Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag und uns weiterhin
gute Beratungen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
Sie gerne von einer Stellungnahme des Ältestenrates
unterrichten, der sich gestern mit der seit zwei Wochen
andauernden Berichterstattung einer großen Zeitung
über die Vorbereitung des gesetzlich vom Präsidenten
geforderten Berichts über die Anpassung der Diäten
beschäftigt hat. Er hat eine von allen Fraktionen gemeinsam getragene Stellungnahme verabschiedet, die unter
anderem deutlich macht, dass der Ältestenrat die öffentliche Auseinandersetzung und Begleitung der Debatte
über verschiedene Lösungsmöglichkeiten ausdrücklich
für erwünscht hält. Die Stellungnahme beginnt mit dem
Satz:
Der Ältestenrat weist gegen den Präsidenten des
Deutschen Bundestages in der Frage der Diätenanpassung öffentlich geführte Angriffe zurück.
({0})
Sie sind im Ton verletzend und sachlich unbegründet.
Da die betroffene Zeitung heute aus dieser Stellungnahme des Ältestenrates die Mitteilung macht, der Ältestenrat begrüße die öffentliche Debatte, dachte ich, es
wäre sowohl zur Information der Öffentlichkeit wie zur
Urteilsbildung des Hauses angemessen, auf den vollständigen Zusammenhang hinzuweisen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir nun die
Beratungen wieder aufnehmen, haben wir einen
Geschäftsordnungsantrag zu behandeln. Die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihrer
Anträge zur Kontrolle der Geheimdienste auf Drucksache 16/843 und zur Befragung von Gefolterten auf
Drucksache 16/836 zu erweitern. Die Anträge sollen
verbunden mit Tagesordnungspunkt 2 - Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - beraten werden.
Zu diesem Geschäftsordnungsantrag erteile ich das
Wort dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
im Dezember letzten Jahres und Januar dieses Jahres
eine relativ beispielslose Aufklärungsoffensive erlebt
und wir meinen, dass zusätzlich zu den vielen Punkten,
die schon aufgeklärt sind, eine Debatte über weitere
Aufklärung und über die Konsequenzen aus den Vorgängen, über die wir im Dezember und Januar diskutiert haben, geführt werden muss.
({0})
Deshalb beantragen wir, einen Antrag zum Thema „Befragung von Gefolterten und Nutzung von Foltererkenntnissen ausschließen“ und einen Antrag zum Thema „Für
eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste“ aufzusetzen.
Die Vernehmung von Gefangenen im Ausland im
Rahmen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus, die Aktivitäten von BND-Mitarbeitern in
Bagdad und die Entführung eines deutschen Staatsbürgers durch die Amerikaner haben wir im Dezember und
Januar aufzuklären versucht. Wir wären zufrieden, wenn
das vollständig gelungen wäre. Aber bei einigen Fragen
hat die Regierung gemauert. Deshalb haben wir gesagt,
dass wir einen Untersuchungsausschuss brauchen.
Auch wenn bereits 80 bis 90 Prozent der Fragen geklärt
sind, müssen die 10 bis 20 Prozent offenen Fragen ebenfalls aufgeklärt werden. Hier dürfen keine Fragen offen
bleiben, die zu klären sind.
({1})
Redetext
Volker Beck ({2})
Die Konsequenzen hieraus für eine rechtsstaatliche
Bekämpfung des internationalen Terrorismus müssen
jetzt gezogen werden.
Wir wissen, dass Mitarbeiter des Bundesamtes für
Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes und
des Bundeskriminalamtes Zamar in einem Foltergefängnis in Syrien vernommen haben. Wir wissen, dass der so
genannte Bremer Taliban von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes im Gefangenenlager in Guantanamo, das wir alle angeblich ablehnen, verhört wurde.
Wir wissen, dass das BKA im Libanon Menschen vernommen hat, die aufgrund eines Hinweises deutscher
Stellen festgenommen worden waren und später angaben, dort im Gefängnis gefoltert worden zu sein. Wir
wissen, dass der Bundestag von bestimmten Vorgängen
nicht von der Bundesregierung, sondern aus der Presse
erfahren hat. Wir wissen, dass die Kontrolle der Geheimdienste durch die Gremien unseres Parlaments unzureichend ist.
({3})
Sollen wir etwa erst Monate oder - manche wünschen
sich das - vielleicht sogar Jahre, nachdem der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vorliegt,
die Konsequenzen ziehen? Wir sagen: Nein. Wir wollen,
dass der Bundestag parallel zur Einsetzung des Ausschusses mit der Debatte darüber beginnt, welche Konsequenzen wir aus den Vorgängen zu ziehen haben. Wir
wollen die rechtstaatliche Bekämpfung des internationalen Terrorismus heute auf die Tagesordnung setzen.
Denn wenn es um Rechtstaatlichkeit geht, darf es keinen
Kompromiss geben.
({4})
Was gilt eigentlich für die Beamten? Der Bundesinnenminister, der gerade nicht anwesend ist, sagt: Bei der
Zusammenarbeit der Geheimdienste und bei der Erkenntnisgewinnung müssen wir alle Informationen, die
wir bekommen können - selbst durch Verhöre in Guantanamo -, nutzen und sie uns besorgen.
({5})
Die Bundesjustizministerin sagt: Wir wollen ein Beweisverwertungs- und Beweiserhebungsverbot, wenn der
Verdacht besteht, dass Informationen durch Folter gewonnen wurden. Diese Meinung teilen wir.
Aber was gilt? Die Frage, welche Auffassung für die
internationale Geheimdienstzusammenarbeit gilt, müssen wir klären.
({6})
Wir Grüne sagen Ja zur internationalen Zusammenarbeit der Geheimdienste. Wir sagen aber ganz klar Nein
zu einem Überschreiten der roten Linie. Es darf kein augenzwinkerndes Akzeptieren von Folter und menschenrechtsverletzenden Vorgängen geben.
({7})
Kollege Beck, denken Sie gelegentlich daran, dass
Sie einen Geschäftsordnungsantrag begründen wollten.
Deshalb meinen wir, dass wir darüber in der Debatte
über den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sprechen müssen. Denn es muss beides geschehen: sowohl Aufklärung als auch die Diskussion
über die Konsequenzen und die Verantwortlichkeiten.
Damit können wir heute beginnen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen für die FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss Sie leider korrigieren, Herr Präsident: Ich rede für
alle anderen Fraktionen dieses Hauses und beantrage in
ihrem Namen, dem Geschäftsordnungsantrag der Grünen nicht zuzustimmen.
({0})
Auch alle anderen Fraktionen halten die Fragen, die
in den letzten Wochen und Monaten aufgetaucht sind
- beispielsweise zu den Vernehmungen in Guantanamo oder Syrien -, für diskussionswürdig. Aber wir
sind der Auffassung, dass über diese Fragen parallel und
nicht in der heutigen Debatte über die Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses diskutiert werden muss. Für
diesen Tagesordnungspunkt sind heute Nachmittag
45 Minuten angesetzt.
Jeder weiß, dass es unterschiedliche Auffassungen
dazu gibt, wie der Auftrag des Untersuchungsausschusses im Einzelnen formuliert werden soll. Deshalb muss
heute genau dieses Thema im Mittelpunkt stehen.
Im Übrigen steht im Auftrag des Untersuchungsausschusses auch, dass wir aus den Geschehnissen Lehren
für die Zukunft ziehen sollen. All das, was Sie, Herr
Beck, angemahnt haben, soll auch nach dem ausdrücklichen Willen aller anderen Fraktionen geschehen.
({1})
Deshalb besteht zu den Klagen, die Sie geführt haben,
überhaupt kein Anlass.
Wie schwach Ihre Argumente in dieser Geschäftsordnungsdebatte waren, zeigte sich auch daran, dass Sie
kaum etwas zur Geschäftsordnung gesagt haben.
({2})
Sie haben eine inhaltliche Debatte geführt. Diese inhaltliche Debatte, die wir gar nicht verhindern wollen, wird
heute Nachmittag stattfinden. Daran wird deutlich, dass
der Antrag, den Sie eingebracht haben, ausschließlich
ein Showantrag ist.
({3})
Die Peinlichkeit Ihrer Vorwürfe zeigt sich auch darin,
dass Sie die Punkte, die Sie angesprochen haben, jederzeit eigenständig auf die Tagesordnung hätten setzen
können - das ist das Recht jeder Fraktion -,
({4})
wenn Sie daran interessiert sind, sofort mit der Diskussion zu beginnen. Das haben Sie aber nicht getan.
({5})
Deswegen können Sie nicht erwarten, dass die anderen
Fraktionen des Deutschen Bundestages Ihrem Antrag
zustimmen.
Vielen Dank.
({6})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den
Aufsetzungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Das Zweite war ganz offenkundig die Mehr-
heit. Damit ist der Aufsetzungsantrag abgelehnt.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2006
({0})
- Drucksache 16/750 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009
- Drucksache 16/751 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich darf daran erinnern, dass wir am Dienstag für die
heutige Aussprache eine Debattenzeit von insgesamt
vier Stunden vereinbart haben.
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09.
Es wäre schön, wenn diejenigen, die nicht an dieser
Debatte teilnehmen können, bitte zügig den Plenarsaal
verlassen würden.
({1})
Für die Bundesregierung hat das Wort der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem Haushalt des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie tragen wir dazu bei, die Zukunft unseres Landes zu sichern. Dieser Haushalt hat in
diesem Jahr - bereinigt, um die Rückübertragung des
Bereichs Arbeit - ein um 1,1 Milliarden Euro größeres
Volumen, und das in erster Linie deswegen, um Forschung und Technologie stärker zu fördern.
({0})
Für uns sind wichtige Kernbereiche die Förderung der
innovativen Kräfte im Mittelstand, die Innovationsförderung bei der Industrie und vor allen Dingen der Ausbau
der Energieförderung. Das halte ich in der Zukunft für
ganz besonders wichtig.
({1})
Wir haben das Ziel, dass die Ausgaben für Forschung
und Entwicklung bis zum Jahr 2010 mindestens 3 Prozent unseres Bruttosozialproduktes ausmachen. Dazu
brauchen wir die Mithilfe der Wirtschaft. Um das Ziel zu
erreichen, muss 1 Euro aus den öffentlichen Kassen zusätzlich 2 Euro aus privaten Kassen mobilisieren.
Ich war kürzlich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in Japan, um zu lernen, was andere Länder tun.
Die Japaner haben ihre Rezession nicht zuletzt dadurch
überwunden, dass sie sehr viel in neue Technologien und
vor allen Dingen in Forschung investiert haben.
({2})
Wenn wir international mithalten wollen, dann müssen
wir diesen Wettlauf aufnehmen.
({3})
Ziel ist dabei, die gesamte Innovationskette von der Forschung über die Anwendungsreife bis hin zur Markteinführung sinnvoll in eine Hightechstrategie einzugliedern.
Voraussetzung dafür ist aber, dass wir eine zukunftsgerichtete und sichere Energieversorgung haben; denn
Energie ist der Lebenssaft der Wirtschaft. Frau Bundeskanzlerin, ich bin sehr dankbar, dass am Montag ein
Energiegipfel stattfinden wird. Auf ihm werden alle Probleme auf den Tisch gelegt. Er ist eine erste wichtige
Diskussionsrunde.
Gestern wurde eine McKinsey-Studie veröffentlicht.
In dieser wird uns empfohlen, die Energieversorgung
in Deutschland und in Europa auf eine breitere Basis zu
stellen und aufzupassen, dass wir nicht immer stärker
abhängig werden, zum Beispiel von der Erdgasversorgung aus Russland. Wir wissen ja, mit Erdgas aus Russland lässt sich viel Geld verdienen. Nicht nur die betreffende Industrie verdient so ihr Geld, sondern auch
andere verdienen ein paar Euro hinzu. Ich bin kein Neidhammel.
({4})
Ich gönne das den anderen. Ich will damit nur sagen, wir
müssen zusehen, dass der Anteil von Öl und Gas an der
gesamten Energiekette nicht ständig steigt.
({5})
Deswegen werden wir einen breiten Energiemix diskutieren. Dazu gehören selbstverständlich - Herr Kuhn, da
müssen Sie gar nicht so skeptisch schauen - die erneuerbaren Energien.
({6})
Ich bin der Meinung, dass in der Diskussion die gesamte
Bandbreite einer sicheren Energieversorgung zur Sprache kommen muss. Wenn wir das nicht tun würden, dann
würde das von der Wirtschaft kommen. Ich finde, wir
sollten nicht gegenseitig irgendwelche ideologischen
Barrieren aufbauen,
({7})
nämlich hinsichtlich der Anwendung und des Ausbaus
bestimmter Energieformen, vor allem jener, die CO2-frei
sind, sondern das tun, was auch andere große Industrieländer tun.
({8})
- Dieses Wort ist noch nicht gefallen. Deswegen bin ich
dankbar für den Zwischenruf, mit dem die SPD das Wort
„Kernenergie“ in die Debatte eingeführt hat.
({9})
Ich finde, die Dinge liegen auf dem Tisch.
Jetzt einmal ganz ernsthaft. Im Hinblick auf die Energiepreise sind die Grenzen der Belastbarkeit zum Teil
überschritten.
({10})
Die energieintensive Industrie wandert zum Teil ab.
({11})
Wenn im Nachbarland etwas produziert und die Energie
dort nicht so umweltfreundlich wie bei uns erzeugt wird,
dann belastet das die Umwelt noch sehr viel stärker.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden
und erwarten viel vom Anspringen des privaten Konsums. Nun gibt es verschiedene Ursachen, warum das so
war.
({13})
Es gab viel Kaufkraftzurückhaltung. Man hat sich natürlich unter anderem gefragt, wie es mit der Altersversorgung weitergeht, wie es einmal mit der Gesundheitsversorgung aussieht und wie es in unserem Land mit der
Arbeitslosigkeit weitergeht. Es kam sicherlich zu einem
Angstsparen; aber es gibt natürlich auch breite Verbraucherschichten, denen es an der Kaufkraft fehlt.
Das Geld, das man für Öl und Gas bzw. für die Heizung und den Strom ausgeben muss, kann man nicht anderweitig in den privaten Konsum geben.
({14})
Deswegen müssen wir auch aufpassen, dass wir den
Wirtschaftsaufschwung nicht dadurch behindern, dass
wir zuschauen, wenn die Preise immer stärker steigen.
Ich bin der Meinung, dass dazu natürlich mehr Angebot gehört. Deswegen fordere ich vor allen Dingen die
großen Stromerzeuger auf, endlich mit den angekündigten Investitionen in den Kraftwerkspark zu beginnen.
Das haben sie bereits meinem Vorgänger Herrn Clement
schriftlich versprochen. Die ersten neuen großen Kraftwerke könnten sich schon im Bau befinden. Ein Markt
entspannt sich nur, wenn mehr Angebot in den Markt
kommt.
({15})
Deswegen brauchen wir mehr Stromerzeugung in
Deutschland. Das ist meiner Ansicht nach die wirksamste Form, um den Strommarkt wieder liquider zu
machen und dadurch zu niedrigeren Preisen zu kommen.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
natürlich auch die Strukturen verändern, wenn wir wollen, dass der Aufschwung auch in das etwas schwierigere Jahr 2007 hineingetragen wird.
({17})
Wir haben uns ja bekanntlich vorgenommen, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte 2007 noch stärker
anzugehen, als das im Jahr 2006 der Fall ist.
Herr Kuhn, wir müssen natürlich die hohen Lohnzusatzkosten begrenzen. Erste Schritte werden durch
die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung
getan. Es kommt auch dem Mittelstand zugute, wenn die
Lohnzusatzkosten nicht ständig weiter steigen.
Auch bei der Gesundheitsreform müssen wir natürlich
schauen, dass es zu einer Begrenzung der Lohnnebenkosten kommt. Das geht nur durch mehr Wirtschaftlichkeit
im gesamten System der Gesundheitsversorgung.
({18})
Ich meine, die Anreize zur Kosteneinsparung müssen
wettbewerbsorientiert sein. Wir wollen den Wachstumsprozess auch dadurch beschleunigen, dass wir zum
1. Januar 2008 eine Unternehmensteuerreform in
Kraft setzen, durch die vor allen Dingen eine Rechtsformneutralität bei der Besteuerung der mittelständischen Personenunternehmen, der inhabergeführten Unternehmen und der Kapitalgesellschaften erreicht wird.
({19})
Wir wollen, dass der Mittelstand profitiert.
({20})
Dazu gehört auch, dass wir die Erbschaftsteuer- und die
Schenkungsteuerlast im gewerblichen Bereich verringern. Es macht keinen Sinn, wenn wegen der Erbschaftsteuer Unternehmen verkauft werden müssen, wo es
doch manchen Käufern nur um die Marktzugangskanäle
und das Know-how geht. Bei mittelständischen Familienunternehmen, überhaupt bei familiengeführten Unternehmen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es bei uns im
Land bleibt, sehr viel höher.
({21})
Deswegen hat sich die Koalition entschlossen, diesem
Punkt in ihrem Programm Rechnung zu tragen. Das ist
keine Begünstigung von Reichen; denn das geht in der
Art und Weise vor sich, dass für jedes Jahr, in dem das
Unternehmen weitergeführt wird, die zu zahlende Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer um 10 Prozent reduziert
wird. Wenn Betriebsvermögen ins Privatvermögen übertragen wird, dann muss dies ohnedies versteuert werden.
Daher sollten wir diese Dinge zügig angehen.
({22})
Ich möchte diese Debatte als Gelegenheit nutzen,
mich ganz herzlich insbesondere bei den kleineren Unternehmen zu bedanken. Vor allen Dingen das Handwerk
stellt 80 Prozent der Ausbildungsplätze zur Verfügung.
Der Ausbildungspakt ist im letzten Jahr ein Erfolg gewesen. Wir möchten, dass er auch in diesem Jahr Erfolge
zeigt. Das sind wir den jungen Menschen schuldig.
({23})
Die Zahl der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, wird eher noch ansteigen. In diesem Jahr
wird mit einer Zahl von über 600 000 gerechnet. Wer
heute nicht ausgebildet wird, steht morgen nicht als qualifizierte Arbeitskraft zur Verfügung. Wir wissen, dass
sich diese Zahlen wieder ändern werden. Eine gute Ausbildung ist der beste Schutz gegen einen Fachkräftemangel in der Zukunft.
Unsere Exportwirtschaft ist gut aufgestellt. Die Unternehmen haben Marktanteile hinzugewonnen. Ich
finde es eine große Leistung, dass die deutsche Wirtschaft in diesem internationalen Konzert so gut mitspielt, obwohl so dynamische Konkurrenten wie China
und Indien als große Player hinzugekommen sind.
Deutschland hat seinen Anteil am Welthandel halten
können.
Diese Erfolge sind nicht selbstverständlich, sondern
müssen immer wieder neu errungen werden. Deswegen
möchten wir - dazu sind im Haushalt des Ministeriums
für Wirtschaft und Technologie einige Instrumente
vorgesehen - den mittelständischen Firmen bei der Eroberung neuer Märkte helfen. Außenhandelskammern,
Auslandsmessen, Hermesdeckungen und Investitionsgarantien sind in diesem Zusammenhang die Stichworte.
Unsere Außenwirtschaft sichert auch in Deutschland Arbeitsplätze. Allein die Hermesdeckungen für Exporte in
Höhe von fast 20 Milliarden Euro sichern bei uns im Inland circa 200 000 Arbeitsplätze.
Weil wir wollen, dass der freie Welthandel funktioniert und weil wir zu den Ländern gehören, die davon
ganz stark profitieren, müssen wir erneut Anstrengungen
unternehmen, damit die Doha-Runde der WTO-Konferenz zu einem Erfolg wird. Ein Scheitern muss verhindert werden. Wir sind natürlich sehr viel stärker für multilaterale als für bilaterale Vereinbarungen. Das ist auch
bei meinem Besuch in Asien deutlich geworden. Länder
wie Singapur fordern uns als Europäische Union aber
auf, bilaterale Vereinbarungen zu treffen, weil sie Angst
haben, dass die Verhandlungen nicht vorankommen.
Ich werde deswegen in der kommenden Woche noch
einmal in die USA fliegen, um dort zu versuchen - die
USA sind der Schlüssel zu den großen Schwellenländern -, neue Impulse in den Prozess hineinzubringen. Es
wäre schlecht, wenn diese Verhandlungsrunde scheitern
würde. Aber wir können es derzeit nicht ausschließen.
Ich möchte nochmals sagen - da bin ich mir der Unterstützung dieses Hauses sicher -, dass Deutschland alles
tut, um ein Scheitern zu verhindern.
({24})
Die Stimmung bei allen am Wirtschaftskreislauf Beteiligten - das sind nicht nur die Unternehmen - ist sehr
viel besser geworden. Der Ifo-Geschäftsklimaindex
zeigt ein Hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Das hängt
damit zusammen, dass einerseits verschiedene Zyklen
auslaufen und andererseits das Vertrauen zurückkehrt.
Es gibt jedoch keinen Grund, sich deswegen auf den vermeintlichen Lorbeeren auszuruhen. Wir müssen unsere
Hausaufgaben machen.
Eine Aufgabe, die ich für besonders wichtig halte, ist
der Kampf gegen die Bürokratie.
({25})
Beim Bürokratieabbau muss etwas geschehen. Das kann
aber nicht allein durch die Ministerien geleistet werden.
Ich habe unlängst über das Präsidium des BDI die
Wirtschaft aufgefordert, Vorschläge vorzulegen, was im
Unternehmensbereich konkret zu tun ist. Denn manchmal werden unsere Vorhaben von Unternehmensverbänden konterkariert, die dann beispielsweise darauf hinweisen, dass eine bestimmte Statistik unverzichtbar ist.
Deswegen müssen wir es miteinander angehen, um erfolgreich zu sein.
({26})
Mein Ziel ist die Stärkung der Wachstumskräfte in
unserem Land. Ohne Wachstum lassen sich die Probleme nicht lösen. Nur mit einem stärkeren Wirtschaftswachstum können wir erreichen, dass wieder mehr Menschen Arbeit haben. Das ist das vordringlichste Ziel.
Darüber sind wir uns einig.
({27})
Nur mit mehr Wachstum können wir die öffentlichen
Haushalte konsolidieren. Nur damit können wir den demografischen Herausforderungen in unseren Sozialsystemen begegnen.
In der Diskussion habe ich noch etwas gelernt: Japan
hat ähnliche demografische Probleme, wie sie sich bei
uns abzeichnen. Es macht keinen Sinn, das Problem nur
aus wirtschaftlicher Sicht zu bejammern. Ich will an dieser Stelle nicht auf neue familienpolitische Initiativen
eingehen,
({28})
aber der Bevölkerungsaufbau ist nun einmal problematisch.
Sie haben den so genannten Silver Market angesprochen. Wir müssen den Markt so entwickeln, dass die
kaufkräftigen älteren Menschen am Wirtschaftskreislauf beteiligt werden. Daraus ergeben sich ebenfalls
Wachstumschancen. Auch mit diesem Thema sollte sich
unsere Wirtschaft befassen.
Jede Krise - auch jede vermeintliche Krise - birgt
Chancen. Diese zu nutzen, ist unsere Aufgabe.
({29})
Die Zahlen sind bekannt. Wir rechnen mit einem
Wachstum von 1,5 Prozent. Wenn die Zahl der Feiertage
in diesem Jahr niedriger wäre, dann wäre es möglicherweise noch höher. Die Institute sind teilweise optimistischer. Die Zahlen des ersten Quartals sind witterungsbedingt nicht sehr gut. Aber eines ist besonders erfreulich:
Die Zahl der Arbeitslosen ist - auch wenn sie insgesamt
immer noch viel zu hoch ist - bedeutend niedriger als im
letzten Jahr um diese Zeit.
Ich meine, wir haben große Chancen in der Koalition.
Lassen Sie uns diese Chancen nutzen!
Danke schön.
({30})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle
für die FDP-Fraktion.
({0})
Mainz-Mitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute
Morgen hat sich wieder einmal das Sprichwort „Reisen
bildet“ bestätigt.
({0})
Michael Glos - das ist der deutsche Wirtschaftsminister erwartet, dass sich die Konjunktur belebt. Sein Ministerium begründet das mit den außenwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen. Herr Glos hat Recht: Es ist immer die Weltwirtschaft, die das geringe Wachstum in
Deutschland treibt.
Aber auch bei 5 Millionen Arbeitslosen - in Wahrheit, wenn sie ehrlich berechnet würden, sind es 6 Millionen bis 7 Millionen - besteht kein Grund, einen verfassungswidrigen Haushalt vorzulegen. Ich darf Herrn
Glos aus der letzten Haushaltsdebatte zitieren. Er sagte
an die alte Bundesregierung gerichtet wörtlich:
Sie sind ja nicht einmal mehr bereit, unsere Verfassung zu beachten, obwohl Ihnen Ihr Amtseid das
vorschreibt.
({1})
Herr Glos hat weiter festgestellt:
Die Bundesregierung verspielt unser aller Zukunft.
({2})
Die Arbeitsmarktsituation erfordert eine zielstrebige
Wirtschaftspolitik. Diese ist aber nicht erkennbar.
({3})
Mit Förderprogrammen wie Inno-Watt, Inno-Net,
NEMO und Pro Inno können die Unternehmen, die den
Verwaltungsaufwand nicht scheuen, etwas Geld mitnehmen; aber es bringt nicht die erforderliche Wende.
({4})
Vielleicht sollten Sie die Steinkohlesubventionen unter Inno-Strom firmieren lassen und das damit begründen,
dass dies ein Stück weit Innovation und Mittelstandsförderung ist. Das Festhalten an den Steinkohlesubventionen führt zu keiner Konjunkturbelebung. Das Gleiche
gilt auch für das so genannte Wachstumspaket. Es ist ja
nett, dass ein Teil der Handwerkerrechnung und Kinderbetreuungskosten steuerlich abgesetzt werden können.
({5})
- Nein. Zynisch ist, bei 6 Millionen Arbeitslosen nichts
zu tun. Sie sollten einmal in Ihren alten Haushaltsreden
nachlesen, was Sie früher erklärt haben. Nun argumentieren Sie genau anders herum.
({6})
Diese Regierung der vereinigten Sozialdemokraten,
rot und schwarz angestrichen, steht nur kraftvoll auf der
Stelle, anstatt die Veränderungen vorzunehmen, die Sie
früher gefordert haben.
({7})
Mit Gebäudesanierungsprogrammen lösen Sie die
Standortprobleme nicht.
({8})
- Gut, ihr habt in Rheinland-Pfalz mehr als wir erreicht.
Aber Helmut Kohl hatte 57 Prozent. Nun seid ihr gerade
einmal über 30 Prozent. Eine solche Halbierung könnten
wir uns nicht leisten.
({9})
Unserer Wirtschaft, vor allem dem Mittelstand, auf
den ständig Lobreden gehalten werden - so auch
heute -, wenn man Ausbildungsplätze braucht, helfen
Sie am besten, wenn Sie auf die geplante Mehrwertsteuererhöhung verzichten.
({10})
Hilfreich wäre auch ein Bürokratieabbau, auf den Sie
heute zu Recht hingewiesen haben. Es gibt ja keine
Rede, in der dieser Abbau nicht propagiert wird. Aber es
geschieht nichts. Noch nicht einmal die Novellierung
des Gaststättengesetzes - die haben Sie angekündigt wird angepackt; noch nicht einmal das „Frikadellenabitur“ schaffen Sie ab. Nichts tut sich, außer Ankündigungen. Das kennen wir schon von Herrn Clement. Er
hat jede Woche einen bunten Luftballon durch den Bundestag getragen, aber am Schluss kam nichts heraus. Sie
setzen offenbar die rot-grüne Politik konsequent fort.
({11})
Man kann der Bundesregierung nur zurufen: Fürchtet
euch nicht! Wir Liberale sind bei euch, wenn ihr etwas
Vernünftiges macht. Also, nun mal ran!
({12})
Aber das Gegenteil geschieht. Die Unternehmen müssen
in diesem Jahr in einem komplizierten Verfahren dreizehnmal Sozialabgaben entrichten, was einen erheblichen
Mehraufwand bedeutet. 20 Milliarden Euro Liquiditätsentzug in diesem Jahr und ein Konjunkturprogrämmchen
mit einem Volumen von 5 Milliarden bis 6 Milliarden
Euro, von Wärmedämmplatten bis Elterngeld. Das ist
wahrlich eine Förderung des deutschen Mittelstands!
({13})
Herr Michelbach, Sie haben früher, als Sie noch Mittelstandssprecher der Union waren, tolle Äußerungen
gemacht. Sie haben in Ihrer letzten Haushaltsrede gefordert, die Unternehmen müssten von Steuern entlastet
werden; der Arbeitsmarkt müsse flexibilisiert werden;
der Anstieg der Energiepreise müsse gestoppt und überflüssige Bürokratie abgebaut werden. Das alles haben
Sie im letzten Jahr erklärt.
({14})
Sie machen es nur nicht, Herr Michelbach. Ich glaube,
Ihr Nachfolger wird es auch nicht machen.
({15})
Die Sozialabgaben für die Minijobs sollen um
20 Prozent erhöht werden. Das ist ganz offensichtlich
ein Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten. Es ist
heutzutage ungeheuer kompliziert, eine Gehaltsabrechnung zu machen. Herr Glos, ich lade Sie zu einem
Gehaltsabrechnungsnachmittag in Mainz ein. Dann
schauen wir uns in einem Betrieb einmal an, was dort alles geleistet werden muss, um mit der Bürokratie klarzukommen. Hier besteht wirklich Reformbedarf. Aber ich
sage Ihnen voraus: Sie werden wieder nur Trippelschrittchen gehen. Die Diskussion fängt ja schon wieder sehr
verhalten an.
Das Prinzip „Abwarten, bis sich die Wirtschaft erholt“, also Wartezimmer mit Schlafraum, wird nicht weiterhelfen. Die Konjunkturdaten werden missbraucht, um
sich vor einer Reform zu drücken. Vor den vier Wahlen
haben Sie nichts gemacht. Jetzt kommt vielleicht ein bisschen Gesundheitsreform. Aber hohe Erwartungen habe
ich nicht. Ob Kündigungsschutz, betriebliche Bündnisse
oder eine wettbewerbsfähige Unternehmensverfassung,
nirgendwo erfolgt eine Reform. Sie beklagen zu Recht
die hohen Energiepreise. Aber wer Eon noch mehr
Marktmacht gibt, darf anschließend nicht klagen. Bei
fast 90 Prozent Marktanteil müssen die Preise ja hoch
sein.
({16})
- Hören Sie zu, sonst verstehen Sie es nicht. Sie sehen
nie etwas. Das liegt an Ihnen. Dagegen hilft auch keine
Brille.
({17})
Sie sollten den Kündigungsschutz nicht Herrn
Müntefering und den Atomausstieg nicht Herrn Gabriel
überlassen. Das ist dieses Kartell von 70 Prozent, das
nun Grau als Modefarbe und Unbeweglichkeit als Dynamik deklariert. Das zeigt einen erschreckend schnellen
Prozess der Sozialdemokratisierung der Union. Herr
Westerwelle hat die gemeinsame Erklärung von CDU,
CSU und FDP dargestellt. Alles, was Sie vor der Wahl
erklärt haben,
({18})
haben Sie vergessen, nur damit Sie jetzt wieder einen
Dienstwagen haben. Das kann die Lösung nicht sein.
({19})
Die beeindruckenden Exporterfolge muss man sich
näher betrachten; das sage ich auch dem früheren mittelstandspolitischen Sprecher der Union. Der Schwerpunkt
liegt beim Warenverkehr. Sie müssen aber sehen, dass
wir bei den Dienstleistungen und der Hochtechnologie
dramatisch an Stellenwert verlieren. Beim Dienstleistungsexport ist Deutschland nach den OECD-Zahlen
Schlusslicht. Das ist kein Weg in die Zukunftsmärkte.
Deshalb müssen hier andere Rahmenbedingungen gesetzt werden. Sie müssen den Mut haben, die Strukturen
anzugehen und sie zu ändern. Mit kleinen Trippelschritten werden Sie es nicht hinbekommen.
Sie müssen den Energiesektor angehen. Es ist doch
ganz klar: Bei monopolistischen Strukturen im Energiesektor bekommen Sie dort auch monopolistische Preise.
Das ist doch die Kernursache für die hohen Preise.
({20})
Sie müssten wieder einmal bei Ludwig Erhard und bei
Walter Eucken nachlesen, was die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft sind. Wo sind denn Ihre Ansätze zur
Unternehmensteuerreform?
Bisher hat Herr Glos mit Ludwig Erhard nur gemein,
dass beide aus Franken kommen. Aber vom Wirtschaftswunder ist noch nichts erkennbar, auch im weitesten
Sinne nicht. Rühmen Sie sich auch nicht, Sie hätten den
ersten Gang schon eingelegt. Sie stehen mit beiden
Füßen auf der Bremse.
({21})
Sie müssen endlich die Strukturen verändern. Unser Produktionspotenzial ist zu schwach; das kann man auch
nicht durch ein bisschen Konjunkturprogramm ändern.
({22})
Sie müssen eine Steuerreform machen, Sie müssen
die Bürokratie wirklich abbauen, Sie müssen die Pflegeversicherung in Ordnung bringen, Sie müssen den Arbeitsmarkt zum Markt machen - damit die, die draußen
stehen, auch eine Chance haben, hereinzukommen -, Sie
müssen die Rente in Ordnung bringen. Alles das steht
aus. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag keine entsprechenden Regelungen aufgenommen - nicht, weil Sie
keine Zeit hatten, sondern deshalb, weil Sie sich nicht einig sind. Das ist das Schlimme.
Draußen in der Gesellschaft sehen Sie die Allergiereaktion: Verdi mit der Strategie rückwärts, Kampf um
frühere Positionen. Statt moderner Tarifpolitik mit Erfolgsbeteiligung und Flexibilität gibt es eine Rückwärtsrolle, weil die Weichen politisch nicht gestellt werden.
Wenn Sie mir nicht glauben, zitiere ich zum Schluss aus
dem Konjunkturbericht des Bundesverbands der deutschen Banken von gestern, nach deren Ansicht die Bundesregierung diesen kleinen Aufschwung nur mit klaren
Reformen ins kommende Jahr retten kann. Fangen Sie
endlich an! Nehmen Sie die Füße von der Bremse. Bewegen Sie sich!
({23})
Nächster Redner ist der Kollege Ludwig Stiegler für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Brüderle, das war kein leises Servus für Ihren Abschied von der Macht in Mainz. Ich mache mir große
Sorgen um Sie. Sie verrennen sich, Sie versinken immer
tiefer. Es nützt nichts, die Kassandra zu spielen. Das
passt nicht zu Ihnen. Wer einmal Weinköniginnen geküsst hat, der kann nicht so depressiv werden, wie Sie
hier geredet haben.
({0})
Herr Brüderle, ich würde mir einfach den Ifo-Konjunkturindex hinlegen und das Zimmer damit tapezieren
lassen; dann wird jeder Morgen schon ein Aufschwungmorgen.
({1})
Oder wenn Sie es literarisch mögen: Ich würde mir den
Emanuel Geibel besorgen - der passt gerade in diesen
Monaten -:
Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muss doch Frühling werden.
({2})
Wir fahren jetzt einen Zug Optimismus. Eines der besten
Dinge: Der Wirtschaftsminister spart bei der internationalen Werbung für unseren Standort unglaublich viel
Geld, weil jetzt nicht mehr erst die eine Gruppe kommt
und das Land schlecht macht und dann die andere
Gruppe kommen muss, um das Image des Landes wieder
aufzubauen. Gegen 80 Prozent Wohlmeinende haben Sie
mit Pessimismus keine Chance.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben eine ganze
Menge positive Dinge.
Wenn man sich die Arbeitsmarktzahlen anschaut,
dann kann man sagen: Wir sind noch nicht zufrieden.
Das sind wir auch nicht. Der Horizont ist aber sichtbar.
Die Arbeitsgemeinschaften und die kommunalen Träger
sind handlungsfähig, die Arbeitsmarktpolitik ist da, das
Programm für Handel und Handwerk funktioniert. Herr
Brüderle, seit langer Zeit wirbt das deutsche Handwerk
für ein Programm seiner Regierung und sagt, Leute, das
ist eine Chance für uns. Also machen wir das doch nicht
schlecht, sondern freuen wir uns, dass wir mit Handwerk
und Mittelstand an die Lösung der Probleme gehen können!
({4})
Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch mit den
Managern auseinander setzen müssen. Peter Struck hat
gestern einen gewissen Patriotismus der Manager eingefordert. Darüber haben sich manche aufgeregt. Ich
sage es einmal juristischer: Dieser Patriotismus ist im
Grunde der Gehorsam gegenüber dem Grundgesetz. Wer
immer in Deutschland ein wirtschaftliches Eigentum erwirbt, erwirbt es mit der Hypothek der sozialen Verpflichtung des Eigentums, das auch dem Gemeinwohl
zugute kommen soll.
({5})
Das muss man den Managern sagen. Reiner Shareholdervalue steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes.
Auch das muss man deutlich sagen.
({6})
Der Mittelstand weiß das längst; er hat schon immer
nach dem Motto „Leben und leben lassen“ und im Interesse der Mitarbeiter und der jeweiligen Region gehandelt. Wir müssen das auch denen sagen, die meinen, sie
könnten als Finanzinvestoren aus der deutschen Wirtschaft einen Esel-streck-Dich machen. Das kann und
wird so nicht sein.
Herr Brüderle, da stehen uns große Aufgaben bevor.
Ich nenne das Stichwort „50 plus“. Das, was Michael
Glos zu den Älteren gesagt hat, also die Älteren als
Chance zu begreifen, ist ein ganz wichtiger neuer Ansatz. Es ist doch verrückt: Seit Hunderten von Jahren
kämpft die Menschheit dafür, dass sie älter wird; kaum
wird sie älter, sagt sie, das ist ein Problem. Wir sollten
jubeln und uns freuen, dass wir endlich erreicht haben,
dass wir in den Himmel kommen, aber nicht so bald, wie
ein bayerischer Landpfarrer immer gebetet hat.
({7})
Deswegen lasst uns hier bitte diese Chance nutzen
und unsere Arbeits- und Geschäftsprozesse so neu strukturieren, dass wir bei einem längeren Leben auch länger
mitwirken können. Ich bin ein Einödhofkind. Da war es
immer klar, dass die Menschen in allen Lebensphasen
mit dem, was sie konnten, ins Arbeitsleben integriert waren. Ich denke, so etwas kann diese Gesellschaft auch
machen. Das gibt ja auch Sinnerfüllung. Es gibt viele,
die fallen in ein tiefes Loch, wenn man sie aus dem Erwerbsleben entlässt. Der Ruhestand ist nicht für alle das
Reich der Freiheit, wie viele denken. Es ist auch ein
Stück Reichtum, eingegliedert zu sein. Lasst uns das angehen und nicht jammern! „50 plus“ ist eine riesige Aufgabe, mit der Franz Müntefering begonnen hat.
Lasst uns auch das Thema Jugendliche unter
25 Jahren angehen! Ich bin inzwischen dafür, dass wir
den Kultusministern der Länder einen Eingliederungszuschuss abverlangen für jeden jungen Menschen, den sie
uns ohne Hauptschulabschluss vor die Tür stellen.
({8})
Es kann doch nicht sein, dass 10 Prozent eines Jahrganges vor die Tür der Wirtschaft gestellt werden, ohne ausreichend lesen und schreiben zu können, nur weil die
Länder mit ihren Aufgaben nicht fertig werden. Die Reform der Bildungskette ist hier das Entscheidende.
Lassen Sie uns auch gemeinsam die Diskussion um
die Arbeits- und Beteiligungsgesellschaft angehen! Ich
lese insbesondere in Veröffentlichungen aus kirchlichen
Bereichen, dass die Menschen sagen: Lasst uns resignieren, die Vollbeschäftigung ist nicht mehr möglich; der
Lebenssinn ist auch woanders. Ich denke, das wäre der
verkehrte Ansatz. Wenn wir in einer älter werdenden Gesellschaft unseren Wohlstand halten wollen, müssen wir
uns mit allen Kräften, die wir haben, auf eine Arbeitsund Beteiligungsgesellschaft einrichten, damit dieses
Land der Welt von Morgen mit dem Weltwirtschaftsmittelpunkt Asien das Notwendige gibt und wir unseren
Wohlstand gemeinsam erhalten können. Das ist die Aufgabe für die nächsten Jahre.
({9})
Dazu gehört auch die Kultur der Selbstständigkeit.
Es ist eine der wichtigen Entscheidungen der großen
Koalition, dass wir die Selbstständigkeit fördern wollen
und dass der Haushalt des Wirtschaftsministers auf die
Förderung der Selbstständigkeit ausgerichtet ist. Wir
brauchen mehr Menschen, die für sich und andere, die
das nicht können oder wollen, einen Arbeitsplatz schaffen. Also müssen wir die Finanzierungsvoraussetzungen
schaffen, damit aus guten Ideen am Ende gute Werke
und Arbeitsplätze werden können.
({10})
Das neue Bundeswirtschaftsministerium steht im
Zentrum dieser Bemühungen. Das, was heute in völlig
neuer Gestalt vor uns steht, ist schon eine interessante
Veranstaltung: Es handelt sich nicht mehr um ein Arbeitsministerium mit angeschlossener Grundsatzabteilung, sondern um ein neues Ministerium.
Lieber Peter Ramsauer, das ist keine Voliere für den
armen Michael Glos, in der seine Flügel gestutzt werden.
Ich gebe zu: Für einen Mondialpolitiker, der in einer
Staatskanzlei groß geworden ist, wäre dieses Gehäuse
vielleicht etwas eng gewesen. Aber ein fränkischer Rechen kommt damit zurecht.
({11})
Ich rate diesem Franken auch: Hör auf, dir immer
wieder ein zusätzliches Gehäuse für die Kernenergie
bauen zu wollen! Es gibt so viel Freilandgehege für die
erneuerbaren Energien. Da kann man scharren und die
Zukunft vorbereiten. Man muss nicht an die verbotenen
Gitter herangehen; denn dabei holt man sich nur einen
Schlag.
({12})
Dieses Ministerium hat einen spannenden Zuschnitt.
Der Wirtschaftsminister ist von der Aufgabe der passiven Arbeitsmarktpolitik - der arme Franz Müntefering
muss sie schultern - befreit. Er kümmert sich um die Innovation und kann dazu beitragen, Müntefering das Geschäft leichter zu machen.
Wir müssen unsere Hausaufgaben in der Ordnungspolitik machen, zum Beispiel bei der Anreizregulierung
der Energie. Herr Brüderle, wir sind uns einig im Hinblick auf die Befassung der Energieagentur mit der Anreizregulierung, damit die Durchleitungsgebühren sinken und damit die Wettbewerbsfähigkeit gefördert wird.
Wir müssen auch darauf dringen, dass die Manager
der Energiewirtschaft aufhören, pausenlos Versprechungen zu machen. Was haben sie uns während der Beratungen alles versprochen: 20 Milliarden Euro! Jetzt lassen
Sie sich schon feiern, wenn sie 10 Milliarden Euro versprechen. Diese Manager erinnern mich an etwas, was
früher in Bayern stattfand: Arme Leute haben den Kindern in der Weihnachtszeit das alte Spielzeug weggenommen, es neu angestrichen und auf den Gabentisch
gelegt. So darf es die Energiewirtschaft nicht machen.
Wir werden uns das Verhalten dieser Manager nicht gefallen lassen.
({13})
Wir müssen dabei helfen, dass neue Ideen in neue
Produkte umgesetzt werden. Michael Glos muss seine
Hebammendienste leisten, damit aus Ideen dank Forschung und Entwicklung wirklich gesunde Unternehmen
geboren werden.
Das neue Ministerium ist auch für Europa zuständig.
Aufgrund des Drängens der SPD-Fraktion ist bei der
Dienstleistungsrichtlinie manches bewegt worden. Es
war schon eindrucksvoll, als der Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums für seinen Vortrag mehr Beifall als
ein früherer Wirtschaftsminister bekommen hat. Da zeigt
sich, dass Sie vom Irrtum zur Wahrheit gereist sind.
