Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/6/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen. Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, erbitte ich Ihre Aufmerksamkeit für einige kurze Mitteilungen. Die Kollegin Mechthild Rawert hat ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der SPD den Kollegen Dirk Becker vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Becker zum Schriftführer gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Bundespolitische Folgerungen aus den Vorgängen an der Rütli-Hauptschule in Berlin ({0}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Hartz IV weiterentwickeln - Existenzsichernd, individuell, passgenau - Drucksache 16/1124 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der LINKEN Die Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika so- lidarisch gestalten - Kein Freihandelsabkommen EU- Mercosur - Drucksache 16/1126 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Otto Fricke, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zwangsheirat wirksam bekämpfen - Opfer stärken und schützen - Gleichstellung durch Integration und Bildung fördern - Drucksache 16/1156 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({4}) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Luftaufsicht und die Luftfahrtdateien - Drucksache 16/958 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5}) - Drucksache 16/1159 - Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Menzner b) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({6}) Übersicht 2 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 16/1141 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 28 zu Petitionen - Drucksache 16/1132 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 29 zu Petitionen - Drucksache 16/1133 - e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 30 zu Petitionen - Drucksache 16/1134 - Redetext Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 31 zu Petitionen - Drucksache 16/1135 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 32 zu Petitionen - Drucksache 16/1136 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 33 zu Petitionen - Drucksache 16/1137 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 34 zu Petitionen - Drucksache 16/1138 - j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 35 zu Petitionen - Drucksache 16/1139 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Beitrag des Energiegipfels zur Energieversorgungssicherheit und zur Verringerung der Gefahren durch Atomkraft und Klimawandel ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm - Demokratische Entwicklung unterstützen - Drucksachen 16/651, 16/1157 Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Hörster Dr. Rolf Mützenich Dr. Werner Hoyer Wolfgang Gehrcke Jürgen Trittin ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Wettbewerbsverzerrungen für Landwirte durch die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Haltung von Nutztieren in nationales Recht - Drucksachen 16/590, 16/1142 Berichterstattung: Abgeordente Dr. Peter Jahr Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Anforderungen an die Gestaltung eines europäischen und eines nationalen Qualifikationsrahmens - Drucksache 16/1127 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({18}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard ScheweGerigk, Josef Philip Winkler, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Menschenhandel bekämpfen - Opferrechte weiter ausbauen - Drucksache 16/1125 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({19}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - so- weit erforderlich - abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 25 a und b sollen abgesetzt werden. Es wird allein über den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen - Tagesordnungspunkt 25 c - beraten. Außerdem soll der Tagesordnungspunkt 34 - da- bei handelt es sich um die Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zum Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - unmittelbar im Anschluss an die Wahl einer Vizepräsidentin aufgerufen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zur Tagesordnung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 h auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006 - Drucksachen 16/794, 16/1004 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({20}) - Drucksache 16/1078 - Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({21}) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider ({22}), Klaus Ernst, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN 1-Euro-Jobs aus der Berechnungsgrundlage für die Rentenanpassung herausnehmen - Drucksachen 16/826, 16/1078 - Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen ({24}) KOM ({25}) 507 endg.; Ratsdok. 13686/05 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt - Drucksachen 16/150 Nr. 2.265, 16/1155 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß ({26}) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Rentenversicherungspflicht für geschäftsführende Alleingesellschafter einer GmbH - Drucksache 16/966 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({27}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren ({28}) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2005 und zum Alterssicherungsbericht 2005 - Drucksache 16/905 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({29}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2005 ({30}) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2005 und zum Alterssicherungsbericht 2005 - Drucksache 16/906 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({31}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Strategiebericht Alterssicherung - Drucksache 15/5571 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({32}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI ({33}) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2004 - Drucksache 15/4498 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({34}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Bundesregierung dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Franz Müntefering, das Wort. ({35})

Franz Müntefering (Minister:in)

Politiker ID: 11001570

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen müssen und sollen Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme haben. Deshalb haben wir in diesen Tagen entschieden, dass die Alleingeschäftsführer von GmbHs, die keine Beschäftigten haben, nicht rentenversicherungspflichtig werden. Das war eine wichtige, nötige und schnelle Entscheidung. ({0}) Es gab ein einsames Urteil des Bundessozialgerichts dazu und es gab bei über 500 000 davon Betroffenen große Sorgen. Sie müssen nicht einzahlen und sie müssen vor allen Dingen auch nicht nachzahlen. Das haben wir schnell miteinander klargestellt. Zentrale Themen heute sind der Rentenversicherungsbericht und der Alterssicherungsbericht. Damit verbunden sind natürlich auch die Entscheidungen zu dem speziellen Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006. Dazu will ich zunächst ein paar Worte sagen. Dieses Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006 ist von uns veranlasst und auf den Weg gebracht worden, weil lange Zeit unklar war, ob zum 1. Juli 2006 eine Kürzung der Renten gemäß der geltenden gesetzlichen Regelung erforderlich werden würde. Mit dieser Initiative haben wir klargestellt: Die große Koalition will, dass die Renten nicht gekürzt werden - nicht in diesem Jahr und auch in den kommenden Jahren nicht. Es war aber lange Zeit nicht ganz klar, wie die Grundvoraussetzungen für die Entscheidung sein würden. Ihnen ist bekannt, dass sich die Erhöhung der Renten nach der Entwicklung der Einkommen der aktiv Beschäftigten richtet. Das Ergebnis ist nun, dass wir inzwischen wissen, dass die Zunahme der anpassungsrelevanten Einkommen der aktiv Beschäftigten im Westen 0,2 Prozent beträgt, während es im Osten minus 0,4 Prozent sind. Wir wissen auch, dass die Renten nicht ganz so stark erhöht werden, wie die Einkommen steigen, sondern dass sich die Erhöhung um die Riester-Treppe und um den Nachhaltigkeitsfaktor reduziert. Das sind etwa 1,1 Prozent. Wenn man dies abgezogen hätte, dann hätte es auf beiden Seiten eine Kürzung gegeben. Aber es gibt drei Schutzklauseln: Die Rente darf wegen der Riester-Treppe nicht sinken; die Rente darf wegen des Nachhaltigkeitsfaktors nicht geringer werden; die Rente darf sich in den neuen Bundesländern nicht schlechter als in den alten Bundesländern entwickeln. Das heißt unter dem Strich: Es bleibt bei null. Die Tatsache, dass wir dies mit einem Gesetz regeln und dafür keine Verordnung erlassen - das wäre sonst der Fall gewesen -, hat auch den positiven Nebeneffekt, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht 20 Millionen Bescheide an die Rentnerinnen und Rentner verschicken muss, sondern dass mit dem vorliegenden Gesetz die Situation geregelt wird und damit Rechtsverbindlichkeit eintritt. Aus den Erkenntnissen der letzten Wochen ziehen wir folgende Konsequenz: Wir werden dafür sorgen - die nötigen Vorbereitungen dazu laufen -, dass die 1-EuroJobs in Zukunft nicht mehr in die Lohnentwicklung eingerechnet werden. ({1}) Diese haben die Berechnungsgrundlage in erheblichem Maße verzerrt. Wir möchten, dass die 1-Euro-Jobs in Zukunft nicht mehr in den Schnitt der Lohnentwicklung einbezogen werden. Bei dem Rentenversicherungsbericht und dem Alterssicherungsbericht hat es Vorlauf gegeben. Der Alterssicherungsbericht - ihn gibt es in jeder Legislaturperiode nur einmal - macht deutlich: Angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land besteht Handlungsbedarf. Dazu gehört ganz entscheidend, dafür zu sorgen, dass die älter werdende Generation nicht so früh aus dem Erwerbsleben gedrängt wird oder dass sie in den Fällen, in denen sie ausgeschieden ist, wieder in das Erwerbsleben einsteigen kann. ({2}) Auf dem letzten Treffen des EU-Ministerrats ist unter Hinweis auf die Lissabonstrategie vereinbart worden, zu erreichen, dass bis zum Jahre 2010 50 Prozent der 55-Jährigen und Älteren in Europa in Beschäftigung sind. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. 42 Prozent der 55-Jährigen und Älteren sind berufstätig, 58 Prozent nicht. Das hängt damit zusammen, dass 50 Prozent der Unternehmen in Deutschland niemanden beschäftigen, der älter als 50 Jahre ist. Diese Tendenz ist schlecht. Diese Mentalität hat dazu geführt, dass in Deutschland - nicht in allen Unternehmen, aber in vielen; manche sind auch vorbildlich - 55-Jährige und Ältere als nicht mehr zu gebrauchen angesehen werden. Das ist falsch. Diese Generation kann noch etwas und sie wird auch gebraucht. Wir in dieser Koalition wollen dafür sorgen, dass sich diese Erkenntnis durchsetzt und dass die Chancen dieser Generation auf dem Arbeitsmarkt besser werden. Deshalb haben wir die Initiative 50 plus gestartet. ({3}) Das geht nicht schnell und einfach. Aber diese Schritte wollen wir gehen. Damit verbunden wird das faktische Anheben des Renteneintrittsalters. Es liegt heute im Schnitt, wenn man die Erwerbsminderungsrente hinzunimmt, bei 60 Jahren und mehr, das heißt bei 39 Lebensarbeitsjahren. Mit 21 Jahren steigt man in den Beruf ein und mit 60 Jahren und einem bisschen scheidet man aus. Da wir länger leben - das ist gut; wir hoffen, Sie alle sind bei guter Gesundheit mit dabei; das ist das Schöne an der demografischen Entwicklung -, bedeutet das aber auch, dass wir deutlich länger Rente zahlen müssen als noch vor Jahrzehnten. Daraus wiederum resultiert angesichts der aktuellen Bevölkerungsstruktur, dass sich die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bezogen auf die Rentnerinnen und Rentner, immer weiter verschiebt. Das Verhältnis betrug einmal 8 : 1; in den 50er-Jahren kamen auf einen Rentner acht Beschäftigte. Heute beträgt das Verhältnis etwa 1 : 3,2 bis 3,5; also 3,5 Beschäftigte auf eine Rentnerin oder einen Rentner. Im Jahre 2030/40 wird das Verhältnis bei etwa 2 : 1 liegen. Zwei Arbeitnehmer müssen also Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge zahlen, um einen Rentner zu finanzieren. Das zeigt die Notwendigkeit, diese Gesellschaft darüber zu informieren. Wir müssen klar machen, dass wir hier etwas tun müssen. Das Erste, das getan werden muss, ist, mit der Initiative 50 plus dafür zu sorgen, dass die Menschen mit 50 Jahren und mehr nicht aus dem Job gedrängt werden, sondern dass sie länger arbeiten können und sie dann, wenn sie keinen Job mehr haben, wieBundesminister Franz Müntefering der eine altersgerechte Arbeit aufnehmen können. Das wollen wir erreichen. ({4}) Wir werden die hier vorbildlichen Betriebe auszeichnen. Immer mehr haben längst begriffen, dass ein vernünftiger Altersmix im Betrieb wichtig ist. Die Alten laufen nicht mehr so schnell wie die Jungen; aber ihr Erfahrungswissen ist ein hohes Gut. Damit verbunden wird die Entscheidung - in diesem Herbst wird das gesetzlich fixiert -, dass das Renteneintrittsalter von 65 Jahren auf 67 Jahre steigt. Damit ist das Alter gemeint, von dem an die Rente ohne Abschläge bezogen wird. Es gibt kein festes Renteneintrittsalter und damit keine Fixierung auf einen bestimmten Tag, an dem jemand aus seinem Job ausscheiden muss; das kann er früher oder später tun. Dies ist bereits heute so geregelt. Es gibt einen Korridor zwischen 60 und 65, in dem jemand aus dem Erwerbsleben ausscheiden kann. Wenn er dies mit 60 mit einem Abschlag in Höhe von 0,3 Prozent im Monat tut, entspricht das 18 Prozent bezogen auf die fünf Jahre bis 65. Der Korridor von 60 bis 65 wird sich bis zum Jahr 2029 auf 63 bis 67 verschieben. Dabei werden diejenigen, die auf 45 Rentenversicherungsjahre kommen, ihre Rente unverändert mit 65 ohne Abschlag bekommen. Die anderen werden bis zum Alter von 67 Jahren zu arbeiten haben oder vorher mit einem Abschlag in Rente gehen können, wie es auch heute üblich ist. Es ist keine leichte Entscheidung; aber wir sind der Meinung, dass dies rechtzeitig deutlich gemacht werden muss, damit sich die Menschen in ihrer persönlichen Biografie - und übrigens auch die Tarifparteien - rechtzeitig darauf einstellen und entsprechende Entscheidungen treffen können. Eines ist sicher: Die gesetzliche Rentenversicherung bleibt das Kernstück der Alterssicherung in diesem Land. Bei allen Einsparungen macht sie auch weiterhin einen beträchtlichen Anteil der Alterssicherung aus. Aber sie muss um zusätzliche private Vorsorge ergänzt werden. Diese besteht insbesondere aus den beiden Säulen betriebliche Altersvorsorge und Riesterrente. In beiden Bereichen ist ein starker Zuwachs zu verzeichnen. Inzwischen sind mit steigender Tendenz insgesamt 15,7 Millionen Menschen - einschließlich der Beschäftigten im öffentlichen Dienst - an einer Form der betrieblichen Altersvorsorge beteiligt. Ich begrüße sehr, dass die Tarifparteien sehr darauf bedacht sind; denn wir haben in diesem Bereich eine Chance, etwas zu erreichen, was auf anderem Wege nicht so einfach ist: nämlich dass auch diejenigen mit niedrigem Einkommen in die betriebliche Vorsorge mit einbezogen werden. Denn bei der Riesterrente, von der inzwischen schon 5,6 Millionen Menschen Gebrauch machen, gibt es das Problem, dass sich diejenigen aus unteren Einkommensgruppen zu stark zurückhalten. Wir müssen ihnen Hilfe geben und dafür werben. Es muss in Deutschland selbstverständlich sein - sowohl innerhalb der Familien als auch in der Gesellschaft insgesamt -, in jungen Jahren, also frühzeitig, damit zu beginnen, sich über die gesetzliche Rentenversicherung hinaus über zusätzliche private Vorsorgeinstrumente zu versichern. Das ist auch möglich. Wir werden dafür sorgen, dass der Insolvenzschutz für Betriebsrenten noch verbessert wird. Dies wird zusätzliche Sicherheit schaffen. Ich möchte mich abschließend auf eine Kabinettsentscheidung beziehen, die wir gestern getroffen haben, auch wenn sie nicht unmittelbar mit dem Thema zu tun hat. Seitens der Bundesregierung wurde ein 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung, Entwicklung und Innovation beschlossen, die in den nächsten Jahren sehr gezielt gefördert werden sollen. Dabei soll versucht werden, die Wirtschaft mit einzubeziehen und deutlich zu machen, dass wir diesen Weg einschlagen müssen, um ein Wohlstandsland zu bleiben. Wer eine dauerhafte Alterssicherung will, muss ein Interesse daran haben, dass der Wohlstand in Deutschland mindestens auf dem derzeitigen Niveau erhalten bleibt. Wenn er im Jahr 2030 dem heutigen Stand entspricht, dann werden die Alten und die Jungen in Wohlstand leben können. Dann muss man allenfalls über ein paar Prozentpunkte streiten. Wenn der Wohlstand zurückgeht, dann wird es - was auch immer wir gegenwärtig in die Gesetze aufnehmen weniger zu verteilen geben. Wenn man aber Wohlstand will, dann muss man berücksichtigen, dass wir heute einen gehörigen Teil der Investitionen in die Wirtschaft, in die Herzen und Köpfe der jungen Menschen investieren müssen. Was wir in Vorschule, Schule, Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung investieren, bildet die entscheidende Grundlage für eine vernünftige Alterssicherung auch in der Zukunft. Das ist das Wichtigste, was es in diesem Land zu tun gibt. ({5}) Es ist nicht immer leicht, entsprechend zu argumentieren, weil man im Grunde denen, die heute auf Leistungen hoffen, die sie auch verdient haben und die wir ihnen geben möchten, sagen muss, dass ein gehöriger Teil dessen für andere Zwecke genutzt werden muss, um dafür zu sorgen, dass die Rente auch für die kommenden Generationen noch sicher ist. Der Rentenniveausatz sagt wenig aus, wenn man nicht sicher ist, dass der gleiche Wohlstand, den wir heute haben, auch in die Zukunft transportiert wird. Deshalb verbindet sich an dieser Stelle das Thema „Rente und Zukunft der Alterssicherung“ in der eben geschilderten Weise mit dem Thema „Bildung, Ausbildung und Qualifizierung“. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Altersvorsorge ist ein ebenso wichtiges wie sensibles politisches Feld. Die Menschen in unserem Land erwarten zu Recht - und sie vertrauen darauf -, dass sie nach einem langen Arbeitsleben eine ausreichende Versorgung im Alter aus den drei Säulen gesetzliche Rentenversicherung sowie private und betriebliche Vorsorge haben. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin den Kern der Altersvorsorge bilden wird. Wichtig ist dabei Verlässlichkeit. Deswegen möchte ich Ihnen, Herr Minister Müntefering, für Ihre Ankündigung danken, der Forderung im FDP-Antrag auf Bundestagsdrucksache 16/966 zu folgen und Geschäftsführer einer GmbH, die zugleich Gesellschafter sind, von der Rentenversicherungspflicht freizustellen. Damit bewegen Sie sich nach einigem Zögern nun doch bei einem Problem, das für zahlreiche mittelständische Unternehmer zu einem K.-o.-Kriterium hätte werden können. Sie sind an dieser Stelle nicht der Versuchung erlegen - das ist zu begrüßen -, Kasse zu machen, und das wohl auch deswegen nicht, weil ganz offensichtlich die zu erwartenden Mehreinnahmen in einem krassen Missverhältnis zu dem erwartenden volkswirtschaftlichen Schaden gestanden hätten. Vielen Dank dafür. ({0}) Die heutige umfassende Diskussion über die Rente sollte man mit einer nüchternen Bestandsaufnahme beginnen. Die Lage der Rentenkasse ist kritisch. Das ist, Herr Minister, kein Schlechtreden, sondern es ist ein notwendiger realistischer Blick auf die Verhältnisse. Wir haben seit Jahren aufgrund einer schleppenden konjunkturellen Entwicklung und eines schon dramatisch zu nennenden Verlustes an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ein jährliches Defizit der gesetzlichen Rentenversicherung in einer Größenordnung von 4 Milliarden bis 5 Milliarden Euro. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass trotz des Zuschusses aus den Einnahmen der Ökosteuer an die Rentenversicherung, der Anhebung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung auf 19,5 Prozent, der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, bislang zwei Nullrunden für die Rentner - so wie es aussieht, kommt noch eine dritte hinzu -, des Verkaufs der Gagfah, also des Immobilienvermögens der Rentenversicherung, sowie der Verbeitragung der Direktversicherung und der Zusatzversorgung - was die Betroffenen 2 Milliarden Euro jährlich kostet - am Ende des letzten Jahres die Nachhaltigkeitsrücklage - früher nannte man sie Schwankungsreserve; seitdem sie nachhaltig sein soll, ist sie beileibe nicht mehr so tragfähig wie vorher - mit gerade einmal 1,8 Milliarden Euro den unteren Sollwert von 3 Milliarden Euro nicht erreicht hat. Nur durch Inanspruchnahme der Bundesgarantie konnte unterjährig die Auszahlung der Renten gesichert werden. Ein ebenso einmaliger wie bemerkenswerter Vorgang! Angesichts dessen muss man eines festhalten, Herr Müntefering: Ohne eine Wende am Arbeitsmarkt, ohne den Aufbau neuer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse und ohne eine Zunahme der Zahl der Beitragszahler wird die Zukunft der Rente unsicher bleiben und werden Spielräume für nennenswerte positive Rentenanpassungen nicht entstehen. ({1}) Aufgabe und Leitlinie der Politik muss es daher sein, alles zu tun, was eine Wende zum Besseren begünstigt, und alles zu unterlassen, was eine positive Entwicklung gefährdet. Deswegen ist es fatal, wenn Sie, wie geplant, am 1. Januar des kommenden Jahres die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte anheben; denn das wird eine deutliche Dämpfung der konjunkturellen Entwicklung zur Folge haben. ({2}) Statt mit entschiedenen Reformen die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, kurieren Sie an den Symptomen. Eine - allerdings sehr begrenzte - Entlastung erfährt die Rentenkasse in diesem Jahr durch das Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge. Faktisch 13 Monatsbeiträge werden im laufenden Jahr 9,6 Milliarden Euro mehr an Liquidität in die Rentenkasse spülen. Aber um welchen Preis, Herr Minister! Der Wirtschaft und vor allem den mittelständischen Betrieben werden in der Summe 20 Milliarden Euro Liquidität entzogen. Das ist ein gigantisches Konjunkturdämpfungsprogramm, das das zarte Pflänzchen Aufschwung massiv bedroht. Hinzu kommen ein erheblicher Umstellungsaufwand sowie ein ebenfalls erheblicher laufender Aufwand für die monatlichen Vorabschätzungen der Beitragsschuld, der die Unternehmen selbst dann noch drücken wird, wenn der Entlastungseffekt dieser Maßnahme längst nicht mehr besteht. Ich sage Ihnen voraus: Die Koalition schießt sich an dieser Stelle in das eigene Bein. Genauso wenig wie die Rechnung der Vorgängerregierung bei der Tabaksteuer wird diese Kalkulation aufgehen. Das Vorziehen der Fälligkeit kostet Arbeitsplätze und wird die Probleme der Rentenversicherung verschärfen. Sie handeln so kurzsichtig wie ein Bauer, der in einer Hungersnot das Saatgut zum Brotbacken verwendet. Eine nachhaltige Politik ist das jedenfalls nicht. ({3}) Ohnehin haben Sie die nächste Anhebung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung auf 19,9 Prozent am 1. Januar 2007 beschlossen. Das soll 4 Milliarden Euro zusätzlich bringen. Aber selbst dann muss - im Bundeshaushalt 2008 - mit 600 Millionen Euro ausgeholfen werden, um erkennbare Löcher in der Rentenversicherung zu schließen. Eine geordnete Rentenpolitik sieht anders aus. Nun versuchen Sie, Herr Müntefering, den aus der beschriebenen Entwicklung entstandenen Vertrauensschaden zu begrenzen, indem Sie vollmundig ankündigen, es werde wenigstens in dieser Legislaturperiode keine Rentenkürzungen geben. ({4}) Das mag gut gemeint sein; aber es ist sachlich falsch. Was glauben Sie denn, wie die Rentner in diesem Lande es empfinden müssen, wenn die Rente nicht erhöht wird, sie aber ab dem 1. Januar 2007 eine um 3 Prozent höhere Mehrwertsteuer zahlen müssen? Von der in Aussicht gestellten Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge profitieren diese Menschen ja überhaupt nicht mehr. Ich kann Ihnen sehr deutlich sagen: Diese Menschen empfinden das als eine Dreistigkeit; sie empfinden es als eine weitere deutliche Kürzung ihrer verfügbaren Renten. Es ist unehrlich, zu behaupten, es gebe keine Rentenkürzung, wenn man sie in Wahrheit doch längst in Koalitionsrunden beschlossen hat. ({5}) Es ist auch nicht das erste Mal, dass dies geschieht. Schon zweimal haben die Rentner Nullrunden hinnehmen müssen und wurden gleichzeitig zusätzlich belastet: mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag, mit dem Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung und mit der Verbeitragung der Zusatzversorgung/Direktversicherung. Herr Müntefering, es kann vor diesem Hintergrund nicht wirklich verwundern, dass das Vertrauen der Rentner in Ihre Politik nachhaltig gestört ist. Weil das so ist, macht es keinen Sinn, sozusagen zur Bestärkung einer behaupteten Nichtkürzungsabsicht das heute hier vorliegende Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte zu beschließen. Hier soll den Rentnern ein X für ein U vorgemacht werden. Die schmerzliche dritte Nullrunde in Folge soll den Betroffenen jetzt sogar noch als Erfolg und als Wohltat verkauft werden. Ich sage sehr deutlich: Eine Absenkung der Renten nach der Rentenformel ist 2006 auch ohne dieses Gesetz nicht zu befürchten. Auch die Regierung selber ging nie von einer negativen Lohnentwicklung aus, wie sich im Rentenversicherungsbericht zeigt. Die nun vorliegenden offiziellen Zahlen bestätigen das. Es ist daher heute das erste Mal, seit ich diesem Hohen Haus angehöre - das sind jetzt immerhin schon 15 Jahre -, dass der Bundestag ein Gesetz beschließen soll, dessen Regelungsgegenstand zum Zeitpunkt der zweiten und dritten Lesung weggefallen ist. Ich finde das - ich sage es deutlich, Herr Müntefering - unzumutbar. Hier soll Regierungshandeln vorgetäuscht werden, wo Regierungsversagen festzustellen ist. ({6}) Wie auch der Sozialbeirat fordere ich Sie auf, dieses Gesetz zurückzuziehen, weil es inhaltsleer ist. Es ist ein Nullum. Das „Handelsblatt“ hat vollkommen zutreffend geschrieben: „Koalition führt Rentner hinters Licht.“ Die Regierung verhindert öffentlichkeitswirksam eine Rentenkürzung, die ohnehin nicht gekommen wäre. Dem ist nichts hinzuzufügen. ({7}) Nach alledem kann das Vorgehen der Bundesregierung bei der Aufstellung des Rentenversicherungsberichtes nicht mehr wirklich überraschen. Ich will hier gar nicht mehr auf die zeitlichen Aspekte eingehen, sondern mich ganz auf den Inhalt konzentrieren. Dessen Bewertung lautet: Um den Korridor des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes mit seinen Niveau- und Beitragszielen einhalten zu können, wird die Entwicklung der Jahre bis 2019 - also der mittelfristige Bereich - systematisch überschätzt. Der Sozialbeirat hat hier von sehr ambitionierten Annahmen gesprochen. Herr Müntefering - er hört jetzt nicht zu; aber er wird es hoffentlich nachlesen -, ich finde es in der Tat sehr mutig, wenn im Durchschnitt dieses Zeitraums 2007 bis 2019 ein Lohnwachstum von 2,5 Prozent angenommen wird, wo wir doch im Schnitt der letzten zehn Jahre gerade einmal 1 Prozent Wachstum der Löhne und Gehälter hatten, wenn im Durchschnitt dieses Zeitraums 2007 bis 2019 eine Beschäftigungszunahme von jährlich 0,6 Prozent unterstellt wird, wo wir im Schnitt der letzten fünf Jahre einen Rückgang um durchschnittlich 1,6 Prozent per annum hatten, und wenn im Durchschnitt dieses Zeitraums ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes angenommen wird, wo wir im Durchschnitt der letzten fünf Jahre nur 0,8 Prozent, im Durchschnitt der letzten zehn Jahre gerade einmal 1,4 Prozent hatten. Mit konkreter Politik unterlegt wurden diese sehr positiven Annahmen über die Wirtschaftsentwicklung bisher nicht. Es regiert allein das Prinzip Hoffnung. Es ist mehr als fraglich, ob alles das Realität werden kann, was Sie hier niedergeschrieben haben. Aber Papier ist bekanntermaßen geduldig. Doch nur mit diesen „mutigen“ Annahmen, der angekündigten Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und dem angekündigten Nachholfaktor - ob das alles so kommt, wird man sehen müssen - wird es überhaupt möglich sein, im Korridor des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes zu bleiben. Das zeigt: Auch mittelfristig ist die gesetzliche Rentenversicherung auf Kante genäht. Es muss schon einiges richtig gut laufen, damit die Naht hält. Gerade weil das so ist, dürfen die betriebliche und die private Vorsorge nicht vernachlässigt werden, sondern müssen weiter ausgebaut werden. Der Sozialbeirat hat in seinem Gutachten daher zu Recht gefordert, dass die abgabenfreie Entgeltumwandlung nicht 2008 ausläuft. Die Regierung plant aber genau dies. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, fordern die Verlängerung der sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung über das Jahr 2008 hinaus, weil sie sich bewährt hat. ({8}) Die Rente wird in diesem Haus sicher auch in Zukunft ein wichtiges Thema sein. Entscheidend ist, dass man mit einer nüchternen Bestandsaufnahme der Verhältnisse beginnt. Die Regierung hat bisher versagt, weil sie am Arbeitsmarkt keine Weichenstellung zugunsten von mehr Beschäftigung und mehr Beitragszahlern vorgenommen hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend über den Entwurf eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006. Die Bundesregierung hat diesen Entwurf vor zwei Monaten auf den Weg gebracht, um frühzeitig klarzustellen: Es wird für die Rentner in diesem Jahr keine Rentenkürzung geben, so wie wir es im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Die große Koalition hält, was sie verspricht. ({0}) Wir haben dieses Gesetz vorsichtshalber in der Tat frühzeitig eingebracht. Wir stehen für Vertrauen und für Verlässlichkeit. Wir werden die beitragsfinanzierte gesetzliche Rentenversicherung als wichtigste Säule der Alterssicherung in Deutschland erhalten. Die Rentner können sich darauf verlassen, dass sie ihre Altersbezüge weiter erhalten. Das bedeutet nicht - das wissen auch alle hier im Hause -, dass wir etwa die gesetzliche Rentenversicherung unter Naturschutz stellen wollen. Es gehört zur Wahrheit, festzustellen, dass die heute Jungen den Lebensstandard durch die gesetzliche Rente allein im Alter nicht sichern können. Für sie ist eine kapitalgedeckte Ergänzung der gesetzlichen Rente durch betriebliche und private Altersvorsorge unerlässlich. Umgekehrt gilt aber auch, dass sich die heutigen Rentenbezieher trotz langjähriger Beitragszahlung nicht nur mit Rentenansprüchen in Höhe des Sozialhilfeniveaus begnügen müssen. Die finanziellen Lasten der Alterung müssen zwischen den Generationen fair und gerecht verteilt werden. Genau das ist die Maxime, die Richtschnur aller Entscheidungen der großen Koalition in der Rentenpolitik. Diese Entscheidung ist richtig. ({1}) Wir haben dies mit einem rentenpolitischen Maßnahmenpaket verbunden. Vor vier Wochen haben wir dieses Paket mit der Vorlage des Rentenversicherungsberichts 2005 mit Zahlen untermauert. Wir beschreiten mit diesem Zahlenwerk den Weg in die Realität. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel deutlich machen: Im letzten Rentenversicherungsbericht der rot-grünen Bundesregierung ging man noch davon aus, dass die Renten bis zum Jahr 2018 um gut 30 Prozent steigen. Schön wärs gewesen. Nach unserem Bericht liegt der vergleichbare Wert bei 17 Prozent. Das ist zwar weniger, aber es ist ein realistischer Wert. Die Zeit der Schönfärberei ist vorbei. Die große Koalition geht mit realistischen Zahlen an die Lösung dieser Probleme heran. ({2}) Wahr ist natürlich auch: Wir werden den Rentenversicherungsbeitrag im nächsten Jahr von heute 19,5 Prozent auf 19,9 Prozent anheben. Ich habe noch keinen seriösen Vorschlag gehört, wie wir darauf verzichten können. Ich will daran erinnern: Wir werden gleichzeitig den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte senken. Das bedeutet: Unter dem Strich werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei den Sozialabgaben entlastet. Im nächsten Jahr sinkt der Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf unter 40 Prozent. Das ist das erste Mal seit dem Jahr 1995. Das ist ein beachtlicher Erfolg der Konsolidierungspolitik dieser großen Koalition. ({3}) Gleichzeitig werden wir - auch das geht aus den Berichten hervor und ist politisch klar geäußert worden die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre beschließen. Auch dazu gibt es, wie wir wissen, keine seriöse Alternative. Klar ist auch: Das muss mit besonderen Anstrengungen für die Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer einhergehen. Diesen Weg werden wir beschreiten. Wir legen hier ein Gesamtkonzept vor. Es hätte die Möglichkeit bestanden, dass auch die Opposition hier einmal ihr Konzept darlegt. ({4}) Stattdessen betreiben die Oppositionsfraktionen nichts als Rosinenpickerei. Es ist klar: Die Linken stellen den Antrag, die 1-Euro-Jobs bei der Rentenberechnung nicht zu berücksichtigen. Dieser Antrag ist völlig überflüssig, weil die 1-Euro-Jobs in die Rentenberechnung bisher gar nicht einfließen. ({5}) Wir werden sie auch in Zukunft nicht einbeziehen. Das ist politisch klar. Nun wundert es mich nicht, wenn ein solcher Antrag von den Linken kommt, aber ich muss schon sagen, Herr Kollege Kolb: Ich mache mir Sorgen um die FDP und um die Seriosität Ihrer Politik. ({6}) Sie beantragen hier allen Ernstes, wir sollten unseren Gesetzentwurf über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte zurückziehen. Was ich hier in Händen halte, Herr Kollege Kolb, ist die erste von 17 Seiten der Verordnung der vorigen Bundesregierung aus dem letzten Jahr, in der festgelegt wurde, dass es im Jahr 2005 keine Rentenerhöhung gibt. Dies wollen Sie durch dieses Papier hier ersetzen und das soll dann, wie der Minister schon gesagt hat, 20 Millionen Mal verschickt werden, um das den Leuten mitzuteilen. Das ist Ihr Beitrag zum Bürokratieabbau. Es kann doch wohl wirklich nicht Ihr Ernst sein, Herr Kollege Kolb, dass Sie uns das hier auch noch als seriöse Alternative verkaufen wollen. Ich verstehe es wirklich nicht. ({7}) Herr Kollege Kolb, wir haben vor zwei Tagen Professor Ruland verabschiedet. Ich habe bei der Gelegenheit einmal mit Norbert Blüm gesprochen und ihn gefragt: Wie war das denn eigentlich mit dem Herrn Kolb, der ja einmal Staatssekretär war? Ich habe gedacht, er würde mir sagen: Der war immer gegen CDA-Politik, ein ganz schwieriger Fall. - Das hat Norbert Blüm aber gar nicht zum Ausdruck gebracht, sondern er hat gesagt: Mit dem Herrn Kolb konnte man sehr gut zusammen regieren. Das war ein sehr guter Mann. ({8}) Herr Kolb, Sie können es doch eigentlich. Von daher bitte ich Sie wirklich: Gehen Sie von diesem unseriösen Kurs ab! Wir brauchen in diesem Land eine seriöse liberale Opposition, die seriöse Anträge stellt und nicht solche, die Sie, meine Damen und Herren, nur stellen können, weil Sie wissen, dass Ablehnung gesichert ist. Gehen Sie von diesem Weg ab, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({9}) Ähnliches gilt für Ihren Antrag zur Rentenversicherungspflicht für geschäftsführende Alleingesellschafter. Den haben Sie nicht eingebracht, weil Ablehnung gesichert war. Den haben Sie am 15. März vorgelegt, als Erfüllung schon gesichert war, lieber Herr Kolb. ({10}) Hierbei geht es in der Tat um ein ernstes Problem. Ich bin dem Kollegen Max Straubinger aus unserer Fraktion dankbar. In den regelmäßigen Gesprächen, die wir in der Koalition haben, hat er als Erster dieses Thema angesprochen und darauf gedrungen, dafür eine Lösung zu finden. ({11}) Ich kann erfreut feststellen: Unsere sozialdemokratischen Partner ({12}) sind für unsere guten Argumente meistens offen, so auch in diesem Fall. Deshalb sind sie unseren Argumenten gefolgt. Wir haben uns vor Wochen auf diese Regelung verständigt. Nachdem das politisch klar war, haben Sie diesen Antrag gestellt in dem Wissen, dass das sowieso passiert. Das ist keine seriöse Oppositionspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({13}) Weil ich gerade dabei war, wollte ich eigentlich auch noch etwas Unfreundliches zu den Grünen sagen, ({14}) musste aber feststellen: Wir beraten die Tagesordnungspunkte 3 a bis h, aber Sie von den Grünen haben leider überhaupt nichts vorgelegt. Es liegt kein Gesetzentwurf, kein Antrag, nicht einmal ein Entschließungsantrag von Ihrer Fraktion vor. ({15}) Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass es von Ihnen keinen Beitrag zu dieser Debatte gibt. Deswegen muss ich Sie heute leider aussparen. Vielleicht kommt von Ihnen in der Zukunft wieder etwas, wenn Sie mit Ihren internen Problemen fertig sind. ({16}) Ich komme zu dem Konzept der Rentenpolitik der großen Koalition zurück. ({17}) Wir werden die Maßnahmen sinnvoll aufeinander aufgebaut fortführen. Im nächsten Jahr wird es eine moderate Erhöhung des Rentenbeitragssatzes geben. Wir werden die in diesen Jahren nicht durchgeführten Rentenkürzungen durch den Einbau eines Nachholfaktors in der Rentenanpassungsformel nachholen, weil die Jungen auf Dauer nicht allein die Lasten tragen können. ({18}) Vielmehr muss jede Generation ihren Beitrag leisten. Darum werden wir das so machen. ({19}) Alle diese Maßnahmen gehen mit einem moderat steigenden Bundeszuschuss an die Rentenkasse einher. Wenn man sich die Mühe macht, die Zahlen aus dem Bundeshaushaltsplanentwurf 2006 mit denen der letzten Jahre zu vergleichen, wird man feststellen: Der Anstieg des Bundeszuschusses ist heute deutlich geringer als in der Vergangenheit. Zur Ehrlichkeit gehört dazu, auch zu sagen: Ohne eine solche moderate Steigerung geht es nicht. Neben den Beitragszahlern und den Rentnern muss auch der Steuerzahler seinen Beitrag zum Erhalt des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung leisten. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass uns das Thema Rente in der gesamten Wahlperiode begleiten wird. Das gilt für die gesetzliche Rente genauso wie für die kapitalgedeckte Altersvorsorge. Lassen Sie mich, weil das angesprochen worden ist, noch ein Wort zur sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung bei der betrieblichen Altersvorsorge sagen. Es ist doch völlig klar, dass man es, wenn man in Zeiten von 5 Millionen Arbeitslosen, leeren Rentenkassen und einer geringen Quote von Menschen - etwa jeder siebte bis achte -, die die Riester-Förderung in Anspruch nehmen, die Regierungsgeschäfte übernimmt, mit Zielkonflikten zu tun hat. Aber ich finde, es ist selbstverständlich, dass man bei den Dispositionen, die man trifft, von der geltenden Rechtslage ausgeht. Die Rechtslage ist ganz klar die, dass diese sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung, die die Sozialkassen an anderer Stelle eine Menge Geld kostet, im Jahr 2008 ausläuft. Jeder, der seine Dispositionen verantwortlich trifft, wird erst einmal von dieser bestehenden Rechtslage ausgehen. ({20}) Wir haben uns gleichwohl vorgenommen, vor dem Hintergrund der positiven Entwicklung seit dem InKraft-Treten des Alterseinkünftegesetzes im vergangenen Jahr bis zum nächsten Jahr zu prüfen, wie die Entwicklung weiter verläuft. Im Jahr 2007 werden wir dann entscheiden, welche Maßnahmen wir zur weiteren Förderung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge ergreifen. Damit ist im Jahr 2006 das zu diesem Thema gesagt, was dazu zu sagen ist. ({21}) Wir werden die Entscheidungen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, die wir bis zum nächsten Jahr gewonnen haben, verantwortlich treffen. Damit wird insgesamt deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: CDU/CSU und SPD stellen sich den Problemen in der Rentenversicherung. Wir haben beim Thema Rente wichtige Entscheidungen getroffen. Wir betreiben keine Rosinenpickerei wie die Opposition, sondern wir haben ein in sich geschlossenes, wenn auch nicht populäres Konzept, das es nunmehr in Gesetzesform zu gießen gilt. Das haben wir uns für die Zukunft vorgenommen. Jeder ist herzlich eingeladen, dabei konstruktiv mitzuwirken. ({22}) Vielen Dank. ({23})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man soll ja positiv denken. Ich möchte das heute einmal versuchen, auch wenn es mir angesichts des Rentenberichts der Bundesregierung äußerst schwer fällt. Aber das Positive zuerst: Man nimmt richtigerweise künftig die 1-Euro-Jobs aus der Berechnung des Rentenwertes heraus. ({0}) Das ist wichtig und gut. Es freut mich, dass Sie unsere Anregung aufgenommen haben. ({1}) Zum Zweiten. Es geht um ein Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte, das die Bundesregierung eingebracht hat. Jetzt hören wir, dass dieses Gesetz eigentlich überhaupt nicht notwendig sei, ({2}) weil die Renten gar nicht sinken würden, da nämlich die Lohnerhöhung offensichtlich doch noch so hoch sei, dass es für eine Nullrunde reiche und keine Rentensenkung vorgenommen werde. Jetzt frage ich mich natürlich: Warum macht die Bundesregierung ein Gesetz, das eigentlich überflüssig ist? ({3}) Wenn man sich diesem Gedanken nähern will, dann ist es hilfreich, ab und zu im „Handelsblatt“ zu blättern. Dort heißt es: Da liegt nicht nur der Verdacht nahe, dass sich die Politik mit einer Shownummer brüsten will. Ganz nebenbei spart sie sich per Gesetz auch die Information der Ruheständler über die Entwicklung ihrer Bezüge, auf die diese eigentlich ein Anrecht haben. Meine Damen und Herren, ich glaube, es geht sogar noch um ein bisschen mehr. Jeder weiß, dass diese Bundesregierung den Rentnern in unerträglicher Weise an die Wäsche geht. ({4}) Jeder weiß, dass die gesetzlichen Maßnahmen, die geplant sind, zu massiven Einschnitten bei den Rentnern führen würden. Wenn man jetzt ein Gesetz veröffentlicht, über das die Presse schreiben kann, dass die Bundesregierung diejenige ist, die die Rente eigentlich sichert, dann deutet das darauf hin, dass sich die Bundesregierung damit möglicherweise einen Imagevorteil verschaffen will. Das ist ein Etikettenschwindel genau wie vor der Bundestagswahl, Herr Müntefering. So betreiben Sie hier in diesem Hause Politik. ({5}) Nun kommen wir zum eigentlichen Punkt, nämlich zum Rentenversicherungsbericht. Alte und neue Bundesregierung haben seit Jahren ihre Finger in den Geldbörsen der Rentner. Da wird das Sicherungsniveau auf 46,3 Prozent reduziert. Es gibt von 2005 bis 2009 faktisch Nullrunden. Herr Müntefering, eigentlich sind es keine Nullrunden. Denn Sie wissen ganz genau, dass wir gleichzeitig Inflation und dass wir gleichzeitig eine Mehrwertsteuererhöhung haben. Wenn man dies über vier Jahre summiert, dann ergibt sich in den nächsten vier Jahren real eine Rentenkürzung von mindestens 8 Prozent. ({6}) Wenn Sie glauben, dass das sozialdemokratische Politik ist, dann glauben Sie auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten, Herr Müntefering. ({7}) Wenn Sie gleichzeitig auch noch den Bundeszuschuss senken, wenn Sie gleichzeitig die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre einführen wollen, dann kann ich nur sagen, dass das mit einer vernünftigen Sozialpolitik überhaupt nichts mehr zu tun hat. Die Schwankungsreserve ist inzwischen aufgebraucht; sie ist eigentlich gleich null. Reden Sie also nicht mehr von Schwankungsreserve! Was nicht mehr vorhanden ist, kann doch auch nicht mehr schwanken. Das ist doch weg, meine Herren und Damen. ({8}) Auch dieser Etikettenschwindel wird von der Bundesregierung betrieben. Sie denken darüber nach, wie Sie in dem Ausmaß, in dem die Renten in diesem Lande aufgrund Ihrer Berechnungsmethoden sinken, die Diäten für die Abgeordneten nach einer anderen Berechnungsmethode erhöhen könnten. ({9}) Das würde dazu führen, dass ein Abgeordneter 1,3 Prozent mehr Diäten bekommen soll. Das kann zwar uns als Abgeordnete freuen. Aber draußen versteht das kein Mensch mehr. ({10}) Hier wird eine Politik betrieben, die immer andere betrifft, aber die eigenen Taschen füllt. Das ist verwerflich und nicht zu akzeptieren, Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Herr Müntefering, bei Ihren Berechnungen bauen Sie auf Sand. Die Zahl der Arbeitslosen, so lese ich in Ihrem Bericht, soll von 2005 bis 2009 um 650 000 sinken. Wie wollen Sie dies, bitte schön, erreichen? Die Vorschläge, wie Sie die Arbeitslosigkeit reduzieren wollen, bleiben Sie schuldig. Jeder weiß, dass Ihre Politik eher dazu führen wird, dass die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt. Diese Milchmädchenrechnung, die Sie hier aufmachen, glaubt Ihnen doch keiner mehr. Woher nehmen Sie beispielsweise Ihre Annahme, dass die Entgelte ab 2010 statt um 3 Prozent immer noch um 2,5 Prozent steigen sollen? Ich habe den Eindruck, Sie haben sich zum Kaffeesatzlesen getroffen und dann Ihren Bericht veröffentlicht. Mit Ihrer Politik zerstören Sie die Grundlagen dieses Sozialstaats. Sozialstaat ist nämlich nicht nur Armenküche, Sozialstaat ist nicht nur die Verteilung von Suppen an Bedürftige. Sozialstaat hat auch etwas mit Organisation zu tun. Wenn man eine Versicherung hat, dann entsteht ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung dadurch, indem man einzahlt. Sie haben aber letztendlich vor, dieses Niveau so weit nach unten zu drücken, dass jeder, der irgendwann in seinem Leben ein Hartz-IV-Empfänger wurde und nicht privat vorsorgen konnte, an die Armutsgrenze gedrückt wird. Das ist keine Sozialpolitik, sondern eine gezielte Verarmung künftiger Generationen. ({12}) Um es noch einmal deutlich zu machen, will ich jemanden zitieren, der zumindest in der CDU noch bekannt sein müsste, auch wenn es einigen von Ihnen schwer fällt, sich an ihn zu erinnern. Er hat nämlich gesagt: Wenn Armutsvermeidung zur Hauptaufgabe des Sozialstaates wird, verwandelt sich dieser in eine Bedürfnisprüfungsanstalt, weil er - bevor er Hilfe leistet - ständig fragen muss: „Bist du reich, bist du arm?“ Das war Ihr Herr Blüm, der das gesagt hat. ({13}) Wo er Recht hat, hat er Recht, auch wenn Sie ihn heute, wie Herrn Kirchhof, am liebsten wegsperren würden. So ist doch die Realität. ({14}) Die Rente hat schon jetzt ein Niveau erreicht, von dem viele nicht mehr vernünftig leben können. Sie machen Politik nicht für die Menschen, sondern offensichtlich für Zahlen. Ihr oberstes Ziel ist die Beitragssatzstabilität. Aber Sie vergessen dabei, wie es den Leuten geht, die von ihrer Rente letztendlich leben müssen. ({15}) Ihr Ziel ist übrigens - das ist der nächste Etikettenschwindel - nicht Beitragssatzstabilität. Sie können es noch so oft behaupten: Das glaubt Ihnen kein Mensch mehr. Denn die einzige Gruppe, für die der Beitragssatz tatsächlich stabil bleibt, sind die Unternehmen. Aber für die Arbeitnehmer bleibt der Beitragssatz nicht stabil, wenn sie privat vorsorgen müssen. ({16}) Private Vorsorge bedeutet, dass zwar die Arbeitgeberbeiträge auf unterem Niveau eingefroren werden, dass aber gleichzeitig die Arbeitnehmer durch ihre private Zusatzversicherung, die sie abschließen müssen, weniger in der Tasche haben als vorher. Beitragssatzstabilität findet nur für die Arbeitgeber statt, aber nicht für die Bevölkerung und nicht für die Versicherten. Deshalb sage ich: Wenn Sie das so machen, ist das, was Sie der Bevölkerung suggerieren, Etikettenschwindel. Sie entlasten die Arbeitgeber, ohne dass es einen Effekt hat. Ich sage Ihnen: Die eigentliche Ursache für die Probleme in der Rentenversicherung liegt darin, dass die Löhne in diesem Lande nicht mehr steigen. Sie steigen unter anderem deshalb nicht, weil Sie durch Ihre Politik dazu beigetragen haben, dass die Gewerkschaften in einer Art und Weise geschwächt werden, dass Lohnerhöhungen kaum noch durchsetzbar sind. Ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger weiß, was er bekommt. Diejenigen, die noch keine Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind, die noch in Arbeit sind, wissen, was ihnen blühen würde, wenn sie Arbeitslosengeld II bekommen würden. Deshalb ist es natürlich so, dass die Widerstandskraft in den Betrieben bzw. bei den Beschäftigten gesunken ist. Deshalb haben wir Nullrunden und letztendlich auch ein Problem in der Rentenversicherung. Weil es inzwischen 6 Millionen Menschen gibt, die mit prekären Arbeitsverhältnissen, mit Billigjobs abgespeist werden, wird unzureichend in die Sozialkassen eingezahlt. Wenn Sie das ändern, würden Sie das Übel tatsächlich an der Wurzel packen und nicht permanent die kleinen Leute schröpfen, Herr Müntefering. ({17}) Ich komme damit zum Schluss. Sie haben gesagt: Die Menschen sollen Vertrauen haben. Herr Müntefering, worin denn? Ihrer Politik zu vertrauen ist so, als würde man den Würger von Boston um eine Halsmassage bitten. Das wäre genau dasselbe. ({18}) Wer Ihnen traut, hat künftig dafür zu sorgen, dass er irgendwie über die Runden kommt. Mit der Rente wird es jedenfalls bei dieser Politik der Bundesregierung nicht mehr klappen. Die Rente wird von dieser Regierung kaputtgemacht. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Irmingard ScheweGerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ernst, ich beneide Sie: Es ist schön, wenn man ein so einfaches Weltbild hat, wie Sie es haben. Da kann man sich zufrieden zurücklehnen. ({0}) Wir diskutieren heute über eine Reihe rentenpolitischer Vorhaben. Ich beginne mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte. Ziel dieses Gesetzentwurfes war es, mögliche Rentenkürzungen aufgrund niedriger Lohnsteigerungen zu vermeiden. Dieses Ziel hat meine Fraktion voll und ganz unterstützt. Da das Ministerium selbst jetzt aber bestätigt, dass es aufgrund der Lohnentwicklung nicht zu einer Rentenkürzung kommen wird, ist dieser Gesetzentwurf absolut überflüssig. ({1}) Man kann es auch anders ausdrücken: Stell dir vor, die Regierung macht ein Gesetz und keiner braucht es. Herr Minister Müntefering, man sollte die Sauerländer nicht unterschätzen: Sie sind ein Fuchs. Sie haben vor den Landtagswahlen den Robin Hood der Rentner und Rentnerinnen gespielt und ihnen gesagt, dass Sie Rentenkürzungen per Gesetz ausschließen. Die Menschen sind froh und akzeptieren scheinbar dankbar eine neue Nullrunde. Doch nun, da Sie wissen, dass die Renten nicht gekürzt werden müssen, fordere ich Sie auf: Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück! ({2}) Machen Sie keine Symbolpolitik mit einem Gesetz, das niemals zur Anwendung kommen wird! ({3}) Ich komme zum nächsten Punkt, zu den Rentenversicherungsberichten 2004 und 2005. Was die Menschen bei der sozialen Sicherung und gerade bei der Rente dringend brauchen, sind Vertrauen und Verlässlichkeit. Ich glaube, dass Ihre Annahmen bezüglich der Lohnentwicklung und des Wirtschaftswachstums viel zu optimistisch sind. Ich erinnere an die Fehlprognosen von 1995. - Herr Kollege Brauksiepe, 1995 gab es leider noch keine rot-grüne Bundesregierung. ({4}) Natürlich wünsche auch ich mir, dass die Gewerkschaften endlich wieder bessere Tarifabschlüsse durchsetzen können; denn das ist gut für die Beschäftigten, die Binnennachfrage und letztendlich auch für die Renten. Aber ein Rentenversicherungsbericht ist nun einmal kein Wunschkatalog. Wir brauchen eine realistische Vorschau auf die nächsten 15 Jahre. Die gesetzliche Rente hat in den letzten Jahren durchaus schmerzhafte Reformen durchlebt. Niveausenkungen und der Nachhaltigkeitsfaktor sind in diesem Zusammenhang nur zwei Stichworte. Aber dadurch ist sie zukunftsfähig geworden. Durch sie werden die meisten Menschen vor Armut geschützt. Sie wird aber nicht ausreichen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Private und betriebliche Vorsorge tut zusätzlich Not. Der ehemalige Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Franz Ruland, der „Rentenpapst“, hat am 3. April dieses Jahres in einem Interview mit der „FAZ“ die Einschätzung vertreten: Was im Rentensystem kürzbar war, ist gekürzt worden. Ich schließe mich dieser Einschätzung explizit an und erweitere sie um die Bemerkung: Innerhalb des bisherigen Umlagesystems der gesetzlichen Rentenversicherung sind alle Reformen durchgeführt worden, die vertretbar sind. Die schrittweise Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, die noch zu verabschieden ist, schließe ich in diese Bemerkung ausdrücklich ein. Herr Minister, wir unterstützen Sie bei der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters; denn das ist eine logische Konsequenz des längeren Lebens. Heute beziehen die Menschen 17 Jahre lang Rente, 1960 waren es zehn Jahre weniger. Ich fordere Sie aber auf, bei der Umsetzung nicht zu stümpern. ({5}) Die Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Beschäftigung Älterer in den Unternehmen sind wie ein Gespann. Beides muss parallel und im gleichen Tempo laufen; ansonsten geht es schief. Hier ist die Wirtschaft in der Verantwortung. Ohne Arbeitsplätze für Ältere ist die Rente mit 67 eine Rentenkürzung und das lehnen wir ab. ({6}) Es wird gern verschwiegen, aber wir haben ein strukturelles Problem bei den Einnahmen der Rentenversicherung. Diese Schwierigkeit ist nicht kurzfristiger Natur. Sie wird in den nächsten Jahren andauern, wenn wir nicht an den Ursachen ansetzen. An dieser Stelle ist die große Koalition blind; denn sie ignoriert die Analyse namhafter Experten. Bereits im Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2004 hat der Sozialbeirat auf die Probleme bei der Entwicklung der Beitragseinnahmen aufmerksam gemacht. Er hat die Diskrepanz zwischen dem gestiegenen Bruttoinlandsprodukt und sinkenden Einnahmen der Rentenversicherung benannt. Die Ursachen liegen auf der Hand: gedämpfte Lohnentwicklung, weniger sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige, weniger Pflichtversicherte, mehr Selbstständige, mehr geringfügig Beschäftigte und mehr Arbeitslose mit einem niedrigeren Beitrag. Doch obwohl CDU/CSU und SPD das Gutachten bekannt war, haben sie keine adäquaten Konsequenzen daraus gezogen, sondern die Schlussfolgerung im Koalitionsvertrag ins Gegenteil verkehrt. Im Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2005 bewertet der Sozialbeirat die Annahmen zur kurzund mittelfristigen Beschäftigungs- und Entgeltentwicklung an mehreren Stellen als ambitioniert. Offensichtlich wollte sich der Sozialbeirat diplomatisch ausdrücken und die positiven Konjunkturerwartungen nicht dämpfen. Schauen Sie aber in die neueste Studie „Prognos Deutschland Report 2030“. Darin steht, dass in den nächsten 25 Jahren mit einem massiven Rückgang von Arbeitsplätzen im traditionellen Industriebereich zu rechnen ist. Daneben wird von einer starken Zunahme der Zahl der Selbstständigen gerechnet. Aufgrund der letzten Jahre wissen wir, dass Selbstständigkeit in vielen Fällen eine selbst gewählte Notlösung ist, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Sorge bereiten uns vor allem jene Selbstständige, die nicht in der Lage sind, sich ausreichend sozial abzusichern. Herr Minister Müntefering, in der Haushaltsdebatte der letzten Woche haben wir Ihnen vorgeworfen, dass Sie den Bundeshaushalt zulasten der Versicherten sanieren, zum Beispiel durch die Erhöhung der Sozialabgaben für Minijobs. Ihr Sozialbeirat wird da sehr viel deutlicher - ich zitiere -: „Die Erhöhung von Sozialbeiträgen mit dem ausdrücklichen Ziel, den Bundeshaushalt zu entlasten, ist verfassungsrechtlich problematisch.“ ({7}) Als Beispiel für diesen verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff in die Finanzierungsgrundlagen der Rentenversicherung wird im Gutachten die Halbierung des Mindestbeitrags von 78 auf 40 Euro für Langzeitarbeitslose kritisiert. Während jede Existenzgründerin und jeder freiwillig Versicherte den Mindestbeitrag von 78 Euro entrichten muss, macht der Bund in seinem eigenen Gestaltungsbereich selbstherrlich Ausnahmen. Ich empfinde das als Politik nach Gutsherrenart. Ich komme zu den Betriebsrenten. Wer ein Gesamtrentenniveau erreichen will, das den Lebensstandard sichert, muss rechtzeitig auch privat und betrieblich vorsorgen. Gerade durch die Entgeltumwandlung hat sich die Betriebsrente enorm etabliert. Wir begrüßen daher den Entwurf der europäischen Richtlinie zur Portabilität von Zusatzrentenansprüchen. ({8}) - Ich komme gleich darauf, Herr Kollege. - Moderne Arbeitsmärkte fordern auch mobile Beschäftigte. Deshalb muss die betriebliche Altersvorsorge flexibler werden. Sie darf nicht als Finanzierungsmasse der Arbeitgeber verwendet werden und muss stärker vor Insolvenz geschützt werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Weiß, es ist mir eine Freude.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, es ist mir eine Freude, dass ich Ihnen heute Morgen eine Freude machen kann. ({0}) Sie haben soeben ausgeführt, dass die Grünen die Betriebsrenten in Deutschland stärken und weiter ausbauen wollen - was, wie ich glaube, die Zustimmung des ganzen Hauses findet - und dass die Entgeltumwandlung eine sehr gute Grundlage bildet. Das ist vollkommen richtig. Dann haben Sie aber einen Schlenker zu der europäischen Richtlinie zur Portabilität von Zusatzrentenansprüchen gemacht. Ich weiß nicht, wie das zusammenpassen soll, Frau Kollegin Schewe-Gerigk. Alle Experten des Betriebsrentensystems in Deutschland sagen uns: Wenn wir diese EU-Richtlinie, so wie sie ist, akzeptieren würden, würde dadurch das System der Betriebsrenten in Deutschland keinen Aufschwung erleben, sondern zusammenbrechen. Viele Betriebe würden sich aus dem Betriebsrentensystem verabschieden. Die Zusatzversorgung für Angehörige des öffentlichen Dienstes wäre am Ende. Deswegen kann ich nicht verstehen, wie das zusammenpassen soll. Erklären Sie uns einmal, wie diese EU-Richtlinie mit ihren negativen Auswirkungen für das Betriebsrentensystem zu Ihrer Aussage passen soll, dass Sie die Betriebsrenten fördern wollen!

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben gesagt, dass wir die Entgeltumwandlung nicht weiter sozialversicherungsmäßig und steuerlich fördern wollen. Denn in dem betreffenden Gesetz wurde eine Laufzeit bis 2008 beschlossen. Dazu kommt, dass diese Maßnahme die Sozialkassen ziemlich plündert. Sie war als Anschubfinanzierung vorgesehen und dieses Ziel hat sie erreicht. Bei der EU-Richtlinie handelt es sich doch ganz eindeutig darum, dass diejenigen, die mobil sind, junge Menschen, nicht erst ab einem Alter von 30 Jahren, sondern bereits ab 21 Jahren geschützt werden sollen. Es gibt junge Leute, die ins Ausland gehen und ihre Rentenansprüche mitnehmen wollen. Sie möchten ferner, dass das nicht erst nach einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren möglich sein soll, sondern bereits nach zwei Jahren. Das ist doch eine wichtige Sache. Ich finde, eine Maßnahme, die steuerlich begünstigt ist und von der die Arbeitnehmer auch etwas haben, gehört in das Eigentum der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn solche Zusagen vorliegen. Es ist absolut richtig, dass diese Ansprüche mitgenommen werden können und sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch zustehen. Aber ich werde darauf gleich in meiner Rede noch intensiver eingehen, Herr Kollege. Ich habe dank Ihrer Zwischenfrage meine Redezeit noch etwas verlängern können. Wir wollen aber auch, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die betriebliche Altersvorsorge bei einem Wechsel des Arbeitgebers generell und uneingeschränkt weiterführen können. Bereits bestehende Ansprüche für ausscheidende Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen dynamisiert werden, damit sie sich nicht mit der Zeit entwerten. Was tut die Regierung? Jetzt komme ich auf die Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser EU-Richtlinie zurück; wir haben es gestern im Ausschuss diskutiert. Da sagt die große Koalition: Eigentlich wollen wir uns von der EU gar nichts sagen lassen. ({0}) Ich dachte immer, wir seien ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Aber Sie meinen: Eigentlich hat die EU in diesen Dingen nichts zu sagen. Die Stellungnahme der Bundesregierung ist sehr einseitig an den Interessen der Arbeitgeber ausgerichtet. Auch wir wollen, dass die betriebliche Altersvorsorge für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber interessant bleibt. Aber aus lauter Arbeitgeberfreundlichkeit die Flexibilisierung der betrieblichen Altersvorsorge gleich ganz abzulehnen, das wäre unseres Erachtens ein kapitaler Fehler. Damit schaden Sie der betrieblichen Altersvorsorge. ({1}) Ich komme zum Schluss. Betrachte ich die Rentenpolitik der großen Koalition - wir haben darüber ja in den letzten Wochen und Monaten viel gehört und hier diskutiert -, dann kann ich nur sagen: Der Zickzackkurs geht weiter. Sie machen jeden Tag neue Vorschläge, die Sie dann wieder zurücknehmen; ich nenne nur: die Erhöhung des Bundeszuschusses im nächsten Jahr mit 600 Millionen Euro, die Reduzierung der Rentenbeiträge ab dem Jahre 2014 - wo Sie genau wissen, dass da gerade die Babyboomer in Rente gehen - und viele andere Dinge, etwa die Ausnahmeregelung bei der abschlagfreien Rente, bei der Sie sagen: Die Dachdecker müssen eigentlich schon früher in Rente. Im Rentenversicherungsbericht findet man davon überhaupt nichts wieder. Dann wenden Sie sich den Betriebsrenten zu und sagen: Hier wollen wir Einschnitte vornehmen. - Am nächsten Tag ist das alles wieder nicht richtig. Es ist ein Hin und Her und da fällt auf: Von der Kanzlerin ist in diesem Zusammenhang überhaupt nichts zu hören. Haben Sie von der Kanzlerin mal etwas zur Rentenpolitik gehört, zu dem wichtigsten Thema, das wir derzeit diskutieren? ({2}) Herr Müntefering, manchmal tun Sie mir ja auch etwas Leid; denn Ihre Fraktion hat sich in dieser Frage vollkommen weggeduckt. Ich finde, das ist keine verantwortliche Politik. Hier müssen Sie endlich den Menschen verlässliche Konzepte vorlegen, damit sie sich darauf einstellen können. Denn gerade diejenigen, die kurz vor der Rente stehen oder die schon im Rentenbezug sind, können doch in ihrem Leben nichts mehr verändern; sie sind auf Verlässlichkeit angewiesen. Sie wollen im Alter eine auskömmliche Rente und ein Leben in Würde haben. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Jetzt hat das Wort der Kollege Peter Friedrich für die SPD-Fraktion. ({0})

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte und den Rentenversicherungsbericht 2005. In der Debatte wurde die Generationengerechtigkeit mehrfach angesprochen. Ich bin dankbar, dass ich als jüngerer Abgeordneter die Möglichkeit habe, für meine Fraktion ein paar Anmerkungen dazu zu machen. Erste Anmerkung. Es ist das Verdienst und die Verantwortung einer realistischen Reformpolitik, dass die Bewältigung der demografischen Entwicklung nicht im Konflikt zwischen den Generationen stattfindet. Ein Krieg der Generationen findet in Deutschland nicht statt. ({0}) Die Bürgerinnen und Bürger aller Generationen sind zu einem solidarischen Beitrag bereit. ({1}) Wir haben Korrekturmechanismen in das System eingebaut, die der veränderten Altersstruktur der Bevölkerung Rechnung tragen. Diese würden kurzfristig zu Rentensenkungen führen. Malen Sie sich einmal aus, was das für die Menschen bedeuten würde: Das hätte einen gravierenden Vertrauensverlust in die gesetzliche Rente zur Folge, den kein Mensch ernsthaft wollen kann; es sei denn - das ist der einzige Grund, diesen Vertrauensverlust in Kauf zu nehmen -, er hofft darauf, dass Alterssicherung ein rein privates, persönliches Risiko wird. ({2}) Wer aber glaubt, Generationengerechtigkeit durch weniger Solidarität zu erreichen, der irrt, Herr Kolb. ({3}) Deshalb ist der Entwurf eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte richtig. Die Anstrengungen, die wir jetzt im Bereich Rente unternehmen, müssen von Reformen der anderen großen solidarischen Sicherungssysteme flankiert werden. Wir stehen gegenüber den Menschen in der Verantwortung, ihnen eine längere reale Lebensarbeitszeit zu ermöglichen. Das gilt - das wurde schon angesprochen - für das Ende des Erwerbslebens, das heißt, dass die Menschen das Renteneintrittsalter tatsächlich im Erwerb stehend erleben müssen. Das gilt aber auch für den Anfang des Erwerbslebens. Die Gesamtarbeitszeit der Menschen muss zunehmen. Wir müssen auch die Auswirkungen der Demografie auf die anderen Sicherungssysteme berücksichtigen. Deshalb diskutieren wir momentan über die Frage, wie die Gesundheitsreform weitergehen kann. Wer glaubt - wie das mehrfach in die Diskussion geworfen wurde -, man könne eine Reform auf höhere Zu- und Aufzahlungen gründen, der irrt. Das hieße nämlich nichts anderes, als dass wir von den Rentnerinnen und Rentnern an der Apotheke das zurückfordern, was wir ihnen vorher gegeben haben. Das hieße, die Kranken müssten mit den Gesunden solidarisch sein. Auch das können wir nicht wollen. Zweite Anmerkung. Bei der Rentenfrage muss man nicht über zwei, sondern über drei betroffene Generationen sprechen. Wir diskutieren viel und emsig über die Beitragszahler und die Leistungsempfänger. Generationengerechtigkeit ist aber mehr als eine reine Zahlungsbilanz. Es geht auch um die Frage, in welchem Zustand sich die Solidargemeinschaft befindet, in die zukünftige Beitragszahler hineingeboren werden, in der sie aufwachsen. Daher sind für die zukünftige Struktur der Rente folgende Fragen von Bedeutung: Wie schaffen wir nachhaltiges Wachstum? Wie schaffen wir eine dauerhafte Steigerung der Qualität unseres Bildungssystems? Wie schaffen wir die Integration zugewanderter Bürgerinnen und Bürger? Wie ist der Wohlstand zwischen den Generationen und innerhalb einer Generation verteilt? ({4}) Herr Ernst, in Ihrer Rede spielten all diese Themen keine Rolle. Deshalb möchte ich mir einen Hinweis nicht verkneifen: Wer in der Debatte immer wieder betont, man müsse den Wohlhabenden endlich einmal an den Kragen, um das finanzieren zu können - in dieser Verbalität tragen Sie das vor -, und gleichzeitig Vorschläge zur Vermögensteuer auf den Tisch legt, die eine Besteuerung ab 300 000 Euro vorsehen, der sollte einer Eisenbahnerwitwe, die sich zum Beispiel in Radolfzell am Bodensee - meinem Wahlkreis - zusammen mit ihrem Mann in Eigenarbeit ein Häuschen gebaut hat, erklären, was das für sie bedeuten würde. Die Häuser haben einen Wert, der weit über diesen Beträgen liegt. Wollen Sie tatsächlich über die Vermögensteuer von dieser Frau Solidarbeiträge einfordern? ({5}) Das steht tatsächlich in Ihrem Konzept. Sie sollten einmal schauen, wen Sie damit eigentlich treffen und welche Leute Sie für die Wohlhabenden dieses Landes halten. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Friedrich, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass bei unseren Vorschlägen zur Vermögensteuer ein Häuschen im Wert von 300 000 Euro unter den Freibetrag fallen würde? ({0})

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ernst, ich nehme das zur Kenntnis. Allerdings stelle ich Ihnen anheim, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie in meinem Wahlkreis für 300 000 Euro wahrscheinlich kein Häuschen finden werden. Das ist das Problem. Die Leute sehen ihr Eigenheim als Altersvorsorge an. Es ist für sie mehr als nur in Haus. Trotzdem wollen Sie - so steht es in Ihrem Konzept - da heran. ({0}) Meine dritte Anmerkung: Der wichtigste Beitrag zu einer erfolgreichen Rentenpolitik in Zukunft ist eine erfolgreiche Familienpolitik. Natürlich können wir nicht binnen weniger Jahre die Ergebnisse einer seit Jahrzehnten laufenden gesellschaftlichen Entwicklung korrigieren. Aber so zu tun, als sei Demografie gottgegeben und ein Naturgesetz, bedeutet, sich vor der politischen Aufgabe zu drücken. Deutschland braucht mehr Kinder. Es kommt häufig der Einwand, diese Kinder müssten dann ja auch Arbeit haben und Beiträge zahlen, um der Rente überhaupt zu nutzen. Der Einwand ist natürlich richtig. Aber es heißt, den ersten Schritt vor dem zweiten zu tun. Kinder sind mehr als nur persönliches Glück. Sie sind auch ein Wachstumsimpuls für die Gesellschaft und für die Wirtschaft eines Landes. Damit wir mehr Kinder bekommen, brauchen wir in Zukunft für die Menschen die Verlässlichkeit, dass die Betreuung der Kinder gewährleistet ist und dass Beruf und Familie dauerhaft miteinander vereinbar sind. ({1}) Vierte Anmerkung: Ebenso wie Geld eine zentrale Ressource für die Rente ist, ist Vertrauen eine zentrale Ressource für die Rente. Deswegen ist meine Bitte an alle hier im Haus, insbesondere an die, die an den Rändern sitzen: Hören Sie auf, bei den Menschen bezüglich der Rente Ängste zu schüren. Hören Sie damit auf! Hören Sie auf der einen Seite damit auf, den Beitragszahlern Angst zu machen, sie würden überfordert, und hören Sie auf der anderen Seite auf, ihnen Altersarmut einzureden und den Systemkollaps zu propagieren. ({2}) Dies beschreibt nicht die Realität der Rente in Deutschland. Sie wissen ganz genau, dass wir bei der Altersarmut so gut dastehen wie noch nie zuvor. ({3}) Wenn Sie dies nicht berücksichtigen, machen Sie den Menschen Angst. Sie treiben sie aus einem solidarischen Sicherungssystem. Mit dieser Propaganda verringern Sie die Solidarität in unserer Gesellschaft. ({4}) Deswegen ist es gut, dass die große Koalition für die, die darauf angewiesen sind, dass ein solidarisches Sicherungssystem existiert und für sie da ist, wenn sie es brauchen, eine verlässliche Grundlage schafft und sich nicht aus populistischen Gründen vor der Verantwortung drückt. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Friedrich, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für Ihre weitere Arbeit! ({0}) Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen ja manchmal eine eher kurzatmige Rentendebatte über viele Einzelfragen. Die Oppositionsredner verstehen es meisterhaft - zumindest versuchen sie es -, noch ein paar zusätzliche Kampfschauplätze aufzumachen ({0}) und sich an Einzelpunkten festzuklammern. Man fragt sich: Was soll das Ganze, was Sie hier vorführen, eigentlich? „Bild“ und „Super Illu“ machen das auch. Sie sprechen von einer Schrumpfrente und machen den Leuten schlichtweg Angst, was ihre Sicherheit im Alter betrifft. Ich finde, dass solche Debattenbeiträge, die den eigentlichen Kern des Themas vermeiden, nur dafür sorgen, dass Rentnerinnen und Rentner wie auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich verunsichert werden. Aber die Menschen in unserem Land wollen keine hysterischen Schlagzeilen, sondern sie wollen wissen, wie es um ihre Altersversorgung wirklich bestellt ist. Das wird im Rentenversicherungsbericht und im Alterssicherungsbericht der Bundesregierung in aller Klarheit dargelegt. Darüber sollten wir miteinander reden. Deswegen steht im Koalitionsvertrag: Mit der großen Koalition wird es selbst dann, wenn sich die Löhne schlecht entwickeln, keine Rentenkürzung geben. Übrigens wird es, Herr Kolb, auch keine Rentenkürzung durch die Hintertür geben. Sie haben ja nicht über diese Legislaturperiode gesprochen, sondern über die vergangene Regierung; Ihre Rede war sehr rückwärtsgewandt. ({1}) Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich darauf verlassen, dass wir dieses Versprechen einlösen. Ein Gesetz, wie wir es heute beschließen, ist die stärkste Form der Einlösung unseres Versprechens. Es gibt mit Schwarz-Rot keine Rentenkürzung. Das ist Fakt. ({2}) Bei all diesem Gerede, das nichts anderes als Verunsicherung schafft, muss man einfach noch einmal klar und deutlich sagen: Grundsätzlich gilt für die Rente zuallererst die Mathematik. Wer Adam Riese außer Kraft setzen will, wird bei der Rente eine Bauchlandung erleben. Die Veränderungen im Altersaufbau unserer Gesellschaft, die Zunahme der Zahl älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger und die steigende Lebenserwartung, zwingen uns dazu, mit unserer umlagefinanzierten Rentenversicherung auf diese Herausforderung zu antworten, allerdings nicht mit Wehgeschrei, sondern mit einem Ausgleichsmechanismus, der für eine solidarische Generationengerechtigkeit sorgt. Darum geht es bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Das war auch schon das Kennzeichen aller bisherigen Rentenreformen, angefangen von Norbert Blüm im Jahr 1992. Wären diese Reformen nicht durchgeführt worden, würde der Beitragssatz zur Rentenversicherung, den die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land im Jahr 2030 voraussichtlich zahlen müssten, zwischen 36 und 41 Prozent liegen. Das würde für die jungen Leute das endgültige Aus der Solidarität bedeuten. Genau das wollen die Linken: ({3}) den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland noch mehr Geld von ihrem sauer verdienten Lohn wegnehmen. Peter Weiß ({4}) ({5}) Das, was die Linken wollen, bedeutet unter dem Strich: Alle werden gleich arm gemacht. ({6}) Um eine solidarische Generationengerechtigkeit herzustellen, müssen wir konsequenterweise auch die Regelaltersgrenze schrittweise auf 67 Jahre erhöhen. Im Rentenversicherungsbericht wird deutlich, dass es gelingen kann - das ist unser Wille -, den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Jahr 2030 unter 22 Prozent zu halten. Ein Beitragssatz von 22 Prozent ist wesentlich geringer als ein Beitragssatz von 36 bis 41 Prozent. Das könnte die junge Generation noch tragen. Am Dienstag dieser Woche ist der „Papst“ der deutschen Rentenversicherung, Professor Ruland, offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden. In einem Interview mit der „FAZ“ vom 3. April dieses Jahres hat er noch einmal trotz des bestehenden Reformbedarfs die große Anpassungsfähigkeit und die Krisenfestigkeit des Umlagesystems hervorgehoben. Man kann, so glaube ich, heute in der Tat feststellen: Die gesetzliche Rentenversicherung bleibt auch in Zukunft das wesentliche und prägende Element der Altersvorsorge in Deutschland. Aber die Botschaft an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem an die junge Generation muss lauten: Die gesetzliche Rentenversicherung allein reicht zur Sicherung des Lebensstandards im Alter nicht mehr aus. Sie muss zwingend um die betriebliche und die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge ergänzt werden, wenn man nicht in Altersarmut geraten will. ({7}) Deshalb ist die politisch spannende und zentrale Aufgabe, die vor uns liegt, eigentlich nicht so sehr die Frage, wie es mit der gesetzlichen Rente aussieht, sondern: Schaffen wir es, dafür zu sorgen, dass möglichst jeder Arbeitnehmer eine betriebliche und eine private Altersvorsorge aufbaut? ({8}) Die Finanzwirtschaft vermeldet, dass mittlerweile 5,6 Millionen Riesterverträge abgeschlossen wurden. Das ist schön. Aber das sind noch immer viel zu wenige. Deswegen müssen wir uns bemühen, die Attraktivität der privaten Altersvorsorge zu steigern. Wir tun das, indem wir noch in diesem Jahr ein Gesetz beschließen werden, durch das selbst genutztes Wohneigentum in die Förderung der Riesterrente aufgenommen wird. Darüber hinaus werden wir den Betrag, mit dem der Staat Familien mit Kindern fördert, deutlich erhöhen. An dieser Stelle will ich noch Folgendes erwähnen: Es ist bereits heute möglich, dass eine Familie mit zwei Kindern, die einen jährlichen Eigenbetrag von 64 Euro in eine Riesterrente einzahlt, zusätzlich 336 Euro vom Staat geschenkt bekommt. Ich finde, das ist ein großzügiges Angebot des Staates, um die Menschen zur privaten Altersvorsorge zu motivieren. Das wollen wir als große Koalition sogar noch verbessern. Deswegen bin ich überzeugt: Wenn wir nicht schlecht über das Thema Altersvorsorge reden, sondern den Leuten erklären, was in diesem Land möglich ist, dann werden wir es schaffen, dass in ausreichendem Maße private und betriebliche Altersvorsorge betrieben werden, sodass das Gesamtversorgungsniveau der Menschen im Alter nicht sinkt, sondern zumindest so hoch bleibt, wie es gegenwärtig ist. Der Alterssicherungsbericht der Bundesregierung zeigt: Wenn es uns gelingt, die Kombination aus gesetzlicher Rente, betrieblicher Altersvorsorge und Riesterrente für alle so attraktiv zu machen, dass sie sie nutzen, steigt das Alterseinkommen in Zukunft sogar. Deswegen sage ich: Wir brauchen kein Untergangsgeschrei, wie es hier zum Teil aufgeführt wird, sondern Planbarkeit und Verlässlichkeit - dann bleibt Altersarmut in Deutschland auch in Zukunft ein Fremdwort. Vielen Dank! ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Anton Schaaf, SPDFraktion. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe schon bei der letzten rentenpolitischen Debatte in diesem Hause gesagt: Wir haben es mit einer Gemengelage zu tun: zwischen gnadenlosem Populismus auf der einen Seite ({0}) und gnadenloser Klientelpolitik auf der anderen Seite. ({1}) Auf der linken Seite dieses Hauses hat sich nicht viel geändert, auf der rechten Seite ist allerdings gnadenloser Populismus hinzugekommen; das muss man in aller Deutlichkeit feststellen. ({2}) - Herr Kolb, ich bin gerne bereit, den Nachweis anzutreten. Sie haben gerade gesagt, wir würden den Rentnerinnen und Rentnern mit verschiedensten Instrumenten massiv in die Tasche greifen, ({3}) also real Rentenkürzungen vornehmen. Ich gebe unumwunden zu, dass es in den letzten Jahren zusätzliche Belastungen für die Rentnerinnen und Rentner gegeben hat - als ihr Solidarbeitrag zum Erhalt der sozialen Sicherungssysteme, ({4}) insbesondere bei der Gesundheitsvorsorge - und dass die Mehrwertsteuererhöhung nicht kompensiert werden kann. ({5}) Das gestehe ich Ihnen zu. ({6}) Aber jetzt will ich den Menschen draußen im Lande mal sagen, was Sie vorschlagen: Die FDP schlägt vor, den Rentenversicherungsbeitrag nicht von 19,5 Prozent auf 19,9 Prozent zu erhöhen, sondern ihn sogar abzusenken: auf 19 Prozent. ({7}) Im Klartext geht es um 5 bzw. 9 Milliarden Euro. Sie sagen aber nicht, wer das finanzieren soll. Das heißt, es geht um Kürzungen bei den Rentnerinnen und Rentnern. So steht es in Ihrem Konzept: reale Kürzungen. ({8}) Das wollen wir den Menschen nicht zumuten. Und Sie werfen uns vor, dass wir den Rentnerinnen und Rentnern in die Tasche greifen! Das ist unlauter, um das ganz deutlich zu sagen. ({9}) Herr Kolb, in all Ihren Papieren betonen Sie, dass die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft die zentrale Säule der Altersversorgung sein wird. Dieser Überzeugung bin auch ich, und wir müssen alles dafür tun, damit das auch in Zukunft so bleibt. Aber dann liest man in einem mir vorliegenden Papier der Jungen Liberalen - die hoffentlich nie in die Verantwortung kommen -, dass die Julis die umlagefinanzierte Versicherung abschaffen wollen. Das ist die Realität in der FDP. Und Sie stellen sich hier hin und klagen laut über das, was die Vorgängerregierung getan hat und die große Koalition tut, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen! ({10}) Das ist die Gemengelage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schaaf, würden Sie mir zustimmen, dass Sie jetzt demselben Denkfehler unterliegen wie in der letzten Legislaturperiode bei der Tabaksteuererhöhung, als Sie die Steuersätze erhöht haben und dann erleben mussten, dass unter dem Strich sogar geringere Einnahmen erzielt werden? Können Sie sich vorstellen, dass niedrigere Rentenbeiträge zu mehr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und damit zu mehr Beitragszahlern führen können und dass das am Ende der wirksamere Weg ist, um die Rentenkasse und die Rentenzahlungen zu stabilisieren? Mit Ihrer Politik der permanenten Mehrbelastung der Menschen durch permanente Beitragserhöhungen beschreiten Sie den falschen Weg: Sie haben mit Ihrer Politik den massiven Verlust von anderthalb Millionen Arbeitsplätzen in fünf Jahren zu verantworten; das sage ich besonders an Sie als SPD-Kollegen gerichtet. Höhere Beiträge sind der falsche Weg. Beitragssenkungen und der Aufbau von Beschäftigung, das ist die Lösung des Problems. Da sollten Sie mir doch eigentlich zustimmen, oder? ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kolb, wir haben diese Diskussion an anderer Stelle schon geführt. Ich sage Ihnen noch einmal: Der Widerspruch liegt bei Ihnen. Auch ich war der Meinung, dass man die Mehrwertsteuer nicht erhöhen sollte. ({0}) Aber man kann das tun, wenn damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Genau da widersprechen Sie sich doch, wenn Sie jetzt fordern, dass die Mehrwertsteuer nicht erhöht wird. Also, wir haben uns auf den Weg gemacht und einen schwierigen Kompromiss gefunden: um die Lohnnebenkosten abzusenken, um die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu entlasten und übrigens auch - das sage ich an die FDP gerichtet -, damit private Vorsorge überhaupt möglich wird. Was private Vorsorge angeht, argumentieren Sie ja gerne, die Arbeitslosengeld-II-Empfänger hätten bei der Riesterrente ja gar keine Chance und deswegen drohe Altersarmut. Da liegen Sie aber falsch. Die drohende Altersarmut resultiert daraus, dass die Menschen keine Arbeit haben, und nicht daraus, dass sie nicht privat vorsorgen können. ({1}) Unser Interesse muss also zunächst einmal darin liegen, dass die Menschen in Brot und Arbeit kommen. Das ist doch die entscheidende Frage. Die Argumentation auf Ihrer Seite würde ich also noch einmal sehr deutlich überprüfen. Herr Kolb, lassen Sie mich noch etwas zur Sozialabgabenfreiheit bei der Entgeltumwandlung sagen. Auch das ist natürlich ein Punkt, über den man diskutieren kann. Ich weise nur darauf hin: Wenn uns die Einnahmen aus diesem Bereich in der gesetzlichen RentenAnton Schaaf versicherung fehlen, dann trifft das im Nachgang im Wesentlichen die, die nicht privat vorsorgen konnten. Das ist eine ganz einfache Geschichte. Diese Einnahmen werden im sozialen Sicherungssystem, in der Rentenversicherung, fehlen. ({2}) Von daher muss man sehr genau hinschauen, was man an der Stelle tun will. Noch einmal an die linke Seite des Hauses gerichtet: Ich halte es für eine Verkürzung der Diskussion, wenn man sagt, die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bedeute eine massive Rentenkürzung. Wenn man sich die Historie der gesetzlichen Rentenversicherung anschaut, dann erkennt man, dass es eine gigantische Steigerung bei der Rente gab. Als wir die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt haben, betrug die durchschnittliche Bezugsdauer der Rente acht Jahre; mittlerweile sind wir bei 18 Jahren. Wenn man das eine so nicht fassen möchte, dann kann man es aus meiner Sicht andersherum auch nicht fassen. Wir reden hier aus meiner Sicht nicht über eine Rentenkürzung, sondern darüber, dass die Lebensarbeitszeit länger sein muss als bisher, damit die sozialen Sicherungssysteme auf Dauer erhalten werden können. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. Lassen Sie mich noch drei inhaltliche Punkte sagen. Erstens. Wir haben gesagt, dass mit der Gesetzesinitiative zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ein Programm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 50 Jahre einhergehen muss. Es kann nicht sein, dass viele Betriebe in unserem Lande ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Hintergrund, dass sie relativ teuer und eventuell nicht mehr so leistungsfähig sind, entlassen und das Problem in die Verantwortung der Allgemeinheit stellen. Für die Beschäftigung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen auch die Unternehmer in diesem Land ihre Verantwortung. ({0}) Es kann nicht sein, dass die Unternehmen im Lande nach Ingeneurinnen und Ingenieuren rufen, während gleichzeitig 20 000 Ingenieure arbeitslos sind. Die Verantwortung für Qualifizierung und Weiterbildung liegt hier bei den Unternehmen, nicht bei der Allgemeinheit. Diese Verantwortung muss man noch einmal in aller Deutlichkeit zuweisen. ({1}) Der zweite Punkt ist die Altersteilzeit. Wenn wir meinen, dass die Menschen später in Rente gehen sollen, dann sollten wir allerdings auch über flexible Modelle dafür miteinander diskutieren können. Wir wissen ja, dass die Förderung der Altersteilzeit 2009 ausläuft. Wir sollten uns noch einmal Gedanken darüber machen. Ich halte es eigentlich für unsinnig, dass es zwei große Brüche im Leben gibt, nämlich einmal den, wenn wir von der Schule in den Beruf gehen, und einmal den, wenn wir aus dem Beruf in die Rente gehen. Wir sollten diese Übergänge flexibler gestalten und Möglichkeiten dafür suchen, dass die Menschen flexibler mit diesen Übergängen umgehen können, damit es keine Brüche mehr sind. ({2}) Der dritte und letzte Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Frage der Erwerbsminderung. Wenn wir sagen, dass die Menschen länger arbeiten sollen, dann müssen wir sicherlich auch individualisierte Instrumente für diejenigen haben, die nicht mehr oder nicht so lange arbeiten können. Deswegen bitte ich, in den Debatten, die wir jetzt zu führen haben, insbesondere auch noch einmal die Frage der Erwerbsminderung auf die Agenda zu nehmen. Eine Überlegung wäre zum Beispiel, das Alter, ab dem die Möglichkeit eines abschlagsfreien Zugangs besteht, nicht gleichzeitig mit dem Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen, sondern es bei 63 Jahren zu belassen. Ich denke, das ist ein überlegenswerter Ansatz. Meine Damen und Herren, ich will mit einem Satz schließen, der da lautet: Auch in Zukunft ist die Rente sicher - sicher die zentrale Säule der Altersvorsorge. Wir Sozialdemokraten werden uns darum bemühen. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Klaus Ernst. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Schaaf, ich möchte Ihnen nur zur Kenntnis geben - ich gehe davon aus, dass Sie das nicht wussten -, dass das Leben eines Gerüstbauers in der Bundesrepublik im Durchschnitt nach 64 Jahren endet. Wenn der Plan der Bundesregierung, ihn bis 67 Jahre arbeiten und erst dann in Rente gehen zu lassen, zur Umsetzung gelangt, wird er drei Jahre vor Rentenbezug ableben. Das nur als Hinweis! ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schaaf.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist genau das, was ich mit „gnadenlosem Populismus“ meine. Man kann damit zwar auf die erste Seite der „Bild“-Zeitung kommen, aber mit Sicherheit keine seriöse Debatte führen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ernst, ich kann nur sagen: Man kann Sie nicht ernst nehmen. ({0}) Ihrem Namen machen Sie überhaupt keine Ehre. ({1}) Ihre Rede hatte mit dem, was heute Thema ist, nichts zu tun. Gerade Ihrer Partei verdanken wir doch einen Großteil der Misere in unserem Land. ({2}) Es ist die SED gewesen, die Vorgängerpartei der PDS, die im gesamten Osten, einem großen Teil unseres Landes, den Karren in den Dreck gefahren hat. Wir sind nunmehr bemüht, dies mit den Gesetzen, die wir machen, zu korrigieren. ({3}) Es ist Ihnen Gott sei Dank nicht gelungen, in den alten Bundesländern Fuß zu fassen. Ihre Partei ist bei den letzten Landtagswahlen kläglich gescheitert. Das wird so weitergehen, weil man Sie weiterhin nicht ernst nehmen kann. Das, was Sie hier machen, ist Klamauk; nichts anderes. Lieber Herr Kollege Kolb, von Ihnen hätte ich allerdings etwas anderes erwartet. ({4}) Ich war von Ihrer Rede ziemlich entsetzt. Kennen Sie eigentlich das Märchen von dem berühmten Wettlauf zwischen Hase und Igel? ({5}) Mir kommt es langsam so vor, als sei die FDP der Hase, der erratisch über das politische Feld in Berlin rennt und nicht weiß, wohin. Dabei drückt er sich in die Furche und fällt in die Stacheln des Igels. Ich will Ihnen genau erklären, warum. ({6}) Ich bin ein wenig enttäuscht darüber, dass Sie immer wieder Anträge stellen, die sich im Prinzip schon von selbst erledigt haben. ({7}) Halten wir einmal Folgendes fest: Unser Bundesarbeitsminister hat hervorragende Arbeit geleistet. Wir haben ihn vor drei Wochen angeschrieben und ihn gebeten, klarzustellen, dass die Geschäftsführer einer „RegelGmbH“ keine Scheinselbstständigen sind. Noch bevor Ihr Antrag vorlag, hatte er - das konnten Sie in der Zeitung nachlesen - reagiert. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass diese Regierung schläft. Sie brauchen uns auch nicht zu helfen. Wir handeln schnell. Dafür bin ich dem Bundesarbeitsminister ausgesprochen dankbar. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darauf freue ich mich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Heißt das, Herr Kollege Fuchs, dass Sie unserem Antrag heute zustimmen werden? Wenn Sie das nicht tun, frage ich Sie: Wo ist denn Ihr Antrag, mit dem das Problem, wonach GmbH-Gesellschafter durch Sozialversicherungsbeiträge in fünfstelliger Größenordnung bedrückt werden können, gelöst wird? Solange Sie nur davon reden, ist es notwendig und richtig, dass die FDP Sie mit konkreten Anträgen und auch Gesetzentwürfen treibt. Davon werden wir uns auch in Zukunft nicht abbringen lassen, Herr Fuchs. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist Ihr gutes Recht, Herr Kollege Kolb, dass Sie versuchen, uns zu treiben. Aber gehen Sie bitte davon aus, dass wir das gar nicht nötig haben; denn wir reagieren schon vorher. ({0}) Diese Treibjagd werden Sie genauso verlieren, wie Sie auch jetzt mit Ihrem populistischen Ansatz verlieren werden. Der Bundesarbeitsminister hat bereits klargestellt, dass eine solche Regelung - wie von Ihnen befürchtet - für die GmbH-Geschäftsführer nicht gelten wird. ({1}) - Erst einmal reicht eine solche Klarstellung. Anschließend werden wir im Sozialgesetzbuch - Herr Bundesarbeitsminister, ich denke, das sehe ich richtig - die entsprechenden Änderungen vornehmen. Dafür brauchen wir Ihre Hilfe nicht. ({2}) Wir halten es für dringend notwendig, dass die Selbstständigen geschützt werden und sie die Chance haben, eine private Altersvorsorge abzuschließen. ({3}) Das ist für uns selbstverständlich. Das sieht die Regierung ganz genauso. Das Beispiel zeigt, dass die Regierung gerade die Aspekte der mittelständischen Unternehmen - im Wesentlichen betrifft es die Mittelständler - im Auge hat. Deren Probleme nehmen wir ernst und wir werden ihnen auf diese Art und Weise schnell und ordnungsgemäß helfen. Es ist nun einmal so: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Das Urteil des Bundessozialgerichts betrifft aber einen Einzelfall - auch von den Rentenversicherungsträgern wird das so gesehen - und wird nicht dazu führen, dass sofort etwas passieren muss. Aber jetzt zum eigentlichen Thema. Wir sind schon so weit, dass wir 32,5 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Soziales ausgeben. Die Sozialleistungsquote beträgt mittlerweile 32,5 Prozent und ist damit unglaublich hoch. Der Zuschuss zur Rentenversicherung aus dem Bundeshaushalt beträgt 77,4 Milliarden Euro. Das ist gut so. Wir müssen das Rentensystem auf diese Weise stabilisieren. Wir wissen aber auch, dass das hohe Belastungen für den Bund bedeutet. Deswegen ist es richtig, dass der Bundesarbeitsminister - auch hierfür möchte ich ihn loben - gesagt hat, wir steigen mit der Rente ab 67 in den Umbau der Rente ein. Das war notwendig. Wenn Sie meinen, Herr Ernst, hier mit Populismus, wie Sie ihn eben bewiesen haben, Klamauk treiben zu können, dann geht das an der ernsten Problematik dieses Themas völlig vorbei. Ich finde es traurig, dass es darüber keinen Konsens gibt. Wir können doch nicht so tun, als wäre die demografische Entwicklung an diesem Land komplett vorbeigegangen. Sie hat sich nun einmal so ergeben. Der Kollege Schaaf hat völlig Recht, dass früher bei Rentenbeginn die Lebenserwartung noch maximal acht Jahre betragen hat, während es heute durchschnittlich 18 Jahre sind. Dass das nicht auf die gleiche Weise finanziert werden kann, ist selbstverständlich. Es kommt heute vor, dass jemand mit 29 oder gar 30 Jahren nach dem Studium endlich ins Berufsleben einsteigt und mit 52 in Frührente geht. Da kann man ja kaum noch von verschiedenen Gruppen reden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege.

