Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/31/2006

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag und uns weiterhin gute Beratungen. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie gerne von einer Stellungnahme des Ältestenrates unterrichten, der sich gestern mit der seit zwei Wochen andauernden Berichterstattung einer großen Zeitung über die Vorbereitung des gesetzlich vom Präsidenten geforderten Berichts über die Anpassung der Diäten beschäftigt hat. Er hat eine von allen Fraktionen gemeinsam getragene Stellungnahme verabschiedet, die unter anderem deutlich macht, dass der Ältestenrat die öffentliche Auseinandersetzung und Begleitung der Debatte über verschiedene Lösungsmöglichkeiten ausdrücklich für erwünscht hält. Die Stellungnahme beginnt mit dem Satz: Der Ältestenrat weist gegen den Präsidenten des Deutschen Bundestages in der Frage der Diätenanpassung öffentlich geführte Angriffe zurück. ({0}) Sie sind im Ton verletzend und sachlich unbegründet. Da die betroffene Zeitung heute aus dieser Stellungnahme des Ältestenrates die Mitteilung macht, der Ältestenrat begrüße die öffentliche Debatte, dachte ich, es wäre sowohl zur Information der Öffentlichkeit wie zur Urteilsbildung des Hauses angemessen, auf den vollständigen Zusammenhang hinzuweisen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir nun die Beratungen wieder aufnehmen, haben wir einen Geschäftsordnungsantrag zu behandeln. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihrer Anträge zur Kontrolle der Geheimdienste auf Drucksache 16/843 und zur Befragung von Gefolterten auf Drucksache 16/836 zu erweitern. Die Anträge sollen verbunden mit Tagesordnungspunkt 2 - Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - beraten werden. Zu diesem Geschäftsordnungsantrag erteile ich das Wort dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Dezember letzten Jahres und Januar dieses Jahres eine relativ beispielslose Aufklärungsoffensive erlebt und wir meinen, dass zusätzlich zu den vielen Punkten, die schon aufgeklärt sind, eine Debatte über weitere Aufklärung und über die Konsequenzen aus den Vorgängen, über die wir im Dezember und Januar diskutiert haben, geführt werden muss. ({0}) Deshalb beantragen wir, einen Antrag zum Thema „Befragung von Gefolterten und Nutzung von Foltererkenntnissen ausschließen“ und einen Antrag zum Thema „Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste“ aufzusetzen. Die Vernehmung von Gefangenen im Ausland im Rahmen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus, die Aktivitäten von BND-Mitarbeitern in Bagdad und die Entführung eines deutschen Staatsbürgers durch die Amerikaner haben wir im Dezember und Januar aufzuklären versucht. Wir wären zufrieden, wenn das vollständig gelungen wäre. Aber bei einigen Fragen hat die Regierung gemauert. Deshalb haben wir gesagt, dass wir einen Untersuchungsausschuss brauchen. Auch wenn bereits 80 bis 90 Prozent der Fragen geklärt sind, müssen die 10 bis 20 Prozent offenen Fragen ebenfalls aufgeklärt werden. Hier dürfen keine Fragen offen bleiben, die zu klären sind. ({1}) Redetext Volker Beck ({2}) Die Konsequenzen hieraus für eine rechtsstaatliche Bekämpfung des internationalen Terrorismus müssen jetzt gezogen werden. Wir wissen, dass Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes und des Bundeskriminalamtes Zamar in einem Foltergefängnis in Syrien vernommen haben. Wir wissen, dass der so genannte Bremer Taliban von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes im Gefangenenlager in Guantanamo, das wir alle angeblich ablehnen, verhört wurde. Wir wissen, dass das BKA im Libanon Menschen vernommen hat, die aufgrund eines Hinweises deutscher Stellen festgenommen worden waren und später angaben, dort im Gefängnis gefoltert worden zu sein. Wir wissen, dass der Bundestag von bestimmten Vorgängen nicht von der Bundesregierung, sondern aus der Presse erfahren hat. Wir wissen, dass die Kontrolle der Geheimdienste durch die Gremien unseres Parlaments unzureichend ist. ({3}) Sollen wir etwa erst Monate oder - manche wünschen sich das - vielleicht sogar Jahre, nachdem der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vorliegt, die Konsequenzen ziehen? Wir sagen: Nein. Wir wollen, dass der Bundestag parallel zur Einsetzung des Ausschusses mit der Debatte darüber beginnt, welche Konsequenzen wir aus den Vorgängen zu ziehen haben. Wir wollen die rechtstaatliche Bekämpfung des internationalen Terrorismus heute auf die Tagesordnung setzen. Denn wenn es um Rechtstaatlichkeit geht, darf es keinen Kompromiss geben. ({4}) Was gilt eigentlich für die Beamten? Der Bundesinnenminister, der gerade nicht anwesend ist, sagt: Bei der Zusammenarbeit der Geheimdienste und bei der Erkenntnisgewinnung müssen wir alle Informationen, die wir bekommen können - selbst durch Verhöre in Guantanamo -, nutzen und sie uns besorgen. ({5}) Die Bundesjustizministerin sagt: Wir wollen ein Beweisverwertungs- und Beweiserhebungsverbot, wenn der Verdacht besteht, dass Informationen durch Folter gewonnen wurden. Diese Meinung teilen wir. Aber was gilt? Die Frage, welche Auffassung für die internationale Geheimdienstzusammenarbeit gilt, müssen wir klären. ({6}) Wir Grüne sagen Ja zur internationalen Zusammenarbeit der Geheimdienste. Wir sagen aber ganz klar Nein zu einem Überschreiten der roten Linie. Es darf kein augenzwinkerndes Akzeptieren von Folter und menschenrechtsverletzenden Vorgängen geben. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Beck, denken Sie gelegentlich daran, dass Sie einen Geschäftsordnungsantrag begründen wollten.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deshalb meinen wir, dass wir darüber in der Debatte über den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sprechen müssen. Denn es muss beides geschehen: sowohl Aufklärung als auch die Diskussion über die Konsequenzen und die Verantwortlichkeiten. Damit können wir heute beginnen. Vielen Dank, Herr Präsident. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen für die FDPFraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss Sie leider korrigieren, Herr Präsident: Ich rede für alle anderen Fraktionen dieses Hauses und beantrage in ihrem Namen, dem Geschäftsordnungsantrag der Grünen nicht zuzustimmen. ({0}) Auch alle anderen Fraktionen halten die Fragen, die in den letzten Wochen und Monaten aufgetaucht sind - beispielsweise zu den Vernehmungen in Guantanamo oder Syrien -, für diskussionswürdig. Aber wir sind der Auffassung, dass über diese Fragen parallel und nicht in der heutigen Debatte über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses diskutiert werden muss. Für diesen Tagesordnungspunkt sind heute Nachmittag 45 Minuten angesetzt. Jeder weiß, dass es unterschiedliche Auffassungen dazu gibt, wie der Auftrag des Untersuchungsausschusses im Einzelnen formuliert werden soll. Deshalb muss heute genau dieses Thema im Mittelpunkt stehen. Im Übrigen steht im Auftrag des Untersuchungsausschusses auch, dass wir aus den Geschehnissen Lehren für die Zukunft ziehen sollen. All das, was Sie, Herr Beck, angemahnt haben, soll auch nach dem ausdrücklichen Willen aller anderen Fraktionen geschehen. ({1}) Deshalb besteht zu den Klagen, die Sie geführt haben, überhaupt kein Anlass. Wie schwach Ihre Argumente in dieser Geschäftsordnungsdebatte waren, zeigte sich auch daran, dass Sie kaum etwas zur Geschäftsordnung gesagt haben. ({2}) Sie haben eine inhaltliche Debatte geführt. Diese inhaltliche Debatte, die wir gar nicht verhindern wollen, wird heute Nachmittag stattfinden. Daran wird deutlich, dass der Antrag, den Sie eingebracht haben, ausschließlich ein Showantrag ist. ({3}) Die Peinlichkeit Ihrer Vorwürfe zeigt sich auch darin, dass Sie die Punkte, die Sie angesprochen haben, jederzeit eigenständig auf die Tagesordnung hätten setzen können - das ist das Recht jeder Fraktion -, ({4}) wenn Sie daran interessiert sind, sofort mit der Diskussion zu beginnen. Das haben Sie aber nicht getan. ({5}) Deswegen können Sie nicht erwarten, dass die anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages Ihrem Antrag zustimmen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Zweite war ganz offenkundig die Mehr- heit. Damit ist der Aufsetzungsantrag abgelehnt. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 1 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006 ({0}) - Drucksache 16/750 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009 - Drucksache 16/751 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ich darf daran erinnern, dass wir am Dienstag für die heutige Aussprache eine Debattenzeit von insgesamt vier Stunden vereinbart haben. Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09. Es wäre schön, wenn diejenigen, die nicht an dieser Debatte teilnehmen können, bitte zügig den Plenarsaal verlassen würden. ({1}) Für die Bundesregierung hat das Wort der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos. ({2})

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie tragen wir dazu bei, die Zukunft unseres Landes zu sichern. Dieser Haushalt hat in diesem Jahr - bereinigt, um die Rückübertragung des Bereichs Arbeit - ein um 1,1 Milliarden Euro größeres Volumen, und das in erster Linie deswegen, um Forschung und Technologie stärker zu fördern. ({0}) Für uns sind wichtige Kernbereiche die Förderung der innovativen Kräfte im Mittelstand, die Innovationsförderung bei der Industrie und vor allen Dingen der Ausbau der Energieförderung. Das halte ich in der Zukunft für ganz besonders wichtig. ({1}) Wir haben das Ziel, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahr 2010 mindestens 3 Prozent unseres Bruttosozialproduktes ausmachen. Dazu brauchen wir die Mithilfe der Wirtschaft. Um das Ziel zu erreichen, muss 1 Euro aus den öffentlichen Kassen zusätzlich 2 Euro aus privaten Kassen mobilisieren. Ich war kürzlich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in Japan, um zu lernen, was andere Länder tun. Die Japaner haben ihre Rezession nicht zuletzt dadurch überwunden, dass sie sehr viel in neue Technologien und vor allen Dingen in Forschung investiert haben. ({2}) Wenn wir international mithalten wollen, dann müssen wir diesen Wettlauf aufnehmen. ({3}) Ziel ist dabei, die gesamte Innovationskette von der Forschung über die Anwendungsreife bis hin zur Markteinführung sinnvoll in eine Hightechstrategie einzugliedern. Voraussetzung dafür ist aber, dass wir eine zukunftsgerichtete und sichere Energieversorgung haben; denn Energie ist der Lebenssaft der Wirtschaft. Frau Bundeskanzlerin, ich bin sehr dankbar, dass am Montag ein Energiegipfel stattfinden wird. Auf ihm werden alle Probleme auf den Tisch gelegt. Er ist eine erste wichtige Diskussionsrunde. Gestern wurde eine McKinsey-Studie veröffentlicht. In dieser wird uns empfohlen, die Energieversorgung in Deutschland und in Europa auf eine breitere Basis zu stellen und aufzupassen, dass wir nicht immer stärker abhängig werden, zum Beispiel von der Erdgasversorgung aus Russland. Wir wissen ja, mit Erdgas aus Russland lässt sich viel Geld verdienen. Nicht nur die betreffende Industrie verdient so ihr Geld, sondern auch andere verdienen ein paar Euro hinzu. Ich bin kein Neidhammel. ({4}) Ich gönne das den anderen. Ich will damit nur sagen, wir müssen zusehen, dass der Anteil von Öl und Gas an der gesamten Energiekette nicht ständig steigt. ({5}) Deswegen werden wir einen breiten Energiemix diskutieren. Dazu gehören selbstverständlich - Herr Kuhn, da müssen Sie gar nicht so skeptisch schauen - die erneuerbaren Energien. ({6}) Ich bin der Meinung, dass in der Diskussion die gesamte Bandbreite einer sicheren Energieversorgung zur Sprache kommen muss. Wenn wir das nicht tun würden, dann würde das von der Wirtschaft kommen. Ich finde, wir sollten nicht gegenseitig irgendwelche ideologischen Barrieren aufbauen, ({7}) nämlich hinsichtlich der Anwendung und des Ausbaus bestimmter Energieformen, vor allem jener, die CO2-frei sind, sondern das tun, was auch andere große Industrieländer tun. ({8}) - Dieses Wort ist noch nicht gefallen. Deswegen bin ich dankbar für den Zwischenruf, mit dem die SPD das Wort „Kernenergie“ in die Debatte eingeführt hat. ({9}) Ich finde, die Dinge liegen auf dem Tisch. Jetzt einmal ganz ernsthaft. Im Hinblick auf die Energiepreise sind die Grenzen der Belastbarkeit zum Teil überschritten. ({10}) Die energieintensive Industrie wandert zum Teil ab. ({11}) Wenn im Nachbarland etwas produziert und die Energie dort nicht so umweltfreundlich wie bei uns erzeugt wird, dann belastet das die Umwelt noch sehr viel stärker. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden und erwarten viel vom Anspringen des privaten Konsums. Nun gibt es verschiedene Ursachen, warum das so war. ({13}) Es gab viel Kaufkraftzurückhaltung. Man hat sich natürlich unter anderem gefragt, wie es mit der Altersversorgung weitergeht, wie es einmal mit der Gesundheitsversorgung aussieht und wie es in unserem Land mit der Arbeitslosigkeit weitergeht. Es kam sicherlich zu einem Angstsparen; aber es gibt natürlich auch breite Verbraucherschichten, denen es an der Kaufkraft fehlt. Das Geld, das man für Öl und Gas bzw. für die Heizung und den Strom ausgeben muss, kann man nicht anderweitig in den privaten Konsum geben. ({14}) Deswegen müssen wir auch aufpassen, dass wir den Wirtschaftsaufschwung nicht dadurch behindern, dass wir zuschauen, wenn die Preise immer stärker steigen. Ich bin der Meinung, dass dazu natürlich mehr Angebot gehört. Deswegen fordere ich vor allen Dingen die großen Stromerzeuger auf, endlich mit den angekündigten Investitionen in den Kraftwerkspark zu beginnen. Das haben sie bereits meinem Vorgänger Herrn Clement schriftlich versprochen. Die ersten neuen großen Kraftwerke könnten sich schon im Bau befinden. Ein Markt entspannt sich nur, wenn mehr Angebot in den Markt kommt. ({15}) Deswegen brauchen wir mehr Stromerzeugung in Deutschland. Das ist meiner Ansicht nach die wirksamste Form, um den Strommarkt wieder liquider zu machen und dadurch zu niedrigeren Preisen zu kommen. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen natürlich auch die Strukturen verändern, wenn wir wollen, dass der Aufschwung auch in das etwas schwierigere Jahr 2007 hineingetragen wird. ({17}) Wir haben uns ja bekanntlich vorgenommen, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte 2007 noch stärker anzugehen, als das im Jahr 2006 der Fall ist. Herr Kuhn, wir müssen natürlich die hohen Lohnzusatzkosten begrenzen. Erste Schritte werden durch die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung getan. Es kommt auch dem Mittelstand zugute, wenn die Lohnzusatzkosten nicht ständig weiter steigen. Auch bei der Gesundheitsreform müssen wir natürlich schauen, dass es zu einer Begrenzung der Lohnnebenkosten kommt. Das geht nur durch mehr Wirtschaftlichkeit im gesamten System der Gesundheitsversorgung. ({18}) Ich meine, die Anreize zur Kosteneinsparung müssen wettbewerbsorientiert sein. Wir wollen den Wachstumsprozess auch dadurch beschleunigen, dass wir zum 1. Januar 2008 eine Unternehmensteuerreform in Kraft setzen, durch die vor allen Dingen eine Rechtsformneutralität bei der Besteuerung der mittelständischen Personenunternehmen, der inhabergeführten Unternehmen und der Kapitalgesellschaften erreicht wird. ({19}) Wir wollen, dass der Mittelstand profitiert. ({20}) Dazu gehört auch, dass wir die Erbschaftsteuer- und die Schenkungsteuerlast im gewerblichen Bereich verringern. Es macht keinen Sinn, wenn wegen der Erbschaftsteuer Unternehmen verkauft werden müssen, wo es doch manchen Käufern nur um die Marktzugangskanäle und das Know-how geht. Bei mittelständischen Familienunternehmen, überhaupt bei familiengeführten Unternehmen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es bei uns im Land bleibt, sehr viel höher. ({21}) Deswegen hat sich die Koalition entschlossen, diesem Punkt in ihrem Programm Rechnung zu tragen. Das ist keine Begünstigung von Reichen; denn das geht in der Art und Weise vor sich, dass für jedes Jahr, in dem das Unternehmen weitergeführt wird, die zu zahlende Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer um 10 Prozent reduziert wird. Wenn Betriebsvermögen ins Privatvermögen übertragen wird, dann muss dies ohnedies versteuert werden. Daher sollten wir diese Dinge zügig angehen. ({22}) Ich möchte diese Debatte als Gelegenheit nutzen, mich ganz herzlich insbesondere bei den kleineren Unternehmen zu bedanken. Vor allen Dingen das Handwerk stellt 80 Prozent der Ausbildungsplätze zur Verfügung. Der Ausbildungspakt ist im letzten Jahr ein Erfolg gewesen. Wir möchten, dass er auch in diesem Jahr Erfolge zeigt. Das sind wir den jungen Menschen schuldig. ({23}) Die Zahl der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, wird eher noch ansteigen. In diesem Jahr wird mit einer Zahl von über 600 000 gerechnet. Wer heute nicht ausgebildet wird, steht morgen nicht als qualifizierte Arbeitskraft zur Verfügung. Wir wissen, dass sich diese Zahlen wieder ändern werden. Eine gute Ausbildung ist der beste Schutz gegen einen Fachkräftemangel in der Zukunft. Unsere Exportwirtschaft ist gut aufgestellt. Die Unternehmen haben Marktanteile hinzugewonnen. Ich finde es eine große Leistung, dass die deutsche Wirtschaft in diesem internationalen Konzert so gut mitspielt, obwohl so dynamische Konkurrenten wie China und Indien als große Player hinzugekommen sind. Deutschland hat seinen Anteil am Welthandel halten können. Diese Erfolge sind nicht selbstverständlich, sondern müssen immer wieder neu errungen werden. Deswegen möchten wir - dazu sind im Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie einige Instrumente vorgesehen - den mittelständischen Firmen bei der Eroberung neuer Märkte helfen. Außenhandelskammern, Auslandsmessen, Hermesdeckungen und Investitionsgarantien sind in diesem Zusammenhang die Stichworte. Unsere Außenwirtschaft sichert auch in Deutschland Arbeitsplätze. Allein die Hermesdeckungen für Exporte in Höhe von fast 20 Milliarden Euro sichern bei uns im Inland circa 200 000 Arbeitsplätze. Weil wir wollen, dass der freie Welthandel funktioniert und weil wir zu den Ländern gehören, die davon ganz stark profitieren, müssen wir erneut Anstrengungen unternehmen, damit die Doha-Runde der WTO-Konferenz zu einem Erfolg wird. Ein Scheitern muss verhindert werden. Wir sind natürlich sehr viel stärker für multilaterale als für bilaterale Vereinbarungen. Das ist auch bei meinem Besuch in Asien deutlich geworden. Länder wie Singapur fordern uns als Europäische Union aber auf, bilaterale Vereinbarungen zu treffen, weil sie Angst haben, dass die Verhandlungen nicht vorankommen. Ich werde deswegen in der kommenden Woche noch einmal in die USA fliegen, um dort zu versuchen - die USA sind der Schlüssel zu den großen Schwellenländern -, neue Impulse in den Prozess hineinzubringen. Es wäre schlecht, wenn diese Verhandlungsrunde scheitern würde. Aber wir können es derzeit nicht ausschließen. Ich möchte nochmals sagen - da bin ich mir der Unterstützung dieses Hauses sicher -, dass Deutschland alles tut, um ein Scheitern zu verhindern. ({24}) Die Stimmung bei allen am Wirtschaftskreislauf Beteiligten - das sind nicht nur die Unternehmen - ist sehr viel besser geworden. Der Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt ein Hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Das hängt damit zusammen, dass einerseits verschiedene Zyklen auslaufen und andererseits das Vertrauen zurückkehrt. Es gibt jedoch keinen Grund, sich deswegen auf den vermeintlichen Lorbeeren auszuruhen. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Eine Aufgabe, die ich für besonders wichtig halte, ist der Kampf gegen die Bürokratie. ({25}) Beim Bürokratieabbau muss etwas geschehen. Das kann aber nicht allein durch die Ministerien geleistet werden. Ich habe unlängst über das Präsidium des BDI die Wirtschaft aufgefordert, Vorschläge vorzulegen, was im Unternehmensbereich konkret zu tun ist. Denn manchmal werden unsere Vorhaben von Unternehmensverbänden konterkariert, die dann beispielsweise darauf hinweisen, dass eine bestimmte Statistik unverzichtbar ist. Deswegen müssen wir es miteinander angehen, um erfolgreich zu sein. ({26}) Mein Ziel ist die Stärkung der Wachstumskräfte in unserem Land. Ohne Wachstum lassen sich die Probleme nicht lösen. Nur mit einem stärkeren Wirtschaftswachstum können wir erreichen, dass wieder mehr Menschen Arbeit haben. Das ist das vordringlichste Ziel. Darüber sind wir uns einig. ({27}) Nur mit mehr Wachstum können wir die öffentlichen Haushalte konsolidieren. Nur damit können wir den demografischen Herausforderungen in unseren Sozialsystemen begegnen. In der Diskussion habe ich noch etwas gelernt: Japan hat ähnliche demografische Probleme, wie sie sich bei uns abzeichnen. Es macht keinen Sinn, das Problem nur aus wirtschaftlicher Sicht zu bejammern. Ich will an dieser Stelle nicht auf neue familienpolitische Initiativen eingehen, ({28}) aber der Bevölkerungsaufbau ist nun einmal problematisch. Sie haben den so genannten Silver Market angesprochen. Wir müssen den Markt so entwickeln, dass die kaufkräftigen älteren Menschen am Wirtschaftskreislauf beteiligt werden. Daraus ergeben sich ebenfalls Wachstumschancen. Auch mit diesem Thema sollte sich unsere Wirtschaft befassen. Jede Krise - auch jede vermeintliche Krise - birgt Chancen. Diese zu nutzen, ist unsere Aufgabe. ({29}) Die Zahlen sind bekannt. Wir rechnen mit einem Wachstum von 1,5 Prozent. Wenn die Zahl der Feiertage in diesem Jahr niedriger wäre, dann wäre es möglicherweise noch höher. Die Institute sind teilweise optimistischer. Die Zahlen des ersten Quartals sind witterungsbedingt nicht sehr gut. Aber eines ist besonders erfreulich: Die Zahl der Arbeitslosen ist - auch wenn sie insgesamt immer noch viel zu hoch ist - bedeutend niedriger als im letzten Jahr um diese Zeit. Ich meine, wir haben große Chancen in der Koalition. Lassen Sie uns diese Chancen nutzen! Danke schön. ({30})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mainz-Mitte! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute Morgen hat sich wieder einmal das Sprichwort „Reisen bildet“ bestätigt. ({0}) Michael Glos - das ist der deutsche Wirtschaftsminister erwartet, dass sich die Konjunktur belebt. Sein Ministerium begründet das mit den außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Herr Glos hat Recht: Es ist immer die Weltwirtschaft, die das geringe Wachstum in Deutschland treibt. Aber auch bei 5 Millionen Arbeitslosen - in Wahrheit, wenn sie ehrlich berechnet würden, sind es 6 Millionen bis 7 Millionen - besteht kein Grund, einen verfassungswidrigen Haushalt vorzulegen. Ich darf Herrn Glos aus der letzten Haushaltsdebatte zitieren. Er sagte an die alte Bundesregierung gerichtet wörtlich: Sie sind ja nicht einmal mehr bereit, unsere Verfassung zu beachten, obwohl Ihnen Ihr Amtseid das vorschreibt. ({1}) Herr Glos hat weiter festgestellt: Die Bundesregierung verspielt unser aller Zukunft. ({2}) Die Arbeitsmarktsituation erfordert eine zielstrebige Wirtschaftspolitik. Diese ist aber nicht erkennbar. ({3}) Mit Förderprogrammen wie Inno-Watt, Inno-Net, NEMO und Pro Inno können die Unternehmen, die den Verwaltungsaufwand nicht scheuen, etwas Geld mitnehmen; aber es bringt nicht die erforderliche Wende. ({4}) Vielleicht sollten Sie die Steinkohlesubventionen unter Inno-Strom firmieren lassen und das damit begründen, dass dies ein Stück weit Innovation und Mittelstandsförderung ist. Das Festhalten an den Steinkohlesubventionen führt zu keiner Konjunkturbelebung. Das Gleiche gilt auch für das so genannte Wachstumspaket. Es ist ja nett, dass ein Teil der Handwerkerrechnung und Kinderbetreuungskosten steuerlich abgesetzt werden können. ({5}) - Nein. Zynisch ist, bei 6 Millionen Arbeitslosen nichts zu tun. Sie sollten einmal in Ihren alten Haushaltsreden nachlesen, was Sie früher erklärt haben. Nun argumentieren Sie genau anders herum. ({6}) Diese Regierung der vereinigten Sozialdemokraten, rot und schwarz angestrichen, steht nur kraftvoll auf der Stelle, anstatt die Veränderungen vorzunehmen, die Sie früher gefordert haben. ({7}) Mit Gebäudesanierungsprogrammen lösen Sie die Standortprobleme nicht. ({8}) - Gut, ihr habt in Rheinland-Pfalz mehr als wir erreicht. Aber Helmut Kohl hatte 57 Prozent. Nun seid ihr gerade einmal über 30 Prozent. Eine solche Halbierung könnten wir uns nicht leisten. ({9}) Unserer Wirtschaft, vor allem dem Mittelstand, auf den ständig Lobreden gehalten werden - so auch heute -, wenn man Ausbildungsplätze braucht, helfen Sie am besten, wenn Sie auf die geplante Mehrwertsteuererhöhung verzichten. ({10}) Hilfreich wäre auch ein Bürokratieabbau, auf den Sie heute zu Recht hingewiesen haben. Es gibt ja keine Rede, in der dieser Abbau nicht propagiert wird. Aber es geschieht nichts. Noch nicht einmal die Novellierung des Gaststättengesetzes - die haben Sie angekündigt wird angepackt; noch nicht einmal das „Frikadellenabitur“ schaffen Sie ab. Nichts tut sich, außer Ankündigungen. Das kennen wir schon von Herrn Clement. Er hat jede Woche einen bunten Luftballon durch den Bundestag getragen, aber am Schluss kam nichts heraus. Sie setzen offenbar die rot-grüne Politik konsequent fort. ({11}) Man kann der Bundesregierung nur zurufen: Fürchtet euch nicht! Wir Liberale sind bei euch, wenn ihr etwas Vernünftiges macht. Also, nun mal ran! ({12}) Aber das Gegenteil geschieht. Die Unternehmen müssen in diesem Jahr in einem komplizierten Verfahren dreizehnmal Sozialabgaben entrichten, was einen erheblichen Mehraufwand bedeutet. 20 Milliarden Euro Liquiditätsentzug in diesem Jahr und ein Konjunkturprogrämmchen mit einem Volumen von 5 Milliarden bis 6 Milliarden Euro, von Wärmedämmplatten bis Elterngeld. Das ist wahrlich eine Förderung des deutschen Mittelstands! ({13}) Herr Michelbach, Sie haben früher, als Sie noch Mittelstandssprecher der Union waren, tolle Äußerungen gemacht. Sie haben in Ihrer letzten Haushaltsrede gefordert, die Unternehmen müssten von Steuern entlastet werden; der Arbeitsmarkt müsse flexibilisiert werden; der Anstieg der Energiepreise müsse gestoppt und überflüssige Bürokratie abgebaut werden. Das alles haben Sie im letzten Jahr erklärt. ({14}) Sie machen es nur nicht, Herr Michelbach. Ich glaube, Ihr Nachfolger wird es auch nicht machen. ({15}) Die Sozialabgaben für die Minijobs sollen um 20 Prozent erhöht werden. Das ist ganz offensichtlich ein Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten. Es ist heutzutage ungeheuer kompliziert, eine Gehaltsabrechnung zu machen. Herr Glos, ich lade Sie zu einem Gehaltsabrechnungsnachmittag in Mainz ein. Dann schauen wir uns in einem Betrieb einmal an, was dort alles geleistet werden muss, um mit der Bürokratie klarzukommen. Hier besteht wirklich Reformbedarf. Aber ich sage Ihnen voraus: Sie werden wieder nur Trippelschrittchen gehen. Die Diskussion fängt ja schon wieder sehr verhalten an. Das Prinzip „Abwarten, bis sich die Wirtschaft erholt“, also Wartezimmer mit Schlafraum, wird nicht weiterhelfen. Die Konjunkturdaten werden missbraucht, um sich vor einer Reform zu drücken. Vor den vier Wahlen haben Sie nichts gemacht. Jetzt kommt vielleicht ein bisschen Gesundheitsreform. Aber hohe Erwartungen habe ich nicht. Ob Kündigungsschutz, betriebliche Bündnisse oder eine wettbewerbsfähige Unternehmensverfassung, nirgendwo erfolgt eine Reform. Sie beklagen zu Recht die hohen Energiepreise. Aber wer Eon noch mehr Marktmacht gibt, darf anschließend nicht klagen. Bei fast 90 Prozent Marktanteil müssen die Preise ja hoch sein. ({16}) - Hören Sie zu, sonst verstehen Sie es nicht. Sie sehen nie etwas. Das liegt an Ihnen. Dagegen hilft auch keine Brille. ({17}) Sie sollten den Kündigungsschutz nicht Herrn Müntefering und den Atomausstieg nicht Herrn Gabriel überlassen. Das ist dieses Kartell von 70 Prozent, das nun Grau als Modefarbe und Unbeweglichkeit als Dynamik deklariert. Das zeigt einen erschreckend schnellen Prozess der Sozialdemokratisierung der Union. Herr Westerwelle hat die gemeinsame Erklärung von CDU, CSU und FDP dargestellt. Alles, was Sie vor der Wahl erklärt haben, ({18}) haben Sie vergessen, nur damit Sie jetzt wieder einen Dienstwagen haben. Das kann die Lösung nicht sein. ({19}) Die beeindruckenden Exporterfolge muss man sich näher betrachten; das sage ich auch dem früheren mittelstandspolitischen Sprecher der Union. Der Schwerpunkt liegt beim Warenverkehr. Sie müssen aber sehen, dass wir bei den Dienstleistungen und der Hochtechnologie dramatisch an Stellenwert verlieren. Beim Dienstleistungsexport ist Deutschland nach den OECD-Zahlen Schlusslicht. Das ist kein Weg in die Zukunftsmärkte. Deshalb müssen hier andere Rahmenbedingungen gesetzt werden. Sie müssen den Mut haben, die Strukturen anzugehen und sie zu ändern. Mit kleinen Trippelschritten werden Sie es nicht hinbekommen. Sie müssen den Energiesektor angehen. Es ist doch ganz klar: Bei monopolistischen Strukturen im Energiesektor bekommen Sie dort auch monopolistische Preise. Das ist doch die Kernursache für die hohen Preise. ({20}) Sie müssten wieder einmal bei Ludwig Erhard und bei Walter Eucken nachlesen, was die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft sind. Wo sind denn Ihre Ansätze zur Unternehmensteuerreform? Bisher hat Herr Glos mit Ludwig Erhard nur gemein, dass beide aus Franken kommen. Aber vom Wirtschaftswunder ist noch nichts erkennbar, auch im weitesten Sinne nicht. Rühmen Sie sich auch nicht, Sie hätten den ersten Gang schon eingelegt. Sie stehen mit beiden Füßen auf der Bremse. ({21}) Sie müssen endlich die Strukturen verändern. Unser Produktionspotenzial ist zu schwach; das kann man auch nicht durch ein bisschen Konjunkturprogramm ändern. ({22}) Sie müssen eine Steuerreform machen, Sie müssen die Bürokratie wirklich abbauen, Sie müssen die Pflegeversicherung in Ordnung bringen, Sie müssen den Arbeitsmarkt zum Markt machen - damit die, die draußen stehen, auch eine Chance haben, hereinzukommen -, Sie müssen die Rente in Ordnung bringen. Alles das steht aus. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag keine entsprechenden Regelungen aufgenommen - nicht, weil Sie keine Zeit hatten, sondern deshalb, weil Sie sich nicht einig sind. Das ist das Schlimme. Draußen in der Gesellschaft sehen Sie die Allergiereaktion: Verdi mit der Strategie rückwärts, Kampf um frühere Positionen. Statt moderner Tarifpolitik mit Erfolgsbeteiligung und Flexibilität gibt es eine Rückwärtsrolle, weil die Weichen politisch nicht gestellt werden. Wenn Sie mir nicht glauben, zitiere ich zum Schluss aus dem Konjunkturbericht des Bundesverbands der deutschen Banken von gestern, nach deren Ansicht die Bundesregierung diesen kleinen Aufschwung nur mit klaren Reformen ins kommende Jahr retten kann. Fangen Sie endlich an! Nehmen Sie die Füße von der Bremse. Bewegen Sie sich! ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Brüderle, das war kein leises Servus für Ihren Abschied von der Macht in Mainz. Ich mache mir große Sorgen um Sie. Sie verrennen sich, Sie versinken immer tiefer. Es nützt nichts, die Kassandra zu spielen. Das passt nicht zu Ihnen. Wer einmal Weinköniginnen geküsst hat, der kann nicht so depressiv werden, wie Sie hier geredet haben. ({0}) Herr Brüderle, ich würde mir einfach den Ifo-Konjunkturindex hinlegen und das Zimmer damit tapezieren lassen; dann wird jeder Morgen schon ein Aufschwungmorgen. ({1}) Oder wenn Sie es literarisch mögen: Ich würde mir den Emanuel Geibel besorgen - der passt gerade in diesen Monaten -: Und dräut der Winter noch so sehr Mit trotzigen Gebärden, Und streut er Eis und Schnee umher, Es muss doch Frühling werden. ({2}) Wir fahren jetzt einen Zug Optimismus. Eines der besten Dinge: Der Wirtschaftsminister spart bei der internationalen Werbung für unseren Standort unglaublich viel Geld, weil jetzt nicht mehr erst die eine Gruppe kommt und das Land schlecht macht und dann die andere Gruppe kommen muss, um das Image des Landes wieder aufzubauen. Gegen 80 Prozent Wohlmeinende haben Sie mit Pessimismus keine Chance. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben eine ganze Menge positive Dinge. Wenn man sich die Arbeitsmarktzahlen anschaut, dann kann man sagen: Wir sind noch nicht zufrieden. Das sind wir auch nicht. Der Horizont ist aber sichtbar. Die Arbeitsgemeinschaften und die kommunalen Träger sind handlungsfähig, die Arbeitsmarktpolitik ist da, das Programm für Handel und Handwerk funktioniert. Herr Brüderle, seit langer Zeit wirbt das deutsche Handwerk für ein Programm seiner Regierung und sagt, Leute, das ist eine Chance für uns. Also machen wir das doch nicht schlecht, sondern freuen wir uns, dass wir mit Handwerk und Mittelstand an die Lösung der Probleme gehen können! ({4}) Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch mit den Managern auseinander setzen müssen. Peter Struck hat gestern einen gewissen Patriotismus der Manager eingefordert. Darüber haben sich manche aufgeregt. Ich sage es einmal juristischer: Dieser Patriotismus ist im Grunde der Gehorsam gegenüber dem Grundgesetz. Wer immer in Deutschland ein wirtschaftliches Eigentum erwirbt, erwirbt es mit der Hypothek der sozialen Verpflichtung des Eigentums, das auch dem Gemeinwohl zugute kommen soll. ({5}) Das muss man den Managern sagen. Reiner Shareholdervalue steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Auch das muss man deutlich sagen. ({6}) Der Mittelstand weiß das längst; er hat schon immer nach dem Motto „Leben und leben lassen“ und im Interesse der Mitarbeiter und der jeweiligen Region gehandelt. Wir müssen das auch denen sagen, die meinen, sie könnten als Finanzinvestoren aus der deutschen Wirtschaft einen Esel-streck-Dich machen. Das kann und wird so nicht sein. Herr Brüderle, da stehen uns große Aufgaben bevor. Ich nenne das Stichwort „50 plus“. Das, was Michael Glos zu den Älteren gesagt hat, also die Älteren als Chance zu begreifen, ist ein ganz wichtiger neuer Ansatz. Es ist doch verrückt: Seit Hunderten von Jahren kämpft die Menschheit dafür, dass sie älter wird; kaum wird sie älter, sagt sie, das ist ein Problem. Wir sollten jubeln und uns freuen, dass wir endlich erreicht haben, dass wir in den Himmel kommen, aber nicht so bald, wie ein bayerischer Landpfarrer immer gebetet hat. ({7}) Deswegen lasst uns hier bitte diese Chance nutzen und unsere Arbeits- und Geschäftsprozesse so neu strukturieren, dass wir bei einem längeren Leben auch länger mitwirken können. Ich bin ein Einödhofkind. Da war es immer klar, dass die Menschen in allen Lebensphasen mit dem, was sie konnten, ins Arbeitsleben integriert waren. Ich denke, so etwas kann diese Gesellschaft auch machen. Das gibt ja auch Sinnerfüllung. Es gibt viele, die fallen in ein tiefes Loch, wenn man sie aus dem Erwerbsleben entlässt. Der Ruhestand ist nicht für alle das Reich der Freiheit, wie viele denken. Es ist auch ein Stück Reichtum, eingegliedert zu sein. Lasst uns das angehen und nicht jammern! „50 plus“ ist eine riesige Aufgabe, mit der Franz Müntefering begonnen hat. Lasst uns auch das Thema Jugendliche unter 25 Jahren angehen! Ich bin inzwischen dafür, dass wir den Kultusministern der Länder einen Eingliederungszuschuss abverlangen für jeden jungen Menschen, den sie uns ohne Hauptschulabschluss vor die Tür stellen. ({8}) Es kann doch nicht sein, dass 10 Prozent eines Jahrganges vor die Tür der Wirtschaft gestellt werden, ohne ausreichend lesen und schreiben zu können, nur weil die Länder mit ihren Aufgaben nicht fertig werden. Die Reform der Bildungskette ist hier das Entscheidende. Lassen Sie uns auch gemeinsam die Diskussion um die Arbeits- und Beteiligungsgesellschaft angehen! Ich lese insbesondere in Veröffentlichungen aus kirchlichen Bereichen, dass die Menschen sagen: Lasst uns resignieren, die Vollbeschäftigung ist nicht mehr möglich; der Lebenssinn ist auch woanders. Ich denke, das wäre der verkehrte Ansatz. Wenn wir in einer älter werdenden Gesellschaft unseren Wohlstand halten wollen, müssen wir uns mit allen Kräften, die wir haben, auf eine Arbeitsund Beteiligungsgesellschaft einrichten, damit dieses Land der Welt von Morgen mit dem Weltwirtschaftsmittelpunkt Asien das Notwendige gibt und wir unseren Wohlstand gemeinsam erhalten können. Das ist die Aufgabe für die nächsten Jahre. ({9}) Dazu gehört auch die Kultur der Selbstständigkeit. Es ist eine der wichtigen Entscheidungen der großen Koalition, dass wir die Selbstständigkeit fördern wollen und dass der Haushalt des Wirtschaftsministers auf die Förderung der Selbstständigkeit ausgerichtet ist. Wir brauchen mehr Menschen, die für sich und andere, die das nicht können oder wollen, einen Arbeitsplatz schaffen. Also müssen wir die Finanzierungsvoraussetzungen schaffen, damit aus guten Ideen am Ende gute Werke und Arbeitsplätze werden können. ({10}) Das neue Bundeswirtschaftsministerium steht im Zentrum dieser Bemühungen. Das, was heute in völlig neuer Gestalt vor uns steht, ist schon eine interessante Veranstaltung: Es handelt sich nicht mehr um ein Arbeitsministerium mit angeschlossener Grundsatzabteilung, sondern um ein neues Ministerium. Lieber Peter Ramsauer, das ist keine Voliere für den armen Michael Glos, in der seine Flügel gestutzt werden. Ich gebe zu: Für einen Mondialpolitiker, der in einer Staatskanzlei groß geworden ist, wäre dieses Gehäuse vielleicht etwas eng gewesen. Aber ein fränkischer Rechen kommt damit zurecht. ({11}) Ich rate diesem Franken auch: Hör auf, dir immer wieder ein zusätzliches Gehäuse für die Kernenergie bauen zu wollen! Es gibt so viel Freilandgehege für die erneuerbaren Energien. Da kann man scharren und die Zukunft vorbereiten. Man muss nicht an die verbotenen Gitter herangehen; denn dabei holt man sich nur einen Schlag. ({12}) Dieses Ministerium hat einen spannenden Zuschnitt. Der Wirtschaftsminister ist von der Aufgabe der passiven Arbeitsmarktpolitik - der arme Franz Müntefering muss sie schultern - befreit. Er kümmert sich um die Innovation und kann dazu beitragen, Müntefering das Geschäft leichter zu machen. Wir müssen unsere Hausaufgaben in der Ordnungspolitik machen, zum Beispiel bei der Anreizregulierung der Energie. Herr Brüderle, wir sind uns einig im Hinblick auf die Befassung der Energieagentur mit der Anreizregulierung, damit die Durchleitungsgebühren sinken und damit die Wettbewerbsfähigkeit gefördert wird. Wir müssen auch darauf dringen, dass die Manager der Energiewirtschaft aufhören, pausenlos Versprechungen zu machen. Was haben sie uns während der Beratungen alles versprochen: 20 Milliarden Euro! Jetzt lassen Sie sich schon feiern, wenn sie 10 Milliarden Euro versprechen. Diese Manager erinnern mich an etwas, was früher in Bayern stattfand: Arme Leute haben den Kindern in der Weihnachtszeit das alte Spielzeug weggenommen, es neu angestrichen und auf den Gabentisch gelegt. So darf es die Energiewirtschaft nicht machen. Wir werden uns das Verhalten dieser Manager nicht gefallen lassen. ({13}) Wir müssen dabei helfen, dass neue Ideen in neue Produkte umgesetzt werden. Michael Glos muss seine Hebammendienste leisten, damit aus Ideen dank Forschung und Entwicklung wirklich gesunde Unternehmen geboren werden. Das neue Ministerium ist auch für Europa zuständig. Aufgrund des Drängens der SPD-Fraktion ist bei der Dienstleistungsrichtlinie manches bewegt worden. Es war schon eindrucksvoll, als der Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums für seinen Vortrag mehr Beifall als ein früherer Wirtschaftsminister bekommen hat. Da zeigt sich, dass Sie vom Irrtum zur Wahrheit gereist sind. Menschen, die das tun, sind bekanntlich die Weisen. ({14}) Lassen Sie uns also diese Arbeit machen! Die KMUFörderung steht im Mittelpunkt: Dabei geht es - das ist ganz neu - um die Finanzierung der kleineren und mittleren Unternehmen durch Kredite und Kapitalbeteiligungen. Es kann nicht so bleiben, dass amerikanische Pensionsfonds die Einzigen sind, die Bereitschaft zum Risiko zeigen, und dass wir uns hinterher beklagen, dass die Gewinne der Unternehmen woanders investiert werden und nicht den Wohlstand unseres Landes mehren. Wir müssen miteinander die Risikobereitschaft in unserem eigenen Land fördern. ({15}) Der Hightech-Gründerfonds ist dabei eine wichtige Sache. Mir ist aufgefallen, dass einer der HightechGründerfonds nach luxemburgischem Recht gegründet worden ist. Wenn die deutsche Bundesregierung zur Förderung von Hightech-Gründerfonds in Deutschland auf ausländisches Recht zurückgreifen muss, dann ist das kein Kompliment für unser gegenwärtiges Recht. Lassen Sie es uns also miteinander überarbeiten, damit wir international wettbewerbsfähig werden! ({16}) Der Haushalt 2006 ist ein Haushalt zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Herr Brüderle, ich habe viel Kraft darauf verwendet - auch während der Koalitionsverhandlungen -, zu erreichen, dass mit dem diesjährigen Haushalt Gas gegeben wird, damit im nächsten Jahr Belastungen getragen werden können. Es ist einfach unredlich, zu sagen, das sei verfassungswidrig. Lesen Sie den Art. 115 oder auch den Art. 109 Grundgesetz! ({17}) - Herr Präsident, wenn Herr Brüderle eine Zwischenfrage stellen will, dann gestatte ich das; das verlängert die Redezeit. Das ist aber nicht verabredet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Brüderle ist ein anständiger Kerl, sodass er Ihre Freundlichkeit zu Beginn jetzt durch Verlängerung Ihrer Redezeit zum Ausgleich bringt. Bitte schön, Herr Kollege Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich finde die Reden vom Kollegen Stiegler unabhängig vom Inhalt immer interessant. Herr Kollege Stiegler, die Möglichkeit, bei einem Ungleichgewicht der Wirtschaft mehr Investitionen und damit mehr Ausgaben zu tätigen, als durch Einnahmen gedeckt sind, erfordert meines Erachtens zwingend - das stellt man fest, wenn man die Kommentare zu Art. 115 Grundgesetz und zum Stabilitäts- und Wachstumsgesetz nachliest -, dass auch die Haushaltsstruktur der Situation gemäß ausgerichtet wird. Das tun Sie eben nicht. Der Haushalt wird nicht der Situation gemäß ausgerichtet. Das Motiv ist - wie in den vergangenen Jahren bei der Vorgängerregierung auch -, sich der Mühe des Sparens zu entledigen und die Ausgabenseite im Haushalt eben nicht in Ordnung zu bringen. Der Haushalt müsste wie bei jedem Privatmenschen auch - wenn ich mehr ausgebe, als ich einnehme, dann muss ich mich nach der Decke strecken - von der Ausgabenseite her in Ordnung gebracht werden. Sie missbrauchen dieses Konzept der Ausnahmeregelung, um Ihre Schwäche beim Haushaltsausgleich zu übertünchen. ({0}) Es ist eine Spielerstrategie: In diesem Jahr lasse ich es laufen, fast 40 Milliarden Euro Defizit, mehr Schulden. Das ist die Nostalgiestrategie der beiden Fraktionen: mehr Schulden, mehr Staat, mehr Steuern, mehr Bürokratie. Aber so kommen wir in Deutschland nicht voran.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich hoffe, dass ich für die Antwort zumindest so viel Redezeit erhalte, wie für die so genannte Frage gebraucht wurde. ({0}) Herr Brüderle, wenn Sie jetzt ein juristisches Staatsexamen machen müssten, würden Sie glatt durchfallen. Die Regelung des Art. 115 Grundgesetz ist eben nicht an den Investitionsbegriff gekoppelt, sondern hat den Zweck, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Wer wie Sie unter Einrechnung der stillen Reserve sagt, wir haben in Wahrheit 7 oder 9 Millionen Arbeitslose, und dann noch behauptet, unsere Wirtschaft sei im Gleichgewicht, der tut der Sprache Gewalt an. Das geht an den Tatsachen wirklich vorbei. ({1}) Der Unterschied zu früher, Herr Brüderle, ist der: Früher hat man unter dem Druck der Verhältnisse mit den so genannten eingebauten Stabilisatoren gearbeitet. Man hat am Anfang des Jahres gute Einnahmen gehabt und am Ende des Jahres Verluste hingenommen. ({2}) Das habe ich immer kritisiert, auch bei uns intern; dafür gibt es sogar Zeugen. Jetzt sagen wir: Am Anfang des Jahres handeln wir, damit wir am Ende des Jahres nicht Verluste hinnehmen müssen, sondern wirtschaftliche Erfolge ernten können. ({3}) Deshalb sind wir hier so klanghell im Einklang mit dem Grundgesetz, dass Ihnen die Ohren klingen müssten. ({4}) Was mich in dem Zusammenhang ärgert und worüber wir reden müssen, ist die vorläufige Haushaltsführung. Es kann nicht sein, dass eine Vorschrift - hier der Art. 111 Grundgesetz -, die dazu dient, dass das Parlament nicht überrumpelt wird, dasselbe Parlament hindert, schon im Frühjahr Akzente zu setzen. Ich danke deshalb den Haushältern dafür, dass sie in teleologischer Reduktion der Vorschrift bei der Auslegung wirklich bis an die Grenzen des Denkbaren gehen, um Schwung in die Wirtschaft zu bringen. Herzlichen Dank an unsere Haushälter! ({5}) Neben dem Schwerpunkt Mittelstand gibt es den Schwerpunkt Tourismus. Wir haben wieder einen beachtlichen Teil der Mittel für den Tourismus vorgesehen. Wir sind eines der beliebtesten Urlaubsländer. Wir können in diesem Jahr viele Gäste aus dem Ausland begrüßen, die wir nicht abzocken, sondern verwöhnen wollen, damit sie mit Kind und Kegel wiederkommen. Wir sind Reiseweltmeister geworden, knapp vor den USA. Das ist eine Branche, die Dienstleistungsarbeitsplätze schaffen kann. Unsere Tourismuspolitiker - ich denke etwa an Brunhilde Irber, die gerade zu mir herüberlacht ({6}) weisen mit Recht darauf hin, dass 2,8 Millionen Menschen direkt oder indirekt vom Tourismus betroffen sind, dass entsprechend ausgebildet wird und dass die Deutsche Zentrale für Tourismus die Leute nach Deutschland holt. Es war gut, dass in diesem Jahr kein Kampf um die Tourismusförderung stattgefunden hat, sondern dass wir uns von vornherein auf Qualität und Incomingtourismus verständigt haben. Herzlichen Dank an die, die das vorbereitet haben! ({7}) Meine Damen und Herren, wir werden die Gründerförderung weiter betreiben. Forschung und Entwicklung wird Ute Berg ansprechen. Der Ritter gegen Bürokratie und Behinderung ist Rainer Wend; er wird diese Themen hier ansprechen. Wir begrüßen neue Titel im Haushalt, zum Beispiel Luft- und Raumfahrt. Ich habe mich mit einigen Kollegen kürzlich bei der DLR umgesehen. Es ist einfach toll, was die alles miteinander bewerkstelligen. Wir begrüßen, dass die Energie- und Rohstoffeffizienz vorangebracht wird. Wir müssen die deutsche Wirtschaft dazu bringen, dass nicht Entlassungsproduktivität zählt, sondern Energie- und Rohstoffeffizienzproduktivität. Das muss die strategische Ausrichtung der deutschen Wirtschaft werden. ({8}) Die Bundeskanzlerin singt immer das neue Freiheitslied. ({9}) Wir stimmen gerne ein, wenn sie die Strophe anfügt: Freiheit durch soziale Sicherheit. Das gehört für uns unverzichtbar dazu. Freiheit ist nicht, wenn Arme und Reiche in gleicher Weise nicht unter Brücken schlafen oder Brot stehlen dürfen. Freiheit durch soziale Sicherheit ist, ({10}) wenn wir uns nicht nur in der nebulösen neuen Gerechtigkeit verlieren, sondern wenn Gerechtigkeit im Sinne von Aristoteles nach Bedarf auch die Justitia distributiva in Bewegung setzt. ({11}) Wenn Freiheit durch soziale Sicherheit und Integration aller in das Wirtschaftsleben existiert, dann singen wir einen Kanon miteinander und dann geht es auch wieder aufwärts. Glück auf! ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da der Kollege Stiegler die weitere Rednerliste nicht vollständig vorgetragen hat, weise ich darauf hin, dass nun das Wort an die Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke geht. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Glos, Herr Stiegler, dieser Haushalt ist kein Haushalt für Wachstum und Beschäftigung. Er ist ein Haushalt zur Förderung der Arbeitslosigkeit. Ja, ein Exportrekord jagt den anderen. Aktuell ist ein Überschuss von 92,2 Milliarden Euro zu verzeichnen; 1998 waren es 28,8 Milliarden Euro. Aber das gibt keinen Anlass zu Freudenfeiern. Noch weniger kann man darauf die wirtschaftliche Zukunft aufbauen, wie Sie es mit diesem Haushalt weiterhin tun. ({0}) Es sind die großen Exportunternehmen mit einer Außenhandelsabhängigkeit von mehr als 40 Prozent, die den größten Beschäftigungsabbau betrieben haben. Herr Stiegler, auch wir können kein Verständnis aufbringen, wenn diese Unternehmen, wie Telekom, SNE und AEG, trotz sprudelnder Gewinne Massenentlassungen vornehmen oder Standorte schließen. Erst recht haben wir kein Verständnis dafür, wenn die schwarz-rote Koalition in einer solchen Situation die Lockerung des Kündigungsschutzes, egal in welcher Variante, betreibt, statt Mitbestimmungsrechte zur Beschäftigungssicherung zu stärken. ({1}) Es sind diese Unternehmen, die im Namen der Wettbewerbsfähigkeit Druck in Richtung Lohnzurückhaltung ausüben. In keinem anderen europäischen Land gibt es eine so schlechte Lohnentwicklung wie hier. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist eine Konsumflaute historischen Ausmaßes. Vier von fünf Arbeitsstellen hängen am heimischen Markt. Unbezahlte Mehrarbeit, Lohnzurückhaltung und auch eine Senkung der Lohnnebenkosten würden den Leidensweg der deutschen Wirtschaft nur weiter verlängern, statt endlich die Wende herbeizuführen. ({2}) Der Bruch der Gewerkschaften mit dieser Verzichtslogik ist nicht nur sozial gerecht, sondern auch wirtschaftlich notwendig. Deshalb unterstützen wir ihre Streiks. ({3}) Wir fordern aber auch von Ihnen endlich einen Bruch mit der Verzichtslogik. Geben Sie Ihre Ablehnung gegen einen gesetzlichen Mindestlohn auf, Herr Glos! Treffen Sie Maßnahmen zur Stärkung der Tarifautonomie! Fordern Sie mit uns die Landesminister endlich zu fairen Tarifverhandlungen mit Verdi auf! ({4}) Das zarte Flämmchen der Erholung der Binnennachfrage werden Sie mit der beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung und den sozialen Kürzungen wieder ersticken. Wie stellen Sie sich denn da eine Verbesserung der Binnennachfrage vor? Sie sagen, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen solle die Wende bringen, unterstützt durch eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, durch die gestiegenen Unternehmensgewinne, durch die rückläufigen Lohnstückkosten und - nicht zu vergessen - durch die geplante Erbschaftsteuer- und Unternehmensteuerreform zur Verbesserung des Standorts. Wie kann man nur so verbohrt an nachweislich seit Jahrzehnten untauglichen Mitteln festhalten? Ob unter Schwarz-Gelb oder Rot-Grün, damit wurde die Reduzierung der Besteuerung von Gewinnen und Vermögen begründet. Parallel mit diesen Steuererleichterungen ist die Investitionsquote auf einen historischen Tiefstand gefallen. Die Steuererleichterung ist in die Gewinne geflossen, die an die Aktionäre ausgeschüttet worden sind. Auch die Manager konnten jubeln. Die weltweiten Direktinvestitionen sind im letzten Jahr um 29 Prozent gestiegen. Gewonnen hat dabei aber vor allem das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen. Es gab weltweit 23 200 Übernahmeaktivitäten mit einem Volumen von eindreiviertel Billionen Euro. Ein Analyst der West-LB fragte kürzlich angesichts der Übernahmeschlachten der Energiekonzerne: Nutzen sie die Kriegskasse für Zukäufe in Europa oder geben sie den Aktionären etwas zurück? Ferner hieß es, der Eon-Konzern sei wegen seiner hohen Barreserven unter Handlungsdruck geraten. Mit einem Übernahmeangebot werden sie die jetzt los, indem sie für 29 Milliarden Euro Endesa kaufen wollen. Auch Bayer kann die Übernahme Scherings fast allein aus der Portokasse finanzieren. Diese Wirtschafts- und Steuerpolitik bewirkt keine Stärkung der Binnennachfrage durch Investitionen. Sie fördert Arbeitslosigkeit, Umverteilung sowie die Macht großer transnationaler Konzerne, die längst zu einer gewaltigen Gefahr für die Demokratie geworden sind. ({5}) Maßnahmen gegen diese Konzentration sind nötig, nicht ihre Förderung durch Steuerpolitik. Diese Steuereinnahmen, die Sie den Unternehmen geschenkt haben und die diese für Aktionäre und für Übernahmen ausgeben, fehlen an anderer Stelle. Sie fehlen für Bildung, Kultur, Forschung und Infrastrukturmaßnahmen. 1970 wurden noch 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Investitionen ausgegeben. Rot-Grün hat diese Quote auf 1,3 Prozent gesenkt. In einem der wirtschaftsstärksten Länder der Erde bedeutet das: Einsturzgefahr bei Brücken und Gebäuden, Schlaglöcher in den Straßen, ein Kanalsystem, in dem es bald nicht einmal mehr die Ratten aushalten ({6}) und das das Grundwasser gefährdet, Kinder aus armen Familien, die in Suppenküchen essen ({7}) und keine Chance auf Bildung haben, sowie vieles andere mehr. Erneut preisen Sie Ihr Zukunftsinvestitionsprogramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre. Aber das ist zu wenig. Verteilt auf vier Jahre sind es jährlich nur circa 6 Milliarden Euro. Zieht man aber Bilanz in Ihrem Finanzplan, bleibt noch nicht einmal das übrig. Gegenüber 2005 steigen die Investitionen gerade einmal um 0,5 Milliarden Euro. Im Zeitraum bis 2009 bleiben nur genau 2,4 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen übrig. Der Anteil am Haushalt sinkt sogar auf 8,5 Prozent. Etikettenschwindel, mehr ist Ihr Zukunftsinvestitionsprogramm nicht. ({8}) Die Menschen erwarten aber zu Recht, dass ein handlungsfähiger Staat Infrastruktur finanziert, Daseinsvorsorge betreibt, Chancengleichheit in Bildung herstellt, in Forschung, Kultur und, Herr Glos, in erneuerbare Energien - und nicht in Kernenergie - investiert. Wir brauchen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das diesen Namen verdient, mit dem der sozial-ökologische Umbau vorangebracht wird, Handwerkern Aufträge verschafft werden und Arbeitslosen Arbeitsmöglichkeiten geboten werden. ({9}) Herr Steinbrück forderte, dass die Menschen neue Ideen entwickeln. Wir werden Ihnen noch in diesem Jahr gemeinsam mit Gewerkschaften und Verbänden ein Zukunftsinvestitionsprogramm vorlegen, das diesen Namen auch verdient. Wir werden jetzt Sofortmaßnahmen für kommunale Investitionen, den Ausbau der Infrastruktur, die Gebäudesanierung sowie für die Förderung der Bildung und der Kinderbetreuung in die Haushaltsdebatte einbringen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.

