Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich, wünsche uns einen guten Tag, kluge Entschei-
dungen und danach die verdiente parlamentarische Os-
terpause.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten
Nationen im Sudan ({1}) auf Grundlage
der Resolution 1663 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2006
- Drucksachen 16/1052, 16/1148 Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer ({3})
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Dr. Uschi Eid
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1177 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Alexander Bonde
Wir werden über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
für die Bundesregierung der Staatsminister Gernot Erler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
24. März hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
die Verlängerung der Mission der Vereinten Nationen im
Sudan, abgekürzt UNMIS, bis zum 24. September, also
um ein halbes Jahr, beschlossen. Bereits am 22. März hat
das Bundeskabinett beschlossen, die deutsche Beteiligung um den in der Resolution genannten Zeitraum zu
verländern, und bittet jetzt um die Zustimmung des Bundestages. Weder der Sicherheitsrat noch die Bundesregierung haben irgendetwas an dem Mandat geändert, das
der Deutsche Bundestag vor knapp einem Jahr erstmals
zustimmend beschlossen hat.
Worum geht es bei UNMIS? Im Januar 2005 gelang
es, den jahrelangen blutigen Bürgerkrieg im Sudan
- zwischen dem Norden und dem Süden - mit dem Friedensvertrag von Nairobi zu beenden. Die Bilanz dieses
Bürgerkriegs erschreckt noch heute: 2 Millionen Tote,
4 Millionen Vertriebene und eine enorme Zerstörung der
Lebensgrundlagen dieser Menschen in diesem Land. Am
24. März 2005 hat der Sicherheitsrat den Beschluss gefasst, dieses auch „Comprehensive Peace Agreement“
genannte Dokument von Nairobi mit einer Beobachterund Schutzmission zu unterstützen, die teilweise nach
Kap. VI und teilweise - was die Schutzaufgaben, auch
bezüglich der Bevölkerung und der internationalen Helfer angeht - nach Kap. VII der UN-Charta agiert. Für
diese Hilfe zur Umsetzung des Friedensvertrags sollten
10 000 bewaffnete Kräfte eingesetzt werden. Von denen
sind im Augenblick 80 Prozent im Einsatz, das heißt,
UNMIS ist immer noch im Aufbau begriffen. Wir erwarten, dass bis Sommer dieses Jahres tatsächlich
10 000 Mann eingesetzt werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat bei der Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi durchaus
sichtbare Fortschritte gegeben: Es gibt inzwischen eine
Verfassung, nach der der Süden des Sudans eine Teilautonomie genießt, mit einer eigenen, regionalen Regierung.
Es gibt eine Gesamtregierung der nationalen Einheit, die
Redetext
auch die Rebellen aus dem Süden - von der SPLM - einbindet. Mehrere der in dem Friedensvertrag vorgesehenen Kommissionen haben ihre Arbeit inzwischen aufgenommen. Die wichtigste ist wahrscheinlich die Nationale
Petroleumkommission, die für die Verteilung des Reichtums zuständig ist. Die ungerechte Verteilung war einer
der Kriegsgründe im Hintergrund der blutigen Auseinandersetzungen. Inzwischen hat auch die Internationale
Kommission zur Überwachung des Friedensprozesses
ihre Arbeit aufgenommen.
Die Situation vor Ort ist aber immer noch nicht stabil.
Es gibt immer noch Misstrauen der verschiedenen Parteien untereinander, was zu einer Verzögerung bei der
Implementierung des Friedensvertrages führt. Es gibt
immer noch Übergriffe und Gewalt gegen die Bevölkerung, zum Beispiel von den Rebellen der LRA, der
Lord’s Resistance Army, die über die Grenze von
Uganda agiert, und auch von kriminellen Gruppen, die
die Bevölkerung attackieren. Mit anderen Worten: Eine
Absicherung des Friedensvertrages ist weiterhin notwendig. Dabei geht es um die Aufgaben, die Truppen weiter
zu entflechten, die Milizen zu entwaffnen und eine gemeinsame sudanesische Armee zu bilden. Es geht auch
um Streitschlichtung. Schließlich geht es dort nach wie
vor auch um die Verteilung der Öleinkünfte, um den
Schutz der Bevölkerung und der internationalen Helfer
sowie um die Bildung einer gemeinsamen Polizei.
Warum ist es so wichtig, dass die Umsetzung des
Friedensvertrages von Nairobi weiterhin erfolgreich und
ohne nennenswerte Verzögerung erfolgt? - Dies ist
wichtig für die Menschen vor Ort, die unter dem Bürgerkrieg gelitten und erstmals eine Chance auf ein Ende der
Gewalt, auf Frieden, auf Mitbeteiligung an den politischen Entscheidungsprozessen, auf Selbstbestimmung
und auf einen fairen Anteil an den Einkünften aus dem
Verkauf der Ölreserven haben. Dies ist auch wichtig,
weil nach dem Nord-Süd-Ausgleich längst auch andere
Teile des Landes Forderungen erheben. Wir sprechen inzwischen auch von einer Eastern Front. Dort drohen
neue bewaffnete Auseinandersetzungen, wenn es nicht
gelingt, diesen Nord-Süd-Konflikt auf Dauer und nachhaltig zu beenden.
Die Welt schaut außerdem nach wie vor mit großer
Sorge auf die Situation in Darfur; das wissen wir alle.
Sie ist immer noch dramatisch. Leider ist es den Kräften
der Afrikanischen Union, der AMIS, dort noch nicht gelungen, die Menschenrechtsverletzungen auf Dauer zu
beenden. Sie wissen, dass wir eine Diskussion darüber
führen, ob diese Aufgabe nicht auch in die Verantwortung der Vereinten Nationen gegeben werden muss. Eine
Entscheidung darüber steht möglicherweise im Herbst
an. Eine Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass
UNMIS weiter besteht und erfolgreich ist.
Ich fasse zusammen: UNMIS wird gebraucht, um das
Wiederaufflammen eines der blutigsten Bürgerkriege in
Afrika auf Dauer zu verhindern. UNMIS wird gebraucht,
um einen Friedensweg für den ganzen Sudan - inklusive
für Darfur - zu eröffnen und den Störungen, die sowohl
von innen als auch über die Grenzen von außen kommen, nachhaltig entgegenzutreten. UNMIS wird auch
gebraucht, damit der Sudan ein Beispiel für eine unblutige, vertragsgestützte Streitbeilegung wird. Das ist
ganz besonders in dieser Region wichtig, wo es in der
Nachbarschaft noch eine ganze Reihe von anderen Konflikten gibt.
Insofern gibt es sehr gute Gründe, den deutschen Beitrag zu UNMIS aufrechtzuerhalten und dadurch mit dafür zu sorgen, dass UNMIS ein Erfolg wird. Dieser deutsche Beitrag besteht nach der Mandatsentscheidung in
der Entsendung von bis zu 75 bewaffneten Kräften. Im
Augenblick sind 28 entsandt, nämlich acht Stabsoffiziere
und 20 Militärbeobachter.
Mit Blick auf diese friedenspolitische Aufgabe von
UNMIS bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag um die konstitutive Zustimmung zur Verlängerung des Mandates.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun für die FDP-Fraktion der Kollege
Dr. Rainer Stinner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDPFraktion wird heute dem Verlängerungsantrag der Bundesregierung zustimmen.
({0})
Wir wären auch mit dem vereinfachten Verfahren einverstanden gewesen; aber nun diskutieren wir darüber.
Trotz aller Probleme bei der Umsetzung halten wir es für
ein richtiges und verantwortbares Mandat. Deshalb stimmen wir heute zu.
Allerdings birgt der vorliegende Antrag eine Gefahr.
Diese Gefahr versteckt sich in den letzten Absätzen der
Begründung. Bei einer kritischen und genauen Lektüre
deutet einiges darauf hin, dass hier eine Zusammenlegung von UNMIS und AMIS und - das steht zwischen
den Zeilen - eine eventuelle deutsche Beteiligung vorbereitet wird. Ich sage für die FDP-Fraktion sehr deutlich:
Unsere Zustimmung zur Verlängerung des UNMISMandates heute beinhaltet in keiner Weise irgendeine
Festlegung oder Zustimmung zur Zusammenlegung von
AMIS und UNMIS und eine eventuelle deutsche Beteiligung. Das möchte ich für meine Fraktion deutlich machen.
({1})
Es handelt sich hier schließlich um völlig unterschiedliche Einsätze. Bei UNMIS geht es darum, einen
geschlossenen Friedensvertrag abzusichern. Diese Absicherung beinhaltet viele Probleme - Herr Staatsminister,
Sie haben darauf hingewiesen -; aber diese richtige AkDr. Rainer Stinner
tion müssen wir unterstützen. Bei AMIS hingegen geht
es um friedenserzwingende Maßnahmen. Das ist eine
völlig andere Situation. Hier eine Beteiligung in Aussicht zu stellen, wäre aus heutiger Sicht sehr problematisch. Bisher gibt es keinen Ansatz für eine annehmbare
Friedenslösung im Darfurkonflikt. Solange für den Frieden kein politisches Konzept vorliegt, wäre es unverantwortlich, deutsche Soldaten dorthin zu schicken.
Bei UNMIS ist die sudanesische Regierung Partner
eines Friedensprozesses. Bei AMIS hingegen ist die sudanesische Regierung eventuell an diesem Konflikt beteiligt. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied. Im
Darfurkonflikt unterstützen wir völlig zu Recht die Afrikanische Union. Wir sprechen von „African Ownership“. Dieses Konzept halte ich trotz aller Probleme
nach wie vor für richtig. Das Konzept des „African
Ownership“ ist das einzige Konzept, das auf diesem geplagten Kontinent langfristig zu einer positiven Entwicklung führen kann. Wir können nicht auf Dauer von außen
einwirken und helfen.
({2})
Wir bekommen Signale aus Brüssel und New York,
dass das AU-Mandat eventuell durch ein UN-Mandat
abgelöst werden soll. Das unterstützen wir zwar; aber
mit der Ablösung habe ich Probleme. Wir erleben, dass
NATO und EU schon vorauseilend Hilfe und die Übernahme des Mandats anbieten. Wir alle wissen: Wenn
NATO und EU dabei sind, dann ist die Anfrage an uns,
dort mitzumachen, nahe liegend, weil wir der größte
Partner der Europäischen Union sind. Deshalb sage ich:
Wir als FDP-Fraktion werden einem solchen Automatismus nicht folgen, sondern uns das im Herbst sehr genau
überlegen.
({3})
Ich fordere die Bundesregierung angesichts der Kongodebatte auf: Begeben Sie sich nicht noch einmal auf
den falschen Weg, der dazu führt, angeblich mitmachen
zu müssen. Das darf nicht passieren. Ich will heute keine
Kongodebatte initiieren, obwohl wir alle wissen, dass jedes Mandat in Afrika heutzutage im Zusammenhang mit
dem Kongoeinsatz diskutiert wird. Aber wir können
feststellen, dass das politische Management der Kongodebatte sowohl auf UN-Ebene als auch auf EU-Ebene
und auch vonseiten der Bundesregierung nur mit dem
Wort „miserabel“ gekennzeichnet werden kann.
({4})
Lassen Sie uns bei AMIS nicht in dieselbe Falle laufen,
wie das der Bundesregierung beim Kongoeinsatz leider
passiert ist.
Bei der Betrachtung der Auslandseinsätze überall auf
der Welt stellen wir fest: Der Engpass ist nie unsere
Bundeswehr. Wir haben eine überdurchschnittlich gute
Bundeswehr, die international Anerkennung gewinnt.
Diese Bundeswehr kann vieles und macht vieles möglich. Der Engpass ist immer die Politik. Ich habe die Befürchtung, dass auch in diesem Falle die Qualität der
Bundeswehr höher ist als die Qualität der Politik, die dahintersteht. Daran muss die Bundesregierung verstärkt
arbeiten.
({5})
Das gilt auch für UNMIS. Unsere Soldaten sollen ein
Friedensabkommen absichern. Aber die Politik ist nicht
in der Lage, die in dem Friedensvertrag festgelegten Bedingungen politisch wirklich umzusetzen. Das geschieht
nur marginal. Sie haben festgestellt, Herr Staatsminister,
dass es eine ganze Reihe von Lücken gibt. Es ist Aufgabe der Politik, diese zu schließen. Nur so können wir
unseren Soldaten gegenüber glaubwürdig sein.
Afrika wird uns in den nächsten Jahren leider noch
häufiger beschäftigen. Wir als FDP stehen zu unseren internationalen Verpflichtungen. Wir wissen, dass der afrikanische Kontinent für uns in Europa und in Deutschland sehr wichtig ist. Wir wissen - salopp gesagt -, dass
uns eines Tages all das, was in Afrika passiert, auf die
Füße fallen wird. Deshalb müssen wir an einer Afrikastrategie arbeiten.
Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ein
schlüssiges Afrikakonzept vorzulegen. Wir haben seinerzeit auch Ihre Vorgängerregierung dazu aufgefordert.
Sie sind neu im Amt; trotzdem haben Sie die Verpflichtung, das endlich zu tun. Denn nur dann, wenn wir die
deutschen und europäischen Interessen nachhaltig definieren, können wir ein Raster für unsere wichtigen Entscheidungen über die Einsätze deutscher Soldaten bekommen. Die Soldaten, die in unserem Auftrag in
Auslandseinsätzen Leib und Leben riskieren, haben einen Anspruch darauf, dass wir als Politiker diese Vorarbeit für sie leisten.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Eckart von Klaeden
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Wir sprechen heute über die Verlängerung des UNMISMandates im Sudan und nicht über den Kongo, auch
wenn sich die FDP bemüht, aus jeder außenpolitischen
Debatte eine Kongodebatte zu machen.
({0})
Wir debattieren heute über das UNMIS-Mandat.
Ich will zu Anfang darauf hinweisen, dass es um die
Verlängerung eines bestehenden Mandates geht und dass
die Bundesregierung zu Recht beantragt hatte, diesem
Mandat im so genannten vereinfachten Verfahren zuzustimmen. Die heutige Debatte wird nur deshalb geführt,
weil die Fraktion Die Linke Widerspruch eingelegt hat.
({1})
Wir als CDU/CSU unterstützen den Antrag der Bundesregierung und werden ihm zustimmen. Wir danken
unseren Soldatinnen und Soldaten herzlich für ihren Einsatz für den Frieden im Südsudan.
({2})
Wenn die Fraktion Die Linke aber eine Debatte führen möchte, dann ist das eine Gelegenheit, sich mit den
Positionen dieser Partei zur Afrikapolitik und mit der besonderen Verantwortung, die diese Partei für das trägt,
was sie in Afrika angerichtet hat, auseinander zu setzen.
({3})
Der eine oder andere glaubt, die Konflikte in Afrika
alleine mit postkolonialen Problemen erklären zu können. Das ist aber zu kurz gesprungen. Ein anderer Aspekt sind die Spuren, die der Ost-West-Konflikt auf diesem Kontinent hinterlassen hat. Dabei ist es interessant,
was die damalige DDR in der Verantwortung der SED in
Afrika angerichtet hat. Ich will in diesem Zusammenhang aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom
24. März dieses Jahres zitieren, in der über den Einsatz
der Nationalen Volksarmee berichtet worden ist:
Die DDR sandte Spezialisten, die in den jeweiligen
Ländern von ihren Freunden hoch gelobt wurden,
- da war kein Demokrat dabei von ihren Gegnern aber als „Neonazis“, „wiederkehrende Preußen“ oder als „Rote Legion Condor“
beschimpft wurden.
In dem Artikel heißt es weiter:
Wie die Hilfe aussah, zeigt ein Beispiel aus
Moçambique. Dort bedienten DDR-Techniker einen Störsender, um den Radiosender „Stimme des
Freien Afrikas“ zu unterbinden. In Angola sollen
Angehörige der Staatssicherheit geholfen haben,
KZ-ähnliche „Genesungslager“ aufzubauen.
Das ist die Verantwortung insbesondere Ihrer Partei.
Ich würde mich freuen, wenn Sie - auch durch Ihre Zustimmung - einen Beitrag dazu leisten würden, Freiheit
und Demokratie in Afrika zu stärken, statt sie zu bekämpfen
({4})
und denjenigen in die Hände zu spielen, die nach wie vor
meinen, dass Morden und Brandschatzen Mittel der
Politik sein könnten.
Wenn man mit dem eigenen Militär Menschenrechte,
Demokratie und Frieden verletzt hat, dann ist es die
falsche Lehre, jeden militärischen Einsatz, der der Unterstützung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten dient, abzulehnen.
Wenn Sahra Wagenknecht erklärt, Militäreinsätze führten niemals zu Stabilität und Sicherheit,
({5})
sollten Sie sich einmal in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Mazedonien, in Afghanistan, im Kongo oder im
Sudan umsehen.
({6})
Der Besuch von Herrn Gysi bei Herrn Milošević ist uns
allen noch in lebhafter Erinnerung.
Welche Interessen haben wir in Afrika? Wir haben ein
Interesse daran, dass in Afrika politische Instabilität und
Unordnung ein Ende finden und dass es nach und nach
zu einem Demokratisierungs- und Stabilisierungsprozess kommt. Es gibt unmittelbare Zusammenhänge zwischen den Konflikten in Afrika: Der Konflikt in Norduganda ist ohne Frieden im Südsudan und im Kongo
nicht zu bewältigen. Die endgültige Aufarbeitung des
Völkermordes in Ruanda ist ohne endgültige Befriedung
des Kongos nicht zu erreichen. Der Zerfall Somalias hat
die Ausbreitung des islamistischen Terrors nach Ostafrika erleichtert. Afrikas Kriege und Konflikte bringen
humanitäre Katastrophen bis hin zu länder- und kontinentübergreifenden Migrationsströmen mit sich.
Wir sollten die Lehre aus Afghanistan berücksichtigen. Wir hatten dieses Land zu lange vernachlässigt. Wir
haben uns zu wenig klar gemacht, was permanente Konflikte, permanentes Morden und permanentes Brandschatzen in Gesellschaften anrichten können. Wir haben
ein Interesse daran, dass es zu Good Governance, zu einer an Demokratie und Menschenrechten ausgerichteten
Regierungsform, kommt. Wir haben ein Interesse daran,
dass es zu stabilen Wirtschaftsbeziehungen mit den Staaten Afrikas kommt, dass die Rohstoffressourcen dort
nicht ausgebeutet, sondern nach internationalen Standards abgebaut werden und dass die Bevölkerung, der
die Gewinne aus dem Abbau der Rohstoffe zustehen,
nicht ausgenutzt wird.
({7})
Wir müssen darauf achten, dass unsere Politik glaubwürdig bleibt. Wenn wir uns für das Funktionieren internationaler Organisationen einsetzen, wenn wir es mit einer Verpflichtung gegenüber den Vereinten Nationen
und einem internationalen Vorgehen ernst meinen, dann
müssen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und nach
sorgfältiger Risikobeurteilung zustimmen, wenn die Vereinten Nationen uns um Hilfe bitten. In diesem Fall ist
unser Beitrag denkbar gering. Es ist ein Mandat, das den
Einsatz von bis zu 75 zum großen Teil unbewaffneten
Militärbeobachtern vorsieht. 28 sind derzeit im Einsatz. Angesichts dessen von einer Militarisierung der
Außenpolitik zu sprechen, ist geradezu grotesker Unsinn.
({8})
Wir sehen, dass gemäß dem Friedensvertrag von Nairobi
aus dem Jahr 2005 der Wiederaufbau staatlicher Strukturen sowie die Entwaffnung und Eingliederung der zahlreichen Milizen vorankommen, wenn auch schleppend.
Es geht um die Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung.
Wir haben ein Interesse daran, dass UNMIS auf diesem
beschwerlichen Weg weitergehen kann.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi
Annan, hat bereits im Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen,
um zu einer friedlichen Lösung im gesamten Sudan zu
kommen. Deswegen spielen auch der Erfolg von
UNMIS und der Erfolg des Friedensprozesses nach dem
Friedensvertrag von Nairobi aus dem Jahr 2005 für eine
friedliche Lösung des Konflikts in Darfur eine entscheidende Rolle. Wer den Völkermord in Darfur stoppen
will, der kommt um die Unterstützung von UNMIS nicht
herum.
({9})
Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, zum Erfolg
dieser Mission der Vereinten Nationen einen bescheidenen, aber wichtigen Beitrag zu leisten.
Wie gesagt, das Mandat sieht den Einsatz von bis zu
75 zum großen Teil unbewaffneten Militärbeobachtern
vor. Zurzeit sind 28 im Einsatz. Dabei geht es um die
Wiederherstellung eines sicheren Umfeldes für Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung.
Ich finde, eine Fraktion zeigt ihr wahres Gesicht,
wenn sie einem solchen Einsatz zustimmt oder wenn sie
einen solchen Einsatz ablehnt.
({10})
Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Herren
und Damen! Herr von Klaeden, die politische Realität
nach der Bundestagswahl 2005 sieht so aus, dass die
neue Linke in den Bundestag eingetreten ist und nicht
die alte SED.
({0})
Wir haben heute über die Fortsetzung der Beteiligung
deutscher Streitkräfte an UNMIS zu entscheiden. Ich
rufe in Erinnerung, in welchem Umfang deutsche Soldaten bereits „out of area“ tätig sind: Sie sind in BosnienHerzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, in Usbekistan
und demnächst auch im Kongo. Sämtliche Mandate sind
höchst unterschiedlich. Doch die Hemmschwelle, Militär mit einem Kampfauftrag einzusetzen, sinkt von Einsatz zu Einsatz.
({1})
Eine andere als die über die Selbstverteidigung hinausgehende Militäraktion diskutiert außer uns anscheinend niemand mehr. Wir teilen nicht die Auffassung,
dass die Konflikte der heutigen Zeit nur noch mit Militär
gelöst werden können, zumal die Energiesicherung in
nahezu allen akuten Krisengebieten, die in den Fokus
unserer Wahrnehmung geraten, eine wichtige Rolle
spielt. Dazu ist zu sagen: Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass, erstens, gerechte Verträge mit ressourcenreichen Ländern geschlossen werden, die der Bevölkerung einen Anteil am Reichtum ihres Landes
garantieren,
({2})
und dass wir, zweitens - dies ist ein zentraler Punkt -,
über unsere eigene Emanzipation von fossilen Energieträgern eine Friedensdividende für die Zukunft generieren.
({3})
Diese Chance dürfen wir nicht verspielen.
Die Linke erkennt an, dass die ehemaligen Kriegsparteien im Sudan der UN-Mission im Rahmen des Friedensabkommens zugestimmt haben. Das bisherige
Mandat hat erheblich dazu beigetragen, das Friedensabkommen abzusichern. Das wiegt im positiven Sinn
schwer; denn es verhalf dem Peacekeeping trotz Diskriminierung des Südsudans, trotz der Konflikte in Darfur
und trotz einer arabisch geprägten Regierung zum Erfolg. Obgleich dieser Einsatz auf der Grundlage von
Kap. VII der UN-Charta stattfand, war es de facto ein
klassischer Blauhelmeinsatz. Das festzustellen, gehört
zur Redlichkeit. Das Friedensabkommen sieht ein Referendum im Jahr 2011 vor, wodurch es möglicherweise
zu einer Sezession des Landes in Nord und Süd kommt.
Das ist eine souveräne Angelegenheit des Sudans.
Unter den Prämissen des jetzt bestehenden Mandats
- wie gesagt, es wird auf der Grundlage von Kap. VII
der UN-Charta ausgeübt - ist in Verbindung mit der zu
erwartenden Zusammenlegung der Operationen UNMIS
und AMIS fast eine „NATOMIS“ entstanden, was zu erheblichen Konflikten führen kann.
({4})
Es stellt sich die Frage, weshalb die AMIS nicht angemessen finanziell unterstützt wird. Außerdem stellt sich
die Frage, wie belastbar die prinzipielle Zustimmung des
Friedens- und Sicherheitsrates der AU ist. Bislang lehnte
die sudanesische Zentralregierung die Ausdehnung
der UNMIS auf Darfur nämlich ab.
All diese Überlegungen prägen unsere heutige Entscheidung. Aber weisen sie deshalb zwingend auf die
Entsendung von Militär hin? Unserem Parlament steht es
frei, zu entscheiden, mit welchen Mitteln der Friedensprozess unterstützt werden soll. Die UN-Resolution
1590 ermöglicht zahlreiche Aufgaben.
75 deutsche Militärbeobachter sollen entsandt werden. Warum nicht 750 Zivildienstleistende?
({5})
Eine Blauhelmmission kann im Sudan bleiben und von
deutschen Zivilkräften unterstützt werden. Mit dieser
Auffassung mögen wir in diesem Haus eine Minderheit
sein, aber nicht in der Bevölkerung.
({6})
Eine neue Studie besagt - über sie wurde in den letzten
Tagen in der „FAZ“ berichtet -, dass die Bevölkerung
den Verfassungsauftrag mehrheitlich nach wie vor als
Verteidigungsauftrag interpretiert.
Es geht uns darum, der Kultur des Friedens die Kraft
der nicht militärischen Intervention und der Stabilisierung der Zivilgesellschaft zu geben. Damit muss endlich einmal begonnen werden. Das heutige Mandat ist
durch eine solche Form von zivilgesellschaftlichem Engagement ersetzbar.
({7})
Deshalb fragen wir heute: Welcher Art soll die Hilfe
sein, die es dem Sudan ermöglicht, maximalen Nutzen
aus dem deutschen Engagement zu ziehen? Wir als
Linke wollen keine deutschen Soldaten, aber viele zivile
Kräfte im Sudan. Verspielen wir nicht die Gelegenheit
für ziviles Tun und damit eine positive Identifikation der
Bevölkerung mit deutscher Außenpolitik!
Weil wir das bejahen, können wir Ihrem Antrag nicht
zustimmen.
Danke.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Monika Knoche, Ihr Vorschlag, 750 Zivildienstleistende in den Südsudan zu schicken,
({0})
ist so absurd, so abenteuerlich und verantwortungslos,
dass dies der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden
sollte.
({1})
Sie haben offenkundig nicht den Film gesehen, der in
den letzten Monaten hier zu sehen war, nämlich „Lost
Children“.
({2})
- Ich fange jetzt erst einmal mit meiner Rede an. - In
diesem Film wird in einer äußerst erschütternden Weise
das Schicksal von Kindersoldaten in Norduganda dargestellt. Sie leiden dort fürchterlich und werden von der
Lord’s Resistance Army zu mörderischen Instrumenten
gemacht. Dieser Film schildert auch, dass der
UN-Sicherheitsrat gegenüber dem verheerenden 20-jährigen Krieg in Norduganda bisher weitgehend versagt
hat.
Aber sonst brauchen sich die Vereinten Nationen
nicht zu verstecken. Wer weiß schon, dass die Vereinten
Nationen in den letzten 15 Jahren durch Verhandlungen
zum Ende von mehr Bürgerkriegen beigetragen haben,
als dies in den letzten 200 Jahren zuvor gelang? Eine
fantastische Leistung!
({3})
Aber der Nachteil dabei ist: Innerhalb von fünf Jahren ist
die Hälfte dieser Länder wieder in den Krieg zurückgerutscht. Woran lag es? Es lag wesentlich daran, dass die
internationale Friedenssicherung inkonsequent war und
zu wenig Ausdauer hatte. Hierum geht es im Südsudan.
({4})
Wenn man sich einmal den Fahrplan des Friedensabkommens von Nairobi ansieht, dann stellt man fest, wie
hochkompliziert das ist und dass das nicht einfach nur
aus militärischen Maßnahmen besteht. Es geht in erster
Linie um politische Unterstützung, um den Aufbau von
Zivilpolizei, um die Menschenrechtsförderung, die Verwaltung sowie die humanitäre und Entwicklungsunterstützung. Das alles ist ohne ein Mindestmaß an Sicherheit und Frieden nicht möglich.
({5})
Das alles zusammen bildet die UNMIS - beschlossen
einhellig, einmütig vom UN-Sicherheitsrat, personell getragen von mehr als 60 Staaten, darunter Russland,
China und sogar Simbabwe.
({6})
Der Bundestag entscheidet heute über den militärischen Teilbeitrag von deutscher Seite. Es ist schon darauf hingewiesen worden: UNMIS ist insgesamt nach
Kapitel VII mandatiert. Das heißt, UNMIS ist über die
Selbstverteidigung hinaus grundsätzlich berechtigt,
Zwang auch zur Nothilfe und zur Durchsetzung des Auftrags einzusetzen. Es ist inzwischen eine zehn Jahre alte
Erfahrung von UN-Peacekeeping, dass man das machen
muss; damit müssen Sie sich einmal auseinander setzen.
Wenn man sich die Situation in Südsudan anschaut,
muss man zu dem Ergebnis kommen, dass das auch unverzichtbar ist. Denken Sie nur an die Angriffe, die es
zuletzt wieder von der Lord’s Resistance Army gegeben
hat! Den Vorschlag, Zivildienstleistende dahin zu schicken, brauche ich nicht noch einmal zu kommentieren.
({7})
Der deutsche Beitrag besteht aus - das ist die Regelhöhe - 50 Militärbeobachtern und einigen Stabsoffizieren. Diese unbewaffneten Militärbeobachter wirken in
Uniform gewaltfrei für Gewaltverhütung. Sie sind so
sehr auf sich gestellt und auf UNMIS-Blauhelme von
Nichtverbündeten angewiesen wie nirgendwo sonst.
Diesen Militärbeobachtern ist, so finde ich, für ihren
Einsatz ganz besonders zu danken.
({8})
Vor einem Jahr stimmte die Bundesregierung zum
ersten Mal über die deutsche UNMIS-Beteiligung ab.
Dabei hat es drei Stimmen aus der FDP dagegen gegeben. Damals gab es eine zusammenfassende Bewertung
dieser UNMIS-Beteiligung. Zitat:
Der Blauhelmeinsatz im Süd-Sudan ist völkerrechtlich abgesichert, politisch begründet und moralisch
geboten. … Diese Entscheidung entspricht dem …
Verständnis, Gewalt und Androhung von Gewalt
aus der Politik zu verbannen.
Völlig richtig. Wer hat diese Worte damals gesagt? Das
war der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky.
({9})
Heute sind Gegenstimmen gegen die UNMIS noch
weniger begründbar. Sie können nur aus innenpolitischen Gründen motiviert sein.
({10})
Kollege Gehrcke, Sie weisen - ich finde, zu Recht immer wieder darauf hin, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf.
({11})
Seit 1945 müssen Sie dazu aber immer auch einen zweiten Satz sagen, der inhaltlich aussagt: Die Vereinten Nationen und die UN-Charta sind das Regelwerk und der
Weg zur Kriegsverhütung und Friedenssicherung.
Herr Kollege Nachtwei, Sie müssen zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Schluss. - Gegenüber diesem zweiten Gebot internationaler Friedenspolitik verweigert sich
die Mehrheit Ihrer Fraktion. Von UNO-Fähigkeit, von
Friedensfähigkeit sind Sie offenkundig noch sehr weit
entfernt.
Danke schön.
({0})
Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Knoche
noch einmal das Wort.
Danke, Herr Präsident. - Herr Nachtwei, gestatten Sie
mir, dass ich Folgendes sage. Ich stelle fest, dass Sie und
Ihre Fraktion sich in der heutigen und den zurückliegenden Debatten, in denen es um prinzipielle Friedensfragen und Militäreinsätze geht, in Ihrer Argumentation
ausschließlich gegen die Linke wenden, weil es erkennbar außerhalb Ihrer Gewöhnungen und Ihres Selbstverständnisses liegt, dass es in diesem Deutschen Bundestag eine konsequente Friedenspolitik noch gibt.
({0})
Einen ganz deutlichen Hinweis darauf finde ich in
zwei Ihrer Bemerkungen. Sie haben sich gleich zu Beginn Ihrer Rede einen sehr euphorischen Applaus aus
dem Hause verschafft, indem Sie einen wirklich offenkundigen Versprecher von mir aufgegriffen haben.
Selbstverständlich meinte ich „zivile Friedensdienste“,
die in diesem Gebiet ihren Einsatz finden können, was
die Resolution 1590 der UNO in ausführlicher Breite
darstellt.
({1})
Das deutsche Engagement findet sich da nicht in hinreichendem Maße wieder.
({2})
Ich finde es, wenn Sie gestatten, etwas uncharmant
und schon gar nicht galant, wenn jemand auf einem offenkundigen Versprecher eine rhetorische Figur aufbaut.
Danke.
({3})
Zur Erwiderung Kollege Nachtwei.
Kollegin Monika Knoche, ich erlaube mir, mich deshalb mit den Positionen der Linksfraktion auseinander
zu setzen, weil ich erstens begrüße, dass durch die
Linksfraktion jetzt wieder so konträre Positionen in den
Bundestag kommen, wie sie auch in der Gesellschaft
vorhanden sind,
({0})
und weil es mir zweitens äußerst wehtut, dass es hier eine
Fraktion gibt, die die friedens- und sicherheitspolitischen
Entwicklungen des letzten Jahrzehnts vollkommen verpennt hat und trotzdem die Backen so aufbläst.
({1})
Dieses Maß an Heuchelei in diesem Bereich muss man
erst einmal an den Tag legen.
Nun zu Ihrem Versprecher. Ich nehme gern Ihre Korrektur zur Kenntnis, dass Sie meinten, der „zivile Friedensdienst“ solle dorthin geschickt werden. Ich gehöre
zu den Förderern und Betreibern des zivilen Friedensdienstes von Anfang an. Ich weiß daher, wie schwierig
diese Aufgabe ist und dass dieses Feld noch weit mehr
der Unterstützung dieses Hauses und der Bundesregierung bedarf.
({2})
Zugleich muss ich Ihnen sagen: Wir müssen immer
sehr genau aufpassen, dass diese Friedensfachkräfte
nicht überfordert und dass sie nicht in Abenteuer geschickt werden.