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie wollen wir die Rentenversicherung finanzieren, wenn sich die Lebensarbeitszeit so verkürzt hat? Das ist doch nur über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit möglich. Ich denke, es ist völlig richtig, dass wir an dieser Stelle angesetzt haben. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von der Linksfraktion?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Kollege, Sie sprechen - wie auch der Vorredner schon - zum wiederholten Mal davon, dass sich die Rentenbezugsdauer insgesamt erhöht hat. Ich gehe davon aus, dass Sie sich darüber genauso freuen wie ich und einige andere im Hause auch. ({0}) Aber warum reden Sie nie davon, dass sich in derselben Zeit die Produktivität in unserem Lande viel stärker erhöht hat als die Rentenbezugsdauer insgesamt und dass die Produktivität der entscheidende Faktor ist? Entscheidend ist doch nicht, wie viele Rentner zu finanzieren sind, sondern wie viel Produktivität in diesem Land besteht, um den Mehrwert zu erzeugen, damit wir auch den Rentnerinnen und Rentner angemessene Leistungen bieten können. Warum äußern Sie sich dazu gar nicht? Warum blenden Sie das völlig aus und bezeichnen uns als Populisten? ({1})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ohne diese Produktivität wären wir nicht in der Lage, die Renten zu finanzieren. Nur aus diesem Grund können wir sie noch finanzieren. Wir haben doch eben vom Bundesarbeitsminister gehört, welche Entwicklung sich ergeben hat, nämlich dass sich die Finanzierung der Rentner auf viel weniger Köpfe verteilt als früher. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Das spielt doch auch beim Produktivitätszuwachs eine Rolle. ({0}) Dennoch müssen wir bei den Lohnzusatzkosten vorankommen. Mittlerweile zahlen nur noch 26,2 Millionen Menschen in die Sozialversicherungssysteme ein, denen aber 72 Millionen Leistungsempfänger gegenüberstehen. Hierbei ist es die zentrale Aufgabe unserer Politik, dafür zu sorgen, dass es weniger Leistungsempfänger und mehr Einzahler in die Sozialversicherungssysteme gibt. Nur dann, wenn wir es hinbekommen, zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu schaffen, werden wir auch in der Zukunft in der Lage sein, die gesamten Systeme zu finanzieren. Deswegen muss sich unsere Politik daran orientieren. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unseren Koalitionsvertrag, in dem klar und deutlich steht: Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist zentrale Verpflichtung unserer Regierungspolitik. Wir wollen mehr Menschen die Chance auf Arbeit geben. Deswegen ist es auch richtig, dass wir nächstes Jahr gemeinsam erste Ansätze verfolgen, die Lohnzusatzkosten zu senken. Deswegen ist es richtig, im nächsten Jahr die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte zu senken. Wir müssen auch alle anderen zusätzlichen Wege beschreiten, um dieses System zu verbessern. Dazu hätte ich gerne konkrete Vorschläge, aber sie dürfen nicht populistisch sein. Denn wir können uns weitere Kürzungen nicht leisten. Deswegen werden wir daran arbeiten und gemeinsame Vorschläge vorlegen. Wir müssen auch über das Thema Altersarbeitszeit sprechen. Ich finde es völlig richtig, was der Minister eben gesagt hat, nämlich dass wir älteren Menschen Chancen bieten müssen, im Arbeitsleben zu bleiben oder wieder hineinzukommen. Dazu müssen sämtliche Regelungen - zum Vorruhestand etc. - auf den Prüfstand. Es ist auch eine Aufgabe der Tarifpolitik, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht so schnell frühverrentet werden. Das darf nicht mehr möglich sein. Regelungen zur Frühverrentung wie die 58er-Regelung müssen schnell abgeschafft werden. Ansonsten werden wir unser gemeinsames Ziel nicht erreichen, das System zu erhalten. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich das Vergnügen, sehr angenehme Gäste zu begrüßen. Auf der Ehrentribüne haben soeben die Mitglieder des Präsidiums der Assemblée nationale Platz genommen. Herr Präsident Debré, ich begrüße Sie und Ihre Delegation sehr herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages. ({0}) Wir freuen uns sehr, dass Sie unserer Einladung zur diesjährigen gemeinsamen Präsidiumssitzung und zu der Verleihung des zweiten Deutsch-Französischen Parlamentspreises in Berlin gefolgt sind. Die beiden Präsidien haben soeben, einer bewährten Tradition folgend, in einer gemeinsamen Sitzung die hervorragenden bilateralen Kontakte unserer beiden Parlamente und die intensive Zusammenarbeit - auch bei europäischen Themen - erörtern und vertiefen können. Herr Präsident Debré, liebe Kolleginnen und Kollegen der Assemblée nationale, es freut uns, dass Sie trotz des dichten Programms heute Gelegenheit finden, unserer Debatte kurz beizuwohnen. Wie ich weiß, werden Sie und auch einige deutsche Kolleginnen und Kollegen gleich zur Verleihung des zweiten Deutsch-Französischen Parlamentspreises erwartet. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt in Berlin. Herzlichen Dank für Ihr Kommen. ({1}) Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab 1. Juli 2006. Das sind die Drucksachen 16/794 und 16/1004. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1078, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei anderen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen worden. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 3 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1078 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 16/826 mit dem Titel „1-Euro-Jobs aus der Berechnungsgrundlage für die Rentenanpassung herausnehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linkspartei und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. ({2}) Tagesordnungspunkt 3 c. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen, Drucksache 16/1155. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, die Unterrichtung zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses geVizepräsident Wolfgang Thierse gen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP, der Linken und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 3 d bis h. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/966, 16/905, 16/906, 15/5571 und 15/4498 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 2 auf: 4 Beratung des Antrags der Fraktion der LINKEN Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit Strategie zur Überwindung von Hartz IV - Drucksache 16/997 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Hartz IV weiterentwickeln - Existenzsichernd, individuell, passgenau - Drucksache 16/1124 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 1 ¼ Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die Linke, das Wort. ({5})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier eine kleine Broschüre, die den Titel „Hartz IV Menschen in Arbeit bringen“ trägt. Im Dezember 2004 diente sie zur Information. Inzwischen taugt diese Broschüre nur noch für die Märchenstunde. Denn von „Menschen in Arbeit bringen“ kann leider nicht allzu viel die Rede sein. Man muss sich nur die aktuellen Verlautbarungen der Bundesagentur anhören, um deutlich mitzubekommen: Die Realität spricht eine andere Sprache. ({0}) So war in den aktuellen Mitteilungen der Bundesagentur zu lesen, nach dem Saisonbereinigungsverfahren errechne sich für März eine Zunahme der Arbeitslosenzahl um 30 000. Erwerbslose erleben immer weniger wirkliche Hilfe bei der Suche nach einem Job, sondern leider zunehmend Demütigungen. In meinem Wahlkreis hat mich neulich ein über 50-jähriger Mann angesprochen, der sein Leben lang gewohnt war, von seiner Hände Arbeit zu leben, und zwar im Baubereich. Ihm hatte man nun einen 1-Euro-Job gegeben. Seine Tätigkeit bestand darin, Unkraut zu jäten, allerdings im Winter. Was haben die 1-Euro-Jobber gemacht? Sie haben - mir wurden diese Bilder gezeigt - erst den Schnee weggeschippt, um dann zu versuchen, in dem gefrorenen Boden Unkraut zu jäten. ({1}) Meine Damen und Herren, noch vor einigen Jahren hätte man gedacht, das seien Geschichten aus Absurdistan, das seien Geschichten aus der Kategorie Schildbürgerstreiche. Aber nein, das ist leider die traurige Realität mit Hartz IV. Hier muss sich etwas ändern. ({2}) Doch nicht nur die Erwerbslosen gehören zu den Verlierern von Hartz IV. Wohlfahrtsverbände haben errechnet, dass die Zahl der Kinder, die in Armut leben, mit Hartz IV um 500 000 zugenommen hat. Frauen erleben eine zivilisatorische Rückwärtsrolle. Neulich erst bei einer Montagsdemo in Weißenfels hat mich eine Frau angesprochen. Sie war es immer gewohnt, auf eigenen Beinen zu stehen. Nun ist sie arbeitslos und hat das Pech, dass ihr Mann nur wenige Euro über der Bemessungsgrenze verdient und sie keinerlei Anspruch auf eigene Leistungen hat. Sie muss nun zu ihrem Mann gehen und die Hand aufhalten. ({3}) Das ist für sie eine unzumutbare Demütigung. ({4}) Aber auch die Beschäftigten gehören zu den Verlierern von Hartz IV. Die Erpressbarkeit hat zugenommen. ({5}) Vielleicht ist auch Ihnen der Bericht einer Arbeitsgerichtsdirektorin zu Ohren gekommen, die beispielsweise von einem dreifachen Vater berichtet hat, der ohne Widerspruch von heute auf morgen eine Lohnreduzierung um 20 Prozent akzeptiert hat. Diese Arbeitsgerichtsdirektorin meinte, es sei die Existenzangst, die Leute dazu zwinge, auf ihre Rechte zu verzichten. ({6}) Die Liste der Verlierer geht weiter. Handwerk und Handel klagen über fehlende Binnenkaufkraft. In meinem Wahlkreis ({7}) gibt es in einer früher florierenden Ladenstraße immer mehr leere Schaufenster, weil wieder einmal ein Frisör Pleite gemacht hat, weil die Leute sich die Produkte und Dienstleistungen nicht mehr leisten können. Das Fazit ist: Kinder, Frauen, Handwerker, Beschäftigte und Erwerbslose gehören zu den Verlierern von Hartz IV. Es ist höchste Zeit, dass sich hier etwas ändert. ({8}) Hartz IV folgt grundsätzlich der falschen Ideologie. Das können kosmetische Schönheitskorrekturen nicht ändern. Wir meinen also: Hartz IV muss grundsätzlich überwunden werden. Das Arbeitslosengeld II in seiner jetzigen Form muss dabei durch eine soziale Grundsicherung ersetzt werden, die repressionsfrei erfolgt, die diesen Namen verdient und die gesellschaftliche Teilhabe wirklich ermöglicht. ({9}) Die 1-Euro-Jobs müssen durch sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Das Motto könnte lauten: Ordentliche Schulsozialarbeiter statt viel zu kurze und schlecht bezahlte 1-Euro-Jobs. ({10}) Auch die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I muss länger werden. Wir schlagen hier vor: Für jedes Jahr Beitragszahlung hat man Anspruch auf einen Monat Arbeitslosengeld I. Natürlich gibt es da auch für uns eine Mindestfrist. ({11}) Das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft sollte im 21. Jahrhundert endlich überwunden werden. Die gegenseitige finanzielle Inhaftnahme innerhalb einer Familie erhöht nur die Anzahl der negativen Aspekte, nämlich ökonomische Abhängigkeit. Wir meinen, es ist Zeit, einen Individualanspruch einzuführen. ({12}) Wir meinen auch: Schutz vor Wohnungslosigkeit muss gewährleistet werden. Uns allen wird immer schön warm ums Herz, wenn wir in der Weihnachtszeit Berichte im Fernsehen darüber sehen, wie Obdachlosen geholfen wird. Aber Wohnungslosigkeit, die sich durch Hartz IV wahrscheinlich verschärfen wird, ist eben nicht nur zu Weihnachten ein Problem, sondern das ganze Jahr über. Deswegen sagen wir: Das Menschenrecht auf Wohnen muss gewahrt werden. ({13}) Um das zu finanzieren, ist natürlich eine Neuausrichtung in der Steuerpolitik notwendig. Die Großzügigkeit gegenüber Vermögenden und Unternehmen mit Gewinnen können wir uns tatsächlich nicht mehr leisten. ({14}) Wer also Augen hat, um zu sehen, und Ohren, um zu hören, der kann feststellen: Hartz IV muss gekippt werden. Nun kann ich verstehen, dass es Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, schwer fällt; es ist immerhin einmal Ihr Referenzprojekt gewesen. Es gibt einige Probleme, vor denen auch Sie die Augen nicht verschließen können. Meine Damen und Herren von der SPD, es gibt einige Verbesserungen, die müssten Sie mit uns jetzt endlich gemeinsam in Angriff nehmen können. Ich empfehle Ihnen die aktuellen Untersuchungen der Caritas zur Lektüre. Diese Untersuchungen besagen: Der Krankenversicherungsschutz ist das Mindeste, was für jeden Erwerbslosen gewährleistet sein muss. ({15}) Die heutige Situation sieht so aus, dass Frauen, die in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben - das betrifft auch Männer; aber in den meisten Fällen sind doch eher die Frauen betroffen, weil die Männer mehr verdienen und die das Pech haben, dass das Einkommen ihrer Partner nur wenige Euro über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, keinerlei Anspruch auf eine gesetzliche Krankenversicherung haben. Versuchen Sie einmal als Frau über 50, sich bei einer privaten Krankenversicherung zu versichern! Dafür sind Beträge nötig, die ein Arbeitsloser nicht aufbringen kann. ({16}) Auch Ihnen muss doch verständlich sein, dass es nicht angeht, dass das Pflegegeld und die EU-Renten für Behinderte bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt werden. ({17}) Vor einer Sache kann man die Augen nicht verschließen: Widersprüche gegen belastende Bescheide müssen endlich eine aufschiebende Wirkung haben. Das ist zum einen ein Gebot des Rechtsstaates. Wir sehen doch, dass es bei der Bearbeitung der Widersprüche tatsächlich enorme Probleme gibt. Ich habe neulich in einer Runde von Erwerbslosen gesagt: Ja, ich weiß, auf die Bearbeitung mancher Widersprüche wartet man schon seit sechs Monaten. Da bin ich ausgelacht worden und die Leute haben gesagt: Wir warten leider schon seit einem Jahr darauf, dass unser Widerspruch bearbeitet wird. ({18}) - Das ist schöne Theorie, was Sie sagen. Die Praxis sieht leider anders aus. Wir haben uns in den einzelnen Kommunen umgehört. Fast überall ist bisher erst jeder zweite Widerspruch bearbeitet worden. Die Tatsache, dass von den bearbeiteKatja Kipping ten Widersprüchen mindestens jedem dritten Widerspruch stattgegeben worden ist, zeigt doch, dass es notwendig ist, dafür zu sorgen, dass Widersprüche eine aufschiebende Wirkung haben. ({19}) Ansonsten werden Menschen Leistungen unrechtmäßig vorenthalten. Wir reden dabei nicht von Menschen, die ein Polster haben, sondern von Menschen, die ohnehin schon wenig haben. Die Probleme, die Menschen mit Hartz IV haben, sind so ernst, dass wir als Gesetzgeber reagieren müssen. Wir können es uns nicht mehr leisten, uns einfach mit Märchenstunden zu begnügen. Meine Damen und Herren, wenn Sie unserem Antrag aus Prinzipienreiterei nicht zustimmen wollen, so nehmen Sie unseren Antrag wenigstens zum Anlass, um über die dringend notwendigen Veränderungen bezüglich Hartz IV mit uns gemeinsam zu beraten. Besten Dank. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Gerald Weiß, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muss eigentlich nicht um Worte streiten, Frau Kipping, aber manchmal lohnt es sich schon, um Begriffe zu streiten. Wir reden hier nicht über Hartz IV - das ist Ihr Kampfbegriff -; wir reden über das Sozialgesetzbuch II und die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das und nicht Hartz IV ist das Thema. ({0}) Von Ihnen, Frau Kipping und Genossen, brauchen wir auch keine Belehrung des Inhalts, dass wir die Reform auf dem Sektor des Sozialgesetzbuches II fortsetzen müssen. Wir haben das mit einem ersten Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II zur Beseitigung schwerer Fehlanreize in diesem Gesetz bereits begonnen. Das war die erste Reformstufe. Jetzt kommt die zweite Reformstufe - die Grundlagen dafür hat der Minister gestern im Ausschuss dargelegt -, ein Optimierungsgesetz für das Sozialgesetzbuch II, für die Grundsicherung, mit dem wesentliche weitere wichtige Reformschritte umgesetzt werden sollen. Wir brauchen weder Ihre Belehrungen noch Ihre Rezepte, Frau Kipping. ({1}) Natürlich wäre es das Beste, wir könnten das Arbeitslosengeld II abschaffen. Das würde nämlich bedeuten, dass es uns gelungen wäre, die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland zu überwinden. ({2}) Aber solange es nicht so ist, brauchen wir Hilfen für die betroffenen Langzeitarbeitslosen, für die betroffenen Menschen. Hilfe muss vor allem natürlich darin bestehen - das ist richtig -, Brücken zur Arbeit und zur wirtschaftlichen und sozialen Selbstständigkeit, zur Autonomie des Einzelnen zu bauen. ({3}) Ihr Gesellschaftsbild, Ihr Weltbild ist ein völlig anderes. Sie wollen die Menschen in monetärer Abhängigkeit vom Staat, von der Gemeinschaft halten. Statt die Kräfte des Einzelnen und die Kräfte seiner Familie zu fördern, ({4}) was Ihre Verantwortung ist, wollen Sie das Kollektiv heranziehen. Das ist eine ganz falsche Vorstellung; jedenfalls haben wir eine deutlich andere Vorstellung von der Subsidiarität unserer Staats- und Gesellschaftsordnung. Wie Sie sich von der Knappheit der Ressourcen lösen, wie Sie die Kanne der Großzügigkeit ausgießen und Wohltaten mit nicht vorhandenem Geld austeilen wollen, das nötigt schon Bewunderung ab. So kann man keine verantwortliche Politik machen. ({5}) Man muss die Begrenztheit der Ressourcen im Auge behalten und man muss die knappen Mittel zielgerichtet einsetzen. Minister Müntefering hat es gestern erläutert. Eine Politik, die die Grundsicherung effektiver und effizienter gestaltet, wird auch sinnvolle Einsparungen möglich machen. Die beiden Reformschritte der Koalition werden in diesem Jahr Ersparnisse in Höhe von 300 bis 400 Millionen Euro und im nächsten Jahr in Höhe von 1,2 Milliarden Euro ermöglichen. Das sind Gelder, die wir sinnvoller, an der richtigen Stelle, und effektiv einsetzen müssen. Wir müssen den Sozialstaat zielgerichteter ausgestalten. Das ist der Sinn der Reform, die wir uns vorgenommen haben. ({6}) Mit dem SGB II ist Neuland betreten worden. Es ist eine große und auch komplizierte Reform. Hilfe aus einem Guss für alle Langzeitarbeitslosen, das ist ein richtiger Ansatz. Wenn man sich jetzt in der Praxis ansehen muss, dass es Fehlentwicklungen und Fehlanreize gibt, dann muss doch die Konsequenz sein: Das SGB II muss sozusagen ein lernendes System sein. ({7}) Wenn es das nicht ist, muss es ein lernendes System werden. ({8}) Gerald Weiß ({9}) Das heißt, es gilt, aus der Praxis zu lernen und Folgerungen aus den Fehlentwicklungen zu ziehen. Ich sagte schon: Den ersten Schritt haben wir mit dem SGB-II-Änderungsgesetz getan. Jetzt kommt die zweite Reformstufe. Da brauchen wir weder Peitschenknallen noch Stinkbomben von der Opposition. Wir werden auch diese zweite Reformstufe bis zum Sommer umsetzen. ({10}) In der Erkenntnis, dass Reformbedarf besteht, gibt es Übereinstimmung. Das ist aber ein Minimalkonsens. Schon darüber, wie sich dieser Reformbedarf definiert, gibt es ganz erhebliche Divergenzen, Frau Kipping, zwischen Ihnen, aber auch den Grünen und uns. Die Linke will zum Beispiel die Sanktionen praktisch abschaffen, denen jemand unterworfen ist, der eine angebotene Arbeit nicht annimmt. Wenn Sie das machen, dann machen Sie ein ganz wichtiges Steuerungsmittel gegen ungerechtfertigte Inanspruchnahme des Sozialstaates kaputt. Wir brauchen dieses Steuerungsmittel. Wir müssen fördern und fordern. Das Fördern steht am Anfang. ({11}) Dieses Steuerungsmittel trifft die Minderheit der Ungerechten. Wer eine angebotene Beschäftigung ablehnt, der muss auch gerechten Sanktionen unterworfen sein. ({12}) Wir können keine Ausbeutung zulassen, indem wir knappe Steuermittel, für die die Unternehmer, die Selbstständigen und die Arbeitnehmer arbeiten müssen und für die auch die kommenden Generationen über die Staatsverschuldung einstehen müssen, bedenkenlos ausschütten. ({13}) Da haben wir ein wesentlich anderes Menschen- und Gesellschaftsbild. Wir müssen in dem genannten Optimierungsgesetz im Grunde vier Ziele realisieren: erstens größere Zielgenauigkeit bei den Leistungen, zweitens notwendige Klarstellungen in der Verwaltungspraxis, wo es heute Rechtsunklarheiten gibt, drittens bessere Vorbeugung gegen den Leistungsmissbrauch und viertens Verwaltungsvereinfachung. Das sind die vier Kernziele, um die sich die Reformen, die wir uns vorgenommen haben, ranken müssen. Ich sehe nur zum Teil - ich habe heute meinen höflichen Tag - übereinstimmende Ansätze in den Anträgen der Linken und der Grünen und uns. Der Handlungsbedarf tritt deutlich zutage, zum Beispiel bei den eheähnlichen Gemeinschaften. Wir sind dafür, dass die Partner in einer solchen Verantwortungsgemeinschaft weiter füreinander einstehen. Aber wir wissen doch, welch ein Kontrollaufwand nötig ist und welche Probleme beispielsweise im Zusammenhang mit der Frage erwachsen, ob es sich tatsächlich um eine eheähnliche Gemeinschaft handelt oder nicht. Den Weg, das zu klären, müssen wir vereinfachen. Das wäre ein Aspekt. ({14}) Ähnliches gilt für den Aspekt der Vermögensbeiträge. Die Koalition hat sich vorgenommen, die Schonbeträge für die Alterssicherung anzuheben. Selbst wenn wir im Gegenzug die Freibeträge für das übrige Vermögen senken müssten, wäre es ein sinnvoller Schritt, Altersvermögen in einem machbaren Rahmen als Schonvermögen freizustellen, wobei wir uns allerdings nicht so weit von den Finanzierungsgrundlagen emanzipieren können, wie es die Caritas vorschlägt. Sie fordert einen Betrag ein, den man nicht realisieren kann. Aber der Vorschlag geht in die richtige Richtung. Lassen Sie uns über diesen qualitativen Reformbedarf reden und entsprechend handeln. Dann werden wir unseren Dienst an den Menschen erfüllen. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Heinrich Kolb, FDPFraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zunächst einmal feststellen - ich befinde mich da sicher in Übereinstimmung mit dem Kollegen Brauksiepe -, dass die Idee von Fordern und Fördern, die hinter dem Sozialgesetzbuch II steht, ein absolut richtiger und notwendiger Ansatz ist. ({0}) Aber das SGB II hat, wie wir heute feststellen müssen, noch zahlreiche Konstruktionsfehler. Es sollten ja eine schnellere Vermittlung in Beschäftigung, eine bessere Betreuung von Arbeitslosen und eine deutliche Kostensenkung erreicht werden. Aber keines dieser gesteckten Ziele konnte bisher realisiert werden. ({1}) Das lag nicht daran, dass wir etwa zu wenig Geld in die Hand genommen hätten. Denn im Haushaltsentwurf, über den zurzeit beraten wird, werden in diesem Jahr 30 Milliarden Euro - darunter fallen direkte Transfers, das Wohngeld, der Wohngeldzuschuss des Bundes und die Mittel für die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Ansatz gebracht. Das zeigt, am Geld kann es sicherlich nicht liegen. Wir haben gestern gelesen und auch vom Minister im Ausschuss gehört, dass derzeit eine dramatische Entwicklung zu beobachten ist. Die Wohnungskosten für Empfänger von Arbeitslosengeld II liegen im ersten Quartal 2006 um 25 Prozent über den Kosten im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Die vorläufige Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die ALG II beziehen, stieg im März auf 3,92 Millionen. Das sind 600 000 mehr als im Januar 2005. Wenn sich diese Entwicklung verfestigt, dann wird es erneut ein böses Erwachen mit Blick auf den Haushaltsvollzug geben. Es besteht kein Zweifel: Die handwerkliche Umsetzung von Hartz IV war mangelhaft. Es gab vielfältigen Wildwuchs und auch Mitnahmeeffekte. Ich nenne beispielsweise den rapiden Anstieg der Zahl der Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften. Auch der gleichzeitige deutliche Anstieg der Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren seit Beginn des letzten Jahres ist weder Zufall noch gottgegeben, sondern er entstand aufgrund von Fehlanreizen. Hier hätte schnellstens gegengesteuert werden müssen. Sie sind unserem Vorschlag aber nicht gefolgt, auch jetzt noch im Rahmen der alle sechs Monate stattfindenden Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, ob die Ein-PersonenBedarfsgemeinschaften nach Möglichkeit wieder in die Familie eingegliedert werden können. Frau Kipping, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass von Telefonbefragungen abzusehen sei. Ich will einmal festhalten, dass bei den zwischen Juli und September 2005 stattgefundenen Telefonbefragungen 45 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Empfänger nicht erreicht werden konnten. Teilweise lag das an falschen Telefonnummern. Bei 10 bis 30 Prozent der erfolgreich durchgeführten Telefonate ergab sich ein weiterer Klärungsbedarf. Aber - jetzt kommt es - bei den seit Januar 2006 durchgeführten Telefonbefragungen hat sich bei 4,1 Prozent der Fälle eine Änderung beim Status der Arbeitslosigkeit ergeben, bei den unter 25-Jährigen sogar in 9,8 Prozent der Fälle. Frau Kipping, das zeigt doch, dass die von der FDP geforderte Meldepflicht keine Schikane, sondern ein Instrument gegen massiven Missbrauch ist. ({2}) Ich denke auch, Frau Kipping, das Prinzip des Forderns und Förderns wird von der breiten Mehrheit der Bevölkerung nicht infrage gestellt. Das Gleiche gilt auch für das Solidarprinzip. Wer die solidarische Hilfe der Gemeinschaft in Anspruch nehmen möchte, der muss auch bereit sein, zumutbare Arbeit und Qualifikationsangebote anzunehmen. ({3}) Ich sage sehr deutlich: Der von Ihnen vorgelegte Antrag ist schädlich. Dadurch schaffen Sie keine zusätzlichen Arbeitsplätze, sondern gefährden vorhandene sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. ({4}) Der Antrag geht von falschen Voraussetzungen aus. Arbeitsplätze werden nämlich von Unternehmen geschaffen und nicht aufgrund von Anträgen oder Beschlüssen des Deutschen Bundestages. ({5}) Wenn man damit das Problem der Arbeitslosigkeit lösen könnte, hätte sich dafür sicher schon eine Mehrheit gefunden. Die Politik ist verantwortlich dafür, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Unternehmen ermöglichen, zu investieren und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu schaffen. Nur eine gut funktionierende Wirtschaft sorgt dafür, dass die sozialen Sicherungssysteme überhaupt unterhalten werden können. ({6}) Das haben wir auch bei der Debatte über den vorangegangenen Tagesordnungspunkt sehr deutlich gesagt. Wir wollen - ich sage auch: wir müssen - die Menschen zurück in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringen. Das ist das Ziel jeder Arbeits- und Sozialpolitik. Dazu braucht man eben auch einen funktionierenden Niedriglohnsektor, in dem die Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt gesetzt werden. Ihre Forderung, die Grundsicherung auf 420 Euro zu erhöhen, ist angesichts der Summen, die schon heute für das Arbeitslosengeld II aufgewendet werden, absurd. Ebenso fatal ist auch die Forderung nach Einführung eines Mindestlohns. Ich sage Ihnen noch einmal sehr deutlich: Gesetzliche Mindestlöhne führen zur Verdrängung von Arbeitsplätzen, insbesondere im Bereich der geringer Qualifizierten. ({7}) Man könnte noch viel zu diesem Antrag sagen, der ein ganzes Sammelsurium von Maßnahmen enthält. Schon der darin enthaltene Ansatz ist verkehrt. Dieser Antrag wird in den Beratungen wahrscheinlich nicht in eine vernünftige Form zu bringen sein. Wir werden gleichwohl im Ausschuss über ihn beraten. Aber man muss hier eine Ablehnung am Ende wohl schon in Aussicht stellen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite, ({0}) ich hätte es gut gefunden, wenn die Verfasser des vorliegenden Antrages die Broschüre „Hartz IV - Menschen in Arbeit bringen“ nicht nur erwähnt, sondern sie auch gelesen hätten. ({1}) Wer Ihren Antrag nämlich liest - ich habe ihn gelesen und ihn mit vielen Anmerkungen versehen; ich finde, man sollte ihn sich wirklich aufheben -, stellt fest, dass er an vielen Stellen fachlich falsch und schlecht ist. ({2}) Er unterschlägt an einer ganzen Reihe von Stellen gesetzliche Regelungen. Er ist nach einem „Wünsch-dirwas-Populismus“ gestrickt. Wenn ich ihn aus finanzpolitischer Perspektive betrachte, komme ich zu dem Ergebnis: Er ist verheerend. ({3}) - Ich kann Ihnen das gerne beweisen. Ich sage Ihnen: Wenn man die Leistungsverbesserungen, die Sie vorschlagen, also Verbesserungen beim Kindergeld und Ähnliches, zusammenzählt, kommt man überschlägig auf eine Summe von 35 Milliarden Euro. Wer sagt, das sei bei der gegenwärtigen Haushaltslage einigermaßen seriös - Sie haben gestern den Haushalt beraten -, ({4}) blendet die Leute. Sie können zwar ab und zu Ihren Weltökonomen Lafontaine von der Kette lassen; der erklärt dann, wie man das alles macht. Aber wie man Arbeit schafft - verehrte Frau Kipping, Sie haben ja gesagt, es werde keine Arbeit geschaffen -, steht nicht in Ihrem Antrag. ({5}) Die Erfahrung, die wir über viele Jahre gemacht haben, ist: Wir haben den Leuten zu viel Geld gezahlt und sie zu wenig gefordert. Die Erfahrung, die wir mit der Sozialhilfe gemacht haben, war: Wir haben den Leuten die Sozialhilfe gezahlt und sie aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt. ({6}) In einem Konzept eines aktivierenden Sozialstaates muss man sich Gedanken darüber machen, wie die Balance von Transferleistungen, Arbeitsanreizen, Anstrengungen, Menschen in Arbeit zu bringen und sie bei der Arbeitssuche zu unterstützen, vernünftig geregelt werden kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Andres, erlauben Sie eine Zwischenfrage der

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Gerne, Herr Präsident.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Frau Kipping.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Andres, da Sie so großen Wert auf das Prinzip des Förderns legen, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht zumindest einen Aspekt unseres Antrages bestätigen können. Es handelt sich um Folgendes: Das Problem ist, dass Personen, die erwerbslos werden, aber keinen Anspruch auf eine geldliche Leistung haben, weil ihr Partner zu viel Geld verdient, in der Praxis leider keinerlei Arbeitsförderung mehr nach SGB III erfahren. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Dienstaufsicht wahrzunehmen und dafür Sorge zu tragen, dass auch Personen, die erst einmal keine Kosten verursachen, in den Genuss von Arbeitsförderungsmaßnahmen kommen. Ist das nicht ein Punkt, zu dem Sie sagen müssten: „Ja, das hätten wir als Bundesregierung längst tun müssen. Danke, dass Sie uns darauf hingewiesen haben!“? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Kipping, darf ich Ihnen in aller Freundlichkeit etwas sagen? Sie werden es nicht glauben: Die Bundesregierung teilt Ihre Position und hat sie, lange bevor Sie sie formuliert haben, eingenommen. ({0}) Es geht im SGB II darum, festzustellen, ob jemand bedürftig ist. Es geht darum, ihn so schnell wie möglich aus dem Bedarf herauszubringen. In dem von Ihnen geschilderten Fall, wenn also jemand Arbeit hatte, dann arbeitslos wird und er aufgrund des Partnereinkommens oder deswegen, weil die Bedarfsgemeinschaft gut ausgestattet ist, keine Leistung bekommt, hat er dennoch ein Anrecht darauf, beraten zu werden, bei der Arbeitssuche unterstützt zu werden und bestimmte Maßnahmen durchzuführen. Das steht sogar im Gesetz, verehrte Frau Kipping. Wir brauchen nicht Sie dazu, um das festzustellen. ({1}) - Vielleicht könnten Sie sich ein bisschen später noch einmal melden. Ich gestehe Ihnen gerne eine oder fünf Zwischenfragen zu; denn es macht Spaß, sich auszutauschen und zu diskutieren. Um in meiner Rede fortzufahren: Ich möchte nicht missverstanden werden: Da, wo es um inhaltliche Kritik und um Verbesserungen geht, ist diese Kritik nicht nur berechtigt, sondern sogar erwünscht. ({2}) Dass wir Defizite bei der Umsetzung des Systems und dabei haben, Menschen in Arbeit zu bringen, muss uns keiner sagen. Da müssen wir viel besser werden; das ist eine völlig klare Sache. Sie müssen mir aber einmal erklären, wie man, indem man überall die Leistungen verbessert, die Menschen unterstützen will, wieder erwerbstätig sein zu wollen. Wenn man sich Ihren Antrag ansieht, muss man Ihnen folgenden Vorwurf machen: Sie blenden völlig aus - das ist eine schiefe Darstellung, die Sie gerne gewählt haben -, dass die Transferleistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Jahr 2005 höher war, als sie es nach altem Recht gewesen wäre. Dieses Kunststück müssen Sie mir einmal erklären: Der Staat wendet sehr viel mehr Mittel auf und Sie sagen, alles sei viel schlechter geworden. Wenn das frühere Hilfesystem fortgeführt worden wäre, würde es heute vielen Menschen schlechter gehen. ({3}) Zu Ihrem konkreten Beispiel bezogen auf die Krankenversicherung: Die Menschen, die nach altem Recht im Sozialhilfesystem waren, waren nicht in die Rentenversicherung einbezogen. Manche waren nur über die Familienversicherung mit krankenversichert oder über die Krankenhilfe nach dem SGB. Was haben wir gemacht? Mit dem neuen System haben wir die betroffenen Menschen in die sozialen Sicherungssysteme einbezogen. Sie gehen übrigens auch darüber hinweg, dass wir Anfang dieses Jahres die Regelleistung für Arbeitslose im Osten auf 345 Euro angehoben haben. Das interessiert Sie anscheinend nicht mehr. Sie ignorieren auch, dass wir die Freibeträge für Erwerbseinkommen erst vor einem guten halben Jahr erhöht haben. Sie schieben völlig beiseite, dass es großzügige Freibetragsregelungen gibt - ich könnte Ihnen das alles vorrechnen -, einschließlich Hauseigentum, Wohneigentum und einem Pkw für jeden Betroffenen. Es gibt viele Modellfälle; Sie können sie gerne nachrechnen. Ich habe ein weiteres Problem, Frau Kipping. Es ist richtig, zu sagen: Wir wollen die Menschen fördern, aber wir müssen sie auch fordern. - Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, die Menschen auch zu fordern. Bei der Zahlung von Transferleistungen gibt es aber immer ein Problem. Dies wird deutlich, wenn man denjenigen, der sich im Transferleistungssystem befindet, mit dem vergleicht, der arbeiten geht. Es geht um das Lohnabstandsgebot. Wir haben zum 1. Oktober des vergangenen Jahres die Zuverdienstmöglichkeiten bei Minijobs verbessert. Wer also einen Minijob hat, darf höhere Beträge behalten. Das hat gemäß unserem System die verrückte Folge, dass in Deutschland angeblich die Armut steigt. Ich kann Ihnen das erklären: Wenn Sie die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern, weiten Sie gleichzeitig den Kreis der Personen aus, die in das Leistungssystem fallen. ({4}) Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen: Ein verheirateter Arbeitslosengeld-II-Bezieher mit zwei Kindern im Alter von acht und zwölf Jahren bekommt für die monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zusätzlich 542 Euro. Nebenbei hat er einen Minijob für 400 Euro; davon darf er - das habe ich vorhin erläutert - 160 Euro anrechnungsfrei behalten. Diese Familie kommt auf ein durchschnittliches Einkommen von 1 737 Euro. Wenn er einen Midijob hätte, also zwischen 400 und 800 Euro hinzuverdienen würde, betrüge das Familieneinkommen sogar 1 817 Euro. ({5}) - Netto. - Im Vergleich dazu erhält ein gering qualifizierter verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern im Alter von acht und zwölf Jahren, der als Hilfsarbeiter im produzierenden Gewerbe arbeitet, einschließlich Kindergeld und Wohngeld durchschnittlich 2 108 Euro. Er hat damit durchschnittlich nur etwa 290 Euro mehr zur Verfügung als ein verheirateter Arbeitslosengeld-II-Bezieher mit Midijob. Bei einer Erhöhung der Regelleistung, wie von Ihnen vorgeschlagen, auf 420 Euro, würden uns die Wohlfahrtsverbände, die Sie eben benannt haben, schreiben, dass die Zahl der Bedürftigen und Armen noch weiter gestiegen ist. Ich weiß auch gar nicht, warum Sie sich da zurückhalten. Warum fordern Sie nicht gleich 450 oder 500 Euro? Ihr ganzer Antrag verfolgt diese Philosophie. Das Spannende daran ist, dass, wenn man dies umsetzen würde, die Zahl der Bedürftigen und Armen in unserem Land immer weiter steigt. Sie müssen also umgekehrt erklären, warum der Arbeitnehmer für rund 200 Euro mehr noch arbeiten gehen soll. ({6}) Es gibt doch praktische Beispiele dafür. Die Menschen, die diese Leistungen mit ihren Steuern finanzieren, stellen doch die Frage, warum sie eigentlich arbeiten gehen, wenn jemand auf dem Flur gegenüber ALG II bekommt und durch die Familienförderung faktisch das Gleiche herausbekommt. Das müssen Sie diesen Menschen einmal erklären. Wenn Sie das machen, haben Sie das zusätzliche Problem, ein Problem, mit dem wir uns gerade herumschlagen: Je höher die Leistungen sind, die Sie gewähren, umso mehr Menschen haben Anspruch auf diese Leistungen. Das heißt, der Hilfsarbeiter, den ich gerade genannt habe, erhält dann auch noch ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Denn wenn das unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine Bedarfsgemeinschaft handelt, berechnet wird, kann sich möglicherweise ein Anspruch auf ergänzende Leistungen ergeben. Ich komme jetzt zu einer weiteren Position, Frau Kipping. Ich sage ganz offen: Darüber werden wir uns streiten; Sie werden auch keine Chance haben, das hier mehrheitlich durchzusetzen. Das ist das Beruhigende dabei. Sie sagen, man müsse das alles jetzt repressionsfrei ausgestalten. ({7}) Ja, mein Gott! Sie wollen ferner die Bedarfsgemeinschaften auflösen und es soll einen individuellen Anspruch geben. Das ist ja ganz wunderbar, wenn man sich das anschaut. Ich halte das alles für Ammenmärchen. Es ist gnadenloser Populismus, den Sie hier abziehen. Das Gleiche gilt für die praktischen Beispiele, die Sie bringen. Auch das ist gnadenloser Populismus. ({8}) Dass es Unsinn ist, jemanden bei gefrorenem Boden Unkraut jäten zu lassen, müssen Sie im Bundestag nicht erzählen. ({9}) Wenn Sie mir diesen Fall geben, dann wird das ganz schnell - ruck, zuck! - abgestellt. Das sage ich Ihnen. ({10}) Dass Sie aber solche Einzelfälle anführen, um den Unsinn zu begründen, den Sie in Ihrem Antrag zusammengeschrieben haben, das müssen Sie uns, glaube ich, nicht antun. Ich bitte um Entschuldigung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich habe nur noch ganz wenig Redezeit und bin bis jetzt nicht dazu gekommen, mich mit dem Antrag der Grünen näher auseinander zu setzen. Es gibt ja auch Menschen, mit denen wir über viele Jahre zusammengearbeitet haben. Dieser Antrag hebt sich in seiner Qualität wohltuend von dem Antrag der Linken ab. ({11}) Darin sind eine Reihe von Vorschlägen enthalten, die ich sehr spannend finde, insbesondere wenn es um die Betreuung geht. Es gibt aber auch Positionen, zu denen die Bundesregierung sagt: Da werden wir Ihnen nicht folgen. - Das wundert niemanden. Wir sind gegenwärtig in einem Prozess, das SGB II weiter zu optimieren. Das werden wir in den nächsten Wochen tun. Bei einer solch großen Reform ist es unvermeidlich, dass man nachsteuert. Ich sage noch einmal ganz in Ruhe und voller Stolz - das sage ich; ich war daran nämlich beteiligt -: Die steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe und die steuerfinanzierte Sozialhilfe zu einem neuen System zusammenzufassen, dem die Vorstellung des aktivierenden Sozialstaats zugrunde liegt, ist des Schweißes aller Edlen wert gewesen. Es ist ein großes Verdienst, dass wir das, mit Ausnahme der FDP und des ganz linken Flügels, durchsetzen konnten, hier und im Bundesrat. ({12}) Dass die Liberalen und die Vertreter des ganz linken Flügels hier gefehlt haben, macht mich nicht traurig. Denn es gibt eine breite Mehrheit hier im Parlament, die eine solche Entwicklung für richtig und notwendig hält. Wir machen bei diesem Prozess weiter. Wir werden einzelne Punkte optimieren und es weiter vorantreiben. Ich glaube, dass wir, auch im europäischen Vergleich, den richtigen Weg eingeschlagen haben. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Katja Kipping das Wort. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Andres, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie noch einmal auf das Problem der Working Poor, also der Menschen, die wirklich von früh bis spät arbeiten und trotzdem in Armut leben, hingewiesen haben. Für mich ist das allerdings kein Argument dafür, die Sozialleistungen zu kürzen; vielmehr ist es eher ein Argument, das uns in unserer Absicht bekräftigen sollte, endlich einen gesetzlich garantierten Mindestlohn einzuführen. ({0}) In einem Punkt gebe ich Ihnen Recht: Die Berechnung der Armut, wenn sie allein prozentual und relativ erfolgt, kann zu gewissen statistischen Effekten führen, die nicht unproblematisch sind. Nun ist aber die Art und Weise, wie Armut berechnet wird, nicht von der Linkspartei erfunden worden; vielmehr ist sie von der Wissenschaft, von der EU-Kommission und auch von der OECD so festgelegt worden. ({1}) Ich finde, wir sollten die Probleme, die Sie zu Recht genannt haben, zum Anlass nehmen, uns darüber zu verständigen, inwieweit man sich bei der Berechnung des Regelsatzes allein auf die relativen, prozentualen Zahlen stützen sollte oder ob man nicht lieber einen Warenkorb, in dem das Mindeste von dem enthalten sein müsste, was Menschen brauchen, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, als Grundlage der Berechnung nimmt. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Andres, zur Erwiderung.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Kipping, herzlichen Dank. - Ich will Ihnen nur sagen: Über Armut reden wir im Rahmen einer anderen Debatte. Ich glaube nämlich, dass wir das System, wie wir es im SGB II vorgesehen haben, vorzeigen können. Dieses System ist bedarfsgerecht; es unterstellt, dass Bedürftigkeit vorliegt und dass es ein solidarisches Einstehen füreinander in der Bedarfsgemeinschaft gibt. All das sind Prinzipien - Sie beschreiben sie in Ihrem Antrag -, an denen wir festhalten. Der gesetzliche Mindestlohn ist ein anderes Problem. Spannend sind nicht die Fragen ob oder ob nicht und wie man das konstruiert; spannend ist doch die Frage der Höhe. Die Umsetzung Ihres wunderbaren Vorschlags von der Pfändungsfreigrenze würde bedeuten, dass ich den ganzen Leistungsapparat des SGB II auf diese Höhe schrauben müsste. Ob die Pfändungsfreigrenze vernünftig ist, lasse ich völlig außen vor. Sie merken, ich habe sehr viel Spaß an einer fachlichen, sachlichen und vernünftigen Debatte. Das ist überhaupt kein Problem; die können wir gerne führen. Sie muss aber fachlich und sachlich fundiert sein. - Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Man kann nicht einfach Äpfel mit Birnen vergleichen. Beim gesetzlichen Mindestlohn und der Leistungshöhe nach dem SGB II muss ich immer beachten, dass es einen Anreiz geben muss, aus dem System heraus in Arbeit zu gehen. In diesem Land haben wir unglaublich viel Arbeit, die gegenwärtig nicht gemacht wird. Eine Aufgabe dieses Hauses, des Gesetzgebers, ist es, dafür zu sorgen, dass die in Deutschland vorhandene Arbeit, die zurzeit nicht von legal in Deutschland lebenden Menschen gemacht wird, in Zukunft von diesen erledigt wird. Auch das ist ein Problem, dem wir uns stellen müssen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht hilft es der Debatte, wenn wir uns in Erinnerung rufen, was das eigentliche Ziel der Arbeitsmarktreform in der letzten Legislaturperiode war - Herr Andres hat das zum Teil angerissen -: Ziel war es, ein Transfersystem, das die Lebensstandardsicherung in den Mittelpunkt stellt, abzuschaffen, weil es diesen Anspruch bei wachsender Massenarbeitslosigkeit nicht mehr erfüllen konnte, die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt aber trotzdem nur am Rande als Aufgabe begriff. Dieses Transfersystem sollte abgeschafft werden, weil es die Langzeitarbeitslosigkeit zementiert hat. Es ging darum, die Chancen von Langzeitarbeitslosen, Zugang in den ersten Arbeitsmarkt durch umfangreiche Betreuung, passgenaue Hilfsangebote und eine effektive Vermittlung zu finden, zu verbessern. ({0}) Das war und ist ein richtiges Ziel, das auch in dieser Legislaturperiode verfolgt werden sollte. Die Umsetzung ist in vielerlei Hinsicht mangelhaft. Das will ich gar nicht bestreiten. ({1}) Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit dem Ziel der Schaffung einer Grundsicherung war aber ein erster, richtiger Schritt. Wir haben die entmündigende Sozialhilfe abgeschafft und den entwürdigenden Verschiebebahnhof zwischen Sozial- und Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Frau Kipping, es muss noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass die Sozialhilfeträger in der Vergangenheit Langzeitarbeitslose in großem Umfang in irgendwelche Maßnahmen geschleust haben, um sie bei der Bundesanstalt für Arbeit abzugeben. Das war teuer und für die Betroffenen verdammt schlecht und entwürdigend. ({2}) Sozialhilfeempfänger haben jetzt erstmals einen Zugang zu den Instrumenten der Bundesanstalt für Arbeit und damit einen Zugang zur Vermittlung in Arbeit und Ausbildung. ({3}) Wenn man Sie so hört, vor allem, wenn man Ihren Antrag liest, könnte man den Eindruck gewinnen, das alles sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ihr Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine hat im Wahlkampf sogar von „Schandgesetzen“ geredet. Ich finde das in jeder Hinsicht instinktlos. ({4}) Sie rufen „Hartz IV muss weg! Hartz IV muss überwunden werden!“. Die Frage ist, was dabei herauskommen soll. Wohin wollen Sie eigentlich? Vorwärts in die Vergangenheit? Den Eindruck habe ich, wenn ich Ihren Antrag lese. Sie versprechen den Menschen eine Erhöhung der Transferleistungen in einer Größenordnung - das entspricht auch unseren Berechnungen - von ungefähr 35 Milliarden Euro. Sie machen falsche Versprechungen und versuchen damit, ihnen den Verzicht auf einen Arbeitsplatz schmackhaft zu machen. Das ist die falsche Politik. Sie haben im Wahlkampf Plakate geklebt, auf denen stand: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ - Frau Kipping, ich sage Ihnen mit Blick auf die Forderungen, die Sie hier heute erheben: Nichts ist hilfloser als eine Idee, die nicht mehr in die Zeit passt, weil sie keiner bezahlen kann, aber vor allen Dingen auch, weil sie an den Problemen vorbeigeht. ({5}) Sie spielen, wie ich finde, immer gern ein bisschen Klassenkampf. Offen gestanden: Es ist höchste Zeit, dass Sie Ihre politischen Ideale einmal mit den gesellschaftlichen Realitäten im Jahr 2006 abgleichen. Die Gesellschaft ist heute ein bisschen komplexer, als Karl Marx sie noch beschrieben hat. Die „taz“ hat das im letzten Jahr sehr anschaulich dargestellt. Die Frage war nämlich: Wer ist denn heute das Kapital? Dies wurde am Beispiel Daimler-Chrysler verdeutlicht: 6,9 Prozent gehören der Deutschen Bank, 7,2 Prozent dem Emirat Kuwait und der Rest ist Streubesitz. 25 Prozent davon werden von Privatinvestoren gehalten und 60,9 Prozent von institutionellen Investoren. Frau Kipping, wer ist da jetzt der Boss? Dann noch einmal von der anderen Seite gefragt: Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger? Die Bürger in einem entwickelten Kapitalismus befinden sich in einem vielfältigen Rollenkonflikt. Als Kunden profitieren sie von dem gnadenlosen Wettbewerb. Als Anleger freuen sie sich über Kurssprünge und hohe Dividenden. Doch als Angestellte sind sie Opfer dieser Verhaltensmuster, denen sie selbst unterliegen. Das bedeutet stagnierende Löhne und kann auch bedeuten, dass ihre Jobs bedroht sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schon die SPD-Kollegen haben von mir, als ich noch in dem Verein war, folgende Frage gehört. Auch Ihnen stelle ich jetzt diese Frage, weil Sie die Deutsche Bank als an Daimler-Chrysler Beteiligte erwähnt und gesagt haben, dass unsere Politik nicht mehr in die Zeit passt, da sie nicht finanzierbar sei: Wie erklären Sie dann, dass - auch unter der Ägide von Rot-Grün - die Deutsche Bank 16 Jahre lang keine Großbetriebsprüfung hatte und keinen Cent Körperschaftsteuer gezahlt hat? Wären diese beiden Instrumente nicht eine Möglichkeit - übrigens auch mit einem ähnlichen Ergebnis für DaimlerChrysler -, um sehr viel für die Finanzierung unseres Sozialstaates zu tun? ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Steuerpolitik unter Rot-Grün habe ich nicht in jedem Punkt für richtig gehalten. Das haben wir im Übrigen immer sehr deutlich formuliert. Aber Ihre einfachen Muster, die sich in Ihren Anträgen widerspiegeln, werden der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht. Das sind ranzige Weisheiten, mit denen Sie hier immer wieder auftauchen. Sie machen es sich verdammt noch mal zu einfach!

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Hendricks? ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, sind Sie bereit, den Herrn Kollegen Dehm darauf hinzuweisen, dass nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Bedingungen Konzerne nahtlos im Anschluss, also etwa alle vier Jahre, für die vergangenen vier Jahre geprüft werden und dass dazu selbstverständlich auch ein Bankkonzern gehört?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, das hat der Kollege Dehm jetzt gehört, als Sie es uns allen hier noch einmal deutlich dargestellt haben. ({0}) Wissen Sie, was ich für das eigentliche Problem halte? Das eigentliche Problem ist, finde ich, dass Sie es mit Ihrer Politik dieser Regierung so einfach machen, weil Sie Ihre Forderungen nicht belegen, weil sie nicht finanzierbar sind und weil sie deswegen so einfach vom Tisch zu wischen sind. Dabei braucht diese große Koalition eine Opposition, die ihr Feuer unter dem Hintern macht. ({1}) Denn diese Koalition ist dabei, auf ihre ganz eigene Art Hartz IV zu überwinden. Meine Damen und Herren von Union und SPD, ich darf Ihnen vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen: Das Motto von Hartz IV war „Fordern und Fördern“. ({2}) Es scheint aber so, dass Sie das Prinzip des Förderns nicht mehr so richtig in Erinnerung haben. ({3}) Seit Ihrem Amtsantritt wollen die Zumutungen, mit denen Sie die Hartz-IV-Empfänger überziehen, kein Ende nehmen. Mir scheint, Sie folgen nach einer Druckkesseltheorie der Vorstellung: Je mehr Forderungen an die Arbeitslosen gestellt werden und je höher der Leidensdruck ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen in Arbeit kommen. Ich sage Ihnen: Das trägt nicht gerade zur Motivation bei, einen Arbeitsplatz anzunehmen. Das provoziert vielmehr die Abkehr der Betroffenen von der Gesellschaft. Mit Ihren elendigen und durch keine Zahlen belegten Missbrauchsdebatten schüren Sie, wie ich finde, zunehmend ein Klima des Misstrauens und der Stigmatisierung. Dies tun Sie nur, um Rückenwind für die Durchführung von Leistungskürzungen, die Sie schon angedeutet haben, zu bekommen. Das ist wirklich ein schäbiges Vorgehen. ({4}) Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, einen eigenen Antrag zur Weiterentwicklung von Hartz IV einzubringen. Aus unserer Sicht enthielt der Hartz-IVKompromiss, der ja im Wesentlichen ein großkoalitionärer war, von Anfang an erhebliche Zumutungen. Aber ich sage deutlich: Wir haben diese Zumutungen mitgetragen, weil wir der Auffassung waren und im Übrigen nach wie vor sind, dass Leistungszahlungen mit dem Ziel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt verbunden sein müssen. Allerdings sind wir auch der Meinung, dass sowohl bei den Regelungen zu unterschiedlichen Personengruppen als auch auf einzelnen Feldern der Arbeitsmarktpolitik nachjustiert werden muss. Ich will nur einige Punkte unseres Antrags nennen: Es geht auch uns um eine Entkopplung des Hilfebezugs vom Partnereinkommen; hier muss im Interesse der Frauen eine bessere Regelung gefunden werden. Wir halten es vor dem Hintergrund der Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung für dringend notwendig, das Altersvorsorgevermögen besser zu schützen. Wir wollen vor allen Dingen die Integration in den ersten Arbeitsmarkt verbessern, indem wir Langzeitarbeitslosen ermöglichen, ihre gesamten Transferleistungen in ein Beschäftigungsverhältnis einzubringen. Wir wollen also Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Und wir wollen, dass mindestens geduldeten Ausländerinnen und Ausländern endlich Zugang zu Eingliederungsleistungen eingeräumt wird. Meine Damen und Herren, Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze. Das haben zumindest wir Grüne auch nie behauptet. Hartz IV konzentriert sich auf die bessere Vermittlung und Integration von Arbeitslosen. Dass dies in einer Situation, in der es massenhaft an Arbeitsplätzen fehlt, nur begrenzt eine Hilfe ist, gebe ich gerne zu. Aber es wird nicht leichter, wenn Sie zu alten Konzepten zurückkehren, die sich bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit seit Jahrzehnten als untauglich erwiesen haben. ({5}) Lenin soll ja immer als erste und entscheidende Frage formuliert haben: „Wem nützt das?“ Ich sage Ihnen: Ihr Antrag nützt weder den Arbeitslosen noch der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der Linken ist im Wesentlichen nichts anderes als eine Zusammenstellung von Positionen, die im Parlament auch in der Vergangenheit keine Mehrheit gefunden haben - und das aus gutem Grund. Sie wollen das Arbeitslosengeld II und viele andere Leistungen, zum Beispiel das Sozialgeld, anheben. Doch dazu, wie Sie das finanzieren wollen, äußern Sie sich in Ihrem Antrag mit keinem Wort; die Größenordnung, um die es dabei geht, hat Herr Andres vorhin erwähnt. Geld auszugeben, ist einfach. Es zu erwirtschaften und es dann gerecht zu verteilen, ist allerdings schwer. Ich sage Ihnen: Ihre Position ist populistisch und unredlich. ({0}) Der Druck auf dem Arbeitsmarkt, den Sie gleich zu Beginn in Ihrem Antrag beschreiben, ist keine Folge der Einführung der Grundsicherung, sondern unter anderem eine Konsequenz der gesamtkonjunkturellen Entwicklung. Wir wären international nicht so wettbewerbsfähig, wie wir es sind, hätten wir nicht hoch qualifizierte Ingenieure, Meister und Facharbeiter. Allerdings - das ist richtig -: Menschen ohne berufliche Qualifikation haben es schwer. Einen Qualifikationsdruck nach unten, wie Sie ihn beschreiben, kann ich nicht erkennen. In Ihrem neun Seiten umfassenden Antrag gehen Sie mit keinem einzigen Wort auf das Fordern und Fördern der Menschen ein. Sie zeigen auch keinen Weg auf, wie Sie Bezieher von Leistungen nach dem SGB II in Beschäftigung bringen wollen. ({1}) Das ist aber der Kern des SGB II. ({2}) Sie behaupten in der Präambel Ihres Antrags, dass das Arbeitslosengeld II keine soziale Grundsicherung sei. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch: Das Arbeitslosengeld II ist eine soziale Grundsicherung, allerdings ist es keine Hängematte, sondern ein gespanntes Netz. Mit dem Optimierungsgesetz wollen wir dieses Netz überprüfen und weiter straffen, damit es seinen Zweck als Grundsicherung erfüllen kann. ({3}) Mit dem Prinzip des Forderns und Förderns sind wir auf dem richtigen Weg. Dieses Grundprinzip des SGB II trägt dazu bei, dass Menschen ohne Arbeit gefordert werden, ihren Lebensunterhalt möglichst rasch wieder aus eigener Kraft zu bestreiten. Schließlich wollen wir Menschen in Arbeit bringen und sie somit aus dem Bezug staatlicher Leistungen herausholen. Von diesem Ziel steht nichts in Ihrem Antrag; Sie machen dazu keinen einzigen Vorschlag. Sie wollen die Menschen im Bezug von Transferleistungen nach dem SGB II belassen, ja Sie bestärken sie noch, indem Sie noch mehr Geld draufpacken wollen. Das entspricht übrigens Ihrem Staatsverständnis, demzufolge der Staat für alles und jedermann verantwortlich ist. Das aber führt zu Abhängigkeit und Unfreiheit und letztendlich dahin, dass der Staat finanziell an seine Grenzen stößt - was wir überdeutlich erleben. ({4}) Wohlgemerkt - damit ich nicht missverstanden werde -: Wir brauchen einen starken Staat, der die Schwachen schützt. Aber wir brauchen keinen Staat, der die Menschen entmündigt. Zur Freiheit gehört natürlich der Schutz, aber auch die Verantwortung eines jeden Einzelnen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping? ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Kipping.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da hier wiederholt behauptet wird, wir würden uns in unserem Antrag überhaupt nicht mit dem Bereich Arbeitsmarktpolitik auseinander setzen, möchte ich Sie einfach fragen, ob Sie unseren Antrag überhaupt bis zur Seite 5 gelesen haben. ({0}) Dann müsste Ihnen aufgefallen sein, dass wir einen Punkt 5 in unserem Antrag haben, der da heißt: Die Arbeitsförderung ist durch zukunftsweisende Lösungen zu verändern. Dazu fordern wir die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors und wir machen ganz konkrete Vorschläge, wie man 1-Euro-Jobs in reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umwandeln kann, und wir schlagen weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vor. ({1})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich habe nicht nur Ihre ersten fünf Seiten gelesen, sondern alle neun. Ähnliche Allgemeinplätze, wie Sie sie eben benannt haben, durchziehen den gesamten Antrag. ({0}) - Wollen Sie zuhören? - Sie wissen ganz genau, dass zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor und die Umwandlung von 1-Euro-Jobs - auch dies sind Jobs, die im öffentlichen Sektor angesiedelt sind - angesichts der Gesamtsituation, in der wir uns befinden, keine Lösung unserer Arbeitsplatzprobleme sind. ({1}) Wenn jemand eine vom steuerzahlenden Bürger - ich halte das für einen wichtigen Punkt - finanzierte Grundsicherung erhält, dann kann man von ihm verlangen, dass er eine Gegenleistung erbringt und sich anstrengt; das hat etwas mit Freiheit und Würde zu tun. Das steht im Unterschied zu Ihrem Verständnis: Sie lehnen diese Anforderungen an die Hilfebedürftigen ab. Sie schreiben: Niemand soll zur Ausübung einer Beschäftigung gezwungen werden, die für ihn kein existenzsicherndes Einkommen schafft … Diese Position halte ich rundweg für unsozial: Denn Sie missachten die Krankenschwester, den Polizisten, die Friseuse, den Landwirt, alle, die einer Erwerbsarbeit nachgehen und Steuern aufbringen, um nach Ihrer Definition dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger die Freiheit zu geben, darüber zu entscheiden, ob er arbeiten will oder nicht. ({2}) Mit Ihrem Staatsverständnis dienen Sie nicht dem Menschen. „Sozial“ kann nicht daran gemessen werden, wie hoch die Transferleistungen sind. ({3}) Für uns ist sozial - das sage ich sehr deutlich -, wenn der Einzelne mit all seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten mit seiner eigenen Hände und seines eigenen Kopfes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdienen kann. Wenn das nicht ausreicht, dann hat er ein Anrecht auf Unterstützung. Ich sage das so deutlich: Personalität, Subsidiarität und Solidarität sind aus unserer Sicht die entscheidenden Grundlagen unserer Verfassung: Jeder leistet seinen Teil. Sie sagen, dass niemand einen 1-Euro-Job - sie sind übrigens durchaus begehrt -, der bis zu 160 Euro im Monat zusätzlich bringt, annehmen müsse. Dies entspricht nicht der notwendigen Mitwirkung und auch nicht der Stärkung der Eigeninitiative und der Selbstverantwortung. Nichtsdestotrotz habe ich in dem Antrag der Linken auch etwas Sinnvolles entdeckt. ({4}) - Ja. - So heißt es in Ihrem Text: „Die Freibeträge für Altersvorsorge sind … anzuheben“. - Das ist eine prima Idee. Das haben wir auch schon im Koalitionsvertrag so festgehalten und das werden wir auch umsetzen. Sie können sich dem dann ja anschließen. ({5}) Meine Damen und Herren, wir wollen das SGB II optimieren, das heißt: weniger Verwaltung, gezielter Einsatz der Mittel und eine Verbesserung der Eingliederung. Ich gestehe zu: Hier kann noch mehr geschehen. Davon steht in Ihrem Papier aber noch nichts. Ich glaube übrigens auch, dass wir darüber reden müssen, wie wir präventiv gerade auch den Jugendlichen in Bedarfsgemeinschaften, die einer Familie angehören, die sich in der dritten Generation im Sozialhilfebezug befindet, helfen können, aus dieser Situation auszubrechen und neue Wege zu finden. Ich halte das für eine wichtige neue Herausforderung, vor der wir stehen. ({6}) Dafür müssen im SGB II aber die notwendigen Anreize für Arbeitslose geschaffen werden, eine reguläre Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt anzustreben. Arbeit muss sich lohnen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat festgestellt: Kritische Lohnabstände, die eine Vollzeitbeschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt unattraktiv erscheinen lassen, bestehen insbesondere bei ALG-IIBeziehern, die eine geringe Qualifikation aufweisen, Kinder haben und deren Partner nicht erwerbstätig sind. Verstärkt werden diese Anreizprobleme, wenn ein potenzieller Arbeitsplatz im Dienstleistungssektor … liegt. Momentan erzielen 34 Prozent der Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern einen monatlichen Bruttolohn von unter 1 600 Euro. Sie zahlen Steuern und finanzieren so einen Mehrpersonenhaushalt, der sich im Leistungsbezug des SGB II befindet und gegebenenfalls Anspruch auf passive Leistungen in Höhe von 1 600 Euro bis 2 000 Euro hat. Dass hier ein eigener Anreiz zum Arbeiten fehlt, ist wohl klar. Ich verkenne allerdings auch nicht, dass es Regionen in Deutschland gibt, in denen die wirtschaftliche Situation insgesamt durchaus problematisch ist und wo sich dies auch auf die Arbeitsplätze auswirkt. Wir müssen auch der Frage nachgehen - das ist ein wichtiges Anliegen -, was wir mit den Menschen tun, die aufgrund ihrer persönlichen Voraussetzungen nicht weiter qualifizierbar sind. Auch sie sollen ihren Beitrag leisten können. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass auch die Menschen, die nicht mehr weiter qualifizierbar sind oder leichte Behinderungen haben, für sich selbst sorgen können. Das ist nicht nur eine staatliche Aufgabe, hier sind auch die Wirtschaft und die Tarifpartner gefordert. Genau an dieser Stelle wird die Diskussion um den wie auch immer zu gestaltenden Kombilohn einsetzen. Meine Damen und Herren, mit dem Antrag der Linken, der nun vor uns liegt, wollen sich die Linken mal wieder als Schutzpatrone der ALG-II-Empfänger präsentieren und sie streuen den Menschen doch nichts anderes als Sand in die Augen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich bin jetzt gleich fertig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zwischenfrage.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nicht die Grundsicherung macht arm, sondern die Arbeitslosigkeit. Wer die Menschen in ihrer Situation belässt und sie nicht fordert, der entmutigt sie. Wir brauchen aber Mut und keinen Sozialneid. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile jetzt dem Kollegen Jörg Rohde von der FDP-Fraktion das Wort und nutze die Gelegenheit, Ihnen, Herr Rohde, im Namen des Hauses zu Ihrem heutigen 40. Geburtstag zu gratulieren. ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 15 Monate nach In-Kraft-Treten von Hartz IV stehen wir heute in diesem Hause vor dem Scherbenhaufen rot-grüner Arbeitsmarktpolitik. Die Hartz-Gesetze, die vor einigen Jahren wortreich als moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ins Rennen geschickt wurden, haben sich als Totalausfall erwiesen: Sie haben keine Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitslosigkeit nicht gesenkt und bis heute auch nicht zu einer besseren Qualifizierung Arbeitsuchender geführt. 5 Millionen Arbeitslose warten nicht auf Hartz-Reformen, sondern auf Arbeitsplätze und den Wirtschaftsaufschwung - bisher leider vergeblich. ({0}) Nach wie vor bestehen doppelte Strukturen für die Verwaltung von Arbeitslosen. Das daraus folgende Kompetenzwirrwarr, die Zeitverzögerung durch nicht abgestimmte Software und die mangelnde Transparenz beim Datenaustausch haben die Situation der Arbeitslosen keinesfalls verbessert. Zusätzlich prallen hier zwei völlig unterschiedliche Verwaltungskulturen aufeinander. Anstatt aber deshalb heute Vorschläge vorzulegen, wie die Konstruktionsfehler der Hartz-Gesetze zu korrigieren sind, richtet sich die Linke in der Arbeitslosigkeit ein und will aus Hartz IV eine soziale Vollversorgung machen. Höhere Leistungen, keine Missbrauchskontrollen und keine Anreize zur Arbeitsaufnahme - dafür ist das Arbeitslosengeld II nicht gedacht. Primäres Ziel von Hartz IV ist die individuelle Überwindung des Bezuges von ALG II durch den einzelnen Arbeitssuchenden hin zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Insoweit ist die Überschrift des Antrags der Linken „Strategie zur Überwindung von Hartz IV“ durchaus berechtigt. Eine Überwindung von Hartz IV in eine dauerhafte soziale Absicherung ohne das vorrangige Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wäre aber völlig kontraproduktiv. ({1}) Der Grundsatz von Fordern und Fördern ist richtig. Aber in beiden Punkten ist die alte rot-grüne Bundesregierung auf halbem Wege stehen geblieben. Die Kontrolle des Leistungsmissbrauchs lässt zu wünschen übrig. Mein Kollege Heinrich Kolb hat bereits auf die erschreckenden Ergebnisse der Telefonumfrage hingewiesen. ({2}) Auch der automatisierte Datenabgleich ist mit Hartz IV für die Stellen vor Ort nicht einfacher, sondern aufwendiger geworden und Missbrauch damit leichter. Ohne Fordern ist Hartz IV kein Anreiz zur Arbeitsaufnahme. Beim Fördern sieht es nicht besser aus. Am besten funktioniert dieses Instrument bei der Ausnahme, nämlich bei den Optionskommunen. ({3}) Herr Staatssekretär Andres, die FDP hat damals nicht zugestimmt, weil es bei der Umsetzung bessere Alternativen gibt. ({4}) Die Stadt Erlangen in meinem Wahlkreis macht es vor. Hier werden bereits über 50-Jährige, welche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als kaum vermittelbar gebrandmarkt sind, erfolgreich in Arbeit vermittelt. Das erfahrene und motivierte Team vor Ort in Erlangen hat zum Beispiel mit dem lokalen Projekt „Fifty up“ zusätzliche Fördermittel aus dem Hause von Herrn Müntefering erhalten und an einem bundesweiten Wettbewerb erfolgreich teilgenommen. Aber auch aus den 68 anderen Optionskommunen ist viel Positives zu vernehmen. Das zeigt, dass besonders die Kommunen in der Lage sind, der Situation der Langzeitarbeitslosen gerecht zu werden. Sie haben bewiesen, dass sie bei der Arbeitsvermittlung flexible Wege gehen können. Die Kommunen sind näher an den Problemen der Betroffenen und können eher passgenaue und flexible Wege für eine Integration in den Arbeitsmarkt entwickeln als die zentralistisch organisierte Bundesagentur für Arbeit. Die FDP-Fraktion fordert daher weiterhin, dass die Verantwortung für die Vermittlung und Integration von Arbeitslosen allein den Kommunen übertragen wird. ({5}) Dies erfordert jedoch eine Grundgesetzänderung zur finanziellen Absicherung der Kommunen bei Übernahme der Betreuung der Langzeitarbeitslosen. Hierzu war Rot-Grün nicht bereit. Auch bei Schwarz-Rot sind hierfür keinerlei Anzeichen zu erkennen. Vor ziemlich genau zwei Jahren haben FDP und CDU/CSU in einem gemeinsamen Bundestagsantrag gefordert, ({6}) das kommunale Optionsgesetz so umzugestalten, dass auch die optierenden Kreise und kreisfreien Städte tatsächlich Träger der Arbeitsvermittlung sind und die Aufgaben nach dem SGB II in Eigenverantwortung erfüllen können. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Rohde, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Kurth. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Den Hinweis, dass ich Herrn Rohde gratulieren soll, hätte ich nicht gebraucht. Natürlich gratuliere ich Herrn Rohde. ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Rohde, Sie fordern, dass den Kommunen die Durchführung der Leistungen aus dem SGB II, vulgo Hartz IV, und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt vollständig übertragen werden. In diesem Zusammenhang haben Sie auch die Optionskommunen genannt. Nun sind Sie auch behindertenpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion. Ist Ihnen bekannt, dass die optierenden Kommunen in geradezu sträflicher Weise in den ersten sechs Monaten des Jahres 2005 die Integration von Menschen mit Behinderungen verweigert haben, obwohl sie dazu eindeutig einen rechtlichen Auftrag hatten? Ist Ihnen bekannt, dass die damalige rot-grüne Bundesregierung vor den Fakten kapitulieren und diese Aufgabe an die Bundesagentur für Arbeit zurückgeben musste - diese macht sie auch nicht so gut, wie sie sie machen sollte -, weil sich die Kommunen einfach geweigert haben, für Menschen mit Behinderung Angebote bereitzustellen? Wie kann man vor diesem Hintergrund behaupten, dass die Kommunen besser befähigt wären, diese Leistungen alleine durchzuführen? ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kurth, uns allen ist bekannt, dass es damals große Probleme bei der Einführung von Hartz IV gegeben hat. Das bezieht sich auf alle Bereiche, nicht nur speziell auf den Bereich der Menschen mit Behinderungen. ({0}) Ich kann eben nur aus meiner Optionskommune in Erlangen berichten, dass dort sehr wohl Maßnahmen getroffen worden sind, um die Integration von Behinderten in den Arbeitsmarkt zu fördern. Ich habe mich dort persönlich vergewissert. Vielleicht kann das nicht auf alle 68 Optionskommunen ausgedehnt werden - an dieser Stelle können wir gerne noch nacharbeiten -, aber grundsätzlich halte ich es für besser, vor Ort anzusetzen, weil dort auch die Behinderten bekannter sind als bei einer zentralen Bundesagentur, die von außen eingreifen möchte. Ich komme später noch einmal auf diesen Punkt zurück. Ich appelliere an die Union, sich an die damals vorgelegten Anträge zu erinnern. Ich denke, wir werden beim Leistungssystem noch stärker auf die Grundsätze der Sozialhilfe zurückkommen müssen. Fehlsteuerungen müssen beseitigt und die Leistungen auf die wirklich Bedürftigen konzentriert werden. ({1}) Vor allem jugendliche Arbeitslose haben das Gesetz ausgenutzt und sind auf Kosten der Allgemeinheit bei ihren Eltern ausgezogen. Für die Zukunft wurde diesem Missbrauch nun ein Riegel vorgeschoben. Von einer Haushaltssanierung auf Kosten arbeitsloser Jugendlicher, wie es die Grünen nennen, kann aber nicht die Rede sein. Als behindertenpolitischer Sprecher der FDP möchte ich ausdrücklich auf einen Punkt des Antrags der Grünen eingehen. In Punkt 9 Ihres Antrages fordern Sie eine bessere Verzahnung von SGB II und SGB IX, um die Vermittlung von arbeitslosen Menschen mit Behinderungen in Arbeit zu optimieren. In diesem Punkt stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. ({2}) In Mittelfranken - aber nicht nur dort - ist infolge einer Änderung des SGB IX die bis dahin ausgesprochene erfolgreiche Vermittlung von Schwerbehinderten ins Stocken geraten. ({3}) Insbesondere vor dem Hintergrund einer überproportional steigenden Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten muss hier schnell gehandelt werden. Zu Ihrem Zwischenruf: In Mittelfranken gibt es eine Optionskommune neben vielen anderen; es geht vor allem um die Argen. Das ganze Problem ergibt sich aus dem SGB IX; es liegt nicht an den Personen, die es vor Ort ausführen müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch mein Kollege Hubert Hüppe von der CDU, der bereits im Mai letzten Jahres in einer Kleinen Anfrage auf Probleme bei der Vermittlung behinderter Arbeitsloser hingewiesen hat, nun als Mitglied der Regierungskoalition schnell Korrekturen einfordern wird. Ich fasse zusammen: Wenn die Gesetze Hartz I bis IV so umgesetzt worden wären, wie ursprünglich einmal von Peter Hartz geplant, dann wären wir den Zielen einer arbeitsmarktpolitischen Reform sicherlich näher gekommen. Es gibt großen Reformbedarf bei der Arbeitsmarktpolitik. Aber die beiden Anträge der Fraktionen der Linken und der Grünen gehen größtenteils in die falsche Richtung. ({4}) Deswegen muss man beide Anträge ablehnen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Angelika Krüger-Leißner von der SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gut einem Jahr ist die Arbeitsmarktreform zum SGB II in Kraft. Ganz folgerichtig haben wir es mit Schwierigkeiten sowohl in der Akzeptanz und der Umsetzung als auch hinsichtlich der spürbaren Wirksamkeit zu tun. Darum ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass es weitere Vorschläge neben denen der Regierungskoalition gibt, den Prozess der Umsetzung des SGB II zu optimieren. Dass der Schritt der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur neuen Grundsicherung richtig war, bestreitet heute kaum noch jemand. Unsere Zielsetzung orientierte sich an den Bedürfnissen von erwerbsfähigen arbeitslosen Menschen. Es ist für mich nach wie vor richtig, daran festzuhalten, die Zugangschancen von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung durch passgenaue individuelle Vermittlung und Angebote zu verstärken, ihren Verbleib in Arbeitslosigkeit zu verringern und ihnen eine die Existenz sichernde Grundsicherung zu bieten. An dieser Zielsetzung müssen wir jeden Vorschlag messen, der vorgelegt wird. Wenn wir als richtig erkannt haben, dass wir gleiche Chancen für alle Arbeitslosen und eine schnelle und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erreichen wollen und dass wir Menschen von Betroffenen zu Beteiligten an einem System machen, sie also aktivieren und ihre Eigenverantwortung stärken wollen, dann können wir nur den bereits eingeschlagenen Kurs weiterverfolgen, einschließlich aller notwendigen Weiterentwicklungen, die wir aber entschlossen angehen müssen. In dieser Phase befinden wir uns gerade. Heute liegen zwei Anträge vor, die wir meines Erachtens unterschiedlich gewichten müssen. Der Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sollte uns auch weiterhin beschäftigen. Ich finde, dass er wichtige und richtige Ansätze enthält. Das Streiten um gute Lösungen in den nächsten Wochen wird sich, glaube ich, lohnen. Lassen Sie mich aber einige Ausführungen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke machen. Ich glaube, dieser Antrag bringt uns mit seinen Vorschlägen in keiner Weise voran. Vielmehr soll mit ihm der eingeleitete Prozess zurückgedreht werden. Ich habe große Zweifel, ob die Antragsteller die Dimension der vor uns liegenden Probleme in ihrer Gesamtheit überhaupt erfasst haben. ({0}) Er liest sich wie ein Wunschzettel, fernab jeder Realität in unserem Land, kurzum: eine soziale Utopie. Dabei gebe ich zu, dass sich seit einem Jahr für viele Menschen Gravierendes verändert hat. Manche Einschnitte sind schwer zu verkraften. Auf die neue Situation musste sich jeder erst einstellen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir - genauso wie andere Länder - rechtzeitig auf die veränderte Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage reagiert hätten. Dann wäre vieles leichter geworden. Aber wir haben geschlafen oder wir hatten nicht den Mut dazu. Letztendlich tragen wir alle die Verantwortung dafür. Andere Länder haben in den 90er-Jahren - ähnlich wie wir - Reformen auf den Weg gebracht. Ich erinnere nur an Dänemark. 1993 hat die sozial-liberale Regierung Reformen durchgeführt, die sie allerdings mehrmals nachbessern musste. Auch diese Regierung stand unter sehr hohem Druck. Ich erinnere nur daran, dass sie 2001 abgewählt wurde. Das kann passieren. Wenn wir uns aber heute die Erfolge des Förderns und Forderns vor Augen führen, können wir eines erkennen: Die Arbeitslosigkeit in Dänemark ist von 11 auf 5 Prozent gesunken. Die Dänen sind ganz besonders erfolgreich bei der Integration gering qualifizierter Menschen auf dem Arbeitsmarkt und beim Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Genau das muss auch unser Ziel sein. Wir müssen uns mit der Umsetzung der Hartz-Gesetze beschäftigen, sie analysieren und, wo nötig, ändern. Aber Sie werden mir, glaube ich, zustimmen, dass der uns vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke nicht geeignet ist, Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Ihre Strategie zur Überwindung von Hartz IV besteht darin, die Menschen zu verunsichern, wieder einmal Schwarzmalerei zu betreiben und irreale Hoffnungen zu wecken. Sie beginnen schon mit einer falschen Behauptung, wenn Sie sagen, Hartz IV sei Armut per Gesetz. Ich erinnere an die Worte von Staatssekretär Andres. Er hat sehr genau ausgeführt, dass es vielen in dem neuen System gar nicht schlechter geht. Natürlich hat derjenige Einschnitte hinzunehmen, der vorher eine hohe Arbeitslosenhilfe bekommen hat. Wir haben das nie bezweifelt und offen ausgesprochen. Aber für die Vielzahl der ehemaligen Sozialhilfeempfänger, die in den letzten Jahren gar keine Chance auf Arbeitsvermittlung bekommen haben, hat sich die Situation verbessert. ({1}) Nach der neuen Grundsicherung kommt eine Familie mit zwei Kindern auf einen Grundsicherungsbetrag einschließlich Wohnungskosten in Höhe von 1 759 Euro netto im Monat. Das ist sicherlich nicht viel Geld. Aber das ist weiß Gott nicht Armut per Gesetz. Viele Menschen in unserem Land arbeiten für viel weniger. Wenn ich mir Ihre Vorschläge genauer anschauen, dann stelle ich fest, dass Sie eigentlich gar keine Überwindung von Hartz IV wollen. Sie wollen vielmehr eine unendliche Aufstockung bei Hartz IV. Das mag zunächst einmal wünschenswert erscheinen. Aber wer die Rechnung bezahlen soll, die hier aufgemacht wird, bleibt offen. ({2}) Wenn man sich nur drei Ihrer Vorschläge genauer anschaut - die Erhöhung der Regelleistung auf 420 Euro, die Erhöhung der Freibeträge für Vermögen und die Erhöhung des Kindergeldes, den dicksten Brocken in Ihrem Antrag -, dann stellt man fest, dass die Mehrkosten unter dem Strich 26 Milliarden Euro betragen. Das wird einfach so dahingeworfen, ohne zu überprüfen, ob das überhaupt umsetzbar ist. Das spielt bei Ihnen ohnehin keine Rolle. Diese Kosten müssten andere in diesem Land mit ihrem Arbeitseinkommen bezahlen. Das sind Kosten einer sozialen Utopie, die gar nicht mehr aktivieren will. Genau dieser Punkt in Ihrem Antrag macht mich richtig wütend. Arbeit kommt in Ihren Vorschlägen kaum noch vor. Ihre vorgebliche Strategie handelt vom Weg zu einer Vollkaskogesellschaft. Beschäftigung ist zweitrangig. Das ist der Geist Ihres Antrages. Wir können gut erkennen, dass die Linke zurück zu dem Verschiebebahnhof will, den wir früher in der Sozialhilfe hatten, ({3}) nun aber für alle Arbeitslosen, damit wir uns in Zukunft bloß nicht weiter mit ihren Problemen beschäftigen müssen. Es gibt einen Punkt, bei dem wir übereinstimmen: Bei der Umsetzung des SGB II gibt es viel zu verbessern.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit!