Menschen, die das tun, sind bekanntlich die Weisen.
({14})
Lassen Sie uns also diese Arbeit machen! Die KMUFörderung steht im Mittelpunkt: Dabei geht es - das ist
ganz neu - um die Finanzierung der kleineren und mittleren Unternehmen durch Kredite und Kapitalbeteiligungen. Es kann nicht so bleiben, dass amerikanische Pensionsfonds die Einzigen sind, die Bereitschaft zum
Risiko zeigen, und dass wir uns hinterher beklagen, dass
die Gewinne der Unternehmen woanders investiert werden und nicht den Wohlstand unseres Landes mehren.
Wir müssen miteinander die Risikobereitschaft in unserem eigenen Land fördern.
({15})
Der Hightech-Gründerfonds ist dabei eine wichtige
Sache. Mir ist aufgefallen, dass einer der HightechGründerfonds nach luxemburgischem Recht gegründet
worden ist. Wenn die deutsche Bundesregierung zur Förderung von Hightech-Gründerfonds in Deutschland auf
ausländisches Recht zurückgreifen muss, dann ist das
kein Kompliment für unser gegenwärtiges Recht. Lassen
Sie es uns also miteinander überarbeiten, damit wir international wettbewerbsfähig werden!
({16})
Der Haushalt 2006 ist ein Haushalt zur Förderung von
Wachstum und Beschäftigung. Herr Brüderle, ich habe
viel Kraft darauf verwendet - auch während der Koalitionsverhandlungen -, zu erreichen, dass mit dem diesjährigen Haushalt Gas gegeben wird, damit im nächsten
Jahr Belastungen getragen werden können. Es ist einfach
unredlich, zu sagen, das sei verfassungswidrig. Lesen
Sie den Art. 115 oder auch den Art. 109 Grundgesetz!
({17})
- Herr Präsident, wenn Herr Brüderle eine Zwischenfrage stellen will, dann gestatte ich das; das verlängert
die Redezeit. Das ist aber nicht verabredet.
Der Kollege Brüderle ist ein anständiger Kerl, sodass
er Ihre Freundlichkeit zu Beginn jetzt durch Verlängerung Ihrer Redezeit zum Ausgleich bringt.
Bitte schön, Herr Kollege Brüderle.
Ich finde die Reden vom Kollegen Stiegler unabhängig vom Inhalt immer interessant.
Herr Kollege Stiegler, die Möglichkeit, bei einem Ungleichgewicht der Wirtschaft mehr Investitionen und damit mehr Ausgaben zu tätigen, als durch Einnahmen gedeckt sind, erfordert meines Erachtens zwingend - das
stellt man fest, wenn man die Kommentare zu Art. 115
Grundgesetz und zum Stabilitäts- und Wachstumsgesetz
nachliest -, dass auch die Haushaltsstruktur der Situation
gemäß ausgerichtet wird. Das tun Sie eben nicht.
Der Haushalt wird nicht der Situation gemäß ausgerichtet. Das Motiv ist - wie in den vergangenen Jahren
bei der Vorgängerregierung auch -, sich der Mühe des
Sparens zu entledigen und die Ausgabenseite im Haushalt eben nicht in Ordnung zu bringen. Der Haushalt
müsste wie bei jedem Privatmenschen auch - wenn ich
mehr ausgebe, als ich einnehme, dann muss ich mich
nach der Decke strecken - von der Ausgabenseite her in
Ordnung gebracht werden. Sie missbrauchen dieses
Konzept der Ausnahmeregelung, um Ihre Schwäche
beim Haushaltsausgleich zu übertünchen.
({0})
Es ist eine Spielerstrategie: In diesem Jahr lasse ich es
laufen, fast 40 Milliarden Euro Defizit, mehr Schulden.
Das ist die Nostalgiestrategie der beiden Fraktionen:
mehr Schulden, mehr Staat, mehr Steuern, mehr Bürokratie. Aber so kommen wir in Deutschland nicht voran.
Herr Präsident, ich hoffe, dass ich für die Antwort zumindest so viel Redezeit erhalte, wie für die so genannte
Frage gebraucht wurde.
({0})
Herr Brüderle, wenn Sie jetzt ein juristisches Staatsexamen machen müssten, würden Sie glatt durchfallen.
Die Regelung des Art. 115 Grundgesetz ist eben nicht
an den Investitionsbegriff gekoppelt, sondern hat den
Zweck, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Wer wie Sie unter Einrechnung
der stillen Reserve sagt, wir haben in Wahrheit 7 oder
9 Millionen Arbeitslose, und dann noch behauptet, unsere Wirtschaft sei im Gleichgewicht, der tut der Sprache
Gewalt an. Das geht an den Tatsachen wirklich vorbei.
({1})
Der Unterschied zu früher, Herr Brüderle, ist der: Früher hat man unter dem Druck der Verhältnisse mit den so
genannten eingebauten Stabilisatoren gearbeitet. Man
hat am Anfang des Jahres gute Einnahmen gehabt und
am Ende des Jahres Verluste hingenommen.
({2})
Das habe ich immer kritisiert, auch bei uns intern; dafür
gibt es sogar Zeugen. Jetzt sagen wir: Am Anfang des
Jahres handeln wir, damit wir am Ende des Jahres nicht
Verluste hinnehmen müssen, sondern wirtschaftliche Erfolge ernten können.
({3})
Deshalb sind wir hier so klanghell im Einklang mit dem
Grundgesetz, dass Ihnen die Ohren klingen müssten.
({4})
Was mich in dem Zusammenhang ärgert und worüber
wir reden müssen, ist die vorläufige Haushaltsführung.
Es kann nicht sein, dass eine Vorschrift - hier der
Art. 111 Grundgesetz -, die dazu dient, dass das Parlament nicht überrumpelt wird, dasselbe Parlament hindert, schon im Frühjahr Akzente zu setzen. Ich danke
deshalb den Haushältern dafür, dass sie in teleologischer
Reduktion der Vorschrift bei der Auslegung wirklich bis
an die Grenzen des Denkbaren gehen, um Schwung in
die Wirtschaft zu bringen. Herzlichen Dank an unsere
Haushälter!
({5})
Neben dem Schwerpunkt Mittelstand gibt es den
Schwerpunkt Tourismus. Wir haben wieder einen beachtlichen Teil der Mittel für den Tourismus vorgesehen.
Wir sind eines der beliebtesten Urlaubsländer. Wir können in diesem Jahr viele Gäste aus dem Ausland begrüßen, die wir nicht abzocken, sondern verwöhnen wollen,
damit sie mit Kind und Kegel wiederkommen. Wir sind
Reiseweltmeister geworden, knapp vor den USA. Das ist
eine Branche, die Dienstleistungsarbeitsplätze schaffen
kann. Unsere Tourismuspolitiker - ich denke etwa an
Brunhilde Irber, die gerade zu mir herüberlacht ({6})
weisen mit Recht darauf hin, dass 2,8 Millionen Menschen direkt oder indirekt vom Tourismus betroffen sind,
dass entsprechend ausgebildet wird und dass die Deutsche Zentrale für Tourismus die Leute nach Deutschland
holt. Es war gut, dass in diesem Jahr kein Kampf um die
Tourismusförderung stattgefunden hat, sondern dass wir
uns von vornherein auf Qualität und Incomingtourismus
verständigt haben. Herzlichen Dank an die, die das vorbereitet haben!
({7})
Meine Damen und Herren, wir werden die Gründerförderung weiter betreiben. Forschung und Entwicklung
wird Ute Berg ansprechen. Der Ritter gegen Bürokratie
und Behinderung ist Rainer Wend; er wird diese Themen
hier ansprechen.
Wir begrüßen neue Titel im Haushalt, zum Beispiel
Luft- und Raumfahrt. Ich habe mich mit einigen Kollegen kürzlich bei der DLR umgesehen. Es ist einfach toll,
was die alles miteinander bewerkstelligen. Wir begrüßen, dass die Energie- und Rohstoffeffizienz vorangebracht wird. Wir müssen die deutsche Wirtschaft dazu
bringen, dass nicht Entlassungsproduktivität zählt, sondern Energie- und Rohstoffeffizienzproduktivität. Das
muss die strategische Ausrichtung der deutschen Wirtschaft werden.
({8})
Die Bundeskanzlerin singt immer das neue Freiheitslied.
({9})
Wir stimmen gerne ein, wenn sie die Strophe anfügt:
Freiheit durch soziale Sicherheit. Das gehört für uns unverzichtbar dazu. Freiheit ist nicht, wenn Arme und
Reiche in gleicher Weise nicht unter Brücken schlafen
oder Brot stehlen dürfen. Freiheit durch soziale Sicherheit ist,
({10})
wenn wir uns nicht nur in der nebulösen neuen Gerechtigkeit verlieren, sondern wenn Gerechtigkeit im Sinne
von Aristoteles nach Bedarf auch die Justitia distributiva
in Bewegung setzt.
({11})
Wenn Freiheit durch soziale Sicherheit und Integration
aller in das Wirtschaftsleben existiert, dann singen wir
einen Kanon miteinander und dann geht es auch wieder
aufwärts.
Glück auf!
({12})
Da der Kollege Stiegler die weitere Rednerliste nicht
vollständig vorgetragen hat, weise ich darauf hin, dass
nun das Wort an die Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke geht.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Glos, Herr Stiegler, dieser Haushalt ist kein Haushalt für
Wachstum und Beschäftigung. Er ist ein Haushalt zur
Förderung der Arbeitslosigkeit.
Ja, ein Exportrekord jagt den anderen. Aktuell ist ein
Überschuss von 92,2 Milliarden Euro zu verzeichnen;
1998 waren es 28,8 Milliarden Euro. Aber das gibt keinen Anlass zu Freudenfeiern. Noch weniger kann man
darauf die wirtschaftliche Zukunft aufbauen, wie Sie es
mit diesem Haushalt weiterhin tun.
({0})
Es sind die großen Exportunternehmen mit einer Außenhandelsabhängigkeit von mehr als 40 Prozent, die
den größten Beschäftigungsabbau betrieben haben.
Herr Stiegler, auch wir können kein Verständnis aufbringen, wenn diese Unternehmen, wie Telekom, SNE und
AEG, trotz sprudelnder Gewinne Massenentlassungen
vornehmen oder Standorte schließen. Erst recht haben
wir kein Verständnis dafür, wenn die schwarz-rote Koalition in einer solchen Situation die Lockerung des
Kündigungsschutzes, egal in welcher Variante, betreibt,
statt Mitbestimmungsrechte zur Beschäftigungssicherung zu stärken.
({1})
Es sind diese Unternehmen, die im Namen der Wettbewerbsfähigkeit Druck in Richtung Lohnzurückhaltung
ausüben. In keinem anderen europäischen Land gibt es
eine so schlechte Lohnentwicklung wie hier. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist eine Konsumflaute historischen Ausmaßes. Vier von fünf Arbeitsstellen hängen
am heimischen Markt. Unbezahlte Mehrarbeit, Lohnzurückhaltung und auch eine Senkung der Lohnnebenkosten würden den Leidensweg der deutschen Wirtschaft nur weiter verlängern, statt endlich die Wende
herbeizuführen.
({2})
Der Bruch der Gewerkschaften mit dieser Verzichtslogik
ist nicht nur sozial gerecht, sondern auch wirtschaftlich
notwendig. Deshalb unterstützen wir ihre Streiks.
({3})
Wir fordern aber auch von Ihnen endlich einen Bruch
mit der Verzichtslogik. Geben Sie Ihre Ablehnung gegen
einen gesetzlichen Mindestlohn auf, Herr Glos! Treffen
Sie Maßnahmen zur Stärkung der Tarifautonomie! Fordern Sie mit uns die Landesminister endlich zu fairen
Tarifverhandlungen mit Verdi auf!
({4})
Das zarte Flämmchen der Erholung der Binnennachfrage
werden Sie mit der beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung und den sozialen Kürzungen wieder ersticken.
Wie stellen Sie sich denn da eine Verbesserung der
Binnennachfrage vor? Sie sagen, die Verbesserung der
Rahmenbedingungen für Investitionen solle die Wende
bringen, unterstützt durch eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, durch die gestiegenen Unternehmensgewinne, durch die rückläufigen Lohnstückkosten und - nicht zu vergessen - durch die geplante
Erbschaftsteuer- und Unternehmensteuerreform zur Verbesserung des Standorts.
Wie kann man nur so verbohrt an nachweislich seit
Jahrzehnten untauglichen Mitteln festhalten? Ob unter
Schwarz-Gelb oder Rot-Grün, damit wurde die Reduzierung der Besteuerung von Gewinnen und Vermögen begründet. Parallel mit diesen Steuererleichterungen ist
die Investitionsquote auf einen historischen Tiefstand
gefallen. Die Steuererleichterung ist in die Gewinne geflossen, die an die Aktionäre ausgeschüttet worden sind.
Auch die Manager konnten jubeln.
Die weltweiten Direktinvestitionen sind im letzten
Jahr um 29 Prozent gestiegen. Gewonnen hat dabei aber
vor allem das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen.
Es gab weltweit 23 200 Übernahmeaktivitäten mit einem
Volumen von eindreiviertel Billionen Euro. Ein Analyst
der West-LB fragte kürzlich angesichts der Übernahmeschlachten der Energiekonzerne: Nutzen sie die Kriegskasse für Zukäufe in Europa oder geben sie den Aktionären etwas zurück? Ferner hieß es, der Eon-Konzern sei
wegen seiner hohen Barreserven unter Handlungsdruck
geraten. Mit einem Übernahmeangebot werden sie die
jetzt los, indem sie für 29 Milliarden Euro Endesa kaufen wollen. Auch Bayer kann die Übernahme Scherings
fast allein aus der Portokasse finanzieren.
Diese Wirtschafts- und Steuerpolitik bewirkt keine
Stärkung der Binnennachfrage durch Investitionen. Sie
fördert Arbeitslosigkeit, Umverteilung sowie die Macht
großer transnationaler Konzerne, die längst zu einer gewaltigen Gefahr für die Demokratie geworden sind.
({5})
Maßnahmen gegen diese Konzentration sind nötig, nicht
ihre Förderung durch Steuerpolitik.
Diese Steuereinnahmen, die Sie den Unternehmen geschenkt haben und die diese für Aktionäre und für Übernahmen ausgeben, fehlen an anderer Stelle. Sie fehlen
für Bildung, Kultur, Forschung und Infrastrukturmaßnahmen. 1970 wurden noch 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Investitionen ausgegeben. Rot-Grün hat diese Quote auf 1,3 Prozent gesenkt.
In einem der wirtschaftsstärksten Länder der Erde bedeutet das: Einsturzgefahr bei Brücken und Gebäuden,
Schlaglöcher in den Straßen, ein Kanalsystem, in dem es
bald nicht einmal mehr die Ratten aushalten
({6})
und das das Grundwasser gefährdet, Kinder aus armen
Familien, die in Suppenküchen essen
({7})
und keine Chance auf Bildung haben, sowie vieles andere mehr.
Erneut preisen Sie Ihr Zukunftsinvestitionsprogramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro für
die nächsten vier Jahre. Aber das ist zu wenig. Verteilt
auf vier Jahre sind es jährlich nur circa 6 Milliarden
Euro. Zieht man aber Bilanz in Ihrem Finanzplan, bleibt
noch nicht einmal das übrig. Gegenüber 2005 steigen die
Investitionen gerade einmal um 0,5 Milliarden Euro. Im
Zeitraum bis 2009 bleiben nur genau 2,4 Milliarden
Euro an zusätzlichen Investitionen übrig. Der Anteil am
Haushalt sinkt sogar auf 8,5 Prozent.
Etikettenschwindel, mehr ist Ihr Zukunftsinvestitionsprogramm nicht.
({8})
Die Menschen erwarten aber zu Recht, dass ein handlungsfähiger Staat Infrastruktur finanziert, Daseinsvorsorge betreibt, Chancengleichheit in Bildung herstellt, in
Forschung, Kultur und, Herr Glos, in erneuerbare Energien - und nicht in Kernenergie - investiert.
Wir brauchen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das
diesen Namen verdient, mit dem der sozial-ökologische
Umbau vorangebracht wird, Handwerkern Aufträge verschafft werden und Arbeitslosen Arbeitsmöglichkeiten
geboten werden.
({9})
Herr Steinbrück forderte, dass die Menschen neue
Ideen entwickeln. Wir werden Ihnen noch in diesem Jahr
gemeinsam mit Gewerkschaften und Verbänden ein Zukunftsinvestitionsprogramm vorlegen, das diesen Namen auch verdient. Wir werden jetzt Sofortmaßnahmen
für kommunale Investitionen, den Ausbau der Infrastruktur, die Gebäudesanierung sowie für die Förderung
der Bildung und der Kinderbetreuung in die Haushaltsdebatte einbringen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Berninger,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael
Glos, hat wieder da Platz genommen, wo er am liebsten
dauernd sitzen würde: auf dem Stuhl des Chefs der CSULandesgruppe.
({0})
- Immerhin sitzt er bei Ihnen in der ersten Reihe. - Dann
würde er uns in den Haushaltsdebatten mehr unterhalten,
als er das in seiner Rede als Wirtschaftsminister gemacht
hat.
({1})
Herr Glos, die ersten 100 Tage sind vorbei. Sie erwecken zum einen nun wirklich den Eindruck, als ob Ihnen
der Job keinen Spaß macht.
({2})
Es wird aber in Deutschland keiner gezwungen, Wirtschaftsminister zu werden. Sie würden diesem Land und
dem wirtschaftlichen Aufschwung bzw. der wirtschaftlichen Erholung einen guten Dienst erweisen, wenn Sie
sich immer auf diesen Platz setzen und nicht in Ihr Ministerium zurückkehren würden.
({3})
Zum anderen ist es so, dass das Bundesministerium
zu Beginn der Legislaturperiode seinen Namen von
BMWA zu BMWi geändert hat. Es bleibt aber das
BMWA. Sie sind der Bundesminister für Wirtschaft und
Atomtechnologie. Ansonsten haben Sie zur Debatte
überhaupt nichts beigetragen.
({4})
Das ist eines der Schlüsselprobleme. Es gibt keinen
mittelständischen Betreiber von Atomkraftwerken. Es
gibt aber einen Boom, einen neuen Markt im Bereich der
erneuerbaren Energien, der komplett von mittelständischen Unternehmen getragen wird. Die warten darauf,
dass ihr Wirtschaftsminister sie auch vertritt und ihnen
nicht die Märkte der Zukunft zerstört, indem er hinter
der Atomtechnologie hinterherrennt. Nichts anderes haben Sie bisher in Ihrer Regierungszeit getan.
({5})
Nun ist es so, dass Sie nach ein paar Tagen im Amt
festgestellt haben: Es gibt ja bei den Exporten ganz gute
Zahlen. Sie haben in Ihrer Rede heute gesagt, die Zahl
der Exporte hätten wir gehalten und das sei eine große
Leistung. Es ist aber anders - darauf hat Frau Lötzer hingewiesen, wobei ich sagen muss: Ich komme zu einem
anderen Schluss -: Es gibt genug Probleme im Land; wir
müssen nicht auch noch die Exporterfolge zu einem Problem ummünzen. Seit 1998 ist der Export in Deutschland dynamisch gewachsen. Wir sind ähnlich wie China
eines der Länder, die Weltmarktanteile hinzugewonnen
haben. Das ist ein Zeichen dafür, dass ein relevanter Teil
unserer Wirtschaft wettbewerbsfähig ist und die Wirtschaft insofern nicht generell in ein Klagelied einstimmen muss. Das ist ein Erfolg, der in der Tat mit der rotgrünen Regierungspolitik zu tun hat.
({6})
Der Bundesminister hat dann gesagt, Ziel der Bundesregierung sei es, die hohen Lohnzusatzkosten deutlich
zu begrenzen. Zu Beginn der Legislaturperiode hörte
sich das noch völlig anders an. Da war das Ziel der Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung die Senkung
der Lohnnebenkosten. Jetzt ist die Regierung an dem
Punkt, dass sie die Steigerungen begrenzen will. Dazu
passt die Äußerung von Bundeskanzlerin Angela
Merkel, die gesagt hat, die Gesundheitsreform werde
wahrscheinlich so durchgeführt, dass die Menschen
mehr zahlen müssten. Ich prophezeie Ihnen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden mehr zahlen
müssen, weil die große Koalition eben nicht die Kraft
hat, für mehr Wettbewerb zu sorgen und Pfründe von
Ärzten, Apothekern oder Krankenkassen einzudämmen.
Stattdessen werden die Beschäftigten die Dummen sein.
Das sollte uns allen Sorgen machen.
({7})
Wenn wir schon über Bürokratieabbau reden, dann
hätte ich mir vom Bundeswirtschaftsminister gewünscht,
dass er einmal darauf hinweist, wo der Bürokratieabbau
bereits erfolgreich war. Es gab eine Großdemo der
Union im Paul-Löbe-Haus gegen die Novelle zur Handwerksordnung. Wir alle erinnern uns daran: Es war ein
Dienstag. Der Saal war gefüllt. Die damalige Fraktionsvorsitzende hat eine Brandrede dagegen gehalten.
({8})
- Der Tourismusbeauftragte interessiert sich auch für das
Handwerk. Lassen Sie mich einmal ausreden, Herr
Hinsken, oder stellen Sie mir eine Zwischenfrage!
Was ist bei dieser Großdemo herausgekommen? Die
CDU/CSU war gegen die Novelle zur Handwerksordnung.
({9})
Was ist auf der Website des Wirtschaftsministeriums
veröffentlicht worden? Die Zahl der Unternehmen im
Handwerksbereich hat sich erhöht. In diesem Bereich ist
Dynamik. Hier hat Bürokratieabbau dazu geführt, dass
mehr Menschen eine Jobperspektive haben. Das wollten
Sie nicht wahrhaben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diesen Kurs der rot-grünen Bundesregierung im
Nachhinein unterstützt.
({10})
Ich wünschte mir, dass die Wirtschaft bereit wäre,
auch an anderen Stellen über Bürokratieabbau zu reden.
Ich freue mich, dass die FDP jetzt darüber nachdenkt.
({11})
Ich nenne das Stichwort der Pflichtmitgliedschaften in
den Handwerkskammern. Die ganze Struktur, die wir
dort haben und die auf Zwang statt auf Wettbewerb ausgerichtet ist, muss sich genauso ändern, wie es auch an
anderen Stellen zu einem Abbau staatlicher Regulierung
kommen sollte.
({12})
Dazu wünsche ich mir ebenfalls Initiativen seitens dieser
Bundesregierung, wenn sie es denn mit dem Bürokratieabbau ernst meint und dies nicht an einen Normenkontrollrat oder sonstige räterepublikanische Strukturen delegiert.
Wir müssen, was die Forschungsausgaben angeht,
mit anderen Teilen der Welt mithalten. In der Tat muss
hier auch der staatliche Bereich erheblich zulegen. Ich
freue mich daher, dass die Forschungsausgaben in diesem Haushalt höher angesetzt sind und ein Teil davon im
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ankommt. Ich möchte aber auf eines hinweisen - das ist eine
Erfahrung aus den letzten sieben Jahren Rot-Grün -: Die
Strukturen im Forschungsbereich können nicht so bleiben. Sie müssen sich weiter verändern. Je mehr Geld wir
hineinstecken, desto eher ist dies eine Einladung, dass
sich diese Strukturen nicht ändern. Ich glaube, dass man
den Mut haben muss, gerade im Forschungsbereich an
vielen Stellen etwas zu verändern. Denn wir stecken eine
Menge Geld in Technologiebereiche, die für die Zukunft
unseres Landes keine gute Anlagemöglichkeit sind.
Wir müssen aber auch über die Wirtschaft reden. Reisen bildet bekanntermaßen. Der Bundeswirtschaftsminister war nach Überquerung des Weißwurstäquators bei
Toyota in Japan. Toyota gibt allein für Forschung etwa
die Hälfte dessen aus, was die gesamte deutsche Automobilindustrie, einschließlich der Zulieferer, in diesen
Bereich investiert. Ich will damit sagen: Die deutsche
Wirtschaft, die sich in einer relativ guten Gewinnsituation befindet, muss stärker als bisher in Forschung investieren. Das muss ihr ein Wirtschaftsminister ins Stammbuch schreiben. Von Michael Glos haben wir
diesbezüglich bisher überhaupt nichts gehört.
({13})
- Herr Rossmanith, ich habe nicht geschlafen. Das ist ein
Thema, über das wir später reden können.
({14})
Es wäre aber ein guter Zeitpunkt zum Schlafen gewesen;
da stimme ich Ihnen völlig zu. Die Rede von Michael
Glos hat dazu viel Anlass gegeben.
({15})
Die Wirtschaft in Deutschland wächst. Auf ein Problem ist heute Morgen aber noch nicht hingewiesen worden: Es gibt ein Wachstum in den alten Bundesländern,
aber in den neuen Bundesländern gibt es - mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt - kein Wachstum.
({16})
Das Grundproblem, dass die Wirtschaft in den neuen
Bundesländern langsamer wächst als in den alten Bundesländern - ({17})
- Wo eine rot-rote Regierung ist? Dann hat Herr
Brüderle also Recht. Er hat von Sachsen gesprochen, wo
die rot-rote Regierung an der Macht ist.
({18})
In Sachsen haben wir eine große Koalition. Herr
Brüderle hat gesagt, das seien beides Sozialdemokraten,
also regiert Rot-Rot. Ich habe versucht, dazuzulernen.
Entscheidend ist für mich etwas anderes. Wir können
die neuen Bundesländer nicht links liegen lassen. Angesichts dessen, dass die EU-Kommission die Investitionszulage gestern als ineffizient kritisiert hat, diese aber ein
zentrales Instrument der Wirtschaftsförderung in den
neuen Bundesländern ist, hätte ich mir schon gewünscht
- zumal der Herr Wirtschaftsminister auch für Europa
zuständig ist -, dass er dazu ein Wort verliert. Nichts
aber haben wir gehört. Ich sage Ihnen: Wir werden in
Deutschland weder die Haushalte in den Griff bekommen noch die Wirtschaft befördern, wenn wir die neuen
Bundesländer - nach dem Motto: schlechte Situation
dort - systematisch ausblenden und sie von unserem Radarschirm nehmen, wie es der Bundeswirtschaftsminister heute Morgen gemacht hat.
({19})
Das können wir uns nicht leisten. Das wird in den neuen
Bundesländern noch mehr Arbeitslosigkeit produzieren.
({20})
Lassen Sie mich zum Abschluss etwas zur WTORunde sagen. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie müssen nicht nach Amerika reisen, um zu einem Abschluss
der WTO-Handelsrunde zu kommen. Wenn Sie mit den
Schwellenländern, mit Indien, Brasilien und Thailand,
auf einen gemeinsamen Nenner kommen wollen, dann
müssen Sie dorthin reisen und nach Frankreich, nach Paris. Wir werden als Exportweltmeister in Sachen WTO
keine Fortschritte erzielen, solange wir in der Agrarpolitik an überkommenen Subventionen festhalten. Nichts
anderes aber haben Sie und Herr Seehofer bei Ihrer ersten Reise nach Hongkong gemacht. Wenn wir diese Handelsrunde zum Erfolg führen wollen, dann müssen wir
uns in Agrarfragen bewegen, statt in Washington um Gespräche zu bitten. Auch das ist eine Einsicht, die dieser
Bundesregierung bisher fehlt.
Ich wünsche mir, dass in den nächsten Monaten in der
wirtschaftspolitischen Diskussion eine ganze Reihe von
Themen stärker in den Blick genommen wird. Auf eines
muss in jeder Rede hingewiesen werden: Der Aufschwung, den wir jetzt haben, wird Ende des Jahres
durch bewusstes Handeln der Regierung, nämlich durch
eine Mehrwertsteuererhöhung, deren Einnahmen nicht
in Strukturänderungen, sondern in den Haushalt fließen,
zerstört. Ich glaube, dass wir es uns nicht leisten können,
das zarte Pflänzchen Wachstum in dieser Art und Weise
kaputtzutreten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({21})
Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Berninger, ich schätze Sie und Ihre Beiträge im
Ausschuss eigentlich sehr, was Sie aber heute Morgen,
insbesondere was Herrn Glos angeht, abgeliefert haben,
war einfach unter aller Sau. Das muss man einfach so sagen.
({0})
Was Michael Glos heute hier vorgetragen hat - das darf
ich sicher auch im Namen der SPD-Fraktion sagen -, das
hat sich - im Gegensatz zu manch anderem Beitrag, den
wir heute gehört haben - durch eine klare Position ausgezeichnet. Er hat wiedergegeben, was die Koalitionsfraktionen wollen: Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung, klares Bekenntnis zum Mittelstand und ein
klares Grundkonzept, auch im Außenhandel.
Herr Berninger, wenn es bei der WTO überhaupt irgendwo eine Einigung gab, dann in der Landwirtschaft.
Hier sind wir auf einem guten Weg. Die WTO braucht
eine klare Struktur, auch bezogen auf Dienstleistungen
oder Industrie. Das müssen die Schwellenländer lernen.
Wir müssen zu Kompromissen kommen. Die Vertreter
dieser Länder - zum Beispiel Brasilien - dürfen bei der
WTO nicht nur ihre eigenen, zum Teil ganz spezifischen
Interessen - das muss man einfach sehen - vertreten.
Wir werden hoffentlich zu Kompromissen kommen. Ich
Laurenz Meyer ({1})
bin dem Wirtschaftsminister in diesem Zusammenhang
sehr dankbar, dass er darauf hingewiesen hat, dass wir
zur Not auch bereit sein müssen, mit einzelnen Regionen
und Ländern bilaterale Abkommen zu treffen, damit der
Welthandel, auch zum Vorteil der Entwicklungs- und
Schwellenländer, gefördert wird.
Die Ausgangssituation ist wirklich ernst genug. Denken Sie nur an das Wachstum des Bruttosozialprodukts
im letzten Jahr, an die Arbeitslosigkeit und die Investitionstätigkeit in Deutschland. Wir sollten uns gemeinsam darüber freuen, dass Boden gutgemacht wird, dass
wir wieder Anschluss finden und sich die Stimmungslage in der Bevölkerung ändert.
Von der Kollegin Pawelski habe ich neue Zahlen aus
Hannover erhalten. Dort geht die Jugendarbeitslosigkeit
zurück. Das zeigt, dass sich am Arbeitsmarkt etwas tut.
Das dürfen wir mit Freude zur Kenntnis nehmen.
Im Hintergrund dieser Entwicklung am Arbeitsmarkt
zeigt sich aber - das habe ich gestern mit Sorge festgestellt; dazu hat sich in der heutigen Debatte, insbesondere von den Oppositionsparteien, noch niemand geäußert -, dass zwar diejenigen, die kurzzeitig arbeitslos
sind, die Arbeitslosengeld I empfangen, schneller wieder
einen Job finden, aber die Anzahl derer, die länger als
ein Jahr arbeitslos sind, stark ansteigt. Das dürfen wir
nicht hinnehmen. Dagegen müssen wir etwas tun. Deswegen stellen wir die Überlegungen zum Kombilohn an.
Das wollen wir in diesem Sommer vorantreiben. Die
Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, sollen
in unserer Gesellschaft so wieder eine Chance erhalten.
Sie sollen merken, dass wir sie mit ihren Problemen
nicht allein lassen.
({2})
Der Bundeswirtschaftsminister hat einen Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung gelegt. Das entspricht der gemeinsamen Zielrichtung dieser Koalition.
Das Thema Bildung müssen wir ganz sicher hinzufügen.
Ich will das gar nicht weiter vertiefen, weil es vom Kollegen Stiegler bereits in völlig richtiger Art und Weise
angesprochen wurde. Voraussetzung dafür, dass unser
Land langfristig erfolgreich ist, ist, dass wir bei Forschung, Technologie, Entwicklung und vor allem bei der
Umsetzung von Forschungsergebnissen Fortschritte erzielen und das Bildungsniveau unserer jungen Leute
steigt. Die mangelnde Bildung junger Leute wird immer
wieder, vor allem von ausbildenden Betrieben, beklagt.
Zu der Meldung vom gestrigen Tage und der Diskussion über die Situation an den Schulen, zum Beispiel in
Berlin, kann ich nur sagen: Das sollte uns alle wirklich
aufrütteln. Wir müssen uns endlich damit beschäftigen.
Die Zustände, die an manchen Schulen herrschen, dürfen
kein Tabuthema sein. Wir müssen die Motivation der Jugendlichen stärken. Vor allen Dingen müssen wir den
jungen Menschen aber eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bieten. Wer keinen vernünftigen Schulabschluss
und keinen Berufsabschluss hat, der rennt zurzeit, wie
auf Schienen, auf unsere Sozialsysteme zu. Das können
wir nicht hinnehmen.
({3})
Die Situation in den neuen Ländern ist gerade angesprochen worden. Ich will ein Projekt ansprechen, das
wir uns für dieses Jahr vorgenommen haben: die Neuorganisation der Wirtschaftsförderung in Deutschland.
Wir müssen weg von dieser Betrachtung „Auf der einen
Seite ist der Osten und auf der anderen Seite der Westen“
und hin zu einer Struktur der regionalen Wirtschaftsförderung kommen, die sich an einheitlichen Kriterien wie
Einkommensindex und Arbeitslosigkeit orientiert,
({4})
damit alle Regionen in Deutschland nach ihren Schwierigkeiten oder Chancen beurteilt werden können, damit
aber auch - das sage ich ganz deutlich - die Diskussion
endlich aufhört und nicht mehr mit scheelem Blick auf
die Situation im Osten Deutschlands, in den neuen Ländern geschaut wird.
Wir müssen feststellen, dass hier immer noch erheblich mehr Schwierigkeiten bestehen als in großen Teilen
Westdeutschlands und dass wir den Weg an die Spitze
nur schaffen werden, wenn wir in Ostdeutschland zu
Wachstums- und Beschäftigungsraten kommen, die mit
denen im Westen und in anderen Teilen Europas vergleichbar sind.
({5})
Herr Brüderle hat hier eine Rede gehalten, die zeigte,
dass er offensichtlich nicht so genau weiß, wo er in Zukunft hin will. Dabei ist ein Strategieproblem sichtbar
geworden; Herr Stiegler hat das schon teilweise angesprochen. Herr Brüderle hat gesagt, dass wir mit beiden
Füßen auf der Bremse stehen. Herr Brüderle, wenn Sie
Gas gegeben haben und jemals solche Zahlen hätten vorzeigen können wie die große Koalition, die nach Ihren
Worten ja auf der Bremse steht, dann hätten Sie wirklich
froh sein können. Das muss ich Ihnen einmal sagen.
({6})
- Diese Zahlen? Es sind Stimmungszahlen, die sich dadurch ergeben haben, dass sich die große Koalition bei
allen Meinungsunterschieden durch eines auszeichnet,
was für die Lösung von Problemen sehr wichtig ist - ich
glaube, ich kann das zumindest für unseren Bereich behaupten -: 70 Prozent in einer solchen Koalition hängt
davon ab, ob man sich untereinander versteht und ob
man vernünftig miteinander umgeht,
({7})
und 30 Prozent von der Schnittmenge der programmatischen Aussagen. Wenn man dieses Verhältnis zueinander
findet, wenn man etwas fürs Land tun will, dann schafft
man das auch und kommt zu vernünftigen Lösungen.
Das ist bisher mein Eindruck von der großen Koalition.
({8})
Herr Kollege Meyer, die Kollegin Pieper würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, das ist gut, gerne.
({0})
War das jetzt irgendetwas unter der Gürtellinie? Darauf werde ich nicht reagieren. Das zeigt nur, dass Sie in
dieser sehr wichtigen Debatte zur Wirtschaftspolitik
nicht sattelfest sind. Kollege Brüderle sagte es bereits.
Kollege Meyer, Sie haben in Ihrer Rede zu Recht darauf hingewiesen, dass die Situation in den neuen Ländern prekär ist und wir mit den Methoden, die wir richtig angewandt haben, sicher nicht weiterkommen
werden. Es gibt zu wenig Unternehmen. Es gibt große
Eigenkapitalprobleme. Das wissen Sie alles. Werden Sie,
wird die Union und wird die Regierungskoalition sich
dafür stark machen - so, wie es Ministerpräsident
Böhmer angekündigt hat -, es den neuen Ländern zu ermöglichen, Modellregionen für Deregulierung und Bürokratieabbau zu werden? Das heißt, dass Bundesrecht
befristet für fünf Jahre außer Kraft gesetzt wird, um neue
Anreize für Investitionen und Unternehmensgründungen
zu geben.
Frau Kollegin, ich bin für die Frage dankbar. Das ist
einer der Punkte, die in der Koalitionsvereinbarung stehen. Die Antwort lautet Ja. Aber wir wollen nicht, dass
Bundesrecht außer Kraft gesetzt wird; wir wollen vielmehr, dass die neuen Länder für begrenzte Zeit vom
Bundesrecht abweichen können, wenn sie damit den
Prozess beschleunigen können. Dahinter steht die Einsicht, dass auch in Westdeutschland das Wirtschaftswunder nach dem Krieg nie zustande gekommen wäre, wenn
wir schon damals eine solche Bürokratie gehabt hätten
wie heute.
({0})
Das ist eine klare Antwort. Das steht in der Koalitionsvereinbarung; sie können das nachlesen. Wir werden uns
nach Kräften dafür einsetzen, dass das gemacht wird.
Das ist eine wichtige Voraussetzung.
Ich nenne: Entbürokratisierung, Gesundheitsreform,
für die die Stichworte sind: mehr Wettbewerb und weniger Anbindung an die Arbeitskosten. Ich bin der festen
Überzeugung - das kann man in der Wirtschaftspolitik
lernen -, dass wir im Gesundheitsbereich vom grünen
Tisch in Berlin aus die Angebotsseite, Ärzte, Apotheken,
Pharmaindustrie usw., nie werden regulieren können.
Nur wenn wir mehr Wettbewerb unter den Versicherungen bekommen, werden wir es schaffen, dass sie selber
Einfluss auf die Angebotsseite nehmen. Das ist eine der
wichtigen Voraussetzungen, mit denen wir uns beschäftigen müssen.
({1})
Die zweite Schlüsselfrage neben der Langzeitarbeitslosigkeit ist: Wie können wir es schaffen - wir sind auf
einem guten Weg; das wird klar, wenn man sich die
Stimmungszahlen ansieht -, dass die Menschen, die
heute Arbeit haben, die Angst verlieren, dass sie ihren
Arbeitsplatz nicht mehr halten können? Diese Angst
wirkt als die größte Bremse dafür, dass jemand Geld ausgibt. Wer Angst hat, seinen Arbeitsplatz zu verlieren,
wird jeden Euro, der ihm noch bleibt, sparen.
Herr Kollege Meyer, nun möchte die Frau Kollegin
Zimmermann Ihre Redezeit verlängern.
Bitte.
Herr Kollege Meyer, wir kennen uns ja aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie.
({0})
Ich möchte Sie fragen: Was soll ich einem Langzeitarbeitslosen sagen, der weinend vor mir steht und nicht
mehr weiter weiß? Soll ich ihm etwa sagen, dass die Regierung ihn nicht alleine lässt? Denn vorhin haben Sie
gesagt, dass Sie die Arbeitslosen nicht im Stich lassen.
Sind Sie nicht wie ich der Meinung, dass die Empfänger
des Arbeitslosengeldes I deshalb schneller eine neue
Stelle bekommen, weil sie zum größten Teil durch Eingliederungszuschüsse gefördert werden?
({1})
In diesem Sommer werden wir alle Instrumente überprüfen. Diejenigen, die sinnvoll sind, werden wir beibehalten. Wir wollen jede Chance, die es gibt, nutzen, um
die Menschen schnell wieder in Arbeit zu bringen.
({0})
Wir müssen Instrumente schaffen, die bewirken, dass die
Menschen, die lange arbeitslos waren, einen neuen Arbeitsplatz bekommen. Dies wollen wir zum Beispiel
durch die Einführung des Kombilohns erreichen. Verweisen Sie diejenigen, die in Ihr Büro kommen, doch in
Zukunft an Ihren CDU-Kollegen vor Ort.
({1})
Er wird ihnen unser Konzept, dem Sie ja nicht zustimmen wollen, erklären können. Wir werden alles tun, damit die Menschen wieder in Arbeit kommen,
({2})
Laurenz Meyer ({3})
sich beweisen können und die Chance bekommen, wieder am Arbeitsleben teilzunehmen.
({4})
Nach unserem Grundwerteverständnis hat das auch mit
der Achtung der Würde des Menschen zu tun.
Herr Stiegler, weil Sie im Zusammenhang mit dem
Thema Kernenergie den Kollegen Glos angesprochen
haben und ich heute Morgen Herrn Gabriel im Fernsehen gesehen habe, möchte ich eines klarstellen: Die
CDU/CSU ist auf der Seite von Michael Glos. Denn
Herr Gabriel hat die Dinge im Fernsehen falsch dargestellt. Die Frage, wie der Energiemix in Deutschland in
20 Jahren aussieht, ist zwischen uns nicht unstrittig.
Herr Gabriel hat gesagt, die Auffassung, man könne
ohne Kernenergie auskommen, sei zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium abgestimmt. Wir
sind aber der Überzeugung, dass wir wegen der Klimafrage in 20 Jahren einen Energiemix zu vertretbaren
Kosten nicht bekommen werden, wenn wir der Auffassung von Herrn Gabriel folgen.
({5})
Zu diesem Thema haben wir also unterschiedliche Meinungen; damit müssen wir leben. Da in den vier Jahren
dieser Legislaturperiode aber keine Entscheidungen über
neue Kernkraftwerke anstehen, können wir unsere Ziele
verfolgen, ohne in der Energiepolitik aneinander zu geraten.
Wenn ich allerdings höre, was Herr Berninger hierzu
sagt, dann muss ich feststellen: Hier wird der Unterschied deutlich zwischen der Politik, die wir machen,
und der Politik, die bisher insbesondere auf Druck der
Grünen betrieben wurde. Wir haben die Philosophie der
Grünen nach dem Motto „So viel Alternativenergie wie
möglich, egal zu welchen Kosten“ umgedreht. Wir formulieren zunächst einmal die Ziele, die wir verfolgen
wollen, sagen dann aber: Diese Ziele wollen wir möglichst kosteneffizient erreichen.
({6})
Diese Philosophie ist gegenüber der Bevölkerung vertretbar und ruft weniger Widerstände hervor. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Kiotoprozess. Wir werden
alles tun müssen, um dafür zu sorgen, dass unsere Wirtschaft in der Konkurrenz mit den anderen Volkswirtschaften eine Chance hat. Wir müssen nicht an jeder
Stelle übertreiben.
Wir wollen unsere politischen Ziele gemeinsam erreichen, und zwar zu vertretbaren Kosten und auf effiziente
Art und Weise. Vor allen Dingen müssen wir eines immer im Auge haben: Wir müssen alles unternehmen, wodurch Wachstum gefördert und Arbeitsplätze geschaffen
werden. Denn ohne neue sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze werden wir unsere sozialen Sicherungssysteme nicht sanieren können und in der Einkommensskala
gegenüber anderen Ländern weiter zurückfallen. Das
wollen wir nicht.
({7})
In diesem Haushalt werden die Weichen richtig gestellt und die Prioritäten geändert, unter anderem zugunsten von Forschung und Entwicklung und einer Stärkung unseres Mittelstandes, damit Deutschland wieder
Anschluss an die anderen Länder findet und in sechs bis
acht Jahren wieder unter den ersten drei in Europa ist.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Meyer, mit Ihrem Kuschelkurs scheint es nicht weit her
zu sein. Beim Thema Kernenergie muss ich angesichts
der verschiedenen Bemerkungen hierzu vermuten, dass
Sie sich noch über etwa 30 Prozent streiten.
({0})
Wir wären sehr froh, wenn Sie sich endlich zu einer Einigung durchringen würden. Das Bild, das wir so nach
außen abgeben, ist sehr dürftig.