({3})
Aus Ihrem Munde hört sich der gute Begriff von der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung wie
eine faule Ausrede an.
({4})
Das Wort erhält nun die Kollegin Brunhilde Irber,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst für den freundlichen
Anfangsapplaus meiner Kolleginnen und Kollegen.
Frau Knoche, Sie haben heute hier etwas ins Spiel gebracht, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Ich gebe
dem Kollegen Nachtwei völlig Recht: Sie müssen sich
Ihrer Verantwortung stellen. Sie haben ein Problem damit, bis zu 75 gut ausgebildete deutsche Soldaten an
UNMIS zu beteiligen. Aber Sie hätten kein Problem
damit, zivile Friedenskräfte dorthin zu schicken. Erst
UNMIS muss doch den Boden dafür bereiten, dass sich
dort zivile Friedenskräfte betätigen können.
({0})
In der Debatte am 22. April 2005 über die Beteiligung
der deutschen Streitkräfte an der Friedensmission im Sudan sagte die damalige Kollegin Brigitte Wimmer:
Die Umsetzung des Friedensabkommens wird in
hohem Maße davon abhängen, wie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gelingt.
Das ist auch heute noch richtig. Denn wir stehen am Anfang eines Prozesses, dessen Gelingen, wie es auch im
Falle des Kongos zutrifft, zur Stabilisierung des afrikanischen Kontinents beitragen wird.
Der Übergangsprozess - so sieht es der Friedensvertrag von Nairobi vom 9. Januar 2005 vor - soll bis zum
Jahr 2011 dauern. Dann wird die Bevölkerung im Südsudan per Referendum über den Verbleib im Gesamtsudan entscheiden. Eine von der SPLM und der Zentralregierung vereinbarte Übergangsverfassung trat am
9. Juli 2005 in Kraft. Im September wurde die Regierung
der nationalen Einheit vereidigt. Im Dezember trat im
Südsudan eine eigene Verfassung in Kraft. Eine Interimsregierung war seit Ende Oktober im Amt.
Das sind wichtige Stationen eines langen Weges, an
dessen Ende nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm stehen soll, sondern - ({1})
Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. Es wäre schon
ganz gut, wenn es außer der Ruhe vor dem Sturm auch
ein bisschen Ruhe für die letzten Rednerinnen und Redner gäbe. Danach wird abgestimmt.
({0})
Bitte schön, Frau Kollegin.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Es wäre schon gut, wenn, wie gesagt, dieser lange
Weg nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm, sondern
die Hoffnung auf ein Leben in Würde für die sudanesische Bevölkerung wäre.
({0})
Wir übersehen dabei nicht, dass nicht alle Vorgaben
des Friedensvertrages so erfüllt werden, wie es wünschenswert wäre. Dazu einige Beispiele:
Die strittige Grenzziehung im ölreichen Abyei ist
nicht umgesetzt worden. Noch immer greifen ugandische Rebellen die Zivilbevölkerung und Hilfsorganisationen im Südsudan an; die Rebellengruppe Eastern
Front entfaltet im Ostsudan Aktivitäten. Die Gespräche
zur Lösung des Konflikts in Darfur verlaufen nur schleppend.
Deshalb ist es konsequent, wenn Deutschland auf der
Basis der Resolutionen 1590 und 1663 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen das Mandat seiner Soldaten
entsprechend verlängert.
({1})
Der Einsatz wird sich inhaltlich nicht ändern. Dies
gilt auch für die Protokollnotiz der Bundesregierung,
nach der die Obleute des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses unterrichtet werden, wenn deutsche Soldaten außerhalb des Schwerpunktgebietes des
UNMIS-Einsatzes eingesetzt werden sollen. Im Falle erheblicher Bedenken würde einem solchen Einsatz nicht
zugestimmt werden. Die Kosten für den Einsatz von bis
zu 75 Soldaten sind mit 900 000 Euro überschaubar.
Zurzeit sind - das wurde mehrmals erwähnt - 28 Soldaten im Einsatz. Sie sind mit der Wahrnehmung von
Militärbeobachteraufgaben beauftragt. Sie sind in den
für UNMIS gebildeten Stäben und Hauptquartieren eingesetzt. Sie sind an der Bewältigung von Verbindungs-,
Beratungs- und Unterstützungsaufgaben bei AMIS beteiligt und unterstützen die VN-Programme in dieser Region. An dieser Stelle darf ich den deutschen Soldaten
für ihre bisher geleistete Arbeit meinen herzlichsten
Dank aussprechen.
({2})
Es besteht kein Zweifel: Der Friedensprozess muss
von einem Aufbau der Infrastruktur begleitet werden.
Die Kinder brauchen Schulen. Ein Gesundheitssystem
muss etabliert werden und die Ernährungssicherung
bleibt eine enorme Herausforderung. Dazu kommen all
die Anstrengungen, das Leid der Vertriebenen zu lindern
und Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die Binnenflüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können.
All das kostet natürlich viel Geld. Deutschland beteiligt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten. Die Bundesregierung beteiligt sich mit 10 Millionen Euro am Multi
Donor Trust Fund für den Südsudan und gehört zu den
größten Gebern im Sudan. Es erfordert einen sorgfältigen Umgang mit den Mitteln, die in den Sudan fließen.
Ich halte nichts davon, dass Erlöse aus dem sudanesischen Erdölexport zu einem großen Teil dazu verwendet
werden, den Waffennachschub zu finanzieren.
({3})
Mit der Umsetzung des Waffenembargos in Verbindung
mit Sanktionsmöglichkeiten könnte dem vielleicht ein
Riegel vorgeschoben werden. Dies wird allerdings von
China verhindert, das mehr als die Hälfte des sudanesischen Erdöls bezieht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel der deutschen
Außen- und Sicherheitspolitik ist es, für Demokratie,
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einzutreten.
Zerfallende Staaten bieten den Nährboden für Kriminalität und Terror. Die internationale Staatengemeinschaft
versucht, in Kooperation mit der AU im Sudan einen
friedlichen Interessenausgleich zwischen den Konfliktparteien zu flankieren.
Es ist ein schwieriger Einsatz. Aber die Hoffnung auf
dauerhaften Frieden und eine Zukunftsperspektive für
das sudanesische Volk sind alle Mühen wert.
({4})
Der Einsatz der deutschen Soldaten im Sudan dient dem
Frieden. Um es mit Willy Brandt zu sagen:
Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles
nichts.
Deshalb bitte ich um breite Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Verlängerung des Mandats der
deutschen UNMIS-Soldaten.
Herzlichen Dank.
({5})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Hans Raidel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! UNMIS wird gebraucht. Die besonnenen Kräfte
im Sudan stellen fest: UNMIS ist die einzige Hoffnung,
dass der Krieg nicht wieder ausbricht. Gleichzeitig stellt
der UNO-Sondergesandte fest: Wir brauchen deutsche
Hilfe.
Wir stellen uns dieser Verantwortung. Die Bundeswehr hat diesen Einsatz wie immer sehr sorgfältig und
fürsorglich geplant. Wir vertrauen auch hier dem Bundesminister der Verteidigung und dem Generalinspekteur.
Das deutsche Interesse ist begründet worden. Das Interesse des Sudans ist begründet worden. Die außenpolitische Linie ist durch Staatsminister Erler begründet
worden.
Ich möchte das alles nicht wiederholen und es in unserem Interesse nur zusammenfassen in einem Zitat von
Pestalozzi, der festgestellt hat:
Man muss das Unglück mit Händen und Füßen und
nicht mit dem Maul angreifen.
Wir stellen uns unserer Verantwortung.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 16/1148 zum Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an
der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 16/1052 anzunehmen. Es ist namentliche Abstim-
mung verlangt.
Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung des Kollegen Jürgen Koppelin vor.1)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Die Plätze sind of-
fenkundig besetzt. Ich eröffne hiermit die Abstimmung.
1) Anlage 3
Präsident Dr. Norbert Lammert
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht
abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden das Ergebnis der Abstimmung später bekannt geben und setzen jetzt die Beratungen fort.
Es wäre gut, wenn der größere Teil der Mitglieder des
Hauses die dafür vorgesehenen Plätze einnehmen würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch einmal darum, Platz zu nehmen, weil das die Fortsetzung
unserer Beratungen sehr erleichtern würde.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angefeuert durch einen Vorsitzenden einer Fraktion dieses Hauses möchte
ich noch einmal einen Versuch unternehmen, in unserer
Tagesordnung fortzufahren. - Lieber Kollege Andreas
Schmidt, könnten Sie - stilbildend für andere - vielleicht
schon einmal die Auflösung des Stehkonventes in Ihrer
Nähe organisieren? - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch noch einzelne Sitzplätze!
({1})
Für diejenigen, die Orientierungsprobleme haben, ist
Hilfestellung organisiert.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten
- Drucksache 16/1116 Die Fraktion Die Linke schlägt die Abgeordnete Petra
Pau als Stellvertreterin des Präsidenten vor.
({2})
Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offenbar
nicht der Fall.
Ich gebe nun einige Hinweise zum Ablauf der Wahl.
Gewählt ist, wer die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Für die Wahl benötigen Sie
Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht
geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby entnehmen können. Die blaue Stimmkarte wird von den
Schriftführern an den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen ausgegeben.
Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie Ihre Stimmkarte
nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die
Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den
Umschlag legen. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz,
andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig.
Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlkabinen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen, die neben den
Sitzreihen der Bundesregierung und des Bundesrates sowie hier vorne auf dem Stenografentisch aufgestellt sind.
Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, müssen Sie dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren blauen
Wahlausweis übergeben. Ein Hinweis bezüglich der
günstigsten Anmarschordnung ist erkennbar unnötig,
weil sich die meisten Mitglieder des Hauses schon in der
Nähe der Wahlurnen aufhalten. Ich hoffe, das trifft auch
für die Schriftführerinnen und Schriftführer zu. - Das
wird bestätigt. Dann eröffne ich hiermit den Wahlgang.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hat noch jemand
eine Stimmkarte, die er noch nicht abgegeben hat?
({3})
- Dann wäre es schön, wenn diese in die Nähe der Wahlurnen transportiert würde.
Offenkundig haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten abgegeben. Dann schließe ich die
Wahl. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Wir setzen unsere Beratungen fort; das Wahlergebnis geben wir bekannt, sobald es vorliegt.
Bevor ich den Tagesordnungspunkt 34 aufrufe, kann
ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan,
UNMIS, mitteilen: Abgegebene Stimmen 577. Mit Ja
haben gestimmt 523, mit Nein haben gestimmt 45, Enthaltungen neun. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon
ja: 523
nein: 45
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({4})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Carl-Eduard von Bismarck
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({5})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({6})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({7})
Dirk Fischer ({8})
Axel E. Fischer ({9})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({10})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({11})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder ({12})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({13})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({14})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Maximilian Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({15})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({16})
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Hildegard Müller
Carsten Müller
({17})
Stefan Müller ({18})
Bernward Müller ({19})
Bernd Neumann ({20})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({21})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({22})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({23})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Richard Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({24})
Andreas Schmidt ({25})
Ingo Schmitt ({26})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({27})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({28})
Gerald Weiß ({29})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Matthias Wissmann
Wolfgang Zöller
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({30})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({31})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({32})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({33})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({34})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({35})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({36})
Frank Hofmann ({37})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Präsident Dr. Norbert Lammert
Johannes Jung ({38})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({39})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({40})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({41})
Michael Müller ({42})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({43})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Karin Roth ({44})
Michael Roth ({45})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({46})
Axel Schäfer ({47})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({48})
Silvia Schmidt ({49})
Renate Schmidt ({50})
Heinz Schmitt ({51})
Carsten Schneider ({52})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({53})
Swen Schulz ({54})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({55})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({56})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({57})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({58})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({59})
Markus Löning
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({60})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({61})
Volker Beck ({62})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Kai Boris Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({63})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({64})
Monika Lazar
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({65})
Krista Sager
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({66})
Nein
FDP
Heinz-Peter Haustein
Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Inge Höger-Neuling
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Paul Schäfer ({67})
({68})
Dr. Herbert Schui
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
Fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthaltung
CDU/CSU
Norbert Schindler
FDP
Joachim Günther ({69})
DIE LINKE
Roland Claus
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Petra Pau
Bodo Ramelow
Dr. Petra Sitte
({70})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({71}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiterer
Abgeordneter
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksachen 16/990, 16/1179 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Christine Lambrecht
Jörg van Essen
Ulrich Maurer
Volker Beck ({72})
Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen. - Ich
stelle Einvernehmen fest.
Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Nach
Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes ist der Deutsche Bundestag verpflichtet, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wenn die Einsetzung von einem Viertel seiner
Mitglieder verlangt wird. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1179,
den Antrag auf Drucksache 16/990 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit großer Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
({73})
- Die Übersicht von hier oben ist eigentlich relativ ordentlich.
({74})
Deswegen wiederhole ich: Die Beschlussempfehlung ist
mit breiter Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Damit ist der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode eingesetzt.
({75})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung der Flugsicherung
- Drucksache 16/240 -
a)Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({76})
- Drucksache 16/1161 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({77})
b)Bericht des Haushaltsausschusses ({78}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/1178 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Königshofen
Carsten Schneider ({79})
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann
Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der
SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion.
({80})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Deutsche Flugsicherung ist ein Unternehmen
von besonderer Sensibilität. Sie wurde 1953 als Bundesanstalt für Flugsicherung gegründet. 40 Jahre später erfolgte durch einen vom Parlament breit getragenen Beschluss die Organisationsprivatisierung. Das gleiche
Parlament, der Deutsche Bundestag, hat die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode aufgefordert, auch die Kapitalprivatisierung vorzubereiten.
Nun sind wir an dem Punkt, diese Kapitalprivatisierung
des Unternehmens zu beschließen. Gleichzeitig halten
wir aber auch fest, unter welchen Bedingungen eine solche Kapitalprivatisierung stattfinden muss. Dazu möchte
ich hier und heute ein paar Dinge sagen.
Ich glaube, das Unternehmen hat in den vergangenen
zehn bis zwölf Jahren - also gerade nach der Organisationsprivatisierung - Hervorragendes geleistet. Die Steigerung der Sicherheit im unteren und oberen Luftraum
in Deutschland, die diese 5 300 Mitarbeiter - Fluglotsen
und Flugtechniker - geschaffen haben, macht sich alleine daran fest, dass es 1990 bei ungefähr 1,5 Millionen
kontrollierten Flügen über Deutschland immerhin noch
40 gefährliche Annäherungen von Flugzeugen gab.
15 Jahre vorher, 1975, waren es noch 210 und im Jahre
2005 gab es gerade einmal noch drei Fälle, die unter
diese Definition zu fassen sind. Das heißt, es wurde eine
exorbitante Steigerung von Sicherheit produziert. Ich
glaube, das ist eine ganz tolle Leistung der Deutschen
Flugsicherung.
({0})
Sie ist ein Unternehmen, dessen Mitarbeiter und Geschäftsführung pro Jahr insgesamt 2,8 Millionen Flüge
in Deutschland kontrollieren. Der Markt wächst ständig.
Die zivile Luftfahrt ist in Deutschland auf einem guten
Wege und die Deutsche Flugsicherung leistet dazu Hervorragendes. Wir wollen, dass sich diese Deutsche Flugsicherung im konsolidierten Flugsicherungsmarkt in
Europa breiter aufstellen kann. Deshalb wollen wir diese
Kapitalprivatisierung durchführen.
In diesem Zusammenhang haben wir festzuhalten,
dass das Thema Sicherheit natürlich auch vor dem Hintergrund der zivil-militärischen Integration der Flugsicherung eine große Rolle spielt; denn immerhin haben
wir es noch mit gut 80 000 Militärflügen über Deutschland pro Jahr zu tun. Wir haben eine Form gefunden,
durch die sichergestellt wird, dass auch der militärsicherheitspolitische Aspekt so gefasst ist, dass er umgesetzt wird. Auch nach der Kapitalprivatisierung ist in
Zukunft gewährleistet, dass die sicherheitspolitisch sensiblen Aspekte im Krisenfall so umgesetzt werden, dass
es für den Verteidiger eine Rückholmöglichkeit, also
eine Call-back-Möglichkeit, gibt. In diesem Fall kann
der Bund seine wichtigen Flugsicherungsaspekte jederzeit umsetzen.
Bei dieser Kapitalprivatisierung können wir davon
ausgehen, dass bis zu 74,9 Prozent der Gesellschaftsanteile der Deutschen Flugsicherung verkauft werden
können. Ich will hier im Parlament nicht über die Erträge
spekulieren. Aber ich glaube, hier kann von einem ansehnlichen drei- bis vierstelligen Millionenbetrag ausgegangen werden.
Gleichzeitig möchte ich betonen, dass wir es uns nicht
einfach gemacht haben. Wir wollen - das haben wir in
dem Entschließungsantrag der Fraktionen deutlich gemacht - einige Eckpunkte festgehalten wissen, die bei
dieser Kapitalprivatisierung zu beachten sind. Insofern
gibt der Bundestag mit dieser Entschließung seiner Erwartung Ausdruck, dass bei den Verkäufen von Gesellschaftsanteilen Interessenskonflikte hinsichtlich der
Unternehmensziele der Deutschen Flugsicherung und interessierter Übernehmer von Gesellschaftsanteilen ausgeschlossen werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten,
dass die Deutsche Flugsicherung im europäischen Konsolidierungsprozess mit einem neuen Gesellschafter
wachsen kann und dass auch Möglichkeiten der Beteiligung an Partnerorganisationen im europäischen Raum
nicht behindert, sondern erleichtert werden. Auf diesen
entscheidenden Punkt möchte ich hinweisen.
({1})
Im Vorfeld dieses Gesetzes wurde die Frage aufgeworfen: Ist das deutsche Flugsicherungsgesetz verfassungskonform? Darüber wurde in den vergangenen Tagen an der einen oder anderen Stelle noch diskutiert. Ich
darf einmal aus einem Kommentar zu Art. 87 d des
Grundgesetzes zitieren: Der privatrechtlich organisierte
Verwaltungsträger kann die Aufgabenerfüllung in Form
unmittelbarer oder mittelbarer Bundesverwaltung ganz
ersetzen oder zum Teil neben diese treten. Auch kann
hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse der Privatrechtsgesellschaft eine Mischform zwischen öffentlicher und
privater Kapitalbeteiligung vorgesehen werden, sofern
ein hinreichender Einfluss des Bundes auf die Verwaltungstätigkeit gewahrt bleibt. - Ich bin mit den Rechtspolitikern meiner Fraktion der Meinung: Dies ist durch
die Sperrminorität von 25,1 Prozent und auch durch die
Call-back-Option im Krisenfall gewährleistet. Insofern
bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Das zweite Thema, das ich in diesem Zusammenhang
ansprechen möchte, sind die Einwände der Gewerkschaften. Diese haben wir ernst genommen. Die Gewerkschaften haben davor gewarnt, dass die Sicherheitskette aus zertifiziertem Flugzeug, zertifiziertem Lotsen
und zertifiziertem Techniker möglicherweise gefährdet
ist, weil sich Europa bei der Zertifizierung von Technikern anders aufstellt, als dies in Deutschland der Fall ist.
Nach den Beratungen haben wir im Rahmen der Änderungswünsche der Fraktionen eins zu eins die Formulierungen in das Gesetz aufgenommen, die bei den
Eurocontrol Safety Regulatory Requirements die Sicherheitsanforderungen beschreiben. Insofern befinden wir
uns in völligem Einklang mit den einschlägigen europäischen Vorschriften. Ich glaube, die Kollegen von der Gewerkschaft der Flugsicherung sind mit diesen Änderungen einverstanden.
({2})
Zum Schluss möchte ich mich bedanken; denn die
Beratungen der Berichterstatter und auch die Beratungen
in den Ausschüssen waren von einem breiten Konsens
getragen. Dabei ist zum Ausdruck gekommen, dass man
dieses Thema sachorientiert bearbeitet hat. Wir haben
mit den Beteiligten - sei es die Flugsicherung selbst,
seien es die Gewerkschaften, seien es die politischen
Parteien dieses Hauses - dafür gesorgt, dass der breite
Konsens, der in diesem Haus in den vergangenen Jahrzehnten bei dem sensiblen Thema Deutsche Flugsicherung immer bestand, weitergetragen wird.
Ich freue mich, dass zumindest vier Fraktionen den
gemeinsamen Entschließungsantrag gezeichnet haben
und ihn, wie ich denke, nachher auch verabschieden
werden. Insofern ist dem Anliegen des Hauses Rechnung getragen, die Kapitalprivatisierung so zu vollziehen, dass sie letztlich zu mehr Sicherheit beiträgt, die
Deutsche Flugsicherung wachsen kann und wir dadurch
auch auf europäischer Ebene die Sicherheit stärken können. Denn wir haben in Deutschland eine der besten
Flugsicherungsgesellschaften der Welt, was auch für
Europa gut ist.
Ich möchte mich bei den Beteiligten der Fraktionen
der CDU/CSU, der FDP, aber auch der Grünen recht
herzlich bedanken.
({3})
Ich würde mich freuen, wenn auch die Fraktion Die
Linke dem Antrag zustimmen würde. Man kann sich
aber auch der Stimme enthalten. Es wäre vielleicht ein
Zeichen von Noblesse, das Vorhaben auf diese Art zu
unterstützen. Ich würde mich darüber freuen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Bevor wir mit der Aussprache fortfahren, kann ich Ih-
nen das Ergebnis der Wahl einer Stellvertreterin des Prä-
sidenten mitteilen: Abgegebene Stimmen 581, gültige
Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 385.1)
({0})
Es hat auch einzelne Neinstimmen gegeben. Vielleicht
darf ich das der Vollständigkeit halber zumindest für das
Protokoll bekannt geben: Mit Nein haben gestimmt 138.
Enthalten haben sich 58 Kolleginnen und Kollegen. Damit hat die Kollegin Petra Pau die erforderliche Mehrheit
erhalten und ist somit zur stellvertretenden Präsidentin
gewählt.
Liebe Frau Kollegin Pau, ich übermittle Ihnen die
Glückwünsche des ganzen Hauses und auch meine ganz
persönlichen Wünsche. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und wünsche Ihnen bei der Wahrnehmung der
nicht immer einfachen Aufgaben eine glückliche Hand.
Alles Gute!
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie
bei Abgeordneten der SPD - Abgeordnete aller Fraktionen gratulieren der Vizepräsidentin - Abg. Dr. Gregor Gysi ({1}) und
Abg. Oskar Lafontaine ({2}) überrei-
chen der Vizepräsidentin Petra Pau einen Blu-
menstrauß)
Frau Kollegin Pau, gehe ich recht in der Annahme,
dass Sie die Wahl anzunehmen bereit sind?
Ja.
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
Herzlichen Dank.
Wir fahren nun fort mit der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 24. Nächster Redner ist der Kollege
Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Mit der heutigen Beratung des Gesetzentwurfs zur Neuregelung der Flugsicherung findet aus
Sicht der FDP eine Erfolgsgeschichte ihren Abschluss,
die 1992 vom Parlament - und zwar von allen Seiten des
Parlaments; auch das muss deutlich gemacht werden gegen den anhaltenden Widerstand vieler Bedenkenträger begonnen wurde, die zum damaligen Zeitpunkt die
Privatisierung der Flugsicherung für völlig unvorstellbar
hielten. Es wurde gesagt: Die Welt geht unter; die Flieger fallen vom Himmel. Es kann nicht funktionieren.
Der Kollege Uwe Beckmeyer hat deutlich gemacht,
wie die Entwicklung tatsächlich verlaufen ist. Insofern
finde ich es ausgesprochen bedenklich, dass dieselben
Bedenkenträger, die schon damals nicht im Recht waren,
jetzt wieder anfangen, mit denselben falschen Argumenten erneut gegen den nächsten - aus unserer Sicht völlig
logischen - Schritt zu opponieren, die Deutsche Flugsicherung, die ich nicht ganz ohne Stolz als die beste der
Welt bezeichnen möchte - sie ist auch schon zweimal
ausgezeichnet worden -, für den weltweiten Wettbewerb
fit zu machen, einen Wettbewerb, der mit den Airlines
begonnen hat.
Sicherlich denkt kaum jemand in diesem Hause noch
daran, dass die Lufthansa früher vollständig in Staatsbesitz war. Auch damals gab es eine Diskussion über die
beabsichtigte Privatisierung, in der die Meinung vertreten wurde, die Lufthansa könne niemals privatisiert werden. Heute wage ich zu behaupten: Wenn die Privatisierung nicht erfolgt wäre, gäbe es die Lufthansa heute gar
nicht mehr. Tatsächlich ist sie aber inzwischen eine der
führenden Fluglinien innerhalb der Star Alliance und
positioniert sich weltweit. Was bei den Fluglinien begonnen hat, setzt sich jetzt bei den Flugsicherungsgesellschaften fort. Wir müssen sie fit machen.
({0})
Es ist sicherlich ärgerlich, dass die damalige Bundesregierung, insbesondere das Finanzministerium, eine bereits 1998 vom Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossene Novellierung des Flugsicherungsgesetzes förmlich
nicht umgesetzt hat. Wir hätten schon damals der Flugsicherung mehr Möglichkeiten der geschäftlichen Betätigung einräumen können.
Was nun umgesetzt wird, ist ein Kompromiss, über
den, glaube ich, breiter Konsens besteht. Uwe
Beckmeyer ist schon auf einiges eingegangen. Ich will
auf die Voraussetzungen eingehen. Ausgangspunkt war,
nicht nur die Kapitalprivatisierung und damit die Beschlusslage des Bundestages in der letzten Legislaturperiode, sondern auch die Vorgaben der so genannten
Single-European-Sky-Verordnungen umzusetzen, die
Horst Friedrich ({1})
eine Trennung von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben erforderlich machen. Das bedeutet, dass man wieder
ein Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung errichten
muss, das die Aufsichtsaufgaben wahrnehmen soll. Die
Position der FDP war, nicht wieder ein solches Amt zu
installieren, von dem man ja durch die Organisationsprivatisierung der Flugsicherung wegzukommen versucht
hat. Die Zahlen sprechen ja für sich.
Die Kompetenz der Mitarbeiter eines Bundesaufsichtsamtes muss höher sein als die derjenigen, die den
Luftverkehr kontrollieren. Daher müssen die Mitarbeiter
eines solchen Amtes eine höhere Dotierung erhalten.
Das kann man aber mit dem öffentlichen Haushaltsrecht
allein nicht hinbekommen. Eine höhere Dotierung ist
jedoch möglich, weil die Kosten eines Bundesaufsichtsamtes im Endeffekt die Nutzer, die Fluggesellschaften und die Passagiere, tragen. Ich bitte die Bundesregierung daher, in manchen Fällen das klassische
Haushaltsrecht hintanzustellen. Es wird uns nicht auf die
Füße fallen, weil die Nutzer die Kosten tragen. Wir brauchen dort hoch qualifizierte Mitarbeiter und dürfen keinen neuen Flaschenhals - diesen haben wir 1992 durch
die Privatisierung der Bundesanstalt für Flugsicherung
beseitigt - schaffen. Schließlich soll hier auch eine ökonomische Regulierung stattfinden. Das ist aber nur möglich, wenn Kompetenz von außen zugeführt wird.
Nun erleben wir eine Aktion der Gewerkschaft Verdi.
Uwe Beckmeyer hat es schon angesprochen. Die Gewerkschaft behauptet, dass das Gesetz die Sicherheit
des Luftverkehrs in Deutschland gefährde; das trifft
mich. Wie wird das begründet? Momentan bildet die
Deutsche Flugsicherung ihre Fluglotsen an eigenen
Schulen aus und zertifiziert sie; das ist völlig richtig.
Aber alle anderen wie Techniker und Ingenieure werden
nicht von der Flugsicherung ausgebildet, sondern erhalten ihre Ausbildung - wie nun auch vorgesehen - an anderen Institutionen, an Hochschulen oder Fachhochschulen. Was sich ändert, ist lediglich, dass ein Zertifikat der
Flugsicherung nicht mehr ausgestellt wird, weil es im
europäischen Bereich nicht mehr notwendig ist. Aber an
der Qualität des Personals und damit an der Sicherheit
ändert sich nichts. Deswegen, finde ich, ist es höchst
fahrlässig, zu sagen: Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt,
leidet die Sicherheit unter den Kapitalinteressen. Das ist
aus meiner Sicht eine völlig unzulässige Verkürzung der
Fakten. Das sollten wir nicht mittragen.
({2})
Ich musste lesen, dass eine andere Gewerkschaft angedroht hat, während der Fußballweltmeisterschaft zu
streiken, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. Dazu kann ich
nur sagen: Aus unserer Sicht wäre das ein politischer
Streik; das darf nicht sein. Politik darf sich so nicht beeinflussen lassen. Das muss deutlich werden.
({3})
Zum Gesetzgebungsverfahren möchte ich für die
FDP-Fraktion noch zwei Dinge anmerken. Wir wären
durchaus bereit gewesen, das Ganze noch klarer wirtschaftlich zu positionieren. Aber wir tragen den Kompromiss mit. Mich hat jedoch verwundert, dass kurz vor
Ende der Sitzung des Verkehrsausschusses am vergangenen Mittwoch vorgeschlagen wurde, dass die Flugsicherung auch die Aufgaben Überprüfung, Warnung und
Umleitung von Luftverkehrfahrzeugen im Luftraum
übernehmen soll. Aus unserer Sicht kann die Flugsicherung das nicht übernehmen. Das kann man mit einem Piloten, der kooperiert, also den Anweisungen der Flugsicherung folgt, sicherlich machen. Das kann man aber
von einem Piloten, der ein gekapertes Flugzeug führt,
wahrscheinlich nicht erwarten. Flugsicherung allein
kann das nicht leisten.
Es ist etwas höchst Ungewöhnliches geschehen: Die
Geschäftsführung der Deutschen Flugsicherung hat mitgeteilt, wie sie diese Gesetzesformulierung interpretiert,
nämlich im Sinne der bereits bestehenden Zusammenarbeit mit dem Nationalen Lage- und Führungszentrum
Sicherheit im Luftraum in Kalkar. Die Bundesregierung
hat die Richtigkeit dieser Interpretation bestätigt. Ich
gebe zu: Das ist ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang;
in einem Gesetzgebungsverfahren ist er sicherlich nicht
alltäglich. Die Flugsicherung hat signalisiert, dass sie
mit dieser Regelung leben könne. Wenn das die Grundlage für die Arbeit der Bundesregierung auf diesem Gebiet ist, dann tragen wir das Ganze im Endeffekt mit. Die
große Mehrzahl der Mitglieder dieses Hauses trägt diesen Entschließungsantrag im Konsens; Kollege Uwe
Beckmeyer hat schon darauf hingewiesen.
Das Parlament hat 1992 die Erfolgsgeschichte der
Flugsicherung begonnen, und zwar gegen den Widerstand vieler Bedenkenträger. Das Parlament macht jetzt
den nächsten Schritt. Ich sage voraus: Das Parlament hat
sowohl die Kraft als auch die Zuständigkeit, im Falle
von diversen Fehlallokationen nach entsprechenden Entscheidungen Korrekturen im Sinne der Flugsicherung
vorzunehmen. Insofern vielen Dank für die bisherige
Unterstützung! Wir wünschen unserer Flugsicherung
weiterhin den Erfolg, den sie bisher hatte. Die FDP wird
den Vorlagen zustimmen.
Danke sehr.
({4})
Norbert Königshofen ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch für die Union ist der heutige Tag verkehrspolitisch ein besonderer Tag: Das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung soll heute verabschiedet werden.
13 Jahre lang sind hier im Bundestag Gespräche und
Verhandlungen, auch Auseinandersetzungen geführt
worden; Anträge sind gestellt worden. Ich bin seit 1994
Abgeordneter des Bundestages. Das Thema FlugsicheNorbert Königshofen
rung hat uns seitdem dauend beschäftigt; es war mir ein
ständiger Wegbegleiter.
Es ist bereits erwähnt worden: 1992/93 gab es die Organisationsprivatisierung. Das war der erste wichtige
Schritt. Er wurde damals von fast allen Mitgliedern des
Hauses unterstützt. Ich hoffe, dass der vorliegende Gesetzentwurf und die Abänderungen, die wir beraten haben, hier eine überwältigende Mehrheit finden werden.
Organisationsprivatisierung und Kapitalprivatisierung
sind zwei Fixpunkte im Bemühen, die DFS zu reformieren. Man kann sich fragen: Muss die DFS reformiert
werden? Kollege Friedrich und Kollege Beckmeyer haben darauf hingewiesen, dass die DFS eine der erfolgreichsten Flugsicherungsorganisationen der Welt ist. Ich
möchte in Erinnerung rufen: Sie hat im Jahre 2000 immerhin den so genannten Eagle Award bekommen, das
ist eine Auszeichnung für außergewöhnlich gute Flugsicherung, für Pünktlichkeit und für Kostenbewusstsein.
Die Wettbewerbsbedingungen auf dem Luftverkehrsmarkt haben sich radikal verändert. Außerdem hat
sich die Rechtslage in Europa verändert. Einerseits ist
der Luftverkehr heute ein viel wichtigerer Wirtschaftsfaktor als vor 15 oder 20 Jahren. Er ist eine Schlüsselindustrie für moderne Volkswirtschaften, eine Jobmaschine. 1 Million Arbeitsplätze hängen direkt oder
indirekt davon ab. Diese Industrie schafft immer wieder
neue Arbeitsplätze. Zum Beispiel sind zuletzt bei der
Lufthansa 2 700 neue Arbeitsplätze entstanden.
Andererseits ist der Luftverkehr internationaler und
liberaler geworden. Die Single-European-Sky-Verordnungen sind gerade schon kurz angesprochen worden.