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Frau Präsidentin. - Vor allen Dingen müssen wir Verbesserungen für die Menschen erreichen, die Arbeit als Teil ihrer gesellschaftlichen Partizipation sehen. Für sie müssen wir mehr tun. Ihnen fühle ich mich verpflichtet. Lassen Sie uns das in den nächsten Monaten tun! Lassen wir uns nicht durch solche utopischen Anträge wie von der Fraktion Die Linke aufhalten! ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSUFraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Hartz IV an den Start ging, waren große Erwartungen an ein derartig großes Reformvorhaben geknüpft. ({0}) - Enttäuschung Ihrerseits ist nicht verwunderlich. Sie sind öfter enttäuscht und werden auch öfter enttäuscht werden. - Als es dann an Art und Umfang der Umsetzung ging, wurden, wie fast zwangsläufig bei derartigen Reformprojekten, viele enttäuscht - auch die Linken, zum Glück. Hartz IV ist heute unverdientermaßen zum Unwort geworden. Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen - genau darum ging es im Kern -, war unbedingt notwendig und seit langem eine zentrale Forderung der Union. Deshalb haben wir vor zwei Jahren dem Reformvorhaben der damaligen Bundesregierung in Bundestag und Bundesrat zugestimmt. Wie Herr Staatssekretär Andres ausgeführt hat, war es den Schweiß aller Edlen wert. ({1}) Ich habe die Formulierung sehr schön gefunden, weil Sie auch uns als Edle bezeichnet haben. ({2}) Es war uns wichtig, den Schwerpunkt von der Zahlung des Lebensunterhalts auf die Wiedereingliederung der erwerbsfähigen Hilfebezieher in den Arbeitsmarkt zu verlagern. Oberstes Ziel musste sein, die Betroffenen wieder aus den Transfersystemen herauszuführen, sei es durch neue Hinzuverdienstmöglichkeiten, sei es durch eine passgenaue Förderung bei der Wiedereingliederung in Arbeit, sei es durch eine intensivere Betreuung durch einen persönlichen Ansprechpartner. Dazu gehören auch die unmissverständliche Androhung und die Durchsetzung von Sanktionen, wenn der Hilfebedürftige die notwendigen Eigenbemühungen nicht leistet. Nicht umsonst heißt es „fordern und fördern“. ({3}) Das Arbeitslosengeld II steht für uns im Einklang mit dem Auftrag, den das Grundgesetz dem Staat gegeben hat: diejenigen zu unterstützen, die sich ohne eigenes Verschulden nicht aus eigener Kraft helfen können. Das gibt aber keinem das Recht, auf Kosten der Gemeinschaft zu leben, wenn er eigentlich selbst arbeiten könnte. Es geht nicht darum, so viel Steuergeld wie möglich in die Transfersysteme zu pumpen, wie es die Linksfraktion, ihrem Antrag nach zu schließen, gerne hätte. Staatssekretär Andres hat eine erschreckende Zahl genannt: 35 Milliarden Euro würde die Durchführung Ihres Antrages kosten. Das sind traumtänzerische Zahlen ohne solide Gegenfinanzierung. Ich hätte von der Linkspartei zumindest eine unsolide Gegenfinanzierung erwartet. ({4}) - Von einer soliden Gegenfinanzierung kann man bei ihr ohnehin nicht ausgehen. ({5}) Wir haben in der vergangenen Woche einen Haushalt mit einer dramatischen Neuverschuldung von 38 Milliarden Euro im laufenden Jahr beschlossen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde liebend gern, aber die heutige Sitzung ist bereits jetzt bis 23.55 Uhr geplant. In Anbetracht der geringen Qualität der zu erwartenden Zwischenfrage verzichte ich darauf. ({0}) Frau Kipping, hier auf der Tribüne ist eine große Anzahl Jugendlicher. Wir zahlen bereits jetzt jeden Tag 100 Millionen Euro Zinsen. Ihr Weg wäre gewesen, die Verschuldung in dramatischer Weise weiter zu steigern. Die Generation, die uns von den Tribünen zuschaut, hätte keinerlei Bewegungsraum mehr, wenn wir Ihren Weg in die soziale Irre gingen. ({1}) Wer theatralisch den Sozialstaat untergehen sieht und Hartz IV am sozialen Kältepol verortet, sollte sich einmal den Einzelplan „Arbeit und Soziales“ des Bundeshaushaltes 2006 ansehen. Wir geben derzeit mehr als 51 Prozent der gesamten Haushaltsmittel für soziale Leistungen aus. Allein für das Arbeitslosengeld II sind im Haushalt 2006 24,4 Milliarden Euro angesetzt. Für Eingliederungshilfen sind 6,5 Milliarden Euro und für Verwaltungskosten 3,5 Milliarden Euro vorgesehen. Darüber hinaus werden 267 Millionen Euro für Beschäftigungspakte zugunsten älterer Menschen veranschlagt. 2006 beteiligt sich der Bund zudem mit 29,1 Prozent an den Unterkunftskosten. Die Kommunen werden so um 2,3 Milliarden Euro jährlich im Vergleich zu dem vor dem 1. Januar 2005 geltenden Recht entlastet. Dieses Geld kann in die Betreuung vor Ort investiert werden, zum Beispiel in Kinderkrippen. Sieht es so aus, wenn - so schreiben Sie es, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion - „Kosten auf die Kommunen abgewälzt werden“? Beileibe nicht! Apropos Kommunen: Frau Kipping, Sie haben den Prospekt „Hartz IV“ vorgezeigt und auf Ihren Wahlkreis verwiesen. Ich habe mich kundig gemacht: Das Bundestagshandbuch weist aus, dass Sie über die Landesliste Sachsen in dieses Hohe Haus gewählt worden sind. Ich gehe davon aus, dass Sie gleichwohl Verantwortung für die Menschen Ihrer Region tragen wollen. Ich will Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen. Mein Wahlkreis Würzburg hat sich 2004 für das so genannte Optionsmodell entschieden. ({2}) Im Wahlkreis Erlangen des Kollegen Rohde war es ähnlich. Im Laufe des ersten Halbjahres 2005 wurden die Fälle der Agentur für Arbeit sukzessive übernommen. Das „Beratungs- und Eingliederungszentrum für Arbeitsuchende des Landkreises Würzburg“ vermerkt für das gesamte vergangene Jahr, dass trotz schwieriger Ausgangslage 511 Menschen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten, und das bei 1 300 Arbeitslosen bzw. 2 230 Bedarfsgemeinschaften. Das ist eine Quote, mit der wir uns nicht zu verstecken brauchen. Gegenüber den Jahren 2003 und 2004 mit jeweils etwa 200 Vermittelten ist das ein deutlicher Erfolg. Frau Kipping, legen Sie Ihren Laptop einmal zur Seite! Vielleicht können Sie mir einmal etwas lauschen. ({3}) - Das befürchte ich. Alles, was realitätsbezogen ist, ist für Sie uninteressant. ({4}) Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass 26,4 Prozent der im vergangenen Jahr vermittelten Arbeitnehmer unter 25 Jahre alt sind. Damit dürfte klar werden, dass die Reformen allmählich zu greifen beginnen. Bei alledem müssen wir in Rechnung stellen, dass es sich erst um einen Anfang der Reformen der Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzgebung handelt. Viel muss noch justiert werden. Genau in dieser Phase befinden wir uns jetzt. Unter anderem mit der Angleichung der ALG-IIRegelsätze in Ost und West auf 345 Euro wollen wir für mehr Gerechtigkeit im Rahmen des Möglichen sorgen. Hier sehen wir auch die Grenzen, die uns gesetzt sind. Diese Angleichung wird bei Bund und Ländern mit Mehrkosten von 260 Millionen Euro zu Buche schlagen. Dadurch fehlt Geld an anderer Stelle. Da wir leider nicht unbegrenzt Geld drucken können und es uns nicht leisten können, über unsere Verhältnisse zu leben, müssen wir in Verantwortung vor dem Steuerzahler die knappen sozialstaatlichen Mittel zielgenau einsetzen. Ich erinnere an Folgendes: Beim ALG II handelt es sich grundsätzlich um eine bedürftigkeitsabhängige Leistung, die nur in der Höhe der tatsächlichen Hilfebedürftigkeit gewährt wird. Sie muss das so genannte soziokulturelle Existenzminimum sicherstellen. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe, die das uneffektiv gewordene soziale Netz in eine neue Balance bringen soll. Die überplanmäßigen Ausgaben von mehr als 11 Milliarden Euro, die uns einzelne Kostenblöcke des Hartz-IV-Gesetzes gebracht haben, können wir uns auf Dauer nicht leisten. Es geht um den effizienten Einsatz knapper Mittel. Es geht nicht darum, denen zu helfen, die das Geld nicht brauchen. Fehlanreize sind deshalb zu bekämpfen, und zwar im Interesse aller. Ein besonders prägnantes Beispiel der letzten Zeit ist der sprunghafte Anstieg der Zahl von Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften unter 25-Jähriger. Diesen Anstieg konnten wir vor einigen Wochen in diesem Hohen Haus mit großer Mehrheit - gegen die Linksfraktion - zum Glück unterbinden. ({5}) Mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz wird die Koalition diese Linie fortführen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, neue Akzente bei der Ausgestaltung des Schonvermögens zugunsten der Altersvorsorge zu setzen und die Definition eheähnlicher Gemeinschaften zu überprüfen, die Zuständigkeiten der Arbeitsgemeinschaften und optierenden Kommunen gesetzlich klarzustellen und einiges mehr. Wir befinden uns mitten im Reformprozess. Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu bringen. Wir haben begrenzte Mittel und sind kein Selbstbedienungsladen. Leben wir über unsere Verhältnisse, leiden am Ende die ganze Gesellschaft und insbesondere unsere Jugend. Wer uns bei diesem schwierigen Vorhaben mit konstruktiven Vorschlägen unterstützen will, ist uns herzlich willkommen. Wer die Bürger mit pathetischem Tonfall, Bärbeißigkeit und ideologischer Verblendung gegen ihre eigenen Interessen mobilisieren und notwendige Maßnahmen im Keim ersticken will, ist allerdings fehl am Platz. Hier würde man den Bock zum Gärtner machen. Wir sind froh, dass eine große Mehrheit der Vernünftigen die Anträge der Linkspartei zurückweist. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Rolf Stöckel, SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch von mir herzliche Glückwünsche, Herr Rohde. Wir wissen jetzt, dass Sie 40 Jahre alt sind - das tut nicht weh; ich kann mich noch daran erinnern, wie das bei mir damals war -, aber wir wissen leider sehr wenig über die Optionskommunen, ({0}) über die Qualität der Eingliederungsvereinbarungen, der aktiven Arbeitsmarktangebote und der Qualifizierungsangebote in den Optionskommunen. Sie wissen das vielleicht in Bezug auf Erlangen. Wir wüssten gerne mehr. Ich kann Ihnen nur berichten, dass die Arge bei mir im Kreis Unna einen Spielraum hat, in dem sie auch eigenständig Entscheidungen treffen kann, und dass die Praxis dort auch nicht unbedingt schlechter ist als in Erlangen; das Beispiel kenne ich zufällig auch. Wir haben natürlich ein Interesse daran - das möchte ich prinzipiell einmal sagen; deswegen spreche ich das an -, dass die Verhältnisse, was die Qualität, die Sozialstandards, die Qualifizierung und die Vermittlung angeht, in der Bundesrepublik Deutschland nicht zersplittert werden, sondern dass es für eine eigenständige Praxis in den Arbeitsgemeinschaften vor Ort einen einheitlichen Rahmen gibt, sodass man die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse für die Betroffenen auch insofern sicherstellen kann. Das ist eine sozialdemokratische Position, die wir auch weiterhin vertreten werden. ({1}) „Hartz muss weg“ - so richtig ernst meint die PDS das auch nicht. Wenn alle Punkte ihres Antrages - es sind 40 Punkte, die ich hier nicht in sieben Minuten bewerten kann; ich biete an, das einmal zu tun, wenn Sie Interesse haben - erfüllt würden, hätte die PDS als Transferleistungsgewerkschaft gar keine Daseinsberechtigung mehr. ({2}) Das ist auch der Grund dafür, dass sie hier im Parlament sitzt. Ich sage zu den Kollegen in der Koalition einmal: Das gilt vielleicht auch für Herrn Rüttgers, der jetzt im Düsseldorfer Stadttor sitzt. Er konnte sich auch nicht klar entscheiden, ob er sich zu dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses bekennt oder ob er dagegen demonstriert. Da hat er so ähnliche Verhaltensweisen wie Herr Böhmer an den Tag gelegt. Aber darum geht es nicht. Wenn wir erreichen wollen, dass erwerbsfähige Menschen nicht mehr dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden - ohne Chancen auf persönliche Hilfen und Förderung, auf Qualifizierung und auf Kinderbetreuung -, dann darf Hartz IV nicht weg. Es kann erst dann weg, wenn die Langzeitarbeitslosigkeit - der Kollege Weiß hat das zu Recht gesagt - erfolgreich bekämpft ist. Ich gehörte aufgrund eigener Erfahrung - ich habe 15 Jahre in der Sozialverwaltung gearbeitet - keinesfalls zu denen, die glaubten, die sagenhafte deutsche Verwaltung brauchte nur einen Hebel umzulegen, dann würde schon alles klappen. Niemand kann ernsthaft behaupten - das ist auch schon von mehreren Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt worden -, dass die größte Sozialreform der Bundesrepublik nach einem guten Jahr Praxis bereits optimal läuft. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, mit einigen Mythen aufzuräumen, die hier auch schon angesprochen worden sind. Eine Behauptung ist, dass die Leistungen, nämlich 345 Euro plus Übernahme der Miet- und Heizkosten, für Einzelpersonen nicht das menschenwürdige Existenzminimum absichern würden. Es gibt kein Land der Welt, in dem diese Leistungen höher sind und in dem die Arbeitslosigkeit erfolgreicher bekämpft worden wäre ({3}) oder mehr Integration geleistet worden wäre dadurch, dass diese Leistungen höher sind. Die Regelsätze werden auf einer gesetzlichen Grundlage angepasst und nicht mehr nach einem paternalistischen Warenkorb, der auch schon bei der damaligen Sozialhilfe nicht dazu beigetragen hat, dass es objektiver oder für die Betroffenen besser gewesen wäre. Das ist übrigens nicht nur besser für die ehemaligen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger oder für die ehemaligen Arbeitslosenhilfeempfänger, die ergänzende Sozialhilfe bekommen haben; es ist auch besser für die Kommunen, denen über viele Jahre die Massenarbeitslosigkeit mit allen Konsequenzen sozusagen in die Kasse geschoben worden ist. Sie sagen in Ihrem Antrag ja auch, dass Sie die Kommunen entlasten wollen. Als jemand, der aus dem Ruhrgebiet kommt, sage ich Ihnen: Bitte nicht nur die Kommunen in Ostdeutschland entlasten. Das muss insbesondere für unsere Kommunen im Ruhrgebiet auch gelten. ({4}) Ist es linke Politik - das habe ich mich gefragt, als ich den Antrag gelesen habe -, ist es menschenwürdig, wenn Menschen dauerhaft zur Passivität, zur Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und zur Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen verdammt werden? Die klare Antwort von uns Sozialdemokraten ist: Nein. Ich frage Sie: Ist es linke Politik, wenn sich Großunternehmen auf Kosten der Solidargemeinschaft, nämlich mithilfe hoher und langer Arbeitslosenhilfezahlungen, massenhaft von ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch von ihrer sozialen Verantwortung verabschieden können, wie das jahrelang passiert ist? Die klare Antwort von uns lautet: Das ist keine linke Politik. ({5}) Es wird behauptet - das hat der Parlamentarische Staatssekretär Andres hier bereits aufgenommen -, dass mit der zunehmenden Zahl der Bedarfsgemeinschaften und der Kinder in Bedarfsgemeinschaften die Armut steigt. Dieser Vorwurf, auch der Armutskonferenz in der letzten Woche, ist absurd. Wenn Leistungen verbessert werden - ich sage es hier noch einmal - und der Berechtigtenkreis ausgeweitet wird, dann ist das ein Beweis dafür, dass die Armutsbekämpfung im deutschen Sozialstaat weitgehend funktioniert. Ich nenne Ihnen eine Zahl aus dem Armuts- und Reichtumsbericht: Wenn es diese Leistungen nicht gäbe - sowohl die beitragsfinanzierten als auch die steuerfinanzierten Sozialleistungen einschließlich der Grundsicherung -, dann wären nicht 13,5 Prozent der Menschen vom Armutsrisiko bedroht - das sind vor allen Dingen Ausländer, Alleinerziehende und Familien mit mehr als zwei Kindern -, sondern 41 Prozent. Das heißt, der Sozialstaat funktioniert bei der Armutsbekämpfung. Er ist weiterzuentwickeln; denn er ist verbesserungswürdig. ({6}) Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten verteidigen auch die Rechtsansprüche der Betroffenen an unseren Sozialstaat. Ein großer Teil der Kostensteigerungen ist nicht durch Missbrauch verursacht worden, sondern resultiert aus der legalen Inanspruchnahme von Rechten und gesetzlichen Regelungen. Wir Sozialdemokraten wollen keinen Almosenstaat; wir wollen keine Gesellschaft, in der letztendlich die Armenspeisungen im Vordergrund stehen. Ich glaube, dass wir insofern klar positioniert sind. Deshalb sage ich auch ganz klar: Ich halte es für linke Politik, wenn wir einen präventiven, aktivierenden Sozialstaat des Förderns und Forderns entwickeln. Nach Überzeugung der sozialen Wissenschaften und Praxis - seit über 25 Jahren vollziehe ich das nach - ist dieses Prinzip dem Prinzip des konservativen, nachsorgenden und vor allem Problemlagen konservierenden Wohlfahrtsstaates weitaus überlegen. Das zeigen alle internationalen Vergleiche. ({7}) Mir ist es völlig unverständlich, warum PDS und WASG, die sich Linke nennen, mit ihren Sozialstaatsvorstellungen so konservativ und weit entfernt von emanzipatorischen Ansätzen agitieren und so tun, als würden sie damit auch noch die Interessen der Betroffenen am besten vertreten. ({8}) Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren. Wem der Erhalt des Sozialstaats und nicht nur kurzsichtige populistische Parteitaktik am Herzen liegt, der muss mithelfen, diesen Sozialstaat umzubauen ({9}) und zukunftsfest zu machen. Das ist allein deshalb unabdingbar, weil soziale Ängste weit verbreitet sind und weil es Vertrauensverluste gegenüber der Demokratie, der Marktwirtschaft und dem Rechtsstaat gibt. Sie beschreiben das ja in Ihrem Antrag. Ich befürchte nur, dass Sie die Lehren aus der Weimarer Republik, vor allen Dingen aus dem Ende der Weimarer Republik nicht richtig verstanden haben und das auch gar nicht wollen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Stöckel, Sie müssen zum Ende kommen.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine moderne linke Sozialpolitik, die einen wirklich emanzipatorischen Anspruch hat, kann Sozialpolitik nicht ohne eine nachhaltige, die Demografie und Globalisierung einbeziehende Wirtschafts- und Zukunftspolitik denken. Wir haben mit der Agenda 2010 die ersten Weichenstellungen in die richtige Richtung vorgenommen und dafür viel Prügel eingesteckt. Ich versichere Ihnen: Wir werden diesen Weg mit der großen Koalition erfolgreich weitergehen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf dem Drucksachen 16/997 und 16/1124 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/997, Tagesordnungs- punkt 4, soll zusätzlich an den Ausschuss für Kultur und Medien sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 f sowie Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf: 32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Artikel-10-Gesetzes - Drucksache 16/509 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote ({1}) - Drucksache 16/1003 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Mai 2005 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration - Drucksache 16/1108 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Vertrags vom 27. Mai 2005 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration - Drucksache 16/1109 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes und des Rinderregistrierungsdurchführungsgesetzes - Drucksache 16/1023 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5}) Innenausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Notschleppkonzept an gestiegene Herausforderungen anpassen - Drucksache 16/685 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- KEN Die Beziehungen zwischen EU und Lateiname- rika solidarisch gestalten - Kein Freihandels- abkommen EU-Mercosur - Drucksache 16/1126 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Otto Fricke, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zwangsheirat wirksam bekämpfen - Opfer stärken und schützen - Gleichstellung durch Integration und Bildung fördern - Drucksache 16/1156 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkt 33 a bis 33 f sowie Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 33 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes - Drucksache 16/735 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8}) - Drucksache 16/1153 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1153, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mir ist das Abstimmungsverhalten der Fraktion der Linken nicht klar. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. 2630 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 33 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die zivilrechtliche Haftung für Bunkerölverschmutzungsschäden - Drucksache 16/736 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({9}) - Drucksache 16/1154 Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Mechthild Dyckmans Wolfgang Nešković Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1154, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 33 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ölschadengesetzes und anderer schifffahrtsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/737 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({10}) - Drucksache 16/1160 Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Mechthild Dyckmans Wolfgang Nešković Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1160, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 33 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. Dezember 2004 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zu dem Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen - Drucksache 16/914 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({11}) - Drucksache 16/1143 Berichterstattung: Abgeordneter Manfred Kolbe Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/1143, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 33 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. März 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Jemen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Luftfahrtunternehmen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 16/915 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({12}) - Drucksache 16/1144 Berichterstattung: Abgeordneter Manfred Kolbe Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1144, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Tagesordnungspunkt 33 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Bereinigung des Lastenausgleichsrechts - Drucksachen 16/916, 16/955 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({13}) - Drucksache 16/1145 Berichterstattung: Abgeordneter Manfred Kolbe Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1145, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Luftaufsicht und die Luftfahrtdateien - Drucksache 16/958 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({14}) - Drucksache 16/1159 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Menzner Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1159, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der Linken, der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Enthaltung der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({15}) Übersicht 2 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 16/1141 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatztagesordnungspunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 28 zu Petitionen - Drucksache 16/1132 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 28 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 29 zu Petitionen - Drucksache 16/1133 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 29 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 30 zu Petitionen - Drucksache 16/1134 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 30 ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Grünen angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 31 zu Petitionen - Drucksache 16/1135 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 31 ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Zusatztagesordnungspunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 32 zu Petitionen - Drucksache 16/1136 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 32 ist damit mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 33 zu Petitionen - Drucksache 16/1137 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 33 ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 34 zu Petitionen - Drucksache 16/1138 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 34 ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/ CSU bei Gegenstimmen der FDP und der Linken angenommen. Zusatztagesordnungspunkt 4 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 35 zu Petitionen - Drucksache 16/1139 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 35 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktionen der Linken, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenommen. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf: Aktuelle Stunde Beitrag des Energiegipfels zur Energieversorgungssicherheit und zur Verringerung der Gefahren durch Atomkraft und Klimawandel Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat diese Aktuelle Stunde beantragt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte der Koalition zu diesem Energiegipfel als prominentem Ereignis gerne Glückwunsch gezollt. Als ich ans Pult ging, hieß es: Jetzt bekommen wir bestimmt Lob. - Ich muss der Ehrlichkeit halber sagen: Lob bekommen Sie allenfalls für die mediale Inszenierung. Die Ergebnisse waren aber doch eher dünn, falls es neben der Gründung von Arbeitsgruppen überhaupt Ergebnisse gab. ({0}) Es war ein Gipfel der Aussparung, eine Art Spiegelbild des Minimalkonsenses innerhalb der Koalition. Man könnte auch sagen: Sie sind als Gipfelstürmer angetreten, aber irgendwo im märkischen Sand stecken geblieben. ({1}) Ich könnte auch sagen: Das war ganz im merkelschen Sinne. Der Gipfel hat eines gezeigt: viel Wind, aber wenig erneuerbare Energien. Die Gästeliste verwundert einen dann auch nicht. Vertreten waren die Besitzstandswahrer der Energiewirtschaft, die vier großen Monopolisten, aber wenige Verbraucher und überhaupt keine Umweltgruppen. So macht man keinen der Zukunft zugewandten Energiegipfel. ({2}) Sie sind die energiewirtschaftlichen Fragen nicht angegangen. Dabei geht es um die Fragen: Wie kann unsere Energieversorgung langfristig sicher sein? Wie kann man sie langfristig wirtschaftlich gestalten und nicht nur am Tropf halten? Wie kann man sie nachhaltig gestalten? - Dazu ist gar nichts gesagt worden. Sie haben auch die Kernthemen des Energiebereichs vollkommen außen vor gelassen. Wie kann man eigentlich behaupten, einen Energiegipfel zu veranstalten, wenn man nicht über den Verkehr diskutiert? ({3}) Das heißt doch: Sie haben das halbe Problem schlicht und einfach ignoriert. Der Löwenanteil unserer Erdölimporte wird nämlich im wahrsten Sinne des Wortes verfahren. Wir machen hier vollkommen unsinnig Gebrauch von einer limitierten und teuren Ressource. In keinem anderen Bereich sind wir so abhängig vom Erdöl wie im Verkehr und Sie machen einen Energiegipfel, ohne über dieses Thema zu reden! ({4}) Wenn sich an dieser Stelle nichts bewegt, bewegt sich demnächst auch im Verkehr nichts mehr. Stattdessen haben Sie auf diesem Gipfel ein gefährliches Spiel mit der Debatte über den Ausstieg aus der Atomenergie getrieben. Der Dissens, den Sie so munter zwischen den Koalitionsfraktionen pflegen, stellt mittlerweile eine Blockade für Innovationen und dringend nötige Investitionen in Deutschland, zum Beispiel im Mittelstand, dar. ({5}) Ich frage mich auch: Was ist jetzt eigentlich mit dem Koalitionsvertrag? Gilt er nur ein bisschen oder nur bis zu einem bestimmten Punkt? Das riecht mir verdammt nach: Wir sind ein bisschen schwanger. - Genau so agieren Sie bei diesem Thema. Im Ergebnis tun Sie nichts für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für Innovationen in diesem Land. Mit Ihrem Gerede auf dem Gipfel haben Sie allenfalls den Kraftwerksbetreibern geholfen, große Profite zu machen. Sie haben aber mittelfristig nicht einmal einem Verbraucher in diesem Land geholfen und dazu beigetragen, dass er auf seiner nächsten Stromrechnung sieht, dass die Kosten sinken und nicht weiter steigen. ({6}) Sie lassen sich durch vermeintliche Investitionszusagen zu Zugeständnissen bringen. Was wir in Wahrheit brauchen, ist eine Regierung, die sich nicht erpressen lässt, gerade beim anstehenden Thema „Emissionshandel und Zertifikate“. Was Ihnen da an Geldern angeboten wird, ist das statistische Mittelmaß dessen, was sie sowieso investieren müssen. Wir brauchen etwas anderes. Wir brauchen einen Anschub, der zu Überkapazität und neuen Akteuren auf dem Markt führt, damit Wettbewerb entsteht, zugunsten einer anderen Zukunft und zugunsten der Verbraucherhaushalte. ({7}) Man muss jetzt umsteuern; man darf das nicht wieder vertagen. Man muss jetzt einsteigen beim Primat der Energiepolitik in eine Zukunft der Einsparungen. Wir wissen, dass die meisten Industriestaaten, wenn sie eine gute Strategie verfolgen, mit der besten verfügbaren Technologie problemlos 20 bis 30 Prozent des jetzigen Energieverbrauchs einsparen könnten. Dann brauchen Sie aber ehrgeizige Anforderungen, in Bezug auf den Wärmeschutz bei Neubauten, Höchstverbrauchstandards für Klima- und Lüftungsanlagen, und Sie brauchen Verbote für Stand-by-Geräte in der Unterhaltungselektronik. Wir können bis 2020 unseren Verbrauch quasi halbieren. Der Energiegipfel hat uns eines gezeigt: Sie haben keine Ziele; Sie arbeiten weiter für die großen Anbieter. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden dem ein grünes weiterentwickeltes Energieszenario entgegensetzen. ({8}) Daran werden wir Sie messen. Wir werden Sie beim Emissionshandel

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ich bin beim letzten Wort - fragen: Wie vergeben wir Zertifikate? Ich sage Ihnen eines: Die 10 Prozent müssen wirklich versteigert werden. Wir dürfen eines nicht tun: uns von den großen Wirtschaftsunternehmen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- erpressen lassen. Danke. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Beck, zur Geschäftsordnung, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Keiner der für dieses Thema, Energie, zuständigen Minister ist hier anwesend. Ich verstehe ja, dass man sich angesichts des Outputs dieses Energiegipfels hier im Parlament nicht stellen will. Ich habe Verständnis bei Herrn Glos: Er ist in den USA; wenn er kommen sollte, wäre das ein bisschen schwierig. Aber der Bundesumweltminister ist im Haushaltssausschuss. ({0}) Ich meine, das geht nicht. Bei einem so wichtigen Thema muss die Bundesregierung auch durch Minister hier im Plenum vertreten sein. ({1}) Wenn sie so nicht vertreten ist, ist das eine Missachtung des Parlaments. Wir beantragen die Herbeizitierung des Bundesumweltministers. ({2}) - Es gehört sich, dass beim Thema Energiegipfel auch der zuständige Minister hier spricht oder dass er, wenn er nichts zu sagen hat, wenigstens hier anwesend ist und sich eine solche zentrale Debatte des Parlaments anhört. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kumpf, bitte.

Ute Kumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003166, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Beck, ich glaube, Ihr Einwand und Ihr Antrag sind eine Farce. Es ist ein sehr bekannter, sehr ausgewiesener Experte auf der Regierungsbank anwesend, der dieses Thema exzellent für uns vertreten wird. ({0}) - Ich rede von unserem Kollegen Michael Müller, der den Minister vertritt. Er ist ein ausgewiesener Fachmann ({1}) in der Angelegenheit. ({2}) Dass Minister Gabriel vor dem Haushaltsausschuss vorstellig werden muss, ist das höchste Recht und auch ein parlamentarisches Recht des Haushaltsausschusses. Das ist auch Ihnen sehr wohl bekannt. Ich denke, es ist genügend Kompetenz auf der Regierungsbank vertreten. ({3}) Daher ist Ihr Antrag abzulehnen. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich lasse über den Geschäftsordnungsantrag des Kollegen Beck abstimmen. Wer für die Herbeizitierung des Ministers ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Letzteres war die Mehrheit. Deshalb, Herr Kollege Beck, ist Ihr Antrag abgelehnt. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte. ({0})

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin zweimal dankbar, einmal dafür, dass die Bundeskanzlerin diesen Energiegipfel organisiert und durchgeführt hat, und zum Zweiten dafür, dass die Grünen diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Denn so können wir hier erklären, worum es wirklich geht. Dieser Energiegipfel war absolut notwendig. Das haben alle Beteiligten auch so gesehen. Was die Beteiligten angeht, Frau Künast: Es waren natürlich Vertreter der Solarenergiewirtschaft, Klaus Töpfer und weitere Personen aus dem entsprechenden Bereich anwesend. ({0}) Der Kreis war also intelligent und der Sache angemessen zusammengesetzt. Ein Energiegipfel ist auch kein KleinKlein, kein Hin-und-Her und kein Springen von einem Thema zu anderen. Denn er sollte ein strategischer Neuanfang sein. Schließlich haben wir seit vielen Jahren nicht mehr über die Energiepolitik und die Lage der Energiewirtschaft in Deutschland geredet, ({1}) jedenfalls nicht umfassend und im Rahmen eines gesamtstrategischen Konzepts. Damit sollte auf diesem Energiegipfel begonnen werden. Das ist unter volkswirtschaftlichen, internationalen und technologischen Gesichtspunkten nötig. Das ist eine absolut runde Angelegenheit. Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten nichts zum Verkehr gesagt. Ich will nur ein Beispiel nennen: Die Brennstoffzelle ist eine ganz wichtige technologische Antwort auf die vor uns liegenden Herausforderungen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Sie während Ihrer Regierungszeit Entscheidendes für die Brennstoffzelle geleistet hätten. ({2}) Wir legen ein Forschungsprogramm mit einem Volumen von 155 Millionen Euro und einer Laufzeit von drei Jahren auf. Eine so massive Forschungsförderung hat es in diesem Bereich noch nicht gegeben. Wir begrüßen, dass wir das gemeinsam beschließen können. Frau Künast, unter Ihrer Regierungsverantwortung wurde ein solches Programm nicht aufgelegt. ({3}) Eine Diskussion über die strategische Ausrichtung unserer Energiepolitik ist notwendig. Sie kann einen Beitrag zur Verbesserung der Energieversorgungssicherheit anstoßen. In diesem Zusammenhang sind Fragen der Wirtschaftlichkeit, der Umweltverträglichkeit, der internationalen Sicherheit und der Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. Es lohnt, über grundsätzliche Fragen zu reden. Frau Künast, in der Energiepolitik brauchen wir vor allen Dingen Rationalität, ein Wissen über die Fakten und Zusammenhänge sowie möglichst wenig Ideologie. Von den ideologischen Ansätzen grüner Energiepolitik haben wir uns auf diesem Gipfel verabschiedet. Das wird Deutschland ausgesprochen gut tun. ({4}) Mit dem Statusbericht, den Bundesminister Glos zusammen mit Bundesminister Gabriel vorgelegt hat, haben wir eine gute Grundlage für die Neuorientierung und die Versachlichung der Energiepolitik gelegt. Energiepolitische Entscheidungen müssen immer die drei energiepolitischen Ziele im Blick haben: Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit sowie Umweltverträglichkeit. Ich habe die Wirtschaftlichkeit bewusst an den Anfang gestellt. Gerade auf diesem Gebiet wurden in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht. ({5}) Der grüne Ansatz bei der Wirtschaftlichkeit, den die Bürger heute teuer bezahlen, war: Energie kann ruhig teuer sein; denn nur, wenn Energie teuer ist, gehen die Bürger sparsam damit um. Das war ein Kern Ihrer Energiepolitik, der natürlich enorme Auswirkungen auf die Entwicklung der Energiepreise in Deutschland hatte. ({6}) Aufgrund der hohen Kosten für Energie in Deutschland haben wir erhebliche wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Probleme. Die Kosten für Energie in Deutschland wurden von Ihnen aus ideologischen, aus so genannten pädagogischen Gründen kraftvoll erhöht. Bei der Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit des Energiepreises - Sie haben den Energiepreis nicht mehr ernst genommen - haben wir eine erhebliche Korrektur vorgenommen. Ich hoffe, dass sie sich mittelfristig auf den Standort Deutschland im Wettbewerb der Nationen positiv auswirkt. ({7}) Wir müssen in aller Sachlichkeit immer wieder analysieren, ob die angestrebten Ziele auch tatsächlich erreicht werden. Auch das soll ein Ergebnis der verstärkten Diskussion über unsere energiepolitische Ausrichtung sein. Der Energiegipfel ist als Auftakt einer Debatte über die mittel- und langfristige Energiepolitik gedacht. Kein laufendes Projekt wird gestoppt. Es gibt keinen Stillstand. Insofern können wir uns die Zeit nehmen, gründlich darüber nachzudenken. Alle Projekte, die sich jetzt in der Pipeline befinden, werden weitergeführt. All das, was im Energiewirtschaftsgesetz festgelegt ist - die notwendigen Neujustierungen, die Aufstellung der Netzagentur -, läuft unbeeinflusst weiter. Die Ergebnisse des Energiegipfels zeigen langfristige Planungsansätze auf, sie zeigen, wie wir uns energiepolitisch in der Zukunft aufstellen sollten. ({8}) Wir werden - das haben Sie den Medien entnommen drei Arbeitskreise einrichten. Einer beschäftigt sich mit den internationalen Aspekten, einer mit den nationalen Aspekten und einer mit Forschung und Energieeffizienz. Diese drei Arbeitskreise sollen Vorlagen erarbeiten. Dann soll ein weiteres Spitzentreffen stattfinden. Ziel dieses Prozesses ist die Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes, das die Bundesregierung in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 vorlegen will. Diese Zeit nehmen wir uns. In der Zwischenzeit wird das getan, was aktuell anliegt. Es herrscht also kein Stillstand. Wir arbeiten konkret in den aktuellen Bezugsfeldern und erstellen gleichzeitig eine mittel- und langfristige Strategie. Die praktische Energiepolitik geht weiter und die Ergebnisse und Erkenntnisse fließen in das Gesamtkonzept ein. Mit einfließen sollen auch die Ergebnisse der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Präsidentschaft im Jahr 2007. Wir wollen das international aufstellen. Frau Merkel hat ja bekanntlich die Energiepolitik als einen der drei Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft genannt. Wir bereiten uns darauf vor und hoffen, daraus Erkenntnisse für die strategische Ausrichtung der deutschen Energiepolitik zu gewinnen. Wichtig ist natürlich der Energiemix, für den wir auch Erkenntnisse gewinnen wollen. Wie können wir ihn optimieren? Dabei fallen als erstes die Kohle und die fossilen Brennstoffe ins Auge. Wir wollen neue Ansätze in Technik und Forschung entwickeln bis hin zum CO2freien Kraftwerk. Dafür nehmen wir richtig Geld in die Hand. Wir schließen nichts aus. Wir wollen möglichst breit auch unter dem Gesichtspunkt der Energiesicherheit aufgestellt sein. Wir begrüßen ausdrücklich die beim Energiegipfel gegebenen Zusagen der Energiewirtschaft zu umfangreichen Investitionen in Kraftwerke und Stromnetze. ({9}) Frau Künast, das hat es in Ihrer Zeit auch schon einmal gegeben, aber sehr vage, unbestimmt und nicht belastbar. Man wollte 20 Milliarden Euro in ein Investitionsprogramm investieren. Dieser Gipfel hat dazu geführt, dass aus den 20 Milliarden Euro 30 Milliarden Euro geworden sind. Er hat eine neue Sicherheit in die Gespräche gebracht. Ich halte die Zusagen, die jetzt gemacht worden sind, für belastbarer als das, was vorher hin und wieder einmal erörtert worden ist. Wir sind also auch hier ein gutes Stück weitergekommen. ({10}) - Ja, das wird sich zeigen. Haben Sie ein bisschen Geduld! Das ist sicher eine Tugend, die Ihnen ziemlich abgeht. Üben Sie sie einmal ein bisschen. ({11}) Bei uns geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Bei Ihnen war und ist das offensichtlich immer noch umgekehrt. Wir wählen den anderen, den seriöseren Weg. ({12}) Die erneuerbaren Energien sind wichtig. Das haben die Teilnehmer des Energiegipfels einhellig unterstrichen. Sie sind ein wichtiger und wachsender Teil des Energiemixes. Lassen Sie mich dazu zum Abschluss noch ein paar Zahlen vortragen, weil ich glaube, dass sie beeindruckend sind. So etwas hat es in der Energieforschungspolitik bisher nicht gegeben. Für rationelle Energieumwandlung haben wir im Jahr 2005 104 Millionen Euro ausgegeben; für das Jahr 2009 planen wir 203 Millionen Euro ein. Das ist fast eine Verdoppelung und das sind 36 Prozent der Finanzmittel, die wir für die Energieforschung und -optimierung ausgeben. Bei den erneuerbaren Energien gibt es ebenfalls eine Erhöhung von 135 Millionen Euro Ist in 2005 auf 154 Millionen Euro in 2009. Wir sind also in diesen Bereichen gut drauf. In keinem Bereich des Haushalts ist ein solcher Aufwuchs zu verzeichnen wie in diesem forschungs- und energierelevanten Bereich. Ich meine, wir sind intelligent aufgestellt. Der Energiegipfel war gut. Wir bedanken uns für die Gelegenheit, mit Ihnen hier im Plenum des Deutschen Bundestages eine Stunde darüber diskutieren zu können. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! „Gut drauf“ ist die Bundesregierung - Herr Staatssekretär, das nehmen wir gern zur Kenntnis. Wahrscheinlich hat der Energiegipfel dazu beigetragen. In Wahrheit aber war er ein selbsttherapeutischer Gesprächskreis und ohnehin ein Milliardenpoker. Mehr hat er nicht gebracht. Substanz kann ich wirklich nicht erkennen. ({0}) Ich muss Sie daran erinnern: Wir haben gestern im Wirtschaftsausschuss versucht, auszuloten, wie sich die 33 bis 40 Milliarden Euro, die Sie an Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien zugesagt haben, zusammensetzen und woher sie kommen, also wie belastbar diese Summe ist. Sie konnten uns nicht erläutern, wie sich diese Summe zusammensetzt. So klar scheint den Regierungsteilnehmern also nicht zu sein, was eigentlich passieren soll. ({1}) Die notwendigen Investitionen in Kraftwerke und Netze haben Sie angesprochen; sie sind in der Tat wichtig und richtig. Aber die Unternehmen investieren nur, wenn sie wissen, wie die Rahmenbedingungen aussehen. Auch hierzu haben Sie manche Fragen völlig offen gelassen: Welche Vorgaben machen Sie mit Blick auf den Nationalen Allokationsplan II? Was kommt hier auf uns alle, auf die Verbraucher wie auf die Unternehmen, zu? Diese Fragen haben Sie sträflich vernachlässigt. In Vorbereitung dieses fulminanten Gipfels habe ich Ihren Statusbericht gelesen. Darin stellen Sie die Frage: Wird es für die auslaufende Stromerzeugung aus Kernenergie qualitativ ausreichend und wirtschaftlich vertretbar Ersatz geben? Diese Frage haben Sie gestellt, ohne bemerkt zu haben, dass Sie in diesem Zweierkanon den dritten Aspekt, die Umweltverträglichkeit, völlig außer Acht gelassen haben. Sie haben sich nicht gefragt, ob das unter umweltpolitischen Gesichtspunkten passt. Ich finde, das ist entlarvend; denn daran wird deutlich, dass Sie nicht genau genug hinschauen. In Ihrem Statusbericht gehen Sie davon aus, dass - den Ausstieg aus der Kernenergie unterstellt - in circa zehn bis 13 Jahren der Fokus auf einer vermehrten Kohlenutzung, auf einer Verdopplung des Gasverbrauchs und auf einer Verdoppelung des Einsatzes erneuerbarer Energien liegen wird. Sie müssen natürlich auch die Frage beantworten, wie Sie das Thema Klimaschutz - ich habe es bereits angesprochen - in diesem Mix berücksichtigen wollen. Was die erneuerbaren Energien betrifft, ist das okay. Auch wir wünschen uns in diesem Bereich eine Förderung, und zwar nach einem differenzierten Mengenziel, das wir festzulegen haben. Sie lassen das aber offen. Es fehlt ein energiepolitisches Gesamtkonzept, für dessen Erarbeitung Sie sich jetzt noch fast zwei Jahre lang Zeit lassen wollen. ({2}) Ich finde, diese Zeit haben wir nicht mehr. Wir sind gebeutelt von Arbeitslosigkeit, von höchsten Energiekosten und von Rahmenbedingungen, die weit entfernt sind von dem, was wir uns unter Wettbewerb und Markt vorstellen. Daran hat natürlich auch die frühere rot-grüne Bundesregierung ihren Anteil. Die neue rot-schwarze Regierung setzt diese Politik im Augenblick schlicht fort. Ich kann in diesem Bereich keine neuen Entwicklungen feststellen. ({3}) Die Fragen, um die es geht, liegen auf dem Tisch und die Antworten sind nahe liegend. Aber Sie geben sie nicht. Sie streiten sich untereinander und schieben sich gegenseitig die Karten zu. Sie wollen nachdenken und strategische Überlegungen anstellen. Dabei müssten Sie dringend Antworten geben, und zwar solche, die Sie im Konsens gefunden haben. Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben in dieser Woche ein energiepolitisches Grundsatzpapier verabschiedet, das zukunftsweisend ist. Darin befassen wir uns mit der internationalen Energiepolitik, beleuchten den gesamten Energiemix ohne ideologische Vorgaben, ({4}) und behandeln Umweltschutz, Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und die Minderung von Importabhängigkeiten als gleichrangige Ziele. Wir stellen also weder bestimmte Ziele in den Vordergrund noch rücken wir andere Ziele in den Hintergrund. ({5}) Ich empfehle Ihnen dringend, sich ausgiebig mit unserem energiepolitischen Grundsatzpapier zu befassen. ({6}) Denn, Herr Staatssekretär Schauerte, wir haben nicht die Zeit, zwei weitere Jahre in Arbeitskreisen zu diskutieren. Sie wissen ja: Wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gründet man einen Arbeitskreis. Sie gründen sogar drei Arbeitskreise. Handeln Sie! Treffen Sie Ihre Entscheidungen! Wir brauchen energiepolitische Leitlinien, in denen die Energiepolitik als das dargestellt wird, was sie ist: als Standortpolitik. Wirtschaftsminister Glos hat neulich gesagt, ({7}) die Energiepolitik sei nach seinem Verständnis die Hauptschlagader der gesamten Wirtschaftspolitik. ({8}) Wenn das so ist - auch wir sind dieser Meinung -, dann handeln Sie bitte auch dementsprechend und verlieren Sie sich nicht in endlosen Diskussionszirkeln. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Energiepolitik ist ein Schlüsselthema dieses Jahrhunderts, dessen Bedeutung weit über ökonomische Fragen hinausreicht. Hierbei handelt es sich um den Schlüssel zur Sicherung des Friedens in der Welt und zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Weil das so ist, ist es bei diesem Thema unangebracht, parteipolitische Spielchen zu beginnen; dafür ist es viel zu ernst. Ich halte nichts davon, aus umfangreichen Berichten einen einzigen Satz herauszugreifen und daran die Kritik festzumachen, Frau Kopp. Wenn Sie ehrlich gewesen wären, hätten Sie ansprechen müssen, dass der Statusbericht über lange Passagen den Klimaschutz zum Thema hatte. Wenn das nicht Umweltpolitik ist, dann weiß ich nicht, was Umweltpolitik ist. ({0}) Dieses Thema ist nicht dazu geeignet, die Schlachten von gestern zu schlagen. Es gibt eine Mahnung der beiden großen Aufklärer Theodor Adorno und Max Horkheimer, die immer wieder die Frage gestellt haben, ob die europäische Gesellschaft noch die Kraft in sich hat, Fortschritt und Entwicklung möglich zu machen. Aus meiner Sicht ist ihre Mahnung, dass in jeder modernen Gesellschaft immer auch der Keim des Rückschritts steckt, richtig. Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Weichen so neu gestellt werden müssen wie in der Energiepolitik. Die Grundfrage in der Energiepolitik, die wir klären müssen, ist: Welches Verständnis von Zeit haben wir? Es gibt nämlich zwei völlig unterschiedliche politische Strategien, je nach dem Verständnis von Zeit: Wenn wir in der Energiepolitik zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns den aktuellen Zwängen anpassen müssen, kommen wir zu anderen Schlussfolgerungen, als wenn wir vor allem von den großen Zukunftsherausforderungen ausgehen und versuchen, frühzeitig Antworten zu geben. Ich plädiere für das Zweite, weil ich glaube, dass die Veränderungen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen, so gewaltig sind, dass kurzfristige Anpassungen wenig bringen werden. Wir müssen die Energiepolitik aus ökologischen, aus ökonomischen und aus friedenspolitischen Gründen neu ordnen, sonst wird sie immer mehr zur Achillesferse der modernen Gesellschaft. ({1}) Lassen Sie mich das an drei Punkten deutlich machen: Erster Punkt. Im Augenblick nutzen 1,3 Milliarden Menschen ungefähr drei Viertel der kommerziellen Energie und Rohstoffe. Nehmen wir an, dass Länder wie China, Indien und Brasilien - die bevölkerungsreichsten Schwellenländer - in 35 Jahren das Wohlstandsniveau erreichen, das heute Ungarn hat, dann bedeutet das eine Verdreifachung des Weltsozialprodukts. Wenn man gleichzeitig andere Entwicklungen berücksichtigt - Wachstum der Industrieländer, der anderen Länder, Bevölkerungswachstum - ist es eine Verfünffachung. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass diese Herausforderung mit der heutigen Energieversorgung lösbar ist - es ist schlicht eine Illusion. Im Gegenteil: Die Länder, die auf diese Herausforderungen frühzeitig eine Antwort geben, werden in der Zukunft am besten dastehen. ({2}) Die zweite große Herausforderung ist der Klimawandel. Wir wissen in der Zwischenzeit, dass die größten Veränderungen im Klimasystem nicht in den tropischen und subtropischen Breiten - obwohl es da schlimm genug ist -, sondern in den nordpolaren Regionen stattfinden; dort ist die Klimasensibilität am höchsten. Beispielsweise beträgt die Erwärmung im Weltdurchschnitt etwa 0,7 Grad, aber über Grönland erreicht sie schon fast 3 Grad. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Durchschnitt 2,5 Grad beträgt. Das bedeutet in der Konsequenz: Über Grönland wird eine Erwärmung von mehr als 12 Grad zu befürchten sein. Was das wegen der Veränderungen in den Meeressystemen bedeutet, kann man sich gar nicht ausmalen! ({3}) Die Konsequenz daraus kann nur ein Umbau des Energiesystems sein; darüber ist intensiv zu reden. Das wiederum ist eine Frage unseres zeitlichen Verständnisses. ({4}) Dritter Punkt: Die Zeit der billigen Energie ist vorbei. Es sind Leute wie James Schlesinger und Henry Kissinger, die uns vor drohenden Ressourcenkriegen warnen, wenn nicht vor allem die Industrieländer einen anderen Umgang mit Energie pflegen. Das sind doch die Herausforderungen der Zukunft, denen wir uns stellen müssen! Deshalb geht es um unser zeitliches Verständnis von Energiepolitik. Ein Teil dieses Hauses kennt nur die Anpassung an aktuelle Zwänge. Aber das kann nicht die Lösung sein. Energiepolitik muss heißen, die Infrastruktur der Zukunft möglichst früh zu entwickeln. Energie sparen: Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien. Das sind die Antworten, die von der großen Koalition gemeinsam gegeben werden. ({5}) Ich will auf einen interessanten Punkt hinweisen: Es waren im Wesentlichen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD, die 1990 das große Klimaschutzziel 25 Prozent weniger CO2-Ausstoß entwickelt haben. Ich sage: Ganz egal, wie man die Koalition einschätzt, sie ist verpflichtet, erfolgreich zu sein, weil das schon aufgrund der Konstellation notwendig ist. ({6}) - Ja, doch. Man sollte über den Tellerrand hinausschauen. Für die Demokratie ist es wichtig, dass diese Koalition erfolgreich ist. - Wenn wir es schaffen - gerade in der Energiepolitik -, ein Zeichen nach vorne zu setzen und eine Entwicklung einzuleiten, die überall in der Welt vorbildlich ist, dann hat sich diese Koalition gelohnt. Dafür setzen wir uns ein. ({7}) - Liebe Renate Künast, dazu möchte ich einmal etwas Deutliches sagen: Es ist ja schön und gut, dass sich die Grünen immer um das Thema erneuerbare Energien gekümmert haben - übrigens nicht allein -, ({8}) aber es wäre sehr viel schöner gewesen, wenn sich die Grünen beispielsweise auch sehr viel mehr des Themas Effizienz angenommen hätten. Hier war nämlich die große Schwachstelle. Reden wir also darüber. Das wisst ihr doch auch ganz genau. ({9}) - Auch beim Emissionshandel hätten wir manche Weichen anders stellen können. ({10}) Auch das weiß Jürgen Trittin besser, als er es hier sagt. ({11}) - Wenn ich darauf hinweisen darf: Er war in den letzten drei Jahren nicht in der Regierung. - Lasst uns bitte nicht die Schlachten von gestern schlagen. ({12}) Ich will, dass diese Zukunftsherausforderungen im Zentrum stehen. Die Reaktion der Grünen scheint mir eher die zu sein, dass sie Angst haben, ein Thema zu verlieren. ({13}) Das scheint mir der Punkt zu sein. Das ist diesem Thema nicht angemessen. Lasst uns bitte gemeinsam in die Zukunft schauen. ({14}) Ich glaube, dass es vor allem um vier zentrale Punkte geht: Erstens. Der Austausch von Energieträgern als Energiepolitik ist nicht ausreichend. Die entscheidende Frage ist, unter welchen Rahmenbedingungen wir so schnell wie möglich mehr einsparen sowie eine höhere Effizienz schaffen und schneller erneuerbare Energien entwickeln können. ({15}) Genau diese Fragen müssen ins Zentrum rücken und nicht der Austausch eines Energieträgers durch den anderen. Die Frage lautet: Wie können diese Ziele optimal erreicht werden? Das geschieht nicht durch immer mehr Energieeinsatz, sondern der intelligente Einsatz von Energie ist die entscheidende Herausforderung. Zweiter Punkt: unser Vorangehen beim Klimaschutz. Das ist die zentrale Zukunftsherausforderung. Die Welt schaut dabei auf Europa. Was in Europa geschieht, wird die Welt prägen. Dritter Punkt. Wir müssen die Energiepolitik immer mehr als Energieaußenpolitik begreifen. An der Frage des Energieeinsatzes wird sich die Sicherheit der Welt entscheiden. Auch hier ist entscheidend, was Europa tut. Der Gedanke, das technologisch starke Westeuropa mit dem Rohstoffriesen Russland im Sinne einer intelligenten Kooperation für die Welt zusammenzubringen, ist eine große Vision, die wir voranbringen sollten. Ich finde, auch hier war die Diskussion in den letzten Wochen im Verhältnis zur großen Bedeutung dieses Themas kleinkariert. Ich glaube nicht, dass uns das voranbringt. ({16}) Lassen Sie mich noch den vierten Punkt nennen. Wir müssen auch den historischen Fehler überwinden, zu meinen, dass sich die Stärke eines Landes vor allen Dingen an der Arbeitsproduktivität orientiert. Energie- und Ressourcenproduktivität sind zentrale Wettbewerbsfaktoren in der Zukunft. Dadurch wird der Fehler überwunden, dass bei einem schwächer werdenden Wachstum immer mehr Menschen durch Technik ersetzt werden. Wir schaffen eine Produktivität, durch die auch mehr Arbeit möglich wird. Das sind vier Herausforderungen, die wir mit der Energiepolitik verbinden. Lasst uns deshalb nach vorne schauen. Wir führen nicht die Schlachten der Vergangenheit, sondern wir sehen vor allem die Herausforderungen der Zukunft und wir wollen Antworten geben, die umweltverträglich, wettbewerbsfähig und kostengünstig sind. Vielen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat der Kollege Hans-Kurt Hill von der Linken das Wort. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der hinter uns liegende Winter wird für uns alle teuer. Der Verbraucher zahlt bis zu 500 Euro mehr für das Heizen und den Strom. Das ist für viele Haushalte ein halbes Monatsgehalt. Und was tun die Energiekonzerne? Bei immer weniger Mitarbeitern verkünden sie für das letzte Jahr natürlich Rekordgewinne. EnBW und RWE haben insgesamt 14 000 Mitarbeiter entlassen. Andere Konzerne veranstalten Übernahmen mit riesigen Summen: 29,1 Milliarden Euro will Eon für die spanische Endesa berappen. Bezahlt wird das Ganze aus den Taschen der Verbraucher. ({0}) - Natürlich auch der Verbraucherinnen. - Weitere Beispiele: 6 Milliarden Euro pro Jahr steckt das Stromoligopol im Rahmen des Emissionshandels in die eigene Tasche. 18 Milliarden Euro zahlen die Kunden jedes Jahr allein für die Nutzung der Stromnetze; aber nur 2 Milliarden Euro fließen davon in die Netze zurück. Alles in allem kann man sagen: Die Energiekartelle ziehen den Bürgerinnen und Bürgern ungeniert das Geld aus der Tasche. Und was macht die Bundesregierung? Erstens. Sie erhöht die Mehrwertsteuer um noch einmal 3 Prozentpunkte. Zweitens. Sie lädt die Energiebosse zum Gipfel ein, auf dass alles besser werde. Ich bin der Meinung, das ist den Menschen im Land nicht mehr zu vermitteln. ({1}) Der Energiegipfel bei Bundeskanzlerin Merkel am Montag letzter Woche hat das Bild abgerundet. Man sitzt gemeinsam im sicheren Boot und lässt die Verbraucherinnen und Verbraucher schwimmen. Mein Respekt gilt an dieser Stelle Edda Müller vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Sie vertrat als Einzige die 39 Millionen privaten Haushalte mit Bravour. ({2}) Machen wir uns nichts vor: Die Gästeliste spiegelt wider, wohin die Reise geht, nämlich zurück in die fossilatomare Steinzeit. Wenn die Kanzlerin keine andere Energiepolitik will, dann sollte sie uns das sagen und nicht so einen Zirkus veranstalten. Die Investitionszusage der Konzernbosse ist unserer Meinung nach eine Mogelpackung. Die 30 Milliarden Euro waren schon lange vor dem Energiegipfel fest eingeplant, und zwar für die Ersetzung der maroden Kohleblöcke bzw. für die Neubauten, die von Umweltminister Gabriel über den Emissionshandel subventioniert werden. Hinzu kommt: Kein einziger Arbeitsplatz wird geschaffen. Die neuen Kraftwerke ersetzen zwar die alten Dreckschleudern, werden aber nur mit einem Viertel des Personals betrieben. Das bestätigen sogar die RWE-Betriebsräte. Dass die Großen der Branche die Investitionen nur in Aussicht stellen, darf sicherlich als Drohkulisse für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken verstanden werden; denn da kann man richtig verdienen: 300 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen pro Jahr beschert die Verlängerung der Laufzeit eines einzigen Atomkraftwerkes. Die Branche der erneuerbaren Energien leistet als Einzige einen echten Beitrag für eine zukünftige Energieversorgung. Der Anteil von Energie aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme soll in den nächsten 14 Jahren auf 20 Prozent steigen. Das bedeutet: Durch den steigenden Anteil dieser heimisch erzeugten Energie nimmt die Versorgungssicherheit zu. Mehr erneuerbare Energien entlasten die Geldbeutel der Verbraucher. Sie fangen die hoch drehende Preisspirale bei Öl und Gas auf. Die CO2-Einsparung wird jährlich 270 Millionen Tonnen betragen. Bis 2020 werden 330 000 neue Arbeitsplätze entstehen. ({3}) Es ist aber zu fragen, ob sich die erneuerbaren Energien tatsächlich durchsetzen können. Zurzeit werden sie vom Energiekartell behindert, sei es beim Anschluss ans Netz, sei es durch unzureichenden Ausbau der Stromtrassen, um zum Beispiel Windstrom einzuspeisen. Die CDU/CSU stimmt in diesen Chor kräftig mit ein. Die erste Strophe des Liedes lautet, das EEG müsse abgeschafft werden. Die zweite Strophe - wen wundert’s 2640 heißt, Atomkraftwerke müssten länger laufen. Eine derart ideologische Polemik hat nun wirklich nichts mit einer vernünftigen Energiepolitik zu tun. ({4}) Für eine bezahlbare, klimafreundliche und sichere Energieversorgung müssen Sie schon etwas mehr tun: erstens Energieeinsparung durch einen klaren ordnungsrechtlichen Rahmen, zweitens Umschalten auf erneuerbare Energien und drittens schnellstmöglicher Ausstieg aus der gefährlichen Atomwirtschaft. Unser Fazit: Die Energiewende fällt wegen Stillstands aus und die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger. Das ist der Gipfel! Danke. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nahtlos an die Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Müller anschließen. ({0}) Denn er hat den Kern der gesamten Problematik exakt getroffen, indem er die Analyse der globalen Herausforderung der vergangenen Jahre noch einmal erläutert und uns deutlich gemacht hat, was wir in Zukunft in Europa am globalen Energiemarkt zu erwarten haben. Im Kontrast dazu stand die Rede der Kollegin Künast, die den Blick wieder auf eine rein nationale Diskussion der Fragen verengt hat, die wir schon in den vergangenen Jahren mit fatalen Folgen für das Land aus einer nationalen Betrachtungsweise hin- und hergewendet haben. Sie haben von einer Blockade gesprochen, Frau Künast. Das stimmt, es gab eine Blockade Ihrerseits für Investitionen in die richtige Richtung. Es gab aber unsererseits keine Blockade bei den erneuerbaren Energien, speziell bei der Windkraft. Die Politik hinsichtlich der gesamten Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland ist durch die grüne Ideologie in eine völlig falsche Richtung gegangen. ({1}) Jetzt kommt es durch die Initiative der Bundeskanzlerin Gott sei Dank zu einer Diskussion, die in erster Linie von Ideologiefreiheit geprägt ist. ({2}) Diese ist auch dringend notwendig, um unsere Ziele zu erreichen. ({3}) Frau Künast, Sie haben die Verbraucher angesprochen. Was die Energiekosten für die Verbraucher angeht, waren es doch die Grünen, denen die beim Endverbraucher anfallenden Kosten nicht hoch genug sein konnten. Diese Linie haben Sie immer verfolgt. Jetzt aber präsentieren Sie sich als die großen Heilsbringer. ({4}) Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, Frau Künast. Sie haben den mangelnden Wettbewerb in Deutschland angesprochen. Warum haben Sie in den vergangenen Jahren nichts unternommen, um nach 1998 den Wettbewerb im Stromsektor zu erhalten? Er ist nämlich deshalb nicht erhalten geblieben, weil Sie die Gesetzgebung nicht entsprechend nachjustiert haben. ({5}) Noch ein Punkt, Frau Künast: In der Tat - darin stimmen wir zufällig überein - kann der Energieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland halbiert werden. Darin gebe ich Ihnen Recht. Aber das geht mit einer Deindustrialisierung und dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland einher. Dann haben Sie Ihr Ziel erreicht. Ihre Politik scheint mir nämlich nach wie vor in eine Richtung zu führen, durch die Arbeitsplätze verloren gehen und noch mehr profitable Industrieunternehmen aus Deutschland vertrieben werden. ({6}) Was mit dem Energiegipfel eingeleitet wurde, deutet einwandfrei in die richtige Richtung. Es ist längst ein Generalkonzept für die Bundesrepublik Deutschland und Europa mit Blick auf die globale Entwicklung überfällig. Deswegen sollten wir der Bundesregierung danken, dass sie die Dinge jetzt in die Hand genommen hat. ({7}) Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen. Bei allen Entwicklungen der vergangenen Jahre war nicht alles falsch. Aber der ökologische Aspekt wurde nicht im gleichen Maße wie der ökonomische und der soziale Aspekt berücksichtigt. Vor dem Hintergrund der globalen Herausforderung ({8}) muss jetzt beispielsweise beim Zertifikatehandel zur CO2-Minderung ein globaler Ansatz verfolgt werden. Wir als CDU/CSU-Fraktion werden uns weiter für eine effiziente CO2-Minderung dergestalt einsetzen, dass wir unsere Mittel weltweit möglichst effizient zugunsten des bestmöglichen Abbaus von Emissionen verwenden. ({9}) Die Blockade eines grünen Umweltministers, was JI und CDM im Allgemeinen betrifft, gehört Gott sei Dank der Vergangenheit an. Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin dafür, ({10}) dass sie die Initiative ergriffen hat. Sie wird mit Sicherheit Erfolg haben, wenn wir im Laufe dieses Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres in die Diskussion eintreten werden. Herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Hans-Josef Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Müller, Sie wollen die Herausforderungen Klimaschutz und Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt stellen; das ist richtig. Aber bislang reden Sie nur davon. Haben Sie noch nicht gemerkt, dass Sie in der Regierung sind, dass Sie Antworten liefern müssen und nicht nur Fragen stellen können? ({0}) Warum haben Sie die zentralen Fragen, die Sie zu Recht gestellt haben, nicht in den Mittelpunkt des Energiegipfels gestellt? Das ist Ihr Versäumnis. ({1}) Wir müssen Antworten geben, und zwar andere als die auf dem Energiegipfel. Stattdessen schieben Sie uns, den Grünen, die wir in der letzten Wahlperiode eine erfolgreiche Energiepolitik gemacht haben, noch etwas in die Schuhe, was nichts anderes als eine falsche Behauptung ist. Sie sagen, wir hätten die Effizienz nicht gesteigert. Wer hat denn die von uns ständig gestellten Anträge auf Erhöhung der Mittel für das Altbausanierungsprogramm sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Plenum des Bundestages abgelehnt? Sie von der SPD. ({2}) Ich bin gespannt, ob Sie in Zukunft den Anstieg der Gewinne der Energiekonzerne durch kostenlose Emissionszertifikate endlich stoppen werden und den Mut haben, in ein Versteigerungsverfahren einzusteigen, anstatt wie bisher die Zertifikate zu verschenken. Wir warten gespannt auf Ihre Antworten. ({3}) Der Energiegipfel ist ein Gipfel der verpassten Chancen. Statt Antworten zu geben, haben Sie von der SPD an der klimaschädlichen Kohle und Sie von der Union an der problematischen Kernenergie festgehalten. ({4}) Wo sind Ihre Antworten auf die gesellschaftlich relevanten Fragen, etwa wie man in Zukunft seine Wohnung bezahlbar beheizen kann - das ist für sozial Schwache inzwischen zu einem zentralen Problem geworden - oder wie man den vielen Menschen in den ländlichen Räumen helfen kann, die bald nicht mehr die Kosten für die Autofahrt zu ihrem Arbeitsplatz aufbringen können, weil die Rohölpreise ständig steigen? Wir haben keine Antworten gehört. ({5}) Sie haben nur über Strom geredet, nicht aber über Heizoder Treibstoffe. Oder die steigenden Strompreise: Alle wissen - die Spatzen pfeifen es bereits von den Dächern -, dass der durch die Energiekonzerne verhinderte Wettbewerb die Strompreise ständig weiter nach oben treibt. ({6}) Sie sind auch hier Antworten schuldig geblieben und haben weiterhin Konzernpolitik gemacht. Oder wo geben Sie Antworten, wenn es um die steigenden Ausgaben und die fehlenden Einnahmen im Bundeshaushalt geht? Wir haben nichts von Ihnen dazu gehört, wie Sie die Kohlesubventionen reduzieren wollen, um den Haushalt zu sanieren. ({7}) Wir haben von Ihnen nicht gehört, dass Sie endlich ökologisch schädliche Subventionen abbauen wollen. Wo sind denn Ihre Antworten auf die Fragen nach einer Flugbenzinbesteuerung, einer Schiffdieselbesteuerung und einer Besteuerung der Rückstellungen für die Atomkraftwerke? Wenn Sie über fehlende Haushaltseinnahmen sprechen, dann schlagen Sie plötzlich eine Besteuerung der Biokraftstoffe vor. Dabei sind diese Kraftstoffe eine der großen Zukunftshoffnungen auf bezahlbare Energiepreise für die Bürger und Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch heimische Energieträger. ({8}) Mit der von Ihnen geplanten Mehrwertsteuererhöhung werden Sie stattdessen den Bürger mit etwa 120 Euro für Strom, Heizung und Treibstoffe pro Haushalt stärker belasten. Meine Damen und Herren von der großen Koalition, das sind keine Antworten auf die gestiegenen Energiepreise. ({9}) Außerdem sind Sie eine Antwort auf den Atomstreit schuldig geblieben. Kanzlerin Merkel hat ihn einfach weitertreiben lassen, obwohl im Koalitionsvertrag alles klar festgelegt ist. Das ist ein großes Problem; denn diese Hängepartie beim Atomausstieg wird weitergehen. Sie wird ein Investitionshemmnis sein. Wir werden nach 2009 möglicherweise noch immer nicht wissen, wie es weitergeht, ob die Branche der erneuerbaren Energien ihr Versprechen halten kann, in den nächsten 15 Jahren 200 Milliarden Euro zu investieren. ({10}) Denn wenn Sie an der Atomenergie festhalten und es zulassen, dass neue fossile Kraftwerke gebaut werden, dann wird das Volumen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Nutzung von Effizienzmöglichkeiten verringert. Dann wird zu viel Strom auf dem Markt sein und Chancen für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für Investitionen werden nicht mehr gegeben sein. ({11}) Dagegen hängen Sie sich an die uralten Versprechungen der Stromwirtschaft, die da 20 Milliarden Euro in fossile Kraftwerke zu investieren verspricht. Das hatte sie schon lange versprochen. Auch die 10 Milliarden Euro für die Netze sind nichts Neues. Kommen wir zum Schluss noch zur Forschung. 2 Milliarden Euro mehr wollen Sie für die Energieforschung ausgeben. Ich bin gespannt, ob Sie dieses Versprechen zwischen der ersten Beratung des Bundeshaushaltes und der zweiten Beratung durch Änderungsanträge von Ihnen in den Ausschüssen und im Plenum einhalten. Wenn nicht, dann wäre das ein leeres Versprechen. Denn was jetzt im Haushalt steht, das wissen wir. Wenn die 2 Milliarden Euro neues Geld sein sollen, dann müssen sie auch auftauchen. Dabei müssen wir auch wissen, wofür das Geld ausgegeben wird. ({12}) Heute wird in der „FAZ“ Bundesministerin Schavan zitiert. Sie hat angekündigt, dass im Atombereich nicht nur für Sicherheits- und Endlagerforschung bezahlt werden soll, sondern auch für die Erforschung notwendiger Energiegewinnung aus Kernkraftwerken. Damit ist die Katze aus dem Sack: Sie wollen neue Atomkraftwerke in diesem Staat. Das werden wir zu verhindern wissen. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann, SPDFraktion. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Fell, man muss irgendetwas haben, wogegen man kämpfen kann. Deswegen haben Sie jetzt die Mär von den neuen Atomkraftwerken erfunden. Aber wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Weder die CDU/CSU noch die SPD hat ein solches Ziel formuliert. Es steht auch nicht auf einer „hidden agenda“. Sie können sich gerne politische Gegner suchen. Aber jedenfalls an dieser Stelle ist das fehl am Platz. ({0}) Meine Damen und Herren, die Grünen haben diese Aktuelle Stunde zum Energiegipfel gefordert. Sie haben - das ist aus den Wortbeiträgen deutlich geworden große Erwartungen an diesen Gipfel geknüpft, die jetzt offenbar enttäuscht worden sind. Wir dürfen diese großen Erwartungen als Kompliment empfinden. Wir selbst haben so große Erwartungen, dass nämlich sofort, auf einen Schlag und an einem Tag Lösungen präsentiert werden, nie gehabt. ({1}) Das war eine eher naive und insofern - ich unterstelle Ihnen ja nicht Naivität - vorgeschobene Erwartung. ({2}) Es geht darum, einen Auftakt zu organisieren - das ist gelungen -, einen Prozess hin zu einem Energieprogramm. Man muss eingestehen: Das haben wir beide zusammen jedenfalls nicht zustande gebracht. ({3}) Dieser Auftakt ist gelungen. Eben ist behauptet worden, es seien nur die Energieversorgungsunternehmen eingeladen worden. Das ist natürlich völliger Unsinn. Genauso sind auch die energieverbrauchende Seite, die Wissenschaft und eigentlich alle, die mit Energiewirtschaft oder -verbrauch oder überhaupt mit der breiten Verbraucherschaft zu tun haben, eingeladen worden. Ich glaube, das kann man durchaus an den Ergebnissen und an den Diskussionsthemen ablesen. ({4}) Es ist eben nicht nur über Versorgungssicherheit gesprochen worden. Es ist auch über Umweltverträglichkeit und über Preiswürdigkeit gesprochen worden - wie gesagt, nicht mit unmittelbaren Ergebnissen bei allen Themen. Unsere Fraktion begrüßt die Investitionsankündigungen sowohl für den konventionellen Kraftwerkspark als auch für die erneuerbaren Energien und für die Netze. Ich diffamiere das nicht, wie es einige Redner getan haben. Es ist auch Unsinn, wenn Sie, Herr Fell, behaupten, dass Investitionen in konventionelle Kraftwerke dazu führten, dass Investitionen in erneuerbare Energien unRolf Hempelmann terblieben. Immerhin sind für beide Bereiche Ankündigungen auf dem Gipfel erfolgt. Sie werden nicht behaupten, dass die Ankündigungen der Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energien unseriös gewesen seien. ({5}) Diese Investitionsankündigungen sind schon deshalb zu begrüßen, weil sie die Knappheit im Energie- und gerade auch im Stromangebot verringern werden. In erster Linie Knappheit verursacht hohe Preise und nichts anderes. Jenseits dieser Investitionsankündigungen ist es notwendig, dass der Prozess hin zu einem Energieprogramm jetzt auch unter Beteiligung der Fraktionen organisiert wird. Es wird Zeit, dass wir sozusagen mit an Bord kommen. Außerdem ist wichtig, dass die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schafft, damit diese Investitionen keine Ankündigungen bleiben, sondern tatsächlich stattfinden. Wir brauchen sehr bald ein Planungsbeschleunigungsgesetz - es ist in Arbeit und wir werden es auch vorlegen -, das diesen Namen verdient. ({6}) Wir brauchen zügig die Einigung zum NAP II - das ist auch ein Stück weit Appell an die beiden Ministerien -, damit wir als Parlament unseren Beitrag leisten können. Nach der Sommerpause brauchen wir natürlich auch die Verordnung zur Anreizregulierung; denn nur über mehr Wettbewerb - das ist das Ziel der Anreizregulierung werden wir letztlich das Ziel erreichen, zu sinkenden Strom- und Energiepreisen zu kommen. Es ist wunderbar, ein Feindbild zu haben. Es ist wunderbar, immer auf den großen Unternehmen herumzuhacken. Zum Teil haben sich diese Unternehmen die Kritik ehrlich erarbeitet. Manchmal trifft man durchaus die richtigen dabei. Aber es ist eine grobe Vereinfachung, so zu tun, als wenn allein die Beschimpfung der Großen oder der eine oder der andere Nadelstich an der einen oder an der anderen Stelle die Realität hoher Energiepreise verändern würde. Wir werden sie nur durch mehr Wettbewerb verändern. ({7}) Da sind insbesondere die von uns gegründete Bundesnetzagentur und natürlich auch die Politik in Form des Verordnungsgebers Bundesregierung - die Federführung liegt beim Wirtschaftsministerium - gefordert. Ich bin optimistisch, dass wir die notwendigen Schritte gehen. Ich verstehe die Ungeduld der Grünen, die daraus resultiert, dass sie schnelle Ergebnisse wünschen. Aber auch wir haben eine gewisse Zeit für das Energiewirtschaftsgesetz und für die Installation dieser Behörde gebraucht. Jetzt sollten wir in der Lage sein, so viele Monate zu warten, wie gebraucht werden, um Wettbewerb zur Realität zu machen. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächstes spricht Katherina Reiche, CDU/CSUFraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Energiegipfel hat die Bundesregierung den Startschuss zur Erarbeitung eines energiepolitischen Gesamtkonzepts gegeben. Das Ziel ist, eine bezahlbare, eine sichere, eine wettbewerbsfähige und eine umweltfreundliche Energieversorgung bis zum Jahr 2020 sicherzustellen. ({0}) Die Betonung liegt auf „bis zum Jahr 2020“. Das heißt, wir planen weit über diese Legislaturperiode hinaus. In meinen Augen war der Energiegipfel ein Erfolg; denn es ist gelungen, in einen sachlichen Dialog über die Energiepolitik in unserem Land einzusteigen. ({1}) Herr Fell, das ist das Gegenteil von dem, was zu Zeiten Ihrer Regierungsbeteiligung passiert ist. ({2}) Alte Grabenkämpfe, also das Ausspielen eines Energieträgers gegen den anderen, das Ausspielen von Umwelt gegen Wirtschaft, von Erzeuger gegen Verbraucher, haben bei diesem Gipfel Gott sei Dank keine Rolle gespielt. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen und es ist eine gute Grundlage für die weitere Arbeit. ({3}) Die Investitionszusagen, die auf dem Energiegipfel gemacht wurden, finde ich sehr begrüßenswert. Wie wir wissen, reichen Zusagen allein nicht aus. Diese Zusagen implizieren natürlich auch die Pflicht, Investitionen folgen zu lassen. Wir haben einen Investitionsstau zu verzeichnen, sowohl im Kraftwerksbereich als auch bei den Netzen. Der Kraftwerkspark in Deutschland ist ein wenig in die Jahre gekommen. Er muss modernisiert werden. Wenn wir tatsächlich die effizientesten und modernsten Kraftwerke entwickeln wollen, dann ist der anstehende Erneuerungsbedarf nicht zu übersehen. Aber es geht nicht nur darum, alte Kraftwerke zu ersetzen, sondern auch darum, neue zu bauen. Wir brauchen zusätzliche Stromkapazitäten im Markt, damit die Preise bezahlbar bleiben und damit der dringend notwendige Wettbewerb gestärkt wird. Das Ganze ist aber keine Einbahnstraße. Wenn wir von der Wirtschaft erwarten, dass sie investiert, dann erwartet die Wirtschaft von uns zu Recht Verlässlichkeit, Katherina Reiche ({4}) also eine Energiepolitik, die es ihr gestattet, wettbewerbsfähig zu bleiben. ({5}) Ich freue mich, dass auf dem Energiegipfel Investitionszusagen für die erneuerbaren Energien gemacht wurden. Das ist ein ganz wichtiges Signal dafür, dass sich die Förderung der erneuerbaren Energien für den Wirtschaftsstandort Deutschland auszahlt. Bei den erneuerbaren Energien liegt - das ist heute mehrfach betont worden - ein enormes Innovations-, Wachstumsund Beschäftigungspotenzial. Sie werden uns mit Sicherheit helfen, unsere Importabhängigkeit langfristig zu verringern. Sie leisten einen positiven Beitrag zum Klimaschutz. ({6}) Richtig ist aber auch, dass es noch weiterer Anstrengungen und technischer Fortschritte bedarf, weil die erneuerbaren Energien momentan noch nicht ohne Förderung am Markt bestehen können. Deshalb müssen wir in Forschung und Entwicklung mehr tun. Herr Kollege Fell, es ist eine bemerkenswerte Zusage der Bundesregierung, finde ich, in den Bereichen Forschung und Innovation sowie Energieforschung 30 Prozent mehr auszugeben. ({7}) Wir reden hier immerhin von 2 Milliarden Euro bis 2009. Wenn das kein wichtiges und deutliches Signal ist, Herr Kollege Fell, dann weiß ich nicht. In Ihrer Regierungszeit zumindest haben wir auf solche Zusagen warten müssen. ({8}) Wir müssen in der Sicherheitsforschung und bei der Energieeffizienz vorankommen. Wir müssen Ressourcen und Energie intelligenter nutzen. Herr Kollege Fell, ich möchte Sie noch ein weiteres Mal ansprechen. Sie haben gesagt: Angela Merkel hat den Streit über das Thema Kernkraft beiseite gelassen und hat dieses Thema nicht aufgenommen. - Das ist falsch. Sie hat sehr wohl darauf hingewiesen, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, gilt, nämlich dass es einen Dissens gibt. Erlauben Sie mir den folgenden Hinweis: Wenn der Kernenergieanteil an der Stromversorgung derzeit 30 Prozent beträgt, dann kann man schlechterdings nicht ausblenden, dass es so ist, wie es ist, weil wir - da wiederhole ich, was ich am Anfang meiner Rede schon gesagt habe - über die nächsten 25 Jahre reden müssen. Wenn man die Strategie, die die Bundesregierung verfolgt, auf wenige Worte zusammendampfen müsste, dann würde sie lauten: Es geht im Kern um fünf Dinge: um Energiemärkte und Wettbewerb, um Erneuerung bei den Kernkraftwerken, um Effizienzsteigerung, um Energieforschung und um erneuerbare Energien. Von Henry Ford soll der Ausspruch stammen: Zusammenkunft ist ein Anfang, Zusammenhalt ist ein Fortschritt und Zusammenarbeit ist der Erfolg. - Das möchte die Koalition. Das wird diese Bundesregierung unter Beweis stellen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächstes hat das Wort der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid ist im letzten Jahr in Deutschland leicht zurückgegangen. Das ist gut so. Weltweit befindet sich die CO2-Konzentration aber auf einem Rekordniveau. Nur 1987 und 1998 gab es einen höheren Anstieg der CO2-Emissionen. Das war vor dem Energiegipfel so. Das ist leider auch nach dem Energiegipfel so. Dass es aber nicht so bleibt, war eines der Ziele des Energiegipfels. Deswegen ist es gut, dass es den Energiegipfel gegeben hat. ({0}) Dass die Grünen natürlich relativ krabitzig Kritik üben, kann ich nachvollziehen; dass sie versuchen, immer wieder einen Keil zwischen die Regierungsfraktionen zu treiben, ist auch nachvollziehbar. ({1}) Aber glauben Sie mir: Das werden wir mit einer gewissen Gelassenheit hinnehmen, weil wir wissen, für welche Energiepolitik wir eigentlich stehen. Wir werden auch dafür sorgen, dass ein großer Teil dieser Energiepolitik umgesetzt wird. Die Bundesregierung will bis Ende 2007 ein energiepolitisches Konzept für die Zeit bis 2020 vorlegen, das - das ist schon gesagt worden - Versorgungssicherheit, wettbewerbsfähige Energiepreise und wirksamen Klimaschutz miteinander verknüpft. Im internationalen Klimaschutz gilt für Deutschland - die Notwendigkeit hat der Herr Staatssekretär vorhin schon eindrucksvoll geschildert -, aber auch für die anderen großen Kiotoländer: Wenn wir wollen, dass die anderen folgen, müssen wir weiterhin mit gutem Beispiel vorangehen. Insbesondere für Deutschland gilt hierbei: Wenn wir unserer Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz gerecht werden wollen, dann müssen wir uns ehrgeizige Ziele setzen. ({2}) Deshalb haben sich CDU, CSU und SPD bereits im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, eine Reduktion der CO2-Emissionen um mehr als 30 Prozent bis 2020 anzustreben, wenn sich denn die EU insgesamt zu einer Reduzierung um 30 Prozent verpflichtet. Dabei sollte uns die von der Energie-Enquete-Kommission des Bundestages in der letzten Legislaturperiode geforderte Reduzierung um 40 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050 als Wegmarke dienen. ({3}) Auf dem Weg dahin brauchen wir einen Energiemix, der klimaschonend, sicher und eben auch bezahlbar ist. Dazu gehören erneuerbare Energien, eine höhere Energieeffizienz, eine stärkere Unabhängigkeit von Energieimporten, aber für eine bestimmte Zeit - Sie müssen sonst die Frage beantworten, wie das anders gehen soll eben auch eine möglichst effiziente Nutzung der heimischen Stein- und Braunkohle. ({4}) Dabei ist die geplante Erneuerung des Kraftwerksparks sowohl wirtschaftlich als auch klimapolitisch sinnvoll. ({5}) Allerdings muss die Errichtung solcher neuen Kraftwerke zwingend im Rahmen einer allgemeinen Effizienz- und Einsparstrategie erfolgen. Es ist, wie es ist. Die Atomenergie ist aus unserer Sicht nicht notwendiger Teil eines modernen Energiemixes und sie wird auch nicht Teil des zukünftigen Energiemixes sein, solange Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Regierungsverantwortung tragen. Da kann ich die Grünen beruhigen. ({6}) Allein schon wegen der notwendigen Erneuerung des Kraftwerksparks macht der vereinbarte Ausstiegsfahrplan Sinn, weltweit gesehen erst recht. Ich finde es geradezu rührend, wie die Chefs der großen Energieversorger, vermeintlich aus Sorge um den Strompreis und den Klimaschutz, für eine Verlängerung der Nutzung der Atomenergie eintreten, wohl wissend, dass sie bei beiden Themen ganz andere Schlüssel in der Hand halten. ({7}) Angesichts des minimalen Anteils der Atomenergie am weltweiten Energieaufkommen wird klar, dass die Atomenergie jedenfalls die Klimaproblematik nicht einmal im Ansatz lösen wird. ({8}) Apropos Strompreis - dazu ist gerade auch schon etwas gesagt worden -: In diesem Jahr wird uns der Emissionshandel in besonderer Weise beschäftigen. Er muss so effizient sein, dass wir das Kiotoziel der CO2-Senkung bis 2012 um 21 Prozent erreichen. Es bleibt im Rahmen des Emissionshandels ein dauerhaftes Ärgernis, dass der Emissionshandel dazu dient bzw. dazu genutzt wird, dass die großen Energieversorger sich zulasten von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Industrie die Taschen füllen. Das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels muss im Bereich der Monopolstruktur der großen Energieversorger eigentlich zwangsläufig versagen. Es bleibt also unser Auftrag, den Emissionshandel mittelfristig so zu gestalten, dass er dem Klimaschutz dient und Mitnahmeeffekte der großen Energieversorger vermeidet. ({9}) Verehrte Damen und Herren, beim Energiegipfel ging es um den zukünftigen Energiemix. Dabei ist die Geschichte der erneuerbaren Energien eine besondere Erfolgsgeschichte. Das wird besonders deutlich, wenn man - ich habe gestern im Umweltausschuss die Gelegenheit genutzt - noch einmal in den Protokollen von vor 20 Jahren nachliest, was damals bezüglich der Entwicklung der erneuerbaren Energien prognostiziert wurde. Da haben nämlich viele gesagt, sie würden niemals Marktreife erlangen. Jetzt sind wir nicht weit davon entfernt. Dasselbe allerdings - da fand ich die Bemerkung in Richtung der Grünen richtig - muss uns auch bei der Energieeffizienz gelingen. Auch das muss eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland werden. ({10}) Das ist nicht nur klimapolitisch, sondern in hohem Maße auch wettbewerbspolitisch geboten. Ein Mehr an Energieeffizienz macht uns günstiger, unabhängiger und innovativer. Gut, dass das jetzt eines der Schwerpunktthemen auf der Arbeitsebene ist. Zusammengefasst: Der Energiegipfel war besser, als manche erwartet haben, auch wenn sich einige ärgern. Nun kommt es auf eine intensive Arbeit in den kommenden Monaten an. Die Voraussetzungen dafür sind jetzt geschaffen. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Philipp Mißfelder das Wort. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Energiegipfel ist in zweierlei Hinsicht ein großer Erfolg gewesen. Darauf möchte ich in meinen weiteren Ausführungen eingehen. Zunächst möchte ich allerdings den Grünen ganz herzlich danken, dass wir diese Erfolge am heutigen Tage hier deutlich machen können. Vielen Dank, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben ({0}) und sie nutzen, damit Sie lernen, wie wir die Energiepolitik der Zukunft gestalten wollen. Der Energiegipfel ist nicht nur deshalb ein Erfolg, weil er, wie von meinen Vorrednern ausgeführt, tatsächliche Ergebnisse für die zukünftige Energiepolitik bringt, sondern auch, weil er sozusagen den Anfang vom Ende einer ideologiegeprägten Energiepolitik in unserem Land darstellt. Das war am Montag der Fall. ({1}) Die Entscheidung, einen Energiegipfel an den Beginn der Legislaturperiode zu stellen, war richtig; denn es war überfällig, der Energiepolitik in Deutschland wieder eine verlässliche Basis zu geben und sich damit einer entideologisierten Diskussion zu stellen, die wirklich sinnvoll ist. Denn tatsächlich ist es das allgemeine Anliegen des Hauses, auch in Zukunft Energiesicherheit zu gewährleisten. Wir sind unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel dankbar, dass sie als eine ihrer ersten Maßnahmen diesen Energiegipfel einberufen hat. Mit dieser Initiative hat die Bundeskanzlerin bereits am Beginn ihrer Amtszeit klar gemacht, dass die Energiepolitik eines der Hauptthemen der großen Koalition ist. ({2}) Das entspricht im Übrigen auch der Lebenswirklichkeit der Privathaushalte und der deutschen Wirtschaft. Deswegen war es so wichtig, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. ({3}) Mit dem Energiegipfel wurde der Grundstein für ein energiepolitisches Gesamtkonzept gelegt. Ein Ergebnis des Energiegipfels ist die Einrichtung von Arbeitsgruppen; der Herr Staatssekretär hat es vorhin ausgeführt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich in Deutschland die Stimmungslage der Bevölkerung verändert. Die Sensibilität für das Thema Energiepolitik wächst. Dies ist in erster Linie auf das Steigen der Energiepreise zurückzuführen und zeigt sich in den Diskussionen über dieses Thema innerhalb der Familien. Dass sich etwas an der Stimmungslage verändert hat, sieht man an den aktuellen Umfragen. Am Dienstag meldete dpa, dass die Mehrheit der Deutschen inzwischen eine Verlängerung der Laufzeiten für deutsche Kernkraftwerke befürwortet. ({4}) - Herr Tauss, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dazwischenrufen; denn genau an dieser Stelle hatte ich Ihren Zwischenruf in meiner Rede eingeplant. ({5}) - Der Fernsehsender N24 hat eine Emnid-Umfrage in Auftrag gegeben. Aber unabhängig von den politischen Konsequenzen, die man daraus ziehen kann, sieht man an diesen Umfragewerten eindeutig, dass sich im Bewusstsein der Bevölkerung etwas verändert hat. Deswegen muss die Politik Antworten auf diese wichtigen Fragen finden. ({6}) Die Ursachen für die steigenden Energiepreise in Deutschland - darüber haben wir schon diskutiert - sind in erster Linie die schwindenden Reserven an herkömmlichen Energieträgern wie Öl, Kohle oder Gas. ({7}) Deswegen ist es richtig, dass wir versuchen, auf Dauer ausgerichtete Antworten auf die drängenden Fragen zu finden. Eine Frage ist, wie wir auf den Energiehunger der aufstrebenden Wirtschaftsmächte China, Indien und Brasilien in Zukunft reagieren wollen und wie wir Energiesicherheit für die nächsten Jahrzehnte gewährleisten können. Dabei können und wollen wir uns aber auf Dauer keinen deutschen Sonderweg leisten. Deswegen ist es richtig, dass der Energiegipfel Perspektiven bietet, wie in Zukunft die Energiepolitik aussehen soll. ({8}) Am Ende jahrelanger ideologiebelasteter Diskussion um Energiepolitik- vor allen Dingen die Grünen haben sich auf diesem Feld betätigt - wird ein schlüssiges Konzept stehen, das dazu führen wird, dass auch die Industrie in unserem Land endlich verlässlichere Rahmenbedingungen vorfinden wird. Sie fragen in dem Titel der Aktuellen Stunde nach dem Beitrag des Gipfels zur Energieversorgungssicherheit. Diese Frage möchte ich Ihnen an dieser Stelle gerne beantworten. Die Bundesregierung wird als Ergebnis des Energiegipfels die Mittel für die Energieforschung deutlich aufstocken. So werden wir im Zeitraum von 2006 bis 2009 etwa 2 Milliarden Euro in neue Energietechnologien investieren. ({9}) Die erneuerbaren Energien auch in Zukunft wirtschaftlich sinnvoll zu stärken, ist einer der wichtigsten Punkte, die wir sehen. ({10}) Der Energiegipfel war ein großer Erfolg. Die Arbeitsgruppen werden jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Wir sind mit dem Ergebnis vom Montag zufrieden und freuen uns, dass wir heute so ausführlich darüber sprechen konnten. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Tabillion, SPDFraktion. ({0})

Dr. Rainer Tabillion (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist ein guter Auftakt für die Beschäftigung des Deutschen Bundestages mit energiepolitischen Themen im Vorfeld der Erstellung eines energiepolitischen Programms, das bis 2015 - oder besser noch: mindestens 20 Jahre - gelten soll. Das Parlament war in den Gipfel nicht eingebunden. Umso größer sollte unser Ehrgeiz sein, uns jetzt in die Diskussion der kommenden Wochen einzubringen. Jeder, der hier vorgetragen und seine Vorstellungen entwickelt hat, ist eingeladen, das auszugestalten, was auf dem Gipfeltreffen angekündigt worden ist. ({0}) Ich glaube, dass es in diesem Haus eine ausreichende Grundübereinstimmung bei den energiepolitischen Themen gibt, die in den nächsten vier Jahren im Zentrum der Beschäftigung des Deutschen Bundestages stehen werden. Das gilt insbesondere dafür, dass wir energiepolitische Rahmenbedingungen schaffen müssen, die weit über die Legislaturperiode und weit über das, was wir politisch mit der CDU/CSU vereinbart haben, hinausgehen. Das gilt insbesondere auch für die angekündigten Milliardeninvestitionen in die Kraftwerks- und die Netzinfrastruktur. Diese Investitionen, auf die wir alle schon lange warten, werden nur dann fließen, wenn es keine Hintertür für kurzfristige und ebenso kurzsichtige Profite ohne Investitionen gibt. In diesem Zusammenhang war es wichtig, dass Bundeskanzlerin Merkel auf dem Gipfel deutlich gemacht hat, dass sie zur Vereinbarung zum Ausstieg aus der Atomenergie steht. ({1}) Ich möchte in Richtung der Grünen deutlich machen: Es gibt überhaupt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die SPD nicht am Ausstieg aus der Atomenergie festhält. Sie sollten das Lager derjenigen, die die Atomenergie ablehnen, nicht durch derartige Reden, wie sie heute gehalten worden sind, versuchen zu spalten. ({2}) Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu dem Prozess machen, der jetzt beginnt und bis ins nächste Jahr andauern wird. Ich glaube, dieses Projekt kann nur gelingen, wenn wir diejenigen, die mit uns gehen sollen, als Partner betrachten. Die großen Energieversorgungsunternehmen gehören ebenso dazu wie die Regionalversorger, die Stadtwerke und andere Akteure. Man kann sie nicht ausschließen. Sie sind wichtig, wenn wir uns energiepolitisch auf internationaler Ebene bewegen wollen und dafür sorgen wollen, dass energie- und unternehmenspolitische Entscheidungen noch in Deutschland fallen. Deshalb sollten wir sie nicht als Gegner sehen, sondern sie mit ins Boot nehmen. Wir sollten aber darauf achten und sie dazu zwingen, dass sie die Dinge, die sie tun, transparent machen und dass sie sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung klar werden. ({3}) Das Wichtigste ist Effizienz; das ist heute schon oft gesagt worden. Es ist falsch, den Leuten vorzumachen, die Preise für Energie könnten sinken. Das werden wir in den kommenden Jahren nicht erleben. Dazu sind die Rohstoffpreise zu hoch. Sie werden sich deutlich nach oben entwickeln. Es sind nicht nur die Wettbewerbsstrukturen hier im Land, die dazu beitragen, dass die Energie teurer wird. Insbesondere die Rohstoffpreise sind dafür verantwortlich. Deshalb werden wir die Entwicklung nicht stoppen können. Effizienz ist umso wichtiger, als wir über Effizienz dafür sorgen können, dass unsere Kosten, obwohl die Preise steigen, dadurch, dass wir aus den Energieträgern mehr herausholen und weniger in die Luft blasen, stabil bleiben oder sogar sinken. ({4}) Deutschland ist Vorreiter beim Klimaschutz und bei der Entwicklung und Vermarktung der Technologie der erneuerbaren Energien. Wir sind auch Vorbild beim Einsatz dieser Energiearten in unserem Land. Das wollen wir auch bleiben. Es ist in dem anstehenden Diskurs allerdings eine Herausforderung für uns, dafür zu sorgen, dass die volkswirtschaftlichen Kosten, die dabei entstehen, begrenzt werden. Wir müssen im Rahmen der jetzt zu führenden energiepolitischen Debatte die Instrumente hinterfragen, mit denen wir fördern, und die Technologien, die wir fördern. Das kann nicht ausbleiben; das muss man immer kritisch sehen, etwa die Frage, welche Lehren aus dem bisherigen Verlauf des Emissionshandels zu ziehen sind. Auch das muss man hinterfragen, wenn man eine neue Phase beginnt. ({5}) Eine realistische Beurteilung der Potenziale ist ebenso wichtig wie eine Risikostreuung im Energiemix. Wenn wir bis 2020 das ambitionierte Ziel, 25 Prozent des Strombedarfs regenerativ zu decken - und bis 2050 sogar 50 Prozent oder mehr -, erreichen wollen, dann können wir die konventionell bereitgestellten Energiearten nicht ausblenden. Denn dann müssen wir noch immer 50 Prozent der Energie konventionell erzeugen. Deshalb ist es völlig unrealistisch, gleichzeitig aus der Atomenergie und der Kohle auszusteigen. ({6}) Da ich aus einem Kohleland komme und mich intensiv und lange mit diesen Fragen befasst habe und weiß, dass keine andere Subvention für eine Energieart so sehr ge2648 kürzt worden ist wie die für die Kohle, muss ich Ihnen sagen, dass wir in Zukunft an dem Bodenschatz, den wir unter unseren Füßen haben und der nach meiner Einschätzung in den kommenden Jahrzehnten deutlich wertvoller werden wird, in einer bestimmten Größenordnung, die wir vereinbaren müssen, festhalten müssen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Rainer Tabillion (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, Energieerzeugung aus Kohle in Verbindung mit der Technik, die Kohle klimaunschädlich zu verarbeiten und umzuwandeln - sie ist inzwischen vorhanden -, ist verantwortbar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Dr. Rainer Tabillion (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir die Kohle in Zukunft als Teil des Energiemixes betrachten, über dessen Definition wir uns jetzt unterhalten. Das wäre ein guter Einstieg dieses Hauses in die energiepolitische Diskussion. Wir sollten uns daran beteiligen

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Ihr letzter Satz geht jetzt schon über fast zwei Minuten.