({1})
Minister Glos ist jetzt auch für den sehr schönen Bereich der Technologie zuständig. Deswegen ist es interessant - ich blicke zum Kollegen Riesenhuber, der das
sicherlich auch mit großem Interesse verfolgt -, wie der
betreffende Etat hierzu in diesem Jahr aufgestellt ist. Das
Wort „Hightechstrategie“ zieht sich wie ein roter Faden
durch den Etat. Man sollte also erwarten, dass das Wirtschaftsministerium neben dem BMBF als Motor oder
Spielmacher bei der Umsetzung dieser Strategie eine
wichtige Rolle spielt.
Wenn man sich den Etat aber genauer ansieht, dann
stellt man fest, dass alles sehr wolkig beschrieben ist.
Das, was wir im Haushalt des Wirtschaftsministeriums
vorfinden, ist nach wie vor der alte Gemischtwarenladen
und weiß Gott nicht die geballte Hightechoffensive, wie
Sie uns jeden Tag über die Medien mitteilen.
({2})
Ich sehe ein, dass es für dieses Haus nicht leicht ist,
sich in seine neue Rolle einzufinden. Große Teile wurden ans Arbeitsministerium abgegeben, einiges kam aus
dem Finanzministerium hinzu, ganze Abteilungen mit
insgesamt 42 Stellen wurden aus dem Forschungsministerium übernommen. Mit der Neuorganisation scheinen
Sie Ihre Probleme zu haben. Sie können sicher sein: Wir
als Haushälter von der FDP werden sehr genau hinsehen,
wo es Überschneidungen zu den anderen Ministerien
gibt, wo sich Doppelungen ergeben haben, welche Bereiche sozusagen als Folge der Koalitionsverhandlungen
Ihres Freundes Edmund Stoiber zu Ihrem Ministerium
gekommen sind, die dort aber keinen Sinn machen.
Wenn es um das hoch gesetzte Ziel der Innovationsförderung geht, richtet sich der Blick eines jeden Forschungs- und Technologiepolitikers zwangsweise auf
den neuen Teil Ihres Ministeriums, den Sie vom BMBF
übernommen haben. Ich muss deutlich sagen - das haben auch die Berichterstattergespräche gezeigt -: Von
einer gelungenen Integration ist weiß Gott nicht zu sprechen. Sie haben etwas zusammengefügt, was offensichtlich nicht zusammen passt.
Sie, Herr Glos, haben eben ganz stolz über das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gesprochen.
Herr Stiegler hat - das hat mich gewundert, ist aber sehr
lobenswert - das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt offensichtlich zum ersten Mal in seinem langen
Parlamentarierleben besichtigt. Das spricht doch Bände!
Hier treffen zwei Kulturen aufeinander, die ganz offensichtlich nichts miteinander zu tun haben. Dann kommt
es natürlich zu Reibungen, was wir aus forschungspolitischer und aus innovationspolitischer Sicht als verheerend empfinden müssen.
({3})
Das DLR ist eine Forschungsorganisation, die zur
Helmholtz-Gemeinschaft gehört. Dort ist man nicht gewohnt, dass von oben befohlen wird, worüber geforscht
werden soll. So sieht man das aber offensichtlich im
BMWT. Das ist ein Drama! Frau Bulmahn, Sie lächeln
freundlich, aber Sie sehen das doch bestimmt genauso.
Wir haben uns alle zusammen, über alle Fraktionen
hinweg, entschlossen, die Helmholtz-Gemeinschaft so
aufzustellen, dass die Forscher die Freiheit haben, zu
forschen.
({4})
Das war unser Ziel. Ich sage Ihnen, Herr Glos - das ist in
diesem Fall wirklich eine Drohung -: Wehe, diese Freiheit der Forscher geht in Ihrem Ministerium über die
Wupper! Wir werden genau prüfen, wo Sie vom Ministerium per Detailsteuerung vorgehen. Beim DLR haben
Sie einen Fehlstart hingelegt. Wir werden in den nächsten Tagen noch etliche Gespräche zu diesem Thema zu
führen haben.
Das Ganze wird nicht dadurch leichter, Herr Glos,
dass Sie bis zum heutigen Tage das wichtige Thema
Luft- und Raumfahrt nicht mit dem Koordinator bedacht
haben, den dieser Bereich eigentlich braucht. Drei
Ministerien beschäftigen sich mit diesem Bereich. Mit
Ihrer ersten Personalentscheidung sind Sie kläglich gescheitert. Wir müssen jetzt überlegen, wie dieser Bereich
in den verschiedenen Ministerien koordiniert werden
soll.
Wie sieht es mit den nackten Zahlen aus und mit Ihrer
Aussage, wir machen ernst mit der Umschichtung der
Mittel zugunsten der Investitionen in Zukunftstechnologien? Sehr geehrter Minister, Sie schichten nicht um,
Sie stocken einfach überall ein bisschen auf. Sie geben
etwas mehr für Mobilität aus, etwas mehr für Schifffahrt,
etwas sehr wenig für Energieforschung, das heißt, Sie
versuchen, überall in großer Hast ein paar Millionen
draufzusetzen, allerdings ohne dass man an irgendeiner
Stelle erkennt, dass wir es mit einer Hightechstrategie zu
tun haben, die das Ganze nach vorne bringen würde.
Herr Glos, Ihnen fehlt ganz offensichtlich der rote Faden, um eine Strategie nach vorne zu bringen, die Sie ja
immer einfordern.
({5})
Hinzu kommt: Als Haushälterin bin ich schon sehr erstaunt, was wir im Augenblick in den Zeitungen dazu lesen. Gemäß Haushaltsgesetz stehen Ihnen im Rahmen
der vorläufigen Haushaltsführung maximal 45 Prozent
der Mittel zur Fortsetzung bereits angefangener Projekte
zur Verfügung. Gerade eben klang auch wieder durch,
wie schön es doch ist, dass man versucht, diese Gelder
loszuwerden. Diese Gelder stecken aber nach wie vor
fest, und zwar nicht zuletzt auch deshalb, weil Herr
Steinbrück natürlich auch versucht, seinen Weg zu gehen. Die Gelder kommen nicht an. Wir haben vom Ministerium sehr deutlich gehört, dass das offensichtlich zu
einem Projektstau führt. Somit müssen wir davon ausgehen, dass wir ungefähr bis Mitte des Jahres warten müssen, bis die hoch gelobte Strategie ihren Gang nimmt.
Herr Glos, genauso wie ich kennen auch Sie das
Schreiben der beiden Staatssekretäre, die Ihnen das ins
Stammbuch geschrieben haben. Sie haben deutlich davon geredet, dass die Gefahr eines technologischen Fadenrisses und internationaler Wettbewerbsnachteile besteht, wenn die Gelder nicht freigegeben werden. Ich
frage mich natürlich: Wie passt das denn zu der Rede,
die Sie eben hier gehalten haben? Hier scheint doch irgendetwas abzulaufen, das von Ihnen nicht ganz nachzuvollziehen ist.
Herr Minister, falls es entgegen der Aussage dieser
beiden Staatssekretäre hinter dem Rücken der Haushälter trotzdem zu einer Freigabe von Geldern kommen
sollte, dann - das kann ich Ihnen schon jetzt sagen - bekommen Sie sehr viel Freude mit den Haushältern der
FDP im Ausschuss; denn das wäre wirklich ein Bruch
geltenden Rechts.
({6})
Wir werden sehr genau darauf schauen, ob hier etwas
passiert oder nicht.
Sie haben eben noch einmal darauf hingewiesen,
welch schöne und Erfolg versprechende Projekte Sie auf
der Schiene der Hightechstrategie angegangen sind.
Frau Kollegin.
Leider meldet sich jetzt der Präsident.
Na, Gott sei Dank; denn Ihre Redezeit droht zu Ende
zu gehen und der Kollege Rossmanith wollte Ihnen behilflich sein, sie noch ein bisschen zu verlängern.
Oh, das ist schön. Ich wollte gerade noch etwas zu
diesen Projekten sagen, damit Sie einen tieferen Einblick
bekommen, aber vielleicht fragt mich Kollege
Rossmanith ja danach.
Frau Kollegin Flach, vermutlich ist Ihnen aufgrund
der Vorbereitung auf diese Rede heute entgangen, dass
wir gestern die Vorlage bezüglich der von Ihnen gerade
im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung gewünschten Freistellung von 45 Prozent der Mittel erhalten haben, über die wir am kommenden Donnerstag im
Haushaltsausschuss unter Tagesordnungspunkt 24 zu beschließen haben. Da Sie das ja mit einfordern, werden
Sie der Vorlage zustimmen. Damit werden wir keine
Probleme haben.
({0})
Lieber Kollege Rossmanith, wie Sie wissen, sind wir
beide uns bei dem hehren Plan, Innovationen in
Deutschland anzustoßen, immer einig.
({0})
Deswegen wird die FDP selbstverständlich zustimmen,
wenn diese Mittel freigegeben werden sollen.
({1})
Ich sprach aber vom jetzigen Zeitpunkt. Wir befinden
uns jetzt im Monat März. In der nächsten Woche nähern
wir uns sozusagen schon dem April.
({2})
- Wir werden es nächste Woche im Ausschuss besprechen. Vorher können wir es ja nicht. Im Hintergrund des
Ausschusses könnt ihr ja viel vor euch hindebattieren,
der Ausschuss muss die Mittel aber freigeben. Um das
einmal ganz klar zu sagen: Das wird nächste Woche sein.
({3})
Das Ministerium selbst hat uns erklärt - bleiben Sie
ruhig stehen; ich bin noch bei der Beantwortung -, dass
nicht nur 1 000 Einzelvorhaben in der Warteschleife sind
- allein 700 davon im Rahmen des schönen Programms
Pro Inno -,
({4})
sondern dass wir auch davon ausgehen müssen, dass ungefähr drei Monate für die Bearbeitung gebraucht werden.
Ich sage den Kollegen und Kolleginnen dieses Hauses
ganz ruhig: Wir befinden uns dann in der Mitte dieses
Jahres. Lieber Kollege Rossmanith, wir nähern uns dann
im Sauseschritt der Erhöhung der Mehrwertsteuer.
({5})
Wann soll denn eigentlich der Push erfolgen und wie soll
die Strategie greifen, sodass es in diesem Lande zu Innovationen kommt?
({6})
Das sind also wolkige Versprechungen. Die damit
verbundenen Erwartungen werden durch die Erhöhung
der Mehrwertsteuer, die diese Projekte übrigens auch betrifft, endgültig wieder gedämpft. - War es richtig, dass
sich der Kollege jetzt wieder gesetzt hat?
Ja; denn auch Zwischenfragen sind kein Anlass zur
Abgabe von Regierungserklärungen,
({0})
sondern die Möglichkeit, eine kurze Frage zu stellen und
darauf eine kurze Antwort zu erhalten.
Ich freue mich, Herr Präsident, dass Sie der Meinung
sind, wir hätten auch Regierungserklärungen abgeben
können. Ich kann mich deswegen kurz fassen.
({0})
Herr Minister Glos - ich wäre froh, wenn Sie nicht hinten bei der FDP säßen, sodass man Sie leichter ansprechen könnte -, ich wünsche Ihnen, dass Sie das tun, was
Sie uns immer versprechen,
({1})
und wirklich Innovationen anstoßen. Sie können auf jeden Fall sicher sein, dass wir Sie bei der Umsetzung dieses Teils des Haushalts unterstützen werden. Aber wir
werden mit sehr großer Akribie darauf schauen, ob es
haushaltsgerecht und transparent abläuft und wirklich
dem Sinn des Ganzen dient.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Wend für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst, Herr Bundesminister Glos, möchte ich
ein Wort an Sie richten. Ich möchte Ihnen für die SPDFraktion unsere Unterstützung zusichern, wenn es darum
geht, im Bereich Wirtschaft die Koalitionsvereinbarungen umzusetzen.
Die Rede, die Sie heute Morgen gehalten haben, hat
den Geist der großen Koalition wiedergegeben.
({0})
Sie haben darauf hingewiesen, dass Forschung und Entwicklung einen neuen Schwerpunkt erhalten werden und
dass der Mittelstand für uns von entscheidender Bedeutung ist. Der rote Faden Ihrer Rede war für meinen Geschmack etwas mehr schwarz eingefärbt, als er es hätte
sein müssen.
({1})
Sie haben aber deutlich gemacht, dass diese große Koalition eine konstruktive Wirtschaftspolitik betreiben wird.
Apropos große Koalition: Diese große Koalition ist
keine Kuschelkoalition; darüber sollte kein Missverständnis aufkommen.
({2})
Ich stimme dem Kollegen Meyer ausdrücklich zu: In
dieser großen Koalition gibt es Meinungsverschiedenheiten, die nicht zu verschweigen sind. Auch in anderen
Koalitionen, etwa mit den Grünen, hat es Meinungsverschiedenheiten gegeben. Stichwort Atomenergie: Die
CDU/CSU verfolgt tendenziell das Ziel, die Atomenergie eher länger am Energiemix zu beteiligen. Aus unserer Sicht überwiegen an dieser Stelle die Risiken. Daher
halten wir am Ausstiegsbeschluss fest.
({3})
Genauso haben wir Streit über den Kündigungsschutz; das kann man in jeder Zeitung lesen. Warum
sollte man das verheimlichen? Wir wissen, dass die
Union beim Kündigungsschutz über das hinausgehen
will, was in der Koalitionsvereinbarung vertraglich geregelt ist. Uns ging es, um offen zu sein, sogar ein wenig
weit, was wir in der Koalitionsvereinbarung beschlossen
haben. Aber so ist das eben unter Koalitionspartnern.
Hier kommt man weiter, wenn man sich vertragstreu
verhält, wenn man verlässlich ist und wenn man respektiert, dass sich hier zwei verschiedene Fraktionen für
eine vorübergehende Zeit zusammengefunden haben,
um für dieses Land Gutes zu tun. Genau das werden wir
auch schaffen.
({4})
In den Reden der Opposition ist folgendes Schauspiel
wiederholt aufgetreten: Der Kollege Brüderle sieht in
unserem Land schon die Sonne nicht mehr scheinen und
die Finsternis einkehren. Die Kollegin Lötzer sieht sogar
die Ratten aus der Kanalisation verschwinden. Solange
FDP und PDS nicht aufhören, einen Wettlauf darum zu
veranstalten, wer dieses Land in den düstersten Farben
malen kann, wird es keinem von Ihnen beiden gelingen,
die Menschen in diesem Lande zu erreichen, Zukunftsstimmung zu verbreiten und die Probleme dieses Landes
in den Griff zu bekommen. Dazu sind Sie beide - rechts
und links in diesem Hause - schlicht unfähig.
({5})
Was ist die Aufgabe einer Haushaltsdebatte? In einer
Haushaltsdebatte sollte dargestellt werden, was in unserem Land gut läuft, aber auch, wo die Probleme liegen,
um sich anschließend zu fragen: Dienen die Haushaltstitel so, wie sie eingestellt sind, dazu, diese Probleme zu
lösen? Deswegen werde ich als einer der Vertreter der
Regierungsfraktionen über Sorgen und Schwierigkeiten
reden. Dabei frage ich: Ist das, was wir in unserem Haushaltsentwurf stehen haben, geeignet, diese Dinge anzugehen?
Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass wir im Export gut sind. Zu Recht hat der Kollege Brüderle darauf
hingewiesen, dass wir bei den Dienstleistungen schlecht
sind. Es ist wahr: Wir sind - das zeigt die OECD-Studie im Bereich der Dienstleistungen schlecht aufgestellt.
Das ist problematisch, weil dieser Bereich das größte
Reservoir potenzieller Arbeitsplätze birgt.
Was können wir tun? Ein Ansatzpunkt ist die europäische Dienstleistungsrichtlinie, die vor allen Dingen in
meiner Fraktion und von den Gewerkschaften kritisch
gesehen wird, weil die Sorge besteht, dass Standards, die
sich in unserem Land durchgesetzt haben, über den Umweg einer EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgehöhlt werden. Ich glaube, dass diese Sorge zu Recht besteht. Denn
wenn hier zu portugiesischen Bedingungen Arbeit angeboten wird, dann werden in unserem Land soziale Standards wie auch Umweltstandards gefährdet. Das können
wir nicht hinnehmen.
Eine Dienstleistungsrichtlinie stellt, wenn sie richtig
gestaltet wird, aber auch eine Chance dar. Denn es ist
wiederum auch nicht vernünftig, dass sich deutsche Maschinenbauer eine Woche vorher anmelden müssen,
wenn sie in anderen europäischen Ländern Wartungsarbeiten durchführen wollen. Solange kann man nicht auf
die Reparatur einer Maschine warten.
({6})
Wir brauchen insofern auch eine gewisse Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte in Europa, um Dynamik
in diesen Sektor zu bringen. Das richtige Augenmaß
zwischen der Gewährleistung der Standards in unserem
Land einerseits und einer Öffnung der Dienstleistungsmärkte andererseits zu finden, ist Aufgabe der Dienstleistungsrichtlinie. Ich finde, wir sind damit auf einem
guten Weg.
({7})
Ein weiterer Bereich der Dienstleistungen sind die
privaten Haushalte. Was haben wir uns über die Jahre
für eine unsinnige Diskussion erlaubt, als sei es etwas
Unanständiges, wenn ein privater Haushalt jemanden
beschäftigt, der für Pflege, Kinderbetreuung oder sonstige Dienste im Haushalt zuständig ist.
({8})
Die demografische Entwicklung und die Frauenerwerbsquote zwingen uns, in diesem Bereich zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Von daher finde ich
es richtig, was die große Koalition in Genshagen beschlossen hat. Sie will haushaltsnahe Dienstleistungen
steuerlich privilegieren und ermöglichen, dass Kinderbetreuungskosten in größerem Umfang als bisher steuerlich geltend gemacht werden können.
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und unsere Vorschläge, die wir in Genshagen vereinbart haben, sind die
richtige Antwort darauf, dass wir im Dienstleistungssektor Verbesserungen erzielen müssen. Wir werden
dazu im Herbst weitere Vorschläge aus dem Ministerium
für Arbeit und Soziales bekommen.
Dienstleistungen sind ein Beispiel dafür, wo wir Verbesserungen erzielen müssen und dies auch können. Die
große Koalition hat bereits einen Beitrag dazu geleistet.
({9})
Lassen Sie mich die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Bereich richten. Ich beziehe mich in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Kollegen Brüderle, der
festgestellt hat, wir seien im Hightechbereich schlecht.
Das stimmt nur zum Teil. Ich finde es wichtig, dass wir
uns auf diesen Bereich konzentrieren. Denn im Zuge der
Globalisierung werden wir - das wissen wir alle und wir
sind uns hoffentlich darüber einig - den Wettbewerb mit
anderen Staaten und Regionen der Welt nicht durchhalten, wenn wir ihn über Lohnkosten oder die Senkung
von Standards bestreiten wollen. Wer dies versucht, ist
zum Scheitern verurteilt. Wir als Sozialdemokraten wollen diesen Versuch auch gar nicht erst unternehmen.
Wir müssen uns stattdessen mit Innovationen und
neuen Technologien im Hightechbereich behaupten. Das
ist der einzige Weg, im globalisierten Wettbewerb zu bestehen. Dabei müssen wir uns fragen, wie gut wir sind
und wie wir besser werden können.
Gewiss, wir haben Stärken. Die Intensität der Forschung und Entwicklung in Deutschland ist nicht so
schlecht. Mit einem Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von etwa
2,5 Prozent erreichen wir im EU-Vergleich sogar einen
überdurchschnittlichen Wert. Darauf wird zurückzukommen sein. Auch was den Weltmarktanteil von forschungs- und entwicklungsintensiven Waren angeht, ist
Deutschland prozentual führend, noch vor Japan und
gleichauf mit den USA. Deutschland ist mit dem Anteil
an Patenten unter den großen Industrienationen in der
Spitzengruppe. Deutschland verfügt über einen starken
Kern von etwa 170 000 innovativen Unternehmen und
renommierten Forschungseinrichtungen. Insbesondere
ist die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen an Innovationen im EU-Vergleich hoch. Das bedeutet positive Beschäftigungsmöglichkeiten.
Es gibt auch ein deutliches Aber. Das Gründergeschehen bei hightechorientierten Unternehmen ist im internationalen Vergleich gering. Die Entwicklung der F-und-EIntensität und der F-und-E-Ausgaben in Deutschland ist
zwar im EU-Vergleich ordentlich. Wenn man es aber mit
den dynamischen Wachstumsregionen in Asien vergleicht, dann stellt man fest, dass wir inzwischen deutlich zurückfallen. In Japan beispielsweise liegt der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben bei
3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ausbildung und
Qualifikation erreichen bei uns nicht mehr das Maß, das
genügend Nachwuchs sicherstellt.
Nach dem kürzlich veröffentlichten Business Barometer der amerikanischen Handelskammer ist der Standort Deutschland für US-amerikanische Unternehmen
spürbar attraktiver geworden. Die Ausbildung und Qualifikation der Fachkräfte sowie eine gute Grundlagenforschung sind dafür der Grund. Nun kommt wieder ein
Aber. Deutschland ist zwar für amerikanische Unternehmen gut genug als Verwaltungssitz, nicht aber als Forschungsstandort.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Anzahl
der Patente als Gradmesser für die Innovationsfähigkeit
heranzieht. Nach der neuesten OECD-Studie hatte
Deutschland 2001 einen Weltmarktanteil von 15 Prozent
und wurde damit wieder einmal Weltmeister. Deutsche
Patente erstrecken sich aber nicht auf die am stärksten
wachsenden Patentbereiche, nämlich Informationstechnologie und Biotechnologie. Hier sind die Vereinigten
Staaten ganz vorne. Außerdem geht die Zahl der Universitätsabschlüsse im Technik- und Ingenieurbereich zurück. Wurden 1998 noch 35 Prozent aller Universitätsabschlüsse im Wissenschafts- und Ingenieurbereich
gemacht, sind es 2002 lediglich 30 Prozent. Dieser
Trend bereitet Sorgen.
Zur Erinnerung: 2,5 Prozent des BIP geben wir für
Forschung und Entwicklung aus. Das ist im EU-Vergleich nicht schlecht. Aber die genannten Zahlen verdeutlichen ein Problem. Wir sind gut beim Maschinenbau, in der Automobilindustrie und der chemischen
Industrie und wir wollen es auch bleiben. Aber in den
Bereichen, in denen die Zukunftsmusik spielt, in der Informationstechnologie sowie der Bio- und Gentechnologie, sind wir nicht mehr Weltspitze. Das ist die Problembeschreibung.
Nun stellt sich die Frage, was die große Koalition
leistet, damit wir wieder an die Weltspitze kommen. Wir
haben in Genshagen beschlossen, bis 2009 insgesamt
6 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung und Entwicklung einzusetzen, davon 800 Millionen Euro in diesem Jahr.
({10})
Der Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie wird um insgesamt 1,2 Milliarden Euro aufgestockt. Außerdem wollen wir in dieser Legislaturperiode
an die 3-Prozent-Grenze herankommen. Das ist zwar
nicht die Weltrevolution - diese wäre mit Rot-Schwarz
auch nicht zu machen -, wohl aber der Versuch, die Herausforderungen anzunehmen und Deutschland bei den
neuen Technologien Schritt für Schritt in die Weltspitze
zurückzuführen. Das werden wir auch schaffen.
({11})
Das ist aber nicht alles. Wir dürfen nicht nur mehr für
Forschung und Entwicklung ausgeben. Vielmehr müssen
wir es schaffen, die Mehrausgaben stärker zu fokussieren. Das heißt: keine Ausgaben nach dem Gießkannenprinzip, sondern Clusterbildung. Wir müssen uns auf die
europäischen Stärken beispielsweise in der Luft- und
Raumfahrt, der Automobilindustrie, im medizinischen
Bereich und in der Telekommunikation konzentrieren.
({12})
Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Flach?
Sehr gerne.
Bitte, Frau Flach.
Herr Kollege Wend, Sie haben zu Recht auf die Wichtigkeit von Innovationen hingewiesen. Aber sind Sie
nicht mit mir einer Meinung, dass oft Projekte - gerade
im Wirtschaftsministerium - als innovativ bezeichnet
werden, bei denen man sich fragen muss, ob sie zielführend sind? Ist es etwa notwendig, dass das Wirtschaftsministerium eine Internetbasis für integrierte Agrardienstleistungen unterhält und damit beispielsweise
internetbasierte Mähverfahren als Innovation fördert?
Es würde mich auch interessieren, ob Sie es für sehr
innovativ halten, dass nun, wenige Wochen vor der Fußballweltmeisterschaft, immer noch ein digitales Kino
von Ihnen gefördert wird. Kurzum: Sind Sie unter dem
Strich nicht der Meinung, dass all diese Programme,
gerade des Wirtschaftsministeriums, längst einmal im
Hinblick auf ihren Wert evaluiert werden müssten?
Zunächst einmal bin ich nicht mit Ihnen der Auffassung, dass die Programme, die im Ministerium für Wirtschaft und Technologie bestehen, keinen Sinn machen
und nicht innovativ sind. Ich möchte Ihnen aber ausdrücklich zustimmen - ich habe das in meinen letzten
beiden Sätzen vor der Zwischenfrage zu sagen versucht -: Wir müssen nicht nur mehr Geld ausgeben, sondern es muss uns auch gelingen, dieses Geld nicht mit
der Gießkanne zu verteilen. Ich spüre doch auch manchmal - und das hat nichts mit Parteipolitik zu tun -, wie
die Einrichtungen in unserem Land sich, sobald Geld im
Ministerium da ist, einen Zweck suchen, um an dieses zu
kommen. Es muss uns gelingen, die Mittel zu fokussieren, sie dort auszugeben, wo wir schon Stärken haben
- Automobilindustrie oder Luft- und Raumfahrt; um
zwei Beispiele zu nennen -, um die innovativen Dinge
dort, wo sie sich entwickeln können, gezielt zu stärken.
Ich weiß von diesem Wirtschaftsminister, dass exakt das
sein Ziel ist. Wenn die FDP uns dabei unterstützt, sind
wir dabei noch machtvoller, Frau Kollegin Flach.
({0})
Aber wir müssen auch die Rahmenbedingungen dafür
verändern. In diesem Zusammenhang möchte ich ein
Wort zum Bürokratieabbau sagen. Unser früherer
Minister Wolfgang Clement hat gesagt, der Bürokratieabbau ist ein Häuserkampf und er hätte sich manches
Mal gewünscht, schneller voranzukommen, als es uns
gelungen ist. Ich muss hier einmal selbstkritisch an uns
als große Koalition gerichtet sagen: Verdammt noch mal,
wir hätten in den letzten Wochen weiter sein können!
({1})
Wir müssen uns fragen: Haben wir wirklich alles getan,
um die Widerstände, die da sind, wenn wir etwas verändern wollen, zu überwinden?
({2})
Mein Appell an uns als große Koalition lautet: Lassen
Sie uns beim Bürokratieabbau in den nächsten Wochen
endlich ein, zwei Pflöcke einschlagen - das Thema ist es
wert.
({3})
Zusammenfassend: Der Haushaltsentwurf für das
Wirtschaftsministerium ist einer, mit dem man sich sehen lassen kann, einer, der die Strukturen, die problematisch sind, aufgreift und der Innovation zu einem
Schwerpunkt macht; denn nur über Innovationen können
wir im weltweiten Wettbewerb bestehen. Dieser Haushaltsentwurf ist ein Beispiel dafür, dass diese große Koalition die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sicherstellen wird.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Zuerst zu Herrn
Wend. Herr Wend, wollen Sie das Problem der Arbeitslosigkeit lösen oder wollen Sie hier bloß gute Stimmung
verbreiten? Das ist meine erste Frage an Sie. Denn von
einer guten Stimmung hat ein Arbeitsloser nichts - er
braucht einen Arbeitsplatz und einen Lohn, von dem er
seine Familie ernähren kann.
({0})
Herr Meyer - Sie haben es sich da hinten so schön bequem gemacht -, was soll ich einem Langzeitarbeitlosen
sagen, der zu mir als DGB-Vorsitzende der Region Vogtland/Zwickau kommt, weinend vor mir sitzt und sagt,
dass er seine Familie nicht ernähren kann? Wie soll es
weitergehen für ihn? Diese Frage haben Sie mir nicht beantwortet.
({1})
Heute hat die „taz“ gut kommentiert: „Zu gute Stimmung für zu wenig Jobs“. Bei diesem Haushalt wird es,
wie nicht anders zu erwarten, viele Verlierer, aber wenige Gewinner geben. Damit führen Sie die Politik der
Vorgängerregierung fort, die das Großkapital auf Kosten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allen
Dingen auf Kosten des Mittelstandes gefördert hat.
({2})
Trotz der hohen Arbeitslosigkeit und trotz der hohen
Zahl von Unternehmensinsolvenzen soll es nach dem
Willen der Bundesregierung einfach „weiter so“ gehen.
Aber wen wundert das? Was kann man zu einer großen
Koalition sagen, die die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen als Bestätigung ihres Kurses sieht,
({3})
obwohl nur jeder Zweite zur Wahl gegangen ist und obwohl beide Parteien, Union und SPD, insgesamt über
1 Million Stimmen verloren haben? Sie, meine Damen
und Herren von der Bundesregierung, haben es sich mit
Ihrer Mehrheit hier in diesem Hause bequem eingerichtet. Ihnen ist der Bezug zur Lebensrealität und zu den
Problemen der Menschen in diesem Land einfach verloren gegangen.
({4})
Um der zunehmenden Entfremdung zwischen Politik
und Gesellschaft entgegenzuwirken, rege ich hier an, die
Tätigkeit von Abgeordneten auf zwei Legislaturperioden
zu beschränken. Damit hätten viele Abgeordnete hier im
Hause die Möglichkeit, sich wieder mit der sozialen
Wirklichkeit vertraut zu machen.
({5})
Die Gewinne der 30 führenden Konzerne in Deutschland sind im Jahr 2005 - ({6})
- Ja, Sie, Herr Kampeter, sind damit auch gemeint, denn
Sie sind auch länger als zwei Legislaturperioden im
Bundestag. ({7})
Aber Sie haben nichts anderes zu tun, als bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Arbeitslosen, den
Rentnern und Jugendlichen zuzulangen. Das gilt auch
für viele Teile des Mittelstandes. Unter der Mehrwertsteuererhöhung wird ein Kleinstunternehmer doppelt leiden: einmal, weil die Binnennachfrage ausbleibt, und
dann, weil ein Einmannunternehmen nun einmal nicht
von der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge profitiert, ganz im Gegensatz zum Großkapital.
Die Bundesregierung kennt nur den Mittelstand, der
international exportiert; das wurde heute auch in Ihren
Reden deutlich. Das trifft aber lediglich auf 12 Prozent
der mittelständischen Unternehmen zu; Herr Wend, Sie
werden sicherlich die Zahlen kennen. Das sind meist
größere mittelständische Unternehmen mit mehreren
hundert Beschäftigten, die in diesem Land gute Gewinne
schreiben. Die Mehrheit der kleinen Selbstständigen hat
ganz andere Probleme - trotz der leicht verbesserten
Konjunktur -, aber die interessieren hier wahrscheinlich
niemanden.
CDU und SPD - und hier kommen Sie, meine Damen
und Herren von der FDP und den Grünen, dazu - empfehlen dauernd den Weg in die Selbstständigkeit. Was
mit den Menschen passiert, die auf der Flucht vor
Hartz IV den Schritt in die Selbstständigkeit wagten,
darüber will niemand mehr sprechen.
Dabei ist die Lage katastrophal. In den letzten drei
Jahren hat die Agentur für Arbeit fast 900 000 Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit unterstützt. Aber
was ist aus den Existenzgründern geworden? Ich zitiere
den jüngsten Mittelstandsmonitor der Kreditanstalt für
Wiederaufbau: Nach circa einem Geschäftsjahr operiert
noch fast die Hälfte in der Verlustzone und nur knapp ein
Viertel der Gründer kann vollständig den Lebensunterhalt bestreiten. Sie haben mit Ihrer Politik eine riesige
Gruppe von Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen geschaffen, die jenseits der Arbeitslosenstatistik ein Leben in Armut fristen müssen.
({8})
Der Grund dafür liegt auf der Hand. Es fehlt nicht
etwa an Export. Das Problem ist die am Boden liegende
Binnenwirtschaft, unter der vor allen Dingen das kleine
Handwerk überdurchschnittlich leidet.
({9})
Ihre Politik setzt hier kein anderes Zeichen. Das ist ein
düsterer Ausblick für die Zukunft des Mittelstandes.
In den aktuellen Haushaltsberatungen setzen wir uns
für die Einrichtung eines Handwerkerhilfsfonds ein.
Der Fonds soll Klein- und Kleinstunternehmen helfen,
deren Existenz unverschuldet gefährdet ist, etwa durch
kriminelle Machenschaften oder auch durch die Zahlungsmoral. Das ist eigentlich nichts grundlegend
Neues; das gab es bereits einmal im Jahr 2001. Damals
waren die Handwerkerfrauen am Brandenburger Tor in
einen Hungerstreik getreten. Vielleicht können sich einige von Ihnen hier in diesem Hause daran erinnern.
({10})
Hat sich die Lage geändert? Wohl kaum. Immer noch
liegt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen bei deutlich
mehr als 30 000. Es sind fast ausschließlich Kleinunternehmen, die es trifft. Noch immer ist die Zahlungsmoral
der meist genannte Grund für die Insolvenzen. Das hat
auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks in
einer Erhebung noch einmal bestätigt.
Nicht nur die Beschäftigten im öffentlichen Dienst
sollen durch längere Arbeitszeiten, Stellenabbau und Gehaltskürzungen die Löcher ausbaden, die die Steuerentlastungen für das Großkapital in die öffentlichen Haushalte gerissen haben, sondern auch der kleine
Handwerker mit seiner Existenz. Dabei steht dafür eigentlich genug Geld zur Verfügung. Wir schlagen vor,
die Subventionierung der Bestrebungen der Großunternehmen nach Expansion im Ausland zu kürzen. Ich
nenne hier nur den Haushaltstitel „Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland“. Was wird hier
gemacht? Ich lese vor:
Gefördert werden Unternehmertreffen, Workshops,
Kooperations- und Kontaktbörsen oder Tage der
Deutschen Wirtschaft sowohl im Ausland als auch
im Inland.
Das können die großen Verbände eigentlich selbst machen.
({11})
34 Millionen Euro sollen hier ausgegeben werden. Wir
wollen nur 3 Millionen Euro für den Handwerkerhilfsfonds.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren
von der großen Koalition, Sie müssen sich entscheiden:
Wollen Sie die Expansion der Großunternehmen weiter unterstützen, und das, obwohl bekannt ist, dass die
Rekordgewinne dort auf Kosten der Beschäftigten und
der mittelständischen Zulieferer erzielt werden? Oder
wollen Sie Ihren Sparkurs im Inland beenden und damit
zeigen, wie ernst es der Regierung mit den Belangen des
Menschen und des Mittelstandes in diesem Land wirklich ist? Mit patriotischen Appellen an die deutschen
Manager, Herr Stiegler, werden Sie die Probleme wahrscheinlich nicht lösen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat Anna Lührmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte mich in meiner heutigen Rede auf
ein Drittel des Wirtschaftsetats konzentrieren. Über dieses Drittel des Wirtschaftsetats können wir in den Haushaltsberatungen gar nicht mehr reden, weil die Kohle
schon längst abgeflossen ist. Sie ahnen wahrscheinlich,
wovon ich spreche: Ich meine die 1,6 Milliarden Euro
Subventionen, die schon im Januar dieses Jahres an die
RAG überwiesen worden sind.
Statt Arbeitsplätze des 21. Jahrhunderts zu fördern, ist
ein Drittel des Wirtschaftsetats also schon verfeuert worden, um eine Industrie aus dem 19. und 20. Jahrhundert
künstlich am Leben zu halten, und das, ohne dass ein Politiker, der etwa in dieser Wahlperiode zum ersten Mal in
den Bundestag gewählt worden ist, darüber auch nur ein
Wort hätte mitreden können. Solche Vorfestlegungen
finde ich ungerecht, weil sie die Handlungsfähigkeit der
heutigen Politiker und der jungen Generation deutlich
einschränken.
({0})
Dabei müssten wir dringend handlungsfähig sein, um
auf die neuen Probleme des 21. Jahrhunderts - demografischer Wandel, Globalisierung, Klimawandel - wirklich
reagieren zu können. Dafür bräuchten wir dringend diejenigen Haushaltsmittel, die für die Kohle gebunden
sind.
Frau Lührmann, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kröning zulassen?
Gerne.
Bitte schön, Herr Kröning.
Auch ich würde gern etwas mehr Kohle von der
Kohle beziehen, aber können Sie dem Haus bestätigen,
dass Sie dem Deutschen Bundestag und auch dem Haushaltsausschuss schon in der vorigen Wahlperiode angehört haben und dass die Zahlungen, die Sie eben erwähnt
haben, von der vorigen Koalition, die Ihre und meine
Fraktion gemeinsam gebildet haben, beschlossen worden sind?
Danke, Herr Kollege, für diese Frage. - Ich kann Ihnen bestätigen, dass die dieses Jahr geleisteten Zahlungen ein Resultat der Kohlerunde von 1997 sind. Das
heißt, dass sämtliche Fraktionen in diesem Hause diesen
Zahlungen in irgendeiner Art und Weise einmal zugestimmt haben.
({0})
- Vielleicht muss ich die Linke davon ausnehmen.
({1})
Das ändert aber nichts daran, dass es ein Problem ist,
dass wir einen so vergangenheitsbezogenen Wirtschaftsetat haben. Das ändert vor allen Dingen nichts
daran - darauf möchte ich in meiner Rede eingehen -,
dass wir solche Vorfestlegungen in Zukunft vermeiden
müssen. Wir müssen schnellstmöglich dafür sorgen, dass
ein Sokkelbergbau nicht aufrechterhalten wird und dass
die Kohlesubventionen dauerhaft abgebaut werden.
({2})
Wie ich sehe, ist Frau Lührmann einverstanden.
Finden Sie es eigentlich ersprießlich, dass Sie politisch etwas ansprechen, woran wir rechtlich eindeutig
gebunden sind, jedenfalls für die nächste Zeit? Wir können gerne über 2015 oder über 2025 reden.
Herr Kollege Kröning, mir geht es darum, dass den
Bürgerinnen und Bürgern klar wird, worüber wir reden.
Wir sprechen hier über den Wirtschaftsetat; das ist in den
vorherigen Reden nicht so deutlich geworden.
({0})
Ein Drittel des Wirtschaftsetats ist nun einmal gebunden;
da haben Sie vollkommen Recht. Dass wir darüber heute
nicht mehr verfügen können, ist genau das Problem.
Wenn wir über Generationengerechtigkeit, über Nachhaltigkeit debattieren, dann müssen wir erkennen, dass
wir zu einer deutlich anderen Haushaltsstruktur kommen
müssen. Dafür wird meine Fraktion in den Haushaltsberatungen eintreten.
({1})
Für uns ist ganz klar, dass wir die Mittel, die in diesem Jahr und in den nächsten Jahren - da sind wir ja
auch noch gebunden - für die Subventionen abfließen,
eigentlich bräuchten, um zukunftsfähige Arbeitsplätze
zu schaffen; denn die Märkte der Zukunft in Indien oder
in China haben kein Interesse an der überteuerten deutschen Kohle, aber zum Beispiel an innovativen Solarzellen „Made in Germany“. Das ist der Markt der Zukunft.
Darin müssten wir auch aus dem Wirtschaftsetat stärker
investieren.
({2})
Ich komme jetzt noch einmal auf das zu sprechen,
was in den letzten Jahren beim Thema Kohle gelaufen
ist. Wir haben im Jahr 2004 über dieses Thema sehr heftige Diskussionen gehabt, auch in der rot-grünen Koalition, und haben mit durchgesetzt, dass die Weltmarktpreise bei der Zahlung der Kohlesubventionen in
Zukunft stärker Berücksichtigung finden müssen.
Ich will kurz erklären, worum es da geht. Wir zahlen
momentan Subventionen, weil die deutsche Kohle auf
dem Weltmarkt zu teuer ist. Wir zahlen also Subventionen, damit diese Kohle überhaupt Absatz findet. Es ist
nun aber so, dass der Weltmarktpreis in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, im letzten Jahr um 20 Euro pro
Tonne. Das ist eine Steigerung um ein Drittel. Eines,
finde ich, muss klar sein: Wenn die RAG für ihre Kohle
deutlich mehr einnimmt, dann braucht der Staat nicht
weiter gleich viele Subventionen zu zahlen.
({3})
Genau das haben wir in den Zuwendungsbescheiden
in den letzten Jahren festgeschrieben, Herr Kollege
Kröning; das ist richtig. Auch die große Koalition muss
sich an diese Zuwendungsbescheide halten und darf
nicht vor der Wirtschaft einknicken. Hier muss wirklich
klar sein: Höhere Weltmarktpreise führen zu weniger
Subventionen. So kann der Haushalt in jedem Jahr um
einen dreistelligen Millionenbetrag entlastet werden.
({4})
Noch viel wichtiger allerdings sind die mittel- und
langfristigen Perspektiven in der Kohleförderung. Die
Position der Grünen zu diesem Thema ist sowohl auf
Landes- als auch auf Bundesebene eindeutig: Wir wollen
keinen Museumsbergbau, sondern den schnellstmöglichen sozialverträglichen Ausstieg aus der Förderung.
Wir müssen den Menschen vor Ort schon jetzt andere
Perspektiven eröffnen.
Herr Glos, ich vermisse von Ihnen eine ganz klare
Aussage dazu, wie Sie denn jetzt in Ihrer Regierungsverantwortung als Wirtschaftsminister zu diesem Thema
stehen. In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung gemeinsam mit den Grünen im Landtag eine sehr
eindeutige Position bezogen. Wir haben im Landtag in
Nordrhein-Westfalen vor zwei Wochen einen Antrag beschlossen, in dem Landesregierung und Grüne ganz klar
sagen, dass sie aus dem Bergbau aussteigen wollen
({5})
und dass eine sozialverträgliche Perspektive eröffnet
werden soll. Die SPD hat dagegengestimmt.
({6})
Deshalb stelle ich hier die Frage an die Regierung:
Was ist Ihre Perspektive für die Kohlerunde 2009? Ich
bitte Sie, dazu Farbe zu bekennen.
({7})
- Im Koalitionsvertrag steht nicht allzu viel.
({8})
Da wird sehr schön drum herum geredet. Deshalb würde
mich sehr interessieren, wie Sie in die Kohlerunde 2009
hineingehen wollen. Die Perspektive ist für uns ganz
klar: Wir brauchen einen Ausstieg aus dem Sockelbergbau, damit wir das Geld für Investitionen in zukunftsfähige Arbeitsplätze frei haben.
({9})
Ein weiteres wichtiges Thema in dem Zusammenhang ist der Börsengang der RAG. Wir als Grüne steAnna Lührmann
hen diesem Thema grundsätzlich positiv gegenüber.
Aber es gibt noch eine Reihe ungeklärter Fragen. Ich
glaube, wir sind uns hier im Hause einig darüber, dass
diese Fragen vor einem Börsengang geklärt werden müssen.
Es geht zum Ersten um die Frage, wie für die RAG
ein größtmöglicher Verkaufserlös erzielt werden kann.
Es gibt momentan deutliche Anzeichen dafür, dass eine
separate Vermarktung der Unternehmenssparten zu einem deutlich höheren Erlös für die öffentliche Hand führen könnte. Das muss in nächster Zeit in einem transparenten und offenen Verfahren geklärt werden.