Es gibt Open-Sky-Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Das muss berücksichtigt werden. Die DFS muss
sich auf die neuen Entwicklungen einstellen können, um
ihre internationale Spitzenposition zu behaupten und
auszubauen.
Nach der erfolgten Kapitalprivatisierung wird sie
noch mehr als bisher am Markt teilnehmen, andere Geschäftsfelder erschließen
({0})
und sich an anderen Unternehmen beteiligen können.
Das hat wiederum mit Sicherheit Auswirkungen auf den
Luftverkehrsstandort Deutschland.
({1})
So wie die Lufthansa in Europa der führende Carrier an
der Spitze der Star Alliance geworden ist, so soll die DFS
- das stellen wir uns vor - an die Spitze der Flugsicherungsgesellschaften in Europa kommen. Die DFS
für die Zukunft fit zu machen, ist also eine der Aufgaben.
Die andere Aufgabe ist: Die staatlichen Verpflichtungen, die hoheitlichen Aufgaben müssen abgesichert werden.
Ich bin davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf und den Änderungen, die wir gemeinsam
beschließen werden, beides erreicht wird. Die Flugverkehrskontrolle bleibt hoheitliche Tätigkeit. Sie dient der
Gefahrenabwehr und der Prävention von Gefahren. Wir
werden weiter eine Fortsetzung der erfolgreichen zivilmilitärischen Integration haben. Das gibt es bei der überörtlichen Flugsicherung sonst nirgendwo in der Welt.
Die Kapitalprivatisierung bedeutet nicht, wie vielleicht befürchtet wird, eine Aufgabenprivatisierung. Die
DFS bleibt ein mit staatlichen Aufgaben beliehenes Unternehmen. Der Bund hat Durchgriffsrechte. Wir sichern
das zum Ersten durch die Sperrminorität von 25,1 Prozent ab. Bei der Kapitalprivatisierung werden nämlich
25,1 Prozent beim Bund verbleiben. Zum Zweiten
- auch das ist gerade schon dargelegt worden - wird eine
nationale Aufsichtsbehörde, das Bundesaufsichtsamt
für Flugsicherung, BAF, geschaffen. Diese Aufsichtsbehörde hat die Rechts- und Fachaufsicht über die DFS.
Sie kontrolliert die DFS. Sie verfügt über ein Informationsbeschaffungsrecht. Sie hat ein Weisungsrecht. Sie
hat das Recht zur Ersatzvornahme. Sie hat ein Betretungsrecht und sie hat ein Herausgaberecht. Sie kann
auch ein Warnungsgeld in Höhe von bis zu 500 000 Euro
verhängen. Wenn man den Eindruck hat, die kapitalprivatisierte DFS erfülle ihre Aufgaben nicht so recht, dann
kann man sie zur Kasse bitten und notfalls auch durchgreifen.
Also erfüllt das Gesetz beides: Es sichert die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben und macht die DFS zu einem
erfolgreichen Teilnehmer am expandierenden Luftverkehrsmarkt.
Eines wollen wir nicht vergessen: Die Kapitalprivatisierung - das freut den Finanzminister - bringt auch einen zehnstelligen Eurobetrag - ich wiederhole: einen
zehnstelligen Eurobetrag - in die klammen Kassen des
Bundes. Das ist auch Geld.
Es gibt einen Entschließungsantrag, gestellt von allen
vier Fraktionen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Auf den möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal lenken; denn er ist wichtig. Er ist deswegen wichtig,
weil wir in diesem Entschließungsantrag etwas darüber
aussagen, wie wir uns die Kapitalprivatisierung und die
zukünftigen Eigentümer vorstellen. Wir wollen ein langfristiges Engagement derjenigen, die sich da beteiligen.
Wir wollen nicht die, die berühmte Kollegen einst „Heuschrecken“ genannt haben, die nämlich kommen, drei
Jahre etwas halten und dann wieder verkaufen. Wir suchen nicht den Investor, der 20 Prozent Dividende haben
möchte. Nein, wir suchen die, die ein Interesse an der
Flugsicherung haben, die sich beteiligen wollen und die
natürlich auch eine auskömmliche Rendite für ihr Geld
bekommen müssen. Denn wer gibt schon Geld, wenn er
damit nichts verdienen kann? Aber es muss im Rahmen
bleiben.
Wir haben auch deutlich gemacht: Niemand soll dort
einen beherrschenden Einfluss haben, kein Carrier, kein
Einzelner, der dann am Ende über 50 Prozent der Anteile
hält. Das wollen wir nicht. Aber wir wollen, dass auch
die deutschen Nutzer sich beteiligen; denn es macht
Sinn, wenn die Flughäfen, die Airlines und die DFS zusammenarbeiten.
({2})
Wir hätten natürlich gern, wenn es geht, in Ergänzung
auch einen internationalen Investor, weil wir, wie gesagt,
bei der DFS auch auf Expansion im europäischen Raum
setzen. Es gibt da viele sozusagen artnahe Geschäfte, in
denen die DFS tätig werden kann und die dazu beitragen, die DFS mit den entsprechenden Geldern zu versehen.
Bei den Investoren muss also - das wollen wir mit
dem Entschließungsantrag klar machen - das Interesse
am Unternehmen im Vordergrund stehen, langfristig,
dauerhaft, verlässlich.
({3})
Zum Schluss, meine Damen und Herren: Man muss
danken, weil das, was heute hier passiert, in diesem Hohen Hause nicht selbstverständlich ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Gesetz, über das man natürlich
hier und da verschiedener Meinung sein kann, am Ende
eine Mehrheit von über 90 Prozent findet - jedenfalls
wenn alle da sind und abstimmen. Wir werden die Zustimmung der Union und der SPD, der Koalitionsfraktionen, haben - das gehört sich so -, aber, was nicht selbstverständlich ist, auch der FDP und der Grünen.
Ich möchte mich beim Kollegen Beckmeyer bedanken, mit dem ich diese Gesetzgebung sehr eng vorbereitet und begleitet habe, aber auch bei den Kollegen
Friedrich und Hermann,
({4})
die uns immer konstruktiv, wenn auch kritisch, begleitet
haben.
Auch bezüglich der Seite des Ministeriums - das ist
ebenfalls nicht selbstverständlich; häufig gibt es ja einen
gewissen Dualismus zwischen der Politik und den Ministerien - kann man nur sagen: hervorragende Zusammenarbeit. Mein Dank gilt Staatssekretär Kasparick,
aber auch seinen Mitarbeitern Schmidt und von Elm.
({5})
Ebenso müssen wir Staatssekretär Karl Diller danken;
denn er hat es möglich gemacht, dass wir bei der BAF,
also beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, die
Leute engagieren können, die wir brauchen. Für einen
Außenstehenden scheint das vermutlich kein Problem zu
sein: Wenn die Nutzer es ohnehin bezahlen, kann man
auch ordentliche Leute einkaufen. Aber für eine Behörde
ist es schon schwierig, davon abzugehen, Mitarbeiter
nach einem ganz bestimmten Schema zu bezahlen; in
diesem Fall erfolgt die Bezahlung normalerweise nach
B 3 bzw. den darunter liegenden Besoldungsgruppen. Da
gibt es nicht mehr und nicht weniger. Das wird hier
durchbrochen. Die Leute, die von der DFS kommen und
bei der Bundesaufsicht arbeiten, können ihre Zulagen
behalten. Das ist durch den Kollegen Diller möglich geworden, der sich da vermittelnd eingeschaltet hat. Also
herzliches Dankeschön!
({6})
Ich danke dem Bundesrechnungshof, mit dem wir
nicht nur korrespondiert, sondern auch gesprochen haben. Ebenso haben wir das Gespräch mit den Freunden
aus dem Südwesten gesucht, die natürlich unter dem
Flughafen Zürich-Kloten leiden. Aber dieses Gesetz hat
mit dem Problem sehr wahrscheinlich gar nichts zu tun.
({7})
Aber die Bedenken und die bestehenden Probleme haben
wir natürlich gesehen. Deswegen haben wir Verständnis,
dass sie sich so eingelassen haben, wie sie es getan haben.
Außerdem haben wir
- das ist mein letztes Wort, Herr Präsident, mit Dank
an Sie für Ihren Großmut ({0})
ebenfalls sehr konstruktiv mit der Unternehmensführung
und den Arbeitnehmervertretern gesprochen. Auch dafür
mein herzliches Dankeschön.
Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie gleich zustimmen werden.
({1})
Ich bedanke mich für das Kompliment in Sachen
Großmut, Herr Kollege Königshofen, und erteile als
nächster Rednerin Dorothee Menzner für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kollege Königshofen hat
es eben schon breit ausgeführt: Wir haben es heute mit
einer Superkoalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zu tun. Sie wollen den Verkauf der Flugsicherung
beschließen. Damit beginnt nach unserer Meinung die
Play-off-Serie der Privatisierungsfestspiele dieser Regierung. Bundesvermögen wird ans Kapital verkauft, während breite Bevölkerungskreise wegen Hartz IV am
Existenzminimum leben müssen.
({0})
Was passiert genau und warum diese Eile? Nur um
Haushaltslöcher zu stopfen, will die Bundesregierung
unser Tafelsilber veräußern - ohne Sinn, ohne Herz und
ohne Verstand.
({1})
Drei Viertel der Flugsicherung liegen auf dem Gabentisch. Dafür kriegen Sie - das wurde eben ausgeführt eine einmalige Finanzspritze. Aber was bleibt danach?
Nichts! Dann fehlen die Gewinne der Flugsicherung im
Haushalt. Dieses Jahr sind es fast 13 Millionen Euro.
Schlimmer noch: Perspektivisch könnte die Situation
eintreten, dass gar keine Gewinne aus der Flugsicherung
mehr in den Bundeshaushalt fließen.
Seit längerem kursieren in Juristenkreisen genau die
gleichen Formulierungen, die jetzt in den Drucksachen
geschrieben stehen und die hier debattiert werden. Wir
aber, also meine Fraktion, bekamen nichts Offizielles.
Daher wundert es mich zutiefst, weshalb die seit langem
angekündigten Änderungen des Gesetzentwurfs mein
Büro erst auf den allerletzten Drücker erreichten. Letzten
Dienstag um 19 Uhr bekamen wir die Drucksache, genau
14 Stunden vor der entscheidenden Ausschusssitzung.
({2})
Schon tags darauf gab es im Ausschuss die gemeinsame Entschließung dieser Superkoalition.
({3})
Dies ist mir als Neuling ziemlich unverständlich und
ich frage mich, weshalb das so lief. Absicht?
({4})
Ich darf daran erinnern: Die Linke hat zu all den Fragen der Privatisierung der Flugsicherung, die aus unserer Sicht noch offen sind, eine Anhörung im Ausschuss
beantragt. Leider konnte sich nur die Fraktion der Grünen entschließen, diesem Antrag zuzustimmen.
({5})
So sind aus unserer Sicht nach wie vor viele Fragen
offen:
Erstens. Die Gewerkschaft der Fluglotsen erhebt nach
wie vor starke Einwände.
Zweitens. Die Bundesvereinigung gegen Fluglärm
befürchtet bei der Planung der Flugrouten den Vorrang
der Wirtschaftlichkeit vor dem Lärmschutz.
Drittens. Die EU-Vorgaben - sie wurden hier schon
angesprochen - sehen keine Kommerzialisierung bei hoheitlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr vor. Wozu
auch?
Viertens. Besonders der Flugzeugabsturz im Jahr
2002 am Bodensee wirft bis heute Fragen auf. Die
schwierigste davon: Ist es überhaupt mit unserer Verfassung vereinbar, dass ein Schweizer Privatunternehmen
den südwestdeutschen Luftraum verwaltet?
({6})
Damit komme ich - fünftens - zu meinem und unserem Haupteinwand. Die Linke sagt es klipp und klar:
Die Neuregelung der Flugsicherung verstößt eindeutig
- ich wiederhole es gerne: eindeutig - gegen die geltende Verfassung.
({7})
Kollege Beckmeyer zitierte vorhin aus einem Kommentar zum Grundgesetz. Ich möchte es nicht unterlassen,
Art. 87 d Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zu zitieren:
Die Luftverkehrsverwaltung wird in bundeseigener
Verwaltung geführt.
Satz 2 lautet:
Über die öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche
Organisationsform wird durch Bundesgesetz entschieden.
Dazu sollten wir wissen: Dieser zweite Satz wurde bewusst in die Verfassung eingefügt, als die Flugsicherung
organisationsprivatisiert wurde. Manche werden sich erinnern: Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte
die Unterzeichnung eines Gesetzes zur Flugsicherung
damals wegen ungenügender Verfassungsvorgaben verweigert.
Und heute, wo eine viel schwerwiegendere Entscheidung ansteht? Heute geht es um die Frage: Dürfen
hoheitliche Belange hinsichtlich Gefahrenabwehr und
Ordnungsrecht überhaupt durch privates Kapital wahrgenommen werden?
(Beifall bei der FDP: Wer privatisiert denn die
Gefahrenabwehr?
Die Verfassungsfrage ist auch - aber nicht nur wegen des Flugzeugabsturzes vor wenigen Jahren am
Bodensee brisant. Der Vertrag, die dortige Flugsicherung
einem Privatunternehmen zu übertragen, wurde vom
Schweizer Bundesrat bis heute nicht ratifiziert. Juristen
nennen das: Der Vertrag ist nicht in Geltung gewachsen. Damit ist die Flugsicherung durch die Schweizer
Skyguide AG bis heute auf keine belastbare Rechtsgrundlage gestellt.
Ich schließe mit der eindringlichen Bitte an Sie alle:
Vertagen Sie die Entscheidung! Einen Verstoß gegen die
Verfassung werden wir nicht hinnehmen.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Redebeitrag meiner Kollegin von der Linksfraktion macht es notwendig - auch andere Kollegen fragen immer wieder, ob diese Neuregelung, diese Privatisierung, zwingend ist -, dass ich zu Beginn meiner Rede
ein paar grundsätzliche Ausführungen mache.
({0})
Es gilt festzuhalten, dass die Europäische Union durch
ihre Verordnung zum Single European Sky einen neuen
Rechtsrahmen geschaffen hat. Diese Verordnung schafft
unmittelbares Recht. Das heißt, vieles ist jenseits unserer
bisherigen nationalen Regelungen schon neu geregelt.
Diese Neuregelung, diese Verordnung gibt uns zusätzlich die Möglichkeit, das deutsche Recht dementsprechend auszugestalten.
Die EU zwingt allerdings nicht zur Privatisierung,
sondern ermöglicht sie. Das ist ein Unterschied. Die EU
verlangt mehr Wettbewerb. Das darf sie; das soll sie.
Aber sie verlangt keinen ungeregelten Wettbewerb. Darauf reagieren wir. Sie verlangt zwingend die Trennung
von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben in der Luftsicherung. Das erkennen wir an. Zugleich wird damit anerkannt, dass es eine europäische und eine nationalstaatliche hoheitliche Verantwortung gibt. Insofern meine
ich, dass das verfassungsrechtliche Argument, das gerade vorgetragen wurde, ins Leere geht.
({1})
Der vorliegende Gesetzentwurf ist im parlamentarischen Verfahren erheblich verbessert worden. Dies zeigt,
dass wir im Parlament einen eigenständigen und eigenverantwortlichen Umgang mit dem Luftsicherheitsrecht
praktiziert haben und europäisches Recht und deutsches
Recht gemeinsam gestaltet haben.
Übrigens folgt dieser Gesetzentwurf einigen wichtigen Grundeinsichten - dies wurde im vorherigen Redebeitrag anders dargestellt -, die ich gerne ansprechen
will. Er folgt der Einsicht, dass mehr Wettbewerb, mehr
unternehmerisches Handeln und eine klare Trennung der
Durchführung der Aufgaben und der Kontrolle zu einer
effizienten und sehr hohen Flugsicherheit führen und
dass dies eine effiziente Wirtschaftsform ist.
({2})
Es wird anerkannt, dass es nicht zwingend ist, dass bestimmte betriebliche Abwicklungen zu 100 Prozent in
staatlichem Eigentum sein müssen. Das genau brauchen
wir nicht.
Dies ist also keine wildliberale Veranstaltung, wie es
gerade wieder geäußert wurde nach dem Motto: Die verkaufen alles und die Grünen sind auch dabei. Ich kann
nur sagen: Wer in Dresden unter Beteiligung der Linkspartei und ihrer Abgeordneten zusammen mit anderen
alle kommunalen Wohnungen versilbert, sollte das Maul
im Parlament in solchen Fragen nicht voll nehmen.
({3})
Denn starke Sprüche allein genügen nicht.
Man muss vielmehr einen Rechtsrahmen schaffen.
Die vorliegende gesetzliche Regelung schafft sehr verantwortungsvoll und sehr verantwortungsbewusst einen
Rechtsrahmen gegen eine wildliberale Privatisierung.
({4})
Wir haben sichergestellt, dass bei dieser neuen, teilprivatisierten Flugsicherung die kommerziellen Interessen
nicht ganz obenan stehen dürfen, sondern dass das
oberste Prinzip der Sicherheit erhalten bleibt. Die
Deutsche Flugsicherung soll also ein starker Partner im
Wettbewerb sein, aber auch klaren sicherheitspolitischen
Vorgaben dienen.
Wir haben uns als Grüne jetzt über drei bis vier Jahre
kritisch an dem Verfahren beteiligt. Ich kann bestätigen,
was meine Kollegen dankenswerterweise bereits gesagt
haben: Es lief außerordentlich kooperativ. Ich habe bisher im Parlament noch kein Verfahren erlebt, bei dem es
einen so engen Austausch gab und bei dem es tatsächlich
einmal gelungen ist, über Fraktionsgrenzen hinweg Argumente und kritische Einwände anzuerkennen. Danke
schön für diese Kooperation!
({5})
Für uns war wichtig, dass wir sicherstellen, dass wir
europäisches Recht und unsere Verfassung in Einklang
bringen und zusammenführen. Das ist mit diesem Gesetzentwurf gelungen. Wir haben klargestellt, dass die
hoheitlichen Aufgaben weiterhin klar in hoheitlicher
Hand und letztendlich in Bundesverantwortung sind.
Das ist ganz klar geregelt, trotz Wettbewerbsbeteiligung,
trotz Teilprivatisierung. Das hat mit Sicherheit viel damit zu tun, dass wir neben den zahlreichen Regelungen
auch die unabhängige Aufsicht geschaffen haben, die
eben voll öffentlich ist.
Wir haben - es ist mir wichtig, das zu sagen - mit der
Konstruktion der Sperrminorität ein Konstrukt gefunden, das ganz klar macht, dass die wesentlichen Ziele
dieser neuen Gesellschaft nicht einfach geändert werden
können. Eventuelle hoheitliche Bedenken können also
nicht einfach aufgrund von Marktinteressen oder anderen ökonomischen Interessen übergangen werden. Das
ist hiermit sichergestellt.
Wir haben übrigens - was uns sehr wichtig war - in
der Resolution deutlich gemacht, dass wir bei der Veräußerung sehr genau darauf achten müssen, wer sich einkauft und wie die Aktien verkauft werden. Denn eines
wollen wir klarstellen: Wir sind doch nicht für mehr
Wettbewerb im Prinzip und sorgen dann hinterher beim
Verkauf dafür, dass ein neues Monopol entsteht, indem
sich etwa eine Fluggesellschaft die Flugsicherheit aneignet und sozusagen als billige Tochter, als billige Dienstleistung hält. Mit der Resolution haben wir deutlich gemacht: So etwas wollen wir nicht.
({6})
Insofern gibt es auch klare Ansprüche und klare Auflagen an zukünftige Investoren.
Wir haben sichergestellt, dass die zivil-militärische
Integration weiterhin funktioniert - sie muss funktioWinfried Hermann
nieren -; wir haben sichergestellt, dass es ein Weisungsrecht gibt - etwa im militärischen Notfall -; wir haben
über ein Konstrukt der Beleihung und des Widerrufs sichergestellt, dass die private DFS nicht einfach gegen
die Interessen des Staates verstoßen kann. Diese Beleihung findet auf Zeit und auf Widerruf statt und ist an
harte Kriterien gebunden. Das Argument, dass ein Privater etwas gegen die öffentlichen Sicherheitsinteressen
tun kann, stimmt somit grundlegend nicht.
({7})
Ich muss jetzt etwas abkürzen; ich will aber noch daauf hinweisen, dass wir Einwände der Gewerkschaften
und der Deutschen Flugsicherung mit aufgenommen haben. Es ist sehr selten, dass man auch arbeitsrechtliche
Einwände und Bedenken - etwa Mitbestimmungsinteressen - berücksichtigt. Auch als Linker kann ich daher
sehr gut zu dem Gesetzentwurf stehen.
Ich komme zum Schluss. Wir verabschieden heute
nach mehrjährigen Debatten und Verhandlungen einen
überfraktionellen Gesetzentwurf - samt Veränderungen und einen Resolutionstext. Der Entwurf führt zu einer
Teilprivatisierung in politisch klar gestalteter öffentlicher Verantwortung.
Ich bedanke mich.
({8})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kasparick.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag ist ein wichtiger Tag für die deutsche Luftsicherheit und - das darf ich hinzufügen - für
die europäische Luftsicherheit, weil wir ein Unternehmen im europäischen Markt aufstellen und für den Wettbewerb stark machen, das noch von sich reden machen
wird.
Die deutsche Flugsicherheit ist zu Recht ausgezeichnet worden als die beste der Welt. Wir wollen sie
stark machen für den europäischen Wettbewerb. Wir
wollen die Rahmenbedingungen, die uns Europa bietet,
nutzen, um die deutsche Wirtschaft in einem sehr stark
wachsenden und wirtschaftlich hoch interessanten Markt
an die erste Stelle im Wettbewerb zu stellen.
Die Entscheidung, die das Parlament heute trifft, hat
eine längere Vorgeschichte. Die Organisationsprivatisierung aus dem Jahre 1993 ist ebenso wie die Integration der militärischen Flugsicherungsdienste in die DFS
im Jahre 1994 bereits erwähnt worden. Der Schritt, den
wir jetzt unternehmen, die Kapitalprivatisierung, ist
die logische Folge dieser vorausgegangenen Schritte.
Man muss sich klar machen, dass wir in Europa derzeit
noch 31 unterschiedliche nationale Systeme der Flugsicherung haben.
Die neuen Richtlinien geben den Rahmen vor und
weisen die Richtung: Wir wollen einen einheitlichen
europäischen Luftraum schaffen. Wir sind der Überzeugung, dass der in einem dichten Beratungsnetzwerk
erarbeitete Gesetzentwurf dazu beitragen wird, eines unserer stärksten Unternehmen besonders gut für den Wettbewerb aufzustellen.
Ich will in zweierlei Hinsicht kurz auf die Kritik der
Linken eingehen. Das Verfahren wurde kritisiert. Mich
hat überrascht, dass eine Fraktion bereits zu Beginn der
Beratungen, nach der ersten Lesung, erklärt hat, sie sei
gegen das Gesetz.
({0})
Dass man sich so dem Beratungsprozess entzieht, ist
zumindest bemerkenswert.
({1})
Jetzt, am Ende des Beratungsprozesses, beschweren Sie
sich, Sie seien nicht ausreichend beteiligt worden. Für
mich tut sich da ein Widerspruch auf. Es war das Bemühen unseres Hauses, mit den Berichterstattern, mit den
Mitarbeitern der DFS und mit den Gewerkschaften einen
ganz engen, persönlichen Kontakt zu pflegen sowie alle
Anregungen und Kritikpunkte aufzunehmen, sorgfältig
zu diskutieren und abzuwägen.
Ich will das unterstreichen, was Kollege Hermann gesagt hat: Dieser Gesetzgebungsprozess ist auch nach
meinem Eindruck etwas Besonderes, weil eine parteiund fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in dieser
Form in diesem Haus nicht selbstverständlich ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Menzner?
Ich würde gerne zu Ende vortragen.
({0})
Die fraktions- und parteiübergreifende Zusammenarbeit
an diesem Gesetz ist in der Tat etwas Besonderes, was
lohnt, erwähnt zu werden.
({1})
Zum zweiten Kritikpunkt will ich ausdrücklich etwas
betonen, was schon mehrfach angesprochen wurde: Die
Flugsicherung bleibt hoheitliche Aufgabe des Bundes.
Das ist die zentrale Aussage. Der Bund hat nach wie vor
Durchgriffsrechte. Diese Rechte haben wir gesichert.
Über die Anteile ist bereits gesprochen worden. Ich
finde es besonders wichtig, dass nicht nur das Ministerium, sondern auch das Parlament an der Kontrolle
direkt beteiligt ist. Wir haben an zentralen Stellen Parlamentsvorbehalte in das Gesetz eingefügt. Das ist bei
dem hochsensiblen Bereich der Luftverkehrssicherheit
zwingend.
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird
bei der Sicherstellung dieser hoheitlichen Aufgaben eine
ganz zentrale Funktion übernehmen müssen.
Wir haben uns bemüht - ich bin der Überzeugung, es
ist gelungen -, in einem kooperativen Arbeitsstil ein Gesetz zu erarbeiten. Das war ein mehrjähriger Prozess.
Heute können wir erleben, dass der Erfolg viele Väter
hat. Die Berichterstatterinnen und Berichterstatter, die
sich seit vielen Jahren mit diesem Problem befassen,
kennen die Geschichte aus eigenem Erleben.
Das, was wir heute vorlegen, ist nach unserer Überzeugung eine runde Sache. Die wesentlichen Kritikpunkte, bis hin zu denen des Bundesrechnungshofs, sind
nach ausführlichen Gesprächen ausgeräumt worden. Die
gefundene Lösung macht es nicht zuletzt für Investoren
interessant, sich bei der deutschen Flugsicherung zu engagieren.
Ich wünsche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
in der deutschen Flugsicherung eine gesicherte, wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, wenn sie denn wieder einmal mit dem
Flugzeug unterwegs sind - das sind viele unserer Kollegen -, dass sie davon profitieren, dass wir unsere Sicherheit neu aufstellen.
({2})
Ich bin mir ganz sicher, dass die DFS mit diesem Gesetzentwurf in die Lage versetzt wird, im europäischen
Wettbewerb ganz vorne mitzuspielen. Das war Ziel dieses Gesetzes. Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit und alles Gute!
({3})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Menzner.
Herr Staatssekretär Kasparick, Ihre Ausführungen
kann ich nur so verstehen: Für Sie ist es offenbar normal,
dass dann, wenn sich eine Fraktion kritisch zu einer Vorlage in erster Lesung und in den Beratungen im Ausschuss äußert, die veränderte Version ganz kurzfristig
kommt, obwohl sie im Vorfeld bereits im Hause und in
den einschlägigen Kreisen breit kursierte. Ich finde, das
offenbart zumindest ein etwas schwieriges Verständnis.
({0})
Ich habe nur meiner Verwunderung darüber Ausdruck
verliehen, dass sich eine Fraktion am Beginn eines Beratungsprozesses schon auf eine Ablehnung festlegt und
sich dann darüber beschwert, sie sei zu wenig beteiligt
worden.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nie zuvor verzeichnete der deutsche Luftraum so
viele Flugbewegungen wie in diesem und im letzten
Jahr. Mit 2,8 Millionen kontrollierten Flügen in 2005
und bisher rund 700 000 in 2006 befindet sich die deutsche Flugsicherung im Höhenflug. Gut, dass wir diesen
positiven Trend aufnehmen und durch das vorstehende
Gesetz der deutschen Flugsicherung noch größere Leistungsfähigkeit und Expansionsfähigkeit ermöglichen.
({0})
Gemeinsames Ziel sollte es sein, dass die deutsche
Flugsicherung auch im Wettbewerb gegenüber den europäischen Anbietern künftig eine Führungsrolle übernimmt. Damit stellen wir uns einer besonderen Herausforderung; denn der Luftraum über Europa ist eine
knappe Ressource. Verbesserungen, die durch die Flugsicherung geschaffen wurden, werden ebenso schnell
wieder vom Verkehrswachstum aufgezehrt. Bis zum
Jahre 2010 werden in Europa schätzungsweise rund
11 Millionen Flüge jährlich erwartet. Im Jahre 2020 sollen es sogar knapp 16 Millionen sein. Höchste Zeit also,
dass sich die europäische und mit ihr auch die deutsche
Flugverkehrslandschaft neu definiert.
Richtungweisende Schritte, wenn auch manchmal nur
halbherzig durch die Mitgliedstaaten mitgetragen, sind
bereits durch die Single-European-Sky-Verordnungen
der Europäischen Kommission getan worden. Der europäische Luftraum und die Flugsicherungseinrichtungen
werden künftig umstrukturiert. Die Fluglotsenausbildung und die Flugsicherungstechnik werden harmonisiert. Deshalb ist der Handlungsbedarf für uns dieser
Tage sehr hoch. Denn für die deutsche Flugsicherung
müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die
sie im europäischen Markt erfolgreich bestehen lassen.
In diesem Zusammenhang ist die Kapitalprivatisierung der DFS ein notwendiger und zielführender
Schritt. Schließlich dürfen wir den Blick nicht nur auf
Deutschland, sondern sollten ihn auch auf Europa richten. Die deutsche Flugsicherung wird in der Gemeinschaft eine Vorreiterrolle übernehmen können. Denn einerseits steht sie für höchste Qualität und andererseits
wird sie durch dieses Gesetz die modernsten RahmenbeIngo Schmitt ({1})
dingungen aufweisen können. Es lässt sich also sagen,
dass wir hierzulande ein Modell für Europa schaffen, als
Anreiz für andere Mitgliedstaaten, sich diesem anzuschließen.
({2})
Der europäische Luftraum glich bisher einem Flickenteppich; der Flugverkehr wurde von über 40 unterschiedlichen Kontrollzentren geregelt. Dies führte zu unnötigen
potenziellen Gefahren, zu einem Anstieg der Verspätungen und zu einem erhöhten Treibstoffverbrauch. Die
Fragmentierung des Luftraumes zieht nach Feststellung
der Europäischen Union das europäische Gesamtssystem
derart in Mitleidenschaft, dass in einem einheitlichen europäischen Luftraum zukünftig zwingend funktionale
Luftraumblöcke gebildet werden müssen. Diese orientieren sich dann nicht mehr an Ländergrenzen, sondern
an Verkehrsströmen.
({3})
Für diese gewaltigen Herausforderungen durch die
kommende Marktsituation muss die deutsche Flugsicherung fit gemacht werden, in einem Teilbereich bereits bis
Ende des Jahres. Denn mit Einführung der so genannten
Platzkontrolle an den Regionalflughäfen kann dort künftig jedes EU-zertifizierte Flugsicherungsunternehmen in
Deutschland tätig werden.
Die Kapitalprivatisierung ist zwar ein notwendiger,
ordnungspolitisch gebotener, jedoch längst nicht hinreichender Schritt für den Erfolg. Das Management sowie
die Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen müssen
neu ausgelegt werden können. Der Wille zum Mitspielen
auf europäischem und internationalem Parkett muss der
Motor für unternehmerisches Denken und Handeln
sein. Durch den bevorstehenden Prozess wird es der
deutschen Flugsicherung gelingen, unter Beibehaltung
höchster Sicherheitsstandards noch effizienter zu arbeiten und dadurch das deutsche Gesamtsystem sowie
die hiesige Volkswirtschaft zu stärken.
Einen zusätzlichen positiven Aspekt darf man natürlich nicht vergessen: Die Kapitalprivatisierung dient zudem dazu, Finanzmittel in die Kasse des Bundes fließen
zu lassen. Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Es
wäre schön, wenn wenigstens ein Teil dieser Gelder für
verkehrspolitische Vorhaben zur Verfügung gestellt
würde.
In den letzten sechseinhalb Jahren habe ich mich im
Europäischen Parlament um Verkehrs- und insbesondere
um Luftverkehrspolitik gekümmert. Aufgrund dieser Erfahrung darf ich Ihnen heute sagen: Ich bin davon überzeugt, dass die deutsche Flugsicherung, wenn dieses
Gesetz beschlossen wird und sie dadurch andere Rahmenbedingungen erhält, eine Riesenchance hat, in dem
sich bildenden Single European Sky nicht nur zu bestehen, sondern zukünftig auch eine entscheidende Rolle
als Topplayer im europäischen Luftraum zu übernehmen.
({4})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich empfinde
den Gedanken als äußert angenehm, dass man sich in einigen Jahren auch bei Flügen, die die deutsche Grenze
überschreiten, in sichersten Händen fühlen kann, nämlich in den Händen der deutschen Flugsicherung.
Herzlichen Dank.
({5})
Herr Kollege Schmitt, ich habe gehört, dass dies Ihre
erste Rede in diesem Hohen Hause war. Ich gratuliere
Ihnen recht herzlich im Namen aller Kolleginnen und
Kollegen und wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, sage ich noch,
dass eine schriftliche Erklärung der Abgeordneten
Thomas Dörflinger, Siegfried Kauder und Andreas Jung
nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt.1)
Wir kommen dann zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung der Flugsicherung auf Drucksache 16/240. Der
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/1161, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({1})
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU
- mit Ausnahme dreier Kollegen aus der CDU/CSU -
und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion der Linken und
drei Gegenstimmen von CDU/CSU angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
dritter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der
Linken, dreier CDU/CSU-Abgeordneter und einer Ent-
haltung eines Abgeordneten der Grünen angenommen.
Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1174.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/
Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstim-
men der Fraktion der Linken angenommen.
