauen wir einmal, was dabei herauskommt, wenn die Länder gefordert sind, in eigener
und voller Verantwortung zu zeigen, wie ihre Systeme
funktionieren.
({11})
Möglicherweise entwickelt sich dadurch eine größere
Dynamik, als dies bei unklaren Kompetenzen, langsamen Entscheidungen, einem vermuteten Zentralismus
und einer übergeordneten Präponderanz der Weisheit der
Bundesregierung möglich ist. Dann haben wir eine andere Situation. Glauben Sie an den Wettbewerb und die
Begeisterung der Menschen dafür!
({12})
Herr Kollege, ich muss Ihren Redeeifer leider etwas
bremsen. Ihre Redezeit ist überschritten.
Also gehe ich jetzt beiläufig in die Schlussrunde.
({0})
Sie müssen zum Schluss kommen.
Frau Präsidentin, das tue ich wirklich.
({0})
Große Koalitionen stehen gelegentlich in dem Verdacht
einer gewissen Trägheit.
({1})
Es ist nun an uns, dieses zu widerlegen. Wer, wenn nicht
wir? Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht in der
Technologie und in der Forschung? Lassen Sie uns die
neuen Kräfte fröhlich entfalten!
({2})
Wir haben Frau Schavan als Forschungsministerin
und Michael Glos als Wirtschaftsminister. Das ist schon
großartig!
({3})
Wir haben die riesengroße Zahl der kreativen Köpfe der
zwei größten Fraktionen dieses Parlaments - das ist ein
Reichtum - zur Verfügung.
({4})
Freunde, das muss uns doch befeuern, zu einem ansteckenden Unternehmensgeist, zu einer Freude an der gemeinsamen Gestaltung der Wissensgesellschaft in
Deutschland und einer kraftvollen Gestaltung der Zukunft!
Wir hoffen, dass uns die Opposition, zur Linken und
zur Rechten, mit Liebe, Verständnis und konstruktiven
Beiträgen begleitet.
({5})
Nun hat das Wort der Kollege Klaus Hagemann für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Riesenhuber, Sie sprachen von der
Kreativität der Frau Ministerin und des Herrn Glos. Der
Vollständigkeit halber muss man natürlich auch die
Kreativität unseres Finanzministers erwähnen, der es ermöglicht, dass wir dieses Programm, von dem wir die
ganze Zeit reden, auch realisieren und finanzieren können.
({0})
Leider kann ich als Haushälter die Situation nicht in
solch lyrischen Breiten, wie Sie es eben getan haben
- Kompliment, Herr Riesenhuber -, besprechen.
In dem schon öfter genannten Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit heißt es - ich zitiere -:
Deutschlands Wirtschaft zählt zu den forschungsintensivsten in der Welt, hat aber das F-und-E-Wachstumstempo der wichtigsten Konkurrenten nicht immer halten können.
Ich glaube, dass dies der Schlüsselsatz ist. In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass ein Anteil von FuE am Bruttoinlandsprodukt von zweieinhalb Prozent nicht ausreicht,
um Forschung und Entwicklung zu finanzieren. Wir
brauchen 3 Prozent. Diese Erhöhung hat - Frau Flach,
Sie haben völlig Recht - auch die Vorgängerregierung
angestrebt. Deswegen wurden in den zurückliegenden
Legislaturperioden immer mehr Mittel für Forschung
und Entwicklung zur Verfügung gestellt. Ein Hinweis an
den geschätzten Koalitionspartner: Hätten wir die Mittelumschichtung von der Eigenheimzulage zum Bereich
Forschung und Bildung schon vor drei Jahren vorgenommen, hätten wir heute mehr Mittel zur Verfügung.
({1})
6 Milliarden Euro mehr in vier Jahren - das ist der
richtige Weg. Für dieses Jahr sind das, auf Einzelpläne
verteilt, 700 Millionen Euro. Als Haushälter stelle ich
fest, dass der Bund in diesem Jahr insgesamt 7,2 Milliarden Euro für die Förderung von Forschung und Entwicklung ausgeben wird. Die Planung sieht eine Steigerung
auf 8,1 Milliarden Euro bis zum Jahre 2009 vor. Dieses
sehr ehrgeizige Ziel ist aus Sicht des Haushälters eine
große Herausforderung. Ich danke dem Finanzminister
für seinen Beitrag dazu, dass wir diesen Weg gehen können.
({2})
Eigentlich stehen Haushaltskonsolidierung und Einsparungen im Mittelpunkt. Aber im Bereich Forschung
und Entwicklung legen wir in diesem Jahr - ich sage es
noch einmal - 700 Millionen Euro obendrauf. Das zeigt,
wie wichtig für die Koalition dieser Bereich ist. Investitionen in die Zukunft - das ist der richtige Weg, den wir
hier gehen müssen.
({3})
Wir erwarten natürlich auch, dass sich die Wirtschaft
verstärkt engagiert. Das wurde schon mehrfach deutlich
gesagt. Wir investieren viel Geld. Die 7 Milliarden Euro
müssen natürlich zu einem gesellschaftlichen Return of
Invest führen. Arbeitsplätze in vielen Bereichen müssen
geschaffen werden, Produkte müssen hier entwickelt und
auf den Markt gebracht werden. Auch neue Märkte müssen erschlossen werden. Diese Punkte sind sicherlich
von großer Bedeutung.
({4})
Dazu gehört natürlich auch, dass ein Wissens- und Technologietransfer erfolgen muss.
Die SPD-Fraktion steht hinter diesem Programm. Wir
haben aber einige Forderungen, Frau Ministerin
Schavan, an die Bundesregierung; wir haben sie im
Haushaltsausschuss deutlich angesprochen. Es sollte
kein Flickenteppich von Projekten gefördert werden,
vielmehr sollte das Geld gezielt in wichtige Projekte fließen. Es soll ein zwischen den Ministerien abgestimmtes
Konzept vorgelegt werden; dabei sollte man sich nicht
nur auf redaktionelle Punkte beschränken, Frau Flach.
Vielmehr soll im Rahmen eines abgestimmten Programms ein roter Faden erarbeitet werden. Sie haben das
im Haushaltsausschuss deutlich gemacht.
Unsere Bitte, die ich an dieser Stelle wiederhole, ist:
Der Haushaltsausschuss und damit das Parlament sollten
einbezogen werden. Wir sind hier schon auf einem guten
Wege, was die Koordinierung betrifft.
Wir sollten auch eine Konzentration der Mittel vornehmen, sehr geehrte Frau Ministerin. Clusterbildung ist
der Fachausdruck, über den hier schon gesprochen
wurde. Die bereitgestellten Mittel sollten schnell abfließen; denn wir wissen, dass öffentliche Mittel eine Hebelwirkung haben. 1 Euro, der staatlicherseits investiert
wird, bringt 1 Euro zusätzlich an Investitionen seitens
der Wirtschaft. Wir haben deswegen dazu beigetragen,
dass trotz vorläufiger Haushaltsführung die Mittel für
den Einzelplan 09, Wirtschaft, und für den Einzelplan 30, Forschung und Bildung, freigegeben worden
sind.
Wichtig ist, dass sich die Wirtschaft jetzt an die Zusagen hält. Die Frau Bundeskanzlerin hat gestern im
Haushaltsausschuss zugesagt - ich bedanke mich dafür -,
dass sie mit der deutschen Wirtschaft auf der Konferenz,
die nächste Woche stattfindet, über diese Forderung
spricht. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die
Investitionen seitens der Wirtschaft rückläufig sind. Hier
muss die Entwicklung umgedreht werden: Es müssen
mehr Mittel seitens der Wirtschaft und - das sei hier
ebenfalls erwähnt - auch seitens der Länder aufgebracht
werden.
({5})
Die deutsche Wirtschaft sollte sich ein Beispiel an der
Wirtschaft in anderen Ländern nehmen und entsprechend handeln.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode große
Schritte nach vorne gemacht. Wir werden mit diesem
Programm in Höhe von 6 Milliarden Euro einen weiteren Schritt tun. Wir sind auf dem richtigen Weg und ich
hoffe, dass die Maßnahmen entsprechend umgesetzt
werden und dass Produkte, die hier entwickelt wurden,
auf den Markt kommen.
Es darf nicht noch einmal so sein, wie beim MP3Player geschehen: Die Technologie wurde von der
Fraunhofer-Gesellschaft, mit staatlichen Mitteln gefördert, entwickelt. Aber es fand sich kein deutsches Unternehmen, das diese Entwicklung in marktfähige Produkte
umgesetzt hätte. Jetzt werden diese Geräte in den USA
gebaut. Die Fraunhofer-Gesellschaft bekommt zwar Lizenzgebühren; aber die Arbeitsplätze sind in den USA
geschaffen worden. Das ist nicht der richtige Weg. Wir
müssen gemeinsam vorgehen, um hier zu Veränderungen
zu kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Carsten Müller das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Forschung, Innovation und Bildung - das
sind die Themen unserer Zeit. Wir wollen bei der Jugend
und beim Nachwuchs wieder Begeisterung dafür wecken
und es ist an uns, die notwendigen Voraussetzungen und
Perspektiven zu schaffen; denn die Nachwuchsausbildung spielt hierbei die entscheidende Rolle.
Exzellenz ist das maßgebliche Kriterium für Lehre
und Wissenschaft. International ist dieses Bewusstsein
schon lange vorhanden. Deswegen ist auch die Exzellenzinitiative der Bundesregierung genau richtig. Die
Förderung technologischer Innovationen ist eine entscheidende Grundlage für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit und gleichzeitig Markenzeichen dieser großen
Koalition. Initiativen für leistungsfähige europäische
Programme müssen wie beim 7. Forschungsrahmenprogramm wieder häufiger aus Deutschland kommen; denn
nur so gelingt es uns, unsere Interessen auf die Tagesordnung der EU zu setzen und die Bürger in Deutschland
und in Europa hinter unserer Politik zu versammeln.
Deutschland braucht Europa, um gemeinsam ein Gegengewicht zu konkurrierenden Wirtschaftsregionen zu
bilden. Europa braucht allerdings auch ein starkes und
innovatives Deutschland. Es kann nicht sein, dass wir als
wirtschaftsstärkste Nation in vielen Bereichen noch hinterherhinken. Wir müssen wieder zum Motor der EU
werden. Geht es Deutschland gut, läuft es auch in der EU
gut.
({0})
Ein Beispiel für die Initiative der neuen Regierungskoalition ist das 6-Milliarden-Euro-Programm für die
Forschungsförderung. Hiermit kommen wir dem 3-Prozent-Ziel der Lissabonstrategie einen großen Schritt
näher. In diesem Zusammenhang sehe ich auch die flankierenden Anträge der Koalitionsfraktionen zur technologischen Leistungsfähigkeit und zum 7. Forschungsrahmenprogramm.
Innovation und Forschung werden in Deutschland leider noch zu häufig ideologisch betrachtet. Hierbei denke
ich an den Bereich der Kernforschung. Deutsche Unternehmen, Institutionen, Universitäten und Forschungseinrichtungen waren beispielsweise bei der Sicherheitsforschung weltweit führend. Heute sind dies andere
Nationen. Unsere Spitzenposition wurde leichtfertig verspielt.
(Lachen des Abg. Jürgen Trittin ({1})
Unser Ziel muss es sein, wieder zur Spitzengruppe aufzuschließen. Das Motto „Deutschland - Land der Ideen“
muss allgemeine Geltung haben.
Meine Damen und Herren, der Bereich der Energieforschung ist beispielhaft für die Entwicklung der
deutschen Position in den letzten Jahren. Das führte beispielsweise auch die Kollegin Künast am letzten Donnerstag hier im Plenum aus. Ich zitiere:
Die EU will weltweit zu einer der wettbewerbsfähigsten Regionen werden. Aber im Energiebereich
sind wir davon meilenweit entfernt. Überall auf der
Welt dreht sich alles um Energie. In Russland,
China, Indien oder auch in Südamerika hat man
entweder die entsprechenden Rohstoffe oder sichert
sie sich mit Verträgen auf Jahrzehnte hinaus.
In diesem Punkt hat Frau Künast Recht. Leider sieht
dies bei uns tatsächlich anders aus. Die Fraktion, für die
Frau Künast spricht, ist hierfür ganz wesentlich mitverantwortlich. Bündnis 90/Die Grünen waren Reiseführer
auf dem energiepolitischen Irrweg der vergangenen
Jahre.
({2})
Ich finde es übrigens sehr interessant, dass alle von Frau
Künast angeführten Staaten die friedliche Kernenergie
nutzen.
Auf dem Irrweg befanden sich die Grünen lange Zeit
übrigens auch beim Thema nachwachsende Rohstoffe.
Dazu haben wir heute einiges gehört. Noch im
Jahre 1995 hielt Ihre heutige Sprecherin für Verbraucherschutz und Agrarpolitik, Frau Kollegin Höfken, die
Förderung nachwachsender Rohstoffe für einen strukturellen Missgriff. Das muss man sich heute einmal vorstellen! Von einer langfristigen Strategie, die diese Bezeichnung auch nur annähernd verdient, kann bei
Bündnis 90/Die Grünen leider keine Rede sein.
({3})
Unbestritten ist, dass ein gesunder Energiemix notwendig ist. Erneuerbare Energien sind dabei unverzichtbar.
({4})
Deswegen freut es mich auch, dass die EU dieses Thema
im 7. Forschungsrahmenprogramm aufgenommen hat
und sich im Übrigen auch eindeutig zur Unterstützung
der Fusionsforschung bekennt.
Eine weitere große Chance der Forschung und Innovation sind die Potenziale der Nanotechnologie. Gerade
in diesem Jahr gestatten Sie mir einen Vergleich bezüglich dieser faszinierenden Technologie: Man muss sich
einmal vorstellen, dass das Größenverhältnis eines Nanoteilchens zu einem Fußball genau das gleiche ist wie
das Größenverhältnis dieses Fußballs zu unserem Planeten Erde. Wir können an diesem Beispiel erahnen, welche Potenziale dort schlummern. Die unermesslichen
Möglichkeiten dieser Technologie müssen wir anwendungsorientiert erforschen. Hier liegen riesige Potenziale für unsere Forscher und für unsere Wirtschaft.
Auch die Nanotechnologie wird im 7. Forschungsrahmenprogramm prominent herausgestellt.
Carsten Müller ({5})
Zukunftsweisende Forschungsbereiche sind unser
Kapital. Wir müssen sie auf nationaler Ebene flankierend zum 7. Forschungsrahmenprogramm vorantreiben.
Diese Aufforderung richtet sich insbesondere auch an
die Privatwirtschaft. Wir werden das Lissabonziel nur
dann erreichen, wenn öffentliche Hand und private Hand
hier gemeinsam tätig werden.
({6})
Die Union legt besonderen Wert auf die Freisetzung
innovativer Kräfte bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wir brauchen eine neue Aufbruchstimmung
in diesem Land; denn nur wenn es uns gelingt, eine solche Aufbruchstimmung zu transportieren, dann gelingt
es uns, Forschungs- und Technologieförderung in Arbeitsplätze umzusetzen.
Meine Damen und Herren, Forschung und Innovation
sind unsere Zukunft. Wir müssen alles daransetzen, die
besten Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Diesem Ziel
fühlt sich die große Koalition verpflichtet.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Nun hat das Wort der Kollege René Röspel für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren heute zwei Anträge der Regierungskoalition, einen Antrag der Fraktion der FDP sowie
den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
Deutschlands 2006.
Seit 1984 gibt es Forschungsrahmenprogramme
auf der europäischen Ebene, die - das haben wir schon
gehört - unter anderem dazu dienen, Forschung in
Europa koordiniert zu fördern und neue Technologien zu
entwickeln. Das 7. Forschungsrahmenprogramm ist mit
einem Budget von wahrscheinlich etwa 50 Milliarden
Euro bis 2013 das bisher größte seiner Art. Damit
kommt die EU dem in der Lissabonstrategie festgelegten
Ziel näher, den Anteil der Aufwendungen für Forschung
und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt auf 3 Prozent
zu erhöhen. Das ist ein Ziel, das wir mit unserem Antrag
ausdrücklich unterstützen, genauso wie zum Beispiel das
Vorhaben, einen europäischen Forschungsrat einzurichten, der etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft
entspricht und der Geld für ausgewählte Forschungsprojekte bewilligen kann, die nach dem Exzellenzprinzip
ausgewählt werden. Mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm macht Europa einen Schritt mehr zur Wissensgesellschaft.
Wie aber sieht die Situation in Deutschland aus? Dazu
gibt der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit,
der von unabhängigen Instituten erarbeitet worden ist, in
der Tat einiges an Auskunft. Der erste Satz lautet - Frau
Sitte, auch Sie haben ihn zitiert -:
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf
längere Sicht nicht gut entwickelt.
Mit Erlaubnis der Präsidentin werde ich noch ein paar
weitere Zitate bringen; denn auch auf diese Zitate
kommt es an:
Wissenschaft und Forschung haben in Deutschland
eine hohe Qualität …
Die Ausgaben für Forschung und experimentelle
Entwicklung wurden von der Wirtschaft in
Deutschland nicht kräftig genug erhöht …
Der Anteil von innovierenden Unternehmen hat
wieder zugenommen …
Deutschlands Industrie zeigt auf den Exportgütermärkten eine außerordentlich hohe Präsenz. Ausschlaggebend ist
- man höre eine hohe Qualität der Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen …
Notwendig ist ein schnellerer Strukturwandel hin
zu Spitzentechnologien und wissensintensiven
Dienstleistungen. …
Die Umsetzung von F-und-E-Ergebnissen in breite
technologische Anwendungen funktioniert gut.
Deutschland ist unter den großen Volkswirtschaften
hinter Japan das patentintensivste Land …
Deutschlands Wirtschaft zählt zu den forschungsintensivsten in der Welt …
Das ist eine Reihe von Zitaten aus ebendiesem Bericht. Sie zeigen, glaube ich, sehr gut auf: Es gibt einige
Punkte, in denen wir gut sind, und es gibt einige Punkte,
in denen wir mindestens Defizite haben oder schlecht
sind. Dieser Bericht zeigt auch auf: Wir können nicht nur
eine Antwort liefern, sondern wir müssen ganz viele unterschiedliche Antworten auf das, was uns der Bericht
zeigt, geben. Genau das tun wir mit abgestimmten Maßnahmen und mit einer abgestimmten Strategie. Das hat
Herr Riesenhuber viel besser erläutert, als ich das hier
könnte.
Wir machen auf nationaler Ebene, was wir auch auf
europäischer Ebene unterstützen: Wir koordinieren Forschung; wir bündeln die Initiativen nicht über einzelne
Länder - wie in der EU -, sondern über die unterschiedlichen Ministerien. Vor allem investieren wir in die Menschen und in Forschung und Entwicklung zusätzliche
6 Milliarden Euro im Zeitraum von 2006 bis 2009. Wir
setzen damit einen Kurs fort, der 1998 mit SPD-Forschungsministerin Edelgard Bulmahn begonnen wurde.
Aber dazu hat Klaus Hagemann als Haushaltspolitiker
schon eine Menge gesagt.
Zusätzliche 6 Milliarden Euro werden also in den
nächsten drei Jahren in Deutschland investiert, und zwar
in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, in Gesundheitsforschung und Medizintechnik,
ein Bereich, in dem wir mit nur zwei anderen Ländern
weltweit führend sind. Wir wollen Volkskrankheiten wie
Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erforschen,
aber auch so genannte vernachlässigte Krankheiten wie
Malaria und Tuberkulose, von denen wir hier glauben,
dass sie uns nicht berühren. In vielen anderen Teilen der
Welt werden sie immer bedeutender und stellen ein immer größeres Problem dar.
Wir wollen stärker in die Energieforschung einsteigen. Das ist in der Tat aus meiner Sicht der zentrale Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für Klimaschutz und für Innovationen. Wir wollen moderne
Kraftwerkstechnologien, das moderne Null-EmissionsKraftwerk, die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie fördern. Wir wollen noch stärker in effiziente Energienutzung und - das haben wir mit dem damaligen
grünen Koalitionspartner begonnen - in erneuerbare
Energien investieren.
({0})
Union und SDP haben sich auf gemeinsame Anträge
zur Forschungspolitik geeinigt. Ich will offen bekennen:
Das war in einigen Punkten nicht einfach; es gibt Meinungsunterschiede und das wird sicherlich weiterhin so
bleiben. Diese Positionen müssen wir auch benennen,
Herr Müller. Ich glaube, das gehört dazu.
Der erste Punkt. Bei der Agrogentechnik, bei der so
genannten Grünen Gentechnik bleiben wir dabei, dass
das Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip angewandt
werden muss. Wir erleben gerade eine sehr interessante
Entwicklung in Bayern. CSU-Generalsekretär Söder hat
offenbar erkannt, dass es auch in Bayern Landwirte gibt,
die den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen skeptisch sehen. Wir werden uns anschauen, was bei dieser
Diskussion herauskommt.
({1})
Der zweite Punkt, der uns viel Mühe bei der Beratung
der Anträge gemacht hat, betraf Fragen der Sicherheitsforschung. Sicherheitsforschung bedeutet für Sozialdemokraten eben nicht die Reduzierung der Politik auf Militär, Soldaten, Terrorismus und Kriminalität; vielmehr
ist sie für uns ein viel weiterer Begriff, und zwar im
Sinne des UN-Begriffs der Human Security, bei dem es
um das Sicherheitsbedürfnis von Menschen geht, den
Schutz vor Naturkatastrophen, aber auch die tägliche Sicherheit. Ich glaube, dass wir uns in dieser Frage in den
nächsten Debatten annähern werden. Das ist keine
Frage.
({2})
Der dritte Punkt. Es existieren sehr große Unterschiede - das hat auch Herr Müller gerade angesprochen - zwischen CDU/CSU und SPD in der Frage der
Nutzung der Atomkraft. Die SPD hält am Ausstieg aus
der Atomenergie fest. Bei der Erforschung der Kernfusion bleibt es bei der Einhaltung der bestehenden internationalen Verträge. Für die Sozialdemokraten ist die
Kernfusion eine Forschungsoption, also ein interessantes
Forschungsgebiet, aber keine Lösung der Energiefragen
der künftigen Jahre.
({3})
Wir haben in den letzten anderthalb Stunden eine eigentlich ideologiefreie Debatte über Technik geführt.
Das fand ich sehr gut, weil es unserem Ziel dient. Es gab
eine Ausnahme: Frau Pieper, Sie haben - ich habe es wie
üblich mitgezählt - in Ihrer Rede dreimal den Begriff
„Ideologie“ benutzt, im Antrag der FDP steht mindestens fünfmal „Ideologie“.
({4})
Immer, wenn der FDP die Argumente ausgehen, machen
Sie den Vorwurf - das ist Ihre Methode -: Jeder, der
nicht die Position der FDP teilt, ist offenbar Ideologe.
({5})
Wer den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen kritisch sieht, ist ideologieverdächtig und wer die Atomenergie beenden möchte, ebenfalls.
Nun möchte ich das an einem anderen Beispiel klar
machen. Oben auf der Besuchertribüne sitzen etwa hundert junge Menschen. Das ist die zukünftige Generation,
die in unserem Land irgendwann Verantwortung tragen
wird. Der Spruch ist vielleicht abgenutzt, aber ich sage
es trotzdem: Sie sind die Zukunft unseres Landes. Denen
wollen wir eine lebenswerte Umwelt und Welt hinterlassen. Wir produzieren aber jeden Tag Hunderte Tonnen
radioaktiven Mülls. Plutonium - das ist einer der giftigsten chemischen Stoffe, die die Menschheit kennt - hat
eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren. Nach 24 000 Jahren strahlt 1 Kilogramm Plutonium - 1 Kilogramm reicht
übrigens aus, um 1 Million Menschen zu vergiften und
tödlich zu verstrahlen - immer noch so stark wie ein halbes Kilogramm Plutonium. Ist das Ideologie? Nein. Das
ist Physik. Herr Barth, Sie können das bestätigen.
({6})
Die Kinder dieser Jugendlichen dort oben und deren
Kindeskinder und Kindeskindeskinder werden diesen
Atommüll zeit ihres Lebens als bittere Hinterlassenschaft unserer Generation haben und damit nicht umgehen können, weil es noch keine Lösung gibt.
Ist es Ideologie, wenn wir als SPD - die Grünen tun
das übrigens auch - sagen, dass wir jede Tonne Atommüll, die heute anfällt, vermeiden und so schnell wie
möglich raus aus der Kernkraft und rein in die erneuerbaren Energien wollen?
({7})
Ich finde, das ist verantwortungsvoller und nachhaltiger
Umgang mit unserer Umwelt und den uns nachfolgenden Generationen.
Wenn man in 20 oder 30 Jahren von Windkraftwerken
die Nase voll hat, kann man sie einfach abbauen und den
Stahl verschrotten. Dann ist von ihnen nichts mehr zu seRené Röspel
hen und zu spüren. Das ist also unproblematisch. Bei der
Atomenergie geht das nicht. Deswegen sagen wir: Wir
müssen so schnell wie möglich raus aus der Atomenergie.
({8})
Im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
Deutschlands ist uns ein wesentlicher Kritikpunkt ins
Stammbuch geschrieben worden: Was Bildung und
Ausbildung angeht, gibt es Risse im Fundament. Wer
also über technologische Leistungsfähigkeit redet, darf
ihre Grundvoraussetzungen nicht vergessen; das ist unsere Überzeugung.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss und halte mich noch kürzer
als Herr Riesenhuber.
({0})
Wir brauchen ein Bildungssystem, das leistungsfähig
ist, in dem jeder die Chance hat, unabhängig vom Geldbeutel seiner Eltern zu studieren und sich Bildung anzueignen, in dem niemand vergessen wird und in dem kein
Talent ungenutzt bleibt. Auch auf diese Erfordernisse
haben wir im Antrag der Koalition reagiert. Wir wollen
eine Bildungsoffensive zur Sicherung des Nachwuchses
starten. Hier müssen alle an einem Strang ziehen: die
Wirtschaft, die Bundesländer und der Bund. In den
nächsten Wochen werden wir sehen, inwieweit das in
Zukunft möglich ist.
Vielen Dank.
({1})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kollege Axel Fischer für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Vor wenigen Tagen hat die Deutsche Bank Research festgestellt, dass
Deutschland, was das Wohlstandsniveau angeht, innerhalb Europas zurückfällt. Derzeit belegen wir Rang 11
von 15. Wenn sich nichts ändert, werden wir im europäischen Vergleich des Wohlstandsniveaus im Jahr 2020
wohl Drittletzter sein. Ich glaube, wir sind uns einig,
dass das nicht so kommen darf. Wenn wir nicht handeln,
dann wird es aber so kommen. Natürlich kann man sich,
wenn es bergab geht, wie auf einem Fahrrad gemütlich
zurücklehnen - das Fahrrad rollt ja von selbst - und die
Beine hochlegen.
({0})
Sitzt man aber auf dem Fahrrad und es geht bergauf,
dann muss man in die Pedale treten und etwas tun. Das
hat die Bundesregierung vor.
({1})
Wir wollen in die Riege der Länder zurück, in denen
Wohlstand herrscht, und uns zum Wohlstand unserer Gesellschaft bekennen. Das ist unser Ziel. Das heißt, dass
wir besser sein müssen als bisher und dass wir in unserer
Gesellschaft wieder klar zum Ausdruck bringen müssen,
dass wirtschaftliches Wachstum etwas Positives ist.
Wir wollen in wirtschaftlicher Hinsicht vorankommen.
Wir wollen, dass es durch Technik zu Innovationen
kommt und dass dadurch neue Arbeitsplätze bei uns geschaffen werden. Das ist unser Ziel; denn wir brauchen
in unserem Land Arbeitsplätze.
({2})
Dazu sind wir - das geht gar nicht anders - auf eine
technikfreundliche Stimmung in der Gesellschaft angewiesen. Wir müssen der Technik positiv und aufgeschlossen gegenüberstehen. Wir müssen mehr über die
Chancen der Technik, die wir ergreifen wollen, diskutieren, statt endlose Debatten über ihre Risiken zu führen,
die uns nur aufhalten und verhindern, dass wir in unserem Land vorankommen.
Das will ich Ihnen anhand eines Beispiels vor Augen
führen: Eine ältere Dame, die in ihrem Leben noch nie
Aufzug gefahren ist, steht vor einem Aufzug. Ein amerikanischer Unternehmer möchte sie in den Aufzug begleiten. Sie fragt ihn, ob das nicht vielleicht gefährlich
ist. Dann erklärt er der Dame, dass eigentlich nichts passieren kann und dass man von ganz oben, aus dem
20. Stockwerk, einen wunderbaren Ausblick über die
Stadt hat, dass sie von dort sehen kann, wo sie wohnt
und wo der Wald ist, und dass das wirklich ein schönes
Erlebnis ist.
Stellen Sie sich einmal vor, diese Dame würde einen
Deutschen fragen, ob es gefährlich ist, mit dem Aufzug
zu fahren. Er würde ihr vermutlich sagen, dass der Aufzug stecken bleiben könnte, dass die Seile reißen könnten und dass der Alarmknopf nicht funktioniert könnte.
So ist heutzutage die Stimmung in unserem Land. Davon
müssen wir weg. Insbesondere an die Mitte und an die
linke Seite dieses Hauses gerichtet sage ich: Wir brauchen ein Bekenntnis zur Technik und wir müssen wirtschaftlich vorankommen wollen; das ist entscheidend.
({3})
Dafür brauchen wir - Frau Pieper hat das zu Recht
gesagt - Freiheit und Wettbewerb in der Forschung.
({4})
Axel E. Fischer ({5})
Hierfür tut die Bundesregierung etwas. Frau Schavan hat
das 6-Milliarden-Euro-Programm vorgestellt. Für kleine
und mittlere Unternehmen bietet es die Chance - darauf
hat auch Herr Riesenhuber hingewiesen -, aus den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung wirtschaftliche
Erfolge zu erzielen und die Forschungsergebnisse in
neue Produkte umzusetzen. Das sichert Arbeitsplätze bei
uns im Land.
({6})
Forschung heißt Fortschritt. „Made in Germany“ hieß
es einmal - da wollen wir wieder hin. Mit ihrer Hightechstrategie macht diese Bundesregierung die ersten
Schritte in die richtige Richtung.
Frau Kollegin Sager, das möchte ich Ihnen schon
noch sagen: Wenn Sie hier erklären, dass im Wesentlichen das fortgeführt wurde, was unter Rot-Grün auf den
Weg gebracht worden sei, wie können Sie sich dann unheimlich darüber aufregen - auch, was die Lautstärke Ihrer Stimme angeht -, was alles falsch sei?
({7})
Ich stelle fest, dass die Bundesregierung doch einiges
anders gemacht hat, als es in sieben Jahren Rot-Grün gemacht worden ist; ich glaube, das ist auch besser so. Wir
sind auf dem richtigen Weg und ich bitte um Ihre Unterstützung dafür.
Danke sehr.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/1546, 16/1547, 16/1532, 16/1245
und 16/1400 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation EUFOR RD
CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses
in der Demokratischen Republik Kongo auf
Grundlage der Resolution 1671 ({0}) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2006
- Drucksache 16/1507 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ja, wir reden hier heute über einen deutschen
Beitrag zu einer Militärmission. Worauf es mir aber ankommt - das wird sich in der Debatte hoffentlich widerspiegeln -: Wir reden auch über einen fünfjährigen Stabilisierungsprozess im Kongo selbst.
({0})
Wir müssen uns entscheiden, ob wir ihn in der weiteren
Zukunft sich selbst überlassen oder ob wir helfen, ihn zu
sichern.
In zwei Monaten werden im Kongo nach mehr als
40 Jahren zum ersten Mal wieder Wahlen stattfinden.
Man muss sich vorstellen: Das sind für 95 Prozent der
kongolesischen Bevölkerung die allerersten Wahlen ihres Lebens überhaupt. Nun will ich nicht sagen, dass das
eine Leichtigkeit ist. Ganz im Gegenteil, die Durchführung dieser Wahlen stellt auch die internationale Staatengemeinschaft vor hohe, vor höchste Herausforderungen.
Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass allein die Wahlzettel,
die gegenwärtig in Südafrika gedruckt werden, mit Flugzeugen in den Kongo gebracht werden und dort mit Hubschraubern der Vereinten Nationen in die über
50 000 Wahllokale transportiert werden. Unzählige Helferinnen und Helfer tragen sie dorthin. Das ist, wie Sie
ganz ohne Zweifel nachvollziehen können, logistisch
eine ungeheure Herausforderung. Noch größer ist die
Herausforderung für die Menschen im Kongo selbst: Sie
haben in den letzten Jahren einen für viele durchaus
schmerzhaften Prozess der Transformation hinter sich
gebracht. Rund um die Großen Seen haben noch in den
90er-Jahren Kriege und Bürgerkriege, an denen insgesamt 8 Staaten beteiligt waren, insgesamt 4 Millionen
Opfer gefordert. In der afrikanischen Presse wird das
Geschehen der 90er-Jahre als Weltkrieg beschrieben; das
sollten wir immer vor Augen haben, wenn wir die Größenordnung der Konflikte - bei denen uns in der Vergangenheit eine gewisse Beruhigung gelungen ist - kommentieren.
Die Vereinten Nationen befinden sich nicht erst seit
heute, sondern seit vielen Jahren in einer der wahrlich
größten Missionen ihrer Geschichte: Im Kongo sind mit
MONUC 17 000 Soldaten stationiert; sie helfen seit vielen Jahren, Frieden zu sichern und Stabilität zu garantieren. Die westeuropäischen Geberstaaten unterstützen
diesen Prozess durch eigene Leistungen schon seit JahBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
ren. Denn es ist uns klar - das war es für uns auch in der
Vergangenheit -: Nur ein stabiler Kongo kann verhindern, dass es in ganz Zentralafrika erneut zu Zerstörung
und Krieg kommt. Nur ein stabiler Kongo kann verhindern, dass erneut humanitäre Katastrophen ausbrechen.
Nur ein stabiler Kongo kann verhindern, dass sich die
Menschen entscheiden, aufzubrechen und ihr Heil in
Flucht und Migration zu suchen.
({1})
Das sind für uns entscheidende Gründe gewesen, darüber nachzudenken, ob wir der Bitte der Vereinten Nationen nachkommen, die Wahl am 30. Juli zu sichern.
Vor dem Hintergrund dessen, was ich eben geschildert
habe, sage ich ganz deutlich: Die Wahlen müssen ein Erfolg werden. Ich glaube auch, dass wir zu diesem Erfolg
beitragen müssen. Wir sollten bei der Absicherung der
Wahlen helfen und so dazu beitragen, dass sie möglichst
frei, möglichst fair und möglichst friedlich ablaufen können.
({2})
Ich habe am Anfang meiner Rede gesagt, dass wir
heute nicht nur über eine militärische Mission sprechen,
sondern dass es um mehr geht. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir Deutschen, dass wir Europäer uns im
Kongo schon über viele Jahre hinweg - es sind mindestens fünfeinhalb Jahre - engagieren. Ich glaube also,
dass wir diesen Prozess, der, jedenfalls aus meiner Sicht,
bis heute ein erfolgreicher ist, absichern helfen müssen.
Meiner Meinung nach ist es folgerichtig, dass dieser
Prozess der Stabilisierung nach den Anstrengungen, die
wir dort geleistet haben, nun durch Wahlen flankiert
wird. Ich bin froh, dass die Vereinten Nationen diese
Einschätzung teilen und das durch einstimmigen Beschluss im Sicherheitsrat unterstrichen haben. Die Zustimmung der kongolesischen Regierung liegt vor; das
wissen Sie. Das gilt auch für die Afrikanische Union, die
diese Mission ausdrücklich erbittet.
Warum soll der Einsatz vornehmlich im Raum
Kinshasa erfolgen? Der Grund ist, dass die Vereinten
Nationen gesehen haben, dass die Truppen der MONUC
vor allen Dingen in den etwas unsichereren Ostprovinzen gebraucht werden und dass es kein gutes Signal
wäre, wenn man zu den Wahlen Truppen von dort abgezogen hätte. Deshalb gab es die ausdrückliche Bitte,
Kontingente zur Verfügung zu stellen, die vornehmlich
im Raum Kinshasa, wo die Regierungsinstitutionen und
die wichtigsten Medien ihren Sitz haben, die Wahlen absichern sollen. Dort soll der Schwerpunkt der Operation
sein. Die europäischen Truppen sollen potenzielle Störer
des Wahlprozesses abschrecken und auf diese Weise den
ordnungsgemäßen Verlauf der Wahlen sicherstellen.
({3})
Natürlich haben wir uns so wie Sie viele Male die
Frage gestellt, ob der Einsatz vor dem Hintergrund der
Sicherheitslage zu verantworten ist. Wir haben alle Informationen, die wir bekommen konnten, in unsere Beurteilung einbezogen. Wir konnten sehen, dass die Sicherheitslage seit einiger Zeit im Raum Kinshasa stabil
und ruhig ist. Natürlich können wir nicht sagen, dass
eine solche Mission völlig ohne Risiko ist, aber nach allen uns bekannten Informationen ist sie zu verantworten.
Ich glaube, dass wir die Vereinten Nationen und die
Bevölkerung im Kongo in dieser anstehenden sehr wichtigen Phase nicht im Stich lassen dürfen.
({4})
Die Menschen dort wollen einen Neuanfang und eine
Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation. Darüber hinaus müssen wir bedenken, dass dieser
Prozess, wenn er uns gelingen wird, wegen der Bedeutung und der Größenordnung des Kongo weit über den
Kongo hinaus Ausstrahlung haben und für ganz Afrika
Bedeutung haben wird.
Denjenigen, die in den letzten Jahren im Parlament
und außerhalb des Parlaments die Frage gestellt haben,
was wir dort eigentlich sollen, sage ich: Die schöne alte
Ordnung, in der jede Region sozusagen ihre eigenen
Hinterhöfe hatte, gibt es so nicht mehr. Als Mitglied der
Vereinten Nationen und aufgrund des Prozesses der multilateralen Verantwortung können wir nicht mehr sagen: In Afrika haben wir nichts zu suchen. - Wir haben
auf dem Nachbarkontinent einen Teil unserer Verantwortung wahrzunehmen, wenn nach ordnungsgemäßen
Abstimmungs- und Willensbildungsprozessen in den
Vereinten Nationen entsprechende Vorentscheidungen
gefallen sind. Wenn Anfragen kommen, haben wir diese
im Deutschen Bundestag abzuwägen und zu beantworten.
Wir haben signalisiert, dass wir es uns in der Tat vorstellen können, unter mehreren Voraussetzungen einen
deutschen Beitrag zu leisten. Eine der ganz wichtigen
Voraussetzungen war, dass dies kein ausschließlich
deutsch geprägter Einsatz wird. Deshalb haben wir - der
Verteidigungsminister hat sich hier intensiv bemüht von vornherein gesagt, dass dieser Einsatz nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn dies ein europäischer Einsatz wird, in dem die europäische Verantwortung auf
viele Schultern verteilt wird. Die Situation ist jetzt so,
dass neben Deutschland 17 weitere Staaten, Herr Verteidigungsminister, diese Verantwortung mittragen.
Dass wir Deutschen dabei sind, ist ein entscheidender
Faktor - das will ich ruhig sagen -, weil die Deutschen
im Kongo nach wie vor als neutral und unparteiisch
wahrgenommen werden. Was den Einsatz der deutschen
Soldaten angeht, so wird der Verteidigungsminister dazu
gleich noch mehr und Genaueres sagen. Sie wissen, dass
die Hauptkontingente in Kinshasa zum Einsatz kommen
werden und weitere Kontingente in Gabun und in
Europa für den Bedarfsfall auf Abruf bereit stehen.
Vom Deutschen Bundestag wünsche ich mir eine
möglichst breite Unterstützung, sodass wir das Signal
aussenden: Wir sind bereit, den Menschen im Kongo
beizustehen. Wir sind bereit, gemeinsam mit ihnen dafür
zu arbeiten, dass diese Wahlen ein Erfolg werden. Wir
sind auch bereit, für diesen Prozess gemeinsam Verantwortung zu tragen.
Abschließend möchte ich einen Satz des südafrikanischen Präsidenten Mbeki zitieren: Der afrikanische Kontinent wird sich nur stabilisieren lassen, wenn es gelingt,
den Kongo zu stabilisieren. - Ich füge hinzu: Ein Erfolg
der anstehenden Wahlen wird ein entscheidender Schritt
zu einer demokratischen Republik im Kongo sein. Es ist
wichtig und aus meiner Sicht auch richtig, dass wir dazu
unseren Teil beitragen. Ich bitte Sie ganz herzlich um
Ihre Zustimmung zu diesem Beitrag.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger für
die FDP-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entwicklung eines Staates hin zur Demokratie ist immer
und uneingeschränkt zu unterstützen. Bei Vorbereitung
und Durchführung von freien, gleichen und geheimen
Wahlen zu helfen, ist ebenso selbstverständlich wie deren Beobachtung. Deshalb ist die Mission der Vereinten
Nationen in der Demokratischen Republik Kongo, genannt MONUC, von großer Bedeutung und verdient
unsere Unterstützung. Die Sicherung der anstehenden
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ist im Wesentlichen Aufgabe dieser 17 000 Soldaten.
Europa und Afrika sind durch die Geschichte, durch
ihre geografische Lage und durch das gemeinsame Ziel
einer friedlichen und demokratischen Zukunft miteinander verbunden. Deshalb ist es zweifelsfrei richtig und
begrüßenswert, dass sich die EU darüber hinaus im
Kongo mit einer zivilen ESVP-Mission engagiert, deren
Schwerpunkt auf der Ausbildung von kongolesischen
Polizeieinheiten, der Reform des Sicherheitssektors und
der Verbesserung der Soldzahlung an die Streitkräfte
liegt. Ohne jeden Zweifel sind alle drei Felder von größter Bedeutung.
({0})
Deutschland hat bilateral 10 Millionen Euro für die
Wahlen zur Verfügung gestellt. Der deutsche Beitrag für
MONUC beläuft sich auf etwa 50 Millionen Euro pro
Jahr. Über den Europäischen Entwicklungsfonds und die
Weltbank unterstützen wir den Kongo mit rund 200 Millionen Euro. Die finanzielle Unterstützung suggeriert,
es gäbe ein politisches Gesamtkonzept. Zwar hat der
Europäische Rat ständig die Bedeutung der Beziehungen
zwischen der EU und Afrika betont, zuletzt auf einem
Treffen im Dezember 2005. Es ist jedoch bislang bei der
Prosa geblieben. Ein gemeinsames abgestimmtes
Afrikakonzept mit operationalisierten Zielen zur Stabilisierung Afrikas fehlt nach wie vor.
({1})
Noch schlimmer: Es fehlt ein deutsches Konzept. Die
FDP ist sich der Verantwortung Deutschlands für den
afrikanischen Kontinent immer bewusst gewesen.
({2})
Der ehemalige Außenminister Kinkel steht geradezu
beispielhaft als Person dafür.
({3})
Wiederholt wurde von uns die rot-grüne Bundesregierung aufgefordert, ein Afrikakonzept vorzulegen. Ich
sage deutlich: Wir erwarten von der Bundesregierung
eine klare Strategie zur Stabilisierung des afrikanischen
Kontinents, die nicht mit militärischen Operationen beginnt. Da, Herr Außenminister Steinmeier, sind Sie gefordert.
({4})
Wo stehen wir heute? Wir debattieren im Deutschen
Bundestag über einen Antrag der Bundesregierung, in
dem die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an einer EU-geführten Operation in der Demokratischen
Republik Kongo gefordert wird. Der Außenminister hat
gesagt, das sei folgerichtig. Es stellt sich jedoch die
Frage, ob mit diesem Einsatz wirklich ein Beitrag zur
Absicherung freier und geheimer Wahlen geleistet
werden kann.
({5})
Genau deswegen möchte ich einige Punkte aus den
letzten Wochen in Erinnerung rufen. Folgerichtig wäre
gewesen, die bereits vorhandene Mission MONUC personell aufzustocken. Das war allerdings im UN-Sicherheitsrat nicht zu erreichen.
({6})
Nun gibt es zwei unterschiedliche Operationen mit allen
Problemen der Abgrenzung. Das wird mit Sicherheit
nicht zur Klarheit der Mission beitragen.
({7})
Bis in den März hat Bundesverteidigungsminister
Jung ständig erklärt, Deutschland werde nur logistisch
Unterstützung und Lufttransportunterstützung, auf keinen Fall aber Kampftruppen anbieten oder in irgendeiner Form die Führungsfunktion übernehmen. Das Ergebnis ist: Deutschland stellt sowohl Kampftruppen als
auch den Führungsstab. Selbst die lange Zeit vertretene
Drittelung des Personals der EU-Truppe, nach der
Deutschland und Frankreich jeweils 500 Soldaten und
die anderen EU-Mitgliedstaaten zusammen nochmals
500 Soldaten stellen sollten, wurde mittlerweile über
Bord geworfen. Die Konferenz der Verteidigungs- und
Außenminister zu Beginn der Woche in Brüssel spricht
doch Bände. Nur weil Frankreich und Deutschland bereit waren, zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung zu
stellen, kam es überhaupt zu einer Einigung. Da stellt
sich die Frage, warum Länder, die sehr viel Erfahrung
mit Afrika haben, hier so zögerlich gewesen sind. Es gab
viel politische Unterstützung, nicht aber die Bereitschaft,
sich militärisch zu engagieren. Das sollte uns zu denken
geben.
({8})
Es war ständig die Rede davon, dass wir 500 Soldaten
in diesen Einsatz schicken. Nun fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag 500 Einsatzkräfte und 280 Unterstützungskräfte. Ich finde, das ist ein Rechentrick, mit
dem die Bundesregierung versucht, die Zahl zu halten,
von der sie selbst lange Zeit gesprochen hat. Ich bin der
Meinung, dass das kein seriöses Vorgehen ist.
({9})
Wir stellen nicht nur 40 Prozent der Truppen für den
EU-Einsatz. Vielmehr zahlt Deutschland seinen Teil
auch selbst. Es wird derzeit von 56 Millionen Euro gesprochen. Ich finde, es ist nicht richtig, dass Sie, meine
Damen und Herren von der Bundesregierung, zuerst erläutern, solche Missionen würden aus dem allgemeinen
Haushalt bezahlt, und nun im vorliegenden Antrag feststellen, das für diese Mission notwendige Geld werde
aus dem Verteidigungshaushalt aufgebracht. Das wird
zulasten der Betriebskosten und der Ausrüstung der Soldaten der Bundeswehr gehen. Das ist unverantwortlich.
({10})
Der vorliegende Antrag der Bundesregierung lässt ein
politisches Gesamtkonzept vermissen. Eine Vielzahl von
Fragen bleibt weiterhin offen. Schlimmer noch: Mit dem
Antrag werden weitere Fragen aufgeworfen. Zu Beginn
hieß es, es seien 1 500 Soldaten in Kinshasa notwendig,
um einen tatsächlichen Effekt bei der Absicherung zu erzielen. Jetzt ist die Rede von 200 bis 300 Soldaten in
Kinshasa und weiteren, die den Flughafen sichern sollen.
Es stellt sich die Frage: Kann damit wirklich eine Abschreckungswirkung erzielt werden?
({11})
Ursprünglich war die Rede davon, dass der Einsatz deutscher Soldaten auf Kinshasa-Stadt begrenzt wird.
({12})
Im Antrag der Bundesregierung steht jetzt „Raum
Kinshasa“. Wie ist das eigentlich definiert? Was ist denn,
wenn 50 Kilometer außerhalb der Stadt etwas passiert?
Gehört das noch zum „Raum Kinshasa“? Fällt das unter
dieses Mandat oder nicht? Das sind Unklarheiten, die so
nicht bestehen bleiben dürfen.
({13})
Offen bleibt eine klare Abgrenzung zwischen den
Einsätzen von EUFOR RD CONGO und MONUC.
Fraglich ist, ob der geplante Einsatzzeitraum von vier
Monaten eingehalten werden kann oder ob für uns daraus ein neuer dauerhafter Einsatz wird. Was passiert eigentlich, wenn bei der Präsidentschaftswahl ein zweiter
Wahlgang nötig wird? Was passiert, wenn sich die Lage
kurz vor Ablauf des Mandats zuspitzt, weil demokratische Ergebnisse nicht akzeptiert werden? Wird die EUMission dann einfach beendet? Ist das dann die Lösung?
Es ist eben nicht so einfach, wie mancher glauben machen will: Wir gehen jetzt hin, bleiben vier Monate dort
und gehen dann wieder zurück. Es gibt Risiken, die
nicht abzuschätzen sind. Auch die damit verbundenen
Fragen müssen beantwortet werden.
({14})
Es zeigt sich, dass dieser Einsatz von der Bundesregierung sprunghaft und unprofessionell vorbereitet
wurde.
({15})
Ausgangspunkt war das Treffen am 23. Januar von Bundeskanzlerin Merkel und Jacques Chirac. Es ist der Eindruck entstanden, dass die Bundesregierung nicht nach
logischen Notwendigkeiten, sondern nach politischen
Wünschen zur Verbesserung des deutsch-französischen
Verhältnisses handelt.
