Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich darf Ihnen berichten, dass das Bundeskabinett heute ein weiteres Steueränderungsgesetz verabschiedet hat. Auch dieses Gesetz entspringt dem Bemühen, einen spürbaren Beitrag
zur Stabilisierung der Einnahmesituation, der Steuerbasis der Bundesrepublik Deutschland zu leisten, was vor
dem Hintergrund der schwierigen Lage der öffentlichen
Haushalte dringend notwendig ist. Es besteht die Notwendigkeit, den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Mit
diesem Gesetz wollen wir aber gleichzeitig zur Vereinfachung des Steuersystems beitragen. Außerdem wollen
wir durch eine ganze Reihe von Veränderungen das
Streitpotenzial im Verwaltungsvollzug begrenzen.
Ich will Ihnen in der notwendigerweise kurzen Zeit
die wichtigsten Veränderungen vorstellen:
Die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
werden nur noch dann als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten berücksichtigt, wenn das Arbeitszimmer
den Mittelpunkt der gesamten beruflichen bzw. betrieblichen Tätigkeit bildet. Das ist zwar bereits Gegenstand
der geltenden Steuerrechtsetzung. Derzeit können darüber hinaus aber bis zu einer Höhe von circa 1 250 Euro
Aufwendungen als Werbungskosten geltend gemacht
werden, wenn sie im Einzelnen nachweisbar sind und
das Arbeitszimmer zu mehr als 50 Prozent beruflichen
bzw. betrieblichen Zwecken dient.
Die zweite wichtige Regelung betrifft die Altersgrenze für die Gewährung von Kindergeld. Sie wird vom
vollendeten 27. Lebensjahr auf das vollendete 25. Lebensjahr abgesenkt. Viele Zuhörerinnen und Zuhörer
könnte das betreffen. Ich gebe freimütig zu, dass dies
eine Verschlechterung gegenüber der derzeitigen Regelung ist. Wir haben jedoch eine Übergangslösung gewählt: Die Jahrgänge 1981 und 1982 haben bis zum vollendeten 27. Lebensjahr Anspruch auf Kindergeld bzw.
Kinderfreibetrag. Für diejenigen, die 1983 geboren wurden, läuft der Anspruch allerdings mit dem Jahr 2008 ab. Im internationalen Vergleich ist diese Regelung nicht ungewöhnlich. International gesehen sind Begünstigungen
für Kinder in Form der Gewährung von Kinderfreibeträgen bzw. Kindergeld sehr viel schlechter ausgestaltet als
in der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung ist im Übrigen der Auffassung, dass diese Absenkung dazu beitragen könnte, die Schul- und Studienzeiten in Deutschland tendenziell zu verkürzen.
Wir kürzen den Sparerfreibetrag von derzeit
1 370 Euro für Ledige bzw. dem Doppelten für Verheiratete auf 750 bzw. 1 500 Euro.
Eine weitere Maßnahme betrifft die Entfernungspauschale. Sie wird zwar unverändert in Höhe von 30 Cent
pro Kilometer gewährt, allerdings erst ab dem 21. Kilometer. Dies halten wir aus verfassungsrechtlicher Sicht
für zulässig, wenn wir eine Umqualifizierung vornehmen und als Wegstrecke die Entfernung zwischen der
Privatwohnung und dem Werkstor berechnen. Wir führen sozusagen das Werkstorprinzip ein. Diese Änderung
ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig, weshalb ich die alarmierenden Meldungen von der angeblichen Verfassungswidrigkeit, die zurzeit von den Agenturen verbreitet werden, in das Reich
der Unwahrscheinlichkeit und der üblichen Aufgeregtheit verweisen möchte.
Eine Neuerung hat in den letzten Tagen in der öffentlichen Diskussion eine erhebliche Rolle gespielt, und
zwar unter der Überschrift „Reichensteuer“. Wir führen
einen „Balkon“ ein: Ledige, deren Einkommen oberhalb
von 250 000 Euro liegt, und Verheiratete, deren Einkommen oberhalb von 500 000 Euro liegt, zahlen 3 Prozent
mehr Einkommensteuer. Der „Balkon“ bezieht sich auf
den Sprung von 42 auf 45 Prozent.
Redetext
Darüber möchte ich einige Worte verlieren. Ich bin
der Auffassung, dass eine solche Reichensteuer, eine zusätzliche Belastung dieser Gruppe, erforderlich ist, wenn
man dem Verfassungsgrundsatz von der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit folgt. Das, was wir heute beschlossen haben - das gilt auch für die früheren Steuergesetze -, betrifft sehr viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, auch und gerade in den niedrigen
und niedrigsten Einkommenskategorien. Ich halte es für
eine Frage der Balance, dass diejenigen, denen es besser
geht, die stärkere Schultern haben, auch stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden.
Das ist keine Neidsteuer und auch keine Symbolpolitik.
Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, eine verfassungsgemäße Regelung zu finden, mussten wir alle unternehmerischen Einkünfte ausschließen, sodass von
dieser Regelung 20 000 bis 30 000 Steuerzahler in der
Bundesrepublik Deutschland betroffen sind, mehr nicht.
Die Empörung darüber - Sprüche, wie unmöglich das
sei - mutet mich umso grotesker an, als diese Bevölkerungsgruppe bis 1998 - unter Mitwirkung einer Partei,
die jetzt in der Opposition ist - einen Spitzensteuersatz
in Höhe von 53 Prozent gezahlt hat. Ist es unter den
heute obwaltenden Bedingungen einer sehr ungünstigen
Haushaltslage nicht nahe liegend - sowohl unter dem
Gesichtspunkt der sozialen Balance und der Notwendigkeit, die Legitimation derer zu gewinnen, die sonst noch
stärker betroffen wären, als auch vor dem Hintergrund
der Belastungen, die von der FDP teilweise schon mitgetragen wurden -, die Maßnahme so zu verabschieden,
wie sie vorgeschlagen worden ist?
Wir versuchen - ich glaube, erfolgreich -, eine verfassungsrechtliche Problematik zu umgehen, indem wir
nicht nur gewerbliche Einkünfte ausschließen, sondern
unternehmerische Einkünfte insgesamt. Das betrifft auch
die freiberuflich Tätigen und diejenigen, die in der Landund Forstwirtschaft Einkünfte erzielen. Wir glauben,
dass man die unternehmerischen Einkünfte insgesamt
ausschließen kann. Mit Blick auf das unternehmerische
Risiko, das mit diesen Einkünften verbunden ist, können
wir diese Begrenzung, jedenfalls für die Laufzeit des
nächsten Jahres, bewerkstelligen. Durch die große Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 wird es ohnehin eine Neuregelung der Unternehmensbesteuerung
geben.
Ich sage abschließend: Wir werden dem Parlament
die Eckpunkte einer solchen Unternehmensteuerreform
vorlegen, bevor die abschließende Lesung des Steueränderungsgesetzes stattfindet. Dies ist ein Wunsch aus den
Reihen der Koalitionsfraktionen. Das Bundesfinanzministerium wird jede Anstrengung unternehmen, den
Bundestag darüber in Kenntnis zu setzen.
Im Übrigen erwarte ich gern Ihre Fragen.
Vielen Dank, Herr Bundesminister.
Wir kommen jetzt zu den Fragen. - Bitte schön, Herr
Beck.
Herr Minister, wir sind damit einverstanden, dass man
das Steuerrecht nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip
ausrichtet; hierzu gibt es unterschiedliche Meinungen in
der Opposition. Aber mich irritiert, dass der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Meister,
heute gesagt hat, das bringe gerade einmal 127 Millionen Euro und sei eine rein symbolische Aktion der Koalition. Das macht mich besorgt. Gibt es tatsächlich so
wenig Reichtum in diesem Land, dass durch diese Steuer
nur ein so geringes Aufkommen zu erwirtschaften ist?
Öffentlich spricht man schon von der Bonsai-Reichensteuer; denn früher waren ganz andere finanzielle Größen in der politischen Diskussion.
Mich irritiert auch, dass diese Regelung nur für 2007
gilt; danach ist es wieder anders. Warum machen Sie es
nicht gleich richtig? Da wird doch schon eine geplante
Nachbesserung vorweggenommen.
Herr Abgeordneter, das habe ich so nicht gesagt.
Bezogen auf die Frage nach Herrn Meister: Ich kann
nicht Fragen beantworten, die sich kompetenterweise an
Herrn Meister richten. Die Zahlen sind richtig. In dem
Augenblick, in dem Sie unternehmerische Einkünfte
- gewerbliche Einkünfte, Einkünfte von Freiberuflern
und Einkünfte in der Land- und Forstwirtschaft - ausschließen, erstreckt sich die Summe, die Sie erschließen
können, bei der vollen Wirksamkeit auf 127 Millionen
Euro, weil nur noch die Einkünfte aus Kapitalvermögen
bzw. nicht selbstständiger Arbeit übrig bleiben. Wenn
die unternehmerischen Einkünfte einbezogen würden,
kämen wir bei voller Wirksamkeit auf eine Summe von
1,3 Milliarden Euro.
Ich sage es noch einmal: Ich glaube, dass wir die Differenzierung zwischen unternehmerischen und privaten
Einkünften aus verfassungsrechtlichen Gründen so umsetzen können, wohl wissend, dass wir mit der Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 eine gesetzliche
Grundlage haben werden, die, was den gewerblichen
und unternehmerischen Teil betrifft, zu einer Neuordnung der Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland führt.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Carl-Ludwig
Thiele.
Sehr geehrter Herr Minister, danke für Ihre Ausführungen. - Wenn man sich in diesem Gesetzentwurf das
Finanztableau anschaut, sieht man, dass im Wesentlichen durch das Streichen von derzeitigen steuerlichen
Ausnahmetatbeständen und die Reichensteuer im Entstehungsjahr im Saldo 4,4 Milliarden Euro mehr für den
Fiskus erwartet werden.
Wir haben in der Vergangenheit eine Diskussion über
die Steuerquote geführt, die von Ihrem designierten Parteivorsitzenden als zu niedrig erachtet wurde, im
Wesentlichen auch von Ihnen. Es wurde argumentiert,
die Steuerquote in Deutschland liege unter 20 Prozent.
Gleichzeitig können wir aber feststellen, dass aus dem
Steueraufkommen - das weiß ich aus der Antwort Ihrer
Staatssekretärin - derzeit schon 47 Milliarden Euro erbracht werden. Wenn man das addiert, kommt man auf
eine Steuerquote von über 22 Prozent. Wenn im nächsten Jahr, wie bereits vom Kabinett beschlossen, zusätzlich die Mehrwertsteuer und die Versicherungsteuer
erhöht werden, kommen wir auf eine Steuerbelastungsquote von über 23 Prozent. Ist damit, was die steuerliche
Belastung angeht, allmählich das Ende der Fahnenstange
erreicht oder sind weitere Steuerbelastungen geplant?
Denn vom Sparen hören wir seitens der Koalition und
der Bundesregierung relativ wenig, von Steuererhöhungen allerdings sehr viel.
Das liegt daran, sehr geehrter Abgeordneter Thiele,
dass Sie sehr selten hinhören, wenn wir Einsparvorschläge machen. Sie wissen, dass wir in dieser Legislaturperiode nachweisbar 34 Milliarden Euro einsparen;
das ist auch in den einschlägigen Tableaus nachzulesen.
Ich wäre dankbar, wenn das gelegentlich zur Kenntnis
genommen würde.
Wie Sie wissen, stimmt mein Standpunkt mit dem,
was Herr Beck gesagt hat, überein: Im europäischen Vergleich ist die Steuerquote in Deutschland - jedenfalls
„for the time being“, also im Augenblick - laut einer
OECD-Statistik weit unterdurchschnittlich. Nur in der
Slowakei ist die Steuerquote noch niedriger als bei uns. Das ist Fakt. Übrigens befindet sich Deutschland danach
auch mit Blick auf die Steuer- und Abgabenquote ungefähr im Mittelfeld.
Mein Standpunkt, den ich auch öffentlich immer vertreten habe, ist, dass gilt, was im Koalitionsvertrag festgelegt worden ist. Nach Lage der Dinge hat das eine
Steuerquote zur Folge, die in etwa im langfristigen
Durchschnitt der Bundesrepublik Deutschland liegen
dürfte, also zwischen 22,5 und 23 Prozent. Über weitere
Steuererhöhungen reden wir nicht.
In dem Augenblick, in dem man den Denkfehler begeht, die Abschaffung von Steuerprivilegien mit Steuererhöhungen gleichzusetzen, befindet man sich in einer
Argumentationsfalle, in der Sie offenkundig stecken. Für
uns hat die Beseitigung von Steuerprivilegien etwas mit
größerer Steuergerechtigkeit zu tun, weil die meisten
Möglichkeiten bei der Gestaltung der steuerlichen Bemessungsgrundlage nicht von der allein erziehenden
Verkäuferin genutzt werden, sondern eher von Angehörigen der oberen Einkommenskategorien. Insofern hat
das aus unserer Sicht nichts mit Steuererhöhungen zu
tun, sondern mit Steuervereinfachung und Steuergerechtigkeit. Das sage ich wohl wissend, dass eine ganze
Reihe dieser Maßnahmen auch Bürgerinnen und Bürger
trifft, die erkennbar nicht zum oberen Einkommensdrittel in der Bundesrepublik Deutschland gehören.
Fazit: Die Maßnahmen, die die Koalition in ihren Verhandlungen beschlossen hat - im Wesentlichen die Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Versicherungsteuer,
die Einführung eines „Balkons“ bei der so genannten
Reichensteuer, also bezüglich der Spitzenverdiener, und
die Abschaffung von Steuersubventionen -, haben eine
Steuerquote zur Folge, die ich für vertretbar halte und
die auch im internationalen Vergleich vertretbar ist.
Herr Kollege Thiele, ich nehme Ihre Wortmeldung
auf, gehe aber nach der Reihenfolge der Wortmeldungen. - Als Nächster hat sich Jürgen Koppelin zu Wort
gemeldet.
Herr Minister, ich möchte einmal nachfassen. Sie haben davon gesprochen, dass Sie Einsparungen vornehmen. Wenn ich mir den Haushaltsentwurf 2006 anschaue, kann ich aber, was sein Gesamtvolumen angeht,
keine großen Veränderungen im Vergleich zu den vergangenen Jahren erkennen. Wie Sie gesagt haben, sparen
Sie angeblich 34 Milliarden Euro ein. Sie nehmen aber
neue Schulden in Höhe von 38 Milliarden Euro auf, obwohl Sie zusätzliche Steuereinnahmen haben und noch
weitere zu erwarten sind. Ich frage Sie: An welchen Stellen haben Sie eigentlich gespart? Das ist im Haushalt
überhaupt nicht zu erkennen.
Sie haben vorhin erklärt, Sie hätten 34 Milliarden
Euro eingespart; ich wiederhole das. Dennoch bleibt das
Haushaltsvolumen fast gleich hoch. Darüber hinaus nehmen Sie zusätzliche Schulden in der Rekordhöhe von
38 Milliarden Euro auf. Wollen Sie uns trotzdem sagen,
dass Sie gespart haben? Wenn dem so wäre, müssten Sie
auf der anderen Seite immense Ausgaben getätigt haben.
Das sollten Sie dann aber auch sagen. Wäre es nicht an
der Zeit, dass auch die Bundesregierung einmal darüber
nachdenkt, die Steuern radikal zu senken - das haben andere übrigens schon getan -, um nicht nur Arbeitsplätze
zu sichern und zu schaffen, sondern auch Steuermehreinnahmen zu erzielen?
Herr Koppelin, wenn Sie ein solches Vorgehen vorschlagen, dann müssen Sie dem deutschen Publikum
auch erklären, wie die damit verbundenen Mindereinnahmen von 40, 50 oder 60 Milliarden Euro refinanziert
werden sollen, ohne dass die Regelgrenze unserer Verfassung überschritten und das Maastrichtkriterium verletzt wird. Das können Sie nicht. Solche Einnahmeverluste kann sich die öffentliche Hand - nicht nur der
Bund, sondern auch die Länder und Kommunen - nicht
leisten. Das, was Sie gesagt haben, sind Wolkenkuckucksheime; das wissen Sie. Als Opposition kann man
solche Forderungen erheben. Aber als Regierung wird
man das nicht durchsetzen können, wenn man verantwortlich Finanzpolitik macht.
Die Zahlen, um die es geht, sind Ihnen schon geläufig. Aber ich nenne sie gerne noch einmal: Die Einsparungen erstrecken sich in dieser Legislaturperiode auf
34 Milliarden Euro. Die Tatsache, dass wir in diesem
Jahr bei der Nettokreditaufnahme einen Sprung von
31 auf 38 Milliarden Euro machen werden, hat im
Wesentlichen mit dem vorsätzlichen Ziel bzw. dem politischen Beschluss der Bundesregierung zu tun - was wir
machen, ist immer vorsätzlich und nicht fahrlässig -, ein
Stabilitäts- und Wachstumsprogramm aufzulegen. Der
Löwenanteil der Differenz zwischen 38 und 31 Milliarden Euro ist auf die ersten Maßnahmen zurückzuführen,
die die Bundesregierung ergriffen hat, um Beschäftigung
und Wachstum in Deutschland zu unterstützen; Sie alle
kennen die fünf Säulen, auf denen dieses Programm basiert. Außerdem steigen in diesem Jahr die Aufwendungen für die Arbeitsmarktpolitik. Ferner werden die nach
der mittelfristigen Finanzplanung meines Vorgängers
eingeplanten Einmaleffekte als Ergebnis der Koalitionsverhandlungen anders verteilt, als in der Vorlage vom
Juni letzten Jahres vorgesehen. - So kommt dieser Betrag zustande. Sie wissen das auch. Ich habe mich aber
gefreut, dass ich Ihnen das noch einmal habe darstellen
dürfen.
Die nächste Frage hat die Kollegin Margareta Wolf.
Herr Minister, ich möchte an das anknüpfen, was Herr
Koppelin Sie gerade gefragt hat. Wir haben heute der
Presse entnommen, dass man in Ihrem Hause davon ausgeht, dass die Mehrausgaben infolge der Langzeitarbeitslosigkeit auf 5 Milliarden Euro steigen werden. Das
hieße, dass Sie einen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 40 Milliarden Euro vorlegen müssten. Inwieweit können Sie diese Meldung der „FTD“ bestätigen?
Ich habe noch eine Frage, die unmittelbar damit zusammenhängt. In welchem Verhältnis werden die Einnahmen, die Sie durch die Reichensteuer erzielen, zu den
volkswirtschaftlichen Folgen, gerade was den Bereich
der Geringqualifizierten angeht, stehen? Wird die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte nicht zu
einem Rückgang der Beschäftigung im Handwerk und
zu einer Ausweitung der Schwarzarbeit führen, somit
auch negative Auswirkungen auf die Sozialkassen haben
und letztlich wegen der gestiegenen Zahl der Langzeitarbeitslosen eine höhere Belastung des Bundes bedeuten?
Frau Wolf, ich werde inzwischen täglich mit Zahlen
konfrontiert, zu denen ich nicht Stellung nehmen kann.
Viele dieser Zahlen, die teilweise durch Indiskretion an
die Presse gelangt sind, sind Horrorzahlen oder stellen
lediglich Zwischenstände dar; ich nenne sie „Wasserstände“. Ich habe es mir abgewöhnt, solche Zahlen zu
kommentieren, weil ich gerne auf der Basis gesicherter
Zahlen operiere.
Beispielsweise zur Entwicklung der Einnahmen in
diesem Jahr, worüber öffentlich viel spekuliert wird,
kann ich Ihnen noch keine gesicherten Zahlen nennen.
Einige haben sich als Steuerschätzer einen Namen gemacht und sind bereits im März mit Zahlen an die Öffentlichkeit getreten, die den Eindruck vermittelt haben,
als ob ich Goldtaler, die vom strahlenden Himmel herabfallen, mit einer Schürze auffangen könnte. Das würde
ich natürlich gerne tun, aber das ist leider nicht meine
Funktion. Andere sprechen von explosionsartig oder
exponentiell wachsenden Ausgabenposten. - Zwei oder
drei Monate lassen sich nicht ohne weiteres auf das
ganze Jahr hochrechnen. Es gibt Risiken; das sage ich
mit Blick auf die Rentenversicherung und die Arbeitsmarktpolitik. Ich will Ihnen nichts verheimlichen; aber
erlauben Sie mir, dass ich sage: in welcher Größenordnung, wird sich ergeben. Die Bundesregierung wird gegensteuern müssen. Sie wird sich damit beschäftigen
und ihre Vorschläge dem Parlament vorlegen.
Was die Operationen auf der Einnahme- und auf der
Ausgabenseite betrifft, bitte ich, zu unterscheiden. Wir
brauchen zur Konsolidierung dieses öffentlichen Haushaltes Mehreinnahmen. Auf die Gefahr hin, dass ich mir
den Mund fusselig rede: Die Vorstellung, wir könnten
diesen Haushalt allein durch Sparen konsolidieren, ist
ein Irrtum. Die Diskussion würde uns intellektuell einen
leichten Schub nach vorne bringen, wenn wir uns endlich auf diese Erkenntnis einigen könnten. Sie alle wissen, dass wir nicht allein durch Sparen aus der Klemme
herauskommen. Die öffentlichen Haushalte sind chronisch unterfinanziert. Der Bundeshaushalt und viele
Länderhaushalte sind in den letzten Jahren auf der Ausgabenseite nicht gewachsen; es ist verantwortungsvoll
gewirtschaftet worden. Wenn Sie mir nun nahe legen,
ich müsse wegen ihrer unabweisbar negativen Effekte
auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten, müssen Sie
mir auch die Frage beantworten, was ich stattdessen machen soll, ohne dass volkswirtschaftliche Parameter wie
Wachstum und Beschäftigung ebenso negativ berührt
werden.
Wenn ich, wie es die FDP gerne hätte, an die Transferzahlungen heranginge, würde die Binnennachfrage in
Deutschland negativ tangiert; denn das beträfe gerade
die Bevölkerungsgruppen, die eine Sparquote von null
haben, zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner. Dasselbe gilt für Ihr etwas defensiveres Insistieren, ich solle
von der Mehrwertsteuererhöhung Abstand nehmen.
Dann würden im nächsten Jahr 17 Milliarden Euro im
Bundeshaushalt fehlen. Niemand beantwortet mir die
Frage, wo die herkommen sollen, ohne dass gegen die
Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz und das
Maastrichtkriterium verstoßen wird. Sie wären doch die
ersten Kritiker meiner Person, wenn ich diese beiden
Grenzen nicht einhalten würde. Dann wüsste ich genau,
wie die nächste Fragestunde abliefe.
Vor diesem Hintergrund habe ich manchmal den Eindruck, dass die haushalts- und finanzpolitische Debatte
mit Blick darauf, was notwendig ist, häufig nicht sehr
konzise ist, nämlich auf der einen Seite konsolidieren
und auf der anderen Seite Impulse geben zu müssen.