1) Anlage 4
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 c auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({2}),
Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz
- Drucksache 16/957 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Europäische Union hat ihre Mitgliedstaaten in vier
Richtlinien zum Arbeitsrecht und zum Zivilrecht aufgefordert, ihre Bürgerinnen und Bürger vor Diskriminierungen im Alltag zu schützen. Der freie Zugang zu Waren, Gütern und Dienstleistungen und die gleichen
Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind von zunehmender
Bedeutung in einer Zeit, in der sich der Staat aus immer
mehr Bereichen der Gesellschaft zurückzieht und auf die
Eigenverantwortung und das Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger setzt. Deshalb ist es entscheidend, soziale Sicherheit für jeden zum gleichen Preis und zu den
gleichen Bedingungen zu ermöglichen.
Wenn wir von den Bürgerinnen und Bürgern eigenverantwortliche Vorsorge erwarten, dann kann es nicht
sein, dass ganze Gruppen vom Markt ausgeschlossen
werden aufgrund von Vorurteilen der Versicherungswirtschaft, die wir immer wieder erleben, zum Beispiel wenn
es um Homosexuelle und Lebensversicherungen geht.
({0})
Wird die Homosexualität eines Versicherungsnehmers
bekannt, wird ihm der Versicherungsschutz verweigert.
Ähnliches ist auch bei privaten Krankenversicherungen
zu beobachten.
Viele Gruppen unserer Gesellschaft haben im zivilen
Rechtsverkehr Probleme, die Diskriminierungen und
Nachteile zur Folge haben. Ich finde es sehr wichtig,
dass wir als Deutscher Bundestag sagen: Wenn wir einen
Schutz vor Diskriminierung schaffen, dann muss er für
alle Bürgerinnen und Bürger in gleicher Weise gelten.
Hier darf es keine Ausnahmen geben.
({1})
In Art. 13 des Amsterdamer Vertrages sind sämtliche
Diskriminierungsgründe aufgeführt. Im Bereich des
Arbeitsrechts darf auch nach den EU-Richtlinien niemand aufgrund von Alter, Behinderung, Rasse, ethnischer Herkunft, Religion, sexueller Identität oder Geschlecht diskriminiert werden. Für das Zivilrecht gibt
uns die Europäische Union vor, dass dieser Schutz nur
hinsichtlich Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht
zu gewähren ist. Was die übrigen Kriterien betrifft, stellt
sie ihren Mitgliedstaaten die Ausgestaltung des Diskriminierungsschutzes frei. Allerdings geht sie eigentlich
von einem horizontalen Ansatz aus.
Der Streit im Deutschen Bundestag dreht sich im Wesentlichen um die Frage: Wollen wir im Zivilrecht hinsichtlich Religion, Alter, Behinderung und sexueller
Identität den gleichen Diskriminierungsschutz gewähren, der auch bezüglich der Kriterien Rasse, ethnische
Herkunft und Geschlecht gilt? Ich meine, ein Antidiskriminierungsgesetz, das diesen Schutz nicht gewährleistet,
ist kein Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungsgesetz, sondern ein Diskriminierungs- und Ungleichbehandlungsgesetz. Ein solches Gesetz darf dieses Haus
nicht verlassen.
({2})
Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt.
Der Bundestag hat bereits im Juni 2005, damals noch
unter Rot-Grün, einen Gesetzentwurf verabschiedet, den
wir im Januar dieses Jahres erneut eingebracht haben,
und zwar eins zu eins und ohne auch nur ein Jota zu ändern. Nun befindet er sich im Rechtsausschuss. Wir haben bereits mehrmals versucht, hier im Hause eine Abstimmung darüber herbeizuführen.
({3})
Sie wurde uns bislang verweigert. Gleichzeitig muss
festgestellt werden, dass es zu diesem Thema keinen Gesetzentwurf der großen Koalition gibt.
({4})
Das wird uns unter Umständen noch teuer zu stehen
kommen.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie uns in
der heutigen Debatte sagt, wann es einen Gesetzentwurf
geben wird und ob in dem Gesetzentwurf der gleiche
Diskriminierungsschutz für alle oder nur für einige
Gruppen gelten wird. Der Unionsvize Wolfgang
Bosbach hat in der Presse verkündet - die SPD hat es bestritten -, man wolle nach dem Motto „Um vier Kriterien
geht es“ zwei rein- und zwei rausnehmen.
({5})
Sie gestehen zu, Behinderung und Alter hineinzunehmen. Für die Berücksichtigung der Behinderten ist auch
Volker Beck ({6})
die Caritas; also kompatibel mit Ihrer Klientel. Alt sieht
die CDU/CSU sowieso manchmal aus.
({7})
Aber damit die Vorurteilsstrukturen auch stimmen, müssen die Homosexuellen ausgeschlossen werden. Das Kriterium Religion muss wegen der Muslime erst recht ausgeschlossen werden, trifft jedoch die Juden gleich mit.
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass dieses
Haus auf der Grundlage der Geschichte dieses Landes
im vergangenen Jahrhundert ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet, in dem die Juden nicht in gleicher
Weise wie andere Gruppen vor Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit geschützt sind.
({8})
- Aber das Antisemitismusproblem gibt es in diesem
Land leider auch noch im Jahr 2006.
({9})
Ich möchte jüdische Bürgerinnen und Bürger nicht
rechtlich schutzlos lassen, während ich anderen Bürgern
zu Recht Schutz vor Diskriminierung gewähre.
Seit Juli 2003 müssen wir einen Teil der Richtlinien
umsetzen. Wir haben das bis heute nicht getan. Es gibt
keinen Grund, länger säumig zu sein. Ich erwarte, dass
diese Koalition endlich handelt.
Ich verstehe auch nicht, warum über unseren Antrag
heute nicht sofort abgestimmt werden kann. Es geht lediglich darum, die Regierung aufzufordern, endlich etwas vorzulegen und in den Diskriminierungsschutz alle
Kriterien einzubeziehen. Darüber kann man heute entscheiden, das muss nicht noch einmal in den Ausschuss
überwiesen werden.
({10})
Da liegt schon seit Januar ein Gesetzentwurf. Es gibt
keinen Grund zum Zögern. Handeln Sie endlich! Diese
Koalition ist nur im Abwarten und Nichtstun groß.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der
gestrigen Debatte über das Forderungssicherungsgesetz
hat der Kollege Montag mit schneidiger Stimme seine
Rede mit den Worten begonnen: Forderungssicherungsgesetz zum Ersten, Forderungssicherungsgesetz zum
Zweiten, Forderungssicherungsgesetz zum Dritten. Herr
Kollege Montag, ich will es mit gleicher kleiner Münze
heimzahlen: Antrag zum Antidiskriminierungsgesetz
zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Wer hat noch
nicht, wer will noch einmal? Herr Kollege Montag, die
Tage Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag sind
nicht Ihre Tage. Sie entpuppen sich mehr und mehr als
eine politische Eintagsfliege.
({0})
Der Deutsche Bundestag ist verpflichtet, vier europäische Gleichstellungsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen. Die beiden ersten Richtlinien stammen bereits
aus dem Jahr 2000. Die Richtlinie 2000/43/EG stammt
vom 29. Juni 2000 und die Richtlinie 2000/78/EG vom
27. November 2000. Nun habe ich mir zwei Jahre nach
dem Erlass der Richtlinien erlaubt - wie immer ganz
höflich -, bei der rot-grünen Bundesregierung nachzufragen, wie und wann sie denn gedenke, diese Richtlinien umzusetzen. Ich habe das nicht getan, weil mich
die Umsetzung umgetrieben hat. Dennoch habe ich mir
diese Anfrage erlaubt.
Am 6. Dezember 2000 - bezeichnenderweise war das
der Nikolaustag - erhielt ich die Antwort: Die Bundesregierung überprüft die Umsetzung. Das können Sie in der
Bundestagsdrucksache 15/176 auf Seite 4 nachlesen.
Nun hat die Bundesregierung geprüft und geprüft und
geprüft. Sie hat sich damals Zeit gelassen - viel Zeit,
ganz viel Zeit, Herr Beck.
({1})
Sie haben am 16. Dezember 2004 - es ist geradezu rekordverdächtig -, am 1 631. Tag nach der Geburtsstunde
der ersten Richtlinie, den Gesetzentwurf vorgelegt.
1 631 Tage!
({2})
Und dann
({3})
haben Sie, als hätten Sie nichts Eiligeres zu tun gehabt,
als hätte die Republik nie ohne ein solches Gesetz leben
können, bereits am 27. Tag der neuen Bundesregierung
Ihren Gesetzentwurf eingebracht. Sie haben also selbst
1 631 Tage gewartet, dann aber unverzüglich Ihren Gesetzentwurf eingebracht. Dabei ist dieses Katastrophengesetz wegen der Diskontinuität eigentlich hinfällig.
({4})
Jetzt mahnen Sie Woche für Woche mit einem Antrag
im Plenum. Nun kann ich das gut verstehen; als
Opposition, wenn einem das Sonnenlicht nicht mehr so
auf das Haupt scheint, würden wir das vielleicht auch so
machen.
({5})
- Herr Montag, es ist doch nicht Ihr Tag heute.
({6})
Ich habe ja noch Verständnis dafür, dass Sie versuchen, uns zu hetzen. Wofür ich aber kein Verständnis
mehr habe, ist, dass wir jetzt auch noch pausenlos über
die Sache diskutieren sollen. Wir haben vor wenigen Tagen in der Sache über dieses Gesetz debattiert und ich
habe überhaupt keine Lust - und nicht nur ich nicht,
meine gesamte Fraktion -, mich Woche für Woche von
Ihnen treiben zu lassen.
({7})
Wir werden nämlich alsbald selbst einen Gesetzentwurf
einbringen. Vor zwei Tagen hat der Parlamentarische
Staatssekretär Hartenbach - ich kann ihm nur zustimmen - vorgetragen, dass die Bundesregierung wegen der
besonderen, jetzt immer drängender werdenden Eilbedürftigkeit kurzfristig den Entwurf für ein solches Gesetz einbringen wird.
Herr Kollege Gehb, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Seifert?
Anders als sonst muss ich sagen: Ich gehe schon ein
bisschen auf die 60 zu. Jede Sekunde ist wertvoll; da
möchte ich keine Zeit vergeuden.
({0})
Herr Hartenbach hat also gesagt: Wir werden den Entwurf alsbald einbringen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Anders als viele Kollegen, die eher gemahnt werden,
ihre Redezeit nicht zu überziehen, ende ich an dieser
Stelle. Mehr ist Ihr Antrag nämlich nicht wert.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Dyckmans,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einleitend möchte ich sagen, dass die FDP-Fraktion teilweise
sogar Verständnis für den heutigen Antrag der Grünen
aufbringen kann. Es muss schon frustrierend sein, wenn
die große Koalition die Behandlung des von der Fraktion
der Grünen eingebrachten Gesetzentwurfes im Rechtsausschuss nun schon zum zweiten Mal verschoben hat
und damit eine Abstimmung im Plenum verhindert.
Aber ob Sie mit dem Ergebnis einer Abstimmung zufrieden gewesen wären, ist eine andere Frage.
Zu Recht, meine Damen und Herren von den Grünen,
fordern Sie, dass die Bundesregierung endlich einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien vorlegt. Die Umsetzungsfristen
- Sie haben noch einmal darauf hingewiesen - sind zum
Teil verstrichen.
({0})
- Ja, ein Vertragsverletzungsverfahren ist bereits eröffnet
und es drohen empfindliche Strafen.
Von der Koalition ist im Rechtsausschuss angekündigt worden, dass noch vor der Sommerpause ein
Gesetzentwurf eingebracht werde. Wir dürfen gespannt
sein, ob und wie die Koalition nun zu einer gemeinsamen Linie findet. Das Hü und Hott innerhalb der Koalition ist schon bemerkenswert. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Rede des Kollegen Dr. Gehb im Plenum
am 20. Januar 2006 erinnern, in der er folgende Auffassung vertrat - ich zitiere -:
Der vorliegende Gesetzentwurf, aber auch die ihm
zugrunde liegenden europäischen Richtlinien …
stellen den Kern unserer historisch gewachsenen
Rechts- und Werteordnung auf den Kopf. Sie setzen
sich über alle kontinentaleuropäischen und verfassungsrechtlichen Grundsätze hinweg.
({1})
Also, Herr Dr. Gehb, vor drei Monaten wollten Sie diese
Richtlinien offensichtlich überhaupt nicht umsetzen.
({2})
Am 17. März 2006 haben die Bundesministerin
Zypries und Herr Dr. Gehb bei einer öffentlichen
Podiumsdiskussion der Industrie- und Handelskammer
in Frankfurt hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinien
den Eindruck vermittelt, man sei gar nicht mehr so weit
voneinander entfernt. Näheres war damals auch nicht zu
erfahren. Offensichtlich liegt der Teufel im Detail; sonst
hätten wir ja schon einen Gesetzentwurf und müssten
nicht die hohen Strafen der Kommission fürchten. Sollte
es tatsächlich daran liegen, dass man sich hauptsächlich
darüber streitet, wo die - unseres Erachtens völlig unnötige - neue Behörde, die sich um die Bürgerbeschwerden
kümmern soll, angesiedelt werden soll: bei einem SPDMinisterium oder bei einem CDU/CSU-Ministerium?
({3})
Darf ich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU daran erinnern, dass auch sie diese zusätzliche Behörde und die damit verbundene Bürokratie bisher immer abgelehnt haben?
({4})
Als Regierungspartei ist aber offensichtlich alles anders.
Das Sein verändert das Bewusstsein.
Die FDP-Fraktion wird jeden Gesetzentwurf kritisch
daraufhin überprüfen, ob zusätzliche Bürokratie und zusätzliche Belastungen geschaffen werden, die sich wettbewerbsschädigend auf die deutsche Wirtschaft auswirken.
Nach dem, was von den Planungen der Koalition nunmehr auch nach außen gedrungen ist, soll offensichtlich
zumindest der Titel des Gesetzes mittlerweile feststehen.
Man spricht jetzt nicht mehr von einem Antidiskriminierungsgesetz, vielmehr geht es jetzt um ein Gleichbehandlungsgesetz. Uns und auch die Öffentlichkeit interessiert aber der Inhalt des Gesetzes viel mehr.
({5})
Hier sollte endlich zügig Klarheit für unsere Gesellschaft
geschaffen werden.
({6})
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Aspekt
eingehen, der auch der Europäischen Kommission sehr
wichtig ist. In dem von der Kommission vorgelegten
Grünbuch „Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierung in einer erweiterten Europäischen Union“
vom 28. Mai 2004 führt diese aus - ich zitiere Seite 19
des Grünbuchs -:
Es ist auch wichtig, darauf zu verweisen, dass
Rechtsvorschriften nicht das einzige auf europäischer, nationaler oder regionaler Ebene zur Verfügung stehende Instrument sind.
Auch die FDP-Bundestagsfraktion hat immer wieder
darauf hingewiesen, dass sich der Abbau von Diskriminierungen nicht nur per Gesetz verordnen lässt. Dies ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle
in ganz unterschiedlicher Weise stellen müssen und stellen werden. Ich erinnere nur an die vielen ehrenamtlichen Engagements zum Abbau von Diskriminierung und
Benachteiligung sowie an Aktionen, wie Sie uns Abgeordneten zum Beispiel vom Verein „Gesicht zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland e. V.“ gerade in der letzten
Woche bei einer Veranstaltung eindrucksvoll vorgestellt
wurden. Aber auch im Bereich des Zivilrechts und des
Arbeitsrechts gibt es auf freiwilliger Basis viele gute
Beispiele und Ansätze, um Diskriminierungen vorzubeugen.
Lassen Sie uns also gemeinsam gegen jede Art von
Diskriminierung vorgehen.
({7})
Wichtig ist, dass wir jetzt zügig zu einem sorgfältig ausgearbeiteten Gesetzentwurf gelangen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zu Beginn erzähle ich Ihnen eine in Deutschland spielende Geschichte, die man vielleicht woanders
vermutet hätte: Ein netter Fußballabend war geplant. Er
sollte besonders nett sein, weil Werder Bremen in der
Champions League spielte. Ein Staatsbürger Kameruns,
der in unserem Land lebt und der deutschen Sprache gut
mächtig ist - vielleicht ist er auch in der Beantwortung
eines bestimmten Fragebogens fit -, wollte ein Bier trinken und sich das Spiel in einer Kneipe anschauen. Es
kam ganz anders. Eine Kellnerin verwies ihn der Kneipe.
Dies geschah ausgerechnet in Kreuzberg. Angeblich war
dort eine geschlossene Gesellschaft. Andere Gäste erklärten, es würden dort grundsätzlich keine Ausländer
bedient.
Dann sollte ihm ein Bier ausgegeben werden. Doch
auch das scheiterte. Der ausländische Mitbürger musste
gehen und tat meiner Meinung nach das Richtige, weil er
sich diese Demütigung nicht gefallen lassen wollte: Er
ging zur Polizei; denn zivilrechtlich gibt es immer noch
keine Handhabe gegen ein solches Verhalten. Es gibt
weder einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zutritt
noch einen Anspruch auf Schadensersatz - jedenfalls
keinen unmittelbaren. So erging gegen die Kellnerin
Strafbefehl wegen Beleidigung aus rassistischen Motiven.
Der ehemalige Justizsenator von Hamburg polterte in
der letzten Debatte zu diesem Thema im Deutschen Bundestag im Januar noch,
({0})
er habe nicht ein einziges Mal in Deutschland die Situation erlebt, dass jemand wegen seiner Hautfarbe aus einem Restaurant geworfen worden sei. Meine Damen und
Herren, ich fand damals und ich finde auch heute noch,
dass das ein skandalöser Beitrag war, der nichts mit dem
zu tun hat, was in diesem Lande passiert.
({1})
Diese Geschichte stand im „Tagesspiegel“ vom
25. März dieses Jahres. Man musste nicht lange danach
suchen. Ein solcher Fall ist in Deutschland nicht die Regel, aber er ist leider auch kein Einzelfall. Auch in der
Privatwirtschaft - das ist einer der Kernpunkte des von
uns zu verabschiedenden Gesetzes - müssen solche Formen von Diskriminierung in Zukunft untersagt und zivilrechtlich sanktioniert werden. Das wird jedenfalls nach
unserer Auffassung ein wichtiger Bestandteil des neuen
Gesetzes sein, über das wir hier demnächst diskutieren
werden.
({2})
Nach den Vorgaben der Europäischen Union ist ein
umfassender Diskriminierungsschutz im Zivilrecht jenseits des arbeitsrechtlichen Bereichs nur wegen der
Merkmale Rasse und ethnische Herkunft gefordert. Niemand aber hindert den nationalen Gesetzgeber daran,
mehr als das zu regeln, was in der Richtlinie vorgegeben
ist. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die
SPD-Fraktion die Regelungen des Antidiskriminierungsgesetzes aus der 15. Legislaturperiode nach wie
vor für gut und richtig hält.
({3})
Dieses Gesetz ist aus den bekannten Gründen der Diskontinuität anheim gefallen. Aber für uns ist wichtig,
weitere Gruppen mit in den Schutz vor Diskriminierung
aufzunehmen. Wir bleiben dabei: Bei den Regelungen,
über die wir noch zu diskutieren haben werden, sollten
die Merkmale Religion, Behinderung, Alter und sexuelle
Identität Bestandteil des Gesetzes werden.
({4})
Noch immer können behinderte Menschen zum Beispiel
im Restaurant oder im Hotel wegen einer befürchteten
Störung der anderen Gäste abgewiesen werden. Das gilt
auch bei anderen Massengeschäften des täglichen Lebens. Dagegen gibt es keinen Rechtsschutz. Diesen Zustand sollten wir beseitigen.
({5})
Wir gehen in die abschließenden Verhandlungen über
dieses Gesetz mit dem Ziel, diese Merkmale in die Vereinbarungen der großen Koalition aufzunehmen; denn
wir wollen und werden mit diesem Gesetz ein deutliches
Zeichen setzen und Benachteiligten den Rücken stärken.
Es bleiben - das ist schon besprochen worden - noch
offene Fragen, die in der Koalition zu klären sind. Ich
gehe davon aus, dass die hier gemachten Ankündigungen zutreffen und wir noch vor der Sommerpause über
einen konkreten Gesetzentwurf werden reden können.
Die Umsetzung ist eilbedürftig, da die ersten Umsetzungsfristen bereits abgelaufen sind. Das wissen wir
sehr genau. Mit Verlaub: Dazu hätten wir Ihren Antrag
nicht gebraucht.
({6})
- Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben uns in dieser
Debatte bereits im Januar Aussitzen vorgeworfen. Das,
was Sie Aussitzen nennen, hat bislang einen Zeitraum
von sechs Monaten in Anspruch genommen. Die gemeinsame Umsetzung in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung hat fast fünf Jahre gedauert. Das ist - das sage
ich ganz klar - ein Teil des Problems. Ergänzend füge
ich in der Retrospektive hinzu: Das war leider auch bei
anderen rechtspolitischen Projekten der Fall.
({7})
Mein persönlicher Favorit ist die Umsetzung der EUBiopatentrichtlinie. Ich nenne sie hier nur am Rande,
weil sie mich noch bis in den Schlaf verfolgt.
({8})
Auch das Antidiskriminierungsgesetz aus unserer
Zeit ist nicht vom Himmel gefallen. Dabei kann ich mich
sehr langwieriger Verhandlungen entsinnen. Es stimmt,
das Ergebnis dieser Verhandlungen war gut. Aber ich
darf auch darauf hinweisen - das tut dem einen oder anderen weh -: Die Konstellationen haben sich geändert.
Bei allem Verständnis für den Antrag, den Sie einbringen, und für das Verfahren, das Sie gewählt haben: Für
mich macht es überhaupt keinen Sinn, bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen denselben Gesetzentwurf
wie in der letzten Legislaturperiode mit absehbarem, ich
glaube sogar: sicherem Ergebnis erneut einzubringen
und zur Abstimmung zu stellen. Das wird nach meiner
Auffassung nur noch mehr Zeitverlust verursachen, das
Erreichen gemeinsamer Ziele noch unwahrscheinlicher
machen und den betroffenen Menschen jedenfalls nicht
helfen.
({9})
Es ist klar: Dabei wird es Kompromisse geben müssen. Auch wir werden Kompromisse eingehen müssen,
die uns wehtun. Aber nichts zu tun - das wäre in letzter
Konsequenz die Einbringung und Verhandlung des alten
Gesetzentwurfes -, führt uns überhaupt nicht weiter. Ich
glaube, das würde das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Politik weiter erschüttern. Wir jedenfalls stecken unsere Kraft in ein Projekt, das am Ende sachlich
vernünftig und mehrheitsfähig sein wird. Wir hoffen,
dass dieser Gesetzentwurf schnell auf den Tisch kommt.
Wir begeben uns in der neuen Situation anders als Sie in
die Mühen der Ebene, um in dem neuen Gesetz so viel
wie möglich von unseren sozialdemokratischen Überzeugungen wiederzufinden.
Mit diesem Gesetz wollen wir den benachteiligten
Gruppen in dieser Gesellschaft den Rücken stärken. Wir
wollen dabei natürlich auch die bürokratischen Belastungen so gering wie möglich halten. Deshalb halte ich es
für vertretbar, wenn abweichend von unserem früheren
Gesetzentwurf in diesem neuen Gesetz zum Beispiel die
Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen von sechs
auf drei Monate verkürzt wird.
Grotesk sind die Vorhaltungen, dass man mit diesem
neuen Gesetz Bürokratie aufbaut und die Wirtschaft
belastet. Ich sage es noch einmal: Schon die Sachverständigenanhörung in der letzten Legislaturperiode hat
eindeutig bestätigt, dass es nach den von der alten Koalition vorgenommenen Änderungen weder zu einer Klageflut - ich darf an die Erfahrungen mit § 611 a BGB erinnern, der vor mehr als zehn Jahren in Kraft getreten ist
und weniger als 200 Verfahren nach sich gezogen hat noch zu einer übermäßigen Belastung der Wirtschaft
- was auch immer darunter zu verstehen ist - gekommen
ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die
Erfahrungen in anderen europäischen Ländern wie Irland, Belgien, Frankreich und die Niederlande.
Ich denke, dass wir mit dem so genannten Allgemeinen Gleichstellungsgesetz der Kultur dieses Landes einen Gefallen tun und die Diskussion insgesamt nach
vorne bringen. Eine Kultur der Antidiskriminierung entsteht bekanntlich nicht allein durch ein Gesetz. Auch der
vorzulegende Gesetzentwurf kann nur einen Rahmen
bieten; er ist eine Aufforderung an alle gesellschaftlichen Akteure - die Politik wie die Zivilgesellschaft, die
Wirtschaft wie die Gewerkschaften und alle anderen Bereiche -, daran mitzuwirken, dass die Diskriminierung
gesellschaftlicher Gruppen kein Kavaliersdelikt ist, sondern von der Gesellschaft geächtet wird.
({10})
Erst dann werden sich Vorfälle wie der in der Kreuzberger Kneipe nicht wiederholen. Das streben wir mit
dem vorzulegenden Gesetzentwurf an. Wir wollen einen
Schritt in Richtung einer solidarischen Gesellschaft gehen. Der Charakter einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit ihren Minderheiten. Deshalb machen wir dieses Gesetz.
Ich bin sehr gespannt auf die Debatte und lade besonders unseren früheren Koalitionspartner ein, sich einem
guten Gesetz nicht aus vielleicht verständlichen, aber
sachfremden Gründen zu widersetzen. Das erwarte ich.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dagdelen, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Was die große Koalition derzeit zu einem Antidiskriminierungsgesetz zusammenbastelt, lässt meines Erachtens
nichts Gutes erwarten. Es ist durchgesickert, dass Menschen mit Behinderungen eventuell doch in den Diskriminierungsschutz im Zivilrecht aufgenommen werden.
Auf der Strecke bleiben dagegen Schwule und Lesben,
Alte und Angehörige religiöser Minderheiten, die beim
Zugang zu öffentlich verfügbaren Gütern und Dienstleistungen auch weiterhin nicht vor Diskriminierung geschützt werden sollen.
Deswegen begrüßt die Bundestagsfraktion Die Linke
ausdrücklich den vorliegenden Antrag des Bündnisses 90/
Die Grünen. Ein Antidiskriminierungsgesetz, das gleichzeitig benachteiligte Gruppen ausgrenzt, verdient seinen
Namen nämlich nicht.
({0})
Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Hierarchie von
Diskriminierungen gesetzlich festgeschrieben wird. Warum soll ein Schwarzer, der bei der Vergabe einer Wohnung diskriminiert wird, gegen den Vermieter klagen
können, eine Muslimin, die, weil sie ein Kopftuch trägt,
diese Wohnung ebenfalls nicht bekommt, dagegen nicht?
Aus sachlichen Gründen ist der Einschluss aller genannten Merkmale nach Art. 13 EG-Vertrag in den Diskriminierungsschutz zwingend erforderlich. Schwule
Männer erhalten oft - wie auch mein Kollege Beck kurz
deutlich gemacht hat - pauschal und ohne Begründung
keine Lebens- und Krankenversicherung. Älteren Menschen wird der Dispo ihres Girokontos mit dem Hinweis
auf ihr Lebensalter gekündigt.
Dagegen sind die vermeintlich berechtigten inhaltlichen Einwände, die gegen einen breiten Diskriminierungsschutz angeführt werden, nicht haltbar, Herr Gehb.
({1})
Natürlich ist es nicht die Aufgabe des Staates, per Gesetz
die Einstellungen der Menschen zu verändern. Aber hier
handelt es sich um die Regelung und Bewertung äußerlich sichtbaren Verhaltens. Der Staat ist im Rahmen
seiner Schutzpflicht nach Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz
verpflichtet, benachteiligte Gruppen auch vor Diskriminierung durch Privatpersonen zu schützen. Dabei ist das
Recht zwar nicht das einzige Mittel, aber - das wird
auch oft bei anderen Themenkomplexen angeführt - ein
unverzichtbares.
({2})
- Können Sie bitte etwas ruhiger sein und sich nach
draußen begeben, wenn Sie Ihre Gespräche fortführen
wollen?
({3})
Für ebenfalls nicht überzeugend halte ich die vielstimmige Klage über angeblich übertriebene Schutzvorstellungen, die die Privatautonomie und die allgemeine
Handlungsfreiheit einschränken. Freiheit bedeutet eben
nicht die Freiheit, andere zu diskriminieren. Diskriminierungsverbote werden Optionen gesellschaftlicher
Teilhabe erweitern. Ein umfassendes Benachteilungsverbot zielt nämlich gerade darauf, die Vertragsfreiheit auch
für diejenigen zu gewährleisten, die bisher durch Diskriminierung von ihr ausgeschlossen blieben.
({4})
Die heftigen Reaktionen aus Teilen der Wirtschaft lassen
eher darauf schließen, dass in diesem Bereich in erheblichem Umfang Diskriminierungen stattfinden.
Der breite Diskriminierungsschutz des ehemals rotgrünen Gesetzentwurfs ist also zwingend beizubehalten.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, fordere ich auf, bei Ihrem früheren politischen Vorhaben etwas mehr Standhaftigkeit zu zeigen.
({5})
Kritisch anmerken muss ich an dieser Stelle aber, dass
der Begriff der Rasse in einem Antidiskriminierungsgesetz nichts zu suchen hat. Dieser Begriff ist Teil des Rassismus, weil er suggeriert, es gäbe unterschiedliche
Menschenrassen. Wir plädieren in unserem Antrag dafür, diesen Begriff durch die Diskriminierungsmerkmale
Nationalität, Hautfarbe, Sprache und Staatsangehörigkeit zu ersetzen.
({6})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
Union, in Baden-Württemberg stellt die CDU mit dem
Gesinnungstest alle Muslime unter den Generalverdacht, eine homophobe Gesinnung zu haben.
({7})
Ihre Weigerung, diese Gruppe aufzunehmen, offenbart,
dass Sie eigentlich diejenigen sind, die ein gestörtes Verhältnis zu Schwulen und Lesben haben.
({8})
Aber Gleichbehandlung ist unseres Erachtens nicht teilbar.
Die Bundestagsfraktion Die Linke wird beim Antidiskriminierungsgesetz keine faulen Kompromisse akzeptieren.
({9})
Lassen wir es nicht zu, und zwar gemeinsam, Herr
Wieland, dass mit einer Eins-zu-eins-Umsetzung der
EU-Richtlinien einem umfassend ausgestalteten Diskriminierungsschutz die rote Karte gezeigt wird.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/957 mit dem
Titel „Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungsgesetz“. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung
geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer
stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Überweisung
so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 16/957 nicht ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von
Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich
von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet
- Drucksache 16/444 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften des Sozialen
Entschädigungsrechts und des Gesetzes über
einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im
Beitrittsgebiet
- Drucksache 16/754 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 16/1162 Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wesentlicher Bestandteil der gesetzlichen Regelungen,
über die wir beraten, ist die Umsetzung von Entscheidungen oberster Bundesgerichte. Erstens geht es um die
Grundsatzentscheidungen des 9a. Senats des Bundessozialgerichtes und des Bundesverfassungsgerichtes
zum sozialen Entschädigungsrecht. Das betrifft eine Änderung des Bundesversorgungsgesetzes. Hier ist vorgesehen, dass neben der Beschädigtengrundrente und
der Schwerstbeschädigtenzulage für Kriegsbeschädigte
und SED-Opfer in den neuen Bundesländern die Alterszulage nach dem Bundesversorgungsgesetz mit Wirkung
zum 1. Januar 1999 zu gewähren ist. Das werden wir mit
den neuen Regelungen umsetzen.
Zum Zweiten geht es um das Opferentschädigungsrecht. Hierzu gibt es einen Beschluss des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2004.
Eigentlich wären wir gehalten gewesen, das bis zum
31. März dieses Jahres umzusetzen. Ich glaube aber, dass
die geringe zeitliche Verzögerung zeigt, dass wir uns
sehr intensiv bemüht haben. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, wenn ein Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft aus dem Opferentschädigungsgesetz
keine Versorgungsleistung erhält, wenn er nach dem gewaltsamen Tod des anderen Lebenspartners unter Verzicht der Erwerbstätigkeit die Betreuung des gemeinsamen Kindes bzw. der gemeinsamen Kinder übernimmt
bzw. ausübt. Es wird zugrunde gelegt, dass zumindest in
den ersten drei Lebensjahren eines Kindes, also in dem
Zeitraum, in dem der nicht eheliche Partner Kinderbetreuungsunterhaltsansprüche hätte geltend machen können, der unverheiratete Elternteil beim Tod des Partners
genauso auf staatliche Unterstützung angewiesen wäre
wie der verheiratete. Wir werden dies nun umsetzen, damit Leistungen gewährt werden können. Ähnliche Konstellationen gibt es im Soldatenversorgungsgesetz, im
Zivildienstgesetz und im Infektionsschutzgesetz. Ich
glaube, wenn wir jetzt diese Ergänzung vornehmen, geben wir den Betroffenen neue Sicherheit.
Ein weiterer zentraler Punkt betrifft den Ausgleich
für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet. Hierzu
hat das Bundesverfassungsgericht am 21. November
2001 eine Entscheidung getroffen. Dabei geht es um
Regelungen zu Dienstbeschädigtenteilrenten aus den
Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR. Entschieden worden ist, dass die Vorschriften des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes über
den Wegfall dieser Renten beim Zusammentreffen mit
anderen Leistungen für die Angehörigen der vier ehemaligen Sonderversorgungssysteme - damit auch für die
Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit der
DDR - mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind.
Dies korrigieren wir jetzt. Wir sind aber den Beratungen im Bundestag und den Begehren, die hier unter anderem in den Reden von Frau Michalk, von Herrn
Haustein, von Frau Schmidt und in der Ausschussanhörung geäußert worden sind, gefolgt und verankern mit
dieser Korrektur einen gesetzlichen Verwirkungstatbestand. Dieser Verwirkungstatbestand regelt Folgendes:
Wenn Leistungsberechtigte im Dienst gegen Grundsätze
der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, werden ihnen diese Leistungen nicht gewährt. - Grundlage hierfür wird die Möglichkeit einer
sehr intensiven Prüfung sein, insbesondere bei jenen, die
der Staatssicherheit der DDR angehört haben. Wir setzen
den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eins zu
eins um, aber mit Rücksicht auf die Opfer des SED-Unrechtregimes. Verfassungsrechtler haben uns diese Möglichkeit einer rechtsstaatlichen Vorgehensweise in der
Anhörung erläutert.