Der zweite Punkt ist noch viel wichtiger. Immer noch
nicht offen gelegt sind die Schätzungen darüber, über
welche Altlasten oder so genannte Ewigkeitskosten wir
bei dem Thema eigentlich noch reden. Für uns ist eines
klar: Es kann nicht sein, dass die Aktionäre und Herr
Müller hohe Gewinne an der Börse erzielen
({10})
und der Steuerzahler allein auf den Altlasten sitzen
bleibt. Das ist kein zukunftsfähiges Konzept.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
zum Schluss kommen. Damit künftige Generationen in
der Haushaltspolitik und bei der politischen Gestaltung
mehr Spielräume als wir heute haben, darf es nicht so
weitergehen, dass ein Drittel des Wirtschaftsetats verbrannt wird, um eine Industrie aus dem 19. und 20. Jahrhundert künstlich am Leben zu erhalten. Für Investitionen in Jobs mit Zukunft brauchen wir die nötigen
finanziellen Spielräume. Deswegen müssen von der großen Koalition in nächster Zeit zwei Sachen umgesetzt
werden. Erstens. Die Weltmarktpreise müssen bei den
Subventionen Berücksichtigung finden. Zweitens. In der
Kohlerunde 2009 muss ganz klar über den Ausstieg aus
dem deutschen Steinkohlenbergbau verhandelt werden.
Nur so haben wir mehr Mittel frei für die Erforschung
von umweltfreundlichen Energiequellen und Energietechnologien und nur so können wir Jobs schaffen, die
Zukunft in Deutschland haben.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Kurt Rossmanith, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Wir hatten tatsächlich einmal Zeiten,
da gab es bei der FDP noch wirtschaftlichen Sachverstand.
({0})
Ein leider viel zu früh verstorbener Bundesminister für
Wirtschaft hat damals ausgeführt, dass Wirtschaft primär
durch die Wirtschaft zu handhaben sei. Das ist richtig;
aber die Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit die Eigendynamik der Wirtschaft gestärkt werden kann, damit wieder Wachstumskräfte frei werden, Innovation entsteht und dadurch
Arbeitsplätze geschaffen werden können.
({1})
Deshalb, meine verehrten Kollegen von der FDP,
muss ich sagen: So etwas Konfuses wie das, was Sie
heute dargestellt haben, habe ich in diesem Hause selten
gehört. Der Herr Kollege Brüderle sagt, die Förderung
der Wirtschaftsinnovationen müsse abgeschafft werden.
({2})
Die Frau Kollegin Flach sagt, wir hätten viel zu wenig,
und fragt, warum das nicht schon längst am Laufen sei.
Das ist am Laufen, liebe Frau Kollegin Flach! Wir werden am kommenden Donnerstag die Verpflichtungsermächtigungen - ich erläutere Ihnen das anschließend
noch einmal, weil die Redezeit hier zu schade ist; denn
wir haben noch andere wichtige Probleme - für die kommenden Jahre zustimmend zur Kenntnis nehmen. Die
Verpflichtungsermächtigungen, die in diesem Jahr wirksam werden, sind ja aus den vergangenen Jahren. Das
heißt, es läuft. Der Herr Kollege Brüderle sollte sich
vielleicht einmal in Mainz und Umgebung gerade bei
kleinen, innovativen, forschungsstarken Unternehmen
umsehen, ob sie nicht von diesem Programm profitiert
haben und es loben.
({3})
Herr Kollege, möchten Sie denn eine Zwischenfrage
von Frau Flach zulassen?
Selbstverständlich.
Lieber Kollege Rossmanith, Sie stimmen sicherlich
mit mir überein, dass man Kollegen Brüderle immer zuhören sollte. Er hat sich natürlich nicht gegen Innovationen ausgesprochen; aber das ist nicht meine Frage.
Meine Frage ist, ob Sie wirklich der Meinung sind,
dass der Staatssekretär Wuermeling uns als Berichterstattern sozusagen wissentlich etwas Falsches erzählt
hat, als er gesagt hat, selbst wenn diese Mittel jetzt frei
würden - damals war es noch im Konjunktiv; wie ich
höre, scheint sich etwas zu bewegen -, gäbe es noch einen Stau über drei Monate. Wir reden im Augenblick
von etwa 1 000 Projekten, die im Kanonenrohr stecken.
({0})
Zu Ihrer ersten Frage, Frau Kollegin Flach. Kollege
Brüderle hat ausdrücklich - er hat es expressis verbis
hier gesagt; das können Sie gerne nachlesen - InnoWatt kritisiert, die Förderung innovativer Wachstumsträger. Dadurch können viele kleine und mittelständische
Unternehmen sehr erfolgreich Forschung betreiben.
Zu der zweiten Frage. Ich betone noch einmal: Es
handelt sich hier um Verpflichtungsermächtigungen
für das nächste Jahr, die schon auf den Weg gebracht
werden müssen, damit Anträge jetzt gestellt werden können. Sie haben ja vorhin richtigerweise gesagt, dass es
eine Bearbeitungsdauer von drei oder vier Monaten gibt,
weil die Forschungsprojekte natürlich korrekt geprüft
werden müssen, damit Gelder nicht unüberlegt freigegeben werden. In diesem Jahr werden die Verpflichtungsermächtigungen aus dem Haushaltsgesetz 2005 wirksam.
Es geht also nicht um die Verpflichtungsermächtigungen
für dieses Jahr; aber es ist richtig, dass sie schon jetzt
freigegeben werden müssen. Dies ist korrekt. Ich danke
Ihnen, dass Sie mir ermöglicht haben, es hier coram publico darzustellen.
({0})
Herr Kollege, wenn Sie möchten, könnten Sie jetzt
noch eine Frage von Herrn Brüderle zulassen.
Selbstverständlich gerne.
({0})
Bitte, Herr Brüderle.
Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, was ich
vorhin gesagt habe? Zuhören ist nicht so einfach. Ich
lese es deshalb einmal vor: Die Konjunkturentwicklung festigen Sie bestimmt nicht mit immer neuen Förderprogrammen wie Inno-Watt, Inno-Net, NEMO und
Pro Inno. - Das habe ich gesagt.
({0})
Ich habe aber nicht gesagt, dass ich gegen Innovationsförderung bin. Sie müssen den Zusammenhang verstehen, was natürlich schwierig wird, wenn man nicht drei
Sätze zuhören kann.
({1})
Ich bitte Sie, das einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Lieber Herr Kollege Brüderle, im Prinzip schätze ich
Sie durchaus.
({0})
Aber Ihre arrogante und oberlehrerhafte Art, die Sie
heute an den Tag legen, ist Ihrer Person nicht würdig.
Das will ich Ihnen sehr deutlich sagen.
Sie sind von Ihrem Manuskript abgewichen. Ich bin
dankbar, dass Sie sagen, dass wir innovative Forschung
im mittelständischen Bereich weiterhin fördern wollen.
Da sind wir auf einer Ebene. Aber bitte unterlassen Sie
es, in populistischer Art und Weise in der Öffentlichkeit
Aussagen zu treffen, die Sie hinterher wieder zurücknehmen.
({1})
Möchten Sie noch eine Nachfrage zulassen? Das wäre
dann die letzte.
Selbstverständlich.
Herr Kollege, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, dass
wir hier im Deutschen Bundestag sind und nicht im
Bierzelt?
({0})
Es wäre gut gewesen, Herr Kollege Brüdere, wenn
Sie das bei Ihrer Rede beachtet hätten.
({0})
Ihre Rede hätte besser zu „Mainz bleibt Mainz, wie es
singt und lacht“ gepasst. Wir sind aber zehn Tage vor der
Karwoche; die Fastnachtzeit ist längst vorbei, auch in
Mainz.
({1})
Natürlich bedrückt es uns, dass wir nach wie vor fast
5 Millionen Arbeitslose haben. Aber erfreulich ist doch,
dass sich die Stimmung in unserem Land gewandelt hat.
Der Ifo-Geschäftsklimaindex - Herr Bundesminister
Glos hat es schon angesprochen - hat den höchsten
Stand seit 15 Jahren erreicht. Wir dürfen in diesem Jahr
etwa 150 000 zusätzliche Arbeitsplätze erwarten. Wir
haben außerdem einen Stopp des Beschäftigungsabbaus erreicht.
Es kann nicht angehen - das kann man wahrscheinlich noch unter dem Stichwort Fastnacht abhaken -, dass
der Bundesverband deutscher Banken in Haftung für etwas genommen wird, was er so nicht dargestellt hat. Im
Gegenteil, in seiner gestrigen Mitteilung hat der Bundesverband deutscher Banken die Wachstumsprognose
von 1,5 auf 1,7 Prozent erhöht. Es wurde ausdrücklich
gesagt:
Die Investitionen der Unternehmen nehmen deutlich zu und auch in der Bauwirtschaft ist ein Ende
der jahrelangen Talfahrt abzusehen. Das Wirtschaftswachstum reicht 2006 aus, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Das ist die Aussage des Bundesverbandes deutscher
Banken und nicht das, was Sie, Herr Brüderle, dargestellt haben.
({2})
Etwas Ehrlichkeit muss auch hier gegeben sein. Man
kann ja für unterschiedliche Wege sein, wobei wir in unseren Auffassungen zur Wirtschaftspolitik nie weit von
Ihnen entfernt waren. Aber lasst uns, bitte schön, in diesem Hause ehrlich miteinander umgehen! Wir werden
den Arbeitslosen und den jungen Menschen, die in Zukunft auf qualifizierte Arbeitsplätze angewiesen sind,
nicht helfen, wenn wir nur negativ reden und sozusagen
das hervorheben, was als Bodensatz auf dem Grund des
Sees liegt. Nein, wir müssen den Menschen sagen, dass
wir uns alle bemühen, damit es vorwärts geht. Das wird
kein leichtes Unterfangen sein. Auch das muss man der
Ehrlichkeit halber sagen.
Herr Kollege, möchten Sie eine weitere Frage des
Herrn Brüderle zulassen?
Wenn der Herr Brüderle dies wünscht.
Offensichtlich.
Herr Kollege, ich habe wörtlich eine Reuters-Meldung von gestern zitiert. Ich wiederhole es:
Die Bundesregierung hat es nach Ansicht der Geschäftsbanken in der Hand, den Wirtschaftsaufschwung mit klaren Reformen ins kommende Jahr
zu retten.
Das habe ich zitiert und nichts anderes.
({0})
Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
Herr Brüderle, hätten Sie doch weiter zitiert.
({0})
- Dann sollte sich die FDP einen anderen Ticker holen,
der die Pressemitteilungen vollständig wiedergibt.
({1})
Lieber Herr Brüderle, Sie sind offensichtlich noch mit
einer Technologie ausgestattet, die nicht dem heutigen
Stand und schon gar nicht dem von morgen entspricht.
({2})
Ich will noch einen Punkt ansprechen; denn zum
Haushalt an sich komme ich gar nicht mehr. Liebe Frau
Kollegin Flach, Sie haben die Kolleginnen und Kollegen
des Wirtschaftsministeriums kritisiert. Ich muss dazu sagen: Diese sind willig. Sie sind motiviert. Sie sind hoch
qualifiziert. Sie haben sehr viele Aufgaben wahrzunehmen.
Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie Sie sagen
können, wir seien in der Forschung auf einem absteigenden Ast.
({3})
- Natürlich sind wir für die Freiheit der Forschung. Gerade im Bereich der Raumfahrt, liebe Frau Kollegin
Flach, waren wir aus dem Stand heraus enorm erfolgreich. Bundesminister Glos hatte kaum seinen Eid geschworen, da fand ein paar Tage später die ESA-Ministerratskonferenz statt. Er und das DLR - ich betone
ausdrücklich: das DLR, unsere Raumfahrtagentur - haben hervorragende Arbeit geleistet und Deutschland in
der Raumfahrt wieder nach vorne gebracht.
({4})
Sie haben im europäischen Verbund aufgezeigt, welche
Leistungen wir erbringen, und haben der Jugend - lassen
Sie mich das als letzten Aspekt sagen - wieder Hoffnung
gegeben. Wir haben in Deutschland im Bereich der Luftund Raumfahrt - Frau Kollegin Flach, vielleicht hören
Sie auch bei diesem letzten Punkt noch zu - jährlich einen Bedarf von 1 000 bis 1 500 Ingenieuren, während in
Deutschland pro Jahr nur 400 ihr Studium abschließen.
Warum? Weil ständig Technikfeindlichkeit gepredigt
({5})
und von den Grünen gesagt wird: Lasst diesen Bereich
außer Acht! Setzt euch lieber für Soziologen, Philologen, Politologen ein,
({6})
die sicherlich auch wichtig sind. Damit werden wir die
Zukunft nicht retten.
({7})
China hat es verstanden. Allein im Bereich der Luftund Raumfahrt werden in China jährlich 40 000 Ingenieure fertig. Wir wollen doch nicht wieder eine Greencardregelung, die damals sowieso voll danebenging. Wir
wollen unseren jungen Menschen, unseren jungen
Frauen und unseren jungen Männern, die intelligent und
wissensdurstig sind und arbeiten wollen, vielmehr Zukunftstechnik und hoch qualifizierte Arbeitsplätze zwischen dem Allgäu und der Ostsee und zwischen dem
Schwarzwald und der Oder bieten. Das ist unsere Aufgabe und der sollten wir uns gemeinsam verpflichtet sehen.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Ute
Berg.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Angesichts der Auseinandersetzung zwischen der CDUFraktion
({0})
und der FDP-Fraktion muss ich feststellen: Sie alle
müssten heilfroh sein, dass Sie zusammen mit uns eine
Koalition bilden.
({1})
Ludwig Stiegler hat mir eben in seiner etwas unvollständigen Ankündigung der Rednerliste den Bereich
Forschung und Technologiepolitik zugewiesen. Deshalb fange ich mit einem Zitat des Präsidenten der
Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, an, der
gesagt hat: Wir sind verdammt zur Innovation. - Im
Zuge der Haushaltsdebatte möchte ich hinzufügen: Wir
sind verdammt zur Investition in Innovation. Wir müssen investieren, damit unsere Wirtschaft noch leistungsfähiger wird, damit sie weiterhin international mithalten
kann und damit zusätzliche sichere Arbeitsplätze entstehen.
Es gibt viele Unternehmen, die andere Wege einschlagen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Die machen
zurzeit in den Medien Furore. Sie bauen Stellen ab, senken Löhne, verlängern die Arbeitszeit und glauben, dass
sie damit ökonomisch vernünftige Entscheidungen treffen, weil sie kurzfristig die Kosten senken.
({2})
- Herr Brüderle, Sie hatten so viel Zeit für Zwischenfragen. Seien Sie jetzt einfach einmal ruhig! - Das ist aber
die falsche Strategie und auch schon deshalb keine Lösung, weil man damit rein praktisch gesehen irgendwann
unweigerlich an Grenzen stößt.
Es gibt aber viele Unternehmen, die sich vorbildlich
verhalten. Diese Unternehmen investieren in Forschung,
entwickeln und fertigen Produkte, mit denen sie im weltweiten Wettbewerb nicht nur bestehen können, sondern
auch Maßstäbe setzen. Viele von ihnen sind so genannte
Hidden Champions. Ihre Namen sind überregional kaum
bekannt, dabei spielen sie ganz oben in der Liga mit. Die
Firma Paragon zum Beispiel, ein junges Unternehmen
aus Delbrück im Kreis Paderborn, gehört zu den Weltmarktführern für Luftgütesensoren. Durch kontinuierliche Investitionen in Forschung und Entwicklung und
gutes Innovationsmanagement hat sich das Unternehmen
zu einem führenden Elektronikdienstleister entwickelt
und beschäftigt mittlerweile 400 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.
({3})
Wir brauchen noch mehr Erfolgsgeschichten dieser
Art. Daher wird diese Regierung, werden wir als Parlament die Unternehmen stärken, die in die Zukunft investieren.
({4})
Ein Produkt, das heute entwickelt wird, ist sehr viel
schneller überholt als noch vor 20 oder 30 Jahren; das
kennen wir alle aus unserem Alltag. Ob Handy, Computer oder Kamera, kaum haben wir die Gebrauchsanweisung richtig durchgearbeitet, ist das Gerät schon wieder
hoffnungslos veraltet. Das heißt: Die Lebenszeit von
Produkten verkürzt sich dramatisch. Unter diesen Bedingungen, angesichts dieser beschleunigten technologischen Entwicklung, werden die Bereitschaft und die Fähigkeit zu Investitionen überlebensnotwendig - für
Unternehmen, aber auch für Volkswirtschaften.
Wodurch können wir nun innovative Unternehmen
unterstützen? Meine Vorredner haben schon einiges zu
den Rahmenbedingungen gesagt, die verbessert werden
müssen. Ich nenne als Stichworte: Bürokratieabbau, Unternehmensteuerreform und Konjunkturprogramm. Ganz
wichtig ist aber auch die Unterstützung von Forschungsaktivitäten innovativer Unternehmen vor allem am Beginn ihres Weges. Etwa 1,7 Milliarden Euro aus dem
Etat des Wirtschaftsministeriums werden im Jahr 2006
in die Steigerung der Innovationsfähigkeit unserer
Wirtschaft investiert; das ist knapp ein Drittel des gesamten Budgets. Das ist sehr gut angelegtes Geld.
({5})
Denn Investitionen in Forschung und Entwicklung entfalten Wachstumswirkung, schaffen zukunftssichere Arbeitsplätze und tragen so letztlich zu ihrer Refinanzierung bei.
Wir haben über die Jahre eine Palette von Programmen entwickelt - Herr Brüderle hat schon Teile davon
genannt -, die sehr gezielt Innovationen in der Wirtschaft fördern. Wir schlagen mit unserer Unterstützungsstrategie einen Bogen von der Forschung bzw. Erfindung
über die Entwicklung eines innovativen Produkts bis hin
zur tatsächlichen Markteinführung und zur Erschließung
des Marktes. Dabei setzen wir auch auf die so genannte
Clusterbildung. Wir fördern also Unternehmensnetzwerke von Firmen einer Branche, die ein gemeinsames
Netz von Zulieferern unterhalten, Forschungsressourcen
gemeinschaftlich nutzen und/oder eng mit Hochschulen
und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Diese
Unternehmen haben gegenüber Einzelkämpfern Wettbewerbsvorteile und daher meist auch die bessere JobUte Berg
bilanz, wie zuletzt eine Studie des DIW Köln demonstriert hat. Auch bei großen Leuchtturmprojekten wollen
wir diese Strategie verstärkt nutzen, zum Beispiel bei der
Weiterentwicklung der Brennstoffzellentechnologie und
der Entwicklung innovativer umweltfreundlicher Kraftwerke.
Innovative Unternehmen brauchen aber, unabhängig
von diesen Strategien, Kapital, insbesondere Startkapital. Im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern sind
unsere Banken nicht ausreichend bereit, in innovative
Ideen zu investieren. Deshalb finanziert die Bundesregierung Fonds, die vor allem Existenzgründern und Firmen in der Start-up-Phase mit Kapital unter die Arme
greifen. Dazu gehört der High-Tech-Gründerfonds - er
wurde mehrfach erwähnt -, den die Vorgängerregierung
im letzten Sommer gemeinsam mit der Wirtschaft ins
Leben gerufen hat. Diesen Fonds werden wir jetzt noch
weiter ausbauen.
({6})
Auf einen anderen Aspekt bei Unternehmensgründungen will ich ganz kurz eingehen: Nur gut ein Viertel
der neuen Unternehmen wird von Frauen gegründet. Das
muss sich ändern.
({7})
Die Förderung der Gründerinnenagentur durch das Wirtschaftsministerium ist ein Schritt in die richtige Richtung. Selbstverständlich müssen aber weitere Schritte
folgen.
({8})
Der Minister für Wirtschaft und Technologie hat in
der letzten Woche in Japan gesagt - und heute hier wiederholt -, die Japaner können mit ihren Ausgaben für
Wirtschaft und Entwicklung ein Vorbild für Deutschland
sein. Japan investiert nämlich bereits heute deutlich
mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung. Das 6-Milliarden-Programm
der Bundesregierung wird uns, wenn die Länder und die
Wirtschaft wie vereinbart mitziehen, in die Nähe des japanischen Vorbildes bringen. Das ist ein echter Lichtblick.
Dieses Licht darf aber im Zuge der Haushaltskonsolidierung nicht gleich wieder ausgeknipst werden. Auf
keinen Fall darf diese Summe bei den Haushaltsberatungen durch globale Minderausgaben oder Ähnliches reduziert werden. Das gilt für den Haushalt 2006, aber auch
und besonders für die Folgehaushalte der Jahre bis 2009.
Darauf müssen wir achten.
Noch ein Punkt ist mir sehr wichtig: Es liegen bereits
Hunderte von bewilligungsreifen Anträgen von Unternehmen vor. Diese Unternehmen wollen - Frau Flach
hat zu Recht darauf hingewiesen - jetzt durchstarten und
warten dringend auf Unterstützung.
({9})
Sie müssen die Chance bekommen, noch in diesem Jahr
zu investieren. Das heißt, die Mittel für Forschung und
Entwicklung müssen so schnell wie möglich freigegeben
werden, sonst fließen sie dieses Jahr nicht mehr ab. Dann
würden wir eine Bugwelle von Anträgen vor uns herschieben, die wir praktisch überhaupt nicht mehr abarbeiten könnten. Daher hat es mich gefreut, dass Herr
Rossmanith angekündigt hat, dass in der nächsten Woche an dieser Stelle angesetzt wird. Ich setze darauf, dass
das passiert.
({10})
Zum Schluss noch ein Appell an den Bundeswirtschaftsminister. Die Bundeskanzlerin hat vorgestern
Frau Schavan aufgefordert, die Wirtschaft davon zu
überzeugen, dass auch sie einen zusätzlichen Beitrag zur
Förderung von Forschung und Entwicklung leisten
muss. Ich finde, hier ist nicht nur die Forschungsministerin gefragt, auch der Wirtschaftsminister muss hierbei
eine entscheidende Rolle spielen. Dass er dies tun will,
hat er eben zugesagt. Wir werden ihn dabei ganz sicher
unterstützen.
Vielen Dank.
({11})
Ich gebe das Wort der Kollegin Flach zu einer Kurzintervention, die sich auf den Beitrag von Herrn
Rossmanith bezieht.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich glaube, es ist nach der
glänzenden Rede des hochgeschätzten Kollegen Kurt
Rossmanith erforderlich, dass wir an dieser Stelle die
Position der FDP klarstellen.
Als stellvertretende Vorsitzende der Parlamentsgruppe Luft- und Raumfahrt ist es mir ein besonderes
Vergnügen, zu sehen, dass die Luft- und Raumfahrt gut
vorankommt, lieber Herr Rossmanith. Darum ging es
mir aber auch nicht. Es ging mir vielmehr darum, dass
die Zuständigkeit für das DLR, das Deutsche Zentrum
für Luft- und Raumfahrt, in ein anderes Ministerium
übergegangen ist, und zwar auch für die Teile im DLR,
die mit Luft- und Raumfahrt überhaupt nichts zu tun haben, sondern Grundlagenforschung reinster Art sind,
({0})
sodass zwei völlig unterschiedliche Kulturen im Denken
aufeinander stoßen. Das ist, wenn sich der Kollege
Rossmanith richtig erinnert, sehr auffällig gewesen und
darum sorge ich mich.
({1})
Es geht nicht darum, schlecht von der Luft- und Raumfahrt zu sprechen, sondern darum, dass es bei dem Zusammenfügen dieser beiden Ministerien offensichtlich
Probleme gibt.
({2})
Herr Kollege Rossmanith, möchten Sie reagieren? Bitte.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Frau Kollegin Flach, wir haben dazu keine
grundsätzlich unterschiedlichen Anschauungen. Aber
Fakt ist, dass Sie das DLR natürlich nicht teilen können.
Ganz wesentliche Teile im Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt betreiben anwendungsorientierte Forschung.
({0})
Niemand will mit dieser „Umsetzung“ in den Etat des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie,
dass das DLR in seinem Forschungsdrang und seinen
Forschungsfähigkeiten eingeschränkt wird. Das Ergebnis der ESA-Ministerkonferenz - ich betone das noch
einmal - belegt genau das Gegenteil: Dank des Bundesministeriums für Wirtschaft unter Michael Glos
({1})
kann das DLR ganz wesentlich dazu beitragen, das nationale Raumfahrtprogramm zu stärken. Natürlich müssen wir auch Forschungsgelder nach Europa geben - im
Prinzip ist das ja nicht verkehrt -, aber einen Teil müssen
wir, wie das andere Nationen schon seit Jahren machen,
in die Forschung hierzulande investieren, um im Bereich
von Forschung und Technologie auch national etwas in
Europa einbringen zu können.
Ich sage Ihnen in dem Zusammenhang ein Zweites:
Natürlich bringt das Columbus-Projekt - dafür ist das
DLR verantwortlich - Freiheit der Forschung mit sich,
aber auch Anwendung der Forschung. Wir müssen dafür
Sorge tragen, dass das Columbus-Projekt in die Internationale Raumstation gelangt. Wir selber haben keine
Trägerraketen oder Shuttles. Also müssen wir entsprechende Möglichkeiten finden, damit es in die Station
kommt, damit an dieser Technologie gearbeitet werden
kann.
Ich habe mich sehr gefreut, als ich letztens eine Umfrage gelesen habe, wonach 68 Prozent - das sind über
zwei Drittel - der deutschen Bevölkerung sagt: Die
Weltraumforschung nutzt uns in toto. Das hat mich
enorm gefreut. In der Tat sprechen wir hier, wie auch der
Kollege Wend betont hat, über Zukunftstechnologien.
Umso mehr freuen wir uns, dass junge Menschen wieder
bereit sind, dieses Studium, das sicherlich nicht leicht
ist, aufzunehmen.
Wir werden einen gemeinsamen Weg finden. Das
DLR steht im Moment gut da und wird in Zukunft sicherlich so gut dastehen wie noch nie. Wenn Sie uns dabei unterstützen - ich weiß, liebe Frau Kollegin Flach,
Sie machen das -, dann sehe ich für diesen Bereich eine
sehr hoffnungsvolle Zukunft.
Zum Abschluss der Debatte gebe ich das Wort dem
Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum
Abschluss der Haushaltswoche debattieren wir heute
über den Wirtschaftsetat mit Titeln für den Tourismusbereich. In etwas mehr als zwei Monaten wird das
Reiseland Deutschland im Blickpunkt der weltweiten
Öffentlichkeit stehen. Im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft werden Millionen internationaler
Gäste unser schönes Land besuchen. Als Politiker müssen wir daher alles daran setzen, dieses große Ereignis
konstruktiv zu begleiten.
Die große Koalition und vor allem Wirtschaftsminister Michael Glos haben bereits erste Schritte in die richtige Richtung unternommen und den Tourismusbereich
deutlich aufgewertet. Zum ersten Mal in der Geschichte
der Bundesrepublik gibt es einen Beauftragten der
Bundesregierung für Tourismus.
({0})
Unser Kollege Ernst Hinsken wird im Bundeswirtschaftsministerium die Querschnittsaufgabe Tourismus
koordinieren. Dies ist dringend geboten und wurde von
den Tourismuspolitikern und der Branche lange gefordert, da der Tourismus eine Mitwirkung von fast allen
Ressorts und eine Abstimmung mit allen 16 Bundesländern verlangt.
Im aktuellen Bundeshaushalt registrieren wir erfreut
die Anhebung der tourismuspolitischen Haushaltsansätze um fast 1 Million Euro. Gerade in Zeiten immer
knapperer Kassen ist diese Entscheidung bemerkenswert
und sie weist den Weg in die richtige Richtung. Ich
hoffe, dass es uns gelingt, diesen Titel für das Jahr 2007
auf hohem Niveau beizubehalten.
So wird beispielsweise der Haushaltstitel für die
Deutsche Zentrale für Tourismus um 500 000 Euro auf
25 Millionen Euro erhöht. Verbesserungen für das Marketing, Messen und Verkaufsförderung sind längst überfällig, investieren doch unsere ausländischen Wettbewerber oft erheblich größere Summen, um ihr Land
international bekannt zu machen. Dieses Geld fließt
direkt in die Vermarktung des Tourismusstandortes
Deutschland im Ausland und stellt daher hervorragend
investierte Steuermittel dar, die ein Vielfaches an Umsätzen in der Wirtschaft und Einnahmen in den öffentlichen
Kassen bewirken. Damit wollen wir auch einen Beitrag
zur Reduzierung des ständig wachsenden Defizits der
deutschen Reiseverkehrsbilanz leisten, das im letzten
Jahr bei fast 36 Milliarden Euro lag.
Die Tourismuswirtschaft stellt sowohl im Inland als
auch weltweit eine der wenigen Wachstumsbranchen
dar, sogar langfristig. Die Politik muss diese personalKlaus Brähmig
intensive Dienstleistungsbranche nach Kräften unterstützen.
({1})
Sie bietet große Chancen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Heute arbeiten in unserem Land circa
2,8 Millionen Menschen im Tourismusgewerbe; über
100 000 Lehrstellen kommen noch hinzu. Während in
vielen Branchen über eine Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland diskutiert wird, kann dies für den Tourismussektor ausgeschlossen werden.
({2})
Die Arbeitsplätze in diesem Bereich sind an den Standort Deutschland gebunden und können nicht exportiert
werden. Wer Neuschwanstein, die Dresdner Frauenkirche, das Brandenburger Tor oder den Deutschen Bundestag besuchen möchte, findet das Original nun einmal nur
bei uns in Deutschland.
({3})
Deutschland ist Gott sei Dank nach wie vor das beliebteste Reiseziel unserer Landsleute.
({4})
In den vergangenen Wochen tagten in Wien die Tourismusminister der Europäischen Union. Auf dieser
Konferenz wurde erneut deutlich, dass der Tourismus für
Europa der Sektor mit den größten Wachstumschancen
ist. Besonders erfreulich hierbei: Es wird sogar eine steigende Tendenz prognostiziert. EU-weit sind derzeit
11,8 Prozent aller Arbeitsplätze im Tourismus angesiedelt, bis zum Jahr 2016 erwartet man einen Anstieg auf
13 Prozent. Wir müssen uns alle gemeinsam anstrengen,
um dieses enorme Wachstumspotenzial auch für unser
Land zu nutzen.
({5})
Um dieses Ziel zu erreichen, sind angesichts der tief
greifenden strukturellen Probleme des deutschen Arbeitsmarktes eine umfangreiche Flexibilisierung und
Entbürokratisierung dringend geboten. Wer die Reisebranche kennt, weiß, welche Ausstrahlungskraft der
Tourismus auf benachbarte Wirtschaftssektoren besitzt.
So profitieren zum Beispiel das Baugewerbe, das Handwerk, der Einzelhandel, aber auch Kultureinrichtungen
gleichermaßen von einem florierenden Tourismus.
Durch die notwendige Anreise und die Mobilität vor Ort
werden viele Arbeitsplätze an Flughäfen, bei Fluggesellschaften, in Bahn-, Bus- und Taxibetrieben und sogar auf
Ausflugsschiffen gesichert. Nicht umsonst ist der Frankfurter Flughafen die größte lokale Arbeitsstätte in
Deutschland.
Trotz dieses Optimismus haben uns die jüngsten Ereignisse, beispielsweise der Ausbruch der Vogelgrippe
in Deutschland, gezeigt, wie schnell gerade der Tourismussektor in Turbulenzen geraten kann. Die mediale Panikmache rund um die Vogelgrippe auf Rügen verursacht unmittelbare wirtschaftliche Folgeschäden für die
Region. Auch unsere Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel,
deren Wahlkreis Rügen tagelang im Zentrum der medialen Öffentlichkeit stand, wurde von den betroffenen Unternehmen aus erster Hand über die aufgetretenen
Schwierigkeiten informiert. Die Buchungen brachen ein
und die unmittelbaren Folgen betrafen sogar das gesamte
Reiseland Mecklenburg-Vorpommern. Ich denke, es ist
die Aufgabe der Politik, sich nicht von Panik jeglicher
Art ergreifen zu lassen.
({6})
Viele Tourismusorte an Elbe und Donau sind zurzeit
vom Frühlingshochwasser betroffen. Wir hoffen und
wünschen, dass das Wasser in geordneten Bahnen abfließt und keine materiellen Schäden anrichtet, sodass
die mittelständischen Unternehmen auch das VorOstern- und Ostergeschäft mitnehmen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland
erwartet in diesem Jahr unter dem Motto „Die Welt zu
Gast bei Freunden“ circa 5,5 Millionen Besucher aus aller Welt. Nutzen wir die einmalige Chance, die uns die
Fußballweltmeisterschaft bietet! Lassen wir uns vom
internationalen Flair und der Euphorie dieser Tage inspirieren! Unser Land ist weltoffen, tolerant und gastfreundlich. Sorgen wir für eine Atmosphäre, die zum
Wiederkommen einlädt! Auch dies stärkt den Tourismus
in unserem Land und sichert Existenzen in Deutschland.
({7})
Über die dadurch generierten zusätzlichen Steuereinnahmen wird sich sicherlich nicht nur unser Bundesfinanzminister freuen.
Danke schön.
({8})
Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan vor.
Wir kommen zur Schlussrunde. Ich erteile als Erstem dem Kollegen Bernhard Brinkmann, SPD-Fraktion,
das Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Seit Dienstag dieser Woche befassen wir
uns in diesem Hohen Hause in erster Lesung mit dem
Bundeshaushalt 2006. Dabei sind zwei Unterschiede besonders deutlich geworden: Die rechte Seite des Hauses
ruft wie immer nach weiteren Steuersenkungen
({0})
- auf das Sparen komme ich noch zu sprechen -, die
linke Seite des Hauses
({1})
fordert weitere Mehrausgaben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, eine
Erklärung, wie Steuersenkungen anlässlich der besonders schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte zu
Bernhard Brinkmann ({2})
verkraften bzw. gegenzufinanzieren sind, sind Sie uns
bis heute leider schuldig geblieben. Die Debatte darüber
ist nicht neu. Werfen wir einen Blick auf die Wirklichkeit: Wenn ich nicht ganz falsch informiert bin, dann
gibt es in keinem Bundesland einen Finanzminister, der
bereit ist, ernsthaft über weitere Steuersenkungen nachzudenken.
({3})
Das gilt auch für die Länder, in denen Sie noch in der
Verantwortung sind bzw. bis zum vergangenen Wahlsonntag waren.
Zumindest die Wählerinnen und Wähler in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sind auf diesen Steuersenkungszug nicht aufgesprungen, weil sie gemerkt haben, dass er in die falsche Richtung fährt.
({4})
Weitere Steuersenkungen sind nicht zu finanzieren und
also nicht zu vertreten. Von daher steht die große Koalition in dieser Frage ganz fest an der Seite des Finanzministers.
({5})
Auf die bereits durchgeführten Steuersenkungen
- auch daran muss man anlässlich der Debatte über den
Bundeshaushalt 2006 erinnern - komme ich an anderer
Stelle zu sprechen.
Die Linke, die neue Formation auf der ganz linken
Seite dieses Hauses, fordert - das war nicht anders zu erwarten - Mehrausgaben in Milliardenhöhe. Sie will immer mehr Geld ausgeben, hat dabei bis heute aber keinen
einzigen soliden und nachvollziehbaren Vorschlag zur
Gegenfinanzierung unterbreitet.
({6})
- Dass Sie sich aufregen, zeigt, dass Sie getroffen sind.
({7})
- Im Anschluss an meine Rede können Sie das richtig
stellen. Wenn Sie noch mehr Schulden machen oder in
bestimmten Bereichen Steuererhöhungen durchführen
wollen, dann tragen Sie das hier bitte vor. Ich bin gespannt, was dann kommt.
Seit Dienstag wird auch deutlich: Sie nehmen für sich
in Anspruch, dass Sie die Partei sind, die das soziale Gewissen in diesem Haus darstellt.
({8})
Schon gestern in der Debatte zum Einzelplan 11 ist deutlich geworden - man kann das nicht oft genug erwähnen -: Für den Bereich Arbeit und Soziales sind
134 Milliarden Euro vorgesehen; das sind 51 Prozent der
Gesamtausgaben. Meine Fraktion und die Koalition insgesamt sind sich der besonderen Verantwortung wohl
bewusst. Das sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht schlecht machen und klein reden. Unterbreiten Sie lieber konstruktive Vorschläge, die
letztendlich auch gegenfinanziert werden können.
Wir wissen alle - das gilt auch für die Kolleginnen
und Kollegen von der FDP -, dass die Lage sämtlicher
öffentlicher Haushalte ernst ist.
({9})
Sieben von 16 Bundesländern haben einen Haushalt eingebracht bzw. beschlossen, bei dem die Neuverschuldung die Regelgrenze der Investitionen überschreitet.
Diese Finanzierungsprobleme auf allen staatlichen Ebenen, also beim Bund, bei den Ländern und bei den Kommunen, können nur durch gemeinsames Handeln gelöst
werden. Notwendig ist eine nationale gemeinsame Anstrengung, um das wirtschaftliche Wachstum zu steigern und die Finanzen langfristig auf eine solide Basis
zu stellen. Auch hier hat der Finanzminister unsere uneingeschränkte Unterstützung.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu dieser Erkenntnis sind inzwischen fast alle Verantwortlichen gekommen. Ich darf an dieser Stelle einen kleinen Blick in die
Vergangenheit werfen: Das war im Verhältnis zwischen
dem Bundestag und dem Bundesrat nicht immer so. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir hier jetzt an einem gemeinsamen Strang ziehen und dass auch in der großen
Koalition in die gleiche Richtung gezogen wird.
In den Debatten seit Dienstag ist hier am Rednerpult
mehrere Male festgestellt worden, dass der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die finanzpolitische Realität sehr deutlich und ohne Wenn und Aber beschrieben hat. Ich will dem gerne hinzufügen: Das war unter
seinem Vorgänger auch nicht anders.
({11})
Bis zum Regierungswechsel hat das unser Koalitionspartner, die CDU/CSU, was den Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen betrifft, in dem einen
oder anderen Fall - ich nenne hier nur das Stichwort
Eigenheimzulage - nicht oder nicht ganz so gesehen.
({12})
Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht, dass
wir mit dem haushalts- und finanzpolitischen Dreiklang
aus Sanieren - dazu gehört auch Sparen -,
({13})
Reformieren und Investieren auf dem absolut richtigen
Kurs sind. Konkret bedeutet dies, dass wir die öffentlichen Haushalte weiter konsolidieren werden. Durch
neue Wachstumsimpulse werden wir bereits kurzfristig
die Weichen für mehr Wachstum und Beschäftigung stellen und durch Strukturreformen und Investitionen in die
Zukunft werden wir die dauerhafte Finanzierbarkeit der
staatlichen Leistungen sicherstellen.
Bernhard Brinkmann ({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten
Tagen bekannt gewordenen Daten - Geschäftsklimaindex, Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die wahrlich
nicht gut genug ist, Umsatzsteigerung im Einzelhandel
und Zunahme der Auftragseingänge im produzierenden
Gewerbe - weisen bei aller Vorsicht, die hier angebracht
ist, darauf hin, dass die Reformen der Vorgängerregierung und das, was in den ersten 100 Tagen dieser Koalition auf den Weg gebracht worden ist, die richtigen
Schritte waren und sind.
({15})
Darauf müssen wir weiter aufbauen. Wir müssen weiter
an Vertrauen gewinnen und dürfen nicht nervös werden,
wenn die Erfolge nicht sofort, sondern erst nach einer
bestimmten Vorlaufzeit eintreten. Dabei dürfen wir auch
nicht aus den Augen verlieren, dass die weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ganz eng mit der
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt verbunden ist.
Über die Frage der Arbeitsplätze ist auch in den vergangenen Tagen viel diskutiert worden. Ich will von dieser Stelle aus darauf hinweisen, dass wir den Menschen
an dieser Ecke nicht zu viel Sand in die Augen streuen
sollten:
({16})
Politik kann lediglich die Rahmenbedingungen für die
Schaffung von Arbeitsplätzen setzen.
({17})
Diese Rahmenbedingungen waren noch nie so gut wie
heute.
Schauen Sie sich die Steuersätze an. Der Eingangsteuersatz betrug 25,9 Prozent, jetzt beträgt er 15 Prozent. Der Spitzensteuersatz lag bei 53 Prozent, jetzt beträgt er 42 Prozent,
({18})
wobei es demnächst einen Zuschlag für Personen und
Unternehmen geben wird, die mehr verdienen. Wenn Sie
sich anschauen, was sich im Bereich der Gewerbesteuer
getan hat, dann sehen Sie, dass es im Jahre 2005 eine
Rekordeinnahme in Höhe von 32,1 Milliarden Euro gab.
Noch nie waren die Gewerbesteuereinnahmen in
Deutschland so hoch. Das zeigt, dass die von der Vorgängerregierung auch in diesem Bereich in Gang gesetzten Reformen richtig waren. Die Unternehmen müssen
ja letztendlich verdient haben; denn ansonsten wären die
Gewerbesteuereinnahmen nicht so hoch gewesen.
({19})
Herr Kollege, die Kollegin Anja Hajduk würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich sage an dieser Stelle: Wir wollen diese Einnahmequelle für die Städte und Gemeinden beibehalten; denn
sämtliche bisher vorgelegten Alternativen zu diesem
Herzstück des Gemeindesteuersystems sind meines Erachtens nicht verlässlich und nachhaltig. Wenn es im
Rahmen der Unternehmensteuerreform - diese haben
wir uns ja auch vorgenommen - zu verlässlichen Berechnungen kommen sollte, dann können wir gerne noch
einmal darüber nachdenken.
Herr Kollege Brinkmann, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk zulassen?
Nein, meine Redezeit ist zu Ende. Ich komme zum
Schluss, Frau Präsidentin.
({0})
Der Bundeshaushalt 2006 geht ab der kommenden
Woche in die Ausschussberatungen. Ich bitte Sie alle
- das gilt auch für Sie, Kollege Beck -: Stellen Sie sich
der Verantwortung für eine solide Finanzpolitik.
({1})
Zum Schluss bedanke ich mich noch einmal beim
Bundesfinanzminister für die Vorlage dieses Haushaltes
und für die Offenlegung der Zahlen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Das gilt eingeschränkt auch für die Kolleginnen und Kollegen von der
FDP.
Vielen Dank.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Anja Hajduk.
Sehr geehrter Herr Kollege Brinkmann, Sie haben am
Ende Ihrer Rede in der heutigen Schlussrunde der Haushaltsberatungen deutlich gemacht, dass die Politik nur in
der Lage sei, Rahmenbedingungen zu setzen. Sie haben
aber auch klar gemacht, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen günstig seien. Sie haben sehr viele
Worte darauf verwendet, zu betonen, wie positiv die aktuelle Konjunkturentwicklung, die Situation der Wirtschaft insgesamt und die Steuereinnahmeseite seien.
Ich frage Sie: Wie passt das mit der aktuell von Ihnen
angenommenen Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts zusammen,
({0})
die eine Rechtfertigung dafür ist - Stichwort Art. 115
des Grundgesetzes -, dass die Kreditaufnahme die Investitionsausgaben in einem Ausmaß von mehr als
15 Milliarden Euro überschreitet?
({1})
Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen, ich schätze Sie gerade bei den Beratungen im Haushaltsausschuss sehr.
({0})
- Außerordentlich, keine Frage. - Aber wir sollten aufhören, schon am 31. März dieses Jahres so zu tun, als
würden die Steuerquellen bis zum 31. Dezember 2006 so
weitersprudeln, wie sich das Gott sei Dank jetzt darstellt.
Wenn das der Fall sein sollte, dann gibt es neue Stellschrauben.
({1})
Ich sage hier aber auch ganz deutlich: Es geht dann
nicht darum, neue Wünsche anzumelden oder zu erfüllen, sondern wir sollten die Schulden tilgen, damit die
Ausgaben für die Zinszahlungen geringer werden und
wir in Zukunft weitere Spielräume haben. Sie sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.
({2})
Ich gebe das Wort der Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bundesfinanzminister hat uns in dieser ersten Haushaltsberatung sein neues finanzpolitisches Dogma verkündet.
Erstens. Auf der Ausgabenseite gebe es kein Niveauproblem, sondern ein Strukturproblem, weil der Anteil
der Sozialausgaben seit Beginn der 90-er Jahre von einem Drittel auf die Hälfte gestiegen sei. Zweitens. Strukturreformen seien nötig, aber sie könnten nicht abrupt
erfolgen, weil dies soziale Verwerfungen und Kaufkrafteinschränkungen zur Folge hätte. Drittens. Seine Politik
- der Finanzminister nennt das die Finanzpolitik des
doppelten Tons - sei auf Konsolidierung ebenso wie auf
Wachstum ausgerichtet, weil beides Hand in Hand gehen
müsse.