Zur Besteuerung der Spitzenverdiener. Mir ist bewusst, dass das vom Volumen her kein Urknall ist, der
alle Probleme löst. Aber die deutschen Bürgerinnen und
Bürger haben die Erwartung, dass Spitzenverdiener in
der Bundesrepublik Deutschland ihre Beiträge leisten
müssen und dass wir Maßnahmen hierzu treffen. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Problematik konnte
ich das nicht in der Höhe durchsetzen, die ich für richtig
halte. Um es offen zu sagen: In diesem Punkt habe mich
in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen können. Ich war für andere Einkommensgrenzen; ich hätte
125 000 Euro für Ledige und 250 000 Euro für Verheiratete für angemessen gehalten. Aber das ist das Ergebnis
der Erörterungen zwischen den Koalitionspartnern, das
man zu respektieren hat.
Vielen Dank. - Das Fragerecht geht jetzt an den Kollegen Otto Bernhardt.
Herr Minister, Sie stimmen mir sicherlich zu, wenn
ich sage, dass die Zusatzbesteuerung in Höhe von
3 Prozentpunkten kein entscheidender Beitrag zur Sanierung der öffentlichen Finanzen ist, sondern dass die Beweggründe dafür eher anderer Natur sind. Das ist aber
ein anderes Thema.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie, ähnlich wie
wir, einen sehr engen Zusammenhang zwischen dieser
zusätzlichen Besteuerung in Höhe von 3 Prozentpunkten
und der Unternehmensteuerreform sehen? Ist das der
Grund, warum Sie sagen, die Bundesregierung werde
noch vor der Sommerpause Eckpunkte zur Diskussion
stellen? In welcher Form - ich habe das nicht richtig verstanden - soll das passieren: im Plenum des Bundestages
oder im Finanzausschuss? Das wäre ein sehr enger Zeitraum. Wenn ich es richtig sehe, haben wir Ende Juni die
letzte Plenarwoche. Das hieße, dass wir für die Erarbeitung der Eckpunkte nur noch wenige Wochen Zeit hätten. Sehe ich das richtig?
Das ist richtig. Aber es ist nicht beabsichtigt - kürzlich sind Rücksprachen hierzu zwischen der Regierung
und den Fraktionsspitzen erfolgt -, dass Sie vor der
Sommerpause eine beratungsfähige Unterlage bekommen. Die beiden Koalitionsfraktionen und die anderen
Fraktionen des Hohen Hauses werden in Kenntnis gesetzt, in welche Richtung die Bundesregierung bei ihrer
konzeptionellen Erarbeitung einer Unternehmensteuerreform marschiert.
Sie haben in der Tat Recht: Diese Unternehmensteuerreform hat natürlich einen Bezug zu dem, was wir
heute debattieren, nämlich zum Spitzensteuersatz bei
privaten Einkünften. Mit Blick darauf stellt sich zum
Beispiel die Frage, wie wir zukünftig mit Personengesellschaften und Alleinunternehmern umgehen, oder
auch, zu welchem System wir bei der Besteuerung von
Unternehmen auf der einen Seite - zum Beispiel durch
Stärkung der Eigenkapitalbasis, was erwünscht ist - und
von Unternehmern auf der anderen Seite, die, soweit sie
erwirtschaftete Gewinne nicht thesaurieren, sondern in
ihre privaten Einkünfte überführen, kommen. Insofern
gibt es Bezüge, die aber innerhalb des nächsten Jahres
ohnehin geklärt werden. Ein erster Beitrag wird die Formulierung dieser Eckpunkte sein. Dass das Ziel ehrgeizig ist und mein Ressort durch diese Arbeit auf höchste
Umdrehungszahlen kommen wird, ist richtig.
Vielen Dank. - Nächste Frage, Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gerade davon
gesprochen, dass die finanzpolitische Diskussion nicht
immer sehr konzise sei. Das Wort kenne ich noch nicht.
Ich werde es nachschlagen; ich lerne gerne dazu.
Man muss aber feststellen, dass die Begehrlichkeiten
immer größer sind als das Machbare. Das ist die Erfahrung, die ein jeder Finanzminister macht. Umso mehr
war ich allerdings erstaunt, als Sie am Montag im „Spiegel“ erklärten:
Fünf Euro zusätzliches Kindergeld bedeuten eine
Zusatzausgabe für den Staat von rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Könnte eine solche Summe
nicht besser für eine kostenlose Kinderbetreuung
statt für eine individuelle Zuwendung - für viele
kaum spürbar - verwendet werden?
Ich kenne niemanden, der eine Erhöhung des Kindergeldes um 5 Euro fordert. Wenn der Finanzminister
fragt, ob wir nicht auf eine nicht geforderte Erhöhung
verzichten könnten, um etwas Neues zu finanzieren,
würde ich das in gewisser Form als nicht konzise bezeichnen.
Also wissen Sie doch, was der Begriff bedeutet.
Nein. Aber ich sehe nach.
Diese Bemerkung hatte nichts mit der Tagespolitik zu
tun, weil ich dachte, dass Politiker gelegentlich auch etwas über die Tagespolitik Hinausgehendes formulieren
dürfen. Der dahinter stehende Grundgedanke, den ich
zur Debatte stelle - ich behaupte nicht, dass ich in allem
Recht habe -, lautet: Ist ein vornehmlich auf individuelle
Transferzahlungen gerichtetes deutsches soziales System auf Dauer richtig? Oder sollte man nicht versuchen,
diese Mittel zu verwenden, um Menschen chancengerecht den Zugang zu Bildung und zu Betreuungsleistungen zu eröffnen? Anders ausgedrückt: Die 5 Euro - das
war nur ein Beispiel - sind für viele Menschen - wenn
sie nicht gerade zwei Schachteln Zigaretten am Tag rauchen - wahrscheinlich gar nicht spürbar. Das heißt, diese
5 Euro mehr Kindergeld haben keinerlei Steuerungseffekt. Wenn man mit diesem Geld - das addiert sich auf
fast 1 Milliarde Euro - kostenfreie Kindergärten finanzieren würde - insgesamt müsste man 2,5 bis 3 Milliarden Euro dafür haben -, könnte das Steuergeld im Sinne
der Familienförderung und der Betreuung von Kindern,
insbesondere bei Alleinerziehenden, effizienter und zielgenauer eingesetzt werden.
Dieses Thema ist nicht tagesaktuell, aber ganz irrelevant ist es auch nicht. Eines Tages wird das Hohe Haus
im Rahmen des Berichts über das Existenzminimum
auch die Kinderfreibeträge debattieren. Wenn es um die
Kinderfreibeträge geht, debattiert man automatisch auch
darüber, ob das Kindergeld davon berührt sein könnte.
({0})
- Das behaupte ich auch nicht. Sie wissen aber, dass die
Kinderfreibeträge erhebliche Entlastungswirkungen für
diejenigen haben, die sich in der Progressionszone weiter oben befinden, also mehr verdienen - wie die meisten
von uns -, weshalb sich automatisch die Frage nach der
Anpassung des Kindergeldes für diejenigen stellt, die
sich in dieser Progressionszone ganz unten befinden,
also weniger verdienen. Nach den Gleichbehandlungsgrundsätzen müsste dann eventuell beim Kindergeld
nachjustiert werden und dann haben wir es plötzlich wieder mit einer Debatte über 5, 10 oder 15 Euro mehr Kindergeld zu tun. 15 Euro mehr Kindergeld entsprächen
insgesamt ungefähr 3 Milliarden Euro. Ich wüsste, was
man mit diesen 3 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland tun könnte.
Vielen Dank. - Die nächste Frage hat die Kollegin
Margareta Wolf.
Herr Minister, ich habe noch eine Frage zur Reichensteuer - vielleicht habe ich das nicht mitbekommen -:
Was passiert mit den Gewinnen der Unternehmen, die
nicht reinvestiert werden? Fallen sie auch unter die Reichensteuer oder ist die gewerbliche Wirtschaft generell
davon ausgenommen?
Das hat mit der Reichensteuer nichts zu tun. Sie beziehen sich auf eine Bemerkung, die ich vorauseilend
bezogen auf das Konzept einer Unternehmensteuerreform gemacht habe, nämlich auf die Frage, wie wir mit
einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen umgehen.
Diese Frage beantworte ich Ihnen gerne, wenn unser
Konzept steht.
Bezogen auf die Reichensteuer gilt, dass Einkünfte
aus Gewerbe sowie aus freiberuflicher und forst- und
landwirtschaftlicher Tätigkeit von diesem dreiprozentigen „Balkon“ ausgeschlossen sind, um verfassungsrechtliche Probleme zu vermeiden.
Die nächste Frage hat der Kollege Volker Wissing.
Herr Minister, können Sie ausschließen, dass es im
Rahmen der geplanten Gesundheitsreform zu weiteren
Ich werde einen Teufel tun, irgendetwas auszuschließen.
({0})
Eine solche Frage höre ich häufig. Wenn Steinbrück
sagt, er sei kein Vegetarier, dann lautet die Überschrift:
Steinbrück schließt nicht aus, Hundefutter zu essen. Das ist eine Fangfrage.
Beim besten Willen: Wir sind mitten in diesen Debatten. Sie kennen die eine oder andere Einlassung von mir,
und zwar auch über die Tagespolitik hinaus. Ich glaube,
dass die Finanzierung des deutschen sozialen Sicherungssystems, vornehmlich durch Abgaben, eines der
großen Probleme ist, die wir haben. Die skandinavischen
Systeme sind sehr viel robuster, weil sie sehr viel stärker
steuerfinanziert sind, nämlich im Verhältnis 70:30. Bei
uns ist es fast umgekehrt. Eine Debatte über eine sukzessive Umorientierung auf eine Steuerfinanzierung wird
man aber nur führen können, wenn man gleichzeitig die
Sozialversicherungsabgaben und damit die Lohnzusatzkosten senkt. Das wäre ein Beitrag zur Absenkung der
Bruttoarbeitskosten in Deutschland und auch ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Bedingungen auf dem
Arbeitsmarkt.
Darüber würde ich mit Ihnen allen aber ganz gerne
solide debattieren. Ich möchte nicht aus der Hüfte schießen, was zu Missverständnissen führen könnte. Am
Ende stünde dann die Überschrift: Steinbrück für Steuererhöhungen. - Wir wissen ja, wie dieser Prozess läuft.
Die nächste Frage hat Jürgen Koppelin.
Herr Minister, da Sie auch heute immer wieder auf
die Kritik der Opposition eingegangen sind und sie kommentiert haben - das ist auch völlig in Ordnung -,
möchte ich die Gelegenheit nutzen, zu fragen, ob Sie uns
auch einmal einen Kommentar zu der Kritik an Ihrer Politik abgeben können, die aus Ihren eigenen Reihen, zum
Beispiel von Frau Nahles, kommt. Das würde uns sicherlich interessieren.
Das ist so ähnlich wie bei der FDP. Es ist doch klar: In
einer so großen Partei wie der FDP gibt es unterschiedliche Auffassungen. Diese gibt es auch bei der SPD.
Gibt es zu diesem Themenbereich weitere Fragen an
den Bundesminister? - Gibt es Fragen zur heutigen Kabinettssitzung außerhalb dieses Themenbereiches? - Das
ist nicht der Fall. Gibt es über die Kabinettssitzung hinaus allgemeine Fragen? Auch das ist nicht der Fall.
Herr Bundesminister Steinbrück, ich darf mich vielmals bedanken, dass Sie persönlich Rede und Antwort
gestanden haben. Es ist nicht immer üblich, dass die Minister selber erscheinen. Ich freue mich darüber, dass Sie
gekommen sind.
Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/1374, 16/1402 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen der Abgeordneten Josef Winkler und Volker
Beck auf Drucksache 16/1402 auf.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die erste dringliche Frage des Kollegen Josef
Winkler auf:
Sind für die von der Innenministerkonferenz, IMK, am
5. Mai 2006 beschlossenen Einbürgerungskurse Änderungen
des Staatsangehörigkeitsgesetzes erforderlich und, wenn ja,
kann die Bundesregierung zusagen, einen Gesetzentwurf erst
dann vorzulegen, wenn ein entsprechendes Konzept des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorliegt?
Herr Kollege Winkler, so wie die Einbürgerungskurse
von der IMK beschlossen worden sind, ist es in der Tat
nicht unwahrscheinlich, dass auch Änderungen des
Staatsangehörigkeitsgesetzes notwendig werden. Eine
endgültige Aussage - das werden Sie verstehen - ist allerdings erst dann möglich, wenn die länderoffene Arbeitsgruppe unter Federführung des Freistaates Bayern
getagt und ihre Vorschläge vorgelegt hat.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, hat die Arbeitsgruppe einen konkreten Ablaufplan vereinbart, dem Sie sich unterordnen
werden?
Herr Kollege Winkler, wir reden hier nicht von Unteroder Überordnung. Es wird wahrscheinlich so sein, dass
die Arbeitsgruppe zügig, aber ohne übertriebene Hast
ihre Vorschläge vorlegen wird. Im Anschluss daran hat
die Bundesregierung darüber zu entscheiden, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Dann ist es selbstverständlich Aufgabe der Bundesregierung, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Winkler.
Danke, Herr Präsident. - In welchem rechtlichen und
konzeptionellen Verhältnis sollen die Einbürgerungskurse, die beschlossen worden sind, zu den bereits stattfindenden Orientierungskursen, wie sie im Aufenthaltsgesetz vorgesehen sind, stehen?
Das betrifft die von Ihnen gestellte zweite dringliche
Frage, die ich gleich beantworten werde. Es ist aber so,
dass diese Orientierungskurse zunächst einmal nichts
mit Einbürgerung, sondern mit Integration zu tun haben.
Hier geht es um die Frage der Einbürgerung, das heißt
um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Die
Voraussetzungen dafür sind in dem entsprechenden Gesetz geregelt. Die Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz wird sich in allererster Linie mit diesen Fragen
beschäftigen.
Vielen Dank. - Ich rufe die zweite dringliche Frage
des Kollegen Winkler auf:
Welche inhaltlichen und zeitlichen Vorgaben will das Bundesministerium des Innern dem Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge für das von der IMK angeforderte Konzept für die
Einbürgerungskurse bzw. für die geplante Einbürgerungsfibel
geben?
Herr Kollege Winkler, die vorgeschlagenen Einbürgerungskurse sollen auf den Orientierungskursen im Rahmen der Integrationsverordnung aufbauen. Das heißt,
diese Vorarbeiten können wir heranziehen. Inhaltliche
und zeitliche Vorgaben werden sich an diesen Kursen
orientieren. Auch hier gilt, dass konkrete inhaltliche und
zeitliche Aussagen und auch Anforderungen an das
BAMF erst dann formuliert werden können, wenn die
Vorschläge der länderoffenen Arbeitsgruppe bekannt
sind.
Zusatzfrage?
Ich habe die Frage, ob Sie in der Konferenz bereits
darüber gesprochen haben, ob einbürgerungswillige Personen an der Finanzierung dieser Kurse beteiligt werden
sollen und, wenn ja, in welchem Umfang dies geschehen
soll und welche Position die Bundesregierung dazu vertritt.
Es gab zu dieser Frage eine gewisse Berichterstattung
in den Medien. Endgültige Entscheidungen werden aber
erst dann getroffen, wenn die Arbeitsgruppe ihre Vorschläge vorgelegt hat.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Nein.
Die beiden dringlichen Fragen des Kollegen Volker
Beck sollen auf seinen Wunsch hin schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zu den Fragen, die in der
üblichen Reihenfolge beantwortet werden, und zwar zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit.
Die Frage 1 des Abgeordneten Uwe Schummer wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Frage 2 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl
soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 3 der Kollegin Cornelia
Hirsch:
Wann wird die neu eingerichtete Arbeitsgruppe zum
Hochschulpakt erste Ergebnisse vorlegen und in welcher
Form wird die Bundesregierung das Parlament in die laufenden Beratungen einbeziehen?
Frau Hirsch ist anwesend. - Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Hirsch, Ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Ebenso wie in der Vergangenheit wird die Bundesregierung das Parlament über politische Ergebnisse von
Bund-Länder-Verhandlungen selbstverständlich unterrichten. Ablauf und Zeitplan der Verhandlungen werden
derzeit zwischen Bund und Ländern konkretisiert und
sind daher noch nicht festgelegt.
Ihre Zusatzfrage, Frau Hirsch. - Bitte.
In der Pressemitteilung vom BMBF gab es aber
durchaus schon einige Ankündigungen. Man hat sich unter anderem darauf verständigt, ein nachfrageorientiertes
Angebot an Studienplätzen sichern zu wollen. Ich
möchte in diesem Zusammenhang gezielt nachfragen,
inwieweit es Diskussionen darüber gegeben hat, ob sich
das Vorhaben nur auf ausreichende Kapazitäten im Rahmen des sechssemestrigen Bachelorstudiums beziehen
soll oder ob es auch darum gehen soll, ein volles Studium sicherzustellen, was auch den Zugang zum Masterstudium umfasst.
Frau Abgeordnete Hirsch, man hat sich bei der BundLänder-Tagung am 2. Mai auf vier Schwerpunkte verständigt, nämlich erstens auf die Schaffung des von Ihnen angesprochenen nachfragegerechten Angebots an
Studienplätzen in den nächsten Jahren vor dem Hintergrund des zu erwartenden Anstiegs der Studierendenzahlen und zweitens - das sind die beiden Punkte, die etwas
mit den Kapazitäten zu tun haben - darauf, den von Ihnen angesprochenen Prozess der Modernisierung der
Hochschulausbildung im Zusammenhang mit den Anforderungen von Bologna - Stichwort „Bachelor und
Master“ - voranzubringen. Drittens soll die Qualität der
universitären Forschung und Lehre nachhaltig gestärkt
werden; das ist ja eine Daueraufgabe. Viertens soll die
Finanzierung der Forschung gesichert und ausgebaut
werden. Dabei soll im Rahmen des staatlichen Beitrags
zur Erreichung des Ziels, bis zum Jahr 2010 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufzuwenden, der Staatsanteil der Forschungsförderung auf 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht
werden.
Mit diesen Maßnahmen werden Bund und Länder im
Rahmen des Hochschulpaktes die Forschung an den
Universitäten stärken. Auf diese Schwerpunkte hat man
sich verständigt.
Weitere Zusatzfrage.
Sie haben damit meine Nachfrage noch nicht vollständig beantwortet. Mir ging es darum, inwieweit die
Schaffung eines nachfragegerechten Angebots an Studienplätzen ein klares Bekenntnis dazu beinhaltet, dass
man den Zugang zum Masterstudium öffnen will, um
deutlich zu machen, dass ein nachfragegerechtes Angebot an Studienplätzen nicht nur ein Kurzzeitstudium für
die Masse bedeutet, sondern auch die Möglichkeit des
Zugangs zum Masterstudium umfasst.
Frau Abgeordnete Hirsch, die beiden von mir zuerst
genannten Punkte, nämlich zum einen der Anstieg der
Studierendenzahl - Prognosen der KMK beispielsweise
gehen von einem Anstieg von 25 Prozent bis 2012 aus und zum anderen die Umsetzung des Bolognaprozesses
mit den Vorgaben für die Studiendauer sowohl beim Bachelor- als auch beim Masterstudiengang, sind Gegenstand der Beratungen über den Hochschulpakt. Ich kann
Ihnen aber noch keine weiter gehenden Ergebnisse schildern, weil diese Beratungen erst begonnen haben. Die
Struktur der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge hängt natürlich auch davon ab, wie sich die
Zahl der Studierenden in diesem und im nächsten Jahrzehnt entwickeln wird.
Dann kommen wir zu Frage 4 der Kollegin Hirsch:
Welches sind die „verschiedenen Maßnahmen und Initiativen“, die die Bundesregierung nach eigener Aussage durchführt, um geschlechtsspezifische Diskriminierung im Bereich
der beruflichen Bildung abzubauen ({0})?
Frau Kollegin Hirsch, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Ziel ist, das eingeschränkte Berufswahlspektrum
von jungen Frauen zu erweitern, die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familienpflichten und Ausbildung zu verbessern sowie die Genderkompetenz von
ausbildendem Personal zu fördern. Die Bundesregierung
hat zahlreiche Maßnahmen insbesondere in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft initiiert, um jungen Frauen in
technischen und in naturwissenschaftlichen Berufen
neue Chancen zu eröffnen. Als Beispiel nenne ich den
vor kurzem stattgefundenen Girls’ Day, bei dem sich
mehr als 500 000 Mädchen der Klassen 5 bis 10 in Unternehmen und Forschungseinrichtungen über frauenuntypische Berufe informieren konnten, das Projekt „ideeit“, bei dem sich Mädchen in unterschiedlichen Veranstaltungen Zugang zu IT-Berufen verschaffen können,
oder „Job Lab“, ein Computerspiel, das als Entscheidungshilfe bei der Berufsfindung dient. Die Novelle zum
Berufsbildungsgesetz berücksichtigt die Situation von
Erziehenden und jungen Menschen, die pflegebedürftige
Angehörige betreuen. Ausbildung ist in diesem Zusammenhang nunmehr auch in einer Teilzeitform möglich.
Um den Gender-Mainstreaming-Prozess in der beruflichen Bildung voranzubringen, hat die Bundesregierung
Projekte zur Unterstützung von Multiplikatorinnen und
Multiplikatoren gefördert. Dort entwickelte Lehr- und
Lernmedien für Ausbilderinnen und Ausbilder zeigen,
wie Gender-Mainstreaming und eine geschlechterorientierte Didaktik in pädagogisches Handeln umgesetzt
werden können. Dieser Gender-Mainstreaming-Prozess
in der beruflichen Bildung lässt sich allerdings nicht politisch verordnen. Die Berufswahlfreiheit ist schließlich
verfassungsrechtlich mit Grundrechtsstatus verankert.
Insofern sind nachhaltige Veränderungen im Berufswahlverhalten und das Aufbrechen geschlechtsspezifischer Präferenzen in der Berufswahl nicht alleine durch
den Staat zu erreichen, sondern nur durch die Einbindung aller relevanten Beteiligten sowie durch eine
breite, frühzeitige und geschlechtsoffen angelegte Berufsberatung und Berufsorientierung.
Ihre erste Zusatzfrage, Frau Hirsch.
Wenn Sie so viel Wert darauf legen, alle einzubeziehen und umfassend darüber zu diskutieren, wie die Situation verbessert werden könnte, dann stellt sich umso
dringender die Frage, warum das Thema „geschlechtsspezifische Diskriminierung“ nicht explizit als Tagesordnungspunkt auf die Agenda des neu eingerichteten
Innovationskreises für Berufliche Bildung gesetzt worden ist. Es wäre doch eine ausgezeichnete Gelegenheit
gewesen, die von Ihnen angesprochene Diskussion dort
zu führen und zu schauen, welche strukturellen Weiterentwicklungen notwendig sind, um die bestehende Diskriminierung zu beseitigen.