Bei den beiden weiteren Punkten geht es um rechtliche Klarstellungen: Die vom Bundesversorgungsgesetz
vorgesehene Grundrente für Bewohner des Beitrittsgebiets - auf sie wird im Dienstbeschädigungsausgleich
Bezug genommen - hat sich an den Maßgaben des Einigungsvertrages zu orientieren. Eine ähnliche Klarstellung erfolgt beim Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und bei der Sonderleistungsverordnung.
Dort geht es darum, dass der Wegfall von Leistungen
wegen Zusammentreffens mit Altersrenten oder von
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit so geregelt werden muss, dass klar ist, dass diese Regelung
auch für Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Altersversorgungssystemen gilt.
Was die Sozialversicherungsmeldepflicht angeht,
führen wir Erleichterungen für kleinere Unternehmen
herbei, die über keine Computerausstattung verfügen.
Sie können Meldungen an die Krankenkassen bezüglich
der Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge auch
schriftlich abgeben. Wir schaffen also Erleichterungen
für den Mittelstand.
Summa summarum geht es um die Umsetzung von
Entscheidungen höchster Gerichte, um Klarstellungen
im Recht und darum, für den Mittelstand Erleichterungen bei der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zu
schaffen. Ich glaube, dass das gute gesetzliche Vorhaben
sind. Ich bitte Sie, wie die breite Mehrheit der Ausschussmitglieder, für den Gesetzentwurf zu stimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde, FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für die Fraktion der FDP begrüße ich es, dass
der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und
des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet nun sowohl von beiden Koalitionsfraktionen als auch vom Bündnis 90/Die Grünen
und von der FDP getragen wird. Die uns als Bundestag
durch einige verfassungsgerichtliche Entscheidungen
und auch durch ein Urteil des Bundessozialgerichts aufgegebenen Gesetzesänderungen werden somit von einer
breiten Mehrheit hier im Plenum getragen.
Insgesamt handelt es sich um eine bunte Mischung
verschiedener Regelungskomplexe. Die Sachverständigenanhörung hat gezeigt, dass der erste Regelungskomplex, die Dienstbeschädigungsrenten für ehemalige
Mitarbeiter des MfS, sich in einem sehr empfindlichen
Spannungsfeld bewegt. Auf der einen Seite soll das Sozialrecht nicht als Strafrecht angewandt werden. Auf der
anderen Seite dürfen auch im Dienstbeschädigungsrecht
die tatsächlichen Unterschiede der verschiedenen
Rechtssysteme und Leistungshöhen in diesen Systemen
nicht einfach als unbeachtlich vernachlässigt werden.
Daher ist der vorgeschlagenen Regelung des Freibetrags
Ost beim Zusammentreffen von Dienstbeschädigungsund Altersrenten zuzustimmen. Die Anhörung zu diesem
Gesetzentwurf am Montag hat klar ergeben, dass andernfalls eine Überversorgung der ehemaligen MfS- und
NVA-Mitarbeiter eintreten würde. In diesem Haus sind
wir uns fast alle einig, dass wir das wohl nicht wollen.
({0})
Richtig ist jedenfalls, dass nun bei Dienstbeschädigungsteilrenten eine Kürzung oder Aberkennung vorgenommen werden kann, wenn der Beschädigte gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat und auch in schwerwiegendem Maß
seine Stellung zum eigenen Vorteil bzw. zum Nachteil
anderer missbraucht hat. Die nun gesetzlich vorgesehene
Einzelfallprüfung hat unter anderem auch die FDP in der
ersten Lesung gefordert. Daher begrüßen wir den entsprechenden Änderungsvorschlag.
Entscheidend an diesem Punkt ist auch, die berechtigten Interessen der Opfer der SED-Gewaltherrschaft zu
wahren. Wie gesagt, es ist rechtsstaatlich zwingend, das
Sozialrecht nicht als Strafrecht zu nutzen. Allerdings
darf dies auch nicht dazu führen, dass die damals Benachteiligten heute weiterhin benachteiligt sind.
Es ist daher bedauerlich, dass die Koalition nicht zeitgleich eine Initiative für die Verbesserung der Opferpensionen vorschlägt, obwohl dies doch sogar im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Das ist einige Monate her
- Herr Schaaf, Sie haben mich im Ausschuss darauf hingewiesen -; Sie hätten also ein halbes Jahr Zeit gehabt,
das voranzutreiben. Das ist nicht geschehen; das ist
schade. Aber es wird Besserung gelobt. Wir haben die
Hoffnung, dass sich das schnell bewahrheitet.
Die Bundesregierung sollte hier Klarheit schaffen;
denn die Opfer des MfS und der SED-Diktatur spüren
teilweise noch heute die Benachteiligungen in ihrem Leben.
Zum zweiten Regelungskomplex des Gesetzes. Das
Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich der Änderung des Bundesversorgungs- und Opferentschädigungsgesetzes einen Beschluss bis zum 31. März dieses
Jahres angemahnt. Danach soll nun auch der Partner in
einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft nach dem gewaltsamen Tod des anderen Lebenspartners eine Versorgungsleistung erhalten, wenn er unter Verzicht auf eine
eigene Erwerbstätigkeit die Betreuung der gemeinsamen
Kinder übernimmt. Dies ist sinnvoll; denn in den ersten
drei Lebensjahren des Kindes ist der nicht eheliche überlebende Elternteil genauso wie ein ehelicher Elternteil
auf staatliche Unterstützung angewiesen.
Das ist auch gesetzessystematisch konsequent, da für
diesen Zeitraum der nicht eheliche Lebenspartner
Kinderbetreuungsunterhaltsansprüche nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch geltend machen kann und für diesen
Zeitraum auch hier bereits dem Ehepartner gleichgestellt
ist.
Allerdings müsste zu gegebener Zeit überdacht werden - da schaue ich besonders in Richtung der Grünen -,
ob nicht auch gleichgeschlechtliche Partner von dieser
Regelung profitieren sollen.
({1})
Das hatten wir gemeinsam in den Beratungen angemahnt.
({2})
- Genau. Wir arbeiten daran.
Schließlich ist zu begrüßen, dass künftig im sozialrechtlichen Meldeverfahren auch schriftliche Meldungen zugelassen werden und nicht alles elektronisch abzuwickeln ist. So wird insbesondere auch den Interessen
von Menschen mit Behinderungen nachgekommen, die
mit der Einführung des persönlichen Budgets nun auch
als Arbeitgeber in die Pflicht zur Abführung von Sozialabgaben kommen könnten. Es ist also nicht nur der Mittelstand Nutznießer dieser Verbesserung; das betrifft
auch viele andere. Das wird zwar die Anzahl der Fälle
erhöhen, die diese Formulare nutzen, aber das ist ja in
unserem gemeinsamen Sinne. Insofern begrüßen wird
das außerordentlich.
Insgesamt beinhaltet der von der Koalition, der FDP
und den Grünen gemeinsam getragene Gesetzentwurf einige Regelungen, die den Betroffenen weiterhelfen werden. Er steht für eine Sozialpolitik mit Augenmaß. Dafür
kann man die Liberalen gewinnen. Wir werden der heute
vorliegenden Beschlussempfehlung zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir
haben uns für die verbundene Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen
Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet
etwas mehr Zeit genommen, als eigentlich vorgesehen
war. Das war richtig - Herr Staatssekretär, das bestätige
ich Ihnen ausdrücklich; denn nun können wir in diesem
Hohen Hause in großer Einvernehmlichkeit ein den ergangenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und
des Bundessozialgerichts sowie unserer parlamentarischen Grundeinstellung entsprechendes Gesetz verabschieden.
Nur die Fraktion der Linken hat sich enthalten, was
wohl nicht heißt, dass sie keine Meinung hat. Sie steht
eben in ihrer eigenen Tradition.
({0})
Nun zum Inhalt. Mit dem neuen Gesetz - darauf
wurde schon hingewiesen - erhält ein Partner einer nicht
ehelichen Gemeinschaft Versorgungsleistungen nach
dem Bundesversorgungs- und Opferentschädigungsgesetz, wenn er nach dem gewaltsamen Tod des anderen
Lebenspartners die Betreuung der gemeinsamen Kinder
übernimmt und dabei bis zum dritten Lebensjahr des
Kindes auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Damit ist
eine Lücke geschlossen worden, womit nicht nur dem
Leid der Hinterbliebenen Rechnung getragen, sondern
auch dem Bedürfnis des Kindes in dieser frühkindlichen
Phase entsprochen wird.
Ein zweiter Punkt im Gesetz beinhaltet die Neufassung des § 84 a BVG. Der Verweis führt nach der bisherigen Verwaltungspraxis dazu, dass beim ZusammentrefMaria Michalk
fen von einer Verletztenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung mit einer Versichertenrente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung für Berechtigte in den
neuen Bundesländern ein geringerer Freibetrag zum Tragen kommt. Die Neufassung bestätigt die bisherige
Verwaltungspraxis; es ist also eine Klarstellung. Ein unterschiedlicher Freibetrag je nach Wohnort der Berechtigten spiegelt die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse in Ost und West wider, die zum Beispiel auch
für einen niedrigeren Rentenwert sorgen. Ein einheitlicher Freibetrag würde das Gesamtgefüge zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und Unfallversicherung
verschieben. Das musste auch ich begreifen, nachdem
ich anfangs Schwierigkeiten hatte, das einzusehen. Aber
die Regelung liegt in der Rechtssystematik begründet
und ist gerecht. Wir sind gefordert, von diesem Hohen
Haus Gerechtigkeit ausgehen zu lassen.
In den weiteren Punkten wird das seit Januar 1997
geltende Gesetz über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet für die Angehörigen
der ehemaligen Sonderversorgungssysteme, also der Nationalen Volksarmee, der Deutschen Volkspolizei, der
Organe der Feuerwehr und des Strafvollzugs sowie der
Zollverwaltung, die am 1. August 1991 Anspruch auf
eine Dienstbeschädigungsrente eines DDR-Sonderversorgungssystems hatten, auf die Zeit von August 1991
bis Dezember 1996 erstreckt. Hier setzen wir präzise
um, was uns das Bundesverfassungsgericht an Vorgaben
gemacht hat. Die Beschränkung der Gewährung von
Leistungen auf solche Fälle, in denen keine bestandskräftigen Verwaltungsakte vorliegen, wurde in der Anhörung noch einmal bestätigt. Die Anhörung hat zudem
einen Fakt aufgezeigt, der bereits bei der Einbringung
des Gesetzentwurfes von verschiedenen Seiten thematisiert wurde. Grundsätzlich sollen neben den bereits genannten Berufsgruppen auch frühere Angehörige des
Ministeriums für Staatssicherheit und des Amtes für Nationale Sicherheit der DDR einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen für den genannten Zeitraum erhalten. Ohne all diese Neuregelungen wären Mehrkosten von
rund 1,3 Millionen Euro jährlich sowie Nachzahlungen
von bis zu 5,5 Millionen Euro zu erwarten; das stelle
man sich einmal vor.
Mit jedem Erfolg, den ehemalige Mitarbeiter des MfS
hinsichtlich ihrer materiellen Besserstellung erreichen,
wird die Kluft zwischen den heutigen Lebensverhältnissen der früheren Täter und ihrer Opfer größer.
({1})
Der Respekt gegenüber den Opfern der SED-Diktatur
gebietet nicht nur, dass den Opfern öffentlich Rechtfertigung zuteil wird, dass wir ihnen immer und immer wieder zuhören und dass ihre besonderen Verdienste und
Leiden von uns aufmerksam wahrgenommen und gewürdigt werden;
({2})
auch die materielle Entschädigung der Opfer muss uns
ein zentrales Anliegen bleiben. Deshalb bin ich besonders dankbar, dass wir im Ausschuss einvernehmlich die
Notwendigkeit der Einführung einer Opferpension - die
noch nicht als Gesetzentwurf vorliegt; das ist wahr - gerade im Hinblick auf die permanente Besserstellung der
Systemträger erkannt haben.
({3})
Ich denke, dass es eine gute parlamentarische Stunde
war, als wir in der Ausschussberatung nach Auswertung
der uns zugegangenen Stellungnahmen und der Anhörung mit großer Mehrheit eine Beschlussempfehlung
verabschiedet haben, nach der eine Dienstbeschädigungsteilrente zu kürzen oder abzuerkennen ist, wenn
sich der Unfall im Zusammenhang mit einer dienstlichen
Handlung ereignet hat, bei der der Beschädigte gegen
die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat.
({4})
Da diese Möglichkeit nur individuell auf eine Person anwendbar ist, haben wir für die Mitglieder des MfS/AfNS
die Einzelfallprüfung festgeschrieben. Dies wird vom
Einigungsvertrag als auch vom Bundesverfassungsgericht getragen.
Die Stasi hat auch für ihre Mitarbeiter akribisch Personalakten geführt. Schon seit einigen Jahren werden
aus diesen Unterlagen auf Anfrage die für Rentenberechnungen und Gewährung anderer Leistungen notwendigen Daten den zuständigen Behörden mitgeteilt. Zu diesen Unterlagen mit Personalbezug gehören auch
Gesundheitsunterlagen, einschließlich der Unterlagen zu
den Dienstunfällen. Deshalb ist es auch im Nachhinein
möglich, den Hergang von Dienstunfällen nachzuvollziehen und gesundheitliche Folgen einzuordnen.
Die Behörde für Stasiunterlagen hat 1990 - das muss
man sich einmal vorstellen - rund 1 300 anerkannte
Dienstunfälle aus diesem Bereich übernommen. Das entbindet die betroffenen Dienstbeschädigten aber nicht
von ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht; sie haben die
Beweispflicht. Von den bearbeitenden Stellen erwarten
wir die nötige Sensibilität bei der Antragsprüfung und
-bearbeitung.
({5})
Für die rechtliche Beurteilung des Ausschlusstatbestandes - keine Zahlung von Unfallrente oder Kürzungen - kommt es nicht auf die formale Gesetzmäßigkeit
der Handlung an, sondern auf den materiellen Unrechtscharakter des Verhaltens nach den rechtsstaatlichen
Grundsätzen. Es muss zwar ein innerer Zusammenhang
zwischen der Tat, die zur Unfallrentenkürzung oder -aberkennung führt, und der gesundheitlichen Schädigung
vorliegen. Aber grundsätzlich reicht es aus, dass die
Schädigung allgemein im Rahmen eines die gesamte Tätigkeit prägenden übergeordneten Unrechtsgeschehens
erfolgt ist.
Diese neue Regelung erfasst alle Angehörigen der
Sonderversorgungssysteme nach Anlage 2 des AAÜG.
So kommen auch an dieser Stelle die vom Mielke-Ministerium in der DDR selbst initiierten Akten der Systemträger zur Anwendung und quasi zur eigenen Beweisführung des menschenverachtenden Systems.
Zur Bekräftigung zitiere ich aus einer Rede des Präsidenten der damaligen Tschechoslowakei, Václav Havel,
der im Dezember 1992 in Davos sagte:
Er
- der Kommunismus war der Versuch, das gesamte Leben nach einem
simplen Modell zu organisieren und es einer zentralen Planung und Kontrolle zu unterwerfen, völlig
unabhängig davon, ob es dem wirklichen Leben
auch entsprach … Der Kommunismus wurde nicht
durch militärische Macht besiegt, sondern durch
das Leben als solches. Durch den menschlichen
Geist. Durch das Gewissen der Menschen. Durch
den Widerstand der Menschen gegen die Manipulation des Menschlichen.
({6})
Diese Worte sind nicht nur Bestätigung unserer Erkenntnisse aus der Geschichte, sondern auch Mahnung.
Wir alle haben die Pflicht, uns gegen die Geschichtsklitterung der damaligen Systemträger, die immer offensiver wird - das hat sich die letzten Wochen in Berlin
und an anderen Orten unserer Republik gezeigt -, stark
zu machen. Deshalb muss sich eines der nächsten Gesetze, die wir auf der Tagesordnung haben werden, mit
der Pensionsentschädigung der Opfer befassen. Ich
bitte zu helfen, dass wir hier eine bessere Regelung finden. Ich hoffe, dass uns die österliche Auferstehungsgeschichte in der nächsten Zeit die Kraft dazu gibt.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Osterfest.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Weiß, wenn Sie sich beruhigt haben, kann ich
anfangen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hinsichtlich des Entschädigungsrechts und des Ausgleichs von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet ist
der Gesetzgeber aufgefordert - das ist schon ausgeführt
worden -, die Gesetzgebung verfassungskonform zu gestalten.
An dem vorliegenden Entwurf begrüßt die Fraktion
Die Linke, dass der Versuch unternommen wird, die unterschiedliche Behandlung von dienstbeschädigten
Kriegsopfern und Opfern von Straftaten in Ost und West
aufzuheben. Der Entwurf sieht allerdings vor, die
Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, auf die
eine Reihe der angesprochenen Leistungsgesetze Bezug
nehmen, für Ansprüche aus dem Beitrittsgebiet auch in
Zukunft zu mindern. Dies müssen wir als einen Versuch
des Gesetzgebers ablehnen, nachträglich die Rechtsprechung oberster Bundesgerichte zu ändern.
({0})
Zudem halten wir einen Abschlag für Berechtigte aus
dem Beitrittsgebiet angesichts einer weit gehenden Angleichung der Lebenshaltungskosten für nicht mehr zeitgemäß.
Auch hinsichtlich der Verbesserung der Situation
hinterbliebener Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner scheint uns der Entwurf zu kurz gesprungen. In
den Fällen, in denen aus einer Lebensgemeinschaft gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, wäre aus unserer Sicht sowohl hinsichtlich der Leistungsdauer wie
auch der Leistungshöhe eine Gleichstellung mit vergleichbaren Personen aus einer Ehe anzustreben.
Besonders beschäftigt haben den zuständigen Ausschuss - das ist hier mehrfach angesprochen worden die Regelungen zum Wegfall der Dienstbeschädigungsteilrenten aus den vier Sonderversorgungssystemen der
ehemaligen DDR. Das Verfassungsgericht hat diese als
Verfassungsverstoß angesehen und den Gesetzgeber zu
einer Neuregelung verpflichtet. Opfer der Staatssicherheit, die bis heute auf eine umfassende Wiedergutmachung erlittenen Unrechts warten, sehen Nachzahlungen
an Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit als
eine - ich zitiere - „völlig unerklärliche Sanftmut gegen
Angehörige eines Unterdrückungsapparats“. Auch für
unsere Fraktion ist unbestreitbar, dass den Opfern durch
Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und
der Rechtsstaatlichkeit in vielen Fällen kaum wieder gutzumachender Schaden zugefügt worden ist.
({1})
Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass hinzufügen,
dass wir die Geschichtsklitterung einiger unbelehrbarer
Ewiggestriger und die damit verbundene Verhöhnung
von Opfern, wie sie kürzlich in Hohenschönhausen stattgefunden hat, nicht akzeptieren und in aller Deutlichkeit
verurteilen.
({2})
Aber soweit nun durch die Einfügung eines Paragrafen zur Leistungsversagung und -entziehung Voraussetzungen dafür geschaffen werden, die Täter über das Sozialrecht verfassungskonform sühnen zu lassen,
bezweifeln wir die Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens. Die Anhörung, die zu diesem Thema stattgefunden hat, hat klar ergeben, dass sich die Überprüfung
nicht auf die relativ wenigen betroffenen ehemaligen
Volker Schneider ({3})
Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit bzw.
des Amts für Nationale Sicherheit begrenzen lassen
wird.
({4})
Es droht ein erheblicher Prüfungsaufwand mit zweifelhaftem Erfolg. Der uns nicht nahe stehende Sachverständige Professor Dr. Steinmeyer sprach in der Anhörung
von einem schön gemeinten Gesetz, das auf nicht genügend Fälle zutreffen würde, sodass es verpufft.
({5})
Kollege Schaaf meinte dagegen, dass sich dieser Aufwand schon dann lohne, wenn es sich nur um einen einzigen Fall handele. Nein, Kollege Schaaf, was Sie sagen,
ist zwar emotional verständlich, hält aber einer rationalen Prüfung nicht stand. Das Geld, das für den Verwaltungsaufwand nötig ist, wäre bei den Opfern allemal
besser aufgehoben,
({6})
zumal es traurig ist, dass auch im Jahre 16 nach der Wiedervereinigung noch immer keine Regelung gefunden
worden ist, den Opfern für die entstandenen Schäden,
die sich im juristischen Sinne nicht operationalisieren
lassen, eine unbürokratische Wiedergutmachung zu gewähren.
({7})
Frau Michalk, wenn Sie ein solches Gesetz auf den Weg
bringen würden, könnten Sie sich auf unsere Unterstützung verlassen.
Kurz: Auch wenn der Gesetzentwurf in die richtige
Richtung geht, können wir ihm aufgrund der genannten
Mängel nicht zustimmen. Die Fraktion Die Linke wird
sich daher in der Abstimmung enthalten.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts umgesetzt. Ich möchte auf zwei Punkte besonders
eingehen.
Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe dem Gesetzgeber aufgetragen, nicht eheliche
Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern im
Opferentschädigungsgesetz der Ehe gleichzustellen.
Das ist geschehen. Allerdings hätten wir uns gewünscht
- da unterstütze ich Herrn Rohde, der das gerade vorgetragen hat -, die Regierung wäre etwas mutiger gewesen
und hätte die Versorgungssituation nicht ehelicher Lebensgemeinschaften mit Kindern umfassender geregelt
und sich nicht nur auf die ersten drei Lebensjahre bezogen.
({0})
Zum anderen beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf Regelungsbedarf hinsichtlich des Entschädigungsrechtes für Dienstunfälle von Personen, die in den so
genannten Sonderversorgungssystemen der DDR waren.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben,
diesem Personenkreis zusätzlich zur Altersrente auch einen Ausgleich für Unfälle im Dienst zu gewähren. Der
Ausgleich von Dienstbeschädigungen kommt damit
auch Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit
zugute.
Für die Opfer der SED-Diktatur ist diese Vorgabe
von Karlsruhe wirklich bitter. In der Anhörung wurde
überdeutlich, dass die Gerechtigkeitslücke zwischen Täter und Opfer damit weiter vergrößert würde. Für viele
Opfer, die in der ehemaligen DDR beruflich eingeschränkt waren und die deshalb heute eine niedrigere
Rente bekommen, ist dieses Ergebnis ein Schlag ins Gesicht.
({1})
Der Sachverständige Hubertus Knabe berichtete von resignativen Aussprüchen eines Opfers der SED-Diktatur,
der das Resümee zog: Widerstand lohnt sich nicht. Das
bringt die herbe Schlussfolgerung, die Opferverbände
aus den Vorgaben von Karlsruhe ableiten, auf den Punkt.
Die Vorkommnisse in Hohenschönhausen und der
aggressive Auftritt von 250 ehemaligen Stasimitarbeitern, die die Opfer der SED-Diktatur verhöhnten, sind
gerade für die Opfer nur schwer zu ertragen, zumal sich
diese Ewiggestrigen der guten Zusammenarbeit mit einigen Kollegen dieses Hauses - da werden Gesine Lötzsch
oder Martina Bunge genannt - rühmen.
An dieser Stelle möchte ich gerne ausdrücklich der
Kollegin Petra Pau zur Vizepräsidentschaft gratulieren.
Ich bin froh, dass sie sich sehr eindeutig von solchen
Machenschaften distanziert hat.
({2})
Dennoch, ein genereller Ausschluss von MfS-Mitarbeitern ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich, ebenso wenig eine
pauschale Regelung für einzelne Berufsgruppen. Die
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation rechtfertigt für sich allein keinen Leistungsausschluss.
Ich bin wirklich sehr froh, dass uns die Sachverständigen in der Anhörung einen Weg aufgezeigt haben, wie
das Bundesverfassungsgerichtsurteil korrekt umgesetzt,
aber dennoch eine Einzelfallprüfung in das Gesetz aufgenommen werden kann. Es ist uns im Ausschuss gelungen, den Gesetzentwurf so zu formulieren, dass ihm alle
Fraktionen - außer den Linken - zustimmen konnten.
Nunmehr ist festgelegt, dass Mitarbeiter der Stasi, die
nachweislich gegen Grundsätze der Menschlichkeit und
der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, ganz vom Bezug einer zusätzlichen Dienstbeschädigungsrente ausgeschlossen werden können oder zumindest der Leistungsbezug gemindert werden kann. Voraussetzung ist, dass
die Dienstbeschädigung damit in einem inneren Zusammenhang steht. Ich finde, das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.
({3})
Ich frage mich wirklich, Herr Kollege Schneider,
wieso es der Linken nicht möglich ist, einen solchen Antrag zu unterstützen.
({4})
Wir haben Ihnen angeboten, eine getrennte Abstimmung
nur zu diesem Punkt zu machen, wenn Sie mit anderen
Vorschriften dieses Gesetzes Probleme haben. Sie haben
im Ausschuss argumentiert, Sie könnten nicht zustimmen, weil eine Einzelfallprüfung zu bürokratisch und zu
teuer sei.
({5})
- Ja, das haben Sie im Ausschuss gesagt. - Hier haben
Sie gerade gesagt, man finde nicht genügend Fälle.
Diese Begründung ist bei 800 vorliegenden Fällen, die
noch zu regeln sind, geradezu heuchlerisch.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei
der Stimmabgabe zu diesem Gesetz haben Sie die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, auf welcher Seite Sie
stehen.
({7})
Zuerst gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention
dem Kollegen Rohde und anschließend gebe ich das
Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Lötzsch.
Dann, Frau Schewe-Gerigk, können Sie auf beide antworten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Eine kurze Korrektur: Wir stimmen überein, dass wir bei den Versorgungsansprüchen nicht ehelicher Lebenspartnerschaften
gleichgeschlechtliche Partner berücksichtigen sollten,
nicht jedoch bei der Forderung, dass wir Kinder über das
dritte Lebensjahr hinaus mit Versorgungsansprüchen
ausstatten sollten.
({0})
Das wollte ich nur kurz richtig stellen, wenn Sie erlauben.
Frau Kollegin Lötzsch, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin von
den Grünen, mir ist schon erzählt worden, dass Sie im
Ausschuss unsachliche Angriffe gegen mich gemacht
haben. Ich darf dazu Folgendes erklären.
Erstens bin ich mit meiner Fraktion in voller Übereinstimmung, dass das Rentenrecht kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist.
Zum Zweiten darf ich Ihnen mitteilen, dass auch mein
Mann diese Einschätzung teilt. Mein Mann hat aus politischen Gründen drei Jahre seines Lebens in Bautzen, im
Gefängnis, verbracht. Daher weiß ich ganz genau, wie
das mit der Entschädigung und dem Opferrecht läuft.
Die Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft - die
hat mein Mann erhalten - ist niedriger als die Entschädigung von Opfern eines Justizirrtums. Seit 16 Jahren höre
ich: die Opferrente. Ich frage mich, warum es seit
16 Jahren nicht gelungen ist, diese Opferrente einzuführen.
Frau Kollegin, ich empfehle Ihnen, mit den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Fraktion darüber zu sprechen,
wie sie die Arbeit eines Abgeordneten verstehen. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich direkt gewählte Abgeordnete.
Das bedeutet für mich, dass ich mit allen Bürgern und
Bürgerinnen meines Wahlkreises spreche und mich mit
ihnen in der Sache kritisch auseinander setze. Solche
Diffamierungen, wie Sie sie auch im Ausschuss vorgenommen haben, lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen!
Vielen Dank.
({0})
Frau Schewe-Gerigk zur Erwiderung.
Zunächst zur Anmerkung des Kollegen Rohde. Es ist
schade, dass Sie uns bezüglich der drei Jahre nicht unterstützen. Die Frage bezüglich der gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften haben wir bereits in der ersten
Lesung gestellt. Inzwischen ist geklärt, dass auch diese
mit aufgenommen werden.
Jetzt zu dem entscheidenden Vorwurf der Kollegin
Lötzsch. Ich habe mir gedacht, dass Sie darauf reagieren
würden. Es tut mir Leid. Der Vorsitzende der ISOR e.V.
sagt:
Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir in
Dr. Martina Bunge und Dr. Gesine Lötzsch verlässliche und kompetente Partnerinnen
für unsere Ziele haben. Das muss ich hier zitieren dürfen. Ich habe das schriftlich vorliegen.
({0})
Ich habe zur Kenntnis genommen, was Sie gerade gesagt haben. Vielleicht werden Sie von ISOR instrumentalisiert. Das kann ja sein. Sie haben deutlich gemacht,
dass Sie sich von dieser Aussage distanzieren. Dann ist
das ja in Ordnung.
({1})
Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Schneider, ich bleibe dabei: Wenn wir mit der
jetzt getroffenen Regelung - ich werde zu den Änderungen Stellung nehmen, damit die Menschen wissen, worum es geht - einen einzigen Fall, in dem zu Unrecht
Leistungen des Staates bezogen wurden, aufdecken,
dann wird sie den Opfern gerecht. Das ist unsere Aufgabe: den Opfern gerecht werden.
({0})
Damit die Menschen wissen, worum es geht, damit
sie wissen, was Sie ablehnen, trage ich wesentliche Teile
der Änderungen vor:
Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz
oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Absatzes 1
- er ist schon zitiert worden vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf
eine fortwährende Gewährung der Leistungen im
Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend schutzwürdig
ist. Soweit die sofortige Entziehung oder Minderung der Leistungen zu einer unbilligen Härte führt,
soll die Entziehung oder Minderung nach einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen.
In Abs. 3 regeln wir ganz genau, was wir meinen:
Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob ein Berechtigter
durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
verstoßen hat, können sich insbesondere aus einer
Zugehörigkeit des Berechtigten zu dem ehemaligen
Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale
Sicherheit der DDR ergeben.
Das ist die Regelung, der Sie nicht zustimmen wollen,
weil - das muss man ganz deutlich sagen - das ein zu
großer Aufwand wäre. Meine Damen und Herren von
der PDS, Sie verhöhnen damit die Opfer!
({1})
Welcher Aufwand kann denn zu groß sein, wenn es darum geht, Aufklärung zu betreiben oder Täter zu verfolgen?
Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie sagen, das
Soziale Entschädigungsrecht sei kein Recht, mit dem
man abstrafen könne. Im Sozialen Entschädigungsrecht
kann man aber differenzieren. Ich finde es gut, dass wir
das in großer Übereinstimmung nach der Anhörung geschafft haben: Wir differenzieren zwischen dem, was uns
das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, und dem
Wunsch, den Opfern gerecht zu werden. Das ist uns gelungen. Den Fraktionen bin ich dafür dankbar.
({2})
Dazu kann ich nur noch sagen - vielleicht sollte man
das den WASG-Mitgliedern in Ihren Reihen auch noch
einmal sehr deutlich sagen -: Es kommt mir so vor, als
hätte der eine oder andere von Ihnen nach wie vor ein
sehr unaufgeräumtes Verhältnis zur Geschichte der
DDR und zur Geschichte der PDS.
({3})
Sie sollten aus meiner Sicht noch einmal in Klausur gehen und Ihre Geschichtsbilder aufräumen.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Volker Schneider?
Angesichts der Tatsache, dass wir alle baldmöglichst
in die vor uns liegende Osterpause gehen wollen, lasse
ich diese jetzt nicht zu.
Ich schließe: Selten ist es uns nach einer Anhörung in
so großer Einigkeit gelungen, etwas Vernünftiges auf
den Weg zu bringen. Die Nichtzustimmung der PDS
werde ich in den nächsten Wochen vor mir hertragen.
Die Menschen sollen das ruhig wissen!
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur
Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von
Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet. Der Ausschuss
für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1162, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/444 und 16/754
zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis
wie in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Lanfermann, Birgit Homburger, Daniel Bahr
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben - Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen
- Drucksache 16/672 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Heinz Lanfermann, FDP.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! In der stationären Pflege führt eine
zeitstehlende Bürokratie dazu, dass - so jedenfalls der
Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe - nur
50 Prozent der Bruttoarbeitszeit von Pflegekräften als
effektive Pflegezeit genutzt werden können. Die FDP
möchte, dass die Pflegenden wieder mehr Zeit für die
Pflege und soziale Betreuung der Pflegebedürftigen haben.
Die Pflege ist mit Gesetzen und Verordnungen überfrachtet. Insbesondere die Struktur- und Prozessqualität
wird in den Einrichtungen detailliert geregelt. Hinzu
kommt ein erheblicher Aufwand für Doppel- und Mehrfachprüfungen, auch mit widersprüchlichen Ergebnissen. Mehr als 40 Instanzen können zur Prüfung in einer
Einrichtung berechtigt sein. Die Dokumentationspflichten steigen und es gibt widersprüchliche Regelungen im
Heimgesetz und im SGB XI. In der Praxis heißt das zum
Beispiel: An einem Tag kommt die Heimaufsicht und
verlangt, die Einrichtung mit einer Sitzecke auf dem
Gang wohnlicher zu gestalten. Am nächsten Tag prüft
der Brandschutz und die Sitzecke muss wieder entfernt
werden.
In der Pflege wird bisher nach dem Schema verfahren: Je mehr Qualität von außen in die Einrichtung hineinreguliert wird, desto besser soll das Pflegeergebnis
sein. Pflegende empfinden das eher als Misstrauen - als
seien sie nicht in der Lage, eigenverantwortlich für ein
gutes Ergebnis zu sorgen. Sie werden so eher demotiviert.