({16})
Deshalb fordert die FDP die Klärung all der offenen Fragen im parlamentarischen Verfahren, und wir fordern
von der Bundesregierung ein klares politisches Konzept
zur Stabilisierung des afrikanischen Kontinents.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zum ersten Mal geht die Bundeswehr in größerem Umfang mit einem robusten Mandat in einen Militäreinsatz nach Afrika. Wir nehmen deshalb die Bedenken derjenigen sehr ernst, die zu Recht fragen, ob
deutsche Streitkräfte nicht nur auf dem Balkan und am
Hindukusch eingesetzt werden, sondern ob sie durch
diesen Einsatz künftig auch tief nach Afrika hineingezogen werden könnten. Es war richtig, dass wir die Beteiligung an EUFOR an die Erfüllung von Voraussetzungen
geknüpft haben. Notwendig ist auch, zu begründen, warum ein solcher Einsatz im deutschen Interesse liegt. Wir
haben für eine Zustimmung zu diesem Einsatz fünf
Voraussetzungen formuliert. Sie sind alle erfüllt:
Erstens. Die kongolesische Regierung hat dem EUEinsatz zugestimmt. Es wäre nicht zu vertreten gewesen,
unsere Soldaten dorthin zu schicken, wenn es nicht die
breite Zustimmung durch den Präsidenten, die Vizepräsidenten und den Verteidigungsrat gäbe, also vor allem
durch diejenigen, die bei den Wahlen gegeneinander antreten und das Ergebnis auch im Falle einer Wahlniederlage akzeptieren müssen.
Zweitens. Es gibt eine breite Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten an dieser Mission. Frau Homburger, Sie haben Recht: Zu Anfang hatte es den Anschein, dass diese
Mission nur auf den Schultern weniger Mitgliedstaaten
ruht. Jetzt sind aber 18 Staaten daran beteiligt. Das ist
ein großartiger Erfolg unseres Verteidigungsministers.
({0})
Drittens. Ja, Frau Homburger, es gibt ein robustes
Mandat des VN-Sicherheitsrats. Das war für uns die Voraussetzung für eine Zustimmung. Wenn EUFOR den
Auftrag hat, einen Beitrag zur Schaffung eines sicheren
Umfelds zu leisten, dann muss es auch möglich sein,
dies, wenn erforderlich, mit einem angemessenen Einsatz von Gewalt durchzusetzen.
Viertens. Der Einsatz ist durch die VN-Resolution auf
bis zu vier Monate zeitlich begrenzt: zur Durchführung
der Wahlen bis zur Amtseinführung des Präsidenten. Damit steht fest: Der Einsatz sichert ausschließlich den
Wahlprozess. Es geht nicht, wie behauptet, um einen längerfristigen Beitrag zur Unterstützung der Friedenstruppe MONUC.
Fünftens. Der Einsatz der Bundeswehr ist auf den
Raum Kinshasa begrenzt. Das unterstreicht den klaren
Abschreckungsauftrag von EUFOR. Wer das Wahlergebnis infrage stellen will - wie der Außenminister bereits dargestellt hat, ist das nur in der Hauptstadt
Kinshasa möglich -, der muss wissen, dass er es dann
mit EUFOR zu tun bekommt.
Unsere Position in dieser Frage ist überhaupt nicht
unklar, Frau Homburger. Insofern sage ich deutlich:
Wenn es einen Fall akuter Nothilfe außerhalb des Raumes Kinshasa geben sollte, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass in diesem Hause eine Fraktion den Nothilfeeinsatz deutscher Soldaten verweigern würde.
({1})
Dazu gibt es im Parlamentsbeteiligungsgesetz eindeutige
Verfahrensregeln.
Lassen Sie mich im Kontext der räumlichen Begrenzung auch auf ein anderes, häufig vorgebrachtes Argument eingehen. Von den 25 000 Kindersoldaten sind
- auch durch die Unterstützung der Bundesregierung 18 000 demobilisiert worden. Die verbleibenden Kindersoldaten sind hauptsächlich im Osten des Landes zu finden. Deswegen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass
deutsche Soldaten im Raum Kinshasa mit Kindersoldaten konfrontiert werden.
({2})
Ich habe eingangs gesagt, wir müssen sehr genau begründen, warum wir deutsche Soldaten nach Afrika entsenden. Der Außenminister hat den südafrikanischen
Präsidenten Mbeki zitiert und dargestellt, dass ein Scheitern der Stabilisierungsbemühungen im Kongo auf dem
ganzen Kontinent gravierende Auswirkungen hätte.
Ziel der internationalen Stabilisierungsbemühungen
ist es, den Kongo in die Lage zu versetzen, sein Staatsgebiet zu kontrollieren. Sollte dies nicht gelingen, dann
entstünden dort wieder unkontrollierbare rechtsfreie
Räume und damit ideale Rückzugsgebiete für organisierte Kriminelle und Terroristen. Wenn wir verhindern
wollen, dass auch der Kongo organisierte Kriminalität
und Flüchtlingsströme nach Europa exportiert, dann
muss sich die EU in unserem eigenen Sicherheitsinteresse aktiv an der Befriedung und Stabilisierung beteiligen.
({3})
Wir müssen an die Lösung der Probleme dort herangehen, wo sie bestehen; sonst kommen sie zu uns.
Der Kongo ist eines der ressourcenreichsten Länder
der Welt und verfügt vor allem über strategische Rohstoffe, die für Europa wichtig sind.
({4})
- Ja. Ich nenne sie Ihnen: Wolfram, Mangan, Chromerze, Kobalt, Uran, Erdöl, Beryllium und Industriediamanten. Im Kongo liegt ein Drittel aller Kupfervorkommen der Welt. In Bezug auf Coltan, ohne das kein
Mobiltelefon funktioniert, sind es 80 Prozent.
Europa und Deutschland haben deshalb ein Interesse
daran, dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach
marktwirtschaftlichen Aspekten erfolgt.
({5})
- Genau das: Vor allem haben wir ein Interesse daran,
dass die Reichtümer des Landes der Bevölkerung zugute
kommen statt wenigen Kriminellen.
({6})
Genau das können wir verhindern, wenn wir mithelfen,
den Kongo wieder zu stabilisieren.
Nicht zuletzt hat Deutschland mit seiner bilateralen
und multilateralen Entwicklungshilfe, mit seinen Beiträgen zur MONUC-Mission, zur zivilen EU-Mission und
zum Wahlprozess erhebliche Gelder in die Stabilisierung
des Kongos investiert. Jetzt besteht die Chance, bei der
Stabilisierung des Kongos mit der Absicherung der
Wahlen einen entscheidenden Schritt weiterzukommen.
Es stehen Milliardenbeiträge der Gebergemeinschaft
zum Aufbau der Infrastruktur des Landes bereit, die bisher nicht abgerufen werden konnten. Wir wollen, dass
diese Investitionen jetzt zu substanziellen Erfolgen führen.
Verehrte Frau Kollegin Homburger, Sie haben eine
Strategie zur Stabilisierung des Kongos gefordert.
({7})
Im nächsten Schritt stellen Sie aber fest, dass Sie für die
dafür notwendigen Mittel nicht stimmen werden. Das
geht nicht. Wir sind der Meinung, dass wir mit der Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR diese Chance der
Stabilisierung des Kongos und Afrikas in unserem eigenen Interesse nutzen können.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Paul Schäfer für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Kongolesen wollen
wählen und endlich eine friedliche Entwicklung ihres
Landes.
({0})
Die UNO, die EU und Deutschland - darin sind wir uns
einig - müssen diesen Prozess unterstützen. Wir haben
in unserem Entschließungsantrag eine Reihe von Vorschlägen dafür entwickelt, wie diese Unterstützung aussehen könnte. Zu dem vorgesehenen EU-Militäreinsatz
aber sagt die Fraktion Die Linke Nein.
({1})
Wir befinden uns dabei im Einklang mit der Mehrheit
der Deutschen, wie es Umfragen zeigen. Es gibt auch
nennenswerte Nichtregierungsorganisationen, die ihn
kritisieren.
({2})
Der Internationale Christliche Friedensdienst „Eirene“
kritisiert, dass der Kostenaufwand für den Militäreinsatz
in keinerlei Verhältnis zum Ertrag stehen wird. Pax
Christi, auch eine wichtige Einrichtung, mahnt langfristige Aufbauarbeit anstatt militärischem Aktionismus an.
Das hören die Grünen heute vielleicht nicht mehr so
gern.
({3})
Der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbands spricht davon, dass es sich eher um politisches Showbusiness als
um nachhaltige Politik handelt.
({4})
- Einen Moment!
Das führt mich zu den Gründen unserer Ablehnung.
Der Militäreinsatz konnte nach meiner Überzeugung zu
keinem Zeitpunkt stringent begründet werden. Er ist alles andere als zwingend erforderlich. Darum geht es,
Herr Minister. Es geht nicht nur um die Frage, ob er verantwortbar ist, sondern auch um die Frage, ob er zwingend notwendig ist. Diese Frage muss beantwortet werden.
({5})
Die UN-Militärmission MONUC, die von der EU mit
aufgebauten kongolesischen Sicherheitskräfte, eine
starke internationale Öffentlichkeit und das Gewicht der
EU als diplomatische und wirtschaftliche Macht reichen
nach meiner Auffassung
({6})
aus, um Putschversuche in Kinshasa zu verhindern.
({7})
Wir haben immer gehört: Dort spielt die Musik.
({8})
Das Problem der Privatarmeen in Kivu und Katanga,
die dort die Rohstoffvorkommen ausplündern, wird innerhalb der nächsten vier Monate nicht gelöst werden
und schon gar nicht durch eine 300 Mann starke Abschreckungstruppe in Kinshasa.
({9})
Die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage der
Grünen - lieber Kollege Nachtwei, zuhören! - jüngst geantwortet, es gebe keine Hinweise, dass es bei den Wahlen zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen
könnte. Ich darf zitieren: Beobachter gehen mehrheitlich
davon aus, dass diese Wahlen friedlich verlaufen werden. Weiteres Zitat gefällig? „Es liegen zurzeit keine
konkreten Erkenntnisse darüber vor, dass es im Umfeld
der Wahlen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen
kommen wird, die von den kongolesischen Ordnungskräften nicht bewältigt werden können.“
({10})
Auf welch wackligen Beinen die Begründung des Militäreinsatzes - darum geht es schließlich in dieser Debatte - steht, zeigen die Versuche, die gestartet werden
müssen, um das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit zu überzeugen. Herr Minister Jung hat gesagt: Wenn
wir Kongo nicht hinbekommen - ich zitiere -, werden
wir einen enormen Einwanderungs- und Flüchtlingsdruck bekommen. Herr Minister, ich habe mir daraufhin
die Zahlen noch einmal angesehen.
({11})
Die Mehrheit der Kongolesen flüchten im eigenen Land,
in zweiter Linie flüchten sie in die Nachbarstaaten. 2005
Paul Schäfer ({12})
haben 6 500 Kongolesen hier einen Asylantrag gestellt.
Daran sieht man, wie hier Stimmung für diesen Militäreinsatz gemacht werden muss. Das finden wir nicht in
Ordnung.
({13})
Ich bin dem Kollegen Schockenhoff dankbar dafür,
dass er klar gemacht hat: Es geht nicht nur um eine philanthropische Veranstaltung. Er hat auch einen Brief an
seine Fraktionskollegen geschrieben und gesagt: Die
strategisch wichtigen Rohstoffe des Kongos dürfen
nicht in falsche Hände fallen.
({14})
Wenn Sie das einmal zu Mobutus Zeiten oder zu der
Zeit, als Ruanda, Burundi und Uganda das Nachbarland
überfallen haben, gesagt hätten!
Mir ist schon klar, dass es bei diesem Militäreinsatz
nicht vordergründig um Kupfer, Beryllium und Coltan
geht. Aber interessant ist doch, dass diese Argumente
überhaupt herangezogen werden, um Militäreinsätze zu
begründen.
({15})
- Ich fürchte, dass wir diese Gründe in Zukunft noch öfter zu hören bekommen und dass es dann auch um diese
Sache geht.
An dieser Stelle sei auch gesagt: Die kongolesischen
Reichtümer sollten in erster Linie den Kongolesen und
niemandem sonst zugute kommen.
({16})
Wenn der konkrete Militäreinsatz schon nicht plausibel begründet werden kann, dann liegt es nahe, davon
auszugehen, dass anderes im Vordergrund steht.
({17})
Mit dem Militäreinsatz soll nicht zuletzt die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU demonstriert werden.
Eine militärisch starke EU, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für uns aber kein hehres Ziel an sich; im Gegenteil.
({18})
Das Gerangel um die Truppenstellung für den Kongo
wird dahin gehend interpretiert werden, wie dringend
wir doch jetzt die European Battle-Groups brauchen, mit
denen man künftig das gesamte Spektrum von Evakuierung bis Kampfeinsatz abdecken will. Diese Kräfte müssen entsprechend ausgerüstet sein. Das kostet. Es glaube
doch niemand, dass in Zeiten leerer Kassen unter dieser
Voraussetzung ohne weiteres ein Quantensprung bei den
Mitteln für zivile Krisenprävention erreichbar sein wird.
Genau über diesen Punkt mogeln sich unsere militärisch
mainstreamig gewendeten Grünen allzu gerne hinweg.
({19})
Die Linke bleibt dabei: Die allein für den Bundeswehranteil an der EU-Mission aufzubringenden
60 Millionen Euro könnten sinnvoller eingesetzt werden, um die friedliche und demokratische Entwicklung
des Kongo zu unterstützen.
({20})
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Wir
hören in jüngerer Zeit, dass im Kongo Streiks von Studierenden, Ärzten und Angestellten sowie Proteste von
Bewohnern gegen die undurchsichtige Vergabe von
Konzessionen an private Investoren im Bergbau zunehmen. Darin drückt sich aus: Es gibt eine lebendige Zivilgesellschaft im Kongo. Ebenso wird deutlich, dass sich
die Menschen gegen eine korrupte Oberschicht selbst
stark behaupten müssen.
({21})
- Moment, Kollege Weisskirchen! - In diesem Zusammenhang müssen wir uns die Frage stellen: Wie sicher
sind wir eigentlich, dass die EU-Truppe, die eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen gewährleisten
soll, wirklich Demokratie bringen hilft? Könnte es auch
sein, dass sie damit zugleich die Herrschaft einer kriegerischen und kleptokratischen Elite stabilisieren hilft,
({22})
einer Elite, die ihre Geschäfte jetzt in einem etwas zivileren Gewand betreiben will? Dieser Frage können wir
nicht ausweichen.
Ich glaube also, zusammenfassen zu können: Der Militäreinsatz der EU ist nicht sinnvoll. Er trägt starke Züge
einer symbolischen Machtdemonstration, lenkt aber von
der Frage ab, was wirklich für eine nachhaltige und demokratische Entwicklung des Kongo getan werden
müsste. Dazu sagen wir Nein.
Wir sagen aber entschieden Ja zu der Verstärkung des
internationalen Engagements für Frieden und Demokratie in der Demokratischen Republik Kongo. Ich finde, es
ist nicht angemessen, wenn immer das Argument benutzt wird, wer nicht für die Soldaten sei, wolle die Entwicklung im Kongo sich selbst überlassen. Das halte ich
für ein Totschlagargument.
Wir haben viele Vorschläge gemacht, wie man diesen
Prozess sehr konkret und politisch-diplomatisch unterstützen sollte. Genau das sollten wir tun.
({23})
Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Müller für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
in der Tat viele gute Gründe, warum sich deutsche Soldaten an dem EU-Einsatz im Kongo beteiligen sollten.
Aber - das will ich hier zu Beginn wirklich einmal
loswerden -, meine Damen und Herren von der Bundesregierung - ich spreche vor allen Dingen Sie an, Herr
Verteidigungsminister -, Sie machen es einem wirklich
nicht leicht.
({0})
Sie haben in den letzten Monaten einen richtigen Eiertanz veranstaltet, wo von Ablehnung des Einsatzes bis
zur jetzigen Führungsrolle über fast alles diskutiert
wurde. Ich glaube, damit haben Sie in der deutschen Öffentlichkeit leider nicht für mehr Akzeptanz für diesen
Afrikaeinsatz gesorgt, sondern der ganzen Geschichte
eher einen Bärendienst erwiesen. Das finde ich sehr bedauerlich.
({1})
Meine Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung dennoch und voraussichtlich mit großer Mehrheit
zustimmen. Allerdings will ich auch deutlich unsere Bedenken nennen. Wir sind für ein klares und ehrliches
Mandat, übrigens auch im Interesse unserer Soldaten.
Das heißt, zumindest der Fall der Nothilfe außerhalb
Kinshasas sollte, wie wir das bei den vergangenen Mandaten gehandhabt haben, explizit aufgenommen werden.
({2})
Was uns fehlt, ist ein politisches Gesamtkonzept zur
langfristigen Stabilisierung des Kongos und der Region
der Großen Seen; denn der Einsatz der 1 500 Soldaten
wird diese sicherlich nicht gewährleisten können. Die
entscheidende Frage ist: Wie geht es im Kongo nach den
Wahlen weiter? Wie werden die Milizen entwaffnet und
eine demokratische Polizei und Armee aufgebaut? Wie
kann Korruption bekämpft werden? Vor allem - es ist
angesprochen worden -: Wie kann es gelingen, dass die
Bevölkerung endlich vom Ressourcenreichtum des Landes profitiert? Denn die Ressourcen sind bisher in der
Geschichte des Kongos eher Fluch als Segen gewesen.
Das muss eine der zentralen Aufgaben für die Zukunft
sein.
({3})
Da müssen sich Europäer und Deutsche engagieren
und diesen Aufbau langfristig unterstützen. Ich wüsste
gern von der Bundesregierung, was sie bereit ist, hierzu
zu tun, und würde gern hören, dass sie bereit ist, mehr
als in der Vergangenheit zu tun. Wir haben dazu einen
entsprechenden Entschließungsantrag vorgelegt.
Warum also sollen sich deutsche Soldaten am Kongoeinsatz der EU beteiligen? Zunächst einmal: Der Bürgerkrieg im Kongo ist nicht irgendein Krisenherd in der
Welt; dieses Argument hört man öfter. Er war der erste
Weltkrieg Afrikas und kostete mehr als 3,8 Millionen
Menschen das Leben. Er war der opferreichste Krieg
nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch heute sterben täglich
1 200 Menschen an den Folgen. Das ist so - das haben
die Vereinten Nationen dieser Tage betont -, als ob das
Land alle sechs Monate Opfer eines Tsunami wäre. Die
Vereinten Nationen sprechen daher neben der Krise in
Darfur im Sudan von der schwersten humanitären Krise
weltweit und haben im Kongo mit 17 000 Soldaten ihre
größte Peacekeeping-Mission, MONUC, eingesetzt.
Trotz dieser wirklich schwierigen Lage haben sich die
Kongolesen selber ganz mutig auf den Weg zur Demokratie gemacht. Schauen Sie sich nur das beeindruckende Verfassungsreferendum vom Dezember an!
Mehr als 84 Prozent der Bevölkerung haben die neue demokratische Verfassung angenommen. Das war ein
überwältigendes Votum, mit dessen Höhe übrigens niemand in der internationalen Gemeinschaft gerechnet
hatte.
Jetzt richten sich die Hoffnungen auf die Wahlen
Ende Juli. Es sind die ersten seit 1960. Seit zwei Jahren
bereiten die Vereinten Nationen diese Wahlen intensiv
und unter hohen Kosten vor.
Das Land steht am Scheideweg: Verlaufen die Wahlen
friedlich, frei und glaubwürdig? Werden die Wahlverlierer das Ergebnis respektieren und ihre Macht abgeben?
Das wäre wirklich ein Meilenstein beim Wiederaufbau
des Landes und vor allen Dingen eine Chance auf Frieden und Stabilität in der gesamten Region. Oder versuchen die Wahlverlierer, das Ergebnis gewaltsam infrage
zu stellen? Dieses Risiko gibt es; das sollte man in der
öffentlichen Diskussion offen sagen. In diesem Fall
droht ein Wiederabgleiten ins Chaos, und zwar nicht nur
im Kongo - auch das muss uns klar sein -, sondern voraussichtlich in der gesamten Region. Das bisher Erreichte wäre verspielt und die große Hoffnung der Kongolesen bitter enttäuscht.
Nun haben die Vereinten Nationen und die Kongolesen uns, die Europäer, gebeten, sie in dieser entscheidenden Phase zu unterstützen. Mit einem Nein zu diesem
Einsatz würden wir bei aller Kritik im Detail, die man
äußern kann, nicht nur die Kongolesen bitter enttäuschen. Ich bin auf meinen Reisen im Kongo einer sehr
lebendigen Zivilgesellschaft begegnet.
({4})
Auch meine Kollegen Winnie Nachtwei und HansChristian Ströbele haben wahrgenommen, welch große
Hoffnung gerade in die Europäer und übrigens auch in
die Deutschen
({5})
- denn wir haben dort keine koloniale Vergangenheit gesetzt wird. Diese Menschen wären wirklich bitter enttäuscht. Vor allem aber: Ein Nein zu diesem Einsatz
wäre auch ein Schlag in das Gesicht der Vereinten Nationen.
Natürlich ist dieser Einsatz nicht ohne Risiko. Natürlich gilt es, abzuwägen, ob wir der Bundeswehr weitere
Belastungen zumuten können. Aber, meine Damen und
Herren - ich spreche die Abgeordneten aller Fraktionen
an -, es geht hier um eine zentrale friedenspolitische
Weichenstellung für die gesamte Region. Wir können
Kerstin Müller ({6})
nicht ständig in den Debatten fraktionsübergreifend die
Stärkung der Vereinten Nationen als einer der zentralen
Säulen der deutschen Außenpolitik beschwören, ihr Versagen in Ruanda beklagen und sie dann bei dieser Herkulesaufgabe im Stich lassen.
({7})
Das ist UN-politisch völlig unverantwortlich.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der
FDP, ansprechen. Sie beteiligen sich nicht nur an der
derzeitigen verantwortungslosen Stimmungsmache gegen den Kongoeinsatz.
({8})
Ihr Nein zu diesem Einsatz ist auch aus internationaler
und afrikapolitischer Perspektive völlig verantwortungslos und ignorant.
({9})
- Natürlich machen Sie Stimmungsmache. Sie erzählen
der Öffentlichkeit, die vorgesehenen 1 500 Soldaten
seien für die Stabilisierung dieses riesigen Landes zuständig. Das ist falsch. Das wissen Sie. Dafür ist die
Mission MONUC zuständig und wir unterstützen
MONUC. Sie betreiben Stimmungsmache.
({10})
- Doch, Ihr Chef, Herr Westerwelle, hat das gestern gesagt.
Ich will es klar sagen: Der Erfolg von MONUC ist
nichts Geringeres als der Lackmustest der Vereinten Nationen nach dem Völkermord in Ruanda. Ein Scheitern
würde die Vereinten Nationen nachhaltig beschädigen.
Deshalb ist es nicht zuletzt für uns und die Europäer eine
zentrale Frage der Glaubwürdigkeit, die Vereinten Nationen in ihrer Mission zu unterstützen und nicht abseits
zu stehen.
({11})
Einen letzten Punkt will ich ansprechen. Erst im Dezember haben wir, die EU, eine strategische Partnerschaft mit Afrika und vor allem der Afrikanischen
Union beschlossen. Wir haben den Afrikanern zugesichert, dass wir sie bei der Befriedung der Krisen auf ihrem Kontinent unterstützen. Jetzt, beim ersten Realitätstest, sagen wir möglicherweise: Fehlanzeige! Wenn wir
das tun, dann ist das Konzept das Papier nicht wert, auf
dem es steht.
Nehmen wir die EU-Afrika-Partnerschaft ernst, dann
wird dies nicht der letzte Peacekeeping-Einsatz deutscher Soldaten in Afrika sein. Deshalb - ich weiß, dass
das einige Abgeordnete der Regierungsfraktionen nicht
so gerne hören, will das aber ganz klar sagen - brauchen
wir jetzt eine offene Debatte darüber, warum es im deutschen und europäischen Interesse liegt, sich an friedenssichernden Einsätzen in Afrika zu beteiligen. Wir haben
dafür nicht viel Zeit, denn die Vereinten Nationen bereiten bereits ihren nächsten Einsatz vor. Es soll der größte
Einsatz in der Geschichte der Vereinten Nationen werden. Es geht um Darfur, Sudan. Dort geht es anders als
im Kongo um einen schleichenden Völkermord. Da werden wir uns fragen müssen: Wollen und können wir da
als Deutsche abseits stehen? Ich meine, nein. Deshalb
brauchen wir jetzt eine ehrliche und offene Debatte darüber. Ich habe die Argumente genannt.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Frage „Wo ist denn das deutsche Interesse an einem
derartigen Vorgehen in Afrika?“ wird sowohl in dieser
Diskussion als auch außerhalb in Bezug auf die heutige
Debatte immer wieder gestellt. Da klingt immer ein bisschen die Vorstellung an, als läge Afrika ganz weit weg
im Nirgendwo. Afrika ist aber unser Nachbarkontinent,
für den wir Mitverantwortung tragen.
({0})
Wenn wir gebeten werden, zu helfen, und wir haben
die Chance und die Möglichkeit dazu, dann müssen wir
das tun. Diese Hilfe ist übrigens unabhängig von der
Hautfarbe der Menschen. Das sage ich sehr deutlich, insbesondere mit Blick auf manche Untertöne in dieser Debatte.
({1})
Natürlich gibt es keine hundertprozentige Garantie
für den 100-prozentigen Erfolg der europäischen Soldaten. Aber garantiert falsch wäre es, nicht alles für den Erfolg zu tun. Der Einsatz, über den wir diskutieren, hilft
den Menschen im Kongo und er liegt in unserem eigenen
Interesse. Der Konflikt strahlt aus. Wenn es gelingt, die
Situation in der Region der Großen Seen zu stabilisieren
und den größten Konflikt im Herzen Afrikas friedlich zu
lösen, ist für die Zukunft des ganzen afrikanischen Kontinents viel bewirkt. Deshalb müssen wir uns hier und
heute klar und deutlich dazu bekennen.
({2})
Manche Mitglieder der Linkspartei behaupten unterschwellig, der Militäreinsatz diene der „Sicherung“ von
Rohstoffen. Denen sage ich: Heute findet im Kongo ein
schmutziger Rohstoffkrieg statt,
({3})
in dem Gewaltherrscher bestimmte Rohstoffe illegal
ausbeuten. Es gibt nichts Wichtigeres als die Förderung
von Demokratie und Staatlichkeit, um diesem heute
stattfindenden Rohstoffkrieg ein Ende zu bereiten. Deshalb müssen wir uns gemeinsam engagieren.
({4})
Es geht gleichzeitig darum, sicherzustellen - das ist
für mich das Wichtigste -, dass den Menschen im
Kongo, in der Region der Großen Seen das Einkommen
aus den Rohstoffen selbst zugute kommt. Es ist wichtig
- es wird immer gefragt: Wo ist das Afrikakonzept? -,
dazu beizutragen, dass Transparenz bei der Nutzung von
Rohstoffen geschaffen wird. Dazu gibt es die wunderbare Initiative von Peter Eigen, die wir unterstützen.
Diese soll die Finanzierung der Unternehmen sowie das
offen legen, was sie an Regierungen und Gruppen zahlen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um der illegalen Ausbeutung von Rohstoffen ein Ende zu setzen. Das
aber setzt Sicherheit im Lande voraus.
({5})
Manche diskutieren hier über dieses Thema, als habe
es bisher noch keine Arbeit und Unterstützung für die
Menschen im Kongo gegeben. Seit dem Jahr 2000 unterstützen wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit die Zivilgesellschaft. Ich habe Vertreter der Frauennetzwerke und Opfernetzwerke getroffen, die durch
unsere Unterstützung und Finanzierung ihre Arbeit leisten können.
({6})
- Das ist wunderbar. Die Frauen, die Opfer von Gewalt
geworden sind, hoffen auf uns und darauf, dass wir dazu
beitragen, dieser Gewalt ein Ende zu machen. Bitte enttäuschen wir sie nicht.
({7})
Was tun wir? Wir haben geholfen, Kämpfer zu demobilisieren, und Hilfe bei der Wahlvorbereitung geleistet.
Wir fördern Mikrofinanzinstrumente, damit insbesondere Frauen ein Einkommen erwirtschaften und dadurch
ihre Zukunft gestalten können. Außerdem leisten wir
einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der vielfältigen
natürlichen Ressourcen des Kongos. Diese Ressourcen
wären bereits zerstört, wenn nicht Helfer, auch aus
Deutschland, dazu beigetragen hätten, diese Ressourcen
zu sichern.
Ich will an dieser Stelle all denen, die in den letzten
Jahren in diesem Land an der Seite der Menschen eine
Unterstützungsleistung erbracht haben, ein herzliches
Dankeschön sagen.
({8})
Sie haben vieles riskiert. Ich will ein Beispiel anführen
- wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, könnte ich Ihnen davon nicht berichten -: Eine Firma im Osten des
Kongos, mit einem deutschen Besitzer, entwickelt mit
unserer finanziellen Unterstützung Projekte und Medikamente zur Aidsbekämpfung. Diese Medikamente können als Generika in andere Teile Afrikas exportiert werden.
Die internationale Gemeinschaft engagiert sich bereits heute in großem Maße. Dieses Engagement wollen
wir - Frau Müller hat das angesprochen - ausweiten.
Natürlich wird eine große Konferenz der Geberländer
stattfinden, auf der über die Sicherheit in Bezug auf Polizei und Militär und den staatlichen Aufbau diskutiert
werden wird. Wir werden bereit sein, weitere finanzielle
Hilfe und Unterstützung zuzusagen.
In den Jahren 2005 und 2006 haben wir 15 Millionen
Euro Nothilfe geleistet. Ich selbst habe im Jahre 2005 für
den Wiederaufbau noch einmal rund 24 Millionen Euro
zugesagt.
({9})
António Guterres hat uns in den letzten Tagen daran
erinnert - Kerstin Müller hat es angesprochen -, dass im
Kongo in jedem der letzten Jahre so viele Menschen Opfer wurden, als hätte es zweimal jährlich einen Tsunami
gegeben. Ich bin der festen Überzeugung, dass niemand
in diesem Haus sein Gewissen damit belasten will, dazu
beigetragen zu haben, dass diese Situation fortbesteht.
Deshalb sage ich: Lassen Sie uns dazu beitragen, dass
dieser humanitären Katastrophe ein Ende gesetzt wird!
Auch aus entwicklungspolitischen Gründen werbe ich
für den Einsatz, über den wir heute diskutieren.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
({10})
Nun hat das Wort der Bundesminister für Verteidigung, Franz Josef Jung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach rund
45 Jahren gibt es im Kongo, wo durch bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischenzeitlich fast 4 Millionen Menschen umgekommen sind, erstmals wieder
die Chance auf Demokratie, Stabilität, wirtschaftliche
Prosperität und Frieden. Mit unserer Mission wollen wir
diesen Prozess unterstützen.
({0})
Es ist auf die Bereiche hingewiesen worden, in denen
die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag zur Unterstützung schon geleistet hat. Jetzt geht es darum, den
demokratischen Prozess abzusichern. Der Ausgangspunkt für dieses Mandat - ich will noch einmal darauf
hinweisen - war die Bitte der Vereinten Nationen gegenüber der Europäischen Union, diese demokratischen
Wahlen abzusichern.
Liebe Frau Kollegin Müller, es ist unbestritten, dass
der Prozess in Europa nicht ganz einfach war. Ich will
darauf nicht näher eingehen, Ihnen dazu aber eines sagen: Der Blick war zunächst darauf gerichtet, dass unsere Battle-Group mit 1 500 Soldatinnen und Soldaten
diesen Prozess zu bewältigen hat. Auch das ist die Wahrheit. Ich glaube aber nicht, dass es eine Aufgabe der
Europäischen Union gewesen wäre. Deswegen halte ich
es für gut, dass wir erreichen konnten, dass sich
18 Nationen an dieser europäischen Operation beteiligen. Das ist für eine erfolgreiche Durchführung der Mission notwendig und richtig.
({1})
Wir stellen rund 500 Einsatzkräfte und - ich komme
noch darauf zurück - 280 Unterstützungskräfte. Für
diese europäische Mission unter Führung des Hohen Repräsentanten Solana stellen wir das Operationshauptquartier in Potsdam und mit General Viereck den Kommandeur dieser Operation.
Ich will in diesem Zusammenhang auch sagen, dass
von den Vereinten Nationen die Erfüllung von Aufgaben
in drei Bereichen angefordert wurde: erstens die Unterstützung der MONUC-Truppen bei einer krisenhaften
Situation - ich will hinzufügen, dass von uns zwischenzeitlich circa 4 500 Polizeibeamte dort ausgebildet worden sind, die ebenfalls für die Sicherheit vor Ort
sorgen -, zweitens die Evakuierung und drittens die Sicherung des Flughafens.
({2})
Da wir im Rahmen der Aufstellung der Battle-Group
schon angezeigt hatten, die Aufgabe der Evakuierung
wahrzunehmen, haben wir diese Aufgabe - die BattleGroup ist in fünf Tagen einsatzfähig - jetzt übernommen. Denn wir können auf gut ausgebildete, gut ausgerüstete und gut vorbereitete Soldatinnen und Soldaten
für eine solche Mission zurückgreifen. Es ist daher verantwortbar, einen solchen Auftrag zu übernehmen.
({3})
Die französischen Freunde leisten die Unterstützung der
MONUC-Truppen und die anderen europäischen Nationen sorgen für die Sicherung des Flughafens.
Bezüglich des Prozesses will ich noch hinzufügen,
dass wir die Erfüllung von fünf Bedingungen als
Voraussetzung für die Mission gestellt hatten:
Erste Bedingung war ein klares Mandat der Vereinten
Nationen. Dieses wurde am 25. April von den Vereinten
Nationen mit all den notwendigen Komponenten, insbesondere im Hinblick auf ein robustes Mandat, erteilt.
Zweite Bedingung war die Zustimmung der kongolesischen Regierung. Hier gab es einen gewissen Diskussionsprozess. Ich bin dem Hohen Repräsentanten Solana
dankbar, dass er in Kinshasa war und nicht nur die Zustimmung von Präsident Kabila eingeholt hat, sondern
auch die Zustimmung der Vizepräsidenten und der Vertreter anderer Organisationen. Denn ich halte es für klug
und richtig, dass wir mit Blick auf eine derartige Mission
eine breite Zustimmung der Betroffenen vor Ort für
diese Operation haben.
Die dritte Bedingung war eine breite europäische Beteiligung und die vierte Bedingung war eine räumliche
Begrenzung auf Kinshasa, auf die ich noch zurückkomme. Fünfte Bedingung war schließlich die zeitliche
Begrenzung der Mission auf vier Monate.
All diese Bedingungen sind erfüllt worden und die
Bundesregierung hat sich dafür entschieden, um ein
Mandat für diesen Einsatz zu bitten. Nun wirken
18 Nationen an dieser Operation mit. Wir sind gut vorbereitet und deshalb trete ich jetzt vor den Deutschen
Bundestag und werbe um die Unterstützung für dieses
Mandat.
({4})
Wir stellen wie unsere französischen Freunde etwas
über ein Drittel des Kontingents. Andere europäische
Länder stellen rund 400 Soldatinnen und Soldaten für
diesen Einsatz bereit. Ich bin Ländern wie beispielsweise Spanien, Polen, Belgien und Schweden sehr dankbar dafür, dass sie größere Kontingente für diesen Einsatz stellen.
({5})
Weil dieser Punkt kritisch angesprochen wurde, will
ich wiederholen: Es handelt sich um 500 Einsatzkräfte
und 280 Unterstützungskräfte. Für die Sicherheit unserer
Soldatinnen und Soldaten brauchen wir diese Unterstützungskräfte. Für mich ist es wichtig, dass wir bei dieser
Operation die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten zentral im Blickfeld haben. Deshalb halte ich es
für notwendig, bestmögliche Rahmenbedingungen hinsichtlich der Logistik und des Sanitätswesens zu schaffen. Dafür tragen wir Verantwortung.
({6})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bonde von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Bitte.
Herr Verteidigungsminister, Sie haben soeben ausgeführt, dass Sie die Soldaten für dieses Mandat in Eingreifkräfte und Unterstützungskräfte einteilen. Können
Sie mir und der Öffentlichkeit erklären, warum Sie erstmals bei einem Mandat des Deutschen Bundestages für
einen Einsatz diese Aufteilung vornehmen? Können Sie
mir erklären, warum sämtliche beteiligten europäischen
Partnernationen keine Unterteilung der Soldaten in unterschiedliche Kategorien vornehmen? Können Sie uns
erklären, warum Sie jenseits der magischen Zahl 500 an
dieser Stelle diesen völlig neuen Weg, diesen Sonderweg innerhalb der EU-Missionen beschreiten?
({0})
Ich sage Ihnen klar und deutlich: Wir haben immer
eindeutig gesagt, dass wir bis zu 500 Einsatzkräfte bereitstellen, und ich habe immer hinzugefügt, dass wir dafür noch die entsprechenden Unterstützungskräfte brauchen.
Ich sage noch einmal: Ich halte es im Interesse der Sicherheit und des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten für notwendig, dass wir vor Ort optimale Rahmenbedingungen haben. Sie wissen, dass dort teilweise
andere Rahmenbedingungen gelten. Dafür brauchen wir
eine medizinische und eine logistische Unterstützung
unserer Soldatinnen und Soldaten. Deshalb ist es im Interesse unserer Soldaten, diese Unterstützungskräfte bereitzustellen.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich darauf
hinweisen, dass die Einsatzkräfte für Evakuierungen im
Raum Kinshasa vorgesehen sind. Dafür stellen wir gut
ausgebildete und gut ausgerüstete Infanteriekräfte und
die notwendigen Lufttransportmittel zur Verfügung, wobei ich hinzufügen will, dass sich der überwiegende Teil
in Gabun in Reserve hält.
Liebe Frau Kollegin Homburger, Sie wissen doch,
dass eine Erkundungsmission im europäischen Auftrag
im Kongo gewesen ist, dass sie damals unter Führung eines deutschen Generals drei Optionen ermittelt hat, dass
im Rahmen dieser drei Optionen klare Kontingentierungen vorgesehen waren und dass man sich im Rahmen der
Europäischen Union entschieden hat, die Option 2 in
Anspruch zu nehmen. Sie beinhaltete, 400 bis 450 Soldaten vor Ort und den Rest in Reserve bereitzustellen.
Das ist der Ausgangspunkt für das Mandat gewesen. Ich
glaube, von daher ist es richtig, dass das in dieser Art
und Weise jetzt umgesetzt wird.
Ich füge hinzu: Hier müssen wir uns auch auf unsere
militärischen Berater verlassen können, die vor Ort waren, die die Mission vorab erkundet haben und die die
Voraussetzungen für einen verantwortlichen Einsatz
festgestellt haben. Ich denke, die Rahmenbedingungen
sind jetzt so, dass dieser verantwortliche Einsatz gewährleistet werden kann.
({1})
Hinzu kommt, dass wir im Rahmen des Mandates
jetzt natürlich auch deutlich machen müssen, mit bis zu
welchen Kosten wir bezogen auf den Gesamtumfang
rechnen. Kosten von bis zu 56 Millionen Euro wurden
von uns ermittelt. Ich sage aber auch hier vor dem Deutschen Bundestag: Natürlich ist es ein Unterschied, ob
unsere Soldaten letztlich in Reserve bleiben oder ob wir
sie in Einsatz bringen müssen. Im Hinblick auf das Mandat haben wir aber alle Eventualitäten eingerechnet - so
meinen die Experten -, sodass der Kostenrahmen
stimmt. Natürlich ist es auch wahr, dass wir das nicht im
Einzelplan 14 vorgesehen hatten, aber wir versuchen,
das zu finanzieren. Ich denke, mit dem Finanzminister
besteht Einigkeit, dass er uns hilft, auch die finanziellen
Voraussetzungen zu schaffen, wenn der Rahmen nicht
reichen sollte.
Eines füge ich allerdings hinzu: Vom Jahr 2003 bis
heute - Frau Kollegin Wieczorek-Zeul hat das gerade
auch angedeutet - haben wir über die anderen Institutionen bereits rund 500 Millionen Euro im Kongo investiert. Ich denke, es ist klug und richtig, nicht nur diese
Investitionen, sondern letztlich auch den humanitären
Auftrag, den Auftrag für Demokratie abzusichern und
die Voraussetzungen für eine positive Entwicklung im
Kongo zu schaffen.
({2})
Mit diesem Einsatz gehen wir zugegebenermaßen
eine, wenn Sie so wollen, neue europäische Verpflichtung in Afrika ein, aber es gehört zu unserer Strategie,
diesen Nachbarkontinent Europas in einer positiven Art
und Weise zu entwickeln. Der Kongo ist 6,6-mal so groß
wie die Bundesrepublik Deutschland und die Entwicklung im Kongo wird - der Kollege Steinmeier hat auf
das Zitat des südafrikanischen Präsidenten hingewiesen Auswirkungen auf die Entwicklung in Afrika haben.
Deshalb ist es notwendig, hier einen positiven Prozess
zu gewährleisten.
Ich möchte Sie daher unter verteidigungspolitischen
Aspekten sehr herzlich bitten, diesem Mandat zuzustimmen - im Interesse der friedenssichernden Funktion, im
Interesse der Sicherheit bei den Wahlen und schließlich
im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten, die für
ihre schwierige Aufgabe, wie ich finde, eine breite Unterstützung dieses Parlamentes verdient haben.
Besten Dank.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
beraten über die Beteiligung deutscher Streitkräfte an einem Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo. Es
sollen Wahlen abgesichert werden; das klingt natürlich
immer gut. Tatsächlich stimmten im Dezember 2005
rund 25 Millionen Wahlberechtigte friedlich über eine
neue Verfassung ab. 84,3 Prozent stimmten für die neue
Verfassung. Zwischenfälle sind nicht bekannt.
Wir wissen, dass seit längerer Zeit bereits 16 700 UNSoldaten, die mit einem so genannten robusten Mandat
ausgestattet sind, im Kongo im Einsatz sind. Wenn diese
Truppe zur militärischen Absicherung der Wahlen nicht
ausreicht, warum wird sie dann nicht verstärkt?
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Weil der Sicherheitsrat das verweigert hat!
Die Südafrikaner haben das angeboten. Wozu wird das
europäische Militär benötigt? Warum müssen 1 500 europäische Soldaten, darunter circa 780 deutsche, mit einem robusten Mandat in den Kongo? Machen wir uns
nichts vor: Ein robustes Mandat ist ein Kriegseinsatz,
daran gibt es nichts zu verniedlichen.
({0})
Militärisch macht das überhaupt keinen Sinn; das sagen
im Übrigen auch die Militärs. Also müssen andere
Gründe ausschlaggebend sein.
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, General Naumann, erklärte, es gäbe nur einen Grund für
den Kongoeinsatz: Die EU müsse ihre sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit beweisen. Entsprechend handelt auch Herr Solana, dem es um eine Demonstration
geht, dass die EU auch ohne die NATO und die USA
weltweit militärisch auftreten kann.
In aller Offenheit bestätigte Verteidigungsminister
Jung, dass Stabilität in dieser rohstoffreichen Region der
deutschen Wirtschaft nützt. Eine deutsche Firma benötigt die Stabilität, weil sie im Kongo aus einem Erz Niob
gewinnen will. Dieser Rohstoff ist extrem hitzebeständig
und aus der modernen Waffen- und Raumfahrttechnologie nicht mehr wegzudenken. Das Erz gibt es außer im
Kongo nur in zwei anderen Ländern auf dieser Welt.
Mit dem Militäreinsatz verfolgt die Bundesregierung
vor allem das Ziel, die EU als entscheidenden Akteur in
Afrika zu etablieren. Freie demokratische Wahlen werden durch eine Militarisierung des Wahlvorganges diskreditiert. Die Bundesregierung sollte stattdessen gemeinsam mit anderen EU-Regierungen für ausreichend
internationale Wahlbeobachter und Wahlhelfer sorgen,
({1})
damit auch in den entlegenen Gebieten über den demokratischen Ablauf der Wahlen gewacht werden kann.
Bei der Militärbeteiligung fehlt eine Gesamtkonzeption über den Wahltag hinaus. Das geht nur mit zivilen
Organisationen. Was passiert denn nach vier Monaten?
Wie ist die Zusammenarbeit mit den zivilen Organisationen geplant? Dazu ist nichts zu hören.
Noch ein Wort zur FDP: Grundsätzlich finde ich es
gut, wenn sie sich gegen den Einsatz ausspricht. Ich
stelle mir aber auch vor, welche Argumente die FDP für
einen Militäreinsatz anführen würde, wenn es heute eine
schwarz-gelbe Koalition gäbe.
({2})
Mein Eindruck ist, dass die Wahlen nur der vorgeschobene Grund für den geplanten Kongoeinsatz sind.
Tatsächlich geht es nur um die Absicherung wirtschaftlicher Interessen. Damit wird der gesamte Einsatz der
Bundeswehr zu einem Instrument kapitalorientierter
Wirtschaftspolitik.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort der Kollegin Ursula Mogg, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Debatte, der ersten Lesung, wurden schon viele
Punkte genannt, die deutlich machen, warum es notwendig ist, dass wir als Bundesrepublik Deutschland uns im
europäischen Kontext an dieser Mission für die Demokratische Republik Kongo beteiligen wollen. Ich möchte
deshalb nur noch einige Aspekte herausarbeiten.
Ich möchte zunächst einmal auf die Opposition eingehen. Herr Kollege Schäfer, Sie wiederholen gebetsmühlenartig, dass die 60 Millionen Euro sinnvollerweise
für Entwicklungsprojekte ausgegeben werden sollten.
Sie wissen ganz genau, dass es Situationen gibt, in denen
man dieses Geld gar nicht einsetzen kann, wenn man
keine militärische Flankierung vornimmt. Das ist im Übrigen meine sehr persönliche Erkenntnis und mein Lernprozess aus den Jahren im Verteidigungsausschuss.
({0})
Es ist aber auch das Ergebnis des Lernprozesses, den
dieses Haus in seiner Gesamtheit in den letzten zehn Jahren durchlebt hat.
({1})
Deshalb haben wir ein Konzept von Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt, das das Militärische als einen
Baustein betrachtet, wenn auch hoffentlich immer als einen sehr kleinen.
({2})
Frau Kollegin Homburger, das Ärgerliche an Ihren
Ausführungen war, dass man den Eindruck gewinnen
musste, dass Sie an vielen Stellen wirklich gegen besseres Wissen argumentiert haben. Sie sprachen vom fehlenden EU-Konzept. Die Ministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung hat dazu Eindeutiges
gesagt.
({3})
Sie, Frau Kollegin Homburger, wissen, dass im Rahmen
der EU-Ratspräsidentschaft der Briten ein Gesamtkonzept vorgelegt wurde. Daran hat sich die Bundesrepublik
Deutschland beteiligt.
({4})
Frau Kollegin Mogg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer?
Ich möchte bitte zunächst meine Ausführungen im
Gesamtzusammenhang machen. - Frau Kollegin
Homburger, ich kann Ihnen als Mitglied im Verteidigungsausschuss nur raten: Informieren Sie sich in Potsdam. General Viereck, der zurzeit in einem europäischen
Kommando steht, hat hohes Interesse daran, mit uns allen darüber zu diskutieren, was er da tut. Dort sind jetzt
Soldaten aus den Einsatzländern; sie sehen sich nicht
zum ersten Mal. Sie haben für solche Einsätze geübt. Ich
kann Ihnen nur dringend raten: Fahren Sie nach Potsdam
und lassen Sie sich informieren. Dann werden Sie als
Mitglied des Verteidigungsausschusses nachvollziehen
können, was dort militärisch passiert.
({0})
Richtig, Frau Kollegin Homburger, ist - da möchte
ich Ihnen ausdrücklich Recht geben -, dass unser Diskussionsprozess seit dem berühmten Brief von New
York nach Brüssel holprig verlaufen ist. Aber zur Ehrenrettung dieses Diskussionsprozesses sollte man sich vielleicht einmal in Erinnerung rufen, dass verschiedene
Prozesse nebeneinander herlaufen mussten: der politische und der militärische Abstimmungsprozess. Das hat
dazu beigetragen, dass in der jetzigen Diskussion der
Eindruck entstehen kann, dass das Thema sehr schwierig
ist, was zweifelsohne stimmt, und immer wieder neue
Fragen gestellt werden. Wir haben kritische Fragen zu
beantworten.
Aber einen Punkt aus Ihrem Beitrag, Frau Kollegin
Homburger, möchte ich noch einmal herausarbeiten.
Denn Sie wissen, wenn Sie von „Raum Kinshasa“ sprechen, dass wir in allen Beschlüssen des Deutschen Bundestages zu Einsätzen Formulierungen gefunden haben,
die den Soldaten ihre Arbeit vor Ort nicht erschwert,
sondern sie ihnen leichter gemacht haben. Deshalb wäre
es sicher dumm, zu sagen: Der Einsatz endet am Ortseingang Kinshasa, dort, wo das Ortsschild steht. Das
möchte ich erwähnen.
({1})
Viel wichtiger ist es mir, auf die Stimmen hinzuweisen, die wir zu diesem Einsatz zur Kenntnis nehmen.
Gestern hat im Deutschen Bundestag eine Expertenanhörung zu diesem Thema stattgefunden. Aus der Wissenschaft bekommen wir eine ganz klare Ansage: Die
Wahlen sind notwendig und sollten nicht infrage gestellt
werden; darüber hinaus ist die militärische Begleitung
dieser Wahlen notwendig. Wir bekommen ganz klare,
nachdenkliche Formulierungen aus der Wissenschaft.