Liebe Kollegen, diejenigen, die Hans Eichel in seiner
Anfangszeit erlebt haben, müssen ein gewisses Déjà-vuErlebnis gehabt haben; denn auch damals hatten wir einen äußerst prinzipienfesten Finanzminister, der sich
auch so präsentierte, nachdem er von Herrn Lafontaine
den Scherbenhaufen übernommen hatte. Einem so prinzipienfesten Minister sollte man auch mit Prinzipien antworten.
Zur ersten These. Die Ausgabenseite des Haushaltes
weist sowohl ein Niveauproblem - wir geben nämlich
entschieden zu viel aus - als auch ein Strukturproblem der Anteil der Sozialausgaben am Gesamtetat ist eindeutig zu hoch - auf. Deswegen wird alles Sparen nichts
nützen - darin bin ich mit dem Finanzminister völlig
einig -, wenn wir nicht alle gemeinsam an die großen
Blöcke dieses Haushalts herangehen:
({0})
den Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen und die Renten. Nur dann können wir Erfolg haben.
Der Präsident der Bundesbank hat uns im Januar vollkommen zu Recht ins Stammbuch geschrieben: Erstens
sollten die staatlichen Ausgaben und steuerlichen Ausnahmetatbestände ohne Tabus umfassend geprüft werden. Zweitens gelte es, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und günstigere Wachstumsbedingungen zu schaffen. Ohne Tabus, Herr Steinbrück! Genau das aber sehen wir
bei Ihnen nicht.
Bei den Sozialausgaben sind Sie bereits nach wenigen
Tagen vor Franz Müntefering eingeknickt. So ist seit Tagen in der Fachpresse zu lesen, dass zu den schon bisher
zu hoch angesetzten 24 Milliarden Euro für das ALG II
noch 4 bis 5 Milliarden Euro hinzukommen werden.
Beim Thema Gesundheitsreform wird sich das Jahr 2006
vor allen Dingen in Gesprächsrunden erschöpfen. Dabei
interessiert mich schon, ob sich Herr Lauterbach oder all
die anderen durchsetzen, die meinen, sie könnten eine
ordentliche Gesundheitspolitik auf den Weg bringen.
Im Bereich der Subventionen haben Sie, Herr
Steinbrück - das haben wir gerade ausführlich diskutiert -, es an keiner Stelle geschafft, Herrn Glos auch nur
ein kleines Stoppschildchen vor die Tür zu setzen.
({1})
Kurzum: Die Bundesregierung geht die Bigpoints
nicht an. Ich lese Ihnen jetzt vor, Herr Steinbrück, was
Sie selbst im Vorwort des Koch/Steinbrück-Papiers geschrieben haben:
Ein umfassender und konsequenter Abbau von Subventionen ist notwendig, um das gesamtstaatliche
Defizit zu verringern und so einen wichtigen
Beitrag dafür zu leisten, wieder einen Pfad finanzwirtschaftlicher Stabilität zu erreichen. Ist dies gewährleistet, könnte und sollte der gewonnene
Handlungsspielraum für eine zusätzliche Senkung
der Steuern genutzt werden.
Insofern ist doch davon auszugehen, Herr Steinbrück,
dass die Subventionen 2006 abgebaut werden und 2007
eine umfassende Steuerreform erfolgt.
({2})
Nichts anderes erzählt Ihnen die FDP seit Tagen. Wir
werden offensichtlich auch von der Fachwelt unterstützt.
Wenn das jetzt unterbleibt, dann kann man im nächsten
Jahr nur noch mit einem höchst dramatischen Spardruck
etwas erreichen. Ich sage an dieser Stelle für die FDP
ganz deutlich: Wir werden sparen.
Im Jahr 2005 betrug das Bruttoinlandsprodukt
2,2 Billionen Euro. Wir wollen das 3-Prozent-Kriterium
von Maastricht noch in diesem Jahr erreichen. Das heißt,
dass die FDP-Fraktion Ihnen in diesen Tagen ein Sparpaket mit einem Volumen von 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro vorlegen wird. Denn das ist erforderlich.
({3})
Wir sehen uns darin mit dem Sachverständigenrat einig, der ganz nebenbei nonchalant festgestellt hat, dass
eine solche Einsparung doch möglich sein müsste. Es ist
machbar, Herr Steinbrück. Wir werden es Ihnen zeigen.
Das Haushaltsjahr 2006 ist kein Sabbatjahr, zu dem Sie
es offensichtlich gemacht haben; wir müssen vielmehr in
diesem Jahr mit den notwendigen Konsolidierungen anfangen. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass wir gemeinsam dieses Land wieder auf eine gute Spur setzen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In dieser Schlussrunde ist es üblich, ein bisschen
über den engen Ressortbereich hinauszublicken. Deswegen danke ich meinem Fraktionsvorsitzenden, dass er
mich ausdrücklich gebeten hat, zu einigen übergreifenden Fragen Stellung zu nehmen.
Ich will mit dem Hinweis beginnen, dass wir uns vielleicht auch vergegenwärtigen müssen, wie unsere wirtschaftliche und finanzpolitische Entwicklung global zu
bewerten ist. Das weltwirtschaftliche Umfeld ist seit einigen Jahren außerordentlich positiv. Auch die ersten
Quartalshinweise für das Wachstum des Weltbruttoinlandsprodukts sind positiv. Dies gilt sowohl für die gewohnt wachstumsstarken Schwellenländer als auch für
die Industrieländer.
Wachstumsmotor der Industrieländer - das ist in diesen Tagen noch einmal deutlich geworden - sind die
Vereinigten Staaten von Amerika. Aber auch in den
Schwellenländern - insbesondere in China und Indien liegen die Wachstumsraten schon auf einem langfristig
robusten Niveau. Dies macht deutlich, dass wir in den
nächsten Jahren unsere Position gegenüber den Schwellenländern fortentwickeln und den strategischen wirtschaftspolitischen Dialog insbesondere mit dem asiatisch-pazifischen Raum auf solide Grundlagen stellen
müssen.
({0})
Ein Blick in die Wirtschaftspresse zeigt, dass es den
Schwellenländern nicht an Zuwendungen und Auslandskapital mangelt. Im Gegenteil: Die hohen Wachstumsraten geben eher Anlass zu Befürchtungen einer
Überhitzung.
({1})
Eine genaue Analyse der Situation von Schwellenländern ist in diesem Jahr beispielsweise auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erfolgt. Es war interessant
festzustellen, dass anstelle von China Indien in den Vordergrund des Dialogs gerückt ist. Für die weltgrößte Exportwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland sind das
die zukünftigen Märkte, die wir wirtschafts- und außenpolitisch fest im Fokus haben müssen.
({2})
Weil in diesem Zusammenhang die Stabilität der internationalen Finanzmärkte auch und gerade für die
Volkswirtschaft der Bundesrepublik und ihre Einbindung in die Finanzmärkte außerordentlich wichtig ist,
begrüße ich es, dass Sie, Herr Bundesfinanzminister,
sich aktiv an der Reform des Internationalen Währungsfonds beteiligen. Denn die Rolle des Internationalen Währungsfonds hat sich in den vergangenen Jahren
fortentwickelt. Es ist erfreulich, dass die Bundesrepublik
Deutschland einen entscheidenden Beitrag zur Funktionsfähigkeit der internationalen Finanzmärkte durch
die Reform des IWF leisten will.
({3})
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Entwicklung der Inflation und der Zinsen machen.
({4})
Die Inflationserwartungen scheinen mir im Augenblick ausgesprochen stabil zu sein.
({5})
Trotzdem machen ein starkes Wirtschaftswachstum,
weltweit außerordentlich hohe Rohstoffpreise und ein
hohes Maß an freiem Kapital - von manchen als überschießende Liquidität bewertet - eine genaue Beobachtung der Inflationserwartungen und der Inflationsraten
notwendig.
({6})
Fakt ist allerdings - das drücken auch die Inflationseinschätzungen aus -, dass der gegenwärtige Preis- und
Lohndruck als Inflationstreiber aufgrund des intensiven
globalen Wettbewerbs außerordentlich gering ist. Deswegen ist es wichtig, dass die Zentralbankpolitiken als
globaler Stabilitätsanker glaubwürdig bleiben. Vor diesem Hintergrund begrüßen die Koalition und die Bundesregierung außerordentlich, dass der Wechsel an der
Spitze der amerikanischen Zentralbank zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems beigetragen hat
und dass die Politik der Europäischen Zentralbank stabilisierend einwirkt. Das sind wichtige Stabilitätsanker
insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsplätze in
Deutschland.
({7})
Die Finanz- und Haushaltspolitik stellt sich den Herausforderungen. Wir geben erstmals inflationsindizierte Anleihen oder Fremdwährungsanleihen aus und
drücken so aus, dass wir zum einen eine konservative Inflationserwartung haben und zum anderen einen Beitrag
dazu leisten wollen, dass das internationale Währungssystem weiterhin stabil und von geringen Ausschlägen
geprägt ist. Die große Koalition will auch durch solche
Instrumente ihren Beitrag zu Stabilität und zur Bekämpfung der Inflation leisten.
({8})
Zur Zinsentwicklung - der Kollege Fricke wird bei
diesem Thema richtig unruhig -:
({9})
Wir erwarten, dass die Zinsrunde in den Vereinigten
Staaten nahezu abgeschlossen ist und dass auch von der
EZB keine großen Schocks zu erwarten sind. Herr
Fricke, im Übrigen sind die Signale der Märkte so zu
verstehen, dass mögliche Zinserhöhungen bereits in den
Renditeerwartungen eingepreist sind. Trotz des historisch niedrigen Zinsniveaus bleibt die Aufgabe, durch
die konsequente Modernisierung unseres Schuldenmanagements und unseres Staatstitelmanagements für
zukünftige Entwicklungen gut gewappnet zu sein. Vor
diesem Hintergrund waren die Ausgliederung des Schuldenmanagements aus dem Bundesfinanzministerium in
die privatwirtschaftlich strukturierte Finanzagentur und
die Hinzuziehung von Finanzmarktexperten ein Beitrag
zur Senkung der Kosten des Schuldenmanagements in
der Bundesrepublik Deutschland. Das ist richtungsweisend. Das sollten wir weiterhin unterstützen.
({10})
Lassen Sie mich etwas zum notwendigen wirtschaftlichen Wachstum als Flankierung unseres Konsolidierungskurses sagen. Von Hans Weingartner ist vor rund
einem Jahr der Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ in die
Kinos gekommen. Diesen Titel kann man auch auf die
Wachstumssituation in der Bundesrepublik Deutschland
übertragen. In den letzten Jahren gab es ein außerordentlich schwaches Wachstum, von einigen positiven Ausnahmen abgesehen. In dieser Phase des schwachen wirtschaftlichen Wachstums sind aber die Ansprüche an den
Staat und die sozialen Sicherungssysteme gestiegen. Die
Staatsquote hat mit 48 Prozent ihren Höchststand und
damit ein Ausmaß erreicht, das insbesondere uns Christdemokraten und Christsozialen nicht zufrieden stellen
kann.
({11})
Die fetten Jahre, das waren die 60er-Jahre und teilweise die 70er-Jahre. Damals haben uns ein hohes
Wachstum und eine niedrige Arbeitslosigkeit politisch
flankiert. Solide Staatsfinanzen und ausgeglichene Haushalte wurden jedoch im Laufe der Zeit zugunsten des immer weiteren Ansteigens der Sozialausgaben geopfert.
Die Tarifvertragsparteien haben diesen Prozess begleitet,
indem sie die Arbeitszeit auf 35 Stunden abgesenkt haben. Einen ersten Versuch, diese Entwicklung umzukehren, haben wir in den 80er-Jahren erlebt, als die
Regierung Kohl/Stoltenberg durch eine konsequente
symmetrische Finanzpolitik der Ausgaben- und Abgabensenkung wieder wirtschaftliches Wachstum generiert hat und damit die Staatsquote bis zur Wiedervereinigung auf ein respektables Niveau von 44 Prozent
absenken konnte.
({12})
Die deutsche Einheit - die von der Union als Geschenk empfunden wird - hat uns aber vor enorme finanzielle Herausforderungen sowohl bei den sozialen Sicherungssystemen als auch beim Bundeshaushalt gestellt.
Nur, eins muss uns allen in diesen Tagen klar sein:
Schuldenpolitik und übermäßige Defizitfinanzierung
sind kein Ausweg, sondern oftmals - das zeigen internationale Vergleiche - Ursache der Wachstumsschwäche.
Deswegen ist der konsequente Konsolidierungskurs der
großen Koalition
({13})
mit der Zielmaßgabe eines ausgeglichenen Haushalts
richtig für Wachstum und Beschäftigung in der Bundesrepublik.
({14})
Unser Ziel für diese Legislaturperiode ist klar: die
Absenkung der Staatsquote auf ein Niveau, wie wir es
vor der deutschen Einheit, zur Zeit von Finanzminister
Gerhard Stoltenberg hatten. Das Absinken der Staatsquote wird ein Indikator dafür sein, dass wir mit dem
Bürokratieabbau vorankommen und die Effektivität
staatlichen Handelns steigern. Denn weniger Staat bedeutet weniger Bürokratie bedeutet mehr Freiheit für die
Bürger; das ist unser Anliegen.
({15})
Die FDP kritisiert, wir bekämen immer mehr Staat
und der Bürger würde immer mehr abkassiert. Wenn
diese Behauptung stimmen würde, wie werden Sie es
dann erklären, wenn die Staatsquote am Ende der Legislaturperiode auf ein historisch niedriges Niveau sinkt?
„Weniger Staat, mehr Freiheit“, dieses Konzept wird von
der großen Koalition gemeinsam getragen. Die Kritik,
insbesondere der FDP, greift in diesem Zusammenhang
ins Leere.
({16})
Ich finde es ein Stück weit unanständig, wenn die
Kollegin Flach wie gerade eben einen tabulosen Umgang mit den sozialen Sicherungssystemen vorschlägt.
Frau Kollegin Flach, wenn Sie über das hinausgehen
wollen, was die große Koalition jetzt vereinbart bzw.
was wir in diesem Jahr beschließen werden, dann müsSteffen Kampeter
sen Sie den Bürgerinnen und Bürgern sagen, was Sie an
den sozialen Sicherungssystemen zusätzlich verändern
wollen.
({17})
- Herr Kollege Fricke, Sie reden selber noch; dann können Sie gerne alles richtig stellen.
({18})
Wollen Sie die Renten in Deutschland kürzen? Wollen
Sie die Familienleistungen absenken? Das sind doch im
Kern die Bereiche, bei denen Sie ansetzen müssten.
Das Konzept der großen Koalition hat eine horizontale und eine vertikale Dimension. Horizontal geht es darum, dass wir Haushalts- und Finanzpolitiker gemeinsam mit den Fachpolitikern an der Konsolidierung
arbeiten. Gemeinsam mit der Kanzlerin und dem Vizekanzler und allen Mitgliedern des Kabinetts wollen wir
die ehrgeizigen Stabilitätsziele - eine Halbierung des
strukturellen Defizits innerhalb dieser Legislaturperiode - erreichen. Bei der vertikalen Konsolidierung geben
wir insbesondere durch die Mehrwertsteueranpassung
den Ländern die Möglichkeit, ihren Beitrag zu verfassungsgemäßen Haushalten zu leisten. Wir sparen nicht,
wie es das früher schon einmal gegeben hat, zulasten der
Länder, sondern die Länder bekommen die Möglichkeit,
ihre Haushalte zu konsolidieren.
({19})
Lassen Sie mich einige Worte zur Anreizorientierung unserer Politik sagen. Horst Siebert, der langjährige Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, hat eines
seiner wirtschaftspolitischen Bücher einer klassischen
Legende über die Anreizwirkungen in der Ökonomie gewidmet, nämlich der Kobra. Zu Zeiten der englischen
Kolonialverwaltung soll es in Indien einmal zu viele
Kobras gegeben haben.
({20})
Um der Plage Herr zu werden, setzte der Regionalgouverneur eine Prämie pro abgelieferten Kobrakopf aus;
die Inder sollten die Kobras einfangen. Nun sind Inder
entgegen landläufiger Auffassung ökonomisch denkende
Menschen. Wie reagierten sie auf das Prämienangebot?
Sie züchteten Kobras, um die entsprechenden Prämien
zu kassieren. Die Kobraprämie führte zu einer Inflation
der Belastung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Phänomen, dass das Gegenteil von gut eben „gut gemeint“
ist, haben wir gelegentlich auch in der aktuellen Politik
zu verspüren. Ich glaube, in vielen Politikbereichen müssen wir sehr sorgfältig darauf achten, ob wir das Kobratheorem hinreichend berücksichtigt haben.
({21})
Wir werden in diesem Haus im Laufe dieses Jahres
auch noch über das SGB-II-Optimierungsgesetz sprechen. Dabei würde es in erster Linie um die Anreizkorrektur im Zusammenhang mit Hartz IV gehen; denn
wenn richtig ist, was der Vizekanzler gestern berichtet
hat, nämlich dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften
von Monat zu Monat steigt und sich damit das Mengengerüst, also die Gruppe derjenigen, die anspruchsberechtigt sind, weit von dem, was wir in der Vergangenheit in
dem alten Sicherungssystem hatten, fortentwickelt hat -,
({22})
dann scheint mir das ein Indiz dafür zu sein, dass wir das
Kobratheorem bei Hartz IV noch nicht hinreichend berücksichtigt haben.
({23})
Ich will ganz klar sagen: Die Menschen verhalten sich
dabei ökonomisch rational. Es ist vielmehr der Staat,
also wir, der mit seinen gut gemeinten gesetzlichen Regelungen möglicherweise Scheunentore geöffnet hat und
die Menschen damit eher anlockt. Dies kann nicht in unserem Sinne und nicht im Sinne der Eigenverantwortung
sein. Deswegen freue ich mich, dass der Bundesarbeitsminister angekündigt hat, hier zu gesetzlichen Veränderungen zu kommen.
({24})
Ein weiteres wichtiges Anreizsystem einer anreizgebundenen Politik der großen Koalition ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wir haben erkannt bzw.
sind der Auffassung, dass es in diesem Zusammenhang
wichtig ist, dass wir die richtigen Anreize zur Schuldenvermeidung nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere auch gegenüber den Beitrittsländern deutlich
machen. In diesem Zusammenhang ist unser finanzpolitisches Credo zu mehr Stabilität und zu konsequenter
Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht
nur die Einhaltung eines Versprechens gegenüber den
Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland - denn als wir
die D-Mark durch den Euro ersetzt haben, haben wir gesagt: Die Stabilität dieser Währung garantiert der Stabilitäts- und Wachstumspakt -, sondern es ist auch ein Anreiz für die Beitrittsländer, sich für eine stabile Währung
und damit gegen Inflation und Schuldenpolitik auszusprechen. Wir sollten auch deswegen mit einer anreizgerechten Politik den Stabilitäts- und Wachstumspakt als
große Koalition, aber auch insgesamt hier im Haus wieder stärker beachten, als wir das in den vergangenen Tagen und Monaten gemacht haben.
({25})
Der Bundesfinanzminister, der heute überraschenderweise am Schluss der Debatte redet,
({26})
hat die antike Philosophie zum Maßstab seines Gangs
zur Wirklichkeit in der Haushalts- und Finanzpolitik
gemacht. Auch ich will mit einem Philosophen schließen, nämlich Cicero. Cicero hat gesagt:
Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert, die Arroganz der Behörden muss gemäßigt und kontrolliert
werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht
Bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen
zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben.
Nun gebe ich zu, dass Cicero nicht das Programm der
großen Koalition ist. Aber ich glaube, am Ende dieser
Legislaturperiode muss ein bisschen mehr Cicero auch
in Deutschland herrschen.
Danke schön, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({27})
Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
Linksfraktion.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich habe in meiner Rede am Dienstag von der „Lüge des Jahres“ gesprochen. Diese Lüge
stammt von der Bundesregierung und lautet: Es gibt
nichts mehr zu verteilen. Die Haushaltsdebatte in dieser
Woche hat gezeigt, dass die Mehrheit des Parlaments
dieser Lüge folgen will. Wir finden das mehr als bedauerlich und sozial und ökonomisch falsch.
({0})
Wir reden hier über 262 Milliarden Euro, die der
Bund 2006 ausgeben will. Wie kann die Bundesregierung dann behaupten, dass es nichts mehr zu verteilen
gibt? Natürlich werden diese 262 Milliarden Euro verteilt. Das Problem ist doch nur, wie sie verteilt werden.
Die Linke sagt: Die Verteilung ist sozial ungerecht und
unsozial.
({1})
An dieser Einschätzung hat sich im Laufe der Woche
nichts geändert. Wir sind mit dieser Auffassung zwar
hier im Bundestag in der Minderheit; doch außerhalb des
Bundestages gibt es immer mehr Menschen, die diese
Lüge nicht mehr hinnehmen und mehr Verteilungsgerechtigkeit fordern.
({2})
Nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände verschärft die
Arbeitsmarktreform der Bundesregierung die Armut
in Deutschland. So hat sich die Zahl der unter 15-Jährigen, die auf Sozialhilfeniveau leben, im vergangenen
Jahr von 1 Million auf 1,5 Millionen erhöht. Es gibt also
500 000 Jugendliche mehr, die auf Sozialhilfeniveau leben. Mit Ihrer Arbeitsmarktreform kann doch etwas
nicht stimmen, wenn sie Armut statt Arbeitsplätze erzeugt und gleichzeitig die Kosten für diese Reform explodieren.
({3})
Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage von
Carsten Schneider zulassen wollen?
Nein, gestatte ich nicht.
Herr Müntefering, der Vizekanzler, hat jetzt ein
Hartz-IV-Optimierungsgesetz angekündigt. Er ist also
der Auffassung - Herr Kampeter hat das in seiner Rede
gerade unterstrichen -, dass die Arbeitslosen in diesem
Land immer noch zu viel Geld bekommen. Für uns als
Linke sind die Hartz-Gesetze Armutsgesetze. Es geht
der Bundesregierung also eigentlich um ein Armutsoptimierungsgesetz.
({0})
Wir wollen nicht die Armut optimieren; wir wollen die
Armut beseitigen.
({1})
Wäre es nicht an der Zeit, dass die Kanzlerin nach
dem Energiegipfel einen Armutsgipfel einberuft, mit
dem Ziel, in einem der reichsten Länder der Welt die Armut in den nächsten fünf Jahren zu beseitigen? Unsere
Unterstützung hätten Sie dabei, Frau Merkel.
({2})
Herr Steinbrück, Sie haben in Ihrer Rede von einer Finanzpolitik der doppelten Tonlage gesprochen. Was ist
eigentlich eine doppelte Tonlage? Dieses Bild ist total
schief. Sie fordern mehrere Hunderttausend Euro für einen eigenen Imageberater des Parlaments. Ich persönlich
halte das für total überflüssig. Doch wenn die Mehrheit
des Bundestages dafür ist, dieses Geld zur Verfügung zu
stellen, dann empfehle ich Ihnen einen Musiker, der Ihnen das mit der doppelten Tonlage einmal erklärt und Ihnen Nachhilfeunterricht in Musik gibt.
({3})
Herr Steinbrück forderte in seiner Rede außerdem,
dass die Politik die Menschen aufklärt und nicht verunsichert. Die Menschen werden doch nicht durch die Opposition verunsichert, sie werden nicht durch die Politik arbeitslos oder in Armut gestürzt, sondern durch Ihre
falsche Politik.
Sie behaupten, dass die schwache Binnennachfrage
etwas mit dem mangelnden Vertrauen der Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland zu tun habe. Auch diese Aussage ist falsch. Wenn es so wäre, dann würden die Menschen auswandern. Das tun sie aber nicht. Sie gehen
stattdessen nicht wählen. Sie misstrauen also nicht dem
Land, sondern der Politik der großen Koalition.
({4})
Die Finanzpolitik der doppelten Tonlage, die Sie uns
am Dienstag darlegen wollten, bedeutet doch, einfach
gesagt: Geld sparen und Geld ausgeben. Das ist ein WiDr. Gesine Lötzsch
derspruch in sich bzw. ein Nullsummenspiel, wie unser
Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine Ihnen in der
Diskussion bereits zu erklären versucht hat.
({5})
Doch Sie wollen etwas anderes, auch wenn Sie es
nicht öffentlich sagen. Sie wollen bei den Arbeitslosen
sparen, Stichwort „Armutsoptimierungsgesetz“, und Sie
wollen mit einer Unternehmensteuerreform den Kapitalgesellschaften das Geld in den Rachen werfen. Das ist
Umverteilung von unten nach oben und das werden
wir immer wieder anprangern.
({6})
Sie, Herr Steinbrück, haben in Ihrer Rede wirklich
Ihre fehlende Flexibilität unter Beweis gestellt, indem
Sie sagten - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:
Ich weiß, dass es genügend Gründe gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gibt. Sie wird trotzdem
kommen, unabhängig davon, wie sich die Konjunktur entwickelt; ...
Und uns wollen Sie mangelnde Elastizität im Denken
vorwerfen? Das ist in Anbetracht Ihrer Starrköpfigkeit,
Herr Steinbrück, wirklich lächerlich.
({7})
Mehrwertsteuererhöhungen sind immer unsozial;
denn sie treffen immer Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Rentner, Menschen also, die sich dagegen nicht
schützen können.
Sie, meine Damen und Herren behaupten - das geht
fast durch alle Fraktionen -, dass die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse vor dem
Hintergrund geänderter Berufsbiografien erodieren.
Auch diese Aussage ist falsch. Es gibt keine steife Brise,
die zur Erosion von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen führt. Nein, die alte Bundesregierung hat mit den Hartz-Gesetzen den Unternehmen
das Tranchiermesser zur Zerlegung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in Minijobs in die Hand
gegeben. Aus einem vollwertigen Arbeitsplatz wurden
vier Minijobs gemacht. Sie haben die Einnahmebasis der
Kranken- und Rentenkassen systematisch zerstört und
wundern sich jetzt darüber, dass Sie aus dem Bundeshaushalt 78 Milliarden Euro dazuzahlen müssen. Ein
Drittel des Bundeshaushalts geht also in die Rentenkassen.
Sie, Kollege Schneider, haben sich vorhin an dieser
Stelle mit Zwischenrufen hervortun wollen. Ihre Zwischenfrage ist, glaube ich, damit beantwortet: Die Einnahmebasis der Kranken- und Rentenversicherung
wurde von Ihnen systematisch zerstört, indem Sie die sozialversicherungspflichtigen Jobs in diesem Land durch
Minijobs und Ähnliches zerstört haben.
({8})
So wie die Regierung Kohl durch Reformverweigerung die Haushaltslage verschlechtert hat, so haben
CDU/CSU, SPD und Grüne durch falsche Reformen den
Bundeshaushalt bis zur Handlungsunfähigkeit destabilisiert.
Zu Frau Merkels Rede habe ich einen Psychologen
befragt, der mich in meiner Annahme bestätigte: Die
Rede sollte eine unterschwellige Botschaft haben, nämlich: Habt keine Angst; die Reformen werden nicht wehtun;
({9})
wir, die große Koalition, machen eine Politik der kleinen
Schritte. - Dabei hat sie die Abgeordneten der Grünen,
Frau Künast, immer wieder wie kleine Kinder beschwichtigen müssen, denen man gerade das Spielzeug
weggenommen hat. Das hatte schon etwas von Hypnose
und das hat in Ihrer Fraktion auch gewirkt.
Ich möchte daran erinnern, dass Altkanzler Schröder
seine Agenda 2010 mit der Politik der ruhigen Hand eingeleitet hat. Die Bundeskanzlerin kündigt jetzt eine Politik der kleinen Schritte an. Das klingt so harmlos, ist
aber eine Operation am offenen Herzen des Sozialstaats.
Keiner dieser selbst ernannten Chirurgen hat wirklich einen vernünftigen Plan. Sie fangen einfach einmal an, zu
operieren. Damit sich der deutsche Patient auf den OPTisch legt, werden Schauermärchen verbreitet.
Das erste Schauermärchen handelt von den explodierenden Gesundheitskosten. Sicherlich sind die absoluten Gesundheitsausgaben gestiegen, und zwar besonders
für die Patienten, weniger für die Unternehmen und erst
recht nicht für die Pharmaindustrie, aber der Anteil dieser Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt stieg seit 1980
nur von 5,7 Prozent auf 6,4 Prozent, also um 0,7 Prozentpunkte.
Das Problem ist also, wie ich bereits sagte, die Einnahmeseite. Die gesetzlichen Krankenkassen verlieren
durch die Zerschlagung sozialversicherungspflichtiger
Arbeitsplätze Einnahmen.
Es ist auch ein Irrwitz, dass ein Topmanager mit
einem Gehalt von 750 000 Euro im Jahr oder mehr nur
250 Euro im Monat in die private Krankenkasse zahlt
und seine Sekretärin mit einem Monatsgehalt von
3 000 Euro 420 Euro in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen muss.
({10})
Das zweite Schauermärchen heißt Demografiefalle.
Der Statistikprofessor Bosbach bezeichnet die Vorhersagen der Bundesregierung für die nächsten 50 Jahre als
Kaffeesatzleserei. Selbst die besten Statistiker sind nämlich nicht in der Lage, solche Prognosen zu machen. Es
geht bei der Finanzierung der Renten nicht um die
absolute Zahl der Rentner, sondern immer um die Produktivität der arbeitenden Menschen.
Selbst bei einer geringen Steigerung der Beschäftigten-Produktivität um 1,2 Prozent pro Jahr kann
jeder in 50 Jahren 80 Prozent mehr produzieren.
Damit könnten wir alle volkswirtschaftlich betrachtet auch in einer alternden Gesellschaft leben wie
Gott in Frankreich.
So ein Zitat des ehemaligen Mitarbeiters des Statistischen Bundesamts, Professor Bosbach.
({11})
Noch eine Anmerkung, und zwar zur Rede von Herrn
Ramsauer. Herr Ramsauer hat es leichter als ich. Als guter Katholik muss er die Politik der Frau Bundeskanzlerin nicht begreifen; er muss nur daran glauben.
({12})
Aber eine Sache sollten Sie schon begreifen, Herr
Ramsauer. Sie haben erklärt, 5 Prozent der Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen müssten knapp
43 Prozent des Einkommensteueraufkommens schultern; das sei ein Beweis dafür, dass unser Steuersystem
sozial gerecht sei.
Aber das ist ein Irrglauben, kann ich Ihnen versichern.
Sie sollten einmal die Statistik der OECD zur Hand nehmen und nachschauen, wie der Anteil der Vermögensbesteuerung an der Gesamtbesteuerung in unserem Land
im Vergleich zu anderen Ländern aussieht.
({13})
In den USA zum Beispiel macht die Vermögensbesteuerung 12,1 Prozent der Gesamtbesteuerung aus, in Großbritannien 11,8 Prozent, in Deutschland nur 2,4 Prozent.
Das beweist doch: Wenn man schon die Statistik heranzieht, sollte man nicht nur eine Zahlenreihe nehmen. Das
kann zu falschen Schlüssen führen und davor möchte ich
Sie gerne bewahren.
({14})
Meine Damen und Herren, abschließend will ich noch
einmal die Schwerpunkte unserer Fraktion in dieser
Haushaltsberatung nennen:
Erstens. Wir wollen die Mittel für das Zukunftsinvestitionsprogramm verdoppeln. Wir wollen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das diesen Namen durch eine
Konzentration der Mittel auf Bildung und die Schaffung
von Arbeitsplätzen wirklich verdient.
Zweitens. Wir wollen Hartz IV überwinden. Wir wollen kein Armutsoptimierungsgesetz, sondern wir wollen
als ersten kleinen Schritt die Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 420 Euro im Monat. Das wäre ein kleiner
und längst überfälliger Schritt zu einem Leben in Würde
für die Arbeitslosen in diesem Land.
({15})
Drittens wollen wir eine Absenkung des Rüstungshaushaltes und ein Ende der Bundeswehreinsätze im
Ausland.
({16})
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie,
eigentlich müssten Sie als Genossinnen und Genossen
diese Forderungen alle mittragen können. Ansonsten
habe ich bei dieser übergroßen Harmonie langsam die
Befürchtung, dass Sie als SPD schneller mit der CDU
fusionieren als die Linkspartei mit der WASG.
({17})
Wollen Sie diesen Wettbewerb wirklich gewinnen?
Vielen Dank.
({18})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Carsten Schneider.
Frau Lötzsch, Sie haben in Ihrem Beitrag das Wort
„Lüge“ gebraucht, und zwar in Richtung der Bundesregierung und, wie ich denke, auch der sie tragenden Koalitionsfraktionen. Ich möchte das in aller Form und aller
Schärfe zurückweisen.
({0})
Ich finde, dass Sie mit solchen Begriffen sehr vorsichtig
sein sollten, zumal sie für die politische Kultur in diesem
Land sehr schädlich sind.
Ich will Ihnen, nachdem Sie meine Frage nicht zugelassen haben, kurz zwei Fakten nennen, die Sie nicht zur
Kenntnis nehmen wollen und hinsichtlich derer Sie auch
Herrn Ramsauer falsch zitieren, und zwar bewusst.
({1})
Es ging um eine Frage, die er in der Debatte am Mittwoch aufgeworfen hat, und zwar um die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Finanzierung des Staates.
Da darf ich Ihnen einen kleinen Hinweis geben:
50 Prozent der Einnahmen aus der Einkommensteuer
- das ist die größte Steuereinnahme, die dieser Staat
hat - zahlen die oberen 10 Prozent dieser Gesellschaft.
90 Prozent der Gesamteinnahmen zahlen die oberen
50 Prozent. Ich finde, das ist absolut gerecht. Deshalb
kann an dieser Stelle nicht die Rede davon sein, dass es
in diesem Land keine Gerechtigkeit gebe.
({2})
Jetzt zu den Ausgaben. Wir geben 134 Milliarden
Euro für den Sozialetat von Franz Müntefering aus. Wir
haben aber nur 192 Milliarden Euro Steuereinnahmen.
Das heißt, 72 Prozent unserer Steuereinnahmen investieCarsten Schneider ({3})
ren wir in den Sozialbereich. Wenn Sie das auf die Gesamtausgaben beziehen, sind es 50 Prozent. Ich finde, an
dieser Stelle kann man nicht sagen, dass dieser Staat
nicht sozial gerecht sei. Das ist Unfug.
({4})
Dann haben Sie noch über das Arbeitslosengeld II
gesprochen. Ich habe die Debatte hier in den vergangenen Tagen verfolgt. Immer wieder wird vonseiten Ihrer
Fraktion angedeutet - und damit, bewusst oder unbewusst, eine Irritation in die Welt gebracht -, wir würden
das Arbeitslosengeld II kürzen wollen. Ich weiß nicht,
wie Sie zu dieser Annahme kommen. Dieser Bundestag
hat mit den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Vorschlag der SPD - das stand in unserem Wahlprogramm - die Ungleichbehandlung von Ost und West aufgehoben. Von daher gibt es darüber nichts zu diskutieren.
({5})
Frau Lötzsch, bitte.
Vielen Dank. - Kollege Schneider, wenn Sie mich in
Fragen des politischen Stils belehren wollen, dann kann
ich Ihnen gerne sagen, dass ich es rührend finde, wenn
Abgeordnete, die von ihrer eigenen Fraktion als Redner
nicht mehr eingeplant wurden, ihre Rede im Rahmen
von Zwischenfragen oder Kurzinterventionen nachholen
wollen.
({0})
So viel zu Stilfragen.
Sie haben sehr zu Recht die Tatsache angesprochen,
dass dieses Land zu geringe Steuereinnahmen hat. Das
ist ein Punkt, auf den man wirklich dezidiert eingehen
muss. Warum haben wir denn zu geringe Steuereinnahmen? Weil dieses Land unter Rot-Grün mit Unterstützung von CDU und CSU im Rahmen einer Steuerreform
dafür gesorgt hat, dass die Besserverdienenden und die
großen Unternehmen in jedem Jahr 52 Milliarden Euro
weniger zahlen müssen. Diese 52 Milliarden Euro fehlen
in der Staatskasse. Wenn wir dieses Geld hätten, dann
sähe auch die Verteilung der Mittel im Haushalt ganz anders aus.
Die Probleme der Sozialversicherung kann ich Ihnen
gerne noch einmal erläutern.
({1})
Es gibt die Möglichkeit, sozialversicherungspflichtige
Jobs in Minijobs umzuwandeln. Die Großunternehmen
haben sich in dieser Frage nicht zurückgehalten. Unternehmen der Automobilindustrie haben diese Möglichkeit begrüßt. Sie wollten nur die Stammbelegschaft behalten und die anderen erst entlassen und dann in
Minijobs wieder einstellen. Genauso ist es gekommen.
Durch die Zerschlagung der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze fehlt dem Rentensystemen und den
Krankenkassen Geld. Sie sollten sich daher hier nicht als
Wohltäter aufspielen, sondern ganz im Gegenteil: Sie
müssen das Steuersystem vom Kopf auf die Füße stellen.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
So ganz verstehe ich nicht, warum sich gerade die Linkspartei über diesen Haushalt aufregt. Denn eigentlich
müsste es Ihnen doch recht sein, dass die große Koalition in die Neuverschuldung so blind hineinrennt, wie
sie es mit diesem Haushalt tut.
({0})
Auch ich frage mich, was uns Minister Steinbrück mit
dem Begriff von der doppelten Tonlage, den er bei der
Einbringung des Haushalts verwendet hat, sagen wollte.
Nach vier Tagen Haushaltsdebatte habe ich verstanden,
dass „doppelte Tonlage“ ein schönes Wort dafür ist, dass
sich die Koalition nicht auf eine einheitliche Melodie einigen kann und keiner von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition, den Ton
halten konnte.
({1})
Trotz der vielen Reden, die wir hier hören, kann von
Konsolidierungspolitik im real existierenden Haushaltsentwurf 2006 kaum die Rede sein. Trotz gegenwärtig
günstiger konjunktureller Ausgangslage ist Ihr Haushalt
verfassungswidrig und die Handlungsspielräume zukünftiger Generationen werden eingeschränkt. SchwarzRot ignoriert die Maastrichtkriterien und setzt damit
die Glaubwürdigkeit des Haushaltes aufs Spiel, nicht nur
nach innen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern,
sondern auch international.
Sie wissen so gut wie die grüne Fraktion, dass es eigentlich geboten wäre, strukturellen Fehlentwicklungen
entgegenzuwirken und gerade die Handlungsspielräume
für zukünftige Generationen Stück für Stück wiederherzustellen. Aber dieser Haushalt erfüllt das nicht.
({2})
Dieser Haushalt ist verfassungswidrig. Die Neuverschuldung überschreitet die Investitionsausgaben deutlich, und zwar um mehr als 15 Milliarden Euro. Damit
verletzten Sie Art. 115 des Grundgesetzes, in dem dies
ausdrücklich verboten wird.
Sie mogeln sich jetzt heraus, indem Sie die Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes ausrufen.
Wir haben hier aber erlebt, wie sämtliche Rednerinnen
und Redner der großen Koalition die Wirtschaftslage in
den höchsten Tönen gelobt haben. Niemand von Ihnen
kann daher ernsthaft erklären, wo da die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sein soll. Ich sage
Ihnen: Gestört ist hier vieles, aber bestimmt nicht das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht.
({3})
Sie wissen genau, dass Ihr Verschuldungskurs nicht
notwendig gewesen wäre, weil viele Faktoren im Moment die Haushaltsaufstellung begünstigen. Sie erwarten
selbst ein Wachstum des Bruttoinlandproduktes von
1,4 Prozent. Kollege Rossmanith hat vorhin 1,7 Prozent
prognostiziert.
Aufgrund der günstigen Konjunkturentwicklung sagen die Steuerschätzer für 2006 erhebliche Mehreinnahmen in Höhe von 5 bis 6 Milliarden Euro für die öffentlichen Haushalte voraus. Dieses Geld haben Sie aber mit
dem vorliegenden Haushalt schon wieder ausgegeben.
Der steigende Bundesbankgewinn, der in Ihre Kasse gespült wurde, ist längst eingeplant und ausgegeben. Trotz
alldem liegen Sie mit Ihrer Nettokreditaufnahme um
7 Milliarden Euro über der von Rot-Grün in 2005, als
die Zeit für die Konjunktur wesentlich schwieriger war.
Das hat nichts mit einem strukturellen Neuanfang zu tun,
wie er hier propagiert wurde. Diese Haushaltspolitik ist
offensichtlich schon gescheitert, bevor die Koalition
überhaupt damit begonnen hat. Denn mit der Neuverschuldung von 38,3 Milliarden Euro bewegen Sie sich
knapp an der Höchstmarke und der Rekordverschuldung.
Ich will Ihnen deutlich machen, was das bedeutet,
was Sie hier tun. Mit dieser Neuverschuldung von knapp
40 Milliarden Euro produzieren Sie für jedes der Folgejahre zusätzliche Zinsausgaben von beinahe 1 Milliarde
Euro - und dies nicht nur für ein Jahr, sondern Jahr für
Jahr für Jahr. Damit schränken Sie die Möglichkeiten in
zukünftigen Haushalten ein. Sie tun dies auch noch vorsätzlich; denn Sie tun es ohne Not. Damit, liebe ehemalige Koalitionspartner, liebe CDU/CSU-Teile der Regierung, werden Sie dem nicht gerecht, was wir in den
letzten Jahren in Fragen der Generationengerechtigkeit
und der solidarischen, nachhaltigen Haushaltspolitik gemeinsam formuliert haben.
({4})
Insofern ist das, was Herr Steinbrück als Wende zu
einer verlässlichen Haushalts- und Finanzpolitik bezeichnet hat, eigentlich eine Wende hin zu einem hochriskanten haushaltspolitischen und konjunkturpolitischen Vabanquespiel. Sie sind nämlich die Antwort,
warum Einsparungen auf der Ausgabenseite und ein
konsequenterer Subventionsabbau ausbleiben, schuldig
geblieben. Die Begründung, das schade dem Wachstum,
glaubt keiner ernsthaft von jemandem, der mit der Kettensäge namens Mehrwertsteuererhöhung auf das
Wachstum in 2007 losgeht, Herr Steinbrück. Hier sind
Sie also von einer redlichen Argumentation weit entfernt.
Wenn Sie beabsichtigen, 2006 das Wirtschaftswachstum mit einer Nettokreditaufnahme und einem Konjunkturprogramm anzukurbeln, dann muss ich fragen:
Was wollen Sie dem Aufschwung noch hinterherschieben? Welche ökonomische Logik steckt eigentlich hinter
der Haushaltsaufstellung? Die einzige Logik, die ich erkennen kann, sieht folgendermaßen aus: Sie wollen dem
Patienten 2006 noch einmal einen kräftigen Schluck aus
der Pulle geben, damit er 2007 so betrunken ist, dass er
nicht merkt, dass Sie ihm die Brieftasche geklaut haben,
Herr Steinbrück. Das ist die Politik, die Sie mit dem
Bundeshaushalt vorhaben.
({5})
Zugegeben, auch Rot-Grün hat den angehäuften
Schuldenberg von Jahrzehnten nicht an jeder Stelle abtragen können. Diese Koalition aber, die sich große Koalition nennt - ich habe mich während der Debatten immer gefragt, was an dieser Koalition eigentlich groß sein
soll; ich muss Ihnen sagen, Sie sind nicht groß, Sie sind
höchstens viele; auch das ist ein Ergebnis dieser
Haushaltsberatungen -,
({6})
hat die Situation nicht genutzt, um die Probleme anzugehen und in der Haushaltspolitik voranzukommen.
In der Oppositionszeit haben wir von der CDU/CSU
wilde Reden gegen die Staatsverschuldung hören können. Kollege Meister hat dies bei der Einbringung des
Haushaltes wieder etwas relativiert, sodass man den Eindruck hatte: Verschuldung ist immer eine Sache desjenigen, der regiert. Ich sage Ihnen ganz offen: Alle roten,
schwarzen, gelben oder grünen Schulden sind am Ende
rote Zahlen. Mit diesem Haushalt leben Sie munter auf
Kosten unserer Kinder und Enkel weiter.