Dr. Rainer Tabillion (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und unser Wissen und unser Engagement einbringen, damit es ein gutes Programm wird. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Christoph Pries, SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat diese Aktuelle Stunde beantragt. Als zuständiger Berichterstatter der SPD-Fraktion beschäftige ich mich mit Ihrer Frage nach dem Beitrag des Energiegipfels zur Verringerung der Gefahren durch Atomkraft. Die Atomenergie ist noch genauso gefährlich bzw. genauso sicher wie vor dem Gipfel. Die Positionen der Beteiligten zur Atomenergie haben sich nicht verändert. Die Vereinbarung zum Atomausstieg gilt weiterhin. ({0}) Jetzt könnte ich schon zum Schluss kommen. Aber da alle Kolleginnen und Kollegen der Koalition heute frohe Botschaften verkünden dürfen, möchte ich natürlich nicht zurückstehen. ({1}) Zunächst hat die Koalition all diejenigen enttäuscht, die gehofft hatten, der Streit über die Atomenergie würde den Gipfel überschatten. Ganz im Gegenteil: Ein Gipfelteilnehmer kam sogar zu dem Schluss, SPD und CDU hätten beim Thema Atomenergie Einigkeit demonstriert. So weit würde ich vielleicht nicht gehen. Am Montag sind aber vor allem die Themen diskutiert worden, die aus unserer Sicht für die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland entscheidend sind. Für uns heißt das: Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Erneuerung der Kraftwerke und Emissionshandel. Es gibt aber noch eine weitere positive Botschaft. Auf ausdrückliche Nachfrage von Bundesumweltminister Gabriel haben die Energieversorgungsunternehmen ihre Vertragstreue im Bereich des Atomausstiegs unterstrichen. Sie werden auch dann mit der Bundesregierung zusammenarbeiten, wenn es beim Atomausstieg bleibt. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese Ankündigung ausdrücklich. Zukünftiges Handeln werden wir an dieser Zusage messen. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist klar: Eine Übertragung von Reststrommengen von neuen Atomkraftwerken auf alte Atomkraftwerke lehnen wir ab. ({2}) Eine solche Übertragung widerspricht dem Geist des Atomkonsenses. Sie widerspricht auch dem Geist des Koalitionsvertrages, der dem sicheren Betrieb der Atomkraftwerke absolute Priorität einräumt. Worum geht es bei der Forderung nach Verlängerung der Restlaufzeiten? Ein Artikel in der „Financial Times Deutschland“ hat das am Montag ganz freimütig auf den Punkt gebracht: Für die Antragsteller geht es um Milliarden. Die Meiler sind längst abgeschrieben, die Betriebskosten gering, und die Gewinnmargen wären sensationell, wenn die Reaktoren länger laufen dürften. Das Ziel von Unternehmen ist es, Gewinne zu machen. Das ist legitim. Schön wäre es allerdings, wenn die Energieversorger es in diesem Fall auch offen zugeben würden. ({3}) Die Diskussion über die Laufzeiten der Atomkraftwerke hat leider noch eine andere Folge. Sie vergiftet das Klima für dringend benötigte Zukunftsinvestitionen im Energiesektor. ({4}) Wer - so hieß es gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ wagt schon im großen Stil neue Kraftwerke, wenn er nicht weiß, wie viele der riesigen Reaktoren am Ende des Jahrzehnts noch billige Konkurrenz machen oder nicht? ({5}) Es wäre geradezu ein Befreiungsschlag für die Energiepolitik in Deutschland, wenn die Betreiber unserer Atomkraftwerke endlich aufhörten, ständig auf die nächste Bundestagswahl zu starren. Erweisen Sie sich, erweisen Sie uns und erweisen Sie vor allem unserem Land einen Dienst. Begreifen Sie endlich - in parlamentarischen Demokratien verhält es sich wie im Fußball -: Egal, wie die Bundestagswahl 2009 ausgeht. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung - Drucksache 16/1131 - b) Beratung der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung ({0}) - Drucksache 15/5942 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zwischen den Fraktionen ist verabredet, hierfür eine Dreiviertelstunde Debatte vorzusehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort der Kollege Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Dieses Haus will heute ein parlamentarisches Gremium aus der 15. Wahlperiode erneut einsetzen, das den Titel „Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung“ tragen soll. Dieses Gremium - das sollten wir zu Beginn der Debatte freimütig bekennen ist ein Fremdkörper unter den Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Es wird für diesen Beirat auch in der aktuellen Wahlperiode nicht einfach werden, die Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung, der Generationengerechtigkeit und der politischen Zukunftsverantwortung erfolgreich in das eingespielte Räderwerk des Parlamentsbetriebes einzuspeisen. Nicht von ungefähr hatten wir uns als Unionsfraktion vor etwas mehr als zwei Jahren einen Zukunftsausschuss als Alternative zu diesem Beirat vorstellen können. Dieser seinerzeitige Vorschlag und der Nachhaltigkeitsbeirat, den wir heute einsetzen wollen, haben allerdings ihre zentrale Aufgabenstellung gemeinsam: Sie schaffen ein Gremium im Deutschen Bundestag, das sich explizit als Frühwarneinrichtung für politische Fehlentwicklungen versteht, das die Interessen künftiger Generationen im Blick behält und notfalls auch gegen die Interessen der jetzt Lebenden verteidigt. ({0}) Der Bundestag hat über 20 Ausschüsse und zehn Unterausschüsse. Die Mitglieder der allermeisten von ihnen verstehen sich natürlich auch als eine politische Lobby für ihr jeweiliges Themenfeld, für ihr Interessengebiet. Allein den künftigen Generationen fehlt ein solcher parlamentarischer Fürsprecher. Die Zukunft ist jedenfalls ohne eine institutionalisierte Lobby im Parlament. Auf diesen Missstand wies bereits vor einem Vierteljahrhundert der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas hin. Der in meiner Heimatstadt Mönchengladbach gebürtige Jonas schrieb in seinem Epoche machenden Werk „Das Prinzip Verantwortung“ schon 1979: Die „Zukunft“ aber ist in keinem Gremium vertreten; sie ist keine Kraft, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das Nichtexistente hat keine Lobby und die Ungeborenen sind machtlos. Somit hat die ihnen geschuldete Rechenschaft vorerst noch keine politische Realität im gegenwärtigen Entscheidungsprozess hinter sich, und wenn sie sie einfordern können, sind wir, die Schuldigen, nicht mehr da. Das Neue am Thema Nachhaltigkeit ist demnach die Forderung nach Gerechtigkeit für kommende Generationen, also für Menschen, die noch gar nicht existieren. Natürlich vermag ein parlamentarischer Beirat die Gesetzmäßigkeiten der demokratischen Repräsentation nicht außer Kraft zu setzen. Mit dem Nachhaltigkeitsbeirat erhalten wir indes ein Instrument, mit dem wir die inzwischen weithin anerkannten Ideen der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit in den politischen Entscheidungsprozess wirksam einbringen können. Die Arbeit des Nachhaltigkeitsbeirats ist - um noch einmal mit Hans Jonas zu sprechen - damit zugleich ein Testfall für die „Kraft der Ideen im politischen Körper“. Es wird uns aber nur gelingen, die Lücke der fehlenden Vertretung der Zukunft und der künftigen Generationen in der Politik zu schließen, wenn wir die Themen des Beirates nicht zu eng verstehen. Das hat bereits früh eine von der UN-Vollversammlung eingesetzte Kommission, die so genannte Brundtland-Kommission, deutlich gemacht. Laut ihrem Abschlussbericht aus dem Jahre 1987 ist eine Entwicklung dauerhaft bzw. nachhaltig, wenn sie, wie es in dem Bericht heißt, die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Es geht hiernach primär also nicht um die Bedürfnisse der Natur, sondern um die Bedürfnisse der Menschen, die, genau wie wir heute, auch in 30 oder 60 Jahren ihren Lebensstil wählen möchten und nicht die bloßen Objekte kurzsichtiger Entscheidungen von heute werden dürfen. Nachhaltigkeit berührt ganz wesentlich auch ökologische Fragestellungen. Fehlen den nachkommenden Generationen schon die natürlichen Ressourcen, so sind ihnen dadurch wesentliche Entfaltungsmöglichkeiten unwiderruflich genommen. Nachhaltigkeit bedeutet aber nicht nur, dass unser ökologisches Kapital nicht zulasten künftiger Generationen aufgezehrt werden darf, sondern verlangt ebenso den Erhalt des wirtschaftlichen und sozialen Kapitals. Der Begriff Nachhaltigkeit hat seit seiner Entstehung - übrigens in der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts eine erhebliche Erweiterung erfahren. Moderne Definitionen schließen eine stabile wirtschaftliche Entwicklung und eine generationengerechte Verteilung der Lebenschancen ausdrücklich in seine Anwendungsbereiche ein. So ist es längst Allgemeingut der Nachhaltigkeitsdebatte geworden, dass die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft auch in Zukunft auf ein solides Wirtschaftswachstum angewiesen ist. Von diesem dreidimensionalen Begriff der Nachhaltigkeit muss sich auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung bei seiner Arbeit leiten lassen. Die wirtschaftliche, die soziale und die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit gilt es miteinander in Einklang zu bringen. Für den Beirat ist das eine ebenso ambitionierte wie spannende Aufgabe, der wir uns gerne stellen. ({1}) Der entscheidende Prüfstein für eine generationengerechte und damit nachhaltige Politik ist die Sanierung unserer maroden Staatshaushalte. Angesichts dramatisch schrumpfender Geburtenjahrgänge war die Schuldenpolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht länger nur finanzpolitisch unsolide, sondern hat zwischenzeitlich auch den Charakter eines moralischen Problems erhalten. Mit welchem Recht machen die vergleichsweise vielen von heute Schulden zulasten der wenigen von morgen? Wer die Zukunft offen und gestaltbar halten will, darf es nicht hinnehmen, dass der auf 1,4 Billionen Euro angewachsene Berg der Staatsschulden weiter wächst. Die neue Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück hat endlich ein Umdenken eingeleitet. Dessen Fortgang und seine Ergebnisse wird der Nachhaltigkeitsbeirat des Deutschen Bundestages sehr sorgfältig beobachten und beeinflussen. Um die Sinnhaftigkeit dieses Beirats zu begreifen, ist es wichtig, festzuhalten, dass unsere Staatsschulden keineswegs gegen die Interessen der Bürger unseres Landes gemacht worden sind. Der überwiegende Teil rührt aus einer Politik sozialer Transferleistungen, die mit der Betonung des Sozialstaatsprinzips zugleich einseitig die Interessen der jetzt Lebenden favorisiert hat. Nachhaltige Politik verlangt im Zweifel den Mut zu unpopulärer Politik. Wer die Interessen nachrückender Generationen schützen will, muss im Einzelfall bereit sein, Gegenwartsinteressen zurückzustellen. ({2}) Ein ernstes Hindernis für generationengerechte und nachhaltige Politik stellen heute nicht nur die 1,4 Billionen Euro direkte Staatsschulden dar. Nach sehr vorsichtigen Schätzungen kommt mindestens der doppelte Betrag hinzu, der als implizite Staatsschuld in unseren sozialen Sicherungssystemen schlummert. Eine Rentenund eine Pflegeversicherung, die jeden Tag Ansprüche begründen, die innerhalb des lohnabhängigen Umlagesystems niemals befriedigt werden können, sind daher kein Beispiel für Nachhaltigkeit. Die Politik hat sich bis vor wenigen Jahren kaum darum gekümmert, wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit diesen Ansprüchen in Zukunft zurechtkommen. Auch damit wurde das Gegenteil von Generationengerechtigkeit praktiziert. Generationengerecht und nachhaltig ist eine Sozialpolitik nur dann, wenn sie auch für zukünftige Generationen soziale Sicherheit gewährleistet. ({3}) Auch hier wartet also eine sehr wichtige Aufgabe auf den Nachhaltigkeitsbeirat. Hätte es ihn bereits in den 90er-Jahren gegeben, wären die Chancen auf eine solidere Finanzierung der damals neu eingeführten Pflegeversicherung aus meiner Sicht deutlich größer gewesen. Die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung zur schrittweisen Hebung des Renteneintrittsalters, aber auch zur Förderung junger Familien weisen den Weg in die richtige Richtung. ({4}) Sie werden auch den Mitgliedern des Nachhaltigkeitsbeirats Mut machen, dass wir dem Ziel einer nachhaltigen und generationengerechten Politik im Schulterschluss zwischen Parlament und Regierung Schritt für Schritt näher kommen. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich zum Abschluss betonen: Es muss im gemeinsamen Interesse unseres Hauses liegen, die Vorsorge für künftige Generationen als zentrale Politikaufgabe nirgendwo anders als hier im Deutschen Bundestag zu verankern. So wie die Parlamente im 19. Jahrhundert das Budgetrecht gegen die Exekutive erkämpft haben, müssen sie jetzt, im 21. Jahrhundert, dafür Sorge tragen, dass in Fragen der vorsorgenden Umwelt-, Sozial- und Haushaltspolitik die entscheidenden Maßstäbe im Parlament gesetzt werden. Nur die direkt gewählte Vertretung unseres Volkes besitzt die notwendige Legitimationskraft, um von den jetzt Lebenden den Verzicht auf Konsum zugunsten nachrückender Generationen verlangen zu können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich wollte gerade meinen letzten Satz beginnen. - Es ist daher sinnvoll und richtig, dass es mit dem heute einzusetzenden Nachhaltigkeitsbeirat nun endlich in der Mitte unseres Parlaments eine Lobby für künftige Generationen geben wird. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Michael Kauch. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachhaltigkeit braucht eine institutionelle Verankerung in diesem Parlament. Deshalb hat die FDP bereits in der vergangenen Wahlperiode gemeinsam mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Einrichtung eines solchen Parlamentarischen Beirats - damals gegen den Widerstand der Union - durchgesetzt. Wir begrüßen, dass die Union ihre Haltung geändert hat und nun auch zu den Antragstellern gehört. ({0}) Der Parlamentarische Beirat hat trotz seiner eingeschränkten parlamentarischen Rechte in der vergangenen Wahlperiode sehr erfolgreich und konstruktiv gearbeitet. Wir konnten uns fraktionsübergreifend - auch über die Grenzen von Opposition und Regierung hinweg - auf gemeinsame Ziele für die Zukunft einigen. Das ist wichtig, weil die entscheidenden Zukunftsfragen einen Zeithorizont haben, der weit über den üblichen Wechsel der Regierungen in einer parlamentarischen Demokratie hinausreicht. Einen Grundkonsens herauszuarbeiten, ohne die Unterschiede im Detail zu verwischen, das war die Stärke des Nachhaltigkeitsbeirates in der vergangenen Wahlperiode. Ich möchte an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen aus dem letzten Beirat für die gute Zusammenarbeit ganz herzlich danken. ({1}) Ich erinnere an die gemeinsame Stellungnahme zum Fortschrittsbericht 2004 der Bundesregierung. Hier wurde vieles im Konsens beschlossen, so die gemeinsame Forderung nach einer regelmäßigen Erstellung von Generationenbilanzen und die Einführung eines Nachhaltigkeitschecks in der Gesetzesfolgenabschätzung. Wir haben in der vergangenen Wahlperiode darüber geredet. In dieser Wahlperiode kommt es darauf an, die Dinge im Detail so voranzutreiben, dass wir sie hier im Parlament umsetzen können. Aufgrund der Vorarbeiten, die in der letzten Wahlperiode geleistet wurden, kann sich der Beirat nun direkt dort an die Arbeit machen, wo der letzte Beirat mit seiner Arbeit aufhören musste, nämlich bei den geplanten Anhörungen zu den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Infrastruktur und zum Thema Generationenbilanzen. Denn was bedeutet eine immer älter werdende und zugleich regional unterschiedlich schrumpfende Bevölkerung für die künftige Infrastruktur? Welche Straßen und welche öffentlichen Gebäude werden zukünftig noch oder anders gebraucht? Welche Wohnformen brauchen wir? Was muss sich qualitativ in der Verkehrsplanung ändern? Es stellt sich auch die Frage, ob bei Strom oder Abwasser weiter flächendeckend in eine Netzinfrastruktur investiert werden soll oder ob regional dezentrale Lösungen möglicherweise eine sinnvolle Alternative sind. Darauf wollen wir mit den Experten in den Anhörungen Antworten finden und dann dem Parlament Lösungen vorschlagen. Wir brauchen regelmäßige offizielle Generationenbilanzen für Deutschland, um ein besseres Bewusstsein für die Auswirkungen des täglichen Handelns und langfristiger Politik für kommende Generationen zu schaffen. Generationenbilanzen verdeutlichen diese Auswirkungen, indem sie auf der einen Seite die Leistungen und auf der anderen Seite die Belastungen, die heutige Politik kommenden Generationen hinterlässt, ausweisen. Wir wollen von den Experten hören, wie solche Generationenbilanzen konkret aussehen können und wer sie erstellen soll. ({2}) Diese Themen sind essenzielle Zukunftsfragen und haben auch in der neuen Wahlperiode nicht an Bedeutung verloren. Die Bundesregierung wird noch in diesem Jahr ihren Fortschrittsbericht 2006 zur Nachhaltigkeitsstrategie vorlegen. Vier Jahre nach Verabschiedung der ersten Nachhaltigkeitsstrategie müssen einige Dinge grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden, zum Beispiel die Indikatoren für die Zielerreichung. Ein Beispiel: Der Indikator für die Zielerreichung bei der Inanspruchnahme von Flächen zu Siedlungs- und Verkehrszwecken konzentriert sich momentan, auf ganz Deutschland berechnet, auf ein 30-Hektar-Reduktionsziel. Das stellt aber nicht auf die tatsächlich genutzte Fläche ab, sondern auf die beplante Fläche. Das bedeutet, dass man bei der Renaturierung einer Industriebrache den gemessenen Flächenverbrauch in keiner Weise senkt, wenn nicht auch der Bebauungsplan geändert wird. Ob das unter Gesichtspunkten ökologischer Nachhaltigkeit sinnvoll ist, wage ich zu bezweifeln. ({3}) Deshalb müssen wir die Indikatoren auf ihre Zielsicherheit überprüfen. Dabei müssen beispielsweise der Flächenverbrauch, die Zerschneidung von Landschaft, die Versiegelung von Böden und die regionale Verteilung der Flächeninanspruchnahme zugrunde gelegt werden. Nehmen wir das Beispiel Kriminalität: Die Nachhaltigkeitsstrategie misst die Kriminalität in Deutschland heute anhand der Zahl der Wohnungseinbrüche. Ich erinnere mich nicht daran, dass wir in diesem Parlament in der letzten Zeit sehr viel über Wohnungseinbrüche diskutiert haben. Wir haben aber beispielsweise sehr viel über Jugendgewalt diskutiert. Warum also soll dieser Indikator nicht im Hinblick auf diesen zentralen Bereich des Zusammenhalts unserer Gesellschaft verändert werden? Diesen Fragen müssen wir uns gemeinsam stellen. Kollege Krings hat es angesprochen: Die maroden Staatsfinanzen sind einer der größten Angriffe auf die Generationengerechtigkeit. Die letzte Bundesregierung hat es abgelehnt, die Staatsfinanzen zu einem Schwerpunkt der Nachhaltigkeitsstrategie zu machen. Ich bin gespannt, ob Sie mit dem Fortschrittsbericht 2006 umsteuern und die finanzielle Nachhaltigkeit entsprechend den Ankündigungen des Kollegen Krings tatsächlich zu einem Schwerpunkt machen. Das wäre den kommenden Generationen zu wünschen. ({4}) Deutschland muss zukunftsfähiger und generationengerechter werden. Dazu gehört der verantwortungsvolle Umgang mit den natürlichen Ressourcen, aber auch mit den finanziellen Ressourcen, also mit unseren Staatsfinanzen und Sozialsystemen. Wir brauchen ein Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität, das sich an langen Zeiträumen und nicht an Legislaturperioden von vier Jahren orientiert. In diesem Sinne freut sich die FDP-Bundestagsfraktion auf die Debatten im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Wir hoffen, dass seine Aussagen und Empfehlungen auch in der tatsächlichen Gesetzgebung ihren Nachhall finden. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster erhält das Wort der Kollege Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist, glaube ich, ein sehr positives Signal, dass wir nach den teilweise hitzigen Debatten, die wir heute Morgen über die Rente und die Energiepolitik - und somit auch über Fragen der Nachhaltigkeit - geführt haben, nun fast alle der Meinung sind, dass die Einrichtung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung wichtig ist. Mit der Bildung dieses Parlamentarischen Beirats setzen wir einen Weg fort, der von der alten Bundesregierung begonnen worden ist. Bereits im Jahre 1992 hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro zum Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bekannt. Im Jahr 2002 hat die rot-grüne Bundesregierung unter dem Titel „Perspektiven für Deutschland“ die nationale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen. Auch der Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU sieht als Ziel und Maßstab des Regierungshandelns die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene vor. An der breiten Unterstützung für die Einrichtung des Parlamentarischen Beirats wird deutlich, dass wir ein gemeinsames Ziel verfolgen. Ich glaube, das, was meine Vorredner betont haben, ist richtig: Aus dieser Gemeinsamkeit ergeben sich für dieses Gremium Chancen, sowohl was die Form der Zusammenarbeit als auch was den Inhalt betrifft. Wir sitzen alle im selben Boot. Nun haben wir die Möglichkeit, in diesem Gremium unabhängig von der Alltagspolitik mittel- und langfristige Politikansätze zu entwickeln. Diesen gemeinschaftlichen Ansatz sollten wir in den Mittelpunkt der Arbeit rücken. Bei dieser Arbeit dürfen wir nicht - Herr Kauch hat das zu Recht angesprochen - auf bevorstehende Wahlen schielen. Ebenso darf sie nicht von plötzlichen Ereignissen geprägt sein, auf die die Politik immer nur reagiert. Wir müssen in diesem Beirat vielmehr in eine aktive Rolle kommen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Arbeit muss so angelegt sein, dass sie auch unter anderen Koalitionsbedingungen fortgesetzt werden kann und nicht von knappen Mehrheiten abhängig ist; das ist zumindest unser Ziel. Deshalb muss unsere Arbeit darauf gerichtet sein, die Beschlüsse nach Möglichkeit gemeinsam zu fällen. Gleichzeitig darf der Begriff der Nachhaltigkeit nicht zur Worthülse gelangen - wie in manchem Werbeslogan heute. Der Beirat ist insbesondere Anwalt nachfolgender Generationen. Herr Kollege Krings, ich stimme Ihnen voll zu: Dieser Beirat muss auch unbequem sein, er muss die nachfolgenden Generationen im Blick haben und kann sich nicht nur an gegenwärtigen Interessen orientieren. ({1}) Mit der Einsetzung des Parlamentarischen Beirates im Januar 2004 hat der Deutsche Bundestag erstmals aktiv in diesen Dialog eingegriffen. Ich möchte mich im Namen der SPD-Fraktion an dieser Stelle ganz herzlich bei den Mitgliedern des letzten Beirates für ihre Arbeit bedanken. Diese Arbeit hat den Boden bereitet, auf dem wir jetzt aufbauen können. Im Bericht des Beirates vom 7. September 2005 wird eine positive Bilanz gezogen, aber gleichzeitig werden auch Schwächen benannt: zum Beispiel die fehlende formale Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren oder die geringe Anzahl der Beiratsmitglieder. Die Anzahl der Beiratsmitglieder ist erhöht worden, sodass der Aufbau eines Berichterstattersystems möglich ist. Die Stellung des Beirats hat sich dagegen nicht wesentlich verändert. Ich meine, dass wir alle hier gefordert sind: Der Beirat darf keine Alibiveranstaltung werden. Die Verzahnung mit den Fachausschüssen ist vorhanden. Es wird an uns als handelnden Personen liegen, welche faktische Stellung der Beirat erhält. ({2}) Ich habe die Hoffnung, dass die große Bedeutung der Nachhaltigkeit in diesem Haus allgemein anerkannt wird und wir keine formale Absicherung dafür brauchen, damit wir tatsächlich Gehör finden. ({3}) Der letzte Beirat hatte sich vor der Ankündigung der Neuwahlen vorgenommen, wichtige Themen vorzubereiten bzw. anzugehen, zum Beispiel die demografische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Infrastruktur oder auch die Frage der Generationengerechtigkeit. Die Vorbereitungen sind gemacht. Wir sind aufgerufen, diese Themen nun aufzugreifen und ihre Behandlung fortzusetzen. Vier Aspekte sollten aus meiner Sicht Säulen unserer zukünftigen Arbeit sein. Erstens: der interdisziplinäre Ansatz. Wir haben in diesem Beirat die Chance, fächerübergreifend Nachhaltigkeitsprinzipien zu entwickeln und zu vertreten. Gleichzeitig kann dadurch ein ausschussübergreifender Einfluss geltend gemacht werden; Grenzen einzelner Ressorts können überwunden werden. Zweitens. Wir können über den Tellerrand hinausblicken und mit den Ländern und den Kommunen und auch mit den Parlamenten anderer Staaten zusammenarbeiten. Wir alle wissen: Zur Lösung elementarer Probleme sind heute häufig globale Strategien gefragt, nicht nur im Umweltbereich. Die Arbeit des letzten Beirats hat gezeigt, dass man voneinander lernen kann. So verweist der Beirat zum Beispiel auf Schweden und Finnland, wo mit Generationenbilanzen - Herr Kauch hat es angesprochen - die Belastungen und Leistungen für nachfolgende Generationen politikübergreifend dargestellt werden können und so ein Nachhaltigkeitscheck eingeführt werden kann. Dritte Säule: Teilhabe- und Kommunikationsplattform. Der Dialog mit gesellschaftlichen und politischen Initiativen außerhalb des Parlaments ist meines Erachtens eine weitere wichtige Säule, die wir nutzen sollten. Viertens. Letztlich gilt es die Chancen der Nachhaltigkeitsstrategie zu betonen. Es wird an uns liegen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass in einer Nachhaltigkeitsstrategie enorme Chancen liegen, dass Umweltvorsorge und soziale Gerechtigkeit wichtige Voraussetzungen für unser Wachstum darstellen und Ökologie, Ökonomie und Soziales keine Gegensätze sind. In allen drei Bereichen liegen Bausteine für eine zukunftsfähige Entwicklung unseres Staates. Auf dieser Grundlage sollten wir die Arbeit aufnehmen. Viel Arbeit liegt vor uns - wir freuen uns darauf. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat das Wort der Kollege Lutz Heilmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Über Nachhaltigkeit wird in diesem Haus viel gesprochen. Selbst die Bundesregierung behauptet ständig, dass ihre Politik nachhaltig ist. Was aber ist Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit ist ein Leitbild, eine regulative Idee. Daraus ergibt sich für unser Handeln eine prinzipielle Anweisung, dieses so zu organisieren, dass wir nicht auf Kosten der Natur, anderer Menschen, anderer Regionen oder anderer Generationen leben. ({0}) Es geht also um eine faire Abwägung der ökologischen Anforderungen und der sozialen Gerechtigkeit mit den wirtschaftlichen Erfordernissen und deren gleichberechtigte Berücksichtigung. Dazu gehört auch, die Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern auszubauen. Die Demokratisierung alltäglicher politischer Entscheidung ist untrennbar mit einer nachhaltigen Entwicklung verbunden. Erfüllt die Mehrheit dieses Hauses mit ihrer Politik diesen Anspruch? Ich meine: Wohl kaum. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen, Sie richten sich mit Ihrer Politik einseitig an den Interessen der Wirtschaft aus. Ökologische und soziale Belange bleiben zumeist auf der Strecke. ({1}) Deswegen ist die Bundesrepublik Deutschland international schon lange kein Vorreiter im Umweltschutz mehr und nimmt die soziale Spaltung der Gesellschaft stetig zu. Ich nenne einige Beispiele: Die geplante Aufweichung des Kündigungsschutzes führt dazu, dass immer mehr Menschen die Zukunft unsicherer erleben werden. Durch die Agenda 2010 - insbesondere Hartz IV - werden noch mehr Menschen in Armut gebracht. ({2}) Durch die Kürzung der Renten - wir haben es heute Vormittag diskutiert - wird vielen Menschen ein würdiges Leben im Alter genommen. Der ohnehin windelweiche Atomausstieg wird ständig infrage gestellt, obwohl die Gefahren der Atomkraft nicht beherrschbar sind. Zur Erinnerung: In diesen Tagen jährt sich die Katastrophe von Tschernobyl zum 20. Mal. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Übernehmen Sie die politische Verantwortung, wenn es in der Bundesrepublik Deutschland zu einem GAU kommt? Herr Mißfelder, Ihre Einlassung von eben schreibe ich ganz einfach Ihrem jugendlichen Alter zu. Mit 22 Jahren unterlag auch ich noch solchen Irrtümern. ({3}) Durch die Föderalismusreform wird im Umweltrecht ein Kompetenzwirrwarr geschaffen, durch den der Umweltschutz auf das Abstellgleis abgeschoben wird. Der Naturschutz wird de facto auf dem Altar der Wirtschaft geopfert. Anstatt die Beteiligungsrechte auszubauen, sollen diese durch das Planungsbeschleunigungsgesetz systematisch abgebaut werden. Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Verbände sind in ihren Augen anscheinend lästige Querulanten, die die Arbeit der Behörden behindern. Das alles geschieht für die Steigerung der Unternehmensgewinne, insbesondere der der großen Konzerne. Die Linke wird daher auch in Zukunft für eine Politik stehen, die die Bezeichnung „nachhaltig“ verdient. Auch im Beirat für nachhaltige Entwicklung werden wir ein Garant dafür sein, dass die soziale und die ökologische Frage nicht wie so oft hinten herunterfallen. ({4}) In Sonntagsreden einer nachhaltigen Entwicklung das Wort zu reden und im Plenumsalltag das Gegenteil zu tun, geht nicht zusammen. Darauf werde ich und wird unsere Fraktion die Menschen aufmerksam machen. Zum Beirat der letzten Legislaturperiode will ich nur anmerken, dass der neue Beirat sowohl aufgrund der zahlenmäßigen Aufstockung als auch durch das Ausscheiden der bisherigen Vorsitzenden wirklich ein völlig neuer Beirat sein wird. Wir können aber nicht einfach da weitermachen, wo Sie in der letzten Legislaturperiode aufgehört haben. Ohne alles infrage stellen zu wollen, beansprucht unsere Fraktion ein Mitspracherecht bei der Auswahl der künftig zu behandelnden Themen. Die Rechte, die Sie dem Beirat zugestehen wollen, reichen nicht aus. Ich befürchte, dass der Beirat erneut nur ein zahnloser Tiger sein wird. Einen neuen Debattierklub ohne politischen Einfluss braucht dieses Land allerdings nicht. ({5}) Unser Anspruch ist es, die Politik des Bundes zu beeinflussen, damit sie wirklich nachhaltig wird. Im Übrigen finde ich es bedauerlich, dass Sie meinten, den vorliegenden Antrag ohne uns einbringen zu müssen. Dies ist umso enttäuschender, weil es doch das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung ist, gemeinsam und im Konsens aller Beteiligten nach Lösungen zu suchen. Diese gemeinsame Suche haben Sie bereits vor Beginn unserer Arbeit schwer belastet. Trotz seiner beschränkten Rechte unterstützen wir die Schaffung eines parlamentarischen Gremiums, das sich über die nachhaltige Entwicklung Gedanken macht. ({6}) Daher müssen Sie damit rechnen, dass auch die „Schweinebande“, wie uns kürzlich der Kollege Grindel von der CDU/CSU nannte, dem Antrag zustimmen wird. ({7}) Das ersparen wir Ihnen nicht. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Winfried Hermann.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz persönlich und für meine Fraktion möchte ich sagen, dass wir uns freuen, heute den Parlamentarischen Beirat zum zweiten Mal im Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend einzurichten. ({0}) Ich will mich ausdrücklich bei denen in der Koalition bedanken, die sich dafür eingesetzt haben; denn es war nicht selbstverständlich, dass dem Wunsch des Beirates aus der letzten Legislaturperiode nach Fortsetzung seiner Arbeit von der neuen Koalition Rechnung getragen wird und sich dafür wieder eine Mehrheit findet. Ich weiß, dass einige von Ihnen in Ihren Fraktionen und insbesondere bei Ihren Geschäftsführern dafür kämpfen mussten. Es war gut, dass Sie das getan haben; darüber freuen wir uns. Ich sage das ganz ohne Häme, weil ich weiß, dass wir in den zwei Legislaturperioden zuvor auch mit unserer rot-grünen Mehrheit durchaus Schwierigkeiten hatten, einen solchen Beirat einzurichten. Warum eigentlich? Der Kollege Krings hat gesagt, ein solcher Beirat sei in diesem Parlament ein Fremdkörper. Ich möchte ihn gerne leicht korrigieren und erklären: Er wird von manchen Geschäftsführern und anderen traditionellen Parlamentariern als ein Fremdkörper empfunden. ({1}) Das ist der Fehler. Auch im Parlament muss ein Bewusstsein dafür entstehen, dass wir im parlamentarischen Verfahren neue institutionelle Formen brauchen, um die neuen großen Herausforderungen und Querschnittsaufgaben neu und anders anzugehen. ({2}) - Danke schön. ({3}) Das haben wir hiermit angestrebt und erreicht. Es wäre allerdings schön gewesen, wenn dem Wunsch entsprochen worden wäre, dem Beirat mehr Kompetenzen zu geben. Gerade die Vertreter der Jungen Union haben sich für eine Art Zukunftsausschuss mit erweiterten Kompetenzen stark gemacht, sodass man auch die Gesetzgebung der anderen Ausschüsse hätte kommentieren können. Bedauerlicherweise hat der Geschäftsführer der CDU/CSU dies verhindert, sodass dies nicht durchgesetzt werden konnte. Wir werden aber gemeinsam mit Ihnen dranbleiben; denn auf Dauer muss dieser Beirat mehr sein und erweiterte Kompetenzen erhalten. ({4}) Der Beirat hat in der letzten Legislaturperiode - er hatte nur knapp zwei Jahre Zeit - gezeigt, dass ein parlamentarischer Ort zur Beteiligung an der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie dringend notwendig ist. Zwar heißt es gemeinhin, dass sich alle Ausschüsse mit Nachhaltigkeit beschäftigen, und es wird gefragt, warum es überhaupt noch einen Beirat geben muss. - Es hat sich jedoch gezeigt: Wenn es keine institutionelle Verankerung dieses Themas gibt, dann ist die Gefahr groß, dass es unter den Tisch fällt. Wir haben dafür gesorgt, dass in die Nachhaltigkeitsstrategie weitere Themen aufgenommen worden sind, zum Beispiel die Energieversorgungsstruktur - das haben wir vorher debattiert -, neue Kraftstoffe, neue Antriebssysteme. All das sind Initiativen des Beirats zur Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Ein anderes Thema - das wurde lange unterschätzt - sind die Potenziale älterer Menschen. Aber auch dieses Thema ist in die Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen worden. Dies war ebenfalls ein Impuls aus dem Beirat. Wir haben also tatsächlich auf eine ganze Reihe von inhaltlichen Punkten aufmerksam machen können. Was mir auch wichtig ist: Wir haben gezeigt, dass es im Parlament möglich ist, einen inhaltlichen Diskurs zu führen und sogar hart in der Sache zu streiten, ohne sich ständig persönlich zu beleidigen. Wir haben darüber hinaus klar gemacht, dass man bei Zukunftsfragen in einem fraktionsübergreifenden Konsens zu gemeinsamen Positionen kommen kann. Kollege Kauch, Sie haben es gesagt: Dabei kann man an der einen oder anderen Stelle auch deutlich machen, dass es Unterschiede gibt. Das soll im Beirat nicht vertuscht werden. Zu den neuen Themen. Wir haben vorgeschlagen - das ist von verschiedenen Rednern und Rednerinnen aufgegriffen worden -, das Thema demografischer Wandel und Infrastruktur aufzugreifen, aber eben nicht in klassischer Form, sondern im Sinne von Generationenbilanzen, also eines sehr grundlegenden Ansatzes. Wenn Kollege Krings feststellt, die Parlamente hätten bisher in der Haushalts- und Finanzpolitik zu selten an die nachfolgenden Generationen gedacht, dann muss man auch fragen, ob bei der Infrastrukturplanung richtig und grundlegend nachgedacht wurde. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob die Infrastruktur, die wir uns leisten, auch in zehn oder 20 Jahren noch bezahlbar und zukunftsfähig ist. Auch solche Fragen werden wir aufgreifen müssen. Das gilt auch für die Indikatoren. Es gibt eine Reihe von Indikatoren, die sehr traditionell sind und wenig über die Zukunftsfähigkeit unserer Politik aussagen. Ich halte es für notwendig, an dieser Stelle weiter zu differenzieren und zu debattieren. Das richte ich auch bewusst an den Kollegen der Linkspartei, mit dem ich die Auffassung teile, dass man, wenn man einen neuen diskursiven Politikansatz wagt, nicht eine Fraktion ausgrenzen darf. Das muss mit dem heutigen Tag beendet sein. Was den Antrag angeht, haben wir das noch durchgehen lassen. Ab heute sind Sie aber in der Debatte mit dabei. Dann ist allerdings die Erwartung an Sie angemessen, dass Sie auch Ihre eigene Politik einem Nachhaltigkeitscheck unterziehen und nachfragen, ob Ihre Sozialpolitik nachhaltigkeitstauglich ist. Auch das muss angegangen werden. ({5}) Sie sehen, es gibt eine Menge zu tun.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben uns einiges vorgenommen. Wir haben Vorschläge zu einem neuen Beirat vorgelegt. Die Grünen werden sich konstruktiv an diesem Dialog beteiligen. Darüber hinaus muss aber auch klar sein, dass auf diesen Dialog eine praktische Politik folgt und dass in diesem Hause verstärkt nachhaltige Politik gemacht wird. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Andreas Scheuer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich es erleben darf, dass der Kollege Hermann die Junge Union für einen Vorstoß lobt. Ich bedanke mich ausdrücklich für diese Auszeichnung in diesem Hohen Haus. Sie haben mir aber auch eine Steilvorlage für die Fraktion Die Linke gegeben, Kollege Hermann. Bei der Ausgrenzung kommt es ganz darauf an: Wenn sich die Linke bei den Themen selbst ausgrenzt - das wurde bei dieser Rede deutlich -, dann hoffen meine Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU alle zusammen, dass die Linksfraktion keine nachhaltige Erscheinung in diesem Hause sein wird. Es wird sich zeigen, ob Sie in diesem Beirat konstruktiv mitarbeiten werden. ({0}) Ein Vorwurf an uns Politiker lautet immer wieder, dass wir nur in Legislaturperioden bzw. in Vierjahreszeiträumen denken können. Ich denke, die Einsetzung des Parlamentarischen Beirates ist ein Beweis dafür, dass wir langfristig denken und über den Tellerrand hinausschauen. In der nächsten Legislaturperiode wird sich die Wichtigkeit dieses Beirats dadurch erweisen, ob plötzlich alle Kollegen bei der Besetzung der Ausschüsse und Beiräte als erste Priorität diesem für die nachhaltige Entwicklung so wichtigen Gremium beitreten wollen. Ich denke, wir können in diesem Hohen Haus zeigen, dass wir zukunftsfähige und zukunftsfeste Politik machen. Ich schließe mich der Formulierung der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Fraktion an, die den Beirat als Zukunftsausschuss bezeichnet hat. Herr Kollege Kauch, wir haben uns letztes Mal deswegen nicht beteiligen können, weil wir einen anderen Weg wählen wollten. Insofern halte ich an dem Begriff „Zukunftsausschuss“ fest. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist häufig strapaziert worden. Ich kann zwar mit dem philosophischen Ansatz meines Kollegen Krings nicht mithalten, ({1}) rufe aber trotzdem in Erinnerung, dass der Begriff der Nachhaltigkeit 1713 von Carl von Carlowitz bezogen auf den Waldbau und die Landwirtschaft eingeführt wurde. ({2}) Ich erinnere aber auch daran, dass in der Folgezeit in der Vergangenheit unseres Landes viele nachhaltige politische Entscheidungen getroffen wurden. Ich darf drei Beispiele nennen. An erster Stelle ist die Nachhaltigkeit der politischen Entscheidungen unter Bismarck mit der Einführung der Sozialsysteme zu nennen. Wir sind jetzt gefordert, die Sozialsysteme so zu reformieren, dass sie zukunftsfest werden. Der zweite Punkt ist: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Ludwig Erhard die Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft getroffen. Sie hat unser Land und unseren Standort geprägt. Nun steht vielleicht eine neue Ausrichtung der sozialen Marktwirtschaft an. Die Union hat in den letzten Jahren auf diesem Gebiet schon sehr viel parteiprogrammatische Arbeit geleistet. Vielleicht können wir die neue Ausgestaltung der sozialen Marktwirtschaft auch im Parlamentarischen Beirat thematisieren. Der dritte Punkt ist: Unter der Führung von Helmut Kohl wurde die Entscheidung für ein vereintes Deutschland getroffen. Das hat ebenfalls unser Land geprägt. Nun stehen wir an einer Wegscheide. Die Auswahl der Themen im Parlamentarischen Beirat wird für die Gestaltung der Zukunft durch politische Entscheidungen wesentlich sein. Ich denke, es handelt sich hierbei um eine Querschnittsaufgabe. Wir, die Mitglieder des Parlamentarischen Beirats, müssen uns die Frage stellen, wo Schnittmengen bestehen. Das sollten wir in den ersten Sitzungen analysieren. Die Vorleistungen in der letzten Legislaturperiode haben dazu schon einiges beigetragen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar Beispiele nennen. Wir müssen uns - das wurde heute noch nicht vertieft; ich schließe mich grundsätzlich den Plänen, der Themenauswahl und den Analysen an - mit der gesellschaftspolitischen Frage nach der Abwanderung junger Menschen in verschiedenen Regionen unseres Landes, vor allem in den neuen Bundesländern, und mit der Frage nach der Chancengerechtigkeit für junge Menschen beschäftigen. Wie muss das Leben ausgestaltet werden, wenn sich die Gesellschaft in den betroffenen Regionen aufgrund der Tatsache verändert, dass nur noch Ältere da sind? In diesem Zusammenhang geht es auch um Innovationen im medizinischen Hochtechnologiebereich. Wie muss in Zukunft die Betreuung älterer Menschen aussehen, wenn es nicht mehr genügend junge Menschen gibt? Können wir die Abwanderung stoppen? Unsere Aufgabe sollte sein, das zu analysieren. Es gibt sehr viele Sozialraumgutachten, die wir dabei verwenden können. ({3}) Es werden auch einige Verkehrspolitiker Mitglieder des Beirates sein. Für sie sind insbesondere Fragen nach der Infrastruktur und der Mobilität von Bedeutung. Sicherlich werden wir andere Schwerpunkte setzen als die Grünen. Wir brauchen aber eine Themenpalette, mit der alle leben können. Ich pflichte dem Kollegen von den Grünen bei, dass wir im Beirat die Themen fraktionsübergreifend erörtern sollten. Ich hoffe, dass wir entsprechende Beschlüsse fassen werden. Bildung, Forschung und Innovation sind Punkte, die mir besonders am Herzen liegen. Wer sich - wie ich gestern - das T-Com-Einfamilienhaus in der Leipziger Straße, das komplett auf Hightech umgestellt wurde, anschaut, der weiß, welche Fragen sich in diesem Bereich stellen. Wie sehen die neuen Lebensformen und die VerDr. Andreas Scheuer netzungen aus? Man wird sich auch fragen müssen, vor welchen neuen Herausforderungen man im Bereich Bauen und Wohnen steht. Hier wartet sehr viel Arbeit auf uns. Ein weiterer Punkt sind die Fragen betreffend die Integration. Hier werden die Differenzen zwischen den Fraktionen am größten sein. Wir werden uns anschauen müssen, welche Fehler gemacht wurden. Wir werden uns sicherlich mit den Grünen über das Scheitern der Multikultigesellschaft streiten. Aber ich bin überzeugt, dass wir zu Ergebnissen kommen werden, die sich sehen lassen können. Ich appelliere: Wir sollten fraktionsübergreifend versuchen, die Themen fein säuberlich zu gliedern und die Kollegen aus den einzelnen Fachbereichen mit guten Argumenten zu versorgen. Ich freue mich jedenfalls auf die Arbeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss dieser Debatte hat das Wort der Kollege Heinz Schmitt, SPD-Fraktion. ({0})

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich nicht ganz einfach, als letzter Redner einer Debatte, in der durchweg Konsens besteht, etwas Neues zu sagen. Ich freue mich genauso wie meine Vorredner darüber, dass es uns auch in der 16. Legislaturperiode gelungen ist, den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung einzurichten. ({0}) Lieber Kollege Scheuer, ich möchte die Debatte und die Arbeit ohne Vorbehalte gegen die Linken und die Grünen beginnen. Wir sollten uns an der Sache orientieren, bar jeglicher Ideologien und Blicke zurück. Es sollte ausschließlich um die Inhalte gehen. Egal wer sich konstruktiv beteiligt, wir sollten von vornherein die Zusammenarbeit und nicht die Abgrenzung zum Ziel haben. Sie alle haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Nachhaltigkeit mehr als Ökologie und mehr als Klimapolitik ist. Sie haben darauf hingewiesen, dass nachhaltige Entwicklung im globalen Dorf wie auch hier bei uns in Deutschland unverzichtbar ist. Es gibt heute keine Politikbereiche mehr - wenn es überhaupt jemals welche gab -, in denen man alleine vor sich hin wursteln konnte. Die Aufgaben heißen Vernetzung, Abschätzung der Folgen und Visionen für die Zukunft. Das alles gehört in einer verantwortungsvollen, also in einer nachhaltigen Politik zusammen. Im Bereich der Medizin spricht man sehr oft von ganzheitlicher Betrachtung. Wir brauchen eine ganzheitliche Betrachtung der Erde und unserer Aufgaben im Zusammenhang dessen, was wir zu beraten und zu beschließen haben. ({1}) In diesem Sinne wird dieser Beirat Stellung beziehen. Er wird beraten, anregen, nachhaltige Entwicklung fördern und vorantreiben. Wir brauchen den Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern und Volkswirtschaften. Wir sollen und müssen Menschen und Organisationen mitnehmen, die sich über die Politik hinaus für die nachhaltige Entwicklung engagieren. Der Beirat wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, nachhaltige Ziele im parlamentarischen Geschehen zu verankern. Dabei ist der Beirat selbst, streng genommen, weniger nachhaltig; denn wenn er erfolgreich arbeitet, wenn sich also Politik grundsätzlich an den Leitlinien der nachhaltigen Entwicklung ausrichtet, dann macht er sich - ich sage es einmal positiv - selbst überflüssig. Aber ich denke, das wird noch eine Zeit lang dauern, bis wir so weit sind. Oftmals steht beim Thema „nachhaltige Entwicklung“ das Ökologische noch im Vordergrund. Aber wir haben es heute schon mehrfach gehört: Nachhaltige Entwicklung geht weit über Ökologie hinaus. Es geht um gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Belange. Es geht auch um Bildung - das haben Sie gesagt, Herr Scheuer - und um die Verbesserung unseres Schulsystems. Es geht darum, mehr Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen. Es geht um eine erstklassige Forschung und Lehre an Hochschulen, lebenslanges Lernen und die Qualifizierung von älteren Arbeitnehmern. Es geht um Soziales und Familie. Es geht in einer Gesellschaft, die immer älter wird, um eine gute Gesundheits- und Altersvorsorge. Es geht darum, junge Familien, die Kinder wünschen, zu unterstützen. Es geht um Gleichberechtigung und vor allen Dingen auch - ein aktuelles Thema um Integration. ({2}) Es geht um Innovation in der Technik, um neue Arbeitsplätze, um erneuerbare Energien. Es geht auch um die hohen Zuwachsraten bei nachhaltigen Produkten wie etwa in der Landwirtschaft. Es geht um globale Verantwortung. Es geht um Schonung der Ressourcen, von Energie, aber auch von anderen Rohstoffen, die zunehmend knapp werden. Es geht um den Erhalt der biologischen Vielfalt. Unser Blick muss auch in andere Länder gehen, die andere, aber keineswegs schlechtere Wege für die eigene Entwicklung finden müssen. Denn wollte die ganze Welt so leben, wie wir es heute in den Industriestaaten tun, bräuchten wir vermutlich mehr als zwei Erden, um den Bedarf zu decken. Es geht also auch darum, Alternativen zu unserer derzeitigen Lebens- und Wirtschaftsweise zu finden und zu entwickeln. Nachhaltige Entwicklung ist also auch heute schon eine pure Notwendigkeit, wenn wir nicht sehenden Auges in große Probleme geraten wollen. Wir müssen heute die Weichen dafür stellen, wie wir in Zukunft leben wollen. Noch können wir auf vielen Gebieten beeinflussen, welches Gleis wir dabei befahren Heinz Schmitt ({3}) wollen. Darin liegt der eigentliche Reiz unserer Arbeit, der Arbeit des Beirates für nachhaltige Entwicklung. Es geht also um große Chancen: wirtschaftliche Chancen, gesellschaftliche Chancen, vielleicht auch kulturelle Chancen. Denn mancher ist zurzeit auf der Suche nach neuen Werten, nach einer neuen Leitkultur. Nachhaltigkeit im kulturellen Bereich bietet vielleicht große Chancen und große Perspektiven. Nachhaltige Entwicklung muss - das habe ich vorhin gesagt - natürlich über Parteigrenzen hinweg eine Antwort geben. Deshalb greife ich die Einrichtung des Beirates in dieser Legislaturperiode als ein erfreuliches, ein positives Signal auf, ein Signal, bei dem wir uns in diesem Hause grundsätzlich einig sind. Ich freue mich auf Ihre Impulse, auf konstruktive Anregungen, auf viel Arbeit mit den anderen parlamentarischen Gremien. Es wird an uns liegen, welches Gewicht der Parlamentarische Beirat in Zukunft haben wird. Ich hoffe, wir bekommen diese Stimme - unsere Stimme oft zu hören. Ich hoffe auf offene Ohren bei allen Kolleginnen und Kollegen des Bundestages. Ich hoffe darauf, dass wir alle noch skeptische Kolleginnen und Kollegen mit unserer Arbeit in der Zukunft überzeugen können. Herzlichen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1131 zur Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 b. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/5942 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes - Drucksache 16/238 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) - Drucksache 16/1118 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Christoph Waitz Katrin Göring-Eckardt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Dorothee Bär, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu Beginn meiner Rede bei allen beteiligten Ausschüssen und bei allen Fraktionen für die sehr gute Zusammenarbeit bei der Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes bedanken. ({0}) - Ich möchte mich auch beim Kollegen Tauss persönlich bedanken. Auch wenn er nicht ganz so involviert war, hat er sich persönlich angesprochen gefühlt. Herr Tauss, also auch Ihnen herzlichen Dank! ({1}) Die große Einigkeit in unserem Haus bei diesem Thema zeigt, wie wichtig und wie wertvoll uns allen eine hochwertige Ausbildung unserer Kinder ist. Hochwertig und wertvoll sollen dabei weiterhin die Lehrmittel, in diesem Fall die Bücher, sein. Dazu waren Änderungen am bestehenden Buchpreisbindungsgesetz notwendig, nachdem in einigen Bundesländern das Büchergeld eingeführt worden war. Die Fraktionen stimmen darin überein, dass eine Neuregelung sinnvoll ist und vor allem möglichst schnell umgesetzt werden muss. Das ist vor allem deswegen notwendig, weil das neue Schuljahr in einigen Bundesländern bereits Mitte August beginnt und die Sammelrabatte zum Schuljahresbeginn unabhängig von der Finanzierungsart gewährleistet werden sollen. Ich halte unsere Änderungen des Buchpreisbindungsgesetzes für beispielgebend, weil durch die Änderung des Gesetzes aufgrund des Büchergeldes einzelne Fragen geregelt werden, die in der Praxis zu Problemen oder zu Auslegungsschwierigkeiten geführt haben. Auf der Regierungsbank ist es etwas unruhig. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir dachten uns, dass es so spannend war. Aber vielleicht können Sie diese Spannung noch ein bisschen für sich behalten.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, dass die Regierung auch beim Buchpreisbindungsgesetz noch etwas lernen kann. ({0}) Wir haben dem Gesetzentwurf aus der ersten Lesung drei zentrale Punkte hinzugefügt: erstens die Verhinderung des Missbrauchs bei rabattiertem Verkauf von Mängelexemplaren, zweitens die ungerechtfertigte Rabattierung von Neuauflagen und drittens die Erweiterung der Nachlassregelung für Schulbücher von Privatschulen. Besonders auf den letzten Punkt wird meine Kollegin Rita Pawelski nachher noch ausführlich eingehen. ({1}) Insbesondere die Neuregelungen bei Rabatten auf Neuauflagen und bei Mängelexemplaren halte ich für sehr wichtig, weil dadurch vor allem kleine Buchhandlungen geschützt werden, die sich nicht an großen Rabattaktionen beteiligen können. ({2}) - Genau, Herr Tauss: Das war unsere Idee. Das haben wir gemeinsam großartig zustande gebracht. ({3}) Es ist ganz besonders wichtig, die kleinen Buchhandlungen zu schützen. Sie garantieren uns doch eine Vielfalt und eine besondere Auswahl an Büchern, die die breit gefächerte Literaturszene in Deutschland ausmacht. ({4}) Der Wert des Lesens und der Wert von Büchern, in diesem Fall besonders von Schulbüchern, wird - auch wenn ich es persönlich für schade halte - von einigen jedoch erst dann erkannt, wenn sie dafür selbst zahlen müssen. Diesem Verfall von Werten müssen wir gerade in den Schulen entgegenwirken, in denen das Lesen von Büchern nicht zur alltäglichen Arbeit gehört. Das zeigt nicht nur die aktuelle Diskussion über die Rütli-Schule hier in Berlin, sondern das ist auch in sehr vielen vorherigen Diskussionen erkennbar gewesen. Wir wollen dieses Problem aber auf keinen Fall hinnehmen, sondern setzen uns damit auseinander, weil es uns wichtig ist, dass das Lesen als Wert in unserer Gesellschaft mehr anerkannt wird und besser geschützt werden kann. ({5}) Dies gilt ganz besonders unter dem Aspekt, dass Deutschland auch weiterhin, wie wir es ja wohl wollen, als das Land der Dichter und Denker assoziiert wird. Deshalb schützen wir die Autoren und die Verlage durch die Buchpreisbindung und aktualisieren gemeinsam und stetig dieses Gesetz. Die Änderungen am Buchpreisbindungsgesetz sind wieder ein Beispiel für das unkomplizierte und pragmatische Vorgehen. Ein Kollege hat vorhin gesagt: Die zweite und dritte Lesung finden jetzt schon statt. Da wart ihr aber recht schnell. - Dass wir das so schnell hinbekommen haben, war auf jeden Fall der großen Einigkeit geschuldet, die ich mir in diesem Hohen Hause öfter wünschen würde. ({6}) - Herr Tauss, Sie hätten es auch schon früher haben können. Aber jetzt ist es ja gut. Besser spät als nie. ({7}) - Da waren Sie sich auch schon einig; okay. Schutz von Literatur und erschwingliche Schulbücher für unsere Kinder liegen uns allen am Herzen. Deshalb möchte ich Sie alle ganz herzlich um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bitten und darf mit einem Wort Gerhart Hauptmanns schließen: Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdigeres als das Buch, nichts Wunderbareres und nichts, das wichtiger wäre. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Christoph Waitz. ({0})

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schauen wir mal! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Rechtzeitig vor dem kommenden Schuljahr soll die Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes vom Bundestag beschlossen werden. Hintergrund dieser Eile ist die Sorge einzelner Bundesländer, dass die Voraussetzungen für einen gesetzlichen Rabatt beim Kauf von Schulbüchern nicht mehr vorliegen könnten. Ursache dafür ist, dass in Bundesländern wie Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt Eltern zukünftig einen Anteil an dem Kaufpreis der Schulbücher leisten sollen, der den öffentlichen Anteil übersteigt. ({0}) - Herr Tauss, da haben Sie eine schöne Aufgabe. Dazu ist nicht viel zu sagen. Allein, es bleibt festzustellen, dass die schleichende Aushöhlung der Lernmittelfreiheit in diesen Bundesländern fortschreitet. Trotzdem sehen wir von der FDP-Fraktion keinen Anlass, der vorgelegten Gesetzesänderung in diesem Punkt unsere Zustimmung zu versagen. Die desolate Lage vieler Länderhaushalte ist vielmehr Grund genug, dieser Gesetzesänderung zuzustimmen, damit mit dem gesetzlichen Rabatt öffentliche Gelder eingespart und hoffentlich besser investiert werden können. ({1}) Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf wurden jetzt auch die freien Träger allgemein bildender Schulen in die Rabattklausel aufgenommen. Ich begrüße das ausdrücklich; denn freie Schulen erfüllen in Deutschland eine ganz wesentliche Funktion: Sie ergänzen das Bildungsangebot unseres öffentlichen Schulwesens. Aktuell besuchen rund 800 000 Schüler freie Schulen, davon 390 000 Schüler eine Einrichtung in konfessioneller Trägerschaft. Freie Schulen sind daher auch Ausdruck eines Wahlrechts unserer Bürger. Sie können ihre Kinder mit einem anderen inhaltlichen Schwerpunkt oder nach einem anderen pädagogischen Konzept unterrichten lassen. Damit stellt das Angebot der freien Schulen auch den notwendigen Wettbewerb her, der der Qualitätsverbesserung unserer öffentlichen Schulen nur förderlich sein kann. Ein weiterer Grund ist in den letzten Jahren für die Eltern hinzugekommen. Viele Eltern wollen ihre Kinder in Wohnortnähe einschulen und unterrichten lassen. Die immer kleiner werdende Anzahl von Kindern in unserem Land führt dazu, dass sich insbesondere die Flächenstaaten aus der flächendeckenden Versorgung mit Schulen verabschieden. Dies betrifft aktuell mehr Länder im Osten Deutschlands, aber eine vergleichbare Entwicklung ist auch in den westlichen Bundesländern absehbar. Das bedeutet für die betroffenen Eltern, dass sie ihre Kinder zum Teil über beträchtliche Entfernungen in die nächste Schule bringen müssen oder ihren Kindern mit dem Schulbus einen zeitlich erheblich längeren Schulweg zumuten müssen. Selbst wenn das Bildungsangebot an diesen Mittelpunktschulen nicht notwendigerweise schlechter sein muss, so ergeben sich doch weitere Nachteile durch erhöhte Schülerzahlen pro Klasse und eine geringere soziale Kontrolle in den Schulen. Freie Träger für die von der Schließung bedrohten Schulen sind eine realistische Alternative, die nur daran krankt, dass die regionalen Schulämter diese Konkurrenz fürchten und daher bei der Zulassung der Schulen in freier Trägerschaft ausgesprochen zurückhaltend sind. ({2}) - Sie kommen gleich dran. - Für mich ist es daher ein schönes Zeichen, wenn in dem neuen Buchpreisbindungsgesetz öffentliche Schulen und Schulen in freier Trägerschaft gleichberechtigt nebeneinander genannt werden. Hoffentlich wird diese nötige Gleichbehandlung der freien Schulen auch auf Länderebene durch die Regionalschulämter umgesetzt. Vier weitere Änderungen des Buchpreisbindungsgesetzes werden vorgeschlagen. Auch jetzt weiß ich noch nicht, wie damit die Motive der Bundesregierung, nämlich Stärkung des Kulturgutes Buch und Erhaltung der Vielfalt der Verlags- und Buchhandelslandschaft, umgesetzt werden sollen. Aber wir begrüßen die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Mängelexemplare; denn der bislang geltende Wortlaut ermöglichte Spielräume zur Umgehung der Buchpreisbindung. Die neue Regelung dient dazu, Missbrauch der Mängelexemplarregelung zu unterbinden. ({3}) Wir begrüßen die Einführung einer Räumungsverkaufsklausel, die die Liquidation einer Buchhandlung erleichtert. Der noch vorhandene Lagerbestand kann so auf einfache Art und Weise verkauft werden. ({4}) Zukünftig sollen nach dem Gesetzentwurf Bücher von der Buchpreisbindung ausgenommen werden dürfen, deren Erscheinen länger als 18 Monate zurückliegt. Es handelt sich hier um eine Kannregelung. Damit werden Situation vermieden, in denen sowohl eine preisgebundene als auch eine nicht preisgebundene Auflage eines Buches auf dem Markt erhältlich sein kann. Wir hoffen, dass mit dem geänderten Gesetzestext die Arbeit in der Praxis einfacher wird - auch wenn wir damit das Kulturgut Buch vermutlich nicht stärken werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächste hat die Kollegin Monika Griefahn, SPDFraktion, das Wort.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir in Deutschland können stolz sein, dass es uns in der Kultur- und Medienpolitik in den letzten Jahren immer wieder gelungen ist, starke Pfosten für die Kulturförderung einzuschlagen. Das Buchpreisbindungsgesetz 2002 ist dabei ein wichtiger Baustein - Frau Bär, wir hatten damals dieses Gesetz bereits einstimmig hier im Bundestag verabschiedet -; denn wir haben damit eine einzigartige Vielfalt von Büchern und eine große Zahl von Buchhandlungen bewahrt. Das gibt es in vielen Ländern nicht. ({0}) In dem Film „E-Mail für Dich“ wurde - wer ihn gesehen hat, weiß das - der Verdrängungskampf großer Buchhandlungsketten in den USA gegenüber kleinen, gediegenen Buchhandlungen, in denen man noch beraten wird, sehr deutlich. Ich fand immer, der Film war eine gute Empfehlung, wenn man deutlich machen wollte, warum es sich lohnt, für das Buchpreisbindungsgesetz einzutreten; man kann ihn noch heute empfehlen. ({1}) Frau Bär sagte es schon: Wenn wir uns als Volk der Dichter und Denker bezeichnen lassen wollen, dann ist es nur konsequent, kulturpolitisch auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Ich glaube anders als Sie, Herr Waitz, dass wir mit dem Buchpreisbindungsgesetz tatsächlich einen Teil dazu beitragen, das Buch als Kulturgut zu schützen. Das Buch kann als sinnlich wahrnehmbares, erlebbares Element, als haptischer Gegenstand durch ein E-Buch nicht ersetzt werden. ({2}) Ein Buch zum Beispiel im Zug in die Hand zu nehmen und zu lesen, vermittelt etwas anderes, als dies ein EBuch könnte. Auch eine Buchhandlung auf dem Lande, wo ich wohne, hat eine besondere Bedeutung. ({3}) Das ist auch ein Treffpunkt. Dort gibt es Lesungen, da treffen sich Leute, da wird nebenbei auch beraten, die Verkäuferinnen und Verkäufer geben die neuesten Empfehlungen. Das gibt es nur in den flächendeckend verteilten kleinen Buchhandlungen und nicht in den Kaufhausketten in den großen Städten oder bei einer Bestellung über E-Bay oder Amazon. Deswegen sind sie wichtig. ({4}) Zum ersten Mal kam die Buchpreisbindung auf den Prüfstand der Europäischen Kommission, nachdem der österreichische Handelskonzern Libro ein Beschwerdeverfahren angestrengt hatte. Er war nämlich von einigen deutschen Verlagen nicht mehr beliefert worden, nachdem er Bücher im Internet 20 Prozent unter dem offiziellen Preis angeboten hatte. Ich glaube, wir müssen uns an diese Geschichte noch einmal erinnern, damit deutlich wird, warum es sich lohnt, für das Buchpreisbindungsgesetz zu kämpfen. Wir haben das Buchpreisbindungsgesetz deshalb 2002 wie Frankreich, Österreich und die Schweiz verabschiedet. Wichtig ist, dass unter dieses Gesetz neben Büchern auch Musiknoten, kartografische Produkte und Produkte, die mit Büchern kombiniert sind, wie zum Beispiel CD-ROMs und Lernkassetten, fallen. Das wissen viele Leute nicht; aber auch das ist ein notwendiges Element, gerade im Unterricht. ({5}) Mein Kollege Tauss hat in der ersten Lesung auf die wichtigen Ziele hingewiesen. Er hat mit eindrucksvollen Zahlen unterstrichen, wie wichtig das Erreichen dieser Ziele ist. Wir wollen die große Vielfalt und die hohe Qualität des Buchangebots in Deutschland sichern. Schauen Sie einmal in andere Länder, in denen es kein Buchpreisbindungsgesetz gibt. Da bekommen Sie zwar unter Umständen preiswerte Taschenbücher - im Paperbackformat, billig gedruckt -, aber es gibt keine aufwendig ausgestatteten Bücher und - auch das muss man bedenken - keine wissenschaftlichen Bücher zu erschwinglichen Preisen. Diese Bücher können Sie unter Umständen in Amerika von Universitätsverlagen nur zu einem sehr hohen Preis kaufen. Die Quersubventionierung geht nur bei Buchpreisbindung. Auch deswegen ist sie so wichtig. ({6}) Wir wollen in kleinen und mittleren Orten in der Provinz die Buchhandlungen erhalten. Auch dafür braucht man die Buchpreisbindung. Wir wollen außerdem - auch das wurde noch nicht gesagt - eine angemessene Vergütung für die Urheber, für die Autorinnen und Autoren sowie die Übersetzer. Das geht aber nur, wenn man mit einem Buch einen bestimmten Preis erzielt. ({7}) Im anderen Fall würden die Honorare immer weiter sinken. Das Schöne an der Buchpreisbindung ist, dass sie von allen Seiten Zustimmung findet. Die Verleger, die Autoren und die Buchhändler sind der Ansicht, dass es richtig ist, Bücher nicht mit üblichen Handelswaren gleichzusetzen, sondern sie als Kulturgut zu schützen. Ich glaube, auf diesen wichtigen Punkt müssen wir hinweisen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ebenfalls darauf hinweisen, dass wir in der Koalitionsvereinbarung den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Bücher festgeschrieben haben. ({8}) Ich glaube, auch dieser Hinweis ist wichtig. Denn viele wissen nicht, dass Kultur und Medien für diese Regierung eine wichtige Rolle spielen. Für die Schulbuchfinanzierung ist wichtig, dass die Schulbücher gemeinsam angeschafft werden, damit weiterhin Rabatt gewährt werden kann. Bisher hieß es, dass Sammelrabatt für Schulbücher gewährt wird, wenn die Schulbücher „überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert werden“. Jetzt soll es möglich sein, dass die ermäßigten Preise auch für die Eltern, die die Bücher selber bezahlen müssen, gewährleistet sind. Diese wichtige Information, dass wir heute dieses Gesetz verabschieden, sollten die Kolleginnen und Kollegen in ihren Wahlkreisen weitergeben, damit in den Schulen die Bücher gemeinsam bestellt werden und so die Rabatte in Anspruch genommen werden können. ({9}) - Genau, das machen wir heute auch noch. Die Privatschulen, die nach den Schulgesetzen den Status staatlicher Ersatzschulen haben, sollen diese Möglichkeit ebenfalls haben. Das finde ich wichtig, sonst wäre es nicht sinnvoll, dass sie staatlich anerkannt sind. Wir haben die Kennzeichnungspflicht bei Mängelexemplaren dahin gehend geändert, dass nur nicht einwandfreie Bücher als Mängelexemplare mit Rabatt verkauft werden können. Auch das ist ein Schutz für die kleineren Buchhandlungen. Damit stellen wir eine flächendeckende Versorgung sicher, was ebenfalls sehr wichtig ist. Im Räumungsverkauf ältere Titel anbieten zu können, ist auch ein wichtiger Punkt. Häufig gab es die Situation, dass für eine unveränderte Neuauflage die Buchpreisbindung galt, während die Exemplare der alten Auflage verramscht wurden. Das kann nicht angehen. Wenn eine Auflage unverändert bleibt, dann fallen auch die alten Bücher unter die Buchpreisbindung. Auch das ist ein wichtiger Punkt, um einen Missbrauch zu verhindern. Dass die Buchpreisbindung für Ausgaben aufgehoben wird, deren erstes Erscheinen länger als 18 Monate zurückliegt, ist wichtig, damit die Buchhändler weiter planen können, wenn die Verleger ihre Bücher nicht mehr zurücknehmen. Damit wird das Kulturgut Buch nicht gefährdet. Aber es eröffnet die Möglichkeit, neue Titel aufzunehmen. Das alles sind wichtige Elemente. Ich glaube, dass die Handelsketten, die einen starken Verdrängungswettbewerb aufgrund der Masse der verkauften Bücher ausüben, immer wieder darauf hingewiesen werden müssen, dass die Buchhandlungen in der Fläche wichtig sind und dass der Wettbewerb nicht zu einer Verdrängung dieser kleinen Buchhandlungen führen darf. Wir werden diese Entwicklung weiterhin begleiten. Wenn Änderungen notwendig sind, werden wir sie durchführen. Wir wollen die breite Vielfalt. Eine Buchhandlung, in der man sich trifft, in der man miteinander spricht und in der man beim Bestellen eines Schulbuchs nebenbei noch ein Buch für die Kinder kauft, stellt einen wichtigen kulturellen Beitrag dar, der vor Ort geleistet wird. Deswegen kämpfe ich dafür, dass jede Buchhandlung in der Fläche erhalten bleibt, ({10}) genauso wie eine Bäckerei oder ein Lebensmittelgeschäft. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Jochimsen, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es scheint im Moment die Stunde der gegenseitigen Belobigungen zu sein. ({0}) Die Fraktionen arbeiten wunderbar. Der Wert des Lesens wird gewürdigt. Die kleinen Buchhandlungen werden geschützt und gefördert. Es wird Sie nicht verwundern: In diesem Zusammenhang kommt natürlich sofort auch ein Bekenntnis unserer Fraktion dazu, dass wir die Buchpreisbindung für ein unverzichtbares Instrument halten, um das Kulturgut Buch allen zugänglich zu machen. ({1}) Im Wissen um den Wert der Bücher für die Bildung und die Entwicklung eines jeden Menschen und vor allem der Heranwachsenden haben wir uns stets dafür eingesetzt, Bücher aus der Logik des Marktradikalismus und der Profitmaximierung herauszuhalten. ({2}) Nun diskutieren wir heute im Grunde gar nicht über den Wert und die Bedeutung der Buchpreisbindung, auch wenn wir uns formalrechtlich mit einer Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes befassen. Wir haben uns vielmehr mit einem bildungspolitischen Thema von höchster Problematik auseinander zu setzen. Das ist bei Ihnen nur in Nebensätzen erwähnt worden. Die Kollegin von der CSU sprach nur allgemein von der Bücherregelung und beschrieb gar nicht, was damit gemeint ist. ({3}) Es geht um die um sich greifende Abschaffung der Lernmittelfreiheit in unserem Land. ({4}) Ich weiß, dass das in der Verantwortung der Länder liegt. Bereits fünf Bundesländer haben die Regelung eingeführt, wonach sich die Schüler bzw. die Eltern an der Bezahlung der Schulbücher in einem Umfang von mehr als 50 Prozent beteiligen müssen. Dadurch ist die Sammelrabattklausel gefährdet und nur deswegen müssen wir uns heute im Grunde genommen formalrechtlich mit der Buchpreisbindungsproblematik befassen. Den Nachlass von 8 bis 15 Prozent für Schulbücher, die nun nicht mehr überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert werden, wollen wir für Eltern und Schüler erhalten und retten. Das ist richtig und deswegen setzen wir uns mehrheitlich für den vorliegenden Gesetzentwurf ein. Wir müssen aber auch darauf hinweisen, dass mit den insgesamt für den Kauf von Schulbüchern zur Verfügung stehenden Mitteln in Zukunft immer weniger Bücher angeschafft werden können; es sei denn, die Eltern und die Schüler steigen finanziell ein. Wir werden zwar der GeDr. Lukrezia Jochimsen setzesänderung zustimmen, damit der Preisnachlass bei Schulbüchern ungeachtet der Höhe und des Umfangs der privaten Mitfinanzierung erhalten bleibt. Den Eltern und den Schülern wird jetzt ein geringer Sammelrabatt gewährt. Aber die Frage ist: Werden sie in Zukunft nicht verstärkt an der Finanzierung der Bücher beteiligt werden? Werden sie nicht verstärkt die Bücher selbst kaufen müssen? Die Entwicklung, die diese Gesetzesänderung notwendig macht, ist aus unserer Sicht hoch problematisch, weswegen sich einige Mitglieder unserer Fraktion bei diesem Gesetzesvorhaben enthalten werden. Wenn heute bereits in fünf Bundesländern die Eltern bzw. volljährige Schüler einen Teil der Kosten für die Schulbücher selbst tragen müssen, dann hat das natürlich Folgen. Diese Folgen sind: noch größere soziale Ungleichheiten beim Zugang zur Bildung. Da kann man dann noch so schöne Worte über den Wert des Buches und des Lesens verlieren. Dies heißt letztlich: eine noch größere soziale Ungleichheit beim Zugang zur Bildung. Das ist schon heute das Hauptproblem unseres Bildungssystems. In allen internationalen Vergleichsstudien werden wir davor gewarnt, den Weg der sozialen Ungleichheit beim Zugang zur Bildung und zu Büchern fortzusetzen. ({5}) - Die internationalen Studien zeigen auf, dass die Verhältnisse in unserem Land auseinander gehen. Soziale Bildungsdeterminanten sind dabei sehr wichtig. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Jochimsen, ich würde auf diese Zurufe jetzt nicht reagieren; denn Sie haben Ihre Redezeit überschritten und müssen zum Ende kommen.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Eine sozial gerechte Bildung kann nur bei umfassender und ausreichender Finanzierung durch die öffentliche Hand gewährleistet werden. Die Privatisierung der Bildungskosten - mit Sammelrabatt oder ohne - führt genau in die falsche Richtung. Danke sehr. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/ Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es herrschte schon bei der ersten Debatte über den Gesetzentwurf und auch heute ein großer Konsens darüber, welche Korrekturen notwendig sind, und über die Regelungen, die getroffen werden sollen. Auch im federführenden Kulturausschuss wurde den vom Bundesrat vorgeschlagenen und von der Bundesregierung ergänzten Änderungen in großer Einigkeit zugestimmt. Heute ist wieder deutlich geworden, dass ein ausgeprägtes Bewusstsein für Sinn und Zweck des Buchpreisbindungsgesetzes besteht. Frau Jochimsen, es geht auch darum, die einzigartige Vielfalt der Verlags- und Buchhandlungslandschaft in Deutschland zu erhalten und das Buchangebot für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu halten. ({0}) Auch wir, die Grünen, bekennen uns ausdrücklich zu der dem Buchpreisbindungsgesetz zugrunde liegenden Idee, wonach das Buch in erster Linie nicht Wirtschaftsgut, sondern Kulturgut ist und wonach der Zugang zu diesem Medium insbesondere auch in ländlichen Gebieten durch entsprechende Buchhandlungen gewährleistet werden muss. ({1}) Frau Griefahn, sogar in Großstädten besteht das Problem, dass große Buchhandlungen kleine Buchhandlungen verdrängen. Der Wettbewerb ist in vollem Gange. Mit dem Buchpreisbindungsgesetz schaffen wir es immerhin, dass in ländlichen Regionen noch ein vielfältiges Angebot vorherrscht. Wir wollen das beibehalten. ({2}) In diesem Sinne gilt es, den gleichberechtigten und breiten Zugang zu kultureller Bildung zu erhalten und damit Leseförderung zu betreiben. Ich halte es für richtig, deutlich zu machen, wie wichtig Bücher sind, gerade weil sie Kinder ansprechen. Wenn man daran denkt, wie Kinder Bilderbücher in die Hand nehmen, dann erkennt man, dass ein Computer - Gott sei Dank - nicht mithalten kann. Deswegen ist es notwendig, dass wir dieses Gesetz beibehalten. ({3}) Allerdings werden nun Änderungen vorgenommen, damit Rabatte bei Sammelbestellungen von Schulbüchern auch dann möglich sind, wenn mehr als 50 Prozent der Schulbuchkosten von Eltern oder volljährigen Schülern übernommen werden. Es ist leider Tatsache, dass in vielen Bundesländern eine Eigenbeteiligung eingeführt wird. Frau Jochimsen, wir im Bundestag können - so bedauerlich das auch ist - nichts daran ändern. Unabhängig von Ihrer politischen Haltung dazu sind auch wir der Meinung, dass die Lehr- und Lernmittelfreiheit ein hohes Gut ist. Wir sollten es deshalb den Eltern vonseiten des Bundes nicht noch schwerer machen, sondern ihnen das Leben erleichtern, indem wir diese Priska Hinz ({4}) Rabattregelung ermöglichen. Deswegen stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. ({5}) Bliebe die alte Regelung bestehen, könnten mit der gleichen Geldsumme noch weniger Bücher angeschafft werden. Wir halten es auch für richtig, dass die Privatschulen in die neue Nachlassregelung einbezogen werden sollen, weil die Kinder nicht mehr und nicht weniger als Kinder an staatlichen Schulen wert sind. Wir halten auch jene Punkte, die die Bundesregierung in Ergänzung eingebracht hat, für richtig: die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Mängelexemplare, den Einbau einer Räumungsverkaufsklausel und die Klarstellung hinsichtlich der Buchpreisbindungsregel bei unverändertem Nachdruck eines Buches. Wenn der Bundesrat und die Bundesregierung einmal sinnvolle Vorschläge machen, dann stimmen wir als Opposition gerne zu. ({6}) Es wird wahrscheinlich nicht so oft vorkommen, aber heute stimmen wir gerne zu. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Rita Pawelski, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bücher verursachen viele Wirkungen: Sie bilden, sie regen zum Träumen und Nachdenken an, sie polarisieren und stacheln auf, sie können aber auch verbinden: Jung und Alt, Mann und Frau, Ost und West und neuerdings auch Koalition und Opposition. ({0}) Das haben die Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfes gezeigt. In seltener Harmonie und Einigkeit haben wir uns auf das Wichtigste und Wesentlichste geeinigt. Das Buchpreisbindungsgesetz wird den veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Es wird eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für Mängelexemplare geben; es wird eine spezielle Räumungsverkaufsklausel eingeführt und es wird die Regelung zur Aufhebung der Preisbindung klargestellt. Meine Kollegin Dorothee Bär hat darüber schon ausführlich berichtet. Die zahlreichen Verlage und Buchhandlungen in unserem Land werden von diesen Maßnahmen profitieren. Der missbräuchliche Handel mit Büchern wird erschwert und der Buchmarkt weiter gestärkt. Das ist gut so. Noch besser ist, dass der Gesetzgeber schnell gehandelt hat, um Fehlentwicklungen abzuwehren. Besonders wichtig ist aber: Mit dem Gesetz werden auch die Voraussetzungen der Rabattpflicht bei Sammelbestellungen preisgebundener Schulbücher geändert; das ist § 7 des Buchpreisbindungsgesetzes. Das wurde notwendig, weil sich einige Bundesländer aus finanziellen Gründen von der Lernmittelfreiheit verabschieden mussten; übrigens, Frau Jochimsen, Berlin auch. Rot-Rot hat die Lernmittelfreiheit abgeschafft; auch hier in Berlin müssen Eltern etwas zuzahlen. ({1}) Herr Tauss, auf Ihren Zwischenruf, falls er denn kommen sollte - er hat sich vorhin schon angedeutet -, möchte ich sagen: ({2}) Ich würde mit Ihnen gern über die niedersächsische Schulpolitik diskutieren, nicht über die Schulpolitik dieser, der CDU-geführten Landesregierung, sondern die der vorhergehenden Regierung. ({3}) Mein Kronzeuge, der ehemalige Ministerpräsident, sitzt ja hier auf der Regierungsbank. Er wird bestätigen können, was in diesem Bereich damals alles schief gelaufen ist. ({4}) Durch die wegfallenden Rabatte wären Eltern - das wurde eben schon sehr gut gesagt - zusätzlich belastet worden, und das schon ab dem nächsten Schuljahr. Wir haben das verhindert und das ist prima. ({5}) Neu ist: In den Genuss der Rabatte kommen jetzt auch die allgemein bildenden Privatschulen, wenn sie den Status staatlich genehmigter Ersatzschulen besitzen. ({6}) Auch ihnen müssen die Verkäufer Rabatte bei Sammelbestellungen gewähren; in der Regel sind das zwischen 8 und 15 Prozent. Der Bundesverband Deutscher Privatschulen ist erfreut über die fraktionsübergreifende Zustimmung - endlich Politiker, die schnell agieren und zupacken. Das herzliche Dankeschön gebe ich an Sie alle hiermit weiter. ({7}) Meine Damen und Herren, unsere Schulen in freier Trägerschaft leisten qualitativ hochwertige Arbeit und sorgen für pädagogische Vielfalt und für Wettbewerb. Sie sind bei den Eltern und, wie ich höre, auch bei den Schülern sehr beliebt. Das zeigen die steigenden Schülerzahlen. Es ist schon bemerkenswert, dass sie nach dem Pisaschock deutlich nach oben gegangen sind: Um 11 Prozent sind die Schülerzahlen bei den Privatschulen gestiegen. Was sind Privatschulen? Oft wird gesagt: Das sind Eliteschulen nur für Reiche. Das stimmt nicht. Es gibt 207 Hauptschulen in diesem Bereich, an denen über 25 000 Jugendliche unterrichtet werden. An diesen Schulen - wir haben gerade in den letzten Tagen erfahren, wie schlimm die Situation an manchen Hauptschulen ist - wird eine sehr gute, auch sehr gute integrative Arbeit geleistet. Privatschulen sind integrierte Gesamtschulen; das sind Abendgymnasien, Kollegs; das sind aber auch Waldorfschulen. An insgesamt 180 Waldorfschulen werden 75 000 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Und: Privatschulen sind auch Konfessionsschulen, die eine sehr, sehr gute Arbeit leisten. ({8}) Sie alle profitieren von der neuen Regelung und erhalten Schulbücher künftig mit Rabatt. Ich freue mich, dass wir diese Änderungen gemeinsam und einvernehmlich durchgesetzt haben, und ich hoffe, dass diese Einigkeit in diesem Hause kein einmaliger Vorgang ist, sondern dass wir an anderen wichtigen Stellen genauso gemeinsam arbeiten. Vielen herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes auf Drucksache 16/238. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1118, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Nie wieder Tschernobyl - Zukunftssichere Energieversorgung ohne Atomkraft - Drucksache 16/860 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat sich der Umweltausschuss in einer öffentlichen Sitzung mit dem GAU in Tschernobyl vor 20 Jahren befasst. Gäste waren Wissenschaftler, Botschafter und die ersten Vorsitzenden des damals installierten Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wissenschaftler differieren trotz ihrer Faktenbezogenheit in ihren Aussagen und Einschätzungen genauso wie wir Politiker. So zelebrierten sie für uns gestern eine Auseinandersetzung über die Frage, von wie vielen Toten man infolge des GAUs tatsächlich reden könnte. Ich will heute als Erstes sagen, dass ich diesen Streit der Statistiker müßig und für die politische Bewertung überflüssig finde. ({0}) Die Dimension dessen, was dort passiert ist, macht sich nicht an der faktischen Anzahl der Toten fest. Für die politische Bewertung ist auch nicht relevant, ob die Menschen an den direkten Folgen der Strahlung gestorben sind, ob eine Krankheit, die sie sowieso schon hatten oder bekommen hätten, durch die Strahlung intensiviert wurde, oder ob sie Selbstmord begangen haben, weil sie die persönlichen oder gesellschaftlichen Veränderungen nicht verkraften konnten. All diesen Menschen wurde ihr Recht auf Leben durch eine von niemandem gewollte, aber dennoch von Menschen gemachte Katastrophe gravierend beschnitten. Die gesellschaftliche Dimension des Unfalls ist bis heute nicht fassbar. Der Wirtschaftsattaché der deutschen Botschaft in Minsk, Wolfgang Faust, hat dazu gestern gesagt, dass dort eine ganze soziokulturelle Tradition verschwunden ist. Die für uns entscheidende Frage ist, welche Konsequenzen wir aus dem Unfall von Tschernobyl ziehen. Hieran scheiden sich die Geister in Wissenschaft wie Politik. Für manche lautet die Konsequenz, gute deutsche Technologie so weit wie möglich zu exportieren. Wir Grünen ziehen bekanntermaßen eine andere Konsequenz. Wir halten es für richtig, dass mit Deutschland ein hoch industrialisiertes Land zeigt, dass man auf eine hoch entwickelte Technologie verzichten kann, wenn man das ihr immanente Restrisiko für nicht hinnehmbar hält. ({1}) Das Restrisiko bleibt, auch wenn uns Wissenschaftler heute erzählen, dass die nächste zu entwickelnde Generation von Atomkraftwerken - Zitat von gestern - „katastrophenfrei“ laufen kann. Es sind nicht unbedingt dieselben Wissenschaftler wie die, die uns vor 20 Jahren etwas von der Sicherheit der Anlagen außerhalb der damaligen Sowjetunion erzählt haben, aber es sind dieselben Botschaften. Dagegen steht: Harrisburg 1979, Tokaimura 1999, Paks 2003, Sellafield 2005. Auch bei uns gab es eine Reihe gravierender Störfälle, bei denen ein klein bisschen mehr menschliches Versagen zu gravierenden Folgen hätte führen können. Die Sicherheitslage hat sich seit 1986 nicht entschärft. Der 11. September 2001 hat eine zusätzliche Dimension eröffnet, die Proliferationsgefahr hat sich vergrößert. Den Kollegen, die an dieser Stelle gern sagen, dann hätten wir doch den Sofortausstieg fordern müssen - weil sie wissen, dass wir dann gar keinen Ausstieg hätten -, sage ich: Lieber verantworten wir, dass das Restrisiko Schritt für Schritt verringert wird, als ein endloses Verharren im Risiko. ({2}) Tschernobyl markiert auch 20 Jahre danach den wichtigsten Grund für den Ausstieg aus der Atomkraft. Er ist nicht zu entkräften. Entkräften kann man dagegen alle vermeintlich guten Gründe für die weitere Nutzung der Atomkraft. Weder ist Atomstrom billig - ohne die bis heute auf über 100 Milliarden Euro angewachsenen Subventionen wäre er unbezahlbar - noch kann er das Mittel der Wahl gegen den Klimawandel sein. Bei 2,5 Prozent Anteil am weltweiten Endenergieverbrauch müssten Tausende neue AKW gebaut werden, um einen spürbaren Effekt zu erzielen. ({3}) So viel Begeisterung und Kapital für AKWs kann man wirklich nicht erwarten. ({4}) Die Länder, die auf einen Energiemix mit viel Atomstrom setzen, führen uns vor, dass durch den atomstromimmanenten Anreiz zur Stromverschwendung Treibhausgase gar keine Chance haben, verringert zu werden. Zum letzten beliebten Argument: der Versorgungssicherheit. Auch Uran ist endlich. Wirtschaftlich abbaubar steht es der Welt nicht länger zur Verfügung als Erdöl und Erdgas. Der Weg zur zukunftsfähigen Energieversorgung sind die erneuerbaren Energien und Effizienz. Das funktioniert, schafft Versorgungssicherheit und Arbeitsplätze, ist auf Dauer billiger als jede andere Form der Energieerzeugung und verringert globale Konfliktpotenziale. Und es ist der Auftrag, den uns Tschernobyl gibt. Lassen Sie uns diesen Auftrag in diesem Hohen Haus gemeinsam weiterführen. Ihr Kummer darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie unserem Antrag heute nicht zustimmen dürfen, ist bekannt. Bleiben Sie in der Frage des Atomausstiegs standhaft, dann sehen wir Ihnen das heute nach. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in diesen Tagen an den Unfall im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl erinnern, so wollen wir zunächst einmal allen Opfern dieses Unfalls unser Mitgefühl aussprechen. ({0}) Gestern im Ausschuss und heute in der Debatte würdigen wir gleichzeitig das umfangreiche bürgerschaftliche Engagement, das es gerade auch in Deutschland gibt. Es ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten sehr viel geleistet worden, um den Betroffenen dieses Unfalls Hilfe zu leisten und den Menschen bei der Bewältigung der Folgen zur Seite zu stehen. Dafür gebührt all denjenigen Vereinen und Institutionen, die sich in diesem Bereich verdient gemacht haben, unser tiefer Dank. Deshalb sage ich an dieser Stelle, dass unsere Fraktion an der Seite derjenigen steht, die sich besonders in diesem Bereich engagiert haben. ({1}) Besonders stark ist das Engagement aus Deutschland. Nach wie vor werden Jahr für Jahr 10 000 Kinder vor allem aus Weißrussland von Gastfamilien zur Erholung nach Deutschland eingeladen. Bundesweit existieren fast 1 000 Initiativen, die den Menschen in den betroffenen Gebieten bei der Minderung der Unfallfolgen helfen. Seitens meiner Fraktion hebe ich dieses Engagement noch einmal hervor. Angesichts des Leids der Opfer, aber auch des Engagements, das viele Menschen in unserem Land zeigen, möchte ich allerdings meine Verwunderung darüber aussprechen - diese entstand, als ich den Antrag der Grünen gelesen habe, und auch, als ich Ihre Rede, Frau Kollegin, gerade gehört habe -, dass Sie den Jahrestag des TscherPhilipp Mißfelder nobylunfalls zu einer aktuellen politischen Debatte nutzen. Das finde ich nicht in Ordnung. ({2}) Denn am heutigen Tag haben wir im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Energiegipfels bereits über das Thema Atomenergie gesprochen. Insofern sollte man Gedenktage wirklich Gedenktage sein lassen und sie nicht politisch - schon gar nicht parteipolitisch - instrumentalisieren. Das finde ich nicht in Ordnung. ({3}) Der Antrag beschreibt in wenigen Sätzen die Katastrophe, um anschließend seitenweise die längst bekannten Positionen Ihrer Partei zu formulieren. ({4}) Beschäftigen Sie sich an einem Gedenktag doch bitte mit dem Thema und arbeiten Sie nicht am Thema vorbei. ({5}) Schon allein dieses Vorgehen macht es uns als Fraktion nicht möglich, Ihrem Antrag zuzustimmen. ({6}) - Allein das ist es. Wir haben uns gestern im Ausschuss besonders engagiert. Sie haben gesehen, wie engagiert die Kollegen meiner Fraktion in der Diskussion waren. Gestern haben wir zu dem Thema deutlich Stellung bezogen und das Gedenken gewahrt, das ich, wie gesagt, bei Ihnen so nicht sehe. Ich möchte auf Ihre Argumente eingehen. Zahlreiche internationale Studien haben bis heute nachgewiesen, dass es neben eindeutigen Mängeln an der Konstruktion des Reaktors selbst in hohem Maße auch am Betriebspersonal gelegen hat, das unzureichend über die Schwächen des Reaktortyps informiert war. Hinzu kam das mangelnde Sicherheitsbewusstsein der Betriebsmannschaften. Sie hielten sich nicht an die bewährte betriebliche und sicherheitsorientierte Verfahrensweise und wussten nicht, welches tatsächliche Risikopotenzial vorhanden war. Angesichts des Schicksals der Opfer möchte ich auch auf die Bedingungen unter der sowjetischen Diktatur hinweisen. Dieser Aspekt spielt für die Bewältigung der Folgen dieser Katastrophe eine ganz entscheidende Rolle. Jüngst hat ein Abgeordneter des weißrussischen Parlaments die Tage nach dem Unfall aus Sicht eines direkt Betroffenen geschildert. Die Politik der sowjetischen Führer in Moskau, Kiew und Minsk ist voller Feigheit gewesen, gepaart mit einer menschenverachtenden Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden der Bewohner der Städte und Dörfer um den Unglücksreaktor herum. In den Wochen nach dem Unglück schrieben die sowjetischen Zeitungen von feindlichen Machenschaften, antisowjetischer Hetze und provokatorischen Gerüchten, die die Feinde der Sowjetunion verbreiten würden. In dieser Situation wurden Schulklassen aus der DDR, also aus Deutschland, nach Kiew geschickt, um die leer stehenden Devisenhotels der ukrainischen Hauptstadt zu füllen. Ich muss wirklich sagen: Das war absolut verantwortungslos. ({7}) An einem solchen Gedenktag muss man sich auch damit beschäftigen, was das sowjetische Unrechtssystem vielen Menschen, auch aus Deutschland, zugemutet hat, gerade in den Tagen des Tschernobylunglücks. ({8}) Die Behörden waren vom Ausmaß des Unfalls völlig überrascht. Ein großer Fehler war, dass die Hilfsmaßnahmen zentral aus Moskau gesteuert wurden. Sie wiesen aus Unkenntnis der konkreten Gegebenheiten, aber auch aus Ignoranz große Unzulänglichkeiten auf. Erst 36 Stunden nach der Explosion - das haben wir gestern gehört - wurde als erste Maßnahme die Stadt Pripjat geräumt; die übrige 30-Kilometer-Zone folgte erst nach mehr als einer Woche. Für die Bekämpfung des Brandes waren zunächst nur die 100 Betriebsfeuerwehrleute des Kernkraftwerkes sowie örtliche Feuerwehren vorgesehen, sonst zunächst niemand. Festzuhalten sind auch die eklatanten Mängel bei den eingeleiteten Rettungsmaßnahmen. So wurden ungeeignete Brandlöscher wie Blei von Hubschraubern in den brennenden Reaktor geworfen. Kurz nach dem Unfall in Tschernobyl schrieb der weißrussische Schriftsteller Adamowitsch einen Brief an Michail Gorbatschow; von Gesprächen mit ähnlichem Inhalt wurde uns gestern auch im Ausschuss berichtet. Darin forderte er den sowjetischen Parteichef auf, endlich dafür zu sorgen, dass hinreichende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen werden. Adamowitsch schrieb in seinem damaligen Brief: Es ist hier nicht bloß eine Anlage explodiert, sondern der gesamte Komplex an Verantwortungslosigkeit, Disziplinlosigkeit und Bürokratismus. - Auch dieses Problem ist direkt nach dem Unglück entstanden. Zu den Auswirkungen des Unfalls liegt seit September letzten Jahres eine ausführliche Studie von mehr als 100 Wissenschaftlern vor, die gemeinsam von der Internationalen Atomenergie-Organisation, der Weltgesundheitsorganisation und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen erarbeitet wurde. Die Zahl der Todesfälle könnte sich demnach auf bis zu 4 000 belaufen. Bis Mitte 2005 konnten jedoch nur weniger als 50 Todesfälle direkt auf die Strahlung zurückgeführt werden. Bei ihnen handelt es sich vor allem um Rettungsarbeiter, die besonders hoher Strahlung ausgesetzt waren. Viele von ihnen starben innerhalb weniger Monate nach dem Unfall. Besonders aufschlussreich an dieser Studie ist, dass Fehlauffassungen und Mythen hinsichtlich der Strahlungsgefahr auch 20 Jahre nach dem Unfall bei der Bevölkerung einen lähmenden Fatalismus verursachen. Noch immer wissen die Menschen in den betroffenen Gebieten zu wenig über die Konsequenzen des Unfalls. Das zu ändern ist eine besondere Aufgabe Deutschlands und der internationalen Staatengemeinschaft. ({9}) 20 Jahre nach dem Unfall scheint es grundsätzlich angebracht, die Sicht auf die betroffene Region zu ändern. Wir sollten ihre Bewohner nicht länger nur als Opfer betrachten, sondern ihnen die Möglichkeit aufzeigen, zu Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zu gelangen. Das betrifft auch politische Debatten, die wir in anderen Zusammenhängen führen. ({10}) Wie sind die Folgen der Tschernobylkatastrophe für Deutschland zu bewerten? Festzuhalten ist, dass eine radioaktive Wolke Substanzen bis nach Süd- und Ostdeutschland verteilte. Allerdings wurden die zulässigen Grenzwerte laut Aussage der Strahlenschutzkommission - auch das haben wir gestern gehört - hierzulande selbst im ersten Jahr nach dem Unfall nicht überschritten. Seitdem nehmen sie kontinuierlich ab. Das muss man ebenfalls zur Kenntnis nehmen; denn das sind die Fakten. ({11}) Aus dem Unglück von Tschernobyl müssen Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft zwei wesentliche Lehren ziehen - das Entscheidende an dieser Debatte ist nämlich, nicht Ideologie zu betreiben und Angst zu machen, sondern konsequent daran zu arbeiten, die richtigen Lehren zu ziehen -: Zum einen können wir anderen Ländern nicht vorschreiben, ob sie die Kernenergie nutzen wollen oder nicht. Das ist eben so; daran kann man nichts ändern, auch nicht, indem wir es hier beschließen. Deshalb sollten Sie sich in dieser Frage Ihr unangebrachtes Gefühl moralischer Überlegenheit abgewöhnen; für pragmatisch ausgerichtete Politik bringt das nichts. Weil wir anderen Staaten hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie nichts vorschreiben können, müssen wir von denjenigen Staaten, die die Kernenergie friedlich nutzen wollen, eine unabhängige und rechtsstaatliche Aufsicht der Anlagen einfordern. Dafür gibt es Organisationen wie die IAEO, an die der Friedensnobelpreis zu Recht gegangen ist. ({12}) Zum anderen muss in Zukunft die Sicherheit bei der Kernkraft Vorrang haben. Deshalb ist es richtig, dass Deutschland sich daran beteiligt, auch zukünftig sichere Kernkraftwerke weltweit zu garantieren. Es ist richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland trotz Atomausstieg bei Euratom mitmacht und sich an der Forschung beteiligt, damit die Kernenergie weltweit noch sicherer wird. Dabei hat Deutschland technologisch immer eine Vorreiterrolle eingenommen und sollte dies auch zukünftig tun. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Brunkhorst, FDP-Fraktion. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der gestern zu diesem Thema durchgeführten Sonderveranstaltung im Umweltausschuss kamen Experten aus den Bereichen der Medizin, der Strahlenforschung, der Kerntechnik, der nicht staatlichen Hilfsorganisationen und der IAEA in der Beurteilung des Status quo, der zukünftigen Folgen und der noch bestehenden Risiken des Unfalls in Tschernobyl zu überraschend unterschiedlichen Auffassungen und Bewertungen. Dazu muss ich sagen: Die Diskussion über die Anzahl der Opfer führt politisch nicht weiter: Denn jedes Opfer ist eines zu viel. ({0}) Der Antrag von Bündnis 90/Grüne stellt die Unfallursachen der Katastrophe von Tschernobyl klar dar: dass es sich um einen ganz speziellen sowjetischen Reaktortyp handelte, den RBMK-Reaktor. Was der Antrag allerdings nicht transportiert, ist, dass die in der EU gängigen Schwerwasserreaktoren und Leichtwasserreaktoren über eine ganz andere Sicherheitstechnik verfügen. Hier sollte man Tschernobyl nicht dazu missbrauchen, ein unrealistisches Angstszenario aufzubauen. ({1}) Aus der der FDP-Fraktion am gestrigen Tag zugeleiteten Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage „Bewertung und Auswirkungen des Reaktorunfalls von Tschernobyl“ kann ich an dieser Stelle nur wenige Antworten der Bundesregierung wiedergeben. Da heißt es unter anderem: Diese Reaktoren verfügen über zahlreiche Auslegungsmerkmale, die mit westeuropäischen Technologie- und Sicherheitsstandards nicht vergleichbar sind. … Die für den Unfall in Tschernobyl ursächlichen Schwächen in der Auslegung des Reaktors und die in der Vorgehensweise der Betriebsmannschaft offenbar gewordene mangelhafte Sicherheitskultur sind mit deutschen Standards nicht vergleichbar. … In den in Russland und Litauen in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken mit RBMK-Reaktoren wurden zahlreiche sicherheitsverbessernde Maßnahmen realisiert … … Die Bundesregierung misst der Sicherheit der Atomkraftwerke in Deutschland höchste Priorität bei. Im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung wird dafür Sorge getragen, dass die deutschen Atomkraftwerke auf dem höchstmöglichen Sicherheitsniveau betrieben werden. Da sind wir ganz auf einer Linie. ({2}) Der Antrag der Grünen kommt über die Bekundung der Betroffenheit anlässlich Tschernobyls zum eigentlichen Hauptmotiv: die Gefährlichkeit der Kernenergie zu beschwören, so zu tun, als ob hinsichtlich der sicherheitstechnischen Modernisierung bestehender Anlagen überhaupt nichts getan worden wäre. Das ist unverantwortlich und erfolgt wider besseres Wissen. Die friedliche Verwendung mittel- und hochangereicherten Urans mit der Anhäufung waffenfähigen Plutoniums in einen Topf zu werfen und daraufhin neue, unüberschaubare Gefahrenpotenziale zu beschwören, ist nicht seriös. Es ist Ideologie in Reinform! ({3}) Sie scheuen weder eine Attacke auf die Internationale Atomenergiebehörde - immerhin Inhaberin des Friedensnobelpreises - noch, das Horrorszenario der furchtbaren Anschläge des 11. September 2001 für Ihre Zwecke zu missbrauchen. Das ist Agitation. ({4}) Stellen wir uns doch vielmehr den Realitäten. Weltweit wird die deutsche Reaktortechnik als die sicherste überhaupt eingeschätzt. Unbenommen, dass andere Kraftwerkstechnologien und auch die Technologien im Hinblick auf die erneuerbaren Energien Potenziale haben und sich ihre Anteile am Energiemix erobern müssen und sie auch erhalten werden, so muss man hier doch einmal die Fakten benennen dürfen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kotting-Uhl?