Matthias Berninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002627, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, hat wieder da Platz genommen, wo er am liebsten dauernd sitzen würde: auf dem Stuhl des Chefs der CSULandesgruppe. ({0}) - Immerhin sitzt er bei Ihnen in der ersten Reihe. - Dann würde er uns in den Haushaltsdebatten mehr unterhalten, als er das in seiner Rede als Wirtschaftsminister gemacht hat. ({1}) Herr Glos, die ersten 100 Tage sind vorbei. Sie erwecken zum einen nun wirklich den Eindruck, als ob Ihnen der Job keinen Spaß macht. ({2}) Es wird aber in Deutschland keiner gezwungen, Wirtschaftsminister zu werden. Sie würden diesem Land und dem wirtschaftlichen Aufschwung bzw. der wirtschaftlichen Erholung einen guten Dienst erweisen, wenn Sie sich immer auf diesen Platz setzen und nicht in Ihr Ministerium zurückkehren würden. ({3}) Zum anderen ist es so, dass das Bundesministerium zu Beginn der Legislaturperiode seinen Namen von BMWA zu BMWi geändert hat. Es bleibt aber das BMWA. Sie sind der Bundesminister für Wirtschaft und Atomtechnologie. Ansonsten haben Sie zur Debatte überhaupt nichts beigetragen. ({4}) Das ist eines der Schlüsselprobleme. Es gibt keinen mittelständischen Betreiber von Atomkraftwerken. Es gibt aber einen Boom, einen neuen Markt im Bereich der erneuerbaren Energien, der komplett von mittelständischen Unternehmen getragen wird. Die warten darauf, dass ihr Wirtschaftsminister sie auch vertritt und ihnen nicht die Märkte der Zukunft zerstört, indem er hinter der Atomtechnologie hinterherrennt. Nichts anderes haben Sie bisher in Ihrer Regierungszeit getan. ({5}) Nun ist es so, dass Sie nach ein paar Tagen im Amt festgestellt haben: Es gibt ja bei den Exporten ganz gute Zahlen. Sie haben in Ihrer Rede heute gesagt, die Zahl der Exporte hätten wir gehalten und das sei eine große Leistung. Es ist aber anders - darauf hat Frau Lötzer hingewiesen, wobei ich sagen muss: Ich komme zu einem anderen Schluss -: Es gibt genug Probleme im Land; wir müssen nicht auch noch die Exporterfolge zu einem Problem ummünzen. Seit 1998 ist der Export in Deutschland dynamisch gewachsen. Wir sind ähnlich wie China eines der Länder, die Weltmarktanteile hinzugewonnen haben. Das ist ein Zeichen dafür, dass ein relevanter Teil unserer Wirtschaft wettbewerbsfähig ist und die Wirtschaft insofern nicht generell in ein Klagelied einstimmen muss. Das ist ein Erfolg, der in der Tat mit der rotgrünen Regierungspolitik zu tun hat. ({6}) Der Bundesminister hat dann gesagt, Ziel der Bundesregierung sei es, die hohen Lohnzusatzkosten deutlich zu begrenzen. Zu Beginn der Legislaturperiode hörte sich das noch völlig anders an. Da war das Ziel der Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung die Senkung der Lohnnebenkosten. Jetzt ist die Regierung an dem Punkt, dass sie die Steigerungen begrenzen will. Dazu passt die Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die gesagt hat, die Gesundheitsreform werde wahrscheinlich so durchgeführt, dass die Menschen mehr zahlen müssten. Ich prophezeie Ihnen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden mehr zahlen müssen, weil die große Koalition eben nicht die Kraft hat, für mehr Wettbewerb zu sorgen und Pfründe von Ärzten, Apothekern oder Krankenkassen einzudämmen. Stattdessen werden die Beschäftigten die Dummen sein. Das sollte uns allen Sorgen machen. ({7}) Wenn wir schon über Bürokratieabbau reden, dann hätte ich mir vom Bundeswirtschaftsminister gewünscht, dass er einmal darauf hinweist, wo der Bürokratieabbau bereits erfolgreich war. Es gab eine Großdemo der Union im Paul-Löbe-Haus gegen die Novelle zur Handwerksordnung. Wir alle erinnern uns daran: Es war ein Dienstag. Der Saal war gefüllt. Die damalige Fraktionsvorsitzende hat eine Brandrede dagegen gehalten. ({8}) - Der Tourismusbeauftragte interessiert sich auch für das Handwerk. Lassen Sie mich einmal ausreden, Herr Hinsken, oder stellen Sie mir eine Zwischenfrage! Was ist bei dieser Großdemo herausgekommen? Die CDU/CSU war gegen die Novelle zur Handwerksordnung. ({9}) Was ist auf der Website des Wirtschaftsministeriums veröffentlicht worden? Die Zahl der Unternehmen im Handwerksbereich hat sich erhöht. In diesem Bereich ist Dynamik. Hier hat Bürokratieabbau dazu geführt, dass mehr Menschen eine Jobperspektive haben. Das wollten Sie nicht wahrhaben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diesen Kurs der rot-grünen Bundesregierung im Nachhinein unterstützt. ({10}) Ich wünschte mir, dass die Wirtschaft bereit wäre, auch an anderen Stellen über Bürokratieabbau zu reden. Ich freue mich, dass die FDP jetzt darüber nachdenkt. ({11}) Ich nenne das Stichwort der Pflichtmitgliedschaften in den Handwerkskammern. Die ganze Struktur, die wir dort haben und die auf Zwang statt auf Wettbewerb ausgerichtet ist, muss sich genauso ändern, wie es auch an anderen Stellen zu einem Abbau staatlicher Regulierung kommen sollte. ({12}) Dazu wünsche ich mir ebenfalls Initiativen seitens dieser Bundesregierung, wenn sie es denn mit dem Bürokratieabbau ernst meint und dies nicht an einen Normenkontrollrat oder sonstige räterepublikanische Strukturen delegiert. Wir müssen, was die Forschungsausgaben angeht, mit anderen Teilen der Welt mithalten. In der Tat muss hier auch der staatliche Bereich erheblich zulegen. Ich freue mich daher, dass die Forschungsausgaben in diesem Haushalt höher angesetzt sind und ein Teil davon im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ankommt. Ich möchte aber auf eines hinweisen - das ist eine Erfahrung aus den letzten sieben Jahren Rot-Grün -: Die Strukturen im Forschungsbereich können nicht so bleiben. Sie müssen sich weiter verändern. Je mehr Geld wir hineinstecken, desto eher ist dies eine Einladung, dass sich diese Strukturen nicht ändern. Ich glaube, dass man den Mut haben muss, gerade im Forschungsbereich an vielen Stellen etwas zu verändern. Denn wir stecken eine Menge Geld in Technologiebereiche, die für die Zukunft unseres Landes keine gute Anlagemöglichkeit sind. Wir müssen aber auch über die Wirtschaft reden. Reisen bildet bekanntermaßen. Der Bundeswirtschaftsminister war nach Überquerung des Weißwurstäquators bei Toyota in Japan. Toyota gibt allein für Forschung etwa die Hälfte dessen aus, was die gesamte deutsche Automobilindustrie, einschließlich der Zulieferer, in diesen Bereich investiert. Ich will damit sagen: Die deutsche Wirtschaft, die sich in einer relativ guten Gewinnsituation befindet, muss stärker als bisher in Forschung investieren. Das muss ihr ein Wirtschaftsminister ins Stammbuch schreiben. Von Michael Glos haben wir diesbezüglich bisher überhaupt nichts gehört. ({13}) - Herr Rossmanith, ich habe nicht geschlafen. Das ist ein Thema, über das wir später reden können. ({14}) Es wäre aber ein guter Zeitpunkt zum Schlafen gewesen; da stimme ich Ihnen völlig zu. Die Rede von Michael Glos hat dazu viel Anlass gegeben. ({15}) Die Wirtschaft in Deutschland wächst. Auf ein Problem ist heute Morgen aber noch nicht hingewiesen worden: Es gibt ein Wachstum in den alten Bundesländern, aber in den neuen Bundesländern gibt es - mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt - kein Wachstum. ({16}) Das Grundproblem, dass die Wirtschaft in den neuen Bundesländern langsamer wächst als in den alten Bundesländern - ({17}) - Wo eine rot-rote Regierung ist? Dann hat Herr Brüderle also Recht. Er hat von Sachsen gesprochen, wo die rot-rote Regierung an der Macht ist. ({18}) In Sachsen haben wir eine große Koalition. Herr Brüderle hat gesagt, das seien beides Sozialdemokraten, also regiert Rot-Rot. Ich habe versucht, dazuzulernen. Entscheidend ist für mich etwas anderes. Wir können die neuen Bundesländer nicht links liegen lassen. Angesichts dessen, dass die EU-Kommission die Investitionszulage gestern als ineffizient kritisiert hat, diese aber ein zentrales Instrument der Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern ist, hätte ich mir schon gewünscht - zumal der Herr Wirtschaftsminister auch für Europa zuständig ist -, dass er dazu ein Wort verliert. Nichts aber haben wir gehört. Ich sage Ihnen: Wir werden in Deutschland weder die Haushalte in den Griff bekommen noch die Wirtschaft befördern, wenn wir die neuen Bundesländer - nach dem Motto: schlechte Situation dort - systematisch ausblenden und sie von unserem Radarschirm nehmen, wie es der Bundeswirtschaftsminister heute Morgen gemacht hat. ({19}) Das können wir uns nicht leisten. Das wird in den neuen Bundesländern noch mehr Arbeitslosigkeit produzieren. ({20}) Lassen Sie mich zum Abschluss etwas zur WTORunde sagen. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie müssen nicht nach Amerika reisen, um zu einem Abschluss der WTO-Handelsrunde zu kommen. Wenn Sie mit den Schwellenländern, mit Indien, Brasilien und Thailand, auf einen gemeinsamen Nenner kommen wollen, dann müssen Sie dorthin reisen und nach Frankreich, nach Paris. Wir werden als Exportweltmeister in Sachen WTO keine Fortschritte erzielen, solange wir in der Agrarpolitik an überkommenen Subventionen festhalten. Nichts anderes aber haben Sie und Herr Seehofer bei Ihrer ersten Reise nach Hongkong gemacht. Wenn wir diese Handelsrunde zum Erfolg führen wollen, dann müssen wir uns in Agrarfragen bewegen, statt in Washington um Gespräche zu bitten. Auch das ist eine Einsicht, die dieser Bundesregierung bisher fehlt. Ich wünsche mir, dass in den nächsten Monaten in der wirtschaftspolitischen Diskussion eine ganze Reihe von Themen stärker in den Blick genommen wird. Auf eines muss in jeder Rede hingewiesen werden: Der Aufschwung, den wir jetzt haben, wird Ende des Jahres durch bewusstes Handeln der Regierung, nämlich durch eine Mehrwertsteuererhöhung, deren Einnahmen nicht in Strukturänderungen, sondern in den Haushalt fließen, zerstört. Ich glaube, dass wir es uns nicht leisten können, das zarte Pflänzchen Wachstum in dieser Art und Weise kaputtzutreten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Berninger, ich schätze Sie und Ihre Beiträge im Ausschuss eigentlich sehr, was Sie aber heute Morgen, insbesondere was Herrn Glos angeht, abgeliefert haben, war einfach unter aller Sau. Das muss man einfach so sagen. ({0}) Was Michael Glos heute hier vorgetragen hat - das darf ich sicher auch im Namen der SPD-Fraktion sagen -, das hat sich - im Gegensatz zu manch anderem Beitrag, den wir heute gehört haben - durch eine klare Position ausgezeichnet. Er hat wiedergegeben, was die Koalitionsfraktionen wollen: Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung, klares Bekenntnis zum Mittelstand und ein klares Grundkonzept, auch im Außenhandel. Herr Berninger, wenn es bei der WTO überhaupt irgendwo eine Einigung gab, dann in der Landwirtschaft. Hier sind wir auf einem guten Weg. Die WTO braucht eine klare Struktur, auch bezogen auf Dienstleistungen oder Industrie. Das müssen die Schwellenländer lernen. Wir müssen zu Kompromissen kommen. Die Vertreter dieser Länder - zum Beispiel Brasilien - dürfen bei der WTO nicht nur ihre eigenen, zum Teil ganz spezifischen Interessen - das muss man einfach sehen - vertreten. Wir werden hoffentlich zu Kompromissen kommen. Ich Laurenz Meyer ({1}) bin dem Wirtschaftsminister in diesem Zusammenhang sehr dankbar, dass er darauf hingewiesen hat, dass wir zur Not auch bereit sein müssen, mit einzelnen Regionen und Ländern bilaterale Abkommen zu treffen, damit der Welthandel, auch zum Vorteil der Entwicklungs- und Schwellenländer, gefördert wird. Die Ausgangssituation ist wirklich ernst genug. Denken Sie nur an das Wachstum des Bruttosozialprodukts im letzten Jahr, an die Arbeitslosigkeit und die Investitionstätigkeit in Deutschland. Wir sollten uns gemeinsam darüber freuen, dass Boden gutgemacht wird, dass wir wieder Anschluss finden und sich die Stimmungslage in der Bevölkerung ändert. Von der Kollegin Pawelski habe ich neue Zahlen aus Hannover erhalten. Dort geht die Jugendarbeitslosigkeit zurück. Das zeigt, dass sich am Arbeitsmarkt etwas tut. Das dürfen wir mit Freude zur Kenntnis nehmen. Im Hintergrund dieser Entwicklung am Arbeitsmarkt zeigt sich aber - das habe ich gestern mit Sorge festgestellt; dazu hat sich in der heutigen Debatte, insbesondere von den Oppositionsparteien, noch niemand geäußert -, dass zwar diejenigen, die kurzzeitig arbeitslos sind, die Arbeitslosengeld I empfangen, schneller wieder einen Job finden, aber die Anzahl derer, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, stark ansteigt. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Dagegen müssen wir etwas tun. Deswegen stellen wir die Überlegungen zum Kombilohn an. Das wollen wir in diesem Sommer vorantreiben. Die Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, sollen in unserer Gesellschaft so wieder eine Chance erhalten. Sie sollen merken, dass wir sie mit ihren Problemen nicht allein lassen. ({2}) Der Bundeswirtschaftsminister hat einen Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung gelegt. Das entspricht der gemeinsamen Zielrichtung dieser Koalition. Das Thema Bildung müssen wir ganz sicher hinzufügen. Ich will das gar nicht weiter vertiefen, weil es vom Kollegen Stiegler bereits in völlig richtiger Art und Weise angesprochen wurde. Voraussetzung dafür, dass unser Land langfristig erfolgreich ist, ist, dass wir bei Forschung, Technologie, Entwicklung und vor allem bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen Fortschritte erzielen und das Bildungsniveau unserer jungen Leute steigt. Die mangelnde Bildung junger Leute wird immer wieder, vor allem von ausbildenden Betrieben, beklagt. Zu der Meldung vom gestrigen Tage und der Diskussion über die Situation an den Schulen, zum Beispiel in Berlin, kann ich nur sagen: Das sollte uns alle wirklich aufrütteln. Wir müssen uns endlich damit beschäftigen. Die Zustände, die an manchen Schulen herrschen, dürfen kein Tabuthema sein. Wir müssen die Motivation der Jugendlichen stärken. Vor allen Dingen müssen wir den jungen Menschen aber eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bieten. Wer keinen vernünftigen Schulabschluss und keinen Berufsabschluss hat, der rennt zurzeit, wie auf Schienen, auf unsere Sozialsysteme zu. Das können wir nicht hinnehmen. ({3}) Die Situation in den neuen Ländern ist gerade angesprochen worden. Ich will ein Projekt ansprechen, das wir uns für dieses Jahr vorgenommen haben: die Neuorganisation der Wirtschaftsförderung in Deutschland. Wir müssen weg von dieser Betrachtung „Auf der einen Seite ist der Osten und auf der anderen Seite der Westen“ und hin zu einer Struktur der regionalen Wirtschaftsförderung kommen, die sich an einheitlichen Kriterien wie Einkommensindex und Arbeitslosigkeit orientiert, ({4}) damit alle Regionen in Deutschland nach ihren Schwierigkeiten oder Chancen beurteilt werden können, damit aber auch - das sage ich ganz deutlich - die Diskussion endlich aufhört und nicht mehr mit scheelem Blick auf die Situation im Osten Deutschlands, in den neuen Ländern geschaut wird. Wir müssen feststellen, dass hier immer noch erheblich mehr Schwierigkeiten bestehen als in großen Teilen Westdeutschlands und dass wir den Weg an die Spitze nur schaffen werden, wenn wir in Ostdeutschland zu Wachstums- und Beschäftigungsraten kommen, die mit denen im Westen und in anderen Teilen Europas vergleichbar sind. ({5}) Herr Brüderle hat hier eine Rede gehalten, die zeigte, dass er offensichtlich nicht so genau weiß, wo er in Zukunft hin will. Dabei ist ein Strategieproblem sichtbar geworden; Herr Stiegler hat das schon teilweise angesprochen. Herr Brüderle hat gesagt, dass wir mit beiden Füßen auf der Bremse stehen. Herr Brüderle, wenn Sie Gas gegeben haben und jemals solche Zahlen hätten vorzeigen können wie die große Koalition, die nach Ihren Worten ja auf der Bremse steht, dann hätten Sie wirklich froh sein können. Das muss ich Ihnen einmal sagen. ({6}) - Diese Zahlen? Es sind Stimmungszahlen, die sich dadurch ergeben haben, dass sich die große Koalition bei allen Meinungsunterschieden durch eines auszeichnet, was für die Lösung von Problemen sehr wichtig ist - ich glaube, ich kann das zumindest für unseren Bereich behaupten -: 70 Prozent in einer solchen Koalition hängt davon ab, ob man sich untereinander versteht und ob man vernünftig miteinander umgeht, ({7}) und 30 Prozent von der Schnittmenge der programmatischen Aussagen. Wenn man dieses Verhältnis zueinander findet, wenn man etwas fürs Land tun will, dann schafft man das auch und kommt zu vernünftigen Lösungen. Das ist bisher mein Eindruck von der großen Koalition. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Meyer, die Kollegin Pieper würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das ist gut, gerne. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