Frau Abgeordnete Hirsch, Sie irren, wenn Sie meinen,
dies sei dort kein Thema. Auch dieser Punkt ist Gegenstand der Diskussion im Innovationskreis für Berufliche
Bildung. Ich darf im Übrigen darauf verweisen, dass neben Frau Bundesministerin Dr. Schavan von den
16 berufenen Experten vier Frauen sind. Die angesprochene Thematik wird im Rahmen der Sitzungen dieses
Innovationskreises, die in etwa auf einen Zeitraum von
anderthalb Jahren terminiert sind, ebenfalls behandelt.
Zweite Zusatzfrage.
Wann sind denn erste Ergebnisse zu erwarten und wie
soll die Einbeziehung des Parlaments - ähnlich wie bei
der Frage zum Hochschulpakt - erfolgen?
Frau Abgeordnete Hirsch, der Innovationskreis für
Berufliche Bildung ist zuallererst ein Gremium zur Beratung der Bundesministerin. Es sind mehrere Themenblöcke vereinbart. Sobald sich Handlungsbedarf aufgrund
der Ergebnisse der Beratungen dieses Expertengremiums ergibt, werden wir unverzüglich das Parlament bzw.
den zuständigen Ausschuss auf dem üblichen Weg hierüber unterrichten und gegebenenfalls parlamentarische
Initiativen vorbereiten.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Frage 5 des Kollegen Addicks - Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - soll schriftlich beantwortet
werden.
Das Gleiche gilt für die Frage 6 der Kollegin Undine
Kurth ({0}), Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Die Fragen 7 und 8 der Kollegin Katja Kipping - Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales - werden zurückgezogen.
Die Frage 9 des Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele - Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Justiz - soll schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Peter Hintze zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Jürgen
Koppelin:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, dass Kernenergie preiswert zur Verfügung steht, international sogar ausgebaut wird und zur Reduzierung des Treibhauseffektes
beiträgt ({1})?
Herr Kollege Koppelin, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Innerhalb der Bundesregierung bestehen hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung
unterschiedliche Auffassungen.
Eine Nachfrage, Herr Kollege Koppelin? - Bitte
schön.
Herr Staatssekretär, mir liegt eine Broschüre vor. In
dieser Broschüre heißt es zum Schluss, dieses Magazin
sei Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung.
Ich zitiere aus diesem Magazin. Darin heißt es zur
Atomkraft - Herr Gabriel hat das unterschrieben -:
Sie ist keine Zukunftstechnologie, sondern hemmt
Investitionen in effiziente und erneuerbare Energietechnologien. Sie erschwert den Umstieg auf ein
modernes Energiesystem und blockiert Innovationen.
({0})
Nun sagen Sie, die Haltung der Bundesregierung sei
nicht einheitlich. Wie kann denn ein Bundesminister ein
solches Magazin veröffentlichen? Ich wiederhole: Dieses Magazin ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Kann es sein, dass dieses Magazin nur ein
Teil der Öffentlichkeitsarbeit eines Teils der Bundesregierung ist? Oder wie darf ich es deuten, dass so viel
Geld in eine Broschüre gesteckt wird, die eine Mitteilung der Bundesregierung sein soll? Anders gefragt: Hat
Ihr Bundesminister überhaupt keinen Einfluss in dieser
Regierung?
Herr Abgeordneter, ich finde, die von Ihnen zitierte
Broschüre, die mir persönlich nicht bekannt ist, ist ein
schöner Beleg für die unterschiedlichen Auffassungen,
die in der Bundesregierung in dieser Frage herrschen.
Der Bundeswirtschaftsminister hat seinerseits seine Auffassung dargelegt. Wenn ich es richtig sehe, kommt
diese der Ihren näher als die eben zitierte des Herrn Bundesumweltministers. Es gibt keine einheitliche Auffassung der Bundesregierung zu dieser Frage.
Zweite Nachfrage, bitte.
Es ist zwar sehr freundlich von Ihnen, dass Sie das so
offen darlegen; man muss aber als Mitglied des Parlaments erwarten können, dass die Bundesregierung zu einer Entscheidung kommt. Können Sie andeuten, wer
sich von den beiden Bundesministern durchsetzen wird?
Herr Kollege Koppelin, die Koalitionsvereinbarung
ist die Grundlage der Politik der Bundesregierung. Ich
kann sie Ihnen gerne vortragen, wenn es der Herr Präsident genehmigt:
Zwischen CDU, CSU und SPD bestehen hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung unterschiedliche Auffassungen. Deshalb kann
die am 14. Juni 2000 zwischen Bundesregierung
und Energieversorgungsunternehmen geschlossene
Vereinbarung und können die darin enthaltenen
Verfahren sowie für die dazu in der Novelle des
Atomgesetzes getroffene Regelung nicht geändert
werden. Der sichere Betrieb der Kernkraftwerke hat
für CDU, CSU und SPD höchste Priorität. In diesem Zusammenhang werden wir die Forschung
zum sicheren Betrieb von Kernkraftwerken fortsetzen und ausbauen.
CDU, CSU und SPD bekennen sich zur nationalen
Verantwortung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle und gehen die Lösung dieser Frage
zügig und ergebnisorientiert an. Wir beabsichtigen,
in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu
kommen.
Das ist die Grundlage für die Politik dieser Bundesregierung in dieser Legislaturperiode im Hinblick auf die
Kernkraft.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Koppelin:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, dass der
russische Energiekonzern Gasprom „derzeit auf einem hohen
Ross“ sitzt ({0})?
Herr Kollege Koppelin, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Situation auf dem weltweiten Gasmarkt ist geprägt durch eine steigende Nachfrage, neue Nachfrager
und geopolitische Risiken. Russland verfügt über
34 Prozent der Weltgasreserven. Gasprom hat eine herausragende Stellung auf dem Markt. Vor diesem Hintergrund ist die Äußerung von Bundesminister Glos zu verstehen.
Nachfrage? - Bitte.
Ich habe danach gefragt und Sie haben es jetzt erklärt,
dass Bundesminister Glos gesagt hat, Gasprom sitze derzeit auf einem hohen Ross. Das hat er jedenfalls in Jena
erklärt. Es gab aber auch Äußerungen der Bundesregierung, dass es für wichtig gehalten werde, dass ein früherer Bundeskanzler dort Aufsichtsratsvorsitzender sei.
Kann es sein, dass dieser ehemalige Bundeskanzler zurzeit auf einem hohen Ross sitzt?
Das entzieht sich meiner Kenntnis, Herr Kollege
Koppelin.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Es sei doch so bedeutend gewesen - so ist das kommentiert worden -, dass dieser ehemalige Bundeskanzler
in den Aufsichtsrat gegangen und sogar Vorsitzender geworden sei. Das würde nämlich Einfluss auf die Versorgung Deutschlands mit Erdgas bedeuten. Nun aber erklärt Herr Minister Glos, Gasprom sitze zurzeit auf
einem hohen Ross. Wie kann ich das in Einklang bringen?
Meiner Kenntnis nach hat der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder keinen Aufsichtsratssitz bei
Gasprom und strebt einen solchen auch nicht an; vielmehr ist er in den Aufsichtsrat einer Gesellschaft zur Betreibung einer Pipeline eingetreten, die die Gasversorgung Deutschlands sicherstellt. Deswegen kann ich den
von Ihnen vermuteten Widerspruch hier nicht bestätigen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir kommen zum
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Gernot Erler
zur Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 12 des Kollegen Dr. Karl
Addicks:
Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Situation
im Westsaharakonflikt, nachdem die UNO angekündigt hat,
die Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien zukünftig
aufzugeben, und die Lösung des Konflikts durch direkte Verhandlungen zwischen Marokko und der Polisario empfiehlt?
Herr Kollege Addicks, die Bundesregierung unterstützt weiterhin alle Bemühungen der Vereinten Nationen, um auf Grundlage aller einschlägigen Resolutionen
des UN-Sicherheitsrats zu einer friedlichen Lösung des
Westsaharakonflikts zu gelangen. Wie in der Vergangenheit ist Deutschland bereit, so genannte gute Dienste zu
leisten. Dies geschah schon 1996 bei der Rückführung
der letzten Kriegsgefangenen aus Marokko oder bei der
Freilassung von 101 marokkanischen Kriegsgefangenen
der Polisario im Jahr 2002.
Die Bundesregierung hat die deutliche Unterstützung
für den Baker-Plan durch die einstimmig verabschiedete
UN-Sicherheitsratsresolution 1495 vom 31. Juli 2003
begrüßt. Der Deutsche Bundestag verabschiedete am
29. Januar 2004 einstimmig einen interfraktionellen Antrag mit dem Titel „Eine politische Lösung für den Westsaharakonflikt voranbringen - Baker-Plan unterstützen“.
Mit diesem Antrag wurde die Bundesregierung aufgefordert, den vom ehemaligen UN-Sondergesandten Baker
vorgeschlagenen Friedensplan zu unterstützen. Die Politik der Bundesregierung steht im Einklang mit diesem
Bundestagsbeschluss.
Nachfrage, bitte, Herr Addicks.
Sieht die Bundesregierung in Anbetracht der neuen
Situation irgendwelche Möglichkeiten, zur Lösung dieses Konflikts aktiv beizutragen, sprich: eine diplomatische Initiative zu starten?
Die Bundesregierung wird ihre Politik der wirklich
intensiven Unterstützung der Aktivitäten der Vereinten
Nationen fortsetzen. Sie wissen, dass Kofi Annan in diesem Frühjahr auf die festgefahrene Situation reagiert hat.
Das ganze Dossier Westsahara ist dadurch blockiert
- Sie wissen das sehr gut -, dass Marokko den BakerPlan nicht anerkannt hat. Daraufhin ist Kofi Annan im
Sicherheitsrat dafür eingetreten, auf direkte Verhandlungen zu setzen. Der Sicherheitsrat hat dem am 28. April
zugestimmt. Wir bleiben in der Spur der Unterstützung
der Arbeit des Sicherheitsrates und des Generalsekretärs,
wenn wir auch diesen Beschluss unterstützen.
Eine weitere Nachfrage, Kollege Addicks.
Sieht die Bundesregierung irgendeine Möglichkeit,
bis zu einer eventuellen Lösung des Konflikts - sie wird
möglicherweise in sehr weiter Ferne liegen - sich mit
dem Schicksal der Flüchtlinge zu befassen, bis hin zu einer Rückkehr der Flüchtlinge, falls das von ihnen gewünscht wird?
Die Bundesregierung wird, wie ich schon gesagt
habe, ihre Bereitschaft aufrechterhalten, die so genannten guten Dienste zu leisten. Sie wissen, dass zu Zeiten
von Staatssekretär Chrobog die Freilassung der Polisario-Flüchtlinge möglich war. Wenn von den Konfliktpartnern gewünscht wird, dass wir diese guten Dienste
wieder anbieten, dann werden wir das sehr gerne tun.
Vielen Dank. - Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Wolfgang Gehrcke:
Beteiligt sich Deutschland am UN-Aktionsplan 2006 für
die Demokratische Republik Kongo - DRC Humanitarian
Action Plan/HAP - und welchen konkreten Beitrag leistet die
Bundesregierung?
Herr Kollege Gehrcke, die Vereinten Nationen und
die Europäische Kommission haben am 13. Februar
2006 auf einer Geberkonferenz den Aktionsplan 2006
für die Demokratische Republik Kongo vorgestellt. Der
Plan enthält mehr als 330 Projekte der humanitären Soforthilfe und der Wiederaufbauhilfe, deren Umsetzung
681 Millionen Dollar kosten würde.
Die Demokratische Republik Kongo wird auch in diesem Jahr neben Sudan ein Schwerpunktland der humanitären Hilfe und der entwicklungsorientierten Not- und
der Übergangshilfe der Bundesregierung sein. Die Beiträge des Auswärtigen Amts zur humanitären Hilfe für
die Demokratische Republik Kongo beliefen sich im
Jahr 2005 auf circa 5 Millionen Euro, im Jahr 2006 bisher auf circa 1,8 Millionen Euro. 2005 wurde zudem aus
Mitteln des BMZ entwicklungsorientierte Not- und
Übergangshilfe in Höhe von 6,93 Millionen Euro geleistet. 2006 werden es voraussichtlich über 7 Millionen
Euro sein.
Mittel der humanitären Hilfe und der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe werden nicht ausschließlich für im Aktionsplan enthaltene Projekte, sondern auch für andere geeignete Projekte zur Verfügung
gestellt, sodass Statistiken der Vereinten Nationen unsere Ausgaben nicht unbedingt vollständig wiedergeben.
Die von Deutschland im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit getätigten Maßnahmen werden in den
vom UN-Aktionsplan angesprochenen Sektoren, nämlich Wasserver- und -entsorgung, Gesundheit und Zivilgesellschaft, umgesetzt. Das sind unsere Schwerpunkte.
Dies geschieht sowohl über staatliche Träger als auch
über Nichtregierungsorganisationen. Sie tragen direkt zu
einer Verbesserung der humanitären Lage bei. In diesem
Bereich ist Deutschland auf Grundlage der Neuzusagen
2005 ohne reprogrammierte Mittel der finanziellen Zusammenarbeit in Höhe von circa 65 Millionen Euro mit
24,35 Millionen Euro im Augenblick der viertgrößte Geber.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke.
Herr Staatsminister, wir hatten heute schon das Vergnügen im Auswärtigen Ausschuss. Ich finde es sehr beeindruckend, was Deutschland selbst, aber auch Partner
von uns in diesem armen, geschundenen Land Demokratische Republik Kongo leisten. Ich glaube, dass wir eine
gewisse moralische Verpflichtung dazu haben.
Meinen Sie nicht auch, dass es angemessen wäre, um
diese moralische Verpflichtung zu erfüllen, einmal öffentlich zu machen, welche Gewinne große internationale Konzerne in der Demokratischen Republik Kongo
machen? Die großen Firmen, die dort Naturressourcen
ausbeuten, sind zumeist in belgischem, amerikanischem
oder anderem Besitz. Wenn man diese Zahlen öffentlich
machte, würde man, glaube ich, den Druck, mehr Hilfe
zu leisten, noch erhöhen können.
Herr Kollege Gehrcke, es ist selbstverständlich Aufgabe der Gesellschaft, der Nichtregierungsorganisationen und der öffentlichen Diskussion, auf die Umstände
hinzuweisen, die maßgebend dafür sind, dass es in der
Demokratischen Republik Kongo so massive Unterschiede gibt, dass es im Land auf der einen Seite Armut
und Not und auf der anderen Seite eine kleine Schicht
von sehr reichen Profiteuren der Bodenschätze gibt. Es
ist Aufgabe einer gesellschaftlichen Diskussion, das
deutlich zu machen.
Im Augenblick ist die Aufgabe der Weltgemeinschaft
aber vor allem, die Bedingungen zu verändern, die dazu
führen, dass die Bodenschätze in der Demokratischen
Republik Kongo in solch unausgeglichener Weise ausgebeutet werden. Wie Sie sehr gut wissen, sind dabei häufig bewaffnete Kräfte im Land selbst oder aus den Nachbarrepubliken im Spiel. Insofern gehört eine Lösung
dieses Problems in einen Zusammenhang mit einem guten Abschluss des Übergangsprozesses. Dazu wollen
jetzt die EU und damit auch Deutschland beitragen.
Zweite Nachfrage.
Herr Staatsminister, darf ich Ihre Antwort so interpretieren, dass Sie es durchaus als eine Unterstützung für
die Politik der Bundesregierung sehen würden, wenn
sich meine Fraktion, die Fraktion Die Linke, insbesondere dieses Anliegens, nämlich offen zu legen, welche
Gewinne in einem der ärmsten Länder der Welt gemacht
werden, annehmen würde?
Herr Kollege Gehrcke, wir empfinden die meisten
Aktivitäten Ihrer Fraktion als eine Unterstützung der
Bundesregierung,
({0})
aber wir müssten sie auch dann akzeptieren, wenn das in
einem Einzelfall einmal anders wäre.
Damit kommen wir zur Frage 14 des Kollegen
Gehrcke:
Wie viele zivile Wahlbeobachter werden von Deutschland
und der EU zum ersten und zweiten - voraussichtlich Ende
Juli 2006 - Wahlgang in die Demokratische Republik Kongo
entsandt?
Herr Kollege Gehrcke, Deutschland führt bilateral
keine Wahlbeobachtungen durch, sondern beteiligt sich
an Wahlbeobachtermissionen der EU. Für die Organisation der EU-Wahlbeobachtung ist die EU-Kommission
zuständig, die Zusammensetzung, Einsatzplan und
Größe der Wahlbeobachtermissionen festlegt.
Die konkrete Anforderung der EU-Kommission liegt
erst seit dem 8. Mai 2006 vor, ist also vor zwei Tagen ergangen. Danach ist geplant, für beide Wahlgänge jeweils
140 Wahlbeobachter der EU zu entsenden. Das Zentrum
für Internationale Friedenseinsätze, abgekürzt ZIF, wird
nun Wahlbeobachter und Reservekandidaten aus
Deutschland nominieren. Die endgültige Auswahl trifft
dann die EU-Kommission. Hinzu kommen voraussichtlich sieben Wahlbeobachter aus dem Europäischen Parlament, das hierüber wahrscheinlich Mitte Juni entscheiden wird.
Nachfrage?
Herr Staatsminister, man sagt ja manchmal, man verstehe etwas nicht, obwohl man es versteht, nur um mehr
Auskunft zu erhalten; aber ich verstehe eines in diesem
Fall wirklich nicht. Seit Wochen und Monaten wird über
die Bedingungen eines militärischen Einsatzes im
Kongo diskutiert, auch in der Öffentlichkeit. Das Thema
ist streitig; darauf werden wir zurückkommen. Mir geht
es nicht in den Kopf, dass die EU-Kommission sich erst
seit 14 Tagen mit der Problematik der Entsendung von
Wahlbeobachtern befasst; denn die Bewertung des Wahlergebnisses im Hinblick darauf, ob die Wahlen demokratisch, fair und korrekt abgelaufen sind, wird ganz erheblichen Einfluss darauf haben, ob die Situation stabilisiert
werden kann oder nicht. Worauf führen Sie diese unterschiedlichen Zeiträume - seit Wochen Diskussionen
über einen Einsatz von Militär, aber erst seit 14 Tagen
bezüglich der Entsendung von Wahlbeobachtern - zurück?
Herr Kollege Gehrcke, zur Entlastung der EU-Kommission muss ich darauf hinweisen, dass man Wahlbeobachter konkret erst anfordern kann, wenn man weiß,
dass Wahlen stattfinden, wann sie stattfinden und wie
lange dieser Prozess dauern wird. Der Vorsitzende der
unabhängigen Wahlkommission des Kongo, der Abbé
Malumalu, hat erst am 30. April einen endgültigen
Wahltermin bekannt geben können. Wie Sie wissen,
wird das der 30. Juli sein. Insofern besteht im Augenblick kein Druck, sondern wir haben eine genügende
Vorbereitungszeit, um eine ausreichende Zahl von Wahlbeobachtern zu mobilisieren.
Vielleicht sollte ich hier noch anfügen, dass ich ordnungsgemäß nur Ihre Frage nach den EU-Wahlbeobachtern beantworten konnte. Aber es gibt - darüber haben
wir heute auch im Ausschuss gesprochen - durchaus
Pläne, weitere Wahlbeobachter zu entsenden, zum Beispiel von der AU, der Afrikanischen Union, der SADC,
der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft, und
von internationalen NGOs, die sich mit Wahlbeobachtung beschäftigen. Mit Blick darauf, dass auch aus dem
Lande selbst so genannte Zeugen, also interne Wahlbeobachter, in einer größeren Zahl angekündigt sind, hoffen wir, dass die Zahl von ungefähr 1 000 Wahlbeobachtern reichen wird. Das ist angesichts dessen, dass wir es
wahrscheinlich mit 53 000 Wahlbüros zu tun haben werden, immer noch eher die Untergrenze. Aber auf jeden
Fall werden wir uns in der EU und auch in Deutschland
große Mühe geben, dass eine wirklich verlässliche Wahlbeobachtung stattfindet. Denn diese - da gebe ich Ihnen
Recht - hat eine wichtige Funktion für den Gesamterfolg
der Wahlen.
Zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, wenn ich die Logik Ihrer Antwort
akzeptiere, müsste ich dann nicht die gleiche Logik auf
den militärischen Teil anwenden? Das würde bedeuten,
dass man die Entscheidung, ob man Militär zur Stabilisierung eines Wahlprozesses entsendet oder nicht, erst
dann seriös treffen kann, wenn man den Wahltermin
kennt. Warum gilt das, was für die zivilen Wahlbeobachter gilt, nicht auch für den militärischen Teil?
Diese Logik wenden wir hier in der Bundesrepublik
an. Wie Sie wissen, gestaltet sich der Fahrplan folgendermaßen: Am 17. Mai wird das Bundeskabinett auf der
Basis der genauen Kenntnis der Vorgänge im Kongo eine
Entscheidung über die Beteiligung an der EUFOR-RDCONGO-Mission, wie die EU-Mission jetzt heißen
wird, treffen. Der Bundestag wird sich am 19. Mai zum
ersten Mal damit beschäftigen, dann die Ausschüsse. Die
zweite und dritte Lesung sind am 1. Juni vorgesehen.
Aus diesem Zeitrahmen ersehen Sie, dass wir unsere
konkrete Entscheidung in der Tat erst im Lichte der
Kenntnis des tatsächlichen Wahlprozesses fällen. Insofern wird die Logik auf beide Bereiche angewandt.
({0})
Die Fragen 15 und 16 der Kollegin Marieluise Beck
sollen schriftlich beantwortet werden. Das Gleiche gilt
für die Fragen 17 und 18 von Paul Schäfer.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Wolfgang
Wieland und die Frage 21 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 22 der Kollegin Veronika
Bellmann:
Welche Erkenntnisse haben die Verfassungsschutzbehörden über die beiden Organisationen „Initiativgemeinschaft
zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“, ISOR,
und „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“, GRH, und ist bekannt, welche Politiker - aktuelle und
ehemalige Bundes- und Landtagsabgeordnete, Bundes- und
Landesminister bzw. Staatssekretäre - schon vor einer der beiden Organisationen Vorträge hielten bzw. an deren Veranstaltungen teilnahmen?
Frau Kollegin Bellmann, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Es ist eine gesetzliche Aufgabe des Verfassungsschutzes, Personen und Organisationen zu beobachten, bei denen tatsächlich Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Allerdings ist
es nach einer langen und gefestigten Tradition auch so,
dass die Bundesregierung über die im jährlichen Verfassungsschutzbericht bereits ohnehin enthaltenen Aussagen hinaus keine öffentlichen Angaben über Beobachtungsobjekte des Bundesamtes für Verfassungsschutz
macht. Insofern bedaure ich, Ihnen keine weiteren Auskünfte geben zu können.