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Mit dem Atomausstiegsgesetz steht Deutschland allein in der Welt. Selbst Schweden und die Niederlande sind aus ihrem Ausstieg wieder ausgestiegen. Schweden und Kanada haben die Laufzeiten auf 60 Jahre erhöht. Weltweit werden derzeit 444 Kernkraftwerke in 31 Ländern betrieben. ({0}) 23 Anlagen werden derzeit in zehn Ländern gebaut. Bis 2020 sind 38 neue Kraftwerke in Planung. Hören Sie jetzt bitte gut zu: Sogar in der Ukraine und in Weißrussland erwägen die Regierungen, Kernkraftreaktoren zu bauen. ({1}) Nehme ich den Auftrag, für Reaktorsicherheit zu sorgen, auf, dann ist es im Hinblick auf die internationale Situation wichtig - das ist der FDP ein besonderes Anliegen -, dass wir in Deutschland in Zukunft wieder möglichst viele Kernphysiker und Ingenieure ausbilden, die dieses sicherheitstechnische Know-how zur Verfügung stellen können. ({2}) Ich will jetzt hier noch auf einige Ihrer Argumente eingehen. Sie bestreiten die Wirtschaftlichkeit der Kernkraft.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie können höchstens noch auf ein Argument eingehen; denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, das tue ich. - Dann komme ich gleich zum Schluss und sage, was wir für wichtig halten. Es ist wichtig, die Reaktorsicherheit zu garantieren. Wir müssen die Menschen informieren und dürfen keine Angst schüren. Wir wollen für alle Energieträger eine Option einräumen und wir meinen, dass gerade Ihre Bedenken ein Ausbremsen der Forschung im Sicherheitsbereich zur Folge hatten. Damit haben Sie genau das gefährdet, was Sie eigentlich wollen, nämlich nie wieder Tschernobyl. ({0}) Also bitte! ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Mißfelder hat gefragt, was man aus Tschernobyl lernen könne. Ich glaube, eines kann man lernen, dass uns nämlich eine Technologie Schwierigkeiten macht, bei der die Technik und der Mensch immer funktionieren müssen und bei der Fehler vor allen Dingen nicht bei beiden - bei Technik und Mensch - zum gleichen Zeitpunkt auftreten dürfen. ({0}) Herr Mißfelder, ich glaube schon, dass man diese Erfahrung aus Tschernobyl ziehen darf. Vielleicht mache ich mir bei meiner eigenen Fraktion jetzt nur wenige Freunde, aber ich denke, dass es das auch schon war, was man für die innerdeutsche Debatte über Atomenergie aus Tschernobyl lernen kann. Ich glaube nämlich nicht, dass wir viel weiter kommen, wenn wir immer nur versuchen, unsere eigene Energiepolitik anhand eines Reaktorunglücks, das vor 20 Jahren stattgefunden hat, zu definieren. Das wird immer nur dazu führen, dass sich jeder die Argumente aussucht, die ihm gerade in den Kram passen, und wird jedenfalls nicht dazu führen, dass wir einen Schritt weiter kommen. ({1}) Deswegen bin ich sehr dafür, dass man diese prinzipielle Lehre beachtet. Herr Kollege Mißfelder, diese Lehre hat auf der linken Seite der Koalition eine praktische Konsequenz. Auf Ihrer Seite hat sie nicht diese praktische Konsequenz. Ich glaube aber, dass uns die Vorsicht, die man bei einem zu starken Sich-Verlassen auf die Technik, den Menschen und vor allen Dingen auf das Zusammenwirken beider haben sollte, vielleicht doch zueinander bringen wird. Ansonsten halte ich eine Menge davon, dass wir uns mit Tschernobyl im Jahre 2006 auseinander setzen. Ich finde, das wäre der angemessene Umgang gewesen, den ich in Ihrem Redebeitrag, Frau Kollegin Kotting-Uhl, ein wenig vermisst habe. ({2}) Man könnte den Eindruck haben, es ginge bei Tschernobyl nur um die Frage, wie wir damit in der deutschen Diskussion umgehen. In Wahrheit gibt es dort ein massives Problem. Meine Bitte ist, dass Regierung und Bundestagsfraktionen in den Ausschussberatungen gemeinsam überlegen, was unser Beitrag dazu sein kann, die schleppende Umsetzung der Sicherung des Sarkophages in Tschernobyl zu beschleunigen. ({3}) Das ist ein ernsthaftes Problem. Es steht nicht nur eine frühere Gefährdung von Menschen durch die Reaktorkatastrophe im Raum, sondern auch eine aktuelle Gefährdung von Menschen. ({4}) Das müssen wir bedenken. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit 60 Millionen Euro an der Sicherung beteiligt. Die Gesamtkosten liegen bei 800 Millionen Euro, aktuell bei über 400 Millionen Euro. Die Auftragsvergabe für Maßnahmen zur Ummantelung des Sarkophags - das sind wichtige Schritte - verläuft schleppend. Es sind Risse aufgetreten. Aus meiner Sicht wird hier politisch hoch gepokert. Ich finde, der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung müssen ein Interesse daran haben, nicht nur Mittel bereitzustellen, sondern auch dafür zu sorgen, dass die internationalen Verabredungen eingehalten werden, und zwar sowohl von der Ukraine wie von der Russischen Föderation. Das muss unsere Position sein. Das ist der aktuelle Umgang mit Tschernobyl. ({5}) Die Sicherung verläuft nicht so gut, wie wir uns das vorstellen. Meine Bitte ist, dass wir darauf in der Diskussion über die Beschlussfassung im Deutschen Bundestag das Schwergewicht legen. Schließlich wollen wir die Menschen dort nicht für die innerdeutsche Debatte missbrauchen, sondern wir wollen die Situation für die Menschen vor Ort verbessern. Das ist das humanitäre und politische Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Darauf - das ist mein Vorschlag - sollten wir Wert legen. ({6}) Wir haben genug Möglichkeiten, über Kernenergie im Zusammenhang mit anderen Symbolthemen zu streiten. Aber hier müssen wir unsere Zusagen einlösen, nämlich die Bereitstellung humanitärer Hilfe und die Sicherung der Lebenssituation. Zum anderen möchte ich die heutige Diskussion nutzen, um für die Bundesregierung zu erklären, dass wir uns für die fast tausend Initiativen in Deutschland bedanken. ({7}) Bis auf den heutigen Tag haben Tausende von Menschen in Deutschland Patenschaften für Schulen und Kindergärten in der Region übernommen, um ihnen zu helfen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Menschen, die zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl noch nicht geboren waren, haben Kinder in den Urlaub eingeladen und für medizinische Hilfe vor Ort gesorgt. All das zeigt: Dieses Land ist bereit, über 20 Jahre ein gewaltiges ehrenamtliches Engagement auf die Beine zu stellen, das in seiner Wirkung noch viel größer ist als die Summe, die wir aus Steuergeldern bereitgestellt haben. Für diese Initiativen bedankt sich die Bundesregierung ausdrücklich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Name des ukrainischen Ortes Tschernobyl steht für vieles. Er steht für die größte Reaktorkatastrophe der Geschichte. Er ist gleichzeitig ein Symbol für den Anfang des weltweiten Widerstands gegen die Atomkraft. Tschernobyl symbolisiert aber auch die kritiklose Technikgläubigkeit und die Vertuschungen, die nicht nur für die Sowjetunion, sondern für den gesamten Ostblock charakteristisch waren. Dass nicht sein sollte, was nicht sein darf, war jedoch nicht nur im Kreml und im SEDZentralkomitee die Maxime. Auch bei bestimmten linken Organisationen im Westen, den Bruderparteien, war dies die Richtschnur. Insofern mussten sich in den vergangenen Jahren viele Mitglieder von PDS und Linkspartei, darunter auch ich, kritische Fragen stellen. Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU müssten dies aber auch tun; denn ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie damals auch bei uns vieles verschwiegen wurde. Ich denke, das wird auch heute noch der Fall sein. ({0}) Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Linke hat aus den grundsätzlichen und unverantwortlichen Risiken der Atomwirtschaft die einzig mögliche Konsequenz gezogen: Wir fordern den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie. ({1}) Die Zukunft muss ökologisch und sozial beherrschbaren Energieformen gehören. Das sind Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie statt Uran und Plutonium. Die Argumente, die gegen die Atomkraft sprechen, sind im Antrag der Grünen noch einmal aufgeführt. Beispielsweise wird darauf hingewiesen, dass der Brennstoff der AKWs nur noch 40 bis 60 Jahre reicht, dass die Atomkraft nur einen sehr geringen Beitrag zum Klimaschutz leistet und dass kein einziges deutsches AKW einem Terroranschlag wie dem auf die New Yorker Twin Towers standhalten würde. Ich muss Sie von den Grünen in diesem Zusammenhang fragen, welche Verantwortung Sie haben. Es ist merkwürdig, dass die Grünen in ihrem Antrag die Restlaufzeiten in Deutschland von über 20 Jahren als angemessen darstellen. Das ist für mich sehr widersprüchlich. Sind wir nun gefährdet - dann müssen die Atomkraftwerke schnell abgeschaltet werden - oder nicht? ({2}) Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zum viel zitierten IAEO-Bericht. Das Dokument erschien unter dem Titel „Tschernobyl - Das wahre Ausmaß des Unfalls“. Als ich das Papier gelesen habe, war ich verblüfft und zornig darüber, wie es die Atomlobby wieder einmal geschafft hat, die Wahrheit zu verbiegen. Hauptaussage - vielleicht auch Motivation - des Berichts ist sinngemäß: Es war alles nicht so schlimm und wenn doch etwas passiert ist, dann lag es an der dramatisierenden Darstellung durch die Medien. Die habe nämlich zu einer psychischen Belastung der Bevölkerung vor Ort geführt, so die seltsame Logik. Die Autoren meinen tatsächlich, Armut, Lifestylekrankheiten und psychische Probleme seien eine viel größere Bedrohung für die betroffenen Gemeinden als die Langzeitverstrahlung. ({3}) - Hören Sie bitte zu! - Zudem zählt das Papier 4 000 Tote als Folge der Katastrophe. Der Bericht ist an dieser Stelle eine freche Manipulation. Denn warum sollte der ukrainische Staat sonst an die Angehörigen von mehr als 17 000 verstorbenen Aufräumarbeitern Entschädigung zahlen? Es geht dabei durchaus um Zahlen. Ich finde das sehr interessant. ({4}) Die stellvertretende Ministerin der Ukraine für Katastrophenschutz, Tetyana Amosova, erklärte dementsprechend: „Wir können nicht verstehen, was das für Daten sind.“ Lügen, Halbwahrheiten, Verdrehung von Tatsachen und Unterschlagung von Informationen - das ist der Stoff, mit dem die Atommafia gearbeitet hat und immer noch arbeitet. Ich komme zum Schluss. Wir fahren Sonntag nach Tschernobyl. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass gerade die Partei, die das „C“ im Namen führt, sieht, was dort passiert ist. Leider haben Sie sich nicht durchringen können, den Umweltausschuss zu begleiten. Ich werde persönlich den Kolleginnen und Kollegen und den Atomopfern vor Ort das Mitgefühl des Herrn Mißfelder mitteilen. ({5}) Sie lernen nämlich nichts aus solchen Unfällen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Christoph Pries, SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Herr Minister Gabriel - lieber Sigmar -, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen. Nikolai Kalugin lebte mit seiner Familie in Pripjat unweit des Unglücksreaktors von Tschernobyl. Kurz nach der Katastrophe wird die Familie evakuiert. Sie darf nichts mitnehmen. Doch eine Sache kann Nikolai Kalugin nicht zurücklassen: die Haustür seiner Wohnung. Es ist die Tür, auf der nach alter Tradition die Toten aufgebahrt werden und auf der seit Generationen Jahr für Jahr das Wachstum der Kinder mit einer Einkerbung dokumentiert wird. Nikolai Kalugin hat es geschafft. Mit Hilfe seines Nachbarn hat er seine Tür an den Sicherheitskontrollen vorbei aus der Stadt gebracht. Nikolai Kalugin hat seine Tür noch gebraucht. Einkerbungen musste er nicht mehr machen. Ich kenne weder Nikolai Kalugin, noch weiß ich, ob der Krebs, der seine sechsjährige Tochter getötet hat, mit Sicherheit auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zurückzuführen ist. Für den Vater Nikolai Kalugin besteht daran kein Zweifel. Mir persönlich reicht das. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte den Opfern der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Namen der SPD-Bundestagsfraktion unser Mitgefühl aussprechen. ({0}) Gleichzeitig möchte ich von dieser Stelle auch den weltweiten Einsatz zahlloser Organisationen und Initiativen für die Opfer von Tschernobyl würdigen. Dieses selbstlose Engagement seit nunmehr 20 Jahren verdient unsere höchste Anerkennung. ({1}) Welche Bedeutung hat die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl heute noch? Sie hat noch immer gravierende Auswirkungen für die unmittelbar betroffenen Staaten, die Ukraine und Weißrussland. Im September 2005 haben die Vereinten Nationen einen Bericht über die Folgen der Katastrophe von Tschernobyl vorgelegt. Der Bericht entstand unter der Federführung der Internationalen Atomenergieorganisation. Er dürfte daher selbst für glühende Befürworter der Atomenergie akzeptabel sein. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass man mit insgesamt 4 000 Todesopfern rechnen muss, dass bisher 4 000 Kinder an Schilddrüsenkrebs erkrankt sind, dass 350 000 Menschen infolge der Katastrophe ihre Heimat verloren haben, dass eine Fläche von mehr als 200 000 Quadratkilometern kontaminiert wurde und dass sich der Gesamtschaden der Katastrophe auf mehrere Hundert Milliarden US-Dollar beläuft. Dies sind wohlgemerkt die Zahlen der Internationalen Atomenergieorganisation. Umweltorganisationen, Experten und Hilfsorganisationen gehen bei ihren Schätzungen von weit höheren Opferzahlen aus. Sie kritisieren den Bericht als Verharmlosung. ({2}) Und sonst? Welche Bedeutung hat Tschernobyl sonst noch für uns? Ganz konkret ist die Bundesrepublik Deutschland einer der größten Geldgeber bei der Sanierung des baufälligen Sarkophags um den havarierten Reaktorblock. Dessen Sanierung wird mehr als 1 Milliarde US-Dollar verschlingen. Ganz konkret gibt das Bundesministerium für Umwelt Jahr für Jahr 70 000 Euro aus, um Wildbret anzukaufen, welches mit Cäsium 137 kontaminiert ist. Tschernobyl ist das Symbol für die Folgen der Technologiegläubigkeit des 20. Jahrhunderts. ({3}) Tschernobyl ist das Symbol für die Folgen einer Technologie, bei der es trotz der Einhaltung höchster Sicherheitsstandards keine Garantie für ihre Beherrschbarkeit gibt. Wir Sozialdemokraten haben daraus die Konsequenzen gezogen. Die Arbeitsgruppe „Umwelt“ der SPDBundestagsfraktion hat diese Konsequenzen in ihrer Tschernobylresolution nochmals bekräftigt. Wir setzen auf zukunftsfähige und sichere Technologien. Wir setzen auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. ({4}) Wir setzen auf Energieeffizienz und Energieeinsparung. Atomenergie ist für uns - ebenso wie für die Mehrheit der Bevölkerung - ein Auslaufmodell. Abschließend möchte ich noch den Fachkolleginnen und Fachkollegen von der Union für die sachliche Zusammenarbeit in den letzten Wochen danken. ({5}) Wir standen kurz davor, nach 20 Jahren erstmals einen gemeinsamen Antrag zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auf den Weg zu bringen. Dass es nicht dazu gekommen ist, bedauern wir sehr. Dass Ihrer Fraktionsspitze letztlich der Mut gefehlt hat, unterstreicht nur allzu deutlich, welche Bedeutung Tschernobyl heute noch hat, und zwar gerade für Sie. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/860 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek ({0}) - Drucksache 16/322 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({1}) - Drucksache 16/896 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Grütters Hans-Joachim Otto ({2}) Katrin Göring-Eckardt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Professor Monika Grütters, CDU/CSU-Fraktion. ({3})

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Friedrich Schiller, unser großer Dichter, Stolz eines ganzen Volkes, beschwor dieses einst mit den Worten: Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens. Deutschland ist eben zuallererst Kultur- und dann erst eine politische Nation. Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe, die Begründer dieser Art Kulturnation, bezogen sich darauf, dass Deutschland damals eben keine einige Nation war, sondern seine verschiedenen Stämme nur durch die Kultur als einem einigenden Band zusammengehalten wurden. Deutschland ist bis heute in besonderer Weise ein Land der Kultur. Wir sagen nicht ohne Grund: das Land der Dichter und Denker. Wie können wir Heutigen das schöner und treffender ausdrücken als durch die Benennung einer Nationalbibliothek? Denn der Gesetzentwurf über die Deutsche Nationalbibliothek hat durchaus grundsätzlichen Charakter, der über die pragmatische Ausweitung des Sammelauftrags der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main und Leipzig hinausweist. Hauptzweck der konstitutiven Neufassung des Gesetzes über die Deutsche Bibliothek aus dem Jahre 1969 ist die Ausweitung dieses Sammelauftrages auf digitale Publikationen. Das ist unstrittig und im Übrigen längst überfällig. Widerspruch aber hat sich in einigen Reihen der Opposition nur bei der Änderung des Namens der Deutschen Bibliothek in Deutsche Nationalbibliothek geregt. Ich frage vor allem Sie von der FDP, wovor Sie da eigentlich Angst haben: vor der Frage nach der Nation, vor der Frage nach unserem Selbstverständnis, das darin zum Ausdruck kommt, oder vor der Konkurrenz einer Deutschen Nationalbibliothek mit ihren großen Schwestern im In- und Ausland? Schauen wir also erst einmal nach innen. Die Deutsche Bibliothek, die wir künftig Deutsche Nationalbibliothek nennen, ist das Depot des deutschen Schrifttums. Sie ist die zentrale Archivbibliothek und das nationalbi-bliografische Informationszentrum der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Vorläufer aus Leipzig und Frankfurt wurden im Zuge der Wiedervereinigung zusammengeführt. Sie alleine hat das Pflichtexemplarrecht für ganz Deutschland und ist im Übrigen mit fast 22 Millionen Einheiten die größte Universalbibliothek Deutschlands, die darüber hinaus ein vielfältiges Dienstleistungsangebot bereithält. Vorbehalte aus dem Bundesrat, der auf Antrag von Bayern und Berlin gegen den Gesetzentwurf votierte, gründen sich auf die Loyalität dieser Länder mit ihren großartigen und altehrwürdigen Bibliotheken. Selbstverständlich anerkennen auch wir im Bundestag die Leistungen der Bayerischen und der Preußischen Staatsbibliothek, die auf ihre Bestände von vor 1913, als die Deutsche Bibliothek gegründet wurde, und auf die Erwerbung der Literatur des Auslands verweisen. ({0}) Die ehemalige Preußische Staatsbibliothek in Berlin, schon 1661 gegründet, zeichnet sich vor allem durch ihre Autografensammlung aus. Dort liegen zum Beispiel Mozarts „Zauberflöte“ und Beethovens „Neunte“. Die noch früher - 1558 - gegründete Bayerische Staatsbibliothek verfügt über eine beispiellose Handschriftensammlung und ist nach der British Library die zweitgrößte Zeitschriftensammlung der ganzen Welt. Eine Analogie zum Sammelauftrag der künftigen Deutschen Nationalbibliothek lässt sich bei allem Respekt vor der Professionalität und jeweiligen Einzigartigkeit der Sammlungstraditionen in Bayern und Berlin allerdings nicht begründen. Die Deutsche Nationalbibliothek ist die einzige, die mit der vollständigen Publikation in und über Deutschland und übrigens der Herausgabe der Nationalbibliografie Kernaufgaben einer Nationalbibliothek erfüllt. Wir sind der Meinung, sie gilt es daher auch den internationalen Partnern gegenüber mit Namen kenntlich zu machen. Mit der Benennung zweier Parlamentarier für den Verwaltungsrat haben wir im Kulturausschuss übrigens dafür gesorgt, dass der Charakter der Bibliothek als nationaler Einrichtung auch symbolhaft unterstrichen wird. ({1}) Finanziert wird die durch den erweiterten Sammelauftrag notwendige Budgeterhöhung übrigens durch Umschichtungen im Kulturhaushalt. Auch das, finde ich, ist ein gutes Zeichen. Ob auf Papier oder im Netz, Bücher sind ein unverzichtbarer Bestandteil unserer kulturellen Identität. Bibliotheken sind weit mehr als bloße Büchersammelstellen. Sie sind vielmehr elementare Einrichtungen für Information und Wissen. Sie sind ein zentraler Baustein für Demokratie, weil sie den Zugang zur Literatur ermöglichen. ({2}) Der Begriff der Kulturnation erinnert uns gerade hier an ein kostbares Erbe. Er fordert uns darüber hinaus zu eigener Kreativität heraus. Mit der Deutschen Nationalbibliothek setzt die Kulturnation Deutschland ein schönes und würdiges Zeichen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Christoph Waitz, FDPFraktion. ({0})

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Symbolpolitik ist das Schlagwort, mit dem sich die ersten Monate der Arbeit der Bundesregierung am besten charakterisieren lassen. Es ist eine Politik, die vor allem auf ihre äußere und öffentliche Wirkung setzt, die Probleme aber nicht wirklich grundlegend angeht. Es ist eine Politik, die im besten Falle verändert, aber keine dauerhafte Verbesserung schafft. Auch der vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek fällt in die Rubrik Symbolpolitik. ({0}) Das ist es, was die Bundesländer, die gesamte Presselandschaft, Herr Tauss, und vor allem die Bibliotheken - auf die sollten wir hören - fast einhellig kritisieren. Dabei fällt ein wenig unter den Tisch, dass der Gesetzentwurf ansonsten sehr viel Sinnvolles enthält. ({1}) Bei der Erweiterung des Sammlungsauftrages darf man sich allerdings fragen, warum die Anpassung an das digitale Zeitalter erst in den Jahren 2005 und 2006 erfolgen kann. Dieser eigentliche Bestandteil, die Substanz dieses Gesetzentwurfs, ist zwischen den Fraktionen auch nicht mehr streitig. Ich möchte mich aber auf das konzentrieren, was wir als das entscheidende Problem dieses Gesetzentwurfs ansehen: Die Deutsche Bibliothek ist - bei aller Wertschätzung der unter diesem Namen vereinten Institutionen - nicht die Deutsche Nationalbibliothek. ({2}) Wir Deutschen haben keine Nationalbibliothek. Frau Professor Grütters, damit komme ich auf Ihre Frage zu sprechen. Nach den Kriterien der UNESCO setzt der Begriff Nationalbibliothek voraus, dass es sich um die führende Groß- und Universalbibliothek eines Landes handelt, die das wissenschaftliche Schrifttum weltweit sammelt, das nationale Schrifttum seit Beginn komplett sammelt, archiviert, bibliografiert und die alle wesentlichen bibliothekspolitischen Aufgaben für das jeweilige Land durchführt. Alle Nationalbibliotheken des Auslands - die Österreichische, die Italienische oder Japanische -, also alle Bibliotheken, die den Namen Nationalbibliothek tragen, kommen dieser Aufgabenstellung uneingeschränkt nach. Auf der anderen Seite gibt es bedeutende Bibliotheken wie die British Library oder die Library of Congress, die das Attribut national überhaupt nicht nötig haben und trotzdem sehr gut arbeiten. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Warum sollen gerade wir Deutschen bei unserer föderalen Verfasstheit die Deutsche Bibliothek, die hervorragend arbeitet, in Deutsche Nationalbibliothek umbenennen, wenn sie diese Aufgaben gar nicht erfüllt? ({3}) Die Aufwertung einer Bibliothek widerspricht zudem der gerade im digitalen Zeitalter zunehmenden Entwicklung, dass viele Institutionen in ihrer Vernetzung ein großes funktionsfähiges Ganzes bilden. In der Computerwelt ist man längst abgekehrt von monströsen Großrechnern und man erreicht dort eine wesentlich höhere Kapazität durch viele vernetzte dezentrale Rechner. In seiner Stellungnahme spricht der Bundesrat genau diesen Punkt an - Frau Professor Grütters, Sie haben das vielleicht gelesen -, wenn er darauf hinweist, dass die Deutsche Bibliothek gemeinsam mit der Bayerischen Staatsbibliothek und der Staatsbibliothek zu Berlin zu einer virtuellen Nationalbibliothek zusammengeschlossen werden kann. Durch die Umbenennung erhebt die Deutsche Bibliothek zudem einen durch sie allein nicht einlösbaren Anspruch und beschränkt gleichzeitig die Sichtbarkeit der faktisch durch die Staatsbibliotheken in Berlin und München wahrgenommenen nationalbibliothekarischen Aufgaben. Wir sollten die von allen Seiten geäußerte Kritik nicht unberücksichtigt lassen. Die Namensänderung wird die bisher gute Zusammenarbeit mit den bereits genannten Staatsbibliotheken in München und Berlin zwangsläufig erschweren. ({4}) Die Umbenennung provoziert doch geradezu Abgrenzungsaktivitäten der großen Staatsbibliotheken in München und Berlin, die um ein Vielfaches größer und älter sind als die Deutsche Bücherei Leipzig und die Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main. Was soll also eine solche Umbenennung, wenn keiner davon profitiert - sie produziert keinen Mehrwert -, noch nicht einmal die Deutsche Bibliothek selbst? ({5}) Ich bin der festen Überzeugung, Frau Professor Grütters, dass wir der Deutschen Bibliothek mit der nicht zu tragenden Bürde, von nun an Nationalbibliothek zu heißen, keinen Gefallen tun. ({6}) Daher appelliere ich an Ihre Vernunft, Frau Professor Grütters, Herr Staatsminister Neumann: Lassen Sie diesen Gesetzentwurf so nicht passieren! Stellen Sie nicht die Fraktions- und Regierungsdisziplin über die Erkenntnis, dass die Umbenennung der Deutschen Bibliothek widersinnig und nachteilig für die Bibliotheken in Deutschland ist. Haben Sie recht herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss, SPDFraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So viel Vorfreude hat es früher nicht gegeben; aber das ist ja okay. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Waitz, Sie haben sich hier richtig um das Namensthema bemüht. Ich möchte sagen: Rüsten Sie jetzt einmal ein bisschen ab! Sie können davon ausgehen: Die deutschen Bibliotheken sind nicht so kleinkariert, wie Sie es ihnen unterstellen; sie werden kooperieren. ({0}) Zu dem Namensthema wird mein Kollege Pries einiges sagen. Ich möchte mich dem zweiten Kapitel zuwenden, das bei Ihnen nur nebenbei angesprochen wurde, zunächst einmal aber meiner Freude Ausdruck verleihen: Bücher haben heute einen tollen Stellenwert in diesem Parlament. ({1}) Nach der Buchpreisbindung haben wir jetzt zum zweiten Mal ein Thema, bei dem es um Bücher geht, und das alles zu repräsentativen Zeiten und nicht zu nachtschlafender Zeit. ({2}) Ich freue mich sehr, dass wir es als Koalition geschafft haben, an das Werk der letzten Legislaturperiode anzuknüpfen. Wir diskutieren ja nicht erst seit gestern über das Thema, das Gegenstand des Gesetzentwurfs ist. Es geht nicht um ein Gesetz zur Änderung des Namens - über die Namensgebung ist nur in diesem Zusammenhang diskutiert worden -, sondern es geht um den Entwurf eines Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek und damit über etwas, was wir bisher in Frankfurt hatten; es geht aber darüber hinaus. Die Bibliothek in Frankfurt, lieber Kollege Pries, hat als Nationalbibliothek fungiert und die Aufgaben wahrgenommen, die andere Nationalbibliotheken ebenfalls wahrnehmen. ({3}) Sie wurde beauftragt, körperliche Medienwerke wie Bücher und Tonträger - übrigens seit 1913 - zu sammeln, zu erschließen, zu bewahren und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Für digitale Publikationen allerdings fehlte ein solcher Auftrag. Es fehlt also eine systematische Erschließung, Archivierung und Nutzbarmachung von Veröffentlichungen, die als Netzpublikationen - anders als das beim Buch der Fall ist keinen körperlichen Träger haben. Es setzt die Bedeutung des Buches in keiner Weise herab, wenn wir sagen: Wir brauchen natürlich auch ein Archiv der Gesellschaft für Veröffentlichungen, die keinen körperlichen Träger haben. In der Regel ist Papier der körperliche Träger. In der Antike war es Papyrus oder wie auch immer. Das ist heute noch in Museen, auch hier in Berlin, in einer faszinierenden Vielfalt zu besichtigen. Aber im Gegensatz zur Archivierung auf Papyrus ist die Archivierung von digitalen Daten bisher nichts, was über Jahrhunderte und Jahrtausende hält; diese Daten sind schon nach wenigen Jahren und Jahrzehnten nicht mehr abrufbar. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir in unserer Wissens- und Informationsgesellschaft - Frau Präsidentin, wir sprechen immer von der Entfaltung einer Wissens- und Informationsgesellschaft - informationelle Kontinuität gewährleisten. Heute reden wir darüber, dass der Auftrag der Bibliothek, wie gesagt, in diesen Bereich hinein ausgedehnt wird. Nun haben Sie seitens der FDP kritisiert, dass dies relativ spät kommt. Ich stimme Ihnen in einem Punkt zu: Es gab Leute, die schon einige Jahre früher dafür eingetreten sind. Als ich 1994 in den Bundestag kam, habe ich mit dem Kollegen Thierse zusammen einen Antrag auf den Weg gebracht - daran erinnere ich mich gut -, in dem wir genau diese Themen angesprochen haben. ({4}) Wer hat das damals unter Hohn und Gelächter abgelehnt? Unter anderem die Bundesregierung, die von Ihnen mit getragen worden ist. Damals hat die FDP ihr Herz für die digitalen Medien noch nicht so recht entdeckt gehabt. Es ist ja okay, wenn dies heute anders ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht streiten, sondern diesen Gesetzentwurf gemeinsam beschließen! Es ist nicht so - wie gesagt wird -, dass sich die Bibliotheken kollektiv aufregen. Es gibt natürlich eine Debatte über diese Frage, aber die gesamte Fachwelt sagt, dass der Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden wollen, ein Gesetzentwurf ist, der der Deutschen Bibliothek, wie sie bisher heißt, und in Zukunft der Deutschen Nationalbibliothek Zukunftschancen einräumt, wie wir es wollen, wie es in anderen Staaten der Fall ist und wie es die UNESCO auch gefordert hat. Aus diesem Grunde können und sollten wir alle heute zustimmen. ({5}) Das ist kein kampfentscheidender Gesetzentwurf, aber er gewährleistet ein Stück Zukunft für die Bibliothek und für die Erhaltung des kollektiven digitalen Gedächtnisses. Es geht um das gesamte archivarische Gedächtnis unserer Gesellschaft. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hätten heute über einen guten Gesetzentwurf endgültig beraten können: den Ausbau der Bundesanstalt „Die Deutsche Bibliothek“ zu einer digitalen Bibliothek der Zukunft. Denn es ist unbestreitbar wichtig und notwendig, neben dem großen Fundus der Bücher und Tonträger seit 1913, der in Frankfurt am Main und in Leipzig gesammelt wird, nun auch digitales Kulturgut zu bewahren und nutzbar zu machen. So weit, so gut. ({0}) Aber leider wird diese notwendige Zukunftsinvestition im Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien nicht zusätzlich finanziert, wie sich das für eine neue, vorher nicht zu leistende Aufgabe gehört, ({1}) sondern durch Einsparungen, wie es ausdrücklich im Gesetzentwurf heißt, oder durch Umschichtungen, wie uns bei der Beratung im Ausschuss für Kultur und Medien versichert wurde. Einsparungen oder Umschichtungen - was ist da der Unterschied? Was genau wird umgeschichtet? Wo wird eingespart? Wir vertreten den Standpunkt: Wenn Kultur Investition in die Zukunft ist, dann muss ein Kulturetat auch zusätzliche Mittel für wichtige Zukunftsaufgaben haben. ({2}) So weit, so schlecht. Aber es kommt noch schlechter. Im Zuge ausgerechnet dieser Modernisierung bekommt die Bundesanstalt „Die Deutsche Bibliothek“ nun den altmodischen, pompösen Namen „Deutsche Nationalbibliothek“. ({3}) Ich halte das für eine irreführend großmäulige Bezeichnung im Jahre 2006, eine völlig sinnlose Zumutung. ({4}) Soll damit vielleicht so etwas wie eine deutschnationale Leitkulturdebatte angestoßen werden? ({5}) In der Rede von Frau Professor Grütters wurde genau das sehr stark an den Anfang dieser Debatte gestellt. ({6}) Seit der Einheit erfüllt die Deutsche Bibliothek - ich sage das noch einmal: nicht die Frankfurter oder die Leipziger, sondern die Deutsche Bibliothek ({7}) ihren Auftrag für das ganze Land, zusammen mit der Preußischen und der Bayerischen Staatsbibliothek. Warum also jetzt diese Umbenennung? Weder die Nutzer noch die Mitarbeiter haben das gefordert. ({8}) Das wird jetzt gemacht, weil die Idee in der vergangenen Legislaturperiode aufkam und nun umgesetzt werden soll, ohne überzeugende Begründung. Hier ist keine einzige überzeugende Begründung gefallen. ({9}) Die Hinweise auf den internationalen Gebrauch stimmen schlicht und ergreifend nicht. Denn die Namen der großen internationalen Bibliotheken sind - der Kollege von der FDP hat das ja gesagt - entsprechend ihrer Geschichte und ihrer Tradition ganz und gar unterschiedlich. Was also sollen die deutschnationalen Bücher? Dass dann im Gegensatz zum pompösen nationalen Titel im Verwaltungsrat wenig nationale parlamentarische Repräsentanz aufscheint, ist ein weiterer kritischer Punkt. Von 13 Mitgliedern werden gerade zwei Personen vom Deutschen Bundestag entsandt - eine recht schlechte Quote. ({10}) Ja, es hätte ein gutes Gesetz werden können: Die Umstellung auf das digitale Zeitalter der Bibliothek ist zu begrüßen. Sie hätte es auch verdient, als wirkliche Zukunftsinvestition finanziert zu werden. Sie hätte bei ihrem guten, eingeführten und durchaus der nationalen Aufgabe verpflichteten Namen bleiben und in ihrem Verwaltungsrat mehr Parlamentarier vertragen können. Nun ist aus diesen letzten drei Punkten leider nichts geworden. Das ist schade und der Grund, warum die Fraktion Die Linke den Gesetzentwurf ablehnen wird. ({11}) Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/ Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen der großen Koalition dafür bedanken, dass sie den rot-grünen Gesetzentwurf zur Einrichtung der Deutschen Nationalbibliothek so gut wie unverändert eingebracht haben. Frau Jochimsen, was Sie hier heute wieder geäußert haben, finde ich wirklich sehr abenteuerlich. Dazu hat meine Kollegin in der ersten Lesung eigentlich schon alles gesagt. Der Begriff Deutsche Nationalbibliothek hat nichts mit Großmäuligkeit und Nationalismus zu tun, sondern ist ein angemessener Begriff und eine Weiterentwicklung der Deutschen Bibliothek. ({0}) Auch bei der Bezeichnung deutsche Fußballnationalmannschaft denkt doch niemand an Nationalismus. Der Begriff Deutsche Nationalbibliothek wird sich in den nächsten Jahren mit Sicherheit einbürgern. ({1}) Die Deutsche Bibliothek ist - das steht außer Frage die zentrale Archivbibliothek in Deutschland. Auch der Einwand der FDP in der ersten Lesung - und auch heute wieder -, die Bibliothek habe den neuen Namen Deutsche Nationalbibliothek deswegen nicht verdient, weil ihre Bestände im Unterschied zu anderen Nationalbibliotheken in Europa nur bis 1913 reichen, kommt mir da doch reichlich kleinkariert vor. ({2}) Die im heute zu beschließenden Gesetz vorgesehene Erweiterung des Auftrags der Deutschen Bibliothek auf die Bewahrung und Nutzung des digitalen Kulturerbes für Literatur, Wissenschaft und Praxis ist mehr als überfällig. ({3}) Wir leben im digitalen Zeitalter. Es wäre eine kulturpolitische Katastrophe, wenn bedeutsame digital im Netz publizierte Dokumente der Nachwelt nicht erhalten blieben. Es ist zu begrüßen, wenn hier systematisch ein digitales Archiv entsteht, das unser kulturelles Gedächtnis für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber vor allen Dingen auch für die breite Öffentlichkeit bewahrt. Gleichwohl sollten wir darauf achten, dass das traditionelle Buch unter diesem erweiterten Auftrag der Bibliothek nicht leidet. Das Buch ist nach wie vor ein wichtiges Medium. Das Publikumsinteresse bei den Buchmessen, die Verkaufszahlen im deutschen Buchhandel und die Nutzungszahlen der vielen kleinen Bibliotheken in Deutschland beweisen das. ({4}) Außerdem ist uns Grünen wichtig, dass die zunehmende Digitalisierung des Kulturerbes von Maßnahmen begleitet wird, welche die Medienkompetenz der Menschen erweitert. Gerade ältere Menschen müssen an Computertechniken oft erst herangeführt werden. Damit es einen gleichberechtigten Zugang zu Wissen und Kultur gibt, ist die systematische Förderung der Medienkompetenz hier besonders wichtig. ({5}) - Aber die Jungen werden damit groß. Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu den organisatorischen und finanziellen Aspekten der Deutschen Nationalbibliothek sagen. Wir finden es erfreulich, dass der Bundestag nun doch im Verwaltungsrat mit vertreten sein soll. ({6}) Wie bei vielen anderen Gremienbesetzungen werden aber sicherlich nur wieder die beiden großen Fraktionen dort vertreten sein. ({7}) Wir wünschen uns für die Zukunft, dass auch die kleineren Fraktionen hier mehr beachtet werden. ({8}) Was die Finanzierung der durch den erweiterten Sammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek entstehenden Mehrausgaben angeht, werden wir als Grüne natürlich ganz genau hinschauen, wo die angekündigten Einsparungen zur Gegenfinanzierung im Haushalt des Beauftragten für Kultur und Medien vorgenommen werden. ({9}) Wir werden es in den Haushaltsberatungen für 2007 jedenfalls nicht akzeptieren, wenn im Gegenzug bei wichtigen Kulturförderungen gekürzt wird. Wir erwarten hier ein klares Wort von der Bundesregierung, woher genau das Geld dafür kommen soll. ({10}) - Nein, es ist noch nicht klar gesagt worden, woher das Geld für 2007 ganz konkret kommen soll. ({11}) So wichtig und sinnvoll die Einrichtung der Deutschen Nationalbibliothek ist: Wir sollten trotzdem und gerade deshalb die kleinen Bibliotheken in den Kommunen nicht vergessen. Ihr Erhalt ist wichtig im Sinne eines gleichberechtigten Zugangs zu kultureller Bildung. Dass trotz steigender Nutzerzahlen mehrere Hundert Bibliotheken in diesem Land jährlich schließen müssen, finden wir äußerst besorgniserregend. ({12}) Bevor es zu spät ist, brauchen wir dringend eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Kommunen für die Zukunft unserer Bibliothekslandschaft und ihre wichtige Rolle für die kulturelle Bildung. Ich fordere die Bundesregierung auf, hier endlich aktiv zu werden. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Tauss, Sie kommen in meiner Rede auf jeden Fall vor. Ich möchte mit einer ernsthaften Bemerkung in Richtung Linkspartei beginnen. Frau Jochimsen, mich wundert nicht, dass Sie Probleme mit dem Begriff Nation haben. Denn die Linkspartei und die WASG haben bisher noch nie den Eindruck gemacht, als ob sie mit Deutschland oder mit unserer Nation auch nur im Geringsten etwas zu tun haben möchten. ({0}) Aber das ist nicht Gegenstand meiner Rede. Ich bin, wie Herr Kollege Tauss vorhin schon richtigerweise ausführte, für die Fragen der technischen Neuerungen, die in dem Gesetzentwurf in erster Linie behandelt werden, zuständig und spreche auch dazu. Ich bin mir sicher, dass dieser Gesetzentwurf - Kollege Gehring hat gerade richtigerweise gesagt, dass dieses Anliegen schon vorher auf den Weg gebracht worden ist - ein wichtiger Beitrag dazu ist, im digitalen Wettbewerb aufzuholen. Wir sehen, was sich dort im privatwirtschaftlichen Bereich tut - ich nenne das Stichwort Google - und welche neuen technologischen Planungen auf die Internetwelt zukommen. Dies muss unsererseits, seitens des Staates begleitet werden und auch im europäischen Rahmen Berücksichtigung finden. Dazu sollte die Bundesrepublik Deutschland einen Beitrag leisten, und zwar aus folgendem Grund: Wir sollten im digitalen Zeitalter, wenn wir die technischen Möglichkeiten, die vorhanden sind, tatsächlich nutzen, darauf hinwirken, unsere kulturelle Identität zu berücksichtigen und zu erhalten. Das Wissen des digitalen Zeitalters müssen wir verfügbar halten. Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sich zukünftig die Publikationsflut und die Flüchtigkeit von Informationen erhöhen werden. Deshalb ist die Frage der Medienkompetenz ein entscheidender Schlüssel, um den Zugang und die Teilhabe an der Wissensgesellschaft zu gewährleisten. ({1}) Dazu wird die digitale Bibliothek ihren Beitrag leisten. Kollege Tauss hat am 19. Januar dieses Jahres in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes bereits darauf hingewiesen: Jeder kennt die Frage - und stellt sie sich selbst -, wie das enorme Wissen, das tagtäglich von Universitäten, Akademien, Verlagen oder auch von Privatpersonen in die digitalen Netze gestellt wird, auch für die nachfolgenden Generationen verfügbar gehalten werden kann. Deswegen ist der Gesetzentwurf vollkommen richtig. Eine Innovation von Speichermedien folgt auf die andere. Systeme ändern sich; die Entwicklung auf diesem Gebiet bleibt rasant. Viele wichtige Erkenntnisse und wissenschaftliche Publikationen werden ohnehin nur noch digital und gar nicht mehr in Buchform veröffentlicht. Ich glaube trotzdem - wir haben vorhin eine Diskussion darüber geführt -, dass das Buch und der Druck an sich auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. Es muss daher keinerlei Besorgnis, wie ich dies in manchen Veröffentlichungen lese, geben, dass das Buch durch die Digitalisierung in den Bibliotheksbereichen in Zukunft infrage gestellt wird. Dies wird es nicht. Die Digitalisierung soll ausdrücklich nur eine ergänzende Funktion haben, um den Zugang von jedem Ort dauerhaft möglich zu machen. Das ist der entscheidende Vorteil. Die Bibliothek muss einen Beitrag dazu leisten, dass von fast jedem Ort aus die Verfügbarkeit über eine Information möglich ist. Vorhin hatte ich die Frage der in diesem Zusammenhang gebotenen Europäisierung angesprochen. In Frankreich werden Initiativen ergriffen, den Bestrebungen einer von mir schon genannten Internetfirma entgegenzutreten. Denn niemand weiß, wie sehr bei allem Optimismus, den ich der Internetwirtschaft gegenüber habe, die kulturelle Identität in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn der Staat sich aus diesem Bereich komplett verabschiedet. ({2}) Deshalb glaube ich, dass unser Gesetzentwurf ein entscheidender Beitrag sein kann, diesem Problem entgegenzuwirken und diese Fragestellungen zu bearbeiten. Wir sollten uns um dieses Thema und nicht mehr um die Frage der Umbenennung kümmern. Dies ist gleich nach der Abstimmung ohnehin entschieden und deswegen können wir uns getrost auf das konzentrieren, was tatsächlich wichtig ist, nämlich die neuen technologischen Herausforderungen anzunehmen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Pries, SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Staatsminister Neumann! Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute gemäß dem Motto „Was lange währt, wird endlich gut“ einen Schlussstrich unter die Debatte ziehen können, die nicht erst seit Einbringung des Entwurfes eines Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek in den Deutschen Bundestag, sondern bereits seit über 150 Jahren Geist und Gemüt bewegt. Die Bibliothekswissenschaft hat zahlreiche vergebliche Anläufe dokumentiert, eine Nationalbibliothek in Deutschland zu etablieren. Ein Beispiel: Karl Christian Sigismund Bernhardi war 1843, fünf Jahre bevor er als Abgeordneter in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde, als Bibliothekar in Kassel beschäftigt. In diesem Jahr kam es zu der Eingabe des Herrn Bernhardi an die Preußische Akademie der Wissenschaften, diese möge sich engagieren, den König von Preußen für den Gedanken einer Deutschen Nationalbibliothek zu gewinnen. Der Buchhandel solle je ein Exemplar eines jeden in Deutschland erscheinenden Buchwerks dieser Bibliothek übergeben. Darauf aufbauend sollte die Bibliografie von Deutschland erstellt werden. Die Vollständigkeit der Sammlung war Bernhardi besonders wichtig. In seiner Eingabe heißt es: Wenn nämlich auch in Deutschland, wie dieß in Frankreich Gesetz ist, Ein Exemplar von Allem, was gedruckt wird, ohne Ausnahme an eine deutsche Nationalbibliothek eingeliefert werden müßte, so wäre das der Ort, wo jeder Gelehrte eine vollständige Ergänzung der Bibliotheken finden könnte, welche ihm in seiner nächsten Umgebung zugänglich sind. Schauen Sie nach Frankfurt! Dort sehen Sie genau das, was sich Herr Bernhardi bereits vor 160 Jahren erträumte: eine Bibliothek, welche die Ansprüche erfüllt, die an eine Nationalbibliothek zu stellen sind. Hier werden sämtliche Publikationen aus und über Deutschland, alle in Deutschland veröffentlichten ausländischen Publikationen sowie sämtliche deutschsprachige Literatur des Auslands gesammelt. Auch erscheint hier mit der Nationalbibliografie ein Verzeichnis, dem es vergönnt ist, einen Namen zu tragen, der die Funktion bestens umschreibt. Die Einrichtung in Frankfurt, unter deren Dach die Nationalbibliografie erscheint, hat die Funktion und den Charakter einer Nationalbibliothek. Warum sollte ihr dann ein entsprechender Name verwehrt bleiben? Die Eingabe von Herrn Bernhardi wurde damals abschlägig beschieden. Der Gutachter kam zu dem Schluss: Wozu die übervollständige Anhäufung des Mittelmäßigen und Schlechten? Mit dieser Frage leitete er die Ablehnung der Eingabe durch die Akademie ein. Übrigens, Herr Waitz: Die Wurzeln Ihrer Partei liegen, wie Sie und Ihre Fraktionskollegen gern betonen, in genau dieser Zeit. Der spätere Nationalliberale Bernhardi jedenfalls wusste sehr genau, dass eine Einrichtung, die die Aufgaben einer Nationalbibliothek erfüllt, den entsprechenden Namen tragen sollte. 132 Jahre nach dessen Tod sind die Fakten, die dafür sprechen, dem Kind einen Namen zu geben, größer denn je. Ich möchte an dieser Stelle nicht die Argumente, die ich bereits bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs vorgestellt habe, wiederholen. Vielmehr möchte ich auf einige andere Aspekte eingehen, die Ihnen verdeutlichen sollen, dass die Umbenennung in „Deutsche Nationalbibliothek“ richtig ist. Betrachten wir einmal den jetzigen Namen: Die Deutsche Bibliothek. Dieser Name wirft einige Fragen auf: Was soll der Artikel „die“ überhaupt aussagen? Soll jene Bezeichnung vielleicht darauf hinweisen, dass es sich bei dem Institut in Frankfurt quasi um die Bibliothek aller Bibliotheken in unserem Land handelt? Wenn ja, würde dies stärker zu dem vom Bundesrat befürchteten Verlust der Bedeutung der Staatsbibliotheken in Berlin und München beitragen, als es die Bezeichnung „Deutsche Nationalbibliothek“ jemals könnte. Betrachten Sie einmal die Protokolle der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf. Sie werden feststellen, dass kaum eine Rednerin und kaum ein Redner den richtigen Namen der Einrichtung in Frankfurt benutzt hat. Das „die“ wurde allzu gern weggelassen. Auch jene Abgeordnete, welche sich gegen eine Umbenennung ausgesprochen haben, mussten erkennen, dass sich die korrekte Namenswiedergabe nur schwerlich in einen rhetorisch einwandfreien Sprachgebrauch einpflegen lässt. ({0}) In meinen Augen macht die bisherige Bezeichnung keinen Sinn und ist zudem irreführend. Lassen Sie uns also internationalen Gepflogenheiten folgen und der Bibliothek den Namen geben, der nicht nur ihrer Funktion, sondern auch ihrer Bedeutung und internationalen Betrachtung entspricht. ({1}) Ich begrüße im Übrigen ausdrücklich die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien. Zukünftig entsendet der Bundestag zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat der Deutschen Nationalbibliothek. ({2}) Das unterstreicht den Charakter der Bibliothek als unsere Nationalbibliothek. Im Grunde haben wir bereits eine Nationalbibliothek. Lassen Sie uns endlich diese auch so bezeichnen! Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek, Drucksache 16/322. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/896, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU bei Ge- genstimmen der FDP und der Fraktion der Linken ange- nommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit denselben Mehrheiten wie in zweiter Bera- tung auch in dritter Beratung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ordnungspolitischer Kompass für die deutsche Energiepolitik - Drucksache 16/589 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansKurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Eva BullingSchröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Die zukünftige Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten - Drucksache 16/1082 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp. ({2})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wir brauchen in Deutschland endlich eine Renaissance der Ordnungspolitik im Energiebereich. Wir führen jetzt zum zweiten Mal eine Energiedebatte an diesem Tag. ({0}) Das mag die Bedeutung der Energiepolitik auch noch einmal unterstreichen. Wenn ich mehr Ordnungspolitik im Energiebereich fordere, dann heißt das, dass im Rückblick in den letzten acht Jahren - das wurde zwar schon von Rot-Grün begonnen, wird aber leider von der rot-schwarzen Koalition fortgesetzt - der Pfad des Dirigismus und der Staatsgläubigkeit beschritten wurde und weiter beschritten wird. Dagegen sprechen wir uns dezidiert aus. ({1}) Beim Energiegipfel haben wir es gesehen: Die wichtigen Fragen werden ausgespart: Wie sieht der künftige Energiemix aus? Inwieweit wollen wir mehr Wettbewerb und Markt verwirklichen? Wie wird sich der Emissionshandel gestalten? Es ist ja vorgesehen, dass etwa 10 Prozent der Zertifikate versteigert werden sollen. Wir stellen uns vor, dass der Versteigerungserlös zum Beispiel zur Senkung der Stromsteuer eingesetzt werden könnte, damit die Bürger und unsere Wirtschaft entlastet werden. Wir fordern, dass auf diesem Weg der hohe staatliche Anteil an den Strompreisen endlich gesenkt wird. Er beträgt - das wissen Sie alle; wir haben übrigens die zweithöchsten Strompreise in der EU - 40 Prozent. Der Staat muss sich an der Stelle zugunsten von mehr Markt und Wettbewerb zurücknehmen. ({2}) Wir haben in dem Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen und von dem wir hoffen, dass er auch für Sie die Leitlinien einer künftigen Energiepolitik beschreibt, drei Grundsätze niedergelegt, die wir Ihnen besonders mit auf den Weg geben wollen. Der erste Grundsatz lautet: Die soziale Marktwirtschaft, also die Bestimmung von Preisen, Verbrauch und Investitionen durch Markt und Wettbewerb, soll auch in der Energiepolitik endlich eine stärkere Bedeutung erhalten. ({3}) Zweiter Grundsatz: Die Eingriffe des Staates müssen auf das notwendige Maß begrenzt und marktkonform ausgestaltet werden. Dritter Grundsatz: Subventionen dürfen nur ausnahmsweise gewährt werden; sie müssen zeitlich eng befristet und degressiv sowie marktwirtschaftlich ausgestaltet sein. Von alldem, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, ist derzeit nichts zu spüren, im Gegenteil. Ich erwähne es noch einmal ausdrücklich: Wenn wir Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit von Energie trotz des immer weiter steigenden Energiehungers in der Welt gewährleisten wollen, dann brauchen wir auch in Zukunft einen breiten Energiemix. Insbesondere an die CDU/ CSU-Fraktion gerichtet möchte ich sagen: Sorgen Sie dafür, dass der Streit in der Koalition um die künftige Nutzung der Kernenergie endlich beendet wird! Ermöglichen Sie eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke! Denn auf diese Weise können wir für Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie sorgen. ({4}) Denken Sie daran, dass auch in dem Statusbericht der Bundesregierung mit Blick auf die Zukunft davon ausgegangen wird, dass, neben den erneuerbaren Energien, Gas und Kohle vermehrt genutzt werden müssen. Beim Gas soll sich der Bedarf in Zukunft sogar mehr als verdoppeln. ({5}) - Das steht im Statusbericht der Bundesregierung. Schauen Sie nach. ({6}) Das heißt, dass Sie den Klimaschutz und die Versorgungssicherheit hintanstellen und die Importabhängigkeit unseres Landes - denken Sie an Gasprom, an Russland - steigt. Das wollen wir nicht. Wir möchten bei den Kohlekraftwerken neueste Technologien einsetzen und bei den erneuerbaren Energien verstärkt in Forschung investieren. Wir möchten, dass die Stromerzeugung aus Kernenergie durch eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke möglich bleibt. ({7}) All das ist notwendig, um den Standort Deutschland zu versorgen. Energiepolitik ist Standortpolitik. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen. Sie ist die Lebensader unserer Wirtschaft. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Kopp, die FDP startet stark mit ihrem Antrag, in dem sie einen ordnungspolitischen Kompass fordert und mit dem sie marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen will. Das finde ich gut. Das kann ich nachhaltig unterstreichen. ({0}) Sie klagen zu Recht an, dass wir die Gleichgewichtigkeit der Ziele Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit, Klimaschutz sowie Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit in der Vergangenheit zu sehr aus den Augen verloren, dass wir diese Bereiche nicht richtig austariert hätten. Auch darin stimme ich Ihnen zu. ({1}) In Ihrem Antrag sind aus meiner Sicht aber leider keine konkreten Handlungsansätze erkennbar. Sie verlieren sich am Schluss Ihres Antrages leider in Allgemeinplätzen. Er endet mehr oder weniger - das muss ich Ihnen schon sagen - als inhaltliche Nullnummer: Sie fordern, dass wir die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft, also die Bestimmung von Preisen, Verbrauch und Investitionen durch Markt und Wettbewerb … erhalten, dass sich staatliche Vorgaben … auf einen Ordnungsrahmen für energiewirtschaftliches Handeln beschränken, aber das Handeln anderen überlassen. ({2}) Das sind Allgemeinplätze, denen wir alle hier im Haus - vielleicht mit Ausnahme der Kollegen von ganz links zustimmen. Wir sind - das will ich gleich hinzufügen auf dem Weg, diese Forderungen umzusetzen. Mit dem Energiegipfel haben wir in dieser Woche den Startschuss dazu gegeben. Der zweite Antrag wurde von der Fraktion DIE LINKE vorgelegt. Er geht nicht nur haarscharf an den Realitäten vorbei, sondern meilenweit. Sie sprechen davon, dass unsere Energiepolitik internationale Konflikte schürt. Im Gegensatz zur FDP schlagen Sie immerhin Instrumente vor. Sie sind aus meiner Sicht allerdings abstrus. Sie fordern die Verstaatlichung der Netze, so genannte Bürgerenergienetze und andere Dinge mehr. All das sind Instrumente aus der sozialistischen Mottenkiste, die in der Vergangenheit nirgendwo auf der Welt funk-tioniert haben. Deshalb brauchen wir uns mit diesem Antrag nicht weiter zu beschäftigen. Was sind die Herausforderungen und wie wollen wir sie angehen? In der Tat hat unsere Wirtschaft, und zwar nicht nur die energieintensive Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Diese Wettbewerbsfähigkeit müssen wir dringend wieder erlangen. Das bedeutet, wir müssen kurz- und mittelfristig handeln. Kurzfristige Maßnahmen haben wir mit dem Energiewirtschaftsgesetz eingeleitet. Frau Kopp, dieses Gesetz haben wir im Vermittlungsausschuss zusammen mit der SPD und den Grünen - auch das muss man einmal sagen - auf den Weg gebracht. Mit der zurzeit in Entwicklung befindlichen Anreizregulierung werden wir einen Beitrag dazu leisten, dass die vorhandenen Potenziale bei den Netzentgelten gehoben werden. Diese Preissenkung gereicht den energieintensiven Unternehmen zum Vorteil. ({3}) Darüber hinaus sind Ausnahmen bei der energieintensiven Industrie möglich. Es gibt hier die ersten Antragsteller. In diesem Zusammenhang wurden die Netznutzungsentgelte schon zwischen 30 und 50 Prozent reduziert. Hier wurde ein konkreter Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit erreicht. ({4}) - Herr Kelber, dank unserer Vermittlungsbemühungen ist es Ende Juni letzten Jahres in der Tat ein gutes Gesetz geworden. ({5}) Ein weiterer Punkt: die Härtefallregelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Im Koalitionsvertrag wurde die Aufhebung der Deckelung bei 10 Prozent verabredet. Das wird jetzt umgesetzt. Sie bringt der energieintensiven Industrie für 2006 immerhin 80 Millionen Euro und verbessert die Wettbewerbsfähigkeit direkt und nachhaltig. Ein weiteres Instrument, mit dem wir kurzfristig handeln, ist das Energiesteuergesetz. Einige Branchen werden weiterhin bzw. neu von der Stromsteuer und Mineralölsteuer befreit. Auch das zielt direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen ab. Ein letzter und ganz entscheidender Punkt, mit dem wir uns in den nächsten Wochen mit Sicherheit auch hier im Parlament und in den Ausschüssen befassen werden, wenngleich der NAP II Aufgabe der Regierung ist, ist der Emissionshandel. Nicht umsonst haben wir den EUKommissar für Umwelt eingeladen, im Mai zu einer gemeinsamen Sitzung des Wirtschafts- und des Umweltausschusses zu kommen. Der Emmissionshandel muss zukünftig so ausgerichtet sein, dass die energieintensiven Unternehmen im Wettbewerb nicht mehr benachteiligt werden, dass wir die Einpreisung der Windfall-Profits zukünftig verhindern bzw. rückgängig machen sollten und so einen wichtigen Beitrag für die energieintensiven Unternehmen leisten. ({6}) Das alles sind Punkte, die ganz konkret nacheinander abgearbeitet werden und dem Ziel der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit bzw. der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft dienen. Was aber sind die langfristigen Herausforderungen? Sie sind in der Tat nicht nur kurz- oder mittelfristiger Natur. Wir brauchen ein energiepolitisches Gesamtkonzept - das fordern wir schon lange ein; leider gab es das sowohl in den letzten sieben Jahren unter Rot-Grün als auch in den 90er-Jahren unter Schwarz-Gelb nicht -, das die Ziele Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umweltschutz und Klimaverträglichkeit aufeinander abstimmt. Was sind die Herausforderungen? Auf der einen Seite müssen wir alles für die Energieeinsparung und die Erhöhung der Energieeffizienz tun. Ich glaube, da sind wir uns alle hier im Hause einig. Das EU-Grünbuch sieht hier ein Potenzial von bis zu 20 Prozent, was monetär betrachtet europaweit immerhin 60 bis 65 Milliarden Euro pro Jahr bedeutet, die wir in diesem Bereich einsparen könnten, wenn wir über alle Sektoren hinweg konsequent wären. Wir wollen dies und setzen das mit dem Gebäudesanierungsprogramm - das ist ein Feld, über das in der Vergangenheit sehr viel geredet wurde, Herr Fell, auf dem aber viel zu wenig getan wurde - in diesem Jahr erstmalig um, und zwar mit einer hervorragenden finanziellen Ausstattung und mit weiteren Anreizen, die nicht nur zinsverbilligend wirken, sondern die direkt im Zuschussbereich, also auch im Eigentumsbereich, ihre Wirkung entfalten. Dies wird mit weiteren Instrumenten ergänzt. Mit all diesen Bemühungen - der Steigerung der Energieeffizienz und den Einsparungen - werden wir, wenn es optimal läuft, um 20 Prozent reduzieren können. Das heißt, wir haben natürlich immer noch den Bedarf an Strom, Energie und Wärme. Auch im Kraftstoffund im Mobilitätsbereich, die selbstverständlich auch zu einem gesamtpolitischen Energiekonzept zählen, gibt es weitere Herausforderungen. Wir brauchen einen nachhaltigen Energiemix. Dieser Energiemix - davon bin ich zutiefst überzeugt - wird allen Energieträgen mit ihren spezifischen Vor- und Nachteilen in Zukunft einen Platz bieten. ({7}) Das betrifft die fossilen Brennstoffe, also zum Beispiel die Braunkohle und die Steinkohle. Ich nenne die Stichworte CO2-Reduktion und CO2-freies Kraftwerk, das nun von der Vision in die Realisierungsphase gelangt. Das betrifft auch den Gasbereich. Ich will nicht verkennen, dass ich froh bin, dass wir jetzt von dem Weg Abstand nehmen, der von den Grünen, insbesondere von Herrn Trittin, in der letzten Legislaturperiode eingeleitet wurde. Es schien der vermeintlich einfachste Weg, Investitionen zu generieren und gleichzeitig eine Reduktion des CO2-Ausstoßes zu erreichen. Das funktionierte aber nicht so. Es wird nötig sein, auch die Kernenergie im Energiemix zu behalten, ({8}) ob wir dies in Deutschland wollen oder nicht. Es ist sicher: Die Kernenergie wird für den Energiemix in Deutschland auch in Zukunft eine Rolle spielen. Ich sage Ihnen auch, warum: Wenn wir einen europäischen Markt, beim Gas den Ausbau der Grenzübergangsstellen, den Ausbau der Kuppelstellen und auf dem Strommarkt eine Preisbildung auf europäischer Ebene haben wollen, wird der Verbraucher in Deutschland - ob Endverbraucher oder Wirtschaft - zukünftig frei entscheiden können, woher er welchen Strom bezieht. Selbst dann, wenn wir uns, was ich nicht glaube, dafür entscheiden würden, in Deutschland langfristig auf die Kernenergie zu verzichten, würde sie über diesen Umweg für den Strommix in Deutschland auf jeden Fall eine Rolle spielen. Insofern wird die Diskussion der nächsten Wochen und Monate, wenn wir sie denn ernsthaft, rational und sachlich führen - mein Eindruck ist, dass wir das zum ersten Mal seit Jahren, beginnend mit dem Energiegipfel, schaffen können -, dazu führen, dass wir die Realitäten zur Kenntnis nehmen und uns an ihnen orientieren und dass wir uns bei der Stromerzeugung um eine breite Diversifikation bemühen. Zu den Hebungen und den Potenzialen konnte ich leider nichts mehr sagen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich bitte darum.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dabei geht es um die KWK und hinsichtlich der Kraftstoffe und der Mobilität um eine Strategie zur Ersetzung der bisherigen Kraftstoffe durch alternative Kraftstoffe. Deshalb sehe ich mit Freude den Diskussionen der nächsten Wochen und Monate entgegen,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- in denen mancher die Realitäten der Zeit erkennen wird. Ich komme für heute gerne zum Schluss, Frau Präsidentin. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill, Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Pfeiffer, wenn etwas abstrus ist, dann ist es Ihr unbedingtes Festhalten an der Atomindustrie und den gefährlichen Meilern, die es bei uns gibt. Das ist wirklich abstrus. ({0}) Die jetzige Energiepolitik der Bundesregierung ist unsozial und den globalen Herausforderungen nicht gewachsen. Bundesregierung und Energiekonzerne glauben, man könne den nötigen Umbau ohne viel Bewegung bewältigen. Das ist ein Irrtum. Die Aufgabe einer nachhaltigen Energieversorgung ist kein Wunschkonzert der Energiebosse. Es ist zwingend nötig, die Energiepolitik den veränderten Bedingungen anzupassen. Anhand von fünf Thesen möchte ich das verdeutlichen: Erstens. Klimawandel und Ressourcenverfügbarkeit geben den Ton an. Deutschland ist zu drei Vierteln vom Import fossiler und atomarer Energie abhängig. Der Hunger nach diesen Rohstoffen wächst. Die Folge: Schon in 15 Jahren wird das knappe Öl über 100 Dollar je Barrel kosten. Herr Pfeiffer, dann werden wir es mit Verteilungskämpfen zu tun haben. Warten wir einmal ab, was dann geschehen wird. ({1}) Auch auf Kohle allein können wir nicht setzen. Denn der Klimawandel ist in vollem Gange. Seine Hauptursache ist der massenhafte Verbrauch von Kohle und Öl. Die Folgen für Mensch und Umwelt erreichen uns schneller und in stärkerem Maße als bisher angenommen. Wir müssen beim Klimaschutz einfach mehr tun. Zweitens. Der Energieverbrauch muss halbiert werden. Allein die Industrie kann den Stromverbrauch um 30 Prozent senken. Die Heizkosten im Gebäudebestand könnten um bis zu 80 Prozent reduziert werden. ({2}) Bei einer Halbierung des Energieverbrauchs können wir sicherlich das Potenzial der erneuerbaren Energien nutzen, um die drängenden Ziele beim Klimaschutz zu erreichen. Das wird nur mit einem klaren Ordnungsrecht gelingen. Dazu gehören das Verbot von Stand-by-Geräten, die Pflicht zum Energiemanagement in der Industrie und klare Verbrauchsobergrenzen, die auch für die Automobilindustrie gelten müssen. Drittens. Energie muss bezahlbar bleiben. Die aktuelle Preissteigerung ist nur teilweise den hohen Rohstoffkosten geschuldet. Sie ist auch auf Börsenspekulationen und die Profitgier der Konzerne zurückzuführen. Neben der Energieeinsparung ist der Ausbau der erneuerbaren Energien der einzige Garant für stabile Preise. Ihre Kosten sinken, während sich die Preisspirale bei Gas und Öl nach oben dreht. In wenigen Jahren werden Wind, Sonne und Biomasse zum Teil billiger sein als die fossilen Energien. Viertens. Die Netze gehören in öffentliche Hand; das ist eigentlich nichts Neues. ({3}) Wir haben mit der Bundesnetzagentur ein geeignetes Instrument, wir müssen es nur entsprechend ausstatten, dann wird es auch funktionieren. Die Netze müssen der Allgemeinheit dienen und nicht dem Profit weniger. Meine Damen und Herren von der FDP, 40 Prozent der Stromrechnung der privaten Haushalte sind so genannte Netznutzungsentgelte. ({4}) Die erneuerbaren Energien schlagen nur mit 2 Prozent zu Buche. ({5}) Fünftens. Die fossil-atomare Energiewirtschaft hat keine Zukunft. Atomkraft senkt nicht die Preise, ausschließlich Spitzenlastkraftwerke bestimmen den Marktpreis. Der Klimaschutzeffekt ist null. Laufen Atommeiler länger, dürfen die Kohleblöcke mehr CO2 produzieren; das macht der Emissionshandel möglich. Atomkraft kann keine Brücke zur Einführung neuer Technologien sein. Clean-Coal-Kraftwerke und Fusionsreaktoren sind nur teure Theorien. - Es tut mir Leid, meine Stimme macht nicht mehr mit. Ich bedanke mich bei Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, alles Gute für Ihre Stimme, damit Sie demnächst wieder reden können. Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist nun heute schon die vierte Debatte, die sich auf die eine oder andere Art und Weise mit der Energiepolitik beschäftigt. Wir haben offenbar einen Tag der Energiepolitik, ja eigentlich sogar - wenn man an den Beginn der Woche, an den Energiegipfel denkt - eine Woche der Energiepolitik. Das ist gut so; es zeigt nur den Stellenwert des Politikfeldes, mit dem wir uns beschäftigen. Am Ende eines solchen Debattentages - den haben wir ja, was die Energiepolitik angeht, fast erreicht - kann man eine ganz interessante Feststellung treffen: Die Situation ist schon etwas seltsam. Auf der einen Seite haben wir die Grünen, die initiativ wurden und eine Aktuelle Stunde zum Thema Energiepolitik verlangten und im Grunde genommen feststellen müssen, dass sie fast überflüssig werden; ({0}) denn Rot-Schwarz - oder Schwarz-Rot - betreibt eine Energiepolitik, die mindestens so grün ist wie die Energiepolitik der sieben Jahre zuvor. ({1}) Das führt bei den Grünen natürlich zu ein wenig Nervosität. Auf der anderen Seite haben wir eine Fraktion, die ein bisschen die Rolle einnimmt, die man früher den Grünen zugeschrieben hat. Wir haben gerade Herrn Hill gehört, der meint, dass es ohne fossile und ohne Kernenergie geht, mit anderen Worten: Strom gibt es, wenn der Wind weht. Auch das kann der Weg nicht sein. Unser Koalitionspartner schließlich hat sich mit uns gemeinsam auf den Weg gemacht, eine Energiepolitik zu formulieren, die zukunftsfähig ist und unser Land weiterbringen wird. Lieber Kollege Pfeiffer, ich hätte gerne am Ende Ihrer Rede applaudiert, aber wir gewöhnen uns ja alle noch ein bisschen aneinander. ({2}) Deswegen sei Ihnen verziehen, dass Sie am Ende doch noch einen kleinen Ausrutscher hatten, als Sie sozusagen „zum Kern“ gekommen sind, auf den Sie immer wieder gerne zurückkommen. Sie hatten halt das Pech, bei der Tschernobyldebatte nicht dabei gewesen zu sein; möglicherweise hätten Sie sich sonst die Bemerkung zu diesem Thema verkniffen. Die FDP hat einen Antrag gestellt ({3}) und bittet um einen ordnungspolitischen Kompass. Dann gibt es offenbar eine gewisse Orientierungslosigkeit in Ihren Reihen. ({4}) Sie bitten uns, Ihnen da ein bisschen weiterzuhelfen und Orientierung zu geben. Dazu sind wir natürlich gerne bereit. ({5}) Die Linken wollen Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten. Ich habe immer gedacht: Das ist genau das, was wir jahrelang gemacht haben. Wir waren für das Soziale und für das Ökologische gemeinsam zuständig und sind dafür gelegentlich von allen Seiten - oder fast allen - gelobt worden. Wie dem auch sei, am Montag fand der Energiegipfel statt; wir haben heute darüber gesprochen. Ich denke, dass hier durchaus ein Beitrag geleistet worden ist und in den nächsten Monaten geleistet werden wird, ({6}) der dem Verlangen nach Orientierung bis ins Jahr 2020 tatsächlich nachkommt: mit einem Energiekonzept oder Energieprogramm, das im Jahre 2007 das Ergebnis dieses Gipfelprozesses sein soll. Wir haben heute Morgen gehört, dass bei den Gesprächen auf diesem Gipfel insbesondere die Aspekte Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit und Umweltverträglichkeit eine Rolle gespielt haben und dass die Ergebnisse - insbesondere die zugesagten Investitionen genau dieser Zieltrias entsprechen. Das ist gut so; das wird von uns begrüßt. Als Parlamentarier sind wir aber gebrannte Kinder und wollen mehr als diese Zusagen. Wir möchten von den zuständigen Ministerien schwarz auf weiß sehen, was im Einzelnen vereinbart worden ist, um die Belastbarkeit der Zusagen selber einschätzen zu können. ({7}) Es lohnt sich durchaus, nicht nur einen Blick nach vorne, sondern auch einen Blick zurück zu werfen; denn ich glaube, dass mit der Energiepolitik der letzten Jahre die Kriterien erfüllt wurden, deren Realisierung uns heute in diesen beiden Anträgen abverlangt wird. Zum einen haben wir im letzten Jahr eine Ordnungspolitik auf den Weg gebracht, die man durchaus mit dem Begriff Paradigmenwechsel umschreiben kann, und zwar durch Einsatz der SPD, der CDU/CSU und der FDP. Nachdem zunächst der Bundestag entschieden hatte, haben wir letztlich im Bundesrat eine Einigung über einen neuen Ordnungsrahmen und ein neues Energiewirtschaftsgesetz erzielt, durch das eine Regulierungsbehörde, nämlich die Bundesnetzagentur, beauftragt worden ist, für mehr Wettbewerb bei den leitungsgebundenen Energien, also bei Strom und Gas, zu sorgen. Ich denke, das war ein wichtiger Schritt. Wir sollten ihn nicht kleinreden, aber auch nicht so tun, als müssten wir heute damit beginnen, die Ordnungspolitik auf einen neuen Weg zu bringen. Richtig ist, dass die Bundesnetzagentur ihre Arbeit gerade erst aufgenommen hat, sodass man sie noch nicht beurteilen kann. Sie muss auch noch eine Anreizregulierung konzipieren, die in eine entsprechende Verordnung zu gießen ist und erst dann wirken kann. Wir alle erhoffen uns davon mehr Wettbewerb. Das ist in der Tat die beste Möglichkeit, um zu sinkenden Netzentgelten und auch zu sinkenden Energiepreisen, Strompreisen allemal, zu kommen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode ein weiteres wichtiges Projekt auf den Weg gebracht, nämlich den Nationalen Allokationsplan. Dem folgt jetzt für die zweite Handelsperiode der Nationale Allokationsplan II. Es ist wichtig - das habe ich heute Morgen schon betont -, dass sich die Häuser schnell einigen, damit wir als Parlament diesen Prozess entsprechend begleiten können. Wir müssen verschiedene Ziele gemeinsam erreichen; das ist keine einfache Geschichte. Auf der einen Seite wollen wir, dass es zu Investitionen in die Kraftwerke kommt. Dazu muss es im Allokationsplan bestimmte Rahmenbedingungen geben. Auf der anderen Seite wollen wir, dass die Industrie nicht derart mit Kosten belastet wird, dass wir sie letztlich aus dem Lande treiben. Das heißt, wir müssen Wege finden, dass die Unternehmen durch die Einpreisung der Zertifikate nicht geradezu erdrosselt werden, wie es bisher geschehen ist. Hier ist die Energiewirtschaft aufgefordert, an Lösungen mitzuarbeiten. Einfache Lösungen gibt es jedenfalls nicht. Im FDP-Antrag gibt es etwas, das bei mir ein Déjàvu-Erlebnis ausgelöst hat. Wir haben ja bei vielen Podiumsdiskussionen zum Thema Energiepolitik zusammengesessen, bei denen immer wieder gesagt wurde: Von den staatlich induzierten Mehrkosten von 40 Prozent müssen wir runter. - Ich will ein für allemal sagen, dass über 34 Prozent dieser Kosten überhaupt nicht geredet werden kann. Das wissen Sie genauso gut wie jeder andere hier im Hause. Das sind nämlich Kosten, die Sie selbst anderswo ebenfalls vertreten. Für die Konzessionsabgaben beispielsweise, die an die Kommunen gezahlt werden, werden Sie in Ihren Kommunen genauso streiten - jedenfalls werden Sie den Eindruck erwecken, dass Sie dafür streiten -, wie wir uns hier dafür einsetzen. Diese Gelder sind für Leistungen, die die Kommunen erbringen und auf die sie einen Anspruch haben. Es kann doch keiner ernsthaft erwarten, dass wir, was die Umsatzsteuer angeht, bei der Energie eine Ausnahme machen. ({8}) Ich denke, dass die Stromsteuer im Grundsatz nicht wirklich umstritten ist. ({9}) Es geht also um die relativ geringen Kosten, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz verursacht werden. Da streiten wir am Ende über Nuancen; denn auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird jedenfalls verbaliter von allen Fraktionen unterstützt. ({10}) Deswegen hören Sie auf mit der Mär von den staatlich induzierten Kosten. Wir müssen mehr Wettbewerb in das Energiegeschäft einziehen lassen. Das ist der beste Weg, um die Kosten zu senken und zu niedrigeren Preisen zu kommen. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat das Wort der Kollege Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Debatte liegen zwei Anträge zugrunde, einer von der FDP und einer von der Linken. Lassen Sie mich mit dem FDP-Antrag anfangen. Frau Kopp, ({0}) Sie formulieren in Ihrem Antrag Leitlinien, die wir durchaus für richtig halten. Beispielsweise schreiben Sie in Ihrem Antrag: Der Wettbewerb ist vor Absprachen, Kartellen und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu schützen. Wo waren Sie denn in den 40 Jahren Regierungsbeteiligung, in denen Sie stets die Wirtschaftsminister gestellt haben und in denen sich in diesem Land im Energiesektor eine Struktur aufbauen konnte, die von Monopolen, Oligopolen, Absprachen, Kartellen und von marktbeherrschenden Stellungen dominiert ist? ({1}) Ihre Wirtschaftspolitik hat doch dazu geführt, dass wir genau das haben, was Sie in Ihrem Antrag ablehnen. ({2}) Ich will die zweite Leitlinie Ihres Antrags zitieren: Eingriffe des Staates - etwa zum Erreichen von ökonomischen oder ökologischen Zielen - müssen marktkonform sein … ({3}) Das unterstützen wir. Auch von Anreizen für ein wirtschaftlich vernünftiges Verhalten ist in Ihrem Antrag die Rede; das unterstützen wir ebenfalls. Externe Kosten unternehmerischen Handelns, auch solche, die in der Zukunft anfallen, sind zu internalisieren, heißt es hier. Die Instrumente müssen wettbewerbsorientiert und effizient sein. Die rot-grüne Bundesregierung hat seinerzeit damit begonnen, die Monopole, die Sie geschaffen haben, abzubauen, und zwar mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, das neuen Akteuren überhaupt eine Chance gibt, mit dem KWK-Gesetz und mit der Ökosteuer. Genau diese Instrumente wollen Sie jedoch verhindern. Das ist letztendlich der Grundgedanke Ihres Antrages. Ich möchte das noch im Detail ausführen. Aber ich sehe, Sie möchten eine Zwischenfrage stellen, Frau Kopp, die ich gerne zulasse.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Fell, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. - Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, ({0}) dass es der frühere Bundeswirtschaftsminister Rexrodt war, der mit der Liberalisierung des Strommarktes begonnen hat? Bis 1998 konnte durch diese Liberalisierung ein Gewinn von 7,5 Milliarden Euro erwirtschaftet werden, der kurz danach durch Ihre Regierungsbeteiligung nicht nur aufgebraucht, sondern ins Gegenteil verkehrt wurde. Von der Konzentration auf dem Energiemarkt durch die Erlaubnis der Fusion von Eon und Ruhrgas will ich einmal schweigen. Bauen Sie hier bitte keinen Popanz auf, den es so gar nicht gibt.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Kopp, Sie haben sicherlich gehört, dass ich von 40 Jahren Regierungsbeteiligung der FDP und dem jahrzehntelangen Aufbau dieser Strukturen gesprochen habe. ({0}) Ich will gerne zugestehen, dass am Ende mit der Liberalisierung ein vernünftiger Versuch unternommen wurde. Aber weil Sie über Jahrzehnte hinweg eine Monopolstruktur im Energiebereich zugelassen und nicht dagegen gekämpft haben, ist es Rot-Grün schwer gefallen, die Liberalisierung zu Ende zu führen. Das Ergebnis Ihrer jahrzehntelangen verfehlten Wirtschaftspolitik ist eine starke Monopolisierung und Oligopolisierung. ({1}) Lassen Sie mich auf Ihren Antrag im Detail eingehen. Sie wollen eine effiziente, marktkonforme und erfolgreiche Förderung auch von erneuerbaren Energien. Darüber freuen wir uns; das ist ein richtiger Ansatz. Aber ich frage Sie: Warum bekämpfen Sie, wie in diesem Antrag, die effizienten Instrumente? Nur ein Beispiel: Die Windenergie hat in Großbritannien in den letzten Jahren ein Volumen von etwa 1 Gigawatt erreicht; in Deutschland beträgt dieses Volumen 20 Gigawatt. Wissen Sie, warum? In Großbritannien sind die Instrumente, die Sie für richtig halten - Quoten und Zertifikate -, angewandt worden. Dadurch wurde diese Energieform ineffizient und in dem windreichen Land Großbritannien wurden nur wenige Windanlagen gebaut. In Deutschland hingegen konnten auf diesem Markt neue Akteure Fuß fassen. ({2}) - Genau, kommen wir zu den Kosten. In Großbritannien kostet die Kilowattstunde Windenergie etwa 13 Cent, in Deutschland im Durchschnitt etwa 8 Cent. Im Vergleich ist das Instrument in Deutschland eindeutig kostengünstiger. Sie beklagen auch, dass die Strompreise insgesamt zu hoch seien, und schieben dies den erneuerbaren Energien, der KWK und der Ökosteuer in die Schuhe. Dabei verschweigen Sie, dass die EEG-Mehrkosten nur 3 Prozent des Strompreises ausmachen. ({3}) Die stromintensive Industrie ist von diesen Mehrkosten sogar weitgehend entlastet. ({4}) Insofern können Sie nicht von der falschen Behauptung ausgehen, dass 600 000 Arbeitsplätze gefährdet seien. Wie sieht es denn wirklich mit der Ökosteuer aus? Die Unternehmen werden durch die Ökosteuer beim Arbeitgeberanteil an den Rentenversicherungsbeiträgen und bei den höheren Energiekosten entlastet. Die stromintensive Industrie hat durch die Ökosteuer keinen Nachteil - wie Sie behaupten -, sondern einen Vorteil. Das ist Wirtschaftsförderung, wie wir sie für richtig halten. Ich gestehe Ihnen zu, dass die stromintensive Industrie durch die steigenden Energiepreise gefährdet ist. Aber das liegt, wie auch Sie festgestellt haben, an dem Festhalten am Energiemix. Die Erdgas-, Erdöl-, Kohleund Uranpreise steigen weltweit an. Wenn wir bei diesem Energiemix bleiben, werden wir diese Arbeitsplätze gefährden. Wir müssen also so bald wie möglich aus den fossilen und atomaren Energien aussteigen, damit die Arbeitsplätze gesichert werden. Das ist das Entscheidende. ({5}) Sie haben gesagt, dass Sie andere Wettbewerbsinstrumente anstreben, beispielsweise um den Klimaschutz zu verbessern. Lassen Sie uns einen Vergleich anstellen. Die CO2-Vermeidungskosten durch die Windenergie liegen bei 52 Euro pro Tonne CO2. Durch den Emissionshandel betragen die CO2-Vermeidungskosten 1 160 Euro je Tonne - und Sie sagen, wir müssten uns für dieses Instrument stärker einsetzen. Helfen Sie lieber mit, dass die Industrie endlich bei der Versteigerung der Zertifikate im Emissionshandel mitmacht, damit die Kosten gesenkt werden, ({6}) statt Ihre Denkansätze weiterzuverfolgen. Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zu den Linken. Sie fordern sozial gerechtere Strukturen auch in der Energiewirtschaft. Das ist notwendig; das will ich gerne zugestehen. Aber wenn die Einnahmen aus der Ökosteuer mehrheitlich in die erneuerbaren Energien und in die Energieeinsparung gelenkt würden, wie Sie es wollen, bedeutete das im Klartext - das steht zwar nicht in Ihrem Antrag, aber das wäre die Folge - eine Anhebung der Rentenversicherungsbeiträge für alle Bürgerinnen und Bürger, die in Arbeit sind. ({7}) Wie Sie das als sozial verträglich begründen wollen, müssen Sie mir einmal erklären. Lesen Sie Ihren Antrag! Darin ist noch vieles zu verbessern. In der vorliegenden Fassung können wir ihn sicherlich nicht mittragen. Ich bin auf die Debatte in den Ausschüssen gespannt. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/589 und 16/1082 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich stelle fest, Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen ({0}) - Drucksache 16/511 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Peter Danckert für die SPD-Fraktion.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir unternehmen heute gemeinsam mit dem Bundesrat einen erneuten Versuch, im Interesse der Bauhandwerker und Bauunternehmer die Zahlungsmoral zu verbessern. Ich darf an das Bauhandwerkersicherungsgesetz aus dem Jahr 1993 und das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen aus dem Jahr 2000 erinnern. Zwischenzeitlich gab es eine Reihe von Gesetzentwürfen, die aber nicht realisiert wurden. Heute unternehmen wir einen weiteren Versuch. Sie werden sehen, dass es auch in meiner Fraktion durchaus unterschiedliche Auffassungen bei der Frage gibt - ich verweise auf meinen Kollegen Dirk Manzewski, der noch reden wird -, ob das Gesetz geeignet ist, dem Notstand abzuhelfen. Ich meine: Ja. Andere meinen: Nein. Ich bin der Meinung, dass wir es zumindest versuchen sollten, an dieser Stelle etwas im Interesse der Unternehmer zu erreichen. Es ist nicht zu leugnen, dass es vielfach aufgrund unterschiedlicher Vorgänge zu Zahlungsausfällen kommt. Ob wir dies letztlich durch das Gesetz beseitigen können, kann man bezweifeln. Aber ich finde, jeder Versuch ist lohnenswert. Wir haben zwar schon ein breites Instrumentarium; das wird Herr Staatsminister Mackenroth sicherlich bestätigen. Allerdings wird von diesem nur wenig Gebrauch gemacht. Das liegt an den unterschiedlichen Positionen von Auftraggeber und Auftragnehmer. Die Möglichkeiten, die unsere gesetzlichen Regelungen vorsehen, werden nicht genutzt, um überhaupt einen Auftrag zu bekommen. Das eigentliche Problem ist also, dass hier wirtschaftliche Ungleichheit herrscht und dass viele Handwerker die gesetzlichen Möglichkeiten nicht nutzen. Der Kollege Manzewski wird sicherlich andere Punkte ansprechen. Ich glaube aber, dass im Mittelpunkt des Gesetzgebungsverfahrens - es handelt sich ja um ein Artikelgesetz - die Änderung im Bereich der ZPO steht, die vorläufige Zahlungsanordnung. Sie soll es dem Kläger in einer bestimmten Prozesssituation ermöglichen, auf Antrag einen Titel zu erlangen, mit dem er die Vollstreckung betreiben kann. Das ist in § 302 a des Gesetzentwurfs sehr fein ziseliert. Es bedarf eines Antrages, einer mündlichen Verhandlung und einer Einschätzungsentscheidung durch das erkennende Gericht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es in den meisten Fällen zu einem für den Kläger positiven Endurteil kommen. Der Beschluss muss kurz begründet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass die Gerichte möglicherweise zusätzlich belastet werden, weil Anwälte massenhaft von diesem Antragsrecht Gebrauch machen, um Schadenersatzansprüchen ihrer Auftraggeber sozusagen vorzubeugen. Ich sehe diese Gefahr nicht. Ich glaube, dass es sich um ein sehr pragmatisches Instrument handelt, von dem man in einer bestimmten Verfahrenssituation, wenn der Prozess beispielsweise durch die beklagte Seite verschleppt wird, Gebrauch macht. Dadurch wird das Gericht in die Lage versetzt, eine vorläufige Entscheidung zu treffen. Ich halte das für vernünftig und sachgerecht. ({0}) Ob es alle Probleme löst, wird man erst sehen, wenn es in der Praxis ausprobiert wird. Ich finde, wir sollten diesen Versuch gemeinsam wagen. Heute ist die erste Lesung. Wir werden sehen, ob wir im Rahmen der weiteren Beratungen möglicherweise zu einzelnen Verbesserungen kommen. Ich bescheinige dem Bundesrat auf jeden Fall, dass sein Vorschlag eine vernünftige Gesetzesgrundlage im Interesse der Bauunternehmer bietet. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Mechthild Dyckmans, FDP-Fraktion. ({0})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der deutsche Mittelstand und insbesondere die deutschen Handwerker haben mit vielen Problemen zu kämpfen. Eines davon ist die mangelnde Zahlungsmoral. Diese ist nicht nur bei privaten Auftraggebern anzutreffen. Auch die öffentliche Hand geht hier häufig nicht mit gutem Beispiel voran. Wir debattieren heute über den Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes. Bereits der Titel weckt die Hoffnung, dass aufgrund der in diesem Entwurf vorgesehenen Gesetzesänderungen Unternehmer ihre Ansprüche sichern und ihre Forderungen leichter und besser durchsetzen. Wie Sie aber wissen, debattieren wir heute nicht zum ersten Mal darüber. Bereits in der 14. und der 15. Wahlperiode verfielen entsprechende Gesetzentwürfe der Diskontinuität. Das war nicht unbedingt Zufall, sondern lag an den vielen Bedenken, die in den Debatten überdeutlich geworden sind. Das Bundesjustizministerium macht sich nun einen Gesetzentwurf zu Eigen, der von den unionsregierten Bundesländern eingebracht wurde, und propagiert in einer Pressemitteilung von heute „Schneller Geld für Handwerker“. Ich hätte eigentlich erwartet, dass die Bundesregierung ein eigenes Forderungssicherungsgesetz vorlegt, ({0}) nachdem wir mehrmals darüber debattiert und die Probleme genau aufgezeigt haben. ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, erinnern Sie sich nicht mehr an Ihre Kritik aus der letzten Wahlperiode? Was hat sich eigentlich seitdem geändert, ({2}) außer dass Sie jetzt in einer großen Koalition mit der CDU/CSU sind? Für die FDP-Bundestagsfraktion bestehen die Bedenken aus der letzten Legislaturperiode nach wie vor. Eine Gesetzesänderung erreicht nämlich nur dann ihr Ziel, wenn sie wirtschaftlich sinnvoll, rechtlich möglich und zielführend ist. ({3}) Der heute vorliegende Entwurf darf nicht nur als Beruhigungspille für Handwerker dienen. Beispielhaft eingehen möchte ich heute auf die Einführung der so genannten vorläufigen Zahlungsanordnung; Sie haben sie schon erwähnt, Herr Kollege. Hier soll ein neues Rechtsinstitut geschaffen werden, das nicht nur für Bauforderungen, sondern ganz allgemein gelten soll. Ihr Anwendungsbereich umfasst - ich zitiere aus der Gesetzesbegründung alle Zahlungsansprüche einschließlich etwaiger Nebenforderungen, soweit nicht - wie etwa bei Unterhaltsansprüchen … - Sonderregelungen eingreifen. Dieses Institut soll also im Bereich der Arzthaftung, bei Schadensersatzansprüchen nach Unfällen sowie bei Mieten und vielem anderen gelten. Abgesehen davon, dass eine Praxisbefragung durch die einbringenden Landesregierungen gerade nicht stattgefunden hat und die Sachverständigenanhörung im erweiterten Berichterstattergespräch in der letzten Legislaturperiode große Bedenken an der Praxistauglichkeit dieser Regelung aufgezeigt hat, es also sehr zweifelhaft ist, ob dieses Institut in der praktischen Umsetzung halten kann, was es verspricht, scheint mir ein Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen nicht der geeignete Ort für die Einführung eines völlig neuen Rechtsinstituts in die ZPO zu sein. ({4}) Für den Erlass einer solchen Anordnung ist unter anderem notwendig - auch darauf haben Sie schon hingewiesen, Herr Kollege -, dass der zuständige Richter eine Erfolgsprognose über die Klage „nach bisherigem Sachund Streitstand“ abgibt. Im Gesetzentwurf ist von einer „hohen Aussicht auf Erfolg“ die Rede. Hier wird eine neue Begrifflichkeit eingeführt, die der ZPO bisher fremd ist. In der Begründung ist zu lesen - das muss ich Ihnen einfach vorlesen -, ({5}) was unter „hoher Aussicht auf Erfolg“ zu verstehen ist: Das soll der Fall sein, wenn das Gericht sich zu den einschlägigen tatsächlichen Fragen zwar noch keine dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO genügende Überzeugung gebildet hat, aber auf der Grundlage eines fundierten Zwischenergebnisses bereits eine Prognose über den Verfahrensausgang treffen kann. Dieser Prognose hat das Gericht seine Einschätzung zur Entscheidungserheblichkeit dieser Fragen, zum Maß der verbleibenden Unklarheit und gegebenenfalls zum Beweiswert noch nicht ausgeschöpfter Beweisangebote zu Grunde zu legen. In diesem Sinne liegt eine „hohe Aussicht auf Erfolg“ vor, wenn die Klage nach der geschilderten prognostischen Würdigung Erfolg haben wird. ({6}) Die Praxis wird mit diesem Gesetz sehr großen Erfolg haben. Die Auslegungsschwierigkeiten sind schon programmiert. ({7}) Zusammenfassend möchte ich sagen: Die FDP unterstützt jede Regelung, die nicht nur Hoffnung für die betroffenen Handwerker weckt, sondern wirkliche Hilfe darstellt. Denn Hilfe ist dringend geboten; das sehen auch wir von der FDP. ({8}) Diese Regelungen aber scheinen nur ein Hoffnungsschimmer am Horizont zu sein. Sie bewirken nur, dass die Ernüchterung bei dem Versuch, sie wirksam anzuwenden, umso größer sein wird. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Justizminister des Freistaates Sachsen, Geert Mackenroth. Geert Mackenroth, Staatsminister ({0}): Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den Sie heute in erster Lesung erörtern, wird bei manchen von Ihnen - davon war eben schon die Rede - einen Déjà-vu-Effekt hervorrufen. In der Psychologie wird dieser Effekt auf eine Sinnestäuschung im Zustand großer Erschöpfung, im Traum oder gar am Beginn einer Neurose zurückgeführt. Ich darf die Betroffenen beruhigen: Um eine Sinnestäuschung handelt es sich nicht. Das Forderungssicherungsgesetz, das maßgeblich auf eine Initiative Sachsens zurückgeht, nimmt heute bereits den dritten Anlauf in diesem Hohen Hause. Frau Abgeordnete Dyckmans hat auf die Geschichte hingewiesen. Die hinter diesem Entwurf stehende Forderung nach Maßnahmen zur Verbesserung der Zahlungsmoral insbesondere zur Verbesserung der Situation von Bauhandwerkern ist sogar noch viel älter und reicht weit ins letzte Jahrhundert zurück. Ich bin der Koalition und der neuen Bundesregierung dafür dankbar, dass sie dieses wichtige Vorhaben in guter Zusammenarbeit, sozusagen im Team mit dem Bundesrat, unterstützt haben. Ich werbe dafür, dass auch Sie ihm Ihre Zustimmung geben. Im Laufe seiner langen Entstehungsgeschichte hat der Entwurf zahlreiche Änderungen erfahren, die vor allem auf die Arbeit einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Federführung des BMJ zurückgehen. In seiner aktuellen Fassung enthält der Entwurf zunächst einmal kleine, aber durchaus wirksame Nachjustierungen am geltenden Werkvertragsrecht. Beispielsweise schreiben wir im Gesetz fest, dass der Unternehmer auch nach Abnahme des Werks Sicherheit für seine Vergütung verlangen kann. Wir stellen klar, dass die Sicherheit auch dann zu leisten ist, wenn der Besteller Mängel rügt. Anders als bislang soll die Stellung einer Sicherheit einklagbar sein. Damit kann der Bauhandwerker in jedem Stadium der Vertragsabwicklung schnell und effektiv Schutz vor einem Zahlungsausfall seines Auftraggebers erlangen. Des Weiteren soll künftig der Generalunternehmer den Subunternehmer nicht nur bezahlen müssen, wenn der Generalunternehmer selbst Geld vom Bauherrn bekommen hat, sondern auch, wenn der Bauherr das Werk des Subunternehmers abgenommen hat. Wenn der GU den Subunternehmer trotz dessen Bitte um Auskunft nicht über die Abnahme informiert, wird der Werklohn künftig trotzdem fällig. Ein weiterer Punkt. Was bei VOB-Verträgen längst üblich ist, sollen nunmehr auch die BGB-Werkverträge vorsehen, nämlich einen Anspruch des Bauhandwerkers auf Abschlagszahlungen. Damit wird sein Vorleistungsrisiko deutlich verringert. ({1}) Staatsminister Geert Mackenroth ({2}) All dies sind Maßnahmen, die dazu beitragen, die Interessen beider Vertragspartner wieder mehr ins Gleichgewicht zu bringen. ({3}) Kernstück des Entwurfs ist die Einführung einer vorläufigen Zahlungsanordnung. Schon im bereits angesprochenen Beschluss vom 17. März 2000 hat der Bundesrat ein prozessuales Instrument gefordert, welches dem Richter ermöglicht, „Handwerkern vorab einen Teil der eingeklagten Forderung trotz vorgebrachter Mängelrügen zuzusprechen“. Immer wieder müssen wir gerade bei Verträgen zwischen General- und Subunternehmern beobachten, dass und wie Auftraggeber auf den so genannten Justizkredit spekulieren, um Zeit zu gewinnen oder nachträglich eine geringere Vergütung durchzusetzen. Sie wenden gegen die Vergütungsklage des Unternehmers Mängel ein, die gar nicht oder nicht in diesem Umfang bestehen. Dadurch verzögert sich der Prozess; denn das Gericht muss diesem Vorbringen wegen der Verpflichtung zur Erschöpfung des Sach- und Streitstoffes und zur Erschöpfung der Beweisanträge in jedem Detail nachgehen. Das kann sich - nicht zuletzt wegen der erforderlichen Sachverständigengutachten - über Monate, teilweise über Jahre hinziehen; auch Richterinnen und Richter fürchten diese so genannten Punktesachen sehr. Kleinere Unternehmen mit geringer Eigenkapitaldeckung können gerade bei umfangreichen Gesamtforderungen einen solchen Prozess oft nicht durchstehen. Um überhaupt Geld zu bekommen, willigen sie trotz berechtigter Ansprüche vielfach zähneknirschend in einen Vergleich ein, der deutlich geringere Zahlungen vorsieht. Schlimmstenfalls müssen sie Insolvenz anmelden, weil ihr Betrieb das Ausbleiben der einkalkulierten Zahlung nicht verkraftet. Um eine solche Prozessverschleppung zu verhindern oder sie zumindest zu begrenzen, wird dem Kläger aufgrund dieses Gesetzes eine zusätzliche prozessuale Waffe in die Hand gegeben: die Möglichkeit, noch während des Prozesses die richterliche Anordnung einer vorläufigen Zahlung oder einer Teilzahlung zu erwirken, wenn die Klage oder einzelne Teile davon hohe Aussicht auf Erfolg haben und die Zahlungsanordnung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Abwendung besonderer Nachteile für den Kläger gerechtfertigt ist. Dieser Begriff „hohe Aussicht auf Erfolg“ ist kein dem Gesetz fremder Begriff. Wir haben ihn bei der Prozesskostenhilfe implementiert und er ist jeden Tag von den Gerichten anzuwenden. ({4}) - Ob es nun hinreichende oder hohe Aussicht auf Erfolg heißt, wird die Gerichte nicht umwerfen. ({5}) Das werden sie schon schaffen. ({6}) Jedenfalls erhält der Handwerker damit die realistische Chance, bereits vor Prozessende Geld für die Arbeiten zu erhalten, die er ordnungsgemäß ausgeführt hat, Geld, welches er womöglich für die Sicherung der Existenz seines Betriebes und der damit verbundenen Arbeitsplätze dringend benötigt. Ich bin überzeugt davon, dass sich die vorläufige Zahlungsanordnung in der Praxis bewähren und von den beteiligten Kreisen wie auch von der Justiz angenommen werden wird. Die positiven Erfahrungen einiger unserer Nachbarn - Frankreich, England - mit vergleichbaren Regelungen geben zu dieser Überzeugung begründeten Anlass. Obwohl die schwierige Lage der Bauhandwerker Ausgangspunkt für diese Regelung war, dient sie doch nicht einseitig den Interessen der Bauunternehmer, sondern kommt auch Verbrauchern zugute. Auf alle Zahlungsklagen anwendbar, kann sie zum Beispiel auch Unfallopfern in langwierigen Prozessen gegen die Versicherung des Schädigers schneller zu Schadensersatz oder Schmerzensgeld verhelfen. Das ist, wie ich finde, ein umfassender und guter Lösungsansatz. ({7}) Dem Entwurf des Bundesrates ist noch in der vergangenen Legislaturperiode vorgeworfen worden, an den eigentlichen Ursachen der mangelnden Zahlungsmoral vorbeizugehen. Die tatsächlichen Probleme, so hieß es und heißt es teilweise noch, seien vielmehr in der unzureichenden Richterausstattung bei den Ländern und in der Unkenntnis der Handwerker um ihre rechtlichen Möglichkeiten oder deren marktbedingte Nichtausnutzung zu sehen. Wer so argumentiert, macht es sich, glaube ich, zu einfach. An der Erkenntnis, dass derzeit kein effektiver Schutz vor Prozessverschleppung besteht, führt meines Erachtens kein Weg vorbei; der Abgeordnete Dr. Danckert hat darauf hingewiesen. Dies ist auch einhellige Auffassung der Experten in der genannten Bund-Länder-Arbeitsgruppe gewesen. Dass die Richterschaft, wie ebenfalls angeführt wurde, vom Erlass vorläufiger Anordnungen absehen wird, weil sie sich ohne ein ausführliches Sachverständigengutachten eine Einschätzung der Rechtslage nicht zutraut, befürchte ich ebenfalls nicht. Ich traue den Richterinnen und Richtern zu, in einem solchen Fall - ebenso wie sonst im vorläufigen oder einstweiligen Rechtsschutz ({8}) auch ohne ein gerichtliches Gutachten eine solche Entscheidung treffen zu können. Das ist Standard auf den Gerichten und begegnet keinen Schwierigkeiten. ({9}) Allein der Ruf nach immer mehr Richtern hilft auch hier nicht weiter, wenn ansonsten das bestehende prozessuale Verzögerungspotenzial unangetastet bleibt. Staatsminister Geert Mackenroth ({10}) Richtig ist allerdings - das gilt auch heute -, dass sich Sachsen ebenso wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks für seine kleinen und mittelständischen Betriebe in Teilbereichen noch weiter gehende Lösungen gewünscht hätte. Noch im ersten Entwurf aus dem Jahr 2002 waren der verlängerte Eigentumsvorbehalt an eingebauten Sachen oder die Ausschreibung des Schuldners zur Fahndung enthalten. ({11}) Wir hatten und haben jedoch zu akzeptieren, dass jenseits von allen juristisch-dogmatischen Fragen diese Forderungen nicht durchsetzbar waren und auch derzeit offenbar nicht ohne weiteres durchsetzbar sind. Mit dem Kompromiss jetzt kann ich leben. Umso wichtiger ist es daher, ein Forderungssicherungsgesetz, wie es der Koalitionsvertrag fordert, alsbald zu verabschieden und alles zu unterlassen, was die Umsetzung des Verabredeten gefährden könnte. Natürlich muss auch die jetzt vorgesehene Regelung zu gegebener Zeit evaluiert, wieder überarbeitet und daraufhin überprüft werden, ob sie in der Realität im Zielkonflikt zwischen Verbraucher- und Handwerkerinteressen die adäquaten und richtigen Lösungen bietet. Auch in dieser Zielsetzung weiß ich mich mit unseren sächsischen Handwerken - aber nicht nur mit diesen - einig. Deutschland kann es sich in seiner jetzigen wirtschaftlichen Lage nicht leisten, dass Arbeitsplätze im Handwerk und bei den mittelständischen Betrieben vernichtet werden, nur deshalb, weil zahlungsunwillige Auftraggeber ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. ({12}) Das Forderungssicherungsgesetz, das FoSiG, kann mithelfen, einige der jährlich etwa 38 000 Insolvenzen abzuwenden und dringend benötigte Arbeitsplätze zu erhalten. Es wird auch dazu beitragen, dass wir verloren gegangenes Vertrauen in unseren Rechtsstaat zurückgewinnen. Ich bitte Sie deswegen, den Gesetzentwurf des Bundesrates im Fortgang der Beratungen tatkräftig voranzutreiben. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die Initiative, sich der Frage der Zahlungsmoral anzunehmen. Verspätete oder ausbleibende Zahlungen an Handwerksbetriebe werden als erster Auslöser für Unternehmenspleiten genannt. Dies gilt vor allem für kleinere, aber auch mittlere Betriebe, die nicht über genügend Eigenkapital verfügen, um eventuelle Zahlungsverzögerungen und -ausfälle zu verkraften. Aber nicht nur 2005, sondern bereits 2002 gab es ähnliche Initiativen. Jedes Mal sind sie dann leider im Wahljahr untergegangen. Dabei ist das ein Problem von äußerster Brisanz. Allein in den letzten zwei Jahren gab es in Deutschland 77 000 Unternehmensinsolvenzen und damit verbunden einen entsprechenden Arbeitsplatzverlust. Gerade weil das Problem eine solche Brisanz hat, muss jeder Vorschlag sorgfältig geprüft werden, ob damit wirklich Abhilfe geschaffen werden kann. Da muss man leider sagen: Es ist zu befürchten, dass dieser Gesetzentwurf sowohl in seiner Reichweite wie in seinen praktischen Konsequenzen unzureichend ist. ({0}) Das Hauptproblem für das einheimische Handwerk bleibt die lahmende Binnenkonjunktur. Hier gibt es wenig Hoffnung auf Besserung, wenn Sie an Ihrer Politik der Haushaltskonsolidierung in dieser Form festhalten. ({1}) Sie, meine Damen und Herren von Union und SPD, wollen hier ein Gesetz auf den Weg bringen, das bezüglich eines dringenden Problems Abhilfe schaffen soll, das Sie eigentlich selbst zu verantworten haben. Mehr als jeder dritte Handwerksbetrieb attestiert seinen öffentlichen Abnehmern eine Verschlechterung des Zahlungsverhaltens. Das hat eine Erhebung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks gezeigt. Die Ursache für die schlechte Zahlungsmoral der öffentlichen Hand ist klar: Mit Steuersenkungen für das Großkapital hat die alte rot-grüne Bundesregierung die öffentlichen Haushalte ruiniert und das müssen nun die kleinen Handwerksbetriebe ausbaden. ({2}) Die Praxis zeigt doch, dass nur die wenigsten Handwerker sich trauen, zur Einforderung der Zahlung den Rechtsweg zu beschreiten, sei es weil die Zeit oder das Geld fehlt oder weil sie befürchten, dass sie in Zukunft den Auftraggeber verlieren werden. Angesichts der Rolle, die die öffentliche Hand spielt, wundert es nicht, welche Methoden manche gewerblichen Auftraggeber praktizieren, indem Handwerksbetrieben zustehende Zahlungen verspätet oder mit Abschlägen geleistet werden. Das Problem besteht doch darin, dass es darum gehen muss, kleine Betriebe mit wenig Eigenkapital vor Generalunternehmern oder großen Bauträgern zu schützen, die vom Auftraggeber Geld erhalten haben, dieses aber dem Subunternehmen nicht weiterreichen. Das ist ein offenes Geheimnis; aber es wird nichts getan. In diesem Zusammenhang komme ich zur Frage des Verbraucherschutzes. Der Regierung sollte die Kritik der Verbraucherzentrale eigentlich bekannt sein. Trotzdem sieht sie hier keinen Handlungsbedarf, sodass der Verbraucherschutz bei den Neuregelungen auf der Strecke bleiben wird. Aber der private Häuslebauer hat ein Anrecht darauf, entsprechende Mängel an Leistungen geltend zu machen. Wir fürchten, mit diesem Gesetz wird sich an der schlechten Zahlungsmoral nicht viel verändern; aber der Verbraucherschutz wird unter die Räder kommen. ({3}) Sie könnten die privaten Verbraucher von den Regelungen des Gesetzes ausnehmen. Bevor die alte Regierung von Rot-Grün sich der Überarbeitung angenommen hat, war das so vorgesehen gewesen. Ist die Bundesregierung nicht nur an einer öffentlichkeitswirksamen Aktion, sondern ernsthaft an einer Verbesserung der Lage der kleinen Unternehmen und dem Schutz der Verbraucher interessiert, kann sie nicht bei ihrer bisherigen Position bleiben. Wir fordern Sie auf, einen Kurswechsel vorzunehmen; sonst bleibt dieses Gesetz Makulatur. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat nun der Kollege Montag das Wort.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Forderungssicherungsgesetz 2002, Forderungssicherungsgesetz 2004, Forderungssicherungsgesetz 2006: Herr Staatsminister Mackenroth, dies ist keine Fata Morgana. Für mich ist das ein Zeichen der Unbelehrbarkeit derjenigen, die zum dritten Mal versuchen, mit untauglichen Methoden ein tatsächlich vorhandenes Problem in den Griff zu bekommen. ({0}) Auch der dritte Entwurf bietet wenig Brauchbares, einiges Unnützes und viel Schädliches, Herr Kollege Danckert. Wir hatten zum identischen Gesetzentwurf schon in der vorletzten Legislaturperiode eine Sachverständigenanhörung mit einem vernichtenden Ergebnis durchgeführt. Beim letzten Mal haben wir es gar nicht mehr zu einer Sachverständigenanhörung kommen lassen. Im Rahmen eines erweiterten Berichterstattergesprächs haben wir einige Fachleute gehört. Das Ergebnis hinsichtlich der gemachten Vorschläge war ebenfalls vernichtend. Die Beschreibung der Situation, dass es in der Bauindustrie in einem großen Umfang Probleme gibt, ist richtig. Aber die Schuldzuweisung, die Sie treffen, indem Sie von fehlender Moral sprechen - Herr Staatsminister Mackenroth sprach heute sogar von massenhafter Prozessverschleppung, der zu begegnen sei -, ist, wie ich finde, völlig falsch. Mit diesen Vorschlägen wollen Sie das wohltemperierte Verhältnis im Werkvertragsrecht zulasten der einen Seite, nämlich zulasten der Verbraucher, verschieben. ({1}) Die Werkunternehmer sind eben zu einer Vorleistung verpflichtet. Erst nach einer mängelfreien Ablieferung ihrer Leistung ist der Werklohn zu zahlen. Nach Ihren Vorschlägen wird es dazu kommen, dass Verbraucher keinen Rechtsschutz mehr gegen Pfusch am Bau haben werden. Im Übrigen: Als ich das letzte Mal zu diesem Thema hier eine Rede gehalten habe, hat mir der Kollege Stünker an dieser Stelle aufrichtig Beifall gezollt. ({2}) Wir müssen uns nun den Gesetzentwurf einmal näher anschauen. Der Vorschlag, § 641 Abs. 2 BGB in dieser Weise zu ändern, um den Subunternehmer besser zu stellen, ist brauchbar und richtig. ({3}) Der Vorschlag, § 632 a BGB in dieser Weise zu ändern, ist absolut unbrauchbar. Das zeigt sich schon daran, dass gesagt wird, es gebe das Recht auf Abschlagszahlung nicht und es müsse hier neu eingeführt werden. Das ist doch falsch. Natürlich gibt es die Möglichkeit der Abschlagszahlung. Aber aus guten Gründen handelt es sich um eine Abschlagszahlung für abtrennbare und klar definierte Teile des Werks. Sie wollen aber immer dann eine Teilleistung annehmen, wenn ein bestimmter Leistungsteil in einer nicht mehr entziehbaren Art und Weise übergeben worden ist. ({4}) Das führt zu absurden Ergebnissen. Sie sollten sich das noch einmal unter rechtlichen Gesichtspunkten überlegen. Unbrauchbar ist schließlich auch die Einfügung des § 302 a ZPO. Es wird so gut wie keinen Richter geben, der vor Entscheidungsreife eine solche Entscheidung trifft. Wenn eine Entscheidungsreife gegeben ist, dann gibt es ein Urteil und nicht irgendeine Zwischenentscheidung. ({5}) Wenn Sie die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem vorliegenden Gesetz lesen, die im Übrigen wortgleich ist zu der Stellungnahme zu dem Gesetz vor zwei Jahren, dann werden Sie feststellen, dass die Bundesregierung selbst davon gesprochen hat, dass die Schwierigkeiten mit diesem Gesetz nicht zu beheben sind und dass es keinen Anlass gibt, an der Unzulänglichkeit der zivilrechtlichen Vorschriften zu zweifeln. Deswegen meine dringende Bitte an Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition: Kein Pfusch an der ZPO! Kein Pfusch am BGB! ({6}) Legen Sie endlich ein Bauvertragsgesetz vor, in dem auch, wie Sie es in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, Verbraucherschutzelemente berücksichtigt werden. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dirk Manzewski, SPD-Fraktion.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren am heutigen Tag über den Entwurf des so genannten Forderungssicherungsgesetzes des Bundesrates, mit dem dieser meint, das Problem der Zahlungsmoral in Deutschland wirksam bekämpfen zu können. Um es gleich deutlich zu sagen: Ich teile diese Auffassung ganz und gar nicht. Ich habe mich im letzten Jahr - es war ungefähr zur gleichen Jahreszeit - mit verschiedenen Unternehmern getroffen, knapp über 30 Fälle konkret aufgearbeitet und überprüft, inwieweit in diesen Fällen das Gesetz weitergeholfen hätte. In keinem einzigen dieser Fälle wäre durch das hier diskutierte Gesetz geholfen worden. Man muss mit der Materie ehrlich umgehen: Was kann ein Gesetz ausrichten, wenn den Betroffenen noch nicht einmal die bislang bestehenden rechtlichen Möglichkeiten bekannt sind oder wenn sie diese nicht geltend machen, weil sie zum Beispiel auf Folgeaufträge hoffen? Das sind die tatsächlichen Probleme, die hinter dem Problem der Zahlungsmoral stehen. Was kann ein Gesetz ausrichten, wenn sich die Betroffenen - auch der Staatsminister hat dieses Beispiel erwähnt - auf Nachverhandlungen einlassen und in diesem Zusammenhang auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten? Auf die Justiz und den Gesetzgeber lässt sich dann zwar trefflich im Nachhinein schimpfen; aber gleichwohl hat es sich hierbei trotz gegebenenfalls wirtschaftlicher Zwänge letztendlich um einen freiwilligen Akt gehandelt. Mich ärgert, dass offensichtlich wieder einmal - das ist ja nicht das erste Gesetz, das wir zu diesem Thema verabschieden sollen - keine praxisorientierte Analyse der Situation gemacht worden ist. Ob nun Handwerkerfrauen vor dem Brandenburger Tor oder die zahlreichen Briefe von Betroffenen an uns: Man sollte sich einfach einmal die Zeit nehmen, sich konkret mit diesen Fällen zu beschäftigen und zu überprüfen, inwieweit durch Gesetze wie dem vorliegenden tatsächlich hätte weitergeholfen werden können. Ich habe da, wie gesagt, meine Zweifel. Ich hätte es auch für sinnvoll gehalten, wenn man unser letztes Gesetzgebungsverfahren zum Thema Zahlungsmoral, das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen, zuvor gründlich evaluiert hätte. ({0}) Mir persönlich fehlen nämlich immer noch gesicherte Erkenntnisse darüber, warum genau die so genannte Fertigstellungsbescheinigung, der zentrale Punkt des damaligen Gesetzes, in der Praxis nicht den erhofften Erfolg gebracht hat. Stattdessen werden dann einfach wieder einmal das BGB und die ZPO geändert, als wenn das nichts wäre. Nicht unerwähnt bleiben soll auch - auch das muss man deutlich sagen -, dass, wenn nicht gezahlt wird, dies nicht immer etwas mit fehlender Zahlungsmoral zu tun hat. Gerade im Bau ist das Thema „Pfusch am Bau“ zu einem ernst zu nehmenden Problem geworden. Die Gründe hierfür sind leider vielfältig. Das Gesetz hat aber weitere Schwächen. Das Kernstück des Gesetzentwurfes ist die vorläufige Zahlungsanordnung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Manzewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Manzewski, nach all dem, was hier auch vom Kollegen Danckert geäußert worden ist, habe ich die Frage, ob Sie uns mitteilen können, ob Sie die Auffassung des Kollegen Danckert teilen, dass die vorläufige Zahlungsanordnung ein wichtiges und den Handwerkern hilfreiches Instrument darstellen kann.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Strässer, ich habe damit meine Probleme. ({0}) Denn ich muss ganz deutlich sagen: Es ist festgelegt worden, dass das Gericht aufgrund einer fundierten Prognose schon vor Eintritt der Entscheidungsreife - darauf wurde schon hingewiesen - einen Zahlungsanspruch titulieren soll. Das ist vor allem für die Fälle angedacht, in denen zum Beispiel durch eine noch notwendige Beweisaufnahme kein Ende des Verfahrens abzusehen ist. Der Herr Staatsminister hat auch diesen Fall angesprochen. Man muss deutlich sagen: Das klingt zunächst einmal nicht schlecht. Nur, was sollen das für Fälle sein, in denen einerseits noch keine Entscheidungsreife vorliegt, wohl aber andererseits eine hohe Erfolgsaussicht bestehen soll? Welcher Richter wird eine hohe Erfolgsaussicht bei einer noch ausstehenden Beweisaufnahme bejahen? Gerade weil sich der Richter unsicher fühlt, wird auswärtiger Sachverstand durch einen Gutachter eingeholt. Der Bundesrat meint nun, als Hilfestellung für eine solch hohe Erfolgsaussicht könne zum Beispiel ein so genanntes qualifiziertes Privatgutachten dienen, wenn ein renommierter Wissenschaftler dieses Privatgutachten gefertigt habe. ({1}) - Ich bin noch nicht fertig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, ich mache nur darauf aufmerksam, dass bei einem ausgeschlafenen Präsidenten auf diese Weise keine beliebige Verlängerungen der Redezeiten zu erwirken sind. ({0})