War das jetzt irgendetwas unter der Gürtellinie? Darauf werde ich nicht reagieren. Das zeigt nur, dass Sie in dieser sehr wichtigen Debatte zur Wirtschaftspolitik nicht sattelfest sind. Kollege Brüderle sagte es bereits. Kollege Meyer, Sie haben in Ihrer Rede zu Recht darauf hingewiesen, dass die Situation in den neuen Ländern prekär ist und wir mit den Methoden, die wir richtig angewandt haben, sicher nicht weiterkommen werden. Es gibt zu wenig Unternehmen. Es gibt große Eigenkapitalprobleme. Das wissen Sie alles. Werden Sie, wird die Union und wird die Regierungskoalition sich dafür stark machen - so, wie es Ministerpräsident Böhmer angekündigt hat -, es den neuen Ländern zu ermöglichen, Modellregionen für Deregulierung und Bürokratieabbau zu werden? Das heißt, dass Bundesrecht befristet für fünf Jahre außer Kraft gesetzt wird, um neue Anreize für Investitionen und Unternehmensgründungen zu geben.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich bin für die Frage dankbar. Das ist einer der Punkte, die in der Koalitionsvereinbarung stehen. Die Antwort lautet Ja. Aber wir wollen nicht, dass Bundesrecht außer Kraft gesetzt wird; wir wollen vielmehr, dass die neuen Länder für begrenzte Zeit vom Bundesrecht abweichen können, wenn sie damit den Prozess beschleunigen können. Dahinter steht die Einsicht, dass auch in Westdeutschland das Wirtschaftswunder nach dem Krieg nie zustande gekommen wäre, wenn wir schon damals eine solche Bürokratie gehabt hätten wie heute. ({0}) Das ist eine klare Antwort. Das steht in der Koalitionsvereinbarung; sie können das nachlesen. Wir werden uns nach Kräften dafür einsetzen, dass das gemacht wird. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Ich nenne: Entbürokratisierung, Gesundheitsreform, für die die Stichworte sind: mehr Wettbewerb und weniger Anbindung an die Arbeitskosten. Ich bin der festen Überzeugung - das kann man in der Wirtschaftspolitik lernen -, dass wir im Gesundheitsbereich vom grünen Tisch in Berlin aus die Angebotsseite, Ärzte, Apotheken, Pharmaindustrie usw., nie werden regulieren können. Nur wenn wir mehr Wettbewerb unter den Versicherungen bekommen, werden wir es schaffen, dass sie selber Einfluss auf die Angebotsseite nehmen. Das ist eine der wichtigen Voraussetzungen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. ({1}) Die zweite Schlüsselfrage neben der Langzeitarbeitslosigkeit ist: Wie können wir es schaffen - wir sind auf einem guten Weg; das wird klar, wenn man sich die Stimmungszahlen ansieht -, dass die Menschen, die heute Arbeit haben, die Angst verlieren, dass sie ihren Arbeitsplatz nicht mehr halten können? Diese Angst wirkt als die größte Bremse dafür, dass jemand Geld ausgibt. Wer Angst hat, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, wird jeden Euro, der ihm noch bleibt, sparen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Meyer, nun möchte die Frau Kollegin Zimmermann Ihre Redezeit verlängern.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Meyer, wir kennen uns ja aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. ({0}) Ich möchte Sie fragen: Was soll ich einem Langzeitarbeitslosen sagen, der weinend vor mir steht und nicht mehr weiter weiß? Soll ich ihm etwa sagen, dass die Regierung ihn nicht alleine lässt? Denn vorhin haben Sie gesagt, dass Sie die Arbeitslosen nicht im Stich lassen. Sind Sie nicht wie ich der Meinung, dass die Empfänger des Arbeitslosengeldes I deshalb schneller eine neue Stelle bekommen, weil sie zum größten Teil durch Eingliederungszuschüsse gefördert werden? ({1})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Sommer werden wir alle Instrumente überprüfen. Diejenigen, die sinnvoll sind, werden wir beibehalten. Wir wollen jede Chance, die es gibt, nutzen, um die Menschen schnell wieder in Arbeit zu bringen. ({0}) Wir müssen Instrumente schaffen, die bewirken, dass die Menschen, die lange arbeitslos waren, einen neuen Arbeitsplatz bekommen. Dies wollen wir zum Beispiel durch die Einführung des Kombilohns erreichen. Verweisen Sie diejenigen, die in Ihr Büro kommen, doch in Zukunft an Ihren CDU-Kollegen vor Ort. ({1}) Er wird ihnen unser Konzept, dem Sie ja nicht zustimmen wollen, erklären können. Wir werden alles tun, damit die Menschen wieder in Arbeit kommen, ({2}) Laurenz Meyer ({3}) sich beweisen können und die Chance bekommen, wieder am Arbeitsleben teilzunehmen. ({4}) Nach unserem Grundwerteverständnis hat das auch mit der Achtung der Würde des Menschen zu tun. Herr Stiegler, weil Sie im Zusammenhang mit dem Thema Kernenergie den Kollegen Glos angesprochen haben und ich heute Morgen Herrn Gabriel im Fernsehen gesehen habe, möchte ich eines klarstellen: Die CDU/CSU ist auf der Seite von Michael Glos. Denn Herr Gabriel hat die Dinge im Fernsehen falsch dargestellt. Die Frage, wie der Energiemix in Deutschland in 20 Jahren aussieht, ist zwischen uns nicht unstrittig. Herr Gabriel hat gesagt, die Auffassung, man könne ohne Kernenergie auskommen, sei zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium abgestimmt. Wir sind aber der Überzeugung, dass wir wegen der Klimafrage in 20 Jahren einen Energiemix zu vertretbaren Kosten nicht bekommen werden, wenn wir der Auffassung von Herrn Gabriel folgen. ({5}) Zu diesem Thema haben wir also unterschiedliche Meinungen; damit müssen wir leben. Da in den vier Jahren dieser Legislaturperiode aber keine Entscheidungen über neue Kernkraftwerke anstehen, können wir unsere Ziele verfolgen, ohne in der Energiepolitik aneinander zu geraten. Wenn ich allerdings höre, was Herr Berninger hierzu sagt, dann muss ich feststellen: Hier wird der Unterschied deutlich zwischen der Politik, die wir machen, und der Politik, die bisher insbesondere auf Druck der Grünen betrieben wurde. Wir haben die Philosophie der Grünen nach dem Motto „So viel Alternativenergie wie möglich, egal zu welchen Kosten“ umgedreht. Wir formulieren zunächst einmal die Ziele, die wir verfolgen wollen, sagen dann aber: Diese Ziele wollen wir möglichst kosteneffizient erreichen. ({6}) Diese Philosophie ist gegenüber der Bevölkerung vertretbar und ruft weniger Widerstände hervor. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Kiotoprozess. Wir werden alles tun müssen, um dafür zu sorgen, dass unsere Wirtschaft in der Konkurrenz mit den anderen Volkswirtschaften eine Chance hat. Wir müssen nicht an jeder Stelle übertreiben. Wir wollen unsere politischen Ziele gemeinsam erreichen, und zwar zu vertretbaren Kosten und auf effiziente Art und Weise. Vor allen Dingen müssen wir eines immer im Auge haben: Wir müssen alles unternehmen, wodurch Wachstum gefördert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Denn ohne neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze werden wir unsere sozialen Sicherungssysteme nicht sanieren können und in der Einkommensskala gegenüber anderen Ländern weiter zurückfallen. Das wollen wir nicht. ({7}) In diesem Haushalt werden die Weichen richtig gestellt und die Prioritäten geändert, unter anderem zugunsten von Forschung und Entwicklung und einer Stärkung unseres Mittelstandes, damit Deutschland wieder Anschluss an die anderen Länder findet und in sechs bis acht Jahren wieder unter den ersten drei in Europa ist. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Meyer, mit Ihrem Kuschelkurs scheint es nicht weit her zu sein. Beim Thema Kernenergie muss ich angesichts der verschiedenen Bemerkungen hierzu vermuten, dass Sie sich noch über etwa 30 Prozent streiten. ({0}) Wir wären sehr froh, wenn Sie sich endlich zu einer Einigung durchringen würden. Das Bild, das wir so nach außen abgeben, ist sehr dürftig. ({1}) Minister Glos ist jetzt auch für den sehr schönen Bereich der Technologie zuständig. Deswegen ist es interessant - ich blicke zum Kollegen Riesenhuber, der das sicherlich auch mit großem Interesse verfolgt -, wie der betreffende Etat hierzu in diesem Jahr aufgestellt ist. Das Wort „Hightechstrategie“ zieht sich wie ein roter Faden durch den Etat. Man sollte also erwarten, dass das Wirtschaftsministerium neben dem BMBF als Motor oder Spielmacher bei der Umsetzung dieser Strategie eine wichtige Rolle spielt. Wenn man sich den Etat aber genauer ansieht, dann stellt man fest, dass alles sehr wolkig beschrieben ist. Das, was wir im Haushalt des Wirtschaftsministeriums vorfinden, ist nach wie vor der alte Gemischtwarenladen und weiß Gott nicht die geballte Hightechoffensive, wie Sie uns jeden Tag über die Medien mitteilen. ({2}) Ich sehe ein, dass es für dieses Haus nicht leicht ist, sich in seine neue Rolle einzufinden. Große Teile wurden ans Arbeitsministerium abgegeben, einiges kam aus dem Finanzministerium hinzu, ganze Abteilungen mit insgesamt 42 Stellen wurden aus dem Forschungsministerium übernommen. Mit der Neuorganisation scheinen Sie Ihre Probleme zu haben. Sie können sicher sein: Wir als Haushälter von der FDP werden sehr genau hinsehen, wo es Überschneidungen zu den anderen Ministerien gibt, wo sich Doppelungen ergeben haben, welche Bereiche sozusagen als Folge der Koalitionsverhandlungen Ihres Freundes Edmund Stoiber zu Ihrem Ministerium gekommen sind, die dort aber keinen Sinn machen. Wenn es um das hoch gesetzte Ziel der Innovationsförderung geht, richtet sich der Blick eines jeden Forschungs- und Technologiepolitikers zwangsweise auf den neuen Teil Ihres Ministeriums, den Sie vom BMBF übernommen haben. Ich muss deutlich sagen - das haben auch die Berichterstattergespräche gezeigt -: Von einer gelungenen Integration ist weiß Gott nicht zu sprechen. Sie haben etwas zusammengefügt, was offensichtlich nicht zusammen passt. Sie, Herr Glos, haben eben ganz stolz über das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gesprochen. Herr Stiegler hat - das hat mich gewundert, ist aber sehr lobenswert - das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt offensichtlich zum ersten Mal in seinem langen Parlamentarierleben besichtigt. Das spricht doch Bände! Hier treffen zwei Kulturen aufeinander, die ganz offensichtlich nichts miteinander zu tun haben. Dann kommt es natürlich zu Reibungen, was wir aus forschungspolitischer und aus innovationspolitischer Sicht als verheerend empfinden müssen. ({3}) Das DLR ist eine Forschungsorganisation, die zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört. Dort ist man nicht gewohnt, dass von oben befohlen wird, worüber geforscht werden soll. So sieht man das aber offensichtlich im BMWT. Das ist ein Drama! Frau Bulmahn, Sie lächeln freundlich, aber Sie sehen das doch bestimmt genauso. Wir haben uns alle zusammen, über alle Fraktionen hinweg, entschlossen, die Helmholtz-Gemeinschaft so aufzustellen, dass die Forscher die Freiheit haben, zu forschen. ({4}) Das war unser Ziel. Ich sage Ihnen, Herr Glos - das ist in diesem Fall wirklich eine Drohung -: Wehe, diese Freiheit der Forscher geht in Ihrem Ministerium über die Wupper! Wir werden genau prüfen, wo Sie vom Ministerium per Detailsteuerung vorgehen. Beim DLR haben Sie einen Fehlstart hingelegt. Wir werden in den nächsten Tagen noch etliche Gespräche zu diesem Thema zu führen haben. Das Ganze wird nicht dadurch leichter, Herr Glos, dass Sie bis zum heutigen Tage das wichtige Thema Luft- und Raumfahrt nicht mit dem Koordinator bedacht haben, den dieser Bereich eigentlich braucht. Drei Ministerien beschäftigen sich mit diesem Bereich. Mit Ihrer ersten Personalentscheidung sind Sie kläglich gescheitert. Wir müssen jetzt überlegen, wie dieser Bereich in den verschiedenen Ministerien koordiniert werden soll. Wie sieht es mit den nackten Zahlen aus und mit Ihrer Aussage, wir machen ernst mit der Umschichtung der Mittel zugunsten der Investitionen in Zukunftstechnologien? Sehr geehrter Minister, Sie schichten nicht um, Sie stocken einfach überall ein bisschen auf. Sie geben etwas mehr für Mobilität aus, etwas mehr für Schifffahrt, etwas sehr wenig für Energieforschung, das heißt, Sie versuchen, überall in großer Hast ein paar Millionen draufzusetzen, allerdings ohne dass man an irgendeiner Stelle erkennt, dass wir es mit einer Hightechstrategie zu tun haben, die das Ganze nach vorne bringen würde. Herr Glos, Ihnen fehlt ganz offensichtlich der rote Faden, um eine Strategie nach vorne zu bringen, die Sie ja immer einfordern. ({5}) Hinzu kommt: Als Haushälterin bin ich schon sehr erstaunt, was wir im Augenblick in den Zeitungen dazu lesen. Gemäß Haushaltsgesetz stehen Ihnen im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung maximal 45 Prozent der Mittel zur Fortsetzung bereits angefangener Projekte zur Verfügung. Gerade eben klang auch wieder durch, wie schön es doch ist, dass man versucht, diese Gelder loszuwerden. Diese Gelder stecken aber nach wie vor fest, und zwar nicht zuletzt auch deshalb, weil Herr Steinbrück natürlich auch versucht, seinen Weg zu gehen. Die Gelder kommen nicht an. Wir haben vom Ministerium sehr deutlich gehört, dass das offensichtlich zu einem Projektstau führt. Somit müssen wir davon ausgehen, dass wir ungefähr bis Mitte des Jahres warten müssen, bis die hoch gelobte Strategie ihren Gang nimmt. Herr Glos, genauso wie ich kennen auch Sie das Schreiben der beiden Staatssekretäre, die Ihnen das ins Stammbuch geschrieben haben. Sie haben deutlich davon geredet, dass die Gefahr eines technologischen Fadenrisses und internationaler Wettbewerbsnachteile besteht, wenn die Gelder nicht freigegeben werden. Ich frage mich natürlich: Wie passt das denn zu der Rede, die Sie eben hier gehalten haben? Hier scheint doch irgendetwas abzulaufen, das von Ihnen nicht ganz nachzuvollziehen ist. Herr Minister, falls es entgegen der Aussage dieser beiden Staatssekretäre hinter dem Rücken der Haushälter trotzdem zu einer Freigabe von Geldern kommen sollte, dann - das kann ich Ihnen schon jetzt sagen - bekommen Sie sehr viel Freude mit den Haushältern der FDP im Ausschuss; denn das wäre wirklich ein Bruch geltenden Rechts. ({6}) Wir werden sehr genau darauf schauen, ob hier etwas passiert oder nicht. Sie haben eben noch einmal darauf hingewiesen, welch schöne und Erfolg versprechende Projekte Sie auf der Schiene der Hightechstrategie angegangen sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Leider meldet sich jetzt der Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Na, Gott sei Dank; denn Ihre Redezeit droht zu Ende zu gehen und der Kollege Rossmanith wollte Ihnen behilflich sein, sie noch ein bisschen zu verlängern.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Oh, das ist schön. Ich wollte gerade noch etwas zu diesen Projekten sagen, damit Sie einen tieferen Einblick bekommen, aber vielleicht fragt mich Kollege Rossmanith ja danach.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Flach, vermutlich ist Ihnen aufgrund der Vorbereitung auf diese Rede heute entgangen, dass wir gestern die Vorlage bezüglich der von Ihnen gerade im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung gewünschten Freistellung von 45 Prozent der Mittel erhalten haben, über die wir am kommenden Donnerstag im Haushaltsausschuss unter Tagesordnungspunkt 24 zu beschließen haben. Da Sie das ja mit einfordern, werden Sie der Vorlage zustimmen. Damit werden wir keine Probleme haben. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Rossmanith, wie Sie wissen, sind wir beide uns bei dem hehren Plan, Innovationen in Deutschland anzustoßen, immer einig. ({0}) Deswegen wird die FDP selbstverständlich zustimmen, wenn diese Mittel freigegeben werden sollen. ({1}) Ich sprach aber vom jetzigen Zeitpunkt. Wir befinden uns jetzt im Monat März. In der nächsten Woche nähern wir uns sozusagen schon dem April. ({2}) - Wir werden es nächste Woche im Ausschuss besprechen. Vorher können wir es ja nicht. Im Hintergrund des Ausschusses könnt ihr ja viel vor euch hindebattieren, der Ausschuss muss die Mittel aber freigeben. Um das einmal ganz klar zu sagen: Das wird nächste Woche sein. ({3}) Das Ministerium selbst hat uns erklärt - bleiben Sie ruhig stehen; ich bin noch bei der Beantwortung -, dass nicht nur 1 000 Einzelvorhaben in der Warteschleife sind - allein 700 davon im Rahmen des schönen Programms Pro Inno -, ({4}) sondern dass wir auch davon ausgehen müssen, dass ungefähr drei Monate für die Bearbeitung gebraucht werden. Ich sage den Kollegen und Kolleginnen dieses Hauses ganz ruhig: Wir befinden uns dann in der Mitte dieses Jahres. Lieber Kollege Rossmanith, wir nähern uns dann im Sauseschritt der Erhöhung der Mehrwertsteuer. ({5}) Wann soll denn eigentlich der Push erfolgen und wie soll die Strategie greifen, sodass es in diesem Lande zu Innovationen kommt? ({6}) Das sind also wolkige Versprechungen. Die damit verbundenen Erwartungen werden durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die diese Projekte übrigens auch betrifft, endgültig wieder gedämpft. - War es richtig, dass sich der Kollege jetzt wieder gesetzt hat?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja; denn auch Zwischenfragen sind kein Anlass zur Abgabe von Regierungserklärungen, ({0}) sondern die Möglichkeit, eine kurze Frage zu stellen und darauf eine kurze Antwort zu erhalten.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich freue mich, Herr Präsident, dass Sie der Meinung sind, wir hätten auch Regierungserklärungen abgeben können. Ich kann mich deswegen kurz fassen. ({0}) Herr Minister Glos - ich wäre froh, wenn Sie nicht hinten bei der FDP säßen, sodass man Sie leichter ansprechen könnte -, ich wünsche Ihnen, dass Sie das tun, was Sie uns immer versprechen, ({1}) und wirklich Innovationen anstoßen. Sie können auf jeden Fall sicher sein, dass wir Sie bei der Umsetzung dieses Teils des Haushalts unterstützen werden. Aber wir werden mit sehr großer Akribie darauf schauen, ob es haushaltsgerecht und transparent abläuft und wirklich dem Sinn des Ganzen dient. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Wend für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst, Herr Bundesminister Glos, möchte ich ein Wort an Sie richten. Ich möchte Ihnen für die SPDFraktion unsere Unterstützung zusichern, wenn es darum geht, im Bereich Wirtschaft die Koalitionsvereinbarungen umzusetzen. Die Rede, die Sie heute Morgen gehalten haben, hat den Geist der großen Koalition wiedergegeben. ({0}) Sie haben darauf hingewiesen, dass Forschung und Entwicklung einen neuen Schwerpunkt erhalten werden und dass der Mittelstand für uns von entscheidender Bedeutung ist. Der rote Faden Ihrer Rede war für meinen Geschmack etwas mehr schwarz eingefärbt, als er es hätte sein müssen. ({1}) Sie haben aber deutlich gemacht, dass diese große Koalition eine konstruktive Wirtschaftspolitik betreiben wird. Apropos große Koalition: Diese große Koalition ist keine Kuschelkoalition; darüber sollte kein Missverständnis aufkommen. ({2}) Ich stimme dem Kollegen Meyer ausdrücklich zu: In dieser großen Koalition gibt es Meinungsverschiedenheiten, die nicht zu verschweigen sind. Auch in anderen Koalitionen, etwa mit den Grünen, hat es Meinungsverschiedenheiten gegeben. Stichwort Atomenergie: Die CDU/CSU verfolgt tendenziell das Ziel, die Atomenergie eher länger am Energiemix zu beteiligen. Aus unserer Sicht überwiegen an dieser Stelle die Risiken. Daher halten wir am Ausstiegsbeschluss fest. ({3}) Genauso haben wir Streit über den Kündigungsschutz; das kann man in jeder Zeitung lesen. Warum sollte man das verheimlichen? Wir wissen, dass die Union beim Kündigungsschutz über das hinausgehen will, was in der Koalitionsvereinbarung vertraglich geregelt ist. Uns ging es, um offen zu sein, sogar ein wenig weit, was wir in der Koalitionsvereinbarung beschlossen haben. Aber so ist das eben unter Koalitionspartnern. Hier kommt man weiter, wenn man sich vertragstreu verhält, wenn man verlässlich ist und wenn man respektiert, dass sich hier zwei verschiedene Fraktionen für eine vorübergehende Zeit zusammengefunden haben, um für dieses Land Gutes zu tun. Genau das werden wir auch schaffen. ({4}) In den Reden der Opposition ist folgendes Schauspiel wiederholt aufgetreten: Der Kollege Brüderle sieht in unserem Land schon die Sonne nicht mehr scheinen und die Finsternis einkehren. Die Kollegin Lötzer sieht sogar die Ratten aus der Kanalisation verschwinden. Solange FDP und PDS nicht aufhören, einen Wettlauf darum zu veranstalten, wer dieses Land in den düstersten Farben malen kann, wird es keinem von Ihnen beiden gelingen, die Menschen in diesem Lande zu erreichen, Zukunftsstimmung zu verbreiten und die Probleme dieses Landes in den Griff zu bekommen. Dazu sind Sie beide - rechts und links in diesem Hause - schlicht unfähig. ({5}) Was ist die Aufgabe einer Haushaltsdebatte? In einer Haushaltsdebatte sollte dargestellt werden, was in unserem Land gut läuft, aber auch, wo die Probleme liegen, um sich anschließend zu fragen: Dienen die Haushaltstitel so, wie sie eingestellt sind, dazu, diese Probleme zu lösen? Deswegen werde ich als einer der Vertreter der Regierungsfraktionen über Sorgen und Schwierigkeiten reden. Dabei frage ich: Ist das, was wir in unserem Haushaltsentwurf stehen haben, geeignet, diese Dinge anzugehen? Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass wir im Export gut sind. Zu Recht hat der Kollege Brüderle darauf hingewiesen, dass wir bei den Dienstleistungen schlecht sind. Es ist wahr: Wir sind - das zeigt die OECD-Studie im Bereich der Dienstleistungen schlecht aufgestellt. Das ist problematisch, weil dieser Bereich das größte Reservoir potenzieller Arbeitsplätze birgt. Was können wir tun? Ein Ansatzpunkt ist die europäische Dienstleistungsrichtlinie, die vor allen Dingen in meiner Fraktion und von den Gewerkschaften kritisch gesehen wird, weil die Sorge besteht, dass Standards, die sich in unserem Land durchgesetzt haben, über den Umweg einer EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgehöhlt werden. Ich glaube, dass diese Sorge zu Recht besteht. Denn wenn hier zu portugiesischen Bedingungen Arbeit angeboten wird, dann werden in unserem Land soziale Standards wie auch Umweltstandards gefährdet. Das können wir nicht hinnehmen. Eine Dienstleistungsrichtlinie stellt, wenn sie richtig gestaltet wird, aber auch eine Chance dar. Denn es ist wiederum auch nicht vernünftig, dass sich deutsche Maschinenbauer eine Woche vorher anmelden müssen, wenn sie in anderen europäischen Ländern Wartungsarbeiten durchführen wollen. Solange kann man nicht auf die Reparatur einer Maschine warten. ({6}) Wir brauchen insofern auch eine gewisse Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte in Europa, um Dynamik in diesen Sektor zu bringen. Das richtige Augenmaß zwischen der Gewährleistung der Standards in unserem Land einerseits und einer Öffnung der Dienstleistungsmärkte andererseits zu finden, ist Aufgabe der Dienstleistungsrichtlinie. Ich finde, wir sind damit auf einem guten Weg. ({7}) Ein weiterer Bereich der Dienstleistungen sind die privaten Haushalte. Was haben wir uns über die Jahre für eine unsinnige Diskussion erlaubt, als sei es etwas Unanständiges, wenn ein privater Haushalt jemanden beschäftigt, der für Pflege, Kinderbetreuung oder sonstige Dienste im Haushalt zuständig ist. ({8}) Die demografische Entwicklung und die Frauenerwerbsquote zwingen uns, in diesem Bereich zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Von daher finde ich es richtig, was die große Koalition in Genshagen beschlossen hat. Sie will haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich privilegieren und ermöglichen, dass Kinderbetreuungskosten in größerem Umfang als bisher steuerlich geltend gemacht werden können. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und unsere Vorschläge, die wir in Genshagen vereinbart haben, sind die richtige Antwort darauf, dass wir im Dienstleistungssektor Verbesserungen erzielen müssen. Wir werden dazu im Herbst weitere Vorschläge aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales bekommen. Dienstleistungen sind ein Beispiel dafür, wo wir Verbesserungen erzielen müssen und dies auch können. Die große Koalition hat bereits einen Beitrag dazu geleistet. ({9}) Lassen Sie mich die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Bereich richten. Ich beziehe mich in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Kollegen Brüderle, der festgestellt hat, wir seien im Hightechbereich schlecht. Das stimmt nur zum Teil. Ich finde es wichtig, dass wir uns auf diesen Bereich konzentrieren. Denn im Zuge der Globalisierung werden wir - das wissen wir alle und wir sind uns hoffentlich darüber einig - den Wettbewerb mit anderen Staaten und Regionen der Welt nicht durchhalten, wenn wir ihn über Lohnkosten oder die Senkung von Standards bestreiten wollen. Wer dies versucht, ist zum Scheitern verurteilt. Wir als Sozialdemokraten wollen diesen Versuch auch gar nicht erst unternehmen. Wir müssen uns stattdessen mit Innovationen und neuen Technologien im Hightechbereich behaupten. Das ist der einzige Weg, im globalisierten Wettbewerb zu bestehen. Dabei müssen wir uns fragen, wie gut wir sind und wie wir besser werden können. Gewiss, wir haben Stärken. Die Intensität der Forschung und Entwicklung in Deutschland ist nicht so schlecht. Mit einem Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von etwa 2,5 Prozent erreichen wir im EU-Vergleich sogar einen überdurchschnittlichen Wert. Darauf wird zurückzukommen sein. Auch was den Weltmarktanteil von forschungs- und entwicklungsintensiven Waren angeht, ist Deutschland prozentual führend, noch vor Japan und gleichauf mit den USA. Deutschland ist mit dem Anteil an Patenten unter den großen Industrienationen in der Spitzengruppe. Deutschland verfügt über einen starken Kern von etwa 170 000 innovativen Unternehmen und renommierten Forschungseinrichtungen. Insbesondere ist die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen an Innovationen im EU-Vergleich hoch. Das bedeutet positive Beschäftigungsmöglichkeiten. Es gibt auch ein deutliches Aber. Das Gründergeschehen bei hightechorientierten Unternehmen ist im internationalen Vergleich gering. Die Entwicklung der F-und-EIntensität und der F-und-E-Ausgaben in Deutschland ist zwar im EU-Vergleich ordentlich. Wenn man es aber mit den dynamischen Wachstumsregionen in Asien vergleicht, dann stellt man fest, dass wir inzwischen deutlich zurückfallen. In Japan beispielsweise liegt der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben bei 3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ausbildung und Qualifikation erreichen bei uns nicht mehr das Maß, das genügend Nachwuchs sicherstellt. Nach dem kürzlich veröffentlichten Business Barometer der amerikanischen Handelskammer ist der Standort Deutschland für US-amerikanische Unternehmen spürbar attraktiver geworden. Die Ausbildung und Qualifikation der Fachkräfte sowie eine gute Grundlagenforschung sind dafür der Grund. Nun kommt wieder ein Aber. Deutschland ist zwar für amerikanische Unternehmen gut genug als Verwaltungssitz, nicht aber als Forschungsstandort. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Anzahl der Patente als Gradmesser für die Innovationsfähigkeit heranzieht. Nach der neuesten OECD-Studie hatte Deutschland 2001 einen Weltmarktanteil von 15 Prozent und wurde damit wieder einmal Weltmeister. Deutsche Patente erstrecken sich aber nicht auf die am stärksten wachsenden Patentbereiche, nämlich Informationstechnologie und Biotechnologie. Hier sind die Vereinigten Staaten ganz vorne. Außerdem geht die Zahl der Universitätsabschlüsse im Technik- und Ingenieurbereich zurück. Wurden 1998 noch 35 Prozent aller Universitätsabschlüsse im Wissenschafts- und Ingenieurbereich gemacht, sind es 2002 lediglich 30 Prozent. Dieser Trend bereitet Sorgen. Zur Erinnerung: 2,5 Prozent des BIP geben wir für Forschung und Entwicklung aus. Das ist im EU-Vergleich nicht schlecht. Aber die genannten Zahlen verdeutlichen ein Problem. Wir sind gut beim Maschinenbau, in der Automobilindustrie und der chemischen Industrie und wir wollen es auch bleiben. Aber in den Bereichen, in denen die Zukunftsmusik spielt, in der Informationstechnologie sowie der Bio- und Gentechnologie, sind wir nicht mehr Weltspitze. Das ist die Problembeschreibung. Nun stellt sich die Frage, was die große Koalition leistet, damit wir wieder an die Weltspitze kommen. Wir haben in Genshagen beschlossen, bis 2009 insgesamt 6 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung und Entwicklung einzusetzen, davon 800 Millionen Euro in diesem Jahr. ({10}) Der Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie wird um insgesamt 1,2 Milliarden Euro aufgestockt. Außerdem wollen wir in dieser Legislaturperiode an die 3-Prozent-Grenze herankommen. Das ist zwar nicht die Weltrevolution - diese wäre mit Rot-Schwarz auch nicht zu machen -, wohl aber der Versuch, die Herausforderungen anzunehmen und Deutschland bei den neuen Technologien Schritt für Schritt in die Weltspitze zurückzuführen. Das werden wir auch schaffen. ({11}) Das ist aber nicht alles. Wir dürfen nicht nur mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben. Vielmehr müssen wir es schaffen, die Mehrausgaben stärker zu fokussieren. Das heißt: keine Ausgaben nach dem Gießkannenprinzip, sondern Clusterbildung. Wir müssen uns auf die europäischen Stärken beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt, der Automobilindustrie, im medizinischen Bereich und in der Telekommunikation konzentrieren. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Frau Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Wend, Sie haben zu Recht auf die Wichtigkeit von Innovationen hingewiesen. Aber sind Sie nicht mit mir einer Meinung, dass oft Projekte - gerade im Wirtschaftsministerium - als innovativ bezeichnet werden, bei denen man sich fragen muss, ob sie zielführend sind? Ist es etwa notwendig, dass das Wirtschaftsministerium eine Internetbasis für integrierte Agrardienstleistungen unterhält und damit beispielsweise internetbasierte Mähverfahren als Innovation fördert? Es würde mich auch interessieren, ob Sie es für sehr innovativ halten, dass nun, wenige Wochen vor der Fußballweltmeisterschaft, immer noch ein digitales Kino von Ihnen gefördert wird. Kurzum: Sind Sie unter dem Strich nicht der Meinung, dass all diese Programme, gerade des Wirtschaftsministeriums, längst einmal im Hinblick auf ihren Wert evaluiert werden müssten?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst einmal bin ich nicht mit Ihnen der Auffassung, dass die Programme, die im Ministerium für Wirtschaft und Technologie bestehen, keinen Sinn machen und nicht innovativ sind. Ich möchte Ihnen aber ausdrücklich zustimmen - ich habe das in meinen letzten beiden Sätzen vor der Zwischenfrage zu sagen versucht -: Wir müssen nicht nur mehr Geld ausgeben, sondern es muss uns auch gelingen, dieses Geld nicht mit der Gießkanne zu verteilen. Ich spüre doch auch manchmal - und das hat nichts mit Parteipolitik zu tun -, wie die Einrichtungen in unserem Land sich, sobald Geld im Ministerium da ist, einen Zweck suchen, um an dieses zu kommen. Es muss uns gelingen, die Mittel zu fokussieren, sie dort auszugeben, wo wir schon Stärken haben - Automobilindustrie oder Luft- und Raumfahrt; um zwei Beispiele zu nennen -, um die innovativen Dinge dort, wo sie sich entwickeln können, gezielt zu stärken. Ich weiß von diesem Wirtschaftsminister, dass exakt das sein Ziel ist. Wenn die FDP uns dabei unterstützt, sind wir dabei noch machtvoller, Frau Kollegin Flach. ({0}) Aber wir müssen auch die Rahmenbedingungen dafür verändern. In diesem Zusammenhang möchte ich ein Wort zum Bürokratieabbau sagen. Unser früherer Minister Wolfgang Clement hat gesagt, der Bürokratieabbau ist ein Häuserkampf und er hätte sich manches Mal gewünscht, schneller voranzukommen, als es uns gelungen ist. Ich muss hier einmal selbstkritisch an uns als große Koalition gerichtet sagen: Verdammt noch mal, wir hätten in den letzten Wochen weiter sein können! ({1}) Wir müssen uns fragen: Haben wir wirklich alles getan, um die Widerstände, die da sind, wenn wir etwas verändern wollen, zu überwinden? ({2}) Mein Appell an uns als große Koalition lautet: Lassen Sie uns beim Bürokratieabbau in den nächsten Wochen endlich ein, zwei Pflöcke einschlagen - das Thema ist es wert. ({3}) Zusammenfassend: Der Haushaltsentwurf für das Wirtschaftsministerium ist einer, mit dem man sich sehen lassen kann, einer, der die Strukturen, die problematisch sind, aufgreift und der Innovation zu einem Schwerpunkt macht; denn nur über Innovationen können wir im weltweiten Wettbewerb bestehen. Dieser Haushaltsentwurf ist ein Beispiel dafür, dass diese große Koalition die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sicherstellen wird. Danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zuerst zu Herrn Wend. Herr Wend, wollen Sie das Problem der Arbeitslosigkeit lösen oder wollen Sie hier bloß gute Stimmung verbreiten? Das ist meine erste Frage an Sie. Denn von einer guten Stimmung hat ein Arbeitsloser nichts - er braucht einen Arbeitsplatz und einen Lohn, von dem er seine Familie ernähren kann. ({0}) Herr Meyer - Sie haben es sich da hinten so schön bequem gemacht -, was soll ich einem Langzeitarbeitlosen sagen, der zu mir als DGB-Vorsitzende der Region Vogtland/Zwickau kommt, weinend vor mir sitzt und sagt, dass er seine Familie nicht ernähren kann? Wie soll es weitergehen für ihn? Diese Frage haben Sie mir nicht beantwortet. ({1}) Heute hat die „taz“ gut kommentiert: „Zu gute Stimmung für zu wenig Jobs“. Bei diesem Haushalt wird es, wie nicht anders zu erwarten, viele Verlierer, aber wenige Gewinner geben. Damit führen Sie die Politik der Vorgängerregierung fort, die das Großkapital auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allen Dingen auf Kosten des Mittelstandes gefördert hat. ({2}) Trotz der hohen Arbeitslosigkeit und trotz der hohen Zahl von Unternehmensinsolvenzen soll es nach dem Willen der Bundesregierung einfach „weiter so“ gehen. Aber wen wundert das? Was kann man zu einer großen Koalition sagen, die die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen als Bestätigung ihres Kurses sieht, ({3}) obwohl nur jeder Zweite zur Wahl gegangen ist und obwohl beide Parteien, Union und SPD, insgesamt über 1 Million Stimmen verloren haben? Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, haben es sich mit Ihrer Mehrheit hier in diesem Hause bequem eingerichtet. Ihnen ist der Bezug zur Lebensrealität und zu den Problemen der Menschen in diesem Land einfach verloren gegangen. ({4}) Um der zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und Gesellschaft entgegenzuwirken, rege ich hier an, die Tätigkeit von Abgeordneten auf zwei Legislaturperioden zu beschränken. Damit hätten viele Abgeordnete hier im Hause die Möglichkeit, sich wieder mit der sozialen Wirklichkeit vertraut zu machen. ({5}) Die Gewinne der 30 führenden Konzerne in Deutschland sind im Jahr 2005 - ({6}) - Ja, Sie, Herr Kampeter, sind damit auch gemeint, denn Sie sind auch länger als zwei Legislaturperioden im Bundestag. ({7}) Aber Sie haben nichts anderes zu tun, als bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Arbeitslosen, den Rentnern und Jugendlichen zuzulangen. Das gilt auch für viele Teile des Mittelstandes. Unter der Mehrwertsteuererhöhung wird ein Kleinstunternehmer doppelt leiden: einmal, weil die Binnennachfrage ausbleibt, und dann, weil ein Einmannunternehmen nun einmal nicht von der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge profitiert, ganz im Gegensatz zum Großkapital. Die Bundesregierung kennt nur den Mittelstand, der international exportiert; das wurde heute auch in Ihren Reden deutlich. Das trifft aber lediglich auf 12 Prozent der mittelständischen Unternehmen zu; Herr Wend, Sie werden sicherlich die Zahlen kennen. Das sind meist größere mittelständische Unternehmen mit mehreren hundert Beschäftigten, die in diesem Land gute Gewinne schreiben. Die Mehrheit der kleinen Selbstständigen hat ganz andere Probleme - trotz der leicht verbesserten Konjunktur -, aber die interessieren hier wahrscheinlich niemanden. CDU und SPD - und hier kommen Sie, meine Damen und Herren von der FDP und den Grünen, dazu - empfehlen dauernd den Weg in die Selbstständigkeit. Was mit den Menschen passiert, die auf der Flucht vor Hartz IV den Schritt in die Selbstständigkeit wagten, darüber will niemand mehr sprechen. Dabei ist die Lage katastrophal. In den letzten drei Jahren hat die Agentur für Arbeit fast 900 000 Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit unterstützt. Aber was ist aus den Existenzgründern geworden? Ich zitiere den jüngsten Mittelstandsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau: Nach circa einem Geschäftsjahr operiert noch fast die Hälfte in der Verlustzone und nur knapp ein Viertel der Gründer kann vollständig den Lebensunterhalt bestreiten. Sie haben mit Ihrer Politik eine riesige Gruppe von Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen geschaffen, die jenseits der Arbeitslosenstatistik ein Leben in Armut fristen müssen. ({8}) Der Grund dafür liegt auf der Hand. Es fehlt nicht etwa an Export. Das Problem ist die am Boden liegende Binnenwirtschaft, unter der vor allen Dingen das kleine Handwerk überdurchschnittlich leidet. ({9}) Ihre Politik setzt hier kein anderes Zeichen. Das ist ein düsterer Ausblick für die Zukunft des Mittelstandes. In den aktuellen Haushaltsberatungen setzen wir uns für die Einrichtung eines Handwerkerhilfsfonds ein. Der Fonds soll Klein- und Kleinstunternehmen helfen, deren Existenz unverschuldet gefährdet ist, etwa durch kriminelle Machenschaften oder auch durch die Zahlungsmoral. Das ist eigentlich nichts grundlegend Neues; das gab es bereits einmal im Jahr 2001. Damals waren die Handwerkerfrauen am Brandenburger Tor in einen Hungerstreik getreten. Vielleicht können sich einige von Ihnen hier in diesem Hause daran erinnern. ({10}) Hat sich die Lage geändert? Wohl kaum. Immer noch liegt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen bei deutlich mehr als 30 000. Es sind fast ausschließlich Kleinunternehmen, die es trifft. Noch immer ist die Zahlungsmoral der meist genannte Grund für die Insolvenzen. Das hat auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks in einer Erhebung noch einmal bestätigt. Nicht nur die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen durch längere Arbeitszeiten, Stellenabbau und Gehaltskürzungen die Löcher ausbaden, die die Steuerentlastungen für das Großkapital in die öffentlichen Haushalte gerissen haben, sondern auch der kleine Handwerker mit seiner Existenz. Dabei steht dafür eigentlich genug Geld zur Verfügung. Wir schlagen vor, die Subventionierung der Bestrebungen der Großunternehmen nach Expansion im Ausland zu kürzen. Ich nenne hier nur den Haushaltstitel „Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland“. Was wird hier gemacht? Ich lese vor: Gefördert werden Unternehmertreffen, Workshops, Kooperations- und Kontaktbörsen oder Tage der Deutschen Wirtschaft sowohl im Ausland als auch im Inland. Das können die großen Verbände eigentlich selbst machen. ({11}) 34 Millionen Euro sollen hier ausgegeben werden. Wir wollen nur 3 Millionen Euro für den Handwerkerhilfsfonds. Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren von der großen Koalition, Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie die Expansion der Großunternehmen weiter unterstützen, und das, obwohl bekannt ist, dass die Rekordgewinne dort auf Kosten der Beschäftigten und der mittelständischen Zulieferer erzielt werden? Oder wollen Sie Ihren Sparkurs im Inland beenden und damit zeigen, wie ernst es der Regierung mit den Belangen des Menschen und des Mittelstandes in diesem Land wirklich ist? Mit patriotischen Appellen an die deutschen Manager, Herr Stiegler, werden Sie die Probleme wahrscheinlich nicht lösen können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Anna Lührmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich in meiner heutigen Rede auf ein Drittel des Wirtschaftsetats konzentrieren. Über dieses Drittel des Wirtschaftsetats können wir in den Haushaltsberatungen gar nicht mehr reden, weil die Kohle schon längst abgeflossen ist. Sie ahnen wahrscheinlich, wovon ich spreche: Ich meine die 1,6 Milliarden Euro Subventionen, die schon im Januar dieses Jahres an die RAG überwiesen worden sind. Statt Arbeitsplätze des 21. Jahrhunderts zu fördern, ist ein Drittel des Wirtschaftsetats also schon verfeuert worden, um eine Industrie aus dem 19. und 20. Jahrhundert künstlich am Leben zu halten, und das, ohne dass ein Politiker, der etwa in dieser Wahlperiode zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden ist, darüber auch nur ein Wort hätte mitreden können. Solche Vorfestlegungen finde ich ungerecht, weil sie die Handlungsfähigkeit der heutigen Politiker und der jungen Generation deutlich einschränken. ({0}) Dabei müssten wir dringend handlungsfähig sein, um auf die neuen Probleme des 21. Jahrhunderts - demografischer Wandel, Globalisierung, Klimawandel - wirklich reagieren zu können. Dafür bräuchten wir dringend diejenigen Haushaltsmittel, die für die Kohle gebunden sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Lührmann, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kröning zulassen?