Sie produzieren Tag für Tag weitere Haushaltsrisiken. Wir erinnern uns an den ersten Handkuss von französischer Seite und den EU-Deal bezüglich der Haushaltsmittel, der Deutschland bzw. die Steuerzahler
Milliarden kosten wird. Wir kennen Ihre Forderung nach
dem Milliardengrab Kombilohn. Wir wissen, dass noch
an vielen anderen Stellen die Ausgabefront deutlich
droht.
An dieser Stelle muss man feststellen: Groß ist diese
Koalition nur beim Geldausgeben.
({7})
- Ich habe Ihre Ausführungen gehört, Herr Kampeter. Es
fiel doch sehr deutlich auf, dass Sie über den Haushalt
wenig gesagt und sich ähnlich wie die Kanzlerin in den
Weiten des Weltgeschehens aufgehalten haben. Auch
das ist symptomatisch.
({8})
Groß ist diese Koalition dann, wenn es darum geht,
für eigene Zwecke zuzugreifen. Die einzige große Bewegung auf dem Arbeitsmarkt seit Regierungsantritt ist
im Bereich der Minister und Staatssekretäre geschehen;
auch daran sollte man einmal erinnern.
({9})
Diese Geschichte ist übrigens ein schönes Beispiel
dafür, wie die große Koalition Politik gestaltet und wie
die Öffentlichkeit, wenn es darauf ankommt, gezielt getäuscht wird. Ich will einmal schildern, wie das damals
lief: Die Öffentlichkeit hat sich zu Recht über die Operation „Selbstbedienung“ beschwert. Dann gab es aus
der Koalition große Ankündigungen. Ich zitiere die „Financial Times Deutschland“ vom 25. November 2005:
Die Union verteidigte gestern grundsätzlich diese
Personalpolitik, wies aber zugleich auf ihre Folgen
hin: „Die Steuerzahler sollen wissen, dass Mehrausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle wieder
reingeholt werden“, sagte der CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter gestern der Deutschen
Presse-Agentur.
({10})
Kampeter weiter:
„Ich gehe davon aus, dass die betroffenen Bundesminister mit Vorlage des neuen Haushalts 2006 entsprechende Vorschläge machen werden.“
({11})
An dieser Stelle muss man deutlich sagen: Nicht in einem einzigen Einzelplan hat es diese Einsparungen gegeben. Das bedeutet Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit bei der großen Koalition, Herr Kollege
Kampeter.
({12})
Die großkoalitionäre Selbstbedienung geht munter
weiter. Schauen wir uns nur die Stellenpläne der Ministerien an! Müntefering braucht 55 neue Stellen, um eine
Miniparteizentrale im Ministerium einzurichten.
({13})
Seehofer will neun zusätzliche Stellen im Leitungsbereich mit einer ganz besonders putzigen Begründung. Er
hat uns erklärt, er brauche diese Stellen zur effektiven
Durchsetzung der neuen Politikausrichtung.
({14})
Das heißt bei Ihnen „Führung im Haus“.
Vor lauter Selbstbeschäftigung vergessen Sie Einsparungen und Subventionsabbau. Was ist denn mit dem
Abschmelzen des Ehegattensplittings? Was ist mit dem
degressiven Abbau der Kohlesubventionen? Was ist mit
dem Verbot des Steuerabzugs von Aufwendungen bei
Jobverlagerungen ins Ausland? Was ist mit den vielen
anderen Subventionsbereichen, die Sie nicht angehen?
Sie wissen genau, dass, wenn Sie in diesem Bereich konsequenter wären, eine Mehrwertsteuererhöhung nicht
notwendig wäre.
Sie wissen auch, dass die Mehrwertsteuererhöhung in
Sachen „Senkung der Lohnnebenkosten“ nicht das
bewirkt, was Sie einmal versprochen haben. Mit Ihrer
Strategie passiert in diesem Bereich nichts. Von den Entlastungen, die Sie mit den Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung vornehmen wollen, wird nichts zu merken sein. Wenn der Beitrag zur Rentenversicherung um
0,4 Prozentpunkte steigt, ungedeckte Zuschüsse an die
gesetzliche Krankenversicherung geleistet werden, die
gesetzliche Krankenversicherung durch die erhöhte
Mehrwertsteuer eine Mehrbelastung erfährt und die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen, werden die Lohnnebenkosten um einen weiteren Prozentpunkt steigen.
Insofern herrscht bezüglich einer signifikanten Entlastung des Faktors Arbeit Fehlanzeige bei der großen Koalition.
({15})
Solange Sie diesen Bereich nicht in den Griff bekommen, werden Sie die Beseitigung des strukturellen Defizits des Bundeshaushalts nicht angehen können. Sie kennen die Zahlen. Die Zinsaufwendungen und die
Ausgaben für die Sicherungssysteme machen 60 Prozent
der Ausgaben aus. Dieser Anteil steigt unter Ihnen. Sie
sind nicht in der Lage, ihn abzusenken. Ihr Schwerpunkt
liegt weiter bei vergangenheitsbezogenen Ausgaben.
Eine Zukunftsorientierung können wir nicht feststellen.
Herr Minister Steinbrück hat zwar schön darüber philosophiert, aber wenn wir uns den Haushalt konkret ansehen, dann stellen wir fest, dass er eine andere Sprache
spricht.
In der schwarz-roten Finanzplanung ist vorgesehen,
die Investitionsquote in den nächsten vier Jahren weiter
zu senken.
({16})
Am Ende Ihrer Regierungszeit werden wir bei
8,5 Prozent landen. Sie aber halten hier Reden über Investitionen in die Zukunft und Innovation. Sie sitzen
doch all das aus, was Sie tagelang propagiert haben,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition. Sie betreiben den Rückzug des Staates ausgerechnet an einer Stelle, an der wir Zukunft gestalten müssen.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Eine solche Regierung
und einen solchen Haushalt hat dieses Land nicht verdient.
({17})
Ich rede jetzt am Ende der Haushaltsberatungen für
meine Fraktion; viele Kolleginnen und Kollegen haben
schon deutlich gemacht, wo wir Grüne in der Haushaltspolitik Schwerpunkte setzen wollen. Wir haben Ihnen
geschildert, dass wir die Notwendigkeit sehen, im Bereich Kinder und Familie wesentlich mehr zu tun. Sie
kennen unseren Haushaltsschwerpunkt im Bereich Entwicklung und wissen, dass wir für mehr Mittel und eine
konsequentere ökologische Modernisierung streiten. Wir
werden im Haushaltsausschuss belegen, dass man, wenn
man politische Prioritäten setzt, mit politischem Willen
auch bei niedriger Verschuldung etwas bewegen kann.
Dazu muss man aber Mut aufbringen.
Sie haben die Möglichkeit gehabt, in den Einzelplänen Prioritäten zu setzen. Sie haben diese aber falsch gesetzt. Sie haben im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs mit der Kürzung der Regionalisierungsmittel
massiven Schaden angerichtet. Sie sind in der Innenpolitik durch die dramatische Kürzung der Integrationsmittel
dabei, von Integration auf Repression umzusteuern. Außerdem haben wir erlebt, dass der Verteidigungsminister
in der Haushaltsdebatte mehr über Wirtschaft gesprochen hat als der Wirtschaftsminister heute Morgen, nämlich indem er begründet hat, warum Sie weiterhin milliardenschwere Investitionen in Gerät tätigen, das zu
Zeiten des Kalten Krieges notwendig war. Sie halten das
für eine sinnvolle Industriepolitik.
({18})
Dass die Wirtschaftspolitik die große Schwachstelle
dieser Koalition ist, haben wir heute Morgen erleben
dürfen. Ich bin gespannt, wie lange Sie es sich noch leisten, dieses Land ohne Wirtschaftsminister regieren zu
wollen.
Ich muss konstatieren: In der großen rhetorischen Linie schön, in der großen tatsächlichen Linie löchrig und
in den Sachfragen an vielen Stellen Murks. Insofern
wundert es mich nicht, dass Sie sich nicht getraut haben,
mit diesem Entwurf des Bundeshaushaltes vor den
Landtagswahlen in das Plenum zu gehen. Man muss
daran erinnern, wie Sie beim Zeitplan getrickst und geschoben haben, um den Wählerinnen und Wählern nicht
vor den Wahlen reinen Wein einschenken zu müssen.
({19})
Die Wahlen haben Sie trotzdem verloren. Sie haben über
1 Million Stimmen verloren.
Sie müssen sich anstrengen und den Menschen im
Haushaltsverfahren die Wahrheit sagen. Ihre Sprache
und Ihr Handeln gehen weit auseinander.
Es spricht übrigens auch Bände, dass sich der Bundesfinanzminister an das Ende der Debatte verdrückt
hat. Eine Wende in der Haushaltspolitik war das, was Sie
hier präsentiert haben, nicht.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach den beiden Rednern der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen ist es Zeit, das eine oder andere
wieder zurechtzurücken: Für uns ist klar, dass das, was
wir in diesen beiden Reden gehört haben, keine verantwortbare Alternative zur soliden Politik der großen Koalition ist.
({0})
Ich finde es richtig, dass der Finanzminister am Ende
der Debatte sagt: „Jetzt habe ich mir alles angehört.“ Ich
verstehe die Opposition gar nicht. Es ist doch eine Geste
gegenüber dem Parlament, zu sagen: „Ich höre mir an,
was mir das Parlament alles mit auf den Weg gibt, und
dann antworte ich am Schluss.“ Da verstehe ich die Oppositionsredner nun wahrlich nicht.
({1})
In Pessimismus zu machen und alles schlecht zu reden,
das geht überhaupt nicht.
Es wurden bereits viele Zitate genannt. Wunderschön
hat Antoine de Saint-Exupéry gesagt:
Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber man
kann den Grund für etwas Zukünftiges legen, denn
Zukunft kann man bauen.
Genau das will die große Koalition machen. Das ist natürlich eine Politik der kleineren Schritte, es ist etwas
Gemeinsames, ein Miteinander. Verständlicherweise
muss diese große Koalition für manche der kommenden
Reformmaßnahmen noch den richtigen Weg finden. Die
Grundlagen sind aber gelegt. Wir werden gemeinsam
eine erfolgreiche Politik machen.
({2})
Wenn Sie, wie wir es gerade erlebt haben, in Polemik
verfallen, dann beweist mir das, dass wir mit dem, was
wir tun, richtig liegen.
({3})
Die große Koalition ist handlungsfähig. Sie hat tatkräftig begonnen, die Probleme des Landes zu lösen. Die
Menschen draußen nehmen das auch wahr.
({4})
Ihr müsst Obacht geben. Auch ich habe oft das Problem,
dass ich gerne bei einem Redner der FDP klatschen
würde. Ich bitte darum, meine Rede im Gesamtzusammenhang zu betrachten.
({5})
Wir haben den richtigen Weg beschritten: sanieren,
investieren und perspektivische Reformen. Das ist der
Dreiklang des Handelns. Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück hat mit der Vorlage des Entwurfs für den
Bundeshaushalt 2006 und des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes begonnen, auch die Finanzen der
öffentlichen Haushalte zu sanieren. Ich will die Zahlen,
die Ihnen bekannt sind, nicht im Einzelnen vortragen.
Auch mit dem Impulsprogramm für mehr Wachstum
und Beschäftigung, das wir verabredet haben, werden
wir Erfolg haben.
({6})
- Nein, bitte jetzt nicht. Jürgen, lass mich meine Ausführungen bitte im Zusammenhang darstellen.
Verstehe ich Sie richtig, dass Sie die Zwischenfrage
jetzt nicht zulassen wollen?
Nein, bitte jetzt nicht.
Zur Debatte um den Haushalt des Wirtschaftsministers; einige Punkte sind heute schon zur Sprache gekommen. Gerade von den steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten bei Handwerkerrechnungen und bei der
Gebäudesanierung erwarte ich viele Impulse. Man muss
zwar abwarten, aber ich glaube, auch das wird ein Erfolg
sein.
({0})
Die Prognose des Ifo-Instituts zeigt, dass die wirtschaftliche Erholung auf breiter Front erfolgt.
({1})
Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts hat den
höchsten Stand seit 15 Jahren erreicht. In vielen Bereichen hat sich die Lage verbessert oder wird sich verbessern. Es wird erwartet - das muss doch unser Ziel sein -,
dass der Arbeitsplatzabbau der vergangenen Jahre zum
Stillstand kommt.
({2})
In den letzten fünf Jahren sind 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen verloren gegangen.
Diesen Negativtrend zu stoppen, das allein ist schon ein
Erfolg.
({3})
Nach so kurzer Zeit kann sich unsere Zwischenbilanz
schon sehen lassen. Die große Koalition befindet sich
auf dem richtigen Weg. Zu unseren Vorhaben gibt es
keine verantwortbare Alternative.
({4})
Ich sage noch einmal: Sanierung der öffentlichen Haushalte, Setzung von Wachstumsimpulsen und perspektivische Reformen, das ist der richtige Weg. Diejenigen, die
die vermeintlich soziale Schieflage unserer Politik kritisieren, verschweigen, dass über 130 Milliarden Euro und
damit mehr als die Hälfte des Haushaltsvolumens allein
für Sozialleistungen ausgegeben werden
({5})
und dass bereits heute - ich wiederhole das, was in den
Debatten gesagt wurde - die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen mehr als die Hälfte des gesamten Lohn- und Einkommensteueraufkommens zahlen.
Was hieran sozial schief sein soll, vermag ich nicht zu
erkennen.
({6})
Wir werden deshalb an diesem Dreiklang festhalten: Sanieren, Setzen von Wachstumsimpulsen und perspektivische Reformen.
({7})
Wir wollen erstens eine durchgreifende Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, die die Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern klarer regelt. In
einem weiteren Schritt sollten wir auch die föderalen Finanzbeziehungen neu regeln, um auch hier die Eigenverantwortung der Ebenen zu stärken. Wir müssen diesen
weiteren Schritt gehen.
({8})
Zweitens. Wir müssen einen umfassenden Bürokratieabbau und die Beschleunigung von Planungsvorhaben insbesondere bei Infrastrukturmaßnahmen
betreiben. Dies entlastet die Unternehmen von Kosten,
beschleunigt die Umsetzung notwendiger Investitionen
und stärkt so das wirtschaftliche Wachstum. Hierzu hat
Michael Glos heute das Richtige gesagt. Michael Glos
hat unser volles Vertrauen. Er ist ein guter Wirtschaftsminister für unser Land.
({9})
Drittens. Wir müssen an der Senkung der Lohnzusatzkosten weiterarbeiten. Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages ab 2006 um 2 Prozentpunkte ist ein wichtiger erster Schritt.
Viertens. Wir müssen gemeinsam und in großer Harmonie mit unserem Koalitionspartner über eine weitere
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nachdenken, um
den Arbeitslosen größere Wiederbeschäftigungschancen
zu geben. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeitslose
wieder in Arbeit kommen und somit eine Chance in diesem Staat, in dieser Gesellschaft haben.
({10})
Fünftens. Wir setzen den Reformkurs in der Steuerpolitik mit dem Ziel fort, das deutsche Steuerrecht zu
modernisieren und international wettbewerbsfähig zu
gestalten. Dabei hat die Reform des Unternehmensteuerrechts Priorität. Es ist eine Reform, die sowohl Körperschaften als auch Personenunternehmen entlastet.
({11})
Eine Senkung nur des Körperschaftsteuersatzes - wie
auf dem Jobgipfel 2005 angedacht - würde diesen
Anforderungen nicht genügen. Eine solche Reform muss
gut vorbereitet sein.
({12})
Qualität geht auch hier vor Schnelligkeit. Schnellschüsse
und daraus resultierende Korrekturen schaden nur. Aber
die Unternehmen in Deutschland müssen sich darauf
verlassen können, dass die Unternehmensteuerreform
zum 1. Januar 2008 in Kraft tritt.
({13})
Es besteht der politische Wille beider Koalitionsfraktionen. Die dafür notwendigen Mehrheiten in beiden Häusern sind vorhanden. Wir haben gute Vorlagen aus der
Wissenschaft, die uns als Grundlage dienen.
({14})
Sechstens. Die Unternehmensteuerreform muss mit
einer kommunalen Finanzreform verbunden sein. Deswegen müssen wir die Gewerbesteuer gemeinsam mit
den Kommunen weiterentwickeln. Die Vergangenheit
hat gezeigt, dass man sich über die Gewerbesteuer heutiger Prägung Gedanken machen muss.
({15})
Eine wirkliche Vereinfachung im Unternehmensteuerbereich ist mit der Gewerbesteuer in ihrer heutigen Form
nicht möglich.
({16})
- Es irritiert mich schon, dass fast nur die FDP Beifall
klatscht.
({17})
Vielleicht verhält sich meine Fraktion so ruhig, weil gerade Mittagszeit ist; wir arbeiten schließlich die ganze
Woche rund um die Uhr. - Ich sage jetzt aber etwas, dem
vielleicht alle zustimmen können: Wir müssen dieses
Thema gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden angehen und sie einbeziehen.
({18})
- Jetzt habe ich endlich erreicht, was ich vorhin erreichen wollte.
Siebtens. Bei der Besteuerung der Kapitalerträge
und der privaten Veräußerungsgewinne müssen wir
der Tatsache Rechnung tragen, dass Kapital scheu wie
ein Reh ist. Daher muss eine international wettbewerbsfähige Besteuerung sichergestellt werden. Das Kontrollverfahren sollte überflüssig werden.
({19})
Übrigens müssen wir uns auch gemeinsam dem
Thema Altersvorsorge mit Immobilien zuwenden.
({20})
Ich hoffe, dass wir im Kreise der Koalition sehr bald einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen können.
Achtens. Es gilt, die Besteuerungspraxis zu vereinfachen, gegen Steuermissbrauch vorzugehen und die
Möglichkeiten der missbräuchlichen Steuergestaltung
einzudämmen. Auch die Effektivität und die Effizienz
des Steuervollzugs müssen spürbar gesteigert werden.
({21})
Neuntens. Bund und Länder haben bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs in den letzten Jahren
deutliche Erfolge erzielt; aber auch hier müssen wir noch
mehr Fortschritte machen. Nach Einschätzung von Wirtschaftsinstituten kommt es nach wie vor jedes Jahr durch
Umsatzsteuerbetrug zu Mindereinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich. Das kann ein Staat nicht akzeptieren.
({22})
Unser Konzept ist insgesamt ausgewogen. Da ein einzelner Baustein aber noch nichts über das Gesamtbild
aussagt, sollten Sie uns bewerten, nachdem wir unser
Gesamtergebnis vorgelegt haben. Die große Koalition
wird ein gutes Ergebnis zustande bringen.
Ich möchte mich bei den Mitgliedern des Finanzausschusses herzlich dafür bedanken, dass sie mich als ihren
Vorsitzenden gut aufgenommen haben. Der Finanzausschuss leistet eine großartige Arbeit. Herr Bundesminister der Finanzen, ich empfehle Ihnen, den Sachverstand
aller Ausschussmitglieder aus allen Fraktionen ständig
zu nutzen. Das wäre sehr wichtig.
({23})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Sie haben Ihre Redezeit schon sehr deutlich überschritten.
({0})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Zwar
kenne ich den Autor des folgenden Zitats nicht; aber es
passt in diesem Zusammenhang sehr gut. Es lautet:
Die Zukunft braucht nicht unsere Angst, sondern
unsere Hoffnung, nicht unsere Resignation, sondern
unseren Optimismus, nicht unsere Trägheit, sondern unsere Taten.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Merkel, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Kein Pathos - keine geballten Fäuste - was aus der
einst wichtigsten Debatte im Bundestag wurde“, so lautet ein Zitat aus dem „Tagesspiegel“ vom 30. März 2006.
Richtig, die Sensationen bleiben aus. Harte Arbeit ist angesagt. Die Gladiatorinnen und Gladiatoren treten nicht
spektakulär gegeneinander in den Ring. Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat ganz eindeutig Auswirkungen auf die inhaltliche Debatte - zumindest auf
die, die in den Fachbereichen geführt wird -,
({0})
aber auch auf den Debattenstil; das hoffe ich jedenfalls,
langfristig gesehen. Das ist ein positiver Ansatz, der
vielleicht auch zu einer besseren Streitkultur führt. Daran sind wir sicherlich alle interessiert. Denn wir wollen
für den Parlamentarismus und die Parteienkultur werben.
({1})
Diese Entwicklung wäre zwar für die Presse unspektakulär, aber für unsere Arbeit sinnvoller.
Richtig, die große Koalition muss auf die Ränder in
unserer Gesellschaft achten. Darauf muss sie aber auch
in diesem Haus aufpassen. Die Linke.PDS/WASG ist als
Oppositionspartei zur Bundestagswahl angetreten. Wer
die Debatte, die wir am Mittwoch dieser Woche zur Außen- und Entwicklungspolitik geführt haben, verfolgt
hat, muss zu dem Schluss kommen: Sie sitzt zu Recht
auf der Oppositionsbank. Denn von der Fähigkeit, im
Bundestag mitzuregieren, ist sie noch weit entfernt.
Für die Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen
hoffe ich, dass sie den Frust über die verlorene Regierungsbeteiligung so schnell wie möglich überwinden
und konstruktive Ideen beitragen - wenn sie nicht die
Haltung der FDP einnehmen wollen.
Der FDP muss ich sagen: Sie tun nicht mehr, als immer nur den Slogan „Alle Freiheit dem Markt“ und das
Schreckgespenst des Staates zu verbreiten. Das ist zu
wenig, um wirklich Einfluss zu nehmen und Veränderungen in Deutschland mit zu bewirken.
({2})
Dazu müssen Sie mit Ihren Vorstellungen erheblich flexibler und moderner, ja freier im Denken werden.
({3})
Obwohl eine große Koalition bei der Wahl am
18. September 2005 nicht meine Wunschkonstellation
war, muss ich nach all den Debatten, die wir in den letzten Tagen in diesem Hause im Rahmen der Einbringung
des Haushaltes geführt haben, konstatieren: Ich bin froh,
dass Sie von der FDP nicht zusammen mit der CDU/
CSU regieren. Das wäre für Deutschland wirklich finster
geworden.
({4})
- Erstaunlicherweise. Es gibt keinen Kuschelkurs; das
ist ganz klar. Wir haben unterschiedliche Positionen.
Aber ich glaube, wir können gemeinsam etwas für
Deutschland bewegen.
({5})
Wie kann ich als eine der letzten Rednerinnen nach
circa 35 Stunden Diskussion unsere Ziele zusammenfassen, die die SPD-Fraktion wie auch die große Koalition
insgesamt mit dem Haushalt 2006 verbinden? Besonders
wichtig sind für die SPD-Fraktion und für die große Koalition Reformen für Kinder und Jugendliche. Ich
möchte mich deshalb bewusst an Sie wenden, liebe
Jugendliche - vielleicht zappt ein Jugendlicher ja in
Phoenix hinein; das wäre nicht falsch -: Ich weiß, Ausbildung ist Ihr Thema. Viele von Ihnen sorgen sich um
einen Ausbildungs- oder Studienplatz. Wenn wir Politikerinnen und Politiker es nicht schaffen, Ihre Fähigkeiten, aber auch die Fähigkeiten von kleinen Kindern und
von Schülerinnen und Schülern optimal auszubilden,
werden unser Land, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft keine Zukunft haben.
Dabei darf es keine Rolle spielen, ob Sie als Jugendliche in begüterten Familien leben oder nicht. Die Herkunft darf keine Rolle für Bildung spielen.
({6})
Bildung ist einer der wichtigsten Bereiche, auf den
wir Bundespolitiker wenig Einfluss haben; denn vieles
ist Sache der Bundesländer. Aber für Berufsausbildung,
Wissenschaft und Forschung und beim BAföG setzen
wir auch mit Haushaltsmitteln Schwerpunkte.
Unser Ganztagsschulprogramm aus der vergangenen Legislaturperiode läuft weiter. Das ist ein großer Erfolg; denn die Impulse auf die Schulen in den Bundesländern sind absolut positiv. Die Schulen in meinem
Wahlkreis - ich habe, wie andere Kolleginnen und Kollegen auch, einige besucht - konnten zum Beispiel
Mensabereiche endlich ausbauen oder am Nachmittag
mit einem guten Betreuungsangebot in renovierten Räumen starten. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Die Reform des Grundgesetzes zur Neuregelung der Zuständigkeiten zwischen den Ländern und dem Bund muss
solche Möglichkeiten zur Kooperation zwischen Bund
und Ländern weiter zulassen.
({7})
Die SPD-Fraktion wird darauf achten, dass die Jugendprojekte gegen Rechtsextremismus und zur Beteiligung an Demokratie, die Projekte „Entimon“ und „Civitas“, weitergeführt werden und dass die Bundeszentrale
für politische Bildung durch Kürzungen nicht in Turbulenzen gerät.
Deutschland wird weltoffen bleiben. Deshalb sind die
Integrationskurse zur Einbürgerung auch mit den im
vergangenen Jahr vorgesehenen Haushaltsmitteln zu finanzieren. Dazu müssen wir im Haushaltsentwurf umschichten, aber nicht draufsatteln.
Petra Merkel ({8})
In Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern wird
oft das Thema Rente angesprochen. Auch hier tritt die
SPD trotz aller notwendigen Veränderungen für ein solidarisches System ein. Das allerdings muss an die demografische Entwicklung angepasst werden. Deswegen
werden Sie, liebe Jugendliche, auch länger arbeiten müssen. Das Renteneintrittsalter werden wir von 65 Jahren
auf 67 Jahre hochsetzen, allerdings schrittweise bis zum
Jahr 2029.
Lassen Sie sich nicht von den flotten Sprüchen der
FDP verführen, das Geld besser anzulegen, als es in die
gesetzliche Rentenversicherung zu investieren. Das geht
so lange gut, wie im Leben alles glatt, geschmiert und
glücklich läuft. Bei Krankheit, Lebensrisiken und in Zeiten von Arbeitslosigkeit geht das jedoch nicht mehr auf.
Deshalb ist ein solidarisches System wie unsere Rentenversicherung unverzichtbar. Allerdings muss es mit der
großen Koalition gelingen, die Dynamik der Kosten der
Rentenversicherung zu durchbrechen.
Das Nächste, was ansteht, ist die Gesundheitsreform, die ja auch Kinder und Jugendliche betrifft. Ich
denke allein an die gesamte Aidsprävention. Gerade
wenn man mit Jugendlichen diskutiert, ist das immer ein
wichtiges Thema. Erforderlich bleibt die Ausrichtung
des Gesundheitssystems als gute medizinische Versorgung für alle, gleich welchen Geldbeutels. Nach Auffassung der SPD-Fraktion muss sichergestellt werden, dass
dieses solidarische System weiter existiert und erweitert
wird. Alle müssen krankenversichert sein.
({9})
Ich bin seit 2002 im Deutschen Bundestag und eines
der ersten Gesetze, über das ich mit abgestimmt habe,
war das Steuervergünstigungsabbaugesetz, Stichwort:
runter mit den Subventionen. Das hat damals die realistische Haushaltspolitik von Hans Eichel bestimmt. Damit
hat die rot-grüne Koalition keine Zustimmung im Bundesrat gefunden. Auch das Treten auf die Bremse lief ins
Leere.
({10})
- Na ja, alle von ihr regierten Bundesländer haben da
nicht mitgespielt. Auch die FDP hat sich da nicht gerade
rühmlich verhalten. Wir würden jetzt 17 Milliarden Euro
im Jahr weniger ausgeben.
({11})
Immerhin haben wir jetzt in der großen Koalition die damals so umstrittene Eigenheimzulage abgeschafft.
({12})
Wenn wir unseren Sozialstaat für die junge Generation erhalten wollen, dann müssen wir die Arbeitslosigkeit durch Wirtschaftswachstum abbauen. Das wollen
wir durch das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm erreichen. Wir müssen die Ausgaben reduzieren
und werden als Haushälter alles auf den Prüfstand stellen. Ab 2007 werden wir die Einnahmen erhöhen, zum
Beispiel durch die Mehrwertsteuererhöhung und die
„Reichensteuer“,
({13})
und Schulden herunterfahren; und zwar in dieser Reihenfolge. Das ist der Realismus von Finanzminister Peer
Steinbrück.
Unser 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, das
durch circa 12 Milliarden Euro aus den Ländern und
Kommunen ergänzt wird - insgesamt wird es also circa
37 Milliarden Euro umfassen -, ist auch ein Programm
zur Stärkung des Handwerks. So sind das Solar- und das
Wärmedämmprogramm für Hausfassaden trotz der vorläufigen Haushaltsführung angelaufen. Dadurch wird
Energie gespart und auf umweltfreundliche Technik gesetzt. Darauf legen nicht zuletzt gerade viele Jugendliche
Wert. Durch dieses Investitionsprogramm versprechen
wir uns mehr Arbeitsplätze und damit mehr Wirtschaftswachstum. Wir erwarten dadurch auch mehr Ausbildungsplätze und damit eine Existenzgrundlage für viele
Jugendliche.
Sie merken: Hinter den Zahlen im Bundeshaushalt
stecken auch die Lebens- und Zukunftschancen der jungen Menschen in Deutschland. Dafür werden wir jetzt in
den Ausschüssen ringen und streiten. Ich wünsche uns
allen eine gute Beratungszeit.
Schönen Dank.
({14})
Ich erteile Kollegen Leo Dautzenberg, CDU/CSU,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Heute, da die viertägige Diskussion und Debatte über den Haushalt 2006 im Plenum
zu Ende geht, haben sich die Medien ihre Meinung darüber weitgehend gebildet. Vielen war der Austausch
hier zu wenig hitzig und vielleicht zu langweilig; es gab
ihnen zu wenig Schlagabtausch im Ganzen.
({0})
Sie haben aber die heutige Debatte noch nicht mitbekommen.
({1})
Unabhängig davon, welches Prädikat die Medien für
die Haushaltsdebatte 2006 verteilen werden, sicher ist:
Jede Haushaltsdebatte - und damit auch die diesjährige ist ein parlamentarisch herausgehobenes und wichtiges
Ereignis; denn durch sie wird mehr als nur ein kritischer
Blick auf die Einnahmen und Ausgaben des Staates ermöglicht. Die grundsätzliche Ausrichtung der Regierungspolitik wird zum Diskussionsgegenstand gemacht.
({2})
Die eigentlichen Fragen der heutigen Schlussrunde
lauten für mich daher: Wo stehen wir gesamtpolitisch
nach der viertägigen Haushaltsdebatte und welches Leitbild muss der Haushalts- und Finanzpolitik dieser Legislaturperiode zugrunde gelegt werden?
({3})
Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Fragen
sind zwei Zahlen, nämlich erstens die immer noch viel
zu hohe Arbeitslosenzahl - im März 2006 gab es
4,8 Millionen Arbeitslose -, obwohl wir mittlerweile
schon einen leichten Rückgang zu verzeichnen haben,
und zweitens das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts, das derzeit bei 20 Prozent der im Bundeshaushalt
veranschlagten Ausgaben liegt. Das bedeutet, dass rund
50 Milliarden Euro der Bundesausgaben nicht durch
nachhaltige Einnahmen gedeckt sind.
({4})
Aus diesen beiden schwerwiegenden Problemen unseres
Landes hat diese große Koalition richtigerweise ihren
Regierungsauftrag abgeleitet. Dieser besteht zum einen
in der Konsolidierung der Staatsfinanzen und zum anderen in der Stärkung der Wachstumskräfte, um daraus Beschäftigung zu generieren.
({5})
Beide Zielsetzungen schlagen sich in konkreten politischen Maßnahmen im Bundeshaushalt 2006 und im
Finanzplan bis 2009 nieder. Als Finanzpolitiker bin ich
sehr froh, dass in der Debatte in dieser Woche, insbesondere durch die Rede der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers, sehr deutlich geworden ist, dass sich
die Bundesregierung tatsächlich auf die beiden genannten Seiten der Finanzpolitik verpflichtet hat. Das Ineinandergreifen von Haushaltskonsolidierung und politischer Gestaltung halte ich für außerordentlich wichtig,
wenn wir auf der einen Seite wieder mehr Beschäftigung
in unserem Lande ermöglichen, auf der anderen Seite
aber auch die Handlungsfähigkeit des Staates in Zukunft gewährleisten wollen. Für beides, für die Lebensbedingungen der heutigen und jene der kommenden Generationen, tragen wir Verantwortung.
Ich muss heute nicht mehr im Detail wiederholen,
welche konkreten Maßnahmen die große Koalition plant
bzw. bereits umgesetzt hat, um den Haushalt zu konsolidieren und die Wachstumskräfte zu stärken. Darüber haben wir in den vergangenen Tagen ausreichend diskutiert. All denjenigen, die der großen Koalition KleinKlein und einen fehlenden Masterplan für die Probleme
unseres Landes vorhalten, möchte ich zum Schluss der
Haushaltsdebatte die großen Eckpunkte der Haushaltsund Finanzpolitik in diesem Jahr und der gesamten Legislaturperiode noch einmal aufzeigen.
Zunächst zu den Konsolidierungsmaßnahmen. Bis
zum Jahr 2009 wird die große Koalition Ausgaben in
Höhe von 32 Milliarden Euro kürzen, Steuervergünstigungen in Höhe von 19 Milliarden Euro abbauen und
Steuermehreinnahmen in Höhe von 28 Milliarden Euro
realisieren. Insgesamt beträgt das Konsolidierungsvolumen damit rund 80 Milliarden Euro. Angesichts dieser
Zahl kann von Klein-Klein wirklich nicht die Rede sein.
({6})
Dass Konsolidierung nicht nur ein hehres Ziel ist,
sondern bereits auch in einzelnen Schritten umgesetzt
worden ist, beweisen zwei Gesetze, die wir in dieser Legislaturperiode bereits verabschiedet haben. Das ist zum
einen das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen
und zum anderen das in diesem Monat vom Bundestag
bereits verabschiedete Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. Als drittes Gesetz steht
nun das Haushaltsbegleitgesetz 2006 an.
({7})
Sicherlich kann man bei den gerade skizzierten und
noch bevorstehenden Konsolidierungsanstrengungen des
Bundes darüber diskutieren - mit dieser Frage habe ich
mich eingehend beschäftigt -, ob der Staat die Ausgaben
nicht noch stärker kürzen und die Steuern weniger erhöhen könnte. Im Ergebnis muss man sagen, dass dies zu
verneinen ist. Angesichts der heutigen Struktur unserer
sozialen Sicherungssysteme sind größere Kürzungen
kurzfristig nicht möglich.
Umso wichtiger ist es, dass durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 mit der Streichung der pauschalen
Zuweisungen an die gesetzlichen Krankenkassen ab
2008, der Streichung der Defizitzuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit ab 2007 und der Verminderung der
allgemeinen Zuschüsse zur Rentenversicherung unmissverständlich deutlich wird: Sowohl im Gesundheitssystem und in der Rentenversicherung als auch in der Arbeitsmarktpolitik brauchen wir Strukturreformen;
({8})
denn ohne Strukturreformen sind die Maßnahmen, die
mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 veranlasst werden,
nur ein kleiner Schritt, wenn sie nicht in grundsätzliche
Strukturreformen umgesetzt werden.
({9})
Die Ausgabenseite des Bundeshaushalts weist schließlich nicht nur ein Niveauproblem, sondern vor allem ein
Strukturproblem auf.
Neben der Haushaltskonsolidierung ist für mich als
Finanzpolitiker die zweite Maßgabe der großen Koalition, die auf Wachstum und Beschäftigung orientierte
Finanzpolitik, von mindestens genauso großer, wenn
nicht noch größerer Bedeutung. Ein Element dieser
wachstums- und beschäftigungsorientierten Finanzpolitik ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die wir im
Haushaltsbegleitgesetz 2006 zum 1. Januar 2007 auf den
Weg bringen. In der öffentlichen Debatte und zum Teil
auch in der Debatte in diesem Haus überwog die Kritik
an der möglicherweise konjunkturschädigenden Wirkung dieser Maßnahme. Man muss aber - auch den Kolleginnen und Kollegen der FDP - in Erinnerung rufen,
dass die Kampagne bei den Landtagswahlen nicht sehr
erfolgreich war und die Menschen erkannt haben, dass
diese Maßnahme für die Haushaltskonsolidierung erforderlich ist.
({10})
Auch die Partner der neuen Koalition muss man daran
erinnern, dass man vor den Koalitionsverhandlungen im
Wahlkampf eine andere Position vertreten hat und sich
gegenseitig darin überbieten wollte, den Steuersatz zu
erhöhen.
Das alles ist inzwischen Vergangenheit. Lassen Sie
uns das, was wir vereinbart haben, gemeinsam umsetzen, weil es zum einen für die Haushaltskonsolidierung
erforderlich ist. Zum anderen stehen wir als Finanzpolitiker in der Verantwortung, günstigere Rahmenbedingungen zu schaffen, um damit - wir haben diese Forderung schon vor der Wahl erhoben und ehrlich gesagt,
warum eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte notwendig ist - die Abkopplung der Sozialkosten
von den Arbeitskosten zu erreichen. Wir setzen allerdings nicht unsere ursprünglichen Vorstellungen um,
sondern sehen eine Regelung vor, die in der Koalition
vereinbart war, nämlich zunächst ein Drittel der erzielten
Mehreinnahmen zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einzusetzen.
Es geht dabei um die nachhaltige Senkung der
Lohnzusatzkosten um 2 Prozentpunkte - dazu soll auch
die Agentur für Arbeit selber einen Beitrag leisten -, die
den Faktor Arbeit verbilligen wird. Davon werden
Wachstumsimpulse ausgehen. Das ist der richtige Weg
für weitere Maßnahmen in diesem Bereich.
({11})
- Die Länder haben sehr wohl ein wichtiges Wort mitgeredet, Herr Poß. Im Grunde wollten alle Länder von den
Mehreinnahmen profitieren. 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung ist für die Konsolidierung der Länderhaushalte vorgesehen, um ihnen in unserem föderalen
System die Grundlage zu bieten, in ihrer eigenen Verantwortung die notwendigen Schritte zu einer Strukturveränderung zu unternehmen.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich sehe die wichtige
und richtige Maßgabe der Bundesregierung, den Haushalt zu konsolidieren, keineswegs als Freifahrtschein für
Steuererhöhungen. Auch wenn unsere Steuerquote im
internationalen Vergleich niedrig erscheint, sind einzelne
Steuern und Belastungen im internationalen Vergleich
überproportional hoch. Das gilt auch für die Unternehmensteuern. Deshalb stimmt es mich zuversichtlich,
Herr Finanzminister, dass Sie in Ihrer Haushaltsrede am
Dienstag auf dieses Problem eingegangen sind und die
Unternehmensteuerreform zu einem wichtigen Reformprojekt Ihres Hauses erklärt haben. Die CDU/CSU wird
Sie in diesem Vorhaben uneingeschränkt unterstützen.
Die Reform darf - davon sind wir als Union überzeugt - bei allen möglichen Umsetzungsschwierigkeiten
im Detail keine Minireform wie beim Jobgipfel des vergangenen Jahres werden. Im Gegenteil: Sie muss im
Ergebnis weitergehende Finanzierungs- und Rechtsformneutralität herstellen und international wettbewerbsfähige Steuersätze realisieren.
({12})
Nur wenn wir Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer
reformieren, werden wir die Unternehmen in Deutschland halten und dafür sorgen, dass sie auch in Deutschland Steuern zahlen. Aber nicht nur die Steuerzahlungen
der Unternehmen sind wichtig; vielmehr soll die Steuerreform auch als zusätzlicher Hebel für Wachstum und
Beschäftigung auf den Weg gebracht werden.
Auch wenn die verbesserte Abzugsfähigkeit von
haushaltsnahen Dienstleistungen und die vorübergehende Erhöhung der degressiven Abschreibung nur als
kleine Schritte wahrgenommen werden, sind es doch
Schritte in die richtige Richtung. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf einem guten Wege sind, wenn wir
das, was wir als Koalition schon gemeinsam auf den
Weg gebracht haben, Schritt für Schritt weiterentwickeln, darauf aufbauen und dem alles unterordnen, was
zusätzliches Wachstum und damit Beschäftigung und
den Abbau von Arbeitslosigkeit schafft. Dann haben wir
entscheidende Schritte unternommen, um unser Land in
eine gute Zukunft zu führen.
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort Bundesminister Peer Steinbrück.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich möchte mich zu Beginn meiner
abschließenden Bemerkungen sehr herzlich für eine
weitgehend sachliche und problemorientierte Debatte
bedanken. Ich möchte mich insbesondere bei den Koalitionsfraktionen dafür bedanken, dass sie die dargelegte
finanzpolitische Strategie der Bundesregierung so stark
unterstützen.
Ich habe den Eindruck, dass diese große Koalition
auch die Chance bietet, einen etwas anderen Politikstil
einziehen zu lassen. Ich bin ziemlich sicher, dass die
Menschen das erwarten; denn sie haben kein großes Interesse an aufgeregten, ritualisierten Auseinandersetzungen, in denen wir nur aufeinander einprügeln.
({0})
Die Menschen wollen, dass wir zwar in der Sache hart
ringen, das aber sachlich, unpolemisch und unaufgeregt
tun. Dass das gelegentlich diejenigen enttäuscht, die eher
an fetzigen Auseinandersetzungen und schlimmen Tönen interessiert sind, ist mir sehr bewusst. Ich glaube
aber, dass diese Haushaltsberatungen der richtige Einstieg in einen neuen Politikstil sind. Es wäre für diese
große Koalition kleidsam, diesen Stil weiterhin zu pflegen.
({1})
Dass es nicht ganz ohne Rituale und den Aufbau von
Popanz geht - den größten Popanz enthielt Ihre Rede,
Frau Lötzsch; das ließ sich nicht mehr übertreffen - und
dass es viel Stehsatz gibt, ist klar; das gehört nun einmal
erkennbar dazu. Dass Herr Koppelin mir vorgeworfen
hat, meine Rede sei Lyrik gewesen, hat mich geehrt;
denn dieser Verdacht ist noch nie auf mich gefallen.
({2})
Ich werde das meiner Frau erzählen. Sie hat diesbezüglich schon immer höhere Erwartungen an mich gehabt.
({3})
Dass Sie meine Rede schon bewertet hatten, bevor ich
sie gehalten habe, eint Sie mit vielen anderen Oppositionsrednern. Gelegentlich sollte man aber aufpassen,
dass die verwendeten Bilder zu der Person passen, die
diese Bilder verkörpern sollen. Ich hätte mir jedenfalls
etwas mehr Originalität in den Ausführungen der Oppositionsredner gewünscht.
({4})
Herr Westerwelle, eines Tages eine Haushaltsdebatte
zu erleben, in der die Linken staatliche Transfers auf den
Prüfstand stellen und diese im Hinblick auf ihre Effizienz hinterfragen, anstatt ständig ein Plädoyer zu halten, dass diese Transfers erhöht werden müssen, oder
von der FDP zu hören, dass ein handlungsfähiger Staat
für die Leistungsbereitstellung mit den notwendigen
Ressourcen ausgestattet werden muss, wäre originell.
({5})
Ebenfalls originell wäre es, von den Grünen ein unübertroffenes Plädoyer zur Entbürokratisierung zu hören.
(Zuruf der Abg. Anja Hajduk ({6})
- Liebe Frau Hajduk, das habe ich lange Zeit hinter mir.
({7})
Früher hätte es mir passieren können - ich hoffe, dass
ich mich nicht vergaloppiere -, dass der Hund des Nachbarn in meinem Garten einen fahren lässt und Sie die
Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes angemahnt hätten. Es war jedenfalls nicht so weit davon
entfernt.
({8})
Ich komme nun zu den wichtigen finanzpolitischen
Einsichten. Dass Sie, Frau Flach, ebenfalls den einen
oder anderen Popanz brauchten, tut mir Leid, weil ich
Sie eigentlich sehr schätze. Aber wie Sie beispielsweise
darauf kommen, dass beim ALG II 4 Milliarden bis
5 Milliarden Euro zusätzlich beschlossen worden sind,
um anschließend zu fragen, wer vor wem einknickt, ist
mir ein Rätsel. Das haben Sie doch nicht nötig. Sie sollten hier Vermutungen nicht als Tatsachen darstellen.