Es gibt eindringliche und manchmal fast leidenschaftliche Diskussionen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Kollege Kramer und ich hatten in Kinshasa
die Gelegenheit, mit deutschen Entwicklungshelfern zu
diskutieren. Sie haben sehr eindringlich und emotional
von der Arbeit, die sie im Prozess der Wahlvorbereitung
leisten, berichtet. 25 Millionen Menschen haben sich in
die Wahllisten einschreiben lassen. Das ist eine Art Plebiszit für diese Wahlen. Daran sollten wir uns beteiligen.
({2})
Wir sollten uns auch einmal vergewissern, welche
Diskussion die Kongolesen selbst führen. Mein Eindruck aus Kinshasa ist der eindringliche Appell: Europäer, ihr müsst euch beteiligen, lasst uns in diesem Prozess nicht allein. Wir wollen nach 45 Jahren endlich
demokratisch wählen.
Wir müssen im Rahmen dieser Debatte auch die kritischen Stimmen, die in der deutschen Öffentlichkeit zu
hören sind, berücksichtigen. Ich sage Ihnen: Ich stehe
noch unter dem Eindruck eines Gesprächs mit Hörern
des WDR, das ich heute Vormittag geführt habe und in
dem mir von den unterschiedlichsten Menschen sehr
viele kritische und nachdenkliche Fragen gestellt worden
sind. Dazu möchte ich sagen: Wir haben noch sehr viel
zu leisten, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Kongoeinsatz im Speziellen, sondern auch, was die allgemeine Vermittlung der neuen deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik betrifft. Vieles davon ist in der breiten Öffentlichkeit nämlich noch nicht bekannt.
({3})
Vielleicht bietet das Weißbuch, über das wir jetzt zu diskutieren beginnen, eine Gelegenheit, das nachzuholen.
Es ist spekuliert worden, worüber die Soldaten diskutieren; natürlich - das ist gar keine Frage - diskutieren
auch sie kritisch über diesen Einsatz. Ich hatte die Gelegenheit, mich darüber bei Soldaten zu informieren, die
wissen, dass sie in diesen Einsatz geschickt werden. Sie
sind wissbegierig und motiviert, sie wollen möglichst
viel sowohl über die Politik als auch über das Land, in
das sie gehen, erfahren. Ich denke, dabei sollten wir sie
unterstützen.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja.
Meine letzte Bemerkung: Was ist nun zu tun? Wir alle
- die internationale Gemeinschaft, die Bundeswehr, die
EU, MONUC, die Vereinten Nationen und die Wahlbeobachter, die im Kongo sind - müssen uns bemühen,
eine Vertrauensbasis zu schaffen, damit die Kongolesen
den Eindruck gewinnen, dass sie die Chance haben, fair
und frei zu wählen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/1507 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1522
soll zur federführenden Beratung an den Auswärtigen
Ausschuss und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006 ({0})
- Drucksachen 16/752, 16/1369 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
- Drucksache 16/1525 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Dr. Gesine Lötzsch
Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen
vor.
Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Carsten Schneider, SPD-Fraktion, das Wort.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu
einem guten Ende gehört zunächst ein guter Anfang. Seit
Gerhard Schröder wissen wir, dass entscheidend ist, was
am Ende herauskommt.
({0})
Nach unserem Willen soll es ein konsolidierter Bundeshaushalt sein. Daher brauchen wir einen guten Anfang.
Er wurde mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 gemacht.
Die öffentlichen Haushalte befinden sich in einer sehr
dramatischen Lage. Die laufenden Ausgaben übersteigen die regelmäßigen Einnahmen bei weitem. Für den
Bundeshaushalt, aber auch für die Haushalte der Länder
und der Kommunen, ergibt sich aus dieser Situation
struktureller Handlungsbedarf. Im Jahr 2006 - wir befinden uns gerade in der Beratung des Haushalts, die wir in
der nächsten Sitzungswoche abschließen werden - beträgt die Nettokreditaufnahme laut Entwurf des Kabinetts 38 Milliarden Euro. Darüber hinaus sind zusätzliche Risiken erkennbar. Wir müssen darüber nachdenken,
wie wir diese Probleme lösen können. Ich gehe davon
aus, dass die Koalition diese 38 Milliarden Euro in den
Haushalt einstellen wird.
Hinzu kommen Privatisierungserlöse in Höhe von
6,6 Milliarden Euro. Das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts liegt also in etwa bei 20 Prozent. Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte beträgt
1,5 Billionen Euro. Die große Koalition ist angetreten,
das Problem der Unterfinanzierung der öffentlichen
Haushalte anzugehen und für die Sicherung der Zukunft
und der Handlungsfähigkeit des Staates zu sorgen. Diese
Herkulesaufgabe ist einer der Kernpunkte, denen sich
die Koalition in dieser Legislaturperiode zuwendet.
Gleichzeitig müssen wir die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen im Bereich unserer Sozialversicherungssysteme gewährleisten und die Basis für Wachstum
durch Innovationen und Investitionen, Wachstumsimpulse und verbesserte Rahmenbedingungen stärken. Wir
haben, gerade was die Impulse betrifft, in 2006 schon einige Gesetze beschlossen. Nun müssen wir für die Einnahmen sorgen. Für die Beschlüsse hinsichtlich der Ausgaben waren auch die meisten von der Opposition. Ich
hoffe, Sie stimmen uns auch bei den Einnahmen zu.
({1})
Für die SPD ist die Konsolidierung des Haushaltes
kein neues Thema: Seit 1998 haben wir uns bemüht, die
öffentlichen Haushalte, insbesondere den des Bundes, zu
konsolidieren. Wenn ich mir die Ausgabenseite ansehe,
dann muss ich feststellen: Von 1999 bis 2004
({2})
sind die Bundesausgaben um knapp 0,4 Prozent gestiegen, und das trotz Mehrausgaben für Rente und Arbeitsmarkt. Das heißt, bei den Ausgaben haben wir schon auf
der Bremse gestanden. Die Staatsquote ist von 48 Prozent 1998 auf mittlerweile 46,8 Prozent gesunken. Nach
der mittelfristigen Planung des Finanzministers landen
wir wahrscheinlich bei 43,6 Prozent. Das ist eine große
Herausforderung; aber es ist wichtig, dass die Menschen
in unserem Land klare Perspektiven haben. Deswegen
sind die Verabredungen, die wir in der Koalitionsvereinbarung getroffen haben, gut und wir stehen dazu. Dazu
gehören insbesondere die Maßnahmen des Haushaltsbegleitgesetzes, das Ihnen heute zur Abstimmung vorliegt.
Carsten Schneider ({3})
Im Jahr 2006 - ich habe darauf hingewiesen - werden
wir noch einmal von der Ausnahmeregelung des
Art. 115 GG Gebrauch machen. 2007 wird dies nicht
mehr möglich sein.
({4})
Ich glaube, dass auch die Opposition mit uns darin übereinstimmt, dass wir 2007 - das ist unser Ziel - sowohl
den Art. 115 als auch das Maastrichtkriterium einhalten
müssen.
({5})
Unabdingbar dafür ist neben der Ausgabenkürzung, wie
wir sie im Haushaltsbegleitgesetz vorsehen,
({6})
die Verbesserung der Einnahmeseite. Wir haben eine
Steuerquote von knapp 20 Prozent, was im internationalen Vergleich absolut niedrig ist: In Europa hat nur die
Slowakei eine noch niedrigere Steuerquote.
({7})
Deshalb kann Haushaltskonsolidierung unserer Auffassung nach nur in einem Mix von Einnahmeverbesserung und Ausgabenkürzung bestehen.
({8})
Genau dieser Linie folgen wir mit dem Haushaltsbegleitgesetz.
Nachher reden ja noch Kollegen von der Opposition.
Vielleicht können dann auch die Vertreter der FDP auf
die Struktur des Bundeshaushaltes eingehen. Ich möchte
nur kurz etwas dazu sagen: Wir zahlen allein
40 Milliarden Euro für Zinsen - dieser Betrag steigt bis
2009 auf 43 Milliarden Euro -; das ist in etwa der Betrag
der diesjährigen Nettokreditaufnahme. Nun werden Sie
sich vielleicht fragen: Wo kommen diese 40 Milliarden
Euro eigentlich her? Ich habe vorhin die Zahlen genannt:
Die Gesamtverschuldung des Bundes betrug 2005
868 Milliarden Euro. In der Regierungszeit der FDP, die
von 1969 bis 1998 angedauert hat, sind 711 Milliarden
Euro aufgelaufen. In der Zeit unter Rot-Grün sind insgesamt rund 144 Milliarden Euro dazugekommen. Es ist
nicht so, dass ich sonderlich stolz darauf bin, ich will nur
die Verantwortlichkeiten klar machen. Ich denke, Sie
müssen erklären, wie Sie dieses Problem lösen wollen.
In den Beratungen, die derzeit im Haushaltsausschuss
geführt werden, fordert die Opposition in ihren Anträgen
Kürzungen, die niemals das Volumen erreichen würden,
das wir brauchen, um unter 30 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme zu kommen. Abgesehen davon sind die
meisten Anträge reine Symbolanträge, etwa der Vorschlag, bei der Steinkohle zu kürzen, obwohl doch ganz
klar ist, dass es da rechtliche Verpflichtungen gibt.
({9})
Uns werfen Sie vor, wir würden das Grundgesetz in diesem Jahr brechen. Dabei werden wir bei den Investitionen über den 22 Milliarden Euro liegen; das ist deutlich
erkennbar. Wir werden uns hier in der zweiten und dritten Lesung wiedersehen.
({10})
Für mich ist nicht erkennbar, wie man auf der Grundlage
Ihrer Vorschläge die strukturellen Probleme lösen kann.
Von daher ist all Ihr öffentliches Getöse, wir würden das
Grundgesetz brechen, ziemlich verantwortungslos.
({11})
Ich will mich um die schwierigen Punkte aber nicht
herumdrücken: Die größte Einnahmeverbesserung
macht natürlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer aus.
Wir haben in der vorvorigen Woche eine Anhörung im
Haushaltsausschuss gehabt, bei der eine ganze Reihe
von Sachverständigen eingeladen war, zum Beispiel
Herr Professor Dr. Rürup, Dr. Heise, Chefvolkswirt der
Allianz. Vor allem Professor Engels, der Präsident des
Bundesrechnungshofs, hat sehr deutlich gemacht, dass
es sowohl aus politischen als auch aus ökonomischen
und ethischen Gründen kurzfristige Erfolge braucht, die
ausschließlich auf der Ausgabenseite nicht zu erreichen
sind.
Von daher brauchen wir eine deutliche Verbesserung
auf der Einnahmeseite, um die staatlichen Leistungen,
die wir wollen, finanzieren zu können. Das ist für mich
eine Frage von sozialer Gerechtigkeit, sozialem Ausgleich und Chancengerechtigkeit. Wenn wir zum Beispiel im Rahmen des Investitionsprogramms 6 Milliarden Euro in Forschung und Bildung stecken wollen
- Frau Flach, Sie sind beim Ausgeben immer fleißig mit
dabei -, dann müssen wir auch für die Finanzierung sorgen und müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen,
dass sie dafür Steuern zahlen müssen.
({12})
Ich denke, dass die für mich zum Teil unerwartete Zustimmung der Sachverständigen zu unserem Kurs Begründung genug ist, um Ihnen die Annahme des Gesetzes zu empfehlen.
({13})
Für Waren des täglichen Bedarfs gilt der ermäßigte
Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Dieser Satz wird
nicht verändert. Ich finde, das sozial vertretbar.
Ich will auf einige ausgewählte Maßnahmen zu sprechen kommen. Die SPD hat sich dafür eingesetzt, dass
die jährliche Sonderzahlung für Besoldungs- und Versorgungsempfänger des Bundes, kurz: Weihnachtsgeld, die
im Rahmen dieses Maßnahmenpakets halbiert wird - das
ist ein Beitrag zur Konsolidierung auf der Ausgabenseite -,
für die Bezieher der niedrigen Besoldungsgruppen von
A 2 bis A 8 um 25 Euro erhöht wird.
({14})
Des Weiteren haben die Mitglieder der Bundesregierung
und die Parlamentarischen Staatssekretäre auf die jährliche Sonderzahlung verzichtet.
Carsten Schneider ({15})
Ein weiterer wichtiger Konsolidierungsbeitrag wird
bei den Mitteln aus dem Regionalisierungsgesetz vorgenommen. Wir haben den Revisionstermin vorgezogen.
Das ist eine Verabredung aus den Koalitionsverhandlungen, die im Koalitionsvertrag steht, der auch die Ministerpräsidenten der Länder in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Parteien zugestimmt haben. Ich will ganz
deutlich sagen, dass ich fest davon ausgehe, dass im
Bundesrat die Änderungen im Regionalisierungsgesetz
mitgetragen werden. Alles andere wäre für die Koalition
sehr kritisch. Bund und Länder wollen gemeinsam für
die Konsolidierung der Haushalte sorgen wollen. Die
Länder bekommen schließlich einen Punkt der Mehrwertsteuererhöhung. Beim Bund selbst bleibt auch nur
ein Punkt. Einen Punkt nehmen wir, um die Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu senken und so Arbeit billiger zu machen. Ich hoffe, dass die Bundesländer, denen
wir mit dem vorgezogenen Revisionstermin entgegengekommen sind, zu ihren Zusagen stehen.
({16})
Mein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Deutsche Bundesbank. Wir haben in diesem
Gesetzentwurf eine Kürzung der Bundesbankzulage vorgesehen. Das bringt im Ergebnis bei voller Wirksamkeit
einen Konsolidierungsbeitrag von 42 Millionen Euro.
Der Präsident der Bundesbank, Herr Weber, hat in der
Bilanzpressekonferenz ausgeführt, dass zusätzlich noch
1 000 Stellen gestrichen werden. Ich halte diesen Umstrukturierungsprozess der Bundesbank für richtig. Wir
im Deutschen Bundestag sollten uns aber sobald wie
möglich mit einer Novelle des Bundesbankgesetzes beschäftigen. Denn es kann nicht sein, dass die einfachen
Angestellten entlassen werden und deren Aufgaben wegfallen, es beim Wasserkopf des Vorstandes aber bei der
gleichen Anzahl von Vorstandsmitgliedern bleibt. Deswegen sage ich für die SPD-Fraktion ausdrücklich, dass
es nach dem Ausscheiden von zwei Mitgliedern im
nächsten Jahr zu keiner Neubesetzung ihrer Posten
kommt, solange nicht eine Novelle des Bundesbankgesetzes vorgenommen wurde. Ich glaube, dass dies die
Arbeitsfähigkeit nicht einschränken wird, für uns aber
die Handlungsmöglichkeiten offen hält, dort maßgeblich
einzugreifen.
Vielen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Haushaltsbegleitgesetz ist ein schlichter Etikettenschwindel.
({0})
Es handelt sich in Wirklichkeit um ein reines Steuererhöhungsgesetz und um nicht anderes. Die Menschen in diesem Lande müssen wissen, was auf sie zukommt, nämlich Belastungen, die vor allen Dingen die kleinen Leute
treffen werden, die Rentner und die Arbeitnehmer, die
nicht ausweichen können. Genau diese Gruppe wird getroffen, genau die Gruppe, die Sie rhetorisch immer in
Schutz nehmen.
({1})
Gleichzeitig ist bekannt geworden, dass der Staat über
zehn Jahre hinweg Mehrausgaben von 20 Milliarden
Euro getätigt hat und Mehreinnahmen hatte. Herr
Steinbrück, Sie sagen immer, wir müssten zu Einnahmesteigerungen kommen, nehmen aber trotzdem für sich
in Anspruch, mehr Geld auszugeben. Den Menschen
bürden Sie weitere Steuererhöhungen auf. Das ist etwas,
Herr Schneider, was eine liberale Partei nie mitmachen
wird.
({2})
Damit sind wir auch schon bei der Anhörung zu den
Steuerplänen. Sie haben eben zur Unterstützung Ihrer
Politik zwei Experten angeführt. Diese beiden Experten
waren die Einzigen, die Ihrer Meinung waren.
({3})
Besonders interessant war, dass der hoch gelobte Professor Rürup gar nicht anwesend war.
({4})
Über die Medien ließ er uns mitteilen, was wir glauben
sollten. Vier Wochen vorher hat er in den Medien jedoch
genau das Gegenteil erzählt. So viel zu der Konsistenz
Ihrer Experten. Darauf können wir uns einfach nicht verlassen.
({5})
Ein Wort zu Professor Engels. Natürlich hat er gesagt,
man könne ad hoc nur in einem gewissen Umfang sparen. Aber er hat auf unsere Frage, wann dies denn möglich sei, geantwortet, dies sei möglich, wenn Sie die
Reformen anpackten, die Sie offensichtlich so eisern vor
sich herschieben.
({6})
Auch dies hat er in der Anhörung erklärt. In dem Augenblick, in dem Sie zu Reformen bereit sind, sind Sie in der
Lage, die erforderlichen Einsparungen vorzunehmen.
Das hat Ihnen selbst dieser Experte bestätigt.
({7})
Heute wollen wir uns vordringlich mit der Inkonsistenz Ihrer Politik befassen. Sie haben eben auf das
25-Milliarden-Euro-Ausgabenprogramm abgehoben,
Herr Schneider, in dem sich noch viele alte Subventionstöpfchen befinden. Ich will an dieser Stelle betonen:
Gleichzeitig wird den Bürgern ein Vielfaches davon aus
der Tasche gezogen. 115 Milliarden Euro in vier Jahren
verlieren die Menschen in diesem Lande, während Sie
mit einem kleinen Ausgabenpaketchen von 25 Milliarden Euro dagegensetzen.
({8})
Über den Verschiebebahnhof Sozialkassen werden
der Rentenversicherung über drei Jahre 6,6 Milliarden
Euro entzogen. Die Krankenkassen verlieren 11,1 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen. Gleichzeitig geben
die Rentenschätzer am heutigen Tag bekannt: 2008 wird
es im Rentensystem zu einem Fehlbetrag von 2,5 Milliarden Euro kommen.
({9})
Bei einem Ausgleich über die Beitragszahler müsste der
Beitragssatz auf über 20 Prozent steigen. Ich wundere
mich darüber, Herr Steinbrück, weil Sie das sonst uns
immer vorwerfen. Aber genau dies passiert unter Ihrer
Ägide. Sie haben nichts in der Hand, um das zu verhindern.
({10})
Was wir kritisieren, ist, dass Sie an dem richtig erkannten Ziel einer nachhaltigen Konsolidierung des
Haushaltes offensichtlich nicht wirklich interessiert sind.
Sie konsolidieren fast ausschließlich über die Einnahmeseite.
({11})
Damit werden Sie zwar 2007 - unserer Meinung nach
wird Ihnen das sogar schon dieses Jahr gelingen - die
Maastrichtkriterien und auch die Verfassung einhalten.
Aber die Kernprobleme packen Sie nicht an. Sie selbst
haben in Ihrer berühmten Rede gesagt, Herr Minister:
Wir müssen weg von den konsumtiven Ausgaben und
hin zu den investiven. Wir müssen unsere sozialen Sicherungssysteme von der fatalen Logik des Arbeitsmarktes entkoppeln. Wenn wir bei hoher Arbeitslosigkeit Geld zum Gegensteuern brauchen, geraten auch die
sozialen Systeme unter Druck. Das wäre die historische
Rolle der großen Koalition.
Das sage ich auch ausdrücklich Frau Merkel, die gestern im Haushaltsausschuss versucht hat, dieses unsinnige Vorgehen zu verteidigen. Das ist Ihre Aufgabe: Sie
haben die nötige breite Mehrheit, um genau an dieser
Stelle Reformen anzusetzen und die Menschen nicht
einseitig zu belasten, während Sie selbst sich nur mit
Trippelschrittchen fortbewegen.
({12})
Beispiele dafür sind die Gesundheitsreform oder die Reform des Arbeitsmarktes. Ich bin froh, Herr Kampeter,
dass Sie bei der Reform des Arbeitsmarktes ganz unserer
Meinung sind. Es wäre aber schön, wenn Sie sich damit
in der Koalition durchsetzen könnten. Ein anderes Beispiel ist die Unternehmensteuerreform.
({13})
Im Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsinstitute wird
deutlich, dass nicht nur die FDP diese Meinung vertritt.
Klipp und klar wird Ihnen dort ins Stammbuch geschrieben:
Der unstete Kurs der Finanzpolitik destabilisiert zudem die Konjunktur.
Das ist kein gutes Markenzeichen für die große Koalition.
({14})
Die Bewährungsprobe, Herr Steinbrück, steht Ihnen
in den nächsten Monaten bevor. Bei steigenden Steuereinnahmen werden Sie jede Menge Wünsche Ihrer Kabinettskollegen abwehren und verweigern müssen. Wie
wir gerade bei Herrn Jung gehört haben, will er „mal
eben so“ weitere Mittel für den Kongoeinsatz. Das geht
eben nicht „mal eben so“, sondern diese Mittel müssen
im Haushalt umgeschichtet werden. Das aber tun Sie
nicht.
Herr Schneider hat eben darauf verwiesen, dass Ihnen
die FDP Sparvorschläge vorgelegt hat. In ein paar Wochen wird es dann zu der üblichen Debatte kommen. Unsere Sparvorschläge haben schon jetzt ein Volumen von
ungefähr 7 Milliarden Euro. Das sind die Vorschläge der
Opposition. Wenn wir an der Macht wären, hätten wir
die entsprechenden Reformen durchgeführt, um so wesentlich mehr Mittel hereinzuholen. Das ist der Punkt.
({15})
Wenn ich Ihnen einmal einen kleinen Ratschlag auf den
Weg geben darf: Gehen Sie doch auf Kollegen Kampeter
ein! Gehen Sie auf die Vorschläge der Union zur Arbeitsmarktreform ein! Folgen Sie beispielsweise unseren
Vorschlägen zu den Eingliederungshilfen auf dem Arbeitsmarkt! Allein das sind 3 Milliarden Euro.
({16})
So viel erst einmal als Einstieg. Wir werden noch viel
Gelegenheit haben, uns darüber auszutauschen.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegen Michael Meister, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend über den Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006. Wir legen mit diesem Gesetz
das Fundament für die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Wir werden die Verschuldungsgrenze unseres
Grundgesetzes wieder im eigentlichen Sinne einhalten,
genauso wie den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wir werden einen Schlusspunkt unter die ständig steigende Staatsverschuldung setzen. Schluss mit
einer Politik, die - wie in der Vergangenheit geschehen Verteilungskonflikte auf dem Rücken künftiger Genera3120
tionen löst und ihnen damit die Freiheit nimmt, selbstbestimmt zu entscheiden, was sie für richtig halten.
Politik ist kein Wunschkonzert. Es beginnt mit einem
Blick auf die Realitäten. Politik muss manchmal Entscheidungen treffen, die dem Lande und den Menschen
zugute kommen, und zwar mittel- und langfristig, die dafür sorgen, dass der Wohlstand gemehrt wird, die aber an
dem Tag, an dem sie getroffen werden, unangenehm
sind.
Das ist wie mit der Medizin bei einem Kranken: Sie
schmeckt manchmal bitter, hilft ihm jedoch, zu gesunden, sein Wohlbefinden zurückzuerlangen und wieder
das Leben zu genießen.
Wir werden heute die notwendigen Entscheidungen
für die Zukunft treffen. Ich glaube, mit dem Haushaltsbegleitgesetz legen wir ein klares Bekenntnis zu mehr
Freiheit für die Menschen ab, Frau Flach. Wir geben
künftigen Generationen Entscheidungsoptionen zurück,
die diesen Generationen durch eine steigende Staatsverschuldung genommen würden. Das ist liberale Politik.
({0})
Wir schaffen damit die Voraussetzungen für bessere
strukturelle Wachstumschancen in unserem Lande. Hans
Eichel hat gesagt: Die Schulden von heute sind die Steuern und Abgaben von morgen. Jeder weiß, dass er künftig mit nicht zu beziffernden Steuer- und Abgabenerhöhungen rechnen muss, wenn der Staat nicht haushaltet.
Dies belastet die Entwicklung der Wirtschaft und der
Beschäftigung. Wir leisten nun einen positiven strukturellen Beitrag für die Entwicklung unseres Landes.
({1})
Liebe Frau Flach, täuschen Sie bitte nicht die Öffentlichkeit. Sie haben zu Beginn Ihrer Rede dargelegt, wir
müssten das über Ausgabenkürzungen leisten, um wenig später die Ausgabenkürzungen, die wir heute beschließen, zu kritisieren und zu fordern, diese Ausgabenkürzungen dürfte es nicht geben. Sie täuschen die
Öffentlichkeit, wenn Sie sagen, die im Haushaltsbegleitgesetz vorgesehenen Ausgabenkürzungen in Höhe von
6 Milliarden Euro seien falsch, anschließend erklären, es
müssten 7 Milliarden Euro auf der Ausgabenseite gekürzt werden, und gleichzeitig behaupten, damit sei eine
Lücke im Bundeshaushalt in Höhe von über
60 Milliarden Euro zu schließen. Das hat nichts mehr
mit der Realität zu tun. Das ist Wunschdenken und
Populismus, aber kein Lösungsansatz.
({2})
Ich gebe gerne zu: Wir sind zu spät. Wir hätten die
jetzige Kurskorrektur um Jahre früher einleiten sollen.
Dann hätten wir es leichter.
({3})
- Frau Flach, Sie sagen zwar Ja. Aber ich glaube, es gibt
niemanden in diesem Saal, der sich dieser Kritik ernsthaft entziehen kann. Alle sind gemeint, auch Ihre Fraktion.
Kollege Meister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Gerne, Herr Koppelin.
Bitte, Herr Koppelin.
Herr Kollege, da ich das nicht ganz verstanden habe,
frage ich nach:
({0})
Verstehen Sie unter Ausgabenkürzungen, dass Sie den
Menschen in die Tasche greifen und sie abkassieren?
Ich erkläre Ihnen das gerne, Herr Koppelin. Das
Haushaltsbegleitgesetz 2006, das als Entwurf vorliegt,
sieht vor, die Sonderzahlungen an unsere Bediensteten
zu halbieren sowie die Subventionen, beispielsweise die
Regionalisierungsmittel, und die Ausgaben des Bundes
für die Sozialversicherung - Ihre Kollegin Flach hat bereits darauf hingewiesen - zurückzufahren. Damit bewirken wir, dass die Finanzpolitik Druck ausübt und so
strukturelle Reformen zustande kommen. Es ist ein Widerspruch, einerseits Ausgabenkürzungen zu fordern,
und andererseits zu kritisieren, dass sie nach Verabschiedung des heute zu beratenden Gesetzentwurfs vorgenommen werden.
({0})
Lesen Sie bitte den Gesetzestext! Ich sorge auch gern für
Aufklärung.
Da ich gerade über Strukturen rede: Es geht hier nicht
nur um das Ausgabenniveau, sondern wirklich um
Strukturveränderungen, zum Beispiel bei der Bundesagentur für Arbeit. Ihr wird kein Geld weggenommen.
Durch die Ankündigung, dass sie in Zukunft keine Zuschüsse mehr bekommt, sondern höchstens noch Liquiditätshilfen, wird ein Druck erzeugt, der bewirkt, dass
auch dort Strukturen verändert werden und dass die
Arbeitsmarktpolitik in Deutschland effektiver wird. Die
Finanzpolitik muss diesen Druck machen, damit es zu
Strukturreformen in unserem Land kommt.
Sie haben die Themen „Mehrwertsteuer“ und „Versicherungssteuer“ angesprochen. Es ist richtig: Wir erhöhen die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Wir
werden damit Mehreinnahmen in einer Höhe von etwa
24 Milliarden Euro generieren. Man mag das als Steuererhöhung geißeln. Ich wünsche mir, dass diejenigen, die
von den größten Steuererhöhungen in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland sprechen, auch einmal erklären, dass wir gleichzeitg die größte Senkung der
Lohnnebenkosten in der Geschichte dieser Republik
durchführen: Wir senken nämlich den ArbeitslosenversiDr. Michael Meister
cherungsbeitrag um 2 Prozentpunkte. Das ist ein Beitrag
zu mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum.
({1})
Wer hier historische Dimensionen bemüht, der möge alle
historischen Dimensionen benennen und nicht nur diejenigen, die ihm gefallen.
Als wir im November hier über die Regierungspolitik
diskutiert haben, habe ich die Oppositionsfraktionen gebeten, uns Alternativvorschläge vorzulegen, wie wir im
Jahre 2007 kassenwirksam dafür sorgen können, dass
Art. 115 des Grundgesetzes und der Vertrag von
Maastricht in ihrem Regelgehalt eingehalten werden. Ich
habe dazu aufgefordert.
Frau Flach, Sie haben angekündigt, dass durch die
Verabschiedung Ihres Entschließungsantrags 7 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
({2})
Um zu leisten, was wir leisten wollen, brauchen wir aber
ein Volumen von mehr als 30 Milliarden Euro. Sie haben
mit Ihrem Entschließungsantrag deutlich gemacht, dass
Sie kein Alternativkonzept haben. Sie sind bis zum heutigen Tage schuldig geblieben, eine Alternative zu unserer Vorgehensweise vorzulegen.
({3})
Sie haben zu Recht Herrn Professor Rürup zitiert. Er
schreibt in seiner Stellungnahme:
Über die ökonomisch sinnvolle Konsolidierungsstrategie - Streichen von steuerlichen Ausnahmetatbeständen und Ausgabenkürzungen - lässt sich
ein verfassungsgemäßer Bundeshaushalt im Jahr
2007 nicht realisieren, denn diese Strategie erfordert Zeit.
An dieser Stelle hat der Vorsitzende des Sachverständigenrats also deutlich gemacht, dass das Ziel allein auf
diesem Weg nicht erreicht werden kann. Man muss also
erklären, dass man den Bundeshaushalt in dieser Zeit
nicht konsolidieren will oder dass man kein Konzept hat,
das eine Alternative zu dem darstellt, was wir hier vorlegen. Dann muss man sich auf den von uns eingeschlagenen Weg begeben.
Wir nehmen im Übrigen auch Strukturreformen vor.
Über die Sozialsysteme habe ich gesprochen. Der Bürokratieabbau ist auf den Weg gebracht. Über das Thema
Föderalismusreform haben wir heute Morgen gesprochen; außerdem haben dazu in dieser Woche Anhörungen stattgefunden. Heute früh haben wir auch über Forschung und Entwicklung diskutiert. Das heißt, wir reden
nicht nur über die Quantitäten im Bundeshaushalt, sondern auch über massive Strukturveränderungen in unserem Land. Angesichts dessen können Sie hier doch nicht
behaupten, es würden keine strukturellen Änderungen
vorgenommen. Ich wiederhole: Wir nehmen auch Strukturreformen vor.
({4})
Seien Sie gewiss: Wir werden Veränderungen vornehmen. Wir bitten Sie und laden Sie ganz herzlich dazu
ein, mitzumachen. Diese Strukturveränderungen sind für
unser Land zwingend notwendig.
({5})
Ich will noch auf Folgendes hinweisen: Wir haben
keine Zeit zu verlieren; wir sind schon spät dran. Welches Beispiel geben wir den Staaten Mittelosteuropas,
wenn wir die Maastrichtkriterien seit Jahren nicht einhalten und diesen Ländern gleichzeitig abverlangen, genau diese Kriterien einzuhalten. So sind wir doch kein
vernünftiges Vorbild. Noch einmal: Wir haben nicht beliebig viel Zeit. Wir müssen hier und heute mit der Haushaltskonsolidierung, aber auch mit den strukturellen Veränderungen beginnen.
({6})
Ich möchte an dieser Stelle die Frage aufgreifen: Gibt
es eine andere Möglichkeit? Nein! Wir haben an dieser
Stelle zwischen zwei Übeln zu wählen: zwischen dem
Übel einer wachsenden Staatsverschuldung und dem
Übel Steuererhöhungen. Ich darf noch einmal Herrn
Rürup zitieren:
Wer in soliden, sich in verfassungskonformen
Haushalten dokumentierenden Staatsfinanzen ein …
erstrebenswertes Ziel erachtet, der wird in der vorgesehenen Verwendung der Mittel aus der erhöhten
Umsatzsteuer zu Konsolidierungszwecken das kleinere Übel sehen.
Der Vorschlag der Koalition - die Sachverständigen unterstützen ihn eindeutig - macht dem Streit über die Verwendung der Mehrwertsteuer ein Ende. Er wird auch
von Sachverständigen eindeutig befürwortet.
Zu der Frage, ob uns das Vorhaben belasten oder beim
Wachstum helfen wird, verweise ich auf das, was EUGeneraldirektor Regling zum Wachstum gesagt hat.
Selbstverständlich wird sich die Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Versicherungsteuer zunächst auf die
Konjunktur auswirken. Aber in diesem Land steht nicht
die konjunkturelle Entwicklung infrage - damit haben
Sie völlig Recht, Frau Flach; sie ist glücklicherweise
zurzeit positiv -; unser zentrales Problem sind vielmehr
die Strukturen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass
eine strukturell bedingte geringere Staatsverschuldung
zu besseren Wachstumschancen führen wird.
Sie sollten diesem Argument folgen, statt hier ein
Bild zu zeichnen, das auf Dauer nicht ernst genommen
werden kann. Vielmehr sollten Sie in Ihren Beiträgen
versuchen, die wirklichen Probleme des Landes zu lösen. Eine massive Aufgabe ist die Reduzierung der
Staatsverschuldung. Diese Koalition stellt sich dieser
Herausforderung.
Die wirtschaftliche Entwicklung gewinnt glücklicherweise an Fahrt. Wir werden diese positive konjunkturelle
Entwicklung nutzen, um die notwendigen Entscheidungen in unserem Land anzugehen und umzusetzen. Wir
haben schon einiges dafür getan - auch das sollten wir
nicht ausblenden -, um die binnenwirtschaftlichen
Wachstumskräfte zu fördern. Forschung und Entwicklung habe ich bereits angesprochen. Es geht aber auch
um die Stärkung der Infrastrukturausgaben und um die
Frage, in welchen Bereichen in unserem Land neue
Arbeitsplätze entstehen können. Ich nenne in diesem
Zusammenhang nur die privaten Haushalte oder das
Handwerk. Die Koalition hat bereits begleitende Maßnahmen durchgeführt, um die Entwicklung in den Bereichen Beschäftigung und Wirtschaft wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ich glaube, die Menschen in
unserem Lande fassen mittlerweile wieder Vertrauen und
glauben, dass die Politik Veränderungen bewirken kann,
die mittel- und langfristig zu einem besseren Umfeld
führen.
({7})
Ich möchte aber auch deutlich machen, dass über
strukturelle Reformen nicht nur diskutiert wird; sie sind
- das habe ich bereits ausgeführt - zum Teil bereits auf
den Weg gebracht worden. Sie haben völlig Recht: Wir
müssen weitere Strukturreformen durchführen. So ist die
Abkopplung der Sozialabgaben vom Faktor Arbeit
eine wichtige Aufgabe, der wir uns bereits widmen.
({8})
Derzeit wird eine Konzeption zur Gesundheitsreform
entwickelt.
({9})
Wir diskutieren über die Frage der Unternehmensteuerreform und haben vereinbart, uns noch vor der Sommerpause über die Eckpunkte dieser Reform zu einigen.
Das heißt, wir werden den von uns vorgegebenen Zeitrahmen einhalten und für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen sorgen.
({10})
Insofern lade ich Sie ein, sich bei der Lösung dieser
zentralen Probleme konstruktiv einzubringen, statt lediglich den Neinsager zu spielen und die Vorhaben als nicht
notwendig zu bezeichnen. Wir diskutieren sehr gerne mit
Ihnen über Ihre Alternativen und sind erfreut, wenn Sie
eigene Vorschläge vorlegen. Aber sie müssen auch zur
Lösung der Probleme beitragen.
In diesem Sinne möchte ich alle Kollegen einladen,
einen Beitrag zu leisten, indem sie dem vorliegenden
Gesetzentwurf zustimmen. Ich hoffe auf ein gutes Gelingen.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Gregor Gysi, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition erklärt zu Recht, dass dem Bund, den
Ländern und den Kommunen Geld fehlt, weil die Ausgaben höher sind als die Einnahmen. Sie erklären allerdings nicht, woran das liegt. Sie gehen mit keinem Wort
auf die Ursachen ein.
Ich darf daran erinnern, dass die vorherige Regierung
aus SPD und Grünen die größten Steuersenkungen in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschlossen hat und dass deshalb jetzt die Einnahmen fehlen.
({0})
Dabei ist der Körperschaftsteuersatz von 40 auf
25 Prozent gesenkt worden.
Ich darf Sie auch an etwas erinnern, was Sie längst
vergessen haben. Es gab früher eine Steuer, die Unternehmen auf Verkaufserlöse zahlen mussten. Damals
musste zum Beispiel die Deutsche Bank als Kapitalgesellschaft den vollen Steuersatz und der Bäckermeister
den halben Steuersatz zahlen. Sie haben das geändert:
Jetzt muss der Bäckermeister den vollen Steuersatz zahlen und die Deutsche Bank gar nichts mehr. Das war die
Entscheidung der Regierung aus SPD und Grünen.
({1})
Sie haben zusammen mit der Union und der FDP den
Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 53 auf
42 Prozent - also um 11 Prozentpunkte - gesenkt. Rechnen Sie sich einmal aus, was Herr Ackermann dadurch
an Steuern spart! Das würde mancher in dieser Gesellschaft gerne verdienen.
({2})
Nachdem Sie das alles gemacht haben und die SPD
entgegen ihren Versprechungen natürlich keine Vermögensteuer eingeführt hat, haben wir jetzt ein Einnahmedefizit. Nun ist die interessante Frage: Wie decken Sie
dieses Defizit?
Was haben die Konzerne gemacht? Ihr Versprechen
war: Die Senkung der Körperschaftsteuer und alle anderen Senkungen führen zu einer Fülle von Arbeitsplätzen. - Die Konzernleitungen verhöhnen die Politik.
30 DAX-Konzerne haben im letzten Jahr einen Gewinnzuwachs um 36 Prozent erzielt. Sie machen Pressekonferenzen, bedanken sich bei der Politik für die wunderbaren Steuersenkungen, geben Riesengewinne bekannt
und erklären: Das nutzen wir, um noch einmal 8 000
oder 10 000 Leute zu entlassen.
({3})
Wenn man so verhöhnt wird, kann man doch wenigstens die Kraft haben, zu sagen: Wenn ihr riesige Gewinne habt und noch zusätzlich Leute entlasst, statt welche einzustellen, verlangen wir von euch wieder
gerechte Steuern. Aber auf diese Idee kommt niemand in
der SPD und in der Union schon gar nicht; Sie machen
gänzlich andere Vorschläge.
Die Defizite, die Sie selber verursacht haben, wollen
Sie dadurch decken, dass Sie den Mehrwertsteuersatz
um 3 Prozentpunkte erhöhen. Aber die Mehrwertsteuer
bezahlen Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das heißt, was Sie den
Konzernen, den Best- und Besserverdienenden geschenkt haben, holen Sie sich jetzt von der normalen Bevölkerung zurück, und zwar ohne jeden Ausgleich. Das
ist sozial unerträglich.
({4})
Wir können gern über Tatsachen reden. 10 Prozent der
Haushalte in Deutschland besitzen 57 Prozent des Eigentums und Vermögens.
({5})
Die unteren 50 Prozent der Haushalte besitzen 4 Prozent
des Eigentums und Vermögens. Diese 50 Prozent müssen die Erhöhung der Mehrwertsteuer genauso mittragen
wie alle anderen, aber es fällt ihnen sichtbar sehr schwer.
Deshalb ist es so unerträglich, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
({6})
Die Versicherungsteuer erhöhen Sie auch gleich um
3 Prozentpunkte. Das ist spannend. Sie reden immer davon, dass die gesetzliche Rente nicht mehr reicht und
sich die Leute privat versichern müssen. Was machen
Sie aber als Nächstes? Sie erhöhen die Versicherungsteuer, damit sie es sich nicht leisten können.
({7})
Dann sage ich noch etwas zu den kleinen und mittleren Unternehmen.
({8})
Es gibt sehr viele kleine und mittlere Unternehmen, die
gerade am Rande ihrer Existenz sind. Wenn die ihre Produkte mit der um 3 Prozentpunkte erhöhten Mehrwertsteuer verkaufen müssen, verkaufen sie weniger. Dann
kommt es zu Insolvenzen und in der Folge wieder zu
mehr Arbeitslosen. Ich höre schon, wie Sie dann wieder
versuchen, die Sätze beim ALG II zu reduzieren. Der
Weg, den Sie hier gehen, ist der falsche Weg.
({9})
Heute Abend - Sie trennen das so schön - soll noch
so ein Gesetz der Koalition beschlossen werden. Sie machen das nicht einmal am Tag, Sie machen das mehrfach,
wenn Sie die Leute schröpfen wollen.
({10})
Heute Abend geht es zum Beispiel um die Senkung der
Pendlerpauschale. Das bedeutet, dass man erst ab einem
Weg von 21 Kilometern etwas geltend machen kann.
Das heißt, 51 Prozent derjenigen, die heute in den Genuss der Pendlerpauschale kommen, sollen anschließend
nichts mehr erhalten und 49 Prozent werden deutlich
weniger erhalten - und das in einer Zeit, in der die Union
ständig vom flexiblen Arbeitsmarkt redet. Der flexible
Arbeitsmarkt ist familienzerstörend. Sie sagen aber: Die
Leute müssen für einen Arbeitsplatz oder Ausbildungsplatz weit fahren. Aber die Pendlerpauschale, also die
Erstattung der damit verbundenen Kosten, reduzieren
Sie.
In der Föderalismusdebatte sagen Sie auch noch: Wir
machen 16 verschiedene Bildungssysteme in Deutschland. Dann handeln eben die Eltern verantwortungslos,
wenn sie mit schulpflichtigen Kindern das Bundesland
wechseln, um einer neuen Arbeit nachgehen zu können.
Sie müssen doch wenigstens Logik in Ihre Politik bringen! Das eine muss zu dem anderen passen!
({11})
Dabei belassen Sie es nicht. Sie senken den Sparerfreibetrag. Sie halbieren ihn, damit auch die Leute mit
kleinen Sparguthaben endlich Steuern bezahlen müssen.
({12})
Sie senken die Ausgaben beim Kindergeld, indem
Sie festlegen: Auszubildende junge Erwachsene bekommen es nicht mehr.
Dann führen Sie noch - sehr sozialdemokratisch eine Reichensteuer ein. Lassen Sie uns kurz über die
Reichensteuer reden! Einkommen von Unternehmen und
Selbstständigen zählen da gar nicht. Es muss sich also
um jemanden handeln, der fest angestellt ist und mehr
als 250 000 Euro im Jahr verdient; falls es um Verheiratete geht, müssen beide zusammen mehr als
500 000 Euro verdienen, und zwar nach Abzug von
Steuerfreibeträgen etc.
({13})
Dazu muss man den Leuten Folgendes sagen:
({14})
Wenn ein Einzelner nach Abzug der Steuerfreibeträge
aus einem festen Anstellungsverhältnis meinetwegen
260 000 Euro im Jahr verdient, dann verlangen Sie nur
für 10 000 Euro eine um 3 Prozentpunkte höhere Steuer.
({15})
Es gibt eine Art der Verhöhnung, die die Bevölkerung
nicht verdient hat.
({16})
Entweder Sie machen eine richtige Reichensteuer oder
Sie lassen es bleiben.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegin Anja Hajduk, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Meister hat in seiner Rede gesagt: „Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen“ und damit
Herrn Eichel zitiert. Lieber Herr Meister, das war eine
Mahnung; das war nicht als Programm gemeint. Aber
die große Koalition will dieses Jahr mindestens
38 Milliarden Euro Schulden aufnehmen, damit sie 2007
die dickste Steuererhöhung vornehmen kann. Das ist ein
grobes Missverständnis; wachen Sie auf!
({0})
Wir reden heute hier über das Haushaltsbegleitgesetz
2006, das einen großen Anteil an dem, wie ich finde,
komplett missverstandenen Programm hat. Ich will zu
Beginn aber eines sagen - zumal ich weiß, dass Herr
Steinbrück immer genau aufpasst, was die Opposition
vorschlägt, und nachher, um es salopp zu sagen, gerne
Noten verteilt -: Es ist nicht alles falsch, was in diesem
Haushaltsbegleitgesetz steht.
({1})
Es gibt auch Einsparvorschläge, die wir von der Grünenfraktion ausdrücklich mittragen. Dass die Zulage bei der
Deutschen Bundesbank abgeschmolzen wird, halte ich
in dieser Situation für angemessen. Es gibt auch Einsparungen bei den Mitarbeitern im öffentlichen Dienst, die
sicherlich schwer, aber angemessen sind. Da werden wir
uns nicht, wie man das so sagt, vom Acker machen.
Dieses Haushaltsbegleitgesetz soll, wenn man Sie an
Ihren eigenen Ansprüchen misst, Grundlage für eine
Konsolidierungspolitik sein.
({2})
Ich kann allerdings nur feststellen: Erstens. In diesem
Jahr, 2006, wollen Sie 38 Milliarden Euro neue Schulden machen. Herr Kampeter hat sogar Sorge, dass die
40-Milliarden-Euro-Grenze dieses Jahr gesprengt wird.
Das ist keine Konsolidierungspolitik; da nützen auch
keine schönen Worte etwas. Und das wirtschaftliche
Umfeld ist gut. Sie haben die Prognose für die Wachstumsentwicklung selber heraufgesetzt. Es ist wirklich
eine Katastrophe und ein Offenbarungseid, dass Sie in
diesem Jahr so hohe Schulden aufnehmen wollen. Aber
das ist leider die aktuelle Situation.
({3})
Zweitens. Im Jahr 2007 wird - davon gehen Sie selber
aus - ein deutlich schwächeres Wachstum zu erwarten
sein. Sie garnieren diese Erwartung mit einer massiven
Mehrwertsteuererhöhung. Das ist wirtschafts- und
finanzpolitischer Unsinn. Den Haushalt 2006 rechtsherum und den Haushalt 2007 linksherum zu stricken, ist
keine konsistente Politik. Das ist der Politik unwürdig,
insbesondere bei einer großen Koalition. Vielleicht müssen wir lernen, dass solche Widersprüche typisch für die
große Koalition sind.
({4})
Ich möchte auch noch etwas zu dem Argument des
EU-Defizitverfahrens und des Maastrichtkriteriums
sagen. Einige Minister sagen zurzeit im Haushaltsausschuss, wir bräuchten die Mehrwertsteuererhöhung, damit wir nächstes Jahr nicht im Defizitverfahren in Verzug gesetzt werden und eine milliardenschwere Einlage
leisten müssen. Ich glaube - im Einklang mit vielen Experten -, es verhält sich eher so: Schon dieses Jahr könnten wir das Maastrichtkriterium durchaus einhalten,
wenn wir nicht eine so hohe Verschuldung einplanen
würden. Wenn wir dieses Jahr die 3-Prozent-Marke nicht
überschreiten würden, könnte für das nächste Jahr eine
Streckung erreicht werden.
Wir schlagen vor, durch Steuervergünstigungsabbau
bis zu 5 Milliarden Euro einzusparen. Wenn wir das
Maastrichtkriterium in diesem Jahr einhalten, dann sind
wir im nächsten Jahr in der Lage, eine weitere Absenkung um einen halben Prozentpunkt vorzunehmen.
({5})
- Ich wäre dankbar, wenn die große Koalition nicht auch
noch während einer Rede von der Opposition in der Debatte meinte, in Zwiegespräche mit der Ministerbank
eintreten zu müssen. Ich finde, das gehört sich in dieser
Situation nicht.
({6})
Herr Steinbrück, Sie planen, das Haushaltsdefizit
stoßweise abzubauen; dieses Jahr solle die Grenze von
3 Prozent nicht eingehalten werden, aber nächstes Jahr
solle man gleich unter 2 Prozent bleiben. Das ist eine abrupte Politik, die eine gesunde finanzpolitische und wirtschaftliche Entwicklung nicht zulässt. Wenn Sie dieses
Jahr unter 3 Prozent bleiben, können Sie im nächsten
Jahr eine Senkung um 0,5 Prozentpunkte vornehmen.
Dann können Sie auf den Schock der Mehrwertsteuererhöhung verzichten.
({7})
Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen. Der
Präsident des Bundesrechnungshofes, der als Experte zu
unserer Anhörung eingeladen war, hat gesagt, man
könne den Haushalt nicht nur auf der Ausgabenseite
konsolidieren.
({8})
Das ist richtig und das erkennen wir Grüne auch an. Wir
waren gewiss nicht diejenigen, die hinter der CDU/CSU
zurückstanden, als gesagt wurde: Der Haushalt braucht
mehr steuerliche Einnahmen. Wie gesagt, wir halten
- das sehen Sie auch an unserem Antrag - mehr steuerliche Einnahmen durch einen Vergünstigungsabbau für
möglich.
Aber der Präsident des Bundesrechnungshofs hat
auch gesagt: Man kann auf der Ausgabenseite mit Sicherheit Einsparungen in einer Größenordnung von jährlich 2 Milliarden Euro durchsetzen.