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Kröning.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch ich würde gern etwas mehr Kohle von der Kohle beziehen, aber können Sie dem Haus bestätigen, dass Sie dem Deutschen Bundestag und auch dem Haushaltsausschuss schon in der vorigen Wahlperiode angehört haben und dass die Zahlungen, die Sie eben erwähnt haben, von der vorigen Koalition, die Ihre und meine Fraktion gemeinsam gebildet haben, beschlossen worden sind?

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Kollege, für diese Frage. - Ich kann Ihnen bestätigen, dass die dieses Jahr geleisteten Zahlungen ein Resultat der Kohlerunde von 1997 sind. Das heißt, dass sämtliche Fraktionen in diesem Hause diesen Zahlungen in irgendeiner Art und Weise einmal zugestimmt haben. ({0}) - Vielleicht muss ich die Linke davon ausnehmen. ({1}) Das ändert aber nichts daran, dass es ein Problem ist, dass wir einen so vergangenheitsbezogenen Wirtschaftsetat haben. Das ändert vor allen Dingen nichts daran - darauf möchte ich in meiner Rede eingehen -, dass wir solche Vorfestlegungen in Zukunft vermeiden müssen. Wir müssen schnellstmöglich dafür sorgen, dass ein Sokkelbergbau nicht aufrechterhalten wird und dass die Kohlesubventionen dauerhaft abgebaut werden. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wie ich sehe, ist Frau Lührmann einverstanden.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Finden Sie es eigentlich ersprießlich, dass Sie politisch etwas ansprechen, woran wir rechtlich eindeutig gebunden sind, jedenfalls für die nächste Zeit? Wir können gerne über 2015 oder über 2025 reden.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kröning, mir geht es darum, dass den Bürgerinnen und Bürgern klar wird, worüber wir reden. Wir sprechen hier über den Wirtschaftsetat; das ist in den vorherigen Reden nicht so deutlich geworden. ({0}) Ein Drittel des Wirtschaftsetats ist nun einmal gebunden; da haben Sie vollkommen Recht. Dass wir darüber heute nicht mehr verfügen können, ist genau das Problem. Wenn wir über Generationengerechtigkeit, über Nachhaltigkeit debattieren, dann müssen wir erkennen, dass wir zu einer deutlich anderen Haushaltsstruktur kommen müssen. Dafür wird meine Fraktion in den Haushaltsberatungen eintreten. ({1}) Für uns ist ganz klar, dass wir die Mittel, die in diesem Jahr und in den nächsten Jahren - da sind wir ja auch noch gebunden - für die Subventionen abfließen, eigentlich bräuchten, um zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen; denn die Märkte der Zukunft in Indien oder in China haben kein Interesse an der überteuerten deutschen Kohle, aber zum Beispiel an innovativen Solarzellen „Made in Germany“. Das ist der Markt der Zukunft. Darin müssten wir auch aus dem Wirtschaftsetat stärker investieren. ({2}) Ich komme jetzt noch einmal auf das zu sprechen, was in den letzten Jahren beim Thema Kohle gelaufen ist. Wir haben im Jahr 2004 über dieses Thema sehr heftige Diskussionen gehabt, auch in der rot-grünen Koalition, und haben mit durchgesetzt, dass die Weltmarktpreise bei der Zahlung der Kohlesubventionen in Zukunft stärker Berücksichtigung finden müssen. Ich will kurz erklären, worum es da geht. Wir zahlen momentan Subventionen, weil die deutsche Kohle auf dem Weltmarkt zu teuer ist. Wir zahlen also Subventionen, damit diese Kohle überhaupt Absatz findet. Es ist nun aber so, dass der Weltmarktpreis in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, im letzten Jahr um 20 Euro pro Tonne. Das ist eine Steigerung um ein Drittel. Eines, finde ich, muss klar sein: Wenn die RAG für ihre Kohle deutlich mehr einnimmt, dann braucht der Staat nicht weiter gleich viele Subventionen zu zahlen. ({3}) Genau das haben wir in den Zuwendungsbescheiden in den letzten Jahren festgeschrieben, Herr Kollege Kröning; das ist richtig. Auch die große Koalition muss sich an diese Zuwendungsbescheide halten und darf nicht vor der Wirtschaft einknicken. Hier muss wirklich klar sein: Höhere Weltmarktpreise führen zu weniger Subventionen. So kann der Haushalt in jedem Jahr um einen dreistelligen Millionenbetrag entlastet werden. ({4}) Noch viel wichtiger allerdings sind die mittel- und langfristigen Perspektiven in der Kohleförderung. Die Position der Grünen zu diesem Thema ist sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene eindeutig: Wir wollen keinen Museumsbergbau, sondern den schnellstmöglichen sozialverträglichen Ausstieg aus der Förderung. Wir müssen den Menschen vor Ort schon jetzt andere Perspektiven eröffnen. Herr Glos, ich vermisse von Ihnen eine ganz klare Aussage dazu, wie Sie denn jetzt in Ihrer Regierungsverantwortung als Wirtschaftsminister zu diesem Thema stehen. In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung gemeinsam mit den Grünen im Landtag eine sehr eindeutige Position bezogen. Wir haben im Landtag in Nordrhein-Westfalen vor zwei Wochen einen Antrag beschlossen, in dem Landesregierung und Grüne ganz klar sagen, dass sie aus dem Bergbau aussteigen wollen ({5}) und dass eine sozialverträgliche Perspektive eröffnet werden soll. Die SPD hat dagegengestimmt. ({6}) Deshalb stelle ich hier die Frage an die Regierung: Was ist Ihre Perspektive für die Kohlerunde 2009? Ich bitte Sie, dazu Farbe zu bekennen. ({7}) - Im Koalitionsvertrag steht nicht allzu viel. ({8}) Da wird sehr schön drum herum geredet. Deshalb würde mich sehr interessieren, wie Sie in die Kohlerunde 2009 hineingehen wollen. Die Perspektive ist für uns ganz klar: Wir brauchen einen Ausstieg aus dem Sockelbergbau, damit wir das Geld für Investitionen in zukunftsfähige Arbeitsplätze frei haben. ({9}) Ein weiteres wichtiges Thema in dem Zusammenhang ist der Börsengang der RAG. Wir als Grüne steAnna Lührmann hen diesem Thema grundsätzlich positiv gegenüber. Aber es gibt noch eine Reihe ungeklärter Fragen. Ich glaube, wir sind uns hier im Hause einig darüber, dass diese Fragen vor einem Börsengang geklärt werden müssen. Es geht zum Ersten um die Frage, wie für die RAG ein größtmöglicher Verkaufserlös erzielt werden kann. Es gibt momentan deutliche Anzeichen dafür, dass eine separate Vermarktung der Unternehmenssparten zu einem deutlich höheren Erlös für die öffentliche Hand führen könnte. Das muss in nächster Zeit in einem transparenten und offenen Verfahren geklärt werden. Der zweite Punkt ist noch viel wichtiger. Immer noch nicht offen gelegt sind die Schätzungen darüber, über welche Altlasten oder so genannte Ewigkeitskosten wir bei dem Thema eigentlich noch reden. Für uns ist eines klar: Es kann nicht sein, dass die Aktionäre und Herr Müller hohe Gewinne an der Börse erzielen ({10}) und der Steuerzahler allein auf den Altlasten sitzen bleibt. Das ist kein zukunftsfähiges Konzept. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss kommen. Damit künftige Generationen in der Haushaltspolitik und bei der politischen Gestaltung mehr Spielräume als wir heute haben, darf es nicht so weitergehen, dass ein Drittel des Wirtschaftsetats verbrannt wird, um eine Industrie aus dem 19. und 20. Jahrhundert künstlich am Leben zu erhalten. Für Investitionen in Jobs mit Zukunft brauchen wir die nötigen finanziellen Spielräume. Deswegen müssen von der großen Koalition in nächster Zeit zwei Sachen umgesetzt werden. Erstens. Die Weltmarktpreise müssen bei den Subventionen Berücksichtigung finden. Zweitens. In der Kohlerunde 2009 muss ganz klar über den Ausstieg aus dem deutschen Steinkohlenbergbau verhandelt werden. Nur so haben wir mehr Mittel frei für die Erforschung von umweltfreundlichen Energiequellen und Energietechnologien und nur so können wir Jobs schaffen, die Zukunft in Deutschland haben. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Kurt Rossmanith, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir hatten tatsächlich einmal Zeiten, da gab es bei der FDP noch wirtschaftlichen Sachverstand. ({0}) Ein leider viel zu früh verstorbener Bundesminister für Wirtschaft hat damals ausgeführt, dass Wirtschaft primär durch die Wirtschaft zu handhaben sei. Das ist richtig; aber die Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit die Eigendynamik der Wirtschaft gestärkt werden kann, damit wieder Wachstumskräfte frei werden, Innovation entsteht und dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden können. ({1}) Deshalb, meine verehrten Kollegen von der FDP, muss ich sagen: So etwas Konfuses wie das, was Sie heute dargestellt haben, habe ich in diesem Hause selten gehört. Der Herr Kollege Brüderle sagt, die Förderung der Wirtschaftsinnovationen müsse abgeschafft werden. ({2}) Die Frau Kollegin Flach sagt, wir hätten viel zu wenig, und fragt, warum das nicht schon längst am Laufen sei. Das ist am Laufen, liebe Frau Kollegin Flach! Wir werden am kommenden Donnerstag die Verpflichtungsermächtigungen - ich erläutere Ihnen das anschließend noch einmal, weil die Redezeit hier zu schade ist; denn wir haben noch andere wichtige Probleme - für die kommenden Jahre zustimmend zur Kenntnis nehmen. Die Verpflichtungsermächtigungen, die in diesem Jahr wirksam werden, sind ja aus den vergangenen Jahren. Das heißt, es läuft. Der Herr Kollege Brüderle sollte sich vielleicht einmal in Mainz und Umgebung gerade bei kleinen, innovativen, forschungsstarken Unternehmen umsehen, ob sie nicht von diesem Programm profitiert haben und es loben. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie denn eine Zwischenfrage von Frau Flach zulassen?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Rossmanith, Sie stimmen sicherlich mit mir überein, dass man Kollegen Brüderle immer zuhören sollte. Er hat sich natürlich nicht gegen Innovationen ausgesprochen; aber das ist nicht meine Frage. Meine Frage ist, ob Sie wirklich der Meinung sind, dass der Staatssekretär Wuermeling uns als Berichterstattern sozusagen wissentlich etwas Falsches erzählt hat, als er gesagt hat, selbst wenn diese Mittel jetzt frei würden - damals war es noch im Konjunktiv; wie ich höre, scheint sich etwas zu bewegen -, gäbe es noch einen Stau über drei Monate. Wir reden im Augenblick von etwa 1 000 Projekten, die im Kanonenrohr stecken. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu Ihrer ersten Frage, Frau Kollegin Flach. Kollege Brüderle hat ausdrücklich - er hat es expressis verbis hier gesagt; das können Sie gerne nachlesen - InnoWatt kritisiert, die Förderung innovativer Wachstumsträger. Dadurch können viele kleine und mittelständische Unternehmen sehr erfolgreich Forschung betreiben. Zu der zweiten Frage. Ich betone noch einmal: Es handelt sich hier um Verpflichtungsermächtigungen für das nächste Jahr, die schon auf den Weg gebracht werden müssen, damit Anträge jetzt gestellt werden können. Sie haben ja vorhin richtigerweise gesagt, dass es eine Bearbeitungsdauer von drei oder vier Monaten gibt, weil die Forschungsprojekte natürlich korrekt geprüft werden müssen, damit Gelder nicht unüberlegt freigegeben werden. In diesem Jahr werden die Verpflichtungsermächtigungen aus dem Haushaltsgesetz 2005 wirksam. Es geht also nicht um die Verpflichtungsermächtigungen für dieses Jahr; aber es ist richtig, dass sie schon jetzt freigegeben werden müssen. Dies ist korrekt. Ich danke Ihnen, dass Sie mir ermöglicht haben, es hier coram publico darzustellen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, wenn Sie möchten, könnten Sie jetzt noch eine Frage von Herrn Brüderle zulassen.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich gerne. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte, Herr Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, was ich vorhin gesagt habe? Zuhören ist nicht so einfach. Ich lese es deshalb einmal vor: Die Konjunkturentwicklung festigen Sie bestimmt nicht mit immer neuen Förderprogrammen wie Inno-Watt, Inno-Net, NEMO und Pro Inno. - Das habe ich gesagt. ({0}) Ich habe aber nicht gesagt, dass ich gegen Innovationsförderung bin. Sie müssen den Zusammenhang verstehen, was natürlich schwierig wird, wenn man nicht drei Sätze zuhören kann. ({1}) Ich bitte Sie, das einmal zur Kenntnis zu nehmen.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Brüderle, im Prinzip schätze ich Sie durchaus. ({0}) Aber Ihre arrogante und oberlehrerhafte Art, die Sie heute an den Tag legen, ist Ihrer Person nicht würdig. Das will ich Ihnen sehr deutlich sagen. Sie sind von Ihrem Manuskript abgewichen. Ich bin dankbar, dass Sie sagen, dass wir innovative Forschung im mittelständischen Bereich weiterhin fördern wollen. Da sind wir auf einer Ebene. Aber bitte unterlassen Sie es, in populistischer Art und Weise in der Öffentlichkeit Aussagen zu treffen, die Sie hinterher wieder zurücknehmen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie noch eine Nachfrage zulassen? Das wäre dann die letzte.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, dass wir hier im Deutschen Bundestag sind und nicht im Bierzelt? ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wäre gut gewesen, Herr Kollege Brüdere, wenn Sie das bei Ihrer Rede beachtet hätten. ({0}) Ihre Rede hätte besser zu „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ gepasst. Wir sind aber zehn Tage vor der Karwoche; die Fastnachtzeit ist längst vorbei, auch in Mainz. ({1}) Natürlich bedrückt es uns, dass wir nach wie vor fast 5 Millionen Arbeitslose haben. Aber erfreulich ist doch, dass sich die Stimmung in unserem Land gewandelt hat. Der Ifo-Geschäftsklimaindex - Herr Bundesminister Glos hat es schon angesprochen - hat den höchsten Stand seit 15 Jahren erreicht. Wir dürfen in diesem Jahr etwa 150 000 zusätzliche Arbeitsplätze erwarten. Wir haben außerdem einen Stopp des Beschäftigungsabbaus erreicht. Es kann nicht angehen - das kann man wahrscheinlich noch unter dem Stichwort Fastnacht abhaken -, dass der Bundesverband deutscher Banken in Haftung für etwas genommen wird, was er so nicht dargestellt hat. Im Gegenteil, in seiner gestrigen Mitteilung hat der Bundesverband deutscher Banken die Wachstumsprognose von 1,5 auf 1,7 Prozent erhöht. Es wurde ausdrücklich gesagt: Die Investitionen der Unternehmen nehmen deutlich zu und auch in der Bauwirtschaft ist ein Ende der jahrelangen Talfahrt abzusehen. Das Wirtschaftswachstum reicht 2006 aus, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist die Aussage des Bundesverbandes deutscher Banken und nicht das, was Sie, Herr Brüderle, dargestellt haben. ({2}) Etwas Ehrlichkeit muss auch hier gegeben sein. Man kann ja für unterschiedliche Wege sein, wobei wir in unseren Auffassungen zur Wirtschaftspolitik nie weit von Ihnen entfernt waren. Aber lasst uns, bitte schön, in diesem Hause ehrlich miteinander umgehen! Wir werden den Arbeitslosen und den jungen Menschen, die in Zukunft auf qualifizierte Arbeitsplätze angewiesen sind, nicht helfen, wenn wir nur negativ reden und sozusagen das hervorheben, was als Bodensatz auf dem Grund des Sees liegt. Nein, wir müssen den Menschen sagen, dass wir uns alle bemühen, damit es vorwärts geht. Das wird kein leichtes Unterfangen sein. Auch das muss man der Ehrlichkeit halber sagen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine weitere Frage des Herrn Brüderle zulassen?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn der Herr Brüderle dies wünscht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Offensichtlich.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe wörtlich eine Reuters-Meldung von gestern zitiert. Ich wiederhole es: Die Bundesregierung hat es nach Ansicht der Geschäftsbanken in der Hand, den Wirtschaftsaufschwung mit klaren Reformen ins kommende Jahr zu retten. Das habe ich zitiert und nichts anderes. ({0}) Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Brüderle, hätten Sie doch weiter zitiert. ({0}) - Dann sollte sich die FDP einen anderen Ticker holen, der die Pressemitteilungen vollständig wiedergibt. ({1}) Lieber Herr Brüderle, Sie sind offensichtlich noch mit einer Technologie ausgestattet, die nicht dem heutigen Stand und schon gar nicht dem von morgen entspricht. ({2}) Ich will noch einen Punkt ansprechen; denn zum Haushalt an sich komme ich gar nicht mehr. Liebe Frau Kollegin Flach, Sie haben die Kolleginnen und Kollegen des Wirtschaftsministeriums kritisiert. Ich muss dazu sagen: Diese sind willig. Sie sind motiviert. Sie sind hoch qualifiziert. Sie haben sehr viele Aufgaben wahrzunehmen. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie Sie sagen können, wir seien in der Forschung auf einem absteigenden Ast. ({3}) - Natürlich sind wir für die Freiheit der Forschung. Gerade im Bereich der Raumfahrt, liebe Frau Kollegin Flach, waren wir aus dem Stand heraus enorm erfolgreich. Bundesminister Glos hatte kaum seinen Eid geschworen, da fand ein paar Tage später die ESA-Ministerratskonferenz statt. Er und das DLR - ich betone ausdrücklich: das DLR, unsere Raumfahrtagentur - haben hervorragende Arbeit geleistet und Deutschland in der Raumfahrt wieder nach vorne gebracht. ({4}) Sie haben im europäischen Verbund aufgezeigt, welche Leistungen wir erbringen, und haben der Jugend - lassen Sie mich das als letzten Aspekt sagen - wieder Hoffnung gegeben. Wir haben in Deutschland im Bereich der Luftund Raumfahrt - Frau Kollegin Flach, vielleicht hören Sie auch bei diesem letzten Punkt noch zu - jährlich einen Bedarf von 1 000 bis 1 500 Ingenieuren, während in Deutschland pro Jahr nur 400 ihr Studium abschließen. Warum? Weil ständig Technikfeindlichkeit gepredigt ({5}) und von den Grünen gesagt wird: Lasst diesen Bereich außer Acht! Setzt euch lieber für Soziologen, Philologen, Politologen ein, ({6}) die sicherlich auch wichtig sind. Damit werden wir die Zukunft nicht retten. ({7}) China hat es verstanden. Allein im Bereich der Luftund Raumfahrt werden in China jährlich 40 000 Ingenieure fertig. Wir wollen doch nicht wieder eine Greencardregelung, die damals sowieso voll danebenging. Wir wollen unseren jungen Menschen, unseren jungen Frauen und unseren jungen Männern, die intelligent und wissensdurstig sind und arbeiten wollen, vielmehr Zukunftstechnik und hoch qualifizierte Arbeitsplätze zwischen dem Allgäu und der Ostsee und zwischen dem Schwarzwald und der Oder bieten. Das ist unsere Aufgabe und der sollten wir uns gemeinsam verpflichtet sehen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Ute Berg. ({0})