Nachfrage? - Bitte.
Ich habe eine Nachfrage. Es ist bekannt, dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter oder dem DDR-Regime sehr nahe
stehende Personen, die sich organisiert haben, von „politischer Willkür“ und von „Siegerjustiz“ sprechen, die sie
bekämpfen wollen. Diese Personen werten in alter Manier Zeitungen und Internetinhalte aus. Nach Besuchen
von Schulklassen in der Gedenkstätte Hohenschönhausen versenden sie sogar Briefe an die Schulleiter, in denen sie beispielsweise von dem „Gruselkabinett des
Herrn Dr. Knabe“ sprechen. Das kann man nur als Geschichtsklitterung bezeichnen. Hat die Bundesregierung
Erkenntnisse darüber, dass eine solche Praxis auch bei
Besuchen von Schulklassen in anderen Gedenkstätten
stattgefunden hat?
Ich kann nur wiederholen, dass im Hinblick auf die
Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes an dieser Stelle leider keine Aussagen möglich sind. Im Übrigen sind die von Ihnen angesprochenen Fragen Gegenstand der politischen Auseinandersetzung und müssen
daher auf dem politischen Feld bearbeitet werden.
Es gibt keine Nachfrage mehr. Danke schön, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 23 der Kollegin Veronika
Bellmann:
Wie steht die Bundesregierung dem Vorschlag des Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, gegenüber, zur künftigen Finanzierung der Aufgaben der Europäischen Union eine so genannte EU-Steuer einzuführen, und
wie schätzt die Bundesregierung das entsprechende Meinungsbild der Regierungen in den anderen Mitgliedstaaten
ein?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, im Zuge der Verhandlungen zur finanziellen Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 hat sich
der Europäische Rat im Dezember 2005 auch über die
Grundzüge der EU-Finanzierung bis zum Jahre 2013 geeinigt. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission, in
diesem Rahmen die Einführung einer steuerbasierten
Einnahmequelle, also einer EU-Steuer, ab 2014 zu verankern, ist dabei bereits im Vorfeld von der weit überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten einschließlich
der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt worden.
Dies spiegelt sich auch im derzeit durch den Rat beratenen, überarbeiteten Entwurf der Kommission für einen
neuen Eigenmittelbeschluss wider, der keinen Hinweis
auf eine EU-Steuer mehr enthält.
Für die 2008/2009 vorgesehene Überprüfung der finanziellen Vorausschau liegt noch kein Vorschlag der
Kommission vor. Insofern kann die Bundesregierung
hierzu noch nicht Stellung nehmen.
Nachfrage?
Herr Kollege Diller, teilen Sie die Auffassung, dass
bei einer zukünftigen Finanzierung der EU die Beiträge
der Nationalstaaten an das Bruttonationaleinkommen gekoppelt werden sollten?
Frau Kollegin, das Bruttoinlandsprodukt spielt heute
schon eine ausgleichende Rolle. Die EU finanziert sich
ja aus verschiedenen Quellen. Eine Aussteuerung findet
über diesen Bereich statt.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Das war nicht ganz die Antwort auf meine Frage.
Denn Bruttoinlandsprodukt und Bruttonationaleinkommen sind nicht dasselbe.
Ich möchte noch eine weitere Nachfrage stellen. Ist
die Befürchtung berechtigt, dass im Falle eigener Steuereinnahmen der EU, die zu einer Kreditbefähigung bei
Immobiliengeschäften führten, die EU möglicherweise
zu Schuldengeschäften neigen könnte?
Frau Kollegin, ich glaube, eine der weisesten Entscheidungen war, dass die EU nicht das Recht hat, Kredite aufzunehmen, um den EU-Haushalt zu finanzieren.
Dabei sollte es bleiben.
Im Übrigen gibt es mit Ausnahme von drei Mitgliedstaaten überhaupt keine Neigung, über das Thema einer
EU-Steuer zur Finanzierung des Haushaltes nachzudenken.
Vielen Dank. - Die Fragen 24 und 25 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch sollen schriftlich beantwortet werden.
Dann kommen wir zur Frage 26 der Kollegin
Christine Scheel:
Mit welchen Argumenten begründet die Bundesregierung,
dass es für die Bürgerinnen und Bürger durch die Mehrwertsteuererhöhung und die Kürzung des Sparerfreibetrages und
der Pendlerpauschale zu massiven Steuermehrbelastungen
kommen wird, während nach Presseberichten für Kapitalgesellschaften jetzt Steuerentlastungen in Milliardenhöhe von
der Bundesregierung geplant sind, und mit welchen Argumenten begründet die Bundesregierung, dass sie für die kleinen
Einzelunternehmen wie zum Beispiel Handwerksbetriebe keinerlei Steuerentlastungen plant?
Frau Kollegin Scheel, damit unsere Kinder und Enkelkinder auch in Zukunft Politik gestalten können und
überhaupt Haushaltsspielräume haben, muss die heutige
Generation ihren Beitrag zur Konsolidierung der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden leisten. Der
Bundesregierung geht es dabei darum, die finanzielle
Handlungsfähigkeit des Bundes und der öffentlichen
Haushalte insgesamt mit miteinander abgestimmten
wachstums- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen,
einer entschlossenen Konsolidierung des Bundeshaushaltes sowie strukturellen Reformen zu sichern.
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer verbessert die Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte und ist daher
ein unverzichtbarer Baustein.
Mit der anstehenden Unternehmensteuerreform soll
die Position Deutschlands im internationalen Standortwettbewerb verbessert und sollen Investitionen ausländischer Unternehmer in Deutschland angeregt werden. Die
Bedingungen unserer Unternehmen sollen so beschaffen
sein, dass der Druck zur Steuergestaltung oder zur Abwanderung ins Ausland sinkt und damit die Grundlagen
für mehr Beschäftigung und Wachstum im Inland geschaffen werden.
Aus Sicht der Bundesregierung ist dabei eine spürbare Senkung der nominalen Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften, also Aktiengesellschaften und GmbHs,
erforderlich. Denn dies hat eine wichtige Signalfunktion
für internationale Investoren, die auf den nominalen
Steuersatz schauen. Die nominale Steuerbelastung im
Hinblick auf einbehaltene Gewinne einer Kapitalgesellschaft liegt aber in Deutschland im Rahmen der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer je nach örtlichem
Hebesatz bei etwa 39 Prozent, wie Sie wissen. Internationale Vergleiche der Steuerbelastung zeigen, dass dieser
Wert hoch ist. Hier besteht Handlungsbedarf zur Verbesserung der Standortbedingungen. Ich denke, darüber
brauchen wir nicht streitig zu diskutieren; da sind wir
vielmehr einer Meinung. Hier muss gehandelt werden.
Dabei ist natürlich auch die Haushaltsverträglichkeit zu
beachten. Deswegen ist unsere Philosophie: runter mit
den nominalen Steuersätzen bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.
Die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform stehen
noch nicht fest. Deshalb kann noch nicht im Einzelnen
über Be- und Entlastungswirkungen Auskunft erteilt
werden. Wir werden bei der Unternehmensteuerreform
auch die Belange des Mittelstandes in der Steuerpolitik
im Blick behalten. Unser Blick richtet sich aber nicht nur
auf die jetzt anstehende Unternehmensteuerreform. Vielmehr betrachten wir, bezogen auf den Mittelstand, das
Gesamtbild. Dazu gehört zum Beispiel auch das jetzt
eingeleitete Verfahren zur Schaffung eines Mittelstandsentlastungsgesetzes mit vielfältigen Maßnahmen zur Reduzierung der bürokratischen Belastung insbesondere
kleiner und mittlerer Unternehmen.
Nachfrage, Kollegin Scheel?
Herr Staatssekretär Diller, Sie haben jetzt mit sehr
schönen, blumigen Worten beschrieben, wie die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen zu sehen
ist und dass wir Steuereinnahmen brauchen, um die notwendige Infrastruktur und all die Dinge, die wir als
wichtig erachten, finanzieren zu können. Aber wie erklären Sie denn der Bevölkerung, dass auf der einen Seite
ab dem 1. Januar 2007 die Mehrwertsteuer und die Versicherungsteuer um drei Prozentpunkte sowie der Benzinpreis um 6 Cent pro Liter erhöht werden sollen, der
Sparerfreibetrag halbiert und die Pendlerpauschale gesenkt werden soll, indem die ersten 20 Kilometer steuerlich nicht mehr absetzbar sind, und verschiedene andere
Maßnahmen durchgeführt werden sollen, während auf
der anderen Seite die Unternehmen im Folgejahr, wenn
die Unternehmensteuerreform durchgeführt wird, erst
einmal um bis zu 10 Milliarden Euro entlastet werden
und dies vorwiegend die großen Konzerne sein werden?
Frau Kollegin Scheel, ich kann Ihre Verknüpfung
nicht nachvollziehen. Denn gegenwärtig steht überhaupt
noch nicht fest, zu welcher Entlastung die Unternehmensteuerreform führen wird. Wie Sie selber wissen, entsteht bei einer Unternehmensteuerreform natürlich zunächst einmal der Effekt, dass, auch wenn man sie durch
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gegenfinanziert, die Folgen der Reform im ersten und zweiten Jahr
unterschiedlich ausfallen: Zunächst einmal tritt in jedem
Falle eine Entlastung ein; später dann erfolgt eine Refinanzierung dieser Entlastung. In welchen Milliardengrößen sich das bewegt, lässt sich - im Gegensatz zu Ihrer Behauptung von bis zu 10 Milliarden Euro - erst
dann definieren, wenn die Konzeption steht.
Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass sich
der Haushaltsausschuss in einer ganztägigen Anhörung
in der letzten Woche intensiv mit der Frage befasst hat,
wie wir es schaffen, die Konsolidierung der Haushalte in
den Griff zu bekommen. Der Präsident des Bundesrechnungshofes hat ganz eindeutig gesagt: Wir sind darauf
angewiesen, zu einer schnell wirkenden Maßnahme zu
greifen. Als schnell wirkende Maßnahme steht uns im
Prinzip nur eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und der
Versicherungsteuer zur Verfügung.
Auch die Streichung bestimmter Subventionen, die
wir in der Vergangenheit gemeinsam betrieben haben
- Stichwort: Kampf um die Streichung der Eigenheimzulage -, dient der Einnahmeverbesserung. Aber die Eigenheimzulage ist eine achtjährige Subvention. Die
volle Wirkung der Streichung der Eigenheimzulage tritt
nicht im ersten Jahr ein - da ist es nur ein ganz bescheidener Betrag, wie Sie selber wissen -, sondern erst nach
dem achten Jahr. Das ist bei vielen Subventionen der
Fall: Die Wirkung auch sinnvoller Streichungen setzt
erst mit Verzögerung ein.
Deswegen sagt der Präsident des Bundesrechnungshofes, dass eine direkte Sanierung der Haushalte nur
über die angestrebte Erhöhung der Mehrwertsteuer geht.
Dabei wird der dritte Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung ja in Form einer Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge von gegenwärtig 6,5 Prozent auf
4,5 Prozent in der Zukunft zurückgegeben.
Eine weitere Nachfrage, Frau Scheel.
Herr Staatssekretär Diller, es ist sehr ehrenwert, dass
Sie darauf hingewiesen haben, dass bereits die rot-grüne
Regierung massiv am Subventionsabbau gearbeitet hat.
Darauf sind wir auch stolz; damals haben wir gemeinsam viel auf den Weg gebracht. Nach der Auflösung der
Blockade im Bundesrat ging es mit der Streichung der
Eigenheimzulage ein Stück weiter.
Sie haben in diesem Kontext bereits verschiedene
Maßnahmen, die einnahmeseitig zu verbuchen sind, im
Kabinett beschlossen. Dazu gehören die Einnahmen, die
durch die Reichensteuer kommen sollen. Dieses Placebo
Reichensteuer - so nenne ich es einmal - soll - das
wurde heute von Herrn Minister Steinbrück bestätigt Mehreinnahmen in Höhe von 127 Millionen Euro bringen, wohlgemerkt für Bund, Länder und Gemeinden insgesamt. Für den Bund werden es vielleicht 70 Millionen
Euro sein. Kollegen Ihrer Fraktion, aber auch der CDU/
CSU-Fraktion sagen, diese Einnahmen wüchsen bis zum
übernächsten Jahr auf 1,3 Milliarden Euro an. Das ist
eine wunderbare Geldvermehrung. Sie haben ja die Unternehmen und auch die Selbstständigen ausgenommen;
betroffen sind sozusagen nur noch abhängig beschäftigte
Manager, die aber ihr Einkommen wahrscheinlich anders als bislang anlegen werden. Ich bezweifle also, dass
es überhaupt zu diesen 127 Millionen Euro Einnahmen
kommen wird. Ich glaube nämlich, dass gar nichts hereinkommen wird.
Die Frage ist: Wie kommen Sie auf diese 1,3 Milliarden Euro? Soll dann die gewerbliche Wirtschaft doch
wieder mit ins Boot?
Frau Abgeordnete, das ist der künftigen Beratung vorbehalten. Jedenfalls sieht der Gesetzentwurf vor, dass im
Zusammenhang mit der Unternehmensteuerreform eine
Entlastung auf andere Weise erfolgt.
Dann haben wir noch eine Frage der Kollegin
Dr. Barbara Höll.
Herr Staatssekretär, ich habe eigentlich zwei Fragen.
Sie haben betont, dass bei der geplanten Mehrwertsteuererhöhung einer der drei Prozentpunkte zur Gegenfinanzierung der Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge dienen soll. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie die
Mehrwertsteuererhöhung, die Sie jetzt durchdrücken,
demnächst wieder zurücknehmen. Heißt das also, dass
dieser Bundeszuschuss zur Bundesagentur für Arbeit aus
Steuermitteln dauerhaft sein wird? Wie verträgt sich das
mit Ihrer Ankündigung, den Zuschuss für die Bundesagentur auf null zu senken?
Nach Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Scheel
interessiert mich, ob Ihnen zur „strukturellen und nachhaltigen Einnahmeverbesserung“ des Bundeshaushalts
- so hat es der Herr Minister Steinbrück in der aktuellen
Ausgabe des „Spiegel“ formuliert - noch etwas anderes
einfällt, als die Menschen, die in der Bundesrepublik
Deutschland ohnehin wenig Einkommen haben, durch
eine Mehrwertsteuererhöhung stärker zu belasten - da
greifen Sie richtig zu -, während auf der anderen Seite
diejenigen, die viel haben, kaum zusätzlich belastet werden. Sie werden lediglich durch die diskriminierende
Bezeichnung Reichensteuer belastet. Diese Bezeichnung
ist in der Tat diskriminierend. Wenn wir sie aufgebracht
hätten, hätten Sie laut aufgeschrieen. Das aber nur nebenbei. Die Reichensteuer ist eine reine Symbolsteuer.
Könnte es sein, dass Ihnen in Zukunft noch etwas einfällt, was eine tatsächliche Umverteilung von oben nach
unten bewirken würde?
Frau Kollegin, von den 3 Prozentpunkten Umsatzsteuererhöhung geht - das habe ich bereits geschildert 1 Prozentpunkt zugunsten des Bundeshaushaltes, 1 Prozentpunkt zugunsten der Länderhaushalte - über den
Finanzverbund kommt er auch den kommunalen Haushalten zugute - und 1 Prozentpunkt wird aus dem Bundeshaushalt, wo er zunächst einmal als Einnahme verbucht wird, an die Bundesagentur für Arbeit überwiesen.
Dieser Prozentpunkt soll zur Finanzierung der Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von
6,5 Prozent auf 4,5 Prozent dienen. Ein Prozentpunkt der
Absenkung wird durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer abgedeckt und ein Prozentpunkt wird durch Effizienzgewinne innerhalb der Bundesagentur dargestellt.
Deswegen ist kein weiterer Transfer von Geldern aus
dem Bundeshaushalt an den Haushalt der Bundesagentur
notwendig.
Zum Begriff Reichensteuer. Der Begriff stammt aus
der Presse. Für Presseerfindungen können wir, auch die
SPD-Fraktion oder die SPD nichts. Wir finden diese
Steuer richtig. Sie hat Eingang in die Koalitionsvereinbarung gefunden. Das Kernproblem ist, dass die Unternehmensteuer der Personengesellschaften und Einzelunternehmer die Einkommensteuer ist. Wenn man bei den
hohen und sehr hohen Einkommen - 250 000 Euro bei
Ledigen und 500 000 Euro bei Verheirateten - den vollen Ertrag umsetzt, kommt man in eine Größenordnung
von 1,3 Milliarden Euro. Darauf hat die Kollegin Scheel
vorhin hingewiesen. Wenn Sie sich die Zahlen aber genau anschauen, stellen Sie fest, dass die Zahlungen in
hohem Umfang von Einzelunternehmern und Personengesellschaften geleistet werden. Eine höhere Steuer in
diesem Bereich hätte wirtschaftliche Folgen für die Betriebe. Vor diesem Hintergrund kommt man zu dem
Schluss, diese Betriebe von der Steuer ausnehmen zu
müssen, damit keine negativen Folgen für die Schaffung
neuer Arbeitsplätze in diesen Unternehmen entstehen.
So kam es zu dieser Ausnahmeregelung.
Im Rahmen dieser Überlegungen zur Ausnahmeregelung wurden auch andere Gewinneinkünfte betrachtet.
Deswegen musste die Regelung auf andere Gewinneinkünfte ausgedehnt werden. Daher kalkulieren wir gegenwärtig mit circa 130 Millionen Euro.
({0})
Bezüglich Ihrer Frage, wann es eine Umverteilung
von oben nach unten gibt, verweise ich auf die unterschiedlichen Instrumente: Im Wesentlichen sind das die
Vermögen- und die Erbschaftsteuer. Zur Erbschaftsteuer
erwarten wir eine Gerichtsentscheidung. Alle politischen
Kräfte sind sich darüber einig, dass erst einmal abgewartet werden soll, was das höchste Gericht bezüglich der
Erbschaftsteuer entscheidet, und dass daraus gegebenenfalls gesetzgeberische Konsequenzen zu ziehen sind.
In den vorherigen Wahlperioden gab es immer das
Angebot der damaligen Mehrheiten an die Länder: Wenn
ihr wieder eine verfassungsfeste Form der Vermögensteuer haben möchtet, dann signalisiert uns das und dann
führen wir diese ein. Denn beide von mir jetzt genannten
Steuerquellen, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer,
sind Steuern, bei denen der Bund zwar die Gesetzgebung
mitzugestalten hat, deren Ertrag aber ausschließlich den
Ländern zugute kommt. Die Ländermehrheit hat gesagt,
dass sie keine neue Vermögensteuer will, und es gilt das
Wort der Ländermehrheit.
Wir kommen zu einer Frage des Kollegen Matthias
Berninger.
Herr Staatssekretär Diller, wenn ich Ihnen so zuhöre,
dann stelle ich mir eine ganze Reihe von Fragen. Zum
einen haben Sie jetzt bestätigt, dass Sie mit der so genannten Reichensteuer nicht viel mehr einnehmen wollen, als Sie schon mit der Sektsteuer einnehmen. Sie haben auf die Frage der Kollegin Scheel, ob es bei den
127 Millionen Euro bleiben wird oder man doch in den
Milliardenbereich kommen wird, geantwortet, das sei
noch offen. Gehe ich recht in der Annahme, dass die
Bundesregierung das ursprüngliche Ziel der Unternehmensteuerreform, die Personengesellschaften einerseits
und die Körperschaften andererseits steuerlich gleichzustellen, langsam aber sicher aus dem Blick verliert?
Denn wenn man dann noch berücksichtigt - das haben Sie als weiteren Punkt angesprochen -, dass bei der
Unternehmensteuerreform die Entlastung nicht in einer
Größenordnung von 10 Milliarden Euro, sondern möglicherweise deutlich darunter liegen wird, dann ist das
Ziel praktisch nicht mehr zu erreichen, weil ansonsten
die vielen kleinen und mittleren Betriebe im Zuge der
Unternehmensteuerreform mehr zahlen müssten. Zurzeit
beißen sich da einige Katzen in den Schwanz. Ich stelle
mir die Frage: Inwieweit ist denn im Zuge der Einführung der Reichensteuer darüber nachgedacht worden, ob
es nicht sinnvoller wäre, diese erst dann auf die Tagesordnung zu setzen, wenn man weiß, welche Struktur die
Unternehmensteuerreform haben wird? Geht man nicht
so vor, nimmt man erstens nichts ein - Stichwort Sektsteuer - und erzeugt zweitens eine Reihe von Problemen
gerade bei den Unternehmen, die keine Spitzeneinkünfte
haben, weil deren Steuerbelastung steigen wird.
Die Unternehmen, die keine Spitzensteuerbelastung
haben, werden auch nicht durch die Reichensteuer, wie
auch immer sie gestaltet ist, belastet. Ich sage noch einmal: Bei der Größenordnung, die hier in Rede steht, sind
nur relativ wenige, einige Zehntausend, von der Steuererhebung betroffen.
Im Übrigen gilt Folgendes. Mein Minister hat gesagt:
Wir gehen jetzt zwei Monate in Klausur - das hat er Anfang April verkündet - und wollen darüber nachdenken,
beraten, prüfen und entscheiden. Deswegen denke ich,
dass Sie sich einmal überraschen lassen sollten, was wir
dann Ende Mai oder Anfang Juni der Öffentlichkeit vorstellen.
Wir kommen zur Frage der Kollegin Margareta Wolf.
Herr Staatssekretär Diller, in einem Punkt wollen wir
uns aber, glaube ich, nicht überraschen lassen. Die Bundeskanzlerin hat bereits angekündigt, dass die Bundesregierung bzw. die große Koalition die Gewerbesteuer
streichen wird. Mich würde interessieren, wie Ihr Haus,
das ja dafür zuständig ist, die Kompensation für die
Kommunen ausgestalten will.
Zweitens habe ich der Presse mit Interesse entnommen, dass Sie über die Einführung einer Abgeltungsteuer zum 1. Januar 2008 nachdenken. Angesichts der
Finanzsituation des Bundes drängt sich die Frage auf:
Warum zum 1. Januar 2008?
Der Koalitionsvertrag sieht eine hebesatz- und wirtschaftskraftorientierte Steuereinnahme der Kommunen
von ihren gewerblichen Betrieben vor. Dabei bleibt es.
Welche Ausgestaltung die Gewerbesteuer im Rahmen
der Unternehmensteuerreform künftig haben wird, ist
ebenfalls Gegenstand der Beratungen. Sie wissen ja,
dass ein bestimmtes Forum einen Vorschlag unterbreitet
hat, der eine totale Umgestaltung in Richtung einer VierSäulen-Steuer vorsieht, wobei nach Vorstellung dieses
Forums wieder eine Lohnsummensteuer und anderes
mehr als Alternative zur Gewerbesteuer eingeführt werden sollen. Selbst der designierte rheinland-pfälzische
Finanzminister wirbt für ein solches Vorgehen. Auch er
will weg von der Gewerbesteuer. Es gibt also verschiedene Überlegungen in diese Richtung. Aber wir sind
noch nicht weit genug, um schon jetzt andeuten zu können, welcher Vorschlag letztlich in den Deutschen Bundestag eingebracht wird. Deswegen bitte ich Sie um etwas mehr Geduld.