({9})
Wir Grüne werden in den nächsten vier Wochen ein konkretes Konzept für eine Ausgabenkürzung in der Größenordnung von 2 Milliarden Euro
({10})
und für einen Steuervergünstigungsabbau in der Größenordnung von mindestens 1,5 Milliarden Euro vorlegen.
Ich bin gespannt, wie Sie sich dazu verhalten wollen.
({11})
Ich komme zu meinem Hauptpunkt. Ich habe es vorhin schon angedeutet: Das Problem der großen Koalition
ist die Maximierung der Widersprüche. Wenn man einen
Haushalt konsolidieren will, dann geht das nur dadurch,
dass man die Beschäftigungssituation verbessert. Herr
Meister hat vorhin gesagt, man solle alle Dimensionen
betrachten. Sie rechtfertigen Ihre Mehrwertsteuererhöhung damit, dass Sie parallel dazu die Beitragspunkte
zur Arbeitslosenversicherung senken wollen.
({12})
Ich kann nur sagen: Hören Sie auf, den Menschen Sand
in die Augen zu streuen; denn das wird schief gehen.
({13})
Folgendes findet hier nämlich statt - das ist bekannt
und ist auch in der Expertenanhörung deutlich
geworden -: Die 3 Prozentpunkte der Mehrwertsteuererhöhung landen komplett in den Haushaltslöchern.
({14})
Ich werde Ihnen sagen, warum. Hören Sie also auf, die
Öffentlichkeit an dieser Stelle zu täuschen!
({15})
1 Prozentpunkt des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung wird wegen der alten rot-grünen Reformen gesenkt. Diese ermöglichen es der Bundesagentur heute, zu
sagen: Wir können den Beitrag im nächsten Jahr um
1 Prozentpunkt senken. - Das hat nichts, aber auch gar
nichts mit der Mehrwertsteuererhöhung zu tun.
({16})
Der zweite Prozentpunkt, um den Sie den Beitrag zur
Arbeitslosenversicherung senken wollen - das könnte
man ja machen -,
({17})
wird mit einer Steuerfinanzierung ausgeglichen.
({18})
Aber das wirkt doch nur, wenn man diese nicht an einer
anderen Stelle aufhebt.
({19})
Betrachten wir einmal alle Dimensionen: die Arbeitslosenversicherung, die Rentenversicherung, die Pflegeversicherung und die Krankenversicherung. Um 1 Prozentpunkt soll der Beitrag zu Arbeitslosenversicherung
gesenkt werden. Schon jetzt steht aber fest: Der Beitrag
zur Rentenversicherung wird nächstes Jahr um 0,4 Prozentpunkte erhöht. Die Rentenexperten sagen: Das wird
wahrscheinlich nicht reichen. Möglicherweise braucht
man sogar 0,6 bis 0,7 Prozentpunkte.
({20})
Zur Krankenversicherung. Sie streichen den Steuerzuschuss an die Krankenversicherung in einer Summe
von über 4 Milliarden Euro. Daneben erhöhen Sie die
Mehrwertsteuer, was die Krankenversicherung noch einmal mit knapp 1 Milliarde Euro belastet. Das heißt, die
Krankenversicherung wird durch Ihre Politik, die sich
im Haushaltbegleitgesetz niederschlägt, mit 5 Milliarden
Euro belastet. Das entspricht einem Beitragssatzrisiko
von 0,5 Prozent. Bei der Pflegeversicherung passiert
nichts. Ich habe zudem noch nicht von der Verhärtung
gesprochen, Frau Merkel, die sowieso im Hinblick auf
die Gesundheitsreform besteht. Mit all dem ist also mindestens 1 Prozentpunkt der Senkung des Beitrages zur
Arbeitslosenversicherung wieder aufgehoben.
Wenn Sie das nicht glauben oder nicht nachvollziehen
können, so sollten Sie von einem ausgehen: Die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer können rechnen. Die
3 Prozentpunkte, die sich durch die Mehrwertsteuererhöhung ergeben, gehen schwarz auf weiß komplett in die
öffentlichen Haushalte. Ihre Darstellung ist eine grobe
Täuschung. Das ist wirtschaftspolitisch fatal für dieses
Land.
({21})
Ich möchte noch darauf eingehen, dass Herr
Steinbrück Druck auf die Gesundheitsreform in dem
Sinne ausüben möchte, dass dieser Bereich effizienter
wird.
({22})
Dagegen haben wir nichts. Wir haben dieses Ziel auch
bei unseren politischen Maßnahmen stets verfolgt. Man
muss Geduld haben. Ich sehe ein, dass man da einen langen Weg vor sich hat.
Ich will Ihnen aber eines sagen: Die Milliarden, die
Sie der Krankenversicherung durch die Kürzung des
Bundeszuschusses wegnehmen, sind eigentlich dazu da,
das Mutterschaftsgeld bei einer Schwangerschaft und
das Krankengeld für Eltern bei Erkrankung eines Kindes
zu finanzieren. Bei diesen Leistungen kann es nicht um
Effizienzen gehen. Wollen Sie weniger Schwangerschaften, weniger kranke Kinder? Das sind doch die versicherungsfremden Leistungen der Krankenversicherungen,
auf denen gerade kein Effizienzsteigerungsdruck liegt.
Einen solchen Druck muss es in ganz anderen Bereichen
geben, wie etwa im Arzneimittelbereich. Dort ist er zielgenau. Die Rücknahme der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen ist ein politischer Rückschritt
in diesem Land. Herr Steinbrück, das haben Sie zu verantworten. Das ist für Sie als Finanzminister, aber noch
mehr für den Wirtschaftsminister, Herrn Glos, eine fatale
Politikrichtung. Wir werden das leider auf dem Arbeitsmarkt und auch beim Beitragssatz in der Krankenversicherung spüren.
({23})
Ich möchte von daher noch einmal deutlich sagen:
Verkaufen Sie die Öffentlichkeit nicht für dumm! Nach
Ihrer Planung sollen die Menschen ab dem 1. Januar
2007 die höchste Mehrwertsteuererhöhung, die es in diesem Land je gegeben hat, akzeptieren. Angesichts dessen haben die Menschen auch ein Anrecht auf eine
Lösungsperspektive. Die Menschen werden diese Mehrbelastung direkt am 1. Januar spüren, jedoch keine Entlastung bei den Lohnnebenkosten haben. Diese werden
nicht unter 40 Prozent sinken. Insofern wird der positive
Effekt dieser Politik verpuffen.
({24})
Diese große Anstrengung bleibt also ohne Effekt. Die
Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, Erhöhungen
hinzunehmen - das ist meine größte Sorge -, wird also
mit einer solch schlechten Arbeitsmarktpolitik belohnt.
Ihr Mix, den Sie uns in Ihrem Haushaltsbegleitgesetz
vorschlagen, ist in sich widersprüchlich. Der Politikmix
in Deutschland muss in eine andere Richtung gehen:
mehr und höhere Steuern zugunsten des Faktors Arbeit,
Senkung der Abgaben, Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen. Das ist ein schwerer Weg. Wir
haben aber keine Zeit mehr, diesen Gang aufzuschieben.
Wir haben auch keine Zeit mehr, an dieser Stelle den
Rückwärtsgang einzulegen.
Kehren Sie also an dieser Stelle um, ansonsten ist Ihre
Politik eine schwere Hypothek für die Zukunft dieses
Landes!
({25})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Haushaltsbegleitgesetz setzt genau das um,
was die Koalition über den Koalitionsvertrag angekündigt hat. Daran ist nichts Neues. Es ist absolut transparent.
({0})
- Ja, ich setze an den Anfang, dass wir seit einem halben
Jahr wissen, dass dieses Haushaltsbegleitgesetz eines
Tages kommt, und zwar als ein wichtiger Bestandteil,
um eine ausgesprochen problematische Haushaltslage in
den Griff zu bekommen. Wir wollen auf der einen Seite
mit unserer Strategie Wachstum und Beschäftigung fördern, den rechtlichen Rahmen gerade auch für die mittelständische Industrie verbessern, strukturelle Reformen
durchsetzen und auf der anderen Seite die öffentlichen
Haushalte konsolidieren.
Der Begriff „Etikettenschwindel“, mit dem Sie, Frau
Flach, Ihre Rede begonnen haben, wirkt auf Sie zurück.
Sie glauben, dem Publikum weismachen zu können, dass
man eine Diät ohne Anstrengungen durchziehen könne.
Das läuft aber nicht.
({1})
- Nein, Sie als FDP glauben sogar, dass Sie den Menschen versprechen können, trotz der angespannten Haushaltslage könne man darüber hinaus noch Steuern
senken, man könne die öffentlichen Haushalte konsolidieren, ohne Maßnahmen auf der Einnahmeseite durchzuführen. Dies ist zumindest eine Selbsttäuschung. So
weit, zu sagen, dass Sie die anderen täuschen, will ich
gar nicht gehen.
({2})
Sie versuchen, den Menschen weiszumachen, dass
man den Kuchen essen und ihn gleichzeitig behalten
kann. Das funktioniert nicht. Die in Ihren Vorschlägen
enthaltenen Zahlen sind übrigens ein schlagendes Beispiel dafür. Die in Ihrem Vorschlag enthaltene Summe
von 7 Milliarden Euro macht gerade ein Fünftel dessen
aus, was wir zur nachhaltigen strukturellen Verbesserung
des Bundeshaushaltes brauchen.
({3})
Ein selbst anklagendes Beispiel haben Sie innerhalb
einer halben Stunde bei zwei unterschiedlichen Tagesordnungspunkten gebracht: Als es um den Einsatz im
Kongo ging, hat Ihre Fraktionskollegin davon geredet,
dass die 56 Millionen Euro, die dafür etatisiert werden
müssen, auf den Einzelplan oben draufgelegt werden
müssen.
({4})
In Ihrem Beitrag zum Haushaltsbegleitgesetz werfen Sie
mir nun vor, wie ich das, was der Kollege Jung zusätzlich schultern muss, finanzpolitisch umsetze. Das lässt
sich an Doppelbödigkeit nicht übertreffen.
({5})
Herr Gysi, ich will Sie - vermutlich erfolglos - noch
einmal darauf hinweisen, dass Steuersysteme inzwischen international miteinander konkurrieren. Das
werde ich Ihnen wahrscheinlich nie vermitteln können.
Ich will damit sagen: Ihre Partei, meine Partei, die Union
oder die FDP können zehnmal beschließen, dass deutsche Unternehmen in Deutschland Steuern zahlen sollen
und Steuerverluste in Deutschland nicht steuermindernd
zur Geltung bringen sollen. Darüber entscheiden wir gar
nicht. Darüber entscheidet allein ein attraktives, kluges,
in sich schlüssiges Steuersystem.
({6})
Ich bin darauf angewiesen, dass ich in Deutschland
im Bereich der Unternehmensbesteuerung ein Steuersystem zustande bringe, das sich im Vergleich zu dem in
Österreich, in den Niederlanden oder in England sehen
lassen kann. Die Steuereinnahmen dürfen selbstverständlich nicht, im Sinne eines negativen Wettbewerbs,
auf null gedreht werden. Das Steuersystem muss aber in
der Tat attraktiv genug sein, damit deutsche Unternehmen ihre Gewinne hier versteuern und ihre Verluste hier
nicht steuermindernd zur Geltung bringen. Das ist meine
Aufgabe.
({7})
Mit populistischen Hinweisen, wie Sie sie vortragen,
komme ich nicht weiter. Das gleiche gilt für Ihren Hinweis auf die Vermögenssituation in Deutschland:
10 Prozent besitzen 50 Prozent; das stelle ich gar nicht in
Abrede. Ihr Bild wäre aber vollständiger, wenn Sie darauf hinweisen würden, dass 10 bzw. 15 Prozent der
Steuerzahler 50 bis 60 Prozent des Steueraufkommens in
Deutschland erbringen. Das haben Sie in Ihrem Beitrag
vergessen.
({8})
Was Sie in Ihrem Beitrag nicht vergessen, sondern definitiv falsch dargestellt haben, ist der Hinweis, dass die
Beiträge zur Altersversorgung versicherungssteuerpflichtig sind. Das ist ein absoluter Irrtum. Ich hoffe, Sie
korrigieren ihn; denn er könnte zu einer maßgeblichen
Irritation vieler beitragen. Auf Beiträge zur Altersversorgung ist keine Versicherungssteuer zu leisten.
Frau Hajduk, Sie wissen genau - wir haben schon
mehrere Male darüber gesprochen; ich habe manchmal
den Eindruck, dass diese Diskussionen letztlich doch ermüdend, weil ergebnislos sind -, warum die große Koalition in diesem Jahr eine Nettokreditaufnahme in
Höhe von 38 Milliarden Euro vornimmt: weil wir den
sich aufhellenden Konjunkturhimmel unterstützen wollen. Wenn wir schon in diesem Jahr die Nettokreditaufnahme auf die Regelgrenze, die bei ungefähr 22 oder
23 Milliarden Euro liegt, beschränken würden, müssten
wir dem Kreislauf 16 Milliarden Euro entziehen, was automatisch Auswirkungen auf das hätte, was Sie und ich
für richtig halten, nämlich die Konjunktur zu unterstützen.
Diese einfache volkswirtschaftliche Logik wird im
Haushaltsausschuss gleichermaßen häufig von beiden
Seiten ausgetauscht, im Plenum erstaunlicherweise
nicht. Ich kriege es nicht zusammen, warum sich der Erkenntnisfortschritt im Haushaltsausschuss so stark von
dem in plenaren Debatten unterscheidet.
Dasselbe gilt für die Frage, warum wir es 2007 anders
machen: 2007 machen wir es anders, weil wir nicht zum
sechsten Mal das Stabilitätskriterium nach dem
Maastrichtvertrag verletzen können und weil wir glauben, die Regelgrenze des Art. 115 im Sinne der Vertrauensbildung einhalten zu müssen. Vertrauensbildung hat
übrigens auch Auswirkungen auf das Ausgabeverhalten
der Bürgerinnen und Bürger. Das bedeutet, dass wir die
Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr von 38 Milliarden Euro um 16 bis 17 Milliarden Euro reduzieren müssen. Das schaffe ich allein durch Ausgabenkürzungen
nicht, sondern nur durch zusätzliche Einnahmen.
({9})
Ich kenne bisher kein anderes Muster, das weniger
Nachteile hätte, das schmerzfrei wäre. Es gibt keine
schmerzfreie Operation in diesem Zusammenhang. Das
zu behaupten, ist Populismus.
Diesem Populismus geben viele Politiker erkennbar
die Hand. In meinen ersten sechs, sieben Monaten als
Finanzminister habe ich die Erfahrung gemacht - das
sage ich ganz freimütig -, dass alle über das Konsolidierungsziel reden, aber niemand bereit ist, dies in der Praxis umzusetzen.
({10})
In der Öffentlichkeit wird, auch mit Blick auf die
nachfolgenden Generationen - viele jüngere Besucher
sind heute anwesend -, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gefordert. Es wird gesagt, es wäre richtig, das Verschuldenstempo zu reduzieren, die Schulden
eines Tages vielleicht sogar abzubauen, weil der Kapitaldienst bei den jungen Menschen liegt. Tatsächlich gilt
aber, dass jede Maßnahme, die wir in diesem Zusammenhang ergreifen, öffentlich genauso umstritten ist.
Daher gibt es in ein und derselben Berichterstattung,
in ein und derselben politischen Auseinandersetzung
Widersprüche. Allein am heutigen Tage habe ich gehört:
„Steinbrück soll das Rentenloch stopfen!“ - so ein Verbandsvertreter aus dem Bereich der Rentenversicherung.
Meine Antwort ist: Wieso kommt er nicht auf die Idee,
einen eigenen Vorschlag zu machen, wie man das Rentenloch stopfen könnte?
({11})
Warum also führen wir keine Diskussion über die Einsparungsvorschläge, die uns die jeweiligen Sozialversicherungsträger mitgeben? Als ob das eine irrwitzige Arbeitsteilung ist: namentlich der Finanzminister ist alleine
dafür verantwortlich!
Eine weitere Überschrift von heute: „Steinbrück droht
neues Milliardenloch“. In derselben Zeitung wird jede
meiner Maßnahmen kritisiert, mit der das Milliardenloch
gestopft werden soll.
({12})
Das ist nicht sehr glaubwürdig.
Jede Opposition - lieber Herr Westerwelle, Sie werden nach mir sprechen - kann mich immer nach Art eines Hase-und-Igel-Rennens überbieten. Man kann immer sagen, was man noch obendrauf legen und was man
unten wegnehmen könnte. Allein, Sie müssen nicht die
Beweislast übernehmen. Das muss derjenige tun, der in
der Regierung ist.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ramelow, Fraktion Die Linke?
Ja, gerne.
({0})
Herr Minister, Sie sprechen von der Glaubwürdigkeit
der Politik und mahnen diese Glaubwürdigkeit an. Ich
möchte Sie gerne ganz persönlich fragen, wie Ihre Position und die Ihrer Partei zum Thema Mehrwertsteuererhöhung im Wahlkampf war.
({0})
Wenn Sie glauben, mich mit dieser Frage in Verlegenheit bringen zu können, dann täuschen Sie sich. Ich habe
im Wahlkampf gesagt, dass ich eine Mehrwertsteuererhöhung in dieser Phase für konjunkturpolitisch schädlich
halte. Ich sehe aber, dass dieser Nachteil abzuwägen ist
gegen andere Nachteile.
({0})
- Ich wusste gar nicht, dass Sie so viel Humor haben.
({1})
Der jetzige Nachteil ist, dass ohne eine solche Maßnahme die öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik
Deutschland - nicht nur der Bundeshaushalt, sondern
auch die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte - zerrissen werden. Wir laufen in eine Schuldenfalle hinein, aus der wir ohne solche Maßnahmen auf der
Einnahmeseite nicht mehr herauskommen können.
({2})
Eine der entscheidenden Maßnahmen auf der Einnahmeseite ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
({3})
Diese Debatte, die zwischen Montag und Freitag
stattfindet, mache ich nicht mehr mit. Am Montag wird
mir von den Grünen gesagt, ich müsse mit der Verschuldung herunter. Am Dienstag sagen mir einige, ich müsse
auch mit den Steuern herunter. Das sagt vor allem die
FDP.
({4})
- Sie sind aber schnell zu begeistern.
({5})
Wie gesagt: Am Montag sagen mir alle, ich solle mit
der Neuverschuldung heruntergehen. Am Dienstag sagt
die FDP, man könne mit den Steuern heruntergehen.
({6})
Das ist natürlich unmöglich. Am Mittwoch sagt mir insbesondere Herr Lafontaine, ich müsse mit den Steuern
heraufgehen. Am Donnerstag sagt mir jemand, ich
müsse mit den Ausgaben heruntergehen. Am Freitag
sagt mir jemand, ich müsse in bestimmten Bereichen mit
den Ausgaben hochgehen.
({7})
Am Samstag schließlich wird mir gesagt, es gebe kein
präzises haushaltspolitisches Konzept. - So läuft die Debatte nicht mehr. So funktioniert das nicht mehr.
({8})
Wir sind angewiesen auf die Umsetzung dieses Haushaltsbegleitgesetzes, um insbesondere im nächsten Jahr
die Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz und das
Maastrichtkriterium einzuhalten. Ich halte daran fest.
Dies ist von konstitutiver Bedeutung für die Haushaltspolitik der Bundesregierung. Ich bin mir ziemlich sicher:
Wenn wir diese beiden Ziele nicht erreichen sollten, sind
diejenigen, die heute das Haushaltsbegleitgesetz kritisieren, die Ersten, die uns ans Kreuz nageln, weil wir die
Grenzen des Art. 115 und das Maastricht-Kriterium
nicht einhalten - Sie von der Opposition an erster Stelle!
({9})
Ich glaube, dass in den Beratungen des Haushaltsausschusses, insbesondere durch die Stellungnahmen einer
Reihe von Professoren in der Anhörung, sehr deutlich
geworden ist, dass wir im Bundeshaushalt nicht allein
durch ausgabenseitige Maßnahmen vorankommen.
({10})
Ihre Leichtfüßigkeit in diesem Punkt ist schon erstaunlich. Denn in Ihren Beiträgen spielt die Tatsache keine
Rolle, dass die Bundesbank in Bestätigung des Kurses
meines Vorgängers darauf hinweist, dass wir auf der Einnahmeseite ein strukturelles Problem haben. Was wir
jetzt tun, soll ein Beitrag sein, aus dieser strukturellen
Unterfinanzierung herauszukommen.
Ich weiß, dass die Menschen durch viele Meldungen
verwirrt werden. Sie lesen in der Zeitung, dass mir die
Steuermehreinnahmen im Augenblick wie Sterntaler in
die Schürze fallen. Alle haben das Gefühl, wenn man
8 Milliarden Euro mehr einnimmt, dass man dann auf
die Erhöhung der Mehrwertsteuer verzichten kann. Damit es denjenigen, die uns zusehen und zuhören, klar
wird, sage ich: Bei den 8 Milliarden Euro handelt es sich
um eine Mehreinnahme aufgrund einer Steuerschätzung
für alle Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik
Deutschland, also für Bund, Länder und Kommunen.
Der tatsächliche Mehrbetrag für den Bundeshaushalt gegenüber dem, was wir unseren Haushaltsplanungen bisher zugrunde gelegt haben, beträgt 1,5 Milliarden Euro.
Das ist weit von dem entfernt, was ich auf der Einnahmeseite brauche, und wird durch erhebliche Haushaltsrisiken begleitet. Von diesen Haushaltsrisiken, auf die
ich mich einstellen muss, ist nur gelegentlich die Rede.
({11})
Das größte Haushaltsrisiko, mit dem ich es zu tun
habe, ist die Dynamik von Hartz IV.
({12})
Die zweite große Schwierigkeit, mit der ich es zu tun
habe, ist die Entwicklung in der Rentenversicherung.
Das heißt, ein Haushalts- und Finanzminister, der diese
1,5 Milliarden Euro zum Anlass nehmen würde, eine
Entwarnung auszurufen, der würde mit Blick auf die Risiken, die wir haben, unverantwortlich handeln.
({13})
Frau Hajduk, was Sie in Ihrem Beitrag zur Krankenversicherung ausgeführt haben, ist selten so stark strukturkonservierend gewesen. Das, was Sie gesagt haben,
war ein Plädoyer dafür, dass man alles so lassen solle,
wie es ist.
({14})
- Aber selbstverständlich: Man darf den Zuschuss zur
gesetzlichen Krankenversicherung nicht kürzen, am
liebsten soll man ihn sogar erhöhen. Ich vermute einmal,
dass Sie dasselbe auch über die Zuschüsse zur Rentenversicherung sagen. Folgte man dem, was Sie hier darstellen, würde der Haushalt nur immer weiter verkarsten,
immer weniger zukunftsorientiert und müsste immer
stärker auf die Problematik, die wir bei den sozialen Sicherungssystemen haben, zentriert werden.
Ich bin dafür, dass wir uns vor dem Hintergrund der
Demografie und der Tatsache, dass uns die Finanzierungsgrundlagen wegbrechen, der Problematik mit den
sozialen Sicherungssystemen stellen. Insofern ist die erkennbare Tendenz - die Erhöhung der Mehrwertsteuer
erlaubt eine Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung; damit sinken die Bruttoarbeitskosten in
Deutschland um 2 Prozentpunkte - sicher anders zu bewerten, als Sie das getan haben. Diese Entwicklung ist
zumindest ein Einstieg in die schrittweise Absenkung
der Bruttoarbeitskosten in Deutschland; ganz abgesehen
davon, dass auch die Verteilungswirkungen ganz andere
sind, wenn die Arbeit in Deutschland preiswerter wird.
({15})
Zum Schluss will ich zwei Dinge der vorgenommenen Änderungen herausstellen. Ich bitte Sie sehr stark,
die Bundesregierung zu unterstützen, Regionalisierungsmittel in der veranschlagten Höhe einzusparen.
Der Revisionszeitpunkt ist verschoben worden, aber ich
wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nicht erneut versuchen würden, die Beträge, die dort in Rede stehen, zu reduzieren. Ich wiederhole sehr vorsichtig: Wir haben
viele Anhaltspunkte dafür, dass diese Regionalisierungsmittel von den Ländern nicht entsprechend dem, was im
Regionalisierungsgesetz vorgesehen ist, weitergereicht
oder eingesetzt werden. Damit drücke ich mich sehr zurückhaltend aus. Ich halte das, was wir dort festgelegt
haben, für absolut zumutbar.
({16})
Meine weitere Bitte ist - dieser Appell richtet sich an
die Koalitionsfraktionen -, dass wir auch in den weiteren
Beratungen über andere steuerpolitische Gesetze sehr
darauf achten, dass das Finanztableau, das wir einmal
verabredet haben, nicht weiter erodiert. Je mehr es einer
Erosion preisgegeben wird, um an der einen oder anderen Stelle einen Konsens herzustellen, desto größer wird
die Problematik für 2007, den Haushalt endlich innerhalb der Regelgrenzen des Art. 115 Grundgesetz zu halten.
An der einen oder anderen Stelle habe ich, auch als
Ergebnis eines Lernprozesses, gesagt: Man wird das so
nicht halten können. - Ich bitte aber darum, dass auch
von denjenigen, die nicht im Haushalts- und Finanzausschuss sitzen, sehr konstruktiv darauf geachtet wird, dass
dieser Rahmen nicht völlig aufgelöst wird, weil diese
Koalition ihre Nagelprobe, den Haushalt 2007 den Regelgrenzen der Verfassung und den Maastrichtauflagen
entsprechend vorzulegen, sonst nicht wird erfüllen können.
Abschließend will ich auf Folgendes hinweisen: Das,
was wir mit diesem Haushaltsbegleitgesetz und übrigens
auch mit anderen steuerpolitischen Maßnahmen tun, ist
nicht nur für die Einnahmeseite des Bundes, sondern
auch für die anderen Gebietskörperschaften wichtig.
Durch das, was wir beschlossen haben und beschließen
werden, werden die Länder und die Kommunen über
38 Milliarden Euro mehr zur Verfügung haben. Dies ist
für die Lage der kommunalen Haushalte von entscheidender Bedeutung. Auch die Länder werden dies dringend brauchen; denn elf von 16 Ländern sind inzwischen ebenfalls nicht mehr in der Lage, ihre Haushalte
den jeweiligen Landesverfassungen entsprechend und
ohne Beschädigung der Regelgrenze aufzustellen.
Deshalb ist mein Appell an die weitestgehend abwesenden Mitglieder der Bundesratsbank - sehr geehrter
Herr Minister Breuer, immerhin ist der Vertreter von
Nordrhein-Westfalen da -, dass man dort nicht doppelbödig auftritt, nach dem Motto: Im Bundesrat werde ich
vielleicht gegen das Haushaltsbegleitgesetz stimmen, die
damit verbundenen Mehreinnahmen hätte ich aber
gerne. - So läuft das nicht.
({17})
Das beobachte ich sehr genau und ich werde meine diesbezüglichen Ausführungen im Bundesrat noch etwas
klarer halten, als ich dies in meinem Schlussappell im
Rahmen dieser Haushaltsdebatte getan habe.
Herzlichen Dank.
({18})
Ich erteile das Wort Kollegen Guido Westerwelle,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister,
Sie haben hier wortgewaltig und mit heftigen Attacken
gegen die Opposition zunächst einmal erzählt, dass Sie
gar keine Alternative zu einer Steuererhöhung hätten.
Sie haben das hier alles begründet.
Wir wollen einmal eines festhalten: Die Tatsache,
dass Sie in diesem Hause überhaupt Steuererhöhungen
begründen können, ist ausschließlich darauf zurückzuführen, dass Sie vor der Wahl das glatte Gegenteil von
dem gesagt hatten, was Sie jetzt hier am Pult von sich
gaben - das glatte Gegenteil.
({0})
Sie behaupten, die FDP, die Opposition hätte, wenn
sie sagt, Steuererhöhungen könne man vermeiden, kein
stringentes Konzept.
({1})
Das sind die Flugblätter, die Sie überall in Deutschland verteilt haben. „Mehrwertsteuerpläne der CDU gefährden Konjunktur“ - SPD. „CDU/CSU-Pläne sind Gift
für die Beschäftigung“ - SPD.
({2})
„Merkel Steuergefahr für Konjunkturerholung“ - SPD.
„Nein zur Erhöhung der Mehrwertsteuer“.
({3})
„Verhindern Sie“ - so schreiben Sie wörtlich - „die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wählen Sie am
18. September SPD“.
Jeden, der SPD gewählt hat, betrügen Sie am heutigen
Tage. Das muss an dieser Stelle klar ausgesprochen werden.
({4})
Sie sollten nicht so tun, als hätten Sie nichts gewusst.
Sie waren Ministerpräsident, Sie kannten die Staatsfinanzen.
({5})
Die SPD hat regiert, Sie kannten die Staatsfinanzen. Sie
sind doch nicht im Stadium der Unwissenheit plötzlich
auf der Regierungsbank gelandet! Wenn Sie hier allen
Ernstes von denen, die in der Opposition sitzen, sagen,
das sei keine politische Kultur, dann muss ich Sie fragen:
Was ist es denn für eine politische Kultur, einen Wahlbetrug am heutigen Tage zu begehen?
({6})
Sie sind das doch gewesen.
Frau Merkel im Wahlkampf:
Steuererhöhungen zum Stopfen von Haushaltslöchern schaden der Konjunktur. Das ist mit uns nicht
zu machen.
Genau das machen Sie heute.
({7})
Herr Müntefering:
Wer in dieser Situation die Mehrwertsteuer erhöhen
will, vernichtet zusätzliche Arbeitsplätze in unserem Land.
Wenn Sie am heutigen Tage Arbeitsplätze vernichten,
dann müssten Sie die Erhöhung sein lassen. Kehren Sie
um, verhindern Sie diesen Steuerirrsinn, der heute im
Bundestag beschlossen werden soll!
({8})
Sie schauen hier bedröppelt drein - Herr Eichel
grinst, klar. So viele Abgeordnete der SPD, wie hier sitzen, gäbe es im Deutschen Bundestag gar nicht, wenn
Sie vor der Wahl angekündigt hätten, die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte zu erhöhen.
({9})
Dann kommt so eine lässige Begründung von dem
Finanzminister, man müsse jetzt abwägen
({10})
zwischen Worthalten und Steuererhöhen. „In der jetzigen Lage konjunkturpolitisch kontraproduktiv“ - Peer
Steinbrück.
Daraus, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir Sie nicht entlassen. Das werden Sie von uns die
gesamte Legislaturperiode lang immer und immer wieder hören. Wenn Sie dann das Lied singen, Sie hätten
keine Alternativen: Hunderte von Anträgen haben wir
im Haushaltsausschuss bereits gestellt, die Sie nicht beschließen wollen.
({11})
Es gibt eine Alternative in Deutschland zur größten
Steuererhöhung in der Geschichte der Republik.
({12})
- Es ist mir schon klar, dass Ihnen das unangenehm ist die ertappten Sünder.
({13})
Oder mit anderen Worten: Die Konvertiten sind immer
die Schlimmsten - um das noch einmal auf den Punkt zu
bringen. Ich sehe genügend von der Union, die sich noch
an die Auseinandersetzungen im Wahlkampf erinnern.
Jetzt dürfen Sie das alles gar nicht mehr sagen.
({14})
Wir haben ein Alternativkonzept vorgelegt. Ich sage
Ihnen, was die Alternative zur größten Steuererhöhung
in der Geschichte der Republik ist: ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem, das bewirkt, dass
Leistung sich lohnt und dass Unternehmen und Bürger
entlastet werden, damit die Konjunktur anspringt. Denn
nur wenn die Konjunktur anspringt, gibt es Arbeitsplätze. Es kann nur Steuern zahlen, wer Arbeit hat. Aber
Sie ignorieren die einfachsten Zusammenhänge.
({15})
Die Staatsfinanzen werden nicht durch Steuererhöhungen gesund. Die Staatsfinanzen werden gesund durch
neue Arbeitsplätze. Arbeitsplätze werden vernichtet,
wenn Sie die Steuern erhöhen. 5 400 Unternehmen sind
in letzter Zeit nach Österreich abgewandert. Herr
Steinbrück sagte zu Herrn Grasser: Das ist aber
gemein. - Was ist das überhaupt für eine Art und Weise,
auf den internationalen Wettbewerb einzugehen? Absurd
ist das, was Sie hier betreiben. Sie müssen die einfachsten ökonomischen Gesetze wieder beachten. Das heißt,
es muss in Deutschland investiert werden, wenn hier Arbeitsplätze entstehen sollen. Die Konsolidierung der
Staatsfinanzen wird nur durch eine wirtschaftliche Erholung erreicht. Genau diese machen Sie am heutigen Tage
nachhaltig kaputt. Was für ein Unfug, den Sie hier heute
beschließen!
({16})
Ich erteile das Wort Kollegen Steffen Kampeter,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich hatte neben mich einen Zettel gelegt, auf den
ich die konstruktiven Vorschläge der FDP-Fraktion zur
Sanierung des Bundeshaushalts aufschreiben wollte.
Den Zettel habe ich liegen lassen, weil er leer geblieben
ist.
({0})
Herr Westerwelle, mit einer solchen Rede mögen Sie
den Adrenalinspiegel Ihrer Fraktion heben, aber damit
leisten Sie keinen ernsthaften Beitrag zur Lösung der tatsächlichen Probleme in diesem Land.
({1})
Was ist eigentlich von dem Liberalismus unter dem
Oberbegriff „Freiheit und Verantwortung“, den ich
schätze, geblieben? Nach Ihrer Rede habe ich den Eindruck: Populismus und Verantwortungslosigkeit, das ist
der Kern, auf den sich ein solcher Beitrag reduzieren
lässt.
({2})
Das Ziel der großen Koalition hingegen ist es, wieder
solide Finanzen zu erreichen. So haben wir es - Peer
Steinbrück hat darauf hingewiesen - im Koalitionsvertrag festgehalten. Ab dem nächsten Jahr wollen wir die
Vorgaben des europäischen Stabilitätspakts und die Regelgrenze unserer Verfassung zur Haushaltspolitik einhalten.
({3})
In den letzten Jahren hat Deutschland dies nicht geschafft. Wir haben regelmäßig dagegen verstoßen. Wir
haben über unsere Verhältnisse gelebt und dies mit höheren Schulden finanziert, als es eigentlich erlaubt ist. So
kann es nach Auffassung derjenigen, die den Koalitionsvertrag verhandelt haben, nicht weitergehen. Das haben
die Vernünftigen von uns in allen Fraktionen längst erkannt. Wir berauben uns doch der Handlungsspielräume
in den künftigen Jahren. Wir treiben die Zinsen in die
Höhe und vor allen Dingen leben wir damit zulasten
künftiger Generationen. Eine solche Politik ist unmoralisch. Eine solche Politik kann nicht unsere Politik sein.
({4})
Mit dem Haushaltsbegleitgesetz leiten wir eine zentrale Wende ein. Dieses Gesetz ist in dieser Legislaturperiode der Eckpfeiler der Konsolidierung. Es besteht
aus einem Bündel von Maßnahmen und es hilft nicht
nur, die Konsolidierung des Bundeshaushaltes voranzutreiben, sondern es ist auch der Eckpfeiler zur Wiederherstellung der verfassungskonformen Haushalte in den
Bundesländern.
Diese Ausgangslage muss sich jeder heute in dieser
Debatte in Erinnerung rufen. Sie kann man nicht ungeschehen machen. Deswegen ist dieses strukturelle Defizit von Bedeutung.
Ich will mit einem Zitat beschreiben, in welcher
Situation wir uns befunden haben, als wir die letzte Bundestagswahl vorbereitet haben:
Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere
Zukunft und die unserer Kinder stehen auf dem
Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos,
viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der
Länder sind in einer nie da gewesenen, kritischen
Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden
immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten,
scharfen Wettbewerb behaupten.
Das sagte Horst Köhler am 21. Juli 2005 in seiner
Fernsehansprache zur Auflösung des 15. Deutschen
Bundestags und zur Ansetzung von Neuwahlen. Dieser
Lage müssen wir mit einem entschiedenen Reformprogramm begegnen, zu dem die Haushaltskonsolidierung
und auch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 gehören.
({5})
Mit dem vorliegenden Haushaltsbegleitgesetz haben
wir uns übrigens entschieden, nicht nur auf der Ebene
der Konsolidierung tätig zu sein. Kollege Meister hat
schon darauf hingewiesen, dass wir mit diesem Gesetz
die größte Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen
beschließen, die jemals in einem Einzelschritt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden
hat. Das ist eine gute Botschaft.
({6})
Wer beklagt, dass Arbeit in Deutschland zu teuer ist
und dass immer mehr Arbeitsplätze ins Ausland abwandern, der muss diesem Schritt seine entschiedene Unterstützung zuteil werden lassen. Die bestehende Situation
zu ändern, ist eines der Kernanliegen dieses Gesetzes.
({7})
Angesichts des strukturellen Defizits ist es uns
schwer gefallen, die Mehrwertsteueranpassung zu beschließen.
({8})
Aber ich sage: Wir haben dieses Vorhaben im Rahmen
einer Anhörung mit vielen Experten und schlauen Professoren intensiv erörtert. Die Botschaft war relativ klar:
Niemand ist von der Mehrwertsteuererhöhung begeistert.
({9})
Aber alternative Vorschläge, wie wir es sonst schaffen
können, die Verfassung im Jahre 2007 nicht zu brechen,
hat niemand gemacht. Herr Engels, der Präsident des
Bundesrechnungshofes, hat offen und klar gesagt, dass
es für das Jahr 2007 keine Alternative zur Mehrwertsteuererhöhung gibt. Herzlich willkommen in der Wirklichkeit! Wir müssen ehrliche und anständige Politik machen und klare Aussagen treffen. Wir dürfen uns nicht
durchwursteln. Die große Koalition handelt mit diesem
Gesetz richtig.
({10})
Der Berufspopulist Gysi hat uns vorhin vorgeweint,
dass die Steuersenkungspolitik der Vorgängerregierung
- insbesondere hat er ihr die Regelung zur Besteuerung
von Veräußerungsgewinnen vorgeworfen - dazu geführt
habe, dass wir jetzt die Mehrwertsteueranpassung vornehmen müssten. Herr Gysi, ich teile Ihre Analyse nicht.
Eines darf in diesem Zusammenhang nämlich nicht vergessen werden: Es waren die Stimmen der mecklenburgvorpommerschen Regierung, die - wenn ich mich recht
entsinne - im Jahre 2000 den Ausschlag gegeben haben,
als im Bundesrat über diese Steuersenkung abgestimmt
wurde.
({11})
Ihre Partei ist an der mecklenburg-vorpommerschen Regierung beteiligt. Sie haben diese Steuersenkung also
erst ermöglicht. Ich finde es unanständig, wenn Sie jetzt
sagen, sie sei die Ursache für die Haushaltsmisere.
({12})
Lassen Sie mich noch einige Gedanken zu der Frage
vortragen, ob es tatsächlich, wie von den Liberalpopulisten
({13})
und den Linkspopulisten behauptet worden ist, eine
Alternative zur Mehrwertsteuererhöhung gibt. Wenn
Sie sich das Volumen des strukturellen Defizits und die
Größenordnung der zu schulternden Aufgaben vor
Augen führen, dann stellen Sie fest, dass wir auf der
Ausgabenseite schon relativ schnell mit unserem Latein
am Ende wären.
Wollen sich Herr Gysi und Herr Westerwelle für die
Kürzung der Bestandsrenten, für die Halbierung bzw.
noch stärkere Senkung der Kindergeldleistungen oder
für die Kürzung anderer Sozialleistungen aussprechen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer gegen die
Mehrwertsteuererhöhung polemisiert, gleichzeitig aber
verschweigt, welche Ausgaben er konkret senken will
- Ausgabensenkungen werden allerdings gefordert -,
der handelt unanständig und erschüttert das Vertrauen in
die Politik. Durch Populismus ist noch kein Haushalt saniert worden.
({14})
Wir haben einen schwierigen Weg vor uns. Wir sind
bereit, die Haushaltskonsolidierung auch gegen den Widerstand der organisierten Interessen in unserem Land
durchzusetzen. Es ist schon einigermaßen erstaunlich,
dass die Arbeitgeber zwar die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung begrüßen, gleichzeitig
aber gegen die Mehrwertsteuererhöhung Sturm laufen.
Man kann nicht das eine haben wollen, wenn man nicht
bereit ist, das andere zu akzeptieren.
Wir sagen: Auch die Angehörigen des öffentlichen
Dienstes, die im Vergleich zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine etwas stärkere soziale Absicherung haben, müssen ihren Beitrag leisten. Wir gehen
hier keinen einfachen Weg. Aber wir halten diesen Weg
für verantwortbar, für richtig und für notwendig; deswegen werbe ich herzlich um Unterstützung dafür.
({15})
Es wird erwartet, dass die Steuerschätzung positiv
ausfällt - als ob das alle unsere Probleme lösen würde.
Ich bin dem Bundesfinanzminister dankbar, dass er vor
diesem Hintergrund deutlich gesagt hat, dass wir trotz
unserer entschlossenen Maßnahmen eine Reihe von
Risiken auf der Ausgabenseite haben. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben als Beispiel die Hartz-Gesetze
angeführt. Viele von Ihnen wissen, dass ich mich hierzu
in letzter Zeit gelegentlich zu Wort gemeldet habe. Wir
haben vor sechs Monaten, als der Koalitionsvertrag geschlossen wurde, die Situation günstiger eingeschätzt;
insofern ist das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz, über
das wir hier bald diskutieren werden, richtig. Es macht
deutlich: Konsolidierung ist eine Daueraufgabe. Sie ist
nicht mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 beendet, sondern wir müssen eine Reihe von Maßnahmen voranbringen, um die Konsolidierung abzusichern. So ist es das
gemeinsame Bemühen der großen Koalition, die Konsolidierung durch Reformwerke - beispielsweise im Gesundheitsbereich - auf der Angebotsseite abzusichern.
Auch das wird kein leichter Gang: Jeder, der sich mit
dem Gesundheitswesen beschäftigt, weiß, wie vermint
dieses Gelände ist. Aber auch hier scheuen wir uns nicht
vor dem Verbände- und Interessenstaat, dem die FDP gelegentlich anheim gefallen ist.
({16})
Zur Absicherung der notwendigen Konsolidierung - des
Dreiklangs, den die Bundeskanzlerin hier schon gelegentlich erläutert hat - brauchen wir eine flankierende
Strategie. Dies bleibt eine Daueraufgabe, die ganze Legislaturperiode über. Die Unionsfraktion wird aktiv daran mitwirken.
Heute geht es um einen wichtigen Baustein, einen
Eckpfeiler davon; wir sollten ihn deshalb beschließen.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD-Fraktion, es nicht mehr hören wollen: Dieses Haushaltsbegleitgesetz dokumentiert den Bruch eines großen Wahlversprechens von Ihnen.
({0})
Wir alle - ich denke, auch die Besucher auf den Tribünen - können uns noch gut an die Plakate erinnern, auf
denen stand: „Keine Merkelsteuer!“ Viele haben Ihnen
geglaubt und vielleicht auch deshalb noch einmal das
Kreuz bei Ihnen gemacht. Wenn Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion, glauben, dass Sie
sich für das unflätige Verhalten von Altkanzler Schröder
am Wahlabend bei Frau Merkel entschuldigen müssen,
dann ist das richtig. Aber bitte entschuldigen Sie sich
nicht auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger in diesem
Land, die das bezahlen müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung begründet die größte Steuererhöhung in der Geschichte der
Bundesrepublik mit der „außerordentlich ernsten Lage“
der öffentlichen Haushalte. Es ist richtig: Die Lage ist
ernst. Aber Sie versuchen über die Frage hinwegzuhuschen, warum die Lage denn so ernst ist. Diese Frage
stellen Sie bewusst nicht; denn die Löcher im Haushalt
sind das Ergebnis der Politik, die SPD, CDU/CSU und
die Grünen in den letzten Jahren betrieben haben.
({2})
Wenn es um die Lage der Unternehmen geht, darf
ich eine Zeitung zitieren, die uns als Linkspartei nicht
besonders nahe steht und bestimmt nicht unser Sprachrohr ist: die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“.
Einer ihrer Beiträge vom 23. April 2006 trug die Überschrift: „Die Unternehmen verschmähen Kredite und
füllen die Kassen“. In diesem Artikel wird sehr deutlich
geschildert, wie die Sparquote der Unternehmen in den
G-7-Staaten in den letzten Jahren nach oben gegangen
ist. Die DAX-Unternehmen zahlen üppige Dividenden,
kaufen ihre Aktien zurück und horten Barvermögen.
Gleichzeitig werden sie nicht müde, immer wieder die
Senkung der Unternehmensteuer zu fordern - sie können
den Hals einfach nicht voll kriegen. Da machen wir nicht
mit!
({3})
Die rot-grüne Bundesregierung hat zusammen mit
CDU und CSU alles getan, um die Unternehmen zu entlasten. Was Herr Steinbrück hier über verschiedene Steuersysteme erzählt hat, ist quasi eine Bankrotterklärung:
Sie wollten uns weismachen, dass die Politik eigentlich
nichts anderes machen könne, als den Unternehmen die
Füße zu küssen. Das ist nicht wahr, wie man erkennen
kann, wenn man sich die Situation in anderen Ländern
ansieht. Wir haben als Beispiel schon oft die skandinavischen Länder angeführt. Aber man kann auch andere
Beispiele bringen: Wenn Sie einmal vergleichen, Herr
Steinbrück, wie hoch die Steuern auf Eigentum sind - in
Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt -, dann
werden Sie feststellen, dass dies in den USA 3,1 Prozent,
in Japan 4,8 Prozent, hier in Deutschland aber nur
0,8 Prozent sind. Sie können uns nicht weismachen, dass
die Unternehmen aus den USA und aus Japan fliehen
und die Unternehmen in Deutschland bleiben. Ganz so
machtlos kann die Politik ja wohl nicht sein.
({4})
Die Steuerlöcher sollen vor allem von den Menschen
gestopft werden, die in den letzten Jahren immer wieder
zur Kasse gebeten wurden: von den Arbeitslosen, den
Kranken, den Rentnern und den Menschen, die zwar
noch Arbeit haben, aber für einen minimalen Lohn arbeiten müssen.
Die Bundesregierung behauptet immer, dass sie mit
der Steuererhöhung nicht nur die von ihr aufgerissenen
Haushaltslöcher stopfen, sondern auch die Lohnnebenkosten senken wolle. Die Zeit wird aber zeigen, dass das
schlicht und einfach nicht wahr ist. Denn diese Entlastungen werden von den geplanten Mehrbelastungen bei
der Renten- und der Krankenversicherung wieder aufgefressen und wahrscheinlich noch übertroffen werden.
({5})
Frau Kollegin, einen Moment. Ich bitte alle diejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, den Saal zu
verlassen, damit die Rednerin gehört werden kann.
({0})
Herr Präsident, vielen Dank für die Unterstützung. Der Anstieg der Renten- und Krankenkassenbeiträge hat
weniger etwas mit dem demografischen Faktor zu tun als
vielmehr mit der Politik der Regierung aus CDU, CSU
und SPD.
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
noch auf die Kürzung der Regionalisierungsmittel eingehen. Wir haben Ihnen dazu einen Antrag vorgelegt. Indem Sie ihm zustimmen, haben Sie die Chance, dass es
nicht zu dieser falschen Kürzung kommt.
Im Haushaltsbegleitgesetz werden die Zuschüsse für
den öffentlichen Nahverkehr an die Bundesländer gekürzt. Bereits in den Jahren 1997 und 1998 wurden die
Zuschüsse um 51 Millionen Euro und in den Jahren
2001 und 2002 unter der rot-grünen Regierung, die sich
für den öffentlichen Nahverkehr einsetzen wollte, um
121 Millionen Euro gekürzt. Das Ergebnis solcher Kürzungen war immer eindeutig: Sinken die Zuschüsse für
den öffentlichen Nahverkehr, dann sinkt die Zahl der
Nutzer und die Zahl der Autofahrer steigt.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Regionalisierungsmittel, also die Zuschüsse für den öffentlichen Nahverkehr, noch einmal drastisch gemindert
werden. Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann können
Sie diesen entscheidenden Fehler abwenden.
({0})
Meine Damen und Herren, die Linke sagt deutlich,
dass das Haushaltsbegleitgesetz sozial, ökonomisch und
ökologisch unsinnig ist. Wir wollen etwas anderes. Wir
wollen mit einer höheren Besteuerung der Vermögenden
in unserem Land wieder Steuergerechtigkeit herstellen.
Das deutsche Steuersystem ist nicht auf sozialen Ausgleich angelegt, sondern auf Umverteilung von unten
nach oben. Das muss endlich umgekehrt werden.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegin Lydia Westrich, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute Morgen habe ich mit 17- und 18-jährigen Schülern eine Diskussion geführt. Als Erstes haben sie nach
dem Schuldenstand gefragt und danach, was wir tun, um
die Schulden abzubauen; denn sie wollten auch in
20 Jahren noch Gestaltungsmöglichkeiten haben. Ich
finde, das ist nicht zu viel verlangt. Dieses Gesetz ist ein
erster Baustein, um dieses Versprechen zu erfüllen.