({9})
Zu Ihrem Hinweis, dass der Subventionsabbau nicht
rechtzeitig beginnt: Sie wissen als Haushälterin doch
ganz genau, dass die verabschiedeten Maßnahmen ihre
volle Wirksamkeit schon aus technischen Gründen erst
nach einer gewissen Zeit entfalten können. Verleugnen
Sie Ihre eigene Urteilsfähigkeit an diesem Podium doch
nicht so sehr!
({10})
Dass man bei der Unternehmensteuerreform nicht
aus der Hüfte schießen kann, wenn sie nicht verunglücken soll, ist eigentlich klar. Sie haben gesagt, diese Reform müsse zum 1. Januar 2007 in Kraft treten. Aber das
würde bedeuten, dass sich dieses Hohe Haus spätestens
in zwei, drei Monaten mit dieser sehr gewichtigen und
komplexen Reform beschäftigen müsste.
({11})
Das kriegen Sie doch nicht hin; das wissen Sie doch.
({12})
- Sie haben die beiden Vorschläge doch noch nicht einmal gelesen. Wovon reden Sie denn eigentlich?
({13})
Sie surfen auf der Welle - ganz wie Sie heißen -, aber
Sie sind in der Materie gar nicht drin.
({14})
- Ich versuche, das ein bisschen interessanter zu machen, damit Sie alle aufwachen.
({15})
Wir haben eine ganze Reihe von finanzpolitischen Erkenntnissen vermitteln können und ich hoffe, dass sich
das öffentlich mehr niederschlagen wird. Es ist mehr
denn je deutlich geworden, dass wir eine solide Haushaltsführung brauchen, um Wachstum, Beschäftigung
und Wohlstand in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen.
({16})
Umgekehrt sind die öffentlichen Haushalte - ich beziehe
die kommunalen Haushalte und die Länderhaushalte
gerne mit ein - nur zu konsolidieren im Zusammenhang
mit mehr Wachstum,
({17})
einer größeren Wetterfestigkeit der sozialen Sicherungssysteme
({18})
und mit Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt. Das ist
eine wechselseitige Beziehung.
({19})
Ich halte daran fest - Frau Flach, es ist kein Dogma,
sondern es ist eine nüchterne Analyse -, dass das Hauptproblem des Bundeshaushaltes Strukturprobleme sind,
insbesondere auf der Ausgabenseite. Ich stehe damit
nicht alleine. Da der Monatsbericht der Bundesbank
wohl unverdächtig ist - die Bundesregierung wird darin
kritisiert -, darf ich darauf hinweisen, dass es in seiner
Ausgabe März 2006 heißt - ich zitiere -: Die Analyse
zeigt, dass für den starken Defizitanstieg nach dem
Jahr 2000 zwar auch konjunkturelle Einflüsse eine
Rolle gespielt haben. Ausschlaggebend war aber
der Rückgang der strukturellen Einnahmenquote …
({20})
Es wäre gut, wenn Sie das in Ihren Diskussionsbeiträgen
einmal berücksichtigen würden.
({21})
Im Bundesbankbericht wird weiter ausgeführt:
Die strukturellen Einnahmen des Staates sanken in
Relation zum Trend-BIP seit dem Jahr 2000 um
rund vier Prozentpunkte.
Das macht weite Teile unseres Problems aus.
Ich will noch einmal ein Plädoyer für beides halten
- ich nenne es weiterhin die doppelte Tonlage, auch
wenn Sie mit dem Bild nichts anfangen können -: Auf
der einen Seite geht es darum, die Haushalte - nicht nur
den Bundeshaushalt - zu konsolidieren. Auf der anderen
Seite geht es darum, Impulse zu geben. Alleine das
Wachstums- und Beschäftigungsprogramm der Bundesregierung dürfte in einer hohen Dimension dazu beitragen, die Entwicklung des Wachstums und der Beschäftigung in Deutschland zu unterstützen. Wir reden
nämlich nicht nur von den 25 Milliarden Euro, wir reden
auch von den 12 Milliarden Euro, die von anderen Gebietskörperschaften hinzukommen, und wir reden über
Multiplikatoreffekte, die es in diesem Zusammenhang
insbesondere beim Mittelstand geben wird. Man denke
nur an die Handwerker, die stark begünstigt sein dürften
von den degressiven Abschreibungsmöglichkeiten, von
der Istbesteuerung bei der Umsatzsteuer und von der
Möglichkeit, dass nun auch Privathaushalte Handwerkerdienstleistungen steuerlich absetzen können. Dasselbe gilt für die zusätzlichen 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung. Sie werden selbstverständlich
zusätzliche gewerbliche Investitionen induzieren.
Wir reden also über einen wirklichen Schub. Ich habe
nie behauptet, dass das den Urknall auslöst, dass uns das
sprungartig nach vorne bringt. Aber die Unterschnittigkeit, mit der andere, insbesondere die FDP, es darstellen,
kann ich nicht teilen.
Dass dies alles aus der Sicht der Linken zu wenig ist
- sie hätte gerne einen viel expansiveren Haushalt -,
habe ich schon vor dieser Debatte gelernt. Der entscheidende Punkt ist: Wie das finanziert werden soll, beantworten Sie nie. Nie bekommen wir von Ihnen eine solide
Aussage dazu.
({22})
Die Staatsversessenheit, die Fixierung auf staatliches
Handeln
({23})
ist bei Ihnen in einem Ausmaß ausgeprägt, das ich nur
mit Mühe nachvollziehen kann.
Ich gebe zu, auch die FDP kommt - nicht nur in dieser Haushaltsdebatte - bei einem anderen Punkt nicht
auf einen Nenner. Sie wollen dreierlei, was unvereinbar
ist: Sie glauben, dass Haushaltskürzungen, Steuersenkungen und eine Abnahme der Nettokreditaufnahme
gleichzeitig möglich sind.
({24})
Sie müssen den Menschen erklären, wie das funktionieren soll.
({25})
- Es funktioniert nicht; es ist ein Grundirrtum.
({26})
Alles drei zusammen lässt sich nicht erreichen. Sie
streuen den Menschen Sand in die Augen, wenn Sie sagen, Sie könnten noch mehr sparen. Als ob sich das auf
die Konjunktur überhaupt nicht auswirken würde, als ob
das irrelevant für das Wachstum wäre! Gleichzeitig versprechen Sie weitere Steuersenkungen, massiv gesenkte
Steuersätze, ohne dass die Verschuldung steigt. Nein, sie
soll auch noch sinken!
({27})
Das ist das Dilemma, in dem Sie stecken, und da lasse
ich Sie auch nicht heraus.
({28})
Ich will auf einzelne Punkte eingehen. Ich habe mit
großer Aufmerksamkeit beobachtet, wie häufig Sie, Herr
Koppelin, von Verfassungsbruch gesprochen haben.
Das ist klar kalkuliert: Sie wollen es damit in die Überschriften der Zeitungen schaffen.
({29})
Natürlich wissen Sie,
({30})
dass dieser Haushalt keinen Verfassungsbruch darstellt.
({31})
- Nein, tut er nicht. Wenn Sie aber der Meinung sind,
dann möchte ich gerne, dass ein Fragebogen von Ihnen
als Mitglied des Haushaltsausschusses ausgefüllt wird,
ob Sie den Art. 115 GG kennen. Diesen Fragebogen
könnten Sie nicht ausfüllen; denn dieser Art. 115 legt
fest, unter welchen Bedingungen die Regelgrenze der
Verschuldung durchaus überschritten werden kann. Genau dem folgen wir.
Mit Ihrem Beitrag wollten Sie also erkennbar Zeitungsüberschriften erreichen, nach dem Motto: Wir kleben euch die Plakette des Verfassungsbruchs bzw. der
Verfassungswidrigkeit an. Dieser Haushalt ist nicht verfassungswidrig. Er stellt keinen Verfassungsbruch dar.
({32})
Vielmehr nimmt er die Ausnahmemöglichkeiten des
Art. 115 in Anspruch, um eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren.
Im Übrigen, Herr Koppelin, ist das eine Operation,
die die FDP in den Landtagen von Nordrhein-Westfalen
und - wenn ich mich nicht täusche - in Niedersachsen
durchaus mitmacht. Was kritisieren Sie hier also? Sie
sind doch dabei.
({33})
Sie sind in den Ländern bei genau derselben Operation
vollständig dabei, wo Sie sich hier mit großer Chuzpe
hinstellen und uns sagen: Ihr begeht einen Verfassungsbruch, das ist verfassungswidrig. Das sind Fensterreden,
von denen ich die Hoffnung habe, dass sie eines Tages
von diesem Pult aus unterbleiben könnten.
({34})
Herr Solms hat in seinem Beitrag gemeint, es müsste
doch zu schaffen sein, mal soeben 6 bis 7 Milliarden
Euro in 2006 einzusparen. Richtig ist der Hinweis, dass
wir ungefähr 15 bis 16 Milliarden Euro über der Regelgrenze liegen. Ich will versuchen, Ihnen Beispiele zu geben, was es hieße, jetzt, im Jahre 2006, diese Regelgrenze einzuhalten. Das würde zum Beispiel bedeuten,
dass man den Zuschuss an die Rentenkasse um ungefähr
diese 15 bis 16 Milliarden Euro kürzen müsste. Das liefe
auf eine Rentenkürzung von 7,5 Prozent hinaus; 7,5 Prozent Rentenkürzung bei einem Anteil von 50 Prozent der
Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, die allein auf
die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen sind.
Wenn Sie das wollen, dann möchte ich gerne, dass Sie
das hier auch sagen.
({35})
Dann möchte ich, dass Sie den Rentnerinnen und Rentnern der Bundesrepublik Deutschland sagen: Wir sind
dafür, dass 7,5 Prozent Rentenkürzung stattfindet.
Oder aber Sie müssten zu einer Halbierung beim
Arbeitslosengeld II kommen.
({36})
Sie müssten sich hier hinstellen und sagen: Ja, die Leistungen an die ALG-II-Bezieher werden halbiert.
Oder Sie müssten zum Beispiel sagen, dass die Streichung des Erziehungsgeldes, des Mutterschutzes, der gesamten landwirtschaftlichen Sozialpolitik und des
Wohngeldes nicht einmal ausreicht - es wäre die
Hälfte -, um die Regelgrenze der Verfassung wieder einzuhalten.
All das sagen Sie nicht. Vielmehr weichen Sie leichtfüßig immer auf das Thema Kohle aus. Ich sage Ihnen
und auch dem uns zuhörenden Publikum: Es ist undenkbar, bei der Kohle einen einzigen Euro zusätzlich in diesem Jahr einzusparen.
({37})
Warum? Weil es eine rechtskräftige Landschaft von Bewilligungsbescheiden gibt. Das weiß Herr Bonde offenbar auch; er reitet auf diesem Gaul aber dennoch so
lange weiter, bis der Gaul tot umfällt.
({38})
Sie machen das einfach wider besseres Wissen. Sie
wissen genau, dass es rechtskräftige Bewilligungsbescheide gibt. Das heißt, wenn wir die Subventionen bei
der ohnehin vorgesehenen Degression kürzen würden,
dann bräuchte es nur ein einziges Verwaltungsgericht,
um diese Entscheidung zu verhindern. Sie wissen das
genau, aber das spielt bei Ihnen keine Rolle. Herr
Westerwelle redet sogar von Milliarden, die hier in den
nächsten Jahren eingespart werden könnten. Herr
Kampeter hat in der Sitzung am letzten Dienstag den
richtigen Buchtitel dazu zitiert.
Bei Ihrer Rede, Herr Bonde, hatte ich übrigens den
Eindruck, Sie wären in den vergangenen Jahren nie dabei gewesen.
({39})
Ihre Hinweise zum Thema Generationengerechtigkeit
will ich gar nicht in Abrede stellen; ich selber habe ja
auch so geredet. Aber ich habe mir gedacht: Wo waren
denn die Grünen, als es um die Nettokreditaufnahme von
38 Milliarden Euro im Jahre 2003 ging? Waren Sie alle
weg oder wo waren Sie?
({40})
Ich glaube, da gilt ein bisschen der Satz: Hochverrat ist
eine Frage des Datums. Könnte das sein?
({41})
- Nein, ich bin so schön im Fluss, Frau Hajduk. Ich
komme noch zu Ihnen, will aber vorher noch eine andere
Bemerkung machen, die ich sehr ernst meine.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hajduk?
Nein, sie will mich doch nur aus dem Konzept bringen.
({0})
Herr Lafontaine ist heute nicht da. Ich wäre Ihnen
dankbar, Herr Claus, wenn Sie einmal Herrn Lafontaine
- wenn Sie ihn sehen - die Frage stellen könnten, warum
es ihn so stark reitet, immer Oswald Spengler zu zitieren.
Wie kommt Herr Lafontaine dazu, Oswald Spengler
mehrfach in seinen Beiträgen zu zitieren, wo dieser
Oswald Spengler doch ideengeschichtlich ein Vorbereiter des Faschismus gewesen ist?
({1})
In einem seiner Bücher wird die eurasische Gefahr beschrieben. Haben Sie das gelesen? Entspricht das dem,
was Sie für richtig halten?
Im Übrigen erinnern mich seine Reden in der Tat zunehmend an die Zeit, in der Oswald Spengler publiziert
hat, nämlich in den 20er- und 30er-Jahren des letzten
Jahrhunderts. Sie haben eine derart protektionistische
und nationalistische Sicht, auch bei der Betrachtung des
Finanzkapitals, dass ich Ihnen sagen muss: Wir sind im
21. Jahrhundert angekommen.
({2})
Ich befürchte, dass wir in der nächsten Rede eines
Abgeordneten Ihrer Fraktion den Vorschlag hören, in der
Bundesrepublik Deutschland Kapitalverkehrskontrollen
einzuführen.
({3})
Man kann über Beteiligungskapital reden, so viel
man will. Man wird dabei auch sehr viele kritische Beispiele finden. Es würde mir noch mehr Freude als bisher
bereiten, auf dem Stuhl des Finanzministers zu sitzen,
wenn in einer Ihrer Reden einmal darauf hingewiesen
würde, von welch zunehmend eminenter Bedeutung das
Beteiligungskapital für die Finanzierung deutscher Unternehmen ist. Auf diesem Gebiet hat sich in den letzten
zehn Jahren viel geändert, zum Beispiel eine immer stärkere Abwendung von der Kreditfinanzierung, übrigens
verbunden mit einer Zurückdrängung der alten Deutschland AG und einer wachsenden Bedeutung von privatem
Beteiligungskapital für die Finanzierung des Mittelstands. Aber von Ihnen kommt nichts dergleichen, gar
nichts. Eigentlich ist alles, was ich diesbezüglich höre,
ziemlich borniert und engstirnig.
({4})
Frau Hajduk, wenn Sie aufhören, zu telefonieren, gestatte ich Ihnen, mir eine Zwischenfrage zu stellen.
({5})
Frau Hajduk, Sie beklagen etwas, was ich im Ergebnis nicht viel anders sehe als Sie, nämlich die Tatsache,
dass die Neuverschuldung bei 38 Milliarden Euro liegt.
Ich habe Ihnen im Haushaltsausschuss erklärt, warum
die Neuverschuldung nicht - wie im abgelaufenen Jahr bei 31 Milliarden Euro liegt, sondern bei 38 Milliarden
Euro. Das heißt, Sie wissen, warum es so ist. Sie wissen,
dass 3 Milliarden bis 4 Milliarden Euro einen Einmaleffekt darstellen, der geringer ist, als von Hans Eichel ursprünglich kalkuliert. Das geht auf die Verabredung der
großen Koalition zurück. Sie wissen, dass 3 Milliarden,
4 Milliarden, bis zu 5 Milliarden Euro den ersten Schub
des Impulsprogramms ausmachen sollen. Das hat diese
Koalition ganz gezielt auf den Weg gebracht.
3 Milliarden Euro stehen in Zusammenhang mit Mehraufwendungen im Rahmen des Arbeitslosengelds II bzw.
Hartz IV. Ohne diese Effekte würde die Neuverschuldung nominal unter der Nettokreditneuaufnahme des
Jahres 2005 liegen.
({6})
Die drei Gründe dafür, dass das nicht so ist, habe ich Ihnen gerade noch einmal genannt.
Gegen Ende Ihrer Rede haben Sie Ausführungen gemacht, die ich im Prinzip ebenfalls nachvollziehen kann;
gelegentlich trage ich dasselbe vor. Es geht um das Problem der vornehmlichen Belastung des Produktionsfaktors Arbeit mit Sozialversicherungsabgaben zur Finanzierung des sozialen Sicherungssystems. Sie haben
danach zu Recht gefragt. Wenn Sie das Thema Steuerfinanzierung sukzessive aufgreifen, dann müssen Sie
mir, der Koalition, der Bundesregierung und der Öffentlichkeit irgendwann einmal sagen, welche Steuerart Sie
meinen und um wie viele Prozentpunkte Sie die entsprechende Steuer erhöhen wollen. Die Beantwortung dieser
Frage sind Sie in all Ihren bisherigen Beiträgen schuldig
geblieben.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Hajduk?
Ich höre Frau Hajduk gerne zu.
Sehr geehrter Herr Finanzminister, es ist richtig, dass
Sie mir erklärt haben, wie die Nettokreditaufnahme in
Höhe von 38 Milliarden Euro in diesem Jahr zustande
kommt. Sie wissen, dass ich den Verabredungen der großen Koalition nicht in allen Teilen folge. Deswegen haben wir da einfach eine Differenz, die es zwischen Regierung und Opposition ruhig geben darf.
({0})
Sie haben uns Grüne gefragt, wo wir gewesen seien,
als wir im Jahr 2003 in diesem Haus eine sehr hohe Nettokreditaufnahme mitverantwortet haben. Herr Bonde
und auch ich haben hier gesessen und das Haushaltsgesetz verabschiedet. Ist Ihnen bekannt, dass das Wachstum im Jahr 2003 wesentlich schwächer war als das
Wachstum, das für dieses Jahr prognostiziert wird?
Teilen Sie meine Auffassung, dass es in nicht nur arbeitsmarktpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch
schlechten Zeiten wichtig sein kann, eine höhere Neuverschuldung in Kauf zu nehmen, dass es dagegen in
Zeiten der wirtschaftlichen Erholung - darin befinden
wir uns in diesem Jahr unbestreitbar - besser ist, anders
vorzugehen und bei der Nettokreditaufnahme deswegen
zurückhaltender zu sein? Diesen Zusammenhang müssen Sie als Finanzminister immer im Blick haben. Oder
irre ich da?
Nein, da irren Sie nicht. Den Zusammenhang sehe
ich. Ich gebe Ihnen auch zu, dass das Wachstum im
Jahr 2003 ungünstiger gewesen ist als heute.
({0})
- Jetzt kommt es, Herr Bonde: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist in diesem Jahr schlechter als 2003. Das ist
einer der Gründe dafür, dass die Bundesregierung auf
der Einnahme- und auf der Ausgabenseite alles unterlassen wird, was den sich aufhellenden Konjunkturhorizont
eintrüben könnte. Alle die von Ihnen vorgeschlagenen
Maßnahmen - die Linken wollen auf der Einnahmeseite
ansetzen und die Grünen wollen weitere Sparmaßnahmen - würden dazu beitragen, dass dieses Wachstum geringer ausfällt.
({1})
Das ist die Grundphilosophie, die ich für richtig halte
und die ich verteidige: Wir müssen die Schrittabfolge
entsprechend gestalten. Wir müssen 2006 wirklich alles
unterlassen, was den Rückenwind beeinträchtigen
könnte, weil zuzugeben ist, dass die Mehrwertsteuererhöhung Anfang des Jahres 2007 zur Sanierung der Haushalte einen konjunkturdämpfenden Effekt haben wird.
Ich will auf einen Debattenbeitrag von den Linken zurückkommen - ich weiß nicht, ob er von Frau Kipping
oder von Frau Möller gewesen ist -, in dem der Vorschlag enthalten war - ich sage das nur, um Ihnen die
Proportionen deutlich zu machen -, den ALG-II-Regelsatz von 200 - ({2})
- Entschuldigung - von 345 Euro auf 420 Euro zu erhöhen. Wissen Sie, was das kostet? Das kostet
3,5 Milliarden Euro.
({3})
Wie können Sie einen solchen Vorschlag in die Welt setzen, ohne den Menschen gleichzeitig zu erklären, wie
das finanziert werden soll,
({4})
ohne dass man weiter in die Verschuldung geht?
({5})
Nun zu Ihren beiden Vorschlägen. Ihre grandiosen
Vorschläge betreffen die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer. Ich habe mir einmal auflisten lassen, zu
welchen Mehrausgaben Ihre Vorschläge führen. Das ist
hoch zweistellig! Ich sage das, damit die Dimension klar
ist. Über steuersystematische Schwierigkeiten, insbesondere bei der Vermögensteuer - Stichwort: Betriebsvermögen -, will ich gar nicht reden.
Das Aufkommen der Erbschaftsteuer beträgt im Augenblick 4,1 Milliarden Euro. Was glauben Sie denn, um
wie viel das, rein theoretisch, zu steigern ist? Was glauben Sie denn, was man drauflegen kann, ohne dass es zu
Ausweichmanövern kommt, die natürlich eher dazu führen, dass das Steuersubstrat aus Deutschland weggeht?
Was glauben Sie, was wir bei der Vermögensteuer an
Einnahmen gehabt haben? Im letzten Jahr vor ihrer Abschaffung, 1996, war das nicht zweistellig. Es waren
4,5 bis 4,6 Milliarden Euro. Was glauben Sie denn, was
man da tun kann, um Ausgabenblöcke von der Dimension zu finanzieren, die Sie ständig fordern? Das ist doch
aussichtslos. Für etwas mehr Seriosität in der Diskussion
wäre ich sehr dankbar.
Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren;
ich muss mir aus Zeitgründen einiges sparen. Ich weiß,
dass wir gelegentlich, fast wöchentlich, von Zeitungsmeldungen unter einen bestimmten Eindruck gesetzt
werden. Sie weisen für die Entwicklung in diesem Jahr
etwas aus, das viele als Bezugspunkt nehmen, um zu sagen: Oh, das wird alles gar nicht so schlimm;
({6})
wir haben eigentlich keine Probleme; wir könnten bei
der Mehrwertsteuer runter; alles Friede, Freude, Eierkuchen. Ich möchte Sie alle einladen, diesen Meldungen
nicht zu folgen.
({7})
Bis in die jüngste Zeit habe ich Zeitungsartikel gelesen, in denen nicht Vertreter von deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten, aber von Banken plötzlich
sagen: 2,5 Prozent Wachstum. Ich rate dazu, die Vorsicht, die wir in dieser Koalition verabredet haben, weiter walten zu lassen.
({8})
Es gibt zwei oder drei Professoren, die Mitglieder des
Steuerschätzerkreises sind, die am 25. März genau wissen, wie die Mehreinnahmen in diesem Jahr sein werden,
obwohl dieser Steuerschätzerkreis erst, ich glaube, am
11. oder 12. Mai tagt. Im Übrigen: Wir haben dem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung eine aktuelle
Steuerschätzung zugrunde gelegt. Darin sind bereits
4 Milliarden Euro Mehreinnahmen in diesem Jahr eingespeist. Das heißt, selbst wenn das realistisch wäre, wäre
- das müssen Sie wissen - der Spielraum nicht da.
Dasselbe gilt mit Blick auf die Wachstumsentwicklung und die Folgerungen sowie mit Blick auf die Steuermehreinnahmen für die Gebietskörperschaften.
Noch einmal: In der Lage, in der wir sind, gilt: Die
Kommunen als Investoren mit ihrer Bedeutung für Gewerbe und Handwerk sowie die Länder, von denen über
die Hälfte schon im Haushaltsaufstellungsverfahren die
Regelgrenze verletzen muss, brauchen diesen Schritt auf
der Einnahmeseite, so schwierig das ist.
Jede Alternative hat auch Auswirkungen auf die Konjunktur. Wenn man so sparen würde, wie Sie es für möglich halten, geht das in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung genauso ein wie ein Entzug von Kaufkraft über
die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
({9})
- Aber entschuldigen Sie! Das ist zweites Semester, Frau
Flach.
({10})
Es wäre doch gut, wenn Herr Kubicki einmal hier wäre.
Der würde das wenigstens verstehen.
({11})
Ich habe etwas überzogen; der Präsident mahnt mich.
Deshalb erspare ich mir eine Schlussapotheose. Ich bin
für die konstruktive Unterstützung, die ich von den beiden Koalitionsfraktionen erhalten habe, sehr dankbar.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Otto Fricke, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Steinbrück, Sie haben am Anfang Ihrer Rede etwas über Stil gesagt. Zum Stil gehört auch,
dass man, wenn man relativ zum Schluss redet und nur
noch eine Oppositionsfraktion antwortet, nicht in dieser
Art und Weise auf die beiden anderen Oppositionsfraktionen draufhaut, die nicht die Möglichkeit haben, darauf
zu reagieren.
({0})
Auch dieses Oberlehrerhafte „zweites Semester, Frau
Flach“ ist nichts, was man mit einem Bundestagsabgeordneten machen sollte, der hier versucht, ordentliche
Arbeit zu leisten.
({1})
- Ja, so ist die große Koalition: gottgegeben. Aber jetzt
wollen wir doch wieder herunterkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen; jetzt hört die große Koalition einfach einmal zu.
Angesichts einer solchen Koalition ist es das Beste,
man holt sich erst einmal Hilfe von oben. Ich zitiere einmal aus den Apokryphen, - in der Bibel im Buch Jesus
Sirach -, also aus dem Buch der Bücher
Sei kein Prasser und gewöhne dich nicht ans
Schlemmen, damit du nicht zum Bettler wirst, der
andre auf Borgen bewirtet, weil er selber kein Geld
mehr im Beutel hat.
Diesen Satz sollte sich jeder Haushälter, aber auch jeder Abgeordnete hinter - Entschuldigung - die besagten
Löffel schreiben. Denn wenn wir uns zukünftig nicht daran halten, machen wir den Fehler, den auch alle vor uns
immer schon gemacht haben, nämlich auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben.
Herr Minister, Sie haben gesagt, das, was die FDP
vorschlage, gehe alles nicht, sei unzulässig, würge ab,
sei sozial kalt.
({2})
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Von den Vorschlägen,
die wir bisher gemacht haben, betrifft keiner die Sozialleistungen. Es sind vernünftige Vorschläge.
Beim letzten Mal - deshalb habe ich dieses wunderschöne „Liberale Sparbuch“ mitgebracht, von dem ich
weiß, dass viele es nicht mehr sehen können, weil sie
sich darüber ärgern - hieß es: 450 Anträge von der FDP,
alles Blödsinn, alles nichts wert, machen wir nicht. Aber
was stellt man fest, wenn man sich die Istzahlen des besagten Jahres, aus dem unsere Zahlen stammen, anschaut? Sie haben die Ansätze in über 40 unserer Anträge sogar noch unterschritten. Da haben wir wohl noch
mehr Luft gehabt.
Hier will ich eines klar in Richtung große Koalition
sagen: Die Behauptung, das ist alles nichts wert, wenn
eine Opposition sich die Mühe macht, Kürzungsvorschläge zu unterbreiten, wird stets durch die Realität des
Haushaltes und der Istzahlen widerlegt.
({3})
Warum machen wir den Vorschlag, weiter zu kürzen,
Herr Steinbrück? Wir haben Verträge geschlossen, pacta
sunt servanda. Wir haben nicht nur mit den Bürgern auf
europäischer Ebene Verträge geschlossen, Kollege
Kampeter, sondern auch mit den Ländern. Wir haben uns
verpflichtet, die 3-Prozent-Grenze einzuhalten, und
zwar nicht so langsam wie möglich, sondern so schnell
wie möglich.
({4})
Wenn wir, Herr Steinbrück, nicht, wie im letzten Jahr unter Hans Eichel, bei 3,3 Prozent sind, sondern, wie Sie
selber aufgrund der aktuellen Zahlen genau wissen - Sie
wissen ja, was bei der Gewerbesteuer und ansonsten
noch dazugekommen ist -, in Richtung 3,1 Prozent gehen
({5})
- mag ja sein, aber es wird weniger; es werden keine
3,3 Prozent sein -, dann können Sie hier keinen Haushalt
vorlegen, bei dem mehr Geld ausgegeben wird und bei
dem die Neuverschuldung noch über die des Vorjahres
steigt.
({6})
Zur Frage Verfassungsbruch ja oder nein. Lassen
wir das mal ein bisschen außen vor. In der Verfassung
steht eine Regel: Sie dürfen nicht mehr Schulden machen, als Sie investieren.
({7})
Diese Regel brechen Sie; darüber sind wir uns einig.
Dann sagt die Verfassung: Ausnahmsweise - nicht fünf,
sechs, sieben Jahre hintereinander ({8})
darf der Staat diese Regel brechen, wenn ein Ungleichgewicht besteht.
({9})
Aber man kann sie nicht aufgrund eines Ungleichgewichts brechen und dann noch mehr Geld auf die falsche
Seite legen. Das aber machen Sie mit diesem Haushalt.
({10})
Dann haben Sie - das haben alle Redner sehr gerne
getan - die Bundesbank zitiert, auch eben wieder. In ihren Berichten steht viel Richtiges. Von dem, was der
Bundesbankpräsident uns immer wieder ins Haushaltsbuch schreibt, können wir alle viel lernen. Nur eines haben Sie verschwiegen: Er sagt, dass wir Einnahmeprobleme haben - aber nicht bei den Steuern; dort bedarf es
nur kleiner Korrekturen -, weil wir zu wenige Jobs haben und daher zu wenig in die Sozialsysteme eingezahlt
wird. Da können Sie ruhig den Kopf schütteln. So hat es
der Bundesbankpräsident gesagt. Sie erhöhen die Steuern, obwohl der Fehler in den Sozialsystemen liegt. Das
ist genau dem entgegengesetzt, zu dem uns die Bundesbank in ihren Empfehlungen rät.
({11})
Die Ursache für unsere Probleme sind die fehlenden
Jobs. Ich spreche keinem Politiker ab, dass sein erstes
Ziel ist, die Menschen in geregelte Arbeit zu bringen.
Wer etwas anderes behauptet, der macht einen Fehler in
der Auseinandersetzung. Wir streiten über die besten
Ideen. Ich bin sicher, Herr Minister, wir werden nachher
noch ein kleines Tête-à-tête haben.
({12})
Ich will noch auf einen weiteren Punkt im Zusammenhang mit dem Haushalt eingehen. Die eine Seite
sagt, dies sei eine Wende in der Finanzpolitik. Die andere Seite sagt, dies sei Kontinuität in der Finanzpolitik.
Die Kolleginnen und Kollegen in der Mitte des Hauses
sagen, es sei keine Kontinuität, aber auch keine Wende
in der Finanzpolitik.
Das Problem mit diesem Haushalt ist, dass die rotschwarze Koalition - statt einer rot-grünen haben wir
eine rot-schwarze; Schwarz ist ja bekanntlich ziemlich
nahe an Grün im Farbspektrum - nicht bereit ist, sich
von Dingen zu trennen, an die man sich über Jahre gewöhnt hat.
({13})
Ich habe nicht einen Posten gefunden, bei dem Sie gesagt haben, dass wir diese und jene Behörde nicht brauchen und dass wir dieses und jenes Institut schließen
können.
({14})
Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, wir stünden im globalen Wettbewerb.
Das stimmt. Dann hat sie weiter gesagt: mit China, mit
Indien, mit Brasilien, mit Mexiko und mit Südafrika.
Aber all diesen Ländern, mit denen wir im globalen
Wettbewerb stehen, geben wir immer noch Entwicklungshilfe, obwohl beispielsweise ein Land wie Mexiko
im letzten Jahr allein durch die Ölpreissteigerung
1 Milliarde Euro mehr verdient hat. Stoppen wir diese
Hilfe? Nein! Dies ist die Kontinuität der großen Koalition: Schwarz macht bei Rot in dieselbe Richtung mit.
({15})
Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Auf der Insel
Vilm gibt es eine Fortbildungseinrichtung mit eigener
Fähre und zwei Fährschiffern. Aber davon kann man
sich nicht trennen. Wir brauchen sie, weil wir in
Deutschland anscheinend zu wenige Orte haben, an denen wir diskutieren und tagen können. Wenn man die
Frage aufwirft, ob sich der Staat nicht von solchen Dingen trennen sollte, dann kommt die Antwort, das gehe
auf keinen Fall, weil man dies irgendwann vor vielen
Jahren einmal so beschlossen habe.
Wir geben 250 000 Euro Steuergelder für die Beratung von Leuten aus, die aus Deutschland wegziehen
wollen, obwohl wir ihre Arbeitskraft hier gut gebrauchen können; wir helfen ihnen mit Steuergeldern auch
noch, aus Deutschland wegzugehen. Im Haushalt stecken also sehr viele Widersprüche. Aber die rotschwarze Koalition kann sich nicht von solchen Positionen im Haushalt trennen.
({16})
Ein Betrag von 25 Milliarden Euro verteilt über vier
Jahre ist gemessen an 2,3 Billionen Euro Bruttoinlandsprodukt sehr wenig. Zwischen diesen beiden Zahlen besteht ein gewaltiger Unterschied. Noch schlimmer ist: Es
wurde gesagt, es würden Subventionen abgebaut. Diese
25 Milliarden Euro sind aber doch nichts anderes als
neue Subventionen, obwohl sie vielleicht in die richtige
Richtung gehen. Günstige Kredite sind Subventionen.
Auf der einen Seite wird die Subvention Eigenheimzulage gestrichen - das ist richtig; wir haben da zugestimmt -, aber auf der anderen Seite gibt es für die, die
bereits Häuser haben, weitere Subventionen in Form
zinsverbilligter Kredite. Das halte ich schlicht und einfach gesagt für Mumpitz.
({17})
Zu den Haushaltsrisiken ist schon einiges gesagt worden. Ich bin sehr gespannt auf die vielen Vorschläge, mit
denen angeblich die globale Minderausgabe aufgelöst
werden soll.
Wir arbeiten gut im Haushaltsausschuss zusammen.
Die Mitglieder haben mich, obwohl ich noch ein junger
Vorsitzender bin, gut aufgenommen. Dieser Ausschuss
wird reichlich Arbeit haben, weil auch noch die Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes ansteht. Ich warne die
große Koalition ausdrücklich davor, beim Haushaltsbegleitgesetz das Spielchen zu machen, kurz vor Toresschluss noch irgendwelche kleinen Schweinereien hereinzubringen, die wir im Husch-Husch-Verfahren beschließen und die uns nachher auf die Füße fallen.
Da Sie, Herr Steinbrück, sagen, dass wir im Sozialbereich kürzen wollen, muss ich Sie fragen: Haben die
Koalition und die Bundesregierung bei den Sozialleistungen bis jetzt keine Kürzungen vorgenommen? Würden Sie hier sagen: „Wir führen auch zukünftig bei Sozialleistungen keine Kürzungen durch“? Nein, das
würden Sie nicht tun; denn Sie haben es bereits getan.
Die Eigenheimzulage war - es ist richtig, dass sie abgeschafft worden ist ({18})
eine soziale Leistung für diejenigen, die sich, an der
knappen Kante lebend, ansonsten kein Haus hätten leisten können. Das war die Kürzung einer Sozialleistung.
Die Rente ab 67 ist die Kürzung einer Sozialleistung
für meine Generation.
({19})
Das ist vom Grundsatz her in Ordnung; aber was bei der
58er-Regelung und in anderen Bereichen geschieht, ist
nicht in Ordnung. Dies ist eine Kürzung von Sozialleistungen. Natürlich gilt dies erst für die Zukunft. Dies tut
nicht so weh und dies merkt der aktuelle Wähler nicht so
sehr.
Dann zu den Sonn- und Feiertagszuschlägen. Ich erinnere auch da an die Werbung der SPD im Wahlkampf; es
ging ja nicht nur um die Mehrwertsteuer. Da haben Sie
gesagt: Auf gar keinen Fall gehen wir an die Steuerfreiheit heran. Ich frage mich immer: Hat es nach der Wahl
neue Krankenschwestern gegeben, die nach Ansicht der
SPD auf einmal keine Steuerfreiheit mehr brauchen? Ich
bin sehr gespannt, wie das begründet wird.
({20})
Haushalt ist harte Arbeit, manchmal auch sehr viel
Klein-Klein; aber es lohnt sich, dieses Klein-Klein stetig
zu betreiben. Denn es geht um unsere Zukunft, um die
unserer Kinder und für viele auch schon um die ihrer Enkel. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses haben
77 Kinder und weit über 20 Enkel. Da liegt unsere Verantwortung.
Ich kann nur jedem raten: Denken Sie nicht daran,
was in einem, in zwei oder drei Jahren ist, sondern daran, wie Sie in 30 Jahren oder - sagen wir - mit 70 dastehen, wenn Sie Ihren Kindern erklären müssen, warum
dieser Staat, für den es sich lohnt, zu arbeiten, in dem
das Leben viel Spaß macht und der viel Freiheit bietet,
den Bach heruntergeht! Verhindern Sie das, Herr Minister, und seien Sie der Bannerträger!
({21})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Haushaltsgesetzes 2006 und des Finanzplans des Bundes 2005 bis
2009 auf den Drucksachen 16/750 und 16/751 an den
Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einVizepräsident Wolfgang Thierse
verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt
und weiterer Abgeordneter
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
-Drucksache 16/990 Überweisung:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Jörg van Essen, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren jetzt über ein Thema, das die Republik mehrere Wochen lang - zu Recht, wie ich finde - beschäftigt
hat. Wir alle wissen, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus für uns alle wichtig ist - und dies
vor allen Dingen in einem Jahr, in dem in Deutschland
die Fußballweltmeisterschaft stattfindet. Deshalb muss
über diesen Kampf im Deutschen Bundestag geredet
werden. Aber wir haben anhand der Umstände, die wir
im Auftrag des Untersuchungsausschusses niedergelegt
haben, auch gesehen, dass darüber gesprochen werden
muss, wo die rechtsstaatlichen Grenzen dieses Kampfes
liegen.
({0})
Das ist für uns als FDP-Bundestagsfraktion ein ganz
wichtiger Punkt.
Ich will das anhand einiger Untersuchungsgegenstände deutlich machen. Das sind zum einen die CIAFlüge und die Umstände, die mit der Verschleppung des
deutschen Staatsangehörigen el-Masri verbunden sind.
Jeder kann sich vorstellen, welche Aufregung in anderen
Ländern, unter anderem auch in den Vereinigten Staaten,
entstanden wäre, wenn beispielsweise ein amerikanischer Staatsbürger von einem fremden Staat entführt
worden wäre.
({1})
Deshalb ist es notwendig und sachgerecht, dass wir uns
damit beschäftigen.
Grenzen müssen zum anderen auch aufgezeigt werden, wenn wir hören, dass Angehörige unserer Strafverfolgungsorgane - es gehört zu den festen Säulen unserer
Demokratie, dass wir streng auf Rechtsstaatlichkeit
achten - in Syrien Menschen vernommen haben, wie
beispielsweise den Deutsch-Syrer Zammar,
({2})
der davon gesprochen hat, dass es bei den Vernehmungen Folter gegeben habe. Es kann nicht sein, dass durch
die Anwesenheit deutscher Ermittler, beispielsweise
auch in Guantanamo, bei denen, die solche Einrichtungen betreiben, der Eindruck entsteht, dass wir davon
klammheimlich profitieren wollen.
({3})
Einen solchen Eindruck darf ein Rechtsstaat nicht erwecken.
Nun zu einem letzten Punkt, der selbstverständlich
auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein
muss. Sie merken deutlich, dass dieses Thema für die
FDP nicht im Zentrum steht. Wir wissen nämlich, wie
wichtig gute Nachrichtendienste für unser Land sind.
Unser Ziel ist nicht, die Nachrichtendienste in die Ecke
zu stellen. Unser Ziel in einem Untersuchungsausschuss
ist es, unsere Nachrichtendienste zu stärken.
({4})
Nachrichtendienste arbeiten häufig in einer Grauzone.
Es ist nicht immer appetitlich, was die Mitarbeiter des
Bundesnachrichtendienstes tun müssen; aber sie tun es
für unser Land. Aufsicht und Kontrolle sind in diesem
Zusammenhang von zentraler Bedeutung,
({5})
und zwar durch die Dienstvorgesetzten, aber in gleicher
Weise auch durch die Politik.
Ich möchte einem Eindruck schon zu Beginn der Diskussion widersprechen. Wir kritisieren nicht, dass BNDMitarbeiter in Bagdad waren.
({6})
Sie haben sich freiwillig dafür gemeldet. Ich will deshalb ausdrücklich meinen Respekt gegenüber den beiden
Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes aussprechen, die diese gefährliche Mission auf sich genommen
haben.
({7})
Aber uns interessiert die politische Verantwortung für
die Dinge, die sie gemeldet haben. Es kann doch nicht
stehen bleiben, dass ein Bundeskanzler und ein Bundesaußenminister mit der Aussage „Wir beteiligen uns nicht
am Irakkrieg“ in den Wahlkampf gegangen sind, wenn
wir jetzt lernen, dass die Zusammenarbeit zwischen den
Deutschen - und zwar mit politischer Billigung - und
den Amerikanern in diesem Krieg möglicherweise viel
enger war, als nach außen hin der Eindruck erweckt worden ist.
({8})
Es ist auffällig, dass die Grünen in ihrem Vorschlag
eines Untersuchungsauftrags diese Frage nicht geklärt
sehen wollten.
({9})
- Herr Beck, regen Sie sich bitte ab! Es ist doch eine
Schutzbehauptung, wenn Sie sagen, dazu sei schon alles
bekannt.
({10})
Die Kollegen des Parlamentarischen Kontrollgremiums
waren doch dabei; wir sind alle Fragen mit ihnen durchgegangen.
({11})
In diesem Untersuchungsauftrag sind keine geklärten
Fragen enthalten, es handelt sich nur um ungeklärte Fragen.
({12})
Wir haben Ihren Geheimhaltungsanspruch in all den Debatten, die wir intern geführt haben, übrigens nie verletzt, lieber Herr Stünker.
Wir müssen aber auch nach den Konsequenzen fragen. Ich habe es vorhin schon deutlich gemacht: Nachrichtendienste, die vor Fehlern gefeit sind, können ihre
Arbeit am besten tun, weil sie dann nicht in die öffentliche Diskussion geraten. Deshalb ist für uns die Verbesserung der Kontrolle ein weiteres wichtiges Ziel. Es hat
sich zum Beispiel gezeigt, dass es nicht hinnehmbar ist,
dass die Fraktionsvorsitzenden, aber auch das PKGr
nicht über den Einsatz der beiden BND-Mitarbeiter im
Irak informiert worden sind. Das muss sich ändern.
({13})
Die Kontrolle muss verbessert werden; das sagen uns
übrigens auch Geheimdienstpraktiker.
Wir werden dieses Thema konstruktiv angehen. Wir
stärken damit unsere Nachrichtendienste und wir stärken
die Sicherheit unseres Landes. Das muss unser Anspruch
sein.
Vielen Dank.
({14})
Nun hat das Wort Kollege Bernhard Kaster, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Es ist das Recht des Parlamentes, es ist
Ihr Recht als Opposition, von der Möglichkeit unserer
Verfassung Gebrauch zu machen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wenn Sie hierzu die Notwendigkeit sehen. Wir sehen diese Notwendigkeit nicht.
({0})
Wir halten diese Entscheidung aus vielerlei Gründen, auf
die ich noch zu sprechen komme, schlichtweg für falsch.
Es ist der falsche Weg zur falschen Zeit.
Aber lassen Sie mich, damit kein Missverständnis
aufkommt, vorweg sagen: Wir werden Ihre Entscheidung respektieren und uns in aller Sachlichkeit und mit
aller Ernsthaftigkeit in diesen Ausschuss einbringen.
({1})
Wir werden in diesem Untersuchungsausschuss zu den
vier Themen, die Sie in diesem Antrag formuliert haben,
aktiv mitarbeiten.