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Auseinandersetzung zwischen der CDUFraktion ({0}) und der FDP-Fraktion muss ich feststellen: Sie alle müssten heilfroh sein, dass Sie zusammen mit uns eine Koalition bilden. ({1}) Ludwig Stiegler hat mir eben in seiner etwas unvollständigen Ankündigung der Rednerliste den Bereich Forschung und Technologiepolitik zugewiesen. Deshalb fange ich mit einem Zitat des Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, an, der gesagt hat: Wir sind verdammt zur Innovation. - Im Zuge der Haushaltsdebatte möchte ich hinzufügen: Wir sind verdammt zur Investition in Innovation. Wir müssen investieren, damit unsere Wirtschaft noch leistungsfähiger wird, damit sie weiterhin international mithalten kann und damit zusätzliche sichere Arbeitsplätze entstehen. Es gibt viele Unternehmen, die andere Wege einschlagen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Die machen zurzeit in den Medien Furore. Sie bauen Stellen ab, senken Löhne, verlängern die Arbeitszeit und glauben, dass sie damit ökonomisch vernünftige Entscheidungen treffen, weil sie kurzfristig die Kosten senken. ({2}) - Herr Brüderle, Sie hatten so viel Zeit für Zwischenfragen. Seien Sie jetzt einfach einmal ruhig! - Das ist aber die falsche Strategie und auch schon deshalb keine Lösung, weil man damit rein praktisch gesehen irgendwann unweigerlich an Grenzen stößt. Es gibt aber viele Unternehmen, die sich vorbildlich verhalten. Diese Unternehmen investieren in Forschung, entwickeln und fertigen Produkte, mit denen sie im weltweiten Wettbewerb nicht nur bestehen können, sondern auch Maßstäbe setzen. Viele von ihnen sind so genannte Hidden Champions. Ihre Namen sind überregional kaum bekannt, dabei spielen sie ganz oben in der Liga mit. Die Firma Paragon zum Beispiel, ein junges Unternehmen aus Delbrück im Kreis Paderborn, gehört zu den Weltmarktführern für Luftgütesensoren. Durch kontinuierliche Investitionen in Forschung und Entwicklung und gutes Innovationsmanagement hat sich das Unternehmen zu einem führenden Elektronikdienstleister entwickelt und beschäftigt mittlerweile 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ({3}) Wir brauchen noch mehr Erfolgsgeschichten dieser Art. Daher wird diese Regierung, werden wir als Parlament die Unternehmen stärken, die in die Zukunft investieren. ({4}) Ein Produkt, das heute entwickelt wird, ist sehr viel schneller überholt als noch vor 20 oder 30 Jahren; das kennen wir alle aus unserem Alltag. Ob Handy, Computer oder Kamera, kaum haben wir die Gebrauchsanweisung richtig durchgearbeitet, ist das Gerät schon wieder hoffnungslos veraltet. Das heißt: Die Lebenszeit von Produkten verkürzt sich dramatisch. Unter diesen Bedingungen, angesichts dieser beschleunigten technologischen Entwicklung, werden die Bereitschaft und die Fähigkeit zu Investitionen überlebensnotwendig - für Unternehmen, aber auch für Volkswirtschaften. Wodurch können wir nun innovative Unternehmen unterstützen? Meine Vorredner haben schon einiges zu den Rahmenbedingungen gesagt, die verbessert werden müssen. Ich nenne als Stichworte: Bürokratieabbau, Unternehmensteuerreform und Konjunkturprogramm. Ganz wichtig ist aber auch die Unterstützung von Forschungsaktivitäten innovativer Unternehmen vor allem am Beginn ihres Weges. Etwa 1,7 Milliarden Euro aus dem Etat des Wirtschaftsministeriums werden im Jahr 2006 in die Steigerung der Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft investiert; das ist knapp ein Drittel des gesamten Budgets. Das ist sehr gut angelegtes Geld. ({5}) Denn Investitionen in Forschung und Entwicklung entfalten Wachstumswirkung, schaffen zukunftssichere Arbeitsplätze und tragen so letztlich zu ihrer Refinanzierung bei. Wir haben über die Jahre eine Palette von Programmen entwickelt - Herr Brüderle hat schon Teile davon genannt -, die sehr gezielt Innovationen in der Wirtschaft fördern. Wir schlagen mit unserer Unterstützungsstrategie einen Bogen von der Forschung bzw. Erfindung über die Entwicklung eines innovativen Produkts bis hin zur tatsächlichen Markteinführung und zur Erschließung des Marktes. Dabei setzen wir auch auf die so genannte Clusterbildung. Wir fördern also Unternehmensnetzwerke von Firmen einer Branche, die ein gemeinsames Netz von Zulieferern unterhalten, Forschungsressourcen gemeinschaftlich nutzen und/oder eng mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Diese Unternehmen haben gegenüber Einzelkämpfern Wettbewerbsvorteile und daher meist auch die bessere JobUte Berg bilanz, wie zuletzt eine Studie des DIW Köln demonstriert hat. Auch bei großen Leuchtturmprojekten wollen wir diese Strategie verstärkt nutzen, zum Beispiel bei der Weiterentwicklung der Brennstoffzellentechnologie und der Entwicklung innovativer umweltfreundlicher Kraftwerke. Innovative Unternehmen brauchen aber, unabhängig von diesen Strategien, Kapital, insbesondere Startkapital. Im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern sind unsere Banken nicht ausreichend bereit, in innovative Ideen zu investieren. Deshalb finanziert die Bundesregierung Fonds, die vor allem Existenzgründern und Firmen in der Start-up-Phase mit Kapital unter die Arme greifen. Dazu gehört der High-Tech-Gründerfonds - er wurde mehrfach erwähnt -, den die Vorgängerregierung im letzten Sommer gemeinsam mit der Wirtschaft ins Leben gerufen hat. Diesen Fonds werden wir jetzt noch weiter ausbauen. ({6}) Auf einen anderen Aspekt bei Unternehmensgründungen will ich ganz kurz eingehen: Nur gut ein Viertel der neuen Unternehmen wird von Frauen gegründet. Das muss sich ändern. ({7}) Die Förderung der Gründerinnenagentur durch das Wirtschaftsministerium ist ein Schritt in die richtige Richtung. Selbstverständlich müssen aber weitere Schritte folgen. ({8}) Der Minister für Wirtschaft und Technologie hat in der letzten Woche in Japan gesagt - und heute hier wiederholt -, die Japaner können mit ihren Ausgaben für Wirtschaft und Entwicklung ein Vorbild für Deutschland sein. Japan investiert nämlich bereits heute deutlich mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung. Das 6-Milliarden-Programm der Bundesregierung wird uns, wenn die Länder und die Wirtschaft wie vereinbart mitziehen, in die Nähe des japanischen Vorbildes bringen. Das ist ein echter Lichtblick. Dieses Licht darf aber im Zuge der Haushaltskonsolidierung nicht gleich wieder ausgeknipst werden. Auf keinen Fall darf diese Summe bei den Haushaltsberatungen durch globale Minderausgaben oder Ähnliches reduziert werden. Das gilt für den Haushalt 2006, aber auch und besonders für die Folgehaushalte der Jahre bis 2009. Darauf müssen wir achten. Noch ein Punkt ist mir sehr wichtig: Es liegen bereits Hunderte von bewilligungsreifen Anträgen von Unternehmen vor. Diese Unternehmen wollen - Frau Flach hat zu Recht darauf hingewiesen - jetzt durchstarten und warten dringend auf Unterstützung. ({9}) Sie müssen die Chance bekommen, noch in diesem Jahr zu investieren. Das heißt, die Mittel für Forschung und Entwicklung müssen so schnell wie möglich freigegeben werden, sonst fließen sie dieses Jahr nicht mehr ab. Dann würden wir eine Bugwelle von Anträgen vor uns herschieben, die wir praktisch überhaupt nicht mehr abarbeiten könnten. Daher hat es mich gefreut, dass Herr Rossmanith angekündigt hat, dass in der nächsten Woche an dieser Stelle angesetzt wird. Ich setze darauf, dass das passiert. ({10}) Zum Schluss noch ein Appell an den Bundeswirtschaftsminister. Die Bundeskanzlerin hat vorgestern Frau Schavan aufgefordert, die Wirtschaft davon zu überzeugen, dass auch sie einen zusätzlichen Beitrag zur Förderung von Forschung und Entwicklung leisten muss. Ich finde, hier ist nicht nur die Forschungsministerin gefragt, auch der Wirtschaftsminister muss hierbei eine entscheidende Rolle spielen. Dass er dies tun will, hat er eben zugesagt. Wir werden ihn dabei ganz sicher unterstützen. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe das Wort der Kollegin Flach zu einer Kurzintervention, die sich auf den Beitrag von Herrn Rossmanith bezieht.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. - Ich glaube, es ist nach der glänzenden Rede des hochgeschätzten Kollegen Kurt Rossmanith erforderlich, dass wir an dieser Stelle die Position der FDP klarstellen. Als stellvertretende Vorsitzende der Parlamentsgruppe Luft- und Raumfahrt ist es mir ein besonderes Vergnügen, zu sehen, dass die Luft- und Raumfahrt gut vorankommt, lieber Herr Rossmanith. Darum ging es mir aber auch nicht. Es ging mir vielmehr darum, dass die Zuständigkeit für das DLR, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, in ein anderes Ministerium übergegangen ist, und zwar auch für die Teile im DLR, die mit Luft- und Raumfahrt überhaupt nichts zu tun haben, sondern Grundlagenforschung reinster Art sind, ({0}) sodass zwei völlig unterschiedliche Kulturen im Denken aufeinander stoßen. Das ist, wenn sich der Kollege Rossmanith richtig erinnert, sehr auffällig gewesen und darum sorge ich mich. ({1}) Es geht nicht darum, schlecht von der Luft- und Raumfahrt zu sprechen, sondern darum, dass es bei dem Zusammenfügen dieser beiden Ministerien offensichtlich Probleme gibt. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Rossmanith, möchten Sie reagieren? Bitte.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Flach, wir haben dazu keine grundsätzlich unterschiedlichen Anschauungen. Aber Fakt ist, dass Sie das DLR natürlich nicht teilen können. Ganz wesentliche Teile im Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt betreiben anwendungsorientierte Forschung. ({0}) Niemand will mit dieser „Umsetzung“ in den Etat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, dass das DLR in seinem Forschungsdrang und seinen Forschungsfähigkeiten eingeschränkt wird. Das Ergebnis der ESA-Ministerkonferenz - ich betone das noch einmal - belegt genau das Gegenteil: Dank des Bundesministeriums für Wirtschaft unter Michael Glos ({1}) kann das DLR ganz wesentlich dazu beitragen, das nationale Raumfahrtprogramm zu stärken. Natürlich müssen wir auch Forschungsgelder nach Europa geben - im Prinzip ist das ja nicht verkehrt -, aber einen Teil müssen wir, wie das andere Nationen schon seit Jahren machen, in die Forschung hierzulande investieren, um im Bereich von Forschung und Technologie auch national etwas in Europa einbringen zu können. Ich sage Ihnen in dem Zusammenhang ein Zweites: Natürlich bringt das Columbus-Projekt - dafür ist das DLR verantwortlich - Freiheit der Forschung mit sich, aber auch Anwendung der Forschung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass das Columbus-Projekt in die Internationale Raumstation gelangt. Wir selber haben keine Trägerraketen oder Shuttles. Also müssen wir entsprechende Möglichkeiten finden, damit es in die Station kommt, damit an dieser Technologie gearbeitet werden kann. Ich habe mich sehr gefreut, als ich letztens eine Umfrage gelesen habe, wonach 68 Prozent - das sind über zwei Drittel - der deutschen Bevölkerung sagt: Die Weltraumforschung nutzt uns in toto. Das hat mich enorm gefreut. In der Tat sprechen wir hier, wie auch der Kollege Wend betont hat, über Zukunftstechnologien. Umso mehr freuen wir uns, dass junge Menschen wieder bereit sind, dieses Studium, das sicherlich nicht leicht ist, aufzunehmen. Wir werden einen gemeinsamen Weg finden. Das DLR steht im Moment gut da und wird in Zukunft sicherlich so gut dastehen wie noch nie. Wenn Sie uns dabei unterstützen - ich weiß, liebe Frau Kollegin Flach, Sie machen das -, dann sehe ich für diesen Bereich eine sehr hoffnungsvolle Zukunft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Debatte gebe ich das Wort dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Abschluss der Haushaltswoche debattieren wir heute über den Wirtschaftsetat mit Titeln für den Tourismusbereich. In etwas mehr als zwei Monaten wird das Reiseland Deutschland im Blickpunkt der weltweiten Öffentlichkeit stehen. Im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft werden Millionen internationaler Gäste unser schönes Land besuchen. Als Politiker müssen wir daher alles daran setzen, dieses große Ereignis konstruktiv zu begleiten. Die große Koalition und vor allem Wirtschaftsminister Michael Glos haben bereits erste Schritte in die richtige Richtung unternommen und den Tourismusbereich deutlich aufgewertet. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es einen Beauftragten der Bundesregierung für Tourismus. ({0}) Unser Kollege Ernst Hinsken wird im Bundeswirtschaftsministerium die Querschnittsaufgabe Tourismus koordinieren. Dies ist dringend geboten und wurde von den Tourismuspolitikern und der Branche lange gefordert, da der Tourismus eine Mitwirkung von fast allen Ressorts und eine Abstimmung mit allen 16 Bundesländern verlangt. Im aktuellen Bundeshaushalt registrieren wir erfreut die Anhebung der tourismuspolitischen Haushaltsansätze um fast 1 Million Euro. Gerade in Zeiten immer knapperer Kassen ist diese Entscheidung bemerkenswert und sie weist den Weg in die richtige Richtung. Ich hoffe, dass es uns gelingt, diesen Titel für das Jahr 2007 auf hohem Niveau beizubehalten. So wird beispielsweise der Haushaltstitel für die Deutsche Zentrale für Tourismus um 500 000 Euro auf 25 Millionen Euro erhöht. Verbesserungen für das Marketing, Messen und Verkaufsförderung sind längst überfällig, investieren doch unsere ausländischen Wettbewerber oft erheblich größere Summen, um ihr Land international bekannt zu machen. Dieses Geld fließt direkt in die Vermarktung des Tourismusstandortes Deutschland im Ausland und stellt daher hervorragend investierte Steuermittel dar, die ein Vielfaches an Umsätzen in der Wirtschaft und Einnahmen in den öffentlichen Kassen bewirken. Damit wollen wir auch einen Beitrag zur Reduzierung des ständig wachsenden Defizits der deutschen Reiseverkehrsbilanz leisten, das im letzten Jahr bei fast 36 Milliarden Euro lag. Die Tourismuswirtschaft stellt sowohl im Inland als auch weltweit eine der wenigen Wachstumsbranchen dar, sogar langfristig. Die Politik muss diese personalKlaus Brähmig intensive Dienstleistungsbranche nach Kräften unterstützen. ({1}) Sie bietet große Chancen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Heute arbeiten in unserem Land circa 2,8 Millionen Menschen im Tourismusgewerbe; über 100 000 Lehrstellen kommen noch hinzu. Während in vielen Branchen über eine Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland diskutiert wird, kann dies für den Tourismussektor ausgeschlossen werden. ({2}) Die Arbeitsplätze in diesem Bereich sind an den Standort Deutschland gebunden und können nicht exportiert werden. Wer Neuschwanstein, die Dresdner Frauenkirche, das Brandenburger Tor oder den Deutschen Bundestag besuchen möchte, findet das Original nun einmal nur bei uns in Deutschland. ({3}) Deutschland ist Gott sei Dank nach wie vor das beliebteste Reiseziel unserer Landsleute. ({4}) In den vergangenen Wochen tagten in Wien die Tourismusminister der Europäischen Union. Auf dieser Konferenz wurde erneut deutlich, dass der Tourismus für Europa der Sektor mit den größten Wachstumschancen ist. Besonders erfreulich hierbei: Es wird sogar eine steigende Tendenz prognostiziert. EU-weit sind derzeit 11,8 Prozent aller Arbeitsplätze im Tourismus angesiedelt, bis zum Jahr 2016 erwartet man einen Anstieg auf 13 Prozent. Wir müssen uns alle gemeinsam anstrengen, um dieses enorme Wachstumspotenzial auch für unser Land zu nutzen. ({5}) Um dieses Ziel zu erreichen, sind angesichts der tief greifenden strukturellen Probleme des deutschen Arbeitsmarktes eine umfangreiche Flexibilisierung und Entbürokratisierung dringend geboten. Wer die Reisebranche kennt, weiß, welche Ausstrahlungskraft der Tourismus auf benachbarte Wirtschaftssektoren besitzt. So profitieren zum Beispiel das Baugewerbe, das Handwerk, der Einzelhandel, aber auch Kultureinrichtungen gleichermaßen von einem florierenden Tourismus. Durch die notwendige Anreise und die Mobilität vor Ort werden viele Arbeitsplätze an Flughäfen, bei Fluggesellschaften, in Bahn-, Bus- und Taxibetrieben und sogar auf Ausflugsschiffen gesichert. Nicht umsonst ist der Frankfurter Flughafen die größte lokale Arbeitsstätte in Deutschland. Trotz dieses Optimismus haben uns die jüngsten Ereignisse, beispielsweise der Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschland, gezeigt, wie schnell gerade der Tourismussektor in Turbulenzen geraten kann. Die mediale Panikmache rund um die Vogelgrippe auf Rügen verursacht unmittelbare wirtschaftliche Folgeschäden für die Region. Auch unsere Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, deren Wahlkreis Rügen tagelang im Zentrum der medialen Öffentlichkeit stand, wurde von den betroffenen Unternehmen aus erster Hand über die aufgetretenen Schwierigkeiten informiert. Die Buchungen brachen ein und die unmittelbaren Folgen betrafen sogar das gesamte Reiseland Mecklenburg-Vorpommern. Ich denke, es ist die Aufgabe der Politik, sich nicht von Panik jeglicher Art ergreifen zu lassen. ({6}) Viele Tourismusorte an Elbe und Donau sind zurzeit vom Frühlingshochwasser betroffen. Wir hoffen und wünschen, dass das Wasser in geordneten Bahnen abfließt und keine materiellen Schäden anrichtet, sodass die mittelständischen Unternehmen auch das VorOstern- und Ostergeschäft mitnehmen können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland erwartet in diesem Jahr unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ circa 5,5 Millionen Besucher aus aller Welt. Nutzen wir die einmalige Chance, die uns die Fußballweltmeisterschaft bietet! Lassen wir uns vom internationalen Flair und der Euphorie dieser Tage inspirieren! Unser Land ist weltoffen, tolerant und gastfreundlich. Sorgen wir für eine Atmosphäre, die zum Wiederkommen einlädt! Auch dies stärkt den Tourismus in unserem Land und sichert Existenzen in Deutschland. ({7}) Über die dadurch generierten zusätzlichen Steuereinnahmen wird sich sicherlich nicht nur unser Bundesfinanzminister freuen. Danke schön. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Einzelplan vor. Wir kommen zur Schlussrunde. Ich erteile als Erstem dem Kollegen Bernhard Brinkmann, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Dienstag dieser Woche befassen wir uns in diesem Hohen Hause in erster Lesung mit dem Bundeshaushalt 2006. Dabei sind zwei Unterschiede besonders deutlich geworden: Die rechte Seite des Hauses ruft wie immer nach weiteren Steuersenkungen ({0}) - auf das Sparen komme ich noch zu sprechen -, die linke Seite des Hauses ({1}) fordert weitere Mehrausgaben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, eine Erklärung, wie Steuersenkungen anlässlich der besonders schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte zu Bernhard Brinkmann ({2}) verkraften bzw. gegenzufinanzieren sind, sind Sie uns bis heute leider schuldig geblieben. Die Debatte darüber ist nicht neu. Werfen wir einen Blick auf die Wirklichkeit: Wenn ich nicht ganz falsch informiert bin, dann gibt es in keinem Bundesland einen Finanzminister, der bereit ist, ernsthaft über weitere Steuersenkungen nachzudenken. ({3}) Das gilt auch für die Länder, in denen Sie noch in der Verantwortung sind bzw. bis zum vergangenen Wahlsonntag waren. Zumindest die Wählerinnen und Wähler in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sind auf diesen Steuersenkungszug nicht aufgesprungen, weil sie gemerkt haben, dass er in die falsche Richtung fährt. ({4}) Weitere Steuersenkungen sind nicht zu finanzieren und also nicht zu vertreten. Von daher steht die große Koalition in dieser Frage ganz fest an der Seite des Finanzministers. ({5}) Auf die bereits durchgeführten Steuersenkungen - auch daran muss man anlässlich der Debatte über den Bundeshaushalt 2006 erinnern - komme ich an anderer Stelle zu sprechen. Die Linke, die neue Formation auf der ganz linken Seite dieses Hauses, fordert - das war nicht anders zu erwarten - Mehrausgaben in Milliardenhöhe. Sie will immer mehr Geld ausgeben, hat dabei bis heute aber keinen einzigen soliden und nachvollziehbaren Vorschlag zur Gegenfinanzierung unterbreitet. ({6}) - Dass Sie sich aufregen, zeigt, dass Sie getroffen sind. ({7}) - Im Anschluss an meine Rede können Sie das richtig stellen. Wenn Sie noch mehr Schulden machen oder in bestimmten Bereichen Steuererhöhungen durchführen wollen, dann tragen Sie das hier bitte vor. Ich bin gespannt, was dann kommt. Seit Dienstag wird auch deutlich: Sie nehmen für sich in Anspruch, dass Sie die Partei sind, die das soziale Gewissen in diesem Haus darstellt. ({8}) Schon gestern in der Debatte zum Einzelplan 11 ist deutlich geworden - man kann das nicht oft genug erwähnen -: Für den Bereich Arbeit und Soziales sind 134 Milliarden Euro vorgesehen; das sind 51 Prozent der Gesamtausgaben. Meine Fraktion und die Koalition insgesamt sind sich der besonderen Verantwortung wohl bewusst. Das sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht schlecht machen und klein reden. Unterbreiten Sie lieber konstruktive Vorschläge, die letztendlich auch gegenfinanziert werden können. Wir wissen alle - das gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP -, dass die Lage sämtlicher öffentlicher Haushalte ernst ist. ({9}) Sieben von 16 Bundesländern haben einen Haushalt eingebracht bzw. beschlossen, bei dem die Neuverschuldung die Regelgrenze der Investitionen überschreitet. Diese Finanzierungsprobleme auf allen staatlichen Ebenen, also beim Bund, bei den Ländern und bei den Kommunen, können nur durch gemeinsames Handeln gelöst werden. Notwendig ist eine nationale gemeinsame Anstrengung, um das wirtschaftliche Wachstum zu steigern und die Finanzen langfristig auf eine solide Basis zu stellen. Auch hier hat der Finanzminister unsere uneingeschränkte Unterstützung. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu dieser Erkenntnis sind inzwischen fast alle Verantwortlichen gekommen. Ich darf an dieser Stelle einen kleinen Blick in die Vergangenheit werfen: Das war im Verhältnis zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat nicht immer so. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir hier jetzt an einem gemeinsamen Strang ziehen und dass auch in der großen Koalition in die gleiche Richtung gezogen wird. In den Debatten seit Dienstag ist hier am Rednerpult mehrere Male festgestellt worden, dass der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die finanzpolitische Realität sehr deutlich und ohne Wenn und Aber beschrieben hat. Ich will dem gerne hinzufügen: Das war unter seinem Vorgänger auch nicht anders. ({11}) Bis zum Regierungswechsel hat das unser Koalitionspartner, die CDU/CSU, was den Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen betrifft, in dem einen oder anderen Fall - ich nenne hier nur das Stichwort Eigenheimzulage - nicht oder nicht ganz so gesehen. ({12}) Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht, dass wir mit dem haushalts- und finanzpolitischen Dreiklang aus Sanieren - dazu gehört auch Sparen -, ({13}) Reformieren und Investieren auf dem absolut richtigen Kurs sind. Konkret bedeutet dies, dass wir die öffentlichen Haushalte weiter konsolidieren werden. Durch neue Wachstumsimpulse werden wir bereits kurzfristig die Weichen für mehr Wachstum und Beschäftigung stellen und durch Strukturreformen und Investitionen in die Zukunft werden wir die dauerhafte Finanzierbarkeit der staatlichen Leistungen sicherstellen. Bernhard Brinkmann ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten Tagen bekannt gewordenen Daten - Geschäftsklimaindex, Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die wahrlich nicht gut genug ist, Umsatzsteigerung im Einzelhandel und Zunahme der Auftragseingänge im produzierenden Gewerbe - weisen bei aller Vorsicht, die hier angebracht ist, darauf hin, dass die Reformen der Vorgängerregierung und das, was in den ersten 100 Tagen dieser Koalition auf den Weg gebracht worden ist, die richtigen Schritte waren und sind. ({15}) Darauf müssen wir weiter aufbauen. Wir müssen weiter an Vertrauen gewinnen und dürfen nicht nervös werden, wenn die Erfolge nicht sofort, sondern erst nach einer bestimmten Vorlaufzeit eintreten. Dabei dürfen wir auch nicht aus den Augen verlieren, dass die weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ganz eng mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt verbunden ist. Über die Frage der Arbeitsplätze ist auch in den vergangenen Tagen viel diskutiert worden. Ich will von dieser Stelle aus darauf hinweisen, dass wir den Menschen an dieser Ecke nicht zu viel Sand in die Augen streuen sollten: ({16}) Politik kann lediglich die Rahmenbedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen setzen. ({17}) Diese Rahmenbedingungen waren noch nie so gut wie heute. Schauen Sie sich die Steuersätze an. Der Eingangsteuersatz betrug 25,9 Prozent, jetzt beträgt er 15 Prozent. Der Spitzensteuersatz lag bei 53 Prozent, jetzt beträgt er 42 Prozent, ({18}) wobei es demnächst einen Zuschlag für Personen und Unternehmen geben wird, die mehr verdienen. Wenn Sie sich anschauen, was sich im Bereich der Gewerbesteuer getan hat, dann sehen Sie, dass es im Jahre 2005 eine Rekordeinnahme in Höhe von 32,1 Milliarden Euro gab. Noch nie waren die Gewerbesteuereinnahmen in Deutschland so hoch. Das zeigt, dass die von der Vorgängerregierung auch in diesem Bereich in Gang gesetzten Reformen richtig waren. Die Unternehmen müssen ja letztendlich verdient haben; denn ansonsten wären die Gewerbesteuereinnahmen nicht so hoch gewesen. ({19})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, die Kollegin Anja Hajduk würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage an dieser Stelle: Wir wollen diese Einnahmequelle für die Städte und Gemeinden beibehalten; denn sämtliche bisher vorgelegten Alternativen zu diesem Herzstück des Gemeindesteuersystems sind meines Erachtens nicht verlässlich und nachhaltig. Wenn es im Rahmen der Unternehmensteuerreform - diese haben wir uns ja auch vorgenommen - zu verlässlichen Berechnungen kommen sollte, dann können wir gerne noch einmal darüber nachdenken.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Brinkmann, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk zulassen?

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, meine Redezeit ist zu Ende. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. ({0}) Der Bundeshaushalt 2006 geht ab der kommenden Woche in die Ausschussberatungen. Ich bitte Sie alle - das gilt auch für Sie, Kollege Beck -: Stellen Sie sich der Verantwortung für eine solide Finanzpolitik. ({1}) Zum Schluss bedanke ich mich noch einmal beim Bundesfinanzminister für die Vorlage dieses Haushaltes und für die Offenlegung der Zahlen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Das gilt eingeschränkt auch für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Anja Hajduk.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege Brinkmann, Sie haben am Ende Ihrer Rede in der heutigen Schlussrunde der Haushaltsberatungen deutlich gemacht, dass die Politik nur in der Lage sei, Rahmenbedingungen zu setzen. Sie haben aber auch klar gemacht, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen günstig seien. Sie haben sehr viele Worte darauf verwendet, zu betonen, wie positiv die aktuelle Konjunkturentwicklung, die Situation der Wirtschaft insgesamt und die Steuereinnahmeseite seien. Ich frage Sie: Wie passt das mit der aktuell von Ihnen angenommenen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zusammen, ({0}) die eine Rechtfertigung dafür ist - Stichwort Art. 115 des Grundgesetzes -, dass die Kreditaufnahme die Investitionsausgaben in einem Ausmaß von mehr als 15 Milliarden Euro überschreitet? ({1})

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Hajduk, Sie wissen, ich schätze Sie gerade bei den Beratungen im Haushaltsausschuss sehr. ({0}) - Außerordentlich, keine Frage. - Aber wir sollten aufhören, schon am 31. März dieses Jahres so zu tun, als würden die Steuerquellen bis zum 31. Dezember 2006 so weitersprudeln, wie sich das Gott sei Dank jetzt darstellt. Wenn das der Fall sein sollte, dann gibt es neue Stellschrauben. ({1}) Ich sage hier aber auch ganz deutlich: Es geht dann nicht darum, neue Wünsche anzumelden oder zu erfüllen, sondern wir sollten die Schulden tilgen, damit die Ausgaben für die Zinszahlungen geringer werden und wir in Zukunft weitere Spielräume haben. Sie sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe das Wort der Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzminister hat uns in dieser ersten Haushaltsberatung sein neues finanzpolitisches Dogma verkündet. Erstens. Auf der Ausgabenseite gebe es kein Niveauproblem, sondern ein Strukturproblem, weil der Anteil der Sozialausgaben seit Beginn der 90-er Jahre von einem Drittel auf die Hälfte gestiegen sei. Zweitens. Strukturreformen seien nötig, aber sie könnten nicht abrupt erfolgen, weil dies soziale Verwerfungen und Kaufkrafteinschränkungen zur Folge hätte. Drittens. Seine Politik - der Finanzminister nennt das die Finanzpolitik des doppelten Tons - sei auf Konsolidierung ebenso wie auf Wachstum ausgerichtet, weil beides Hand in Hand gehen müsse. Liebe Kollegen, diejenigen, die Hans Eichel in seiner Anfangszeit erlebt haben, müssen ein gewisses Déjà-vuErlebnis gehabt haben; denn auch damals hatten wir einen äußerst prinzipienfesten Finanzminister, der sich auch so präsentierte, nachdem er von Herrn Lafontaine den Scherbenhaufen übernommen hatte. Einem so prinzipienfesten Minister sollte man auch mit Prinzipien antworten. Zur ersten These. Die Ausgabenseite des Haushaltes weist sowohl ein Niveauproblem - wir geben nämlich entschieden zu viel aus - als auch ein Strukturproblem der Anteil der Sozialausgaben am Gesamtetat ist eindeutig zu hoch - auf. Deswegen wird alles Sparen nichts nützen - darin bin ich mit dem Finanzminister völlig einig -, wenn wir nicht alle gemeinsam an die großen Blöcke dieses Haushalts herangehen: ({0}) den Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen und die Renten. Nur dann können wir Erfolg haben. Der Präsident der Bundesbank hat uns im Januar vollkommen zu Recht ins Stammbuch geschrieben: Erstens sollten die staatlichen Ausgaben und steuerlichen Ausnahmetatbestände ohne Tabus umfassend geprüft werden. Zweitens gelte es, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und günstigere Wachstumsbedingungen zu schaffen. Ohne Tabus, Herr Steinbrück! Genau das aber sehen wir bei Ihnen nicht. Bei den Sozialausgaben sind Sie bereits nach wenigen Tagen vor Franz Müntefering eingeknickt. So ist seit Tagen in der Fachpresse zu lesen, dass zu den schon bisher zu hoch angesetzten 24 Milliarden Euro für das ALG II noch 4 bis 5 Milliarden Euro hinzukommen werden. Beim Thema Gesundheitsreform wird sich das Jahr 2006 vor allen Dingen in Gesprächsrunden erschöpfen. Dabei interessiert mich schon, ob sich Herr Lauterbach oder all die anderen durchsetzen, die meinen, sie könnten eine ordentliche Gesundheitspolitik auf den Weg bringen. Im Bereich der Subventionen haben Sie, Herr Steinbrück - das haben wir gerade ausführlich diskutiert -, es an keiner Stelle geschafft, Herrn Glos auch nur ein kleines Stoppschildchen vor die Tür zu setzen. ({1}) Kurzum: Die Bundesregierung geht die Bigpoints nicht an. Ich lese Ihnen jetzt vor, Herr Steinbrück, was Sie selbst im Vorwort des Koch/Steinbrück-Papiers geschrieben haben: Ein umfassender und konsequenter Abbau von Subventionen ist notwendig, um das gesamtstaatliche Defizit zu verringern und so einen wichtigen Beitrag dafür zu leisten, wieder einen Pfad finanzwirtschaftlicher Stabilität zu erreichen. Ist dies gewährleistet, könnte und sollte der gewonnene Handlungsspielraum für eine zusätzliche Senkung der Steuern genutzt werden. Insofern ist doch davon auszugehen, Herr Steinbrück, dass die Subventionen 2006 abgebaut werden und 2007 eine umfassende Steuerreform erfolgt. ({2}) Nichts anderes erzählt Ihnen die FDP seit Tagen. Wir werden offensichtlich auch von der Fachwelt unterstützt. Wenn das jetzt unterbleibt, dann kann man im nächsten Jahr nur noch mit einem höchst dramatischen Spardruck etwas erreichen. Ich sage an dieser Stelle für die FDP ganz deutlich: Wir werden sparen. Im Jahr 2005 betrug das Bruttoinlandsprodukt 2,2 Billionen Euro. Wir wollen das 3-Prozent-Kriterium von Maastricht noch in diesem Jahr erreichen. Das heißt, dass die FDP-Fraktion Ihnen in diesen Tagen ein Sparpaket mit einem Volumen von 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro vorlegen wird. Denn das ist erforderlich. ({3}) Wir sehen uns darin mit dem Sachverständigenrat einig, der ganz nebenbei nonchalant festgestellt hat, dass eine solche Einsparung doch möglich sein müsste. Es ist machbar, Herr Steinbrück. Wir werden es Ihnen zeigen. Das Haushaltsjahr 2006 ist kein Sabbatjahr, zu dem Sie es offensichtlich gemacht haben; wir müssen vielmehr in diesem Jahr mit den notwendigen Konsolidierungen anfangen. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass wir gemeinsam dieses Land wieder auf eine gute Spur setzen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Schlussrunde ist es üblich, ein bisschen über den engen Ressortbereich hinauszublicken. Deswegen danke ich meinem Fraktionsvorsitzenden, dass er mich ausdrücklich gebeten hat, zu einigen übergreifenden Fragen Stellung zu nehmen. Ich will mit dem Hinweis beginnen, dass wir uns vielleicht auch vergegenwärtigen müssen, wie unsere wirtschaftliche und finanzpolitische Entwicklung global zu bewerten ist. Das weltwirtschaftliche Umfeld ist seit einigen Jahren außerordentlich positiv. Auch die ersten Quartalshinweise für das Wachstum des Weltbruttoinlandsprodukts sind positiv. Dies gilt sowohl für die gewohnt wachstumsstarken Schwellenländer als auch für die Industrieländer. Wachstumsmotor der Industrieländer - das ist in diesen Tagen noch einmal deutlich geworden - sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Aber auch in den Schwellenländern - insbesondere in China und Indien liegen die Wachstumsraten schon auf einem langfristig robusten Niveau. Dies macht deutlich, dass wir in den nächsten Jahren unsere Position gegenüber den Schwellenländern fortentwickeln und den strategischen wirtschaftspolitischen Dialog insbesondere mit dem asiatisch-pazifischen Raum auf solide Grundlagen stellen müssen. ({0}) Ein Blick in die Wirtschaftspresse zeigt, dass es den Schwellenländern nicht an Zuwendungen und Auslandskapital mangelt. Im Gegenteil: Die hohen Wachstumsraten geben eher Anlass zu Befürchtungen einer Überhitzung. ({1}) Eine genaue Analyse der Situation von Schwellenländern ist in diesem Jahr beispielsweise auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erfolgt. Es war interessant festzustellen, dass anstelle von China Indien in den Vordergrund des Dialogs gerückt ist. Für die weltgrößte Exportwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland sind das die zukünftigen Märkte, die wir wirtschafts- und außenpolitisch fest im Fokus haben müssen. ({2}) Weil in diesem Zusammenhang die Stabilität der internationalen Finanzmärkte auch und gerade für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik und ihre Einbindung in die Finanzmärkte außerordentlich wichtig ist, begrüße ich es, dass Sie, Herr Bundesfinanzminister, sich aktiv an der Reform des Internationalen Währungsfonds beteiligen. Denn die Rolle des Internationalen Währungsfonds hat sich in den vergangenen Jahren fortentwickelt. Es ist erfreulich, dass die Bundesrepublik Deutschland einen entscheidenden Beitrag zur Funktionsfähigkeit der internationalen Finanzmärkte durch die Reform des IWF leisten will. ({3}) Lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Entwicklung der Inflation und der Zinsen machen. ({4}) Die Inflationserwartungen scheinen mir im Augenblick ausgesprochen stabil zu sein. ({5}) Trotzdem machen ein starkes Wirtschaftswachstum, weltweit außerordentlich hohe Rohstoffpreise und ein hohes Maß an freiem Kapital - von manchen als überschießende Liquidität bewertet - eine genaue Beobachtung der Inflationserwartungen und der Inflationsraten notwendig. ({6}) Fakt ist allerdings - das drücken auch die Inflationseinschätzungen aus -, dass der gegenwärtige Preis- und Lohndruck als Inflationstreiber aufgrund des intensiven globalen Wettbewerbs außerordentlich gering ist. Deswegen ist es wichtig, dass die Zentralbankpolitiken als globaler Stabilitätsanker glaubwürdig bleiben. Vor diesem Hintergrund begrüßen die Koalition und die Bundesregierung außerordentlich, dass der Wechsel an der Spitze der amerikanischen Zentralbank zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems beigetragen hat und dass die Politik der Europäischen Zentralbank stabilisierend einwirkt. Das sind wichtige Stabilitätsanker insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsplätze in Deutschland. ({7}) Die Finanz- und Haushaltspolitik stellt sich den Herausforderungen. Wir geben erstmals inflationsindizierte Anleihen oder Fremdwährungsanleihen aus und drücken so aus, dass wir zum einen eine konservative Inflationserwartung haben und zum anderen einen Beitrag dazu leisten wollen, dass das internationale Währungssystem weiterhin stabil und von geringen Ausschlägen geprägt ist. Die große Koalition will auch durch solche Instrumente ihren Beitrag zu Stabilität und zur Bekämpfung der Inflation leisten. ({8}) Zur Zinsentwicklung - der Kollege Fricke wird bei diesem Thema richtig unruhig -: ({9}) Wir erwarten, dass die Zinsrunde in den Vereinigten Staaten nahezu abgeschlossen ist und dass auch von der EZB keine großen Schocks zu erwarten sind. Herr Fricke, im Übrigen sind die Signale der Märkte so zu verstehen, dass mögliche Zinserhöhungen bereits in den Renditeerwartungen eingepreist sind. Trotz des historisch niedrigen Zinsniveaus bleibt die Aufgabe, durch die konsequente Modernisierung unseres Schuldenmanagements und unseres Staatstitelmanagements für zukünftige Entwicklungen gut gewappnet zu sein. Vor diesem Hintergrund waren die Ausgliederung des Schuldenmanagements aus dem Bundesfinanzministerium in die privatwirtschaftlich strukturierte Finanzagentur und die Hinzuziehung von Finanzmarktexperten ein Beitrag zur Senkung der Kosten des Schuldenmanagements in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist richtungsweisend. Das sollten wir weiterhin unterstützen. ({10}) Lassen Sie mich etwas zum notwendigen wirtschaftlichen Wachstum als Flankierung unseres Konsolidierungskurses sagen. Von Hans Weingartner ist vor rund einem Jahr der Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ in die Kinos gekommen. Diesen Titel kann man auch auf die Wachstumssituation in der Bundesrepublik Deutschland übertragen. In den letzten Jahren gab es ein außerordentlich schwaches Wachstum, von einigen positiven Ausnahmen abgesehen. In dieser Phase des schwachen wirtschaftlichen Wachstums sind aber die Ansprüche an den Staat und die sozialen Sicherungssysteme gestiegen. Die Staatsquote hat mit 48 Prozent ihren Höchststand und damit ein Ausmaß erreicht, das insbesondere uns Christdemokraten und Christsozialen nicht zufrieden stellen kann. ({11}) Die fetten Jahre, das waren die 60er-Jahre und teilweise die 70er-Jahre. Damals haben uns ein hohes Wachstum und eine niedrige Arbeitslosigkeit politisch flankiert. Solide Staatsfinanzen und ausgeglichene Haushalte wurden jedoch im Laufe der Zeit zugunsten des immer weiteren Ansteigens der Sozialausgaben geopfert. Die Tarifvertragsparteien haben diesen Prozess begleitet, indem sie die Arbeitszeit auf 35 Stunden abgesenkt haben. Einen ersten Versuch, diese Entwicklung umzukehren, haben wir in den 80er-Jahren erlebt, als die Regierung Kohl/Stoltenberg durch eine konsequente symmetrische Finanzpolitik der Ausgaben- und Abgabensenkung wieder wirtschaftliches Wachstum generiert hat und damit die Staatsquote bis zur Wiedervereinigung auf ein respektables Niveau von 44 Prozent absenken konnte. ({12}) Die deutsche Einheit - die von der Union als Geschenk empfunden wird - hat uns aber vor enorme finanzielle Herausforderungen sowohl bei den sozialen Sicherungssystemen als auch beim Bundeshaushalt gestellt. Nur, eins muss uns allen in diesen Tagen klar sein: Schuldenpolitik und übermäßige Defizitfinanzierung sind kein Ausweg, sondern oftmals - das zeigen internationale Vergleiche - Ursache der Wachstumsschwäche. Deswegen ist der konsequente Konsolidierungskurs der großen Koalition ({13}) mit der Zielmaßgabe eines ausgeglichenen Haushalts richtig für Wachstum und Beschäftigung in der Bundesrepublik. ({14}) Unser Ziel für diese Legislaturperiode ist klar: die Absenkung der Staatsquote auf ein Niveau, wie wir es vor der deutschen Einheit, zur Zeit von Finanzminister Gerhard Stoltenberg hatten. Das Absinken der Staatsquote wird ein Indikator dafür sein, dass wir mit dem Bürokratieabbau vorankommen und die Effektivität staatlichen Handelns steigern. Denn weniger Staat bedeutet weniger Bürokratie bedeutet mehr Freiheit für die Bürger; das ist unser Anliegen. ({15}) Die FDP kritisiert, wir bekämen immer mehr Staat und der Bürger würde immer mehr abkassiert. Wenn diese Behauptung stimmen würde, wie werden Sie es dann erklären, wenn die Staatsquote am Ende der Legislaturperiode auf ein historisch niedriges Niveau sinkt? „Weniger Staat, mehr Freiheit“, dieses Konzept wird von der großen Koalition gemeinsam getragen. Die Kritik, insbesondere der FDP, greift in diesem Zusammenhang ins Leere. ({16}) Ich finde es ein Stück weit unanständig, wenn die Kollegin Flach wie gerade eben einen tabulosen Umgang mit den sozialen Sicherungssystemen vorschlägt. Frau Kollegin Flach, wenn Sie über das hinausgehen wollen, was die große Koalition jetzt vereinbart bzw. was wir in diesem Jahr beschließen werden, dann müsSteffen Kampeter sen Sie den Bürgerinnen und Bürgern sagen, was Sie an den sozialen Sicherungssystemen zusätzlich verändern wollen. ({17}) - Herr Kollege Fricke, Sie reden selber noch; dann können Sie gerne alles richtig stellen. ({18}) Wollen Sie die Renten in Deutschland kürzen? Wollen Sie die Familienleistungen absenken? Das sind doch im Kern die Bereiche, bei denen Sie ansetzen müssten. Das Konzept der großen Koalition hat eine horizontale und eine vertikale Dimension. Horizontal geht es darum, dass wir Haushalts- und Finanzpolitiker gemeinsam mit den Fachpolitikern an der Konsolidierung arbeiten. Gemeinsam mit der Kanzlerin und dem Vizekanzler und allen Mitgliedern des Kabinetts wollen wir die ehrgeizigen Stabilitätsziele - eine Halbierung des strukturellen Defizits innerhalb dieser Legislaturperiode - erreichen. Bei der vertikalen Konsolidierung geben wir insbesondere durch die Mehrwertsteueranpassung den Ländern die Möglichkeit, ihren Beitrag zu verfassungsgemäßen Haushalten zu leisten. Wir sparen nicht, wie es das früher schon einmal gegeben hat, zulasten der Länder, sondern die Länder bekommen die Möglichkeit, ihre Haushalte zu konsolidieren. ({19}) Lassen Sie mich einige Worte zur Anreizorientierung unserer Politik sagen. Horst Siebert, der langjährige Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, hat eines seiner wirtschaftspolitischen Bücher einer klassischen Legende über die Anreizwirkungen in der Ökonomie gewidmet, nämlich der Kobra. Zu Zeiten der englischen Kolonialverwaltung soll es in Indien einmal zu viele Kobras gegeben haben. ({20}) Um der Plage Herr zu werden, setzte der Regionalgouverneur eine Prämie pro abgelieferten Kobrakopf aus; die Inder sollten die Kobras einfangen. Nun sind Inder entgegen landläufiger Auffassung ökonomisch denkende Menschen. Wie reagierten sie auf das Prämienangebot? Sie züchteten Kobras, um die entsprechenden Prämien zu kassieren. Die Kobraprämie führte zu einer Inflation der Belastung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Phänomen, dass das Gegenteil von gut eben „gut gemeint“ ist, haben wir gelegentlich auch in der aktuellen Politik zu verspüren. Ich glaube, in vielen Politikbereichen müssen wir sehr sorgfältig darauf achten, ob wir das Kobratheorem hinreichend berücksichtigt haben. ({21}) Wir werden in diesem Haus im Laufe dieses Jahres auch noch über das SGB-II-Optimierungsgesetz sprechen. Dabei würde es in erster Linie um die Anreizkorrektur im Zusammenhang mit Hartz IV gehen; denn wenn richtig ist, was der Vizekanzler gestern berichtet hat, nämlich dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Monat zu Monat steigt und sich damit das Mengengerüst, also die Gruppe derjenigen, die anspruchsberechtigt sind, weit von dem, was wir in der Vergangenheit in dem alten Sicherungssystem hatten, fortentwickelt hat -, ({22}) dann scheint mir das ein Indiz dafür zu sein, dass wir das Kobratheorem bei Hartz IV noch nicht hinreichend berücksichtigt haben. ({23}) Ich will ganz klar sagen: Die Menschen verhalten sich dabei ökonomisch rational. Es ist vielmehr der Staat, also wir, der mit seinen gut gemeinten gesetzlichen Regelungen möglicherweise Scheunentore geöffnet hat und die Menschen damit eher anlockt. Dies kann nicht in unserem Sinne und nicht im Sinne der Eigenverantwortung sein. Deswegen freue ich mich, dass der Bundesarbeitsminister angekündigt hat, hier zu gesetzlichen Veränderungen zu kommen. ({24}) Ein weiteres wichtiges Anreizsystem einer anreizgebundenen Politik der großen Koalition ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wir haben erkannt bzw. sind der Auffassung, dass es in diesem Zusammenhang wichtig ist, dass wir die richtigen Anreize zur Schuldenvermeidung nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere auch gegenüber den Beitrittsländern deutlich machen. In diesem Zusammenhang ist unser finanzpolitisches Credo zu mehr Stabilität und zu konsequenter Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht nur die Einhaltung eines Versprechens gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland - denn als wir die D-Mark durch den Euro ersetzt haben, haben wir gesagt: Die Stabilität dieser Währung garantiert der Stabilitäts- und Wachstumspakt -, sondern es ist auch ein Anreiz für die Beitrittsländer, sich für eine stabile Währung und damit gegen Inflation und Schuldenpolitik auszusprechen. Wir sollten auch deswegen mit einer anreizgerechten Politik den Stabilitäts- und Wachstumspakt als große Koalition, aber auch insgesamt hier im Haus wieder stärker beachten, als wir das in den vergangenen Tagen und Monaten gemacht haben. ({25}) Der Bundesfinanzminister, der heute überraschenderweise am Schluss der Debatte redet, ({26}) hat die antike Philosophie zum Maßstab seines Gangs zur Wirklichkeit in der Haushalts- und Finanzpolitik gemacht. Auch ich will mit einem Philosophen schließen, nämlich Cicero. Cicero hat gesagt: Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert, die Arroganz der Behörden muss gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht Bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben. Nun gebe ich zu, dass Cicero nicht das Programm der großen Koalition ist. Aber ich glaube, am Ende dieser Legislaturperiode muss ein bisschen mehr Cicero auch in Deutschland herrschen. Danke schön, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({27})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Linksfraktion.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in meiner Rede am Dienstag von der „Lüge des Jahres“ gesprochen. Diese Lüge stammt von der Bundesregierung und lautet: Es gibt nichts mehr zu verteilen. Die Haushaltsdebatte in dieser Woche hat gezeigt, dass die Mehrheit des Parlaments dieser Lüge folgen will. Wir finden das mehr als bedauerlich und sozial und ökonomisch falsch. ({0}) Wir reden hier über 262 Milliarden Euro, die der Bund 2006 ausgeben will. Wie kann die Bundesregierung dann behaupten, dass es nichts mehr zu verteilen gibt? Natürlich werden diese 262 Milliarden Euro verteilt. Das Problem ist doch nur, wie sie verteilt werden. Die Linke sagt: Die Verteilung ist sozial ungerecht und unsozial. ({1}) An dieser Einschätzung hat sich im Laufe der Woche nichts geändert. Wir sind mit dieser Auffassung zwar hier im Bundestag in der Minderheit; doch außerhalb des Bundestages gibt es immer mehr Menschen, die diese Lüge nicht mehr hinnehmen und mehr Verteilungsgerechtigkeit fordern. ({2}) Nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände verschärft die Arbeitsmarktreform der Bundesregierung die Armut in Deutschland. So hat sich die Zahl der unter 15-Jährigen, die auf Sozialhilfeniveau leben, im vergangenen Jahr von 1 Million auf 1,5 Millionen erhöht. Es gibt also 500 000 Jugendliche mehr, die auf Sozialhilfeniveau leben. Mit Ihrer Arbeitsmarktreform kann doch etwas nicht stimmen, wenn sie Armut statt Arbeitsplätze erzeugt und gleichzeitig die Kosten für diese Reform explodieren. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage von Carsten Schneider zulassen wollen?