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ehrlich gesagt: Ich möchte den Richter sehen, der sich davon beeindrucken lässt und nur deshalb eine Entscheidung fällt. Wir alle wissen doch, wie problematisch der Umgang mit Privatgutachten ist. Eine hohe Erfolgsaussicht soll auch dann bestehen, wenn zwar ein gerichtliches Gutachten vorliegt, aber vielleicht gerade deshalb noch die Einholung eines weiteren Gutachtens notwendig ist. Lieber Herr Mackenroth, gerade wenn ein Richter die Einholung eines weiteren Gutachtens für notwendig erachtet, wird er kaum eine fundierte Prognose für eine vorläufige Zahlungsanordnung treffen. Wie auch! Wir haben - Kollege Montag hat es angesprochen - in der letzten Legislaturperiode ein erweitertes Berichterstattergespräch geführt. Wir haben den Deutschen Richterbund, den Deutschen Anwaltverein, den Deutschen Sparkassen- und Giroverband und renommierte Wissenschaftler, die sich mit dem Thema Baurecht beschäftigen, eingeladen. Seinerzeit haben alle unisono dieses Gesetz abgelehnt. Es wurde sogar die Auffassung vertreten, dass die Anwaltschaft, insbesondere, um nicht in Regress genommen zu werden, regelmäßig eine vorläufige Zahlungsanordnung begehren wird. Dies würde sich sogar kontraproduktiv auswirken, weil dann nämlich alle Verfahren länger laufen würden. Ich äußere mich heute so kritisch, weil mich der Gesetzentwurf nicht überzeugt und ich die Befürchtung habe, dass wir uns nach seiner Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode über den nächsten Gesetzentwurf zum gleichen Thema unterhalten müssen. ({0}) Dass diese Befürchtung nicht völlig unbegründet ist, ergibt sich bereits aus der Stellungnahme des Bundesjustizministeriums zum hier debattierten Gesetzgebungsverfahren. ({1}) Dort heißt es nämlich, dass die Bundesregierung die weitere Befassung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich bereits in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Forderungssicherungsgesetz befasst hat, „mit dem Zweck einer weitergehenden Überprüfung des Bauvertragsrechts“ unterstützt. Das heißt, all das, was wir jetzt hier beschließen, ist für das BMJ offensichtlich schon Makulatur. Ich glaube, mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Ich danke Ihnen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 16/511 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Werner Dreibus, Petra Pau und der Fraktion der LINKEN Gegen die Schließung von 45 Standorten bei der Deutschen Telekom AG - Drucksache 16/845 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch diese Debatte 30 Minuten dauern. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält die Kollegin Petra Pau für die Fraktion Die Linke. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über geplante Betriebsschließungen, über drohende Entlassungen, über einen weiteren Arbeitsplatzabbau. Überwiegend geht es um ohnehin strukturschwache Regionen. Vor allem wären Frauen davon besonders betroffen. Es geht um Pläne eines Konzerns, der noch vor kurzem ein öffentliches Unternehmen war. Es geht um ein Unternehmen, bei dem die Bundesregierung noch immer ein beträchtliches Mitspracherecht hat. Wir reden über die Deutsche Telekom AG. Der Konzern hat satte Gewinne erzielt. Trotzdem will die Konzernführung 32 000 Stellen streichen und bundesweit 45 Standorte schließen. Die Fraktion Die Linke ist der Meinung: Das ist ein Fall für den Bundestag; ({0}) es ist sogar ein dringender Fall. Deshalb haben wir einen Antrag, der sich gegen die Schließung der 45 Standorte richtet, gestellt. Die Beschäftigten kämpfen verzweifelt um ihre Arbeitsplätze, um ihre Existenz und um ihre Zukunft. Ich war bereits vor Wochen auf einer Kundgebung von Telekom-Beschäftigten aus Brandenburg und MecklenburgVorpommern hier in Berlin. Es geht aber nicht nur um den Nordosten oder um Berlin. Betroffen sind die Standorte Lübeck, Flensburg, Stade, Bremerhaven, Heide, Cottbus, Erfurt, Angermünde, Perleberg, Donauwörth, Bamberg, Bayreuth, Hof, Ingolstadt, Landshut, Freising, Erlangen, Deggendorf, Regensburg, Rosenheim, Garmisch-Partenkirchen, Berlin, Aschaffenburg, Braunschweig, Göttingen, Oldenburg, Bad Kreuznach, Darmstadt, Limburg, Hanau, Reutlingen, Kaiserslautern, Offenburg, Weingarten, Calw, Schwäbisch Hall, Duisburg, Iserlohn und Wuppertal. In den Medien nennt man so etwas einen Flächenbrand. Ich finde, die Mitglieder des Bundestages, die aus den Regionen dieser 36 Standorte kommen, dürfen das nicht einfach hinnehmen. ({1}) Wir sollten parteiübergreifend intervenieren und dafür kämpfen, dass nicht noch mehr Beschäftigte und vor allem Frauen ins berufliche Aus getrieben werden. Der zweite Teil unseres Antrages ist grundsätzlicher. Er wendet sich dagegen, dass immer mehr öffentliche Unternehmen privatisiert werden; denn dadurch verliert die Politik, verlieren die Parlamente an Einfluss. Parlamente ohne Einfluss bedeuten immer auch eine Schwächung der Demokratie. Natürlich muss die öffentliche Hand nicht alles bewirtschaften, was nur irgend möglich ist. Das Land Berlin zum Beispiel hat sich von der Königlichen PorzellanManufaktur getrennt. Ich finde, das war vernünftig; denn keiner Bürgerin und keinem Bürger kann plausibel erklärt werden, warum seine Steuern dafür herhalten müssen, teure Edelprodukte zu subventionieren. Es gibt aber auch lebenswichtige Grundbedürfnisse, die man nicht dem freien Markt oder dem spekulativen Spiel der Börsen überlassen darf; ({2}) denn der freie Markt ohne Regeln ist sozial taub und die Börse ist sozial blind. ({3}) Zu diesen Grundbedürfnissen gehören zum Beispiel Bildung, Gesundheit, Wohnen, Mobilität und eben auch die Kommunikation. ({4}) Weil das so ist, darf die Politik ihren Einfluss bei diesen Grundbedürfnissen nicht verkaufen und den Aktionären überlassen. Es gibt aktuelle Beispiele, die belegen, wohin das führen kann. In Berlin wurden noch zu Zeiten der großen Koalition unter Federführung der CDU die Wasserbetriebe teilprivatisiert. Das war ein Geschäft, das spürbar zulasten der Bürgerinnen und Bürger ging. In Dresden wurde jüngst der gesamte kommunale Wohnungsbestand verkauft. Dazu gibt es eine Kontroverse auch in meiner Partei. ({5}) Inzwischen planen weitere Städte - auch solche, in denen andere Parteien das Sagen haben - Ähnliches, um den kommunalen Haushalt zu sanieren. Ich halte das für kurzsichtig - das sage ich durchaus auch den Kolleginnen und Kollegen meiner Partei, die sich daran beteiligt haben -; denn damit geben diese Kommunen zugleich ihren Einfluss, zum Beispiel auf die soziale Stadtentwicklung, preis. ({6}) Ich finde, die Politik hat eine soziale Verantwortung. Um dieser gerecht zu werden, bedarf es öffentlicher Betriebe, die auch durch die Politik bestärkt werden. Danke. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Jochen-Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag ist ausgesprochen populistisch. ({0}) Natürlich ist jeder Arbeitsplatz, der in Deutschland verschwindet, einer zu viel. Deshalb verdient dieser Vorgang auch große Aufmerksamkeit und wir müssen uns darum kümmern. Aber so, wie der Antrag gestellt ist, ist er völlig falsch angelegt, und zwar in beiden Teilen. ({1}) Der zweite Teil ist eigentlich noch entlarvender und schlimmer als der erste Teil. Zunächst einmal muss man sich mit dem Unternehmen Telekom beschäftigen. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Telekommunikationsbranche eine Branche ist, in der der Umbruch praktisch stündlich stattfindet und in der stündlich Entwicklungen stattfinden, die eine Anpassung der Betriebe erfordern. Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als wir die staatliche Post mit dem „Dampftelefon“ hatten, wo man für jede Telefondose einen eigenen Antrag stellen und Gebühren zahlen musste. Nach der Privatisierung ist Belebung in die Landschaft gekommen und diese Branche hat Arbeitsplätze aufgebaut. ({2}) - Herr Ströbele, Sie haben auch noch nicht dazugelernt, das ist doch völlig klar. ({3}) Wenn es dann wegen des harten Wettbewerbs besonderer Anpassungen bedarf - man muss natürlich wissen, dass die Telekom Altlasten mitschleppt und vieles mit auf den Weg bekommen hat, was Wettbewerber nicht haben -, dann muss die Telekom in der Lage sein, sich anzupassen. Es ist richtig, dass in den nächsten drei Jahren Arbeitsplätze umgebaut werden sollen. Das ist eine betrübliche Entwicklung, weil wir dabei auch Arbeitsplätze verlieren. Man muss dabei aber zweierlei sehen: Erstens. Es ist mit den Betriebsräten vereinbart. Warum ist es mit den Betriebsräten vereinbart? - Weil die doch auch wissen, dass, wenn man einen Betrieb so laufen lässt, dass er nicht wettbewerbsfähig ist, am Ende nichts mehr überbleibt. Da stellt sich doch die Frage, ob es besser ist, wenn man sich anpasst und einige Arbeitsplätze verliert, oder ob es besser ist, wenn man sich nicht anpasst und alle verliert. ({4}) Nach der Betriebsvereinbarung der Telekom erfolgen bis 2008 keine betriebsbedingten Kündigungen. Das heißt, dass die Umstellung sozialverträglich, im Einvernehmen mit den Betriebsräten erfolgt. Es werden Arbeitsplätze abgebaut, weil man die Callcenter - sie sind eigentlich eine Erfolgsgeschichte der Telekommunikation; hier wurden in den letzten Jahrzehnten viele neue Arbeitsplätze geschaffen - anders führen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn die Wettbewerber größere, wirtschaftlichere Einheiten bilden, dann muss die Telekom nachziehen, weil sie sonst keine Aufträge mehr bekommt. So einfach ist das. Außerdem geht es darum, die Qualität der Dienstleistungen für die Kunden zu verbessern. ({5}) Den Mitarbeitern werden im Übrigen andere Arbeitsplätze angeboten. ({6}) - Natürlich ist es einfach, zu sagen, die dürfen nichts verändern. Das kann sich aber nur eine Partei leisten, die keine Verantwortung für die Arbeitsplätze von morgen übernehmen muss. ({7}) Ich sage es noch einmal: Umstrukturierung ist ein notwendiger Prozess. Wer sich der Umstrukturierung verschließt, hat am Ende gar nichts mehr. ({8}) Dass Sie, meine Damen und Herren von der Linken, nichts hinzugelernt haben, zeigt der zweite Teil Ihres Antrages. Es ist doch völlig klar: Gewinne spiegeln die Situation von gestern wider und bilden über die Schaffung von Kapital die Basis für die Arbeitsplätze von morgen; denn ohne Kapital gibt es keine Arbeitsplätze. Natürlich ärgert es uns, wenn Betriebe Personal über das wirtschaftlich gebotene Maß abbauen. An dieser Stelle aber können wir nicht eingreifen. Die Telekom ist ein privatisiertes Unternehmen. Die Verantwortung für das operative Geschäft liegt beim Vorstand. Dem Vorstand, auch einzelnen Vorstandsmitgliedern, können wir keine Weisungen erteilen. Deshalb ist Ihr Antrag zum einen rechtlich unzulässig und zum anderen wirtschaftlich unsinnig, weil er zur Totalzerstörung führen würde. ({9}) Sie haben ja viel Erfahrung darin, wie man mit staatlich gesteuerten Betrieben umgeht. Das haben Sie eben populistisch dargestellt. Wir brauchen nur ein wenig in Richtung Osten schauen, um zu sehen, wohin das führt. Die Diskussion, die heute in der Presse geführt wird, zeigt doch, wie verwoben die Linkspartei mit dem alten System ist, wie viele von damals Sie heute immer noch in Ihren Reihen haben. Daran wird auch die vierte Namensänderung nichts ändern. Sie bleiben unterwandert und infiltriert. Sie bleiben vom falschen Gedankengut beseelt. ({10}) - Auch ein Stammtisch hat manchmal Recht; denn die Menschen haben ein gesundes Gespür dafür, was falsch und was richtig ist. ({11}) Die Menschen begreifen, dass es besser ist, Arbeitsplätze abzusichern. Einige Unternehmen haben diesen Innovationsprozess nicht erfolgreich bestanden und befinden sich deshalb in einer gefährlichen Schieflage. Schauen wir uns doch einmal Teile der Automobilindustrie an. Wer die Anpassung nicht rechtzeitig geschafft hat, hat jetzt unter Kostengesichtspunkten große Schwierigkeiten. Am Ende bedeutet das möglicherweise, dass ganze Marken und damit Tausende von Arbeitsplätzen verschwinden, die nicht hätten verschwinden müssen, wenn man sich rechtzeitig umgestellt, wenn man sich rechtzeitig wettbewerbsfähig aufgestellt hätte. Das ist der Punkt. Im zweiten Teil Ihres Antrages zeigen Sie - dieser Teil ist entlarvend -, dass Sie wieder in die Staatswirtschaft zurück wollen. Ich wiederhole, damit es auch der Letzte begreift: Sie haben schon einmal einen großen Teil dieses Landes in die Katastrophe geführt. Die armen Menschen mussten das ausbaden. Ein Teil der Probleme, die wir heute haben, sind doch dadurch bedingt, dass wir uns jetzt damit befassen müssen, das Erbe von fast 50 Jahren Sozialismus aufzuräumen. ({12}) Das ist das Problem. Warum mussten wir denn fast die ganze ehemalige DDR unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes sanieren? Weil Sie eine falsche, menschenfeindliche Wirtschaftspolitik betrieben haben. Das ist doch die Wahrheit. ({13}) - Die Tatsache, dass Sie so reagieren, zeigt doch auch, dass ich offensichtlich getroffen habe. Wenn Sie sich nämlich nicht so getroffen fühlen würden, dann würden Sie doch eine nüchterne Auseinandersetzung führen und Argumente vorbringen, anstatt dazwischenzubrüllen. Sie wollen vernebeln, was Sie angerichtet haben. Ich sage es noch einmal: Ihr Antrag ist in beiden Punkten abzulehnen. ({14}) Ihre Politik ist rückwärts gewandt, Sie haben aus den Erfahrungen der Geschichte leider nichts gelernt. Fraktionsstärke haben Ihnen die Unzufriedenen beschert, die Sie auf populistische Art und Weise eingesammelt haben. Leider haben die nicht genau hingesehen. Sie werden ganz schnell merken, was sie an Ihnen haben. Deshalb werden Sie nicht weiter zum Zuge kommen und bei der nächsten Wahl die Quittung dafür erhalten. ({15}) Wir müssen uns marktwirtschaftlich so aufstellen, dass unsere Unternehmen auf Dauer wettbewerbsfähig sind. Nur dann gibt es überhaupt Arbeitsplätze und können diese in ausreichendem Maße erhalten bleiben. Wir müssen daran arbeiten, dass das besser wird; denn in den letzten Jahren sind wir zu weit abgerutscht. Mit einer so rückwärts gewandten Politik, wie sie in Ihrem Antrag ausgedrückt wird, werden wir den heutigen Erfordernissen - das ist der Hauptpunkt - nicht gerecht. ({16}) Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Martin Zeil für die FDP-Fraktion. ({0})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorneweg eines sagen: Von den beabsichtigten Schließungen sind auch 16 Standorte in meiner bayerischen Heimat betroffen. Wir haben deshalb volles Verständnis für die Situation der betroffenen Mitarbeiter. Verlagerungen von Arbeitsplätzen gerade aus strukturschwachen Gebieten können niemanden gleichgültig lassen. Der hier vorliegende Antrag ist aber leider typisch, Frau Kollegin Pau, für die Politik der PDS-Linken hier im Hause. Er strotzt vor Halbwahrheiten, bietet keine durchführbaren Lösungen und - das ist vielleicht das Schlimmste - er instrumentalisiert die Sorgen und Nöte der Menschen für eine kurzfristige Effekthascherei. ({0}) Sie verschweigen zudem die Angebote der Telekom an die betroffenen Mitarbeiter, Sie unterschlagen, dass sich die Firma mit den Betriebsräten vor kurzem auf die künftigen Standorte abschließend geeinigt hat, und Sie lassen natürlich jegliche Auseinandersetzungen mit den wirtschaftlichen Argumenten vermissen. ({1}) Aber das wäre vielleicht von patentierten Marxisten zu viel verlangt. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Zeil, darf die Kollegin Pau Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, wollen Sie ernsthaft behaupten, dass das Angebot an allein erziehende Frauen an den von Schließung betroffenen oder bedrohten Standorten, einen 200 Kilometer oder auch nur 150 Kilometer vom bisherigen Standort entfernten Arbeitsplatz aufzunehmen, ein ernstes und faires Angebot ist, welches es den Frauen ermöglicht, sowohl ihren Pflichten in der Familie nachzukommen als auch ihren Arbeitsplatz zu behalten?

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich will gar nicht bestreiten, dass es hier im Einzelfall zu Härten kommen kann. Das ist gar keine Frage. Aber insgesamt ist es so, dass durch diesen Umstrukturierungsprozess möglicherweise Arbeitsplätze an anderer Stelle genau für diesen Personenkreis gesichert werden können. Sie müssen sich vielleicht noch mental daran gewöhnen, dass es sich hier um ein privatisiertes Unternehmen und nicht mehr um ein Staatsunternehmen handelt. ({0}) Ihr Antrag gibt über den konkreten Anlass hinaus Gelegenheit, über grundlegende Fragen zu diskutieren. Wollen wir soziale Marktwirtschaft oder wollen wir Planwirtschaft? Sind Politiker oder Verwaltungen die besseren Unternehmer? Wollen wir entscheiden, was der bessere Standort, der beste Tarif und das beste neue Produkt sind? Da sagen wir als Liberale: Wer die soziale Marktwirtschaft will, kann die letzte Frage nur ganz klar mit Nein beantworten. ({1}) Unsere Aufgabe ist es hingegen, Rahmenbedingungen zu setzen, Frau Kollegin, die es den Unternehmen ermöglichen, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Die Rahmenbedingungen müssen, zum Beispiel durch mehr Wettbewerb, auch dem Wohl der Verbraucher dienen. Hier vertreten wir als Fraktion nach wie vor den klaren Kurs einer umfassenden marktwirtschaftlichen Erneuerung. Diesem Kurs entspricht es auch, die Privatisierung im Telekommunikationsbereich, die insgesamt, vor allem aber auch aus der Sicht der Verbraucher, positiv zu bewerten ist, fortzusetzen. Vergegenwärtigen Sie sich einmal, insbesondere aus der Sicht der Verbraucher, dass ein nationales Ferngespräch, für das die Post Mitte der 90er-Jahre 30 Cent pro Minute kassiert hat, heute beim billigsten Anbieter gerade einmal 1 Cent pro Minute kostet. Bei den zehn wichtigsten Auslandszielen betragen die Entgelte nur noch 3 Prozent des Betrages, den das damalige Staatsunternehmen berechnet hat. In diesem Zusammenhang ist auch Folgendes wichtig: Ein Blick auf die Erwerbstätigenstatistik zeigt, dass es 1995, in dem Jahr der Privatisierung der Telekom, in der IT-Branche 630 000 Beschäftigte gab. Im Jahr 2005 lag diese Zahl bei 750 000. Das ist eine Zunahme um knapp 20 Prozent. Deswegen ist es falsch, sich immer nur auf ein Unternehmen zu fokussieren. Hier muss man eine Gesamtbetrachtung anstellen. ({2}) Diese Fakten sprechen aus unserer Sicht für sich. Sie sprechen aber auch dafür, dass wir grundsätzlich unsere Linie fortsetzen müssen: Der Staat muss sich dort, wo er keine zwingenden öffentlichen Aufgaben zu erfüllen hat, aus der Wirtschaft zurückziehen und darf ihr keine Konkurrenz machen. ({3}) Das heißt aber auch: Wenn ein Unternehmen privatisiert und ein Markt liberalisiert wird, muss das konsequent geschehen. Dann darf es keine Ausnahmen und keine halben Sachen geben. Dann muss wirklich für Wettbewerb gesorgt werden. Deshalb werden wir Liberale darauf drängen, dass die Umsatzsteuerbefreiung und das Briefmonopol der Deutschen Post fallen und dass wir mehr Wettbewerb auf der Schiene bekommen. ({4}) - Herr Barthel, hören Sie gut zu; ich möchte abschließend Helmut Schmidt zitieren. Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Märkte sind wie Fallschirme: Sie funktionieren nur, wenn sie offen sind.“ So einfach ist das. Die Rückkehr zur Staatswirtschaft, die so viel Unheil angerichtet hat, lehnen wir Liberale ebenso ab wie Ihren Antrag. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Martin Dörmann ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihrem Antrag fordert die Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, ihre Strategie zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen zu revidieren. Bevor ich auf das konkrete Thema dieser Debatte, die Telekom, zu sprechen komme, möchte ich zunächst auf diesen allgemeineren Punkt etwas näher eingehen. Er dokumentiert nämlich, dass die PDS wirtschaftspolitisch einen rückwärts gewandten Kurs fährt. Wir sollten das Thema Privatisierung differenziert und nicht ideologisch diskutieren. Es gibt Bereiche der Daseinsvorsorge, insbesondere auf kommunaler Ebene, in denen es unter vielerlei Gesichtspunkten richtig sein kann, an öffentlichen Unternehmen festzuhalten, ({0}) etwa wenn es um die sichere Versorgung mit Wasser, die Organisation der Müllabfuhr, die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs oder eine sozial orientierte Wohnungsversorgung vor Ort geht. Auf diesen Feldern geht es um Güter und Dienstleistungen, für deren unmittelbares Zur-Verfügung-Stellen die öffentliche Hand in einer besonderen Verantwortung steht und bei denen die kommunale Selbstverwaltung gefragt ist. Hier handelt es sich um örtlich begrenzte Bereiche, die sich einem internationalen Wettbewerb nicht stellen müssen. Prinzipiell anders sieht es jedoch bei einigen Unternehmen aus, die sich bisher noch ganz oder teilweise im Eigentum des Bundes befinden und die in einem internationalen, heutzutage sogar oft in einem globalen Wettbewerb stehen. Hier muss sich der Staat in besonderer Weise fragen, welche Aufgaben besser von ihm selbst und welche besser von einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen erfüllt werden können. Die Bundesregierung verfolgt seit vielen Jahren, unterstützt von unterschiedlichen Koalitionen im Parlament, eine konsequente Privatisierungspolitik. Sie orientiert sich dabei an folgenden grundlegenden Zielen: erstens einer effizienten Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft, zweitens der besseren Kapitalausstattung der Unternehmen, drittens - damit verbunden den größeren Möglichkeiten für zukunftsweisende Investitionen und viertens der Schaffung von mehr Marktorientierung und mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Weg war erfolgreich. ({1}) Ehemalige Bundesunternehmen sind heute an in- und ausländischen Börsen notiert und behaupten sich auf den Weltmärkten. Dazu zählen neben der Deutschen Telekom insbesondere Volkswagen, die Lufthansa, Eon und die Deutsche Post AG. Es gibt heute wohl kaum noch jemanden - von der PDS abgesehen -, der behaupten würde, die Privatisierung dieser Unternehmen sei falsch gewesen. Vielmehr haben diese Unternehmen von der Privatisierung profitiert und stehen heute im Markt alles in allem sehr gut da. Und genau darum geht es: die Bedürfnisse des Marktes und der Verbraucherinnen und Verbraucher im Auge zu behalten - und nicht in erster Linie die des Staatsapparates. Durch die Privatisierungspolitik profitiert gleichzeitig der Bundeshaushalt, insbesondere durch die Platzierung von Aktien auf dem Kapitalmarkt. Dieser Privatisierungskurs ist deshalb ordnungspolitisch richtig, wirtschaftlich sinnvoll und bringt haushaltspolitisch Entlastung. Angemerkt sei, dass hierdurch letztendlich zusätzliche Investitionen des Bundes ermöglicht werden, beispielsweise in Bildung, in Forschung und Entwicklung oder auch zum sozialen Ausgleich. Klar ist: Wer diesen Weg der Privatisierung geht, muss dafür in Kauf nehmen, dass er den Einfluss auf unternehmerisches Handeln verliert. Wenn die Unternehmen erfolgreich sind - was bei den bisherigen Privatisierungen der Fall ist -, muss dies jedoch kein Nachteil sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir nun zu der im Antrag konkret angesprochenen Deutschen Telekom AG. Die Privatisierung der Telekom ist zu Recht mit einer Marktöffnung im Bereich der Telekommunikation verbunden gewesen; ihre Monopolstellung wurde bewusst beseitigt. Inzwischen werden die Arbeit der Regulierungsbehörde und die Erfolge dieser Marktöffnung allgemein anerkannt. Seit der Liberalisierung sind beispielsweise die Telefonkosten drastisch gesunken: Heute kann man bei bestimmten Anbietern für 1 Cent die Minute ein Ferngespräch führen oder - gegen einen gewissen Aufpreis, im Rahmen einer Flatrate ohne Verbindungskosten telefonieren oder im Internet surfen. Das freut die Verbraucherinnen und Verbraucher, die für weniger Geld mehr Leistung erhalten. Konkurrenz und sinkende Preise haben für das betroffene Unternehmen nicht nur Vorteile. Gerade die Telekom hat sich einem besonders harten internationalen Wettbewerb zu stellen. Ein Unternehmen, das zuvor eine Monopolstellung hatte, verliert bei einer Marktöffnung zunächst zwangsläufig Marktanteile. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch erwünscht, um Wettbewerb erst zu ermöglichen. Dies lässt sich in den Berichten der Bundesnetzagentur eindrucksvoll nachlesen: So hatte die Telekom an den Gesprächsminuten in Deutschland 1998 noch einen Anteil von 94 Prozent. 2005 waren es nur noch 48 Prozent. An dieser Stelle will ich auch ein Problem offen ansprechen, das zu Beginn der Privatisierung unterschätzt worden ist: Seinerzeit sind die meisten Experten davon ausgegangen, dass der Telekommunikationsmarkt eine dauerhafte Jobmaschine mit ständig wachsender Beschäftigtenzahl ist. Der technische Fortschritt ist jedoch noch rasanter gewesen als erwartet, sodass weniger Menschen für die neue Vielfalt von Diensten und Produkten benötigt werden als angenommen. Zum Ende des Jahres 2004 waren im Telekommunikationsdienstemarkt 225 000 Personen beschäftigt und damit nur unwesentlich mehr als 1998. Die Erwartung, dass die Telekom selbst bei Verlust von Marktanteilen eher mehr Arbeitskräfte braucht, hat sich leider nicht bewahrheitet. Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen Pläne der Telekom zu einem Personalabbau zu diskutieren. Es ist grundsätzlich problematisch, wenn man einzelne unternehmerische Entscheidungen kommentiert. Dennoch möchte ich für die SPD-Fraktion ausdrücklich zum Ausdruck bringen, dass wir hoffen und erwarten, dass sich Konzernleitung und Gesamtbetriebsrat im Rahmen des geplanten Personalabbaus auf ein sozialverträgliches Konzept einigen werden. Nun zu der konkret angesprochenen Entscheidung der Telekom, Callcenterstandorte zu schließen. Ich möchte zunächst einmal hervorheben, dass das Aktienrecht der Bundesregierung keine Möglichkeit gibt, eine Einzelmaßnahme des Unternehmensvorstandes direkt zu beeinflussen - auch wenn der Bund Minderheitsanteile an der Deutschen Telekom hält; von daher läuft die konkrete Forderung im Antrag der Linken ins Leere. Auch aus diesem Grund wird die SPD-Fraktion ihn ablehnen. Worum geht es in der Sache? Die Telekom verfolgt ein Konzept der Zusammenlegung von Callcenterstandorten und damit eine stärkere Zentralisierung dieses Bereiches, in dem insgesamt 15 000 Beschäftigte tätig sind. Durch größere Belegschaften sollen Effizienzgewinne und höhere Qualitätsstandards gesichert werden, wie es bei Konkurrenten zum Teil schon gemacht worden ist. Die von der Verlagerung ihres Standortes betroffenen Beschäftigten erhalten allerdings das Angebot, an einem anderen Standort weiterbeschäftigt zu werden. Das ist natürlich insbesondere in ländlichen Gegenden problematisch, in denen die Entfernung zum nächsten Standort 200 Kilometer oder sogar mehr beträgt; denn es sind insbesondere viele Frauen mit Kindern betroffen, die womöglich auch noch in Teilzeit arbeiten. Ihnen ist ein Ortswechsel mit der Familie oft faktisch nicht möglich. Aus diesem Grunde war das Callcenterkonzept der Telekom zwischen der Konzernführung und dem Gesamtbetriebsrat hoch umstritten. In der letzten Woche konnte aber - das haben Sie unterschlagen - eine Einigung zwischen beiden erzielt werden. Wie wir bereits gehört haben, ist danach nicht mehr, wie ursprünglich geplant, die Schließung von 45 Callcenterstandorten, sondern eben nur noch von 36 vorgesehen; 60 Standorte bleiben erhalten. Ich sage deutlich: Unter den gegebenen Umständen ist das gut für die Beschäftigten und sicher auch ein Erfolg der Verhandlungen des Gesamtbetriebsrates und von Verdi. ({2}) Ich begrüße das ausdrücklich auch im Namen vieler meiner Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich um die Sorgen der Beschäftigten, die ja berechtigt sind, gekümmert und viele Gespräche geführt haben. Unter den gegebenen Umständen sind wir froh, dass eine Einigung erfolgt ist. Sie ist im Interesse der Beschäftigten und des Unternehmens, sie stärkt die Konkurrenzfähigkeit der Telekom und sichert damit Arbeitsplätze langfristig. Wir nehmen dies als ein positives Signal auch für zukünftige Verhandlungsrunden der Tarifpartner. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassen: Die SPD-Fraktion steht zum erfolgreichen Weg der Privatisierung. Weder Parlament noch Regierung können direkt in die Unternehmensstrategie privatisierter Unternehmen eingreifen und sollten das auch nicht. Dennoch gilt: Einen konstruktiven Weg unterstützen wir gerne auch politisch. Deutschland braucht Wettbewerb und eine starke Telekom als unseren globalen Player im Bereich der Telekommunikation und die Telekom braucht marktgerechte Lösungen, mit denen gleichzeitig die Belange der Beschäftigten angemessen berücksichtigt werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Matthias Berninger gibt seine Rede zu Protokoll1). Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/845 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu besteht offenkundig Einvernehmen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2004 ({1}) - Drucksachen 15/5000, 16/909 Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer ({2}) Elke Hoff Paul Schäfer ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache eine halbe Stunde dauern. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe. ({4}) 1) Anlage 2 Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Plenum liegt heute der noch von meinem Amtsvorgänger Willfried Penner erstellte Jahresbericht für das Jahr 2004 zur abschließenden Beratung vor. Wie wir alle wissen, wurde der Bericht inzwischen fortgeschrieben. Vor wenigen Wochen habe ich dem Präsidenten des Deutschen Bundestages den Bericht für das zurückliegende Jahr, also für das Jahr 2005, vorgelegt. Daraus zu schließen, der heute zu beratende Bericht für das Jahr 2004 sei bereits überholt, wäre allerdings verfehlt. Die Rahmenbedingungen für die Bundeswehr haben sich keineswegs verändert. Sie kennen alle wesentlichen Stichworte in diesem Zusammenhang. Um nur die wichtigsten zu nennen: Transformation, Einsatzbelastung und Unterfinanzierung. Auch wenn die Beratungen des Haushalts für das laufende und das kommende Jahr noch nicht abgeschlossen sind, lässt sich schon jetzt sagen: Der Verteidigungsetat wird auf keinen Fall erhöht. Alle Probleme, die sich daraus für die Soldatinnen und Soldaten ergeben, sind im Jahresbericht 2004 angesprochen worden. Ich nenne noch einmal die wichtigsten: Unmut über ausbleibende Beförderungen wegen fehlender Planstellen; Enttäuschung der altgedienten Portepeeunteroffiziere über ihre Benachteiligung im Hinblick auf das Attraktivitätsprogramm; Kritik an unzureichender Einsatzvorbereitung wegen fehlenden Ausbildungsmaterials; kurzfristige Veränderungen bei der Einsatzplanung; Defizite in der persönlichen Ausstattung, auch mit Blick auf die Einsätze; Infrastrukturmängel in den Kasernen, besonders in den alten Bundesländern; Belastungen des Sanitätsdienstes durch Einsatzabstellungen und Handlungsbedarf im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Diese Probleme sind nach wie vor aktuell. Sie waren im Jahr 2004 aktuell, sie sind im Jahre 2005 aktuell gewesen und sie sind auch jetzt aktuell. Sie finden sich naturgemäß deshalb auch in dem jüngsten Bericht, dem Jahresbericht 2005, wieder. Dahinter stehen in der Regel ganz konkrete Sorgen und Nöte Einzelner, die von mir sorgfältig geprüft werden, und zwar mit dem Ziel, Lösungen für die angesprochenen Probleme zu finden. Was die Bundeswehr zunehmend belastet, geht aber über den konkreten Einzelfall hinaus. Es ist die Summe der von den Rahmenbedingungen geprägten Mängel und Defizite, die bei den Soldatinnen und Soldaten Unzufriedenheit und auch Enttäuschung hervorrufen. Aus der Sicht der Soldaten klaffen seit der Neuausrichtung der Streitkräfte Anspruch und Wirklichkeit in der Bundeswehr manchmal weit auseinander, beispielsweise dann, wenn die Notwendigkeit der Beteiligung an internationalen Einsätzen beschworen, der Truppe das dafür notwendige Personal und Material aber nicht immer in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt wird, oder wenn die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten vor dem Hintergrund der Transformation und der Einsätze in höchsten Tönen gelobt werden, dieselben Wehrbeauftragter Reinhold Robbe Soldatinnen und Soldaten aber immer weniger Geld im Portemonnaie haben und auch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung die Armee der Einheit keineswegs einheitlich besoldet wird. ({5}) Anspruch und Wirklichkeit stehen schließlich auch dort nicht miteinander im Einklang, wo Soldaten über Rahmenbedingungen und Ziele möglicher neuer Einsätze im Unklaren gelassen werden. In der so genannten Zentralen Dienstvorschrift 10/1 der Bundeswehr heißt es dazu in klaren Worten: Zu den Zielen der inneren Führung gehört es - ich zitiere -, unter Berücksichtigung ethischer Aspekte politische und rechtliche Begründungen für den soldatischen Dienst zu vermitteln und den Sinn des militärischen Auftrags einsichtig und verständlich zu machen. An diesem Grundsatz müssen sich militärische und politische Führung messen lassen. Aus Sicht vieler Soldaten werden sie diesem Anspruch aber nicht immer gerecht. Die Soldaten fragen stattdessen mich, welchen Sinn beispielsweise ein Einsatz im Kongo macht oder was von einer demokratischen Erneuerung Afghanistans zu halten ist, wenn dort Bürger wegen ihres Glaubensbekenntnisses mit der Todesstrafe bedroht werden. Ich verkenne nicht, dass über diese aktuellen und andere Fragen auch hier im Deutschen Bundestag durchaus konträr diskutiert wird. Aber findet diese Diskussion auch in der Truppe statt? Werden den Soldaten Antworten auf ihre berechtigten Fragen gegeben? Wenn ich Vorgesetzte darauf anspreche, erklären sie mir häufig, es fehle an offiziellen Stellungnahmen des Dienstherrn. Die Kritik ist berechtigt. Auf der anderen Seite: Kann ein Kompaniechef oder ein Kommandeur seinen Soldatinnen und Soldaten nur Rede und Antwort stehen, wenn er sich hinter einer offiziellen Stellungnahme seines Dienstherrn zurückziehen kann? Oder fehlt es an der generellen Bereitschaft, Diskussionen anzunehmen, auch wenn sie in der Sache nicht leicht zu führen sind? Bedeutung und Stellenwert der politischen Bildung und des lebenskundlichen Unterrichts für das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform sind unstreitig. Neufassungen der Zentralen Dienstvorschrift 12/1 - das betrifft die politische Bildung und den lebenskundlichen Unterricht stehen nach langer Vorarbeit kurz vor ihrem Erlass. Gleichwohl kommen interne Erhebungen des Führungsstabes der Streitkräfte zu dem Schluss, dass die politische Bildung und der lebenskundliche Unterricht vor dem Hintergrund der Auftragsdichte oftmals viel zu kurz kommen. Das deckt sich beispielsweise mit Aussagen von Einheitsführern, die mir berichten, dass ihre ursprünglich auf zwei Tage angesetzte politische Weiterbildung in Berlin mangels Zeit und ausreichender Mittel auf einen Tag zusammengestrichen wurde. So darf es - das finde ich jedenfalls - nicht sein. Anspruch und Wirklichkeit: Darum geht es. Sie wieder miteinander in Einklang zu bringen - finanziell wie ideell -, das ist die zentrale Aufgabe, der sich die Bundesregierung und auch das deutsche Parlament aus meiner Sicht verstärkt zuwenden müssen. Das wird mit der Aufforderung an die Bundesregierung zur Prüfung, Erwägung und Beachtung der im Jahresbericht des Wehrbeauftragten enthaltenen Empfehlungen allein natürlich nicht zu schaffen sein. Dazu braucht es weiter gehende Anstrengungen. Eines ist aber sicher: Von dem Erfolg dieser Bemühungen werden die Einsatzbereitschaft und die Motivation der Soldatinnen und Soldaten künftig entscheidend abhängen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich gerne - sicherlich auch in Ihren aller Namen - dem Wehrbeauftragten und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörde für die Vorlage des Berichts und insbesondere für die damit verbundene Arbeit herzlich danken. ({0}) Das Wort hat nun die Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion. ({1})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Wir sprechen heute abschließend über den Jahresbericht 2004 des Wehrbeauftragten. Der nächste Bericht liegt bereits vor. Es ist gut, sehr geehrter Herr Robbe, dass Sie in Ihrem ersten Bericht die klare und deutliche Art Ihres Vorgängers fortsetzen. Die Institution des Wehrbeauftragten hat auch im 50. Jahr ihres Bestehens nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Der Anstieg des Eingabeaufkommens von 20 Prozent in den ersten Monaten des Jahres 2006 ist ein Alarmsignal, dass bei unserer Bundeswehr weiterhin einiges im Argen liegt. Die Kenntnis des neuen Berichts erlaubt es bereits heute, sich weiterentwickelnde Fehlentwicklungen festzustellen. Viele Punkte im Jahresbericht 2004 entwickeln sich zu bedauernswerten Klassikern. Als Beispiel hierfür möchte ich den Beförderungsstau, das Ausufern bürokratischer Einsatzhindernisse, den baulichen Zustand der Kasernen und die Auswirkungen der permanenten Unterfinanzierung der Streitkräfte, die der Wehrbeauftragte sehr treffend als ein permanentes Verwalten des Mangels kritisiert, benennen. In den Eingaben der Soldatinnen und Soldaten drückt sich der ganze Unmut über eineinhalb Jahrzehnte Transformation aus. Die Transformation lebt aber von der Akzeptanz derjenigen, die sie tagtäglich zu vollziehen haben. Wenn dieser Begriff mehr und mehr negativ besetzt wird, kann man ihn irgendwann vergessen. Es geht hier auch um Menschen und nicht nur um Planziele. So sympathisch der Wunsch nach einer Atempause im Transformationsprozess, wie er von Herrn Robbe geäußert wurde, auch ist: Er ist unrealistisch. Wenn die Bundeswehr bis 2010 auch nur annähernd das von ihr angestrebte Personalstrukturmodell mit der neuen Aufgabenverteilung einführen möchte, wird der Transformationsdruck eher noch zunehmen. Deshalb ist die Einsicht des Bundesverteidigungsministers erfreulich, dass die Besonderheiten des Soldatenberufs auch ein eigenes Besoldungsrecht erfordern. Die FDP fordert dies seit Jahren. Der Minister hat offenbar erkannt, dass es einen Unterschied macht, ob der Soldat in Faizabad oder in der Brüsseler EU-Bürokratie seinen Dienst versieht. Wenn Sie hoffentlich in Kürze damit beginnen, das Besoldungsrecht in Ordnung zu bringen, dann sollten Sie auch die Besoldungsunterschiede in Ost und West auflösen. Die Integration einer betrieblichen Alterssicherung insbesondere für die Soldaten auf Zeit würde ebenfalls zu diesen Reformanstrengungen passen. Ich bin mir sicher, dass Sie hierfür eine breite parlamentarische Mehrheit finden werden. Bemerkenswert ist, wie deutlich sich der neue Wehrbeauftragte in den letzten Wochen zu den zunehmenden Belastungen durch neue Auslandseinsätze der Bundeswehr geäußert hat. Er sprach von einer Bundeswehr, die bis zur Oberkante ausgelastet sei. Im Hinblick auf einen möglichen Einsatz deutscher Soldaten im Kongo könne er sich einen Einsatz, der über eine beobachtende Funktion und den Einsatz von wenigen Spezialisten hinausgehe, nicht vorstellen. Die Bundeswehr könne nicht alles und sie sei auch nur sehr beschränkt über ihr derzeitiges Engagement hinaus einsetzbar. Auch seien die Soldatinnen und Soldaten nur schwer davon zu überzeugen, dass ein solcher Einsatz notwendig ist. Ich freue mich, dass Sie diese deutlichen Worte gefunden haben, auch wenn ich der Ansicht bin, dass es hierbei weniger um die Frage geht, ob die Bundeswehr aufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten einen Einsatz im Kongo bewerkstelligen kann. Vielmehr geht es darum, dass die Bundesregierung bis heute nicht plausibel begründet hat, wodurch und inwiefern ein viermonatiger Einsatz von 500 Soldaten im Kongo zu einer dauerhaften Stabilisierung Zentralafrikas führen wird. In einer SWP-Studie vom Februar dieses Jahres werden die Wahlen aus Sicht der zur Wahl stehenden Präsidentschaftskandidaten als „Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“ bezeichnet. Gibt eine solche Einschätzung Anlass zu den allgemeinen Beschwichtigungsversuchen nach dem Motto „Alles wird gut“? Unsere Soldatinnen und Soldaten haben sowohl bei bestehenden Einsatzverpflichtungen als auch bei künftigen einen Anspruch auf ein plausibles Gesamtkonzept mit einer belastbaren Exitstrategie. Fehlt es an einem solchen Konzept, ist ein Einsatz nicht vertretbar. Sowohl in dem vorliegenden Bericht als auch in dem für das Jahr 2005 wird sehr deutlich, wie groß die Belastungen für die Bundeswehr durch die bestehenden Einsatzverpflichtungen sind. Dabei ist das größte Problem, dass häufig die gleichen Soldatinnen und Soldaten in den Einsatz müssen, weil unsere Streitkräfte einfach zu wenige einsatzfähige Soldaten haben. Allmählich sollten die Lehren aus diesem Missstand gezogen werden, bevor über weitere Einsätze außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nachgedacht wird. Ich komme zum Ende. Wir haben keinen Grund, unsere Bundeswehr schlecht zu reden. Wir alle können auf die täglichen Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten stolz sein. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das wäre eigentlich ein schöner Schlusssatz gewesen, Frau Kollegin. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr richtig. Aber Sie wissen, die Frauen haben immer das letzte Wort. ({0}) Wir müssen gemeinsam darauf achten, dass der Bericht des Wehrbeauftragten zu einer Blaupause oder - um einen Begriff des Generalinspekteurs zu gebrauchen - zu einem Living Document der Transformation wird. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Anita Schäfer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! In diesem Jahr blicken wir auf 50 Jahre Wehrbeauftragter zurück. Diese Institution hat sich zum Schutz der Grundrechte der Soldaten vollauf bewährt. Sie gewinnt im Zeichen der Transformation als Frühwarnsystem an Bedeutung. Herr Wehrbeauftragter, Sie haben vor kurzem Ihren ersten Jahresbericht vorgelegt. Wie schon bei Ihrem Vorgänger zeichnet sich der Bericht durch Offenheit, Klarheit und Sachkenntnis aus. Ihnen und Ihren Mitarbeitern danke ich im Namen meiner Fraktion für Ihre wichtige Arbeit. Sie können auf unsere Unterstützung zählen. ({0}) Der Umbau der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee ist zwar sicherheitspolitisch begründet, aber mit einem enormen Veränderungsdruck verbunden. UmstrukturieAnita Schäfer ({1}) rung, Umstationierung und Neuausrichtung der Ausbildung vollziehen sich gleichzeitig zu Planung, Vorbereitung und Durchführung internationaler Kriseneinsätze, sozusagen eine Reparatur am laufenden Motor. Bislang haben unsere Soldaten diesen Spagat gemeistert. Aber der Bericht des Wehrbeauftragten 2004 enthält deutliche Warnsignale. Wir müssen die Risiken der Transformation klar identifizieren und bei Bedarf korrigierend eingreifen. Begründung, Planung und Durchführung von Auslandseinsätzen erfordern das besondere Augenmerk von uns Parlamentariern. Es wäre fatal, wenn internationale Kriseneinsätze der Bundeswehr als Routineangelegenheit wahrgenommen würden. Bundespräsident Horst Köhler hat ein „freundliches Desinteresse“ der Gesellschaft an unseren Streitkräften konstatiert. Das ist ein bedenklicher Vorgang, der mit dem Prinzip einer Parlamentsarmee unvereinbar ist. Zu Recht erwarten die Soldaten von uns Klarheit über den Sinn von Einsätzen. Sie haben es angesprochen, Herr Wehrbeauftragter. Nur wenn ausreichend Klarheit besteht, ist eine breite Zustimmung im Parlament möglich. Diese ist für die Legitimation von Auslandseinsätzen unverzichtbar. Im Mai steht die Abstimmung über einen Kongoeinsatz deutscher Soldaten an. Leider ist es in der politischen Debatte noch nicht gelungen, den Sinn dieses Einsatzes hinlänglich klarzumachen. Wir müssen die deutschen Interessen an einem verstärkten Afrikaengagement klar definieren. Für mich kommt es auf folgende Punkte an: Erstens. Der Staatenzerfall in Afrika ist ein gravierendes sicherheitspolitisches Problem. Neue Rückzugsräume für Terroristen können entstehen. Der Migrationsdruck nach Europa verschärft sich weiter. Ein Einsatz, der zur Stabilisierung im Kongo beitragen kann, ist deswegen auch im deutschen Sicherheitsinteresse. Zweitens. Afrika ist als Nachbarkontinent Europas ein wichtiger Rohstofflieferant und künftiger Markt. Die Ölzentren in Zentral- und Westafrika, die an die Demokratische Republik Kongo angrenzen, werden für die strategische Rohölversorgung des Westens zunehmend wichtig. Das betrifft natürlich auch uns als wichtige europäische Industrienation. Drittens. Ein gesamteuropäisches Kontingent trägt unter dem Gesichtspunkt des Multilateralismus zur Stärkung der Vereinten Nationen bei. Wir unterstützen durch diese Politik die Transformation der EU auf dem Weg zu einem globalen Akteur. Nur wenn deutsche Interessen klar und einsichtig formuliert sind, nur wenn ein breiter sicherheitspolitischer Konsens im Parlament besteht, können unsere Soldaten mit innerer Überzeugung in einen Einsatz gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Auslandseinsätze sind teuer. Allein im Haushaltsjahr 2005 schlugen sie im Verteidigungsetat mit rund 884 Millionen Euro zu Buche. Das Ungleichgewicht zwischen Auftrags- und Mittellage der Bundeswehr ist längst nicht behoben. Umso mehr brauchen wir endlich einen fairen Finanzierungsschlüssel für Auslandseinsätze. Mittlerweile liegen die Schätzungen der Kosten für den geplanten Kongoeinsatz bei über 60 Millionen Euro. Für mich als Mitglied des Verteidigungsausschusses ist nicht einsichtig, diese Lasten einseitig dem Einzelplan 14 aufzubürden. ({2}) Man kann als Außen- oder Entwicklungspolitiker nicht Einsätze der Bundeswehr in Afrika fordern, die finanzielle Bewältigung aber dem Verteidigungsminister überlassen. Hier müssen wir zu einer fairen Lastenteilung zwischen den Ressorts kommen. ({3}) Eine einseitige Inanspruchnahme des Einzelplans 14 schadet der Planungssicherheit der Truppe. Denn diese Gelder fehlen für verteidigungsinvestive Ausgaben. Wir brauchen sie dringend für eine optimale Einsatzausstattung der Bundeswehr. Meine Damen und Herren, das Gros der laufenden Bundeswehreinsätze sind Stabilisierungsmissionen. Sie werden auch in Zukunft das Einsatzprofil der Truppe entscheidend prägen. Doch schon jetzt ist absehbar, dass der Bundeswehr die Spezialisten ausgehen. Ich zitiere aus dem Bericht des Wehrbeauftragten 2004: Immer wieder und verstärkt wiesen Soldaten darauf hin, dass die Möglichkeiten der Spezialisten, namentlich der Fernmelder, des Sanitätspersonals, der Pioniere und auch von Logistikern erschöpft seien … Dieser Trend bestätigt sich auch im Bericht des Wehrbeauftragten 2005. Hier werden explizit die Bereiche operative Information, Sanitätsdienst und Heeresflieger angeführt. Wenn das gegenwärtige Einsatzniveau gehalten werden soll, muss die Personalkonzeption der Bundeswehr entschieden gegensteuern. Hier zeigt sich im Übrigen, wie unverzichtbar die Wehrpflicht für eine nachhaltige Personalplanung der Streitkräfte bleibt. Doch müssen wir zusätzlich kreativ in eine gezielte Nachwuchswerbung und attraktive Karriereplanung investieren. Die genannten Spezialisten sind das Rückgrat globaler Friedenssicherungseinsätze. Meine Damen und Herren, gerade in Auslandseinsätzen beginnt oft ein Nachdenken der Soldaten über Werte, über Sinn und Zweck des Lebens. Umso mehr benötigen sie ein ethisch reflektiertes Berufsverständnis, das ihnen in schwierigen Entscheidungssituationen weiterhilft. Wichtige Wegbegleiter im Einsatz sind die Militärseelsorger, dies nicht nur im Einsatzgebiet selbst, sondern auch in der Heimat, wo sie den Familien mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die Militärseelsorge muss deswegen auch künftig elementarer Bestandteil der Einsatzplanung sein. Die katholische Bischofskonferenz hat jüngst in ihrer Denkschrift „Soldaten als Diener des Friedens“ die Bedeutung der inneren Führung für Auslandseinsätze herausgestellt: Anita Schäfer ({4}) Die lebendige Weiterentwicklung des Konzepts der Inneren Führung ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für die friedensethische Legitimität der Streitkräfte. Dies müsse, so betonen die Bischöfe zu Recht, auch unter multinationalen Einsatzbedingungen Geltung haben. Eine Erosion der inneren Führung in Konkurrenz zu anderen militärischen Führungskulturen wäre für das moralische und politische Selbstverständnis der Bundeswehr ein gravierender Bruch. Hier stehen der Wehrbeauftragte und wir Parlamentarier in einer besonderen Sorgfalts- und Beobachtungspflicht. Unsere Gesellschaft muss sich darüber im Klaren sein, dass - wie der langjährige Generalinspekteur Klaus Naumann formuliert hat - „der Soldat in letzter Konsequenz ein Kämpfer ist“. Diese Eigenschaft unterscheidet ihn von allen anderen Berufen und schließt die Bereitschaft ein, sein eigenes Leben für den Dienst an seinem Land einzusetzen. Das verpflichtet uns nicht nur, elementare Rechte und Schutzbedürfnisse unserer Soldaten zu beachten. Es erfordert auch ein ehrendes Andenken an diejenigen, die ihr Leben im Einsatz lassen mussten. Ich begrüße sehr, dass Verteidigungsminister Dr. Jung die Idee eines zentralen Denkmals in Berlin konsequent verfolgt. ({5}) Ich sehe darin einen wichtigen Beitrag, die gesellschaftliche Diskussion über den Sinn von Streitkräften und die Bedeutung militärischer Friedenssicherung aktiv zu führen. Das sind wir unseren Soldaten schuldig; denn sie sind es, die stellvertretend für uns alle die Risiken künftiger Gefahrenabwehr tragen müssen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Kunert, der ich, bevor sie das Wort erhält, gerne zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren möchte. Alles Gute! ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. Das Alter lassen wir weg. Das würde sowieso niemand glauben. - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Die Bundeswehr ist heute an elf Standorten im Auslandseinsatz. Die Soldatinnen und Soldaten leisten unter schwierigsten Bedingungen ihren Dienst und sie machen ihn gut. Derzeit werden wieder Deiche gebaut und gesichert. Die Bundeswehr soll in den Kongo geschickt werden und nach Auffassung des Verteidigungsministers bei der Fußballweltmeisterschaft zum Einsatz kommen. Ich könnte die Palette fortführen. Die Zeit, die sich das Parlament für die Behandlung der inneren Verfasstheit der Bundeswehr nimmt, steht hingegen in keinem Verhältnis zur gegenwärtig formulierten Anforderung an die Bundeswehr. ({0}) Das 50-jährige Bestehen des Verfassungsinstitutes Wehrbeauftragter findet leider nicht in angemessener Weise Würdigung. Warum sage ich das? Nur Deutschland verfügt über die Institution Wehrbeauftragter. Darauf wurde mit Stolz bereits in der Debatte im Januar hingewiesen. Aber vorgezogene Neuwahlen ließen den Bericht von 2004 in den Hintergrund geraten, obwohl Handlungsbedarf besteht. Die Zahl der von Soldatinnen und Soldaten gemachten Eingaben stieg trotz sinkender Truppenstärke. Die Palette der aufgeführten Vergehen reicht von schlechter Bezahlung über Missbrauch der Befehlsgewalt bis hin zu Rechtsextremismus und Diskriminierung. Diese Vergehen sind keine Einzelfälle und sie sollten uns zu der Erkenntnis bringen, dass es eben nicht ausreicht, jährlich einen Mängelbericht entgegenzunehmen. Wichtig sind die Konsequenzen, die daraus gezogen werden müssen. Wir fordern ein Management, welches kontinuierlich, schnell und wirksam agiert. Versäumnisse können nicht nachträglich geregelt werden, Prävention muss im Vordergrund stehen. ({1}) Der Bundestag muss seine Kontrolle noch effektiver und umfassender ausüben. Die Möglichkeit der unangemeldeten Besuche vor Ort wird viel zu wenig genutzt. Gerade der Verteidigungsausschuss sollte die Arbeit des Wehrbeauftragten unterstützen. Wir fordern ihn auch dazu auf, mehr zu tun. Wir wollen ihn mehr in die Pflicht nehmen, mehrere Berichte mit den nötigen Schlussfolgerungen vorzulegen. Eine Aufzählung von Problemen oder Eingaben reicht uns nicht aus. Dies haben wir auch bei den Beratungen dieses Berichtes im Verteidigungsausschuss klargestellt. So manche Anmerkung im vorliegenden Bericht und in der Beschlussempfehlung könnte schon etwas zackiger formuliert werden. Mir sei folgender Vergleich erlaubt - ich sitze in einem kommunalen Parlament -: In kommunalen Vertretungen wird mit Rechnungsprüfungsberichten verbindlicher umgegangen, als es meinem Eindruck nach hier geschieht. Sehr geehrter Herr Robbe, Sie wissen, unsere Fraktion hat eigene Vorstellungen zur Bundeswehr. Wir sind für die Abschaffung der Wehrpflicht. Wir sind für die Reduzierung der Truppenstärke auf 100 000 Soldatinnen und Soldaten ({2}) und wir sind gegen Auslandseinsätze. ({3}) Aber gehen Sie einmal davon aus, dass wir bei der Umsetzung des Soldatenbeteiligungsgesetzes genau hinschauen werden. Unserer Unterstützung, Herr Robbe, können Sie sich dabei sicher sein. ({4}) Ich finde es im Übrigen ungünstig, dass Sie alle heute da in der letzten Reihe sitzen. Die Rechte der Soldatinnen und Soldaten stehen für uns im Mittelpunkt. Für uns verbietet sich jede Ungleichbehandlung. Wir erwarten von Ihnen, Herr Robbe, dass Sie endlich die systematische Verletzung der gesetzlichen Vorgaben zur Wahrung der Wehrgerechtigkeit aufgreifen. Im letzten Jahr haben nur weniger als 60 000 Wehrpflichtige ihren Grundwehrdienst geleistet. Die Tendenz ist sinkend. Aber fast doppelt so viele leisteten einen Ersatzdienst, der damit längst zum Regeldienst geworden ist. Herr Robbe, Sie nehmen heute zum zweiten Mal Kritiken und Hinweise für einen Bericht entgegen, den Sie nicht selbst geschrieben haben. Auch der Bericht 2005 - das wurde schon gesagt - liegt vor. Die vielen Probleme ziehen sich wie ein roter Faden durch diese Berichte. Ich habe es auch schon im Ausschuss gesagt: Wer von dieser Armee viel verlangt, der muss sie bei den Entscheidungen mitnehmen und muss sie verdammt noch mal auch sehr gut vorbereiten. ({5}) Wir werden Sie sehr unterstützen. Wir erwarten von Ihnen aber auch mehr Eigeninitiative. Die Überprüfung des Ausbildungssystems und die kritische Überprüfung der Militärgerichtsbarkeit sind von Ihren Vorgängern bisher stiefmütterlich behandelt worden. Lassen Sie uns mit diesen Themen beginnen! Ich wünsche uns eine gute und konstruktive Zusammenarbeit. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Rolf Kramer für die SPD-Fraktion.