Im Jahr 2003 haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Abbau vieler Steuervergünstigungen zum
Gegenstand hatte. Es hätten 26 Milliarden Euro pro Jahr
eingespart werden können. Dieses Gesetz ist im Bundesrat gescheitert und durch das Koch/Steinbrück-Papier ersetzt worden, wodurch immerhin 7 bis 8 Milliarden Euro
erlöst werden konnten. Mit dem ursprünglichen Gesetz
hätten wir schon damals die Maastrichtkriterien erfüllen
können.
Wir sprechen ständig von Subventionsabbau. Wenn
es aber konkret um einzelne Maßnahmen geht, Frau
Flach, dann gibt es viele Begründungen, warum diese
oder jene Vergünstigung gerade nicht gestrichen werden
darf, sondern lebensnotwendig ist. Ich will mich selbst
davon gar nicht ausnehmen. An jeden von uns werden in
seinem Wahlkreis Wünsche und Sorgen herangetragen,
die in Berlin natürlich immer auch in die Diskussion einfließen. Davon kann unser Finanzminister ein Lied singen.
Wenn wir unter eine bestimmte Vergünstigung endlich einen Strich ziehen können und sie streichen, dann
kann man aufgrund von Vertrauensschutz und Übergangsregeln in der Staatskasse lange Zeit noch nichts
von Mehreinnahmen spüren. Dass bei der Gewerbesteuer und anderen Steuerarten ein Einnahmeplus zu
verzeichnen ist, haben wir den Steuergesetzen zu verdanken, die wir schon vor Jahren gemacht haben. Aber
erst jetzt stellen sich langsam die beabsichtigten Erfolge
ein. Sie alle wissen, dass der Abbau von Subventionen
und Steuervergünstigungen zwar notwendig, aber ein
sehr mühsames Geschäft ist, das erst mittelfristig Wirkung zeigt.
Wir als Koalition stellen uns dieser Aufgabe, wie die
bereits auf den Weg gebrachten Gesetze zeigen, die bei
den Menschen zwar wenig Begeisterung auslösen, aber
notwendig sind. Ich bin sehr gespannt, wie Sie als Opposition darauf reagieren werden, wenn wir die Steuerbasis
wieder ein Stück verbreitern. Vielleicht wollen Sie Ihren
schönen Worten wirklich Taten folgen lassen. Aber Sie
alle wissen, dass das im Grunde nicht reicht.
({0})
Wir als Koalition wollen und werden den Bundeshaushalt nachhaltig konsolidieren und dafür die Mehrwertsteuer und die Versicherungsteuer - das gilt auch
für die Sachversicherung, Herr Gysi - erhöhen. Das gibt
dem Haushalt die benötigte sichere Basis, mit der wir die
Aufgaben der kommenden Jahre erfüllen können, ohne
ständig eine Hypothek auf die Zukunft aufnehmen zu
müssen, die die jungen Leute später belasten wird.
Regelmäßig fließende Einnahmen sind das Gerüst eines jeden Haushalts. Jeder von uns will, dass die Ausgaben und die Einnahmen einander entsprechen. Mit der
sparsamen Haushaltspolitik, die Finanzminister Hans
Eichel schon begonnen hat und jetzt von Peer Steinbrück
fortgesetzt wird, haben wir eine Chance, in absehbarer
Zeit das richtige Einnahmen- und Ausgabenverhältnis zu
erreichen, um den jungen Leuten tatsächlich eine Zukunft zu eröffnen. Das gibt uns auch den Spielraum, damit Bund, Länder und Gemeinden höhere Investitionen
in Bildung und Forschung tätigen, eine dauerhafte Gesundheitsreform auf den Weg bringen und die Wirtschaft
durch Wachstumsimpulse stützen können.
({1})
Sicher wird die Mehrwertsteuererhöhung für manche
wirtschaftlichen Branchen schwer zu verkraften sein.
Aber in Zeiten wirtschaftlicher Erholung kann diese Belastung besser als in stagnierenden Phasen überwunden
werden. Diese Auffassung vertreten die EU-Kommission und verschiedene Wirtschaftsinstitute, deren Meinung Sie sonst immer so hochhalten.
Eines darf dabei nicht vergessen werden: Fünf von
sieben Mehrwertsteuererhöhungen in den vergangenen
Jahren haben Sie, Kolleginnen und Kollegen von der
FDP-Fraktion, mit auf den Weg gebracht und zu verantworten.
({2})
Nun aber starten Sie zusammen mit dem Bund der Steuerzahler eine konzertierte Aktion in Form eines offenen
Briefes an die Kolleginnen und Kollegen, in dem dazu
aufgerufen wird, diesen Erhöhungen nicht zuzustimmen.
Darin wird aber nicht erwähnt, dass Sie selbst bereits
fünf Mehrwertsteuererhöhungen zugestimmt haben. Unter Ihrem neuen Fraktionsvorsitzenden scheinen Sie Ihr
Verantwortungsbewusstsein für eine wirtschaftliche
Haushaltsführung in der Opposition verloren zu haben.
Das tut mir sehr Leid.
({3})
Bei den Sachverständigenanhörungen zu diesem
Gesetz konnte man Interessantes erleben. Viele Sachverständige waren gar nicht direkt gegen die Erhöhung der
Mehrwertsteuer, sondern sie waren dagegen, die Mittel
aus dieser Erhöhung für die Haushaltssanierung zu verwenden. Der eine wollte das Geld für die Gesundheitsreform, der andere wollte es zur Senkung der Steuern
einsetzen. Überall schwang mit durch: Die Millionen
waren schon eingerechnet und sollten auf ihre Weise
verteilt werden. Die öffentlichen Haushalte waren in ihren Augen nicht der geeignete Platz für die Mehreinnahmen. Nun ist aber das Haushaltsrecht wirklich die vornehmste Aufgabe des Parlaments. Wir entscheiden, wie
die Steuergelder eingesetzt werden. Das kann den Wünschen anderer entsprechen, es kann ihnen aber auch zuwiderlaufen.
Wir werden die Lohnnebenkosten senken; das ist
wichtig. Wir haben ein Wachstumspaket auf den Weg
gebracht, von dem Handwerk und Familien sowie die Infrastruktur unseres Landes profitieren. Das Wichtigste
aber ist, die Handlungsfähigkeit des Bundes weit in die
Zukunft hinein zu sichern, damit wir Schulklassen die
Antwort geben können: Ja, ihr habt weiterhin Gestaltungsspielräume. - Das ist die richtige und sozialpolitisch fairste Entscheidung.
Danke schön.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Georg Fahrenschon,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der Rückblick, sei er auch noch so spannend
und interessant, hilft uns nicht weiter.
({0})
Wir stehen jetzt in der Pflicht, ausgehend von der aktuellen Lage ein Konzept zu erarbeiten, wie wir die Haushalte der öffentlichen Hand in Deutschland wieder vom
Kopf auf die Füße stellen.
({1})
Niemand beschreibt die Situation der öffentlichen
Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland treffender
als der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,
Professor Bert Rürup, in seiner sehr lesenswerten Stellungnahme zur Anhörung zum Haushaltsbegleitgesetz
2006.
({2})
Er schreibt:
Die Situation der öffentlichen Haushalte in der
Bundesrepublik ist prekär: Die Defizitbegrenzung
des EG-Vertrags in Höhe von 3 v. H. in Relation
zum nominalen Bruttoinlandsprodukt wurde in den
Jahren 2002 bis 2005 durchgängig und meist in erheblichem Umfang überschritten. Der Schuldenstand des Gesamtstaats belief sich Ende des Jahres
2005 auf 67 v. H. in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt und lag damit ebenfalls deutlich
über dem vorgegebenen Referenzwert in Höhe von
60 v. H. … Die von Artikel 115 Grundgesetz vorgegebene Obergrenze für die Nettokreditaufnahme
des Bundes wurde in den Jahren 2002 bis 2004
nicht eingehalten …
Professor Rürup fährt fort:
Die Befolgung der europarechtlichen Verschuldungsvorgaben auf gesamtstaatlicher Ebene und
eine entschlossene Konsolidierung des Bundeshaushalts sind vor diesem Hintergrund unvermeidbar.
({3})
Dabei ist der Umfang der notwendigen Konsolidierung, gemessen am Ausmaß der strukturellen Haushaltsprobleme, erheblich.
({4})
Vor diesem Hintergrund und im Bewusstsein eines
strukturellen Defizits im Bundeshaushalt in Höhe von
über 60 Milliarden Euro handelte die große Koalition
schnell und zügig.
({5})
Bereits im ersten halben Jahr konnten maßgebliche Gesetze zum Abbau von Steuerschlupflöchern verabschiedet werden. Auch das muss im Gesamtzusammenhang mit der heutigen Abstimmung dargestellt werden.
Beispielhaft zu nennen sind das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit
Steuerstundungsmodellen, das Gesetz zum Einstieg in
ein steuerliches Sofortprogramm, das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung sowie das
Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und
Beschäftigung. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die
große Koalition zielgerichtet konsolidiert und die Ausgaben reduziert. Sie verdeutlichen aber genauso, dass
wir nicht nach der Rasenmähermethode vorgehen und
wahllos kürzen. Vielmehr gehen wir mit Augenmaß und
der richtigen Schwerpunktsetzung vor, um einerseits zu
konsolidieren und um andererseits - Stichwort: Gesetz
zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung - das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
({6})
Das Haushaltsbegleitgesetz 2006 steht erstens in der
Kontinuität der bereits verabschiedeten Gesetze und der
Strategie der großen Koalition und beschreibt zweitens
den wichtigsten und größten Schritt auf dem Weg zu soliden Staatsfinanzen. Dieser Weg ist aufgrund der
finanzpolitischen Realitäten ohne jegliche Alternative.
Eine Alternative ist uns zumindest nicht aufgezeigt worden. Vor dem Hintergrund sowohl europäischer als auch
verfassungsmäßiger Vorgaben ist dieser Schritt, so
schwer er uns fällt, unumgänglich. Wir haben der
Europäischen Kommission zugesagt, im nächsten Jahr
die 3-Prozent-Defizitquote des Maastrichtvertrags wieder einzuhalten. Wir müssen unser Defizit 2007 deutlich
reduzieren, damit die Nettokreditaufnahme dem Grundgesetz entsprechend nicht mehr die Summe der Investitionen überschreitet.
({7})
Mit dem Haushaltsbegleitgesetz leisten wir den entscheidenden Beitrag zur Sanierung der Finanzen von
Bund, Ländern und Kommunen. Dabei sind die Kürzungen auf der Ausgabenseite erheblich. Wir müssen notgedrungen eine Anhebung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes von 16 auf 19 Prozent vornehmen. Dass diese
Mehrwertsteuererhöhung unumgänglich und der Zeitpunkt dafür richtig ist, haben uns verschiedene Sachverständige in der Anhörung bestätigt.
({8})
Ich zitiere noch einmal Professor Rürup, der es in der
Ausgabe des „Handelsblatts“ vom 3. Mai 2006 wie folgt
auf den Punkt bringt:
Wenn man die Bindungswirkung des Artikels 115
nicht weiter abschwächen und damit die Verschuldungsgrenze einreißen will, ist die Mehrwertsteuer
der Preis, den man zahlen muss.
Das ist die bittere, aber deutliche Wahrheit, nach der wir
uns richten.
({9})
Folgendes darf nicht vergessen werden - in diesem
Zusammenhang muss man es noch einmal herausstellen -: Wir lassen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz
von 7 Prozent im Sinne der sozialen Balance unangetastet. Die Güter des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel,
Kindernahrung, Zeitungen, Bücher, Busfahrscheine werden nicht erhöht besteuert.
({10})
Ich möchte noch einige Worte zu den Ergebnissen der
Maisteuerschätzung verlieren. Abweichend von dem
sonst üblichen Verfahren, lediglich geltendes Recht in
die Steuerschätzung einzubeziehen, sind in der Maisteuerschätzung 2006 die finanziellen Auswirkungen der
noch nicht in Kraft getretenen Anhebung der Mehrwertsteuer und der Versicherungsteuer ab dem 1. Januar 2007
bereits berücksichtigt. Die positiven Ergebnisse dieser
Steuerschätzung sind also schon ein Erfolg der Handlungen der großen Koalition, also der Pakete und der Gesetzesinitiativen, die wir eingebracht haben.
Dennoch darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir
deshalb in Geld schwimmen bzw. dass wir bei den
Staatsfinanzen schon wieder Oberwasser melden können. Im Gegenteil: Der Konsolidierungsdruck bleibt
hoch. Einsparungen bleiben notwendig, um die strukturelle Lücke dauerhaft zu schließen.
({11})
Herr Kollege, wir müssen die Debatte an anderer
Stelle vertiefen. Sie sind schon über Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Ich möchte noch auf Folgendes hinweisen: Unser Ziel
bleibt, mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt vor-
zulegen. Wer sein Geld nur noch für Zinsen und Ver-
pflichtungen ausgibt, der kann seinen politischen Auf-
trag nicht mehr erfüllen. Wer sich bei einem Stand von
über 1,5 Billionen Euro Schulden weiter verschuldet, der
handelt moralisch unverantwortlich. Es muss verhindert
werden, dass der künftigen Generation zusätzlich zu den
demografischen Problemen in den sozialen Sicherungs-
systemen weitere Zinslasten aufgebürdet werden. Vor
diesem Hintergrund bitte ich Sie um Zustimmung zum
Haushaltsbegleitgesetz 2006.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Haushalts-
begleitgesetzes 2006, Drucksachen 16/752 und 16/1369.
Mir liegen zwei Erklärungen zur Abstimmung nach § 31
der Geschäftsordnung vor. Sie stammen von der Kolle-
gin Christine Lambrecht und dem Kollegen Gerold
Reichenbach.1)
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/1525, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Dazu
liegt uns ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den
Änderungsantrag auf Drucksache 16/1537? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsan-
trag ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der Fraktionen der FDP, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der Linken angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Hierzu ist namentliche Ab-
stimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. -
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
1) Anlage 2
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit dem Auszählen zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zur
Abstimmung über die Entschließungsanträge. Ich bitte
Sie deshalb, Ihre Plätze wieder einzunehmen und die
Gespräche, sofern diese notwendig sind, nach draußen
zu verlagern.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, es zu
ermöglichen, dass diejenigen, die an der Abstimmung
teilnehmen wollen, den Vorgängen auch folgen können.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1534? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gibt es von der Fraktion
der Grünen ein Votum?
({1})
Der Entschließungsantrag der FDP ist mit den Stimmen
der Unionsfraktion, der SPD und der Linken abgelehnt.
({2})
- Und der Grünen. Er ist also vom übrigen Haus abge-
lehnt.
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1535. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke ist gegen ihre Stimmen mit den Stim-
men des übrigen Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1536? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsan-
trag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, der Linken und der FDP abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Oskar Lafontaine,
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost und der Frak-
tion DIE LINKE
Hedgefondszulassung zurücknehmen
- Drucksachen 16/113, 16/1448 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Dr. Axel Troost
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1449 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Vizepräsidentin Petra Pau
Carsten Schneider ({5})
Anja Hajduk
Über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort hat die Kollegin Nina Hauer von der SPDFraktion.
({6})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt ein Antrag der PDS vor, in dem Sie fordern, die Hedgefonds abzuschaffen. Es freut Sozialdemokraten natürlich, dass Sie nicht aufhören, sich an
uns zu orientieren und unseren ehemaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering zitieren. Mehr als dieses Zitat
gibt Ihr Antrag aber leider nicht her, weshalb er vielleicht viel dazu taugt, diskutiert zu werden, aber wenig
dazu, in der Abstimmung angenommen zu werden. Deswegen werden wir ihn auch ablehnen.
({0})
Wir haben die Hedgefonds vor einigen Jahren in
Deutschland zugelassen, weil wir deren Funktion für
den Finanzmarkt kennen. Wir brauchen diese Fonds
nicht nur im internationalen Vergleich und Wettbewerb,
sondern auch, weil sie eine Rolle erfüllen, die kein anderes Finanzprodukt übernehmen kann. Sie sind in der
Lage, Währungsrisiken und Spekulationsrisiken aufzufangen, aber - da treffen wir uns zumindest in der Argumentation wieder - sie sind natürlich auch selbst risikobehaftet. Der Hedgefonds ist ein Instrument, welches
darauf setzt, ein Geschäft abzusichern. Das kann zum
absoluten Gewinn führen. Das kann aber auch dazu führen, dass der Anleger oder der Investor alles verliert, was
er eingesetzt hat.
({1})
Kollegin Hauer, entschuldigen Sie die Unterbrechung. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben so
viel Achtung vor jedem Redner und jeder Rednerin,
denke ich, dass wir hier auch die nötige Atmosphäre herstellen. Ich bitte Sie also, die Gespräche nach draußen zu
verlagern.
({0})
Deshalb haben wir im Gesetz die Hedgefonds auch
mit einer Warnung versehen. Hedgefondsanteile dürfen
nicht am Schalter und nicht an Personen oder Institutionen verkauft werden, die nicht wissen, dass es sich dabei
um ein Produkt handelt, bei dem man sein ganzes Geld
verlieren kann.
Natürlich ist es auch aus Sicht der SPD-Fraktion notwendig, zu beobachten, zu wissen und nachvollziehbar
feststellen zu können, an welchen Geschäften sich
Hedgefonds beteiligen. Der Finanzmarkt braucht Hedgefonds; aber sie sind mit Risiken verbunden. Es gilt, diese
Risiken zu kontrollieren, transparent zu machen und damit umzugehen.
Wir hatten in der Debatte im Ausschuss den wundervollen Vorschlag von der FDP, die Hedgefonds - das ist
dann das andere Extrem - auch für normale Anleger zuzulassen, und zwar für alle Produkte, die es im Fondsbereich gibt, auch für die Altersversorgung. Das
wäre aber so, als würde man einen Fahranfänger auf eine
500-PS-Maschine setzen, ihm den Helm wegnehmen
und sagen: Gute Reise!
({0})
Wenn es auch so ist, dass ich diesen Aspekt lustig finde
- Ihre Vorschläge machen ja immer auch Spaß -, ist
diese Debatte aber doch eine ernsthafte Angelegenheit.
Immerhin geht es um Millionen, die Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen für ihre Altersversorgung anlegen.
In dieser Altersversorgung haben solche Produkte, die
zu einem hohen Verlust führen können, nichts zu suchen.
({1})
Wir wollen, dass die Fonds, die wir haben, nachvollziehbar sind. Es gab in Deutschland einige Fälle, unter
anderem den Fall der Deutschen Börse AG, in denen
eine Übernahme durch kleinere Hedgefonds erfolgt ist.
Sie hatten zwar letztlich in irgendeiner Weise ein gemeinsames Interesse; aber niemand konnte verhindern,
dass sie die Anteilsmehrheit erlangen. Die deutschen
Hauptversammlungen sind nicht so gut besucht; da können auch kleine Anlegergruppen schnell die Mehrheit
haben.
Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Aber wir
müssen natürlich wissen - das gilt für die Anleger, für
die Anteilseigner, die Aktionäre, aber auch für die Beschäftigten von Unternehmen -, was jemand im Schilde
führt, der ein Unternehmen übernimmt. Deshalb gilt es,
auf diese besondere Fondsform ein Auge zu haben.
Wir begrüßen aus diesem Grunde, dass die Bundesregierung einen Forschungsauftrag bezüglich PrivateEquity-Fonds und Hedgefonds vergeben hat. Wir werden bei der Umsetzung der Transparenzrichtlinie darauf achten, dass die Meldeschwelle, das heißt die
Schwelle, ab der ein Unternehmen angeben muss, dass
es durch entsprechenden Kauf von Aktien Anteilseigner
an einem anderen Unternehmen ist, gesenkt wird. Wenn
das schon im Fall der Deutschen Börse AG umgesetzt
gewesen wäre, dann hätten wir eher gewusst, wem die
Deutsche Börse zu einem kleinen Teil zu diesem Zeitpunkt schon gehört hat.
Mit dem Übernahmegesetz erweitern wir die Aufsichtsbefugnisse der BaFin. Wir schaffen mehr Möglichkeiten, herauszufinden, ob zum Beispiel eine Absprache
zwischen den Fonds vorliegt. Dieses so genannte Acting
in Concert ist eines der größten Probleme, wenn sich
verschiedene Investoren auf ein Unternehmen orientieren. Wir ermöglichen der BaFin, diese Fälle genauer zu
untersuchen. Diese Befugnisse, die wir nach der bisherigen Rechtslage nicht hatten, sind dringend notwendig.
Sie sehen: Wir nehmen die Problemlage ernst, ebenso
die Chancen. Aber vor allen Dingen weisen wir auch auf
die Risiken hin. Wir tragen als Gesetzgeber dazu bei,
dass die Risiken abgesichert werden können und Transparenz geschaffen wird.
Die Kontrolle der Hedgefonds darf sich aber natürlich
nicht auf Deutschland beschränken. Im Fall der Deutschen Börse haben die Fonds von Großbritannien aus
agiert. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir davon ausgehen, dass das in der Mehrheit der Fälle so ist. Deshalb ist
es für uns wichtig, dass wir gemeinsam mit der Bundesregierung dafür sorgen, dass auch international bessere
Regeln geschaffen werden,
({2})
und zwar hinsichtlich der Transparenz, der Meldeschwellen und natürlich der Warnungen bezüglich der
Risikobehaftung dieses Produkts. Da ist europäische
Zusammenarbeit gefordert. Es hilft nicht, Hedgefonds
grundsätzlich abzulehnen. Selbst wenn wir den Antrag
der Linken annähmen, könnten deutsche Unternehmen
von Fonds angegriffen werden, ohne dass wir es wissen.
Wenn wir Ihren Antrag zur Gesetzesgrundlage machen
würden, könnten wir dagegen nicht vorgehen.
Deshalb ist es vernünftiger, das mit einem eigenen
Gesetz zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass wir gemeinsam auf europäischer Ebene und auch auf internationaler Ebene zu besseren Regeln kommen. Daran arbeiten wir. In diesem Sinne wollen wir mit diesem
Produkt umgehen. Dann wird es seine Funktion für den
Finanzmarkt erfüllen und wir können das Risiko kontrollieren.
Vielen Dank.
({3})
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 5 und
gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Entwurf eines Haushaltsbegleit-
gesetzes 2006 der Bundesregierung bekannt: Abgege-
bene Stimmen 545. Mit Ja haben 396 Kolleginnen und
Kollegen gestimmt, mit Nein haben 146 Abgeordnete
gestimmt und drei haben sich enthalten.1) Der Gesetzent-
wurf ist damit angenommen.
1) Anlage 3
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 542;
davon
ja: 393
nein: 146
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Markus Grübel
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Michael Luther
Vizepräsidentin Petra Pau
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
({11})
Stefan Müller ({12})
Bernward Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Richard Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({23})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({24})
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({35})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Michael Roth ({37})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({38})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({39})
Silvia Schmidt ({40})
Renate Schmidt ({41})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({42})
Carsten Schneider ({43})
Reinhard Schultz
({44})
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jörn Thießen
Vizepräsidentin Petra Pau
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Dr. Rainer Wend
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Waltraud Wollf
({46})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Ottmar Schreiner
Jella Teuchner
Dr. Marlies Volkmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({47})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({48})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({49})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({50})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({51})
Detlef Parr
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({52})
Martin Zeil
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({53})
Volker Schneider
({54})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({55})
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Ursula Eid
Hans Josef Fell
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({56})
fraktionslos
Enthalten
SPD
Willi Brase
Hilde Mattheis
Andreas Steppuhn
Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 6 zurück.
Das Wort erhält der Kollege Frank Schäffler von der
FDP.
({57})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Was die Linken dem Parlament vorgelegt haben,
ist eigentlich eine Zumutung.
({0})
Dies zeigt, dass Sie in der Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland noch nicht angekommen sind.
({1})
Sie schießen in Ihrem Antrag mit Kanonen auf Spatzen.
Sie wollen die Hedgefonds aus dem Investmentgesetz
streichen,
({2})
obwohl die Hedgefonds in Deutschland faktisch keine
Rolle spielen.
({3})
- Warten Sie einmal ab!
Die Umsetzung des Investmentmodernisierungsgesetzes ist, was die Hedgefonds betrifft, bislang noch enttäuschend. Die wenigen Hedgefonds, die in Deutschland
aufgelegt und vertrieben wurden, haben ein Volumen
von 2 Milliarden Euro. Weltweit haben Hedgefonds inzwischen ein Volumen von 1,2 Billionen US-Dollar.
Die Erde ist keine Scheibe und Hedgefonds sind
keine abstrakten Gebilde. Dahinter stehen Menschen,
Menschen im Übrigen, die Ihnen von der Linken nahe
stehen sollten. Anleger sind Gewerkschaften, Versicherungen, Pensionsfonds. Dahinter steckt der kleine Mann.
Dies gilt insbesondere in den USA und in England. So
sind die Angestellten des Bundesstaates Kalifornien zum
Beispiel mit annähernd 6 Milliarden Dollar in einem
Hedgefonds investiert. Die Metallarbeitergewerkschaft
in den USA ist mit 180 Millionen US-Dollar in Hedgefonds investiert, die LKW-Fahrergewerkschaft mit
242 Millionen US-Dollar und die Einzelhandelsgewerkschaft mit 72 Millionen US-Dollar. Sie alle sind also in
Hedgefonds investiert.
({4})
Warum, muss man sich fragen, ist das so? Ganz einfach:
Es geht um deren Altersvorsorge und eine vernünftige
Anlage der Mitgliedsbeiträge. Da kann auch die Investition in Hedgefonds zur Beimischung eines Anlageportefeuilles durchaus Sinn machen.
({5})
Sie sollten mit Ihrer Polemik gegen die Hedgefonds
den deutschen Investitionsstandort nicht in Misskredit
bringen.
({6})
Sie nehmen auch billigend in Kauf, dass damit keine
neuen Arbeitsplätze in diesem Land entstehen.
In Richtung SPD sage ich: Sie haben die Heuschreckendiskussion in diesem Land angezettelt. Das Ergebnis dieser Anzettelung ist beispielsweise der Antrag, der
uns vorliegt.
({7})
Bei der Einführung von REITs, Herr Pronold, befinden
Sie sich zum Schaden unseres Landes in der gleichen
Ecke.
Dennoch sage ich: Jede Kapitalanlage hat auch ihre
Risiken. Je größer das Gesamtvolumen des Marktes ist,
umso größer sind die Risiken dieser Anlageform für die
Finanzmärkte und die Weltwirtschaft.
({8})
Der Markt hat die bisherigen Probleme der Hedgefonds
jedoch ohne staatliche Hilfe beseitigt. Der bislang einzige Fall 1998 wurde von den Akteuren auf den Finanzmärkten selbst gelöst.
Schauen Sie sich dagegen staatliches Handeln in diesem Bereich, zum Beispiel bei der Bankgesellschaft Berlin und der West-LB, an. Milliarden an Steuergeldern
mussten für staatliches Fehlverhalten herangezogen werden. Ich glaube nicht, dass die Vorschläge, die bislang
auf dem Tisch liegen, um Hedgefonds zu regulieren
- die Bundesbank hat aktuell einen Vorschlag dazu gemacht -, wirklich Aussicht auf Erfolg haben.
Dagegen führt eine stärkere Investition von Pensionsfonds und Versicherungen weltweit eher zu Transparenz,
denn diese sind ihren Kleinanlegern verpflichtet. Schon
deshalb werden sie Druck auf die Hedgefonds hinsichtlich der Transparenz ausüben.
Also treiben Sie von der Linken nicht jede Sitzungswoche eine neue Sau durchs Dorf, sondern beteiligen Sie
sich konstruktiv an einer Stärkung des Finanzstandortes
Deutschland! Nur das bringt Arbeitsplätze.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Beschlussempfehlung
des Finanzausschusses und die Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse sprechen eine eindeutige Sprache: Mit nur einer Ausnahme in einem einzigen Ausschuss haben alle Fraktionen - im federführenden
Finanzausschuss sowieso und auch in den mitberatenden
Ausschüssen - Ihren Antrag zum Verbot der Hedgefonds, meine Damen und Herren der Fraktion Die Linke,
einhellig abgelehnt.
In Ihrem Antrag fordern Sie, die Möglichkeit der Auflage und Zulassung von Hedgefonds in Deutschland, die
wir gerade erst mit dem Investmentmodernisierungsgesetz im Jahr 2003 geschaffen haben, wieder aufzuheben.
Dieser magere, gerade einmal eineinhalb Seiten umfassende Antrag ist nicht nur Zeichen Ihres blinden Aktionismus im Finanzausschuss, sondern vor allem Ausweis
Ihres tiefen Misstrauens gegenüber der Finanzmarktpolitik und ihrer Fähigkeit, Finanzmärkte zu gestalten.
Als Nachfolgeorganisation und damit Eigentümerin
des SED-Vermögens sollten Sie es durchaus einmal daraufhin kontrollieren, ob unter den Anlagen nicht auch
Hedgefonds sind und Ihr Antrag in diesem Parlament
von daher etwa kontraproduktiv wäre.
({0})
Sie fürchten - so die Problembeschreibung in Ihrem
Antrag -, dass von Hedgefonds zunehmend Probleme
für die Stabilität der Finanzmärkte ausgehen. Welche
Schlussfolgerung ziehen Sie geradezu reflexartig daraus? Ganz klar: Hedgefonds verbieten - als lebten wir
in einer abgeschotteten Welt ohne internationale Finanzströme, in der wir durch die Abschaffung eines Finanzmarktproduktes irgendetwas für die Stabilität des
Finanzmarktes erreichen könnten.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Meine Fraktion
leugnet keinesfalls, dass von Hedgefonds Risiken ausgehen können.
({1})
Doch die Antwort der Fraktion Die Linke darauf,
Hedgefonds einfach zu verbieten, geht völlig an der Sache vorbei. Ich bin froh, dass darüber in diesem Haus
Einigkeit besteht.
Meine Damen und Herren der Fraktion Die Linke, Sie
haben im Finanzausschuss Ihre Hoffnung zum Ausdruck
gebracht, dass von Ihrem Antrag eine Anstoßwirkung
für weitergehende Diskussionen ausgehe. Leider muss
ich Ihnen sagen, dass Sie mit Ihrem kategorischen Nein
zum Produkt Hedgefonds sachorientierten und konstruktiven Diskussionen geradezu eine Absage erteilt haben.
Dennoch möchte ich versuchen - ich denke, das verdienen Debatten in diesem Haus -, das Thema, das Sie mit
Ihrem Antrag auf die heutige Tagesordnung gesetzt haben, sachlich zu beleuchten.
Vor knapp drei Jahren haben wir im Finanzausschuss
die Verabschiedung des Investmentmodernisierungsgesetzes diskutiert und durch gute interfraktionelle Zusammenarbeit Regelungen zur Zulassung und Regulierung
von Hedgefonds auf den Weg gebracht. Gerade vor dem
Hintergrund eines intensiven Wettbewerbs mit anderen
europäischen Finanzplätzen waren wir uns damals einig,
dass eine Zulassung von Hedgefonds auch in Deutschland möglich sein muss. Auch die Tatsache, dass Hedgefonds Eigenschaften besitzen, die zu einer Stärkung der
Finanzmärkte führen, hat uns fraktionsübergreifend richtigerweise zur Zulassung von Hedgefonds bewogen.
({2})
Seit dem 1. Januar 2004 gibt es also nun auch in
Deutschland Hedgefonds, und zwar sowohl die so genannten Single-Hedgefonds als auch Dach-Hedgefonds,
die in Anteile von Hedgefonds investieren. Aus Gründen
des Anlegerschutzes schreibt das Gesetz vor, dass nur
Dach-Hedgefonds in Deutschland öffentlich vertrieben
werden dürfen.
Wie wir alle wissen, war das Angebot an Hedgefonds
nach In-Kraft-Treten des Investmentmodernisierungsgesetzes zunächst etwas zurückhaltend. Dies lag vielleicht
auch daran, dass wir mit diesem Gesetz weltweit einzigartige Transparenzanforderungen verbunden haben. International ist die Hedgefonds-Branche in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Die Zahl der Hedgefonds
stieg von 5 000 Fonds im Jahre 1995 auf weltweit
8 600 Fonds am Jahresende 2005. Die HedgefondsBranche verwaltet insgesamt mehr als 1 Billion US-Dollar.
Meine Damen und Herren der Fraktion Die Linke, in
Ihrem Antrag bringen Sie die gesamte Branche in Misskredit. Sie wollen dieses Instrument in Deutschland wieder abschaffen. Ihre Begründung dafür ist sehr mager.
Sie sagen zum einen, dass die Möglichkeit der Hedgefonds, Leerverkäufe zu tätigen, ein erhöhtes Risikopotenzial berge, und zum anderen, dass bei Hedgefonds
die Tendenz zum spekulativen Aufkauf von Firmenteilen
zunehme.
Sie verschweigen komplett, welchen positiven Beitrag Hedgefonds für die Finanzmärkte leisten. Selbst
Akteure, die sich öffentlich für eine weltweit stärkere
Regulierung von Hedgefonds aussprechen, geben offen
zu, dass Hedgefonds zu mehr Effizienz im Finanzmarkt
beitragen. Gerne zitiere ich an dieser Stelle Herrn
Dr. Meister von der Deutschen Bundesbank, der sich vor
kurzem für ein freiwilliges Kontrollsystem von Ratingagenturen für Hedgefonds ausgesprochen hat:
Hedgefonds machen die Märkte effizienter; sie stellen Liquidität bereit, fördern die Preisbildung und
übernehmen Risiken, die andere Akteure nicht tragen können oder wollen.
Meine Damen und Herren der Fraktion die Linke,
selbstverständlich kenne ich auch die kritischen Stimmen der Bundesbank zu möglichen Risiken von Hedgefonds. Schließlich hatten wir in der letzten Woche die
Gelegenheit, gemeinsam eine sachkundige Diskussion
mit Vertretern der Deutschen Bundesbank zu diesem
Thema zu führen.
Ich kenne auch die Äußerung von Herrn Sanio von
der BaFin, Hedgefonds seien in Bezug auf Kontrolle und
Anlegerschutz ein schwarzes Loch. Ich fürchte aber, ich
muss Sie enttäuschen: Sie werden auch Herrn Sanio
nicht zum Verbündeten Ihres Antrages machen können;
denn Herr Sanio spricht sich nicht nur nicht für ein Verbot von Hedgefonds aus; er plant auch keine nationalen
Alleingänge. Immer, wenn er seine Stimme zur Regulierung von Hedgefonds erhebt - manchmal vielleicht etwas zu laut -, mahnt er ein Vorgehen auf internationaler
Ebene, innerhalb der IOSCO, an. Das sollten Sie künftig
fairerweise hinzufügen, wenn Sie seine Ausführungen
zitieren.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion betrachtet die
Frage der notwendigen Transparenz von Hedgefonds
nicht als nationales Thema. Die Regulierung von Hedgefonds hat nicht einmal eine europäische Dimension, sondern ist vielmehr eine internationale Herausforderung.
Ob es dabei zu staatlichen Vereinbarungen oder zu einer
freiwilligen Verpflichtung von Hedgefonds kommt, ist
zweitrangig. Wichtig ist, dass die Transparenz von
Hedgefonds weltweit erhöht wird. Die Mittel dazu müssen auf internationaler Ebene klug gewählt werden.
Das heißt allerdings keinesfalls, dass Deutschland
seine Verantwortung für das Thema abgibt. Das hat die
Bundesregierung im Übrigen bereits im Koalitionsvertrag sehr deutlich gemacht. Darin hat sie sich dezidiert
dazu verpflichtet, sich auf internationaler Ebene - Zitat „für eine angemessene Aufsicht und Transparenz von
Hedgefonds“ einzusetzen. Sie hat sich nicht nur dazu
verpflichtet: In internationalen Gremien, wie dem Forum
für Finanzstabilität oder der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden, macht sich diese
Bundesregierung aktuell für eine verbesserte Transparenz von Hedgefonds stark.
Im Jahre 1998 kam es zum Zusammenbruch von
LTCM. Auf dieser Grundlage können Sie in Ihrem Antrag aber nicht fordern, die Hedgefonds in Deutschland
zu verbieten.
In Deutschland wurde die Diskussion über Hedgefonds im letzten Jahr neu entfacht, als der Versuch der
Übernahme der Londoner Börse durch die Deutsche
Börse scheiterte. In diesem Zusammenhang trat bei einigen Hedgefonds ein verändertes Rollenverständnis
zutage. Frau Kollegin Hauer hat zu diesem Phänomen
etwas gesagt. Man muss sich vielleicht darauf verständigen, wie da die Transparenz verbessert werden kann, wie
die Informationspflicht gegenüber dem Markt ab einer
bestimmten Beteiligungshöhe sichergestellt werden
kann.
Die am Markt agierenden Hedgefonds arbeiten mit
zum Teil sehr unterschiedlichen Strategien. Einige davon
mögen für die Stabilität des Finanzmarktes risikoreich
sein. Wenn man aber die Gesamtheit der Hedgefonds betrachtet, stellt man fest, dass es eine Risikoverteilung
gibt. Das Entscheidende ist die Offenlegungspflicht,
weil dadurch die Präferenz zum Ausdruck kommt.
({3})
Wir werden die Diskussion über diese Problematik
weiterführen. Wir werden nach adäquaten Begleitmaßnahmen suchen, die aber nur international vereinbart
werden können.
Heute müssen wir der Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zustimmen und damit den Antrag der
Linken leider ablehnen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Oskar Lafontaine.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute
mit Heuschrecken. Wenn Sie sich erinnern: Dies war vor
einem Jahr eine lebendige Debatte in Deutschland. Viele
haben aufmerksam zugehört, als der heutige Vizekanzler
Franz Müntefering vor einer Wahl das Thema der Heuschrecken zu einem zentralen Anliegen des Wahlkampfes machte.
Das Argument war, dass diese Fonds wie Heuschrecken, die über Wiesen herfallen, abgrasen und dann wieder verschwinden, agieren. Dieses Argument war nicht
ganz falsch.
({0})
Viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben die
Hoffnung gehabt, dass mit dieser Intervention einmal die
Frage aufgeworfen würde, ob der gegenwärtige Weg auf
den internationalen Finanzmärkten richtig sei, um
Wachstum, Beschäftigung sowie eine stetige und stabile
Entwicklung der Weltwirtschaft zu garantieren.
({1})
Unabhängig von dem, was von den bisherigen Rednern vorgetragen worden ist, ist weltweit unbestritten,
dass die Hedgefonds erstens die Finanzmärkte destabilisieren,
({2})
zweitens die Wechselkurse destabilisieren und drittens
auch die Unternehmen destabilisieren. Diese international festgestellte Entwicklung sollte doch Veranlassung
sein, über Hedgefonds nachzudenken.
Ich komme zunächst auf die Finanzmärkte zu sprechen. Es ist vorhin schon Herr Sanio, der Chef der
BaFin, zitiert worden, der immer wieder darauf hinweist,
dass die Hedgefonds die schwarzen Löcher des Weltfinanzsystems sind.
({3})
Ich möchte ihn weiter zitieren, was mein Vorredner vorhin versäumt hat: Die Frage ist nicht, ob, sondern wann
ein Hedgefonds ein Desaster verursacht.
({4})
Wenn ein Fachmann eine solche Feststellung trifft, dann
müsste doch Veranlassung bestehen, auf irgendeine
Weise tätig zu werden.
({5})
Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass im
Jahre 1998 durch den Zusammenbruch von LTCM ein
Zusammensturz des Weltfinanzsystems drohte. Viel
Glück und das konsequente Handeln der amerikanischen
Notenbank verhinderten, dass damals das Weltfinanzsystem zusammenbrach. Schon damals wurde der Ruf nach
Regulierung laut. Heute sind es die Deutsche Bundesbank, die Europäische Zentralbank, die BaFin, die USBörsenaufsicht und die großen Hedgefonds selber, die
der Meinung sind, dass es auf diese Art und Weise nicht
mehr weitergehen kann.
Es genügt eben nicht, einfach nur darauf zu verweisen, die Hedgefonds würden irgendetwas Positives leisten. Es genügt auch nicht der Hinweis, es könne, wenn
überhaupt, dann nur im internationalen Rahmen reguliert
werden. Nein, wir sind selbst gehalten, unsere VerantOskar Lafontaine
wortung wahrzunehmen und einen Beitrag zu leisten,
dass es nicht zu einem internationalen Desaster kommt.
({6})
Wenn argumentiert wird, das, was hier von unserer
Fraktion vorgeschlagen wird, sei nicht akzeptabel, dann
muss ich darauf hinweisen, dass wir schlicht und einfach
vorschlagen, eine Zulassung, die 2004 erfolgt ist und
über die öffentlich gar nicht diskutiert worden ist, jetzt
wieder zurückzunehmen.
({7})
Deutschland hat auch funktioniert vor dem
Jahre 2004. Deutschland hat auch funktioniert, ohne
dass die Hedgefonds zugelassen waren. Der Kollege von
der FDP hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass die
Hegdefonds in Deutschland noch kein großes Finanzvolumen haben.
({8})
Es geht um die prinzipielle Frage, ob wir tatenlos zusehen sollen, dass die Finanzmärkte mit solchen Risiken
leben müssen. Wenn eines Tages wieder eine solche
Krise geschieht wie die bei LTCM und wenn die internationalen Finanzmärkte zusammenbrechen, dann genügt
es nicht, mit offenem Mund dazustehen, sondern dann
muss man sich zur eigenen Verantwortung bekennen.
Die wahrzunehmen, lehnen Sie derzeit ab.
({9})
Zur Stabilität der Wechselkurse will ich aus Zeitgründen nichts sagen. Dass die Wechselkursstabilität ein großes Problem der Weltwirtschaft ist und dass die Hedgefonds hier eine sehr negative Rolle spielen, merke ich
nur an.
Ich komme auf die Unternehmen zu sprechen. Es geht
hier nicht nur um Anlegerschutz, wie der eine oder andere sagt. Es geht hier um den Schutz der Arbeitsplätze
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
({10})
die immer dann wegfallen, wenn sich Hedgefonds auf
diese Art und Weise bedienen.
({11})
Ich lese Ihnen einmal vor, was Herr Seifert, der etwas
mehr als der Zwischenrufer in der ersten Reihe von der
Sache versteht - leider ist mir sein Name nicht präsent -,
sagt:
Machen wir uns nichts vor. Die erfolgreiche deutsche Industrie entstand, weil gute Ingenieure gute
Qualitätsprodukte gemacht und die Firmen Sicherheitspolster gebildet haben. Durch diese neue Entwicklung am Kapitalmarkt raubt man den Unternehmen die Zukunft. Denn zuerst wird bei den
Investitionen gespart. Ich habe noch die Mails der
Hegdefonds, die genau das gefordert haben.
Es wird also an Investitionen gespart, um eine ordentliche Rendite zu erwirtschaften. Das ist doch auch für die
deutschen Unternehmen und für die deutsche Volkswirtschaft ein falscher Weg.
({12})
Ihr Verhalten hier erinnert an Mediziner, die zuerst einen Virus in die Welt setzen und dann sagen, dass sie irgendwie einen Impfstoff entwickeln müssen.
Kollege Lafontaine, es tut mir Leid, aber Sie müssen
zum Schluss kommen.
Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin, ich komme zum
Schluss. - Die Hedgefonds sind ein Kernelement des internationalen Finanzkapitalismus. Eine Weltwirtschaftsordnung, die auf den internationalen Finanzkapitalismus
in der gegenwärtigen Prägung setzt, wird keinen Bestand
haben. Es ist an der Zeit, dass große Industrienationen
darangehen, diesem Treiben ein Ende zu machen.
Deutschland könnte mit gutem Beispiel vorangehen.
({0})
Nun hat der Kollege Schick vom Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es ist gut, dass nach diesem Beitrag noch jemand
redet.
({0})
- Vorsicht. - Wo Oskar Lafontaine Recht hat, da hat er
aber Recht.
({1})
Ich bin der Linkspartei dankbar, dass wir diese Sache
hier diskutieren. Wenn international von allen Finanzaufsehern und Zentralbankern massiv vor den Gefahren der Hedgefonds gewarnt wird, dann müssen auch
wir hier im Bundestag uns damit beschäftigen und das
sollten wir sachlich tun.
({2})
Aufgrund der massiven Anlagesteigerung auf 1,2 Billionen Dollar, mit denen man jetzt in weniger liquide
Anlagen hineingeht, und im Kontext der Zinserhöhung,
die es in absehbarer Zeit geben wird, ist der Hebeleffekt,
der sich dadurch ergibt, dass Hedgefonds Fremdkapital
einsetzen, natürlich eine gefährliche Sache für die
Finanzmärkte. Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Auch in der Debatte zu Basel II haben wir
eindeutig klargestellt - wir waren uns darin einig -, dass
gute und stabile Finanzmärkte existenziell für eine gute
wirtschaftliche Entwicklung sind.
Heute ist der Zustand völlig intransparent. 87 Prozent
der größeren Unternehmen in Deutschland haben
Hedgefonds unter ihren Aktionären, aber sie wissen
nicht, wer das ist und was sie tun. Damit müssen wir uns
auseinander setzen. Es gefährdet Arbeitsplätze in
Deutschland und hat mit der von uns gewollten nachhaltigen Entwicklung überhaupt nichts zu tun, auf kurzfristige Renditeorientierung anstatt auf langfristige Wertschöpfung zu setzen.
({3})
Man muss festhalten: Angesichts dieser Situation ist es
beschämend, dass heute, acht Jahre, nachdem der erste
Hedgefonds massive, milliardenschwere Schäden verursacht hat, international immer noch nichts geschehen ist.
({4})
Ich komme zum Antrag der Linkspartei. Sie haben
von „schlicht und einfach“ gesprochen. Genau so ist leider auch Ihr Antrag gestrickt: schlicht und einfach. Ich
frage Sie: Was bringt es denn, wenn wir in Deutschland
die Hedgefonds abschaffen? Es geht um 43 von international 9 000 Hedgefonds. Was bringt das für die zusätzliche Finanzmarktstabilität? - Gar nichts bringt das.
({5})
Ich frage Sie, ob es mehr Transparenz zum Beispiel für
die deutschen Anleger bringt, wenn wir sie hier in
Deutschland abschaffen. Natürlich sind sie über die Lebensversicherungen und über die Pensionsfonds längst
an den internationalen Hedgefonds beteiligt. Der Schutz,
den Sie hier anstreben, wird durch Ihren Antrag nicht erreicht. Auch hier gilt: Es bringt nichts.
({6})
Sie sagen, Sie wollen die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in den Unternehmen davor schützen,
dass Hedgefonds kurzfristig in diese Unternehmen hineingehen und Übernahmen, Fusionen und Abspaltungen durchsetzen, die vielleicht gar nicht im langfristigen
Interesse des Unternehmens liegen. Auch deshalb muss
ich Sie fragen, ob das, was Sie hier fordern, etwas bringt.
- Nein, es bringt nichts, weil die Hedgefonds von woanders aus agieren können. Angesichts der vorhandenen
Risiken und Schwierigkeiten bin ich dafür, etwas zu tun,
was etwas bringt. Was Sie liefern, ist nur eine schwache
Show.
({7})
Frau Hauer, ich muss aber auch sagen, dass ein Forschungsauftrag vielleicht auch nicht reicht. Der Vorschlag von der Bundesbank, den ich richtig finde - die
Hedgefonds sollten sich freiwillig durch Ratingagenturen kontrollieren lassen -, wird ebenfalls bei weitem
nicht ausreichen. Das ist nicht das, was wir uns unter einer guten Finanzaufsicht vorstellen. Richtig ist, dass wir
in der Europäischen Union und mit starker deutscher Beteiligung eine Regulierung im Rahmen der Fondsrichtlinie durchsetzen müssen.
In dem Zusammenhang habe ich eine Frage an die
große Koalition. Vor wenigen Wochen haben Sie angekündigt, dass Sie die Regulierung von Hedgefonds in
Deutschland erleichtern und die Meldepflichten herabsetzen wollen. Das passt doch wie die Faust aufs Auge.
Wie wollen Sie international eine schärfere Regulierung
durchsetzen, wenn Sie national Erleichterungen schaffen? Wer so widersprüchlich aufgestellt ist, wird wenig
Erfolg haben.
({8})
Deswegen überzeugt uns Ihre Aufstellung genauso wenig wie der schmalbrüstige Antrag der Linkspartei.
Danke schön.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf Drucksache 16/1448 zum Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Hedgefondszulassung
zurücknehmen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 16/113 abzulehnen.
Über die Beschlussempfehlung ist namentliche Ab-
stimmung verlangt. Ich bitte deshalb die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das bis-
her seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 e sowie
die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf:
19 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 23. Mai 1997 über die
Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Seegerichtshofs und zu dem Abkommen
vom 14. Dezember 2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Internationalen Seegerichtshof über den Sitz des Gerichtshofs
- Drucksache 16/1288 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsidentin Petra Pau
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. März 1998 über die Vorrechte
und Immunitäten der Internationalen Meeresbodenbehörde
- Drucksache 16/1289 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel
Bahr ({2}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad
Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Ausgleich für neue Arbeitszeitmodelle in
Krankenhäusern vorziehen
- Drucksache 16/670 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Patrick Döring, Horst
Friedrich ({3}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee optimieren
- Drucksache 16/1164 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes
für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für
das Kosovo auf der Grundlage der Resolution
1244 ({5}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der
Internationalen Sicherheitspräsenz ({6})
und den Regierungen der Bundesrepublik
Jugoslawien und der Republik Serbien ({7}) vom 9. Juni 1999
- Drucksache 16/1509 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({8})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 1 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP, der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter,
Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({9}), Bärbel Höhn, Rainder Steenblock, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Verbot der Einfuhr von Wildvögeln
- Drucksache 16/1502 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Katja Kipping, Heidrun Bluhm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Wohnungslosigkeit vermeiden - Wiedereinführung von Beihilfen und Übernahme von
Mietschulden auch für Erwerbstätige mit
niedrigem Einkommen und ArbeitslosengeldI-Bezieher
- Drucksache 16/1201 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({11})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre
Plätze wieder einzunehmen und Gespräche möglichst
draußen fortzusetzen, sodass die Kolleginnen und Kollegen, die das wünschen, den Beratungen weiter folgen
und sich auch an den Abstimmungen beteiligen können.