Wir fordern mit dem hier vorliegenden Antrag einen
Paradigmenwechsel für die Pflege: weg von einer starren Festlegung von Strukturen und Prozessen, weg von
einem Hineinregulieren von Qualität in die Einrichtungen, hin zu einer Fokussierung auf das Pflegeergebnis
und hin zu einer höheren Transparenz bezüglich der
Qualität der Pflegeleistung.
({0})
Von den Forderungen der FDP, die Sie in Gänze unserem Antrag entnehmen können, möchte ich hier nur einige kurz vorstellen:
Erstens. Die Prüfkompetenzen von Medizinischem
Dienst der Krankenkassen und Heimaufsicht sollen konkretisiert werden, auch mit dem Ziel einer verbesserten
inhaltlichen und terminlichen Zusammenarbeit der weiteren Prüfinstanzen. Als ordnungsrechtliche Instanz
prüft die Heimaufsicht die Strukturqualität, der MDK
vorrangig die Ergebnisqualität. Was die eine Instanz geprüft hat, ist von der anderen nicht mehr zu prüfen. Die
Heimaufsicht und die weiteren zur Prüfung berechtigten
Instanzen stimmen sich ab und erstellen ein gemeinsames Ergebnis der Prüfung. Im SGB XI soll schwerpunktmäßig zu anlassbezogenen und unangemeldeten
ergebnisqualitätsorientierten Prüfungen übergegangen
werden.
Zweitens. Regelungen des Pflege-Versicherungsgesetzes und des Heimgesetzes, die sich vorrangig der
Struktur- und Prozessqualität zuordnen lassen, sollen
auf ihre Erforderlichkeit und Praxistauglichkeit überprüft
werden. Zu nennen sind hier insbesondere die Regelungen des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes sowie die
Regelungen zu Anzeige-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten des Heimgesetzes, die §§ 12 und 13.
({1})
Zusätzlich sollen bisher voneinander abweichende Regelungen im SGB XI und Heimgesetz harmonisiert werden. Ich erwähne beispielhaft den § 87 a Abs. 1 SGB XI,
Pflicht zur Zahlung des Heimentgelts endet mit dem Tod
des Bewohners, und § 8 Abs. 8 Heimgesetz, Vertragsverhältnis endet zwar mit dem Tod des Bewohners, Vereinbarungen für eine Fortgeltung für die so genannten
Hotel- und Investitionskosten von bis zu zwei Wochen
sind jedoch zulässig.
Drittens. Um in der Pflege von dem bisher noch ziemlich starren „ambulant“ und „stationär“ wegzukommen
und den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen mehr
Wahlfreiheit zu ermöglichen, soll geprüft werden, welche Regelungen des Heimgesetzes und der zugehörigen
Verordnungen einem Entstehen neuer Wohnformen für
Pflegebedürftige entgegenstehen. Ich nenne als Beispiele: betreutes Wohnen, generationenübergreifendes
Wohnen, Altenwohngemeinschaften usw.
Wichtig für die FDP - ich denke, damit heben wir uns
von all den anderen Initiativen zur Entbürokratisierung
der stationären Pflege etwas ab - ist unsere Forderung
nach einer Erhöhung der Transparenz bezüglich der
Qualität der Pflegeleistungen. Kontrollen allein verbessern die Qualität nicht.
({2})
Wir brauchen in der Pflege verstärkt wettbewerbliche
Elemente.
({3})
Der Pflegebedürftige muss endlich als mündiger, entscheidungsfähiger Kunde betrachtet werden, natürlich
unterstützt durch Angehörige und Betreuer, wenn er in
seiner Alltagskompetenz bereits eingeschränkt ist. Aus
diesem Grund sollen die Einrichtungen ein Benchmarking nach bundeseinheitlichen Qualitätskriterien durchführen. Durch ein Benchmarking, dessen Kriterien sich
möglichst nah an der Ergebnisqualität orientieren sollen,
wird Einrichtungen, die ein gutes Pflegeergebnis liefern,
die Möglichkeit gegeben, dies auch öffentlich darzustellen. Pflegebedürftige können dann besser eine Einrichtung nach Qualitätsaspekten auswählen.
Zum Schluss möchte ich noch grundsätzlich sagen:
Die in der Pflege vorhandenen Regelungen müssen sich
daran messen lassen, ob - und, wenn ja, inwieweit - sie
wirklich im Interesse der Pflegebedürftigen liegen.
Oberstes Ziel eines Abbaus von Bürokratie in der Pflege
muss immer eine Verbesserung der Lebensqualität der
Pflegebedürftigen sein. Ein Bürokratieabbau in diesem
Sinne erlaubt es den Einrichtungen aber auch, kreative
Lösungen auf dem Weg zu einer hohen Qualität in der
Pflege und als Antwort auf die demografischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu entwickeln.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Willi Zylajew, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist unstrittig: Das Thema Entbürokratisierung in der
Pflege muss angegangen werden. Schon seit langem
häufen sich die Klagen der Pflegekräfte und der Einrichtungen über Behinderungen ihrer eigentlichen Aufgaben
durch gesetzlich verursachten Bürokratieaufwand.
({0})
Ich meine, diese Beschwerden erfolgen zu Recht. Die
Pflege ist eine wichtige gesellschaftliche und fachliche
Aufgabe. Diejenigen, die sich dieser Aufgabe widmen,
sollten wir nicht durch bürokratische Hemmnisse behindern.
({1})
Unser Ziel muss es sein, die Bürokratie zu stutzen.
Pflegekräfte sollen wieder mehr Zeit haben, ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen, sich mit den älteren Menschen zu beschäftigen und sich um deren Wohlergehen
zu kümmern. Die große Koalition hat dies bereits vor Ihrem Antrag, Herr Lanfermann, klar postuliert. Wir haben
uns des Themas angenommen. Ich verweise hier auf die
Koalitionsvereinbarung - angesichts der knappen Redezeit zitiere ich nur den Eingangssatz -:
Pflegeheime und ambulante Pflegedienste
- das ist wichtig, Herr Lanfermann werden durch eine Vielzahl von Regelungen, Verwaltungsvorschriften, Dokumentationspflichten und
anderen bürokratischen Auflagen beschwert.
Wir müssen den professionellen Pflegekräften wieder
die Zeit geben, die sie brauchen, um ihre eigentliche Arbeit zu tun.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie
sehen: Ihr Anliegen findet sich in unserer Koalitionsvereinbarung wieder. In diesen Fragen sind wir
schlichtweg gut.
({3})
Das können wir auch an anderer Stelle belegen.
Der Inhalt Ihres Antrags mit dem Titel „Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben - Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen“ ist auch das Anliegen der großen Koalition. Das ist nicht erst seit einigen
Monaten der Fall. Ich will nur auf unseren Antrag verweisen, mit dem wir uns bereits im Februar 2005, also in
der 15. Wahlperiode, nach vorne gewagt haben.
({4})
Danach haben wir Ihnen immerhin vier Monate Zeit gelassen, um selbst mit einem Antrag nachzulegen. Das haben Sie dann am 15. Juni 2005 getan.
({5})
In Ihren Antrag haben Sie sehr exakt all die Positionen
aufgenommen, die auch in unserem Antrag standen.
Mein Respekt gilt an dieser Stelle der Kollegin Lenke,
die daran konstruktiv mitgewirkt hat. Ihre fachliche
Kompetenz spiegelt sich in Ihrem Antrag wider.
({6})
Nun will ich kurz auf die Positionen eingehen, die Sie
in Ihrem Antrag vertreten: Hinsichtlich der Prüfinstanzen gemäß § 20 Heimgesetz soll eine bessere terminliche und inhaltliche Koordination erreicht werden. Bundeseinheitlich soll stärker die Ergebnisqualität und
weniger die Prozessqualität überprüft werden.
({7})
Dem, was Sie zur Veränderung der Prüfkompetenzen
von Heimaufsicht und MDK sagen, stimmen wir zu.
Des Weiteren fordern Sie, es sollten weniger angemeldete und mehr unangemeldete Kontrollen durchgeführt werden; auch hier sind wir einer Meinung. Sie
sprechen sich für eine Ausweitung der Definition einer
Fachkraft nach § 71 Abs. 3 SGB XI aus; auch wir wollen, dass neu definiert wird, wer eine Fachkraft ist. In
diesem Punkt bestand zwischen uns bereits im letzten
Jahr Einigkeit. Wie wir es in unserem damaligen Antrag
getan haben, stellen auch Sie fest, dass abweichende Regelungen im SGB XI, im SGB XII und im Heimgesetz
miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Darüber hinaus wollen auch wir die Praxistauglichkeit vieler Regelungen überprüfen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bahr?
Ja.
Herr Kollege Zylajew, es freut mich, dass Sie so viele
Übereinstimmungen zwischen unserem Antrag und
Ihren Anliegen sehen. Daher möchte ich Sie fragen:
Sprechen Sie gerade im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion oder sehen Sie auch sehr viele Übereinstimmungen zwischen den Koalitionsfraktionen von SPD
und CDU/CSU? Ihre Antwort auf diese Frage ist interessant; denn vielleicht können wir unseren Antrag, wenn
es so viele Übereinstimmungen gibt, sofort beschließen.
({0})
Verehrter junger Kollege Bahr, Sie müssen noch etwa
zweieinhalb Minuten Geduld haben; dann werde ich Ihre
Frage beantworten.
({0})
Ich muss natürlich darauf hinweisen,
({1})
dass Ihr Antrag fast alle Ergebnisse des „Runden Tisches
Pflege“ beinhaltet. Es gibt keine markanten Unterschiede. Somit können Sie davon ausgehen - daher hätten wir uns diese Redezeit sparen können -, dass meine
Position von den Koalitionsfraktionen mitgetragen wird,
also auch von der wichtigen und starken SPD-Fraktion,
({2})
die bei diesem Thema gemeinsam mit uns auf einem guten Weg ist. Ich denke, damit ist Ihre Frage beantwortet.
Wir alle wissen, dass Ihr Antrag nicht schlecht sein
kann. Wenn Sie 99 Prozent des Antrags, den wir im
Februar 2005 eingebracht haben - das war ein guter Antrag -, abgeschrieben haben, wie kann Ihrer dann
schlecht sein?
({3})
Ich kann Ihnen zumindest testieren, dass Sie fähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die des Abschreibens mächtig sind.
({4})
Dennoch gibt es ein paar Unterschiede, zum Beispiel
bei der Frage, ob wir auch die ambulante Pflege einbeziehen sollten. Wir sagen klar und deutlich: Ja. Die ambulante Pflege muss entbürokratisiert werden. Diesen
Punkt müssen wir noch sehr intensiv beraten und genau
überlegen, was wir tun.
Ihre Forderung nach Einführung eines Benchmarkings ist, abstrakt gesehen, sicherlich interessant. Faktisch würde ein Benchmarking aber zu einem neuen Bürokratieauswuchs führen. Das ist aus unserer Sicht nicht
zumutbar. Es müssen bundeseinheitliche Qualitätskriterien her. Gute Einrichtungen unterwerfen sich dem
längst.
Ich will darauf eingehen, dass die FDP dort, wo sie
zurzeit mitregiert oder demnächst mitregieren wird,
nämlich in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg, prüfen sollte, was bereits Sinnvolles geschieht. In
beiden Ländern gibt es vorbildliche Initiativen, die wir
berücksichtigen sollten.
({5})
Letztendlich bleibt die Frage, wo wir das Heimgesetz
künftig ansiedeln wollen. Wir müssen klären, ob die
Zuständigkeit für die Heime und damit auch für die
Entbürokratisierung bei den Ländern oder beim Bund
liegen soll. Nach derzeitigen Überlegungen wird die Zuständigkeit eher bei den Ländern liegen. Im Mai wird es
dazu eine große Anhörung geben. Wir müssen unsere
Überlegungen einbringen und uns positionieren. Dieser
Punkt duldet keinen weiteren Aufschub. Ich glaube, dass
wir zu einem guten Ergebnis kommen werden.
Wir werden uns in weiteren Beratungen im Ausschuss, die parallel zu den Beratungen über die Föderalismusreform stattfinden, diesem Thema mit ganzer
Kraft und in breitem Einvernehmen über die Fraktionsgrenzen hinweg - zumindest hoffe ich, dass es so sein
wird - widmen. Wir müssen den Menschen, die im Pflegebereich fachlich kompetent und engagiert arbeiten,
endlich Perspektiven eröffnen. Mit wenigen Ausnahmen
orientieren sie sich alle am Wohl der älteren und behinderten Menschen. Diesen Menschen sollten wir durch
die Entbürokratisierung helfen.
Die Bürokraten, die sich Freiräume erkämpft und ihre
Arbeitsplätze gesichert haben, müssen erleben, dass wir
den bürokratischen Wildwuchs zurückschneiden. Das
wollen wir tun. Ich freue mich auf die Beratungen im
Ausschuss und danke den Liberalen sehr, dass sie im InWilli Zylajew
teresse der Menschen zusammen mit der großen Koalition einen wichtigen Schritt gehen wollen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Ilja Seifert, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In dieser Woche kam ein junger Mann, der seinen
Zivildienst vor einem Monat angetreten hatte, zu mir
und sagte: Eigentlich wollte ich in einem Altenheim arbeiten, ich kann das aber nicht, weil dort 60 Menschen
eher verwahrt als versorgt werden; ich habe nicht die
Möglichkeit, ihnen zusätzliche Angebote zu machen. Das Personal im Pflegebereich hat weder die Zeit noch
die Kraft, sich den Menschen zuzuwenden. In den Pflegeheimen herrscht ein Klima, in dem ein Leben nicht
möglich ist und ein Arbeiten erst recht nicht. Der junge
Mann bittet um Versetzung.
Sie fordern in Ihrem Antrag die Entbürokratisierung
im Pflegebereich. Das ist zu kurz gesprungen. Auch ich
will keine Bürokratie, erst recht nicht in der Pflege; das
ist ganz klar. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass
wir uns zunächst einmal darüber verständigen müssen,
was Pflege überhaupt heißt. Der total überkommene,
medizinisch orientierte Pflegebegriff, der im SGB XI
und anderswo herumgeistert, muss überwunden werden.
Wir müssen hin zu einem neuen Pflegebegriff, der die
assistierende Unterstützung unterstreicht. Von der Vorstellung „satt, sauber, trocken“ müssen wir uns verabschieden, zumal selbst dies nicht immer gewährleistet
ist.
Die Linke schlägt deshalb vor - wir hatten versucht,
das fraktionsübergreifend zu gestalten -, eine EnqueteKommission einzurichten, die sich mit ethischen, rechtlichen und finanziellen Fragen des assistierten Wohnens
befasst. Darunter fällt auch das Leben im Heim.
Bedauerlicherweise haben mir gerade die Kollegin
Evers-Meyer von der SPD, die Behindertenbeauftragte,
und der Kollege Kurth von den Grünen mitgeteilt, dass
sie diesen Antrag nicht unterstützen wollen, weil sie der
Meinung sind, dass sich dies auch auf andere Weise regeln ließe.
Doch gerade weil die Föderalismusreform möglicherweise zum Ergebnis haben wird, dass wir demnächst
16 verschiedene Heimgesetzgebungen haben, 16 verschiedene Auslegungen der Anweisungen für Heime,
wäre es sehr sinnvoll, wenn sich der Bundestag als
oberstes gesetzgebendes Organ in diesem Lande intensiv
mit dieser Frage befasst.
Liebe Kollegen von der FDP, wir können durchaus
darüber debattieren, ob schwarze Schafe an den Pranger
gestellt werden sollten. Man muss sich genau überlegen,
ob das sinnvoll ist. Denn wer kann wirklich beurteilen,
wie gut oder schlecht Heime sind? Das können eigentlich nur die Bewohnerinnen und Bewohner, und selbst
ihnen fehlt eine Vergleichsmöglichkeit - denn man
wechselt nicht von einem Heim zum anderen -, um sagen zu können: „Dieses Heim ist gut“ oder: „Jenes Heim
ist schlecht“. Und was passiert denn, wenn die Bewohner sagen, ihr Heim ist schlecht? Dann werden sie eher
mehr drangsaliert, als dass es ihnen besser geht; das ist
doch das Problem, vor dem wir stehen.
Letzter Punkt. Wir müssen endlich Strukturen dafür
schaffen, dass Heime und andere Großeinrichtungen immer überflüssiger werden. „Ambulant vor stationär“ darf
nicht nur postuliert werden. Anstatt die Heimstrukturen
zu stärken, muss im Haushalt endlich Geld zur Schaffung solcher ambulanter Strukturen eingestellt werden. Zudem müssen wir den in den Heimen arbeitenden
Menschen eine Perspektive bieten, damit sie, wenn
Heime geschlossen werden, keine Angst haben müssen,
ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Im Gegenteil, wir wollen
ja gerade, dass sich ihnen bessere Arbeitsmöglichkeiten
auftun, Arbeitsmöglichkeiten, die ihren ethischen Ansprüchen entsprechen, sodass sie sich den Menschen zuwenden, sich ihnen widmen können, sie unterstützen
können in ihrer selbstständigen Lebensweise, und das
nicht nur im betreuten Wohnen, nicht nur in Wohngruppen, sondern auch in der eigenen Wohnung, mitten in der
Gemeinde, mitten in der Stadt, mitten im Dorf, dort, wo
man wohnen möchte, und nicht irgendwo am Rande, in
irgendeiner separierenden Einrichtung; das wäre der
Punkt.
Um auf Ihren Antrag zurückzukommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: In der Überschrift
schreiben Sie: „Entbürokratisierung“. Aber wenn ich genau hinschaue, muss ich feststellen: Sie schaffen nur
neue Bürokratie:
({0})
Sie ordnen bürokratisch zu, wer wie arbeiten kann. Anstatt dafür zu sorgen, dass die Selbstbestimmungskräfte
der Betroffenen, der Bewohnerinnen und Bewohner, gestärkt werden, stärken Sie nur die Kräfte, die die Qualitätsstandards absenken können. Das will ich auf gar
keinen Fall.
Deswegen lasst uns euren Antrag beraten - wir werden sehen, wie wir weiterkommen - und lasst uns eine
solche Enquete-Kommission einrichten,
({1})
die in Ruhe arbeiten und mit Zwischenberichten auch
Vorschläge ins Parlament einbringen kann, mit denen
wir bald und schnell arbeiten können; das wäre ein guter
Vorschlag, das wäre eine gute Herangehensweise.
Auch ich wünsche Ihnen frohe Ostern. Denken Sie
auch an die Menschen in den Einrichtungen - sie brauchen uns immer, nicht nur sonntags.
({2})
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion die Kollegin
Hilde Mattheis.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie wir heute schon mitbekommen haben, ist der Antrag, der hier heute besprochen wird, nicht neu. Wir haben ihn im März 2005 in diesem Hohen Hause schon
einmal beraten. Die FDP hat den Inhalt übernommen
und das, was die CDU/CSU-Kollegen damals schon eingebracht hatten, noch einmal zu aktualisieren versucht:
indem sie das Datum umgeschrieben und ein paar
Varianten hineingebracht haben.
({0})
Ich glaube, das ist dem Thema nicht angemessen.
Wir können hier gemeinsam betonen, dass die Ergebnisse des runden Tisches und die Vereinbarungen in unserem Koalitionsvertrag wesentlich weiter und präziser
sind als das, was hier formuliert worden ist.
({1})
Ich möchte jetzt meine Rede, die ich damals zur Entbürokratisierung gehalten habe, nicht wiederholen, sondern nur meine drei Grundkritikpunkte noch einmal anführen:
Erstens. Das, was hier im Antrag vorgelegt und als
notwendige Schritte zur Weiterentwicklung der Pflege
bezeichnet wird, ist wenig konkret. Ich kann natürlich
verstehen, dass Sie als FDP nicht unbedingt mit dem Koalitionsvertrag unter dem Arm herumlaufen möchten;
aber ein kurzer Blick hinein wäre hier schon einmal angemessen gewesen. Denn mit dem, was wir im Koalitionsvertrag dazu geschrieben haben, zielen wir genau
auf das ab, was Sie als Grundtenor formuliert haben.
Zweitens. Es ist richtig, dass Sie Entbürokratisierungspotenziale anmahnen; das wird niemand bestreiten.
Wir haben hier in diesem Hohen Hause aber schon darüber diskutiert, dass in den Einrichtungen selber noch
ein unglaubliches Entbürokratisierungspotenzial besteht,
das dort schlicht und ergreifend auch organisatorisch
entwickelt werden kann.
Ich hatte damals schon verschiedene Untersuchungen
angeführt und kann jetzt eine neuere vom KDA hinzufügen, das in diesem Jahr noch einmal gesagt hat, dass es
in den Einrichtungen selber zu einem unglaublichen Anwachsen der Dokumentation und Bürokratisierung
kommt. Da Sie in Ihrem Antrag Entbürokratisierung mit
Qualität und Transparenz verbunden haben, mahne
ich ganz schlicht und ergreifend an, dass Sie auch diesen
einzelnen Punkt beachten. Außerdem müssen Sie beachten, dass die Länder, die Sie ja ebenfalls zum Handeln
auffordern, im Prinzip das abgelehnt haben, was im
SGB XI unter § 92 a ja schon vorgesehen ist.
Durch ein Benchmarking wollen Sie im Prinzip eine
Art Vergleich und Transparenz schaffen. Dabei beachten
Sie aber nicht, dass Sie durch diese Art des Vergleichs
selbst Bürokratie erzeugen.
({2})
Sie beachten dabei auch nicht - Sie haben es im Text
ausgeführt; ich empfehle Ihnen, Ihren eigenen Antragstext noch einmal zu lesen, aber wenn man ihn
abschreibt - ({3})
- Okay.
({4})
Im SGB XI ist diese Möglichkeit des Vergleichs von
Pflegeeinrichtungen schon vorgesehen. Die Bundesländer lehnen genau das ab mit dem Hinweis, dass das zu
viel Bürokratie erzeugen würde.
Der dritte Punkt, den ich genannt habe, ist, dass der
Aufwand für die Pflegedokumentation nicht selten als
Alibi für fehlende innerbetriebliche Ablaufstrukturen
herhalten muss. Das können Sie im neuesten Projektbericht des Bayerischen Staatsministeriums noch einmal
nachlesen. Ich habe das schon genannt. In dem Projektbericht wird noch einmal ganz eindeutig aufgelistet, dass
es auch darum geht, die Mängel in den Einrichtungen zu
beheben.
Bei Ihrem aktuellen Antrag möchte ich mich auf zwei
Kritikpunkte konzentrieren. Dabei geht es einmal um
Ihre Aussage zur Fachkräftequote und zum anderen um
Ihre Aussage zum Heimrecht.
Erster Punkt. Sie schreiben von einer Überreglementierung des Personaleinsatzes und meinen, dass die Regelungen in der Heimpersonalverordnung zur Fachkraftquote und die Definition der Pflegefachkraft dazu
führen, dass - jetzt zitiere ich die Sicherung von Qualität und ein effizientes unternehmerisches Handeln der Einrichtung sogar erschwert
wird. Was Sie mit dieser Aussage meinen, kann man
ganz deutlich an Ihrem fünften Spiegelstrich ablesen.
({5})
Dort fordern Sie nämlich,
Maßnahmen zur stärkeren Professionalisierung der
Pflege und der Pflegenden einzuleiten. Dazu gehört
unter anderem eine Ausweitung der Definition der
Pflegefachkraft nach § 71 Abs. 3 SGB XI …
Mit der Ausweitung meinen Sie wohl die Anerkennung
von Personen als Fachkräfte mit einer geringeren Qualifikation, als dies in dem eben genannten § 71 Abs. 3
festgeschrieben ist. Etwas anderes kann nicht gefolgert
werden und lässt sich auch mit der oben zitierten Aussage von effizientem unternehmerischen Handeln nicht
anders zusammenbringen.
Was die in der Überschrift verwandten Begriffe wie
Entbürokratisierung, Qualität und Transparenz mit diesen Forderungen zu tun haben, erschließt sich mir wirklich nicht. Aber ich kann für mich feststellen: Der
Begriff Entbürokratisierung bedeutet für Sie bei Pflegefachkräften offensichtlich den Abbau von Qualitätsstandards.
({6})
Nun zum zweiten Punkt, dem Heimrecht und der
Heimmitwirkungsverordnung. Ich darf mich auf eine
Presseerklärung beziehen, die Sie zusammen mit der
Landesvorsitzenden der FDP, Frau Homburger, veröffentlicht haben. Dabei haben Sie das Wort „Entbürokratisierung“ im Zusammenhang mit dem Heimrecht
verwandt. Ich möchte an Sie und auch an die Landesvorsitzende Homburger den dringenden Appell richten, in
Ihrer neuen Funktion als Mitregierende in BadenWürttemberg im Zusammenhang mit dem Thema Entbürokratisierung - das nehme ich sehr ernst - einfach
einmal zu hinterfragen, ob das Heimrecht wirklich Ländersache werden sollte. Dies würde in Deutschland zu
16 verschiedenen Heimrechten führen. - So viel zu Ihrer
geforderten Entbürokratisierung.
({7})
- Ich bitte Sie, Herr Lanfermann.
({8})
Die Länder haben hier ihren Anspruch angemeldet. Das
ist unbestritten.
({9})
Ich möchte noch einmal auf das Heimrecht und die
Heimmitwirkungsverordnung im Sinne der Patienten
und Patientinnen zu sprechen kommen. Sie schreiben in
Ihrem Antrag, dass die Menschen in den Einrichtungen
im Prinzip den Ablauf dadurch stören, dass sie ihr Mitspracherecht in Anspruch nehmen.
({10})
- Schauen Sie sich Ihren Antrag genau an.
({11})
- Ich zeige es Ihnen gleich.
({12})
Aufgrund dieser Mitsprachemöglichkeiten könne es im
unternehmerischen Ablauf zu einer Verzögerung kommen. Dazu muss ich anmerken: Wenn Sie diesen Punkt
so hervorheben und die Menschen in Heimen darauf reduzieren wollen, über den Speiseplan, wie Sie das
schreiben, mitzubestimmen, ist das eine Art und Weise,
mit Patienten und Patientinnen bzw. Bewohnerinnen und
Bewohnern umzugehen, die ich nicht teilen und auch
nicht gutheißen kann.
({13})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich stelle also fest: Die FDP will unter dem Stichwort
„Entbürokratisierung“ in erster Linie die Tür für Standardsenkungen öffnen und Bewohnerinnen und Bewohner entmündigen. Das kann nicht in unserem Sinne
sein.
Danke.
({0})
Nun hat das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen die Kollegin Elisabeth Scharfenberg.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bürokratieabbau in der Pflege ist das Ziel dieses
Antrags. Dass die FDP das so wörtlich nehmen würde,
hätte ich nicht erwartet. Herr Lanfermann, es ist wahrer
Bürokratieabbau, den Antrag vom Juni letzten Jahres
ohne eine Aktualisierung einfach wieder aufzuwärmen.
({0})
Das Thema Bürokratieabbau ist zurzeit zu Recht in
aller Munde, so auch im Bereich der Pflege. In Bezug
auf die Doppelprüfungen, die umfangreichen Dokumentationen und unzähligen Verordnungen muss etwas passieren, keine Frage.
In dem Antrag der FDP stecken viele richtige Ansätze,
({1})
zum Beispiel die vorgeschlagene Arbeitsteilung zwischen der Heimaufsicht für die Strukturqualität und dem
MDK für die Ergebnisqualität, die Überprüfung und
eventuell auch die Streichung der Leistungs- und Qualitätsvereinbarung, die Harmonisierung von SGB XI und
Heimgesetz oder die Reform des Heimgesetzes, um neue
Wohnformen zu fördern, statt sie weiter zu behindern.
Diese Vorschläge sind ja allesamt im letzten Jahr auch
vom „Runden Tisch Pflege“ gemacht worden, den die
FDP übrigens in ihrem Antrag ziemlich heftig angreift.
So viel weiter gehen Ihre Forderungen aber auch nicht,
verehrte Kolleginnen und Kollegen. Wie dem auch sei:
Wir können uns sicherlich darauf verständigen, dass
schon viel gewonnen wäre, wenn die Empfehlungen des
Runden Tisches umgesetzt würden.
Kommen wir aber noch einmal zu den beiden genannten Forderungen zum Heimgesetz. Die können wir nach
derzeitigem Stand komplett vergessen. Denn das Heimgesetz soll im Zuge der Föderalismusreform in die Zuständigkeit der Länder übergehen. Wenn das wirklich
passiert, dann können wir - auch wenn wir uns im Bundestag auf den Kopf stellen - in Bezug auf das Heimgesetz gar nichts mehr ausrichten. Genau zu diesem Punkt,
verehrter Herr Lanfermann, hätte ich in Ihrem Antrag
gerne etwas gelesen. Ich wüsste wirklich gerne, wie Sie
dazu stehen.
({2})
Selbst die Union und die SPD äußern inzwischen öffentlich ihre Bedenken gegen die Verlagerung des Heimrechts. Hierbei - darauf darf ich an dieser Stelle hinweisen, Frau Mattheis - hat die große Koalition unsere volle
Unterstützung.
({3})
Erlauben Sie mir noch zwei grundsätzliche Anmerkungen zu dem Antrag der FDP. Erstens. So lobenswert
ich das Anliegen der FDP, Bürokratie abzubauen, finde,
so unbehaglich ist mir der Grundduktus des Antrags.
Wenn ich lese, dass die Mitwirkungsrechte der Bewohnerinnen und Bewohner im Heimrecht wenig bringen, sondern nur den Aufwand steigern, dann macht
mich das schon sehr stutzig.
Ich bekomme beim Lesen Ihres Antrages den Eindruck, als sei die Mitwirkung der Heimbewohner in Ihren Augen eine reine Last, die am besten abgeschafft
werden sollte.
({4})
Die Beteiligung der Heimbewohner ist aber ein elementares Recht, das eher gestärkt als abgebaut werden muss.
({5})
Aus eigener Berufserfahrung - sie liegt bei mir nicht so
lange zurück wie bei vielen anderen in diesem Haus kann ich berichten, dass für die Menschen in den Heimen gerade das Instrument des Heimbeirates extrem
wichtig ist.
({6})
Ich habe in Altenheimen regelrechte Wahlkämpfe um
den Heimbeirat erlebt. Er ist sehr wichtig.
({7})
Auch das hat im Übrigen etwas mit Freiheit zu tun.
Aber es ist nicht allzu neu, dass der Freiheitsbegriff bei
den so genannten Liberalen etwas dehnbar ist.
Damit komme ich zum zweiten Punkt. Jede bürokratische Regelung kann und sollte darauf untersucht werden, ob sie sinnvoll ist bzw. ob sie sich mit anderen Regelungen reibt.
({8})
Solche Regelungen - ob unsinnig oder nicht - kommen
aber nicht deshalb zustande, um die Liberalen im Land
zu ärgern; sie sind vielmehr der Versuch einer Antwort
auf konkrete Probleme.
Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP machen
es sich aber etwas einfach. Die Quintessenz ihres Antrags lautet: Bürokratie ist per se schlecht; Bürokratieabbau ist per se gut. Bürokratieabbau bedeutet gleichsam
Freiheit. Das aber ist der falsche Weg. Denn dadurch
werden die Probleme nicht gelöst; sie werden nur unter
den Teppich gekehrt.
Wir müssen von den Problemen ausgehen. In diesem
Fall bedeutet das: Welche Erwartungen haben wir an die
Pflege und die Pflegequalität?
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Ich komme zum Schluss. - Um es auf den Punkt zu
bringen: Wie möchten Sie im Alter gepflegt werden,
Herr Lanfermann?
Vielen Dank und frohe Ostern.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/672 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({0}), Cornelia Hirsch,
Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der LINKEN
Zukunftsaufgabe Weiterbildung
- Drucksache 16/785 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Volker Schneider von der Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die große Koalition kündigt im Koalitionsvertrag an, die
Weiterbildungsbeteiligung, insbesondere die sozial Benachteiligter, zu erhöhen. Mittelfristig will die Koalition
die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren.
Hinsichtlich dieser Zielsetzung dürfen Sie auf die volle
Unterstützung meiner Fraktion rechnen. Wir werden
nicht überkritisch darauf hinweisen, dass das Säulenmodell eigentlich den Stand der Fachdiskussionen in den
70er-Jahren und den 80er-Jahren reflektiert. Wir hoffen
allerdings, dass die Ergebnisse der jetzigen Fachdiskussion vor 2030 Eingang in die politischen Diskussionen
finden.
Warnen müssen wir aber vor Tendenzen in den Ausführungen des Koalitionsvertrags, einseitig Aspekte der
ökonomischen Verwertbarkeit von Weiterbildung in den
Vordergrund zu stellen. Neben der beruflichen sind die
allgemeine, die politische und die kulturelle Weiterbildung ein Schlüssel für individuelle Lebenschancen, berufliche Entfaltung, kulturelle Teilhabe und gesellschaftliche Innovation.
Nun sind Ankündigungen das eine; die Wirklichkeit
ist aber eine andere Sache. Nicht, dass hier ein weiterer
Leuchtturm, nämlich ein strahlender Leuchtturm der Ankündigungspolitik, entsteht. Denn so sieht die Realität
aus: Erstens. Die berufliche Weiterbildung seitens der
Bundesagentur für Arbeit ist dramatisch zurückgegangen. Waren es 2002 noch 300 000 Teilnehmer, sind es
heute gerade noch 100 000.
Zweitens. Einher geht dieser Rückgang mit zahlreichen Insolvenzen und Trägerzusammenbrüchen. Der
von der Bundesagentur für Arbeit gewollte und von der
Bundesregierung geförderte Dumpingwettbewerb hat
nicht nur zum Verlust von 30 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich geführt, sondern auch zu Hungerlöhnen, die
oft lediglich auf Honorarbasis gezahlt werden.