Nun zum zweiten Stichwort, das Sie angesprochen
haben: der Abgeltungsteuer. Hier gilt das Gleiche: Die
Abgeltungsteuer ist eine der Überlegungen, die erörtert
werden. Beschlüsse sind aber noch nicht gefasst.
Dann kommen wir zur letzten Frage des Kollegen
Volker Schneider.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Probleme
angesprochen, die bei einer Umverteilung von oben nach
unten auftauchen. Meine Frage lautet: Warum gehen Sie
nicht den einfachsten Weg, den Spitzensteuersatz wieder
auf 45 Prozent anzuheben? Das würde nach meinen Informationen sofort 3,3 Milliarden Euro einbringen.
Das ist ein völlig anderes Thema. Wenn man den
Spitzensteuersatz anhebt - und zwar für alle und nicht
erst ab einem Einkommen von, wie wir vorschlagen,
mehr als 250 000 Euro im Jahr für Ledige und mehr als
500 000 Euro pro Jahr für Verheiratete -, dann hat das
natürlich Folgewirkungen auf den gesamten Tarifverlauf, von denen auch andere Schichten betroffen sind.
Insofern handelt es sich hierbei um eine Rückbesinnung auf die Konzeption einer Steuerreform, die die frühere Koalition dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen
hatte. In dieser Konzeption war vorgesehen, den Spitzensteuersatz von 53,9 Prozent - in dieser Höhe haben
wir ihn im Jahre 1998 vorgefunden - auf 45 Prozent zu
senken. Dagegen hat es im Bundesrat Widerstand gegeben. Daraufhin wurde ein Vermittlungsverfahren durchgeführt. Auf Vorschlag der rheinland-pfälzischen Landesregierung ist dann der Kompromiss zustande
gekommen, den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent zu senken. Daran halten wir fest, weil es bei den Bundesratsmehrheiten keine Veränderungen gegeben hat.
Vielen Dank.
Wir kommen dann zur Frage 27 der Kollegin
Christine Scheel:
Ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Vorziehen der
Unternehmensteuerreform auf 2007 machbar und wäre damit
die Befreiung der gewerblichen Wirtschaft von der so genannten Reichensteuer verfassungskonform umsetzbar?
Frau Kollegin Scheel, über den Inhalt Ihrer Frage
haben wir bereits ansatzweise diskutiert. In der Koalitionsvereinbarung ist vorgesehen, die Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 umzusetzen. Diese Vereinbarung gilt.
Nachfrage?
Ja. - Sie stehen vor großen Problemen, insbesondere
was die zeitliche Abfolge hinsichtlich der Einführung
der Reichensteuer betrifft. Sie wollen die Unternehmensteuerreform erst zum 1. Januar 2008 umsetzen, brauchen sie aber, um die Reichensteuer verfassungskonform
hinzutricksen. Darüber hinaus sind noch eine ganze
Reihe steuerlicher Maßnahmen zu beachten, über die wir
bereits gesprochen haben.
In diesem Zusammenhang treibt mich folgende Frage
um: Geht es Ihnen lediglich darum, zur Verbesserung der
Haushaltssituation die Steuereinnahmen, die die Länder
- Sie natürlich auch - schon eingebucht haben, zu erzielen? Sollte es nicht vielmehr darum gehen, Steuerpolitik
im Hinblick auf eine positive Beschäftigungswirkung zu
betreiben?
Eine solche Wirkung kann ich allerdings nicht erkennen. Auf der einen Seite wird es ermöglicht, Handwerkerrechnungen steuerlich abzusetzen, auf der anderen
Seite werden dieselben Handwerkerrechnungen durch
die Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozent erhöht. Das
wird nach Informationen aus Wirtschaftskreisen und
nach den Aussagen der Wirtschaftsforschungsinstitute
zu einer Zunahme der Schwarzarbeit führen. Sind Sie
nicht auch der Meinung, dass man alles tun muss, um
Schwarzarbeit zu bekämpfen, und dass solche Maßnahmen deswegen kontraproduktiv sind?
Frau Kollegin, zunächst einmal möchte ich Ihre Eingangsbemerkung - Sie haben von „tricksen“ gesprochen entschieden zurückweisen.
({0})
Wir sind der Überzeugung, dass wir mit dem jetzigen
Gesetzentwurf in der Lage sind, dem Deutschen Bundestag eine verfassungskonforme Regelung vorzuschlagen.
Bezüglich der Bekämpfung der Schwarzarbeit ist zu
sagen: Sicherlich ist es ein Problem, wenn der Handwerker auf seine Kalkulation nicht mehr 16 Prozent, sondern
19 Prozent aufschlagen muss; das ist ein Happen. Die
Exportwirtschaft ist von der Mehrwertsteuererhöhung
nicht betroffen; deshalb brauchen wir uns um den Export
keine Gedanken zu machen. Es bleibt die Frage, in welchem Umfang die Erhöhung der Mehrwertsteuer über
die Preise an den Kunden weitergegeben werden kann
und in welchem Umfang der Betrieb sie selbst verkraften
muss, sodass es zu einer Verminderung seines Gewinns
kommt - und damit für die öffentliche Hand zu einer
Verminderung des Ertrags. Deswegen erwarten wir von
einer Erhöhung der Umsatzsteuer um 1 Prozentpunkt zunächst nur 6,5 Milliarden Euro und erst nach ein paar
Jahren die vollen 8 Milliarden Euro.
Nur, was sind die Alternativen? Wenn Sie das gleiche
Volumen im Bundeshaushalt auf der Ausgabenseite erwirtschaften wollten, müssten Sie zu Maßnahmen greifen, die in ihrer Wirkung für bestimmte Bevölkerungsgruppen sogar viel schwerwiegender wären. Deswegen
sage ich - auch mit Blick auf das, was Frau Kollegin
Dr. Höll vorhin gesagt hat -: Die Anhebung der Mehrwertsteuer betrifft nur den Regelsatz. Mieten sind mehrwertsteuerfrei und der ganze Nahrungsmittelbereich
unterliegt dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Die Belastungen für die Budgets der Schichten mit niedrigen
und mittleren Einkommen halten sich also in Grenzen.
Eine Alternative wäre eine Kürzung des jährlichen
Zuschusses zur Rentenversicherung; dieser ist mit
78 Milliarden Euro der größte Ausgabenblock im Bundeshaushalt. Wenn Sie da 8 Milliarden Euro herausoperieren wollten, bedeutete das eine massive Rentenkürzung oder - wenn Sie das wie ich für unverträglich
halten - eine massive Beitragssatzsteigerung. Wenn Sie
auch diese für unverträglich halten, müssen Sie nach anderen Instrumenten suchen. So könnten wir beide jetzt
Haushaltsposten für Haushaltsposten durchgehen, wie
wir das früher auch mit Ihren Haushaltspolitikern durchgegangen sind. Wir haben dabei graue Haare bekommen, weil wir auf der Ausgabenseite kaum noch etwas
gefunden haben. Noch einmal: Die Operation ist sicherlich belastend, aber alternativlos.
Zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich bin froh: Ich habe noch
blonde Haare; ich habe das alles also irgendwie ganz gut
überstanden.
({0})
Sie haben ausgeführt, dass es aufgrund der Struktur und
der Situation des Haushalts keine Möglichkeit gebe, den
Haushalt anders als durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die anderen beschlossenen Erhöhungen zu
konsolidieren. Warum werden nicht endlich bestimmte
steuerpolitische Regelungen angegangen, die für unser
Land, für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und für die Arbeitsplätze kontraproduktiv sind? Ich
meine die steuerliche Begünstigung von Betriebsverlagerungen und die exorbitant hohen Rückstellungen in
der Atombranche, obwohl die Energiekonzerne sehr
hohe Gewinne ausweisen. Die geltende Festlegung für
die Rückstellungen stammt noch aus der Zeit, bevor der
Atomausstieg beschlossen war. Das ist überhaupt noch
nicht angepasst worden. Allein durch diese beiden Maßnahmen könnten wir Mehreinnahmen von 6 Milliarden
Euro erzielen. Warum hat man nicht den Mut, hier Anpassungen vorzunehmen, sondern geht stattdessen an
den Sparerfreibetrag und nimmt den Leuten teilweise
auch noch die Vorsorge für die Rente?
Frau Kollegin, zum ersten Teil Ihrer Frage: Das spielt
gegenwärtig sicherlich auch in unseren Überlegungen
eine Rolle. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich bin im
Moment nicht sattelfest genug, um eine genaue Antwort
zu geben. Aber ich meine, wir hätten schon während unserer gemeinsamen Regierungszeit eine Veränderung
vorgenommen.
({0})
Frau Scheel, Sie haben zwei Nachfragen gestellt. Eine
weitere Nachfrage kann ich Ihnen leider nicht gewähren.
Nun hat sich der Kollege Volker Beck zur Geschäftsordnung zu Wort gemeldet. Bitte schön.
Trotz des sachlichen und ruhigen Vortrags des Staatssekretärs Diller konnte nicht verdeckt werden, dass es
bei der Bundesregierung ein ziemliches Steuerchaos
gibt. Das haben auch die Ausführungen des Ministers
vorhin zum Steueränderungsgesetz 2007 deutlich gemacht. Das zeigen aber auch die Diskussion um die
Mehrwertsteuererhöhung, durch die allen Bürgern weniger Geld in der Tasche bleibt, sowie die avisierte Entlastung der Unternehmen bei der Unternehmensteuerreform.
Deshalb beantrage ich nach Anlage 5 Nr. 1 unserer
Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema. Ich bin der Meinung, dass das Haus die Möglichkeit haben muss, darüber zu sprechen.
Vielen Dank.
Sie beantragen also für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, dass wir aus der Beantwortung der Fragen heraus eine Aktuelle Stunde ableiten. Das entspricht
Nr. 1 b der Richtlinien für eine Aktuelle Stunde. Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung bestimme ich, dass wir die Aktuelle Stunde um 15.30 Uhr
durchführen. Die ursprünglich für heute vorgesehene,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
von der Fraktion der FDP verlangte Aktuelle Stunde
wird auf morgen verschoben.
Wir kommen vorher aber noch zu den Fragen, die
noch nicht beantwortet worden sind. Das sind die Fragen
28 bis 35. Diese Fragen sollen schriftlich beantwortet
werden.
Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 2.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15.30 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN zur Antwort der Bundesregierung
auf die Fragen 26 und 27
Steuerpolitik der Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil nicht
nur wir den Eindruck haben, dass bei der Bundesregierung das steuerpolitische Chaos ausgebrochen ist.
({0})
Sie sehen dies erstens an der Diskussion über die
Mehrwertsteuererhöhung. Sie haben die Erhöhung um
3 Prozentpunkte zu einem Zeitpunkt konzipiert, als Sie
selbst nicht daran geglaubt haben, wie gut sich die wirtschaftlichen Verhältnisse entwickeln.
({1})
Ich kann nur sagen: Den Binnenmarkt während des jetzt
Gott sei Dank vorhandenen Aufschwungs mit
21 Milliarden Euro systematisch zu schwächen, ist einfach ein ökonomischer Unsinn, den Sie von der Haushaltsseite her - das sagen viele Experten - gar nicht
brauchen würden.
({2})
Deswegen sage ich: Souveränität der großen Koalition
würde bedeuten, dass Fehlplanungen korrigiert werden.
Dazu fordern wir Sie in dieser Debatte auf.
({3})
Der zweite Punkt, an dem Sie das sehen, ist die Unternehmensteuerreform. Herr Finanzminister, ich finde, es
muss Klarheit über den Zeitpunkt her. Dieses Hü und
Hott, mal da, mal dort, jetzt geht es doch schneller oder
vielleicht auch nicht verunsichert die gesamte wirtschaftspolitische Szene und die Unternehmen. Ich sage
für meine Fraktion: Lassen Sie das Spielen mit einer realen Steuerentlastung der Unternehmen im Zusammenhang mit einer Unternehmensteuerreform! Wir wollen
eine aufkommensneutrale Steuerreform und eine rechtsformneutrale Unternehmensteuerreform. Das ist die
Zielsetzung.
({4})
Ich finde, dass Sie hierzu einmal ein klares Wort sagen
sollten. Zum Chaos gehört nämlich auch die kommunikative Verunsicherung, die Sie und die große Koalition
gegenüber den deutschen Unternehmen in den letzten
Wochen bewirkt haben.
({5})
Der dritte Punkt ist die Reichensteuer. Hier haben Sie
bei den Koalitionsverhandlungen, die zum Koalitionsvertrag geführt haben, offensichtlich nicht vernünftig
hingeschaut. Alle Verfassungsprobleme, die in den letzten beiden Wochen diskutiert worden sind, gab es schon
damals. Man hätte genau hinschauen und die Abfolge
verabreden müssen, die nach Auffassung der Grünen
sinnvoll wäre.
({6})
Zuerst muss es eine klare Unternehmensteuerreform
geben, die auch darauf ausgerichtet ist, dass die Verfassungsprobleme gelöst werden. Das heißt im Klartext,
dass wir in Deutschland endlich einmal in der Lage sein
müssen, die private Einkommensteuer anzuheben oder
zu verändern, ohne dass die Unternehmensteuer für die
Personengesellschaften tangiert wird. Das ist doch das
alte Problem unseres Steuerrechts. Deswegen hätten Sie
zuerst eine Unternehmensteuerreform und dann alles andere, was daraus folgt, vereinbaren müssen, sei es eine
Reichensteuer, sei es eine erneute Diskussion - diese befürworten wir - über die Frage, ob wir mit einem Einkommensteuersatz von 42 Prozent wirklich richtig
liegen oder ob wir zur Finanzierung der Bildungsinvestitionen noch ein Stück höher gehen sollten.
({7})
Aber beides haben Sie nicht getan. Deswegen sind Sie
jetzt im Chaos gelandet; das hier festzustellen kann ich
niemandem von Ihnen ersparen. Sie wollen einfach einmal ausprobieren, ob diese Regelung verfassungsgemäß
ist. Das ist eine Geringschätzung der deutschen Verfassung. Wenn die Politik damit anfängt, dann kann ich nur
sagen: Gute Nacht!
Der Finanzminister hat festgelegt, dass von der Reichensteuer unter anderem die Selbstständigen ausgenommen werden.
({8})
Dass Sie dann für das Jahr 2007 nur noch mit Einnahmen von 127 Millionen Euro kalkulieren - das ist eine
optimistische Schätzung, weil die dann Betroffenen
sicherlich eine gewisse Mobilität bei den Anlageformen
finden werden -, ist wirklich ein Witz.
Ich sage der SPD: Ich verstehe nicht, dass Sie sich das
so einfach machen. Sie wollen die Reichensteuer - das
kann ich nachvollziehen - auch als Ausgleich für die sozial schädliche Mehrwertsteuererhöhung von 3 Prozentpunkten, die nicht in vollem Umfang zur Senkung der
Lohnnebenkosten eingesetzt wird. Trotz allem haben Sie
wohl gedacht, dass Sie das alles schon irgendwie verkaufen werden. Jetzt aber bekommen Sie eine Reichensteuer im Bonsaiformat, also unterhalb der Wirkungsgrenze.
({9})
Glauben Sie, dass Sie das den Mitgliedern Ihrer Partei
oder der Öffentlichkeit als Kompensat für die Erhöhung
der Mehrwertsteuer verkaufen können? Das glauben Sie
doch selber nicht. Die interne Diskussion in der SPDFraktion gibt mir da Recht.
Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie diese Placebonummer. Machen Sie eine handwerklich ordentliche
Steuerpolitik und beginnen Sie mit einer Unternehmensteuerreform. Dann kann man die Frage stellen: Wie
kann man durch die Einkommensteuer oder auch durch
die Reichensteuer einen vernünftigen Ausgleich und soziale Gerechtigkeit herstellen?
({10})
Der vierte Punkt für das steuerpolitische Chaos ist natürlich die Besteuerung von Biokraftstoffen. Das, was
Sie da machen, Herr Finanzminister, halten wir für völlig falsch. Vor allem kleine und mittelständische Betriebe haben hinsichtlich der Biokraftstoffe Investitionen
in die Infrastruktur getätigt. Durch die Besteuerung gefährden Sie deren Existenz. Im Klartext: Wegen Beimischungszwangs erhöhen Sie den Kraftstoffpreis zum
1. Januar 2007 um 3 Cent. Durch die Erhöhung der
Mehrwertsteuer wird dieser noch einmal um 3 Cent teurer.
Der CDU sage ich: Die Erhöhung durch die Ökosteuer betrug damals im Schnitt 6 Pfennig. Durch Ihre
Maßnahmen wird der Aufschlag auf Sprit doppelt so
teuer. Ich frage mich nun: Wo sind Frau Merkel und die
Krawallmacher beim Thema Ökosteuer, die wenigstens
zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet wurde?
({11})
Sie aber schlagen doppelt so viel drauf und glauben, dass
wir Ihnen das im Herbst durchgehen lassen. Sie werden
sich wundern, welche Diskussionen über Ihre großkoalitionäre Politik an den Zapfsäulen der Tankstellen entfacht werden. Da wünsche ich Ihnen schon jetzt viel
Spaß.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer
Steinbrück.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Kuhn, nur weil Sie behaupten, es bestünde
ein Steuerchaos, muss das noch lange kein Fakt sein. Es
wird auch dadurch nicht richtiger, dass Sie ständig das
Wort „Chaos“ im Munde führen. Die große Koalition hat
das, was sie im Koalitionsvertrag vereinbart hat, Schritt
für Schritt ziemlich sauber und transparent umgesetzt.
({0})
Selbst das, was sich heute im Steueränderungsgesetz
findet, ist nicht neu, sondern das haben wir alles verabredet. Wir haben sehr schnell gehandelt und die entsprechenden steuerpolitischen Gesetzesvorhaben auf den
Weg gebracht. Einiges haben wir bereits verabschiedet.
Genauso kalkulierbar werden wir weiterhin sein.
Sie haben uns leichtfüßig dazu aufgefordert, eine Unternehmensteuerreform zu machen. Ich habe den Eindruck, Sie unterschätzen die Komplexität einer solchen
Operation. Jedenfalls vermitteln Sie das in Ihrer Rede.
({1})
Allein schon Ihre Forderung nach Aufkommens- und
Rechtsformneutralität beweist das. Wissen Sie, wie
schwer es sein dürfte, Rechtsformneutralität herzustellen? Wissen Sie, dass etwa 80 bis 85 Prozent der Einzelunternehmer und der Personengesellschaften bereits
heute einer Effektivbesteuerung von unter 20 Prozent
unterliegen? Wissen Sie, was es für die Rechtsformneutralität bedeutet, wenn die Definitivbesteuerung von Kapitalgesellschaften unter 38,6 Prozent fällt?
Eine Senkung der Nominalsätze - gerade bei den Kapitalgesellschaften müssen wir das tun, weil wir uns in
Europa, egal ob uns das passt oder nicht, in einem Steuerwettbewerb befinden; wir können die nationalen Grenzen schließlich nicht mehr dichtmachen - führt zu einem
Verlust an Steuersubstrat. Deshalb muss man bei der Bemessungsgrundlage etwas anderes machen. Aber wann
setzt die volle Wirksamkeit der Maßnahmen zur Erweiterung der Steuerbemessungsgrundlage ein? Ist das
gleich im ersten Jahr der Fall? Ich vermute, nein.
({2})
Das heißt, man muss bezogen auf die Aufkommensneutralität sehr viel vorsichtiger operieren, als Sie es meines
Erachtens getan haben.
Ich stehe zur Einführung der Reichensteuer, und zwar
zum jetzigen Zeitpunkt. Ich wehre mich gegen den Vorwurf, dass dies eine Neidsteuer, ein Placebo oder ein
Symbolakt sein soll.
({3})
Ich glaube, dass es angesichts der Zumutungen, die unsere steuerpolitischen Beschlüsse für viele Menschen bewirken, richtig ist, auch die oberen Einkommensgruppen
ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit entsprechend stärker
zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen.
({4})
Ich wiederhole mich zwar, aber ich wundere mich
über manche Erregung, und zwar weniger bei Ihnen als
auf den Seiten des Parlaments, die bis 1998 für einen
Spitzensteuersatz von 53 Prozent verantwortlich gewesen sind, sich aber jetzt über die Anhebung des Steuersatzes von 42 auf 45 Prozent so erregen, dass man um
ihren Gesundheitszustand fürchten muss. Das ist in diesem Zusammenhang unverhältnismäßig. Von diesem
Vorhaben ist bezogen auf private Einkünfte ein verschwindend geringer Prozentsatz betroffen. Ich mache
kein Hehl daraus, dass ich in den Koalitionsverhandlungen dafür war, die Einkommensgrenzen zu senken, und
zwar auf 125 000 für Ledige bzw. 250 000 Euro für Verheiratete. Aber man hat das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen zu akzeptieren und mitzutragen. Das wird
auch geschehen.
Im Übrigen werden Sie - das sage ich mit Blick auf
das, was bei dem Vorhaben herauskommt - von keinem
Mitglied der Bundesregierung erwarten können, dass es
sehenden Auges eine Verfassungsrechtsproblematik in
Kauf nimmt. Das sagen auch meine eigenen Parteifreunde. Das können Sie den zuständigen Ministern bzw.
der Bundesregierung insgesamt nicht aufbürden. Uns ist
klar geworden, dass wir allein die gewerblichen Einkünfte nicht ausschließen können. Dies würde mit den
unternehmerischen Einkünften insgesamt - also auch denen, die von Land- und Forstwirten bzw. von Freiberuflern erzielt werden - kollidieren. Um diese Lücke zu
schließen, haben wir uns jetzt auf die unternehmerischen
Einkünfte insgesamt bezogen, denen aber auch ein bestimmtes unternehmerisches Risiko zuzuordnen ist, was
die Gewährleistung von Wachstum, Umsatz und Beschäftigung angeht. Wir glauben, dass wir mit diesem
Weg richtig liegen. Wir wollen nicht darauf verzichten.