Das gilt sowohl für die rechte wie für die linke Seite des
Hauses, liebe Kollegen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 20 a bis
20 o. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 20 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und
des Rinderregistrierungsdurchführungsgesetzes
- Drucksache 16/1023 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({12})
- Drucksache 16/1438 Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Waltraud Wolff ({13})
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Vizepräsidentin Petra Pau
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1438, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2006
({14})
- Drucksache 16/637 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({15})
- Drucksache 16/1506 Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Berninger
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/
1506, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ebenfalls einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Möchte sich jemand enthalten? - Der
Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 c auf:
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
Nr. 146 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über den bezahlten
Jahresurlaub der Seeleute
- Drucksache 16/1001 - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
Nr. 166 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Oktober 1987 über die Heimschaffung der Seeleute ({16})
- Drucksache 16/1002 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({17})
- Drucksache 16/1467 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1467, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/1001
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
({18})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einmütig angenommen.
Da wir alle uns ja im Prozess der Arbeit weiterbilden,
Kollege Körper: Das ist ein Vertragsgesetz und deshalb
entfällt die zweite Lesung.
({19})
Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 20 c.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1467, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/1002
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt
dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf
einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote
({20})
- Drucksachen 16/1003, 16/1342 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({21})
- Drucksache 16/1541 Berichterstattung:
Abgeordnete Georg Fahrenschon
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1541, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Vizepräsidentin Petra Pau
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der
Fraktion der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung des Schuldenwesens des
Bundes ({22})
- Drucksache 16/1336 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({23})
- Drucksache 16/1526 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({24})
Anja Hajduk
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1526 die Annahme des Gesetzentwurfes. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 20 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 36 zu Petitionen
- Drucksache 16/1423 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 36 einmütig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 37 zu Petitionen
- Drucksache 16/1424 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 37 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
Fraktion der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 38 zu Petitionen
- Drucksache 16/1425 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 38 einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28})
Sammelübersicht 39 zu Petitionen
- Drucksache 16/1426 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 39 gegen die
Stimmen der FDP, der Linken und der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 40 zu Petitionen
- Drucksache 16/1427 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 40 gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 41 zu Petitionen
- Drucksache 16/1428 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
möchte sich enthalten? - Damit ist die Sammelübersicht 41 bei Gegenstimmen der Fraktion der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31})
Sammelübersicht 42 zu Petitionen
- Drucksache 16/1429 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
möchte sich enthalten? - Die Sammelübersicht 42 ist gegen die Stimmen der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32})
Sammelübersicht 43 zu Petitionen
- Drucksache 16/1430 3150
Vizepräsidentin Petra Pau
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 43 gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33})
Sammelübersicht 44 zu Petitionen
- Drucksache 16/1431 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
möchte sich enthalten? - Damit ist die Sammelübersicht 44 gegen die Stimmen der Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 20 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34})
Sammelübersicht 45 zu Petitionen
- Drucksache 16/1432 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
möchte sich enthalten? - Die Sammelübersicht 45 ist gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe damit den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Beeinträchtigung der Pressefreiheit durch
Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ulrich Maurer.
({35})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit Wochen erreichen uns täglich neue Meldungen, Enthüllungen, Bezichtigungen aus dem Schattenreich der Nachrichtendienste. Das Parlament befindet
sich bisher in der Rolle des fassungslosen Zuschauers;
das ist ein Zustand, den wir mit den deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern teilen.
({0})
Das Parlament ist aber eigentlich dazu berufen, diese
Dinge zu debattieren, zu diskutieren, die Verantwortung
zu klären und Stellungnahmen der Regierung einzuholen. Mit der Rolle des fassungslosen Zuschauens kann es
sich nicht abfinden.
({1})
Wir haben zur Kenntnis zu nehmen: Der deutsche
Auslandsgeheimdienst hat über einen langen Zeitraum
- bis in die jüngste Zeit, wenn man den Meldungen der
Medien glauben darf; und die „Süddeutsche Zeitung“ ist
ja kein Revolverblatt - Journalisten im Inland bespitzelt,
ausgeforscht, ihre Einkünfte kontrolliert, ihr Privatleben
durchleuchtet, ihre Konten geklärt, angeblich sogar, wie
ich heute lese, eine Steuerprüfung veranlasst oder, wie
manche schreiben, sogar Telefone abgehört. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn davon auch nur 80 Prozent
stimmen, ist das der schwerste Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland seit Erlangung der deutschen
Einheit.
({2})
Wir sind in diesem Zusammenhang bei Vergleichen
mit der Staatssicherheit äußerst zurückhaltend - andere
waren da weniger zurückhaltend. Deshalb füge ich, damit da keine Missverständnisse aufkommen, hinzu:
Noch unterhält der BND keine Gefängnisse in der Bundesrepublik
({3})
und noch gibt es die Chance, Abgeordneter zu werden,
selbst wenn man der Gegenstand von Überprüfungen ist.
Aber die Art und Weise, wie informelle Mitarbeiter angeworben werden und wie sie geführt werden, das hat
schon verblüffende Parallelen; das anzumerken, muss erlaubt sein.
({4})
Die Art und Weise, wie in diesem Zusammenhang mit
dem Parlamentarischen Kontrollgremium umgegangen
wurde, ist im Übrigen geeignet, dieses Gremium der Lächerlichkeit preiszugeben; ich will das deutlich sagen.
Es ist abzusehen, dass die Legende gebildet werden
wird - das ist schon zu riechen -, die ganze Operation
wäre nur durch eine wild gewordene Unterabteilung des
BND zustande gekommen. Vielleicht hätte das auch jemand geglaubt, wenn wir nicht den verehrten Kollegen
Schmidbauer - Codename 008 - in unseren Reihen hätten. Er hat uns immerhin mitgeteilt, dass er in seiner Eigenschaft als Koordinator der Nachrichtendienste davon
gehört habe. Zunächst hatte er sogar geglaubt zu wissen,
dass der Chef des BND diese Unternehmungen angeordnet habe. Jetzt erinnert er sich immerhin daran, dass er
davon gehört habe. Das, finde ich, ist ein bemerkenswertes Eingeständnis. Nun höre ich vom Kollegen Struck,
der immerhin, im Gegensatz zum Kollegen Scholz, personelle Konsequenzen fordert, 1998 sei dieses Vorgehen
schlagartig beendet worden. Ich überlege mir immer,
wie die Amtsübergabe von dem Kollegen Schmidbauer
an seinen Nachfolger vor sich gegangen ist.
Die Fragen, die man sich heute stellen muss, lauten:
Werden im BND solche Rechtsbrüche von Abteilungen
ohne Wissen der Führung begangen? Hat der Koordinator der Nachrichtendienste mehr gewusst als der Präsident? Ist das alles vorstellbar? Wenn es so wäre, dann
würde das bedeuten, dass beim BND rechtswidrige Operationen an dessen Führung und an der politischen Ebene
vorbei gemacht werden. Allein das wäre unglaublich.
Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Nachrichtendienst verselbstständigt sich so, dass er Rechtsbrüche begeht, und zwar größten Ausmaßes, und seine Führung
weiß nichts davon. Allein das wäre Grund genug, die
Dinge grundlegend infrage zu stellen.
Wie ist es aber, wenn die Koordinatoren alles oder zumindest ein wenig davon gewusst haben? Die Bundesregierung hat gesagt, sie unterbinde solche Maßnahmen ab
sofort. Wie aber schätzt die Bundesregierung die Maßnahmen aus der ganzen Zeit davor ein? Wie beurteilt sie
das? Welche Konsequenzen zieht sie?
Ich glaube, man muss das alles vor dem Hintergrund
sehen, dass es in Deutschland leider üblich geworden ist,
alle Grenzen zu verwischen, die im demokratischen
Rechtsstaat aufgebaut sind.
({5})
Kollege Maurer, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Es werden die Grenzen
zwischen den Aufgaben der Armee, der Polizei und der
Nachrichtendienste verwischt: Jeder macht alles; alles
vollzieht sich in einer Grauzone.
Wir wollen, dass die demokratische Kontrolle durch
das Parlament wieder hergestellt wird. Wir wollen, dass
die parlamentarischen Kontrollgremien nicht mehr Märchenstunden absitzen müssen, sondern Zugriffsrechte
auf Akten und Informationen haben, sodass sie wirklich
Kontrolle ausüben können.
({0})
Das ist das mindeste Bekenntnis, das wir heute von Ihnen erwarten.
({1})
Das Wort hat der Kollege Röttgen für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte geht es im Kern - das war der
Ausgangspunkt - um den Vorwurf der rechtswidrigen
Überwachung von Journalisten. Das ist eine ernste Sache, ein gravierender Vorwurf. Dieser Vorwurf muss allerdings noch geprüft werden: Gab es diese Vorfälle?
Wenn ja, in welchem Umfang? In welchen Fällen? Was
waren die Umstände?
Wenn wir nach einer Prüfung feststellen sollten, dass
dieser Vorwurf wahr ist, dann sind Kritik, Konsequenzen, vielleicht auch Empörung angemessen. Aber ich bin
mir ganz sicher - das möchte ich in dieser Debatte
sagen -, dass wir mit dem reinen Empörungsgestus, mit
der parteipolitischen Profitsuche bei diesen Vorfällen unserer parlamentarischen Verantwortung ganz sicher nicht
gerecht werden.
({0})
So gravierend dieser Fall ist, so ernst müssen wir die
Frage nehmen, wie wir als Parlament mit diesem Fall
und mit der parlamentarischen Kontrolle, die uns obliegt, umgehen.
Ich kann, wie ich glaube, sagen, dass die Vertreter aller Fraktionen im Parlamentarischen Kontrollgremium
bis zu einem bestimmten Ereignis übereinstimmende
Auffassungen hatten.
Schon in der letzten Legislaturperiode - da gehörte
ich diesem Gremium noch gar nicht an - ist zur Aufklärung dieses Falles ein Sonderermittler eingesetzt worden. Das heißt, das Parlament wollte Klarheit haben und
hat daher von der Möglichkeit des Sonderermittlers Gebrauch gemacht. Herr Dr. Schäfer, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, ist damit beauftragt
worden. Mein Eindruck ist: Wir alle haben Grund, ihm
für die exzellente Arbeit, die er geleistet hat, dankbar zu
sein. Diesen Dank möchte ich ihm hier ausdrücklich abstatten.
({1})
Der Bericht ist nach einem halben Jahr vorgelegt worden. Das ist für einen 170 Seiten starken Bericht eine
angemessene Zeit. Er ist von Herrn Dr. Schäfer im Kontrollgremium vorgestellt worden. Es hat eine Sachverhaltsdarstellung gegeben, eine rechtliche Bewertung
wurde vorgenommen und Konsequenzen wurden vorgeschlagen. Wir alle haben einvernehmlich beschlossen,
diesen Bericht genau zu studieren, zu erörtern und in der
nächsten Sitzung - möglicherweise kontrovers - über
die Konsequenzen zu debattieren. Ich behaupte, dass das
Parlament mit diesem Verfahren seiner Verantwortung
gerecht wird.
Das hat sich in dem Augenblick geändert
({2})
- ich will es präziser sagen, das war nicht in dem Augenblick, in dem es in der Zeitung stand -, in dem es zu einer Straftat gekommen ist, nämlich zu Geheimnisverrat.
({3})
Vielleicht war es jemand aus der Mitte des Parlaments,
vielleicht lag es an den zwei Exemplaren, die die Regierung erhalten hat. Ich weiß nicht, wer der Täter war. Ich
weiß nur, dass es einen strafbaren Geheimnisverrat gegeben hat.
Ich stelle heute als Parlamentarier mit großem Bedauern fest: Diese Straftat war bislang sehr erfolgreich. Sie
bestimmt nämlich in einem weiten Umfang unseren Umgang mit dieser Thematik. Auf einmal findet dazu eine
Aktuelle Stunde statt, auf einmal gibt es eine Parteipolitisierung eines ernsten staatlichen Vorgangs. Auf einmal
gibt es die Informationsherrschaft von einigen wenigen.
Wir gehen davon aus, dass das komplette Exemplar
irgendwo - vielleicht in mehrfacher Ausführung - liegt.
Das heißt, einige wenige haben Informationsherrschaft.
Davon haben sie bereits manipulativen Gebrauch gemacht.
({4})
- Das ist Herrschaftswissen, das manipulativ eingesetzt
wird.
({5})
- Der Verrat ist ein Problem, weil er eine Straftat ist, verehrte Frau Künast.
({6})
Ich will Ihnen sagen, was das Problem ist. Wir als CDU/
CSU-Fraktion und, wie ich glaube, die große Mehrheit
dieses Hauses - wenn Sie das nicht so sehen, dann haben
wir offensichtlich eine unterschiedliche Betrachtungsweise - stellen zweierlei fest: Wir halten sowohl die
Existenz effektiver rechtsstaatlich agierender Geheimdienste als auch eine effektive parlamentarische Kontrolle für notwendig. Wir wollen beides.
({7})
Der Täter, der die Möglichkeit effektiver parlamentarischer Kontrolle durch strafbaren Geheimnisverrat beeinträchtigt, beschädigt das Parlament und dessen
Rechte. Das muss einmal ausgesprochen werden.
({8})
Darum bin ich der Auffassung, dass wir über das Verfahren der parlamentarischen Kontrolle einmal grundsätzlich reden müssen. Diese Selbstbeschädigung können
wir nicht einfach weiter hinnehmen. Wir müssen sie zumindest einmal beim Namen nennen.
Ich will einen allerletzten Punkt ansprechen. Das Parlament ist durch den Geheimnisverrat in eine Notlage
gekommen, und zwar in der Frage der Veröffentlichung.
Wir können nicht mehr darüber entscheiden, ob wir den
Bericht veröffentlichen oder nicht, ob die Geheimhaltung eingehalten wird oder nicht. Durch den Geheimnisverrat ist Öffentlichkeit hergestellt worden. Darum
spricht viel dafür, dass wir nicht weiterhin einseitige, interessengeleitete, manipulationsanfällige Öffentlichkeit
zulassen, sondern unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Betroffenen allgemeine Öffentlichkeit herstellen.
({9})
Dabei sind wir gerade. Ich glaube, dass diese Balance
eingehalten wird und dass dies ein Teil des verantwortungsvollen Umgangs mit diesem Vorfall ist.
Kollege Röttgen, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Ich möchte an uns alle appellieren: Es wird wahrscheinlich immer wieder rechtswidriges staatliches Verhalten geben. Ebenso wird es
auch von Bürgern immer wieder rechtswidriges Verhalten geben. Wir müssen uns daran messen lassen, wie wir
mit einem solchen Verhalten umgehen. Effektiv aufklären, das ist das Gebot der Stunde - und daraus Konsequenzen ziehen, um rechtswidriges Verhalten zu erschweren! Im Umgang mit diesen Vorfällen wird sich
erweisen, ob das Parlament seiner Verantwortung gerecht wird. Wir alle sollten uns bemühen, dieser Verantwortung gerecht zu werden.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Röttgen, ich beziehe mich
nicht auf den noch nicht veröffentlichten SchäferBericht, sondern nur auf die Vorgänge, die schon im November und Dezember letzten Jahres bekannt geworden
sind und zur Beauftragung von Herrn Schäfer mit Ermittlungen geführt haben, nämlich auf die unzulässigen,
schon damals bekannten Oberservierungen von einzelnen Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst.
Das führte immerhin dazu, dass sich der ehemalige
BND-Präsident bei Betroffenen entschuldigt hat und
diese Vorgänge als rechtswidrig bezeichnet hat. Das
kann man als Ausgangspunkt der Debatte nehmen. Von
da ist es nur ein kurzer Weg zu der Aussage: Man fühlt
sich schon sehr an die „Spiegel“-Affäre des Jahres 1962
erinnert.
({0})
Bei aller Unterschiedlichkeit der Vorgänge gibt es einen gemeinsamen Punkt. Auch damals wurde versucht,
eine kritische Berichterstattung mundtot zu machen; das
war der Kern der „Spiegel“-Affäre. Es hat dagegen massiven Widerstand gegeben. Die FDP hat den Rücktritt
von Franz Josef Strauß erzwungen. Die Bürger haben
protestiert. Das Zusammenwirken von Bürgergesellschaft und Liberalen hat dazu geführt, dass heute im
Rückblick gesagt wird: Erst nachdem die „Spiegel“-Affäre durchgestanden war, hat sich das Bewusstsein für
die Pressefreiheit in der noch jungen Bundesrepublik
Deutschland so richtig entwickelt.
({1})
Dieses Bewusstsein ist aber offenbar im Laufe der Zeit
wieder verloren gegangen. Der Stellenwert der Pressefreiheit wird heute vielfach geringer angesetzt. Wir haben das bei der Durchsuchung der Zeitschrift „Cicero“
feststellen müssen. Auch da haben Sicherheitsbehörden
Durchsuchungen bei Journalisten durchgeführt, um Informanten aufzudecken, obwohl der Schutz der Informanten ein wesentlicher Bestandteil der Pressefreiheit
ist.
({2})
Die FDP-Bundestagsfraktion ist schon damals initiativ geworden und hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, auf
den ich gleich zu sprechen komme. Aber wir haben uns
im letzten Herbst nicht vorstellen können, dass die Anzahl der Observierungen und Beobachtungen von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst über Jahre
hinweg so groß ist. Während es für die Durchsuchung
bei „Cicero“ immerhin einen richterlichen Beschluss
gab, hat der Bundesnachrichtendienst nun offenbar in eigener Machtvollkommenheit gehandelt; er hat rechtswidrig gehandelt. Wir, die FDP, wollen einen gut funktionierenden Bundesnachrichtendienst, aber einen, der
sich strikt an Recht und Gesetz hält.
({3})
Wir schlagen dem Parlament drei Sofortmaßnahmen
vor, damit hier nicht nur Empörungsdebatten laufen,
sondern etwas Konkretes geschieht. Erstens. Die Vorwürfe müssen sofort und umfassend aufgeklärt werden
mit dem Ziel, Wiederholungen zu verhindern. Wir, die
FDP, sind der Meinung, dass es nicht ausreicht, auf den
Schäfer-Bericht zu warten. Wer weiß schon, was genau
veröffentlicht werden kann. Schließlich muss der Persönlichkeitsschutz gewahrt werden. Aber wer hindert die
Bundesregierung daran, ihr eigenes Wissen der Bevölkerung mitzuteilen und aufzuklären, ob die in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe zutreffen oder nicht?
({4})
Die Bundesregierung hat sich schließlich nicht daran gehindert gesehen, die Meldung zu dementieren, bei der
„Berliner Zeitung“ habe es eine Telefonüberwachung
gegeben. Dann kann die Bundesregierung - meinetwegen ohne Namensnennung; unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes - doch auch sagen: Diese oder jene
Vorgänge haben sich sehr wohl zugetragen. - Ich verstehe nicht, warum man Tag für Tag darauf warten muss.
Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Die FDP hat den Entwurf eines
Gesetzes zum Schutz der Pressefreiheit eingebracht. Der
Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Journalist
und Informant - auf dessen Informationen ist der Journalist angewiesen -, das ähnlich schützenswert ist wie das
Verhältnis zwischen Arzt und Patient oder zwischen Anwalt und Mandant, darf nicht beeinträchtigt werden. Um
das sicherzustellen, haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, der in der nächsten Sitzungswoche im Innenausschuss debattiert wird. Ich bitte die große Koalition,
sich unseren Vorstellungen anzuschließen, damit wir als
Gesetzgeber das Unsere für einen besseren Schutz der
Pressefreiheit tun.
({5})
Drittens. Die Reform der Geheimdienstkontrolle erweist sich immer mehr als dringend notwendig. Darüber
herrscht allmählich Einigkeit. Wir haben gehandelt. Unser Gesetzentwurf zur Reform der Arbeit des Kontrollgremiums steht in der nächsten Sitzungswoche auf der
Tagesordnung dieses Plenums. Auch hier fordern wir die
Koalition auf, unseren Vorstellungen zu folgen, damit
diese Kontrolle endlich effektiver wird.
Damit ist es aber nicht getan. Für mich hat diese
BND-Affäre zwar nicht die Züge einer Krise des Rechtsstaats, aber deutliche Anzeichen einer Krise des Grundwertebewusstseins in unserem Land.
({6})
Wir erleben immer wieder - genau das nehmen diejenigen beim BND für sich in Anspruch, die gehandelt haben -, dass Sicherheitsbedürfnisse formuliert werden hier sind es die der „Eigensicherung“, wie es im Gesetz
heißt - und dass es bei der Wahrung dieser Sicherheitsinteressen zu rechtswidrigen und unverhältnismäßigen
Eingriffen in Grund- und Freiheitsrechte kommt.
Herr Kollege Stadler, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich möchte meinen Gedanken noch zu Ende bringen. Das ist der eigentliche Kern der Auseinandersetzung,
über die Verantwortlichkeit beim BND, über die eventuelle Verantwortlichkeit im Kanzleramt, die wir noch
klären müssen, hinaus.
Wir müssen diese Debatte dazu nutzen, dass der Wert
fundamentaler Grundrechte und Verfassungsprinzipien
({0})
im Parlament wieder eindeutig befürwortet wird.
({1})
Auch in diesem Parlament sind mit großer Mehrheit leider Entscheidungen getroffen worden - Stichwort „Luftsicherheitsgesetz“ -, die das Bundesverfassungsgericht
aufheben musste.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir sollten diese Debatte zum Anlass nehmen, den
Wert der Grundrechte wieder zu betonen. Wenn wir
- wie am Ende der „Spiegel“-Affäre - dazu gekommen
sein sollten, dass die Pressefreiheit wieder den Stellenwert hat, der ihr zukommt, dann hätte das Ganze wenigstens einen Nutzen gehabt.
Vielen Dank.
({0})
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 6 und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Hedgefondszulassung zurücknehmen“ bekannt: Ab-
gegebene Stimmen 523. Mit Ja haben 463 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein 56, Enthaltungen
vier.1) Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
1) Anlage 4
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 520;
davon
ja: 462
nein: 54
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({1})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Markus Grübel
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({8})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({9})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
({10})
Stefan Müller ({11})
Bernward Müller ({12})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({13})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({14})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({15})
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Richard Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({16})
Andreas Schmidt ({17})
Ingo Schmitt ({18})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({21})
Doris Barnett
Dr. Hans- Peter Bartels
Klaus Barthel
Vizepräsidentin Petra Pau
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Dr. Axel Berg
Lothar Binding ({22})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({23})
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Hans Eichel
Gernot Erler
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({24})
Dieter Grasedieck
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({25})
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({26})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({27})
Frank Hofmann ({28})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({29})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({31})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({32})
Michael Müller ({33})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({34})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Michael Roth ({36})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({37})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({38})
Silvia Schmidt ({39})
Renate Schmidt ({40})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({41})
Carsten Schneider ({42})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({43})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Andreas Steppuhn
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({44})
Dr. Rainer Wend
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Waltraud Wollf
({45})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({46})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({47})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({48})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({49})
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({50})
Detlef Parr
Jörg Rohde
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({51})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({52})
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Bärbel Höhn
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Vizepräsidentin Petra Pau
Rainder Steenblock
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({54})
Nein
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({55})
Volker Schneider
({56})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Peter Hettlich
Monika Lazar
Dr. Harald Terpe
fraktionslose
Enthalten
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Irmingard Schewe-Gerigk
Wir kehren zur Aktuellen Stunde zurück. Das Wort
hat der Kollege Olaf Scholz.
({57})
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Wir verhandeln hier ein ernstes Thema. Ich will deshalb
ein paar Dinge ansprechen, von denen ich glaube, dass
wir sie brauchen, und ein paar, von denen ich glaube,
dass wir sie nicht brauchen.
Wir brauchen in unserem Land selbstverständlich
funktionierende Nachrichtendienste, die rechtsstaatlich
im Inland oder im Ausland - je nachdem, wo ihr Aufgabengebiet ist - agieren.
Wir brauchen - das gehört dazu - eine rechtsstaatliche, demokratische Kontrolle dieser Nachrichtendienste.
Dazu dient insbesondere das Parlamentarische Kontrollgremium, das aus meiner Sicht nicht immer genug gewürdigt wird, das aber eine ganz zentrale Funktion hat.
Bei allen Diskussionen über Reformen will ich ausdrücklich sagen: Unser Gesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium ist für viele Länder ein Vorbild
gewesen; dieses Gesetz ist weltweit einmalig und ein
sehr fortschrittliches Gesetz.
({0})
Wir brauchen Pressefreiheit, die Möglichkeit, zu recherchieren, zum Beispiel - das gehört zu einer Demokratie und zu einem freien Staat - was die Regierung
macht und ganz selbstverständlich auch was ihre Nachrichtendienste tun.
Pressefreiheit schließt Information und Recherche
über die Nachrichtendienste und ihre Tätigkeit mit ein.
Das ist ein Teil der effektiven Kontrolle von Nachrichtendiensten. Deshalb muss sie geschützt werden; sie
spielt eine zentrale Rolle.
({1})
Wir brauchen aber kein Milieu von Schlapphüten,
weder beim BND noch bei Journalisten, die zwar keinem Nachrichtendienst angehören, sich aber fast so fühlen und als Nachrichtenhändler agieren.
({2})
Es gibt eine Gruppe von Leuten, die eine Art Gemeinsamkeit entwickeln, sich gegenseitig beobachten und
sich in einer Weise verhalten, die wir für unzulässig halten. Deshalb geht es, um mehr als um eine Schlapphutkrise, eine Krise des BND oder des Journalismus - nach
der Veröffentlichung des Berichts wird das sicherlich
sehr viel klarer werden, als derzeit vermutet wird -, weil
es auf beiden Seiten zu unzulässigen Grenzüberschreitungen gekommen ist.
({3})
Das ist die gegenwärtige Situation.
Es geht nicht an, dass die Arbeit des Nachrichtendienstes und des Parlamentarischen Kontrollgremiums
durch strafbare Indiskretionen gefährdet wird. Ich hebe
das deshalb hervor, weil es sehr leicht genommen wird.
Offenbar herrscht das Gefühl vor, dass man sich damit
abfinden und vielleicht sogar daran gewöhnen müsse.
Die eigentliche Idee - das Geheimnis hinter der Funktionsfähigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums besteht darin, dass wir als Mitglieder alles erfahren dürfen und auch tatsächlich alles erfahren, weil absolut sicher ist, dass nichts herauskommt, es sei denn, wir halten
die Veröffentlichung für notwendig und veranlassen
diese. Das heißt, dass es Abgeordnete in der Hand haben, für die notwendige Öffentlichkeit zu sorgen, aber
gleichzeitig die notwendige Vertraulichkeit der Arbeit
von Nachrichtendiensten gewahrt werden kann.
Deshalb bitte ich alle - das hat auch der Kollege
Röttgen bereits getan -, die Angelegenheit nicht auf die
leichte Schulter zu nehmen, sondern zu bestätigen, dass
es sich um einen ernsthaften Vorgang handelt, wenn mit
der Weitergabe von geheimen Dokumenten versucht
wird, manipulative Wirkung auszuüben. Denn dadurch
wird die demokratische und rechtsstaatliche Kontrolle
von Nachrichtendiensten gefährdet. Das darf nicht sein.
({4})
Mancher dieser Vorgänge ist herausgekommen und
wird jetzt mit anderen Informationen verrührt, die zwar
nicht bestätigt wurden, aber für wahr gehalten werden,
weil sie in denselben Texten enthalten sind. Insofern ist
es klar, dass es nur einen Weg gibt, eine vernünftige öffentliche Debatte über die Frage des weiteren Vorgehens
zu ermöglichen, nämlich für eine maximale Öffentlichkeit zu sorgen.
({5})
Wir müssen dazu beitragen, dass alles, was es über diese
Angelegenheit zu wissen gibt, allen zugänglich gemacht
wird.
In Kenntnis des Berichts von Richter Schäfer stelle
ich fest: Meiner Ansicht nach kann jeder darin enthaltene Satz die Öffentlichkeit erreichen und überall diskutiert werden.
({6})
Bisher haben mich jedenfalls noch keine rechtlichen Bedenken von der Notwendigkeit überzeugt, zu verhindern,
dass die Öffentlichkeit über den kompletten Bericht informiert wird. Auch deshalb halte ich die Veröffentlichung für erforderlich.
({7})
Erlauben Sie mir noch eine abschließende Bemerkung. Als sehr komisch, kaum nachvollziehbar und fast
schon verlogen
({8})
habe ich das Agieren der PDS-Linkspartei in dieser
Frage empfunden.
({9})
Dass Sie auf der einen Seite die komplette Veröffentlichung verlangen, und zwar - damit es jeder erfährt nicht mit einer normalen Pressemeldung, sondern als bezahlte Tickermeldung über OTS,
({10})
sich aber auf der anderen Seite im Kontrollgremium gegen die Veröffentlichung aussprechen, ist nicht in Ordnung.
({11})
Die Schlapphutkrise muss mit der Veröffentlichung
des Berichts ein Ende finden. In dem Bericht ist Ernstes,
aber auch ziemlich viel Komisches enthalten. Das sollten wir gemeinsam lesen.
({12})
Kollege Scholz, ich hoffe, Sie haben jetzt kein Geheimnis verraten, sondern jemand anders hat das schon
vorweg klar gemacht.
({0})
- Kollege Nešković, das geht leider nicht. In der Aktuellen Stunde gibt es weder Zwischenfragen noch Kurzinterventionen.
Deshalb hat das Wort jetzt Hans-Christian Ströbele
von der Fraktion der Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit etwas Positivem anfangen. In der
Tat hat sich das Parlamentarische Kontrollgremium dieses Hauses bereits am 21. November vergangenen Jahres
mit der Journalistenbeobachtung und -bespitzelung befasst. Es hat nicht nur Aufklärungsbedarf gesehen und
einen Auftrag an Herrn Schäfer vergeben, sondern bereits damals festgestellt - insofern hat man durchaus etwas, über das man diskutieren kann -, dass der Geheimdienst, also der Bundesnachrichtendienst - jetzt zitiere
ich -, „die eingeräumten Befugnisse überschritten hat“.
Kann man eigentlich etwas Böseres über einen Nachrichtendienst sagen, als dass er seine Befugnisse überschritten hat? Das steht also seit dem 21. November vergangenen Jahres fest.
Jetzt diskutieren wir auf der Grundlage des vom
PKGr in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens, das uns vorliegt. Das heißt, wir haben in diesem
Punkt unsere Arbeit ziemlich gut erledigt.
Nun gibt es einige - wie den Kollegen Röttgen heute
wieder -, die die Indiskretion, die hier ganz offensichtlich stattgefunden hat,
({0})
in den Mittelpunkt ihrer Rede und ihrer Kritik stellen. Es
ist richtig, dass das ärgerlich war.
({1})
Es ist richtig, dass das unsere Arbeit gestört hat, sie nicht
gefördert, sondern sie sogar beeinträchtigt hat.
({2})
Ob das strafbar ist, soll die Staatsanwaltschaft klären;
die Diskussion brauchen wir hier heute nicht zu führen.
Herr Kollege Röttgen, wir können uns aber nicht so
verhalten wie damals - der Kollege hat bereits die Parallele zur „Spiegel“-Affäre gezogen -, als versucht wurde,
das eigentliche Problem mit dem Vorwurf zu überdecken, da sei ein Abgrund von Landesverrat festzustellen
gewesen.
({3})
Man kann darüber hier diskutieren, man kann das hin
und her diskutieren und sagen, das war nicht in Ordnung
- das ist völlig klar -; ob es strafbar ist, wollen wir klären. Aber der Abgrund, in den wir schauen, der hier zu
klären ist, ist der Abgrund von Bespitzelung, der Abgrund von Beobachtung, der Abgrund von Verrat, der in
Journalistenkreisen und um sie herum festgestellt worden ist;
({4})
schon damals, schon im vergangenen Jahr und jetzt nach
den Presseveröffentlichungen, die wir gelesen haben, in
verstärktem Maße offenbar bis in die 2000er-Jahre hinein.
Mich rufen Bürgerinnen und Bürger oder auch Journalisten an und sagen: Ich habe da mit dem und dem
Journalisten gesprochen. Muss ich jetzt davon ausgehen,
dass das auch beim Bundesnachrichtendienst und vielleicht bei anderen Diensten gelandet ist? Ich kann ihnen
darüber natürlich keine Auskunft geben. Das zeigt, dass
die Pressefreiheit nicht nur in Gefahr ist, sondern dass
das Gift des Misstrauens bereits jetzt so verbreitet ist,
dass die wirksame Arbeit von Journalisten nachhaltig
beeinträchtigt ist.
Heute diskutieren wir in den Medien darüber: Wann
ist ein Journalist eigentlich ein Journalist und wann ist
ein Journalist ein Schlapphut oder ein V-Mann des Bundesnachrichtendienstes? Ist er das bereits dann, wenn
ihm ein Tarnname gegeben worden ist oder wenn ihm
zwei Tarnnamen gegeben worden sind? Ist er das erst,
wenn er Geld genommen hat, wenn er einen größeren
Geldbetrag genommen hat? Ist er das erst, wenn er Aufträge des Bundesnachrichtendienstes übernommen hat?
Diese Diskussion muss doch dazu führen, dass sich der
Bürger bzw. die Bürgerin, der bzw. die etwas Wichtiges
mitzuteilen hat, in Zukunft dreimal überlegt: Gehe ich
damit zu einem Journalisten und teile ihm das mit, wenn
ich nicht sicher sein kann - wie will man da sicher
sein? -, dass er nicht auf zwei Schultern trägt und das
nicht dem Nachrichtendienst, dem Geheimdienst mitteilt?
Gegen dieses Gift, das sich schleichend ausbreitet und
die journalistische Arbeit in der Tat erheblich beeinträchtigt, müssen wir angehen. Wir müssen uns überlegen, was wir im Einzelnen dagegen tun können.
Der Kollege Stadler hat ja den einen oder anderen
Vorschlag gemacht. Auch wir haben Vorschläge dazu
unterbreitet. Ich meine, wir müssen zunächst einmal mit
der Aufklärung fortfahren. Wir müssen es uns jetzt zur
Aufgabe machen, festzustellen, wer was wusste in der
Spitze des Bundesnachrichtendienstes und im Aufsicht
führenden Kanzleramt, und zwar in den 90er-Jahren und
danach.
({5})
- Über die Zeit davor haben wir bisher keine Erkenntnisse. - Dann müssen wir Schlussfolgerungen ziehen,
und zwar organisatorische und personelle, um solche
Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. In dem Zusammenhang müssen wir überprüfen, wie die Weisung,
die die Bundesregierung jetzt zu erlassen für nötig gehalten hat, so effektiv zu gestalten ist, dass das in Zukunft
nicht wieder geschieht.
({6})
Kollege Ströbele, die weiterführenden Vorschläge
müssen Sie leider zu einer anderen Gelegenheit vortragen.
Wir haben eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Lassen Sie mich nur einen hinzufügen, der in der
Öffentlichkeit bisher zu wenig erörtert worden ist.
Kollege Ströbele, ich meinte das ziemlich ernst.
({0})
Ihre Redezeit ist wirklich schon sehr großzügig ausgelegt worden.
Mein Schlusssatz ist: Wir müssen Konsequenzen ziehen. Wir müssen den Bundesnachrichtendienst organisatorisch an Haupt und Gliedern verändern und erneuern,
möglicherweise auch die Aufsicht im Kanzleramt.
({0})
Über Weiterführendes sprechen wir bei anderer Gelegenheit.
Das Wort für die Bundesregierung hat Bundesminister de Maizière.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich nüchtern und knapp den Sachverhalt und die bisherigen Konsequenzen aus meiner
Sicht darstellen. Es trifft auch nach meiner Auffassung
zu, dass Mitarbeiter im Bundesnachrichtendienst bei den
in Rede stehenden Aktivitäten gegenüber Journalisten in
einigen Fällen nicht korrekt gearbeitet haben. Ich lege
Es handelt sich um Fälle der
Vergangenheit.
Die Bundesregierung bedauert diese Vorfälle. Sie hat
nach Bekanntwerden der Fälle Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Fälle in der Zukunft eingeleitet. So
habe ich unter anderem Anfang dieser Woche entschieden, dass der Bundesnachrichtendienst in Zukunft zum
Zwecke der Eigensicherung auf operative Maßnahmen
gegen Journalisten verzichtet. Das bedeutet insbesondere, dass in diesem Zusammenhang künftig keine Journalisten als nachrichtendienstliche Quellen geführt werden.
Für den Bereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst haben sich
die zuständigen Minister dieser Meinung angeschlossen.
Diese Entscheidung, die ich getroffen habe, ist - ich
werde das gleich begründen - rechtlich nicht zwingend
geboten. Ich hielt und halte sie aber aus Respekt vor dem
hohen Gut der Pressefreiheit in unserer Demokratie für
politisch geboten und politisch richtig.
({0})
Lassen Sie mich aber zur Einordnung dennoch ein
paar Bemerkungen machen. Zum Zwecke der Eigensicherung - dazu gehört auch die Aufklärung von Indiskretionen - ist der BND gesetzlich befugt, auch im Inland nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden; das ist
unstreitig. Dazu können auch Maßnahmen gegen Journalisten gehören. Es gibt keinen Anspruch unbegrenzter
Freiheit der Medien. Das entspricht gesicherter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der BND ist
jedoch stets gehalten, die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel zu prüfen. In einigen der jetzt diskutierten
Fälle hat sich der Bundesnachrichtendienst nach meiner
Auffassung an diese gesetzlichen Vorgaben gehalten.
Rechtlich ist dem BND in diesen Fällen in der Vergangenheit nichts vorzuwerfen. Auch wenn ich wiederhole,
dass solche Fälle für die Zukunft politisch und rechtlich
durch Weisungslage ausgeschlossen sind.
Es hat allerdings auch Fälle gegeben, in denen das
Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet worden ist.
Die Bundesregierung nimmt diese Rechtsverstöße sehr
ernst. Dass sie ermittelt wurden, ist ein Ergebnis des Zusammenwirkens von Medien, Parlament und auch der
Bundesregierung. Dies ist ein Beispiel funktionierender
Kontrolle in der Demokratie.
Herr Stadler, Sie wissen ganz genau, dass die Bundesregierung vom Parlamentarischen Kontrollgremium aufgefordert worden ist, eine entsprechende Bewertung vorzulegen. Sie wird das rechtzeitig zur nächsten Sitzung
des PKGr tun. Einer erneuten Aufforderung von diesem
Pult aus hätte es nicht bedurft.
Eine umfassende Gefährdung unserer Pressefreiheit
sehe ich in diesen Fällen der Vergangenheit allerdings
nicht. Ich bin sicher, dass auch viele andere das so sehen
werden, wenn der Bericht des Sachverständigen in der
nächsten Woche in geeigneter Weise veröffentlicht werden kann.
Mit Rechten korrespondieren aber auch Pflichten. Ich
würde mich deshalb darüber freuen, wenn innerhalb der
Medien eine Debatte auch darüber geführt würde, was
sich für Journalisten gehört und was nicht.
({1})
Nach allem, was mir bekannt geworden ist, wurde keiner
der Journalisten zu einer Zusammenarbeit gezwungen.
Andere Motive spielten wohl eine Rolle. Ich kann und
will das an dieser Stelle nicht vertiefen. Aber Selbstkritik ist etwas, was sowohl dem Journalismus als auch uns
allen gut zu Gesicht steht.
Zwei kurze Schlussbemerkungen. Erstens. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie in diesem Fall ihre Bedenken in Bezug auf den Geheimschutz zurückstellt und
sich im Sinne einer Versachlichung der Diskussion nachhaltig für eine Veröffentlichung des Berichts des Sonderermittlers ausspricht. Dass dabei Persönlichkeitsrechte
zu schützen sind, ist selbstverständlich. Die Entscheidung darüber hat nicht die Bundesregierung, sondern das
Parlamentarische Kontrollgremium zu treffen.
Zweitens. In den letzten Tagen ist von Leuten, die davon viel, und von Leuten, die davon wenig verstehen,
viel Kritik am Bundesnachrichtendienst geäußert worden.
({2})
Bis zu einem gewissen Grade muss man das ertragen,
wenn man im und für den BND Verantwortung trägt.
Nicht jede Kritik war unberechtigt. Aber ich will hier
- auch in Richtung des Abgeordneten Maurer - klar und
deutlich sagen: Ein Vergleich des Auslandsnachrichtendienstes in unserem freiheitlichen Rechtsstaat mit dem
Geheimdienst einer Diktatur geht zu weit.
({3})
Ich verwahre mich gegen diesen Vergleich und möchte
damit unser Land und die Institutionen des Bundesnachrichtendienstes schützen.
({4})
Der Bundesnachrichtendienst, Frau Abgeordnete
Künast, ist auch kein „Sauladen“.
({5})
Er leistet für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine unverzichtbare Arbeit. Überall dort, wo Soldaten im Auslandseinsatz sind - heute Morgen ist darüber
gesprochen worden -, tragen auch BND-Mitarbeiter
dazu bei, deren Sicherheit zu gewährleisten.
Der BND befindet sich seit dem Ende des Kalten
Krieges in einem gewaltigen, keineswegs abgeschlossenen Transformationsprozess. Er ist ein geachteter Dienst
im Kreise unserer Partner. Er braucht natürlich Kontrolle
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister für besondere Aufgaben
wie jede Institution in einer Demokratie. Aber er verdient auch Vertrauen und unseren Schutz.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Ramelow von der Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte es präzise klarstellen, Herr
de Maizière: Herr Maurer hat ausdrücklich keinen Vergleich angestellt. Ich bitte, das im Protokoll nachzulesen.
Er hat gesagt, er habe diesen Vergleich in den letzten Tagen mehrfach gelesen, dieser Vergleich sei aber falsch.
Er hat hinzugefügt, dass der BND noch keine Gefängnisse unterhalte. Aus dem Hohen Haus erschall der Zuruf: „Noch!“
Mir fielen in diesem Zusammenhang das Zusammenwirken zwischen unseren Diensten und dem CIA in
Bezug auf Guantanamo und andere Geschichten ein.
Deswegen wurde ja ein Untersuchungsausschuss eingerichtet. Wir sind dabei, Folgendes zu klären: Welche Geheimdienstaktivitäten spielen sich auf deutschem Boden
ab? Was spielt sich zum Beispiel in Ramstein ab? Welche Folterflüge hat es von Deutschland aus gegeben
bzw. sind über Deutschland abgewickelt worden? Was
hat das zuständige Gremium im Bundeskanzleramt davon gewusst? Diese Fragen hat Kollege Maurer gemeint.
Man sollte ansprechen, dass wir im Moment über
etwas reden, was seine Ursache in einem „Spiegel“Artikel über eine Schlapphutaktion findet, bei der man
angereichertes Uran nach Deutschland einschmuggeln
wollte, um daraus eine Staatsaffäre zu machen, die im
Prinzip nichts weiter als ein großes Schauspiel war. Hinterher hat man Journalisten den Marsch geblasen, um herauszufinden, wer alles als Schauspieler beteiligt war.
Ich finde, wir haben allen Grund, zwischen dem MfS
und dem BND sauber abzugrenzen. Das eine kann man
mit dem anderen nicht vergleichen. Ich will Ihnen auch
sagen, warum: Das Landesamt und das Bundesamt für
Verfassungsschutz beschnüffeln mich seit Jahren. Mit
meiner Akte - ich klage zurzeit in Köln auf Akteneinsicht - hätte ich es in der DDR bis in die Volkskammer
nie geschafft. Ich kenne sehr genau den Unterschied.
Das eine ist einfach lästig und eklig. Ich als Bürger
möchte wissen, warum ich überhaupt beschnüffelt
werde, warum die Akte über meine Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag abgeheftet wird.
Aktuell kann man beim Weimarer Verwaltungsgericht
nachprüfen, was das alles soll. Das andere jedoch ist ein
Geheimdienst in einem totalitären System. Ich empfehle
dazu den Film „Das Leben der Anderen“, der das eindrucksvoll deutlich macht. Deshalb sind solche Vergleiche unzulässig.
Es ist aber auch unzulässig, dass ein Bundesnachrichtendienst, der für Auslandsaufklärung zuständig ist, im
Inland tätig ist. Es reicht mir einfach nicht, dass man
sich dann einfach so wie Herr Röttgen hier hinstellt und
sagt: Haltet den Dieb! Herr Röttgen, Ihr Beitrag vorhin
hat mich an Folgendes erinnert: Ein Bankräuber flüchtet
nach dem Überfall, die Polizei ist hinter ihm her und in
dem Moment, in dem die Polizei über die rote Ampel
fährt, schreit er auf einmal: Die Polizei muss eingreifen
und die Polizei verhaften! Entschuldigung, aber wir reden hier über den BND, der im Inland gearbeitet und offenkundig eine Menge Aktivitäten in Gang gesetzt hat,
die völlig inakzeptabel sind.
({0})
Gestern Abend hat sich in 3sat jemand hingesetzt und
gesagt - ich gehöre dem PKGr nicht an und bin nur
Fernsehzuschauer -, er habe 600 000 DM bekommen,
um freihändig Quellen in der ganzen Welt aufzubauen.
Den Rest habe er munter beim Abendessen erzählt. Wo
sind wir denn? Sind wir denn in einem Kabarettland?
Wie ist das mit der Kontrolle? Herr de Maizière, ich
hätte mir gewünscht, von Ihnen zu hören, wie die Kontrolle in Ihrem Zuständigkeitsbereich ausgeübt wird.
Dazu ist nichts zu hören und sich ein bisschen entschuldigen reicht auch nicht.
({1})
Kollege Scholz, das, was Sie gemacht haben, finde
ich völlig inakzeptabel. Dass Sie sich hier hinstellen, mit
dem Finger auf ein Mitglied des PKGr zeigen und von
diesem Pult aus verkünden, wie er sich angeblich in der
geheimen Sitzung verhalten hat, ist genauso ein Geheimnisverrat wie das, was Herr Röttgen hier kritisiert hat.
({2})
- Ja, es ist in der Tat eine Unverschämtheit. Sie haben
Recht. Das, was Herr Scholz hier tut, ist eine Unverschämtheit. Der Kollege Nešković hat keine Möglichkeit, sich hinsichtlich dessen zu rechtfertigen, was er
offenkundig in dem PKGr gesagt hat, welche rechtspolitischen Probleme er darin gesehen hat, einen abgeschlossenen Bericht zuzuleiten. Er hat dazu öffentlich erklärt,
dass er eine geeignete Form der Information wünscht.
({3})
- Wir sind für die Veröffentlichung, aber nicht über das
PKGr, sondern über die zuständige mögliche Quelle,
nämlich das Bundeskanzleramt, das für das Chaos Verantwortung trägt.
({4})
Deswegen halte ich es für eine Unverschämtheit, Herr
Scholz, wie Sie den Kollegen hier angreifen. Damit verhalten Sie sich genauso wie Herr Röttgen. Sie rufen
„Haltet den Dieb!“, um davon abzulenken, was eigentlich los ist, nämlich dass die Geheimdienste nicht mehr
zu kontrollieren sind und offenkundig tun, was sie wollen.
Deswegen sagen wir: Der beste Verfassungsschutz ist
eine aktive Bürgergesellschaft, die die Verfassung
schützt.
({5})
Das, was Sie machen, ist das Zulassen von Machenschaften. Da erzählt jemand im Fernsehen irgendwelche
Geschichten. Auch seitdem Richter Schäfer die Ermittlungen geleitet hat, ist das Treiben fortgesetzt worden,
wenn man den öffentlichen Erklärungen Glauben schenken darf. Wenn dem so ist, dann sind eben auch Konsequenzen zu ziehen, auch in Bezug auf Herrn Uhrlau und
Herrn Hanning.
Meine Damen und Herren, eines will ich auch noch
sagen. Was Herr Schmidbauer noch im PKGr sucht,
weiß ich nicht.
({6})
Der Kollege Hans-Peter Uhl von der CDU/CSUFraktion hat das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Linke hat diese Aktuelle
Stunde zur Behandlung der „Beeinträchtigung der Pressefreiheit durch Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes“ beantragt. Wer dies hier ernsthaft in öffentlicher Sitzung und vor laufender Kamera tun will, muss
wissen, dass er dadurch einen Straftatbestand erfüllt;
({0})
denn der Bericht des Richters Schäfer in der Form, in der
er uns jetzt vorliegt, ist geheim und wird geheim bleiben
müssen.
Die Berichterstattung in den Medien ist derart hysterisch, fast paranoid, dass schon von einer Krise des
Rechtsstaats gesprochen wird. Es werden allerlei Dinge
in Umlauf gesetzt, die zum Teil ihre Rechtfertigung in
dem Bericht finden, zum Teil aber auch frei erfunden
sind.