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, gestatte ich nicht. Herr Müntefering, der Vizekanzler, hat jetzt ein Hartz-IV-Optimierungsgesetz angekündigt. Er ist also der Auffassung - Herr Kampeter hat das in seiner Rede gerade unterstrichen -, dass die Arbeitslosen in diesem Land immer noch zu viel Geld bekommen. Für uns als Linke sind die Hartz-Gesetze Armutsgesetze. Es geht der Bundesregierung also eigentlich um ein Armutsoptimierungsgesetz. ({0}) Wir wollen nicht die Armut optimieren; wir wollen die Armut beseitigen. ({1}) Wäre es nicht an der Zeit, dass die Kanzlerin nach dem Energiegipfel einen Armutsgipfel einberuft, mit dem Ziel, in einem der reichsten Länder der Welt die Armut in den nächsten fünf Jahren zu beseitigen? Unsere Unterstützung hätten Sie dabei, Frau Merkel. ({2}) Herr Steinbrück, Sie haben in Ihrer Rede von einer Finanzpolitik der doppelten Tonlage gesprochen. Was ist eigentlich eine doppelte Tonlage? Dieses Bild ist total schief. Sie fordern mehrere Hunderttausend Euro für einen eigenen Imageberater des Parlaments. Ich persönlich halte das für total überflüssig. Doch wenn die Mehrheit des Bundestages dafür ist, dieses Geld zur Verfügung zu stellen, dann empfehle ich Ihnen einen Musiker, der Ihnen das mit der doppelten Tonlage einmal erklärt und Ihnen Nachhilfeunterricht in Musik gibt. ({3}) Herr Steinbrück forderte in seiner Rede außerdem, dass die Politik die Menschen aufklärt und nicht verunsichert. Die Menschen werden doch nicht durch die Opposition verunsichert, sie werden nicht durch die Politik arbeitslos oder in Armut gestürzt, sondern durch Ihre falsche Politik. Sie behaupten, dass die schwache Binnennachfrage etwas mit dem mangelnden Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu tun habe. Auch diese Aussage ist falsch. Wenn es so wäre, dann würden die Menschen auswandern. Das tun sie aber nicht. Sie gehen stattdessen nicht wählen. Sie misstrauen also nicht dem Land, sondern der Politik der großen Koalition. ({4}) Die Finanzpolitik der doppelten Tonlage, die Sie uns am Dienstag darlegen wollten, bedeutet doch, einfach gesagt: Geld sparen und Geld ausgeben. Das ist ein WiDr. Gesine Lötzsch derspruch in sich bzw. ein Nullsummenspiel, wie unser Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine Ihnen in der Diskussion bereits zu erklären versucht hat. ({5}) Doch Sie wollen etwas anderes, auch wenn Sie es nicht öffentlich sagen. Sie wollen bei den Arbeitslosen sparen, Stichwort „Armutsoptimierungsgesetz“, und Sie wollen mit einer Unternehmensteuerreform den Kapitalgesellschaften das Geld in den Rachen werfen. Das ist Umverteilung von unten nach oben und das werden wir immer wieder anprangern. ({6}) Sie, Herr Steinbrück, haben in Ihrer Rede wirklich Ihre fehlende Flexibilität unter Beweis gestellt, indem Sie sagten - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -: Ich weiß, dass es genügend Gründe gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gibt. Sie wird trotzdem kommen, unabhängig davon, wie sich die Konjunktur entwickelt; ... Und uns wollen Sie mangelnde Elastizität im Denken vorwerfen? Das ist in Anbetracht Ihrer Starrköpfigkeit, Herr Steinbrück, wirklich lächerlich. ({7}) Mehrwertsteuererhöhungen sind immer unsozial; denn sie treffen immer Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Rentner, Menschen also, die sich dagegen nicht schützen können. Sie, meine Damen und Herren behaupten - das geht fast durch alle Fraktionen -, dass die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse vor dem Hintergrund geänderter Berufsbiografien erodieren. Auch diese Aussage ist falsch. Es gibt keine steife Brise, die zur Erosion von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen führt. Nein, die alte Bundesregierung hat mit den Hartz-Gesetzen den Unternehmen das Tranchiermesser zur Zerlegung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in Minijobs in die Hand gegeben. Aus einem vollwertigen Arbeitsplatz wurden vier Minijobs gemacht. Sie haben die Einnahmebasis der Kranken- und Rentenkassen systematisch zerstört und wundern sich jetzt darüber, dass Sie aus dem Bundeshaushalt 78 Milliarden Euro dazuzahlen müssen. Ein Drittel des Bundeshaushalts geht also in die Rentenkassen. Sie, Kollege Schneider, haben sich vorhin an dieser Stelle mit Zwischenrufen hervortun wollen. Ihre Zwischenfrage ist, glaube ich, damit beantwortet: Die Einnahmebasis der Kranken- und Rentenversicherung wurde von Ihnen systematisch zerstört, indem Sie die sozialversicherungspflichtigen Jobs in diesem Land durch Minijobs und Ähnliches zerstört haben. ({8}) So wie die Regierung Kohl durch Reformverweigerung die Haushaltslage verschlechtert hat, so haben CDU/CSU, SPD und Grüne durch falsche Reformen den Bundeshaushalt bis zur Handlungsunfähigkeit destabilisiert. Zu Frau Merkels Rede habe ich einen Psychologen befragt, der mich in meiner Annahme bestätigte: Die Rede sollte eine unterschwellige Botschaft haben, nämlich: Habt keine Angst; die Reformen werden nicht wehtun; ({9}) wir, die große Koalition, machen eine Politik der kleinen Schritte. - Dabei hat sie die Abgeordneten der Grünen, Frau Künast, immer wieder wie kleine Kinder beschwichtigen müssen, denen man gerade das Spielzeug weggenommen hat. Das hatte schon etwas von Hypnose und das hat in Ihrer Fraktion auch gewirkt. Ich möchte daran erinnern, dass Altkanzler Schröder seine Agenda 2010 mit der Politik der ruhigen Hand eingeleitet hat. Die Bundeskanzlerin kündigt jetzt eine Politik der kleinen Schritte an. Das klingt so harmlos, ist aber eine Operation am offenen Herzen des Sozialstaats. Keiner dieser selbst ernannten Chirurgen hat wirklich einen vernünftigen Plan. Sie fangen einfach einmal an, zu operieren. Damit sich der deutsche Patient auf den OPTisch legt, werden Schauermärchen verbreitet. Das erste Schauermärchen handelt von den explodierenden Gesundheitskosten. Sicherlich sind die absoluten Gesundheitsausgaben gestiegen, und zwar besonders für die Patienten, weniger für die Unternehmen und erst recht nicht für die Pharmaindustrie, aber der Anteil dieser Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt stieg seit 1980 nur von 5,7 Prozent auf 6,4 Prozent, also um 0,7 Prozentpunkte. Das Problem ist also, wie ich bereits sagte, die Einnahmeseite. Die gesetzlichen Krankenkassen verlieren durch die Zerschlagung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze Einnahmen. Es ist auch ein Irrwitz, dass ein Topmanager mit einem Gehalt von 750 000 Euro im Jahr oder mehr nur 250 Euro im Monat in die private Krankenkasse zahlt und seine Sekretärin mit einem Monatsgehalt von 3 000 Euro 420 Euro in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen muss. ({10}) Das zweite Schauermärchen heißt Demografiefalle. Der Statistikprofessor Bosbach bezeichnet die Vorhersagen der Bundesregierung für die nächsten 50 Jahre als Kaffeesatzleserei. Selbst die besten Statistiker sind nämlich nicht in der Lage, solche Prognosen zu machen. Es geht bei der Finanzierung der Renten nicht um die absolute Zahl der Rentner, sondern immer um die Produktivität der arbeitenden Menschen. Selbst bei einer geringen Steigerung der Beschäftigten-Produktivität um 1,2 Prozent pro Jahr kann jeder in 50 Jahren 80 Prozent mehr produzieren. Damit könnten wir alle volkswirtschaftlich betrachtet auch in einer alternden Gesellschaft leben wie Gott in Frankreich. So ein Zitat des ehemaligen Mitarbeiters des Statistischen Bundesamts, Professor Bosbach. ({11}) Noch eine Anmerkung, und zwar zur Rede von Herrn Ramsauer. Herr Ramsauer hat es leichter als ich. Als guter Katholik muss er die Politik der Frau Bundeskanzlerin nicht begreifen; er muss nur daran glauben. ({12}) Aber eine Sache sollten Sie schon begreifen, Herr Ramsauer. Sie haben erklärt, 5 Prozent der Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen müssten knapp 43 Prozent des Einkommensteueraufkommens schultern; das sei ein Beweis dafür, dass unser Steuersystem sozial gerecht sei. Aber das ist ein Irrglauben, kann ich Ihnen versichern. Sie sollten einmal die Statistik der OECD zur Hand nehmen und nachschauen, wie der Anteil der Vermögensbesteuerung an der Gesamtbesteuerung in unserem Land im Vergleich zu anderen Ländern aussieht. ({13}) In den USA zum Beispiel macht die Vermögensbesteuerung 12,1 Prozent der Gesamtbesteuerung aus, in Großbritannien 11,8 Prozent, in Deutschland nur 2,4 Prozent. Das beweist doch: Wenn man schon die Statistik heranzieht, sollte man nicht nur eine Zahlenreihe nehmen. Das kann zu falschen Schlüssen führen und davor möchte ich Sie gerne bewahren. ({14}) Meine Damen und Herren, abschließend will ich noch einmal die Schwerpunkte unserer Fraktion in dieser Haushaltsberatung nennen: Erstens. Wir wollen die Mittel für das Zukunftsinvestitionsprogramm verdoppeln. Wir wollen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das diesen Namen durch eine Konzentration der Mittel auf Bildung und die Schaffung von Arbeitsplätzen wirklich verdient. Zweitens. Wir wollen Hartz IV überwinden. Wir wollen kein Armutsoptimierungsgesetz, sondern wir wollen als ersten kleinen Schritt die Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 420 Euro im Monat. Das wäre ein kleiner und längst überfälliger Schritt zu einem Leben in Würde für die Arbeitslosen in diesem Land. ({15}) Drittens wollen wir eine Absenkung des Rüstungshaushaltes und ein Ende der Bundeswehreinsätze im Ausland. ({16}) Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, eigentlich müssten Sie als Genossinnen und Genossen diese Forderungen alle mittragen können. Ansonsten habe ich bei dieser übergroßen Harmonie langsam die Befürchtung, dass Sie als SPD schneller mit der CDU fusionieren als die Linkspartei mit der WASG. ({17}) Wollen Sie diesen Wettbewerb wirklich gewinnen? Vielen Dank. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Carsten Schneider.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Lötzsch, Sie haben in Ihrem Beitrag das Wort „Lüge“ gebraucht, und zwar in Richtung der Bundesregierung und, wie ich denke, auch der sie tragenden Koalitionsfraktionen. Ich möchte das in aller Form und aller Schärfe zurückweisen. ({0}) Ich finde, dass Sie mit solchen Begriffen sehr vorsichtig sein sollten, zumal sie für die politische Kultur in diesem Land sehr schädlich sind. Ich will Ihnen, nachdem Sie meine Frage nicht zugelassen haben, kurz zwei Fakten nennen, die Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen und hinsichtlich derer Sie auch Herrn Ramsauer falsch zitieren, und zwar bewusst. ({1}) Es ging um eine Frage, die er in der Debatte am Mittwoch aufgeworfen hat, und zwar um die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Finanzierung des Staates. Da darf ich Ihnen einen kleinen Hinweis geben: 50 Prozent der Einnahmen aus der Einkommensteuer - das ist die größte Steuereinnahme, die dieser Staat hat - zahlen die oberen 10 Prozent dieser Gesellschaft. 90 Prozent der Gesamteinnahmen zahlen die oberen 50 Prozent. Ich finde, das ist absolut gerecht. Deshalb kann an dieser Stelle nicht die Rede davon sein, dass es in diesem Land keine Gerechtigkeit gebe. ({2}) Jetzt zu den Ausgaben. Wir geben 134 Milliarden Euro für den Sozialetat von Franz Müntefering aus. Wir haben aber nur 192 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Das heißt, 72 Prozent unserer Steuereinnahmen investieCarsten Schneider ({3}) ren wir in den Sozialbereich. Wenn Sie das auf die Gesamtausgaben beziehen, sind es 50 Prozent. Ich finde, an dieser Stelle kann man nicht sagen, dass dieser Staat nicht sozial gerecht sei. Das ist Unfug. ({4}) Dann haben Sie noch über das Arbeitslosengeld II gesprochen. Ich habe die Debatte hier in den vergangenen Tagen verfolgt. Immer wieder wird vonseiten Ihrer Fraktion angedeutet - und damit, bewusst oder unbewusst, eine Irritation in die Welt gebracht -, wir würden das Arbeitslosengeld II kürzen wollen. Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Annahme kommen. Dieser Bundestag hat mit den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Vorschlag der SPD - das stand in unserem Wahlprogramm - die Ungleichbehandlung von Ost und West aufgehoben. Von daher gibt es darüber nichts zu diskutieren. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Lötzsch, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Kollege Schneider, wenn Sie mich in Fragen des politischen Stils belehren wollen, dann kann ich Ihnen gerne sagen, dass ich es rührend finde, wenn Abgeordnete, die von ihrer eigenen Fraktion als Redner nicht mehr eingeplant wurden, ihre Rede im Rahmen von Zwischenfragen oder Kurzinterventionen nachholen wollen. ({0}) So viel zu Stilfragen. Sie haben sehr zu Recht die Tatsache angesprochen, dass dieses Land zu geringe Steuereinnahmen hat. Das ist ein Punkt, auf den man wirklich dezidiert eingehen muss. Warum haben wir denn zu geringe Steuereinnahmen? Weil dieses Land unter Rot-Grün mit Unterstützung von CDU und CSU im Rahmen einer Steuerreform dafür gesorgt hat, dass die Besserverdienenden und die großen Unternehmen in jedem Jahr 52 Milliarden Euro weniger zahlen müssen. Diese 52 Milliarden Euro fehlen in der Staatskasse. Wenn wir dieses Geld hätten, dann sähe auch die Verteilung der Mittel im Haushalt ganz anders aus. Die Probleme der Sozialversicherung kann ich Ihnen gerne noch einmal erläutern. ({1}) Es gibt die Möglichkeit, sozialversicherungspflichtige Jobs in Minijobs umzuwandeln. Die Großunternehmen haben sich in dieser Frage nicht zurückgehalten. Unternehmen der Automobilindustrie haben diese Möglichkeit begrüßt. Sie wollten nur die Stammbelegschaft behalten und die anderen erst entlassen und dann in Minijobs wieder einstellen. Genauso ist es gekommen. Durch die Zerschlagung der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze fehlt dem Rentensystemen und den Krankenkassen Geld. Sie sollten sich daher hier nicht als Wohltäter aufspielen, sondern ganz im Gegenteil: Sie müssen das Steuersystem vom Kopf auf die Füße stellen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile das Wort dem Kollegen Alexander Bonde, Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So ganz verstehe ich nicht, warum sich gerade die Linkspartei über diesen Haushalt aufregt. Denn eigentlich müsste es Ihnen doch recht sein, dass die große Koalition in die Neuverschuldung so blind hineinrennt, wie sie es mit diesem Haushalt tut. ({0}) Auch ich frage mich, was uns Minister Steinbrück mit dem Begriff von der doppelten Tonlage, den er bei der Einbringung des Haushalts verwendet hat, sagen wollte. Nach vier Tagen Haushaltsdebatte habe ich verstanden, dass „doppelte Tonlage“ ein schönes Wort dafür ist, dass sich die Koalition nicht auf eine einheitliche Melodie einigen kann und keiner von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition, den Ton halten konnte. ({1}) Trotz der vielen Reden, die wir hier hören, kann von Konsolidierungspolitik im real existierenden Haushaltsentwurf 2006 kaum die Rede sein. Trotz gegenwärtig günstiger konjunktureller Ausgangslage ist Ihr Haushalt verfassungswidrig und die Handlungsspielräume zukünftiger Generationen werden eingeschränkt. SchwarzRot ignoriert die Maastrichtkriterien und setzt damit die Glaubwürdigkeit des Haushaltes aufs Spiel, nicht nur nach innen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch international. Sie wissen so gut wie die grüne Fraktion, dass es eigentlich geboten wäre, strukturellen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken und gerade die Handlungsspielräume für zukünftige Generationen Stück für Stück wiederherzustellen. Aber dieser Haushalt erfüllt das nicht. ({2}) Dieser Haushalt ist verfassungswidrig. Die Neuverschuldung überschreitet die Investitionsausgaben deutlich, und zwar um mehr als 15 Milliarden Euro. Damit verletzten Sie Art. 115 des Grundgesetzes, in dem dies ausdrücklich verboten wird. Sie mogeln sich jetzt heraus, indem Sie die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes ausrufen. Wir haben hier aber erlebt, wie sämtliche Rednerinnen und Redner der großen Koalition die Wirtschaftslage in den höchsten Tönen gelobt haben. Niemand von Ihnen kann daher ernsthaft erklären, wo da die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sein soll. Ich sage Ihnen: Gestört ist hier vieles, aber bestimmt nicht das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. ({3}) Sie wissen genau, dass Ihr Verschuldungskurs nicht notwendig gewesen wäre, weil viele Faktoren im Moment die Haushaltsaufstellung begünstigen. Sie erwarten selbst ein Wachstum des Bruttoinlandproduktes von 1,4 Prozent. Kollege Rossmanith hat vorhin 1,7 Prozent prognostiziert. Aufgrund der günstigen Konjunkturentwicklung sagen die Steuerschätzer für 2006 erhebliche Mehreinnahmen in Höhe von 5 bis 6 Milliarden Euro für die öffentlichen Haushalte voraus. Dieses Geld haben Sie aber mit dem vorliegenden Haushalt schon wieder ausgegeben. Der steigende Bundesbankgewinn, der in Ihre Kasse gespült wurde, ist längst eingeplant und ausgegeben. Trotz alldem liegen Sie mit Ihrer Nettokreditaufnahme um 7 Milliarden Euro über der von Rot-Grün in 2005, als die Zeit für die Konjunktur wesentlich schwieriger war. Das hat nichts mit einem strukturellen Neuanfang zu tun, wie er hier propagiert wurde. Diese Haushaltspolitik ist offensichtlich schon gescheitert, bevor die Koalition überhaupt damit begonnen hat. Denn mit der Neuverschuldung von 38,3 Milliarden Euro bewegen Sie sich knapp an der Höchstmarke und der Rekordverschuldung. Ich will Ihnen deutlich machen, was das bedeutet, was Sie hier tun. Mit dieser Neuverschuldung von knapp 40 Milliarden Euro produzieren Sie für jedes der Folgejahre zusätzliche Zinsausgaben von beinahe 1 Milliarde Euro - und dies nicht nur für ein Jahr, sondern Jahr für Jahr für Jahr. Damit schränken Sie die Möglichkeiten in zukünftigen Haushalten ein. Sie tun dies auch noch vorsätzlich; denn Sie tun es ohne Not. Damit, liebe ehemalige Koalitionspartner, liebe CDU/CSU-Teile der Regierung, werden Sie dem nicht gerecht, was wir in den letzten Jahren in Fragen der Generationengerechtigkeit und der solidarischen, nachhaltigen Haushaltspolitik gemeinsam formuliert haben. ({4}) Insofern ist das, was Herr Steinbrück als Wende zu einer verlässlichen Haushalts- und Finanzpolitik bezeichnet hat, eigentlich eine Wende hin zu einem hochriskanten haushaltspolitischen und konjunkturpolitischen Vabanquespiel. Sie sind nämlich die Antwort, warum Einsparungen auf der Ausgabenseite und ein konsequenterer Subventionsabbau ausbleiben, schuldig geblieben. Die Begründung, das schade dem Wachstum, glaubt keiner ernsthaft von jemandem, der mit der Kettensäge namens Mehrwertsteuererhöhung auf das Wachstum in 2007 losgeht, Herr Steinbrück. Hier sind Sie also von einer redlichen Argumentation weit entfernt. Wenn Sie beabsichtigen, 2006 das Wirtschaftswachstum mit einer Nettokreditaufnahme und einem Konjunkturprogramm anzukurbeln, dann muss ich fragen: Was wollen Sie dem Aufschwung noch hinterherschieben? Welche ökonomische Logik steckt eigentlich hinter der Haushaltsaufstellung? Die einzige Logik, die ich erkennen kann, sieht folgendermaßen aus: Sie wollen dem Patienten 2006 noch einmal einen kräftigen Schluck aus der Pulle geben, damit er 2007 so betrunken ist, dass er nicht merkt, dass Sie ihm die Brieftasche geklaut haben, Herr Steinbrück. Das ist die Politik, die Sie mit dem Bundeshaushalt vorhaben. ({5}) Zugegeben, auch Rot-Grün hat den angehäuften Schuldenberg von Jahrzehnten nicht an jeder Stelle abtragen können. Diese Koalition aber, die sich große Koalition nennt - ich habe mich während der Debatten immer gefragt, was an dieser Koalition eigentlich groß sein soll; ich muss Ihnen sagen, Sie sind nicht groß, Sie sind höchstens viele; auch das ist ein Ergebnis dieser Haushaltsberatungen -, ({6}) hat die Situation nicht genutzt, um die Probleme anzugehen und in der Haushaltspolitik voranzukommen. In der Oppositionszeit haben wir von der CDU/CSU wilde Reden gegen die Staatsverschuldung hören können. Kollege Meister hat dies bei der Einbringung des Haushaltes wieder etwas relativiert, sodass man den Eindruck hatte: Verschuldung ist immer eine Sache desjenigen, der regiert. Ich sage Ihnen ganz offen: Alle roten, schwarzen, gelben oder grünen Schulden sind am Ende rote Zahlen. Mit diesem Haushalt leben Sie munter auf Kosten unserer Kinder und Enkel weiter. Sie produzieren Tag für Tag weitere Haushaltsrisiken. Wir erinnern uns an den ersten Handkuss von französischer Seite und den EU-Deal bezüglich der Haushaltsmittel, der Deutschland bzw. die Steuerzahler Milliarden kosten wird. Wir kennen Ihre Forderung nach dem Milliardengrab Kombilohn. Wir wissen, dass noch an vielen anderen Stellen die Ausgabefront deutlich droht. An dieser Stelle muss man feststellen: Groß ist diese Koalition nur beim Geldausgeben. ({7}) - Ich habe Ihre Ausführungen gehört, Herr Kampeter. Es fiel doch sehr deutlich auf, dass Sie über den Haushalt wenig gesagt und sich ähnlich wie die Kanzlerin in den Weiten des Weltgeschehens aufgehalten haben. Auch das ist symptomatisch. ({8}) Groß ist diese Koalition dann, wenn es darum geht, für eigene Zwecke zuzugreifen. Die einzige große Bewegung auf dem Arbeitsmarkt seit Regierungsantritt ist im Bereich der Minister und Staatssekretäre geschehen; auch daran sollte man einmal erinnern. ({9}) Diese Geschichte ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, wie die große Koalition Politik gestaltet und wie die Öffentlichkeit, wenn es darauf ankommt, gezielt getäuscht wird. Ich will einmal schildern, wie das damals lief: Die Öffentlichkeit hat sich zu Recht über die Operation „Selbstbedienung“ beschwert. Dann gab es aus der Koalition große Ankündigungen. Ich zitiere die „Financial Times Deutschland“ vom 25. November 2005: Die Union verteidigte gestern grundsätzlich diese Personalpolitik, wies aber zugleich auf ihre Folgen hin: „Die Steuerzahler sollen wissen, dass Mehrausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle wieder reingeholt werden“, sagte der CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter gestern der Deutschen Presse-Agentur. ({10}) Kampeter weiter: „Ich gehe davon aus, dass die betroffenen Bundesminister mit Vorlage des neuen Haushalts 2006 entsprechende Vorschläge machen werden.“ ({11}) An dieser Stelle muss man deutlich sagen: Nicht in einem einzigen Einzelplan hat es diese Einsparungen gegeben. Das bedeutet Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit bei der großen Koalition, Herr Kollege Kampeter. ({12}) Die großkoalitionäre Selbstbedienung geht munter weiter. Schauen wir uns nur die Stellenpläne der Ministerien an! Müntefering braucht 55 neue Stellen, um eine Miniparteizentrale im Ministerium einzurichten. ({13}) Seehofer will neun zusätzliche Stellen im Leitungsbereich mit einer ganz besonders putzigen Begründung. Er hat uns erklärt, er brauche diese Stellen zur effektiven Durchsetzung der neuen Politikausrichtung. ({14}) Das heißt bei Ihnen „Führung im Haus“. Vor lauter Selbstbeschäftigung vergessen Sie Einsparungen und Subventionsabbau. Was ist denn mit dem Abschmelzen des Ehegattensplittings? Was ist mit dem degressiven Abbau der Kohlesubventionen? Was ist mit dem Verbot des Steuerabzugs von Aufwendungen bei Jobverlagerungen ins Ausland? Was ist mit den vielen anderen Subventionsbereichen, die Sie nicht angehen? Sie wissen genau, dass, wenn Sie in diesem Bereich konsequenter wären, eine Mehrwertsteuererhöhung nicht notwendig wäre. Sie wissen auch, dass die Mehrwertsteuererhöhung in Sachen „Senkung der Lohnnebenkosten“ nicht das bewirkt, was Sie einmal versprochen haben. Mit Ihrer Strategie passiert in diesem Bereich nichts. Von den Entlastungen, die Sie mit den Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung vornehmen wollen, wird nichts zu merken sein. Wenn der Beitrag zur Rentenversicherung um 0,4 Prozentpunkte steigt, ungedeckte Zuschüsse an die gesetzliche Krankenversicherung geleistet werden, die gesetzliche Krankenversicherung durch die erhöhte Mehrwertsteuer eine Mehrbelastung erfährt und die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen, werden die Lohnnebenkosten um einen weiteren Prozentpunkt steigen. Insofern herrscht bezüglich einer signifikanten Entlastung des Faktors Arbeit Fehlanzeige bei der großen Koalition. ({15}) Solange Sie diesen Bereich nicht in den Griff bekommen, werden Sie die Beseitigung des strukturellen Defizits des Bundeshaushalts nicht angehen können. Sie kennen die Zahlen. Die Zinsaufwendungen und die Ausgaben für die Sicherungssysteme machen 60 Prozent der Ausgaben aus. Dieser Anteil steigt unter Ihnen. Sie sind nicht in der Lage, ihn abzusenken. Ihr Schwerpunkt liegt weiter bei vergangenheitsbezogenen Ausgaben. Eine Zukunftsorientierung können wir nicht feststellen. Herr Minister Steinbrück hat zwar schön darüber philosophiert, aber wenn wir uns den Haushalt konkret ansehen, dann stellen wir fest, dass er eine andere Sprache spricht. In der schwarz-roten Finanzplanung ist vorgesehen, die Investitionsquote in den nächsten vier Jahren weiter zu senken. ({16}) Am Ende Ihrer Regierungszeit werden wir bei 8,5 Prozent landen. Sie aber halten hier Reden über Investitionen in die Zukunft und Innovation. Sie sitzen doch all das aus, was Sie tagelang propagiert haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition. Sie betreiben den Rückzug des Staates ausgerechnet an einer Stelle, an der wir Zukunft gestalten müssen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Eine solche Regierung und einen solchen Haushalt hat dieses Land nicht verdient. ({17}) Ich rede jetzt am Ende der Haushaltsberatungen für meine Fraktion; viele Kolleginnen und Kollegen haben schon deutlich gemacht, wo wir Grüne in der Haushaltspolitik Schwerpunkte setzen wollen. Wir haben Ihnen geschildert, dass wir die Notwendigkeit sehen, im Bereich Kinder und Familie wesentlich mehr zu tun. Sie kennen unseren Haushaltsschwerpunkt im Bereich Entwicklung und wissen, dass wir für mehr Mittel und eine konsequentere ökologische Modernisierung streiten. Wir werden im Haushaltsausschuss belegen, dass man, wenn man politische Prioritäten setzt, mit politischem Willen auch bei niedriger Verschuldung etwas bewegen kann. Dazu muss man aber Mut aufbringen. Sie haben die Möglichkeit gehabt, in den Einzelplänen Prioritäten zu setzen. Sie haben diese aber falsch gesetzt. Sie haben im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs mit der Kürzung der Regionalisierungsmittel massiven Schaden angerichtet. Sie sind in der Innenpolitik durch die dramatische Kürzung der Integrationsmittel dabei, von Integration auf Repression umzusteuern. Außerdem haben wir erlebt, dass der Verteidigungsminister in der Haushaltsdebatte mehr über Wirtschaft gesprochen hat als der Wirtschaftsminister heute Morgen, nämlich indem er begründet hat, warum Sie weiterhin milliardenschwere Investitionen in Gerät tätigen, das zu Zeiten des Kalten Krieges notwendig war. Sie halten das für eine sinnvolle Industriepolitik. ({18}) Dass die Wirtschaftspolitik die große Schwachstelle dieser Koalition ist, haben wir heute Morgen erleben dürfen. Ich bin gespannt, wie lange Sie es sich noch leisten, dieses Land ohne Wirtschaftsminister regieren zu wollen. Ich muss konstatieren: In der großen rhetorischen Linie schön, in der großen tatsächlichen Linie löchrig und in den Sachfragen an vielen Stellen Murks. Insofern wundert es mich nicht, dass Sie sich nicht getraut haben, mit diesem Entwurf des Bundeshaushaltes vor den Landtagswahlen in das Plenum zu gehen. Man muss daran erinnern, wie Sie beim Zeitplan getrickst und geschoben haben, um den Wählerinnen und Wählern nicht vor den Wahlen reinen Wein einschenken zu müssen. ({19}) Die Wahlen haben Sie trotzdem verloren. Sie haben über 1 Million Stimmen verloren. Sie müssen sich anstrengen und den Menschen im Haushaltsverfahren die Wahrheit sagen. Ihre Sprache und Ihr Handeln gehen weit auseinander. Es spricht übrigens auch Bände, dass sich der Bundesfinanzminister an das Ende der Debatte verdrückt hat. Eine Wende in der Haushaltspolitik war das, was Sie hier präsentiert haben, nicht. Vielen Dank. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den beiden Rednern der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ist es Zeit, das eine oder andere wieder zurechtzurücken: Für uns ist klar, dass das, was wir in diesen beiden Reden gehört haben, keine verantwortbare Alternative zur soliden Politik der großen Koalition ist. ({0}) Ich finde es richtig, dass der Finanzminister am Ende der Debatte sagt: „Jetzt habe ich mir alles angehört.“ Ich verstehe die Opposition gar nicht. Es ist doch eine Geste gegenüber dem Parlament, zu sagen: „Ich höre mir an, was mir das Parlament alles mit auf den Weg gibt, und dann antworte ich am Schluss.“ Da verstehe ich die Oppositionsredner nun wahrlich nicht. ({1}) In Pessimismus zu machen und alles schlecht zu reden, das geht überhaupt nicht. Es wurden bereits viele Zitate genannt. Wunderschön hat Antoine de Saint-Exupéry gesagt: Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber man kann den Grund für etwas Zukünftiges legen, denn Zukunft kann man bauen. Genau das will die große Koalition machen. Das ist natürlich eine Politik der kleineren Schritte, es ist etwas Gemeinsames, ein Miteinander. Verständlicherweise muss diese große Koalition für manche der kommenden Reformmaßnahmen noch den richtigen Weg finden. Die Grundlagen sind aber gelegt. Wir werden gemeinsam eine erfolgreiche Politik machen. ({2}) Wenn Sie, wie wir es gerade erlebt haben, in Polemik verfallen, dann beweist mir das, dass wir mit dem, was wir tun, richtig liegen. ({3}) Die große Koalition ist handlungsfähig. Sie hat tatkräftig begonnen, die Probleme des Landes zu lösen. Die Menschen draußen nehmen das auch wahr. ({4}) Ihr müsst Obacht geben. Auch ich habe oft das Problem, dass ich gerne bei einem Redner der FDP klatschen würde. Ich bitte darum, meine Rede im Gesamtzusammenhang zu betrachten. ({5}) Wir haben den richtigen Weg beschritten: sanieren, investieren und perspektivische Reformen. Das ist der Dreiklang des Handelns. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat mit der Vorlage des Entwurfs für den Bundeshaushalt 2006 und des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes begonnen, auch die Finanzen der öffentlichen Haushalte zu sanieren. Ich will die Zahlen, die Ihnen bekannt sind, nicht im Einzelnen vortragen. Auch mit dem Impulsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung, das wir verabredet haben, werden wir Erfolg haben. ({6}) - Nein, bitte jetzt nicht. Jürgen, lass mich meine Ausführungen bitte im Zusammenhang darstellen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie die Zwischenfrage jetzt nicht zulassen wollen?