Was die Mehrwertsteuer betrifft, werden wir unterschiedlicher Auffassung bleiben. Ich will mich nicht
wiederholen, zumal ich Herrn Westerwelle bereits eben
auf einer Veranstaltung begegnet bin, die zwar kein Renkontre war, aber bei der die unterschiedlichen Meinungen aufeinander geprallt sind. Ich glaube, Sie überschätzen die Möglichkeiten, den Haushalt allein durch
Sparmaßnahmen zu konsolidieren. Die beiden Oppositionsparteien geben nie Auskunft darüber - die dritte erst
recht nicht -, wie eine alternative Strategie weiterer
Haushaltskürzungen auf Wachstum und Beschäftigung
wirken würde, und zwar negativ. Gerade dann, wenn es
um Einsparungen bei Transfereinkommen geht, was sich
gerade bei den Bevölkerungsgruppen unmittelbar negativ auf die inländische Nachfrage auswirken würde, deren Sparquote bei null liegt - ich denke dabei an die
Rentnerinnen und Rentner -, wird das nie in Ihren Informationen berücksichtigt. Auch dass auf der Einnahmeseite ein strukturelles Problem besteht, geht in vielen
dieser Debatten unter.
Ihre Ausführungen zur Besteuerung des Biokraftstoffes habe ich nicht verstanden, Herr Kuhn. Ich werde Ihnen umgehend Unterlagen zuschicken, aus denen deutlich wird, dass wir mit dem Beimischungszwang bzw.
der Einführung einer Quote etwas zur Unterstützung der
Biokraftstoffe tun und dass die Landwirtschaft davon
nicht negativ betroffen wird.
({5})
- Aber selbstverständlich! Bevor Sie die Parolen einer
Demonstration in den Bundestag hineintragen, sollten
Sie sich schlau machen, was wirklich beschlossen worden ist!
({6})
Was wir in diesem Bereich vorhaben, läuft auf eine
klare Unterstützung der Biokraftstoffe hinaus: Dazu gehört die steuerliche Freistellung mit Blick auf die Kraftstoffe der zweiten Generation bis 2015. Die Investitionsgarantie bzw. die Absicherung der Investitionen bis 2009
wird, wie beschlossen, vollständig gewahrt.
Sie haben hinsichtlich des Biokraftstoffs durcheinander gebracht, dass es dabei um zwei unterschiedliche Aspekte geht. Der eine ist die Abschaffung der steuerlichen
zugunsten einer ordnungsrechtlichen Förderung. Das
macht einen Unterschied von 1,6 Milliarden Euro aus,
Herr Kuhn. Die Bundesregierung auf der einen Seite
aufzufordern, den Bundeshaushalt zu konsolidieren, aber
auf der anderen Seite leichtfüßig über die Möglichkeit
hinwegzugehen, mit einer gleichzeitigen wirkungsgleichen ordnungsrechtlichen Regelung Mehreinnahmen in
Höhe von 1,6 Milliarden Euro zu erzielen, ist nicht sehr
glaubhaft.
Der zweite Aspekt ist, dass wir EU-Recht anwenden
müssen. Wir müssen nämlich aufgrund einer europäischen Energiesteuerrichtlinie von der Überkompensation
bzw. Überförderung wegkommen. Dies geht in einem
Kurzbeitrag wie in dieser Debatte vielleicht auch aus
Zeitgründen verloren, aber es wäre trotzdem gut, nicht
an Chimären und Halbwahrheiten festzuhalten. Deshalb
möchte ich Sie gerne sehr gezielt über das Thema Biodiesel informieren.
Unter dem Strich: Diese Bundesregierung wird die
Maßnahmen, die sie in der Steuerpolitik für notwendig
hält, treffen, auch wenn sie unpopulär sind; denn wir
sind überzeugt, dass wir dies zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte sowohl des Bundes als auch der
Länder und Kommunen brauchen.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
große Koalition hat im Koalitionsvertrag klare Ziele für
die Finanzpolitik formuliert. Von Chaos kann hier keine
Rede sein. Wir sind zurzeit dabei, diese Ziele schrittweise zu erreichen. Es ist aber bei dem, was wir vorgefunden haben, nicht einfach, gleichzeitig das Ziel der
Förderung der wirtschaftlichen Wachstumskräfte - die
Wirtschaft läuft zurzeit nicht schlecht - und das Ziel der
nachhaltigen Sanierung der öffentlichen Finanzen zu erreichen. Bei der Sanierung der öffentlichen Finanzen
gibt es zwei Instrumente; wir müssen beide einsetzen.
Das eine Instrument ist der Abbau von Subventionen.
Herr Kollege Kuhn, was wir, die große Koalition, hier in
den ersten sechs Monaten unserer Regierungszeit schon
geschafft haben, kann sich sehen lassen. Wir haben bereits einen Subventionsabbau mit einem Volumen von
20 Milliarden Euro beschlossen. Wir werden das fortsetzen.
Ich stimme aber dem Minister zu: Der Subventionsabbau und die Reduzierung der Ausgaben allein reichen
nicht aus, um die Ziele, die wir uns im Koalitionsvertrag
gesetzt haben, im Jahr 2007 zu erreichen. Wir wollen
2007 gleichzeitig die Maastrichtkriterien erfüllen - das
ist nicht so schwierig; dafür reicht eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 30 Milliarden Euro aus - und die
Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes einhalten;
hier geht es um eine Größenordnung von nur circa
20 Milliarden Euro. Um dies zu erreichen, waren wir gezwungen, eine entscheidende Steuer zu erhöhen. Wir
von der Union sind schon im Wahlkampf für eine Mehrwertsteuererhöhung eingetreten. Jeder, der die geplante
Mehrwertsteuererhöhung ablehnt, den bitte ich, aufzuzeigen, wo wir sonst 21 Milliarden Euro hernehmen sollen, die wir benötigen, um einen verfassungskonformen
Haushalt vorzulegen. Ich sage sehr deutlich: Diejenigen,
die uns heute kritisieren, wären die Ersten, die eine Aktuelle Stunde beantragten und versuchten, uns hier vorzuführen, wenn wir die Maastrichtkriterien nicht erfüllten und die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes
nicht einhielten. Herr Kollege Kuhn, wenn wir die im
Koalitionsvertrag formulierten Ziele erreichen wollen,
dann brauchen wir - leider - die geplante Mehrwertsteuererhöhung.
({0})
Ich sage ganz offen: Natürlich ist die so genannte Reichensteuer für uns eine Kröte, die wir im Rahmen der
Koalitionsverhandlungen geschluckt haben. Nun stehen
wir dazu.
({1})
Herr Kuhn, Sie haben aber gesagt - das ist wahrscheinlich nicht von allen verstanden worden -, man könne generell den Spitzensteuersatz von 42 auf 45 Prozent erhöhen. Dieser gilt aber - im Gegensatz zur Reichensteuer schon für Einkommen ab 60 000 Euro. Das wäre eine
Steuererhöhung auf breiter Ebene. Das können wir uns
in Deutschland sicherlich nicht leisten.
({2})
Bei der Unternehmensteuerreform sind wir voll im
Plan. Heute hat der Minister zum wiederholten Mal erklärt, dass die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform
noch vor der Sommerpause veröffentlicht werden. Wir
werden wie beschlossen die erste Lesung Anfang kommenden Jahres durchführen. Wer glaubt, er könne diesen
Prozess um ein Jahr verkürzen, der weiß in der Tat nicht
um die komplizierten Sachverhalte. Wir müssen bei der
Unternehmensteuerreform viele einbinden. Umfangreiche Anhörverfahren sind notwendig. Per Schnellschuss
eine grundlegende Unternehmensteuerreform zu machen, das geht nicht. Ich will nicht zurückschauen, aber
die Schnellschüsse und die Fehler in der Steuerpolitik in
den letzten sieben Jahren - diese mussten anschließend
korrigiert werden - wird die große Koalition nicht machen.
Ich sage ganz klar: Wir sind dabei, die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele zu erreichen. Dass es in Einzelfragen innerhalb der Fraktionen und zwischen den
Fraktionen Unterschiede gibt, ist klar. Ich glaube, das
erste halbe Jahr hat gezeigt, dass die große Koalition
handlungsfähig ist. Wir werden das, was wir uns vorgenommen haben, in dieser Legislaturperiode verabschieden.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto
Solms, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Handlungsfähig ist die große Koalition mit
70 Prozent der Stimmen im Deutschen Bundestag. Das
ist gar keine Frage. Aber das, was die Menschen interessiert, ist, was Sie eigentlich machen. In der Steuer- und
Finanzpolitik herrscht ein reines Durcheinander.
({0})
Die Entscheidungen widersprechen sich. Wir bekommen
nahezu jeden Monat ein neues Steuererhöhungsgesetz.
Warum denken Sie nicht einmal an die betroffenen Steuerzahler? Sie denken immer nur an den Staat. Der Staat
geht aber von den Bürgern aus. Die Bürger müssen die
Steuern zahlen. Der zentrale Fehler Ihrer Steuerpolitik
ist, dass Sie eine Vergünstigung nach der anderen abschaffen oder einschränken, den dafür notwendigen Ausgleich in Form einer Senkung der Tarife aber nicht vornehmen.
({1})
Jede dieser Maßnahmen ist eine indirekte Steuererhöhung. Ihre Maßnahmen widersprechen sich auch noch.
Ich will einige Beispiele nennen. Jetzt wird mit großem
Getöse das Elterngeld eingeführt. Sie verschweigen den
betroffenen Familien aber, dass sie dieses doppelt und
dreifach bezahlen müssen. Wenn die Familien wüssten,
dass sie das Elterngeld selbst finanzieren müssen, dann
würden sie gerne darauf verzichten. Es wird nämlich das
Erziehungsgeld abgeschafft, der Bezug des Kindergeldes
wird um zwei Jahre reduziert und die Mehrwertsteuer
und die Versicherungsteuer werden angehoben, also
Steuern, die Familien besonders treffen. Die Belastungen betragen das Mehrfache der Summe, die Sie in Form
von Elterngeld wieder verteilen. Das ist doch keine ehrliche Politik.
Sie haben von Transparenz gesprochen. Nehmen Sie
die Subventionstatbestände, die Sie nicht abschaffen,
sondern nur verändern. Dadurch wird alles komplizierter. Die Bürger sind damit auf Steuerberater angewiesen.
In diesem Moment streichen Sie dem Bürger die Möglichkeit, Steuerberatungskosten abzusetzen. Das ist doch
eine Gemeinheit. Das ist eine richtige Schikane, die gegen die Bürger gerichtet ist.
({2})
Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Reichensteuer.
Was soll diese Reichensteuer bewirken? Sie geben selbst
zu, dass das Aufkommen aus dieser Steuer gering ist. Sie
hat nur eine symbolische Wirkung. Diese symbolische
Wirkung ist katastrophal. Ihre Agenten reisen durch die
ganze Welt und versuchen, Investoren nach Deutschland
zu holen. Diese lesen, dass sie, wenn sie hier investieren
und Erträge erzielen, mehr als alle anderen besteuert
werden. Was meinen Sie, wie schnell sie wieder die
Kurve kriegen und verschwunden sind? Dann kam noch
die verfassungsrechtliche Problematik hinzu. Ich gratuliere Ihnen, dass Sie jetzt immerhin erkannt haben, dass
Sie die Gewinneinkünfte und nicht nur die gewerblichen
Einkünfte von der Steuer ausnehmen müssen.
({3})
Das, was in Ihrem Entwurf fehlt, ist die Begründung,
warum Sie die unterschiedliche Besteuerung vornehmen
können.
({4})
Sie können das in unserem Gesetzentwurf nachlesen. Sie
können unsere Begründung übernehmen und brauchen
uns noch nicht einmal etwas für das Copyright zu zahlen.
({5})
In Sachen Ehrlichkeit will ich Ihnen, Herr Steinbrück,
Nachhilfeunterricht in Geschichte geben. Die alte christliche Koalition hatte 1997
({6})
- christlich-liberale Koalition, Entschuldigung, oder besser gesagt: bürgerliche Koalition - eine Steuerreform
durchgeführt, die im Deutschen Bundestag eine Mehrheit gefunden hat. Der Spitzensteuersatz lag nach diesem
Konzept bei 39 Prozent. Wir haben jetzt sieben bis acht
Jahre verloren. Wir hätten unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit steigern können, wenn die linke Mehrheit im Bundesrat unter dem Parteivorsitzenden
Lafontaine das damals nicht verhindert hätte.
({7})
Es ist unser Problem, dass wir diese Wettbewerbsfähigkeit gerade nicht haben. Deshalb müssen wir die Unternehmensteuerreform schnell durchführen. Wenn Sie
schon diese zahlreichen Steuererhöhungen durchführen,
dann müssen Sie zum Ausgleich wenigstens eine Perspektive für wirtschaftliche Investitionen bieten. Das
verschieben Sie nun um ein Jahr. Damit werden Sie den
Aufschwung nicht bekommen.
({8})
Die zahlreichen Steuererhöhungen bewirken eine
Kauf-kraftminderung in den drei Jahren, die vor uns liegen, von mindestens 120 Milliarden Euro netto. Wahrscheinlich ist die Summe noch höher. Sie können die
Gesetze der Ökonomie nicht wegdiskutieren. Die
120 Milliarden Euro werden im Wirtschaftskreislauf
fehlen. Deshalb sagen die Forschungsinstitute, dass das
Wachstum im nächsten Jahr um mindestens 1 Prozentpunkt sinken und die Inflationsrate um 1,5 Prozentpunkte ansteigen wird. Darauf muss die Europäische
Zentralbank natürlich reagieren. Wenn sie das tut, dann
werden die Zinsen angehoben und dann wird alles teurer; auch Sie müssen für den Schuldendienst mehr aufwenden.
Ich glaube, dass Sie einfach zu kurz springen. Um die
Löcher in der Staatskasse zu stopfen, müssen Sie alle
Kraft auf Arbeit und Beschäftigung lenken. Nur wenn es
gelingt, mehr Menschen in Arbeit und Brot zu bringen,
kommt es zu mehr Beitragszahlern, zu mehr Steuerzahlern und zu einer nachhaltigen Schließung der staatlichen Finanzierungslücken.
({9})
Wenn Ihnen das nicht gelingt, wenn Sie die Konjunktur durch Steuererhöhungen abwürgen, wenn es zu mehr
Arbeitslosigkeit kommt, dann nützt es Ihnen auch nichts,
wenn Sie die Defizite kurzfristig einigermaßen ausgleichen; denn die Löcher werden sich ganz schnell wieder
öffnen und Sie werden in Zukunft noch viel größere Finanzprobleme bekommen. Deswegen sage ich Ihnen:
Besinnen Sie sich! Als guter Volkswirt wissen Sie, dass
es darauf ankommt, die Basis der Finanzierung über
Wachstum und Beschäftigung zu verbessern. Alles andere ist ein Holzweg.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Florian Pronold, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Kuhn hat von Steuerchaos gesprochen. Ich erinnere
an die letzte Tat eines Regierungsmitglieds der Grünen
- es ging darum, hier endlich Steuerschlupflöcher zu
schließen, sowie um Windenergiefonds und andere Steuersparmodelle; das wird jetzt in § 15 b EStG neu geregelt; die große Koalition hat entsprechende AnkündigunFlorian Pronold
gen gemacht; noch die alte Regierung wollte dies
durchsetzen -: Es war Ihr Herr Trittin, der versucht hat,
das aus Lobbyismus ad absurdum zu führen. Sich so zu
verhalten, das führt zu Chaos und zu Verunsicherung.
Das, was Sie hier bieten, ist genau das, was Sie beklagen: Sie geben sich hier als Feuerwehrmann aus; in
Wirklichkeit aber sind Sie Brandstifter.
({0})
Genauso wie die FDP spielen Sie nämlich immer die
gleiche Melodie. Wenn man in der Opposition ist, dann
ist das nahe liegend. In den Beratungen hier sagen Sie
zum einen: Die Einnahmen sind zu gering; der Staat gibt
zu viel aus; wir müssen konsolidieren und das bringt die
Regierung nicht zustande. In einer darauf folgenden Debatte sagen Sie dann zum anderen: Es wird zwar konsolidiert, aber auch das ist ein falscher Weg.
Steuererhöhungen tragen natürlich zur Konsolidierung des Staatshaushaltes bei. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, den Staatshaushalt zu konsolidieren: Entweder
man kürzt die Ausgaben oder man mehrt die Einnahmen.
Für Mehreinnahmen kann man sowohl durch Wachstum
als auch durch höhere Steuern sorgen. Wachstum bedeutet meistens automatisch Steuermehreinnahmen.
Zur Frage der Ausgabenkürzungen. Ausgabenkürzungen müssen angesichts der Struktur des Bundeshaushalts
machbar sein. Sie müssen dann ehrlich sagen, ob man
bei der Rente kürzen will und wie sich das auf die Konjunktur auswirkt, ob man Investitionen zurückfahren
will und wie sich das wiederum auf die Konjunktur auswirkt. Immer nur eine Seite zu beleuchten, ist ein unehrliches Spiel, das Sie hier immer wieder zu spielen versuchen.
({1})
Die höchsten Steuererhöhungen, die es in Deutschland je gab, wurden vorgenommen, als die FDP an der
Regierung beteiligt war. Dennoch stellen Sie von der
FDP sich jetzt hier hin und erklären, wie man das alles
besser machen könnte.
({2})
Das ist nun wirklich ein lächerlicher Beitrag, wie er in
diesem Parlament schon in den letzten Jahren wiederholt
geleistet worden ist.
Wir erhöhen - nicht unbewusst - die Mehrwertsteuer
erst ab dem 1. Januar 2007; denn in 2006 tun wir alles
für mehr Wachstum und Beschäftigung. Wir haben ein
Investitionsprogramm aufgelegt. Richtig ist natürlich,
dass in der Wirtschaft nicht nur die harten ökonomischen
Fakten zählen, sondern auch sehr viele psychologische
Faktoren. Die Debatten, die Sie hier anzetteln, Ihr
Schlechtreden, Ihr Jammern - Sie sehen immer nur das
Negative -, genau das führt doch dazu, dass die Konjunktur ein Stück weit weniger in Gang kommt als nötig.
Wenn etwas dazu führt, die Konjunktur abzuwürgen,
dann ist es Ihr Gerede hier.
({3})
Als Strafe müssten eigentlich Ihnen die Steuern erhöht
werden. Vielleicht könnte man so das Defizit im Bundeshaushalt ausgleichen. Das ist wirklich die Grundfrage, die wir hier immer diskutieren.
Die Maastrichtkriterien sind im nächsten Jahr einzuhalten; darüber kann man doch nicht einfach hinweggehen. In dieser Konstellation, also in einer großen Koalition, gibt es natürlich unterschiedliche Vorstellungen
darüber, wie man das angehen kann. Wir, die SPD, haben eine eigene Meinung zur Reichensteuer und dazu,
wie und wann man sie erheben könnte. Genauso haben
wir eine eigene Meinung dazu, ob die Mehrwertsteuererhöhung das einzig selig Machende ist oder ob es nicht
auch andere Varianten gibt. Dazu gab es in der Union andere Vorstellungen und dann haben wir uns geeinigt. So
ist das halt.
Jetzt müssen wir daraus das Beste machen. Wir müssen darauf setzen, dass die Wachstumskräfte gestärkt
werden, und wir müssen darüber diskutieren, was wir
machen müssen, damit es wieder aufwärts geht. Wenn
Sie sich alle Indikatoren anschauen, die uns vorliegen,
dann stellen Sie fest, dass sich das Wachstum jetzt einstellt und wir uns somit auf dem richtigen Weg befinden.
Auf diesem Weg werden wir in 2007 eine Mehrwertsteuererhöhung haben, die konjunkturell dämpfend wirken
wird und die wir nur dann verkraften werden, wenn wir
jetzt Wachstum schaffen. Deswegen: Nicht schlechtreden, sondern die Dinge betonen, die jetzt wichtig sind,
damit es insgesamt funktionieren kann.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kuhn, ich kann Ihrer Einschätzung nicht zustimmen, dass das eine chaotische Steuerpolitik ist. Ich
denke, das, was wir erleben, ist zwar Verbalakrobatik
- es geht immer mit Getöse ein bisschen hin und her und
es wird immer wieder eine andere Sau durchs Dorf
getrieben -, aber inhaltlich ist das eine Fortsetzung der
Politik, die auch Sie betrieben haben, also eine Fortsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik - nichts anderes.
({0})
Die CDU/CSU hat es vor der Wahl ganz klar erklärt:
Es soll eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte geben, das heißt, eine zusätzliche Belastung für
diejenigen Menschen, die sowieso schon wenig Einkommen haben. Die SPD dagegen hat ihr Wahlversprechen
unmittelbar nach erfolgter Wahl gebrochen und hat auf
die 2 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung von Frau
Merkel noch 1 Prozentpunkt draufgepackt. Das ist wohl
wahr.
Wahr ist auch, dass sich der designierte zukünftige
Parteivorsitzende nun in seinen Worten etwas besinnt
und tatsächlich davon spricht, dass die Staatsquote vielleicht erhöht werden sollte und dass man vielleicht doch
einen starken Staat braucht. In der Realität sieht das
dann aber so aus, dass Herr Steinbrück zwar in einem
„Spiegel“-Interview erklärt, dass wir ein strukturelles
Einnahmeproblem haben; aber das Einzige, was ihm
dazu einfällt - davon bin ich enttäuscht -, ist die Mehrwertsteuererhöhung.
Die Mehrwertsteuererhöhung - da sind wir uns sicher
einig - wirkt nicht nur konjunkturdämpfend, sondern sie
wirkt konjunkturbehindernd. Sie wird in der Situation, in
der wir uns hier befinden, tatsächlich zu wirtschaftlichen
Einbrüchen führen. Aber das Problem ist doch nicht
- wie Sie im Koalitionsvertrag beschreiben -, dass wir
die Steuersätze so gestalten müssten, dass wir international wettbewerbsfähig sind. Deutschland ist Exportweltmeister - wer ist denn wettbewerbsfähig, wenn nicht
wir?
({1})
Unser Problem ist die Binnennachfrage. Gerade auf
die Binnennachfrage werden die 3 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung wirken. Für eine vierköpfige Familie wird das bedeuten, dass im nächsten Jahr mindestens
1 100 Euro an Mehrbelastung auf sie zukommt. Das bedeutet einen Entzug von Kaufkraft und eine weitere
Schwächung der Binnennachfrage. Das liegt einfach auf
der Hand, darum braucht man nicht weiter herumzureden. Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie nicht die Kraft
aufbringen, tatsächlich einmal darüber nachzudenken,
wie man die strukturellen Einnahmeprobleme, die es in
diesem Haushalt gibt, beseitigen kann. Dazu liegt viel
auf dem Tisch. Herr Steinbrück, wenn Sie unser Steuerkonzept noch nicht wahrgenommen haben - was ich
nicht ganz glaube -, sende ich es Ihnen gerne zu; Sie
können es dann in Ruhe lesen und sich damit auseinander setzen.
Natürlich haben wir Möglichkeiten. Wir haben die
Möglichkeit, die Erbschaftsbesteuerung neu zu gestalten. Wir hören hier seit Monaten, dass auf den Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts gewartet werde. Das
Bundesverfassungsgericht hat schon drei Urteile gesprochen, die hier immer noch nicht richtig umgesetzt worden sind. Wir haben die Möglichkeit der Vermögensbesteuerung. Wir haben die Möglichkeit, kurzfristig auch
einmal eine Vermögensabgabe zu überlegen.