Drittens. Auch der Haushaltsansatz 2006 deutet
keine Verbesserungen an. Mit 38 Millionen Euro wird
die Koalition ihre ehrgeizigen Ziele nicht erreichen können. Wie soll etwas Neues finanziert werden, wenn die
Mittel für lebenslanges Lernen und Weiterbildung um
14 Millionen gekürzt werden?
Viertens. Am wenigsten nachzuvollziehen und zu akzeptieren sind die drastischen Kürzungen der Mittel für
die Integrationskurse im Haushalt des BMI.
({0})
Dies ließe sich fortsetzen. Aber meine Redezeit
zwingt mich zur Zurückhaltung. Aufgrund dieser zeitlichen Beschränkung will ich nur kurz auf die Vorschläge
meiner Fraktion eingehen. Ich gehe einmal davon aus,
dass zumindest die Bildungspolitiker unter Ihnen unseren Antrag sehr sorgfältig gelesen haben.
Erstens. Wer eine vierte Säule schaffen will, müsste
zuallererst die Zuständigkeiten klären. Nur die berufliche Bildung ist durch das Grundgesetz eindeutig zugewiesen, und zwar der Kompetenz des Bundes. Dies
sollte auch für die weiteren Bereiche der Weiterbildung
im Rahmen der Föderalismusreform geregelt werden.
Zweitens. Dies könnte dann die Vorlage eines
Gesamtkonzeptes für die Weiterbildung mit bundeseinheitlichen Rahmenregelungen ermöglichen.
Drittens. Dringend ist mehr Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für alle Beteiligten
zu schaffen. Dies gilt insbesondere für die Beschäftigten
in der Weiterbildung.
In dieser Woche habe ich auf einer Veranstaltung des
Bundesverbandes der Träger der beruflichen Weiterbildung die Ausführungen einiger der mir nun folgenden
Rednerinnen und Redner verfolgt. Nach dem, was Frau
Hinz und Herr Rossmann dort gesagt haben
({1})
- deshalb erwähne ich es hier ausdrücklich -, müsste es
heute große Zustimmung zu unserem Antrag geben.
Oder werden Sie unseren Antrag nach dem leider häufig
anzutreffenden Motto „Guter Antrag, aber falsche Antragsteller“ behandeln?
({2})
Wie auch immer Sie mit dem Antrag umgehen, ersparen Sie meiner Fraktion und den Zuhörern zumindest
den oft erhobenen falschen Vorwurf, die Linke veranstalte ein Wunschkonzert und mache sich keine Gedanken um die Finanzierung. In den parallel stattfindenden
Haushaltsberatungen haben wir die finanziellen Auswirkungen unserer Vorschläge korrekt beziffert und einen
annehmbaren Vorschlag zur Finanzierung durch Umschichtung vorgelegt.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ruhige und besinnliche Ostertage.
({3})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Alexander Dobrindt das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht außer
Frage, dass das Thema Weiterbildung in der Zukunft
mehr Bedeutung haben wird, als es - zumindest bei uns ohnehin schon hat.
Dafür gibt es eine ganze Reihe wichtiger Gründe; das
ist wahr. Ein Grund ist, dass man heute nicht mehr davon
ausgehen kann, dass man den einmal erlernten Beruf
sein Leben lang fortführen kann. Dafür gibt es genügend
Beispiele. Als ich jung war, war Fotolaborant ein ganz
normaler Ausbildungsberuf. Ich kenne heute keinen
Menschen mehr, der diesen Beruf ausübt, geschweige
denn eine entsprechende Lehre anbietet.
Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen
dem Fortbildungsniveau und der Arbeitslosenquote
bzw. der Dauer des Verbleibs in der Arbeitslosigkeit.
Dieser Zusammenhang zwingt uns dazu, dieses Thema
sehr ernst zu nehmen. Auch der Abschlussbericht der
Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ hat sehr deutlich gezeigt, dass das Risiko der Arbeitslosigkeit durch die Teilnahme an Fortbildungen signifikant sinkt. Benjamin Franklin hat gesagt:
Eine Investition in Wissen bringt immer noch die
besten Zinsen.
Dieser Ausspruch hat seine Gültigkeit nicht verloren.
({0})
Genau deswegen hat die Koalition dem Thema Weiterbildung in ihrem Koalitionsvertrag einen ganz besonderen Stellenwert eingeräumt. Wir haben uns vorgenommen, die Weiterbildungsbeteiligung insgesamt zu
erhöhen. Außerdem haben wir uns vorgenommen, ein
Modell für das Bildungssparen zu entwickeln, das die
Finanzierung von Weiterbildung auf neue Beine stellt
und damit mehr Menschen die Chance gibt, an Weiterbildungsmaßnahmen zu partizipieren.
({1})
Dass dies nötig ist, zeigt auch ein Bericht, der vor wenigen Wochen in der „Financial Times Deutschland“ erschien. Unter der Überschrift „Deutsche kümmern sich
nicht um Weiterbildung“ wird beklagt, dass die Quote
der Teilnehmer an Weiterbildungskursen in den letzten
Jahren rückläufig ist. Dagegen kann man nichts sagen;
das ist eine Tatsache. In diesem Zusammenhang darf
man allerdings nicht vergessen, dass Weiterbildung
heute nicht nur in Kursen stattfindet. Eine ganze Reihe
von Weiterbildungsmaßnahmen findet heute direkt in
den Betrieben, in der konkreten Arbeitssituation statt:
Ein Kollege, der auf einer Schulung etwas gelernt hat,
zum Beispiel die Bedienung von Maschinen, gibt sein
Wissen an andere direkt weiter.
({2})
Auch das selbstständige Lernen gewinnt durch die
neuen Medien, zum Beispiel durch das Internet, immer
mehr an Bedeutung. Dadurch ergeben sich natürlich
Substitutionseffekte. Auch das mag eine Erklärung dafür
sein, dass die Teilnahme an Kursen momentan rückläufig ist.
Trotzdem müssen wir diese Entwicklung sehr ernst
nehmen, weil wir den Weiterbildungsbereich schon aufgrund des demografischen Wandels deutlich forcieren
müssen. Um ein Beispiel zu nennen: Das Erwerbspersonenpotenzial der über 50-Jährigen wird bis zum Jahr
2020 um 50 Prozent steigen, und das bei einem ansonsten annähernd konstanten Erwerbspersonenpotenzial.
Das heißt, der Anteil der über 50-jährigen Erwerbspersonen wird von 22 Prozent im Jahr 2000 auf über 36 Prozent im Jahr 2020 steigen.
Angesichts dieses Anstiegs ist es umso bedrückender,
dass gerade diese Personen, die Älteren, in der Arbeitswelt diejenigen sind, die an Weiterbildungsmaßnahmen
am wenigsten teilnehmen. Deswegen müssen wir unser
Augenmerk auf diese Gruppe richten und wir müssen für
die älteren Arbeitnehmer Anreize schaffen, an Weiterbildungen teilzunehmen.
Hinzu kommt die Ehrlichkeit, den Menschen jetzt zu
sagen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter nach
und nach an das gesetzliche Renteneintrittsalter herangeführt wird. Viele knapp über 50-Jährige glauben immer
noch: Weiterbildung muss jetzt vielleicht nicht mehr
sein; die paar Jahre komme ich schon noch durch; das
klappt schon.
Das Ergebnis wird heute ein anderes sein. Der alte
Spruch „Das braucht’s bei mir nimmer“ wird so keine
Gültigkeit mehr haben.
Aber es gibt noch eine ganze Reihe von anderen
Gründen, die den Menschen den Zugang zum Weiterbildungssystem versperren. Ein Grund sind die heute
nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten bei
sinkenden Einkommen; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Ein anderer Grund ist, dass gerade kleinere
Unternehmen in aller Regel überhaupt keine Weiterbildungskultur haben, wie man sie bei größeren Unternehmen vorfindet. So gibt es noch eine ganze Reihe von anderen Dingen mehr.
Diesen Barrieren werden wir uns in der Koalition sehr
schnell nähern. Wir werden einen Teil dieser Barrieren
aus dem Weg räumen. Wir werden politisch allerdings
nicht alles aus dem Weg räumen können, was wir an
Barrieren erkennen; wir müssen den Einstieg schaffen.
Ein zentrales Modell, diesen Einstieg in mehr Weiterbildung zu schaffen, wird das Bildungssparen sein. Wir
sind dabei, ein System zu konkretisieren, für das man als
Vorbild vielleicht das Vermögensbildungsgesetz andenken kann, also gezieltes monatliches Ansparen für eine
Weiterbildungsmaßnahme. Das heißt ganz konkret, man
könnte einen Teil dessen, was wir heute als vermögenswirksame Leistungen kennen, mit einer kürzeren Bindewirkung versehen, wenn es dann für Weiterbildung verwendet wird.
({3})
Ein weiterer Punkt, den wir zurzeit überlegen, ist die
Schaffung eines Weiterbildungskredits - ähnlich einem
Studienkredit -, unter Einbindung der KfW. So geben
wir den Leuten die Möglichkeit, mit Kreditleistungen
ihre Weiterbildung zu finanzieren.
({4})
Auf jeden Fall wollen wir die Grundlagen für eine finanzielle Neuausrichtung schaffen. Wir wollen, dass
Bindewirkungen für finanzielle Mittel entstehen.
Wir wollen erreichen, dass in den Köpfen der Leute
Weiterbildung wieder eine größere Rolle spielt. Wir
müssen das Thema an die Menschen heranbringen. Einer
der wichtigen Aspekte dabei ist, auch zu erkennen: Wir
schultern das nicht allein politisch. Wir brauchen die
Menschen dazu. Wir brauchen auch die Unternehmen
dazu.
Wenn ich heute mit Unternehmern rede, dann sagen
sie mir: Weiterbildung ist ein wichtiger Punkt. Die Kosten, die mit der Weiterbildung verbunden sind, sind nicht
das direkte Problem. Das können wir finanzieren. Daraus haben wir auch Vorteile. Das sind Effektivitätsgewinne, motiviertere Mitarbeiter, Produktivitätsgewinne.
Alles das ist vorhanden. Das Problem, das wir haben, ist
der Faktor Zeit.
Das heißt, die Mehrzahl der Kosten ist mit der Abwesenheit der Mitarbeiter verbunden. Das Doppelte bis
Dreifache der Kosten, die wir heute in der Weiterbildung
haben, ist nicht durch die Maßnahme selbst verursacht,
sondern durch die Abwesenheit der Leute vom Arbeitsplatz.
Das können wir beim besten Willen nicht politisch lösen, auch wenn die PDS es vielleicht gern hätte, dass der
Staat alle diese Probleme lösen könnte. Weiterbildung ist
heute nicht in jedem Fall eine Sozialleistung des Staates.
Sie sollte es auch nicht sein. Wir brauchen in hohem
Maße die Erkenntnis der Menschen, dass Weiterbildung
ihnen bei der Bewältigung der derzeitigen und künftigen
Lebensanforderungen hilft.
({5})
Wenn sie das erkennen, dann werden sie bereit sein, einen höheren Eigenbeitrag zu leisten.
Unsere Aufgabe ist es also, die Erkenntnis zu befördern und Anreize zu geben. So werden wir die Menschen vielleicht davon überzeugen können, dass man mit
Arbeitszeitkonten auch etwas ansparen kann und seinen
Eigenbeitrag leisten kann. Wir wollen die Eigeninitiative
nicht ausblenden. Wir wollen, dass die Menschen sich
selber deutlich einbringen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen dazu schaffen.
Dazu haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Wir haben in der letzten Wahlperiode das Berufsbildungsgesetz gemeinsam mit der SPD novelliert.
({6})
Wir haben den stufenweisen Ausbau der Ausbildung da
hineingebracht.
Wir brauchen langfristig auch ein Konzept der Weiterbildung, das modular aufgebaut ist, also ein Konzept
des lebensbegleitenden Lernens mit Modulen. Bei uns
in Bayern heißt es immer: „G’lernt ist g’lernt“. Das
stimmt. Allerdings muss man erkennen, dass wir bei
dem „G’lernt ist g’lernt“ mehr Transparenz hineinbringen müssen, weil wegen der Konkurrenz der Arbeitnehmer untereinander heute auch das Erkennen des Gelernten durch andere eine größere Rolle spielt.
({7})
Wir arbeiten also an einem System, das Weiterbildung
nachvollziehbar macht, das eine Verlängerungswirkung
in Bezug auf Qualifikation hat und das das Verfallsdatum der Bildung - so schwer verständlich das auch
klingt - aufheben kann.
Zusammengefasst möchte ich sagen, dass uns drei
Dinge im Besonderen wichtig sind: Wir brauchen eine
aktive Weiterbildung als einen entscheidenden Standortvorteil für die Menschen und für die Wirtschaft in
unserem Land. Wir werden diesen Standortvorteil ausbauen, weil wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen, zum Beispiel mit dem Bildungssparen. Wir werden
die Menschen dazu bringen, die Entwicklung zum lebensbegleitenden Lernen aufzunehmen und Eigeninitiative mitzubringen. Das sind die drei wesentlichen
Punkte, die wir aus dieser Debatte mitnehmen müssen.
Dann sind wir auf einem guten Weg, die Menschen mit
mehr Weiterbildung auch zukünftig lernbereit zu halten.
({8})
Nun hat der Kollege Patrick Meinhardt das Wort für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Gesellschaft des lebenslangen Lernens, das ist die wirkliche Herausforderung in der Bildung für die Bundesrepublik Deutschland. Die Zeiten
sind sicherlich endgültig vorbei, in denen es hieß:
Schule, Abschluss, Beruf. Diese Lebensbiografien sind
Vergangenheit.
Die Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag
und die Antragsteller mit ihrem Ziel eines Gesamtkonzepts Weiterbildung stimmen hier mit der FDP und ihren
zahlreichen Initiativen in der vergangenen Legislaturperiode überein: Die Weiterbildung muss zur vierten Säule
unseres Bildungssystems werden.
({0})
Das war es dann bezüglich der Übereinstimmung aber
auch schon. Hier endet der Konsens mit dem Antrag der
Linken. Den Forderungen, die Sie in Ihrem so genannten
Weiterbildungskonzept anführen, können wir uns in vielen Bereichen nicht anschließen. Sie formulieren erstens
- ich zitiere -:
Um Offenheit, Lernbereitschaft … zu fördern, tritt
der Deutsche Bundestag dafür ein, die Weiterbildungsbeteiligung … zu erhöhen.
Jetzt aber würde es erst interessant werden: Wodurch,
womit und mit welchen Mitteln? Selbst Sie scheuen sich
davor, Zwangskurse vorzuschlagen. Mit welchem konkreten Mittel soll das also geschehen?
Zweitens. Auch die weiteren Forderungen sind abzulehnen, da sie unkalkulierbare Folgen für den Haushalt
nach sich ziehen würden. Ein Recht auf Weiterbildung,
das hier garantiert werden soll, existiert in der Bundesrepublik Deutschland doch schon längst. Jede Bürgerin
und jeder Bürger hat natürlich schon jetzt das Recht, an
Kursen der Volkshochschule oder an Maßnahmen der
beruflichen Weiterbildung teilzunehmen.
Was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich kritisieren wollen, steht dort leider nicht. Sie haben es jetzt in Ihren
Ausführungen erwähnt. Wir alle wissen um die Bedeutung der Weiterbildung. Trotzdem haben wir es in den
vergangenen Jahren, von 2001 bis 2006, zugelassen,
dass die Zahl der Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen von 370 000 auf sage und schreibe
106 000 Teilnehmer zurückgegangen ist. Hier hätten wir
in der Vergangenheit schon längst mit einer sinnvollen
und notwendigen Weiterbildungsoffensive richtige Zeichen setzen können.
({1})
Drittens. Auch wenn Sie eine „ausreichende Finanzierung eines bedarfsgerechten Angebots“ fordern, fehlt
uns, dass Sie weder definieren, was Bedarf ist, noch, was
„bedarfsgerecht“ ist, noch, was unter „ausreichend“ verstanden wird. Dieser Antrag offenbart Ihren Anspruch an
einen Staat, der sich in alle Belange einmischen darf und
alle Belange mitfinanzieren muss. Das ist ein Denken,
das den Ansprüchen unserer heutigen Zeit nicht mehr
gerecht wird.
({2})
Für uns ist es wichtig, die richtigen Fragen am richtigen Ort zu stellen. Wir als FDP haben uns erst letzte Woche mit allen Beteiligten - den Verbänden, der Wissenschaft sowie den Sozialpartnern inklusive Verdi und
GEW - zusammengesetzt, um die wirklich drängenden
Fragen zur Zukunft der Weiterbildung zu beraten, denen
sich auch dieses Parlament stellen muss. Diese sind:
Welche politischen Maßnahmen müssen ergriffen werden, um den Stellenwert und die Akzeptanz der Weiterbildung zu vergrößern? Wie kann die Finanzierung der
Weiterbildung auf solide Grundlagen gestellt werden?
Wie kann die Politik mithelfen, den Schlüsselaufgaben
E-Learning und Wissensmanagement gerecht zu werden? Wie können die Weiterbildungs- und insbesondere
die Nachqualifizierungsangebote effizienter werden?
Das sind die Fragen, die wir in der letzten Woche hier
mit den Fachleuten erörtert haben und denen wir uns
auch in diesem Hohen Haus stellen müssen.
Ausgehend von diesen Fragen werden wir als FDPFraktion eine ganze Reihe von parlamentarischen Initiativen starten:
Erstens. Im aktuellen Haushalt wollen wir erreichen,
dass die zukunftsweisende Lernform des E-Learnings
nicht weniger Mittel erhält, sondern verstärkt finanziell
gefördert wird. Denn gerade dieser virtuelle Bildungsraum ist der Bildungsraum der Zukunft und muss ein
Schwerpunkt im Bereich der Weiterbildung sein.
({3})
Zweitens. Wir brauchen das Gesetz zur Weiterbildungsfinanzierung. Dabei geht es, wie korrekt angesprochen, um das Bildungssparen, aber auch um den
nächsten Schritt, nämlich um die Absicherung der Weiterbildungskonten bei Insolvenz von Arbeitgebern. Beides muss zusammenkommen.
Drittens. Die Teilnehmer der FDP-Anhörung hatten
eine ganze Reihe von Zweifeln an der Weiterbildungspolitik der Bundesagentur für Arbeit. Deshalb ist es
für uns als FDP klar: Die Bundesagentur für Arbeit muss
in ihrer Weiterbildungspolitik kritisch, sogar sehr kritisch überprüft werden.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
hier in diesem Parlament der Weiterbildung einen deutlich höheren Stellenwert geben wollen, sollten wir uns
über die Fraktionsgrenzen hinweg auf eine umfassende
Anhörung zum Themenbereich Weiterbildung einigen.
Damit würden wir dem Thema den Stellenwert geben,
den es braucht, um dann die richtige Weiterbildungsstrategie zu entwickeln.
Vielen Dank.
({5})
Nun hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann das
Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion
hat den Aufschlag gemacht für die Weiterbildungsdiskussion, die wir jetzt zu führen haben. Diese Diskussion
hatten wir allerdings schon in der Vergangenheit. Ich
möchte zum Verfahren, zu Inhalten und zur strategischen
Einordnung einige Bemerkungen machen.
Was das Verfahren angeht, so muss ich sagen, dass
wir eine Restgröße aus der letzten Legislaturperiode
noch abzuarbeiten haben. Das ist die Anhörung im Ausschuss zum Bericht der so genannten TimmermannKommission.
({0})
Es ist tatsächlich überfällig, das jetzt in Angriff zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als wir als Koalitionspartner
mit Offenheit und durchaus mit Freude zur Kenntnis
nehmen, dass die Ministerin einen Rat für Weiterbildung angekündigt hat, nachdem schon ein Rat für berufliche Bildung eingerichtet wurde. Es ist wichtig, dass
sich das Parlament in diese Diskussion einbringt, was
die Zielsetzung und die zentralen Fragestellungen angeht, damit all dies zusammenfließen kann. Es wird auch
eine Ausschussaufgabe sein, diese Punkte mit der Ministerin zu erörtern.
Ihre Frage bezüglich der beruflichen Bildung berührt
die Nahtstelle zwischen beruflicher Bildung und Weiterbildung. Das gilt speziell für die Nachqualifizierung
junger Erwachsener ohne Schul- und Ausbildungsabschluss. Dazu gehören ferner die optimale Verzahnung
und die Durchlässigkeit vom beruflichen Bereich zum
Hochschulbereich. Wir möchten, dass die entsprechenden Maßnahmen zusammen mit dem Parlament entwickelt werden. Dies ist umso wichtiger, als die Ministerin
wie die gesamte Regierung im Jahr 2007 die Aufgabe
hat, die EU-Präsidentschaft wahrzunehmen. Dazu gehört, dass das lebenslange Lernen als ein zentrales
Thema der Europäischen Union ausgestaltet werden
muss. Diese Entwicklungen müssen also zusammenlaufen. Wir als Parlamentarier wollen uns daran beteiligen.
Ihr Antrag gibt dem noch einmal einen Schub.
({1})
Wir haben uns als Bildungspolitiker einzubringen
- das klang von vielen Seiten, auch vonseiten der FDP
schon an -, wenn es aus bildungspolitischer Sicht um
Korrekturen beim so genannten Hartz-Prozess geht. Wir
hätten uns manches ersparen können, hätten wir damals
mehr Zeit gehabt, nachzudenken.
({2})
Das soll eine Aufforderung sein, wenigstens jetzt gründlich nachzudenken. Ich denke im Zusammenhang mit
dem Bildungsbereich und der Hartz-Gesetzgebung an
die Bindungswirkung der Gutscheine, an die Vergabedauer von Aufträgen, an die Losgrößen und auch an die
Qualitätsstandards, die man dem Personal in Sachen
Bezahlung und Ausstattung zusichern muss. Wir müssen
manches ernsthaft weiterverfolgen, damit es in diesem
Bereich zu Korrekturen kommt.
({3})
Wir bitten, dass sich auch die CDU/CSU darauf einlässt,
mit uns zusammen Korrekturen in diesem Bereich zu ermöglichen.
Dieses Zusammenfließen ist ein Prozess. Wir werben
dafür, dass alle Seiten dafür Verständnis haben, dass dieser Prozess nicht so schnell zu Ergebnissen führen kann.
Denn in der letzten Legislaturperiode haben wir zusammen mit dem Bündnis 90/Die Grünen erlebt, dass sich
die Erfolge in den sieben Jahren unserer Regierungszeit
nur schrittweise eingestellt haben. In der Stunde Null lag
nicht gleich das fertige Ergebnis vor. Aber durch die systematische Erarbeitung von Bausteinen sind wir zu guten Ergebnissen gekommen. Denken Sie daran, dass wir
das Meister-BAföG und das Zuwanderungsgesetz als
Leistungsgesetze im Weiterbildungsbereich ausbauen
konnten! Denken Sie daran, dass wir zusammen mit der
Stiftung Warentest unter Einbeziehung von Bildungstestaufgaben und Instrumenten der Qualitätssicherung
bei der Bundesagentur für Arbeit neue Qualitätsstandards gesetzt haben! Denken Sie ferner daran, dass wir
mit dem Programm „Lernende Regionen - Förderung
von Netzwerken“ und mit dem Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen für alle“ vorankommen konnten.
In diesem Sinne gibt es in dieser Legislaturperiode
keine Stunde null, sondern den gleichen Aufbau mit dem
zentralen Baustein, die Säule Weiterbildung zu verstärken, um in Zukunft neue Chancen zu eröffnen.
Kollege Dobrindt hat im Zusammenhang mit der Koalitionsvereinbarung dargestellt, dass wir in drei zentralen Bereichen zusätzliche Bausteine einführen wollen. In
einem ersten Feld geht es um erste und zweite Chancen.
Wenn Sie sich das Arbeitsprogramm der Ministerin ansehen, dann stellen Sie fest, dass dort ausdrücklich von
dem Programm „Grundbildung Erwachsener“ die Rede
ist, mit dem Menschen, die die Grundfähigkeiten Lesen,
Schreiben, Rechnen und den Umgang mit neuen Medien
bisher nicht erwerben konnten, gefördert werden sollen.
Das ist faktisch eine erste Chance. Es soll im Weiteren
ein Programm zur Nachqualifizierung im Sinne einer
zweiten Chance begründet werden.
Das zweite Feld bezieht sich auf das Übergangsmanagement bzw. die Durchlässigkeit von beruflicher Bildung und Hochschule. Das Programm „Lernende Region“ soll im Sinne einer besseren Vernetzung bis hin zu
kulturellen Bezügen
({4})
und auch in betriebliche Bezüge hinein ausgebaut werden. Beides soll in Kombination erfolgen. Auch die
Durchlässigkeit von beruflicher Bildung und Hochschule soll verstärkt, vor allem transparent gemacht und
auf einen gleichen Standard gehoben werden.
({5})
Schließlich ist das dritte Aktionsfeld eine bessere Unterstützung bei betrieblichen Qualifizierungsprozessen,
die es in der Wirtschaft gibt, und dort, wo sich berufliche
Weiterbildung in entscheidenden Bereichen vollzieht.
Die Stichworte „Bildungssparen“ und „Einsetzung einer
stärkeren Rückversicherung bei Bildungszeitkonten“
wurden schon genannt. - Dies sind die drei Handlungsfelder.
Man merkt aber auch, wo es noch eine Differenz gibt.
Die Partei der Linken hat geäußert, dass sie ein Bundesrahmengesetz für Weiterbildung einführen wollten. Das
gehört auch zur Programmatik der SPD. Aber wie es nun
einmal in Koalitionen ist: Man kommt nicht gleich zum
Ziel. Ich will Frau Merkel zitieren, die in einem anderen
Zusammenhang gesagt hat: Wir machen erst einmal das,
was im Koalitionsvertrag steht, und dann müssen wir sehen, wie wir weiterkommen.
({6})
Die SPD hat etwas vor, was darüber hinaus zielt, nämlich die Einführung eines gesetzlich begründeten Anspruchs auf Mindestzeiten, eine Mindestabsicherung und
eine Mindestqualitätssicherung bei der Weiterbildung in
Form eines Rahmengesetzes, zu dem wir genauso
bekennen müssen: Dies muss sich entwickeln. Die Einbringung eines solches Gesetzentwurfes kann man jetzt
noch nicht auf den Tag genau festlegen. Wir sind durchaus hoffnungsvoll, dass wir dafür auch die Zustimmung
der anderen großen Volkspartei - vielleicht schneller als
erwartet - gewinnen können.
Wenn es um die Strategie geht, kann ich an Bemerkungen anknüpfen, die Kollege Dobrindt und andere gemacht haben, nämlich dass die Einordnung unseres Anliegens so erfolgen muss, dass wir den Schwung aus
anderen Quellen dafür nutzen, Weiterbildung nicht nur
zu beschwören, sondern sie in der Gesellschaft als ein
positives Element der Lebensgestaltung, der Absicherung des Erwerbs und zusätzlicher Lebenschancen zu
verankern.
Subjektiv gesehen sind wir dicht bei diesem Anliegen; aber objektiv gesehen fehlt uns noch etwas. Bei einem Vergleich der innovativen Volkswirtschaften mit
denjenigen, die nicht so wertschöpfungsintensiv sind,
kann man erkennen, dass in Finnland, in Dänemark und
in Schweden kontinuierlich vorbildliche Leistungen in
Bezug auf die berufliche Weiterbildung erbracht worden
sind. Hier besteht ein Rechtsanspruch, der von den Beschäftigten als Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit
positiv aufgenommen worden ist. Das hat England übernommen. Objektiv müssen wir feststellen: In Deutschland sind wir noch auf dem Niveau von Ungarn. Das
kann nicht so bleiben.
({7})
Das muss sich vielmehr auch bei uns verändern, wenn
wir den Lissabonprozess, in dem es darum ging, über
die Verstärkung der Forschung und Entwicklung eine
nachhaltige Wertschöpfung zu erreichen, ernst nehmen
wollen und unser System um das ergänzen wollen, was
uns Beobachter, Bildungsforscher und Ökonomen im
Zusammenhang mit diesem Prozess sagen, nämlich dass
Investitionen in die Qualifizierung ein nachhaltiger Beitrag sind, den man leisten muss, damit es dauerhafte
Wertschöpfung auf einem hohen Niveau gibt. So lautet
der Zwischenbericht von Wim Kok zu dem so genannten
Lissabonprozess aus dem Jahr 2000. - Das ist der eine
objektive Faktor, der Weiterbildung mächtiger werden
lässt.
Der zweite Faktor ist von Ihnen angesprochen worden
mit der - vielleicht nicht eintretenden, aber auch nicht
auszuschließenden - Perspektive der Rente mit 67.
Wenn es eine längere Lebensarbeitszeit gibt, dann erhält
man Beschäftigungsfähigkeit unter anderem durch Weiterbildung, aber nicht erst Weiterbildung bei den 55- bis
60-Jährigen, sondern in der Altersgruppe der 30- bis
50-Jährigen. Mit dieser Weiterbildung werden die entscheidenden Grundlagen dafür gelegt, dass es nicht den
wahrzunehmenden Abbruch in der Qualifikation von
Menschen über 55 gibt, der in Deutschland leider zu verzeichnen ist.
({8})
Auch wenn der großen Koalition Anerkennung dafür
auszusprechen ist, dass sie in einer Partnerschaft auf Zeit
konstruktiv und dynamisch zusammenarbeitet, müssen
wir dennoch in die Gesellschaft schauen.
Die positiven Gesichtspunkte, die in Bezug auf die
Unternehmen bereits genannt wurden, möchte ich im
Hinblick auf die Gewerkschaften noch ergänzen. Wenn
ich zurückblicke, dann stelle ich fest, dass die IG Metall
einen Orden Pour le Mérite verdient, was die Weiterbildung angeht.
({9})
Sie hat das Thema Weiterbildung in Tarifverträge und
Tarifauseinandersetzungen hineingebracht, mit der
Folge, dass es jetzt Weiterbildungsberatungen und sogar
einen Anspruch auf Weiterbildung gibt. Diese Auseinandersetzungen verliefen nicht immer zur Zufriedenheit
aller Mitglieder, die sich am Ende sogar mit einem Streik
das Recht auf Weiterbildung und die Unterstützung für
Weiterbildung erkämpft haben. Diese Facette sollten wir
in der aktuellen Tarifrunde durchaus beachten.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich glaube, dass die Partei der Arbeitnehmer und die
Partei, die viele Dinge eher aus unternehmerischer Sicht
sieht, ein gemeinsames Interesse in der Gesellschaft verbindet: nämlich das Interesse an Weiterbildung als einem
Garanten für Wertschöpfung und individuelle Chancensicherung in der Zukunft. Diesem Interesse zu entsprechen, wäre das Wichtigste, was wir in dieser Legislaturperiode erreichen können.
Danke.
({0})
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Priska Hinz,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Schneider, Sie sprechen in Ihrem Antrag zu Recht von
der Zukunftsaufgabe Weiterbildung. Sie haben gemutmaßt, dass man Ihrem Antrag nicht zustimmt, weil er so
ein Wunschkonzert ist. Ich muss dazu sagen: Wenn man
eine Zukunftsaufgabe beschreibt, dann muss das anders
aussehen als in Ihrem Antrag; denn Sie haben wichtige
Themen leider ausgespart.
Veränderte Lebensbiografien zum Beispiel führen
dazu, dass sich künftig die Phasen von Bildung, Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Arbeit abwechseln
werden. Hinzu kommt, dass das Renteneintrittsalter verschoben wird.
Priska Hinz ({0})
Des Weiteren brauchen wir eine Verknüpfung von
Weiterbildung mit der Erstausbildung. Das bedeutet, wir
brauchen ein ganz anderes Verständnis von lebenslangem Lernen und auch von dessen Finanzierung. Leider
kommt das in Ihrem Antrag zu kurz.
({1})
Außerdem ist Ihr Antrag geschlechterblind - wenn
ich das einmal so sagen darf. Die Tatsache, dass vor allen Dingen Frauen von Weiterbildungsangeboten unterdurchschnittlich profitieren und von Angeboten gar nicht
erreicht werden, wenn sie sich in der Familienphase befinden oder hinterher wieder in den Beruf einsteigen
wollen, ist Ihnen keine Zeile in Ihrem Antrag wert. Das
ist aber ein gravierendes Problem nicht nur für die
Frauen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt und
für die Wirtschaft.
Auch die anderen Gruppen, die viel zu wenig an Weiterbildung teilnehmen - seien es die gering Qualifizierten, die Älteren, die Migranten oder die Behinderten -,
werden in Ihrem Antrag nicht genannt. Eigentlich ist Ihr
Antrag immer noch so aufgestellt, dass er die normale
männliche Erwerbsbiografie vor Augen hat: Da muss
man halt noch Weiterbildung machen, um im Erwerbsleben vorwärts zu kommen, und wenn man arbeitslos ist,
muss eben das Arbeitsamt für Fortbildung sorgen. So ist
Ihr Antrag aufgebaut; er geht eigentlich an den Notwendigkeiten vorbei.
({2})
Natürlich wollen auch wir Weiterbildung in der Arbeitslosigkeit in Zukunft sicherstellen. Deswegen muss
dringend - das hat Herr Rossmann schon gesagt - das
System der Bildungsgutscheine verändert werden, das
gerade bildungsferne Arbeitslose ausschließt. Wir brauchen andere Arten von Qualitätskriterien und wir brauchen
Planungssicherheit für die Weiterbildungsträger, damit
sie auch qualifizierte Weiterbildung vermitteln können.