Rolf Kramer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von dieser Stelle an Frau Kunert noch einmal die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag! Allerdings muss ich Ihnen sagen, Frau Kollegin: Angesichts der deutschen Geschichte und der deutschen Militärgeschichte bin ich froh darüber, dass wir keine zackige Armee mehr haben und auch keinen zackigen Wehrbeauftragten haben. Auch in diesem Bericht geht der Wehrbeauftragte auf die gesundheitliche Beeinträchtigung jener ehemaligen Soldaten und Beamten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee ein, die während ihrer Tätigkeit ionisierender Strahlung ausgesetzt waren. Ich will den Schwerpunkt auf diesen Aspekt legen. Bei vielen Betroffenen haben sich aufgrund der Strahleneinwirkung Krebserkrankungen entwickelt. Eine große Anzahl der Erkrankten ist inzwischen verstorben. Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages beschloss im Juni 2002 die Einsetzung der Radarkommission, die sich mit dieser Problematik intensiv befasste. Nach Vorlage des Berichts der Radarkommission sagte die Bundeswehr zu, die Empfehlungen der Kommission eins zu eins umzusetzen. Dieses Vorgehen wurde vom Verteidigungsausschuss im September 2003 befürwortet. An dieser Stelle möchte ich mich insbesondere bei dem damaligen Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für das außerordentliche Engagement bedanken. Der gleiche Dank gilt den Angehörigen des Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter, ohne deren Mitwirken wir nicht so weit gekommen wären. ({0}) Insgesamt haben 2 633 Soldaten und Beamte aus der Bundeswehr und der NVA einen Antrag auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung gestellt, von denen inzwischen 575 positiv beschieden wurden. Nachdem es aus Sicht des Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter bei der Bearbeitung von Versorgungsfällen aufgrund unterschiedlicher Interpretationen zu unverständlichen Entscheidungen gekommen war, vereinbarten das Verteidigungsministerium und der Bund zur Unterstützung Radargeschädigter, solche Probleme an einem runden Tisch zu beraten. Der runde Tisch nahm seine Arbeit im Dezember 2004 auf. Dieses für die Bundesrepublik bisher einmalige Dialogverfahren ist positiv zu bewerten und hat in mehr als 17 Fällen zum Erfolg geführt. Viele der negativ beschiedenen Antragsteller haben inzwischen von ihrem Recht Gebrauch gemacht und den Klageweg beschritten. Das Sozialgericht in Landshut bezieht sich in der Würdigung einer Klage wegen der Radarstrahlenproblematik ausdrücklich auf die Empfehlungen der Radarkommission und schlägt deshalb einen Vergleich vor. In einer Stellungnahme vom 9. Februar dieses Jahres führt die Wehrbereichsverwaltung West dazu aus: Die 17 Mitglieder der ({1}) Kommission gehörten entsprechenden wissenschaftlichen Disziplinen an. Sie ahnen, was jetzt kommt. Ein Jurist war nicht beteiligt, so dass die Verfahrensvorschläge demnach nur für den technischen und medizinischen Fachbereich erfolgten. Es kommt aber noch besser. In einer Schlussfolgerung kommt die Wehrbereichsverwaltung zu dem Ergebnis: Der ({2}) Bericht hat keine rechtliche Verbindlichkeit. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine glatte Umkehr der bisherigen Verfahrensweise. Dem Leiden der Betroffenen wird man damit in keiner Weise gerecht. ({3}) Zu fragen ist auch, ob die gemeinsame Erklärung des Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter und des Verteidigungsministeriums sowie der eindeutige Wunsch des Verteidigungsausschusses hier nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden. ({4}) Auch die eindeutige Position des Bundesgesundheitsministeriums im Rundschreiben vom 20. Oktober 2003 wird in ihr Gegenteil verkehrt. In dem Rundschreiben heißt es: Da in Folge der besonderen Sachlage die Exposition ({5}) im Einzelfall nicht mehr ermittelbar ist, unterstellt das Bundesministerium der Verteidigung … die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Strahlenexposition und bösartiger Erkrankung. Die Frage einer Kannversorgung stellt sich deshalb in diesen Fällen nicht. Es muss also versorgt werden. So weit und so eindeutig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann im Interesse der Betroffenen nur hoffen, dass wir es hier mit dem Übereifer von wenigen Beschäftigten der Wehrbereichsverwaltung zu tun haben und nicht mit einer Kehrtwendung in der Angelegenheit insgesamt. Die Verantwortlichen bleiben aufgefordert, schnellstens zu der ursprünglichen Verfahrensweise zurückzukehren. Noch ein weiterer Aspekt verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung. Wie der Wehrbeauftragte bin auch ich der Meinung, dass man die Frage der Einrichtung einer Stiftung noch einmal intensiv prüfen sollte - ob speziell für die Strahlenopfer oder für Härtefälle im Bereich des Verteidigungsministeriums allgemein, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Ich denke, die Sachlage ist es wert, geprüft zu werden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2004 ist von uns äußerst spät auf die Tagesordnung gesetzt worden. Ich will die Gelegenheit nutzen, nach der Vorgabe des neuen Wehrbeauftragten auch den Jahresbericht 2005 gebührend zu berücksichtigen. Es ist schon festgestellt worden, dass dieser Bericht - dieser Feststellung kann ich mich sehr anschließen; das war auch ein Merkmal des vorherigen Wehrbeauftragten und wird bei dem neuen noch deutlicher - eine sehr klare, deutliche und ungeschminkte Sprache enthält, die wir gerade bei dieser Institution sehr gebrauchen können. Hilfreich ist auch, dass im Jahresbericht 2005 an einzelnen Stellen Anmerkungen zur Dimension des Problems zu finden sind, wo deutlich wird, dass es nicht um Einzelfälle geht und dass es eine erhebliche Dunkelziffer gibt. Das ist hilfreich, um die Vorkommnisse entsprechend einordnen zu können. Insgesamt muss ich sagen, dass sich das, was im Vorjahr schon beunruhigend war, jetzt verschärft hat. In diesem Jahr wird das Amt des Wehrbeauftragten 50 Jahre alt. Wir können feststellen, dass dieses Amt für die Streitkräfte in Rechtsstaat und Demokratie ein Leuchtturm ist und für gelebte innere Führung ({0}) sowie angemessene und menschenwürdige Arbeitsbedingungen der Bundeswehrangehörigen unverzichtbar ist. Deshalb mein Dank nicht nur an diese Institution insgesamt, sondern auch an diejenigen Frauen und Männer, die dieses Amt immer sehr lebendig ausgefüllt haben und heute ausfüllen. Einige Mängel waren in dem Bericht 2004 sehr deutlich angesprochen worden. Sie existieren, zum Teil verstärkt, ebenso im Bericht des Jahres 2005. Dabei geht es auch um Mängel, die von oberen Ebenen verursacht sind, also nicht einfach nur um Fehlverhalten von Einzelnen. Ich möchte einige Mängel schlaglichtartig ansprechen: die Situation der Infrastruktur, der Unterkünfte; immer wieder werden unhygienische Verhältnisse angesprochen. Immer wieder gibt es auch Klagen von Grundwehrdienstleistenden, dass sie die Erfahrung machen, dass sie praktisch nicht gebraucht werden. Das ist verwunderlich angesichts der Tatsache, dass nur noch 10 Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs ihren Grundwehrdienst ableisten - man muss sich einmal vorstellen, dass es für diese nicht genug zu tun gibt -, und angesichts der Tatsache, dass die große Koalition die offensichtliche Fiktion von der Wehrpflicht durch vollmundige Bekenntnisse zu dieser zu verklären versucht. ({1}) Das dritte Dauerproblem ist schließlich die seit vielen Jahren völlig unzureichend umgesetzte Soldatenbeteiligung. Es werden im Bericht vier Hauptsorgen genannt: steigende Belastung durch Einsätze und Bereitschaften, erhebliche Verunsicherung durch den Transformationsprozess, reale Besoldungskürzungen und abnehmendes öffentliches Interesse. Auf zwei Punkte möchte ich noch kurz eingehen. Es ist regelrecht alarmierend, dass ältere Unteroffiziere mit Portepee im so genannten Beförderungsstau stecken. Es wird berichtet, dass die Verbitterung sehr groß ist. Der Wehrbeauftragte unterstützt die Forderung des Bundespräsidenten, dass die überfällige, breit angelegte Debatte über die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik inklusive Bundeswehr endlich begonnen wird. Diese Forderung ist sehr richtig und verdient unser aller Unterstützung. ({2}) Wir müssen aber feststellen, dass diese Forderung zwar schon seit Jahren erhoben wird, dass sie aber folgenlos geblieben ist. Warum ist das so? Die Betroffenheit nimmt ab; das liegt auf der Hand. Daneben gibt es Berührungsängste, die bewirken, dass manches heiße Eisen nicht angefasst wird. Außerdem ist die Neigung zur Konsenspolitik gerade in Sachen Bundeswehr sehr stark. Schließlich gibt es bei der Exekutive gerade in Bezug auf die internationale Politik - ich will Ihnen, Herr Minister, das jetzt gar nicht unterstellen; ich kenne das aus eigener rot-grüner Erfahrung - ein sehr großes Interesse an Handlungsfreiheit. Das alles wirkt einer solchen Grundsatzdebatte entgegen. Herr Minister, Sie haben angekündigt, dass vor der Sommerpause das Weißbuch vom Kabinett verabschiedet werden und dass es danach eine breite Debatte geben soll. Ich meine, dies ist eine Illusion. Denn vor der Sommerpause gibt es ein paar Tage eine Medienreaktion auf die Veröffentlichung des Weißbuchs und dann versandet die Diskussion. Es wird so laufen wie 2003 bei der Debatte über die Verteidigungspolitischen Richtlinien und wie 2000 bei der Debatte über die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission. Mein Vorschlag ist daher: Bringen Sie das Weißbuch vor der Sommerpause sozusagen in erster Lesung durch das Kabinett. ({3}) Das wäre dann Ihr Aufschlag. So könnte man mit der Debatte fortfahren. Die Voraussetzungen für eine gründliche Debatte sind heutzutage so gut wie nie zuvor. Denn die Fraktionen sind insgesamt sehr gut aufgestellt. Es wäre im Sinne der Bundeswehrangehörigen, der interessierten Öffentlichkeit, des Bundespräsidenten und des Wehrbeauftragten, wenn dieses Ansinnen von allen Fraktionen gebührend unterstützt würde. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da der Jahresbericht 2005 des Wehrbeauftragten bereits vorliegt, erlaube ich mir, einige Parallelen zu ziehen. In dem Jahresbericht 2005 des Wehrbeauftragten ist zu lesen, dass es 147 Fälle von Rechtsextremismus in der Truppe gab. Das ist ein Anstieg um 10 Prozent gegenüber 2004. Die Vorkommnisse gab es in allen Bereichen. 5 Prozent der Fälle geschahen in Offizierskreisen, also bei den Personen, die bei der Erziehung der Soldaten eigentlich Vorbild sein sollten. 2004 gab es in der Bundeswehr 44 Todesfälle mit Verdacht auf Selbsttötung. In den Jahren davor gab es ähnlich hohe Zahlen. Erfreuliches meldet der Jahresbericht 2005, über den wir noch zu reden haben. Das Wort „Selbsttötung“ kommt darin nicht vor. Entweder gab es keine - was im Vergleich zu den Vorjahren ungewöhnlich wäre - oder die Zahlen wurden uns schlicht vorenthalten. Hierzu wird es sicherlich weitere Information geben. Bei der Ost- bzw. der Westbesoldung wird in beiden Berichten mit fast den gleichen Worten festgestellt, dass die Soldaten, die in den neuen Bundesländern eingesetzt werden, nur 92,5 Prozent der Bezüge ihrer Kameraden aus den alten Ländern erhalten. Eine ungleiche Besoldung in Ost und West ist ungerecht. Das ist politisch zu lösen. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe, dem ich für seinen Bericht danke, hat im Vorwort des Berichtes 2005 in beachtlicher Offenheit darüber geschrieben, dass ein Oberstleutnant in Kabul im November 2005 sein Leben bei einem heimtückischen Anschlag verloren hat. Herr Robbe kannte den Mann persönlich als fachkundigen und engagierten Menschen. Sein Tod führte ihm vor Augen, welche Gefahren und Risiken die Auslandseinsätze für Angehörige der Bundeswehr bergen. Mir selbst führte dieser tragische Tod vor Augen, welchen zukünftigen Gefahren und Risiken die Bundeswehrsoldaten bei den kommenden Auslandseinsätzen ausgesetzt sind. Es darf niemals Normalität werden, dass Bundeswehrsoldaten in Auslandskriegseinsätze geschickt werden. ({0}) Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben klargestellt, dass die Bundeswehr eine Verteidigungsarmee ist. Seit Anfang der 90er-Jahre wird Verteidigung so ausgelegt, dass Bundeswehrsoldaten global-strategische Interessen bedienen. Dies halte ich für verfassungswidrig. Minister Jung fordert eine Änderung des Grundgesetzes, damit die Bundeswehr noch leichter für Profitinteressen eingesetzt werden darf. Man darf aber nicht die Verfassung der Realität anpassen, wie er es fordert. Vielmehr hat sich die Realität nach der Verfassung zu richten. Diese Bundesregierung täte gut daran, sich an der Initiative Bill Clintons zu beteiligen und den Menschenrechtsorganisationen bei der Lösung von weltweiten Konflikten Vorrang zu geben. Deutschland sollte öfter seine zivile Visitenkarte abgeben und die militärische nicht zum Aushängeschild machen. ({1}) Dann werden wir auch keine Toten mehr bei Auslandseinsätzen zu beklagen haben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Hedi Wegener, SPDFraktion. ({0})

Hedi Wegener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn der 2005er-Bericht schon mehrfach erwähnt wurde: Wir diskutieren heute über den Bericht von 2004. Herr Minister und Herr Wehrbeauftragter, es tut mir Leid: Sie müssen sich Ihre Lorbeeren erst noch verdienen. Wir werden die Arbeit des neuen Wehrbeauftragten im Zusammenhang mit dem Bericht 2005 auf den Prüfstand stellen. Heute geht es um den Bericht von 2004. Ich will mich in meinem Beitrag auf einen Punkt beschränken. Das ist die Frage der Sinnhaftigkeit der Einsätze, die sich die Soldatinnen und Soldaten immer wieder stellen. Immer wieder geht es - auch gerade jetzt bei einem möglichen Einsatz im Kongo - um den Sinn der Auslandseinsätze. Im Bericht des Wehrbeauftragten wird darauf hingewiesen, dass diese Frage in den Reihen der Bundeswehr immer stärker diskutiert wird. Wir haben im Moment 7 416 Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen. Das bedeutet, dass rund 30 000 Soldatinnen und Soldaten vorbereitet, nachbereitet und ausgebildet werden. Sie sind in Afghanistan, im Kosovo, in Bosnien, im Sudan, in Äthiopien, am Horn von Afrika und in Georgien im Einsatz. Im Bericht des Wehrbeauftragten wird darauf hingewiesen, dass vonseiten der Soldatinnen und Soldaten immer häufiger die Frage nach dem Sinn ihres Tuns gestellt wird. Auch in der Stellungnahme des BMVg wird darauf hingewiesen, dass sich die Frage anders darstellt als in früheren Zeiten. Was heißt jetzt „anders“? Viele Soldaten fragen sich: Stimmt mein Einsatzauftrag mit dem, was ich hier tue, eigentlich überein? Bei einem wiederholten Einsatz - möglicherweise im gleichen Land stellen sie sich die Frage: Hat sich eigentlich etwas verändert? Hat es eigentlich etwas gebracht, dass ich hier war? Hat unser Einsatz dem Land eigentlich einen Fortschritt gebracht? Haben die Menschen eigentlich etwas von dem Einsatz? Das Prinzip der inneren Führung will den selbstständig denkenden Staatsbürger in Uniform. Mitdenken kann er aber nur, wenn er die Rahmenbedingungen seines Auftrages kennt. Die politische Bildung in der Bundeswehr ist verstärkt worden und passt sich den heutigen Situationen an. Das neue Aufgabenspektrum unserer Streitkräfte stellt auch die politische Bildung vor neue Herausforderungen. Ich habe heute wieder von Ihnen vernommen, dass die Überarbeitung der Zentralen Dienstvorschrift ZDv 12/1 wirklich bald abgeschlossen sein soll. Ich habe einen Hinweis an die Haushälter, die jetzt hier zuhören: Es kann doch nicht sein, dass die Mittel für die politische Bildung gestrichen werden und wir gleichzeitig, gerade von der Bundeszentrale für politische Bildung, ein Mehr an Aktivität verlangen. Die politische Bildung begleitet die Soldaten vor dem Einsatz, während des Einsatzes und im letzten Schritt nach dem Einsatz, um die Differenzen, die es gegeben hat, aufzudecken. Ich habe schon im Januar gesagt - ich möchte es noch einmal betonen -, dass die Bundeszentrale für politische Bildung mit der Bundeswehr kooperiert und es deshalb in dem Bereich eigentlich überhaupt keine Kürzungen geben darf. Es geht darum, dass der Beitrag, den die Soldatinnen und Soldaten zur Sicherung von Frieden und Freiheit leisten, auch der Bevölkerung nahe gebracht wird, dass er gewürdigt und publiziert wird. Das heißt, politische Bildung wirkt in zwei Richtungen: zum einen im Inneren der Bundeswehr, zum anderen nach außen, in der Gesamtbevölkerung. Vorhin haben viele Jugendliche auf der Tribüne Platz genommen. Inzwischen hat das Publikum gewechselt. Ich empfehle Ihnen, falls Sie mehr über das Thema wissen wollen, unter www.wehrbeauftragter.de nachzuschauen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 2004 des Wehrbeauftragten, Drucksachen 15/5000 und 16/909. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Dem Solidarsystem eine stabile Grundlage geben - für eine nachhaltige Finanzierungsreform der Krankenversicherung - Drucksache 16/950 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegin Birgitt Bender, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Struck hat das Schicksal der großen Koalition an das Zustandekommen einer Gesundheitsreform geknüpft. Da mag er Recht haben. Es ist in der Tat ein Test auf Ihre Politikfähigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition, ich sage Ihnen: Ein guter Anfang ist nicht gemacht. Was hören wir nämlich heute? Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis! Das ist das Motto, dem Sie jetzt folgen. ({0}) Was hört man sonst noch? Es gebe bereits ein bisschen Einigkeit. Auch das lässt nichts Gutes hoffen; denn die Einigungslinie, die sich abzeichnet, ist offenbar: Mehr Geld muss her! Deswegen gibt es geradezu einen Überbietungswettbewerb in Sachen Geldquellen: Die einen sprechen von einer Steuererhöhung namens Gesundheitssoli, die anderen wollen eine Kopfpauschale auf die Beiträge der Versicherten draufsatteln. Wieso sehen wir bereits im nächsten Jahr ein größeres Defizit in der GKV vor uns? Schauen wir es uns einmal an. Das Defizit ist im Wesentlichen hausgemacht. Die große Koalition hat beschlossen, den Steuerzuschuss für versicherungsfremde Leistungen in Höhe von mehr als 4 Milliarden Euro, den wir einmal gemeinsam - RotGrün mit der Union - beschlossen hatten, aufzuheben. Außerdem belasten Sie die gesetzliche Krankenversicherung mit einer höheren Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Schließlich haben Sie beschlossen, die Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslose herabzusetzen. Das alles macht ein Defizit von mehr als 5 Milliarden Euro aus. Ich nenne das ein „steinbrücksches Raubrittertum“ zulasten der gesetzlich Versicherten. Das gehört sich nicht. ({1}) Bei der Gesundheitsreform geht es auch nicht um frisches Geld, wenngleich ich weiß, dass sich viele Leistungserbringer darüber freuen würden. Es geht um nachhaltige Finanzierung. Wir alle wissen doch, dass eine Gesundheitsversorgung, die in ihrer Finanzierung allein auf den Arbeitseinkommen aufbaut, in die Zukunft hinein nicht tragfähig ist. Deswegen brauchen wir Beiträge auch auf andere Einkommen, deren volkswirtschaftliche Bedeutung zunimmt. Eine ernsthafte Reform muss auch einen einheitlichen Versicherungsmarkt und einen echten Wettbewerb zwischen den Krankenkassen - seien sie gesetzlich oder privat - schaffen. Ich erinnere daran, dass die Niederländer diese Trennung, die sie auch noch hatten, jüngst abgeschafft haben. Wir drohen also zu den letzten Mohikanern in Europa zu werden; das sollten wir uns nicht leisten. ({2}) Aber wenn es denn so ist, meine Damen und Herren von der großen Koalition, dass die CDU/CSU das nicht mitmacht, dann sollte es jedenfalls eine Beteiligung der privat Versicherten am Solidarausgleich geben. Nun hat der Kollege Pofalla von der CDU dieser Tage ebendies abgelehnt mit der Begründung, die höheren Rechnungen, die die privat Versicherten beglichen, trügen erheblich zur Stabilität des Systems bei. Da kann ich nur sagen: Er hat in der Sache Unrecht. Wenn die privat Versicherten mit ihren höheren Arzthonoraren zu etwas beitragen, dann ist das - das hat jüngst eine Studie gezeigt - vielleicht die Überversorgung am Starnberger See, aber nicht das Bedürfnis der Kranken etwa in der Uckermark oder in den Problemzonen der Großstädte. Deswegen brauchen wir eine regelhafte und transparente Einbeziehung der privaten Krankenversicherung in den Solidarausgleich, und zwar so, dass das Geld bei den Menschen ankommt, die die Versorgung brauchen. Das ist eine der Mindestanforderungen, die wir Ihnen heute mit unserem Antrag mit auf den Weg geben. ({3}) Bitte denken Sie daran: Eine Gesundheitsreform, die nicht rationalen Erwägungen, sondern nur denen der politischen Gesichtswahrung folgt, ist auch dann gescheitert, wenn sie zustande kommt. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl Lauterbach, SPD-Fraktion.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich zunächst einmal für die einleitenden Ausführungen von Frau Bender ganz herzlich bedanken. Ihr Beitrag erweckt den Eindruck, es ginge in der Gesundheitspolitik ohne die Mithilfe der Grünen nicht mehr weiter. ({0}) Ich glaube, dass es an uns ist, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken und in den nächsten Monaten den Beweis dafür zu erbringen, dass dieser Eindruck nicht täuscht, Frau Bender. ({1}) Trotzdem muss ich mit einem Lob starten. Es ist in der Tat richtig: Der Antrag bringt die Probleme des Systems auf den Punkt. Es werden vier Problemkreise ausgemacht, die ohne Wenn und Aber die dominierenden Probleme des Systems sind. Erstens. Die Finanzierungsbasis ist ungerecht. Ein Solidarsystem, an dem sich ausgerechnet die Einkommensstärksten, diejenigen mit einem sicheren Arbeitsplatz, die Beamten, die gut verdienen, viele Kollegen hier im Haus, nicht beteiligen, verdient den Namen „Solidarsystem“ nicht. Das Finanzierungssystem ist somit ungerecht. Zweitens. Die Finanzierung ist nicht nachhaltig; auch das ist richtig. Die Beiträge sind an Löhne und Gehälter gekoppelt. Löhne und Gehälter finanzieren das System ausschließlich und wachsen nicht so schell wie das Bruttoinlandsprodukt. Somit hinkt die Finanzierungsbasis der Ausgabenentwicklung hinterher. Das führt zu stetig steigenden Beitragssätzen. Drittens. Dieses nicht nachhaltige System ist auch noch schädlich für den Arbeitsmarkt. Weil die Finanzierungsbasis nicht so schnell wächst wie die Ausgaben, müssen die Beitragssätze ständig steigen. Das belastet den Arbeitsmarkt. Insbesondere in den neuen Bundesländern fallen dadurch Arbeitsplätze weg. Viertens. Wir haben zu wenig Wettbewerb. Wir haben zu wenig Wettbewerb im System der privaten Krankenversicherung, im System der gesetzlichen Krankenversicherung und auch zwischen den beiden Systemen. Alle vier Probleme sind somit korrekt benannt. Als Lösungsvorschlag wird hier im Großen und Ganzen das Modell der Bürgerversicherung vorgeschlagen, so wie die SPD es entwickelt hat. Es gibt zwar einige Abweichungen. Im Großen und Ganzen ist es aber identisch mit dem SPD-Modell. Ich gehe den Vorschlag einmal durch: Es wird vorgeschlagen, andere Einkommensarten einzubeziehen. Das ist kein schlechter Vorschlag. Die privaten Krankenversicherungen sollen in den Risikostrukturausgleich einbezogen werden. Auch das ist ein alter SPD-Vorschlag. Der Morbi-RSA soll eingeführt werden. Dazu haben wir schon einen konkreten Umsetzungsvorschlag entwickelt. Die Mitversicherung der Kinder soll nicht strittig gestellt werden. Das schlägt derzeit niemand vor. Es wird vorgeschlagen, mehr Wahlmöglichkeiten im System zu schaffen. Auch das ist kein schlechter Vorschlag. Ich muss aber feststellen: Es kommen keine neuen brauchbaren Vorschläge hinzu. Mein Eindruck ist, dass den Grünen, seit wir nicht mehr zusammenarbeiten, keine neuen Vorschläge zur Gesundheitspolitik eingefallen sind. ({2}) - Dass die Vorschläge gut sind, bestreite ich nicht. Ich sage nur, es sind unsere guten Vorschläge, nicht Ihre. ({3}) Wie soll es weitergehen? Das reicht für einen ernst zu nehmenden Antrag bei weitem nicht aus. Die Frage ist doch nicht, ob beispielsweise die anderen Einkommensarten mit herangezogen werden sollen, sondern wie das geschehen soll. Dazu sagt der Antrag nichts aus. ({4}) Wir stehen in der Entwicklung einer historischen Gesundheitsreform. Frau Bender, Ihr Antrag bringt aber noch nicht einmal einen kritisierbaren Vorschlag dazu, wie die anderen Einkommensarten berücksichtigt werden sollen. Es wird vorgeschlagen, die privaten Krankenversicherungen in den Risikostrukturausgleich einzubeziehen. Das ist ein nobler Vorschlag. Sie machen aber keine Angaben dazu, wie das passieren soll. Geht es um die Versicherungen selbst oder sollen sich die Versicherten am Risikostrukturausgleich beteiligen? ({5}) - Nein, aber Sie müssen doch ein bisschen über das hinausgehen, was wir schon hatten. Ich sehe keine Ansätze. ({6}) Beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich sind wir schon weiter. Das Bundesministerium für Gesundheit hat einen ganz konkreten Gruber-Vorschlag unterbreitet, wie der Morbi-RSA funktionieren kann. ({7}) Dazu finde ich in Ihrem Antrag keine Äußerung. Neu in Ihrem Antrag ist lediglich Ihr Vorschlag - es ist wenig Neues zu entdecken -, dass die Ehefrauen, die keine Kinder erziehen und nicht pflegen, nicht weiter beitragsfrei mitversichert werden sollen. Ich bitte, noch einmal darüber nachzudenken, ob das wirklich sozial ist. Viele dieser Ehefrauen haben früher Kinder erzogen oder gepflegt. Es gibt heutzutage nur wenige junge Ehefrauen, die, im Sinne einer Luxusehefrau, keine Kinder erziehen und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Wir müssen also vorsichtig sein, dass wir nicht diejenigen bestrafen, die früher in Familie investiert haben. Der einzige neue Aspekt, den ich in Ihrem Vorschlag erkennen kann, ist, zumindest in dieser undifferenzierten Form, nicht umsetzbar. Ich komme zu den Wahlmöglichkeiten. Sie wollen mehr Wahlfreiheiten und mehr Wettbewerb. Das kann ins Auge gehen, wenn man nicht vorsichtig ist. Wenn man darunter versteht - so wird es von der FDP oft vorgeschlagen -, dass die Gesunden Leistungen, die sie nicht brauchen, abwählen können, werden diese Leistungen für die Kranken nur umso teurer. Das ist ein Schritt in die falsche Richtung. Das ist eine Abwahl von Solidarität. Auf diese Wahlmöglichkeiten können und sollten wir jederzeit verzichten. ({8}) Ich glaube, ich kann zu diesem Antrag Stellung nehmen, ohne meine Redezeit voll auszuschöpfen. ({9}) In der Summe kann man sagen, dass die Aspekte, die aus dem alten Solidarmodell der Bürgerversicherung aufgegriffen wurden, zu belobigen sind; neue Ideen sind Ihnen aber nicht gekommen. Ich bin ganz sicher, dass wir gemeinsam mit der Union, in der großen Koalition, unbürokratische Vorschläge zur konkreten Gestaltung eines nachhaltigen, gerechten und solidarischen Gesundheitssystems erarbeiten werden, die wir Ihnen in Kürze unterbreiten können. Diese Vorschläge werden die folgenden Fragen beantworten: Wie kann in unserem Gesundheitssystem Wettbewerb praktiziert werden? Wie kann es Solidarität stärken? Wie kann dieses System nachhaltig finanziert werden, ohne dass es den Arbeitsmarkt belastet? Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Lauterbach, das war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre weitere Arbeit! ({0}) Nun erteile ich das Wort Kollegen Daniel Bahr, FDPFraktion. ({1})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Professor Lauterbach, auch ich gratuliere Ihnen im Namen der FDP zu Ihrer ersten Rede. Wir freuen uns, dass wir nun die inhaltliche Auseinandersetzung über den richtigen Weg, der in Deutschland in der Gesundheitspolitik eingeschlagen werden muss, als Politikerkollegen im Plenum des Deutschen Bundestages führen. Vor welchen Problemen stehen wir in der Gesundheitspolitik? Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist an den Lohn gekoppelt. Steigende Gesundheitsausgaben führen zu steigenden Krankenkassenbeiträgen, was die Arbeitsmarktlage wiederum erheblich verschlechtert und so zu steigender Arbeitslosigkeit führt. Das wiederum verteuert die Ausgaben im Gesundheitswesen und führt zu Beitragsverlusten, sodass wir in eine Spirale geraten. Wir erleben, wie die Kopplung an den Lohn dazu führt, dass sowohl der Arbeitsmarkt belastet wird als auch das Geld in der gesetzlichen Krankenversicherung fehlt. Das zweite Problem, vor dem wir stehen, ist die demografische Entwicklung, die wir heute allerdings noch nicht spüren. Das Hauptproblem der gesetzlichen Krankenversicherung ist zurzeit die massive Arbeitslosigkeit, die die Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen mindert. Das große Problem der alternden Bevölkerung - immer mehr Ältere gegenüber immer weniger Jüngeren - steht uns noch bevor. Dafür müssen wir endlich eine Lösung finden. Für beide Probleme, sowohl für das Problem des Arbeitsmarktes als auch für das demografische Problem, bietet die Bürgerversicherung, wie sie die Grünen hier vorschlagen, keine Lösung. ({0}) Wenn Sie, liebe Frau Bender, in Ihrem Antrag sagen, dass die GKV ein „im Grundsatz leistungsfähiges und in der Bevölkerung breit akzeptiertes Sozialsystem“ ist, dann kann ich Ihnen nur entgegnen, dass wir die gesetzliche Krankenversicherung seit Jahren nur dadurch am Leben erhalten, dass ein Kostendämpfungsgesetz das andere jagt. ({1}) - Sie haben doch die umfangreichsten Kostendämpfungsgesetze gemacht. Ich will aber gar nicht behaupten, dass Schwarz-Gelb nicht auch einmal Fehler gemacht hat. Das letzte, das Arzneimittelspargesetz, war auch nichts anderes als ein Kostendämpfungsgesetz. Das heißt, wir wissen, dass uns die Beitragseinnahmen fehlen. Wir wollen das Problem lösen, indem wir versuchen, aus dem System heraus noch Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen, bzw. indem wir mit Budgetierung und Rationierungsentscheidungen immer weiter auf die untere Ebene gehen. Deswegen kann man nicht sagen, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei den Herausforderungen, vor denen sie steht, ein im Grundsatz leistungsfähiges System ist. Die erste Forderung muss doch sein: Wir brauchen eine Finanzierung des Gesundheitswesens abgekoppelt vom Lohn, damit wir endlich einen Beitrag für den Arbeitsmarkt leisten, aber eben nicht mit weiter steigenden Krankenkassenbeiträgen oder Kostendämpfungsgesetzen. Wir müssen eine andere Finanzierung finden, die von der alleinigen Finanzierung über den Lohn losgelöst ist. Die Bürgerversicherung löst diese Probleme auch nicht. Die Bürgerversicherung wird nur kurzfristig Mehreinnahmen bringen, weil zusätzliche Geldquellen erschlossen werden. Wenn Sie auf Sparzinsen und Kapitalerträge Beiträge erheben, haben Sie kurzfristig ein bisschen mehr Geld. Aber das bedeutet, dass das Finanzamt den Krankenkassenbeitrag einzieht, dass das Finanzamt sich darum kümmert, wie die Gelder für die Krankenkassen zusammen kommen. Wollen wir, dass das Finanzamt sich darum kümmert, dass die Gelder die Krankenkassen erreichen? Es ist ja richtig: Wir müssen die Lohngebundenheit abschaffen. Und es ist richtig, dass wir einen Solidarausgleich zwischen den Einkommensstarken zugunsten der Einkommensschwachen brauchen. ({2}) Aber diesen Solidarausgleich organisieren wir doch am besten über das Steuer- und Transfersystem. ({3}) Denn da wird jeder nach seiner Leistungsfähigkeit und seinen Einkommensarten herangezogen. Das ist besser als das, was Sie mit der Bürgerversicherung machen wollen. Denn den Solidarausgleich stoppen Sie letztlich bei der Beitragsbemessungsgrenze. ({4}) Das heißt, wenn ein Solidarausgleich unter Einkommensarten stattfinden muss, dann wäre er über das Steuer- und Transfersystem am zielgenauesten. Dann Daniel Bahr ({5}) werden die Einkommensstarken zugunsten derer, die einkommensschwach sind, herangezogen. ({6}) Das zweite Problem betrifft den Solidarausgleich. Es heißt in Ihrem Antrag: Gut Verdienende, deren Erwerbseinkommen über der Versicherungspflichtgrenze liegt, können sich für die private Krankenversicherung … entscheiden, die keinen Solidarausgleich kennt. Das muss man schon differenzierter sehen. Denn auch die private Krankenversicherung kennt natürlich, wie jede Versicherung, ein Solidarprinzip, nämlich das Solidarprinzip zwischen Gesunden und Kranken, zwischen Jungen und Alten. Hier kommen wir genau zum Problem. Die Bürgerversicherung kennt, weil sie auf die Umlage aufbaut, eben keine Solidarität. Die Bürgerversicherung ist ein zutiefst unsolidarisches System, wenn wir uns einmal die mangelnde Solidarität zwischen Jungen und Alten vor Augen halten. Die Bürgerversicherung gibt die Lasten an die kommende Generation weiter. Man kann alle Kritik an dem heutigen PKV-System nennen - dass Altersrückstellungen nicht mitgenommen werden können und andere Kritikpunkte -, ({7}) aber ein Prinzip wahrt die private Krankenversicherung, Frau Ferner: Sie betreibt Vorsorge für kommende Generationen. ({8}) Sie bürdet die Last eben nicht kommenden Generationen auf und verfährt nicht nach dem Prinzip: Mir ist egal, was nach mir geschieht. Sie betreibt vielmehr Vorsorge für kommende Generationen, indem Altersrückstellungen aufgebaut werden. ({9}) Von der CDU/CSU war ich positiv überrascht, da sie bei den Reden von Herrn Lauterbach und Frau Bender überhaupt nicht geklatscht hat. Als Frau Bender gesprochen hat, habe ich das erwartet. Aber bei der Rede von Herrn Lauterbach, der ja der Partei Ihres Koalitionspartners angehört, hätte ich schon damit gerechnet, dass Sie das eine oder andere Mal klatschen. Man kann sich also, was die CDU/CSU betrifft, noch Hoffnung machen. Gehen Sie nicht an die Altersrückstellungen der privaten Krankenversicherungen heran! Sie dürfen ein funktionierendes, stabiles System nicht zugunsten eines Systems schröpfen, das sich nicht trägt und selbst dringend reformbedürftig ist. Wir brauchen weniger Umlagefinanzierung und mehr Kapitaldeckung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Koschorrek, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der Antrag, den die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen heute einbringt, macht wieder einmal deutlich: Sie sind wirklich nicht mehr auf der Höhe der Zeit, sondern holen Ihre alten Konzepte hervor, die schon während Ihrer Regierungszeit nicht durchsetzbar waren. ({0}) So brachten Sie Ende Dezember letzten Jahres den Entwurf Ihres Antidiskriminierungsgesetzes textgleich in den Bundestag ein. ({1}) Heute machen Sie dasselbe mit Ihrem Antrag zur Einführung einer Bürgerversicherung. ({2}) - Ja. - Welches Konzept und welche Idee, die Sie in der rot-grünen Regierung nicht gegen die Mehrheit der SPD durchsetzen konnten, holen Sie eigentlich als Nächstes aus der Schublade? Ihr Antrag zur Reform der Finanzierung der Krankenversicherung, den Sie heute vorlegen, enthält weder konkrete noch brauchbare Vorschläge zur Lösung unserer Probleme. ({3}) Offensichtlich soll er vor allem eine Wirkung haben: Ihre Fraktion soll hier im Bundestag wieder einmal ein Lebenszeichen von sich geben. ({4}) Und tatsächlich: Indem Sie diesen Antrag zur Gesundheitsreform zum jetzigen Zeitpunkt einbringen, geben Sie der Öffentlichkeit zu verstehen, dass die aktuellen Entwicklungen an den Politikern von Bündnis 90/ Die Grünen relativ spurlos vorbeigegangen sind. Statt einen konstruktiven Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion zu leisten, packen Sie unbeirrt Ihr altes Konzept einer so genannten Bürgerversicherung wieder aus. In Ihrem Antrag schreiben Sie, es seien „zumindest erste Reformschritte für eine verlässliche und nachhaltige Finanzierung der GKV erforderlich“. Warum diese Bescheidenheit? Warum nur „erste Reformschritte“? Hier sind wir in der Zwischenzeit deutlich weiter. ({5}) An anderer Stelle heißt es in Ihrem Antrag: „Gräben innerhalb des Regierungslagers dürfen aber nicht zum Reformstillstand führen.“ Ich kann Ihnen versichern, dass diese Sorge unbegründet ist. Die unionsgeführte Bundesregierung beendet gerade den von Ihnen zu verantwortenden Reformstillstand in Deutschland. ({6}) Die Bundesregierung realisiert ein neues Gesundheitssystem. Sie schafft ein grundlegend neues, zukunftssicheres System der gesetzlichen Krankenversicherung, das eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für alle, unabhängig von ihrem Alter und Einkommen, gewährleistet. Es wird ein solide, gerecht und nachhaltig finanziertes Gesundheitssystem sein. Wenn man bedenkt, wie lange Sie schon mit Ihrer Idee, zur Finanzierung unseres Gesundheitswesens eine Bürgerversicherung einzuführen, schwanger gehen, erstaunt es doch sehr, dass Sie in Ihrem Antrag so unkonkret bleiben. Er ist weder schlüssig noch ausgegoren. In Ihrem Antrag stimmen Sie ein Loblied auf die GKV an: Sie sei „ein im Grundsatz leistungsfähiges und in der Bevölkerung breit akzeptiertes Sozialsystem“. Des Weiteren schreiben Sie: „Insbesondere der einkommensabhängige Solidarausgleich trifft in der Bevölkerung auf hohe Zustimmung.“ ({7}) Wenige Zeilen später stellen Sie aber fest, dass es „massive Gerechtigkeitsdefizite bei den Prinzipien der Beitragserhebung“ gibt. An erster Stelle stehen dabei für Sie die privaten Krankenversicherungen und ihre Versicherten. Ihnen werfen Sie vor, sich der Solidarität zu entziehen und so der GKV und den GKV-Versicherten zu schaden. ({8}) In diesem Zusammenhang stellen Sie zwei populistische, aber eben auch falsche Behauptungen in den Raum: Erstens sagen Sie, die PKV kenne keinen Solidarausgleich. Zweitens führen Sie aus, ausgerechnet die einkommensstärksten und im Durchschnitt auch gesündesten 10 Prozent der Bevölkerung beteiligten sich nicht an der Finanzierung der GKV. Das muss endlich einmal richtig gestellt werden. Zum Ersten: Die privaten Krankenversicherungen kennen, wie alle anderen Versicherungen auch, sehr wohl ein Prinzip der Solidarität; in diesem Fall geht es um die Solidarität der gesunden mit den kranken Privatversicherten. ({9}) Für junge Privatversicherte werden Altersrückstellungen angelegt, um Vorsorge für höhere Krankheitskosten im Alter zu treffen. Somit sind die privaten Krankenversicherungen äußerst beispielhaft. Sie können sogar als Vorbild dienen, weil sie dadurch, dass sie schon heute Altersrückstellungen bilden, die Gerechtigkeit zwischen den Generationen garantieren. ({10}) Zum Zweiten: Richtig ist, dass die Versicherten der privaten Krankenversicherungen vielfach ein höheres Einkommen haben als die der GKV. Richtig ist aber auch, dass ein erheblicher Teil der 10 Prozent privat Versicherten in Deutschland ganz normale Beamte sind, und zwar nicht Beamte der hohen und höchsten Gehaltsgruppen, sondern vor allem Polizisten und Lehrer; sie gehören bekanntlich nicht zu den Beziehern der höchsten Einkommen. ({11}) Die Selbstständigen sind eine weitere große Gruppe unter den privat Versicherten. Auch die Einbeziehung von Selbstständigen wäre für die GKV nicht besonders attraktiv; denn Selbstständige werden in der GKV oft nur mit Mindestbeiträgen veranlagt. Für die gesetzlichen Krankenversicherungen ist es offensichtlich schon jetzt zu aufwendig, die genauen Einkommen von Selbstständigen zu ermitteln. Das wird dem System des Risikostrukturausgleichs überantwortet; darüber kann man durchaus auch diskutieren. Würden die privaten Krankenversicherungen in ihrer heutigen Form zerschlagen, so hätten die gesetzlich Versicherten davon keinerlei Vorteil. Die Einbeziehung der privat Versicherten in die GKV bringt der GKV überhaupt keine Entlastung. ({12}) Als eine weitere Gerechtigkeitslücke nennen Sie die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten in der GKV. Sie bezeichnen sie als einen sozialrechtlichen Anachronismus und fordern, dass nicht erwerbstätige Ehegatten auch einen Beitrag in die GKV einzahlen sollen ({13}) - Soweit sie nicht Kinder erziehen oder Pflegeleistungen in der Familie erbringen. Eine Aussage, wie hoch ihr Beitrag sein soll und wie teuer die erforderlichen bürokratischen Kontrollmechanismen sein sollen, finde ich in Ihrem Antrag nicht. ({14}) Erfreulicherweise haben Sie das grundlegende Problem der GKV zutreffend erkannt: Der stetige Anstieg des Beitrags zur GKV hat wesentlich dazu beigetragen, die Arbeitskosten zu erhöhen. Sie haben auch richtig erkannt, dass die Einnahmen der GKV zu konjunkturabhängig sind. Sie wollen die erkannten Mängel, insbesondere die ausgemachten Gerechtigkeitslücken, beheben durch die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze, die Ausweitung des Versichertenkreises auf alle Bürgerinnen und Bürger, die Ausweitung der Beitragspflicht auf alle Einkommensarten, also auch auf Mieten, Zinsen und sonstige Kapitaleinkünfte. Doch wie hoch die Krankenkassenbeiträge darauf sein sollen und wie sie erhoben werden sollen, sagen Sie nicht. Das hätten Sie wenigstens einmal durchrechnen können! ({15}) - In Ihrem Antrag steht nichts dazu. ({16}) - Wir diskutieren nicht, was auf Ihrer Homepage steht, sondern Ihren Antrag. ({17}) Bündnis 90 fordert zwar die Entkopplung der Krankenkosten von den Lohnkosten, ({18}) mit den im Antrag geforderten Schritten findet gerade dies aber nicht statt. ({19}) Vielmehr würden die Krankenkassen weiter an jeder Lohn- und Rentenerhöhung teilhaben; der Unterschied zwischen Brutto- und Nettoeinkommen würde sich weiterhin stetig vergrößern. Ein gigantischer Verwaltungsund Kontrollaufwand wäre nötig, um alle Einkünfte lückenlos zu erfassen. Die Einbeziehung aller Bürger in die gesetzliche Krankenversicherung wäre zudem - das wissen Sie - aus verfassungsrechtlichen Gründen kaum zu realisieren; denn die privaten Versicherungen und die Ansprüche der privat Versicherten genießen durchaus Bestandsschutz. Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zielen alle nur darauf ab, von einer größtmöglichen Zahl von Bürgern zusätzliches Geld für die Krankenkassen einzutreiben. Es wird kein Gedanke und kein Wort darauf verwendet, dass den so erzielten höheren Einnahmen auch entsprechend höhere Ausgaben gegenüberstehen. Es wird kein Gedanke darauf verwendet, dass dies sogar zu steigenden Beiträgen führen kann: wenn Ältere und Kranke, die bislang privat versichert waren, von dem Recht zur Rückkehr zur GKV Gebrauch machen würden. ({20}) Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen lässt weitere wesentliche Fragen offen, die für ein funktionierendes Gesundheitssystem zweifellos wichtig sind: So wird zum Beispiel ganz unvermittelt behauptet, durch die vorgeschlagenen Maßnahmen würde ein wesentlicher Beitrag zur wettbewerblichen Weiterentwicklung des Krankenkassensystems geleistet. ({21}) Wer da mit wem in Wettbewerb tritt und wie das funktionieren soll, bleibt allerdings völlig offen; Sie verlieren darüber kein Wort. Unerwähnt bleibt auch, ob und wie die bislang paritätische Finanzierung - durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer - fortgeführt werden soll. Ihr Antrag bleibt ein Fragment: Wesentliche Aspekte bleiben unberücksichtigt, zentrale Aussagen fehlen. Sie verfolgen aus meiner Sicht nur ein einziges Ziel: den Bürgern noch mehr Geld für die GKV aus der Tasche zu ziehen. ({22}) Das reicht aber bei weitem nicht, um die Krankenkassen finanziell auf eine solide Grundlage zu stellen. Dazu brauchen wir im Gesundheitssystem nicht immer mehr Geld, wir brauchen vor allem mehr Effizienz und weniger Bürokratie als heute. ({23}) Wir brauchen mehr Wettbewerb unter den Kassen, aber auch unter den Leistungserbringern. CDU und CSU wollen ein neues, zukunftsfähiges System der gesetzlichen Krankenversicherungen. Um zusammen mit unserem Koalitionspartner eine von der großen Mehrheit unserer Koalition getragene Reform zu verwirklichen, entwickeln wir, ausgehend von unseren jeweiligen eigenen Konzepten, ein neues, gemeinsames, tragfähiges Konzept. Folgende Ziele stehen für uns dabei im Zentrum: eine möglichst weitgehende Abkopplung der Gesundheitskosten von den Lohnkosten und zugleich die Stabilisierung der Einnahmen im Gesundheitsbereich sowie ein plurales System mit Kassenvielfalt, freier Arztwahl und Therapiefreiheit. Für uns steht fest, dass es auch künftig einen sozialen Ausgleich zwischen gesunden und kranken Menschen, zwischen den Beziehern höherer und niedrigerer Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Familien geben muss. Wir wollen eine Gesundheitsfinanzierung, durch die die großen Chancen des Gesundheitssektors durch Wettbewerb, Transparenz und Abkopplung von den Lohnkosten genutzt werden. Hier sind bereits heute 4,2 Millionen Beschäftigte tätig und es gibt zweifellos noch ein beachtliches Wachstumspotenzial im Hinblick auf neue und zusätzliche Arbeitsplätze. Danke schön. ({24})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Frank Spieth, Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) - Nein, Herr Bahr, seien Sie nicht so aufgeregt. Man kann Ihre Vorstellungen ja kommentieren, das hatte ich jetzt aber nicht vor. Ich möchte mich hier heute mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auseinander setzen. Seien Sie versichert: Anderes tun wir an anderer Stelle. Dennoch möchte ich vorab eine Bemerkung zu der heutigen Pressekonferenz von Gesundheitsministerin Schmidt und Unionsfraktionsvize Herrn Zöller in diesem Hause machen. Dort wurde ziemlich klar zum Ausdruck gebracht, dass mit der beabsichtigten Gesundheitsreform erneut eines mit Sicherheit geschieht: Den gesetzlich Krankenversicherten soll wieder ins Portemonnaie gegriffen werden. Der Patient wird am Ende dieser Veranstaltung ganz offenkundig mehr zahlen und weniger aus der Krankenversicherung für das erhalten, was er mehr zahlen muss. ({1}) - Wir werden eine Wette abschließen. Alle in den letzten Wochen in den Medien lancierten Reformvorstellungen haben im Kern immer wieder eines gemeinsam: Die Arbeitgeber werden entlastet. Das gilt für die Wahlmöglichkeiten, die nichts anderes als Teilkaskotarife sein werden, genauso wie für die Steuerfinanzierung der Versicherung von bisher beitragsfrei mitversicherten Kindern. Ich habe in diesem Hohen Hause in den letzten Wochen - auch bei der Auseinandersetzung über den Haushalt der Bundesgesundheitsministerin in der vergangenen Woche - mehrfach darauf hingewiesen - Frau Bender sagte dies bereits zu Recht -, dass wir ein massives Finanzproblem in der gesetzlichen Krankenversicherung haben und dass alle Fachleute für das kommende Jahr von einem Defizit von circa 10 Milliarden Euro ausgehen. Die Probleme werden mit Sicherheit noch deutlich größer. Deshalb müssen Reformvorschläge auf den Tisch, durch die eine solidarische und soziale Krankenversicherung mit einem umfassenden Sachleistungskatalog gewährleistet wird. Mit ihrem Antrag zur Bürgerversicherung geht die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen deshalb in wichtigen Teilen in die richtige Richtung. Ich will aber auch dazu sagen - Herr Kollege Lauterbach hat zu Recht darauf hingewiesen -: Einige Aspekte Ihres Antrags sind durchaus kritisch zu sehen und daher nachzuarbeiten. Es mag ja sein, dass es ein sozialrechtlicher Anachronismus ist, die beitragsfreie Ehegattenversicherung erhalten zu wollen. Frau Bender, wenn Sie diese allerdings abschaffen wollen, ohne Alternativvorschläge dafür zu machen, wie die vorwiegend davon betroffenen Millionen Ehefrauen ohne Arbeit und ohne eigenes Einkommen zukünftig abgesichert werden sollen, hat das im Grunde genommen die Wirkung, dass diese Menschen ins soziale Abseits gedrängt werden. Die Ausgrenzung aus der beitragsfreien Mitversicherung wird dazu führen, dass von den Menschen, die jetzt schon nicht wissen, wie sie ihren täglichen Lebensunterhalt gewährleisten sollen, ein zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag zu erbringen ist. Ich meine, das müssen wir offen miteinander diskutieren. Das ist keine Emanzipation, das ist soziale Ausgrenzung. ({2}) Gleiches gilt für die nach meiner Auffassung unsägliche Debatte über die Lohnnebenkosten. Wer die Arbeitgeberbeiträge weiter senken will, reduziert - das ist die Schlussfolgerung - Leistungen oder verlangt von den Versicherten höhere Beiträge. ({3}) Dies ist doch jahrelange Praxis. Ich kann Ihnen sagen: Dieser Vorschlag wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. ({4}) Wir sind wie die Grünen - das haben sie in ihrem Antrag geschrieben - für die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze und die Ausweitung des Versichertenkreises. Wir wollen, dass alle hier lebenden Menschen in die Krankenversicherung einbezogen werden. Ich meine, dass in Ihrem Antrag noch eine Menge Fragen offen sind. Wir wollen Sie bei diesem Antrag unterstützen, um eine vernünftige, solidarische und soziale Krankenversicherung zu realisieren. ({5}) Lassen Sie uns deshalb Ihren Antrag um die notwendigen sozialen Aspekte erweitern! Dann werden Sie uns bei dieser Reform an Ihrer Seite haben. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/950 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes Vizepräsident Wolfgang Thierse - Drucksache 16/1172 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war gerade sicherlich verwirrend, dass ich von der rechten Seite dieses Hauses kam. Aber diese Koalition hat es so an sich, dass man völlig unbefangen miteinander kommuniziert. Das ist so schlecht nicht. ({0}) - Nein, aber ich stand dort gerade. Es geht heute um die erste Lesung eines Gesetzentwurfes mit zwei wesentlichen Inhalten. Der erste Punkt ist die Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie der EU in nationales Recht. Dabei geht es um eine Harmonisierung von Steuersätzen auf Energieprodukte innerhalb der gesamten EU. Für die Bürger ändert sich bei den meisten üblichen Steuersätzen nichts, weil Deutschland bei den Sätzen für die Mineralölsteuer und andere Steuern schon immer in einem vernünftigen Korridor gelegen hat. Einige neue Gesichtspunkte sind wichtig. Eine grundsätzliche Entscheidung ist, dass Primärenergie, die zum Beispiel für die Stromerzeugung eingesetzt wird, grundsätzlich steuerfrei gestellt wird. Die Alternative wäre gewesen, alle Energieformen einschließlich der Kohle zu besteuern. Das wiederum würde auf die Stromkunden abgewälzt und würde die Industrie belasten. Davon hat die Bundesregierung Abstand genommen. Ich denke, die Koalition unterstützt das ausdrücklich. Es gibt einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt, der in der Vergangenheit immer für Streit gesorgt und ein Gefühl von Ungerechtigkeit bei den Betroffenen ausgelöst hat, nämlich: Wie gehen wir mit Prozessen um, bei denen ein Stoff mithilfe des Einsatzes von Energie in einen anderen Zustand versetzt wird? Solche Umwandlungsprozesse werden künftig energiesteuerfrei gestellt. Das ist eine auch industriepolitisch wichtige Weichenstellung. ({1}) Bei einigen Problembereichen müssen wir noch miteinander reden und im weiteren Verfahren diskutieren. Aufgrund der Vorgaben der EU ist Kohle grundsätzlich zu besteuern. Weil sie überwiegend in der Krafterzeugung in industriellen Prozessen eingesetzt wird, kann das weitgehend unberücksichtigt bleiben. Übrig bleiben kleinindustrielle Prozesse und der Hausbrand. Noch immer werden etwa 540 000 Haushalte in Deutschland mit Kohlefeuerungsanlagen beheizt, die nach diesem Vorschlag geringfügig besteuert werden; maximal sind das etwa 11 Euro auf 50 Quadratmeter Wohnfläche. Trotzdem muss man sich das noch einmal ganz genau ansehen. ({2}) Das werden wir auch einvernehmlich tun. Es gibt in diesem Gesetz eine alte Frage, die alle, die schon länger dabei sind, öfter beschäftigt hat: Wieso besteuern wir Erdgas als Kraftstoff und befreien es bis zum Jahr 2020 von der Steuer - das ist für die meisten von uns außerhalb der politischen Reichweite -, behandeln Flüssiggas aber völlig anders? Es gibt sicherlich Signale von den Fachleuten aus der Koalition, dass wir - anders als es derzeit im Gesetzentwurf vorgesehen ist - in diesem Punkt eine Gleichbehandlung herstellen werden. Das haben wir verabredet und ich denke, dass der Branche dieses Signal gegeben werden muss. ({3}) Der zweite wichtige Punkt betrifft den Einstieg in die Besteuerung von Biokraftstoffen. Als wir die Biokraftstoffe steuerfrei gestellt haben, haben wir einen Beihilfetatbestand geschaffen. Wir sind gegenüber der EU verpflichtet, regelmäßig eine Überprüfung auf Überförderung vorzunehmen. Wir können Biokraftstoffe nicht beliebig subventionieren, sondern allenfalls die Kostennachteile bei ihrer Herstellung oder Nutzung durch eine steuerliche Regelung ausgleichen. Wir dürfen nicht die Einkommen der Biokraftstoffhersteller oder des -vertriebs individuell subventionieren; wir können nur für einen Preisabstand sorgen, der die Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet. Dazu liegt ein Bericht des Finanzministers für die Jahre 2004 und 2005 vor, in dem eindeutig festgestellt wird, dass eine Überförderung gegeben ist. Die vorgeschlagenen Steuersätze von 10 Cent je Liter für reinen Biodiesel, 15 Cent für beigemischten Biodiesel und 15 Cent für reines Pflanzenöl sind aus einer Berechnung abgeleitet, die eine Überförderung ergeben hat. Das wird ohne Frage noch zu Diskussionen führen. Ich halte die Ableitung aber für plausibel. Beweise, dass es sich anders verhält, sind nicht erbracht worden. Dass die Nutzer und Vertreiber mit uns Politikern über jeden Cent verhandeln, ist völlig verständlich, weil es dabei um ihr Einkommen geht. Ich wäre enttäuscht, wenn sie es nicht versuchen würden. Wir müssen nur darauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte gewährleistet ist, und von der Subventionierung einzelner Einkommen Abstand halten. ({4}) Viel spannender als die Frage der Steuersätze ist - das haben sowohl die SPD als auch die CDU/CSU erklärt -, wie wir die Koalitionsvereinbarung umsetzen können, Reinhard Schultz ({5}) die eine Abkehr von der steuerlichen Förderung von Biokraftstoffen vorsieht. Diese soll durch ein Ordnungsinstrument - nämlich das Beimischungsgebot - ersetzt werden. „Beimischungsgebot“ ist ein untechnischer Begriff. Man kann zwar die Hersteller zwingen, dem Diesel oder Ottokraftstoff Biokraftstoff beizumischen, das würde aber eine Absage an reine Biokraftstoffe bedeuten. Da wir das nicht wollen, schwebt uns eher die Einführung einer unternehmensbezogenen Quote für die Mineralölunternehmen vor. Das heißt, im Verhältnis zum Mineralölumsatz müssen sie einen bestimmten - anspruchsvollen - Prozentsatz an Biokraftstoffen in den Verkehr bringen, ob nun als Beimischung oder in Reinstoffform. In diesem Zusammenhang besteht die Sorge, dass die ganze Branche, die sich aufgrund der alten steuerlichen Regelungen darauf verlassen hat, dass sie zumindest in einer Übergangssituation bis zum Jahr 2009 steuerlich gefördert wird, sozusagen über die Kante kippen könnte. Wir werden gemeinsam mit der Bundesregierung sicherstellen, dass ein Modell gewählt wird, das ohne steuerliche Förderung auskommt, aber mit dem eine Als-obSituation geschaffen wird. Das heißt, die Hersteller von Biokraftstoffen und die gesamte daran hängende Produktionskette würden einen Mindestpreis in der Höhe erzielen, als ob die Steuervergünstigung bis 2009 noch gegeben wäre. Das ist ein sehr faires Angebot, denke ich. Aber damit ist auch die Verpflichtung des Gesetzgebers, Vertrauensschutz zu gewährleisten, zunächst einmal erfüllt. Wie kann es danach weitergehen?, fragt sich die Branche; denn bis 2009 ist es nicht mehr lange hin. Wir müssen einen großen Biokraftstoffmarkt schaffen. Wir wollen, dass die Quoten in diesem Bereich höher sind als die der Beimischungen, damit auch ein großes Marktsegment für reine Kraftstoffe erhalten bleibt. Das kann gegebenenfalls auch durch Aufspaltung der Quote in eine für Dieselkraftstoffersatz und eine für Ottokraftstoffersatz erfolgen, wenn sich das als notwendig erweisen sollte. ({6}) Wir wollen keine nationale Kraftstoffstrategie, die sozusagen von der Apotheke lebt. Die Zeiten, als der alte Benz sein erstes Auto an der Apotheke betankt hat, sind vorbei. Mit einem einzigen Ölkännchen moderne ökologische Mobilität erzeugen zu wollen, ist ebenfalls ein aberwitziger Gedanke. Wir wollen industrielle Prozesse mit industrieller Logistik. Aber wir wollen die mittelständischen Hersteller mitnehmen und die Wertschöpfung so weit wie möglich im Lande lassen. Das bezieht sich insbesondere auf die landwirtschaftlichen Hersteller. Ich bin sicher, dass wir im Gesetzgebungsverfahren eine Anschlusslösung finden werden, die einen großen Markt eröffnet und gleichzeitig die Interessen der mittelständischen Unternehmer an einer Wertschöpfung im eigenen Land genauso berücksichtigt wie die Interessen der Mineralölindustrie, die ebenfalls zuverlässige Rahmenbedingungen erwartet. ({7}) Ich bin überzeugt davon, dass der von uns eingeleitete Prozess im Hinblick auf eine moderne und ökologische Verkehrs- und Mobilitätspolitik gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sowohl im Hinblick auf die von der EU vorgegebene Biomasse- und Biokaftstoffstrategie als auch im Hinblick auf die international gebotene CO2-Minderung müssen wir neben den mineralölhaltigen Kraftstoffen die Chancen nutzen, die uns die Biokraftstoffe der ersten und der zweiten Generation bieten. Wir müssen heute das Tor zu einer vernünftigen Zukunft sowohl für die Umwelt als auch für unsere Wirtschaft aufstoßen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Otto Solms, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon interessant. Die schwarz-rote Koalition, die erst vor wenigen Tagen einen groß inszenierten Energiegipfel abgehalten hat, konnte sich bislang nicht auf eine gemeinsame energiepolitische Strategie einigen und hat viele Arbeitsgruppen eingesetzt. Es liegt also noch gar kein klarer Plan vor. Aber bevor Sie wissen, was Sie tun wollen, langen Sie als Steuergesetzgeber schon einmal zu. Es wird behauptet, dies erfordere die Umsetzung der europäischen Energiesteuerrichtlinie. Tatsächlich ist eine solche Besteuerung nicht erforderlich. Auch der 1. August 2006 ist als Termin nicht vorgegeben. Das alles ist nur ein Vorwand, um so schnell wie möglich Kasse zu machen. ({0}) Eine Politik ohne Strategie macht aber keinen Sinn. Deswegen verwundert es mich nicht, dass der Kollege Schultz gesagt hat, ihm „schwebe“ etwas vor. Sie wissen offensichtlich noch nicht genau, was Sie machen wollen, weil Sie natürlich die Empörung der Betroffenen zur Kenntnis genommen haben. Tatsächlich ist es ein Vertrauensbruch von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der SPD; denn Sie haben zu Zeiten der rot-grünen Regierung zugesagt, dass die Biokraftstoffe bis 2009 unversteuert bleiben. ({1}) Dieser Vertrauensbruch hat natürlich Auswirkungen. Als die Landwirte sich an ihre letzte Winterbestellung gemacht haben - diese Regierung war damals noch gar nicht zusammengetreten -, wussten sie ja nicht, dass die Ernte hinterher besteuert werden soll. Diejenigen, die in Raps- und Ölmühlen investiert haben, sind natürlich davon ausgegangen, dass sie bis 2009 einen relativ sicheren Preisvorteil des Biodiesels haben würden. ({2}) - Sie als Partei haben das zugesagt. Sie missbrauchen nun das Vertrauen der Betroffenen. ({3}) Sie ändern Ihre zugesagte Strategie, indem Sie eine Besteuerung auf den Weg bringen. ({4}) Die von Ihnen geplanten Steuersätze sind zu hoch. Das sagen alle Experten. Der Preisvorteil von Rapsöl und anderen Ölen, der notwendig ist, um sie in Verkehr zu bringen - sie werden in erster Linie von Transportunternehmen genutzt -, muss aber bestehen bleiben, weil die Infrastruktur dafür nicht so ausgebaut ist wie bei herkömmlichen Mineralölen. Die Biokraftstoffbranche lebt nun in der Angst, dass sie einen großen Rückschlag erleiden wird. ({5}) Schließlich führt die unterschiedliche Besteuerung je nach Verwendung zu einem erheblichen Kontrollaufwand. Land- und Forstwirte sollen nach Ihren Plänen unversteuerten Biodiesel einsetzen können, während das Speditionsgewerbe nur versteuerten Biodiesel verwenden darf. Da die Gefahr des Missbrauchs besteht, müssen Sie für entsprechende Kontrollen sorgen. ({6}) Sie müssen also eine neue Bürokratie aufbauen, bevor Sie ein durchgängiges Konzept entwickelt haben. Das macht doch keinen Sinn. Nehmen Sie das Gesetz zurück! Es ist nicht zu Ende gedacht. ({7}) Es passt insbesondere nicht mit dem geplanten Beimischungszwang zusammen, der ein halbes Jahr später in Kraft gesetzt werden soll. Machen Sie stattdessen ein Gesamtkonzept, das in sich stimmig ist, das das Vertrauen der Betroffenen - der Bürger, der Landwirte, der Forstwirte, aber auch der Speditionsunternehmen - erhält und aufbaut und das - was das Entscheidende ist einen neuen Markt in Deutschland schafft, durch den die Menschen auf dem Lande wieder die Arbeits- und Produktionsmöglichkeiten erhalten, die sie nach und nach verloren haben. Das ist eine große Chance. Es macht wirklich keinen Sinn, diese Chance um einen Silberling zu vertun. Diese voreilige Besteuerung zum 1. August dieses Jahres ist falsch. Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hätte jetzt lieber einen gescheiten Rotwein getrunken; aber das ist in diesem Parlament nicht erlaubt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

So weit sind wir noch nicht.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Worum geht es heute überhaupt? Draußen in den Regionen gibt es bewegte Diskussionen über die Zukunft der Besteuerung von Biokraftstoffen. Es gibt da große Empfindlichkeiten; der Vertrauensschutz ist, wie in den Diskussionen angesprochen wurde, heftig infrage gestellt. Es geht aber nicht nur um diesen wichtigen Teilbereich, über den vor allem in den ländlichen Regionen diskutiert wird. Vielmehr geht es um die Umstellung der Besteuerung von Strom, Gas, Steinkohle und Braunkohle sowie Koks und es geht um die Einführung einer Besteuerung neuer Energieträger, die unabhängig von der Stromerzeugung als Ersatz fossiler Energieträger eingesetzt werden. Wir haben 2003 im Bundestag parteiübergreifend und einstimmig eine Steuerbefreiung alternativer Energieträger beschlossen. Sie hat einen sehr starken Sog erzeugt. Das brachte uns in der EU den Vorwurf ein, der deutsche Gesetzgeber habe bewusst durch Überkompensation Vorteile geschaffen. Jetzt befürchtet der Bundesfinanzminister mit Recht, dass das Ausweichen der Spediteure, der Omnibushersteller, der Städte und der übrigen Wirtschaft auf alternative Kraftstoffe zulasten der Staatseinnahmen geht und ein Loch von 1,4 bis 1,7 Milliarden Euro aufreißt. Das ist der Hintergrund. Diese Koalition ist angetreten, die defizitäre Lage des Bundeshaushaltes in der nächsten Zeit in Ordnung zu bringen. Steuerausfälle unberechenbarer Art dürfen da nicht passieren. In diesem ersten Gesetzgebungsverfahren müssen wir besondere Ziele verfolgen. Herr Solms, Sie sagen, man könne mit der Umsetzung der EG-Richtlinie noch warten. Uns droht unter Umständen ein Verfahren. Das wissen auch Sie. Es ist schon interessant, wie die FDP heute redet. Ich denke an die Diskussion über die Zuckermarktordnung vor einem Jahr, als es hieß, der Weltmarktpreis müsse zum Maßstab genommen werden. Der Ansatz der FDP in der Frage der Biokraftstoffbesteuerung in Bezug auf diesen Gesetzentwurf entspricht nicht ihrem Credo. Das muss ich in Erinnerung rufen, obwohl ich in der Sache keinen Streit anfangen will. ({0}) Das In-Kraft-Treten der EG-Richtlinie am 31. Oktober 2003 hat dieses Gesetzgebungsverfahren erforderlich gemacht. Mittlerweile sind wir spät dran. Deswegen können wir leider Gottes nicht mehr warten. Es ist aber unser erklärtes Ziel - das darf ich für beide Koalitionsfraktionen sagen -, über das Gesetz über einen Beimischungszwang, das zum 1. Januar 2007 wirksam werden soll, und über die jetzige Regelung zur Behebung der Überkompensation in der Sache gemeinsam zu diskutieren. ({1}) Es kann nicht sein - das verstünde draußen keine Hausfrau -, dass wir heute die eine Diskussion führen und im August die andere anfangen. Es geht auch um Planungssicherheit für Investoren. Wir verstehen das als einen gemeinsamen Auftrag und wir werden ihn erledigen. Wir werden dafür sorgen, dass die rechte Hand weiß, was die linke Hand tut, und umgekehrt. ({2}) Der Finanzminister hat zu Recht festgestellt, dass es eine Überförderung gibt. Mir als praktizierendem Landwirt und Mitglied des Finanzausschusses tut es schon ein bisschen weh, anerkennen zu müssen: Bei den Spediteuren hat sich in der letzten Zeit ein Sog in Bezug auf unsere Rapsmühlen entwickelt. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist dieser Sog natürlich berechtigt. Wenn die Umstellungskosten durch Vorteile pro Liter - ich spreche ganz vorsichtig von einer Größenordnung jenseits von 10 Cent - bei Leistungen von 800 000 Kilometern bis 1 Million Kilometern relativ schnell gedeckt werden können und man diesen Markt verstärkt nutzt, dann ist das betriebswirtschaftlich absolut in Ordnung. Dennoch sagt Herr Steinbrück: Auch mein Haushalt muss in Ordnung bleiben. ({3}) Die EU wirft uns vor: Ihr lasst hier einen besonderen Subventionstatbestand zu. ({4}) Was die Biokraftstoffbesteuerung angeht, müssen wir über die verschiedenen Elemente reden. Die damit verbundenen Fragen müssen bis 2007 geklärt werden. Bei der Bioerzeugung geht es nicht nur um tierische Fette und nicht nur um Raps, ob kaltgepresst oder veredelt - Stichwort RME, Rapsmethylester -, sondern auch um ETBE; das ist die veredelte Form von Ethanol. Wir haben jetzt Zeit, darüber gemeinsam zu diskutieren. Am 17. Mai findet die erste Anhörung im Finanzausschuss statt. Über Ostern werden wir genug Informationen bekommen, um die gesamte Palette durcharbeiten zu können. Nach der Anhörung am 17. Mai wird sich der Finanzausschuss wieder damit befassen. Danach wird dieser Gesetzentwurf abschließend im Plenum beraten. Natürlich werden auch die Einwände des Bundesrates gehört werden. Ich sage hier aber deutlich: Für den Bundesrat ist es leicht, Gesetzentwürfe dieser Art zu beschließen, solange es sich - wie bei der Mineralölsteuer um eine Bundesangelegenheit handelt. Es macht sich natürlich gut, im Lande kraftvoll zu verkünden, was man in Berlin alles fordert, wenn man keine Verantwortung für den Bundeshaushalt hat. ({5}) Der jetzige Referentenentwurf - er stammt vom 16. März dieses Jahres - ist Grundlage der Debatte. Mit dem Selbstverständnis eines Abgeordneten sage ich: Was die Regierung vorgibt, ist noch lange nicht Gesetz. ({6}) Wir sind die Volksvertreter, die das Gesetz gegenüber der Bevölkerung zu verantworten haben. Wir werden die Expertenanhörung abwarten. Auch was diese Diskussion angeht, rate ich dringend dazu, nicht morgens, mittags und nachmittags Wasserstandsmeldungen zu diesem Thema abzugeben. Das irritiert die Kundschaft, den deutschen Verbraucher, weil er befürchten muss, dass es zu einer Erhöhung der Mineralölsteuer kommt. Das ist absolut nicht vorgesehen. Außerdem irritieren solche Meldungen die Investoren und die Mineralölwirtschaft insgesamt. Die Kombination dieser beiden Gesetze ist schon eine große Sache. Wir müssen sehen: Der Vertrauensschutz für die ländliche Bevölkerung bei den Investitionen ist eine unserer Vorgaben für 2009. Es muss aber auch berücksichtigt werden, was wir im Hinblick auf die europäische bioenergetische Produktion in Zukunft beachten müssen. Auch ich sehe die Gefahr - die sehen wir alle -, dass das europäische Preisniveau durch Kampfpreisangebote an den Häfen unterlaufen wird. Ich verweise auf den Energiegipfel bei der Kanzlerin in dieser Woche, Herr Solms. Natürlich wollen wir die Wertschöpfung innerhalb Europas und vor allem im ländlichen Raum auf Dauer sicherstellen. ({7}) Das ist ein absolut wichtiges Ziel. Der Kollege Schultz hat schon ausgeführt, inwieweit wir Erdgas und Flüssiggas unterschiedlich zu behandeln und zu bewerten haben. Man muss offen über Zeiträume reden. Ich persönlich füge hinzu: Schifffahrt und Luftfahrt sind derzeit außen vor. Aber bezüglich des Themas Flugbenzin hat die EU dringendst ihre Hausaufgaben zu machen; in diesem Bereich muss es EU-weit Gleichheit geben. Anderenfalls könnte der Fall eintreten, dass an der Donau Austauschbarkeit besteht, weswegen Schiffe über den Rhein-Donau-Kanal bis nach Rotterdam fahren, ohne dass Deutschland davon profitiert. Ein EUWirtschaftsraum muss auch insofern Steuergleichheit bringen. Das Gleiche sage ich für die Landwirtschaft. Die Mineralölsteuervergütung, die wir jetzt noch haben, die in diesem Gesetz auch angesprochen wird, bleibt. Basta! Da mache ich es wie der Altkanzler. ({8}) Wenn wir über EU-weite Angleichung reden, muss dieses Thema nicht mehr Gegenstand der Debatte werden. Das ist Gott sei Dank bei den Ministern, jedenfalls derzeit, außen vor. ({9}) Die Vorzüge von Biokraftstoffen, die ich vorhin genannt habe, müssen wir gesetzlich und ordnungspolitisch natürlich neu regeln. Mit Bezug auf die EU wird uns vorgeworfen, die anderen seien kostengünstiger. Herr Solms, das sind die Argumente, die von der Mineralölwirtschaft kommen und die sich zum Teil auch im Text wiederfinden. Wir im Parlament formulieren das Gesetz und nicht internationale Lobbyisten, die bei uns tätig sind, die viel Geld verdienen, die ihren Profit durch erhöhte Importpreise erzielen ({10}) und uns vorjammern, wie schlecht es ihnen geht. Es geht um die Wertschöpfung unserer ländlichen Regionen unter Berücksichtigung von Kioto und unter Berücksichtigung des CO2-Eintrags. Wir haben genug Zeit, über alles - das geht von den Steuersätzen bis zu den Kalkulationszahlen von Rapsmühlen oder Fetterzeugern; alles das finden wir in diesem Bereich vor - mit Gelassenheit zu diskutieren. Dann werden wir zum Schluss auf die Energiefragen von Europa wieder die entscheidenden Antworten geben, wie das auch bei der Einführung des Katalysators war, und die anderen werden schnell nachziehen. Ein 80-Millionen-Volk hat damit wieder eine Leitbildfunktion für die anderen. ({11}) Deswegen mahne ich Gelassenheit bei der Frage an. Nun zum Vorwurf, die ländlichen Räume würden untergebuttert werden. Wer mich kennt und wer Reinhard Schultz kennt, der weiß: Das wird nicht passieren. Lassen Sie uns dafür streiten! Das Ergebnis im Juni wird sich vorzeigen lassen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, seien Sie doch so freundlich, zum Ende zu kommen.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das gilt auch im Hinblick auf die Folgewirkung betreffend den gesetzlichen Beimischungszwang ab 2007. ({0}) Der muss kommen, getrennt für Ethanol, Kraftstoffe für den Ottomotor und Gasölbeimischung bei Raps- oder Dieselöl. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Kurt Hill, Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Energiebesteuerung zementiert endgültig den Stillstand in der Energiepolitik. Mit Klimaschutz und Energieeinsparung hat das nun gar nichts zu tun. Herrn Steinbrück scheint nur eines wichtig zu sein: Kasse zu machen, koste es, was es wolle. Auf ein Beispiel möchte natürlich auch ich eingehen: die Biokraftstoffe. Biodiesel, das am Markt gut geht, soll mit 10 Cent besteuert werden, Pflanzenöl als Kraftstoff - das für die Umwelt völlig unbedenkliche Grundprodukt - mit 15 Cent. Viele kleine Betriebe haben hohe Investitionen in Anlagen, Vertrieb und Motoren getätigt. Gerade der ländliche Raum setzt auf die Nutzung von Rapsöl als Kraftstoff. Nun werden diese Strukturen zerschlagen, indem Sie willkürlich Steuern darauf erheben. Herr Schindler, ich erinnere Sie daran, dass Sie vor kurzem im ländlichen Raum, nämlich in Zweibrücken, eine Ölmühle eröffnet haben. ({0}) Die trifft es genauso hart. Biodiesel hat sich am Markt erfreulich etabliert. Der Preis dieses Kraftstoffes hat sich an die steigende Preiskurve des Mineralöldiesels angeschmiegt. Da gab es Gewinnmitnahmen. Natürlich macht es Sinn, dieses Produkt langsam an die Besteuerung heranzuführen. Jetzt 10 bzw. 15 Cent auf Biodiesel und in der nächsten Runde der Beimischungszwang bei Vollbesteuerung, das macht die junge Branche allerdings kaputt. So etwas dient nur dem Oligopol der Mineralölindustrie. Die Folge: Kleine und mittelständische Hersteller von Rapsöl- und Biodiesel werden so zu Zulieferern degradiert. Rapsöl und Bioethanol haben als reine Kraftstoffe keine Chance. Auf der Strecke bleiben Arbeitsplätze im ländlichen Raum und der Klimaschutz. Die Autoindustrie reibt sich schon einmal die Hände, kann sie doch ihre Selbstverpflichtung zur Senkung der Klimagase abschütteln. Mit 5 Prozent zwangsbeigemischtem Biodiesel schafft VW sein laxes Klimaziel auch so. Die Linke fordert eine fachliche und differenzierte Bewertung der einzelnen Biokraftstoffprodukte. Biodiesel kann ab dem kommenden Jahr mit 5 Cent je Liter besteuert werden. Die weitere Besteuerung muss davon abhängen, ob es gelingt, die mineralischen Anteile durch biogenes Ethanol zu ersetzen. Pflanzenöl als Kraftstoff muss bis 2010 ohne Besteuerung bleiben. ({1}) Die Motorenentwicklung ist stärker zu fördern. Bei Bioethanol muss der Steuersatz bis 2010 ebenfalls 0 Cent betragen. Als E85 kann es sofort auf den Markt kommen. Dazu müssen die Mineralölkonzerne ihren 100-Oktan-Sprit, der ohnehin nur ein Werbegag ist und den Verbraucherinnen und Verbrauchern das Geld aus der Tasche zieht, nur durch Bioethanol ersetzen. Der hat übrigens 104 Oktan und entlastet die Umwelt messbar. Die Biokraftstoffe der zweiten Generation sind gerade im Aufbau. Ob als Biodiesel oder Bioethanol: BTL muss mindestens bis 2010 steuerfrei bleiben. Einen Beimischungszwang braucht die Branche nun gar nicht. Der Beimischungsmarkt macht beim Biodiesel bereits 40 Prozent aus und funktioniert auch so. Und wenn Sie den Klimaschutz ernst nehmen, muss der öffentliche Nahverkehr bei der Verwendung von Biokraftstoffen ebenfalls steuerfrei bleiben. ({2}) Wenn ich die Auswirkungen des Gesetzentwurfes auf die Staatsfinanzen sehe, muss ich mir die Augen reiben. Einnahmen durch klimafreundliche Biokraftstoffe: 361 Millionen Euro. Steuerausfälle durch die Subventionierung der klimaschädlichen Flug- und Schiffsverkehre: 32 Millionen Euro. Bei der Mehrwertsteuer gilt das Gleiche, wie Sie wissen. Fazit: Verkehrte Welt in der Klimaschutzpolitik. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Umwelt- und Ihr Finanzminister. Vielen Dank. Ich hoffe, meine Stimme wird wieder besser. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das wünschen wir Ihnen von Herzen, lieber Kollege. Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schindler und Herr Schultz haben sich eben als Freunde des ländlichen Raums geoutet. ({0}) Das wussten wir ja schon. Aber der Punkt ist: Wenn Sie wirklich Freunde des ländlichen Raums sein wollen, dann müssen Sie einen anderen Gesetzentwurf vorlegen. ({1}) Ich habe mir gerade bei Ihnen in Rheinland-Pfalz im Zusammenhang mit der Wahl einiges angesehen, zum Beispiel eine Ölmühle in Polch. Die Leute haben sich darauf verlassen, dass das, was die Politik im Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet hat, nämlich die steuerliche Begünstigung bis 2009, auch gilt. Das war die Grundlage ihrer Investitionsrechnung. Wenn Sie jetzt an dieser Schraube drehen, dann werden Sie nicht nur wortbrüchig, sondern zerstören auch Planungssicherheit und reale Investitionen. Insofern ist das kein Akt zugunsten des ländlichen Raums, sondern gegen den ländlichen Raum. Das wollen wir doch einmal festhalten. ({2}) Ansonsten - ich komme gleich zu dem Bioenergiethema - sprechen wir ja heute über die Umsetzung der EU-Energiesteuer-Richtlinie. Ich will auch einmal sagen, was an dem Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorlegen, gut ist. Gut ist, dass in der Stromerzeugung bei den fossilen Energien eine steuerliche Gleichbehandlung vorgesehen ist. Bis jetzt ist es nämlich so, dass Uran und Kohle in der Stromerzeugung nicht besteuert werden, aber Gas. Die Kollegen von der SPD erinnern sich: Wir haben da manchen Kampf gefochten. Die SPD war immer dagegen, das Gas gleich zu behandeln. Jetzt kommt die Anweisung von der EU-Seite. Da kann ich nur sagen: Gut so! Ich finde es auch gut, dass das, was das Finanzministerium ursprünglich vorhatte, nämlich die KraftWärme-Kopplung bei der Strom- und der Erdgassteuer richtig an die Kandare zu nehmen und kräftig zu besteuern, jetzt wegfällt. Das ist unter anderem auf den öffentlichen Protest der Kommunen, aber auch auf unseren Protest und den Protest der Umweltverbände zurückzuführen. Da kann man nur sagen, es hat sich gelohnt, gegen diese geplante Besteuerung dezentraler Energieversorgungsstrukturen anzugehen. ({3}) - Dann müssen Sie zuhören, Herr Kollege Kelber. Die Einführung einer Steuer auf Kohle zu Heizzwecken ist aus der Sicht des Klimaschutzes vernünftig und überfällig, auch wenn das ein kleines, randständiges Problem ist. Das ist aber quasi nichts anderes als die Erfüllung der Aufgaben eines Pflichtenheftes. Bei den wirklich grundlegenden Dingen versagen Sie oder lassen einfach etwas aus. Die Bioenergien habe ich gerade schon angesprochen. Da herrscht - das muss man doch sehen - in Ihrem Lager ganz klar kein Einvernehmen. Auf der einen Seite gibt es die Fiskalisten, die mehr Geld eintreiben wollen, und auf der anderen Seite diejenigen, die wirklich etwas für den ländlichen Raum tun wollen, die regionale Wertschöpfungsketten und Erwerbsalternativen für die Landwirtschaft schaffen wollen, ohne dauerhafte Subventionen vorzusehen. Man wundert sich: Hier wird ein Gesetzentwurf von der Regierung vorgelegt und alle Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD sagen - mindestens zwischen Mund und Nase -, so werde das auf keinen Fall gemacht. Da hätten Sie besser von Anfang an etwas Vernünftiges vorgelegt; dann wäre die Verunsicherung in der Branche nicht so groß gewesen. ({4}) Es ist doch vollkommen klar und gar keine Frage: Wo es Mitnahmeeffekte gibt, da muss man abschöpfen. Hinsichtlich der reinen Pflanzenöle, Herr Schindler, möchte ich Sie bitten, Folgendes zu beachten. Dies ist ein klassischer Fall dezentraler Technologien, bei deren Anwendung die Wertschöpfung in der Region verbleibt. Auch fiskalisch gesehen fällt nichts weg. Ich bitte Sie heute darum, dass Sie wenigstens davon die Hände lassen. Wir werden das jedenfalls im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens beantragen. ({5}) Ich will noch einige Punkte ansprechen, die Sie einfach weggelassen haben. Sie haben zum Beispiel die Sonderregelung für die Energiebesteuerung im Rahmen der ökologischen Steuerreform nicht angesprochen, obwohl Sie wissen, dass diese Ausnahmen von der EUKommission nur bis zum 31. Dezember 2006 genehmigt wurden. Wir brauchen im Rahmen der Ökosteuer ein stimmiges Konzept, mit dem die vielen Ausnahmetatbestände entweder abgeschafft - das wäre das Beste - oder zumindest an ökologische Gegenleistungen geknüpft werden. Wir müssen - auch das ist ein heißes Eisen, das Sie nicht angepackt haben - im Bereich der Flugbenzinbesteuerung endlich erste Schritte gehen. ({6}) Es kann doch nicht wahr sein, dass die Bahn, wie wir erst vorgestern wieder gelernt haben, die Energiesteuer in voller Höhe zahlt und dass auf Tickets die volle Mehrwertsteuer erhoben wird, aber der Luftverkehr in beiden Bereichen privilegiert wird. Das ist eine eklatante Wettbewerbsverzerrung zulasten der Bahn. Wir fordern Sie auf - zumal die Energiesteuer-Richtlinie diese Möglichkeit hergibt -, endlich mit dem Einstieg in die Besteuerung von Flugbenzin zu beginnen. Die rechtlichen Möglichkeiten haben Sie dazu. ({7}) Ich fasse zusammen, Herr Präsident. Was Sie vorlegen, ist ein umfangreiches Gesetz mit vielen Details. Es enthält praktisch keine positiven Elemente mit Ausnahme der Dinge, die Sie vonseiten der EU-Kommission machen mussten. Es ist also ein reines und obendrein unzureichendes Pflichtprogramm ohne ambitionierte Klimaschutzziele und ohne politischen Gestaltungswillen. Sie geben keine steuerlichen Anreize für Strukturentscheidungen zugunsten des Klimaschutzes und der CO2Einsparungen. Das werden wir im parlamentarischen Verfahren thematisieren. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1172 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Voraussetzungen für Entwicklung, Bau und Betrieb einer Europäischen Spallations-Neutronenquelle in Deutschland schaffen - Deutsche Bewerbung vorantreiben - Drucksache 16/386 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Die Kollegen Axel Fischer ({1}), Thomas Oppermann, Cornelia Pieper, Petra Sitte1) und Krista Sager haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Ich schließe also die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/386 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksache 16/1107 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen- tarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort. 1) Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. 2) Anlage 3