Was ist zu tun? Wir sollten die Lage in Ruhe sondieren. Eines müssen wir schon jetzt feststellen: Eine platte
Aufteilung in Opfer und Täter wird es bei diesem Thema
nicht geben.
({1})
Das Bild eines orwellschen Überwachungsstaates, der
ahnungslose, schutzlose Journalisten bespitzelt hat, wodurch sie zum Opfer wurden, trifft nie und nimmer das,
was wir in dem Bericht nachlesen können.
Es ist nicht zu leugnen, dass beim Bundesnachrichtendienst Fehler gemacht worden sind, obwohl der damalige Präsident des BND, Dr. Hanning, 1999 eine
Dienstanweisung erlassen hat, in der er den Umgang mit
Journalisten geregelt hat. Es wird also zu prüfen sein,
welcher Beamte gegen diese Regelung verstoßen hat. Es
wird zu prüfen sein, ob es in der Hierarchie nach oben
Mitwisser gegeben hat. Es wird zu prüfen sein, ob es im
Apparat, vielleicht bis hinauf ins Kanzleramt, ein Organisationsverschulden gegeben hat. All dies werden wir
zu prüfen haben.
Wir müssen natürlich auch klären, wer im BND welches Recht hat. Ich meine, wir sollten Folgendes festhalten: Der BND muss mit Journalisten zusammenarbeiten
können. Journalisten sammeln ebenso wie Mitarbeiter
des Bundesnachrichtendienstes Nachrichten. Sie verwerten diese zu anderen Zwecken als der Bundesnachrichtendienst. Es wird aber immer einen Austausch von
Nachrichten zwischen Mitarbeitern des BND und Journalisten geben können. Nur, ob zur Eigensicherung Journalisten zum Zwecke der Bespitzelung anderer Journalisten angeworben werden dürfen, darüber wird im
Detail zu reden sein. Hier gelten die Grenzen des Presserechts, die Grenzen des Art. 5 Grundgesetz.
Das Bundesverfassungsgericht hat im August 1966 in
der so genannten „Spiegel“-Entscheidung festgestellt:
Deshalb gehört zur Pressefreiheit auch ein gewisser
Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse
und privaten Informanten.
Der Informant muss sich „grundsätzlich darauf verlassen“ können, „dass das ‚Redaktionsgeheimnis‘ gewahrt
bleibt.“ Das ist der Kern des Themas, um das es hier
geht.
({2})
Herr Stadler, andererseits stellt aber auch die Funktionsfähigkeit des BND ein Schutzgut dar. Sie muss erhalten bleiben. Wenn es zu Informationsabflüssen
kommt, muss sich der BND wehren können - im Rahmen der Möglichkeiten, die uns die Pressefreiheit lässt.
Deswegen müssen wir in jedem Einzelfall prüfen, was
erlaubt und was verboten ist. Es hilft gar nichts, wenn
diese Prüfung durch eine Medienberichterstattung voller
Hysterie, Unterstellungen und falscher Behauptungen
gestört wird.
Es gibt nur einen Ort, an dem diese Prüfung rechtmäßigerweise erfolgen kann: hinter den verschlossenen
Türen des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Ein
Nachrichtendienst muss geheim arbeiten können. Ein
Nachrichtendienst muss von uns aber kontrolliert werden. Diese Kontrolle wiederum muss geheim sein. Alles
andere macht keinen Sinn. Darum geht es.
({3})
Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, am
Ende der Kontrolle und Überprüfung zu erfahren, wo
Fehler gemacht wurden und ob Konsequenzen daraus
gezogen wurden. Am Ende können wir im Kontrollgremium mit Zweidrittelmehrheit beschließen, wie unser
Werturteil aussieht. Das können wir öffentlich machen.
({4})
Herr Stadler, wir sollten Nervenstärke bewahren und
nicht von einer Krise des Staates reden. Wir sollten einfach unsere Arbeit machen, die Kontrolle fortsetzen, die
Fälle durchleuchten. Dann kommen wir auch zu vernünftigen Ergebnissen.
Wer den Datenschutz ernst nimmt, sollte von dem
Vorhaben, den Bericht jetzt zu veröffentlichen, Abstand
nehmen. Ich habe allergrößte Bedenken. Im Laufe der
nächsten Wochen werden wir darüber noch zu reden haben. Dann werden wir sehen, was an Öffentlichkeitsarbeit möglich ist, zu welchem Zeitpunkt und was rechtswidrig ist.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter, SPDFraktion.
Herr Kollege Uhl, in einem Punkt muss ich Ihnen widersprechen: Die Art und Weise, mit der wir hier offen
über das Problem, das sich in den letzten Tagen aufgetan
hat, debattieren, gehört zu unserer parlamentarischen
Verantwortung, die wir wahrnehmen müssen. Durch
diese Offenheit machen wir deutlich, wie in einem demokratischen Staat Geheimdienste zu kontrollieren sind.
Es ist unser gutes Recht, diese Kontrolle wahrzunehmen,
und das hat nichts mit dem zu tun, was ansonsten hier
angeprangert worden ist.
Es tut sich kein Abgrund auf; es ist kein Fall von Landesverrat zu erkennen. Herr Stadler, dass Sie an die für
Sie sehr glorreiche, aber doch schon historisch zu nennende „Spiegel“-Affäre erinnern wollen, ist nachzuvollziehen. Aber Sie sind nicht die Einzigen im Parlament,
die die Pressefreiheit verteidigen. Auch wir von der großen Koalition tun dies.
({0})
Neben der Wahrung des für die Demokratie konstitutiv wichtigen Grundrechts der Pressefreiheit müssen wir
aber auch darauf achten, dass die demokratische Institution, die der BND ist, nicht beschädigt wird. Wir brauchen einen Auslandsgeheimdienst, zumal so viele deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt sind. Sie werden
diese Notwendigkeit doch nicht bestreiten wollen. Sie
selbst arbeiten im Parlamentarischen Kontrollgremium
mit.
Wir brauchen einen Geheimdienst, aber auch eine effektive Kontrolle darüber. Diese effektive Kontrolle, die
natürlich geheim sein muss, wird durch das Parlamentarische Kontrollgremium ausgeübt. Herr Röttgen hat in
diesem Zusammenhang Recht, auf Folgendes hinzuweisen: Wenn über Berichte sofort in der Öffentlichkeit Behauptungen aufgestellt werden, dann ist es für die Regierung aufgrund der Notwendigkeit der Geheimhaltung
nicht möglich, diese Behauptungen - ob sie nun zutreffen oder nicht - zu dementieren. Wir müssen daher Wert
darauf legen, dass dieser Bericht uns allen originär zur
Kenntnis kommt und nicht nur rudimentär, wie es der
eine oder andere Journalist bzw. die eine oder andere
Journalistin gerne haben möchte.
Wenn mit Gerüchten gearbeitet wird und wenn viele
merkwürdige Behauptungen aufgestellt werden, wird
das Gift des Misstrauens erzeugt, von dem in dieser Debatte schon die Rede war, Herr Ströbele. Es sind ja nicht
nur die Schlapphüte, von denen hier immer die Rede ist.
In diesem trüben Gemisch aus Nachrichtenhändlern und
Geheimdienstlern baden offensichtlich auch etliche
Journalisten.
({1})
Das ist das Ergebnis dieses Geschäfts auf Gegenseitigkeit.
Der journalistische Kampf um die besondere Geschichte treibt immer größere Blüten. Die harte Konkurrenz führt zu Eifersüchteleien. Aber sie rechtfertigt keine
fiesen und miesen Spitzeldienste, die da offensichtlich
gang und gäbe sind.
Kurt Kister schreibt in dieser Woche in der „Süddeutschen Zeitung“:
Der durchschnittliche BND-Judas mit Presseausweis denunziert nicht wegen des meist kärglichen
Soldes, sondern weil er an Decknamen, Konspiration und an der Zugehörigkeit zu einer vermeintlichen Elite pubertäre Lust empfindet.
Dieser Fall zeigt, dass die Journalisten innerhalb ihres
Bereichs selbst für eine ethische Ordnung sorgen müssen, die Derartiges für die Zukunft verhindert.
({2})
Die Pressefreiheit wird in diesem Fall nicht nur durch
den ungesetzlich arbeitenden Geheimdienst gefährdet,
sondern offensichtlich auch durch sehr pflichtvergessene
Journalisten.
Herr Stadler, Sie haben Ihren Antrag angesprochen.
Ich sage: Informantenschutz für saubere Quellen - ja,
aber keinen Informantenschutz, wenn es um dieses trübe
Gemisch geht. Keiner kann in einem demokratischen
Rechtsstaat verlangen, dass Journalisten, die solchermaßen im Trüben arbeiten, Informantenschutz genießen.
Da werden wir Regelungen finden müssen, mit denen
die Pressefreiheit geschützt wird, mit denen aber auch
verhindert wird, dass die miese Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit zwischen Geheimdienstlern und Journalistenschlapphüten abgesegnet wird. Ich denke, das dürfen
wir nicht tun.
({3})
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Reinhard
Grindel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als jemand, der selbst in den Medien gearbeitet hat, will
ich gerne an das anknüpfen, was der Kollege Benneter,
wie ich finde, hier zu Recht angesprochen hat.
Neben dem Verhalten einiger Verantwortlicher des
BND empört mich in dieser Affäre in der Tat auch das
Verhalten einiger - wohlgemerkt, Kollege Benneter weniger Journalisten. Ich finde es schäbig, wie hier ganz
offenbar aus Geldgier oder merkwürdigen Rachegefühlen heraus Berufskollegen beim BND angeschwärzt
wurden. Damit ist dem Journalismus und im Ergebnis
auch unserer demokratischen Grundordnung Schaden
zugefügt worden. Ich finde in der Tat: Über Konsequenzen aus dieser Affäre muss man nicht nur in der Politik,
sondern auch in den Medien nachdenken.
({0})
Wer als Journalist seine Kollegen im Auftrag eines
Geheimdienstes bespitzelt, der vergiftet das Klima in
Redaktionsstuben und er missbraucht das Privileg der
Pressefreiheit. Die Pressefreiheit soll den Menschen ermöglichen, umfassend informiert zu werden. Sie soll
nicht als Deckmantel missbraucht werden, um Erkenntnisse über Redaktionskollegen an wen auch immer
- aber eben auch an Geheimdienste - zu verkaufen.
Das eigentliche Problem ist aber - das will ich hier
hervorheben -, dass offensichtlich nicht allen Verantwortlichen in unseren Sicherheitsbehörden bewusst ist,
dass das Grundrecht der Pressefreiheit eben nicht irgendein Grundrecht ist.
({1})
Es ist für unseren Rechtsstaat schlechthin konstituierend.
Die Observierung und Ausforschung von Journalisten
bis in den privaten Bereich hinein bedeutet eine völlig
inakzeptable Überschreitung dessen, was bei Maßnahmen der Eigensicherung erlaubt ist.
({2})
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist beim Kampf
gegen undichte Stellen im BND von den Verantwortlichen nicht so beachtet worden, wie wir als Parlament das
erwarten können.
Man kann hier klare Grenzen ziehen und Unterscheidungen treffen. Die Maßnahmen der Eigensicherung haben sich vor allen Dingen gegen BND-Mitarbeiter selbst
zu richten, die in Verdacht stehen, Geheimnisse verraten
zu haben. Sie dürfen observiert werden. Wenn im Rahmen solcher Observierungen beobachtet wird, dass diese
Verdächtigen Kontakt mit Journalisten haben, dann ist
das in Ordnung. Jeder Journalist weiß, dass das möglich
ist. Es darf aber eben nicht umgekehrt sein, dass man
durch die Überwachung eines Journalisten an einen nicht
definierten untreuen BND-Mitarbeiter herankommt.
Diesen Unterschied muss man machen. Hier heiligt der
Zweck eben nicht jedes Mittel.
Das Kernproblem, dass es beim BND zu viele undichte Stellen gibt, besteht ja weiterhin. Das ist ja auch
der Ausgangspunkt unserer Debatte. Auch dabei gilt
festzuhalten, dass nicht nur der Verrat von Geheimnissen
aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium heraus
eine Straftat ist, sondern dass auch der Verrat von Geheimnissen aus dem BND heraus kein Kavaliersdelikt
ist. Dies muss effektiver unterbunden werden. Um das
ganz klar zu sagen: Das ist auch eine Aufgabe der Führung des BND.
({3})
Zur möglichen Veröffentlichung des Schäfer-Berichts
möchte ich einen Gedanken hinzufügen: Die Veröffentlichung ist ja in Betracht gezogen worden, weil der Bericht durchgestochen wurde und einzelne Medien bereits
aus ihm zitiert haben. Ich finde es sehr wohl verständlich, dass jetzt die Forderung erhoben wird, dass die Öffentlichkeit nicht gefiltert informiert wird, sondern dass
sie sich einen eigenen vollständigen Eindruck von diesem Bericht verschaffen können sollte. Ich kann auch
verstehen, dass einzelne Journalisten von Magazinen
und Zeitungen sich dagegen wehren, dass unter Bruch
von Redaktionsgeheimnissen beschaffte Informationen
jetzt veröffentlicht werden sollen. Besonders glaubwürdig ist das aber natürlich dann nicht, wenn Journalisten
genau dieser Publikationen Teile eben dieses Berichtes
nutzen und daraus berichten, um angebliche politische
Skandale offen zu legen. Hierbei ist an die eigenen journalistischen Kollegen offenbar nicht gedacht worden.
({4})
Zum Schluss möchte ich gerne etwas sagen, was, wie
ich glaube, über die Berichterstattung über Geheimdienste hinausgeht und was vieles betrifft, das wir hier in
Berlin erleben, wenn zum Beispiel irgendwelche Vorentwürfe, Non-Papers oder Gedankenskizzen aus den Ministerien oder aus den Parteiapparaten durchgestochen
werden: Im Konkurrenzkampf um angebliche Exklusivgeschichten bleiben eben manchmal Genauigkeit, Ausgewogenheit und auch die Wahrung von Persönlichkeitsrechten auf der Strecke.
Gerade im Umgang mit Geheimdienstinformationen
habe ich bei meiner Arbeit die Erfahrung gemacht: Verantwortlicher Journalismus kann auch daran erkannt
werden und auch darin bestehen, dass man nicht immer
alles veröffentlicht, was man weiß.
Herzlichen Dank.
({5})
Dr. Carl-Christian Dressel erhält das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
großen Respekt vor der politischen Dimension dieser
Debatte. Es geht um die Pressefreiheit und damit um ein
elementares Grundrecht unseres demokratischen Staatswesens.
Umso weniger Respekt habe ich aber vor der gezielten politischen Instrumentalisierung dieses in seiner Bedeutsamkeit so hoch einzuschätzenden Themas, so wie
sie von Teilen des Hauses, insbesondere von Ihnen von
der PDS-Fraktion, bewusst betrieben wird.
({0})
Meine Damen und Herren von der PDS, Sie unterstellen - bevor eine Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts stattgefunden hat - laut Pressemitteilung von Frau
Pau vom 15. Mai einen „Verfassungsbruch“, der „ganz
oben“ beginnt. Wie kommen Sie dazu, zu einem solch
frühen Zeitpunkt eine derartige Behauptung aufzustellen?
({1})
Solche Schnellschüsse sind voreilig und verantwortungslos; sie erschweren eine sachorientierte Analyse;
sie wirken der seriösen Aufklärung der Vorfälle entgegen.
Die Pressefreiheit ist ein wesentliches Fundament der
Demokratie. Dieses Grundrecht gilt es zu schützen.
Presse- und Meinungsfreiheit waren in unserer wechselvollen Geschichte immer hart umkämpft und mussten
immer wieder erkämpft werden. Noch vor wenigen Jahren demonstrierten die Menschen in der damaligen DDR
unter Einsatz ihres Lebens für freie Meinungsäußerung
und Pressefreiheit. Sie hatten es satt, sich nicht frei äußern zu dürfen und darüber hinaus noch bespitzelt zu
werden. Vor diesem historischen Hintergrund heißt es
- insbesondere auch für uns hier im Plenum -, verantwortungsvoll mit diesem Grundrecht umzugehen.
Es ist nicht verantwortungsvoll, wenn der Partei- und
Fraktionsvorsitzende der FDP erklärt, es sei völlig „ausgeschlossen“, dass der Bundesnachrichtendienst ohne
Wissen seiner Führung und ohne politische Rückendeckung gearbeitet habe. Meine Damen und Herren von
der FDP, tragen Sie doch bitte dazu bei, dass wir gemeinsam zu einem Ergebnis in der Sache, zu einer Aufklärung kommen.
Zu einer Versachlichung des Themas trage ich gerne
einige Punkte bei.
Erstens. Der frühere BND-Präsident Hanning hat bereits im Herbst eingestanden, dass der BND Journalisten
bespitzelt hat. Deshalb wurde der Untersuchungsbericht
- wie Kollege Ströbele vorhin ausgeführt hat - überhaupt erst erstellt.
Zweitens. Nach jetzigem Kenntnisstand gab es anscheinend nicht nur ein einseitiges Handeln des BND.
Vielmehr war das eine unheilvolle Symbiose von Nachrichtendienst und einigen Journalisten, die aus unterschiedlichsten Motiven bereitwillig Spitzeldienste leisteten.
({2})
Ich zitiere aus der aktuellen Presseberichterstattung,
und zwar aus dem „Tagesspiegel“ vom 16. Mai:
Doch das, was jetzt bekannt wird, ist eine Schande.
Für den BND, der seine Befugnisse als Auslandsnachrichtendienst mit der Spitzelei im Inland eiskalt überschritten hat. Und eine Schande für die
Journalisten, die beim BND Kollegen angeschwärzt
haben. Sei es aus Neid, Geldgier, Rache oder einem
anderen Motiv - es gibt eine rote Linie, die Journalisten nicht überschreiten dürfen.
Drittens. Herr Stadler, um auf Ihren Zwischenruf zurückzukommen: Jetzt muss lückenlos aufgeklärt werden,
welche Aktionen in den letzten Jahren gegenüber Journalisten veranlasst wurden. Ebenso ist offen zu legen,
welche Journalisten Berufskollegen bespitzelt haben.
Richtlinie 6.2 des Pressekodex sagt aus, dass nachrichtendienstliche Tätigkeiten von Journalisten und Verlegern mit den Pflichten aus dem Berufsgeheimnis und
dem Ansehen der Presse nicht vereinbar sind. Das muss
man an dieser Stelle deutlich sagen.
({3})
Dazu gehört die vollständige Veröffentlichung des Berichts von Gerhard Schäfer.
Wir als Deutscher Bundestag haben durch diese Vorfälle eine Chance für die Demokratie, eine Chance, über
journalistische Ethik kritisch zu diskutieren. Die Chance
besteht aber auch darin, die Grenzen der Arbeit unseres
Auslandsnachrichtendienstes zu definieren, dessen Kontrolle zu problematisieren und die Verantwortlichen zur
Rechenschaft zu ziehen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion erhält
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte zunächst
einmal festhalten, dass es ganz entscheidend ist, dass wir
gerade angesichts der derzeitigen sicherheitspolitischen
Lage und auch angesichts der Bedrohungen durch den
islamistischen internationalen Terrorismus einen funktionsfähigen Bundesnachrichtendienst in Deutschland
haben.
({0})
Es ist ebenso wichtig und, glaube ich, in unser aller Interesse - insbesondere im Interesse des BND -, dass der
BND nicht ständig und unablässig Gegenstand öffentlicher Diskussionen und Debatten ist.
Stephan Mayer ({1})
({2})
Wir brauchen einen Bundesnachrichtendienst, der mit
der notwendigen Ruhe und Sachlichkeit, aber auch mit
der erforderlichen politischen Rückendeckung, Herr
Kollege Ströbele, seiner Arbeit nachgehen kann.
Selbstverständlich muss eines klar sein: Es muss dem
BND möglich sein, zur Eigensicherung Maßnahmen zu
ergreifen. Zu dieser Eigensicherung ist es an sich zulässig, Kontakt zu Journalisten zu haben. Es muss dem
BND möglich sein, undichte Stellen aufzuspüren, und
Lecks, die sich aufgetan haben, zu eruieren und Maßnahmen zu ergreifen, um diese Lecks zu schließen.
Aber natürlich - deswegen, Kollege Stadler, haben
wir keine Krise der Grundwerte in Deutschland - besteht
hier im Haus Konsens, dass sich diese Maßnahmen an
die Grundsätze des Rechtsstaates und die Gebote von
Recht und Gesetz halten müssen.
({3})
Offenbar haben einige wenige Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes diese rechtlichen Grenzen in der
Vergangenheit weit ausgedehnt, überinterpretiert und
- wohlgemerkt im kollusiven Zusammenwirken mit einigen wenigen Journalisten - so zum Entstehen einer
Grauzone beigetragen, die mit Sicherheit nicht in unserem Interesse und daher nicht hinnehmbar ist. Dies muss
uns allen klar sein. Es hat sich eine ungute, nicht akzeptable Praxis des Nehmens und des Gebens ergeben, des
Durchführens von Geschäften auf Gegenseitigkeit, die
offenbar - ich sage „offenbar“, weil der Sachverhalt
noch nicht gänzlich aufgeklärt ist - zu schwerwiegenden
Verletzungen der Persönlichkeitsrechte geführt hat.
Ich möchte aber ebenso darauf hinweisen, dass Journalisten nicht nur Opfer waren, sondern auch Täter, die
diese zumindest sehr fragwürdigen, eventuell sogar
rechtswidrigen Methoden angewandt haben.
({4})
Es ist mit Sicherheit auch klar, dass die Maßnahmen, die
von Journalisten ergriffen wurden, moralisch ebenso
fragwürdig sind wie die mancher BND-Mitarbeiter. Dabei ist es egal, ob sie sich aus Wichtigtuerei, aus Raffgier
oder aus Rache zu diesen Maßnahmen und zu diesen
Schuldzuweisungen haben hinreißen lassen.
Gerade vor diesem Hintergrund halte ich es für außerordentlich begrüßenswert, dass die Bundesregierung entschieden und zügig gehandelt hat, nachdem erste
Erkenntnisse über die Ausmaße dieser Bespitzelungsaktionen und vor allem über die Rechtswidrigkeit dieser
Maßnahmen an die Öffentlichkeit geraten sind. Hinsichtlich der Wahrung des wichtigen und unabdingbaren
Grundrechtes der Meinungs- und der Pressefreiheit ist es
ebenso zu begrüßen, dass mittlerweile festgelegt wurde,
dass Journalisten weder zu Werkzeugen noch zu Objekten der Geheimdienste werden dürfen.
Ich möchte in aller Form positiv zum Ausdruck bringen, dass meines Erachtens die parlamentarische Demokratie ihre Wachsamkeit, aber auch ihre Schlagkraft unter Beweis gestellt hat, indem das zuständige Gremium,
das Parlamentarische Kontrollgremium, seiner Aufklärungs- und Nachforschungspflicht konsequent und effizient nachgekommen ist.
({5})
Ich hielte es für richtig, wenn dieses Gremium, das beispielhaft vorgegangen ist und um das uns viele Nationen
in Europa und sogar weltweit beneiden,
({6})
auch in Zukunft die Aufklärung betreiben würde.
({7})
Ich kann nur eindringlich davor warnen, sich, solange
die Aufklärung und die Nachforschungen nicht abgeschlossen sind, zu voreiligen Äußerungen oder Anschuldigungen, möglicherweise sogar zur Forderung nach
personellen Konsequenzen, hinreißen zu lassen. Das
Parlamentarische Kontrollgremium ist der richtige Ort, an
dem diese Nachforschungen erfolgen sollten. Mit der Beauftragung des ehemaligen Bundesrichters Dr. Schäfer ist
das in hervorragender Art und Weise vonstatten gegangen.
Was die Veröffentlichung des Berichts anbelangt,
möchte ich Folgendes zu bedenken geben: Natürlich besteht ein Interesse der Öffentlichkeit an dem Bericht und
natürlich gilt das Gebot der Transparenz. Deswegen
sollte der Bericht auch veröffentlicht werden. Ich
möchte aber ebenfalls zu bedenken geben, dass auch die
höchstpersönlichen Rechte der Betroffenen zu wahren
sind. Wenn darüber entschieden wird, welche Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden,
sind die Sicherheitsbedürfnisse der Bundesrepublik
Deutschland, somit von uns allen, dabei zu berücksichtigen. Daher möchte ich vor einer vorschnellen und weitgehenden Veröffentlichung des Berichts - diese Forderung wurde ja erhoben - warnen.
Trotz aller Kritik, die derzeit geäußert wird, können
wir auf unseren Bundesnachrichtendienst stolz sein. Er
ist mit Sicherheit alles andere als ein „Sauladen“, als der
er von der Kollegin Renate Künast in meines Erachtens
unverschämter und unanständiger Weise kritisiert wurde.
({8})
Möglicherweise müssen wir die Tätigkeit unseres Bundesnachrichtendienstes und seine parlamentarische Kontrolle in Zukunft neu justieren - dazu sind wir alle
aufgefordert -, wohlgemerkt aber erst dann, wenn alle
Fakten auf dem Tisch liegen.
({9})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über das Brannt-
weinmonopol und von Verbrauchsteuergeset-
zen
- Drucksache 16/913 -
a)Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksache 16/1523 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Reinhard Schultz ({1})
b)Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1540 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({3})
Otto Fricke
Anja Hajduk
Interfraktionell war eine Aussprache von einer halben
Stunde vereinbart worden. Folgende Kolleginnen und
Kollegen geben ihre Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll: Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Volker
Wissing, Norbert Schindler, Dr. Barbara Höll, Cornelia
Behm und Reinhard Schultz ({4}).1)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmono-
pol und von Verbrauchsteuergesetzen auf Druck-
sache 16/913.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/1523, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen
der Koalition und der Linksfraktion gegen die Stimmen
der FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzent-
wurf in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenver-
hältnis wie vorher angenommen worden.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/1523 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-
ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
1) Anlage 13
die Entschließung mit den Stimmen der Koalition und
der Linksfraktion bei Enthaltung der FDP und des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulrike
Höfken, Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des
Vorläufigen Tabakgesetzes
- Drucksache 16/1068 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Interfraktionell ist eine Aussprache von einer halben
Stunde vereinbart worden, wobei die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten Redezeit erhalten soll. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bündnis 90/Die Grünen bringen
heute einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Tabakwerberichtlinie erneut ein, der in der vergangenen
Legislaturperiode bereits beschlossen war, von SchwarzRot aber sofort gestoppt wurde. Die jetzige Bundesregierung weigert sich, die EU-Richtlinie umzusetzen, obwohl klar ist, dass das laufende Einspruchsverfahren,
hinter dem Sie sich verstecken, keinesfalls von der Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie entbindet. Nun
drohen Strafzahlungen, möglicherweise in Millionenhöhe - aber man hat’s ja! -, und Exbundesgesundheitsminister Seehofer macht sich wieder einmal unglaubwürdig. Man spielt auf Zeit, um der Tabakindustrie ein
weiteres Jahr zu geben, neue Raucher anzuwerben.
Die mit der Umsetzung der Werberichtlinie verbundene Beschränkung der Tabakwerbung ist überfällig. Tabakwerbung ist nämlich mit verantwortlich für die Steigerung des Absatzes und die Ausweitung des Marktes
für Tabakerzeugnisse. Jährlich sterben in der EU eine
halbe Million Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, allein über 100 000 in Deutschland, und man rechnet mit etwa 3 300 Toten durch Passivrauchen. Die Folgekosten für die Gesellschaft, für das Gesundheitswesen
belaufen sich auf etwa 17 Milliarden Euro.
Man wird mit einem Werbeverbot selbstverständlich
nicht erwachsene Raucher erreichen oder solche mit einer 20-jährigen Suchtkarriere. Zweifellos lassen sich
durch ein Werbeverbot aber die auf Rauchernachwuchs
zielenden Strategien der Tabakindustrie durchkreuzen.
Eine Studie des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel ergab, dass potenzielle Raucher das
Risiko weitaus geringer einschätzen, solange Werbung
erlaubt ist. Eine Studie der Weltbank belegt, dass mit gezielter Werbung immer neue Bevölkerungsgruppen zum
Rauchen verführt werden. Mit einem umfassenden Werbeverbot in Industrieländern jedoch, so eine WHO-Studie, kann der Anteil der Raucher um 7 Prozent gesenkt
werden. Die Beeinflussbarkeit insbesondere junger
Menschen durch entsprechende Bilder ist eingehend dokumentiert. Wenn die Jugendlichen, aber auch die Erwachsenen merken, dass sie auf klischeehafte Vorstellungen von Abenteuer und Freiheit hereingefallen sind,
dann ist es zu spät. Nikotin macht nämlich in kürzester
Zeit süchtig. Nur ein Viertel der Raucher hört später wieder auf, zu qualmen.
Die Bundesregierung kann und darf sich an dieser
Stelle nicht mit dem Verweis auf die Werbefreiheit oder
auf Interessen der Wirtschaft aus ihrer Verantwortung
für die besonders schutzbedürftigen Gruppen und die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung stehlen.
({0})
Der Umsetzung der Richtlinie, bei der es auch um die
Schaffung gleicher Bedingungen auf dem immer enger
zusammenwachsenden Binnenmarkt geht, kann sich
Deutschland nicht ohne Gesichtsverlust verweigern.
22 Mitgliedstaaten haben diese Werberichtlinie inzwischen umgesetzt und darüber hinaus umfassende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Gefährdungen durch Tabakrauch ergriffen.
Deutschland gilt beim Schutz vor dem Passivrauchen
- der übrigens auch die Raucher betrifft - schon als Entwicklungsland.
Gegen diese Bedienung von Lobbyinteressen der Tabak- und der Werbeindustrie, zum Schaden von Hunderttausenden von Menschen, werden wir mit allen Mitteln
vorgehen.
({1})
Ich glaube, dass wir eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter uns haben, wenn es darum geht, endlich einen Strich unter diesen massiven Angriff auf die Gesundheit der Menschen zu ziehen. Wir fordern Minister
Seehofer auf, für seine Verweigerung wirksamer Schutzmaßnahmen dann auch die Haftung zu übernehmen.
Danke schön.
({2})
Der Kollege Kurt Segner von der CDU/CSU-Fraktion
gibt seine Rede zu Protokoll.1)
Das Wort hat der Kollege Volker Wissing, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich hätte meine Rede zu Protokoll geben können.
Eine Einigung hierzu war mit den Grünen bis zum Be-
1) Anlage 14
ginn der Debatte aber nicht möglich. Also reden wir über
das Thema Werbeverbot für Tabak.
Man stößt unweigerlich auf die Grundsatzfrage, was
wir noch alles gesetzlich regeln sollen. Dabei geht es natürlich auch darum, wie ernst wir das Subsidiaritätsprinzip auf europäischer Ebene nehmen. Es gibt kaum
noch einen Lebensbereich, den die Kommission nicht in
ihren Zuständigkeitsbereich gezogen hat. Ich kann nicht
erkennen, warum nicht der Deutsche Bundestag entscheiden können soll,
({0})
ob wir ein Verbot des Werbens für Tabakprodukte in unserem Land brauchen oder nicht.
({1})
Ich kann nicht erkennen, warum die Kommission in diesem Fall tätig werden muss. Die Europaverdrossenheit
in unserem Land hängt mit Sicherheit damit zusammen,
dass Brüssel vor allem mit Regelungswut und wuchernder Bürokratie in Verbindung gebracht wird. Es wäre
gut, wenn man sich dort etwas mehr Selbstbeschränkung
auferlegen würde.
({2})
Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land flehen die Politik an - das kennen
wir alle aus Gesprächen mit Bürgern in unseren Wahlkreisen -, mit dem Bürokratieabbau endlich Ernst zu
machen. Und was macht die Politik? Sie denkt sich munter einen Gesetzentwurf nach dem anderen aus.
({3})
So kann das doch nicht funktionieren.
Eine freiheitliche Gesellschaft fordert von jedem Einzelnen Verantwortung für sich und für andere. Es ist
nicht Aufgabe der Politik, diese Verantwortung Schritt
für Schritt zu verstaatlichen, indem wir alle Bereiche des
privaten Lebens bis ins Kleinste durchregulieren.
({4})
Am Ende wundern wir uns dann, dass keiner mehr
durchblickt, was man in unserem Land noch darf und
was nicht.
({5})
Der nächste Schritt nach einem Tabakwerbeverbot
könnte nach Vorstellungen von Ihnen, Frau Höfken, vielleicht ein Verbot für Süßigkeitenwerbung sein; denn
Süßigkeiten machen bekanntlich dick.
({6})
Man könnte auch die Automobilwerbung verbieten, weil
es auf deutschen Straßen immer wieder Unfälle gibt.
Man könnte Schokoriegel mit Warnhinweisen versehen:
Dieser Riegel macht dick. Man könnte auf jedes Auto
zwangsweise einen Aufkleber aufbringen lassen mit dem
Hinweis: Autofahren kann zu Unfällen führen.
({7})
Ich bin mir sicher, dass Sie, Frau Kollegin Höfken, ohne
schlechtes Gewissen in Ihren Wahlkreis fahren und
schwermütig „Ja, ja!“ seufzen würden, wenn die Menschen Sie auffordern, endlich mit der Regelungswut aufzuhören.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir
brauchen nicht für alles ein Gesetz.
({8})
Was haben denn die Aufkleber auf den Zigarettenschachteln gebracht? Doch bestenfalls nichts. Inzwischen ist es ein regelrechter Kult geworden, ganze Serien von Warnhinweisen zu sammeln. Das führt zu
keinem Ergebnis. Das offenbart das ganze Dilemma Ihrer Politik: Diejenigen, die Sie erreichen müssten, erreichen Sie nicht und diejenigen, die Sie erreichen, rauchen
sowieso nicht.
({9})
Die grüne Vorstellung, den Menschen die Verantwortung für das eigene Leben Schritt für Schritt abzunehmen, führt vor allem zu einem: zu mehr Bürokratie. Und
nicht nur das: Sie halten die Bürgerinnen und Bürger davon ab, Verantwortung für sich zu übernehmen. Ihre
Politik führt dazu, dass die Menschen denken: Wenn es
gefährlich wäre, dann hätte es die Politik sicher längst
verboten.
Sie hebeln mit Ihrer Regelungswut den wichtigsten
Präventionsmechanismus aus, nämlich die Eigenverantwortung. Nichts schützt die Bürgerinnen und Bürger
besser als ein gesundes Misstrauen und ein wachsames
Auge.
({10})
Die Menschen sind nicht so leichtgläubig, wie Sie glauben, Frau Höfken. Ich traue es den Menschen im Gegensatz zu Ihnen zu, dass sie in der Lage sind, ein von der
Werbung erdachtes fiktives Bild von der Realität zu unterscheiden. Ich traue es unseren Bürgerinnen und Bürgern zu, dass sie mit ihrer Freiheit verantwortungsbewusst umgehen können.
({11})
Ich traue es den Bürgerinnen und Bürgern zu, dass sie
die Mündigkeit besitzen, Gefahren im alltäglichen Leben zu erkennen und für sich auszuschließen, wenn sie
es wollen.
All das geht ohne Ihren staatlichen Interventionismus.
Nur mündige Bürgerinnen und Bürger sind in der Lage,
Verantwortung zu übernehmen, für sich und für die Gesellschaft insgesamt. Wir haben mündige Bürger. Wir
sollten uns trauen, ihnen etwas zuzutrauen.
Vielen Dank.
({12})
Die Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion, und die
Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke, ge-
ben ihre Reden zu Protokoll.1)
Damit ist die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt geschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1068 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung aufgeführt werden,
und zusätzlich an den Ausschuss für Kultur und Medien.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Da das nicht
der Fall ist, ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts
- Drucksache 16/1025 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 16/1524 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Merz
Mechthild Dyckmans
Sevim Dagdelen
Jerzy Montag
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FDP-Frak-
tion vor.
Interfraktionell ist eine Aussprache von einer halben
Stunde vorgeschlagen worden. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Alle Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben. Ich lese ihre Namen trotzdem vor: Alfred
Hartenbach, Mechthild Dyckmans, Georg Fahrenschon,
Sevim Dagdelen, Margareta Wolf und Klaus Uwe
Benneter.2)
1) Anlage 14
2) Anlage 15
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur
Änderung des Genossenschaftsrechts auf Druck-
sache 16/1025. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1524, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der übri-
gen Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Entwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in
dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition und des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von FDP
und Linksfraktion angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/1538. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Entschließungsantrag mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
EU-Waffenembargo gegen China beibehalten
- Drucksache 16/969 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Für die Verurteilung des Systems der LaogaiLager in China
- Drucksache 16/855 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Hier ist interfraktionell vorgesehen, eine halbe Stunde
zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Florian Toncar, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundeskanzlerin wird Anfang nächster Woche ihre
Reise nach China antreten. Allein schon das wäre Anlass
genug gewesen, heute eine umfassende Chinadebatte
über die verschiedensten Aspekte, die der strategischen,
wirtschaftlichen und auch menschenrechtlichen Dimension dieses Besuchs Rechnung tragen, zu führen. Wir haben heute zwei Anträge zu der Menschenrechtslage in
China eingebracht. Ich bin froh, dass wir noch vor der
Reise am heutigen Tag hier im Bundestag die Gelegenheit haben, zumindest über diesen Einzelaspekt der Chinapolitik Deutschlands zu debattieren.
Lassen Sie mich vorausschicken: Diese Bundesregierung hat eine positive Entwicklung herbeigeführt, dass
sie nämlich bei entsprechenden Besuchen die Menschenrechtsfragen nicht ausgeblendet hat, sondern diese sind
in den USA, in Russland und auch anderswo offen angesprochen worden. Gerade in Russland haben wir gesehen, dass die Kanzlerin klare Signale gesetzt hat. Sie hat
gezeigt, dass man nicht nur mit der Regierungsseite
sprechen muss - das muss man natürlich auch tun -, sondern dass man auch mit Oppositionsvertretern, der Zivilgesellschaft und anderen kritischen Stimmen aus diesem
Land Gespräche führen muss. Es war ausgesprochen angenehm, das zu registrieren.
Aber das, was in Russland richtig war, kann in China
nicht falsch sein. China ist im Grunde mehr als Russland
ein Land, in dem trotz aller Potenziale und aller Perspektiven für die deutsche Politik die Menschenrechtslage als
äußerst kritisch zu bewerten ist und wo deutliche Worte
nicht fehlen dürfen.
({0})
Insbesondere die Debatte über das Waffenembargo haben wir hier im Bundestag auch im Zusammenhang mit
der Menschenrechtssituation in China schon ein paar
Mal geführt. Auch Bundeskanzler Schröder hat dies vor
einem Jahr in einen Zusammenhang gestellt. Er hat dabei unter anderem gesagt: Die chinesische Gesellschaft
wird offener und pluraler, wenn auch nicht mit der Geschwindigkeit und in dem Ausmaß, wie ich es mir wünsche.
Nun kann man sicherlich nicht bestreiten, dass es
Fortschritte in China gibt. Aber auch in diesem Jahr sind
deutliche Rückschritte in entscheidenden Bereichen in
China festzustellen. Allein diese Woche hatten wir das
Problem, wie China gegen Dissidenten und freie Meinungsäußerung im Internet vorgeht. Es gab einen Prozess gegen Yang Tianshui. Er hat allein dafür, dass er auf
seiner Homepage freie Wahlen gefordert hatte und sich
gleichzeitig zur Gewaltlosigkeit bekannt hatte, eine Gefängnisstrafe von zwölf Jahren erhalten. Wir merken,
dass die chinesische Regierung in den letzten Monaten
ihre Bemühungen, die freie Meinungsäußerung im Internet zu unterdrücken, erheblich intensiviert hat. Das sind
unbestreitbare Rückschritte. Deswegen kann man nicht
pauschal sagen, dass die chinesische Gesellschaft offener und pluraler wird.
({1})
Das Waffenembargo wurde unter anderem wegen des
Verhältnisses Chinas zu Taiwan verhängt. Dort kann
sich schnell eine explosive Gemengelage entwickeln.
Solange dieses Problem nicht gelöst ist, darf es Lieferungen von Waffentechnologien nicht geben. Wir haben des
Weiteren das Problem, dass in China Minderheiten unterdrückt werden, dass beispielsweise die tibetische Kultur systematisch geschwächt werden soll. Wir wissen,
dass die Zeit gegen die Tibeter läuft und dass die Chinesen zynisch kalkulieren. Solange Minderheiten in China
nicht sicher sind und ihre Rechte missachtet werden,
darf das Waffenembargo gegen China nicht beendet werden.
Ich finde, es ist bedauerlich, dass die frühere Bundesregierung - im Grunde ohne Notwendigkeit - diese Position aufgegeben hat. Ich möchte daran erinnern, was die
Bundeskanzlerin Frau Merkel vor einem Jahr zum
Thema Waffenembargo gesagt hat: Die Frage der Aufhebung muss sich doch danach ausrichten, ob das, was sie
sich selbst als Bedingungen gestellt haben, nun als erfüllt gilt. Dazu kann ich nur sagen: Ich kann nicht erkennen, dass die Bedingungen schon erfüllt sind. Wenn Frau
Merkel dies nächste Woche in China in dieser Sachlichkeit und Ehrlichkeit sagt, wäre einiges erreicht.
({2})
Neben dem Waffenembargo haben wir noch ein weiteres Thema auf die heutige Tagesordnung gesetzt, weil
auch hier im Grunde ein Wahrnehmungsdefizit in
Europa besteht. Es handelt sich um das System der so
genannten Laogai-Lager, ein Netz von über 1 000 Einrichtungen, zum Teil als offene Arbeitslager, Gefängnisse oder psychiatrische Kliniken getarnt. In diesen Lagern halten sich mehr als 3 Millionen Häftlinge auf. Dort
herrschen katastrophale Zustände. Der Aufenthalt ist
häufig mit Zwangsarbeit verbunden. Es gibt Kinderarbeit. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal. Arbeitsschutz gibt es dort praktisch nicht. In diesen Lagern werden Menschen, die missliebige Meinungen vertreten und
äußern, einer Gehirnwäsche unterzogen. Sie sollen politisch umerzogen werden. Die Brutalität und die Zustände in diesen Lagern sind nicht hinnehmbar. Der USamerikanische Kongress hat die Zustände in diesen Lagern, die auch der bekannte chinesische Dissident Harry
Wu ständig anprangert, unlängst in einer Resolution mit
deutlichen Worten verurteilt. Ich glaube, dass sich der
Bundestag damit intensiver und häufiger beschäftigen
muss.
Im Übrigen gibt es noch ein Folgeproblem. Die Produkte, die in diesen Lagern in Zwangsarbeit hergestellt
werden, gelangen oft ohne jede Kontrolle und unerkannt
auf unsere Märkte. Wir müssen darüber nachdenken, in
welcher Form wir dem begegnen können. Wir machen
dazu in unserem Antrag eine Reihe von Vorschlägen. Ich
nehme an, dass die anderen Fraktionen das eine oder andere Konstruktive dazu beitragen werden.
All diese Fragen sollten im Rechtsstaatsdialog mit
China, der demnächst beginnt, angesprochen werden.
Dieser Dialog sollte umfassend sein. So wichtig Fragen
betreffend das Urheberrecht und den Schutz des Eigentums im Hinblick auf unsere Investitionen in China sind,
so eindeutig muss man sagen: Der Rechtsstaatsdialog
sollte sich nicht allein auf wirtschaftsnahe Fragen beschränken. Wenn die Grundrechte in China nicht geachtet werden und es dort kein funktionierendes Gerichtssystem gibt, dann sollte dies als Erstes im Rahmen des
Rechtsstaatsdialogs thematisiert werden.
({3})
Wir brauchen im Umgang mit China keinen undifferenzierten Jubel, sondern eine nüchterne Analyse der
Chancen und der Perspektiven sowie klare Worte und
Prinzipientreue, wenn es darum geht, Kritik an nicht hinnehmbaren Zuständen in diesem Land zu äußern.
({4})
Zu Protokoll geht die Rede des Kollegen Holger
Haibach, CDU/CSU-Fraktion.1)
Jetzt spricht der Kollege Paul Schäfer, Linksfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mich in der gebotenen Kürze nur zum FDP-
Antrag „EU-Waffenembargo gegen China beibehalten“
äußern. Wir stimmen diesem Antrag zu. Gerade im Vor-
feld der Chinareise der Bundeskanzlerin ist es wichtig,
daran zu erinnern, dass Menschenrechtspolitik nicht auf
dem Altar rüstungswirtschaftlicher Interessen geopfert
werden darf. Natürlich ist die Menschenrechtslage dort
mehr als bedenklich. Problematisch finden wir auch die
ungebrochene Aufrüstung Chinas.
In zwei Punkten möchten wir über den FDP-Antrag
hinausgehen.
Erstens. Ich glaube, dass das Waffenembargo gegen-
über China in verschiedener Hinsicht eher löchrig ist.
Das heißt, die EU muss noch einiges tun, um die Glaub-
würdigkeit dieses Waffenembargos zu stärken. Allen
EU-Staaten steht es ohnehin frei, die Art und Weise der
Umsetzung zu bestimmen. Der entscheidende Punkt ist:
China hat nach meiner Einschätzung wenig Interesse am
Kauf kompletter und teurer Waffensysteme. Es ist vor al-
lem interessiert am Erwerb von Dual-use-Schlüssel-
komponenten für Hightechwaffen, die man selber ent-
wickelt.
Man müsste sich das bestehende EU-Waffenembargo
noch einmal genau ansehen, um zu erkennen, wo in die-
ser Hinsicht Lücken sind. Nach Angaben von SIPRI in
Stockholm liefert zum Beispiel Frankreich Boden-Luft-
Raketen sowie Hubschrauber und Großbritannien liefert
ein Radarsystem. Auch Deutschland ist an dem lukrati-
ven chinesischen Rüstungsmarkt natürlich interessiert.
Ich könnte jetzt noch einige Zahlen nennen, was die Lie-
1) Anlage 16
Paul Schäfer ({0})
ferung von Dual-Use-Gütern und -Technologien in den
letzten Jahren betrifft. Darauf verzichte ich aber. In der
weiteren Debatte sollten wir also darauf achten, inwieweit dieses Waffenembargo eher löchrig wie ein Käse ist
und wo man nachbessern müsste.
Zweitens. Für uns, die Fraktion Die Linke, ist eine
Gleichbehandlung wesentlich: Wir wollen, dass an andere Länder die gleichen Maßstäbe angelegt werden.
Natürlich muss man einen intensiven Menschenrechtsdialog mit China führen. Wir müssen auch mit den
Vereinigten Staaten von Amerika einen Menschenrechtsdialog führen. Wir wollen eine Rüstungsexportkontrollpolitik auf einem restriktiven, hohen Niveau durchsetzen, und zwar nicht nur gegenüber China. Mit anderen
Worten: Wir wollen nicht nur eine Lex China; wir wollen, dass auch solchen Staaten keine Waffen geliefert
werden, in denen Menschenrechte verletzt werden, in
denen es Krisen und Spannungen gibt, in denen Hochrüstung stattfindet. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Problematik der Lieferung des Eurofighters
nach Saudi-Arabien, des Panzers Leopard nach Chile
und von U-Booten nach Israel.
Die Bundesregierung hat an dieser Stelle ein grundlegendes Problem mit der Glaubwürdigkeit. Es geht dabei
um mehr als nur um die Frage eines Waffenembargos gegenüber China. Das sollten wir im weiteren Verlauf der
Debatte berücksichtigen.
Vielen Dank.
({1})
Zu Protokoll geht die Rede der Kollegin Ute Berg.1)
Das Wort hat Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Erler, der Antrag der FDP steht im Geiste dessen,
was der Bundestag der letzten Wahlperiode zu diesem
Thema beschlossen hat. Dieser - richtige - Beschluss
kam nicht ohne Konflikte mit der damaligen Bundesregierung zustande. Ich finde, dieser Antrag wäre für die
Bundesregierung eigentlich eine Chance gewesen, hier
die außenpolitische Linie dieser Bundesregierung zu erläutern, zwei Tage bevor die Bundeskanzlerin ihren ersten offiziellen Besuch in China macht.
({0})
Ich will an dieser Stelle sagen: Es zeugt nicht von
großem Respekt gegenüber diesem Parlament, wenn die
Bundesregierung bei einer solchen Debatte einfach
schweigt. Dass die Koalitionsfraktionen dazu nichts zu
sagen haben und ihre Reden deswegen zu Protokoll ge-
ben, ist eine andere Sache. Ich finde, Sie, die Bundesre-
gierung, hätten an dieser Stelle anders handeln müssen.
1) Anlage 16
({1})
Denn es wäre auch für die Menschen in diesem Lande
interessant gewesen, zu hören, wie die Bundesregierung
mit einem Land umgehen will, das zwar in wirtschaftlicher Hinsicht auch für uns als Exportweltmeister - wir
liefern uns dabei mit den Chinesen ein heftiges Rennen einen interessanten Markt bedeutet, deren Regierung
aber die Marktwirtschaft in Kombination mit einer autoritären Einparteienherrschaft dauerhaft als Modell für
die Schwellenländer sieht. So tritt die chinesische Regierung jedenfalls auf.
Es wäre auch interessant, zu erfahren, wie die Bundesregierung mit dem Widerspruch umgehen möchte,
dass sie im Internetzeitalter mit einer Regierung in einen
Dialog eintritt, die der Firma Microsoft, die sich hinsichtlich der chinesischen Zensurbestimmungen sehr opportunistisch verhalten hat, einfach den Mailverkehr
abgeschaltet hat. Wie will die Regierung mit einem Regime umgehen, das nach wie vor nicht nur eine ungeheuer hohe Zahl von Todesurteilen zu verantworten hat,
sondern auch in den Bereichen, in denen deutsche Firmen investieren wollen, katastrophale Arbeitsbedingungen zulässt?