({3})
Weil wir ganz unterschiedliche Zielgruppen und Lebensphasen ins Auge nehmen müssen, brauchen wir
ganz unterschiedliche Weiterbildungsmöglichkeiten: Arbeitszeitkonten, Job-Rotation, natürlich tarifvertragliche
Regelungen und Bildungsurlaub. Wir müssen aber auch
über das neue Modell der Lebensphasenteilzeit nachdenken und uns mit der Frage, wie informelles Lernen stattfinden kann und nach welchen Qualitätskriterien es anerkannt werden kann, beschäftigen. Eventuell brauchen
wir im Rahmen der Weiterbildung auch Elemente einer
Beschäftigtenversicherung.
Im Antrag der Linken habe ich ein Thema besonders
vermisst: Die Rolle der Unternehmen bei der Weiterbildung wird völlig ausgespart. Bei diesem Thema sind
Sie doch sonst immer vorne dabei.
({4})
Worin sehen Sie den Anteil der Wirtschaft an der Weiterbildung? Weiterbildung ist Innovation. Die Unternehmen brauchen sie, um wettbewerbsfähig zu sein, um mithalten zu können. Sie brauchen gute Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, weil sie die Zukunft eines jeden Unternehmens sind. Darüber verlieren Sie überhaupt kein
Wort. Das hat mich sehr gewundert.
({5})
Beim Thema Finanzierung darf man nicht nur die öffentliche, beitragsfinanzierte, sondern muss auch die betrieblich und privat finanzierte Weiterbildung berücksichtigen. Insofern ist in meinen Augen auch die
Vorstellung der CDU/CSU zu einseitig. Bildungssparen
ist ein Aspekt bei der Finanzierung, der Weiterbildungskredit könnte ein weiterer sein. Wir müssen aber
den ganzen Strauß von Möglichkeiten sehen.
({6})
Ich halte es für notwendig - das habe ich auf der besagten Veranstaltung auch schon gesagt -, dass wir zu
dem Bericht aus der letzten Wahlperiode und zum neuen
Weiterbildungsbericht der Bundesregierung eine Anhörung durchführen, damit wir uns bei diesem Thema gut
einmischen und ein Gesamtkonzept entwickeln können.
({7})
Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 16/785 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Wie ich sehe,
sind Sie damit einverstanden. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie den Zusatzpunkt 8 auf:
29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz ({0}), Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Europäischen Bildungsraum weiter gestalten - Transparenz und Durchlässigkeit
durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen stärken
- Drucksache 16/1063 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens
- Drucksache 16/1127 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe
dazu keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort erneut der Kollegin Priska Hinz von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
({4})
Keine Angst, das wird kein Dauerzustand. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Europäischen
Union gibt es seit vielen Jahren vielfältige Bemühungen,
einen gemeinsamen Bildungsraum zu gestalten.
Eine neue Initiative ist die Entwicklung eines europäischen Qualifikationsrahmens. Das ist ein sehr komplexes Thema. Dieser EQR, wie er kurz heißt, bietet die
Chance, Qualifikationen europaweit vergleichbar zu machen. Gleichzeitig soll er eine Übersetzungshilfe sein. Er
soll die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen nationalen Systemen befördern, die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung herstellen - das ist aus
unserer Sicht besonders wichtig - und bessere Übergangsmöglichkeiten zwischen den Bildungsgängen
schaffen. Zum Beispiel soll man beim Wechsel in einen
anderen Bildungsgang auf bereits erworbenen Kompetenzen aufbauen können und nicht wieder von vorne anfangen müssen.
Der europäische Qualifikationsrahmen soll sich an
Lernergebnissen orientieren, die in Kompetenzstufen
eingeordnet werden. Das ist für Deutschland wichtig,
weil dann die im Rahmen der dualen Ausbildung vermittelten, oftmals sehr hohen Kompetenzen im europäischen Vergleich auf einer Skala entsprechend gewertet
würden. Das Problem, dass wir zu wenig Akademiker
haben, stünde dann in einem anderen Licht. Durch die
Einführung des europäischen Qualifikationsrahmens
würde der Wert von Kompetenzen - zurzeit werden eigentlich nur Kompetenzen wahrgenommen, die im akademischen Raum erworben werden - verschoben.
Es gibt aber auch viele Probleme und ungelöste Fragen, die im Zusammenhang mit dem Qualifikationsrahmen aufgeworfen werden. Umso bedauerlicher finden
wir es, dass die Bundesregierung mit einer zweiten Stellungnahme noch immer auf sich warten lässt,
({0})
dass sie sich noch nicht richtig in den europäischen Umsetzungsprozess eingebracht hat.
Wir hoffen sehr, dass die Bundesregierung den Prozess beeinflussen möchte. Es ist doch auch im nationalen
Interesse wichtig, zu überlegen: Wo sind unsere Stärken?
Was wollen wir in diesen Prozess einbringen? Was ist an
unseren Bildungsgängen gut? Wie können wir uns in die
Gestaltung des europäischen Bildungsraums einbringen?
Man sollte nicht - wie bei der Dienstleistungsrichtlinie am Ende dastehen und sagen: So haben wir uns das nicht
gedacht, aber die anderen waren schneller.
Wir wollen also, dass die Ganzheitlichkeit der Ausbildung bei der Umsetzung des EQR gesichert werden
kann. Bei uns werden in der Erstausbildung berufliche
Grundlagen vermittelt. So wird eine fachlich gute Ausbildung erreicht, die aber auch soziale Kompetenzen
stärkt und die Grundlage für eine weitere Spezifizierung
ist. Darauf sind wir stolz; das wollen wir auch in einem
europäischen System wiederfinden.
Wir wollen, dass der EQR in ein System lebenslangen Lernens eingebettet wird. Ich beziehe mich hierbei
auf die Debatte von vorhin. Es macht keinen Sinn, mit
dem höchsten akademischen Abschluss aufzuhören; lebenslanges Lernen - Stufen darüber hinaus - ist wichtig.
Man muss die entsprechenden Kompetenzen auf verschiedene Weise erwerben können.
Die Zusammenführung durch den Europass und das
europäische Leistungspunktesystem für berufliche Bildung, ECVET, muss gesichert werden. Die Zertifizierung, die von der Linken gefordert wird, muss vor allen
Dingen unbürokratisch und transparent vollzogen werden. Jeder muss wissen, wer welche Qualifikationen warum wie bewertet. Das ist für die Akzeptanz des Qualifizierungsrahmens sehr wichtig.
({1})
Der EQR macht nur Sinn, wenn ein nationaler Qualifikationsrahmen darauf aufbaut. Erst dann ist der
europäische Qualifikationsrahmen praktisch anwendbar.
Auch für den nationalen Rahmen gilt: Durchlässigkeit,
Gleichwertigkeit und lebenslanges Lernen müssen gewährleistet sein. Man sollte seine Einführung als Qualifizierungsoffensive begreifen.
Wir brauchen eine öffentliche Debatte über die Entwicklung des europäischen Qualifikationsrahmens und
des nationalen Qualifikationsrahmens. Auch bei diesem
Thema wollen wir, das Parlament, uns einmischen, damit die Entwicklungen nicht an uns vorbeilaufen.
({2})
Wir wollen die Bundesregierung dabei im Ausschuss
gerne beraten.
Danke schön.
Priska Hinz ({3})
({4})
Nun hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Uwe
Schummer das Wort.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Die öffentliche Debatte über die Weiterbildung und über den europäischen Bildungsraum wurde
mit der Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung gestartet. Es gibt kaum eine Koalitionsvereinbarung, in der
sich die Weiterbildung und der europäische Bildungsraum fundiert und klar umrissen wiederfinden, und zwar
mit ganz konkreten Projekten wie Bildungssparen,
BAföG für Weiterbildungen und Insolvenzabsicherung
von Lernzeitkonten. Das heißt, diese Koalitionsvereinbarung ist eine Selbstverpflichtung der sie tragenden
Fraktionen und hat bereits diese Debatte angeschoben.
({0})
Für uns geht es bei der beruflichen Ausbildung auf
der einen Seite um Quantität und auf der anderen Seite
um Qualität. Die Quantität wird durch den Ausbildungspakt, der verlängert werden muss, sichergestellt; die
Steigerung der Qualität wird von der Strukturkommission, die Annette Schavan eingerichtet hat und in der
kreative Köpfe, nicht Lobbyisten, letztlich das Sagen haben, begleitet und vorangetrieben. Wir müssen ein neues
Denken entwickeln, damit es in der beruflichen Ausbildung und Weiterbildung wieder vorangeht.
({1})
Die Berufsbildungsreform war - anders, als es im
Antrag der Grünen formuliert ist - ein Gemeinschaftswerk des Deutschen Bundestages.
({2})
Das heißt, wir, die Unionsfraktion, haben bereits im
Frühjahr 2003 die Eckdaten formuliert. Sie sprechen im
Antrag lediglich von einem rot-grünen Projekt. Es war
aber ein gemeinsames Projekt, das letztendlich von der
Unionsfraktion angetrieben wurde. Wir haben die Berufsbildungsreform dann einstimmig im Deutschen Bundestag verabschiedet; im Bundesrat wurde sie ebenfalls
einstimmig verabschiedet.
({3})
Es ist entscheidend und wichtig, dass es seit der Berufsbildungsreform die Möglichkeit gibt, dass durch Zusatzqualifikationen während der ersten Ausbildung eine
Vernetzung von Berufs- und Weiterbildung stattfinden
kann. Auch eine Initiative der Union war entscheidend,
durch die wir grenzüberschreitende Ausbildungsverbünde zwischen Betrieben rechtlich abgesichert haben,
sodass bei der Abschlussprüfung auch die Zeiten angerechnet werden, die in Italien, Holland oder in anderen
Ländern verbracht wurden. Damit können wir in der beruflichen Ausbildung grenzüberschreitend tätig werden.
({4})
Die qualifizierte Stufenausbildung ist ein Zukunftskonzept. 100 000 junge Menschen landen jedes Jahr
ohne eine Qualifizierung auf der Straße oder kommen in
Ersatzmaßnahmen. Uns geht es darum, dass bei der Stufenausbildung das Alles-oder-nichts-Prinzip überwunden wird, dass mit Zwischenabschlüssen dafür Sorge getragen wird, dass derjenige, dem nach der ersten Stufe
der Atem ausgeht, durch die Vernetzung der Weiterbildung und Ausbildungsmodule die Chance hat, die zweite
Stufe später nachzuholen.
({5})
100 000 junge Menschen stehen vor dem Nichts. Sie sollen mit dieser Vernetzung und über Zwischenabschlüsse
eine Chance für die Zukunft bekommen.
Der wichtigste Punkt - gerade vor dem Hintergrund
dessen, was gerade in der Rütli-Schule in Berlin stattfindet - ist, dass Berufsbilder, die Hauptschülern heute verschlossen sind, ihnen durch die Stufenausbildung wieder
geöffnet werden. Das gilt auch für praktisch Begabte, die
mit der ersten Stufe die Zugangsberechtigung für die
zweite Stufe bekommen.
({6})
Das ist entscheidend. Deshalb müssen wir die Stufenausbildung vorantreiben.
Wir wollen den europäischen Bildungsraum. Qualifikationen sollen europaweit vergleichbar werden. Dabei
müssen und werden wir darauf achten, dass die duale
Ausbildung und das Berufsprinzip erhalten bleiben. Von
daher ist entscheidend, dass die Lernergebnisse anhand
der Kompetenzen bewertet werden und dass wir die
Kompetenzen nach ihrem Vorhandensein bewerten und
nicht danach, über welche Wege sie erlangt wurden, also
ob sie über schulische, akademische Wege oder über berufliche Wege, zum Beispiel die Meisterprüfung, erlangt
wurden. Entscheidend ist, dass die Kompetenzen vorhanden und abrufbar sind.
Wichtig ist auch, dass wir beim Berufsprinzip bleiben. Sie, die Grünen, haben in Ihrem Antrag das Berufsprinzip nicht einmal erwähnt.
({7})
- Zwischen den Zeilen, aber nicht als Begriff und nicht
so, wie es angesichts seiner Wichtigkeit sinnvoll gewesen wäre.
({8})
Wir wollen keine Zerstückelung des Berufsbildes in
64 Module, durch die jeder einzelne sich die entsprechenden Bausteine für die Betriebe suchen müsste. Wir
wollen die breite Ausbildung und das Berufsprinzip
bewahren, weil eine breite Bildungsbasis die beste Voraussetzung für spätere Weiterbildung ist.
({9})
In unserem Antrag wird formuliert, was Sie in Ihrem
Antrag vergessen haben. Durchlässigkeit, aber auch
Wechsel zwischen akademischer und beruflicher Bildung sind entscheidend. Man muss auch Kritik üben
dürfen, selbst wenn man an der Regierung beteiligt ist.
Der von Ihnen erwähnte Ausbildungspass, der zum
1. Januar eingeführt wurde, wurde bisher viertausendmal
abgerufen. Das ist ein Anfang. Man muss dafür sorgen,
dass dieser noch verstärkt genutzt wird und dass er durch
gemeinsame Zertifizierungen im Bildungsbereich aufgewertet wird.
Entscheidend ist - das haben auch Sie gesagt, Frau
Hinz -, dass bei den bisherigen Bewertungsstufen zum
europäischen Qualifizierungsrahmen der Europäischen
Union die akademischen Qualifizierungsstufen oben liegen und die beruflichen in der Mitte. Vor 14 Tagen
wurde eine gemeinsame Erklärung des Hauptausschusses des Bundesinstitutes für Berufsausbildung mit den
Sozialpartnern verabschiedet, in der die Wirtschaft, die
Gewerkschaften und die Bildungsforschung gemeinsam
an uns appellieren, dass wir dafür Sorge tragen, dass zur
Erreichung der höchsten Niveaustufe auf europäischer
Ebene, Stufe 8, Berufserfahrung bei der Bewertung
verpflichtend vorausgesetzt wird.
({10})
Dies würde das duale System in Deutschland stärken
und dies sollten wir so in Brüssel umsetzen.
Ein wichtiger Meilenstein wird die deutsche EURatspräsidentschaft im Jahr 2007 sein. Bundesbildungsministerin Schavan wird den europäischen Qualifizierungsrahmen federführend mit den europäischen
Partnern abstimmen. Dazu gehört natürlich auch die
Umsetzung dessen, was wir in der Koalitionsvereinbarung beschlossen haben. Das heißt letztendlich, dass wir
Bildungssparen vorantreiben. Mit dem Vermögensbeteiligungsgesetz schaffen wir neben Bausparen und Alterssicherung eine dritte Säule, mit der das Bildungssparen
ermöglicht wird. Dann kann jeder Einzelne für sich entscheiden, ob er ein Drittel Bildungssparen und zwei
Drittel Alterssicherung möchte oder 50 Prozent Bausparen und 50 Prozent Bildungssparen. Hier muss der Gesetzgeber nicht tätig werden. Vielmehr kommt es auf
diese drei Elemente an. Der Einzelne soll zwischen den
verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten wählen können.
Entscheidend wird sein, dass wir neben dem MeisterBAföG, das aufgewertet worden ist, auch ein generelles
Weiterbildungs-BAföG schaffen. Wir müssen Studienund Weiterbildungskredite zur Verfügung stellen, damit
Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung auch ergriffen werden können. Nutznießer der beruflichen Weiterbildung müssen einerseits die Betriebe sein, da sie qualifizierte, innovative Beschäftigte haben, andererseits die
Arbeitnehmer selbst, da sie ein höheres Einkommen erzielen und besser vermittelbar sind. Hier brauchen wir
auch eine verstärkte Selbstfinanzierung.
Hans Katzer, der im Jahr 1967 in der damaligen großen Koalition das Arbeitsförderungsgesetz geschaffen
hat, sagte mir noch kurz vor seinem Tod, es sei ein Webfehler gewesen, dass die berufliche Weiterbildung über
die Arbeitsämter aus den Beiträgen der Arbeitgeber und
Arbeitnehmer finanziert worden sei. Es wäre richtig gewesen, die berufliche Bildung, wie auch die akademische Bildung, aus Steuermitteln zu finanzieren. Darum
ist es notwendig, dass die Weiterbildung weiterhin von
der Bundesagentur für Arbeit finanziert wird, allerdings
aus Steuermitteln und nicht über die Arbeitskosten. Hier
müssen wir bei der Revision der Hartz-Gesetze umswitchen.
Ebenso müssen wir die Selbstfinanzierung ausbauen: erstens durch Bildungssparen, zweitens durch die
Möglichkeit, Studien- und Weiterbildungskredite in Anspruch zu nehmen, und drittens durch die Einführung
von Lernzeit- und Langzeitkonten, die allerdings insolvenzgesichert sein müssen, damit sich die Tarifpartner in
den Betrieben auch darauf verständigen können, wie es
gegenwärtig in der Metallindustrie zu beobachten ist.
Das Arbeitsförderungsgesetz war gedacht, um Arbeitslose für ihre Integration in den Arbeitsprozess fit zu
machen.
({11})
Wenn wir Weiterbildung aber als permanente Aufgabe,
als vierte Säule des Bildungssystems, betrachten, dann
geht es um 33 Millionen Menschen. Dies geht nicht
mehr über die Arbeitskosten. Die Vernetzung von Ausund Weiterbildung wurde durch die Berufsbildungsreform vorangetrieben. Hier wollen wir jetzt mit der Einführung eines europäischen Qualifikationsrahmens ansetzen.
Ich denke, der Antrag, den die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vorgelegt hat, stellt eine interessante
und gute Vorarbeit dar. Die Koalitionsfraktionen werden
diese Debatte im zuständigen Ausschuss ergänzen, indem sie einen gemeinsamen Antrag vorlegen. SPD und
Union werden ein Fachgespräch vereinbaren, das dazu
führen wird, dass ein solcher Antrag formuliert werden
kann. Kollegin Hinz, ich bin mir sicher, dass alle Abgeordneten, die guten Willens sind, unserem Antrag werden zustimmen können.
({12})
Der Kollege Patrick Meinhardt von der FDP-Fraktion
hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich
das Wort dem Kollegen Willi Brase von der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Bei aller Wertschätzung meines Kollegen Uwe Schummer muss ich sagen:
Es waren einige in diesem Hause, die sehr intensiv und
sehr frühzeitig mit den notwendigen Vorarbeiten für eine
Reform der beruflichen Bildung begonnen haben. Was
wir aus dieser Debatte mitnehmen können, ist, dass wir
im zuständigen Ausschuss, im Bundestag insgesamt und
auch gemeinsam mit dem Bundesrat einige Dinge auf
den Weg gebracht haben, die langsam anfangen, positive
Wirkungen zu zeigen.
({0})
An den Debatten, die wir gerade führen und die wir vorhin zum Aspekt der Weiterbildung geführt haben, wird
aber auch deutlich, wie umfangreich das Thema Einführung eines europäischen Qualifizierungsrahmens ist.
Ich möchte aus Sicht der SPD-Fraktion einige grundsätzliche Anmerkungen machen. Wir wissen: Einerseits
will die Europäische Kommission Europa zu einem
einheitlichen Arbeitsmarkt und zu einem einheitlichen
Wirtschaftsraum mit unbegrenzter Mobilität für Unternehmen und Arbeitskräfte entwickeln. Andererseits
betont Art. 150 des EG-Vertrages, dass die Verantwortlichkeit für Bildung und berufliche Bildung bei den einzelnen Mitgliedstaaten liegt. Deshalb müssen wir sehr
genau überprüfen, ob das Prinzip der offenen Koordinierung nicht vielleicht doch, sozusagen durch die Hintertür, zu einer Vereinheitlichung von Bildung und beruflicher Bildung führt, die aus unserer Sicht nicht positiv
wäre. Hier müssen wir aufpassen.
({1})
Für die SPD-Fraktion ist die Entwicklung des euro-
päischen Qualifizierungsrahmens daran zu messen, wie
die Umsetzung vorangehen soll. Für uns sind das Be-
rufskonzept und die Beschäftigungsfähigkeit, wenn man
so will: die Beruflichkeit, grundlegender Maßstab bei
der Betrachtung und der Erarbeitung.
Was heißt Berufsprinzip? Das Berufsprinzip bindet
Arbeitsqualifikationen an den betriebsübergreifenden
oder betriebsexternen Arbeitsmarkt, orientiert sich an
professionellen Standards, gibt Qualifizierungsansprü-
che auf flexibel einsetzbare und vergleichsweise auto-
nome verwertbare Qualifikationen. Unsere Berufsbilder
lassen überbetrieblichen Einsatzfeldern genügend Raum,
und das müssen wir auch zukünftig ermöglichen.
1) Anlage 5
Für uns ist das Berufsprinzip gestaltende Kraft und
das Identifikationsmedium der Wirtschaft und der
Selbstverwaltung in diesem Themenfeld. Arbeitnehmerund Arbeitgeberorganisationen arbeiten vertrauensvoll
zusammen. Damit sind beliebigen Formen und Inhalten
von Teilqualifizierungen natürliche Grenzen gesetzt.
Dieses Prinzip muss erhalten bleiben.
({2})
Für uns heißt Berufsprinzip auch: Vollständigkeit,
Einheitlichkeit und Systemanteile eines Qualifizierungsprozesses oder auch Unteilbarkeit und Ganzheitlichkeit
von Qualifikationsprofilen. Berufsprinzip ist berufliche
Handlungskompetenz und - nicht zu vergessen - gesellschaftlicher Status von Facharbeit, der Voraussetzung
sowohl beruflicher Identität als auch angemessener Entlohnung ist. Vorhin wurde in einem Beitrag sehr deutlich
von Schule, Ausbildung und Beruf gesprochen. Es heißt
nicht: Schule, Ausbildung und Tätigkeit. Es heiß immer
noch: Beruf. Diese Identifikation muss auch in Zukunft
vorhanden sein.
({3})
Deshalb darf es bei der Einführung eines EQR und
ECVET, also von Leistungspunkten, und beim nationalen Qualifizierungsrahmen nicht zu den Entwicklungen
kommen, die ich jetzt beschreiben werde. Wir wollen
keine Zergliederung der beruflich geschnittenen Qualifikation in einzelzertifizierbare Lerneinheiten. Man kann
diese Lerneinheiten übrigens, wenn man es so machen
würde, zu Kompetenzpatchworks addieren. Das ist aber
nicht mit einem Berufskonzept unterlegt. Wir wollen
auch keine engen spezialisierten Tätigkeiten, die nur einen Teilaspekt beinhalten.
({4})
Wir wollen ebenso wenig eine Fragmentierung von
Bildungsgängen in Modulen, die dazu führt, dass Lernprozesse nicht mehr auf breite Felder verwandter Tätigkeiten ausgerichtet werden, sondern nur noch schmale
Ausschnitte derselben getestet werden. Das kann es
nicht sein. Wir wollen ebenso wenig eine Individualisierung von Ausbildungswegen. Gesellschaftlich geplante
und normierte Lernprozesse werden durch solche abgelöst, die bestenfalls vom einzelnen Jugendlichen oder
Betrieb geplant würden, ansonsten aber aus dem Angebot von Bildungsanbietern, zufälligen Arbeitseinsätzen
und lebensweltlichen Erfahrungen resultieren.
Die Verlagerung der Identifizierung und Anerkennung von Qualifikationen auf Zertifikationsorganisationen sowie einzelne Betriebe wird nach unserer Auffassung dem Berufsrahmen und der Dualität nicht gerecht.
Die Privatisierung ist an dieser Stelle falsch und bedeutet
letztlich Dequalifizierung. Das darf nicht passieren.
Ich will einige Punkte nennen, die wir zugespitzt betrachten müssen und über die wir im Ausschuss und im
Plenum diskutieren werden. Welche wesentlichen
Punkte einer europäischen Berufsbildungspolitik sind
eigentlich mit unserem dualen System vereinbar und
sinnvoll? Wie gehen wir mit der Ganzheitlichkeit um?
Was machen wir mit den Modulen? Wie werden die
Kompetenzen erbracht und wie werden sie bewertet?
Welche Möglichkeiten sehen wir im Ansatz der Freiwilligkeit bei der Einführung des europäischen Qualifizierungsrahmens? Ich glaube, das geht nur über Freiwilligkeit. Wie kann eine ausreichende Erprobungsphase mit
allen relevanten Akteuren der beruflichen Bildung als
unabdingbar erreicht werden?
Unser Prinzip „vom Novizen zum Meister“ darf
nicht zerstört werden. Wir stellen fest, dass Meister Auszubildende über mehrere Jahre hinweg an ihrem Arbeitsplatz beobachten und ihre Bewertung erst nach mehreren
Jahren abgeben, während Gutachter anhand bestimmter
Vorgänge oder einer kleinen Auswahl Beurteilungen
treffen. Das ist ein Unterschied, den wir in dieser Frage
berücksichtigen müssen.
({5})
1996 hat das Bundesministerium für Bildung und
Forschung einen Kongress der europäischen Staaten organisiert, die duale Berufsausbildungen durchführen;
dieser Prozess diente der Standortbestimmung. Ich empfehle dem Haus, eine Nachfolgeveranstaltung auf den
Weg zu bringen, damit die ganzheitliche Berufsausbildung im europäischen Qualifizierungsentwicklungsprozess nicht unter die Räder kommt. Eine solche Nachfolgeveranstaltung der Staaten, die eine duale berufliche
Ausbildung haben, wäre zur Abstimmung und Bündelung des Qualifizierungsentwicklungsprozesses sehr
hilfreich.
({6})
Wir sollten beobachten, wie die Debatte über einen
nationalen Qualifizierungsrahmen in Großbritannien
verläuft. Wir wissen, dass gerade britische Wissenschaftler die wesentlichen Vorarbeiten für das derzeitige Gedankengut des europäischen Qualifizierungsrahmens
entwickelt haben. Wenn man sich die Debatte in der englischen Wissenschaft anschaut, stellt man fest, dass dort
auch sehr gezielt diskutiert wird, ob der englische Weg
von Teilqualifizierungen, von Units, von Lerneinheiten
etc. der richtige ist. Ich meine, wir sind gut beraten, dieses mit zu berücksichtigen.
Wir als SPD wollen bei der Weiterentwicklung der
europäischen Berufsbildungspolitik die genannten Ziele
im Auge behalten. Wir brauchen auch zukünftig eine gesellschaftliche Verantwortung für Bildungszugang und
Bildungsinhalte. Der Zugang zu qualifizierter beruflicher Bildung ist den Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern auch zukünftig zu gewähren. Wir wollen die
Rechte der Selbstverwaltung in der beruflichen Bildung,
also der Sozialpartner, wahren und stärken; damit beziehen wir sie in die gesellschaftliche Entwicklung ein. Die
angesprochene Vergleichbarkeit und Gleichheit allgemeiner und beruflicher Bildung ist ebenso wichtig und
muss berücksichtigt werden. Zur Durchlässigkeit habe
ich etwas gesagt. Die Debatte über die Weiterbildung,
die wir hier eben geführt haben, zeigt, wie notwendig
und wichtig sie ist.
Die Wirtschaftsministerkonferenz der Bundesländer hat sich im Dezember 2005 ebenfalls mit dem EQR
und den ECVET-Prinzipien auseinander gesetzt. Auch
hier wurde die Forderung nach dem Erhalt des Berufsprinzips laut. Die Definition von Lerneinheiten muss im
Rahmen des Berufskonzeptes erfolgen. Betriebliches Erfahrungslernen muss angemessen eingeordnet werden
können. Deskriptoren und Niveaustufen sind zu überprüfen. Wir brauchen einen angemessenen Raum für die
gründliche Erprobung in Form von Projekten und Einzelaktivitäten.
Auch wir sind dafür, die Weiterentwicklung dieses
Prozesses ruhig, sachgerecht und ohne Hast zu begleiten.
Die Entwicklung eines NQR, eines nationalen Qualifizierungsrahmens, wird von zentraler Bedeutung sein;
wir haben darüber in einem internen Workshop mit Experten erste Gespräche geführt.
Ich will schließen: Die europäische Akzeptanz sollten
wir bei der Gestaltung dieser Prozesse nicht unterschätzen. Ein europäischer Qualifizierungsentwicklungsprozess kann nur auf den Weg gebracht werden, wenn es
gelingt, die Sozialpartner - die Organisationen und nicht
zuletzt die jungen Menschen - mitzunehmen. Die SPD
wird dies kritisch begleiten. Es wäre schön, wenn wir
das im Ausschuss gemeinsam auf den Weg bringen
könnten. Wir wollen die bewährten Prinzipien der dualen Berufsausbildung erhalten; sie dürfen nicht unter die
Räder kommen; der Koalitionsvertrag gibt uns den Auftrag hierzu.
Ich wünsche Ihnen allen frohe und gesegnete Ostern
und danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat nun das Wort
die Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für den heutigen Antrag zunächst vielen Dank an die
Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wir begrüßen
ausdrücklich die Forderung nach einer öffentlichen Debatte über den europäischen und den nationalen Qualifikationsrahmen. Ich möchte für die Fraktion Die Linke
drei Anforderungen nennen, die für uns dabei entscheidend sind.
Der erste Punkt betrifft die unter anderem von den
Gewerkschaften geäußerten Befürchtungen, der Qualifikationsrahmen könnte ein Einfallstor für weitere Bildungsprivatisierungen sein. Diese Befürchtungen sind
aus unserer Sicht berechtigt. Es ist bekannt, dass sich die
Bildungsindustrie gerade von so genannten sekundären
Bildungsdienstleistungen wie der Entwicklung von Testverfahren und Bewertungsmaßstäben oder von der Zertifizierung von Qualifikationen die größten Gewinne
verspricht. Wenn man sich die Gestaltung des Qualifikationssrahmens ansieht, ist offensichtlich, dass der Bedarf
nach ebendiesen Dienstleistungen zunehmen wird. Wir
sagen deshalb ganz klar: Bei der Diskussion über den
Qualifikationsrahmen muss von vornherein festgehalten
werden, dass die Bewertung und Zertifizierung von Qualifikation eine öffentliche Aufgabe ist.
({0})
Ansonsten führt der Qualifikationsrahmen nur zu einer
wesentlich teureren Dokumentation der Bildung, aber
nicht zu einer besseren Bildung.
({1})
Gewinner sind dann nicht die Lernenden, sondern Akkreditierungsinstitute und Testagenturen. Das wollen wir
definitiv nicht.
({2})
Das Stichwort „bessere Bildung“ bringt mich zu
unserem zweiten Punkt. Im Antrag der Grünen wird gefordert, durch den Qualifikationsrahmen solle die
Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer erhöht werden. Wir sind der Ansicht, dass
man sich diesen Begriff und diese Forderung noch einmal sehr viel genauer anschauen muss; denn im Prinzip
ist das exakt das gleiche Bildungsverständnis, das sich
auch in der Lissabonstrategie der EU widerspiegelt.
Nach dem, was man in den entsprechenden Dokumenten
lesen kann, ist ganz deutlich, dass es das Ziel von Bildung ist, dass die Menschen mit Instrumenten ausgestattet werden, die sie benötigen, um sich an den sich wandelnden Arbeitsmarkt anzupassen.
Die Fraktion Die Linke teilt dieses Bildungsverständnis nicht. Bildung hat für uns nicht die Aufgabe, dass
Menschen möglichst störungsfrei in den Arbeitsmarkt
eingepasst werden.
({3})
Für uns muss Bildung die Menschen dazu qualifizieren,
eine aktive und gestaltende Rolle in der Gesellschaft
wahrnehmen zu können. Dazu gehört natürlich auch die
Teilnahme am Erwerbsleben, aber nicht Anpassung, sondern Hinterfragen muss das primäre Ziel von Bildung
sein.
({4})
Damit komme ich zum letzten Punkt. Im Antrag der
Grünen und auch in der ersten Stellungnahme des
BMBF wird eine umfassende Evaluationsphase bei der
Einführung des Qualifikationsrahmens gefordert. Das
finden wir richtig. Eine solche Evaluation macht aber
nur dann Sinn, wenn wir uns auch darüber verständigen,
nach welchen Kriterien wir evaluieren wollen. Wir
schlagen hier vor, die Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens mit dem Ziel zu verknüpfen, soziale
Unterschiede in den betreffenden Bildungsphasen abzubauen. Im Koalitionsvertrag gibt es hierzu schon einige
richtige Ansätze,
({5})
etwa die Öffnung des Hochschulzugangs für Menschen
mit Berufsabschluss. Mit der Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens können wir solche Ansätze
weiterverfolgen.
Unser Fazit lautet also: Mit diesen drei Punkten kann
der Qualifikationsrahmen ein Instrument für eine bessere
Bildung und auch für ein Mehr an Chancengleichheit
sein. Dann findet er unsere volle Unterstützung.
Vielen Dank und ich wünsche Ihnen erholsame Ostertage.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/1063 und 16/1127 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:
30 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Volker Wissing, Horst Friedrich ({0}),
Carl-Ludwig Thiele, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
- Drucksache 16/473 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschriften auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung
- Drucksache 16/519 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Die Kolleginnen und Kollegen Patricia Lips, Florian
Pronold, Dr. Volker Wissing, Dr. Barbara Höll und
Kerstin Andreae haben ihre Reden dazu zu Protokoll ge-
geben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/473 und 16/519 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 31 sowie
Zusatzpunkt 9:
1) Anlage 6
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
31 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Sevim Dagdelen, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution - Rechtsstellung der Opfer stärken
- Drucksache 16/1006 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler,
Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Menschenhandel bekämpfen - Opferrechte
weiter ausbauen
- Drucksache 16/1125 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auch hier haben die Kolleginnen ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben. Es handelt sich um folgende Kollegin-
nen: Michaela Noll, Renate Gradistanac, Ina Lenke,
Karin Binder und Irmingard Schewe-Gerigk.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/1006 und 16/1125 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/1006 zu Tagesordnungspunkt 31 soll zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Auch ich wünsche Ihnen eine erholsame Osterpause
und frohe Ostern.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 10. Mai 2006, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.