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, bitte jetzt nicht. Zur Debatte um den Haushalt des Wirtschaftsministers; einige Punkte sind heute schon zur Sprache gekommen. Gerade von den steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten bei Handwerkerrechnungen und bei der Gebäudesanierung erwarte ich viele Impulse. Man muss zwar abwarten, aber ich glaube, auch das wird ein Erfolg sein. ({0}) Die Prognose des Ifo-Instituts zeigt, dass die wirtschaftliche Erholung auf breiter Front erfolgt. ({1}) Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts hat den höchsten Stand seit 15 Jahren erreicht. In vielen Bereichen hat sich die Lage verbessert oder wird sich verbessern. Es wird erwartet - das muss doch unser Ziel sein -, dass der Arbeitsplatzabbau der vergangenen Jahre zum Stillstand kommt. ({2}) In den letzten fünf Jahren sind 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen verloren gegangen. Diesen Negativtrend zu stoppen, das allein ist schon ein Erfolg. ({3}) Nach so kurzer Zeit kann sich unsere Zwischenbilanz schon sehen lassen. Die große Koalition befindet sich auf dem richtigen Weg. Zu unseren Vorhaben gibt es keine verantwortbare Alternative. ({4}) Ich sage noch einmal: Sanierung der öffentlichen Haushalte, Setzung von Wachstumsimpulsen und perspektivische Reformen, das ist der richtige Weg. Diejenigen, die die vermeintlich soziale Schieflage unserer Politik kritisieren, verschweigen, dass über 130 Milliarden Euro und damit mehr als die Hälfte des Haushaltsvolumens allein für Sozialleistungen ausgegeben werden ({5}) und dass bereits heute - ich wiederhole das, was in den Debatten gesagt wurde - die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen mehr als die Hälfte des gesamten Lohn- und Einkommensteueraufkommens zahlen. Was hieran sozial schief sein soll, vermag ich nicht zu erkennen. ({6}) Wir werden deshalb an diesem Dreiklang festhalten: Sanieren, Setzen von Wachstumsimpulsen und perspektivische Reformen. ({7}) Wir wollen erstens eine durchgreifende Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, die die Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern klarer regelt. In einem weiteren Schritt sollten wir auch die föderalen Finanzbeziehungen neu regeln, um auch hier die Eigenverantwortung der Ebenen zu stärken. Wir müssen diesen weiteren Schritt gehen. ({8}) Zweitens. Wir müssen einen umfassenden Bürokratieabbau und die Beschleunigung von Planungsvorhaben insbesondere bei Infrastrukturmaßnahmen betreiben. Dies entlastet die Unternehmen von Kosten, beschleunigt die Umsetzung notwendiger Investitionen und stärkt so das wirtschaftliche Wachstum. Hierzu hat Michael Glos heute das Richtige gesagt. Michael Glos hat unser volles Vertrauen. Er ist ein guter Wirtschaftsminister für unser Land. ({9}) Drittens. Wir müssen an der Senkung der Lohnzusatzkosten weiterarbeiten. Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages ab 2006 um 2 Prozentpunkte ist ein wichtiger erster Schritt. Viertens. Wir müssen gemeinsam und in großer Harmonie mit unserem Koalitionspartner über eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nachdenken, um den Arbeitslosen größere Wiederbeschäftigungschancen zu geben. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeitslose wieder in Arbeit kommen und somit eine Chance in diesem Staat, in dieser Gesellschaft haben. ({10}) Fünftens. Wir setzen den Reformkurs in der Steuerpolitik mit dem Ziel fort, das deutsche Steuerrecht zu modernisieren und international wettbewerbsfähig zu gestalten. Dabei hat die Reform des Unternehmensteuerrechts Priorität. Es ist eine Reform, die sowohl Körperschaften als auch Personenunternehmen entlastet. ({11}) Eine Senkung nur des Körperschaftsteuersatzes - wie auf dem Jobgipfel 2005 angedacht - würde diesen Anforderungen nicht genügen. Eine solche Reform muss gut vorbereitet sein. ({12}) Qualität geht auch hier vor Schnelligkeit. Schnellschüsse und daraus resultierende Korrekturen schaden nur. Aber die Unternehmen in Deutschland müssen sich darauf verlassen können, dass die Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 in Kraft tritt. ({13}) Es besteht der politische Wille beider Koalitionsfraktionen. Die dafür notwendigen Mehrheiten in beiden Häusern sind vorhanden. Wir haben gute Vorlagen aus der Wissenschaft, die uns als Grundlage dienen. ({14}) Sechstens. Die Unternehmensteuerreform muss mit einer kommunalen Finanzreform verbunden sein. Deswegen müssen wir die Gewerbesteuer gemeinsam mit den Kommunen weiterentwickeln. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man sich über die Gewerbesteuer heutiger Prägung Gedanken machen muss. ({15}) Eine wirkliche Vereinfachung im Unternehmensteuerbereich ist mit der Gewerbesteuer in ihrer heutigen Form nicht möglich. ({16}) - Es irritiert mich schon, dass fast nur die FDP Beifall klatscht. ({17}) Vielleicht verhält sich meine Fraktion so ruhig, weil gerade Mittagszeit ist; wir arbeiten schließlich die ganze Woche rund um die Uhr. - Ich sage jetzt aber etwas, dem vielleicht alle zustimmen können: Wir müssen dieses Thema gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden angehen und sie einbeziehen. ({18}) - Jetzt habe ich endlich erreicht, was ich vorhin erreichen wollte. Siebtens. Bei der Besteuerung der Kapitalerträge und der privaten Veräußerungsgewinne müssen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass Kapital scheu wie ein Reh ist. Daher muss eine international wettbewerbsfähige Besteuerung sichergestellt werden. Das Kontrollverfahren sollte überflüssig werden. ({19}) Übrigens müssen wir uns auch gemeinsam dem Thema Altersvorsorge mit Immobilien zuwenden. ({20}) Ich hoffe, dass wir im Kreise der Koalition sehr bald einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen können. Achtens. Es gilt, die Besteuerungspraxis zu vereinfachen, gegen Steuermissbrauch vorzugehen und die Möglichkeiten der missbräuchlichen Steuergestaltung einzudämmen. Auch die Effektivität und die Effizienz des Steuervollzugs müssen spürbar gesteigert werden. ({21}) Neuntens. Bund und Länder haben bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs in den letzten Jahren deutliche Erfolge erzielt; aber auch hier müssen wir noch mehr Fortschritte machen. Nach Einschätzung von Wirtschaftsinstituten kommt es nach wie vor jedes Jahr durch Umsatzsteuerbetrug zu Mindereinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich. Das kann ein Staat nicht akzeptieren. ({22}) Unser Konzept ist insgesamt ausgewogen. Da ein einzelner Baustein aber noch nichts über das Gesamtbild aussagt, sollten Sie uns bewerten, nachdem wir unser Gesamtergebnis vorgelegt haben. Die große Koalition wird ein gutes Ergebnis zustande bringen. Ich möchte mich bei den Mitgliedern des Finanzausschusses herzlich dafür bedanken, dass sie mich als ihren Vorsitzenden gut aufgenommen haben. Der Finanzausschuss leistet eine großartige Arbeit. Herr Bundesminister der Finanzen, ich empfehle Ihnen, den Sachverstand aller Ausschussmitglieder aus allen Fraktionen ständig zu nutzen. Das wäre sehr wichtig. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon sehr deutlich überschritten. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Zwar kenne ich den Autor des folgenden Zitats nicht; aber es passt in diesem Zusammenhang sehr gut. Es lautet: Die Zukunft braucht nicht unsere Angst, sondern unsere Hoffnung, nicht unsere Resignation, sondern unseren Optimismus, nicht unsere Trägheit, sondern unsere Taten. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Petra Merkel, SPDFraktion.

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Kein Pathos - keine geballten Fäuste - was aus der einst wichtigsten Debatte im Bundestag wurde“, so lautet ein Zitat aus dem „Tagesspiegel“ vom 30. März 2006. Richtig, die Sensationen bleiben aus. Harte Arbeit ist angesagt. Die Gladiatorinnen und Gladiatoren treten nicht spektakulär gegeneinander in den Ring. Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat ganz eindeutig Auswirkungen auf die inhaltliche Debatte - zumindest auf die, die in den Fachbereichen geführt wird -, ({0}) aber auch auf den Debattenstil; das hoffe ich jedenfalls, langfristig gesehen. Das ist ein positiver Ansatz, der vielleicht auch zu einer besseren Streitkultur führt. Daran sind wir sicherlich alle interessiert. Denn wir wollen für den Parlamentarismus und die Parteienkultur werben. ({1}) Diese Entwicklung wäre zwar für die Presse unspektakulär, aber für unsere Arbeit sinnvoller. Richtig, die große Koalition muss auf die Ränder in unserer Gesellschaft achten. Darauf muss sie aber auch in diesem Haus aufpassen. Die Linke.PDS/WASG ist als Oppositionspartei zur Bundestagswahl angetreten. Wer die Debatte, die wir am Mittwoch dieser Woche zur Außen- und Entwicklungspolitik geführt haben, verfolgt hat, muss zu dem Schluss kommen: Sie sitzt zu Recht auf der Oppositionsbank. Denn von der Fähigkeit, im Bundestag mitzuregieren, ist sie noch weit entfernt. Für die Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen hoffe ich, dass sie den Frust über die verlorene Regierungsbeteiligung so schnell wie möglich überwinden und konstruktive Ideen beitragen - wenn sie nicht die Haltung der FDP einnehmen wollen. Der FDP muss ich sagen: Sie tun nicht mehr, als immer nur den Slogan „Alle Freiheit dem Markt“ und das Schreckgespenst des Staates zu verbreiten. Das ist zu wenig, um wirklich Einfluss zu nehmen und Veränderungen in Deutschland mit zu bewirken. ({2}) Dazu müssen Sie mit Ihren Vorstellungen erheblich flexibler und moderner, ja freier im Denken werden. ({3}) Obwohl eine große Koalition bei der Wahl am 18. September 2005 nicht meine Wunschkonstellation war, muss ich nach all den Debatten, die wir in den letzten Tagen in diesem Hause im Rahmen der Einbringung des Haushaltes geführt haben, konstatieren: Ich bin froh, dass Sie von der FDP nicht zusammen mit der CDU/ CSU regieren. Das wäre für Deutschland wirklich finster geworden. ({4}) - Erstaunlicherweise. Es gibt keinen Kuschelkurs; das ist ganz klar. Wir haben unterschiedliche Positionen. Aber ich glaube, wir können gemeinsam etwas für Deutschland bewegen. ({5}) Wie kann ich als eine der letzten Rednerinnen nach circa 35 Stunden Diskussion unsere Ziele zusammenfassen, die die SPD-Fraktion wie auch die große Koalition insgesamt mit dem Haushalt 2006 verbinden? Besonders wichtig sind für die SPD-Fraktion und für die große Koalition Reformen für Kinder und Jugendliche. Ich möchte mich deshalb bewusst an Sie wenden, liebe Jugendliche - vielleicht zappt ein Jugendlicher ja in Phoenix hinein; das wäre nicht falsch -: Ich weiß, Ausbildung ist Ihr Thema. Viele von Ihnen sorgen sich um einen Ausbildungs- oder Studienplatz. Wenn wir Politikerinnen und Politiker es nicht schaffen, Ihre Fähigkeiten, aber auch die Fähigkeiten von kleinen Kindern und von Schülerinnen und Schülern optimal auszubilden, werden unser Land, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft keine Zukunft haben. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob Sie als Jugendliche in begüterten Familien leben oder nicht. Die Herkunft darf keine Rolle für Bildung spielen. ({6}) Bildung ist einer der wichtigsten Bereiche, auf den wir Bundespolitiker wenig Einfluss haben; denn vieles ist Sache der Bundesländer. Aber für Berufsausbildung, Wissenschaft und Forschung und beim BAföG setzen wir auch mit Haushaltsmitteln Schwerpunkte. Unser Ganztagsschulprogramm aus der vergangenen Legislaturperiode läuft weiter. Das ist ein großer Erfolg; denn die Impulse auf die Schulen in den Bundesländern sind absolut positiv. Die Schulen in meinem Wahlkreis - ich habe, wie andere Kolleginnen und Kollegen auch, einige besucht - konnten zum Beispiel Mensabereiche endlich ausbauen oder am Nachmittag mit einem guten Betreuungsangebot in renovierten Räumen starten. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Die Reform des Grundgesetzes zur Neuregelung der Zuständigkeiten zwischen den Ländern und dem Bund muss solche Möglichkeiten zur Kooperation zwischen Bund und Ländern weiter zulassen. ({7}) Die SPD-Fraktion wird darauf achten, dass die Jugendprojekte gegen Rechtsextremismus und zur Beteiligung an Demokratie, die Projekte „Entimon“ und „Civitas“, weitergeführt werden und dass die Bundeszentrale für politische Bildung durch Kürzungen nicht in Turbulenzen gerät. Deutschland wird weltoffen bleiben. Deshalb sind die Integrationskurse zur Einbürgerung auch mit den im vergangenen Jahr vorgesehenen Haushaltsmitteln zu finanzieren. Dazu müssen wir im Haushaltsentwurf umschichten, aber nicht draufsatteln. Petra Merkel ({8}) In Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern wird oft das Thema Rente angesprochen. Auch hier tritt die SPD trotz aller notwendigen Veränderungen für ein solidarisches System ein. Das allerdings muss an die demografische Entwicklung angepasst werden. Deswegen werden Sie, liebe Jugendliche, auch länger arbeiten müssen. Das Renteneintrittsalter werden wir von 65 Jahren auf 67 Jahre hochsetzen, allerdings schrittweise bis zum Jahr 2029. Lassen Sie sich nicht von den flotten Sprüchen der FDP verführen, das Geld besser anzulegen, als es in die gesetzliche Rentenversicherung zu investieren. Das geht so lange gut, wie im Leben alles glatt, geschmiert und glücklich läuft. Bei Krankheit, Lebensrisiken und in Zeiten von Arbeitslosigkeit geht das jedoch nicht mehr auf. Deshalb ist ein solidarisches System wie unsere Rentenversicherung unverzichtbar. Allerdings muss es mit der großen Koalition gelingen, die Dynamik der Kosten der Rentenversicherung zu durchbrechen. Das Nächste, was ansteht, ist die Gesundheitsreform, die ja auch Kinder und Jugendliche betrifft. Ich denke allein an die gesamte Aidsprävention. Gerade wenn man mit Jugendlichen diskutiert, ist das immer ein wichtiges Thema. Erforderlich bleibt die Ausrichtung des Gesundheitssystems als gute medizinische Versorgung für alle, gleich welchen Geldbeutels. Nach Auffassung der SPD-Fraktion muss sichergestellt werden, dass dieses solidarische System weiter existiert und erweitert wird. Alle müssen krankenversichert sein. ({9}) Ich bin seit 2002 im Deutschen Bundestag und eines der ersten Gesetze, über das ich mit abgestimmt habe, war das Steuervergünstigungsabbaugesetz, Stichwort: runter mit den Subventionen. Das hat damals die realistische Haushaltspolitik von Hans Eichel bestimmt. Damit hat die rot-grüne Koalition keine Zustimmung im Bundesrat gefunden. Auch das Treten auf die Bremse lief ins Leere. ({10}) - Na ja, alle von ihr regierten Bundesländer haben da nicht mitgespielt. Auch die FDP hat sich da nicht gerade rühmlich verhalten. Wir würden jetzt 17 Milliarden Euro im Jahr weniger ausgeben. ({11}) Immerhin haben wir jetzt in der großen Koalition die damals so umstrittene Eigenheimzulage abgeschafft. ({12}) Wenn wir unseren Sozialstaat für die junge Generation erhalten wollen, dann müssen wir die Arbeitslosigkeit durch Wirtschaftswachstum abbauen. Das wollen wir durch das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm erreichen. Wir müssen die Ausgaben reduzieren und werden als Haushälter alles auf den Prüfstand stellen. Ab 2007 werden wir die Einnahmen erhöhen, zum Beispiel durch die Mehrwertsteuererhöhung und die „Reichensteuer“, ({13}) und Schulden herunterfahren; und zwar in dieser Reihenfolge. Das ist der Realismus von Finanzminister Peer Steinbrück. Unser 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, das durch circa 12 Milliarden Euro aus den Ländern und Kommunen ergänzt wird - insgesamt wird es also circa 37 Milliarden Euro umfassen -, ist auch ein Programm zur Stärkung des Handwerks. So sind das Solar- und das Wärmedämmprogramm für Hausfassaden trotz der vorläufigen Haushaltsführung angelaufen. Dadurch wird Energie gespart und auf umweltfreundliche Technik gesetzt. Darauf legen nicht zuletzt gerade viele Jugendliche Wert. Durch dieses Investitionsprogramm versprechen wir uns mehr Arbeitsplätze und damit mehr Wirtschaftswachstum. Wir erwarten dadurch auch mehr Ausbildungsplätze und damit eine Existenzgrundlage für viele Jugendliche. Sie merken: Hinter den Zahlen im Bundeshaushalt stecken auch die Lebens- und Zukunftschancen der jungen Menschen in Deutschland. Dafür werden wir jetzt in den Ausschüssen ringen und streiten. Ich wünsche uns allen eine gute Beratungszeit. Schönen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Leo Dautzenberg, CDU/CSU, das Wort. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, da die viertägige Diskussion und Debatte über den Haushalt 2006 im Plenum zu Ende geht, haben sich die Medien ihre Meinung darüber weitgehend gebildet. Vielen war der Austausch hier zu wenig hitzig und vielleicht zu langweilig; es gab ihnen zu wenig Schlagabtausch im Ganzen. ({0}) Sie haben aber die heutige Debatte noch nicht mitbekommen. ({1}) Unabhängig davon, welches Prädikat die Medien für die Haushaltsdebatte 2006 verteilen werden, sicher ist: Jede Haushaltsdebatte - und damit auch die diesjährige ist ein parlamentarisch herausgehobenes und wichtiges Ereignis; denn durch sie wird mehr als nur ein kritischer Blick auf die Einnahmen und Ausgaben des Staates ermöglicht. Die grundsätzliche Ausrichtung der Regierungspolitik wird zum Diskussionsgegenstand gemacht. ({2}) Die eigentlichen Fragen der heutigen Schlussrunde lauten für mich daher: Wo stehen wir gesamtpolitisch nach der viertägigen Haushaltsdebatte und welches Leitbild muss der Haushalts- und Finanzpolitik dieser Legislaturperiode zugrunde gelegt werden? ({3}) Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Fragen sind zwei Zahlen, nämlich erstens die immer noch viel zu hohe Arbeitslosenzahl - im März 2006 gab es 4,8 Millionen Arbeitslose -, obwohl wir mittlerweile schon einen leichten Rückgang zu verzeichnen haben, und zweitens das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts, das derzeit bei 20 Prozent der im Bundeshaushalt veranschlagten Ausgaben liegt. Das bedeutet, dass rund 50 Milliarden Euro der Bundesausgaben nicht durch nachhaltige Einnahmen gedeckt sind. ({4}) Aus diesen beiden schwerwiegenden Problemen unseres Landes hat diese große Koalition richtigerweise ihren Regierungsauftrag abgeleitet. Dieser besteht zum einen in der Konsolidierung der Staatsfinanzen und zum anderen in der Stärkung der Wachstumskräfte, um daraus Beschäftigung zu generieren. ({5}) Beide Zielsetzungen schlagen sich in konkreten politischen Maßnahmen im Bundeshaushalt 2006 und im Finanzplan bis 2009 nieder. Als Finanzpolitiker bin ich sehr froh, dass in der Debatte in dieser Woche, insbesondere durch die Rede der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers, sehr deutlich geworden ist, dass sich die Bundesregierung tatsächlich auf die beiden genannten Seiten der Finanzpolitik verpflichtet hat. Das Ineinandergreifen von Haushaltskonsolidierung und politischer Gestaltung halte ich für außerordentlich wichtig, wenn wir auf der einen Seite wieder mehr Beschäftigung in unserem Lande ermöglichen, auf der anderen Seite aber auch die Handlungsfähigkeit des Staates in Zukunft gewährleisten wollen. Für beides, für die Lebensbedingungen der heutigen und jene der kommenden Generationen, tragen wir Verantwortung. Ich muss heute nicht mehr im Detail wiederholen, welche konkreten Maßnahmen die große Koalition plant bzw. bereits umgesetzt hat, um den Haushalt zu konsolidieren und die Wachstumskräfte zu stärken. Darüber haben wir in den vergangenen Tagen ausreichend diskutiert. All denjenigen, die der großen Koalition KleinKlein und einen fehlenden Masterplan für die Probleme unseres Landes vorhalten, möchte ich zum Schluss der Haushaltsdebatte die großen Eckpunkte der Haushaltsund Finanzpolitik in diesem Jahr und der gesamten Legislaturperiode noch einmal aufzeigen. Zunächst zu den Konsolidierungsmaßnahmen. Bis zum Jahr 2009 wird die große Koalition Ausgaben in Höhe von 32 Milliarden Euro kürzen, Steuervergünstigungen in Höhe von 19 Milliarden Euro abbauen und Steuermehreinnahmen in Höhe von 28 Milliarden Euro realisieren. Insgesamt beträgt das Konsolidierungsvolumen damit rund 80 Milliarden Euro. Angesichts dieser Zahl kann von Klein-Klein wirklich nicht die Rede sein. ({6}) Dass Konsolidierung nicht nur ein hehres Ziel ist, sondern bereits auch in einzelnen Schritten umgesetzt worden ist, beweisen zwei Gesetze, die wir in dieser Legislaturperiode bereits verabschiedet haben. Das ist zum einen das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen und zum anderen das in diesem Monat vom Bundestag bereits verabschiedete Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. Als drittes Gesetz steht nun das Haushaltsbegleitgesetz 2006 an. ({7}) Sicherlich kann man bei den gerade skizzierten und noch bevorstehenden Konsolidierungsanstrengungen des Bundes darüber diskutieren - mit dieser Frage habe ich mich eingehend beschäftigt -, ob der Staat die Ausgaben nicht noch stärker kürzen und die Steuern weniger erhöhen könnte. Im Ergebnis muss man sagen, dass dies zu verneinen ist. Angesichts der heutigen Struktur unserer sozialen Sicherungssysteme sind größere Kürzungen kurzfristig nicht möglich. Umso wichtiger ist es, dass durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 mit der Streichung der pauschalen Zuweisungen an die gesetzlichen Krankenkassen ab 2008, der Streichung der Defizitzuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit ab 2007 und der Verminderung der allgemeinen Zuschüsse zur Rentenversicherung unmissverständlich deutlich wird: Sowohl im Gesundheitssystem und in der Rentenversicherung als auch in der Arbeitsmarktpolitik brauchen wir Strukturreformen; ({8}) denn ohne Strukturreformen sind die Maßnahmen, die mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 veranlasst werden, nur ein kleiner Schritt, wenn sie nicht in grundsätzliche Strukturreformen umgesetzt werden. ({9}) Die Ausgabenseite des Bundeshaushalts weist schließlich nicht nur ein Niveauproblem, sondern vor allem ein Strukturproblem auf. Neben der Haushaltskonsolidierung ist für mich als Finanzpolitiker die zweite Maßgabe der großen Koalition, die auf Wachstum und Beschäftigung orientierte Finanzpolitik, von mindestens genauso großer, wenn nicht noch größerer Bedeutung. Ein Element dieser wachstums- und beschäftigungsorientierten Finanzpolitik ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die wir im Haushaltsbegleitgesetz 2006 zum 1. Januar 2007 auf den Weg bringen. In der öffentlichen Debatte und zum Teil auch in der Debatte in diesem Haus überwog die Kritik an der möglicherweise konjunkturschädigenden Wirkung dieser Maßnahme. Man muss aber - auch den Kolleginnen und Kollegen der FDP - in Erinnerung rufen, dass die Kampagne bei den Landtagswahlen nicht sehr erfolgreich war und die Menschen erkannt haben, dass diese Maßnahme für die Haushaltskonsolidierung erforderlich ist. ({10}) Auch die Partner der neuen Koalition muss man daran erinnern, dass man vor den Koalitionsverhandlungen im Wahlkampf eine andere Position vertreten hat und sich gegenseitig darin überbieten wollte, den Steuersatz zu erhöhen. Das alles ist inzwischen Vergangenheit. Lassen Sie uns das, was wir vereinbart haben, gemeinsam umsetzen, weil es zum einen für die Haushaltskonsolidierung erforderlich ist. Zum anderen stehen wir als Finanzpolitiker in der Verantwortung, günstigere Rahmenbedingungen zu schaffen, um damit - wir haben diese Forderung schon vor der Wahl erhoben und ehrlich gesagt, warum eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte notwendig ist - die Abkopplung der Sozialkosten von den Arbeitskosten zu erreichen. Wir setzen allerdings nicht unsere ursprünglichen Vorstellungen um, sondern sehen eine Regelung vor, die in der Koalition vereinbart war, nämlich zunächst ein Drittel der erzielten Mehreinnahmen zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einzusetzen. Es geht dabei um die nachhaltige Senkung der Lohnzusatzkosten um 2 Prozentpunkte - dazu soll auch die Agentur für Arbeit selber einen Beitrag leisten -, die den Faktor Arbeit verbilligen wird. Davon werden Wachstumsimpulse ausgehen. Das ist der richtige Weg für weitere Maßnahmen in diesem Bereich. ({11}) - Die Länder haben sehr wohl ein wichtiges Wort mitgeredet, Herr Poß. Im Grunde wollten alle Länder von den Mehreinnahmen profitieren. 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung ist für die Konsolidierung der Länderhaushalte vorgesehen, um ihnen in unserem föderalen System die Grundlage zu bieten, in ihrer eigenen Verantwortung die notwendigen Schritte zu einer Strukturveränderung zu unternehmen. Damit wir uns richtig verstehen: Ich sehe die wichtige und richtige Maßgabe der Bundesregierung, den Haushalt zu konsolidieren, keineswegs als Freifahrtschein für Steuererhöhungen. Auch wenn unsere Steuerquote im internationalen Vergleich niedrig erscheint, sind einzelne Steuern und Belastungen im internationalen Vergleich überproportional hoch. Das gilt auch für die Unternehmensteuern. Deshalb stimmt es mich zuversichtlich, Herr Finanzminister, dass Sie in Ihrer Haushaltsrede am Dienstag auf dieses Problem eingegangen sind und die Unternehmensteuerreform zu einem wichtigen Reformprojekt Ihres Hauses erklärt haben. Die CDU/CSU wird Sie in diesem Vorhaben uneingeschränkt unterstützen. Die Reform darf - davon sind wir als Union überzeugt - bei allen möglichen Umsetzungsschwierigkeiten im Detail keine Minireform wie beim Jobgipfel des vergangenen Jahres werden. Im Gegenteil: Sie muss im Ergebnis weitergehende Finanzierungs- und Rechtsformneutralität herstellen und international wettbewerbsfähige Steuersätze realisieren. ({12}) Nur wenn wir Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer reformieren, werden wir die Unternehmen in Deutschland halten und dafür sorgen, dass sie auch in Deutschland Steuern zahlen. Aber nicht nur die Steuerzahlungen der Unternehmen sind wichtig; vielmehr soll die Steuerreform auch als zusätzlicher Hebel für Wachstum und Beschäftigung auf den Weg gebracht werden. Auch wenn die verbesserte Abzugsfähigkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen und die vorübergehende Erhöhung der degressiven Abschreibung nur als kleine Schritte wahrgenommen werden, sind es doch Schritte in die richtige Richtung. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf einem guten Wege sind, wenn wir das, was wir als Koalition schon gemeinsam auf den Weg gebracht haben, Schritt für Schritt weiterentwickeln, darauf aufbauen und dem alles unterordnen, was zusätzliches Wachstum und damit Beschäftigung und den Abbau von Arbeitslosigkeit schafft. Dann haben wir entscheidende Schritte unternommen, um unser Land in eine gute Zukunft zu führen. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Bundesminister Peer Steinbrück.