({2})
Wir haben außerdem natürlich die Möglichkeit, die Einkommensteuer sozial gerecht zu gestalten, zum Beispiel
indem man das steuerfreie Existenzminimum weiter ausdehnt, aber auch den Spitzensteuersatz wieder anhebt.
Niemand schreibt uns vor, dass der bei 42 Prozent liegen
muss. Auch bei 53 Prozent ist die deutsche Wirtschaft
nicht kaputtgegangen
({3})
und sind die Menschen, die in dieser Bundesrepublik
Deutschland ein sehr hohes Einkommen haben, die Spitzenverdiener, nun weiß Gott nicht verarmt.
Sie hängen der neoliberalen Politik weiter an. Sie sind
beratungsresistent und nehmen die Wirklichkeit nicht
wahr.
({4})
Man muss es immer wieder betonen: Die Haushaltssituation, in der wir uns befinden, so schlecht sie ist, ist
nicht gott- oder naturgegeben; sie ist von der Politik gemacht. Das sollten sich alle die vor Augen führen, die in
den letzten 16 Jahren hier die politische Verantwortung
getragen haben.
Was hat Rot-Grün für Steuergeschenke an die Unternehmen ausgereicht! Immer wieder haben wir gehört:
Arbeitsplätze entstehen; es wird investiert werden.
Wurde investiert? Ja, zum Teil, aber nicht in Arbeitsplätze, sondern in Unternehmensübernahmen und Ähnliches. Viele Arbeitsplätze wurden sogar auf Kosten der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernichtet. Das ist
eine Politik, die mit uns nicht zu machen ist.
({5})
Schauen Sie einfach einmal ein bisschen in die Presse
- das kann man nicht oft genug raten -: Deutschland ist
ein Steuerparadies, im europaweiten Vergleich auf alle
Fälle.
({6})
Das kann man nachlesen. Schauen Sie auch einfach noch
einmal in den Jahreswirtschaftsbericht! Im Ergebnis
nehmen Sie selbst an, dass sich in diesem Jahr die Einkommenssituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur minimal verbessern wird, aber dass die Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen massiv
steigen werden, um über 7 Prozent, während bei den anderen Einkommen nicht einmal eine Zunahme um
1 Prozent erwartet wird.
({7})
Das ist eine Politik, die nicht zur Lösung der sozialen
Probleme führt, sondern im Gegenteil die soziale Schieflage hier in Deutschland verstärken wird und die Armut
erhöhen wird. Das ist eine neoliberale Politik, die mit
uns nicht zu machen ist. Deshalb lehnen wir das ab.
Ich danke Ihnen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Kühn - ({0})
- Sehen Sie: Das ist der freudsche Versprecher. Es ist
nämlich schon fast kühn, was Sie sich als Überschrift für
Ihre Aktuelle Stunde ausgedacht haben.
({1})
Im Grunde ist das ein Ladenhüter. Sie hätten sich mit der
Frage „Steuerchaos in der Regierung“ die letzten sieben
Jahre auseinander setzen müssen.
({2})
Wenn Sie jetzt mit schädlichen Folgen für Konjunktur
und Verbraucher argumentieren, ist das doppelt falsch.
Das Verbrauchervertrauen in Deutschland steigt das
erste Mal seit fünf Jahren wieder. Die Konjunktur verbessert sich erstmals seit fünf Jahren wieder. Sie liegen
nicht nur falsch vom Zeitpunkt her, sondern auch im inhaltlichen Teil Ihrer Überschrift. Sie hätten sich diese
Aktuelle Stunde besser gespart.
({3})
Man muss festhalten: Sie haben nach sieben Jahren
Ihrer Regierungsverantwortung nichts anders als einen
Scherbenhaufen hinterlassen: Nullwachstum, Rekordarbeitslosigkeit, Rekordverschuldung. Sie brauchen gar
nicht auf Ihren Koalitionspartner zu zeigen.
({4})
Sie waren mit dabei. Sie haben an dem Chaos in der
Steuerpolitik der alten Bundesregierung mitgewirkt und
in der Haushalts- und Finanzpolitik waren Sie schlicht
und einfach sprachlos.
({5})
Sie haben in den sieben Jahren Ihrer Regierungsbeteiligung nichts gegen die Verschuldung getan.
Vor diesem Hintergrund kann man sich schon einmal
die Zeit nehmen, um zu fragen: Was hat die grüne Bundestagsfraktion in den letzen sieben Jahren gefordert?
Sie waren in der Frage der Erhöhung der Erbschaftsteuer
dabei. Sie haben die Wiedereinführung der Vermögensteuer gefordert. Sie haben die Einführung der Einkommensteuer für Deutsche, die im Ausland leben, gefordert. Damit haben Sie mal wieder die „Bild“-ZeitungsSchlagzeilen beherrscht. Nicht zu vergessen: Im Juni
2005 erklärte die Kollegin Anja Hajduk: Die grüne Bundestagsfraktion hat ein eigenes haushalts- und finanzpolitisches Konzept mit Erhöhung der Mehrwertsteuer
beschlossen. Das alles waren Teile Ihrer Beiträge zur
Politik in Deutschland in den letzten sieben Jahren.
Sie haben den Zickzackkurs - heute rein in die Kartoffeln, morgen wieder raus - mitgemacht, der die alte
Bundesregierung letztlich den Wahlsieg gekostet hat. Im
Ergebnis waren Sie daran beteiligt, dass die Menschen in
Deutschland gegenüber der Politik noch nie so verunsichert waren wie in den letzten sieben Jahren. Es war Ihr
Beitrag, es war Ihre Schuld und daran tragen Sie noch
heute. Deshalb sollten Sie sich gut überlegen, welche
Aktuellen Stunden mit welchen Überschriften Sie fordern.
({6})
Im Gegensatz dazu können wir uns schon mit der Bilanz des ersten halben Jahres der großen Koalition auseinander setzen. Wir haben zügig, sachlich, zielgerichtet
und handwerklich sauber gearbeitet. Wir haben mit gezielten Impulsen und vertrauensbildenden Maßnahmen
neuen Schwung in den Wirtschaftsmotor Deutschland
gebracht.
Die wichtigsten Beispiele will ich Ihnen noch einmal
nennen: Noch im alten Jahr haben wir mit dem Gesetz
zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm gehandelt und nicht nur geredet. Wir haben mit dem Gesetz
zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung wesentliche Teile der Steuerschlupflöcher geschlossen, und
das bezeichnen Sie als „Chaos“. Parallel dazu haben wir
Anfang des Jahres mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung die Grundlagen für ein gutes Jahr 2006 geschaffen.
Auch in den anderen Bereichen sind wir auf der
Grundlage eines vernünftigen Koalitionsvertrages unterwegs: Das Steueränderungsgesetz 2007 ist im Entstehen
und wird Ihnen vorgestellt. Die dringend notwendige
Reform der Erbschaftsteuer für gewerbliche, betriebliche Einkünfte, das Stundungsmodell, ist im Entstehen
und wird zeitgerecht und ordentlich noch in diesem Jahr
vorgelegt, damit es zum 1. Januar 2007 in Kraft treten
kann. Auch die Unternehmensteuerreform ist in Arbeit.
Es steht dem Bundesfinanzminister durchaus gut an, mit
den beiden Modellen, die ihm die Wissenschaft auf den
Tisch gelegt hat, in Klausur zu gehen und dann mit der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion einerseits und der SPDBundestagsfraktion andererseits sowie mit seinem Haus
Eckpunkte für eine Unternehmensteuerreform zu entwickeln und vorzulegen. Das ist doch nicht Chaos, sondern
planvolles Vorgehen. Dass Sie davon nichts verstehen,
wundert uns nicht; das haben Sie schon die letzten sieben Jahre gezeigt.
({7})
Im Ergebnis zeigt sich ein deutlicher Stimmungsumschwung in Deutschland. Die große Koalition und die
von ihr getragene Bundesregierung können vorweisen:
Die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung werden immer besser; die Zuversicht bei Verbrauchern und
Unternehmen wächst und gedeiht; die Menschen gewinnen das Allerwichtigste zurück, nämlich Vertrauen in die
Politik.
In der Bilanz sind wir deutlich auseinander: Sie versuchen, rückwärts gewandte, chaotische Debatten zu
führen, wir arbeiten Punkt für Punkt unseren Koalitions2870
vertrag ab. Wir werden ja dann in drei Jahren die Wähler
fragen, wer ihrer Meinung nach erfolgreicher gearbeitet
hat.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn Sie schon von „rückwärts gewandt“ reden, Herr
Fahrenschon, dann muss man an dieser Stelle auch konstatieren, dass Sie eine rückwärts gewandte Rede gehalten haben. Sie leiden anscheinend an Gedächtnisverlust.
Man darf nicht vergessen, was Rot-Grün - da muss ich
die Roten einmal mit hineinnehmen; wir haben ja gemeinsam ein paar gute Dinge beschlossen -, vor allem in
steuerlicher Hinsicht im Bereich Subventionsabbau, eingebracht hat, während Sie damals diejenigen waren, die
das blockiert haben. Sonst hätten wir heute nicht die
Haushaltsprobleme, die wir in Deutschland insgesamt
haben. Das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen.
({0})
Wenn man hört, dass Herr Minister Steinbrück und
Herr Bernhardt sagen, das, was man im Koalitionsvertrag aufgeschrieben habe, werde jetzt sukzessive umgesetzt, dann muss man feststellen: Wenn schon ein Koalitionsvertrag an wichtigen Stellen so unkonkret, vage und
wirr formuliert ist wie Ihrer, kann man sicher auch nicht
erwarten, dass die Gesetzgebung besser ist. Genau so
schaut es im Moment auch aus.
({1})
Wenn sich dann Vertreter der SPD hier hinstellen und
sagen, sie täten das, was sie immer gesagt hätten, dann
schüttelt es mich, und zwar ziemlich heftig, Florian
Pronold.
({2})
Vonseiten der SPD wurde gesagt: keine Mehrwertsteuererhöhung. Die anderen haben gesagt: Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte; die Einnahmen sollen
komplett zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge
verwendet werden. Herausgekommen sind 3 Prozent,
die vorwiegend zur Sanierung des Haushalts eingesetzt
werden sollen.
({3})
Was hat denn das mit den Strukturveränderungen zu tun,
die man vorher angekündigt hat? Das ist doch eine reine
Abzocke.
Hinzu kommt, dass, vorwiegend über die bayerischen
Medien, wie die SPD in Bayern das durch Herrn Florian
Pronold gemacht hat, gestreut wird, dass die SPD die
Pendlerpauschale in ihrer Kürzung so nicht akzeptiere
und alles dafür tun werde, dass diese Kürzung - Herr
Steinbrück, Ihre SPD-Kollegen in Bayern sagen das - so
nicht kommen werde, dass es diese Gesetzgebung mit
der SPD nicht geben werde. Ich bin einmal gespannt,
wie das ausgeht. Aber wir wissen ja, wie schnell Sie umkippen und wie sich die Wahrheiten von heute und von
morgen unterscheiden.
({4})
Man muss sich das einmal vorstellen: All die Punkte,
die jetzt umgesetzt werden sollen, sind das genaue Gegenteil von dem, was Sie noch vor einigen Monaten geäußert haben. Man könnte also 100 gute Gründe nennen,
warum beispielsweise die Einrichtung eines Lügenausschusses Sinn machen würde. Aber das ist uns zu doof.
Wir setzen uns mit Ihnen lieber inhaltlich auseinander.
({5})
Es heißt immer, es sei alternativlos, was vonseiten der
Koalition gemacht wird, weil es keine besseren Möglichkeiten gibt. Aber es gibt Alternativen.
({6})
Sie sagen selbst, dass das, was Sie hier vorschlagen, zu
großen Teilen konjunkturschädlich und widersprüchlich
ist. Es wird bei denen abkassiert, die ihre gesamte Kaufkraft und auch ein gewisses Sparpotenzial brauchen, um
für das Alter vorzusorgen. Wir alle wollen doch, dass die
private Altersvorsorge gestärkt wird. Aber Sie wollen
den Sparerfreibetrag halbieren und treffen damit genau
die Menschen, die für das Alter vorsorgen.
({7})
Dies hat mit Logik nichts mehr zu tun und ist aufgrund
der verheerenden Wirkung ein Schuss nach hinten.
({8})
Außerdem wird gesagt, eine Mineralölsteuererhöhung
um 6 Cent sei unumgänglich.
({9})
Zu den Biokraftstoffen muss man ganz klar sagen, dass
es eine gute Entscheidung war, den Landwirten zu raten,
dass sie ihre eigenen Energiewirte werden, dass sie eine
dezentrale Versorgung aufbauen und ihre Märkte ausbauen. Von der dezentralen Versorgung profitiert die
Bundesrepublik Deutschland insgesamt, weil wir dadurch weg vom Öl kommen. Aber was machen Sie? Was
sich hier im Ansatz entwickelt, machen Sie auf einen
Schlag kaputt. Sie gefährden damit Arbeitsplätze und
nehmen uns die Zukunft, was die Versorgung mit regenerativen Energien angeht.
({10})
Das ist eine rückwärts gewandte Politik, die nichts mit
Zukunftsfähigkeit zu tun hat.
({11})
Wenn man sich die anderen Punkte anschaut, beispielsweise das Placebo Reichensteuer, dann muss man
sagen: Es werden nur Luftballons losgelassen; es handelt
sich um ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Alle reden über die Reichensteuer, aber niemand von Ihnen redet über die Kürzung der Pendlerpauschale und über die
Zumutungen für die Kleinsparer. Ihr Konzept ist völlig
inkonsistent.
({12})
Sie hoffen, dass über die Weltmeisterschaft diese Themen aus der Öffentlichkeit verschwinden. Sie wollen in
diesem Kontext die Gesetze zügig durchziehen. Sie
brauchen sich aber nicht zu wundern, dass die Konjunktur diese Politik von gestern nicht mitmacht.
Wir werden Ihre Politik nicht akzeptieren. Wir werden im Rahmen des Steuergesetzgebungsverfahrens unsere Vorschläge auf den Tisch legen. Sie sind wesentlich
besser als Ihre.
Danke.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz,
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin
Scheel, mit Blick auf die Weltmeisterschaft sollten wir
uns überlegen, für die Debatten im Bundestag ein Dopingverbot auszusprechen. Ich habe selten so etwas Aufgekratztes wie Ihren heutigen Beitrag erlebt, der zudem
noch neben der Sache lag.
({0})
Sie wissen, dass ich von Natur aus kein Charmebolzen
bin;
({1})
ich werde es auch nicht mehr werden. Deshalb will ich
sagen: Ihre Rede hat selbst mein Vorstellungsvermögen
einigermaßen gesprengt.
Dass es in einer Koalition aus zwei großen Volksparteien eine gewisse Diskussionsvielfalt bei steuerpolitischen Fragen gibt, ist an dem öffentlichen Echo unschwer zu erkennen. Aber diese Diskussion ist nicht zu
verwechseln mit der Stringenz des Handelns. Es gibt
klare Vereinbarungen: die Koalitionsvereinbarung als
Grundlage und die - ich will sie einmal so nennen Feinschliffvereinbarung vom 1. Mai, in der bestimmte
Punkte festgezurrt und präzisiert wurden. Wir haben uns
innerhalb der Koalition immer sehr schnell in den wesentlichen Fragen bezüglich der Finanz- und Steuerpolitik verständigt. Dies gilt von Anfang an bis jetzt und
auch für die anstehenden Aufgaben.
Es tut immer weh, Subventionen abzubauen. Man
kann jeden, der durch unsere Maßnahmen betroffen ist,
auf populistische Weise aufstacheln. Das ist völlig in
Ordnung und das können Sie gerne machen. Denn das ist
Ihre Aufgabe als Opposition. Aber unsere Politik hat
nichts mit Chaos, sondern mit Klarheit zu tun. Wir haben
ehrlich gesagt, dass wir drei Notwendigkeiten sehen:
Wir müssen auf Wachstum setzen. Wir müssen die Subventionen deutlich reduzieren; alle müssen auf den Prüfstand. Nur die Subventionen, die unbedingt erforderlich
sind, bleiben erhalten. Wir müssen gleichzeitig angesichts der niedrigen Steuerquote, die Deutschland im internationalen Vergleich hat, die Steuerbasis stabilisieren,
indem wir sowohl die bestehenden Steuersätze anwenden als auch über eine Mehrwertsteuererhöhung weitere
Einnahmen erzielen.
All das, was wir tun, was im Gesetzgebungsgang ist
und durch den Finanzminister angekündigt worden ist,
ist durch die Koalitionsvereinbarung gedeckt. Da sehe
ich kein Chaos und keine Verwirrung, sondern eine klare
Linie und Stringenz. Mit dieser muss man nicht einverstanden sein; aber an der Klarheit ist nicht zu zweifeln.
Um ein Beispiel von Ihnen, Herr Solms, aufzugreifen:
Sie haben gesagt, das Elterngeld finanzierten die Betroffenen selbst. - Herr Solms, dürfte ich, wenn ich Sie
schon netterweise anspreche, Ihnen zumuten, dass Sie
mir zumindest Ihr Gesicht und nicht Ihren netten Hinterkopf zuwenden?
({2})
- Das weiß ich. Das bestreite ich nicht, auch wenn man
es von außen nicht sieht. Ich habe es ja oft genug erfahren.
Sie haben eben angesprochen, dass die vom Elterngeld Begünstigten dieses selber finanzieren. Das war ein
populistischer Klimmzug, wie Sie ihn gerne machen.
Wir setzen klare Schwerpunkte, in diesem Falle auf die
Familienpolitik. Wir wollen, dass sich auch gut verdienende Paare, bei denen Frauen einen Beruf ausüben,
ohne Einbußen in ihrer finanziellen Existenz für ein
Kind entscheiden können. Das ist ein gesellschaftspolitischer Schwerpunkt, den die Gemeinschaft aller mitzufinanzieren hat. Weil es eine gesellschaftliche Aufgabe
Reinhard Schultz ({3})
ist, müssen sie alle mitfinanzieren und nicht etwa nur die
betroffene Frau oder der betroffene Mann, die Nutznießer des Elterngeldes sind. Insofern ist die Aussage, sie
finanzierten es selber, richtig und falsch zugleich; das
macht gerade den Populismus aus. Gesellschaftliche
Schwerpunktaufgaben müssen von allen finanziert werden und nicht nur von einigen wenigen. Das gilt für die
Familienpolitik genauso wie für viele andere wichtige
Bereiche.
Es ist geradezu witzig, wenn Sie, Herr Solms, aber
auch Frau Scheel sagen, die Reichensteuer bringe nichts.
Sie sei ein reines Placebo.
({4})
Über ein Placebo bräuchte man sich doch gar nicht aufzuregen. Ich bin ganz froh darüber, dass nach Angaben
des Finanzministeriums das Aufkommen aus dieser
Steuer auf etwa 1,3 Milliarden Euro anwachsen wird.
Das ist mehr als ein Furz auf der Gardinenstange, wenn
ich diesen unparlamentarischen Ausdruck einmal verwenden darf. 1,3 Milliarden Euro sind eine echte Hausnummer; das sollte man schon sagen. Insofern sollte
man jenseits der Frage der Gerechtigkeit und der Belastung breiterer Schultern mit etwas höheren Steuern die
Bedeutung dieser Steuer für den Haushalt nicht übersehen.
Eine große Rolle spielt auch die Frage der Biokraftstoffe. Vor dem Brandenburger Tor hat ja heute eine
Demonstration zu diesem Thema stattgefunden. Ich sage
ohne Häme: Es war eine gewaltige Demonstration mit
gut 100 Leuten. Ungefähr genauso viele Dienstwagen
von Bioverbandsfunktionären waren zu sehen. Diesen
haben einige wenige interessierte Politiker, aber auch
Verbandspolitiker und Leute, die beides sind, zugehört.
Das war eine schöne, machtvolle und nach vorne tragende Veranstaltung, die auch gut in einem größeren
Wohnzimmer hätte stattfinden können.
Warum war sie nicht ganz so machtvoll? Weil ein großer Teil derer, die auf Biokraftstoffe setzen, über die
Linie der Bundesregierung und der Koalition sehr froh
sind, dass es einen breiten industriellen Weg mit einer
steigenden Quote des Kraftstoffersatzes sowohl für Ottomotoren als auch für Dieselmotoren geben wird, an dem
viele partizipieren können, und dies eine industrielle
Strategie ist und keine, die es erlaubt, irgendwo im
Lande, zum Beispiel an einer Apotheke, zu tanken, wie
es noch der alte Benz gemacht hat. Insofern ist ein großer Teil der Szene sehr zufrieden,
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
- außer vielleicht die eine oder andere wirtschaftliche
Existenz, die ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten nur
der Tatsache verdankt, dass sie von Windfall-Profits
über Steuersubventionen profitieren konnte.
Herr Kollege, jetzt muss ich uncharmant werden. Sie
müssen jetzt nämlich zum Ende kommen.
In Ordnung. Der letzte halbe Satz. - Wir wollen weg
von steuergeförderten Tatbeständen und hin entweder
zur direkten Förderung oder über das Ordnungsrecht dahin, dass -
Herr Kollege, das waren drei halbe Sätze.
Danke.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Schindler,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Einen schönen Tag Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste droben auf den Zuschauerrängen! Reinhard Schultz, es wäre
vielleicht gut gewesen, wenn auch wir bei der Biodemonstration am Brandenburger Tor dabei gewesen wären. Denn es wurden einige berechtigte Sorgen vorgetragen. Aber das ist heute nicht das große Thema.
Großes Thema ist, was die Grünen jetzt versuchen.
Sie behaupten, es gebe ein totales Durcheinander.
({0})
- Wenn dies so wäre, liebe Christine Scheel, dann wäre
die Zustimmung zu den Grundaussagen zu unserer Regierungsarbeit im Koalitionsvertrag nicht so groß, wie
die Landtagswahlergebnisse in den letzten Monaten bestätigt haben.
Meine Damen und Herren, ich will nicht vorrechnen,
was die Kollegin Scheel in den vergangenen Perioden
manchmal vor dem Finanzausschuss verkündet hat und
wie sie sich dann im Finanzausschuss bei Abstimmungen verhalten hat. Es war viel Populismus dabei.
({1})
- Wenn du willst, kannst du eine Zwischenfrage stellen.
Dann habe ich längere Redezeit.
({2})
Herr Kollege, das geht nicht. Wir haben eine Aktuelle
Stunde.
Sie darf nicht wollen. Es ist in Ordnung.