China hat sozusagen zwei Klassen von Bürgern dezidiert im Gesetz festgeschrieben: die Städter, die an den
Segnungen der Globalisierung teilhaben können, und die
Landbewohner, die nur noch die Chance haben sollen,
als Tagelöhner zu erbärmlichsten Bedingungen - auch
ihre Gesundheit betreffend - in den Städten schuften zu
müssen.
Zu all diesen Punkten hätten wir gerne gehört, wie
sich die Bundesregierung ihre Politik vorstellt.
({2})
Wir haben nämlich ein Interesse daran, ein Verhältnis zu
China zu entwickeln, bei dem solche Fragen thematisiert
werden, das aber kraftvoll genug ist, um auf Zusammenarbeit zu setzen. Denn nicht nur die Debatte um die
Neustrukturierung des Sicherheitsrates, sondern auch
der Konflikt im Sudan, das Verhalten Chinas bei der Beschaffung und dem Zugriff auf Ressourcen wie das
Erdöl in Asien wie auch der Umgang mit dem iranischen
Atomprogramm haben gezeigt, dass wir keines der Probleme der internationalen Politik, die zurzeit auf der Tagesordnung stehen, ohne China werden lösen können.
Insofern haben Sie eine Chance versiebt.
Ich füge abschließend eines hinzu. Sie hätten wenigstens erklären müssen, dass die Aufhebung des Waffenembargos, das ohnehin so löchrig ist, dass es beispielsweise zulässt, dass deutsche Firmen Dieselmotoren für
U-Boote der chinesischen Marine liefern, nicht befürwortet werden kann, solange das Verhalten Chinas gegenüber Taiwan und seinen Nachbarn unverändert
bleibt. Ich sehe an dieser Stelle eher Nachholbedarf, statt
dazu zu schweigen. Ich wünsche mir, dass Sie Ihr
Schweigen überwinden können.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Holger Haibach das Wort zu
einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Trittin, das Stichwort
„Schweigen“ veranlasst mich zu der Nachfrage, wer in
welcher vorherigen Regierung geschwiegen hat. Ich erinnere daran, dass es die Bundeskanzlerin war, die als
Erste die Menschenrechtsverletzungen angesprochen
hat. Es war auch die Bundeskanzlerin, die sich zu Guantanamo und Tschetschenien geäußert hat. Bundesaußenminister Steinmeier wiederum hat auf seiner Nahostreise
deutlich gemacht, dass unter den gegenwärtigen Umständen eine Aufhebung des Waffenembargos gegenüber
China nicht in Frage kommt. Mit Verlaub: Von Ihrem
Außenminister habe ich seinerzeit nie solche Äußerungen gehört.
({0})
Wir können gerne das Protokoll der letzten Rede des
damaligen Bundesaußenministers Fischer zu diesem
Thema heraussuchen. Dann können Sie mir alle Stellen
zeigen, die belegen, dass das alles ausgesprochen kritisch gesehen worden ist.
Ich will nur eines deutlich machen: Wir brauchen von
Ihnen garantiert keine Belehrungen darüber, wie wir mit
Menschenrechten umgehen sollen. Wir brauchen von Ihnen auch keine Belehrungen darüber, wie wir das Thema
angehen sollen. Die Bundeskanzlerin und auch der Bundesaußenminister haben in dieser Sache stilbildend gewirkt. Die Bundeskanzlerin, denke ich, wird bei ihrer
Chinareise in der nächsten Woche das Thema offensiv
ansprechen.
Herzlichen Dank.
({1})
Zur Reaktion der Kollege Jürgen Trittin.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege, ich freue mich darüber, dass Sie wenigstens
Ihre Kurzintervention nicht zu Protokoll gegeben haben;
da hat die Rede offensichtlich etwas bewirkt.
({0})
Was das Schweigen angeht, würde ich Ihnen empfehlen, einmal nachzuschauen, was der Bundestag gerade
zum Thema China gegen den Widerstand des damaligen
Bundeskanzlers beschlossen hat.
({1})
- Lieber Uwe, ich weiß, was er dazu gesagt hat, was er
davon gehalten hat und dass er das bei der Abstimmung
nicht gern gesehen hat; darüber brauchen wir an dieser
Stelle nicht zu streiten. - Ich brauche von Ihnen hier also
überhaupt keine Belehrung darüber,
({2})
wie man sich zu der Frage der Menschenrechte in China
verhalten sollte.
({3})
Ich kann das auch noch an einer weiteren Stelle erläutern. Sie erinnern sich daran, dass die damalige Bundesregierung im November 2005 in China am Platz des
Himmlischen Friedens zusammen mit der chinesischen
Regierung eine Konferenz über die Frage veranstaltet
hat: Wie organisiert man Zusammenarbeit auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien? Bevor wir diese Konferenz durchgeführt haben, haben wir mit der chinesischen Regierung Klartext geredet.
({4})
- Hören Sie zu, bevor Sie johlen! - Wir haben durchgesetzt,
({5})
dass auf dieser Konferenz Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace und andere, auch chinesische Nichtregierungsorganisationen, reden konnten wie in Bonn.
({6})
Angesichts dieser Fakten, der Tatsache, dass wir diese
Konferenz gegen den Widerstand der chinesischen Regierung durchgesetzt haben
({7})
- das ging bis dahin, dass der Greenpeace-Vertreter gesagt hat: Vor vier Jahren habe ich auf diesem Platz nicht
einmal sitzen dürfen; heute werde ich von der chinesischen Regierung aufgefordert, hier zu reden -, brauche
ich gerade mit Blick auf China von Ihnen in dieser Frage
keine Belehrung.
({8})
Letzte Bemerkung: Wenn es denn so ist, dass Frau
Merkel
({9})
an dieser Stelle Klartext reden will - wir sind übrigens
diejenigen gewesen, die Frau Merkel für ihre Haltung in
Russland gelobt haben;
({10})
ich habe gar keine Scheu, die Regierung da, wo sie etwas
Richtiges macht, zu loben -, dann ist es umso verwunderlicher, dass in der Frage der Politik gegenüber China
die gesamte Bundesregierung hier schweigt
({11})
und Sie sich auf Kurzinterventionen beschränken. Das
macht misstrauisch.
({12})
Zu Protokoll geht die Rede des Kollegen Christoph
Strässer, SPD-Fraktion.1)
Interfraktionell ist verabredet, die Vorlagen auf den
Drucksachen 16/969 und 16/855 an die Ausschüsse zu
überweisen, die in der Tagesordnung dafür vorgesehen
sind. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Vertrag vom 27. Mai 2005 zwischen
dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik
Deutschland, dem Königreich Spanien, der
Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die
Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des
Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration
- Drucksachen 16/1108, 16/1286 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 16/1439 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Frank Hofmann ({1})
Ulla Jelpke
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Vertrags vom 27. Mai 2005
zwischen dem Königreich Belgien, der Bun-
desrepublik Deutschland, dem Königreich
Spanien, der Französischen Republik, dem
Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich
der Niederlande und der Republik Österreich
über die Vertiefung der grenzüberschreiten-
1) Anlage 16
den Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen
Migration
- Drucksachen 16/1109, 16/1287 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 16/1440 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Frank Hofmann ({3})
Ulla Jelpke
Es ist vorgesehen, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
tieren. - Dazu gibt es keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache.
Die Rede des Kollegen Ralf Göbel, CDU/CSU-Frak-
tion, geht zu Protokoll.2)
Ich rufe die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion, auf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Hauptziel des so genannten Prümer Vertrages - ein
effizienterer Informationsaustausch zum Zwecke der
Gefahrenabwehr und der Kriminalitätsbekämpfung in ei-
nem Raum ohne Binnengrenzen - ist ein wichtiges und
sinnvolles Anliegen, dessen Verfolgung auch von der
FDP ausdrücklich unterstützt wird. Wir haben jedoch
Bedenken im Hinblick auf die europapolitischen sowie
die grund-, bürger- und datenschutzrechtlichen Aspekte
dieser Vereinbarung.
Der Vertrag steht für ein Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten: Von 25 EU-Staaten dürfen sieben
mitmachen; 18 bleiben außen vor. Ein EU-weiter, ein-
heitlicher Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts sieht unserer Meinung nach völlig anders aus.
Damit es nicht zu einer Fragmentierung der EU in der
Innen- und Rechtspolitik kommt, müssen die Regelun-
gen des Prümer Vertrages alsbald in das europäische
Vertragswerk überführt werden. Dies ist auch aus Grün-
den der rechtlichen und parlamentarischen Kontrolle
wichtig; denn solange dieser Vertrag ein völkerrechtli-
cher Vertrag ist, bestehen keinerlei Möglichkeiten zur
Kontrolle durch die europäischen Gerichte und das Eu-
ropäische Parlament.
In grund-, bürger- und datenschutzrechtlicher Hin-
sicht enthält dieser Vertrag Licht und Schatten. Erneut
befinden wir uns im Spannungsverhältnis von innerer Si-
cherheit und bürgerlichen Freiheitsrechten. In einer Op-
timierung des Datenaustausches liegt - wir würden das
nie bestreiten - ein großes Potenzial zur Begrenzung der
grenzüberschreitenden Kriminalität und des internatio-
nalen Terrorismus. Die berechtigten Anliegen der Poli-
zei und der Strafverfolgungsbehörden, Informationen zu
2) Anlage 17
gewinnen, dürfen jedoch nicht einseitig zulasten der
Bürger und ihrer legitimen Datenschutzinteressen gehen.
({0})
Der Prümer Vertrag setzt sich mit Fragen des Datenschutzes intensiv auseinander. Das ist erfreulich. Positiv
zu beurteilen sind die umfassenden Protokollierungspflichten, die strenge Zweckbindung der Datenübermittlung sowie die präzisen Vorschriften zur Dauer der
Datenaufbewahrung. Problematisch ist hingegen der Datenaustausch im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Großveranstaltungen. Besonders problematisch
ist aus unserer Sicht die Kooperation im Bereich der
DNA-Daten. Zwar darf nur zum Zweck der Strafverfolgung auf DNA-Daten zugegriffen werden; dieser Vertrag
legt aber keinerlei materielle Schwelle für den Zugriff
fest. Dies ist ein Grund dafür, dass Italien bisher eine Zusammenarbeit ablehnt.
Deutschland hätte aus unserer Sicht dem Beispiel Österreichs folgen sollen. Ein Zugriff auf die österreichische DNA-Datenbank ist nur bei der Verfolgung solcher
Straftaten, die die Voraussetzung für den Erlass eines
Europäischen Haftbefehls erfüllen, zulässig. Leider
zeigt die Bundesregierung keinerlei Bereitschaft, hier zu
reden - das wurde schon eben bemängelt - oder anlässlich der Ratifizierung materielle Hürden für den Zugriff
auf DNA-Datenbanken festzulegen. Ich finde, in diesem
Fall sollten wir wirklich nicht hinter Österreich zurückbleiben. Das wäre Deutschland nicht angemessen.
({1})
Gerade die Frage der DNA-Daten hätte auch den
Koalitionsfraktionen eine grund- und bürgerrechtlich inspirierte Debatte wert sein sollen. Hierzu ist es leider
nicht gekommen. Wie beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt können wir hier feststellen, dass die Kollegen von den Koalitionsfraktionen ihre Reden zu Protokoll geben. Während sich die frühere und die jetzige
Bundesregierung ein ganzes Jahr Zeit genommen haben,
über diesen Vertrag zu beraten bzw. sich zu überlegen,
wann sie ihn ins Parlament einbringt, bleiben uns gerade
einmal zwei Wochen Zeit. Ich halte das im Hinblick auf
den Umgang mit dem Parlament für einen Skandal und
appelliere an die Bundesregierung, sich diese Kritik zu
Herzen zu nehmen. Ich glaube nicht, dass das ein angemessener Umgang mit dem Parlament ist.
({2})
Deutschland läuft Gefahr, die Fehler, die bereits im
Verfahren zur Umsetzung des Europäischen Haftbefehls
passiert sind, zu wiederholen. Dies ist umso unverständlicher, weil allen Beteiligten die Kritik des Bundesverfassungsgerichts noch in den Ohren klingen müsste. Das,
was das Bundesverfassungsgericht uns, den Parlamentariern, gesagt hat, war für jeden von uns eine Ohrfeige.
Wir sollten in Zukunft die Urteile des Bundesverfassungsgerichts wirklich ernst nehmen. Wir, die FDPFraktion, tun das: Wir reden hier heute, wir schweigen
nicht, wir geben unsere Reden nicht zu Protokoll. Ich
nehme zur Kenntnis, dass die Koalitionsfraktionen offensichtlich keinerlei Interesse daran haben, den Vertrag
von Prüm in den größeren Zusammenhang der Entwicklung der europäischen Integration der Innen- und Justizpolitik zu stellen.
Das Verfahren und insbesondere die unbefriedigenden Regelungen im Zusammenhang mit dem Zugriff auf
DNA-Daten stehen unserer Zustimmung entgegen. Daher werden wir uns enthalten.
Vielen Dank.
({3})
Die Rede des Kollegen Frank Hofmann geht zu Pro-
tokoll.1)
Ich gebe Ulla Jelpke, Linksfraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit einer irren Geschwindigkeit soll heute der Vertrag
von Prüm durch das Parlament gejagt werden. Während
die Bevölkerung bis heute kaum ahnt, welche Bedrohun-
gen für Freiheit und Sicherheit sich hinter diesem Ver-
tragswerk verbergen, will die Bundesregierung Fakten
schaffen. Union und SPD scheuen offenbar eine breite
gesellschaftliche Debatte.
Was dem Parlament hier vorliegt, ist ein Vorstoß jener
kleinen Gruppe der EU-Staaten, die sich gerne als Kern-
europa bezeichnen lassen. Diese Staaten wollen Maß-
stäbe für die europäische Integration setzen, eine Inte-
gration, die auf Abschreckung und Zwang beruht. Das
lehnen wir ab.
Ich habe von Bedrohungen für Freiheit und Rechtssi-
cherheit gesprochen. Ich will das auch belegen: Der Ver-
trag regelt den automatisierten Abgleich von DNA-Pro-
filen, Fingerabdrücken und Fahrzeugregisterdaten. Jede
Vertragspartei kann direkt auf die zentralen Datenbanken
der anderen Partner zugreifen und bei einem Treffer die
dazugehörigen Daten anfordern. Das gilt auch für DNA-
Profile zu offenen Spuren. Damit nicht genug: Bei Groß-
ereignissen wie etwa den EU-Gipfeln sollen auch unge-
fragt Daten übermittelt werden können.
Es ist also geplant, einen weitgehend unkontrollierten
Datenaustausch in Europa einzurichten. Dafür soll
schon ausreichen, eine Person im Verdacht zu haben, sie
könne die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden.
Das ist schon heute eine Standardformulierung für all
das, was den Herrschenden nicht passt. Das sind Gum-
miparagrafen, die aus demokratischer Sicht nicht hin-
nehmbar sind.
Wir wissen von zahlreichen Fällen der letzten Jahre,
in denen Menschen nicht zu EU-Gipfeln oder Treffen
der G-8-Staaten reisen durften, weil ihr Name in irgend-
welchen Dateien gelandet war. Ihre Einstufung als Gefahr
für die Sicherheit und Ordnung hatte keinen Grund -
außer dem einen: Die Herrschenden in der EU wollen
sich kritische Demonstranten vom Leib halten. Dafür
1) Anlage 17
treten sie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Versammlungsrecht mit Füßen.
Ein anderer Aspekt des Vertrages ist nicht minder bedrohlich. Beamte des einen Staates sollen mit Einwilligung eines anderen Staates Exekutivbefugnisse auf
fremdem Territorium erhalten. Schon bei gemeinsamen
Einsätzen zur Strafverfolgung bringt dies zahlreiche
Schwierigkeiten wegen des unterschiedlichen Polizeirechts mit sich. Aber was soll sich erst bei Großereignissen abspielen? Von Beamten begangene Straftaten beispielsweise müssen in dem Land verfolgt werden, wo
der Einsatzort war. Faktisch bedeutet das, dass der
Rechtsschutz ausgehöhlt wird. Praktisch erprobt wurde
das Verfahren vor drei Jahren, als 750 deutsche Polizisten beim G-8-Gipfel im schweizerischen Evian eingesetzt waren und Demonstranten durch die Straßen jagten.
({0})
Verstärkte Kooperation ist auch bei Abschiebungen vorgesehen. Sammelabschiebungen sollen diese menschenfeindliche Vorgehensweise kosteneffizienter machen.
Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,
von dem die EU-Ministerriege gerne spricht, entpuppt
sich mit diesem Vertragswerk ein weiteres Mal als eine
Verhöhnung elementarer Menschenrechte. Innerhalb der
EU wird der Repressionsapparat gestärkt, um gegen Kritiker und Verlierer des Kapitalismus vorzugehen. Gegen
die Opfer außerhalb der EU wird die Mauer weiter hoch
gezogen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf
dem Weg zum Mikrofon habe ich sehr wohl die Unmutsäußerungen dazu gehört, dass auch ich noch meine Rede
halte. Ich frage zurück: Welches Selbstverständnis hat
die große Koalition eigentlich in Fragen der Europapolitik? Welches Selbstverständnis hat der Deutsche Bundestag in Fragen der Beteiligungsrechte? Hier werden
zwar große europapolitische Erklärungen abgegeben.
Gleichzeitig möchten Sie aber - auch im Innenausschuss
war das so -, dass Staatsverträge mit weitreichenden
Eingriffen in Bürgerrechte und den Datenschutz möglichst nur zur Kenntnis genommen werden. Wir haben
dazu ein anderes Verständnis. Wir sind der Meinung,
dass sich vor der Ratifizierung eines solchen Vertrages
Fachausschüsse und Parlament intensiv mit den Auswirkungen auseinander setzen müssen.
Einige kritische Punkte sind hier bereits angesprochen worden. Ich möchte hier jedoch noch einmal deutlich auf die Gefahr der Fraktionierung gerade in der Innen- und Rechtspolitik in Europa hinweisen. Nach der
G-5-Zusammenarbeit ist jetzt erneut ein Siebenstaatenvertrag nach Schengen geschlossen worden, der bewusst
nicht den Weg der demokratischen europäischen Strukturen wählt. Hier setzen sich vielmehr ein paar Staaten
zusammen, schalten das Europäische Parlament, das sich
in diesem Bereich mühsam einige Mitentscheidungsrechte erkämpft hat, aus und möchten auch noch, dass
sich der Bundestag möglichst nicht damit befasst.
Wir haben andere Vorstellungen von einem europäischen Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts;
Freiheit und Recht gehören auch mit dazu, werte Kollegen aus der Union.
Wir haben das Rahmenwerk zum Datenschutz grundsätzlich sehr wohl begrüßt. Einerseits wird in diesem
Verbund der sieben Staaten der Onlinezugriff auf so sensible Daten wie DNA-Profile, Fingerabdrücke, Kfz-Halterdaten und Telekommunikationsdaten vereinbart, andererseits haben wir in diesen sieben Staaten ein sehr
unterschiedliches Datenschutzniveau. Außerdem - das
werfe ich der Bundesregierung vor - wurde noch nicht
einmal erwogen, die Möglichkeit zu diskutieren, auf nationaler Ebene Grenzen zu setzen, insbesondere im Bereich der Weitergabe von DNA-Daten unserer Bürgerinnen und Bürger an andere Staaten. Ich meine, dass die
große Koalition verantwortungslos mit diesen sensiblen
Daten der Bürgerinnen und Bürger umgeht.
Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Vertrag enthalten. Die grundsätzliche Regelung eines notwendigen Informationsaustausches wird auch von uns
positiv bewertet. Wir möchten aber, dass dies innerhalb
von Regeln und Grenzen sowie transparent geschieht.
Danke schön.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag zwischen Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich
über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der
illegalen Migration auf den Drucksachen 16/1108 und
16/1286. Der Innenausschuss empfiehlt auf der Drucksache 16/1439, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in der zweiten Lesung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung von FDP und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge bitte aufstehen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen eines Großteils der Fraktion Die Linke
({0})
bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP
angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung des Vertrags zu dem soeben abgestimmten Gesetz
auf den Drucksachen 16/1109 und 16/1287. Der Innen-
ausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1440, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz-
entwurf mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke und Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz-
entwurf mit dem gleichen Stimmverhältnis wie zuvor
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer ({1}), Dr. Norman Paech, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Keine Unterstützung für die indische Atomrüstung
- Drucksache 16/1445 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Verteidigungsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke
Hoff, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Indisch-amerikanisches Nuklearabkommen
substanziell nachbessern oder ablehnen
- Drucksache 16/1533 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Verteidigungsausschuss
Hierzu ist zwischen den Fraktionen eine halbe Stunde
Debatte vereinbart worden. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, um das Wort dem Kollegen Norman Paech, Linksfraktion, zu geben.
({4})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben zu diesem Thema einen Antrag vorgelegt.
In diesem Haus herrscht in einem Punkt Übereinstimmung, nämlich dass es auf gar keinen Fall eine Weiterverbreitung von Atomwaffen geben soll. Einige Staaten
sind bereit, zu diesem Zweck politische Sanktionen,
ökonomische Sanktionen, die politische Isolierung des
Irans, sogar militärische Maßnahmen - sie sind noch
nicht vom Tisch - einzusetzen.
Bislang hat das alles nichts gefruchtet. Man sollte sich
einmal überlegen, ob das nicht vielleicht daran liegt,
dass man gegenüber jenen Atommächten, die sich dem
Atomwaffensperrvertrag nicht angeschlossen haben,
nämlich Pakistan, Indien und Israel, inkonsequent ist.
Brasilien hat jüngst angekündigt, die Urananreicherung
aufzunehmen. Auch dazu habe ich nirgends irgendeine
kritische Anmerkung oder gar eine Sanktionsandrohung
vernommen. Das ist eine offensichtlich inkonsequente
Politik.
Jetzt droht ein weiterer Schritt der Selbstdemontage.
Inwieweit sind wir eigentlich noch glaubwürdig, wenn
der Lieferungsstopp für Nuklearmaterial und Nukleartechnologie zugunsten Indiens außer Kraft gesetzt wird?
Die USA haben die Formel des Lieferstopps seinerzeit
selbst in die Regeln der Nuclear Suppliers Group eingesetzt. Jetzt wollen sie sie zugunsten Indiens zurücknehmen. Deutschland ist Mitglied dieser Gruppe, die
darüber entscheidet. Deutschland hat hier eine überaus
entscheidende Position und kann diese zugunsten der
Nichtweiterverbreitung durchsetzen.
Vor allen Dingen: Wenn es eine Ausnahme für Indien
geben sollte, dann wage ich nicht vorauszusagen, was
geschieht, wenn Pakistan und Israel demnächst ebenfalls
einen Antrag stellen und an diese Länder dann ebenfalls
Nukleartechnologie und -material geliefert werden soll.
Ich möchte nicht den Eiertanz erleben, wenn auch Israel
das, eventuell angesichts der Bedrohung durch den Iran,
einfordert. Wie soll dann entschieden werden? Das ist
eine gefährliche Sache. Kommt diese Ausnahme, dann
können wir den Atomwaffensperrvertrag auf den Müllhaufen der Geschichte werfen.
Wo bleiben eigentlich - auch daran ist zu erinnern die Initiativen der Regierung zur Abrüstung der Atommächte? Bisher haben Sie nichts anderes getan als aufzurüsten, umzurüsten und immer neue Generationen von
Atomwaffen hervorzubringen. Damit verletzen Sie permanent den Atomwaffensperrvertrag. Wenn jetzt auch
noch die strikten Regeln für die Lieferbeschränkung
außer Kraft gesetzt werden, dann ist unsere Glaubwürdigkeit in dieser Sache vollkommen dahin.
({0})
Dann könnte man den Staaten, die keine Atomwaffen
haben, nur noch raten: Macht es genau so wie die Atommächte, trickst, täuscht oder verlasst den Atomwaffensperrvertrag, damit ihr endlich auf den gleichen Status
wie Indien, Pakistan oder Israel kommt, damit ihr gleichberechtigt seid. Was das für die neue Weltordnung bedeuten würde, müsste Ihnen eigentlich klar sein: Dann
wäre die Bremse eines Vertragswerks unwiederbringlich
dahin.
Daher gibt es, gleich ob Indien strategischer Partner
ist oder nicht, nur eine Botschaft: Die Bundesregierung
darf sich an diesem gefährlichen Spiel nicht beteiligen.
Auch wenn das nur eine kleine Entscheidung zu sein
scheint, sie hat immense Auswirkungen.
({1})
Selbst wenn die USA die Entscheidung über eine Anpassung der Exportrichtlinien im Juni noch gar nicht auf
die Tagesordnung der Nuclear Suppliers Group setzen
wollen, muss die Regierung schon jetzt ihre Ablehnung
in Washington sehr deutlich machen. Denn ist das Vertragswerk erst einmal im Kongress durchgesetzt worden,
dann wird es umso schwieriger, die Umsetzung zu verhindern. Deswegen haben wir unseren Antrag eingebracht.
Wir appellieren an Sie, diesem Antrag zuzustimmen
und klar zu sagen: Nein, keine Ausnahme von diesen
Regeln!
Danke sehr.
({2})
Die Rede des Kollegen Guttenberg, CDU/CSU, geht
zu Protokoll.1)
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Werner
Hoyer, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es geht bei diesem Thema um mehr als nur um eine
mögliche Unterstützung der indischen Atomrüstung, wie
es im Antrag der Linken formuliert ist. Es geht um mehr
als um ein einfaches Nein, um eine Ablehnung zu dem
indisch-amerikanischen Nuklearabkommen in der
Nuclear Suppliers Group. Es geht um die Glaubwürdig-
keit des internationalen Nichtverbreitungsregimes.
Condoleezza Rice hat keinen Hehl daraus gemacht,
dass die Zielsetzungen des Abkommens eindeutig geo-
strategischer Natur sind. Das kann man nachvollziehen.
Das Abkommen dient dem Zweck, eine enge Beziehung
mit dem aufstrebenden asiatischen Giganten zustande zu
bringen. Die Auswirkungen für die internationale nukle-
are Nichtverbreitungspolitik sind dabei von sekundärer
Bedeutung. Die mittelbaren Auswirkungen sind jedoch
sehr unerfreulich. Das Nichtverbreitungsregime und des-
sen Herzstück, nämlich der Nichtverbreitungsvertrag,
befinden sich nicht erst seit der gescheiterten Überprü-
fungskonferenz 2005 in einer existenziellen Krise.
Mit dem indisch-amerikanischen Abkommen erhält
Indien die globale Anerkennung als Kernwaffenstaat,
Zugang zu modernster Nukleartechnologie und zu spalt-
barem Material eingeschlossen, obwohl Indien nie dem
Nichtverbreitungsvertrag beigetreten ist und sein Kern-
1) Anlage 18
waffenprogramm in den 70er-Jahren im Geheimen und
zum Schrecken der Weltgemeinschaft entwickelt hat.
Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Debatte über
das iranische Nuklearwaffenprogramm erweckt dieses
Vorgehen den Eindruck, die internationale Gemeinschaft
messe mit zweierlei Maß. Damit wird die Verhandlungsposition der P 5 und Deutschlands gegenüber dem Iran
nachhaltig geschwächt. Dem nuklearen Nichtverbreitungsregime droht ein endgültiger Glaubwürdigkeitsverlust.
Das bilaterale Nuklearabkommen konnte aber nur zu
einer so schweren Belastung für das Nichtverbreitungsregime werden, weil die internationale Gemeinschaft
viel zu lange die Problematik der außerhalb des NVV
stehenden Staaten Indien, Pakistan und Israel unterschätzt hat. Die Forderung, sie sollten dem NVV beitreten, ist schon seit längerer Zeit unrealistisch. Die internationale Gemeinschaft hat es versäumt, Schritte
einzuleiten, die diese drei Kernwaffenstaaten näher an
den NVV herangeführt und in den multilateralen Dialog
eingebunden hätten, ohne dass sie möglicherweise dem
Vertrag vollständig beitreten.
Der Bundesregierung liegt bislang noch kein abschließender Text des Nuklearabkommens vor. Aber die
bereits jetzt bekannten Punkte sind unter dem Aspekt der
nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung völlig unzureichend. Es ist keine abrüstungspolitische Errungenschaft, dass sich der Kernwaffenstaat Indien bereit erklärt, das Zusatzprotokoll des NVV zu unterzeichnen.
Das Zusatzprotokoll richtet sich an Nichtkernwaffenstaaten und soll durch spontane IAEO-Kontrollen die
Aufdeckung eines möglichen Atomprogramms ermöglichen. Für den Nuklearwaffenstaat Indien sind diese
Punkte mittlerweile irrelevant geworden.
Das Nuklearabkommen liegt hoffentlich bald in kompletter Textform auf dem Tisch. Ein Zurück wird es für
die internationale Anerkennung Indiens als Nuklearmacht kaum geben. Das wird auch kein Nein in der
Nuclear Suppliers Group verhindern. Genau an diesem
Punkt greift Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Linken, zu kurz.
({0})
- Ja, den werden wir Ihnen vorlegen, Herr Seifert.
Wir müssen den Kernwaffenstaat Indien jetzt in die
Verantwortung nehmen. Es müssen für Indien die gleichen abrüstungspolitischen Verpflichtungen gelten wie
für die Kernwaffenstaaten USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China. Diese Verpflichtungen müssen bei den Verhandlungen in der NSG eingefordert werden, im Übrigen nicht zuletzt deswegen, um den sehr
kritischen Kollegen im amerikanischen Kongress den
Rücken zu stärken.
({1})
Vorher darf es auch nicht die Privilegien des Transfers
ziviler Nukleartechnologie oder spaltbaren Materials für
Indien geben.
Deutschland muss hier Verantwortung übernehmen
und wird sich nicht hinter anderen Mitgliedern der Nuclear Suppliers Group verstecken können. Von daher bin
ich etwas enttäuscht, dass die Bundeskanzlerin das offensichtlich harmonische Klima, das jetzt zwischen ihr
und Präsident Bush herrscht, nicht genutzt hat, um sich
zum indisch-amerikanischen Nuklearabkommen zu äußern. Es wäre die Chance gewesen - und sie besteht
noch immer -, wichtige Nachbesserungen einzufordern: die Unterzeichnung des Abkommens über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen und ein Moratorium für die Produktion von spaltbarem Material.
Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung an
die Spitze der Habenichtse treten würden; denn bei der
gegenwärtigen Entwicklung in dieser Welt wird es bei
der weiteren Proliferation kein Halten mehr geben, wenn
es Indien und dem Iran gelingt, ihre Atomwaffen dauerhaft hoffähig zu machen. Wenn man nicht gerade diplomatischen Schaden anrichten würde, könnte man hier
und jetzt eine ganze Reihe von Ländern nennen, die
demnächst dabei sein werden.
Bei einigen dieser Länder gibt es sogar die Auffassung, dass man in den Vereinten Nationen sein Wort offensichtlich nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Geltung bringen kann, wenn man über Atomwaffen verfügt.
Deutschland hat ein für alle Mal auf eigene Atomwaffen
verzichtet und ist in dieser Frage glaubwürdig. Das sollte
auch anderen Staaten in dieser Welt deutlich machen: Es
gibt auch ohne Nuklearwaffen eine Perspektive für eine
gute Zukunft in dieser Welt.
Deswegen wünsche ich mir, dass die Bundesregierung bei einem Wiederaufleben einer Initiative für die
Abrüstungspolitik eine wesentliche und führende Rolle
spielt.
Ich danke Ihnen.
({2})
Die Rede der Kollegin Uta Zapf wurde zu Protokoll
gegeben.1)
Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-
ben es hier in der Tat mit einem ganz zentralen Angriff
auf einen Konsens zu tun, der dieses Haus einmal ge-
prägt hat, nämlich auf die Politik der Nichtverbreitung,
wie sie unter den Außenministern Genscher, Kinkel und
Fischer von der ganzen Breite des Parlaments getragen
worden ist.
Diese Politik der Nichtverbreitung beruht auf drei
Säulen: keine Weiterverbreitung von Atomwaffen über
die Länder hinaus, die sie besitzen, das Recht auf die
friedliche zivile Nutzung der Atomenergie sowie - oft
vergessen - die Pflicht der Atomwaffen besitzenden
Staaten, abzurüsten.
1) Anlage 18
({0})
Man kann schon heute sagen, dass die dritte Säule nie
ernst genommen worden ist.
({1})
Was bedeutet nun dieser Deal zwischen Indien und
den USA? Er ist das Signal, dass auch die anderen beiden Säulen nicht mehr tragfähig sind. Ich werde das begründen. Diese Einschätzung habe ich aber eigentlich
von allen erwartet.
Was war die Reaktion der Bundesregierung darauf?
Der Bundesaußenminister hat gesagt: Der Zeitpunkt war
verkehrt. Damit hat er Recht. Der Zeitpunkt war ziemlich verkehrt, weil die Beilegung der Auseinandersetzung mit dem Iran durch dieses Abkommen extrem erschwert wird. Es geht aber nicht nur um den Zeitpunkt,
sondern es geht auch um den Inhalt dieser Vereinbarung;
denn gerade das, was für diejenigen in besonderer Weise
interessant ist, die zu nuklearer Technik und nuklearen
Waffen drängen, wurde aus dieser Vereinbarung herausgenommen. Bei der letzten Debatte ist hier gesagt worden, dass die IAEO das gar nicht so schlecht findet. Ich
sage Ihnen: Ich finde es sehr schlecht, dass alle Anlagen
zur Wiederaufbereitung und zur Anreicherung aus diesen Vereinbarungen zwischen den USA und Indien herausgenommen worden sind. Das hat nicht nur für fragwürdige verbrecherische Regimes wie das des Iran eine
falsche Vorbildwirkung, das hat auch eine Vorbildwirkung für Länder wie Brasilien und Südafrika, die ebendiesen Weg beschreiten wollen. Damit ist klar: Auch die
erste Säule - keine Weiterverbreitung von Atomwaffen droht mit diesem Deal endgültig untergraben zu werden.
Deswegen finde ich es bezeichnend, dass sich die
Bundesregierung zu der Sache selbst überhaupt nicht
äußert, obwohl mittlerweile ein Antrag der Grünen, ein
Antrag der Linksfraktion und ein Antrag der FDP hierzu
vorliegen und obwohl es hierüber offensichtlich eine
parlamentarische Debatte gibt. Lediglich Frank
Steinmeier hat sich, wie gesagt, mannhaft hingestellt und
den Zeitplan kritisiert, während Frau Merkel bei ihrem
Gespräch mit ihrem neuen Duzfreund George W. in
Washington zu diesem Thema vollends geschwiegen hat.
Schauen Sie sich einmal die Antwort auf die Kleine
Anfrage an, die wir dazu gestellt haben: So etwas
Nichtssagendes haben wir noch nie gesehen. Ich weiß ja
aus Regierungserfahrung, was dahintersteckt: Da können sich zwei Ressorts oder zwei Abteilungen eines Ressorts nicht einigen. Dabei kommt so etwas heraus. Das
heißt aber nicht, dass die Bundesregierung nicht handlungsfähig ist.
Ich habe mit großer Empörung - das muss ich Ihnen
wirklich sagen - zur Kenntnis genommen, dass der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Indien, Herr
Mützelburg, offensichtlich schon weiß, wie der Streit innerhalb der Bundesregierung - ob man nun an der Politik der Nichtverbreitung festhalten will oder ob man zu
dem Deal zwischen den USA und Indien Ja sagen will ausgehen wird. Er hat nämlich verkündet, selbstverständlich werde die Bundesrepublik Deutschland in der
Nuclear Suppliers Group einer Aufhebung des LieferJürgen Trittin
stopps von Nuklearmaterial zustimmen. Meine Damen
und Herren, das finde ich skandalös:
({2})
Zu einem Zeitpunkt, zu dem dieses Parlament darüber
diskutiert, wie mit dem Problem umgegangen wird,
schafft ein Botschafter Fakten. Da hätte ich von Ihnen,
lieber Herr Erler, in der Tat erwartet, entweder zu sagen:
„Der Mann hatte nicht unser Mandat, er hat eigenmächtig gehandelt“, oder hier klarzustellen, dass das, was
Herr Mützelburg sagt, offensichtlich die Meinung der
großen Koalition ist und dass sich diese große Koalition
von der Tradition der Nichtverbreitungspolitik, über die
über Jahre hinweg Konsens hier im Hause bestand, verabschiedet hat. Diese Klarheit hätten Sie heute hier
schaffen können.
({3})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/1445 und 16/1533 an die Aus-
schüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung vorge-
sehen sind. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Steueränderungsgesetzes 2007
- Drucksache 16/1545 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen
- Drucksache 16/1501 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Hierfür ist eine halbe Stunde Aussprache vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit der ersten Lesung des Entwurfs zum Steueränderungsgesetz 2007 werden heute die in der Koalition vereinbarten Veränderungen in den parlamentarischen Prozess eingebracht. Das heute vorliegende Gesetz ist ein
weiterer Baustein unserer seriösen Steuer- und Finanzpolitik, wie sie im Koalitionsvertrag niedergelegt ist.
Unser Land steht vor großen Herausforderungen,
die es zu bewältigen gilt. Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demografischer Wandel und der Veränderungsdruck der Globalisierung verlangen Entscheidungen, um heutigen und künftigen Generationen ein Leben
in Wohlstand zu sichern. Auf der einen Seite müssen wir
notwendige und unausweichliche Maßnahmen zur Sanierung der öffentlichen Haushalte beschließen und auf
der anderen Seite brauchen wir zukunftsweisende und
Wachstumskräfte fördernde Investitionen sowie sinnvolle strukturelle Reformen, um unser Land zukunftsfähig zu machen.
({0})
Wenn durch Veröffentlichung bekannt wird, dass der
Schuldenberg unseres Staats jetzt 1,5 Billionen Euro
beträgt, dann gibt uns jeder auch in der Öffentlichkeit
den Ratschlag, zu sparen. Wenn dann aber einzelne
Maßnahmen vorgeschlagen werden, wird jede Sparmaßnahme des Staates bejammert. Jede Kürzung wird als sozialer Kahlschlag gebrandmarkt. Jeder sagt: Wir müssen
dringend sparen. - Wenn er persönlich betroffen ist,
dann wird wie selbstverständlich diese Maßnahme kritisiert. Wenn der Staat heute 100 Euro ausgibt, aber nur
80 Euro an nachhaltigen Einnahmen hat, so muss dies im
Interesse zukünftiger Generationen verändert werden.
Das heutige Gesetz reiht sich in eine ganze Reihe bereits beschlossener Gesetze oder Maßnahmen ein, die
den politischen Weg der großen Koalition verdeutlichen.
Einerseits betreiben wir den konsequenten Abbau von
steuerlichen Ausnahmetatbeständen und steuerlichen
Subventionen: Ich nenne das Gesetz zur Beschränkung
der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen. Ich nenne das Gesetz zum Einstieg
in ein steuerliches Sofortprogramm. Ich nenne das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage. Ich nenne
das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen.
Andererseits betreiben wir die konsequente Stärkung
von Wachstum und Beschäftigung: Hier nenne ich unser
Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und
Beschäftigung. Mit der verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten und von
Handwerkerleistungen werden Familien und der private
Haushalt erheblich entlastet.
({1})
Auch wird dies zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in diesem Bereich beitragen. Wir spüren dies ja schon jetzt.
Darüber hinaus sind weitere Maßnahmen zu nennen,
mit denen Wachstum und Beschäftigung gesichert werden. Wir beraten das Investitionszulagengesetz 2007 für
die neuen Länder. Wir werden eine Verbesserung der
Unternehmensnachfolge durch eine Änderung des Erbschaftsteuerrechts zum 1. Januar 2007 erarbeiten und wir
werden eine durchgreifende Reform der Unternehmensbesteuerung zum 1. Januar 2008 umsetzen.
In diesem Gesamtzusammenhang steuerrechtlicher
Maßnahmen - und nicht isoliert - ist nun das heute vorliegende Steueränderungsgesetz 2007 zu sehen. Deshalb
werden wir das Steueränderungsgesetz 2007 natürlich
nicht zurückziehen, wie dies hier und heute gefordert
wird.
({2})
Klar ist aber auch, dass wir alle Maßnahmen im Finanzausschuss durch eine Anhörung und eine intensive Diskussion beraten und durchleuchten. Vielleicht finden wir
in dem einen oder anderen Bereich noch Möglichkeiten,
ohne das erwartete Aufkommen für den Haushalt zu
schmälern.
({3})
Unser Ziel ist klar: Angesichts einer massiven strukturellen Unterdeckung der laufenden Ausgaben im Bundeshaushalt sind erhebliche Konsolidierungsanstrengungen unausweichlich. Der Konsolidierungsdruck
bleibt hoch und weitere Einsparungen im ganzen Haushalt bleiben weiter notwendig. Unser Ziel ist es, 2007 die
beiden zentralen finanzpolitischen Ziele der großen
Koalition zu erreichen: die Einhaltung der Regelgrenze
des Art. 115 Grundgesetz und die Unterschreitung der
3-Prozent-Defizitgrenze des europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes. Die Haushaltskonsolidierung ist
nicht ohne spürbare Einschnitte erreichbar. Gleichwohl
sind die belastenden Maßnahmen an den Gesichtspunkten der individuellen Leistungsfähigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit ausgerichtet und im Ergebnis zumutbar ausgestaltet.
Dementsprechend enthält das Steueränderungsgesetz 2007 Maßnahmen, die einen weiteren spürbaren
Beitrag zur Stabilisierung des Steueraufkommens leisten
sollen, zugleich der Steuervereinfachung dienen und
auch das Streitpotenzial im Verwaltungsvollzug begrenzen.
Ich nenne acht Stichpunkte: erstens die stufenweise
Abschaffung der schon seit langem arbeitsmarktpolitisch
überholten Bergmannsprämie, zweitens eine angemessene Absenkung der Altersgrenze für die Gewährung
von Kindergeld, drittens die Beschränkung der Entfernungspauschale unter Beibehaltung einer besonderen
Begünstigung für Fernpendler, viertens die Absenkung
des Sparerfreibetrages, fünftens die Einführung eines
Zuschlags auf die Einkommensteuer für Spitzenverdiener, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen. Sie wissen, in
einer Koalition trägt der Partner auch das mit, was er eigentlich verhindern wollte. In einer Koalition herrscht
ein Geben und Nehmen. Koalition heißt immer, Kompromisse zu schließen. Das war früher auch mit der FDP
schon so.
({4})
- Ich weiß, wovon ich spreche.
Ich nenne sechstens die Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auf Fälle, in denen es den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen
Tätigkeit bildet, siebtens die Schließung bestehender Besteuerungslücken im Bereich der beschränkten Steuerpflicht und achtens weitere Änderungen wie beispielsweise die Änderung des Gesetzes über Steuerstatistiken.
Diese Maßnahmen - das kann nicht oft genug gesagt
werden - sind nicht isoliert zu sehen, sondern sind erforderlich, um einerseits die notwendige Haushaltskonsolidierung zu unterstützen und andererseits zukunftsfähige
Investitionen zu ermöglichen.
Ich bin davon überzeugt - wir sind in der Koalition
insgesamt dieser Auffassung -, dass der Bürger unsere
Politik zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit
der öffentlichen Finanzen honorieren wird. Auch wenn
er im Augenblick auf der einen Seite die hohen Schulden
kritisiert und auf der anderen Seite jede Sparmaßnahme
brandmarkt, sind diese Maßnahmen erforderlich.
Wir müssen und werden die Herausforderungen der
demografischen Entwicklung und der Globalisierung
meistern. Die Menschen spüren: Wir machen Deutschland fit für die Zukunft. Die Zuversicht der Verbraucher
und Unternehmer wächst. Die deutsche Wirtschaft
kommt voran und die Menschen gewinnen das Allerwichtigste zurück: das Vertrauen in die Politik. Das ist
der zentrale Punkt.
({5})
Wir wollen Erfolg und eine gute Zukunft für unser
Land. Deshalb werden wir Schritt für Schritt das abarbeiten, was wir im Koalitionsvertrag gemeinsam vereinbart haben. Dazu gibt es keine Alternative. Die Koalition
ist auf dem richtigen Weg.
({6})
Das Wort zu einem Geschäftsordnungsantrag hat der
Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Ich finde, dieser Gesetzentwurf ist sehr wichtig und hoch kontrovers. Er hat uns
dazu gebracht, die Bundesregierung in einem Antrag
aufzufordern, ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen, und
zwar aufgrund der verfassungsrechtlichen Mängel im
Hinblick auf die Reichensteuer
({0})
und angesichts der sozialen Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger, die in anderen Punkten enthalten
sind.
({1})
Auch wenn es bald 18 Uhr ist, bin ich der Meinung:
Da es um ein sehr wichtiges Reformwerk geht, hätten
wir es verdient, dass uns der zuständige Minister Rede
und Antwort steht.
({2})
Daher, Frau Präsidentin, beantragen wir die Zitierung
des Bundesministers der Finanzen und verbinden diesen
Antrag nach § 45 Abs. 2 der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages mit der Feststellung der Beschlussfähigkeit.
({3})
Das Wort hat der Kollege Manfred Grund.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte diesem Antrag im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich widersprechen, wenn ich
ihn dadurch auch nicht aufhalten kann. Ich finde es bemerkenswert, dass bei der Diskussion über dieses für Sie
angeblich so wichtige Thema gerade einmal vier Abgeordnete von der Fraktion der Grünen hier „herumlümmeln“.
({0})
Die Steueränderungsgesetze, die wir beraten und die
uns allen schwer fallen, sind Ergebnis dessen, was in den
letzten sieben Jahren auch von der grünen Fraktion „herbeiregiert“ worden ist. Wir versuchen nun, Schadensbegrenzung vorzunehmen. Bei dieser Schadensbegrenzung, Herr Kollege Beck, sollten Sie uns nicht im Wege
stehen, sondern uns helfen. Ihr Antrag ist kontraproduktiv und er hält das Parlament eher auf. Für eine solche
Selbstdarstellung sollten Sie sich eigentlich zu schade
sein.
({1})
Gibt es noch weitere Wortmeldungen? - Frau
Ernstberger, bitte schön.
Natürlich ist Ihr Antrag nicht aufzuhalten; hier gebe
ich dem Kollegen von der Union Recht. Wir werden ihn
mittragen müssen. Aber Sie als Grüne wissen genau, warum die Steueränderungsgesetze, um die es jetzt geht,
notwendig sind. Deswegen ist Ihr Antrag eigentlich
nicht akzeptabel. Ihnen ist bekannt, dass wir gemeinsam
für eine Verbesserung der derzeitigen Haushaltssituation
sorgen müssen. Ihrem Antrag werden wir nicht zustimmen.
({0})
Mir liegen also zwei Geschäftsordnungsanträge vor.
Bevor ich über die Zitierung des Bundesfinanzministers
abstimmen lassen kann, muss die Beschlussfähigkeit des
Bundestages festgestellt werden.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bezweifelt die Beschlussfähigkeit des Bundestages. Sie kann
auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht werden. Daher ist die Beschlussfähigkeit in Verbindung mit
der Abstimmung über den von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Geschäftsordnungsantrag festzustellen.
Ich bitte Sie, den Saal zu verlassen und die Türen zu
schließen.
Ich will darauf aufmerksam machen: Wir haben eine
verbundene Abstimmung. Durch die Anzahl der Abgeordneten, die durch die drei Türen gehen, wird festgestellt, ob der Bundestag beschlussfähig ist. Gleichzeitig
stimmen wir über die Frage der Herbeizitierung des Ministers ab. Sie stimmen dafür, indem Sie durch die Tür
mit der Aufschrift „Ja“ gehen, dagegen, indem Sie durch
die Tür mit der Aufschrift „Nein“ gehen, und enthalten
sich, indem Sie durch die Tür mit der Aufschrift „Enthaltung“ gehen. Durch einen Gang stimmen Sie also
über diese beiden Fragen ab.
Sind die Türen mit Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ich würde die Abstimmung gern schließen. Gibt es
denn Abgeordnete, die noch nicht durch die Türen gegangen sind? - Es gibt hier drin zwar keine Sandwichs.
Aber möglicherweise lassen sich andere Anspornmethoden finden.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Noch einmal für die Kolleginnen und Kollegen, die
draußen sind: Ich habe den Eindruck, dass es nicht mehr
so viele sind, die sich an den Türen drängeln.
({0})
Vielleicht können die übrigen ganz langsam hereinkommen. Das wäre gut, weil ich dann die Abstimmung
schließen könnte.
Das Signal ist gegeben worden. Die Abstimmung ist
geschlossen.
({1})
Zu diesem Zeitpunkt befinden sich in diesem Saal
148 Abgeordnete.
({2})
Damit ist die Beschlussunfähigkeit festgestellt.
Ich hebe die Sitzung auf.
Ich weise Sie darauf hin, dass der Antrag auf Herbeizitierung des Ministers bestehen bleibt und in der nächsten Sitzung wieder aufgerufen wird.
({3})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, 1. Juni 2006, 8 Uhr, ein.
Ich wünsche viel Freude mit den gewonnenen Einsichten und einen schönen Abend.