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um ein Gesetz, mit dem wir europäische Vorgaben zum Folgerecht umsetzen. Folgerecht bedeutet, dass bildende Künstler nicht leer ausgehen, wenn ein Werk, das sie einmal für wenig Geld verkauft haben, später im Kunsthandel hohe Preise erzielt. Die Richtlinie ist ein gutes Beispiel dafür, wie uns die europäische Einigung zugute kommt: Mit der Umsetzung der Richtlinie schaffen wir vergleichbare Bedingungen für bildende Künstler und auch für den Kunsthandel in Europa. Denn anders als Deutschland, wo es ein Folgerecht seit 1956 gibt, gilt dieses Recht in anderen Mitgliedstaaten bisher nicht. Diese unterschiedliche Rechtslage ist in mehrfacher Hinsicht nachteilig: zum einen natürlich für die Künstler, zum anderen auch für den Kunsthandel. So kann zum Beispiel ein Kunsthändler in Berlin weniger Erlös als sein Kollege in London erzielen. Das ist ein Wettbewerbsnachteil. Die europäische Richtlinie schafft hier gleiche Verhältnisse. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir unser Recht den Anforderungen der Richtlinie an. Die Vergütung wird nach der Höhe des Verkaufspreises gestaffelt und beträgt im Höchstfalle 12 500 Euro pro Weiterveräußerung. Es gibt zwei Punkte, bei denen die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum lässt. Zum einen können als Mindestbetrag Werte zwischen 0 und 3 000 Euro bestimmt werden, ab dem Veräußerungen dem Folgerecht unterliegen. Der Entwurf, den wir vorlegen, sieht einen Mindestbetrag von 1 000 Euro vor. Zum anderen können die Mitgliedstaaten die Höhe des Anspruchs für Veräußerungen bis zu 50 000 Euro auf 4 oder 5 Prozent des Verkaufspreises festlegen. Wir haben uns dazu entschieden, für diese so genannte erste Tranche einen Vergütungssatz in Höhe von 4 Prozent vorzusehen. Natürlich sind unsere Künstlerinnen und Künstler darüber enttäuscht; ich kann das auch verstehen. Sie müssen aber wissen, dass sie umgekehrt nunmehr auch im Ausland, zum Beispiel in Österreich, einen Anspruch geltend machen können, wenn zum Beispiel ein Werk mit einem Preis von über 3 000 Euro weiterveräußert wird. Eines darf man nicht vergessen: Es wird ihnen eine neue Einnahmequelle erschlossen, wenn sie, wie ich eben sagte, in anderen Mitgliedstaaten veräußern. Auch unsere Kunsthändler haben hier weitere Vorteile. Da wir uns den in Großbritannien, einem bedeutenden Kunstmarkt, geltenden Regelungen angeschlossen haben, befinden wir uns in guter Gesellschaft. Ich denke also, dass wir mit diesem Entwurf eine ausgewogene und angemessene Grundlage für die weitere Beratung präsentiert haben, und freue mich, meinem Kollegen Manzewski eine Minute Redezeit schenken zu können. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger, FDP-Fraktion. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht gesagt, dass es beim geltenden Recht Wettbewerbsverzerrungen gegeben hat und die Folgerechtsrichtlinie hier wirken muss. Deren Umsetzung steht natürlich schon lange an. Also ist es richtig, dass der vorliegende Gesetzentwurf nicht nur eingebracht wird, sondern auch zügig beraten werden muss. Die FDP hat es von Anfang an, auch schon in der vergangenen Legislaturperiode, sehr begrüßt, dass diese Folgerechtsrichtlinie zu einer Harmonisierung führen wird. Denn das ist im Interesse aller Beteiligten: im Interesse des Kunsthandels und der Urheber. Auf nationaler Ebene muss jetzt der Versuch unternommen werden, einen Ausgleich zwischen diesen beiden Interessen zu finden. Das wird mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf versucht. Die Folgerechtsrichtlinie ist das Ergebnis einer sehr langwierigen Diskussion. Es war bis zum Schluss sehr ungewiss, ob sie überhaupt zustande kommt. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, der natürlich nicht in jeder Hinsicht das urheberrechtliche Optimum sein mag. Das gilt für die Staffelung der Vergütung und die Begrenzung der Gesamtvergütung auf 12 500 Euro. Es ist aber müßig, die Debatte zu wiederholen, die der Folgerechtsrichtlinie vorausgegangen ist. Die von der Folgerechtsrichtlinie vorgegebene neue Vergütungsstruktur kann in Deutschland einerseits zu einem insgesamt niedrigeren Vergütungsaufkommen führen. Aber im Zusammenspiel mit den entsprechenden Bestimmungen der übrigen Mitgliedstaaten kann sie andererseits einen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland für den internationalen Kunsthandel attraktiver wird und den deutschen Urhebern dadurch neue Vergütungsquellen auf anderen Kunstmärkten eröffnet werden. Auch den Urhebern ist nicht damit gedient, dass der Kunsthandel an Deutschland vorbeigeht, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Natürlich dürfen wir dabei die Grundlagen des Urheberrechts nicht infrage stellen. Denn das Urheberrecht ist und bleibt ein Eigentumsrecht. Deshalb muss natürlich im Zusammenhang mit der Beratung des Regierungsentwurfes immer auch gefragt werden: Sind die Spielräume, die die Richtlinie im Sinne dieser Prämisse eröffnet, auch sachgerecht genutzt worden? Ich denke, der Entwurf geht in die richtige Richtung, diese unterschiedlichen Interessen miteinander zu vereinbaren. Wir werden im Ausschuss gerade vor dem Hintergrund der Stellungnahme des Bundesrates über die einzelnen Punkte, über die Anhebung des Eingangssatzes, den Beteiligungssatz und die Vergütungsstruktur, zu diskutieren haben. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, die Bestimmungen zum Schwellenwert und zum Beteiligungssatz der ersten Stufe bis 2009 zu befristen, um ihre tatsächlichen Auswirkungen auf das Vergütungsaufkommen zu beobachten und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme diesen Vorschlag zurückgewiesen. Ich denke, wir sollten es uns nicht so einfach machen. Die FDP-Bundestagsfraktion plädiert dafür, im Rechtsausschuss den Ansatz des Bundesrates noch einmal ausführlich zu erörtern und zu prüfen, inwieweit er zum notwendigen Interessenausgleich zwischen Urhebern und Kunsthandel beitragen kann. Wir sollten dabei bedenken, dass die Richtlinie selbst eine fortlaufende Kontrolle der Auswirkungen des neuen Folgerechtes vorsieht. Was ist besser dazu angetan, mit Nachdruck für eine Umsetzung dieser Kontrolle zu sorgen, als eine Befristung dieser Regelung im Gesetz vorzusehen, sodass der Gesetzgeber gezwungen ist, sie nach einigen Jahren auf den Prüfstand zu stellen? Aus unserer Sicht gibt es bei diesem Punkt sehr wohl Erörterungs- und Diskussionsbedarf im Rechtsausschuss. Ich denke, wir sind auf dem Weg, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Kunsthandel und Urheberrechtsschutz zu erreichen. Recht herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Günter Krings, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der beste Ort, um deutsche Kunst zu verkaufen, ist London. Mit diesem Werbespruch ging einst das Londoner Auktionshaus Christie’s auf Kundenfang. Kein anderer Ausspruch könnte wohl die Situation auf dem deutschen Kunstmarkt besser beschreiben. In London werden mehr Bilder der klassischen deutschen Moderne als im gesamten Bundesgebiet zusammen versteigert. So macht derzeit nicht zuletzt das deutsche Urheberfolgerecht deutsche Kunst zum Exportschlager wider Willen. Der eigentliche Erfolg, den es hier und heute zu vermelden gibt, ist nicht im vorliegenden Gesetzentwurf, sondern in der Harmonisierung des Folgerechts in der Europäischen Union zu erblicken. Bislang haben die unterschiedlichen Regelungen in Europa zu einer Wettbewerbsverzerrung geführt. Deutsche Galerien haben es schwer, gegen eine internationale Konkurrenz zu bestehen, die eben nicht 5 Prozent vom Erlös eines weiterverkauften Bildes auf den Kaufpreis aufschlagen muss. Besonders die Engländer haben diesen Vorteil konsequent für sich zu nutzen gewusst und stellen heute neben den USA und der Schweiz den weltweit wichtigsten Kunstmarkt. Nach einer Studie der European Fine Art Foundation lag im Jahr 2003 der Anteil der EU-Mitgliedstaaten, die über ein nationales Folgerecht verfügen, am weltweiten Kunsthandel bei 6 Prozent. Im Gegensatz dazu konnte sich allein Großbritannien einen Anteil von sage und schreibe 24 Prozent am Weltkunsthandel sichern; das Handelsvolumen ist damit viermal größer als in allen EU-Staaten mit Folgerecht zusammen. Die EU-Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten in einzelnen Punkten zwar einen Umsetzungsspielraum; vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen mit unterschiedlich ausgestalteten Folgerechtsregelungen muss der Gesetzgeber aber bei der nationalen Ausgestaltung das Ziel haben, möglichst einen Mittelweg zu finden, dem sich auch die anderen Länder anschließen können. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist es gelungen, eine Regelung zu finden, die in den wichtigsten Punkten auf der Linie der englischen Umsetzung der Richtlinie liegt. Der deutsche Kunstmarkt wird so attraktiver und kann verloren gegangenes Terrain wieder gutmachen. Der Gesetzentwurf ist damit ein starkes Signal für die Förderung des Kunsthandels in Deutschland. ({0}) Eine zentrale Bestimmung der Gesetzesvorlage ist die Anhebung des Schwellenwertes für die Anwendbarkeit des Folgerechts beim Verkaufspreis von früher 50 Euro auf 1 000 Euro. Hierdurch wird gewährleistet, dass keine Kleinstbeträge von wenigen Euro mehr ausgezahlt zu werden brauchen, bei denen der Verwaltungsaufwand den Ertrag zu überwiegen droht. Wahrscheinlich werden wir gleich noch ein paar kritische Worte zu diesem Aspekt hören. Natürlich erkennt man bei oberflächlicher Betrachtung wenigstens zwei Probleme. Der Entwurf bleibt mit dem Schwellenwert von 1 000 Euro deutlich unterhalb des von der Richtlinie zugelassenen Maximalschwellenwerts von 3 000 Euro. Auf den ersten Blick sieht es dennoch so aus, dass reihenweise Künstler von den Segnungen des Folgerechts ausgeschlossen werden könnten. Die Zahlen der eben zitierten Studie der European Fine Art Foundation sprechen aber eine ganz andere Sprache. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass über 90 Prozent der weltweiten Kunstverkäufe - jedenfalls im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst - in die Preiskategorie von 3 000 bis 50 000 Euro fallen. Dass wir den möglichen Schwellenwert von 3 000 Euro dennoch nicht voll ausgeschöpft haben, ist ebenso richtig. Bei einem derartigen Schwellenwert hätten es nämlich vor allen Dingen Fotografien zu schwer gehabt, von einer Folgerechtsvergütung überhaupt zu profitieren. Es ist aber ein deutlicher Fortschritt gegenüber der bestehenden Regelung, dass nun auch Fotografien in den Vergütungstatbestand mit aufgenommen werden. Diese Regelung bringt Rechtssicherheit und trägt dem Umstand Rechnung, dass Fotografien in verstärktem Maß als Kunstobjekte angesehen und auch behandelt werden. Eine Ungleichbehandlung im Vergleich zur klassischen bildenden Kunst ist daher nicht mehr zu rechtfertigen. Gegen den höheren Schwellenwert von 1 000 Euro wird ferner eingewandt, er sei ein Nachteil für junge Künstler, die noch nicht so hohe Preise für ihre Werke erzielen können. Betrachtet man hier wiederum ganz nüchtern die Zahlen, dann lässt sich aber schon nach der jetzigen Rechtslage feststellen, dass der Großteil der lebenden Künstler von der Folgerechtsabgabe ohnehin nicht profitiert. Kaum 10 Prozent der Künstler, die ihre Ansprüche aus dem Folgerecht über die VG Bild-Kunst wahrnehmen lassen, kommen in den Genuss einer Auszahlung. 2004 waren es - um es einmal in den relativ bescheidenen Zahlen auszudrücken - gerade einmal 314 lebende Künstler, denen 256 Erben gegenüber standen. Von diesen insgesamt 570 Personen sind übrigens knapp die Hälfte ausländische Künstler. Lässt das Verhältnis zwischen lebenden Künstlern und den Erben zunächst wenigstens noch ein kleines Übergewicht zugunsten der lebenden Künstler vermuten, zeigt eine wirtschaftliche Betrachtung der Sache schon ein ganz anderes Bild. Für das Jahr 2003 hat der Arbeitskreis Deutscher Kunsthandelsverbände vorgerechnet, dass die Erben deutscher Künstler gut 2,4 Millionen Euro aus der Folgerechtsvergütung erhalten haben, während den in Deutschland lebenden Künstlern zusammen lediglich ein Betrag von etwas mehr als 340 000 Euro ausgezahlt wurde. Also: knapp zweieinhalb Millionen Euro für Erben und 340 000 Euro für lebende Künstler. Das zeigt mehr als deutlich, dass das Folgerecht in erster Linie ein Erbenrecht ist und schon nach der heutigen Rechtslage jungen Künstlern kaum dient. ({1}) Trotz der vergleichsweise bescheidenen Beträge bleibt das Folgerecht ein sensibles Thema. Das zeigen insbesondere die Reaktionen in England seitens der Künstler. David Hockney lehnte mit weiteren britischen Künstlern in einem Artikel der „Times“ die Regelung gerade deshalb ab, weil sie keine Förderung junger Künstler mit sich bringen würde, sondern diesen eher schade. Kunsthändler würden angesichts der Abgabe lieber auf Nummer sicher gehen und sich an etablierte Künstler halten. Obwohl die deutsche Regelung bereits seit 1965 existiert, ist das Folgerecht auch bei uns durchaus umstritten. Renommierte Künstler wie Gerhard Richter oder Georg Baselitz haben sich bereits vor geraumer Zeit kritisch dazu geäußert. Es würden eben nur die Stars der Branche davon profitieren und jungen Künstlern - da sind sie ganz der Meinung ihrer englischen Kollegen - bereite die ganze Sache eher Schwierigkeiten. ({2}) Die Bedenken der etablierten Künstler in dieser Frage sollte man nicht einfach beiseite legen. Trotzdem ist die These, das Folgerecht schade jungen Künstlern, vielleicht doch etwas voreilig. Der Erstverkauf eines Bildes ist und bleibt vergütungsfrei. Die Eintrittskarte von Nachwuchskünstlern in den Kunstmarkt wird vom Folgerecht also gar nicht betroffen. ({3}) Das Folgerecht hat danach aber immer noch seine Berechtigung. Selten gelingt einem Maler oder einer Malerin auf Anhieb der Durchbruch. In der Regel erzielen Bilder erst einige Jahre nach dem Erstverkauf einen höheren Marktwert, an dem die Künstler dann nicht mehr beteiligt sind. Damit stellt sich natürlich schon die Frage, warum alle von einer Gewinnsteigerung des Werkes profitieren sollen - mit Ausnahme desjenigen, der die Ursache für die Wertsteigerung gesetzt hat. Hierin liegt auch der grundsätzliche Unterschied zum Buch oder zur Musik. In diesen beiden Fällen erhält der Urheber nämlich üblicherweise eine erfolgsabhängige Vergütung: Je mehr Bücher verkauft werden, desto höher fallen seine Einnahmen aus; je mehr CDs verkauft werden oder je öfter seine Musik im Radio gespielt wird, desto höher fällt seine Beteiligung aus. Der bildende Künstler kann hingegen nicht auf eine Erfolgsbeteiligung hoffen. Ob sich junge Künstler am Markt etablieren, dürfte aber kaum vom Folgerecht abhängen; denn das hieße, die Bedeutung der rechtlichen Regelung über die der ästhetischen Aussage eines Kunstwerkes zu stellen. Letztere aber gibt zum Glück den entscheidenden Ausschlag für die Durchsetzung eines noch unbekannten talentierten Künstlers. Nicht zuletzt die Erfolge der jungen deutschen Künstler, die unter dem Begriff „Neue Leipziger Schule“ zusammengefasst werden, zeigen das Potenzial auf, das in den Künstlern unseres Landes liegt. Selten war deutsche zeitgenössische Kunst international so gefragt wie heute. Der internationale Durchbruch gelang diesen deutschen Künstlern aber nicht in Deutschland, sondern in erster Linie auf Kunstmessen in den Vereinigten Staaten. Dieser Tatsache sollten wir als deutsche Rechts- und Kulturpolitiker nicht ganz gleichgültig gegenüber stehen. Wir sollten vielmehr die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit nicht nur die deutsche Kunst, sondern auch der deutsche Kunsthandel international wieder eine Spitzenposition einnehmen kann. ({4}) Mit der EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Folgerechts und mit unserem Umsetzungsgesetz tun wir einen entscheidenden Schritt zur Schaffung dieses Rahmens. Wenn wir dadurch den Kunsthandel in Deutschland stärken, so stärken wir mittelbar auch die bildende Kunst und die Künstler in unserem Lande. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Lukrezia Jochimsen, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fürchte, man kann die Welt sehr unterschiedlich betrachten. Welche Bedeutung haben die schön klingenden Bekenntnisse zur Kulturnation Deutschland in diesem Hohen Haus? Davon können wir uns in dieser Debatte ein Bild machen. Wie heißt es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD? Im Mittelpunkt der Kulturpolitik steht die Förderung von Kunst und Künstlern. Nun legt uns die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der kalt und brutal 40 Prozent der bildenden Künstler und Künstlerinnen in diesem Land um ihren gesetzlichen Anspruch auf einen Anteil am Erlös aus Weiterveräußerungen ihrer Werke bringt - knallhart und einfach so. Wenn ein Kunsthändler heute eine Grafik, ein Litho oder ein Foto für 200 Euro kauft und für 900 Euro verkauft, erhält der Künstler 5 Prozent dieser Weiterverkaufssumme, also 45 Euro. Das ist nicht viel Geld. Für Künstler und Künstlerinnen in Deutschland, die zum großen Teil mehr oder wenig an oder unterhalb der Armutsgrenze leben, ist dieses Geld aber unverzichtbar. Das gilt nicht für die Millionäre Baselitz und Neo Rauch. Im neuen Gesetzentwurf heißt es: Der Schwellenwert für die Folgerechtspflichtigkeit wird auf 1 000 Euro festgelegt. Das heißt, nur die Künstler und Künstlerinnen, deren Werke für 1 000 Euro oder mehr weiterverkauft werden, haben überhaupt einen Anspruch auf Folgerechtsvergütung. Bisher bestand ein Anspruch ab 50 Euro. Der Anstieg auf das 20-fache enteignet auf einen Schlag und ohne Not gerade die jungen Künstler und Künstlerinnen, die am Anfang ihres kreativen Wirkens stehen, aber auch die älteren Künstler und Künstlerinnen, die am Ende ihres Schaffensprozesses froh sind, wenn sie ihren Lebensunterhalt in Würde durch Weiterverkaufserlöse entsprechend ihrem bisherigen gesetzlichen Anspruch ein bisschen aufstocken können. Es gibt viele Künstler und Künstlerinnen in diesem Land, deren Arbeiten die Preiskategorie von 1 000 Euro und mehr nie erreichen. Ich spreche nicht von Bildern, sondern von Grafiken, Lithos, Aquarellen und Fotos. Weiß man im Bundesministerium, weiß man in der Regierung nicht um die wirtschaftliche Situation von Künstlerinnen und Künstlern? Doch, man weiß darum genau. Man weiß, dass 40 Prozent der Künstler und Künstlerinnen nach In-Kraft-Treten dieses Gesetz nicht mehr in den Genuss des Folgerechtes kommen, dass die Neuregelung also einer Enteignung eines Großteils der bildenden Künstler und Künstlerinnen gleichkommt und damit für diesen Personenkreis eine weitere Verarmung bedeutet. Damit nicht genug. Auch der Prozentsatz für Verkäufe bis 50 000 Euro soll in Zukunft von 5 auf 4 Prozent gesenkt werden. Diese Absenkung wiederum bedeutet eine massive Schlechterstellung der folgerechtsberechtigten Künstler und Künstlerinnen, die ihre Werke zu guten oder sehr guten Preisen verkaufen können. Das betrifft 20 Prozent der renommierten, für Deutschlands Kunst besonders wichtigen Kreativen. Man komme uns nicht mit dem Argument, hier müsse eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und Rates umgesetzt werden. Die europäische Richtlinie schreibt weder die Anhebung des Eingangssatzes auf 1 000 Euro noch die Absenkung des bisherigen Prozentsatzes von 5 auf 4 Prozent vor. Dieses Märchen wollen wir uns bitte gar nicht erst auftischen lassen. ({0}) Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten großen Gestaltungsspielraum bei der Frage, wo der Folgerechtsanspruch beginnt: bei 50 Euro, wie bisher bei uns, bei 300, 500 oder 1 000 Euro. Er muss nur bei maximal 3 000 Euro festgesetzt werden. Wir sind also frei in der Entscheidung, ob wir unseren bildenden Künstlern und Künstlerinnen eine angemessene Vergütung am Weiterverkauf ihrer Werke garantieren oder nicht, ob wir sie kalt enteignen oder nicht. Die Linksfraktion lehnt den Gesetzentwurf daher entschieden ab. Gestatten Sie mir zum Schluss ein Plädoyer: Wer Kunst und Kultur fördern und schützen will - das wollen wir angeblich alle -, der kann diesen Gesetzentwurf in dieser Form nicht passieren lassen. Danke. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Jerzy Montag hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) ({0}) Deswegen erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Dirk Manzewski, SPD-Fraktion. ({1})

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Fol- gerecht gibt dem Urheber eines Werkes der bildenden Künste einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung am Erlös aus der Weiterveräußerung seines Werkes, so- weit Kunsthändler oder Versteigerer daran beteiligt wa- ren. In Deutschland - das ist hier schon gesagt worden - gibt es diesen grundsätzlichen Anspruch schon seit lan- gem. Seit 1973 liegt er bei etwa 5 Prozent des Veräuße- rungserlöses. Innerhalb der EU sah dies bis vor kurzem jedoch noch völlig anders aus. In einigen Ländern gab es kein so ge- nanntes Folgerecht, in anderen gab es unterschiedliche Regelungen. Dies führte - das hat Kollege Krings richtig gesagt - zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen und Handelsverlagerungen. Deshalb fand etwa 80 Pro- zent, Herr Kollege Krings, des gesamten Kunsthandels innerhalb Europas in der Vergangenheit in London statt. Dort gab es - Sie alle können sich das denken - kein Folgerecht. Deswegen, Frau Kollegin Jochimsen, lief die 5-Prozent-Regelung, an der Sie sich gerade so schön ori- 1) Anlage 4 entiert haben, bei uns relativ leer. Denn aufgrund dieser Regelung fand hier quasi kein Kunsthandel statt. Das heißt, die Künstler hatten von der 5-Prozent-Regel relativ wenig. Das wird sich nun hoffentlich ändern. Grund für die heutige Debatte und die Änderungen am bestehenden Gesetz ist die EU-Richtlinie, die das Folgerecht innerhalb der EU harmonisieren wird. Zukünftig wird der Urheber der bildenden Künste überall in der EU vom Weiterverkauf seiner Bilder profitieren, auch wenn - das wurde schon gesagt - den Ländern bei einzelnen Punkten Handlungsspielräume eingeräumt wurden. Auch wir hatten unsere bestehenden Gesetze zu bearbeiten und der Richtlinie anzupassen. Neu dabei ist, dass die Vergütungsbeteiligung nun nicht mehr pauschal, sondern in einer degressiven Staffelung in fünf Schritten erfolgt. Dies ist durch die Richtlinie zwingend vorgegeben. Die Staffelung beginnt bei uns mit 4 Prozent bei Verkaufserlösen bis 50 000 Euro und endet bei 0,25 Prozent bei Verkaufserlösen von mehr als 500 000 Euro. Bei einem Verkaufserlös von unter 1 000 Euro greift das Folgerecht nicht. Diese Bagatellgrenze - auch das wurde schon gesagt - ist geschaffen worden, weil in diesem Bereich zwischen dem Nutzen des Urhebers und dem Verwaltungsaufwand kein vernünftiges Verhältnis mehr bestand. Ich teile Ihre Auffassung nicht, Frau LeutheusserSchnarrenberger, dass man diese Grenze hätte höher setzen können. Denn ich meine - das muss man deutlich sagen -, dann hätten die Urheber deutlich weniger davon profitiert. Jedenfalls habe ich Sie so verstanden. Wir haben es allerdings auch abgelehnt, einen höheren Mindestbetrag festzulegen - das hätte die Richtlinie erlaubt -, weil dies nach unserer Auffassung den Anwendungsbereich des Folgerechts zu weit eingeschränkt hätte. Neu ist auch, dass der zu erzielende Gesamtbetrag der Folgerechtsvergütung aus einer Weiterveräußerung allenfalls 12 500 Euro betragen darf. Auch hier mussten wir - das muss man deutlich sagen - der EU-Richtlinie folgen. Es ist sicherlich richtig, dass der Urheber nach der alten 5-Prozent-Regelung vermeintlich besser dastand. Aber abgesehen davon, dass wir aufgrund der EU-Richtlinie kaum Spielraum hatten, erscheint dies eben nur auf den ersten Blick so. Es sei noch einmal darauf hingewiesen - das ist sehr wichtig -, dass die Urheber kaum etwas von dieser Regelung hatten, da der Anspruch, wie gesagt, bislang relativ leer lief. Das ist nun anders und kompensiert dies meiner Auffassung nach bei weitem, zum einen, weil die Urheber nun in der gesamten EU einen Folgerechtsanspruch erhalten, und zum anderen, weil davon auszugehen ist, dass der Kunsthandel nun auch wieder mehr in Deutschland stattfinden wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie meiner Rede entnehmen können, halte ich den hier debattierten Entwurf für gelungen, auch wenn ich durchaus bereit bin, mich noch über die eine oder andere Einzelheit zu unterhalten. Herr Staatssekretär, eines bitte ich allerdings zu überprüfen: Im Gesetzentwurf ist festlegt, dass das Folgerecht nur gelten soll, wenn bei der Weiterveräußerung Kunsthändler oder Versteigerer beteiligt sind. Ich weiß nicht, ob dies tatsächlich der EU-Richtlinie entspricht. Diese differenziert nämlich zum Beispiel in der Begrifflichkeit ausdrücklich zwischen Kunsthändlern und Kunstgalerien. Vielleicht sollten wir, wie es auch in der EU-Richtlinie getan wird, lieber allgemein von „Vertretern des Kunstmarktes“ sprechen, um Folgerechtsansprüche tatsächlich umfassend zu gewährleisten. Ansonsten, finde ich, ist der Gesetzentwurf gelungen. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1107 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Inzwischen liegt auch die Gegenäußerung der Bundesregierung auf Drucksache 16/1173 vor, die an dieselben Ausschüsse überwiesen werden soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 17 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Weiter verhandeln - kein Militäreinsatz gegen den Iran - Drucksachen 16/452, 16/962 Berichterstattung: Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Dr. Rolf Mützenich Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Marieluise Beck ({1}) ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm - Demokrati- sche Entwicklung unterstützen - Drucksachen 16/651, 16/1157 - Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Hörster Dr. Rolf Mützenich Dr. Werner Hoyer Wolfgang Gehrcke Jürgen Trittin Vizepräsident Wolfgang Thierse Die Kollegen Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Rolf Mützenich, Harald Leibrecht, Norman Paech und Jürgen Trittin haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/962 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Weiter verhandeln - kein Militäreinsatz gegen den Iran“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/452 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mir ist nicht klar, was die FDP-Fraktion zu tun gedenkt. ({3}) Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ratlosigkeit der FDP-Fraktion angenommen. ({4}) Zusatzpunkt 6. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/1157 zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über das iranische Atomprogramm - Demokratische Entwicklung unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/651 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei einigen Gegenstimmen der Fraktion Die Linke, bei Stimmenthaltung der FDP und einigen Enthaltungen der Fraktion Die Linke angenommen. Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts - Drucksache 16/1025 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Georg Fahrenschon, Klaus Uwe Benneter, Mechthild Dyckmans, Ulla Lötzer und Margareta Wolf ({6}) sowie der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/1025 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es 1) Anlage 5 2) Anlage 6 dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b so- wie Zusatzpunkt 7 auf: 19 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Undine Kurth ({7}) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Verbot der Käfighaltung für Legehennen ab 2007 beibehalten - Drucksache 16/839 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN Arbeitsplätze durch artgerechte Legehennenhaltung in Deutschland sichern - Verbot der Käfighaltung ab 2007 durchsetzen - Drucksache 16/1128 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Wettbewerbsverzerrungen für Landwirte durch die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Haltung von Nutztieren in nationales Recht - Drucksachen 16/590, 16/1142 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort. ({11})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über ein Thema, das die Gemüter in dieser Republik über Jahre stark erhitzt hat. Wir beraten heute darüber, weil morgen eine wichtige Entscheidung im Bundesrat ansteht. Dort wird darüber entschieden, wie die Legehennen in Zukunft gehalten werden, ob sie weiter in viel zu kleinen Käfigen gehalten werden dürfen oder ob diese Art von Batteriekäfighaltung in Deutschland endlich ein Ende hat; deshalb der Antrag. ({0}) Die Diskussion darüber hat auch damit zu tun, dass es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 gibt, in dem sehr deutlich und klar gesagt worden ist, dass die Batteriekäfighaltung in Deutschland dem Tierschutzgesetz widerspricht. Es geht darum, genau dieses Urteil umzusetzen. ({1}) Dass ich heute hier stehe, hat auch etwas damit zu tun, dass die Klägerin, die damals dieses Urteil erwirkt hat, den Namen Bärbel Höhn trägt. Ich habe damals im Namen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen genau dieses Urteil erwirkt. Ich muss sagen, ich finde es gut, dass die Verfassungsrichter damals dieses Urteil gefällt haben. Es war notwendig, dass in einem Land wie Deutschland mehr für den Tierschutz getan wird, gerade auch für die Legehennen. ({2}) Dieses Gerichtsurteil ist sehr detailliert. Es besagt eindeutig, dass die Hennen verhaltensgerecht untergebracht werden müssen: Sie müssen scharren können, sie müssen picken können, sie müssen eine Stange haben, auf der sie sitzen können, sie müssen ein Nest zur Eiablage haben und sie müssen flattern und sich aufbäumen können. Genau das wird mit dem Vorschlag, der morgen im Bundesrat zur Abstimmung steht, nicht erreicht. Früher, bei der Batteriekäfighaltung, stand einer Henne eine Fläche zu, die kleiner war als ein DIN-A4-Blatt. Nach dem, was Sie erreichen wollen und was morgen zur Abstimmung steht, soll eine Henne nun eine Fläche bekommen, die etwas größer ist als ein DIN-A4-Blatt. Von etwas weniger als einem DIN-A4-Blatt zu etwas mehr als einem DIN-A4-Blatt, das ist zu wenig, meine Damen und Herren; das ist nicht artgerecht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priesmeier von der SPD?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön, Herr Priesmeier.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Höhn, ich zitiere aus dem Urteil: Ob daneben auch weitere artgemäße Bedürfnisse wie insbesondere das Scharren und Picken, die ungestörte und geschützte Eiablage, die Eigenkörperpflege, zu der auch das Sandbaden gehört, oder das erhöhte Sitzen auf Stangen durch die in § 2 Abs. 1 und 2 HHVO getroffenen Regelungen über die Käfighaltung unangemessen zurückgedrängt werden, kann offen bleiben. Das heißt, das Urteil sagt darüber sinnigerweise nichts aus. Es ist in dem Zusammenhang zwar wünschenswert, dass all diese Dinge umgesetzt werden, aber eine konkrete Aussage wird dort nicht getroffen. Stimmen Sie mir da zu?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Priesmeier, Sie haben eben sehr schön dargelegt, was alles möglich sein muss, nämlich das Scharren, das Picken usw. Aber auch die Größe der Käfige muss artgerecht sein. ({0}) Das, was Sie morgen auch mit den Stimmen der SPD im Bundesrat beschließen wollen, ist nicht tierschutzgerecht, Herr Priesmeier; das ist eindeutig. ({1}) Es geht zum einen um die Fläche, aber es geht zum anderen auch um das Flattern. Wie soll denn eine Henne flattern können, wenn sie in einem Käfig ist, der 45 bis 50 Zentimeter hoch ist, wie sich das Ihre SPD-Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern und Herr Backhaus vorstellen? Da bringt es auch nichts, vielleicht noch 10 Zentimeter dazuzugeben, wie es Herr Seehofer will. Bei einer Höhe von 45, 50 oder 60 Zentimetern kann man nicht von einer Kleinvoliere sprechen. Woher kommt denn der Begriff Voliere? Das kommt aus dem Französischen und bedeutet „fliegen“. Wie will man denn bei 60 Zentimetern Platz fliegen, Herr Priesmeier? Können Sie mir diese Frage einmal beantworten? Das können Sie eben nicht. Trotzdem wollen Sie morgen zustimmen. ({2}) Herr Priesmeier, ich bin hier wirklich sehr involviert. Sie wissen, dass morgen darüber abgestimmt wird, ob die Frist für die Batteriekäfighaltung, die Sie wahrscheinlich genauso verurteilen wie ich - ich hoffe, dass Sie das tun -, Ende dieses Jahres ausläuft oder ob sie um zwei Jahre verlängert wird. Herr Priesmeier, was sagen Sie dazu? Das ist das Gegenteil von artgerecht und das Gegenteil dessen, was wir hier eigentlich beschließen sollten. ({3}) Ich sage das auch deshalb, weil es in Niedersachsen, diesem schönen Bundesland, in dem ich lange gewohnt habe, mit dem Einsatz von Nikotin bei der Massentierhaltung gerade wieder einen echten Skandal gibt. Wenn es so ist, dass es Anfang dieses Jahres eine anonyme Anzeige gegeben hat, in der darauf hingedeutet wurde, dass das Nikotin schon im letzten Jahr eingesetzt worden ist, und die Behörden das seit Anfang dieses Jahres wussten, dann frage ich mich, warum sie zweieinhalb Monate mit den Untersuchungen gewartet haben, bei denen sie dann immer noch Nikotin gefunden haben. ({4}) Wenn man davon ausgeht, dass es dort über 1 Million Hennen gibt und jede dieser Hennen ein Ei pro Tag legt, dann wurden in zweieinhalb Monaten 100 Millionen bis 150 Millionen nikotinbelastete Eier gelegt, die, wenn wir Pech haben, auch in den Handel gekommen sind. Diese Art von Käfighaltung wollen Sie aufrechterhalten, Herr Priesmeier? Das kann doch wohl nicht Sinn der Sache sein. Wir sind dagegen. ({5}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Dieses Thema ist wichtig, aber es gibt noch ein anderes Thema. Wir reden bei diesem Thema ja auch über das Essen. Deshalb habe ich Ihnen etwas mitgebracht. Eier haben ja auch etwas mit Ostern zu tun. ({6}) - Sie bekommen auch welche. Seit der Ausschusssitzung sind Sie ja mein spezieller Freund. - Stellvertretend für Sie alle - für die Fraktionen habe ich auch noch einige Eierpäckchen - überreiche ich dem Bundestagsvizepräsidenten einen Karton Eier, damit er weiß, wie Eier von glücklichen Hühnern schmecken. Vielen Dank fürs Zuhören. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich hoffe, das wird meinen Cholesterinspiegel nicht erhöhen. Als nächster Redner hat der Kollege Franz-Josef Holzenkamp von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes hat in einem Vortrag im Jahre 2004 das Bestandsgefälle zwischen den großen Legehennenhaltern und den kleinen und mittleren Betrieben als dramatisch bezeichnet. Allein mit seiner kurzen Bestandsbeschreibung betritt er ein ideologisches Minenfeld, auf dem sich auch die beiden Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken bewegen. Im Übrigen: Wir Landwirte, die jeden Tag mit den Tieren arbeiten, sind nachhaltig an Tierschutz interessiert. Frau Höhn, Sie sollten mit den Unterstellungen, die Sie immer wieder machen, sehr vorsichtig sein. ({0}) Die Botschaft, die in diesen Aussagen steckt, ist einfach: Ein großer Hennenhaltungsbetrieb mit einem hohen Technisierungsgrad ist schlecht, Freiland- und Bodenhaltungsbetriebe mit wenig Technik sind gut. Meine Damen und Herren von Grün und von Links, wachen Sie endlich aus Ihrer Agrarromantik auf! ({1}) Wir leben nicht auf einer Insel der Glückseligen, wo es ausreicht, ein paar lustig gackernden Hühnern morgens die Eier aus dem Nest zu holen. ({2}) Genug der Ironie; denn Ihre Anträge sind alles andere als lustig. Wenn wir Ihre Forderungen umsetzten, würden auf einen Schlag - hören Sie jetzt bitte genau zu etwa 40 000 Arbeitsplätze verloren gehen. ({3}) Es geht um 40 000 betroffene Familien. Frau Höhn, Sie haben Recht: Sie sind tatsächlich das Schicksal der deutschen Hühnerhalter. Vor welcher Ausgangslage stehen wir? Die Globalisierung macht auch vor der Agrarwirtschaft nicht Halt. Die Wettbewerber unserer Geflügelproduzenten stehen direkt vor unserer Tür. ({4}) Schauen Sie nach Polen oder in die Tschechei! Ich habe mich erst kürzlich mit Gänsehaltern getroffen. Viele dieser Betriebe haben fürchterliche Probleme; darüber haben wir heute im Ausschuss gesprochen. Einige stehen kurz vor dem Aus. Der deutsche Verbraucher kauft eben lieber die polnische Gans. Warum? Sie ist einfach billiger.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Holzenkamp, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, Frau Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Holzenkamp, Sie haben gerade eine Schmährede in Bezug auf Frau Höhn und die Grünen gehalten. ({0}) Ist Ihnen bekannt, dass das, was sich im Antrag der Grünen widerspiegelt, die geltende Gesetzeslage ist, der im Übrigen die unionsgeführten Länder im Bundesrat zugestimmt haben? Deswegen kann dies mitnichten die Folgen haben, die Sie hier vollmundig beschreiben, etwa den Wegfall von 40 000 Arbeitsplätzen. Ist Ihnen auch bekannt, dass sich ein Großteil der Verbraucher inzwischen auf Boden- und Freilandeier umgestellt hat? Bei der Warenhauskette Real zum Beispiel konnte der Absatz an Boden- und Freilandeiern von 30 Prozent dauerhaft auf 70 Prozent gesteigert werden. Ist Ihnen darüber hinaus bekannt, dass ein großer Anteil der Boden- und Freilandeier, deren Absatz sich in Deutschland verdoppelt hat, aus den Niederlanden und Frankreich kommt und Sie mit Ihrer dummen Politik verhindern, dass sich die deutschen Betriebe auf diese Marktlücke einstellen und somit ein Hemmnis in der Entwicklung zu einer tiergerechten Produktion darstellen?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erst einmal vielen Dank, Frau Höfken, für die Frage. Erstens, zur rechtlichen Situation. Verfolgen Sie meine weiteren Ausführungen; denn ich werde darauf eingehen. Zweitens, zum Markt. Glauben Sie mir, ich habe jeden Tag mit dem Markt zu tun. Ich weiß, was Markt ist. ({0}) Gegen diese Marktmacht aus Größe und extrem niedrigen Produktionskosten können wir nur bestehen, indem wir auch in Deutschland kostengünstig produzieren. Das hat eine ganze Menge mit der Größe einer Betriebseinheit zu tun. Aber wir sind uns in einem Punkt vollkommen einig: Die Ökonomie darf natürlich nicht auf Kosten des Tierschutzes gehen. Die Herausforderung an die moderne Landwirtschaft liegt gerade darin, mit einer wettbewerbsfähigen Produktion in einer globalisierten Konkurrenzsituation zu bestehen, ohne gleichzeitig die berechtigten Ansprüche des Tierschutzes, des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes zu vernachlässigen. ({1}) Dieser Herausforderung hat sich die Geflügelwirtschaft definitiv gestellt. Basierend auf dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat sie unter Federführung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Celle und der Tierärztlichen Hochschule Hannover über mehrere Jahre ein wissenschaftlich fundiertes Haltungsverfahren, die so genannte Kleinvoliere, entwickelt. An dieser Stelle möchte ich ein Dankeschön an unseren Koalitionspartner richten, dass die Kleinvoliere jetzt kommt. Ich sage ganz ehrlich, dass ich mir ein bisschen mehr gewünscht habe. Ein Wort zu den Grünen: Wenn Sie weiter vom Käfig reden wollen, dann reden Sie meinetwegen vom Käfig. Für uns ist das eine moderne, nachhaltige und zukunftsträchtige Kleinvoliere. ({2}) Warum sage ich das? Die Studien der Tierärztlichen Hochschule Hannover sprechen eine sehr deutliche Sprache. Zusammengefasst lautet das Ergebnis, dass die Kleinvoliere in Bezug auf Tiergesundheit, das Verhalten der Tiere, Umweltbelastung, Tierbetreuung, Arbeitsplatzqualität, Produktqualität und Produktionskosten den übrigen Haltungsformen deutlich überlegen ist. ({3}) Denken Sie nur an unser aktuelles Problem: die Vogelgrippe. Dabei wird deutlich, dass im Sinne des Tier- und Verbraucherschutzes die Stallhaltung unverzichtbar ist. ({4}) Es gibt sogar Altersheime, die auf Eier aus Bodenhaltung verzichten. ({5}) Die Ergebnisse der Forschungsinstitute belegen, dass die Kleinvoliere nicht nur die Tierschutzkriterien der EU-Richtlinie erfüllt; sie geht sogar weit darüber hinaus.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Holzenkamp, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte meine Ausführungen jetzt gerne zu Ende bringen. ({0}) Die Tierschutzkriterien, die die Kleinvoliere erfüllt, gehen weit über die Tierschutzkriterien der EU-Richtlinie hinaus. ({1}) Deutschland nimmt bei der Kleinvolierenhaltung weltweit eine Vorreiterrolle im Tierschutz ein. Vor diesem Hintergrund erscheinen mir die Anträge der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen obsolet. Das ist auch wissenschaftlich bewiesen. ({2}) Erlauben Sie mir, auf einen weiteren Punkt aus dem Antrag der Linken einzugehen. Sie stellen darin die Behauptung auf, dass tiergerechte Legehennenhaltung von den Verbrauchern honoriert werde. Ich entkleide Ihre Worte einmal des ideologischen Mäntelchens und formuliere sie anders: Ihrer Meinung nach bevorzugt der Verbraucher bei seinem Kauf die teureren Eier aus Freiland- und Bodenhaltung. Das ist - meinetwegen auch leider - schlichtweg falsch. Ich zitiere noch einmal Herrn Apel: Es gibt nicht den Verbraucher. Aber es fällt auf, dass sich viele Verbraucher vor dem Supermarkt für den Tierschutz aussprechen und im Supermarkt dann eindeutig ins falsche Regal greifen. Ich denke, Herr Apel hat damit zwar grundsätzlich Recht, zieht aber genau wie Sie die falschen Schlüsse. Die Menschen wollen zwar Tierschutz, aber er muss bezahlbar bleiben. ({3}) Für uns heißt das: Wir müssen in unseren Betrieben die bestmöglichen Tierschutzstandards implementieren und weiterentwickeln und gleichzeitig allen Verbrauchern Produkte zu marktfähigen Preisen anbieten. ({4}) Ich will Betriebsformen und -größen nicht werten. Alles hat seine Daseinsberechtigung. Aber die Daseinsberechtigung wird letztlich am Markt entschieden. ({5}) Sie können doch nicht allen Ernstes glauben, mit dem planwirtschaftlichen Vorschreiben der Betriebsform Arbeitsplätze zu erhalten, geschweige denn, welche schaffen zu können. Doch genau das tun Sie in Ihren Anträgen, meine Damen und Herren von den Grünen und den Linken, frei nach dem Motto: „Weg mit den Großen, her mit den Kleinen“. Liebe Genossinnen und Genossen - wie ich Sie an dieser Stelle einmal anreden möchte -, ({6}) das ist wirklich hohe marxsche Ökonomie. Wir alle wissen, dass das in der Vergangenheit schon nicht funktioniert hat. So funktioniert Wirtschaft auch nicht. ({7}) Sie glauben, in dem Modell der Schweiz, die die Käfighaltung seit 1991 verboten hat, den Heilsbringer gefunden zu haben. ({8}) Das würde die deutsche Geflügelwirtschaft nicht nur sichern, sondern sogar erweitern helfen. Von Frau Höhn war heute in der „Frankfurter Rundschau“ die gleiche Aussage zu lesen. Aber nur, weil zwei das Gleiche sagen, wird es noch lange nicht richtig. Betrachten wir doch einmal die Schweizer Realität: Der Marktanteil inländischer Eier kann nur über massive Subventionierung aufrechterhalten werden. Dort, wo die eidgenössischen planwirtschaftlichen Gängelungen nicht greifen, nämlich bei Eiprodukten, sind die Importe in die Schweiz stark angestiegen. Ein anderes Beispiel ist Schweden. Schweden praktizierte bekanntlich für einige Jahre das Verbot der Käfighaltung. In der Boden- und Freilandhaltung nahmen die Probleme von Kannibalismus und hoher Tiersterblichkeit derart überhand, dass Schweden das Verbot der Käfighaltung rückgängig gemacht und den modifizierten Käfig wieder eingeführt hat. Wohlgemerkt, die neue schwedische Käfighaltung fällt in Sachen artgerechte Haltung hinter unsere deutsche Kleinvoliere zurück.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In wissenschaftlichen Untersuchungen wird davon ausgegangen, dass dann, wenn Ihre Anträge Realität werden, der Selbstversorgungsgrad mit Eiern in Deutschland von derzeit 70 auf 35 Prozent zurückgehen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Holzenkamp!

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir exportieren dann unsere Arbeitsplätze und importieren schlechtere Produkte, die wir selber viel besser herstellen können. Gleichzeitig sinken die Tierschutzstandards. Abschließend möchte ich noch Folgendes wiederholen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, bitte nichts mehr wiederholen, Herr Holzenkamp.

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es geht um 40 000 Existenzen und um Wirtschaftsinvestitionen. Stürzen Sie die Menschen nicht ins Unglück! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln zu später Stunde auch den Antrag der FDP „Keine Wettbewerbsverzerrungen für Landwirte durch die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Haltung von Nutztieren in nationales Recht“. Damit man weiß, worüber wir reden, eine kleine Erklärung: Gemeint ist die Haltung von Tieren jeder Art, wie Schweine, Geflügel und Rinder. Es geht um Tierschutz, Wettbewerb und Arbeitsplätze. Als wir in den Bundestagswahlkampf hineingingen, haben wir, die FDP, und die CDU/CSU das nationale Überziehen von Frau Künast massiv kritisiert. Ich habe Veranstaltungen erlebt, auf denen Frau Künast nicht zu Wort gekommen ist, weil die Landwirte sie so sehr bedrängten und forderten: Das darf nur eins zu eins in nationales Recht umgesetzt werden. Die Oberkämpfer für diese Linie waren die Freunde von der CDU/CSU. Aber was ist von euch geblieben? Morgen werden zwei Verordnungen, mit denen europäisches Recht in nationales umgesetzt wird, beschlossen, die weit über die europäische Vorgabe hinausgehen. ({0}) - Geschätzte Frau Kollegin Wolff, dass Sie klatschen, kann ich verstehen. Aber ich bin froh darüber, dass ich zumindest Betroffenheit bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU auslöse. Herr Schirmbeck, ob Sie es mir glauben oder nicht, es geht mir an die Nieren, dass vor der Bundestagswahl und in einer Regierungserklärung von Frau Merkel etwas versprochen wird, dass aber dann auf Veranlassung von Herrn Minister Seehofer und Frau Merkel im Bundesrat etwas völlig anderes beschlossen wird. Mir geht es an die Nieren, dass auf unsere landwirtschaftlichen Betriebe bei der Schweinehaltungsverordnung eine zusätzliche Belastung in Höhe von durchschnittlich 65 000 Euro zukommt, und das vor dem Hintergrund der Schweinepest, eines absoluten Stillstands in NordrheinWestfalen. Das geht mir ans Herz. - Herr Holzenkamp, Sie sollten bitte zuhören. Ich wundere mich, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU lachen; denn Sie werden bestimmt zur Kenntnis genommen haben, dass Sie morgen eine Legehennenverordnung beschließen, die dazu beiträgt, Mecklenburg-Vorpommern von jeder Form der Legehennenhaltung zu befreien. Um das ganz klar zu sagen: Ihre Altanlagenregelung wird dazu führen, dass die Produktion nicht mehr in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft, in Polen. Das bedeutet Arbeitsplatzverluste in Deutschland. ({1}) Ihre antragsgebundene Verlängerung steht in krassem Widerspruch zu Ihren Aussagen zum Bürokratieabbau. Sie werden ein Bürokratiemonster erschaffen, das seinesgleichen sucht. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Goldmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klöckner?

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne. ({0}) - Sie brauchen sie nicht aufzufordern, mich niederzumachen. Ich glaube, Sie haben das Thema des heutigen Abends nicht ganz verstanden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Klöckner.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Goldmann, stimmen Sie mir zu, dass morgen im Bundesrat auch FDP-mitregierte Bundesländer diesem Antrag zustimmen und auch Sie beteiligt sind? ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Kollegin, wie Sie wissen, haben wir in keinem der Länder, in denen wir mitregieren, die Regierungsverantwortung. ({0}) - Warum lachen Sie so? Wissen Sie nicht, dass der Ministerpräsident, der hier eine entscheidende Rolle spielt, der niedersächsische Ministerpräsident Wulff ist? ({1}) Wissen Sie nicht, dass der Ministerpräsident aus BadenWürttemberg hier eine ganz entscheidende Rolle spielt? ({2}) Wissen Sie nicht - das zum Thema Mitregieren -, dass wir uns heute Abend mit dem niedersächsischen Wirtschaftsminister treffen, um zu retten, was in dieser Frage zu retten ist? Wissen Sie nicht, dass wir aus Südoldenburg, aus dem Emsland, aus der Region, aus der Herr Holzenkamp kommt, in Massen von Mails aufgefordert werden, das zu verhindern, was Sie morgen im Bundesrat beschließen? ({3}) - Warten wir das erst einmal ab! - Wissen Sie nicht, dass in der letzten Woche im Agrarausschuss eine Regelung getroffen wurde, die wir mitgetragen haben? Wissen Sie nicht, dass Herr Minister Seehofer diese Regelung um zwei Jahre vorgezogen hat und dass dies dazu führen wird, ({4}) dass wir Arbeitsmarktprobleme bekommen werden und der Tierschutz ins Ausland verlagert wird?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Goldmann, haben Sie die Frage der Frau Klöckner beantwortet?

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe die Frage der Frau Klöckner relativ einfach beantwortet. ({0}) Es war doch nicht so schwer zu verstehen, dass wir Regierungsbeteiligungen haben, Frau Kollegin Klöckner, und dass Sie - ({1}) - Frau Klöckner, Sie brauchen sich jetzt nicht so zu benehmen. ({2}) Sie sind ja sonst sehr angriffsfreudig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Goldmann, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Klöckner?

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne. Aber ich will erst einmal die erste Frage beantworten. ({0}) Würden Sie, geschätzte Frau Kollegin Klöckner, in einer solchen Situation, zum Beispiel beim Weinabkommen, die Koalitionskarte ziehen? Haben nicht auch Sie beim Weinabkommen, das Rheinland-Pfalz nicht unbedingt nach vorne bringt - als ehemalige Weinkönigin werden Sie das wissen -, dafür plädiert, dass wir eine europäische Regelung bekommen, die der Interessenlage Ihres Landes und dem internationalen Wettbewerb Rechnung trägt? ({1}) Sie sollten hier nicht die Verantwortung abschieben. Sie haben „eins zu eins“ versprochen und Sie machen morgen ganz eindeutig nicht „eins zu eins“. Das ist Wahlbetrug und das wissen Sie ganz genau.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Klöckner, bitte schön. Aber ich bitte jetzt um eine kurze Frage und auch um eine kurze Antwort.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da können Sie sicher sein. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muss sagen, ich bin etwas irritiert. Zuerst haben Sie, Herr Kollege Goldmann, gesagt, Sie hätten die Frage einfach beantwortet, und dann wollten Sie sie beantworten, weil sie noch nicht beantwortet war. Das irritiert etwas. ({0}) Eine kurze Nachfrage: Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihre Aussage dahin geht, dass in einer Koalition von zwei Partnern der Juniorpartner nicht in Regierungsverantwortung steht, sondern nur der große Partner?

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir gehen davon aus, dass wir in Regierungsmitverantwortung stehen. Das reicht uns. ({0}) Aber, liebe Frau Klöckner, wir sind hier, wie Sie wissen, nicht im Bundesrat, sondern im Bundestag. Es ist schon sehr interessant, wie Sie nachher abstimmen werden. Wir haben einen Antrag eingebracht. - Frau Klöckner, hören Sie doch wenigstens zu! Sonst haben Sie es wieder nicht verstanden. ({1}) Wenn Sie unseren Antrag gelesen haben - ich nehme an, Sie haben ihn gelesen; er ist ja nicht sehr lang -, werden Sie festgestellt haben, dass darin steht: europäische Vorgabe eins zu eins in nationales Recht umsetzen. Sie haben bei mindestens fünfzig Wahlveranstaltungen vor der Bundestagswahl gesagt, ({2}) dass Sie für eine Eins-zu-eins-Umsetzung sind. ({3}) Deswegen sage ich hier ganz klar: Sie haben in dieser Frage Wahlbetrug begangen und sonst überhaupt nichts. ({4}) Es gibt in dieser Regelung, die möglicherweise morgen im Bundesrat zum Tragen kommt, einen Punkt, den Sie, liebe Frau Höhn, nicht so kritisch sehen sollten, wie Sie es getan haben. Dabei geht es um die Kleinvoliere. Wir sind mit Ihnen völlig einer Meinung: Der alte Käfig muss verschwinden; das ist überhaupt keine Frage. ({5}) - Frau Höhn, das haben wir immer gesagt. ({6}) - Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen möchten, dann sollten Sie sich dazu melden. Ansonsten müssen Sie sich noch eine Minute das anhören, was ich sagen möchte. Ich habe schon Ihrer Kollegin, Frau Künast, gesagt: Käfig ist nicht gleich Käfig. Mit einer solchen Aussage blamieren Sie sich im Grunde genommen. Sie wissen ganz genau, dass es auf die Ausgestaltung der Haltung ankommt. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, dass Käfige verboten sind. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Man muss eine tierartgerechte Haltungsform finden. - Sie haben das Aufständern, das Scharrvermögen und die Eiablage angesprochen. Wenn die Käfigform den Kriterien der tierartgerechten Haltung entspricht, dann ist artgerechte Haltung möglich. Was die Kleinvoliere angeht, machen wir uns auf den Weg zu mehr artgerechter Haltung. ({7}) Sie wissen ganz genau, dass die Werte 60 Zentimeter Höhe - was die Kleinvoliere angeht, wird morgen möglicherweise ein entsprechender Beschluss gefasst - und 800 Quadratzentimeter Bodenfläche fachwissenschaftlich als artgerecht gelten. Deswegen sollten Sie hier meiner Meinung nach keinen Nebenkriegsschauplatz eröffnen. Vielmehr sollten Sie schlicht und ergreifend sagen: Das, was morgen beschlossen wird, ist zwar mit Sicherheit keine Eins-zu-eins-Umsetzung, aber es ist weiß Gott eine Weiterentwicklung der bisherigen Käfigbedingungen. Dies bedeutet einen verbesserten Tierschutz. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Man kann die Problematik der Hennenhaltung unter den verschiedensten Aspekten diskutieren. Ein wichtiger Aspekt sind natürlich ethische Vorgaben für die Nutztierhaltung. Der Tierschutz ist dabei ein hohes Gut. Es kommt aber auch darauf an, die unterschiedlichen Interessen gegeneinander abzuwägen. Unseren Nutztieren nutzt letztendlich nur der hohe Tierschutzstandard, den wir in Deutschland haben. Uns nützt der Tierschutz in anderen europäischen Ländern, wo er unter Umständen nicht oder nicht in diesem Maße betrieben wird, überhaupt nichts. ({0}) Er nützt auch dem Konsumenten nichts. Wir haben hier lange Zeit darüber diskutiert. Eine meiner ersten Reden in diesem Hohen Hause hatte die Hennenhaltung zum Thema. Das zeigt, wie lange wir uns damit schon beschäftigen. Mittlerweile haben einige historische Ereignisse stattgefunden, zum Beispiel der Osnabrücker Hühnerfrieden, ({1}) der nicht gehalten hat. Der Bundesrat hat am 19. Dezember 2004 einen Beschluss gefasst, der genau das beinhaltet, was morgen im Bundesrat mit einiger Wahrscheinlichkeit wiederum beschlossen werden wird. Den damaligen Gesetzentwurf hat Ministerin Künast nicht unterschrieben. Man kann sich darüber streiten, ob wir zwei Jahre verloren haben. Ich glaube, ja. Man hätte diesen Schritt schon vor zwei Jahren vollziehen können. Wenn man einen Vergleich zieht zwischen dem ausgestalteten Käfig, der Voliere, der Hühner-WG - wie auch immer man das nennen mag; ich will das jetzt nicht verniedlichen -, und dem, was 1999/2000 in diesem Bereich Standard war, der erkennt sehr wohl, dass erhebliche Fortschritte gemacht worden sind. Jedes der zurzeit existierenden Hennenhaltungssysteme ist durch Intensität gekennzeichnet und mit Vor- und Nachteilen versehen. Jedes solche System bringt spezifische Probleme mit sich. Ein System hat zwar den Nachteil, dass die Hühner einen eingeschränkten Bewegungsraum haben und auf Gitterdraht gehalten werden, dafür aber den Vorteil, dass bestimmte Standards im Bereich Hygiene - Stichwort „Keimfreiheit“ und „Schutz vor bestimmten Krankheiten“ - eingehalten werden können. Ein anderes System, das der Boden- und Freilandhaltung, ist dem Problem der Koprophagie ausgesetzt: Hühner neigen dazu, ihre Ausscheidungen zu fressen, und dadurch gibt es ganz bestimmte Erkrankungen und Krankheitssymptome. Wir haben zur wissenschaftlich exakten Beurteilung solcher Systeme keine Kriterien, mit denen man das Wohlbefinden und das Wohlverhalten von Hühnern im Käfig messen kann. Also müssen wir uns an Kriterien orientieren, die objektivierbar sind. Das sind zum einen die Mortalität und zum anderen der Gesundheitszustand. Insofern gibt es bei der bisherigen Freiland- oder auch Bodenhaltung Vorteile, aber auch noch erhebliche Probleme. Das gilt es gegeneinander abzuwägen. Es gilt auch, eine vernünftige Entscheidung dazu zu treffen, wohin man sich in Zukunft bewegen möchte. Wir wollen demnächst - im Augenblick sind von etwa 38 Millionen Hühnern noch 30 Millionen in Systemen mit eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit - zumindest 50 Prozent in die Boden- und oder Freilandhaltung bekommen - mit all den Schwierigkeiten, die in dem Zusammenhang noch zu bewältigen sind; denn an sich müssen alle drei Systeme weiterentwickelt werden. Sie bedürfen bei ihrer Entwicklung einer erheblichen wissenschaftlichen und auch wirtschaftlichen Unterstützung. Es kommt auch darauf an - das habe ich letzte Woche von der großen Tierschutzkonferenz der Kommission in Brüssel mitgenommen -, dass wir in Europa an vorderster Stelle stehen, dass wir diese Standards, die erheblich über dem liegen, was im Jahr 2012 auf der EU-Ebene verpflichtend sein wird, weiter ausbauen und im Rahmen des Aktionsplans Tierschutz versuchen - das rege ich gegenüber der Bundesregierung an -, diese Standards auf der europäischen Ebene zu etablieren, damit es dort nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Fakt ist, dass wir die Nachfrage von Verbrauchern - dabei geht es um die Schaleneier, die im Laden verkauft werden - aus Freiland- oder Bodenhaltung befriedigen können. Dass wir aus den anderen EU-Ländern oder aus dem sonstigen Ausland Eier aus Boden- oder Freilandhaltung importieren, liegt häufig daran, dass unsere Preise von Anbietern aus diesen Ländern unterboten werden. Es gibt natürlich die Möglichkeit, Eier zu importieren; das ist ja ein ganz normaler Markt. Es geht auch um den Bereich der Verarbeitung von Schaleneiern zu Eiprodukten. Diesen Bereich gibt es in der Schweiz nicht mehr. In der Schweiz liegen ganz besondere Konstellationen vor. Deshalb kann man die Schweiz in der Geflügelhaltung nicht zum Modell für Deutschland machen, auch nicht zum Modell für die Niederlande oder für Belgien. Mit dem, was wir morgen hoffentlich als Beschluss des Bundesrates bekommen werden, werden wir zunächst einmal ein System etablieren, was nicht statisch ist, was also nicht dauerhaft festgeschrieben wird, sondern mit dem wir das umsetzen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben und was uns Sozialdemokraten natürlich sehr am Herzen liegt, nämlich den TierschutzTÜV, also eine Prüfung von industriell hergestellten Haltungssystemen nach entsprechenden Kriterien unter Beteiligung von Tierschützern, Ethologen, Beteiligten aus der Produktion und Herstellern. Es wird eine Systematik etabliert, wie sie die Schweiz schon hat und wie sie demnächst auch Österreich haben wird; in Österreich gibt es nämlich ein neues Tierschutzgesetz, in dem das ebenfalls geregelt wird. Da befinden wir uns, glaube ich, auf einem ganz guten Weg. Es geht darum, die Entwicklung von Haltungssystemen nicht aus einer emotionalen Ebene heraus zu betrachten, sondern zu versuchen, das anhand von wissenschaftlichen Kriterien fassbar zu machen. Es nützt uns wenig, wenn wir in dieser Gesellschaft im Einzelfall aus der Kuscheltierperspektive darüber diskutieren, was denn - vermeintlich - die Bedürfnisse von Tieren sind. Die Hühner, die heute gehalten werden, sind nicht mehr mit dem Bankivahuhn zu vergleichen, das vor 1 000 oder 2 000 Jahren irgendwo in Indien mal am Waldrand gesessen hat. Heute haben wir hoch gezüchtete Rassen, die unter bestimmten Bedingungen an bestimmte Verhältnisse adaptiert sind, die aber selbstverständlich einen großen Teil ihrer normalen Verhaltensweisen behalten. Darauf muss man Rücksicht nehmen; denn Tiere, die nicht artgerecht gehalten werden, liefern, ökonomisch gesehen, natürlich nicht die entsprechenden Produkte und Ergebnisse. Wir kommen schon wesentlich weiter, wenn es uns gelingt, unter dem Aspekt der artgerechten Tierhaltung entsprechende Kennzeichnungen für den Verbraucher vorzunehmen. Aber es hilft nicht viel weiter, hier erregte Diskussionen zu führen und uns vorzustellen, dass spätestens am 31. Dezember 2006 30 Millionen Hennen abgeschlachtet werden müssen. Wenn das der Fall wäre, müssten alle Geflügelschlachthöfe in Deutschland wahrscheinlich wochenlang im Dreischichtbetrieb Überstunden fahren. Das können wir nicht leisten und das wird auch niemand verlangen. ({2}) Aber auch, wenn unser Selbstversorgungsgrad wesentlich sinkt, wird die Nachfrage nach Eiern in Europa nicht plötzlich um das Doppelte ansteigen. Das hat Auswirkungen auf den Markt, auf das Preisgefälle, auf die Arbeitsplätze, auf den vor- und nachgelagerten Bereich. Das Argument, dass Bodenhaltung oder Freilandhaltung arbeitsintensiver ist, trifft zu. Aber dafür werden durch die Produktion im vor- und nachgelagerten Bereich wesentlich mehr Arbeitsplätze gesichert als in dem primären Bereich allein. Der Bereich ist sehr differenziert zu sehen, auch hinsichtlich der Größenordnung. Ich glaube, jeder, der sich in Zukunft engagieren möchte, hat eine Chance. Dazu werden entsprechende Programme aufgelegt, zum einen finanziert aus dem Haushalt 2006, zum anderen aber auch über die Rentenbank oder die GhK, sodass Betriebe, die auf Bodenhaltung umsteigen wollen, finanzielle Unterstützung finden und entsprechende Perspektiven im Markt erwarten können. Aber es kommt auch darauf an, die Standards letztendlich nicht zu zementieren, sondern weiterzuentwickeln. In diesem Sinne, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam an der Verbesserung des Tierschutzstandards in Deutschland arbeiten. Da sind weder die Hennenhaltung noch andere Bereiche ausgeschlossen. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider zu später Stunde soll über das Schicksal von 39 Millionen Legehennen diskutiert werden. ({0}) Inzwischen ist die Frage, ob Legehennen in Käfigen leben sollen und wie groß diese dann sein sollen, zu einer Glaubensfrage hochstilisiert worden. Es ist aber keine Glaubensfrage. Schließlich hat sich das Bundesverfassungsgericht dazu schon im Jahre 1999 - das ist sieben Jahre her, meine Damen und Herren - eindeutig geäußert: Eine artgerechte Unterbringung muss den grundlegenden Verhaltensbedürfnissen von Hühnern entsprechen. ({1}) Das heißt - es wurde schon zitiert -: scharren, picken, sandbaden sowie erhöht auf Stangen sitzen, ungestörte und geschützte Eiablage, sich aufbäumen. Ich verstehe nicht, meine Damen und Herren, warum Sie sich da jetzt so aufregen und was daran missverständlich ist. Ich verstehe erst recht nicht, warum gerade dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts immer wieder in Zweifel gezogen wird. ({2}) Bei anderen Urteilen tun Sie das nicht; die nehmen Sie so hin. Damals bei der Anhörung im Bundestag - ich war dabei - wurden genau die gleichen Argumente vorgetragen. Daran hat sich nichts geändert. Aber sie werden nicht richtiger, wenn sie immer wieder neu hervorgekramt werden. Immer wieder wird das Festhalten an den Hühnerkäfigen mit der notwendigen Wettbewerbsfähigkeit begründet; sonst würde die Eierproduktion ins Ausland wandern. Solche Argumente höre ich zu jedem x-beliebigen Thema, zum Beispiel AEG: Wenn ihr nicht billiger werdet, verlagern wir die Produktion ins Ausland. ({3}) Herr Holzenkamp hat sich dieses Arguments wieder bedient. Er hat sogar Karl Marx zitiert. ({4}) Herr Holzenkamp, ich kann Ihnen nur sagen: Zu Karl Marxens Zeiten gab es noch keine Hühnerlegebatterien, der konnte sich nicht geäußert haben. ({5}) Natürlich werden Eier im Ausland billiger produziert. Aber den Wettbewerb um das billigste Ei werden wir sowieso verlieren. Wir können auch noch einmal über den Mindestlohn in Europa diskutieren; ({6}) er ist dringend notwendig. Wenn in großen Hühnerlegebatterien in Niederbayern den Leuten die Löhne gekürzt werden, dann ist das eine Sauerei. ({7}) Andererseits importiert Deutschland inzwischen Millionen von Eiern aus artgerechter Haltung aus Ländern wie den Niederlanden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bulling-Schröter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin, Sie haben gerade Karl Marx zitiert. Stimmen Sie mir zu, dass es ein Ergebnis der modernen Landwirtschaft, die Sie kritisieren, ist, dass sich heute alle Arbeiter in Deutschland täglich ein Frühstücksei und regelmäßig ein Stück Fleisch leisten können? Das ist etwas, wovon man zu Zeiten von Karl Marx gar nicht zu träumen gewagt hätte.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich stimme Ihnen zu, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter Eier und Fleisch leisten können. Aber unabhängig davon denke ich, dass diese Menschen Eier und Fleisch aus tiergerechter Haltung wollen. ({0}) Die Holländer haben die Zeichen der Zeit erkannt und eben schon eher umgestellt. Denn sie wissen, dass immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher genau hinsehen, wie die Lebensmittel, die sie kaufen, produziert werden. Ich frage die Befürworter der Batteriehaltung: Sehen Sie nicht eine Chance, hier Marktanteile zurückzugewinnen, indem genau die Lebensmittel produziert werden, die die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher wünscht? Wir reden jetzt einmal über Preise. Sachverständige haben uns die Preisdifferenz genannt: Ein Ei aus tiergerechter Haltung ist, wenn alles gut läuft, um 0,4 Cent teurer. Ich bitte Sie! Wir reden also nur über 0,4 Cent. Natürlich nimmt gerade unsere Fraktion die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen sehr ernst. ({1}) Aber wir müssen auch mittel- und langfristig denken: Eine artgerechte Haltung von Legehennen schafft mehr Arbeitsplätze und bessere Arbeitsbedingungen. ({2}) Sie bietet die Möglichkeit zu einer regionalen Vermarktung. ({3}) - Es gibt dazu sogar ein Programm der CSU. Warum regen Sie sich also darüber auf? - Auch wir wollen diese regionale Vermarktung. ({4}) Um dies zu unterstützen fordern wir in unserem Antrag, die vom Bundestag beschlossene Förderung der tiergerechten Geflügelhaltung ohne Einschränkung beizubehalten. Gerade in den neuen Bundesländern wurden im Geflügelbereich schon in den 90er-Jahren Investitionen getätigt. Wir möchten nicht, dass diese Firmen durch die Umstellung in Existenzschwierigkeiten geraten. Auch sie sollen die Möglichkeit erhalten, über Sonderkreditprogramme die Haltung der Tiere auf artgerechte Haltungssysteme umzustellen. Das bedeutet für uns eben nicht Kleinvolieren. Mein Kollege Wunderlich - er ist Jurist - hat es einmal ausgerechnet. Ein Huhn mit einem Gewicht von 2 Kilo soll auf 800 Quadratzentimetern leben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das bedeutet für einen Mann mit einem Gewicht von 90 Kilogramm, dass ihm, wenn Sie so entscheiden, in Zukunft 3,6 Quadratmeter zum Wohnen zustehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/839 und 16/1128 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Zusatzpunkt 7. Es geht um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz auf Drucksache 16/1142 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Keine Wettbewerbs- verzerrungen für Landwirte durch die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Haltung von Nutztieren in nationales Recht“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 16/590 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko- alitionsfraktionen, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke mit einer Enthal- tung und gegen die Stimmen der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gegen rechtsstaatsfreie Räume - Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen von Akkreditierungsverfahren bedürfen einer Rechtsgrundlage - Drucksache 16/577 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({1}), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Kein Generalverdacht bei den Sicherheitsüberprüfungen zur Fußballweltmeisterschaft - Drucksache 16/686 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden1). Es handelt sich um die Wortmeldungen der Kollegin Beatrix Philipp von der CDU/CSU, des Kollegen Wolfgang Gunkel von der SPD, der Kollegin Gisela Piltz von der FDP, der Kollegin Ulla Jelpke von der Linken und der Kollegin Silke Stokar von Neuforn vom Bündnis 90/Die Grünen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/577 und 16/686 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Deligöz, Josef Philip Winkler, Marieluise Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos umsetzen - Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen - Drucksache 16/1064 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. 1) Anlage 7 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Josef Winkler vom Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat bereits mehrfach die Rücknahme der Erklärung zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes, der so genannten UN-Kinderrechtskonvention, gefordert, welche die damalige Bundesregierung bei der Ratifizierung 1992 hinterlegt hat. Diese Beschlüsse des Deutschen Bundestages sind bislang von der Regierung nicht umgesetzt worden. ({0}) - Das ist richtig, Frau Lenke. ({1}) Gestern jährte sich der Tag des In-Kraft-Tretens der Kinderrechtskonvention zum 14. Mal. Die Bundesregierung muss diesen längst überfälligen Schritt endlich vollziehen. Dies ist das Anliegen des von meiner Fraktion vorgelegten Antrags. ({2}) Im Interesse des Wohls aller hier lebenden Kinder sowie um einer glaubwürdigen Kinderpolitik willen ist die Aufrechterhaltung der Vorbehaltserklärung nicht vertretbar. Auch die außenpolitische Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik im Hinblick auf die konsequente Umsetzung von Kinderrechten ist durch die Erklärung erheblich beeinträchtigt. ({3}) - Frau Lenke, das können Sie doch gar nicht bestreiten. Regen Sie sich nicht so auf! Stellen Sie mir eine Zwischenfrage! Dann habe ich ein bisschen mehr Redezeit. Vier Minuten sind kurz. ({4}) Um welche konkreten Rechte geht es denn hier? Die Handlungsfähigkeit im Asylverfahren soll mit 18 Jahren und nicht wie bisher mit 16 Jahren beginnen. Als Folgewirkung daraus würden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in diesem Alter aus dem Flughafenverfahren herausfallen, nicht mehr in Sammelunterkünfte mit ihnen völlig unbekannten, anderen, fremden Flüchtlingen untergebracht werden und würde die Drittstaatenregelung auf sie keine Anwendung finden. Sie würden stattdessen einer Jugendhilfeeinrichtung als Clearingstelle zugeführt werden. Minderjährige Flüchtlinge sollen Anspruch auf die Gewährung von Kinder- und Jugendhilfe haben, und zwar unabhängig von ihrem Status. Das betrifft vor allem Kindersoldaten und traumatisierte Flüchtlinge, eine Gruppe, die uns besonders am Herzen liegen muss. Außerdem soll keine Abschiebehaft mehr für minderjährige Flüchtlinge verhängt werden dürfen. Deswegen halte ich es für anachronistisch, dass die Bundesregierung so wie die Vorgängerregierung - damit Sie nicht wieder dazwischenrufen müssen - unverändert den Standpunkt vertritt, dass eine Rücknahme des so genannten Vorbehalts zur UN-Kinderrechtskonvention lediglich symbolischen Charakter hätte und von daher nicht notwendig sei.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kollege Winkler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie haben sehr schamhaft verschwiegen, dass es in den letzten sieben Jahren eine rot-grüne Bundesregierung gab. ({0}) Ich würde gerne von Ihnen wissen, warum Ihre Fraktion, die den Außenminister gestellt hat, in dieser Koalition bei zwei Koalitionsverträgen, die Sie geschlossen haben, nicht die Kraft hatte, dies durchzusetzen. Jetzt sind Sie in der Opposition. Wieso konnte das nicht geschehen, als Ihre Fraktion und damit Sie persönlich an der Bildung der Bundesregierung beteiligt waren?

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine sehr interessante Frage, die Sie da aufwerfen, Frau Kollegin. ({0}) Ich freue mich, darauf antworten zu können. Die Tatsache, dass der Außenminister von unserer Partei gestellt wurde, ist sicherlich richtig. Das hat auch eine nachhaltige Wirkung hinterlassen. ({1}) Wir waren in der Regierungsverantwortung. Im Gegensatz zu dem, was Herr Goldmann eben gesagt hat, stelle ich fest: Wenn wir in der Regierung sind, stehen wir für alle Ressorts nicht nur in der Mitverantwortung, sondern auch in der Gesamtverantwortung. ({2}) Ich habe gesagt: Das Parlament war sich einig, und zwar fraktionsübergreifend. Den Innenminister haben wir leider nicht gestellt, wobei das „leider“ nicht von allen geteilt wird. ({3}) Das Innenministerium hat sich auf die Rechtsposition, dass es hier um eine Vereinbarung, die man mit den Ländern abgeschlossen habe, gehe, zurückgezogen: Man stünde dort im Wort und könne es deshalb nicht zurücknehmen. Wenn ein Minister wie Schily meint, er stünde im Wort, dann kann man sich als Fraktion auf den Kopf stellen, selbst wenn es Kabinettsmitglieder gibt, die vielleicht körperlich nicht in der Lage sind, dies auch zu tun. ({4}) Trotzdem kann man es dann nicht durchsetzen. Ich denke, damit ist die Frage - hoffentlich zufriedenstellend - beantwortet. ({5}) Meine Fraktion teilt den Standpunkt, den die Bundesregierung unverändert einnimmt, jedenfalls nicht. Wir stellen uns an die Seite der Kinderrechtsverbände und -organisationen, die seit langem - seit 14 Jahren - vehement die Rücknahme der Vorbehaltserklärung einfordern. Es ist wirklich peinlich, wenn uns die Vereinten Nationen - die Staatenkonferenz - bereits zum zweiten Mal eine Abmahnung erteilen und sagen: In Deutschland haben nicht alle Kinder einheitliche Rechte; deutschen Kindern werden andere Rechte als ausländischen Flüchtlingskindern gewährt. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Das muss unbedingt geändert werden! ({6}) Meine Damen und Herren von der großen Koalition - ich spreche jetzt einmal beide Regierungsfraktionen an, muss allerdings angesichts der neuen Situation ein bisschen mit dem Kopf wackeln -, der von Ihnen angenommene Nationale Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland“ schließt bisher die Flüchtlingskinder von der dort angepeilten Kinderfreundlichkeit aus. Meine Fraktion hinterfragt deshalb sehr ernsthaft, ob Sie es mit diesem Nationalen Aktionsplan wirklich ernst meinen. Ich meine, wir dürfen nicht länger zwischen Kindern, die Flüchtlinge sind, und deutschen Kindern unterscheiden. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie endlich die Vorbehalte gegenüber der Kinderrechtskonvention zurück. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katharina Landgraf von der CDU/CSU-Fraktion.

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion der Grünen, gleich zu Beginn ein offenes Wort an Sie: Bei der Erarbeitung des vorliegenden Antrages haben Sie sich offenbar in der Schublade vertan. Bereits der gewählte Titel „Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos umsetzen - Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen“ ist in höchstem Maße irreführend. ({0}) Letztlich wird damit im Umkehrschluss behauptet, dass die Kinderrechte in Deutschland nicht oder nicht vorbehaltlos umgesetzt werden. ({1}) Mit diesem Antrag stellen Sie die Bundesregierung, stellen Sie Deutschland in eine Ecke, wo sie - die Bundesregierung und unser Vaterland - gar keinen Platz haben und auch nicht haben wollen. ({2}) Sie sollten etwas vorsichtiger und bedachter mit knackig klingenden Titeln von Anträgen umgehen. Die Forderung, Kinderrechte „vorbehaltlos“ umzusetzen, klingt im ersten Moment echt gut, fast wie „bedingungslos“. Hoffentlich ist nicht „verantwortungslos“ gemeint. „Vorbehaltlos“ verbindet sich schnell mit „unkritisch bedingungslos“. Wenn es um Kinderrechte und deren Einhaltung geht, können wir eigentlich nur verantwortungsvoll handeln. Das tun wir auch. Die Erklärung ist Ausdruck der Verantwortung, die Deutschland bei der Anwendung der UN-Kinderrechtskonvention übernimmt. Dass die Bundesregierung damals im Konsens mit den Bundesländern die Erklärung abgegeben hat, war gut so, denn dadurch wurden Fehlinterpretationen der Gesetze verhindert. ({3}) Ein Vergleich der Regelungen der UN-Kinderrechtskonvention mit der derzeitigen Gesetzeslage ergibt, dass die Vorbehalte aufrechterhalten bleiben müssen, um Fehlinterpretationen tatsächlich zu verhindern. Die UN-Kinderrechtskonvention bezieht innerstaatliche Bereiche ein, für die ausschließlich die Bundesländer zuständig sind. ({4}) Das ist doch wohl der springende Punkt. Demnach sind die Haltung und die faktische Betroffenheit der Bundesländer für die Aktionsmöglichkeiten der Bundesregierung von ausschlaggebender Bedeutung. Ohne Bundesländer geht es hier nicht. ({5}) Auch deshalb sollten wir deren Bedenken sehr ernst nehmen, um endgültig Klarheit in der Frage der richtiKatharina Landgraf gen Anwendung der UN-Kinderrechtskonvention zu erreichen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Vorbehaltserklärung sachgerecht ist, dass die Konvention keine unmittelbar einklagbaren Rechte der Kinder enthält, sondern ausschließlich eine völkerrechtliche Verpflichtung der Vertragsstaaten darstellt. ({6}) Die Innenminister von Bund und Ländern sind sich einig, dass in Deutschland die Vorgaben aus der UN-Kinderrechtskonvention vollständig erfüllt sind. Mit dem am 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechtes wurde eine Regelung geschaffen, die dem Wohl der Kinder besser gerecht wird. Zusätzlich möchte ich hier hervorheben, dass in Deutschland das Kindeswohl an erster Stelle steht und wir das gemeinsame Sorgerecht der Eltern festgeschrieben haben. Eine offizielle Rücknahme der Erklärung könnte fälschlicherweise als Signal verstanden werden, die Bundesregierung würde von ihrer Position abweichen. Das hieße auch, dass einzelnen Bestimmungen der Konvention nunmehr größere Bedeutung, wenn nicht gar unmittelbare innerstaatliche Wirkung zukäme. Dies könnte zu einer Rechtsunsicherheit bei der Anwendung bestehender Vorschriften des Ausländer- und Asylrechts führen. Erschwernisse bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht Minderjähriger wären die Konsequenz. Aber auch dem zunehmenden Missbrauch durch Personen, die ohne Vorlage von Dokumenten vortragen, minderjährig zu sein, würde Tür und Tor geöffnet. ({7}) Minderjährigkeit allein kann weder nach nationalem noch nach internationalem Recht ein Einreiserecht begründen oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen. ({8}) Anders als bei der UN-Kinderrechtskonvention wird im deutschen Recht zwischen Kindern und Jugendlichen differenziert. Im Hinblick auf die Problematik der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingskinder könnte dies zur Folge haben, dass auf eine Differenzierung zwischen Rechten für Kinder und Rechten für Jugendliche verzichtet würde. Der Vorbehalt schließt einen unmittelbaren innerstaatlichen Individualanspruch aus. Ein Wegfall des Vorbehalts wäre daher mit dem Risiko verbunden, dass Kosten bei der Unterbringung der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge in der Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen entstehen würden. Dafür gibt es weder eine sachliche Notwendigkeit noch Finanzierungsvoraussetzungen; ({9}) denn die Abschiebung Unter-18-Jähriger ist von der Rechtsprechung nur deshalb getragen worden, weil die in der Vorbehaltserklärung enthaltenen Einschränkungen die völkerrechtliche Grundlage hierfür geboten haben. Ich fasse zusammen: Die Forderungen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen basieren auf der fehlerhaften Auffassung, Kinder hätten weltweit einen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt, so auch in Deutschland. Nochmals sei betont: Bei den Erklärungen, die Deutschland vor 14 Jahren anlässlich der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention abgegeben hat, handelt es sich nicht um Vorbehalte im völkerrechtlichen Sinne, sondern um Interpretationserklärungen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Sie haben in Ihrem Antrag interessanterweise selbst vermerkt, dass vier der fünf Punkte aus der Vorbehaltserklärung durch entsprechende Gesetzesänderungen inzwischen geregelt sind: ({10}) durch Änderungen im Kindschaftsrecht, durch eine kind- und jugendgerechte Auslegung des Jugendstrafrechts sowie durch die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zur Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten. Jetzt wollen Sie sozusagen auf der Zielgerade des jahrelangen Marathons diese Erklärung zurückholen lassen, und das, nachdem Sie selbst als Akteur aus dem Marathon ausgestiegen sind, also keine Regierungsverantwortung mehr tragen - auch in dieser Sache nicht. ({11}) Das hat den Eindruck eines Scheingefechts. Der übrig gebliebene Punkt berührt in hohem Maße die Hoheit der Bundesländer. Hier sollten Bund und Länder gemeinsam im Rahmen der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes nach Lösungen suchen, die den Interessenlagen der Länder und des Bundes entsprechen. Wir sind auf Bundesebene gut beraten, mit klugen Ratschlägen und Vorgaben zurückhaltend zu sein. Ein fairer Dialog innerhalb des Bundestages mit der Bundesregierung und den Ländern könnte eine Lösung der gesamten Problematik herbeiführen. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn Sie sich tatsächlich und wirksam für die Umsetzung von Kinderrechten in Deutschland engagieren wollen, habe ich eine kleine Anregung: ({13}) Unterstützen Sie die Vorschläge und Aktivitäten für eine gute Kinderpolitik unserer neuen Familienministerin, ({14}) zum Beispiel bei den Mehrgenerationenhäusern, bei den Früherkennungsuntersuchungen oder den Regelungen zum Unterhaltsrecht zugunsten der Kinder. Das ist der beste und einfachste Weg, Kindern wirksam zu helfen und sie auf dem Weg ins Leben zu begleiten. Darüber können wir uns zu gegebener Zeit im Familienausschuss unterhalten. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Landgraf, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Das Wort hat jetzt die Kollegin Miriam Gruß von der FDP-Fraktion. ({1})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass der Deutsche Bundestag heute zum wiederholten Male über die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention diskutiert, ist an sich schon eine Farce. Noch viel erstaunlicher ist allerdings, dass der Antrag, den wir heute beraten, von der Fraktion der Grünen kommt. ({0}) - Meine Damen und Herren der Bündnisgrünen, hören Sie mir bitte zu. Sie hatten, wie meine Kollegin Frau Lenke gerade gesagt hat, sieben Jahre Zeit, die Vorbehaltserklärung zurückzunehmen. ({1}) Ein grüner Außenminister hat es sieben Jahre lang nicht für nötig gehalten, ein völkerrechtliches Signal zu setzen und das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes endlich vollständig umzusetzen. ({2}) Man darf sich schon sehr darüber wundern, dass Sie sich nun, aus der Opposition heraus, für die Flüchtlingskinder in Deutschland stark machen wollen. ({3}) Warum waren Sie nicht vorher so konsequent? Verfahrenstechnisch - das kann ich leider nicht anders sagen ist dieser Antrag gründlich misslungen. Doch kommen wir zu einem viel wichtigeren Part, dem Inhalt. Selbstverständlich wird die FDP-Bundestagsfraktion diesem Antrag zustimmen. Wer wie Deutschland die Menschenrechte weltweit einklagt, muss selbst Vorbild sein und darf keine Vorbehalte gegenüber UN-Konventionen haben. ({4}) So lange wir nicht mit gutem Beispiel vorangehen, bestehen Zweifel am Willen Deutschlands zur Umsetzung der Konvention. Die Folge: Die Bundesregierung wird auf internationalem Parkett nicht ernst genommen, wenn sie sich für eine schnelle Ratifizierung anderer Protokolle zur Wahrung der Menschenrechte einsetzten will. ({5}) Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung durch die Bundesregierung ist deshalb mehr als überfällig. Zumindest darüber sind wir uns einig. Umso unglaublicher ist es, dass die Vorbehaltserklärung noch immer Gültigkeit besitzt, obwohl sich der Deutsche Bundestag, der Petitionsausschuss und die Kinderkommission schon mehrmals für die Rücknahme ausgesprochen haben. Das Votum des deutschen Parlaments wurde von der Bundesregierung - sei sie rot-grün oder rot-schwarz - bislang schlichtweg ignoriert. Zu Beginn der Legislaturperiode fragte ich Familienministerin von der Leyen, was die jetzige Bundesregierung unternehmen wolle, um vor allem den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingskindern in Deutschland die Rechte einzuräumen, die ihnen zustehen. Frau von der Leyen antwortete mir, es fehle noch die Zustimmung der Länder. ({6}) Dieses fadenscheinige Argument ist so alt wie die Diskussion um die Rücknahme der Erklärung. ({7}) - Warum regen Sie sich denn eigentlich über meine Sätze auf? - Aus falschem Respekt gegenüber den Bundesländern werden Kinderrechte missachtet! ({8}) Nach meinem Verständnis ist dies eine falsche Show, in der sich alle Beteiligten vor Verantwortung drücken, Entscheidungen hinauszögern und dafür Menschenrechte zurückstellen. Ist das das Bild, das wir national, aber auch international vermitteln wollen? Meine Aufforderung gilt heute der Bundesregierung: Haben Sie endlich den Mut, für die Rechte junger Menschen geradezustehen! Verstecken Sie sich nicht hinter schwachen Ausreden! ({9}) Es ist eine Schande für Deutschland, dass wir gerade in punkto Kinderrechte so rückständig sind. Der Zeitpunkt, dies zu ändern, ist längst gekommen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Rupprecht von der SPD-Fraktion.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank dafür, dass Sie heute Abend noch anwesend sind. ({0}) Das finde ich wunderschön. ({1}) - Ja, für mich auch. Ich denke, ich beginne einmal so: Keine der Parteien, die hier durch Fraktionen vertreten sind, hat sich in der Vergangenheit beim Thema Rücknahme der Vorbehaltserklärung besonders mit Ruhm bekleckert, weder die FDP, noch die Grünen, noch die SPD, noch die CDU/ CSU. Wir alle sind aber lernfähig und deshalb versuche ich es heute Abend noch einmal mit einem ganz sachlichen Umgang mit diesem Thema. Ich denke, ich darf mich als alte Häsin bezeichnen, und ich sehe hier etliche alte Häsinnen und Hasen sitzen; wir haben ja auch bald Ostern. Deshalb würde ich gern noch einmal auf die Entstehung der Kinderrechte eingehen. Gestern vor 14 Jahren - Kollege Winkler hat darauf hingewiesen - hat die Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonvention mit der Ratifizierungsurkunde, die sie bei den Vereinten Nationen hinterlegt hat, in deutsches Recht umgesetzt. Am 20. November 1989 haben die Vereinten Nationen die Kinderrechte gemeinsam beschlossen. Das ist die meist gezeichnete Konvention der Vereinten Nationen. Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass wir das geschafft haben. ({2}) Zum damaligen Zeitpunkt hat man geglaubt, man müsste zu einigen der Artikel Erklärungen abgeben, zum Teil deshalb, weil Dinge angeführt wurden, die wir im nationalen Recht noch nicht so geregelt hatten, wie es die Konvention vorschreibt. Ich will einfach noch einmal die entsprechenden Stichworte nennen; vielleicht fällt es uns dann leichter, manche Gräben aufzubrechen, manchen Ballast abzuwerfen und das Ganze neu zu betrachten: Umgangs- und Sorgerecht, Rechtsbeistand bei minderschweren Fällen, Adoptionsrecht, Kinder in bewaffneten Konflikten. All das haben wir geregelt. Jetzt steht noch ein Punkt aus, durch den bei vielen offensichtlich eine Xenophobie - ich finde das Wort so schön; übersetzt: Angst vor dem Fremden - ausbricht. Es wäre schön, wenn wir diese ablegen und weiter nüchtern an das Thema herangehen würden. Warum also haben wir gegen diesen Artikel immer noch einen Vorbehalt? Die Vereinten Nationen - dies sage ich für die jugendlichen Zuhörer - kennen nicht den Begriff der Jugendlichen; die Kindheit reicht somit von 0 bis 18 Jahren. Das akzeptieren wir im Allgemeinen auch, nur in diesem einen Fall, bei der Konvention, nicht. Hier haben wir einen Bruch und lassen die Kindheit mit 16 Jahren aufhören. Deshalb geht es immer noch um eben diese Gruppe der 16- bis 18-jährigen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Davon sind pro Jahr in der Bundesrepublik - ich sage das, damit wir wissen, worüber wir reden, und überlegen, ob es wert ist, dass bei uns die Xenophobie ausbricht - circa 300 Kinder betroffen. Deshalb lohnt es sich eigentlich nicht, dass wir dafür einen Konflikt auftun. Weltweit sagt jeder: Warum macht ihr das? Warum beseitigt ihr das nicht endlich? Beim zweiten Staatenbericht, den das Ministerium 2004 vorgelegt hat, hat uns die Berichterstatterin der Vereinten Nationen gesagt: Ihr spielt, was Kinder anbelangt, weltweit in der ersten Liga. Ihr steht ganz vorn. - Ich denke, das kann man mit Recht sagen. Es wird für Kinder in der Bundesrepublik viel gemacht. Bei allem Gejammere: Unsere Kinder leben hier nicht schlecht. Wie wir gehört haben, hat der Bundestag die Regierung - egal welche - bereits mehrfach aufgefordert, sie möge die Vorbehaltserklärungen zur Kinderrechtskonvention zurücknehmen. Vertreter der Ministerien haben uns in der Kinderkommission erklärt, dass sie eigentlich völlig überflüssig sind, weil durch sie nichts verhindert, aber auch nichts verbessert wird. Wenn wir sie zurücknehmen würden, würde sich also nichts ändern. Trotzdem möchte ich den Versuch, darauf hinzuwirken, dass dies geschieht, heute erneut unternehmen. Vielleicht schaffen wir es, dieses Vorhaben gemeinsam anzugehen. Ich würde mir sehr wünschen, dass uns das gelingt. ({3}) Auch in unserer Koalitionsvereinbarung ist das Ziel der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans erwähnt. Aber vielleicht - das meine ich jetzt nicht hämisch habe auch ich nicht alle Punkte, die wir beschlossen haben, im Kopf. Deshalb wiederhole ich: Dort heißt es, dass wir uns vorgenommen haben, für die Rücknahme der Vorbehaltserklärungen einzutreten. Geben wir uns also einen Ruck! Das wäre ein gutes Zeichen für unser Land. Daran würde deutlich, dass wir Erwachsene lernfähig sind; das erwarten wir schließlich auch von den Jugendlichen. Wir sollten dafür sorgen, dass man in allen Bereichen bis zum Alter von 18 Jahren als Kind gilt. Ich glaube, dass wir das gemeinsam schaffen können. ({4}) Herr Singhammer, ich weiß, dass auch Sie einmal Mitglied der Kinderkommission waren. ({5}) An diese Zeit möchte ich Sie erinnern. Es wäre doch gelacht, wenn wir das nicht gemeinsam schaffen. Ich würde gern im Juni nach Stockholm fahren und beim Europarat sagen können, dass wir unser Ziel gemeinsam erreicht haben und jetzt wirklich in der ersten Marlene Rupprecht ({6}) Liga spielen. Vielleicht erreichen wir im Fußball nicht den ersten Platz. Aber wenn es um Kinder geht, können wir es weltweit auf den ersten Platz schaffen. ({7}) Das ist für mich in diesem Sommer das Wichtigste. Dann können wir uns auf unser eigentliches Geschäft besinnen: die gute Kinderpolitik in Deutschland gemeinsam fortzusetzen. Trotz aller Differenzen, die wir haben, sind wir uns in diesem Punkt einig. Nun müssen wir die Grundlagen dafür schaffen. Diese Diskussion sollten wir nicht so führen, dass sie niemand mehr nachvollziehen kann. Deshalb habe ich Ihnen aufgezeigt, worum es eigentlich geht: Wenn man schon in den Ministerien der Ansicht ist, dass sich durch die Rücknahme der Vorbehaltserklärungen nichts ändern wird, dann sollte das Parlament endlich einen gemeinsamen Antrag auf den Weg bringen und dieses Werk vollenden. Wenn wir das noch in diesem Jahr schaffen würden, wäre das sehr schön. Wir müssen natürlich auch darüber nachdenken, was es bedeutet, Kind zu sein. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage: Sind Kinder bis 18 Jahre keine Ausländer? In der UN-Kinderrechtskonvention heißt es nämlich: Kinder bedürfen unseres besonderen Schutzes, ({8}) ob sie Inländer oder Ausländer sind. Von jedem Erwachsenen erwarte ich, dass er für sich selbst sorgt. Wenn ich ihn unter Wasser drücke, kann er nicht atmen; das ist logisch. Aber unter normalen Bedingungen muss ich für einen Erwachsenen keine Verantwortung übernehmen. Für die Kinder werden wir aber Verantwortung übernehmen müssen. Ich bitte Sie alle, das nicht zu verhindern, weder aufgrund von falschen Rücksichtnahmen noch weil der eine oder andere Bedenken hat. Das können wir heute Abend gemeinsam schaffen. Wenn Sie von den Grünen dann mit Ihrem Antrag dazu beigetragen haben, begrüße ich das sehr. Sie hätten auch den gleichen Antrag wie beim letzten oder vorletzten Mal einbringen können; das wäre egal gewesen. Sie haben diese Diskussion in Gang gebracht. Dafür ist Ihnen ganz herzlich zu danken. Wir alle sollten über dieses Vorhaben noch einmal nachdenken. Herr Singhammer, wir gehen miteinander einen Kaffee trinken; vielleicht können wir uns dann einigen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede der Kollegin Ulla Jelpke nehmen wir zu Protokoll.1) Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1064 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 7. April 2006, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.