Schauen wir in den Koalitionsvertrag, die Richtschnur unserer Zusammenarbeit! Dass die Union bei dieser Bundestagswahl nur 35,x Prozent erreicht hat, lag
daran, dass wir - jetzt rede ich als Unionsmann - zu ehrlich und zu offen in den Wahlkampf gegangen sind. Wir
haben verkündet: Wenn wir drankommen, gibt es Belastungen und keine Freudentänze. Wir müssen uns anschicken, dieses Deutschland wieder nach vorne zu entwickeln.
({0})
Ich könnte locker sagen: Man kann zur Musik nur mit
den Mädels tanzen, die da sind.
({1})
Die Regierungsfähigkeit ist eben mit den Sozialdemokraten gegeben.
Jetzt komme ich - wieder im Ernst - auf den Steuerzuschlag für Vermögende und gut Verdienende. Ich will
nur in Erinnerung rufen, wie sehr die Steuersätze unter
Rot-Grün gesenkt wurden. Das kann nicht das Leitthema
in der jetzigen Auseinandersetzung sein. Die Solidarität
aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gilt für die gut
Verdienenden genauso wie für die Klientel von Herrn
Müntefering, der in seinem Etat über 5 Milliarden Euro
einzusparen hat. Alle Schichten der Bevölkerung sind
dabei.
Noch einmal zu dem Durcheinander, das da angesprochen wurde.
({2})
Wir als Union haben die Eigenheimzulage geopfert.
({3})
- Das war ein großes Opfer, Herr Kuhn. - Diese ersten
Gesetze haben wir im Dezember schnell auf die Reihe
gebracht. Sie treffen draußen auf Zustimmung. Das gilt
auch für die Erhöhung der Mehrwertsteuer: ein Prozentpunkt in die soziale Schiene, die anderen in den Staatshaushalt. Das ist doch ein ehrlicher Umgang mit allen
draußen, die es betrifft.
Das strukturelle Defizit beträgt 40 Milliarden Euro.
20 Milliarden Euro decken wir durch Steuererhöhung.
Sie ist unangenehm und unpopulär, aber wir kündigen
sie lange genug vorher an. Wir haben uns wirtschaftspolitisch und staatspolitisch ausgesprochen klug verhalten;
jeder kann sich darauf einstellen.
Ich rede jetzt gar nicht vom europäischen Vergleich
bei der Mehrwertsteuer. Alle kennen die Zahlen:
25 Prozent; ich will die Staaten gar nicht aufführen.
Deutschland stand an der drittletzten Stelle. Der europäische Vergleich ist nicht der Grund für die Erhöhung.
Aber ein strukturelles Defizit von 40 Milliarden Euro
muss gedeckt werden: 20 Milliarden Euro durch Steuererhöhungen, die anderen 20 Milliarden Euro durch den
Abbau von Steuererleichterungen. Herr Kuhn und Herr
Solms, da waren wir auch in der Vergangenheit unterwegs. Jetzt haben wir die Kombination gewählt, und
auch das ist Ihnen nicht recht. Wie soll man es denn noch
besser machen? Wir kündigen so etwas vorab an und
machen keine Über-Nacht-Geschichte. Das gilt auch für
die Unternehmensteuerreform, für die Erbschaftsteuerregelung in Bezug auf den Mittelstand und nach dem
Karlsruher Urteil auch für die große Erbschaftsteuerreform.
Für die Unternehmensteuerreform nehmen wir uns
Zeit. Das haben wir als Union uns geschworen: nicht
schnell und schlampig, sondern langsam und solide und
mit guten Beratungen. Die beiden Koalitionsparteien
kommen von unterschiedlichen Standpunkten. Ich mache jetzt keine basisdemokratischen Streitgespräche, wie
Sie, Herr Kuhn, sie auf Ihren Parteitagen pflegen. Damit
seid ihr ja auch immer gut unterwegs. Wir machen streitige Standpunkte in der Sache deutlich. Und Sie werden
überrascht sein, wie gut es trotzdem in den nächsten drei
Jahren noch laufen wird. Da wird sich mancher wundern.
({4})
Diese Koalition ist angetreten, Deutschland wieder zu
Erfolg zu führen, wenn auch unter Federführung von
Bundeskanzlerin Angela Merkel. Damit müssen auch
Sie jetzt leben, nicht nur Männer in der Union, sondern
im ganzen Staat. Es läuft doch prima! Lassen Sie es uns
geschickt angehen. Wir lassen uns von Ihnen nicht in
eine Hektik hineintreiben, auch wenn Sie das mit dieser
Aktuellen Stunde beabsichtigen. Auf dieses Glatteis gehen wir nicht.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat Christian Lange, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Verehrte Kollegen von den Grünen, ich kann Sie
durchaus verstehen. Eingeklemmt zwischen der FDP mit
ihren neoliberalen Konzepten auf der einen und der PDS
auf der anderen Seite, ist es nicht ganz einfach, sich als
Oppositionsfraktion zu profilieren. Das sehe ich durchaus ein.
Sie haben sich heute offensichtlich auf die Schlagworte „Steuerchaos“ und „Attacke“ eingeschworen. Ich
Christian Lange ({0})
sage Ihnen aber: Das, was die Wirtschaft braucht, sind
Verlässlichkeit und Ruhe. Herr Bundesfinanzminister,
ich bin Ihnen deshalb dankbar dafür, dass Sie den
Lockungen der Opposition, en passant eine Unternehmensteuerreform hinzulegen, womöglich noch in der
Aktuellen Stunde, nicht gefolgt sind,
({1})
sondern gesagt haben, dass Sie sich in Ihrem Ministerium damit beschäftigen und dieses Hohe Haus zu gegebener Zeit darüber beraten wird. Dieses Vorgehen ist in
der Tat eine Voraussetzung dafür, dass wir die Wirtschaft
in Deutschland durch ein ständiges Hin und Her nicht zu
stark belasten.
An die Adresse der Koalitionsfraktionen sage ich aber
auch: Das Schlechtreden muss aufhören. Es hat mittlerweile aufgehört. Das ist ein Effekt der großen Koalition.
Auch das ist ein positiver Beitrag; denn wir wissen - der
Spruch stammt von Erhard; aber es ist trotzdem
richtig -, dass Psychologie ein ganz wichtiger Gesichtspunkt ist, wenn es darum geht, die Wirtschaft voranzubringen.
({2})
Zur Mehrwertsteuer. Es besteht kein Zweifel daran,
dass ich als jemand, der sich um kleine und mittlere Unternehmen bemüht, nicht als Fan einer Mehrwertsteuererhöhung auftreten kann. Bis jetzt hat aber noch niemand eine Alternative, noch nicht einmal in Ansätzen,
vorgelegt. Wir sollten bedenken, warum wir die Mehrwertsteuer eigentlich erhöhen. Ein Aspekt ist mehrfach
erwähnt worden: das Defizitkriterium. Dem stimme ich
zu. Aus meiner Sicht gehört aber auch die Umstellung
des sozialen Sicherungssystems von einem abgabenfinanzierten auf ein steuerfinanziertes System dazu. Diesen Ansatz halte ich für richtig. Das sollten wir an dieser
Stelle deutlich sagen.
Ich bitte auch darum, differenziert auf das vermeintliche Schreckgespenst Mehrwertsteuererhöhung zu
schauen. Auf die kleinen und mittleren Handwerksunternehmen komme ich gleich noch zu sprechen. Die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute
zur Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Frühjahr 2006 zeigt auf, dass es neben der
Mehrwertsteuer, die - darüber sind wir uns einig - in der
Tat dämpfend wirkt, andere Faktoren gibt, deren konjunkturelle Bedeutung zumindest von den Instituten als
wesentlich größer erachtet wird.
({3})
Ich will an dieser Stelle klar sagen, was das heißt: Es
gibt Risiken. Sie sind - so steht es in dem Bericht - in
der weltwirtschaftlichen Konjunktur begründet.
So würde ein erneuter Preisschub beim Erdöl, ausgelöst durch eine befürchtete Angebotsverknappung, die Konjunktur dämpfen. Kontraktive Effekte
wären auch dann zu erwarten, wenn sich eine abrupte Korrektur an den Immobilienmärkten in den
wichtigen Ländern vollzöge.
Neben dem dämpfenden Effekt der Mehrwertsteuer
gibt es bezogen auf die Auswirkung auf die konjunkturelle Entwicklung sehr wohl andere Faktoren, deren
Bedeutung zumindest von den Auguren unserer Wirtschaftsinstitute als wesentlich bedeutsamer angesehen
wird.
({4})
Auch das gehört zu einer seriösen Debatte - Herr Kuhn,
Sie sind in der Lage, eine solche zu führen; zumindest
habe ich das in der Vergangenheit erlebt -, nicht nur Attacke und Krawall.
({5})
Jetzt möchte ich auf ein Argument eingehen, das
ebenfalls von Ihrer Seite vorgebracht wurde, nämlich
den Placeboeffekt. Da wundere ich mich; denn die Wirtschaftsverbände, die die kleinen und mittleren Unternehmen im Blick haben, bewerten die Reichensteuer keinesfalls als Placebo. Ich teile diese Auffassung nicht. Der
Maßstab für die Reichensteuer liegt bei einer Größenordnung von 250 000 Euro bei Alleinverdienern und
500 000 Euro bei Doppelverdienern. Ich wünsche den
Verbänden, die sich um Handwerks- und Mittelstandbetriebe kümmern, dass die Personenunternehmen, die zu
ihren Mitgliedesverbänden gehören, diese Gewinne einfahren. Wir wissen doch, dass der Gewinn dieser Unternehmen vor Steuern im Durchschnitt bei 50 000 bis
100 000 Euro liegt. Das heißt, sie sind meilenweit vom
Spitzensteuersatz und Lichtjahre von der Reichensteuer
entfernt. Deshalb ist es unseriös, auf der einen Seite den
Placeboeffekt anzuführen und auf der anderen Seite mit
den Verbänden zu heulen. Das passt nicht zusammen.
Das ist keine logische Kritik.
Ich bitte Sie von den Grünen einfach, zu einer konstruktiven Auseinandersetzung zurückzukehren und das
Thema Mehrwertsteuer nicht auf den Wahlkampf zu reduzieren, sondern die Effekte anzuschauen, die durchaus
problematisch sind, sie zu gewichten im Zusammenhang
mit weiteren Komponenten, die eine Rolle spielen: weltwirtschaftliche Auseinandersetzungen, Erdölpreise und
Immobilienpreise. Keiner weiß, wie sich das im Jahr
2007 auswirken wird. Ich bitte Sie auch, beim Thema
Reichensteuer zumindest die Gewinnsituation der Betriebe des Mittelstandes, um die wir uns alle in hundert
Reden zu Recht Sorgen machen, ins richtige Licht zu rücken. Denn die sind von der Reichensteuer - leider niemals betroffen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als einer der Redner, die am Schluss dieser Aktuellen Stunde
sprechen, muss ich wirklich fragen: Worin lag der Nährwert der Aktuellen Stunde, Herr Kuhn und Vertreter der
Grünen?
({0})
Denn wir haben die Ausführungen vonseiten der Koalitionsfraktionen gehört, die Sie kritisieren, aber keine Alternativen dazu, wie man es besser machen kann. Da
zieht auch die Ausrede nicht, dass das in einer Aktuellen
Stunde mit Fünfminutenbeiträgen nicht zu leisten sei.
Wenn man sich darauf konzentriert und entscheidende
Punkte angegeben hätte, wäre das durchaus möglich gewesen. Von daher hat Kollege Schindler Recht, wenn er
sagt, dass wir uns durch dieses Getöse von der sachbezogenen Arbeit und der kontinuierlichen Umsetzung des
Koalitionsvertrages, den wir gemeinsam beschlossen haben und Schritt für Schritt zeitnah umsetzen werden,
nicht abbringen lassen.
Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung einen
Dreiklang aus Sanieren, Investieren und Reformieren.
Wir befinden uns jetzt in Teilbereichen der Finanzpolitik
und Finanzwirtschaft bei der Sanierung und auch in Elementen des Investierens und des Reformierens.
Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen, was diese
Koalition in diesen drei Bereichen schon auf den Weg
gebracht hat. Sie kennen das Koch/Steinbrück-Papier
({1})
mit dem so genannten Subventionsbericht. Wir haben
das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im
Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen am Ende
des letzten Jahres auf den Weg gebracht. Denken Sie an
das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen! Zurzeit läuft die Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes. Heute sind uns die Eckpunkte zum Steueränderungsgesetz 2007 mitgeteilt worden. Darin sind
auch Elemente enthalten, über die wir schon seit Jahren
diskutieren und die im Grunde Steuersubventionstatbestände darstellen. Jetzt werden diese Elemente reformiert und anders gestaltet,
({2})
angefangen, Kollege Thiele, bei der Fahrtkostenpauschale bis hin zu anderen Bereichen. Das wird Schritt für
Schritt umgesetzt.
Kollege Solms, bezüglich der Gewinneinkünfte haben
Sie den Zuschlag zur Einkommensteuer angesprochen.
Innerhalb der Koalition ist die Union der Auffassung,
dass man das weiterhin Zuschlag zur Einkommensteuer
nennen sollte. Wenn der Koalitionspartner es zur Beruhigung der eigenen Kulisse Reichensteuer nennt, ist das
seine Sache. Das werden wir aushalten. Aber man muss
zugestehen, dass es nicht gerade ein gutes Entree für
ausländische Investoren ist, wenn man das mit solchen
Begriffen belegt.
Zu Zeiten Waigels hatten wir, Kollege Solms - da
waren Sie mit in der Koalition -, für einen bestimmten
Zeitraum auch die Präferierung und Privilegierung gewerblicher Einkünfte. Das ist damals nicht verfassungsrechtlich gescheitert. Wenn jetzt aber verfassungsrechtliche Bedenken entstehen, ist das legitim. Man kann es
nicht als Chaos bezeichnen, wenn darüber inhaltlich diskutiert wird und man sagt: Wir vereinbaren gemeinsam,
zumindest die Gewinneinkünfte vom Zuschlag der
3 Prozentpunkte auszunehmen. Das ist doch kein Chaos,
sondern sachlich bezogene Arbeit. Es ist das, was wir
gemeinsam vereinbart haben und was wir zeitnah umsetzen.
Genauso werden wir die Punkte, die noch zu REITs
und im Bereich der Unternehmensteuerreform anstehen
- auch das wurde heute angekündigt -, behandeln. Die
Bundesregierung wird noch vor der Sommerpause und
mit Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes die
Eckpunkte der Unternehmensteuerreform vorlegen. Daraus kann ich nicht den Schluss ziehen, dass wir in einem Dreivierteljahr die entscheidenden Punkte, die
Wachstum generieren sollen, nicht wirklich zeitnah auf
den Weg gebracht haben.
Auch Sie sollten sich vor Augen führen - Sie kennen
das ja -, dass es in einer Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt, über die man diskutieren und dann zu
einem Ergebnis kommen muss. Im Gegensatz zu Ihnen
ist die Union als der etwas größere Koalitionspartner immer bei ihren Positionen geblieben. Natürlich mussten
auch wir Kompromisse eingehen. Aber, Frau Kollegin
Scheel, wenn ich mich daran erinnere, was Sie in der damaligen Koalition alles angekündigt haben, und wenn
ich mir vergegenwärtige, wie Sie später nur aus Gründen
des Machterhalts eingeknickt sind,
({3})
kann ich diesen Vorwurf, der von Ihrer Seite an meine
Fraktion und an die jetzige Koalition gerichtet wird,
nicht gelten lassen.
Wir sollten gemeinsam und sachbezogen weiterarbeiten. Sie sind herzlich eingeladen, in diesem Rahmen Ihren Beitrag zu leisten.
Vielen Dank.
({4})
Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Fritz, ich glaube, heute haben die
Grünen ihr Ziel verfehlt. Ich habe mitgeschrieben, wie
oft im Zusammenhang mit dem Antrag der Grünen das
Wort Chaos erwähnt wurde. Das war weniger als zehnmal der Fall. Das ist eigentlich ein schwacher Reflex auf
einen so großen Antrag.
({0})
In der Vergangenheit wurden solche Anträge normalerweise gestellt, um diesen Begriff möglichst oft mit dem
politischen Gegner und seiner schlechten Politik zu verknüpfen.
({1})
In einem ähnlichen Zusammenhang habe ich einmal
als Antwort auf die Ausführungen von Steffen Kampeter
eine Rede gehalten. Vielleicht erinnert sich der eine oder
andere, dass damals genau das sein Reflex auf die Politik
der Regierung war. Damals machte Fritz Kuhn Zwischenrufe wie „Steuererhöhungen blockieren die Länder!“ oder „Scheinheilig!“; das sollten wir noch einmal
genauer untersuchen. Christine Scheel hat sogar einen
„Lügenausschuss“ erwähnt, der möglicherweise eingesetzt werden sollte. Sie sprach von einem „Ablenkungsmanöver“
({2})
und hat dafür sogar die Fußballweltmeisterschaft in Anspruch genommen.
({3})
Daran kann man die Diktion dieses Antrags erkennen.
Dann versteht man auch, warum ich meine, dass er verfehlt ist.
({4})
Auch der Kollege Solms hat etwas Interessantes gesagt
({5})
- das stimmt -: Beim Elterngeld würden wir verschweigen, dass die Bürger - ich zitiere ihn wörtlich - „das
selbst bezahlen“. Ich frage Sie: Wie können wir das verschweigen? Es gibt in diesem Staat nichts, was nicht die
Bürger bezahlen. Selbst wir werden von den Bürgern bezahlt.
({6})
Alles, was in diesem Staat passiert, bezahlen letztendlich
die Bürger. Wenn man das nicht zur Kenntnis nimmt, ist
es natürlich leicht, zu sagen, dass etwas verschwiegen
wird.
Sie haben noch einen Aspekt angesprochen, der nur
sehr schwer nachzuvollziehen war. Sie sagten - ich zitiere wieder wörtlich -: „Diese 120 Milliarden Euro fehlen im Wirtschaftskreislauf.“ Ich frage mich: Wie kann
in einem Wirtschaftskreislauf überhaupt etwas fehlen?
Welche Einnahmen auch immer der Staat macht, kaum
jemand gibt Geld schneller wieder aus als der Staat.
({7})
Insofern ist er ein Element dieses Kreislaufs. Der Quelle
auf der einen Seite entspricht die Senke auf der anderen
Seite und umgekehrt. Sie merken: Wenn wir einen Kreislauf zugrunde legen, kann - ich gebe Ihnen Recht: Ausnahmen bilden das Sparen und die Auslandsbezüge nichts verloren gehen.
({8})
Deshalb sollten Sie sich über den Wirtschaftskreislauf
noch einmal Gedanken machen.
Jetzt komme ich auf den Zuruf von Fritz Kuhn
- „Denk an deinen Wahlkampf!“ - zu sprechen. Daran
denke ich auch. Bei meinen Wahlkampfveranstaltungen
habe ich nämlich gesagt: Da wir eine Nachfrageschwäche haben, dürfen wir die Mehrwertsteuer nicht erhöhen.
({9})
- Das habe ich nicht getan. Ich habe das, was ich gerade
erwähnt habe, gesagt. So genau möchte ich schon sein.
({10})
- Nein, diese Faltblätter habe ich in meinem Wahlkreis
nicht verteilt. Das wird auch Fritz Kuhn bestätigen können. Ihr müsst die Dinge schon korrekt zuordnen.
Selbstverständlich haben wir über andere Einnahmequellen nachgedacht; denn jedem ist bekannt, wie wir
auf europäischer Ebene platziert sind und dass wir unsere Einnahmesituation verbessern müssen. In diesem
Zusammenhang haben wir insbesondere an eine Erhöhung der Einkommensteuer und an die Beseitigung von
Steuerschlupflöchern gedacht. Dazu stehen wir. Allerdings war hier kein Kompromiss zu erzielen. Deshalb ist
es mir wichtig, zu prüfen, ob die Aussage von Fritz
Kuhn - dass wir die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung angesichts der Haushaltssituation gar nicht benötigen - überhaupt stimmt. Fritz, wenn du das so sagst,
dann hast du eine jahresbezogene, vielleicht sogar stichtagsbezogene Betrachtung von Wirtschaftspolitik und
vergisst die strukturellen Defizite, die aus Fehlentscheidungen in der Vergangenheit resultieren und unseren
Haushalt auf viele Jahre voraus bestimmen. Wer das
strukturelle Defizit in unserem Haushalt maastrichtkonform gestalten will, muss sich - zum Beispiel über die
Mehrwertsteuer oder über andere Systeme; die könnt ihr
dann vorschlagen - kontinuierliche Einnahmen sichern.
Lothar Binding ({11})
Deshalb glaube ich, dass wir bei einer Steuerquote von
20 Prozent in diesem Staat
({12})
um eine Steuererhöhung dieser Art nicht herumkommen.
Die Frage ist aber immer, was man mit den Steuereinnahmen macht. Wir legen ein Konjunkturprogramm auf,
das der Wirtschaft helfen soll.
Wo wir gerade über die Nachfrageschwäche diskutieren: 80 Milliarden Euro von 190 Milliarden Euro fließen
in den Rententopf; wir wissen, dass die Rentner einen
wichtigen Teil der Nachfrageseite ausmachen. 40 Milliarden Euro fließen als Transferleistungen im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit und Arbeit in den Markt.
Natürlich haben die Menschen, denen wir Transferleistungen wie das Arbeitslosengeld II geben, ein Nachfragepotenzial. Noch etwas ganz Wichtiges: Wir haben die
Gemeindefinanzen gestärkt, was bedeutet, dass vor Ort,
unmittelbar bei den Bürgern, etwas ankommt. Ich glaube,
das ist essenziell.
Ein Wort zur Reichensteuer:
({13})
Die Reichensteuer ist eine Ergänzung all dessen. Man
kann sagen, das Aufkommen ist marginal: im ersten Jahr
nur ungefähr 130 Millionen Euro, im zweiten Jahr nur
etwa 800 Millionen Euro. Wer das aber ins Verhältnis
setzt dazu, wie hoch die veranlagte Einkommensteuer
nach Erstattungen ist, nämlich ungefähr 9 Milliarden
Euro, der merkt, dass wir in diesem Sektor eine - wenn
ich etwas aufrunden darf - 10-prozentige Anhebung haben. Insofern ist die Reichensteuer eben nicht marginal.
Außerdem ist es wichtig, dass die Botschaft ankommt:
Die starken Schultern sollen mehr tragen.
Diese Maßnahmen sind ein guter Anfang, den wir ergänzen - ich will ein konkretes Beispiel nennen - durch
die Abschaffung der Möglichkeit, Filmfonds zur Steuerersparnis zu nutzen. Wenn wir auf diesem Weg weitergehen, können wir die Staatsfinanzen konsolidieren. Mit
„Sanieren, investieren, reformieren“ sind wir auf einem
guten Weg.
({14})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. Mai 2006,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche allen in diesem Hohen Hause - den Kolleginnen und Kollegen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren Besuchern auf der Tribüne einen schönen Mittwochabend.
Die Sitzung ist geschlossen.