Ein Untersuchungsausschuss darf aber kein Selbstzweck sein. Ein Untersuchungsausschuss ist nach unserer Verfassung das gewichtigste Instrument parlamentarischer Kontrolle und Information. Herr Kollege van
Essen, Sie benutzen oft das Wort vom „schärfsten
Schwert“, welches hier benutzt werde. Das ist ein Instrument, das eingesetzt werden soll, wenn wichtige Fragen
des Parlaments unbeantwortet geblieben sind oder mit
weiteren Antworten nicht zu rechnen ist.
Zu den Themen, die im Untersuchungsausschuss behandelt werden sollen, haben in der Vergangenheit zahlreiche stundenlange Sitzungen und Sondersitzungen des
Parlamentarischen Kontrollgremiums stattgefunden.
Dem Parlamentarischen Kontrollgremium wurde ein
224 Seiten umfassender Bericht vorgelegt. Wir alle, das
heißt 614 Mitglieder des Deutschen Bundestages, haben
einen 140-seitigen vertraulichen Bericht der Bundesregierung bekommen. Dieser Bericht enthielt ebenfalls detaillierte Informationen zu Vorgängen im Irakkrieg und
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Herr Kollege Beck, Sie sprachen heute Morgen, mit
Recht, von einer „Aufklärungsoffensive“. Sie sprachen
davon, 90 Prozent seien aufgeklärt und Ihr Antrag beziehe sich auf die übrigen 10 Prozent.
({2})
Dazu kann ich nur sagen: Auch die sind im üblichen
Verfahren, wenn Sie denn noch Fragen haben, ebenfalls
aufzuklären.
({3})
Der Kollege Nešković hat im März in einem Interview gesagt:
Die Bundesregierung hat einen Bericht über konkrete Operationen vorgelegt. Noch nie wussten wir
so viel über die Arbeit des BND.
({4})
An dieser Stelle sei mir die Frage erlaubt, in welchem
Land man vergleichbare Berichte, Berichte mit den Details, die hier geliefert wurden, erwarten kann.
({5})
Die Möglichkeiten des Parlamentarischen Kontrollgremiums und die Möglichkeiten öffentlicher oder geheimer Sitzungen des Innen-, des Auswärtigen oder des
Verteidigungsausschusses haben Sie nicht ausgeschöpft.
Umso mehr und umso kritischer muss die Frage nach der
politischen Botschaft und den politischen Zielen, die
diesem Untersuchungsausschuss zugrunde liegen, gestellt werden. Dies gilt insbesondere, wenn man sich die
angeführten Begründungen vor Augen führt. Man muss
wissen, wir sprechen über einen und nicht über drei Untersuchungsausschüsse.
Es ist außerordentlich bemerkenswert, welche Bündnisse eingegangen werden. Ich meine nicht die formalen
Bündnisse; formal muss das bei der derzeitigen Konstellation so sein. Ich meine inhaltliche Bündnisse. Welche
politischen Botschaften und welche politischen Ziele
verfolgt man gemeinsam?
({6})
Herr Westerwelle, die FDP sucht laut zahlreicher
Presseverlautbarungen - auch eben klang das an - die
Abrechnung mit der rot-grünen Bundesregierung und
stellt die Glaubwürdigkeitsfrage; Stichwort: Vergangenheitsbewältigung. Sie gibt aber auch ein staatstragendes
Bekenntnis zu den Nachrichtendiensten ab. Das ist in
Ordnung.
Sie tun dies aber im Bündnis mit der Linken, die die
Geheimdienste - das ist mehreren Pressemitteilungen zu
entnehmen - als Gefahr für die Demokratie verunglimpft.
({7})
Wer gestern die Debatte zum Einzelplan des Innenministeriums verfolgt hat, wer gehört hat, was seitens der Linken, insbesondere von Frau Jelpke, gesagt worden ist,
hat gesehen, welches Staatsverständnis dem zugrunde
liegt. Ich gebe das einmal wieder:
… Haushaltsentwurf des Innenministeriums: 70 Prozent der Gelder sind für Maßnahmen im Bereich
der Sicherheit.
Darüber empören sie sich.
Das bedeutet eindeutig eine weitere Stärkung des
Repressionsapparates. … Das Beste wäre im Übrigen eh, die Behörde aufzulösen …
Sie spricht von „Geisterjägern vom Verfassungsschutz“.
({8})
Das ist doch entlarvend. Es ist deutlich, was damit verfolgt werden soll.
({9})
Kollege Kaster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Westerwelle?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Alle Fragen
werden im Untersuchungsausschuss gestellt.
({0})
Lassen Sie mich an dieser Stelle, gerade angesichts
der Äußerungen zu unseren Nachrichtendiensten, die ich
zitiert habe, ein herzliches Wort des Dankes an all die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Nachrichtendienste richten, die in einer schwierigen Zeit schwierige
Aufgaben für die Sicherheit unseres Landes und unserer
Bevölkerung erledigen.
({1})
Da ist die Fraktion der Grünen, die das Ansehen grüner Außenpolitik in Gefahr sieht und deshalb den Untersuchungsausschuss - das haben wir heute Morgen in der
Geschäftsordnungsdebatte gehört - bereits bei der Einsetzung mit grundsätzlichen Debatten über die Kontrolle
der Nachrichtendienste und mit Themen wie Folter und
Menschenrechte beschäftigen will. Das sind natürlich
Ablenkungsmanöver, weil Ihnen der Untersuchungsauftrag - oder Teile davon - eigentlich unangenehm ist.
({2})
Der öffentliche Druck war einfach zu groß. Sie konnten
nicht mehr Nein sagen.
Bei Fragen rund um die Geheimdienste geht es auch
immer um Fragen der nationalen Sicherheit. Es war immer Konsens, die Themen und Gegenstände im Parlamentarischen Kontrollgremium aus berechtigten staatspolitischen Gründen nicht öffentlich zu behandeln.
Wenn Sie dennoch das Bedürfnis haben, die Kontrollmechanismen, die rechtlichen Rahmenbedingungen und vor
allem das Verhältnis zwischen Parlament, Bundesregierung und Nachrichtendiensten neu auszurichten, können
wir jederzeit hier im Parlament darüber diskutieren, es
abwägen und entscheiden. Dazu brauchen wir keinen
Untersuchungsausschuss.
({3})
Unsere Demokratie muss immer eine wehrhafte Demokratie sein. Hierzu bedarf es leider mehr denn je erfolgreich arbeitender Nachrichtendienste. In unserer
Rechtsordnung sind dies politisch kontrollierte Nachrichtendienste. Die Anforderungen an unsere Nachrichtendienste sind durch den internationalen Terrorismus
und seine weltweiten Verflechtungen so hoch und diese
Dienste sind sicherheitspolitisch so wichtig wie noch
nie. Mit diesem Untersuchungsausschuss stellen Sie unsere Nachrichtendienste in den Mittelpunkt des Interesses. Bei den Fragestellungen geht es auch um Details des
operativen Geschäfts. Das ist in dem Antrag enthalten.
Dazu sage ich, dass bei allem Verständnis für parteipolitische Profilierung, gewünschte und kalkulierte Skandalisierung und erhoffte öffentliche Aufmerksamkeit eines
bedacht werden und oberstes Gebot sein muss: Die
Funktionsfähigkeit und auch die Kooperationsfähigkeit
der Nachrichtendienste muss gewährleistet sein.
({4})
Sie können sicher sein, dass wir darauf achten werden.
({5})
Ich will in diesem Zusammenhang eine Frage an die
Oppositionsfraktionen stellen, nur so zum Nachdenken:
({6})
Glauben Sie, dass unsere und Ihre Kollegen in den Parlamenten in Madrid und in London mit diesem Thema genauso umgehen würden?
({7})
Wir werden uns in diesen Ausschuss einbringen. Wir
werden zuvor im Geschäftsordnungsausschuss eine
wichtige verfassungsrechtliche Frage klären; das ist auch
in Ihrem Interesse. Es geht um die Abgrenzung zwischen
Art. 44 und 45 a des Grundgesetzes. Diese ist wichtig;
wir müssen das Instrument ernst nehmen. Das ist in unser aller Interesse. Danach wird der Ausschuss seine Arbeit aufnehmen können.
Mühevoll, qualvoll und auch langwierig war das Zustandekommen des heutigen Antrages. Wir hoffen, dass
das kein Vorzeichen für diesen Ausschuss ist. Wir wollen keinen mühevollen, qualvollen und langwierigen
Untersuchungsausschuss. Die von Herrn Beck angemahnten 10 Prozent Beantwortungsbedarf werden wir in
aller Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit abarbeiten, auch
wenn man es anders hätte tun können. In dieser Art und
Weise werden wir uns einbringen.
Vielen Dank.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Guido Westerwelle.
Herr Kollege Kaster, da Sie mir die Möglichkeit der
Zwischenfrage nicht gegeben haben, möchte ich eine
Kurzintervention machen.
Meine erste Bemerkung ist: Wir haben nach unserem
Untersuchungsausschussgesetz jede Möglichkeit, Geheimhaltungen zu beschließen. Wir haben die Möglichkeit, einen Ermittlungsbeauftragten einzusetzen, so wie
es von den Freien Demokraten angeregt worden ist. Es
kann also in gar keiner Weise davon gesprochen werden,
dass die konkrete Arbeit von Geheimdiensten durch die
Tätigkeit des Untersuchungsausschusses gefährdet werden könnte.
({0})
Sie schieben eine Kulisse. Das ist in meinen Augen nicht
zulässig.
Zweitens. Dass Ihnen - Sie haben gesagt, für das
qualvolle Zustandekommen dieses Untersuchungsausschussauftrages seien vier Monate benötigt worden wenige Tage vor der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses plötzlich noch einfällt, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung durchgeführt werden müsse, ist
ein bemerkenswerter Vorgang und zeigt Ihre Art des
Umgangs mit dem eindeutigen Minderheitenrecht in diesem Hohen Hause, Herr Kollege Kaster.
({1})
Drittens - das will ich an dieser Stelle ganz klar sagen, weil Sie nach Allianzen und Bündnissen gefragt haben -: Ich glaube, dass die Linkspartei und die Freien
Demokraten wirklich unverdächtig sind, demnächst irgendwelche Bündnisse eingehen zu wollen.
({2})
- Herr Kuhn, nicht einmal in Ihren Albträumen sollten
Sie auf diese Idee kommen, jedenfalls nicht, was die
FDP betrifft.
({3})
Das, was Sie angesprochen haben, betrifft einen ganz
anderen Punkt. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir Freidemokraten würden diese Affäre viel lieber gemeinsam mit
Ihnen von der Union aufklären.
({4})
Aber Sie wollen lieber Ihren Koalitionspartner, die SPD,
schonen. Das ist der eigentliche Grund.
({5})
Wären Sie noch in der Opposition, stünden Sie längst an
der Spitze der Aufklärungsbewegung und würden genau
das Gegenteil von dem sagen, was Sie gerade gesagt haben.
({6})
Kollege Kaster, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Westerwelle, ich will auf Ihre letzte
Aussage eingehen. Sowohl zu Beginn als auch am Ende
meiner Rede habe ich in aller Deutlichkeit gesagt, dass
es für uns als Union eine Selbstverständlichkeit ist, uns
dem Untersuchungsausschuss, den Sie beantragen, mit
Ernsthaftigkeit zu stellen und die Dinge, die Ihrer Meinung nach noch aufzuklären sind, in aller Sachlichkeit
aufzuklären. Damit haben wir überhaupt kein Problem;
das muss sein.
Aber es muss auch erlaubt sein, darauf hinzuweisen,
dass ein Untersuchungsausschuss nach unserem Grundgesetz ein ganz besonderes Instrument ist. Daher stellt
sich die Frage: Wenn es - obwohl schon viele Informationen geflossen sind - noch so viele andere Möglichkeiten gibt, warum soll ausgerechnet dieses Instrument eingesetzt werden, ein Instrument, das mit bestimmten
Begleiterscheinungen auch in Bezug auf die politischen
Botschaften einhergeht? Denn es werden dadurch bestimmte Aspekte in den Mittelpunkt gerückt. Deswegen
ist auch der Hinweis berechtigt, dass unsere Nachrichtendienste zwangsläufig im Mittelpunkt des Geschehens
stehen werden. Dennoch werden wir uns der Arbeit in
diesem Ausschuss stellen und mit aller Sachlichkeit vorgehen.
Nun zur Frage der verfassungsrechtlichen Prüfung.
Zunächst einmal mussten wir doch abwarten, welchen
Untersuchungsauftrag Sie uns vorlegen. Sie haben bei
der Formulierung des Untersuchungsauftrags ja mühevolle Arbeit geleistet. Wenn in diesem Zusammenhang
eine wichtige Frage auftaucht, müssen wir ihr auch
nachgehen. Es hat ja schon seinen Grund, wenn hinsichtlich des Verteidigungsbereiches eine Abgrenzung zwischen Art. 45 a und Art. 44 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Ich denke, diese Frage muss geklärt werden. Das
ist übrigens auch in Ihrem Interesse; denn so kann gewährleistet werden, dass die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht an irgendeiner Stelle ins Stolpern gerät.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute über die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. In den Medien wird
er gern als „BND-Ausschuss“ gehandelt. Das finde ich
falsch; denn diese Bezeichnung trifft nicht den eigentlichen Kern. Vielmehr geht es um die Frage, ob im Namen
des Kampfes gegen den Terrorismus Menschen- und
Bürgerrechte verletzt wurden und, wenn ja, wer das getan hat, wer es geduldet hat und wer die politische Verantwortung dafür trägt.
({0})
Deshalb geht die Fraktion Die Linke auch nicht in einen
„BND-Ausschuss“, sondern in einen Parlamentarischen
Untersuchungsausschuss für Bürger- und Menschenrechte.
({1})
Das ist jedenfalls meine Intention.
Es gibt mehr als nur einen begründeten Anfangsverdacht, der die Einsetzung eines solchen Ausschusses
rechtfertigt. Nicht ohne Grund befasst sich auch das EUParlament mit diesen Fragen. Von meiner Kollegin
Sylvia-Yvonne Kaufmann weiß ich, dass in diesem Zusammenhang noch sehr viele Fragen offen sind - so viel
zur europäischen Praxis, die Sie angesprochen haben -:
({2})
nach den geheimen Aktivitäten der CIA auf europäischem Territorium, nach Entführungen europäischer
Bürger, auch über deutsche Flughäfen, und nach Geständnissen, die nach Folter abgegeben wurden
({3})
und von denen auch deutsche Dienste profitiert haben
sollen.
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des
Bundestages wird sich mit der übergreifenden Frage befassen, ob das Grundgesetz - fahrlässig oder bewusst außer Kraft gesetzt wurde. Ich finde, diese Grundsatzfrage sollte allen Fraktionen aller Mühen wert sein.
({4})
Ich sage das auch mit Blick auf die aktuellen Einbürgerungsdebatten. Sie tragen inzwischen absurde Züge.
Ich verweise nur auf den vorgesehenen Einsatz von Fragebögen in Baden-Württemberg und Hessen. Demnach
müssten übrigens in Baden-Württemberg der Papst und
in Hessen noch mehr Deutsche ausgebürgert werden.
({5})
Ich habe mich heute mit einem eigenen Fragebogen in
die Debatte eingemischt. Vielleicht hilft diese Karikatur,
mehr Sinn in diesen Unsinn zu bringen. Denn richtig ist
doch: Wenn Migranten Deutsche werden wollen, dann
müssen sie Deutsch sprechen können und müssen das
Grundgesetz respektieren. Aber was sind solche berechtigten Forderungen an Migrantinnen und Migranten
wert, wenn ebenso berechtigte Zweifel bestehen, dass
die deutsche Politik dasselbe Grundgesetz großzügig außer Kraft setzt, wenn es ihr opportun erscheint? Mit genau diesen Zweifeln werden wir uns im Untersuchungsausschuss beschäftigen.
Nun habe ich sehr wohl vernommen, dass die
Bundeskanzlerin die USA ob des Gefangenenlagers
Guantanamo kritisiert hat. Das hätte der rot-grünen Regierung vordem vielleicht besser zu Gesicht gestanden.
({6})
Aber es muss jeder selbst wissen, von wem er sich die
Butter vom Brot nehmen lässt.
({7})
Solange es allerdings als nützlich gilt - das steht jedenfalls im Raum -, die geschundenen Guantanamo-Häftlinge der USA für vermeintlich deutsche Interessen zu
gebrauchen, so lange hat auch die Kritik der Bundeskanzlerin einen faden Beigeschmack. Bundesinnenminister Schäuble hat sinngemäß erklärt: Ohne die Informationen, die unter Folter erwirkt wurden, müssten die
deutschen Geheimdienste einpacken. Das heißt ja wohl
auf schlecht Deutsch: Folter gehört sehr wohl zum internationalen Geschäft. Genau das ist aber verfassungswidrig.
Wir erleben seit den Terroranschlägen vom
11. September 2001 in den USA, dass Grund- und Bürgerrechte immer kleiner geschrieben werden und dass
derjenige, der sie dennoch verteidigt, oft als Sicherheitsrisiko abgestempelt wird. Das ist ein realer und gefährlicher Trend für die Verfasstheit der Bundesrepublik.
Ich habe hier mehrfach dazu und vor allem dagegen
gesprochen. Auch bei den Rednerinnen und Rednern der
FDP war das der Fall. Das habe ich, bei allen gravierenden Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik,
immer honoriert und respektiert. Ich tue es auch heute.
Denn dank engagierter FDP-Politikerinnen und -Politiker wie zum Beispiel der Kollegin LeutheusserSchnarrenberger oder des Kollegen Hirsch gibt es einschlägige Urteile des Bundesverfassungsgerichtes.
({8})
Diese Urteile setzen Grenzen. Ich finde, es wird höchste
Zeit, dass diese Grenzen respektiert werden, und zwar
schon während des Gesetzgebungsverfahrens, damit die
Gesetze nicht im Nachhinein korrigiert werden müssen.
({9})
Nun zurück zum Untersuchungsausschuss. Ich habe
keine Illusionen darüber, was er letztlich klären kann.
CDU/CSU und SPD haben mehrfach erklärt, was sie alles nicht wollen. Mit ihrer übergroßen parlamentarischen
Mehrheit werden sie das sicherlich zu verhindern suchen.
Ich bin aber dennoch für einen Untersuchungsausschuss, eben weil es mir um Bürger- und Menschenrechte geht. Sie müssen endlich wieder ein Positivthema
werden. Ich finde, dieser Ausschuss kann dazu einen
wichtigen Beitrag leisten; denn er kann Zweifel ausräumen und die Grundrechte stärken. Das will ich. Dazu
sollten wir uns alle eingeladen fühlen.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Stünker, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Untersuchungsausschuss
wird, nachdem wir heute den Antrag auf Einsetzung
überwiesen haben, nach Beratungen im Geschäftsordnungsausschuss in der nächsten Woche eingesetzt werden. Die Minderheit hat von den Möglichkeiten des Untersuchungsausschussgesetzes Gebrauch gemacht. Das
ist so auch in Ordnung. Das werden wir akzeptieren und
werden nicht an dieser Entscheidung rütteln.
({0})
- Herr Maurer, wir haben in der vorletzten Legislaturperiode zusammen mit unserem Koalitionspartner das
Untersuchungsausschussgesetz so gefasst, weil wir die
Minderheitenrechte schützen wollten. So ist es gewesen.
({1})
Nach den ersten beiden Reden der Antragsteller - der
Redner der Grünen hat noch nicht gesprochen ({2})
bin ich allerdings etwas verwirrt, was denn nun Gegenstand des Untersuchungsausschusses werden soll.
({3})
Nach der Rede, die Herr van Essen gehalten hat, und der
Kurzintervention von Herrn Westerwelle wollen Sie von
der FDP nachweisen, dass sich Rot-Grün klammheimlich am Irakkrieg mitbeteiligt hat. So ähnlich haben Sie
sich hier geäußert. Ich kann Ihnen sagen: Das wird Ihnen
nicht gelingen; denn so ist es nicht gewesen. Das weiß
die ganze Welt, Herr Kollege van Essen.
({4})
Dafür brauchen Sie diesen Untersuchungsausschuss
nicht. Die Kollegin Pau hat hier eben versucht, ihre
ganze Staatsverdrossenheit noch einmal deutlich zu machen,
({5})
wie dies auch Herr Kollege Nešković im Parlamentarischen Kontrollgremium getan hat. - Okay.
Wollen wir einmal schauen, welches Anliegen die
Grünen noch haben. Welches Anliegen Herr Ströbele
hat, weiß ich schon, da ich ja in vielen Sitzungen mit
ihm zusammengesessen habe.
Ich kann den drei Fraktionen, die hier diesen Ausschuss beantragt haben, nur eine gute Reise wünschen.
Ich hoffe, Sie sind sich der Verantwortung bewusst, die
Sie dadurch übernehmen, dass Sie in diesen Ausschuss
gehen;
({6})
denn nach sachlicher Bewertung - diese kann man vornehmen, wenn man im Sachverhalt steckt - muss ich sagen: Alle Punkte, um die es hier geht und die Sie in Ihren
Antrag geschrieben haben, den ich mir sehr gründlich
durchgelesen habe, sind lückenlos geklärt. Als Mitglied
des Parlamentarischen Kontrollgremiums habe ich die
Möglichkeit gehabt, die Vorwürfe, die dort erhoben wurden, in sehr vielen Sitzungen und Stunden mit zu erörtern und aufzuklären. Von daher wird dieser Ausschuss
keine neuen Erkenntnisse und keine neuen Aufklärungen
bringen. Im Grunde wissen auch Sie, dass nicht mehr zu
tun ist.
({7})
- Herr Kollege Westerwelle, mit etwas, was überflüssig
ist, sollte man gar nicht erst beginnen. So ist das.
({8})
Zu dem ersten Punkt Ihres Antrags: Die Bundesregierung hat glaubhaft versichert und deutlich gemacht, dass
die Bundesrepublik Deutschland keine Erkenntnisse
über die genannten CIA-Flüge und die dort genannten
Gefängnisse hat.
({9})
Sie können vielleicht völkerrechtlich aufklären wollen,
was andere Staaten dort getan haben, aber das werden
Sie in diesem Ausschuss nicht hinbekommen.
({10})
- Herr Kollege Ströbele, Sie wissen das ganz genau.
Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass das
EU-Parlament mittlerweile auch einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hat.
({11})
- Eben nicht, Herr van Essen. - Wenn man mit den Kollegen dort spricht, dann erfährt man, dass sie mächtig auf
der Stelle treten und nicht weiterkommen; denn die Antworten, die man haben müsste, werden von denen, die
sie geben könnten - die Amerikaner und niemand
sonst -, nicht gegeben. Sie können sie ja vorladen. Bitte
schön. Dann werden Sie sehen, zu welchen Ergebnissen
Sie kommen.
Zu Ihrem zweiten Punkt: Das Kontrollgremium ist zu
dem Ergebnis und der festen Überzeug gekommen, dass
es keine deutsche Beteiligung an der Entführung des
Herrn el-Masri gegeben hat. Er ist auch nicht von deutschem Boden aus entführt worden, wenn er denn überhaupt entführt worden ist. Mittlerweile wissen wir ja
nicht einmal mehr das genau. Möglicherweise könnte er
selbst mit ganz anderen Intentionen irgendwohin auf
dem Weg gewesen sein.
({12})
- Herr Kollege Stadler, dieser Herr el-Masri ist auch
nicht irgendwer.
({13})
- Genau die werden Sie in dem Ausschuss nicht beantwortet bekommen, es sei denn, Herr el-Masri sagt einmal, was wirklich Sache gewesen ist. Das mag natürlich
sein.
({14})
- Dann tun Sie das. Er war gerade in Brüssel vorgeladen
und die Kolleginnen und Kollegen dort waren hinterher
sehr frustriert, Herr Kollege Stadler. Genau so war es.
({15})
Der dritte Punkt, der genannt wird, ist die informatorische Anhörung - so möchte ich sie einmal nennen von Herrn Zammar in Syrien. Es war eine informatorische Anhörung einer Person, von der wir damals gewusst haben und auch heute noch wissen, dass sie zum
engsten Kreis der islamistischen Szene hier in Deutschland gehört. Sie gehört zum engsten Kreis der Personen
in der Hamburger Zelle, die mitverantwortlich für die
Ereignisse am 11. September 2001 waren. Diese Person
bekennt sich auch dazu. Wenn die deutschen Dienste die
Möglichkeit wahrnehmen - berechtigt, wie ich meine -,
Informationen zu bekommen, die sie im Interesse der nationalen Sicherheit dringend benötigen, dann habe ich
das nicht zu beanstanden.
({16})
- Herr Kollege Ströbele, Sie wissen doch ganz genau,
dass der Herr Zammar von deutschen Behörden nicht gefoltert worden ist.
({17})
Sie wissen ganz genau, dass er sehr offen und deutlich
gesagt hat, wie er mit denen, die ihn eingesperrt haben,
umgegangen ist. Herr Kollege Ströbele, wir alle sind uns
einig - das brauchen wir uns gegenseitig nicht mehr zu
erzählen -, dass Folter kein Mittel für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren sein kann.
({18})
Seit dem 11. September 2001 habe ich mich in den
verschiedenen Tätigkeiten, die ich in diesem Hause
wahrgenommen habe, immer wieder gefragt - das war
für mich immer das Worst-Case-Szenario -: Was passiert
in der Bundesrepublik Deutschland, wenn in Berlin oder
in Frankfurt ein Anschlag wie in Madrid oder London
stattfindet und dann hinterher von Zeitungen berichtet
wird, dass wir hätten vorbeugen können, wenn die entsprechenden Dienste allen Hinweisen nachgegangen wären und alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten
ausgeschöpft worden wären? Der Vorwurf wäre dann,
dass die Bomben möglicherweise nicht hochgegangen
wären und 100 oder 120 Menschen hätten gerettet werden können, wenn wir das gemacht hätten. Ich garantiere
Ihnen, dass wir, wenn das der Fall gewesen wäre, nicht
nur einen Untersuchungsausschuss hätten.
({19})
Der vierte und letzte Punkt in dem Antrag, den Sie
vorgelegt haben, betrifft die Tätigkeit von zwei BNDMitarbeitern seinerzeit in Bagdad. Das Kontrollgremium und, wie ich glaube, die große Mehrheit dieses
Hauses - das habe ich zumindest bisher so von Ihnen gehört - ist der festen Überzeugung, dass es richtig war,
zurzeit des Irakkrieges mit zwei Mitarbeitern in Bagdad
präsent gewesen zu sein, weil wir - das liegt im nationalen Interesse - nur so unsere eigenen Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen konnten und mussten.
Der Hintergrund dafür ist das Szenario im Weltsicherheitsrat und der Auftritt von Colin Powell. Man muss
sich wieder ins Gedächtnis rufen, wie dort die Welt ganz
bewusst mit Falschinformationen gefüttert worden ist.
Gerade wir, die wir uns aus Überzeugung und trotz viel
Gegendrucks unter der Führung von Bundeskanzler
Schröder und Außenminister Fischer nicht an diesem
Krieg beteiligt haben, wollten und mussten unsere Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen. Ich glaube - das
hoffe ich zumindest -, darüber herrscht weitgehend Einigkeit.
({20})
Nun geht es um Folgendes: Was haben die beiden
BND-Mitarbeiter dort gemacht? Wie haben sie ihren
Auftrag ausgeführt? Da, Kollege Ströbele, wird es in
meinen Augen unappetitlich, um das ganz deutlich zu
sagen. Wir kennen uns lange und Sie wissen, ich schätze
Sie. Es geht aber nicht an, dass Sie, weil Sie sich mit Ihrem ehemaligen Außenminister nicht anlegen wollen
und dürfen, ohne den Verlust der Mehrheit Ihrer Fraktion
zu riskieren, die Sie für Ihre Intentionen benötigen, auf
einmal beidrehen und nun untersuchen wollen, ob die
Beamten, die dort einen gefahrvollen Auftrag ausgeführt
haben, vielleicht Mist gebaut und etwas anderes als das
gemacht haben, was ihnen die Regierung vorgegeben
hat.
({21})
Das ist nicht in Ordnung. Da wird von denjenigen, die
nicht das Rückgrat haben, sich in ihrem eigenen Laden
durchzusetzen, versucht, die Verantwortung auf die
Kleinsten der Kleinen abzuwälzen, Herr Kollege
Ströbele. Das war auch Gegenstand der vielen stundenlangen Sitzungen im Kontrollgremium. Wir haben all
diese Personen angehört. Wir haben sie alle befragt. Wir
haben Bilder und Luftaufnahmen ausgewertet. Es gibt
nichts mehr, was dort noch aufzuklären wäre. Wenn Sie
etwas Neues finden, dann - das ist eine Wette - geben
wir vielleicht einen aus.
Zumindest ich bin nach den Erkenntnissen, die wir
gewonnen haben, zu der Auffassung gelangt: Mit dem
Bericht liegt alles auf dem Tisch. Nach dem, was in dem
Bericht steht, ist das Kontrollgremium zu der festen
Überzeugung gekommen, dass diese Mitarbeiter keine
Informationen oder Mitteilungen weitergegeben haben,
die im operativen Geschäft der Amerikaner im Krieg
von Bedeutung hätte sein können.
({22})
Solche Mitteilungen gab es nicht, Kollege Ströbele. Sie
werden sie auch bei der Vernehmung mithilfe fiktiver
Tatsachen, Implementierungen oder Unterstellungen
nicht herbeizaubern können.
({23})
Wie vorhin schon von dem Kollegen von der Union
geschehen, möchte auch ich für meine Fraktion von dieser Stelle aus den beiden BND-Mitarbeitern, die vor Ort
in einer sehr gefahrvollen Mission jeden Tag ihr Leben
aufs Spiel gesetzt haben, für ihren Einsatz ausdrücklich
danken. Dieser Einsatz, den sie dort geleistet haben,
rechtfertigt nicht, sie hinterher möglicherweise einem
Verdacht auszusetzen.
({24})
Herr Kollege Stadler, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass
Sie im Bericht des Kontrollgremiums die Überzeugung
zum Ausdruck gebracht haben, die ich eben dargestellt
habe. Denn ich meine, es wäre nicht anständig, das auf
diese Ebene zu verlagern.
({25})
Von daher stellt sich die Frage, was der Untersuchungsausschuss im Ergebnis bewirken soll. Ich habe bereits
auf das Minderheitenrecht zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses hingewiesen, das wir geschaffen
haben.
({26})
Warum legt sich der Deutsche Bundestag ein parlamentarisches Kontrollgremium zu, in das er mit Kanzlermehrheit neun Abgeordnete wählt, um dann alles, was
dieses Gremium untersucht und aufgeklärt hat, für nicht
ausreichend zu erklären und das Kampfinstrument eines
Untersuchungsausschusses zu fordern?
({27})
Der Sinn dieses Vorgehens erschließt sich mir nicht; es
sei denn, es erscheint dem politischen Tagesgeschäft
dienlich. Ich halte aber das Thema, um das es heute geht,
für zu sensibel, um einem solchen Zweck zu dienen.
({28})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Eine bekannte deutsche Monatszeitschrift hat vor einigen WoJoachim Stünker
chen zu dem Thema getitelt: „Wie im BND-Skandal
Spekulationen und Meinungen zu Fakten wurden. Wie
mit Durchstechereien in den USA deutsche Medien geleimt wurden. Und warum der BND-Skandal in Wahrheit ein Medienskandal ist“.
({29})
Ich hoffe, das Ganze wird im Ergebnis nicht zu einem
weiteren Skandal. Von daher kann ich nur feststellen:
Die Mitglieder im Untersuchungsausschuss tragen - gerade im Jahr der Fußballweltmeisterschaft - eine große
Verantwortung. Ich bin sicher, dass die Mehrheit diese
Verantwortung richtig wahrzunehmen weiß.
Schönen Dank.
({30})
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
ebenfalls sehr dafür, gerade in Sicherheitsfragen sehr
verantwortungsvoll mit dem Instrument des Untersuchungsausschusses umzugehen. Deswegen werden wir
unterstützen, dass zügig gearbeitet und die noch offenen
Fragen schnell geklärt werden.
Aber es sind Fragen offen geblieben, von denen ich
meine, dass sie dringend der Klärung bedürfen. Es muss
zum Beispiel - Sie haben den Fragekomplex angesprochen - geklärt werden, warum bei dem BND-Einsatz in
Bagdad - der grundsätzlich nicht zu kritisieren ist nicht allen an dem Vorgang Beteiligten die Weisungslage
bekannt gewesen ist. Das interessiert mich und das führt
auch zur Beantwortung der Frage, wie wir unsere Geheimdienstarbeit so organisieren können, dass sich die
Geheimdienste nicht weg von der politischen Weisungslage verselbstständigen. Das ist schließlich nicht der
erste Skandal, den wir beim BND zu beklagen haben.
({0})
Ein weiterer Fall ärgert mich, weil er sich von der alten bis zur neuen Bundesregierung erstreckt, und zwar
die CIA-Flüge und die Verschleppung von Gefangenen
durch die Amerikaner. Warum arbeitet trotz entsprechender gesetzlicher Grundlage das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht im Sinne seines Auftrags und untersucht, was fremde Geheimdienste auf deutschem Boden
machen? Warum wissen wir darüber nichts?
({1})
Entweder ist der Dienst sein Geld nicht wert oder es
läuft etwas grundsätzlich schief.
Ich verstehe auch nicht, dass wir, nachdem das bekannt geworden ist, bis zum heutigen Tage im Flugverkehrsrecht nicht mit den Amerikanern geklärt haben, wie
diese uns gegenüber mit der merkwürdigen Rechtskonstruktion der ungesetzlichen Kämpfer umgehen. Die
Amerikaner sagen: Es gibt neben Kriegsgefangenen,
Tatverdächtigen und Straftätern eine weitere Kategorie
Menschen, die völlig rechtlos sind. Wir hingegen sagen:
Im deutschen Luftraum und auf deutschem Territorium
gelten internationales Menschenrecht und unsere Verfassung. Wer hier Einrichtungen und den Luftraum nutzen
will, der muss sich an diese rechtliche Lage halten. Ansonsten verletzt er unsere Souveränität. Ich verstehe
nicht, warum sich die Bundesrepublik Deutschland eine
systematische Verletzung ihrer Souveränität gefallen
lässt.
({2})
Wenn die Amerikaner nicht bereit sind, hier mit uns
zu einer gemeinsamen Rechtsauffassung zu kommen,
dann muss gelten: Nutzung des deutschen Luftraums nur
nach Kontrolle der Maschinen, die hier landen und starten. Ansonsten geht es nicht. Wir müssen unsere Rechtsordnung auch gegenüber den Amerikanern auf unserem
Staatsgebiet durchsetzen.
({3})
- Das weiß Herr Fischer. Aber Herr Fischer kann das
nicht mehr exekutieren.
({4})
Sie wissen genau, dass die Praxis der CIA-Flüge nicht
vor, sondern nach der Bundestagswahl bekannt geworden ist.
Herr Stünker, ich gebe Ihnen Recht: In anderen Komplexen ist der Untersuchungsauftrag ein bisschen bepackt worden. Das ist nun einmal ein Kompromiss. Bestimmte Fragen halte ich ebenfalls für weitgehend
aufgeklärt. Aber in diesem Parlament gibt es noch zwei
Fraktionen von Wiederkäuern,
({5})
die darauf bestanden haben, dass bestimmte Dinge ergänzt werden. Ansonsten wäre der Untersuchungsauftrag nicht zustande gekommen. Im Untersuchungsausschuss kann man noch darüber reden, welche Prioritäten
gesetzt werden sollen.
({6})
- Herr Präsident, wenn ich wieder das Wort erhalten
könnte.
({7})
Zu dem gesamten Komplex der Vernehmung von
Gefangenen durch deutsche Beamte im Ausland ist meines Erachtens eigentlich alles gesagt; hier ist alles geklärt. Nun müssen Konsequenzen gezogen werden.
({8})
Volker Beck ({9})
Es darf nicht sein, dass von deutschen Beamten augenzwinkernd die Früchte der Folter im Ausland geerntet
werden. Hier brauchen wir eine klare rechtsstaatliche
rote Linie.
({10})
Da es diese gegenwärtig nicht gibt, will ich nicht, dass
lange untersucht wird, sondern ich will, dass gehandelt
wird.
({11})
Wir werden nun im Geschäftsordnungsausschuss über
den Auftrag reden. Wenn die Koalition vernünftige Vorschläge macht und es sich um verfassungsrechtliche Argumente handelt, kann sie mit uns reden. Ich finde, der
Hinweis auf Art. 45 a des Grundgesetzes ist nicht abwegig, wenn es um das militärische Nachrichtenwesen
geht. Man kann das durchaus unter den Begriff der Verteidigung fassen. Danach wäre das nicht durch einen Untersuchungsausschuss, sondern durch den Verteidigungsausschuss zu untersuchen. Das heißt nicht, dass
nicht aufgeklärt werden darf. Aber die Frage ist, wo.
Darüber können Sie mit uns sprechen. Es war ein besonderer Wunsch der FDP-Fraktion, das in den Auftrag aufzunehmen. Wir haben daran unsere Zweifel. Wenn wir
zu einem anderen Ergebnis kommen, werden wir nicht
in Tränen ausbrechen.
Eines ist allerdings klar: Wir werden nicht zulassen,
dass die Mehrheit in irgendeinem Punkt Dinge unter den
Tisch kehrt, unter der Decke hält und die Aufklärung behindert. Dann werden Sie mit unserem entschiedenen
Widerstand rechnen müssen. Wir wollen alles aufklären;
denn wir wissen, dass wir nichts zu verbergen haben. Sie
behaupten ständig, wir scheuten eine Aufklärung hinsichtlich der Position des Bundesaußenministers. Dazu
kann ich nur sagen: Sie täuschen sich gewaltig. Was in
dem Einsetzungsantrag zur Verantwortung steht, stammt
aus der Feder meiner Fraktion. Man muss aber feststellen, ob etwas schief gelaufen ist, bevor man fragt, wer
verantwortlich ist. Sie wollen jedoch die Debatte mit
Vorverurteilungen bestreiten. Ich warte auf den Tag, an
dem Sie erklären: Die Amerikaner waren gar nicht im
Irak; das waren in Wirklichkeit deutsche Soldaten in
amerikanischen Uniformen. - Das hieße es, wenn man
das, was Sie bislang vorgetragen haben, zu Ende denkt.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Stephan Mayer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Recht nach
Art. 44 des Grundgesetzes, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, ist mit das elementarste und das vornehmste Recht des Deutschen Bundestages. Eben weil
es ein so wertvolles Gut ist, Regierungs- und Behördenhandeln in der parlamentarischen Demokratie mit weit
reichenden rechtlichen, vor allem strafprozessrechtlichen Befugnissen zu überprüfen, sind wir gut beraten,
klug und umsichtig von dieser Möglichkeit Gebrauch zu
machen. Entscheidend muss sein, ob zu erwarten ist,
dass durch den Untersuchungsausschuss neue Erkenntnisse und Fakten zutage gefördert werden. Im konkreten
Fall ist dies meines Erachtens nicht zu erwarten.
Es gäbe vieles dazu zu sagen, wie lange die drei
Oppositionsfraktionen gebraucht haben, sich darauf zu
verständigen, ob sie einen Untersuchungsausschuss einrichten und vor allem, mit welchen konkreten Fragen
sich dieser beschäftigen soll.
({0})
Tatsache ist: Es war eine lange und schwere Geburt;
doch nicht alles, was lange währt, wird automatisch gut.
Die letzten Wochen und Monate erinnerten mich ein wenig an das Gänseblümchenspiel „Ich will den Untersuchungsausschuss - ich will den Untersuchungsausschuss
nicht - ich will den Untersuchungsausschuss …“:
({1})
Zuerst wollten die einen, dann zögerten die anderen.
Wollten wiederum die anderen, hatten die einen große
Vorbehalte. Es wird spannend und interessant sein, zu
beobachten, wie lange diese neu ausgebrochene große
Harmonie zwischen den drei Oppositionsfraktionen im
Untersuchungsausschuss tatsächlich anhält.
({2})
Nach der heutigen Debatte haben wir in dieser Hinsicht
einiges zu erwarten. Es wird vor allem interessant sein,
wenn es ans Eingemachte geht: wenn der Frage nachzugehen ist, inwiefern sich die rot-grüne Bundesregierung
Verschulden, Mitwissen oder Untätigkeit vorwerfen lassen muss.
An dieser Stelle muss eines festgehalten werden: Das
Parlamentarische Kontrollgremium hat sich in insgesamt 10 Sitzungen über 45 Stunden lang ausführlich und
intensiv mit den aufgeworfenen Fragen und Vorwürfen
auseinander gesetzt. Dies wird von keiner Seite ernsthaft
bestritten, nicht einmal von Ihnen, Herr Kollege
Ströbele, der Sie in Ihrem Sondervotum zum Bericht des
Kontrollgremiums ausdrücklich feststellten, dass Sie den
Zeit- und Arbeitsaufwand des Parlamentarischen Kontrollgremiums in diesem Fall als - so wörtlich - „außergewöhnlich“ empfanden.
({3})
Auch in einem am 23. Februar 2006 in der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ erschienenen Artikel haben Sie
ausgeführt, dass fast alle Fragen beantwortet seien.
Das Parlamentarische Kontrollgremium war und wäre
nach wie vor der richtige Ort, um bei den teilweise sehr
schwer wiegenden Vorwürfen die mit Sicherheit notwenStephan Mayer ({4})
dige lückenlose Aufklärung, Information und Untersuchung zu betreiben. Dieser Aufgabe ist das Gremium
nachgegangen und es ist ihr meines Erachtens auch gerecht geworden. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass
die beiden BND-Mitarbeiter, die sich während des Irakkriegs in Bagdad aufhielten, den klaren und eindeutigen
Auftrag bzw. die Weisung hatten - was übrigens vom
Abgeordneten Ströbele ausdrücklich bestätigt wird -,
keinerlei Unterstützung für operative Kampfhandlungen
der US-Streitkräfte oder deren Verbündeter zu leisten,
und dass sie sich insbesondere nicht - das ist meines Erachtens der schwerwiegendste Vorwurf - an der Bombardierung eines Restaurants im Bagdader Stadtteil
Mansur am 7. April 2003 beteiligt haben.
Abgesehen davon bleibt festzuhalten: Es war vor allem im Eigeninteresse der Bundesrepublik Deutschland,
dass wir während des Irakkriegs mit zwei Kräften in
Bagdad präsent waren. An dieser Stelle steht es uns gut
an, nicht nur denjenigen, die während des Irakkriegs als
BND-Mitarbeiter in Bagdad waren, sondern allen, die
für die Bundesrepublik Deutschland in gefährliche Einsätze gehen, dafür zu danken, dass sie dadurch letztlich
die Sicherheit von uns allen hier in Deutschland stärken.
({5})
Es liegt im Interesse von uns allen, dass der BND
nicht ständig und unablässig Gegenstand öffentlicher
Debatten und Diskussionen ist. Gerade angesichts der
aktuellen sicherheitspolitischen Diskussionen und der
immanenten Bedrohung durch den internationalen - insbesondere islamistischen - Terrorismus brauchen wir einen starken Bundesnachrichtendienst, der in der notwendigen Ruhe und Sachlichkeit, aber auch mit der
erforderlichen politischen Rückendeckung seiner Arbeit
nachgehen kann. Ich wage zu bezweifeln, ob es gut ist,
wenn sich der BND gerade in diesem Jahr, in dem wir
Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft sind und in dem
mit Papst Benedikt XVI. ein sehr wichtiger Besucher
nach Bayern kommt,
({6})
dieser Angriffe und Untersuchungen ausgesetzt sieht.
Ich erhoffe mir für die Arbeit des Untersuchungsausschusses, dass wir in Sachlichkeit, in Nüchternheit und
ohne Aufgeregtheit den uns gestellten Fragen nachgehen. Ich glaube, wenn wir dies alles auch noch zügig und
schnell über die Bühne bringen, dann gereicht dies letztlich niemandem zum Schaden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/990 an den Ausschuss für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. April 2006, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
heiteres Wochenende.