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zu Beginn meiner abschließenden Bemerkungen sehr herzlich für eine weitgehend sachliche und problemorientierte Debatte bedanken. Ich möchte mich insbesondere bei den Koalitionsfraktionen dafür bedanken, dass sie die dargelegte finanzpolitische Strategie der Bundesregierung so stark unterstützen. Ich habe den Eindruck, dass diese große Koalition auch die Chance bietet, einen etwas anderen Politikstil einziehen zu lassen. Ich bin ziemlich sicher, dass die Menschen das erwarten; denn sie haben kein großes Interesse an aufgeregten, ritualisierten Auseinandersetzungen, in denen wir nur aufeinander einprügeln. ({0}) Die Menschen wollen, dass wir zwar in der Sache hart ringen, das aber sachlich, unpolemisch und unaufgeregt tun. Dass das gelegentlich diejenigen enttäuscht, die eher an fetzigen Auseinandersetzungen und schlimmen Tönen interessiert sind, ist mir sehr bewusst. Ich glaube aber, dass diese Haushaltsberatungen der richtige Einstieg in einen neuen Politikstil sind. Es wäre für diese große Koalition kleidsam, diesen Stil weiterhin zu pflegen. ({1}) Dass es nicht ganz ohne Rituale und den Aufbau von Popanz geht - den größten Popanz enthielt Ihre Rede, Frau Lötzsch; das ließ sich nicht mehr übertreffen - und dass es viel Stehsatz gibt, ist klar; das gehört nun einmal erkennbar dazu. Dass Herr Koppelin mir vorgeworfen hat, meine Rede sei Lyrik gewesen, hat mich geehrt; denn dieser Verdacht ist noch nie auf mich gefallen. ({2}) Ich werde das meiner Frau erzählen. Sie hat diesbezüglich schon immer höhere Erwartungen an mich gehabt. ({3}) Dass Sie meine Rede schon bewertet hatten, bevor ich sie gehalten habe, eint Sie mit vielen anderen Oppositionsrednern. Gelegentlich sollte man aber aufpassen, dass die verwendeten Bilder zu der Person passen, die diese Bilder verkörpern sollen. Ich hätte mir jedenfalls etwas mehr Originalität in den Ausführungen der Oppositionsredner gewünscht. ({4}) Herr Westerwelle, eines Tages eine Haushaltsdebatte zu erleben, in der die Linken staatliche Transfers auf den Prüfstand stellen und diese im Hinblick auf ihre Effizienz hinterfragen, anstatt ständig ein Plädoyer zu halten, dass diese Transfers erhöht werden müssen, oder von der FDP zu hören, dass ein handlungsfähiger Staat für die Leistungsbereitstellung mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden muss, wäre originell. ({5}) Ebenfalls originell wäre es, von den Grünen ein unübertroffenes Plädoyer zur Entbürokratisierung zu hören. (Zuruf der Abg. Anja Hajduk ({6}) - Liebe Frau Hajduk, das habe ich lange Zeit hinter mir. ({7}) Früher hätte es mir passieren können - ich hoffe, dass ich mich nicht vergaloppiere -, dass der Hund des Nachbarn in meinem Garten einen fahren lässt und Sie die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes angemahnt hätten. Es war jedenfalls nicht so weit davon entfernt. ({8}) Ich komme nun zu den wichtigen finanzpolitischen Einsichten. Dass Sie, Frau Flach, ebenfalls den einen oder anderen Popanz brauchten, tut mir Leid, weil ich Sie eigentlich sehr schätze. Aber wie Sie beispielsweise darauf kommen, dass beim ALG II 4 Milliarden bis 5 Milliarden Euro zusätzlich beschlossen worden sind, um anschließend zu fragen, wer vor wem einknickt, ist mir ein Rätsel. Das haben Sie doch nicht nötig. Sie sollten hier Vermutungen nicht als Tatsachen darstellen. ({9}) Zu Ihrem Hinweis, dass der Subventionsabbau nicht rechtzeitig beginnt: Sie wissen als Haushälterin doch ganz genau, dass die verabschiedeten Maßnahmen ihre volle Wirksamkeit schon aus technischen Gründen erst nach einer gewissen Zeit entfalten können. Verleugnen Sie Ihre eigene Urteilsfähigkeit an diesem Podium doch nicht so sehr! ({10}) Dass man bei der Unternehmensteuerreform nicht aus der Hüfte schießen kann, wenn sie nicht verunglücken soll, ist eigentlich klar. Sie haben gesagt, diese Reform müsse zum 1. Januar 2007 in Kraft treten. Aber das würde bedeuten, dass sich dieses Hohe Haus spätestens in zwei, drei Monaten mit dieser sehr gewichtigen und komplexen Reform beschäftigen müsste. ({11}) Das kriegen Sie doch nicht hin; das wissen Sie doch. ({12}) - Sie haben die beiden Vorschläge doch noch nicht einmal gelesen. Wovon reden Sie denn eigentlich? ({13}) Sie surfen auf der Welle - ganz wie Sie heißen -, aber Sie sind in der Materie gar nicht drin. ({14}) - Ich versuche, das ein bisschen interessanter zu machen, damit Sie alle aufwachen. ({15}) Wir haben eine ganze Reihe von finanzpolitischen Erkenntnissen vermitteln können und ich hoffe, dass sich das öffentlich mehr niederschlagen wird. Es ist mehr denn je deutlich geworden, dass wir eine solide Haushaltsführung brauchen, um Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen. ({16}) Umgekehrt sind die öffentlichen Haushalte - ich beziehe die kommunalen Haushalte und die Länderhaushalte gerne mit ein - nur zu konsolidieren im Zusammenhang mit mehr Wachstum, ({17}) einer größeren Wetterfestigkeit der sozialen Sicherungssysteme ({18}) und mit Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt. Das ist eine wechselseitige Beziehung. ({19}) Ich halte daran fest - Frau Flach, es ist kein Dogma, sondern es ist eine nüchterne Analyse -, dass das Hauptproblem des Bundeshaushaltes Strukturprobleme sind, insbesondere auf der Ausgabenseite. Ich stehe damit nicht alleine. Da der Monatsbericht der Bundesbank wohl unverdächtig ist - die Bundesregierung wird darin kritisiert -, darf ich darauf hinweisen, dass es in seiner Ausgabe März 2006 heißt - ich zitiere -: Die Analyse zeigt, dass für den starken Defizitanstieg nach dem Jahr 2000 zwar auch konjunkturelle Einflüsse eine Rolle gespielt haben. Ausschlaggebend war aber der Rückgang der strukturellen Einnahmenquote … ({20}) Es wäre gut, wenn Sie das in Ihren Diskussionsbeiträgen einmal berücksichtigen würden. ({21}) Im Bundesbankbericht wird weiter ausgeführt: Die strukturellen Einnahmen des Staates sanken in Relation zum Trend-BIP seit dem Jahr 2000 um rund vier Prozentpunkte. Das macht weite Teile unseres Problems aus. Ich will noch einmal ein Plädoyer für beides halten - ich nenne es weiterhin die doppelte Tonlage, auch wenn Sie mit dem Bild nichts anfangen können -: Auf der einen Seite geht es darum, die Haushalte - nicht nur den Bundeshaushalt - zu konsolidieren. Auf der anderen Seite geht es darum, Impulse zu geben. Alleine das Wachstums- und Beschäftigungsprogramm der Bundesregierung dürfte in einer hohen Dimension dazu beitragen, die Entwicklung des Wachstums und der Beschäftigung in Deutschland zu unterstützen. Wir reden nämlich nicht nur von den 25 Milliarden Euro, wir reden auch von den 12 Milliarden Euro, die von anderen Gebietskörperschaften hinzukommen, und wir reden über Multiplikatoreffekte, die es in diesem Zusammenhang insbesondere beim Mittelstand geben wird. Man denke nur an die Handwerker, die stark begünstigt sein dürften von den degressiven Abschreibungsmöglichkeiten, von der Istbesteuerung bei der Umsatzsteuer und von der Möglichkeit, dass nun auch Privathaushalte Handwerkerdienstleistungen steuerlich absetzen können. Dasselbe gilt für die zusätzlichen 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung. Sie werden selbstverständlich zusätzliche gewerbliche Investitionen induzieren. Wir reden also über einen wirklichen Schub. Ich habe nie behauptet, dass das den Urknall auslöst, dass uns das sprungartig nach vorne bringt. Aber die Unterschnittigkeit, mit der andere, insbesondere die FDP, es darstellen, kann ich nicht teilen. Dass dies alles aus der Sicht der Linken zu wenig ist - sie hätte gerne einen viel expansiveren Haushalt -, habe ich schon vor dieser Debatte gelernt. Der entscheidende Punkt ist: Wie das finanziert werden soll, beantworten Sie nie. Nie bekommen wir von Ihnen eine solide Aussage dazu. ({22}) Die Staatsversessenheit, die Fixierung auf staatliches Handeln ({23}) ist bei Ihnen in einem Ausmaß ausgeprägt, das ich nur mit Mühe nachvollziehen kann. Ich gebe zu, auch die FDP kommt - nicht nur in dieser Haushaltsdebatte - bei einem anderen Punkt nicht auf einen Nenner. Sie wollen dreierlei, was unvereinbar ist: Sie glauben, dass Haushaltskürzungen, Steuersenkungen und eine Abnahme der Nettokreditaufnahme gleichzeitig möglich sind. ({24}) Sie müssen den Menschen erklären, wie das funktionieren soll. ({25}) - Es funktioniert nicht; es ist ein Grundirrtum. ({26}) Alles drei zusammen lässt sich nicht erreichen. Sie streuen den Menschen Sand in die Augen, wenn Sie sagen, Sie könnten noch mehr sparen. Als ob sich das auf die Konjunktur überhaupt nicht auswirken würde, als ob das irrelevant für das Wachstum wäre! Gleichzeitig versprechen Sie weitere Steuersenkungen, massiv gesenkte Steuersätze, ohne dass die Verschuldung steigt. Nein, sie soll auch noch sinken! ({27}) Das ist das Dilemma, in dem Sie stecken, und da lasse ich Sie auch nicht heraus. ({28}) Ich will auf einzelne Punkte eingehen. Ich habe mit großer Aufmerksamkeit beobachtet, wie häufig Sie, Herr Koppelin, von Verfassungsbruch gesprochen haben. Das ist klar kalkuliert: Sie wollen es damit in die Überschriften der Zeitungen schaffen. ({29}) Natürlich wissen Sie, ({30}) dass dieser Haushalt keinen Verfassungsbruch darstellt. ({31}) - Nein, tut er nicht. Wenn Sie aber der Meinung sind, dann möchte ich gerne, dass ein Fragebogen von Ihnen als Mitglied des Haushaltsausschusses ausgefüllt wird, ob Sie den Art. 115 GG kennen. Diesen Fragebogen könnten Sie nicht ausfüllen; denn dieser Art. 115 legt fest, unter welchen Bedingungen die Regelgrenze der Verschuldung durchaus überschritten werden kann. Genau dem folgen wir. Mit Ihrem Beitrag wollten Sie also erkennbar Zeitungsüberschriften erreichen, nach dem Motto: Wir kleben euch die Plakette des Verfassungsbruchs bzw. der Verfassungswidrigkeit an. Dieser Haushalt ist nicht verfassungswidrig. Er stellt keinen Verfassungsbruch dar. ({32}) Vielmehr nimmt er die Ausnahmemöglichkeiten des Art. 115 in Anspruch, um eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Im Übrigen, Herr Koppelin, ist das eine Operation, die die FDP in den Landtagen von Nordrhein-Westfalen und - wenn ich mich nicht täusche - in Niedersachsen durchaus mitmacht. Was kritisieren Sie hier also? Sie sind doch dabei. ({33}) Sie sind in den Ländern bei genau derselben Operation vollständig dabei, wo Sie sich hier mit großer Chuzpe hinstellen und uns sagen: Ihr begeht einen Verfassungsbruch, das ist verfassungswidrig. Das sind Fensterreden, von denen ich die Hoffnung habe, dass sie eines Tages von diesem Pult aus unterbleiben könnten. ({34}) Herr Solms hat in seinem Beitrag gemeint, es müsste doch zu schaffen sein, mal soeben 6 bis 7 Milliarden Euro in 2006 einzusparen. Richtig ist der Hinweis, dass wir ungefähr 15 bis 16 Milliarden Euro über der Regelgrenze liegen. Ich will versuchen, Ihnen Beispiele zu geben, was es hieße, jetzt, im Jahre 2006, diese Regelgrenze einzuhalten. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass man den Zuschuss an die Rentenkasse um ungefähr diese 15 bis 16 Milliarden Euro kürzen müsste. Das liefe auf eine Rentenkürzung von 7,5 Prozent hinaus; 7,5 Prozent Rentenkürzung bei einem Anteil von 50 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland, die allein auf die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen sind. Wenn Sie das wollen, dann möchte ich gerne, dass Sie das hier auch sagen. ({35}) Dann möchte ich, dass Sie den Rentnerinnen und Rentnern der Bundesrepublik Deutschland sagen: Wir sind dafür, dass 7,5 Prozent Rentenkürzung stattfindet. Oder aber Sie müssten zu einer Halbierung beim Arbeitslosengeld II kommen. ({36}) Sie müssten sich hier hinstellen und sagen: Ja, die Leistungen an die ALG-II-Bezieher werden halbiert. Oder Sie müssten zum Beispiel sagen, dass die Streichung des Erziehungsgeldes, des Mutterschutzes, der gesamten landwirtschaftlichen Sozialpolitik und des Wohngeldes nicht einmal ausreicht - es wäre die Hälfte -, um die Regelgrenze der Verfassung wieder einzuhalten. All das sagen Sie nicht. Vielmehr weichen Sie leichtfüßig immer auf das Thema Kohle aus. Ich sage Ihnen und auch dem uns zuhörenden Publikum: Es ist undenkbar, bei der Kohle einen einzigen Euro zusätzlich in diesem Jahr einzusparen. ({37}) Warum? Weil es eine rechtskräftige Landschaft von Bewilligungsbescheiden gibt. Das weiß Herr Bonde offenbar auch; er reitet auf diesem Gaul aber dennoch so lange weiter, bis der Gaul tot umfällt. ({38}) Sie machen das einfach wider besseres Wissen. Sie wissen genau, dass es rechtskräftige Bewilligungsbescheide gibt. Das heißt, wenn wir die Subventionen bei der ohnehin vorgesehenen Degression kürzen würden, dann bräuchte es nur ein einziges Verwaltungsgericht, um diese Entscheidung zu verhindern. Sie wissen das genau, aber das spielt bei Ihnen keine Rolle. Herr Westerwelle redet sogar von Milliarden, die hier in den nächsten Jahren eingespart werden könnten. Herr Kampeter hat in der Sitzung am letzten Dienstag den richtigen Buchtitel dazu zitiert. Bei Ihrer Rede, Herr Bonde, hatte ich übrigens den Eindruck, Sie wären in den vergangenen Jahren nie dabei gewesen. ({39}) Ihre Hinweise zum Thema Generationengerechtigkeit will ich gar nicht in Abrede stellen; ich selber habe ja auch so geredet. Aber ich habe mir gedacht: Wo waren denn die Grünen, als es um die Nettokreditaufnahme von 38 Milliarden Euro im Jahre 2003 ging? Waren Sie alle weg oder wo waren Sie? ({40}) Ich glaube, da gilt ein bisschen der Satz: Hochverrat ist eine Frage des Datums. Könnte das sein? ({41}) - Nein, ich bin so schön im Fluss, Frau Hajduk. Ich komme noch zu Ihnen, will aber vorher noch eine andere Bemerkung machen, die ich sehr ernst meine.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk?

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Nein, sie will mich doch nur aus dem Konzept bringen. ({0}) Herr Lafontaine ist heute nicht da. Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Claus, wenn Sie einmal Herrn Lafontaine - wenn Sie ihn sehen - die Frage stellen könnten, warum es ihn so stark reitet, immer Oswald Spengler zu zitieren. Wie kommt Herr Lafontaine dazu, Oswald Spengler mehrfach in seinen Beiträgen zu zitieren, wo dieser Oswald Spengler doch ideengeschichtlich ein Vorbereiter des Faschismus gewesen ist? ({1}) In einem seiner Bücher wird die eurasische Gefahr beschrieben. Haben Sie das gelesen? Entspricht das dem, was Sie für richtig halten? Im Übrigen erinnern mich seine Reden in der Tat zunehmend an die Zeit, in der Oswald Spengler publiziert hat, nämlich in den 20er- und 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie haben eine derart protektionistische und nationalistische Sicht, auch bei der Betrachtung des Finanzkapitals, dass ich Ihnen sagen muss: Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen. ({2}) Ich befürchte, dass wir in der nächsten Rede eines Abgeordneten Ihrer Fraktion den Vorschlag hören, in der Bundesrepublik Deutschland Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. ({3}) Man kann über Beteiligungskapital reden, so viel man will. Man wird dabei auch sehr viele kritische Beispiele finden. Es würde mir noch mehr Freude als bisher bereiten, auf dem Stuhl des Finanzministers zu sitzen, wenn in einer Ihrer Reden einmal darauf hingewiesen würde, von welch zunehmend eminenter Bedeutung das Beteiligungskapital für die Finanzierung deutscher Unternehmen ist. Auf diesem Gebiet hat sich in den letzten zehn Jahren viel geändert, zum Beispiel eine immer stärkere Abwendung von der Kreditfinanzierung, übrigens verbunden mit einer Zurückdrängung der alten Deutschland AG und einer wachsenden Bedeutung von privatem Beteiligungskapital für die Finanzierung des Mittelstands. Aber von Ihnen kommt nichts dergleichen, gar nichts. Eigentlich ist alles, was ich diesbezüglich höre, ziemlich borniert und engstirnig. ({4}) Frau Hajduk, wenn Sie aufhören, zu telefonieren, gestatte ich Ihnen, mir eine Zwischenfrage zu stellen. ({5}) Frau Hajduk, Sie beklagen etwas, was ich im Ergebnis nicht viel anders sehe als Sie, nämlich die Tatsache, dass die Neuverschuldung bei 38 Milliarden Euro liegt. Ich habe Ihnen im Haushaltsausschuss erklärt, warum die Neuverschuldung nicht - wie im abgelaufenen Jahr bei 31 Milliarden Euro liegt, sondern bei 38 Milliarden Euro. Das heißt, Sie wissen, warum es so ist. Sie wissen, dass 3 Milliarden bis 4 Milliarden Euro einen Einmaleffekt darstellen, der geringer ist, als von Hans Eichel ursprünglich kalkuliert. Das geht auf die Verabredung der großen Koalition zurück. Sie wissen, dass 3 Milliarden, 4 Milliarden, bis zu 5 Milliarden Euro den ersten Schub des Impulsprogramms ausmachen sollen. Das hat diese Koalition ganz gezielt auf den Weg gebracht. 3 Milliarden Euro stehen in Zusammenhang mit Mehraufwendungen im Rahmen des Arbeitslosengelds II bzw. Hartz IV. Ohne diese Effekte würde die Neuverschuldung nominal unter der Nettokreditneuaufnahme des Jahres 2005 liegen. ({6}) Die drei Gründe dafür, dass das nicht so ist, habe ich Ihnen gerade noch einmal genannt. Gegen Ende Ihrer Rede haben Sie Ausführungen gemacht, die ich im Prinzip ebenfalls nachvollziehen kann; gelegentlich trage ich dasselbe vor. Es geht um das Problem der vornehmlichen Belastung des Produktionsfaktors Arbeit mit Sozialversicherungsabgaben zur Finanzierung des sozialen Sicherungssystems. Sie haben danach zu Recht gefragt. Wenn Sie das Thema Steuerfinanzierung sukzessive aufgreifen, dann müssen Sie mir, der Koalition, der Bundesregierung und der Öffentlichkeit irgendwann einmal sagen, welche Steuerart Sie meinen und um wie viele Prozentpunkte Sie die entsprechende Steuer erhöhen wollen. Die Beantwortung dieser Frage sind Sie in all Ihren bisherigen Beiträgen schuldig geblieben. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hajduk?

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Ich höre Frau Hajduk gerne zu.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Finanzminister, es ist richtig, dass Sie mir erklärt haben, wie die Nettokreditaufnahme in Höhe von 38 Milliarden Euro in diesem Jahr zustande kommt. Sie wissen, dass ich den Verabredungen der großen Koalition nicht in allen Teilen folge. Deswegen haben wir da einfach eine Differenz, die es zwischen Regierung und Opposition ruhig geben darf. ({0}) Sie haben uns Grüne gefragt, wo wir gewesen seien, als wir im Jahr 2003 in diesem Haus eine sehr hohe Nettokreditaufnahme mitverantwortet haben. Herr Bonde und auch ich haben hier gesessen und das Haushaltsgesetz verabschiedet. Ist Ihnen bekannt, dass das Wachstum im Jahr 2003 wesentlich schwächer war als das Wachstum, das für dieses Jahr prognostiziert wird? Teilen Sie meine Auffassung, dass es in nicht nur arbeitsmarktpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch schlechten Zeiten wichtig sein kann, eine höhere Neuverschuldung in Kauf zu nehmen, dass es dagegen in Zeiten der wirtschaftlichen Erholung - darin befinden wir uns in diesem Jahr unbestreitbar - besser ist, anders vorzugehen und bei der Nettokreditaufnahme deswegen zurückhaltender zu sein? Diesen Zusammenhang müssen Sie als Finanzminister immer im Blick haben. Oder irre ich da?

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Nein, da irren Sie nicht. Den Zusammenhang sehe ich. Ich gebe Ihnen auch zu, dass das Wachstum im Jahr 2003 ungünstiger gewesen ist als heute. ({0}) - Jetzt kommt es, Herr Bonde: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist in diesem Jahr schlechter als 2003. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Bundesregierung auf der Einnahme- und auf der Ausgabenseite alles unterlassen wird, was den sich aufhellenden Konjunkturhorizont eintrüben könnte. Alle die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen - die Linken wollen auf der Einnahmeseite ansetzen und die Grünen wollen weitere Sparmaßnahmen - würden dazu beitragen, dass dieses Wachstum geringer ausfällt. ({1}) Das ist die Grundphilosophie, die ich für richtig halte und die ich verteidige: Wir müssen die Schrittabfolge entsprechend gestalten. Wir müssen 2006 wirklich alles unterlassen, was den Rückenwind beeinträchtigen könnte, weil zuzugeben ist, dass die Mehrwertsteuererhöhung Anfang des Jahres 2007 zur Sanierung der Haushalte einen konjunkturdämpfenden Effekt haben wird. Ich will auf einen Debattenbeitrag von den Linken zurückkommen - ich weiß nicht, ob er von Frau Kipping oder von Frau Möller gewesen ist -, in dem der Vorschlag enthalten war - ich sage das nur, um Ihnen die Proportionen deutlich zu machen -, den ALG-II-Regelsatz von 200 - ({2}) - Entschuldigung - von 345 Euro auf 420 Euro zu erhöhen. Wissen Sie, was das kostet? Das kostet 3,5 Milliarden Euro. ({3}) Wie können Sie einen solchen Vorschlag in die Welt setzen, ohne den Menschen gleichzeitig zu erklären, wie das finanziert werden soll, ({4}) ohne dass man weiter in die Verschuldung geht? ({5}) Nun zu Ihren beiden Vorschlägen. Ihre grandiosen Vorschläge betreffen die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer. Ich habe mir einmal auflisten lassen, zu welchen Mehrausgaben Ihre Vorschläge führen. Das ist hoch zweistellig! Ich sage das, damit die Dimension klar ist. Über steuersystematische Schwierigkeiten, insbesondere bei der Vermögensteuer - Stichwort: Betriebsvermögen -, will ich gar nicht reden. Das Aufkommen der Erbschaftsteuer beträgt im Augenblick 4,1 Milliarden Euro. Was glauben Sie denn, um wie viel das, rein theoretisch, zu steigern ist? Was glauben Sie denn, was man drauflegen kann, ohne dass es zu Ausweichmanövern kommt, die natürlich eher dazu führen, dass das Steuersubstrat aus Deutschland weggeht? Was glauben Sie, was wir bei der Vermögensteuer an Einnahmen gehabt haben? Im letzten Jahr vor ihrer Abschaffung, 1996, war das nicht zweistellig. Es waren 4,5 bis 4,6 Milliarden Euro. Was glauben Sie denn, was man da tun kann, um Ausgabenblöcke von der Dimension zu finanzieren, die Sie ständig fordern? Das ist doch aussichtslos. Für etwas mehr Seriosität in der Diskussion wäre ich sehr dankbar. Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren; ich muss mir aus Zeitgründen einiges sparen. Ich weiß, dass wir gelegentlich, fast wöchentlich, von Zeitungsmeldungen unter einen bestimmten Eindruck gesetzt werden. Sie weisen für die Entwicklung in diesem Jahr etwas aus, das viele als Bezugspunkt nehmen, um zu sagen: Oh, das wird alles gar nicht so schlimm; ({6}) wir haben eigentlich keine Probleme; wir könnten bei der Mehrwertsteuer runter; alles Friede, Freude, Eierkuchen. Ich möchte Sie alle einladen, diesen Meldungen nicht zu folgen. ({7}) Bis in die jüngste Zeit habe ich Zeitungsartikel gelesen, in denen nicht Vertreter von deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten, aber von Banken plötzlich sagen: 2,5 Prozent Wachstum. Ich rate dazu, die Vorsicht, die wir in dieser Koalition verabredet haben, weiter walten zu lassen. ({8}) Es gibt zwei oder drei Professoren, die Mitglieder des Steuerschätzerkreises sind, die am 25. März genau wissen, wie die Mehreinnahmen in diesem Jahr sein werden, obwohl dieser Steuerschätzerkreis erst, ich glaube, am 11. oder 12. Mai tagt. Im Übrigen: Wir haben dem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung eine aktuelle Steuerschätzung zugrunde gelegt. Darin sind bereits 4 Milliarden Euro Mehreinnahmen in diesem Jahr eingespeist. Das heißt, selbst wenn das realistisch wäre, wäre - das müssen Sie wissen - der Spielraum nicht da. Dasselbe gilt mit Blick auf die Wachstumsentwicklung und die Folgerungen sowie mit Blick auf die Steuermehreinnahmen für die Gebietskörperschaften. Noch einmal: In der Lage, in der wir sind, gilt: Die Kommunen als Investoren mit ihrer Bedeutung für Gewerbe und Handwerk sowie die Länder, von denen über die Hälfte schon im Haushaltsaufstellungsverfahren die Regelgrenze verletzen muss, brauchen diesen Schritt auf der Einnahmeseite, so schwierig das ist. Jede Alternative hat auch Auswirkungen auf die Konjunktur. Wenn man so sparen würde, wie Sie es für möglich halten, geht das in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung genauso ein wie ein Entzug von Kaufkraft über die Erhöhung der Mehrwertsteuer. ({9}) - Aber entschuldigen Sie! Das ist zweites Semester, Frau Flach. ({10}) Es wäre doch gut, wenn Herr Kubicki einmal hier wäre. Der würde das wenigstens verstehen. ({11}) Ich habe etwas überzogen; der Präsident mahnt mich. Deshalb erspare ich mir eine Schlussapotheose. Ich bin für die konstruktive Unterstützung, die ich von den beiden Koalitionsfraktionen erhalten habe, sehr dankbar. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Otto Fricke, FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Steinbrück, Sie haben am Anfang Ihrer Rede etwas über Stil gesagt. Zum Stil gehört auch, dass man, wenn man relativ zum Schluss redet und nur noch eine Oppositionsfraktion antwortet, nicht in dieser Art und Weise auf die beiden anderen Oppositionsfraktionen draufhaut, die nicht die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren. ({0}) Auch dieses Oberlehrerhafte „zweites Semester, Frau Flach“ ist nichts, was man mit einem Bundestagsabgeordneten machen sollte, der hier versucht, ordentliche Arbeit zu leisten. ({1}) - Ja, so ist die große Koalition: gottgegeben. Aber jetzt wollen wir doch wieder herunterkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen; jetzt hört die große Koalition einfach einmal zu. Angesichts einer solchen Koalition ist es das Beste, man holt sich erst einmal Hilfe von oben. Ich zitiere einmal aus den Apokryphen, - in der Bibel im Buch Jesus Sirach -, also aus dem Buch der Bücher Sei kein Prasser und gewöhne dich nicht ans Schlemmen, damit du nicht zum Bettler wirst, der andre auf Borgen bewirtet, weil er selber kein Geld mehr im Beutel hat. Diesen Satz sollte sich jeder Haushälter, aber auch jeder Abgeordnete hinter - Entschuldigung - die besagten Löffel schreiben. Denn wenn wir uns zukünftig nicht daran halten, machen wir den Fehler, den auch alle vor uns immer schon gemacht haben, nämlich auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben. Herr Minister, Sie haben gesagt, das, was die FDP vorschlage, gehe alles nicht, sei unzulässig, würge ab, sei sozial kalt. ({2}) Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Von den Vorschlägen, die wir bisher gemacht haben, betrifft keiner die Sozialleistungen. Es sind vernünftige Vorschläge. Beim letzten Mal - deshalb habe ich dieses wunderschöne „Liberale Sparbuch“ mitgebracht, von dem ich weiß, dass viele es nicht mehr sehen können, weil sie sich darüber ärgern - hieß es: 450 Anträge von der FDP, alles Blödsinn, alles nichts wert, machen wir nicht. Aber was stellt man fest, wenn man sich die Istzahlen des besagten Jahres, aus dem unsere Zahlen stammen, anschaut? Sie haben die Ansätze in über 40 unserer Anträge sogar noch unterschritten. Da haben wir wohl noch mehr Luft gehabt. Hier will ich eines klar in Richtung große Koalition sagen: Die Behauptung, das ist alles nichts wert, wenn eine Opposition sich die Mühe macht, Kürzungsvorschläge zu unterbreiten, wird stets durch die Realität des Haushaltes und der Istzahlen widerlegt. ({3}) Warum machen wir den Vorschlag, weiter zu kürzen, Herr Steinbrück? Wir haben Verträge geschlossen, pacta sunt servanda. Wir haben nicht nur mit den Bürgern auf europäischer Ebene Verträge geschlossen, Kollege Kampeter, sondern auch mit den Ländern. Wir haben uns verpflichtet, die 3-Prozent-Grenze einzuhalten, und zwar nicht so langsam wie möglich, sondern so schnell wie möglich. ({4}) Wenn wir, Herr Steinbrück, nicht, wie im letzten Jahr unter Hans Eichel, bei 3,3 Prozent sind, sondern, wie Sie selber aufgrund der aktuellen Zahlen genau wissen - Sie wissen ja, was bei der Gewerbesteuer und ansonsten noch dazugekommen ist -, in Richtung 3,1 Prozent gehen ({5}) - mag ja sein, aber es wird weniger; es werden keine 3,3 Prozent sein -, dann können Sie hier keinen Haushalt vorlegen, bei dem mehr Geld ausgegeben wird und bei dem die Neuverschuldung noch über die des Vorjahres steigt. ({6}) Zur Frage Verfassungsbruch ja oder nein. Lassen wir das mal ein bisschen außen vor. In der Verfassung steht eine Regel: Sie dürfen nicht mehr Schulden machen, als Sie investieren. ({7}) Diese Regel brechen Sie; darüber sind wir uns einig. Dann sagt die Verfassung: Ausnahmsweise - nicht fünf, sechs, sieben Jahre hintereinander ({8}) darf der Staat diese Regel brechen, wenn ein Ungleichgewicht besteht. ({9}) Aber man kann sie nicht aufgrund eines Ungleichgewichts brechen und dann noch mehr Geld auf die falsche Seite legen. Das aber machen Sie mit diesem Haushalt. ({10}) Dann haben Sie - das haben alle Redner sehr gerne getan - die Bundesbank zitiert, auch eben wieder. In ihren Berichten steht viel Richtiges. Von dem, was der Bundesbankpräsident uns immer wieder ins Haushaltsbuch schreibt, können wir alle viel lernen. Nur eines haben Sie verschwiegen: Er sagt, dass wir Einnahmeprobleme haben - aber nicht bei den Steuern; dort bedarf es nur kleiner Korrekturen -, weil wir zu wenige Jobs haben und daher zu wenig in die Sozialsysteme eingezahlt wird. Da können Sie ruhig den Kopf schütteln. So hat es der Bundesbankpräsident gesagt. Sie erhöhen die Steuern, obwohl der Fehler in den Sozialsystemen liegt. Das ist genau dem entgegengesetzt, zu dem uns die Bundesbank in ihren Empfehlungen rät. ({11}) Die Ursache für unsere Probleme sind die fehlenden Jobs. Ich spreche keinem Politiker ab, dass sein erstes Ziel ist, die Menschen in geregelte Arbeit zu bringen. Wer etwas anderes behauptet, der macht einen Fehler in der Auseinandersetzung. Wir streiten über die besten Ideen. Ich bin sicher, Herr Minister, wir werden nachher noch ein kleines Tête-à-tête haben. ({12}) Ich will noch auf einen weiteren Punkt im Zusammenhang mit dem Haushalt eingehen. Die eine Seite sagt, dies sei eine Wende in der Finanzpolitik. Die andere Seite sagt, dies sei Kontinuität in der Finanzpolitik. Die Kolleginnen und Kollegen in der Mitte des Hauses sagen, es sei keine Kontinuität, aber auch keine Wende in der Finanzpolitik. Das Problem mit diesem Haushalt ist, dass die rotschwarze Koalition - statt einer rot-grünen haben wir eine rot-schwarze; Schwarz ist ja bekanntlich ziemlich nahe an Grün im Farbspektrum - nicht bereit ist, sich von Dingen zu trennen, an die man sich über Jahre gewöhnt hat. ({13}) Ich habe nicht einen Posten gefunden, bei dem Sie gesagt haben, dass wir diese und jene Behörde nicht brauchen und dass wir dieses und jenes Institut schließen können. ({14}) Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, wir stünden im globalen Wettbewerb. Das stimmt. Dann hat sie weiter gesagt: mit China, mit Indien, mit Brasilien, mit Mexiko und mit Südafrika. Aber all diesen Ländern, mit denen wir im globalen Wettbewerb stehen, geben wir immer noch Entwicklungshilfe, obwohl beispielsweise ein Land wie Mexiko im letzten Jahr allein durch die Ölpreissteigerung 1 Milliarde Euro mehr verdient hat. Stoppen wir diese Hilfe? Nein! Dies ist die Kontinuität der großen Koalition: Schwarz macht bei Rot in dieselbe Richtung mit. ({15}) Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Auf der Insel Vilm gibt es eine Fortbildungseinrichtung mit eigener Fähre und zwei Fährschiffern. Aber davon kann man sich nicht trennen. Wir brauchen sie, weil wir in Deutschland anscheinend zu wenige Orte haben, an denen wir diskutieren und tagen können. Wenn man die Frage aufwirft, ob sich der Staat nicht von solchen Dingen trennen sollte, dann kommt die Antwort, das gehe auf keinen Fall, weil man dies irgendwann vor vielen Jahren einmal so beschlossen habe. Wir geben 250 000 Euro Steuergelder für die Beratung von Leuten aus, die aus Deutschland wegziehen wollen, obwohl wir ihre Arbeitskraft hier gut gebrauchen können; wir helfen ihnen mit Steuergeldern auch noch, aus Deutschland wegzugehen. Im Haushalt stecken also sehr viele Widersprüche. Aber die rotschwarze Koalition kann sich nicht von solchen Positionen im Haushalt trennen. ({16}) Ein Betrag von 25 Milliarden Euro verteilt über vier Jahre ist gemessen an 2,3 Billionen Euro Bruttoinlandsprodukt sehr wenig. Zwischen diesen beiden Zahlen besteht ein gewaltiger Unterschied. Noch schlimmer ist: Es wurde gesagt, es würden Subventionen abgebaut. Diese 25 Milliarden Euro sind aber doch nichts anderes als neue Subventionen, obwohl sie vielleicht in die richtige Richtung gehen. Günstige Kredite sind Subventionen. Auf der einen Seite wird die Subvention Eigenheimzulage gestrichen - das ist richtig; wir haben da zugestimmt -, aber auf der anderen Seite gibt es für die, die bereits Häuser haben, weitere Subventionen in Form zinsverbilligter Kredite. Das halte ich schlicht und einfach gesagt für Mumpitz. ({17}) Zu den Haushaltsrisiken ist schon einiges gesagt worden. Ich bin sehr gespannt auf die vielen Vorschläge, mit denen angeblich die globale Minderausgabe aufgelöst werden soll. Wir arbeiten gut im Haushaltsausschuss zusammen. Die Mitglieder haben mich, obwohl ich noch ein junger Vorsitzender bin, gut aufgenommen. Dieser Ausschuss wird reichlich Arbeit haben, weil auch noch die Beratung des Haushaltsbegleitgesetzes ansteht. Ich warne die große Koalition ausdrücklich davor, beim Haushaltsbegleitgesetz das Spielchen zu machen, kurz vor Toresschluss noch irgendwelche kleinen Schweinereien hereinzubringen, die wir im Husch-Husch-Verfahren beschließen und die uns nachher auf die Füße fallen. Da Sie, Herr Steinbrück, sagen, dass wir im Sozialbereich kürzen wollen, muss ich Sie fragen: Haben die Koalition und die Bundesregierung bei den Sozialleistungen bis jetzt keine Kürzungen vorgenommen? Würden Sie hier sagen: „Wir führen auch zukünftig bei Sozialleistungen keine Kürzungen durch“? Nein, das würden Sie nicht tun; denn Sie haben es bereits getan. Die Eigenheimzulage war - es ist richtig, dass sie abgeschafft worden ist ({18}) eine soziale Leistung für diejenigen, die sich, an der knappen Kante lebend, ansonsten kein Haus hätten leisten können. Das war die Kürzung einer Sozialleistung. Die Rente ab 67 ist die Kürzung einer Sozialleistung für meine Generation. ({19}) Das ist vom Grundsatz her in Ordnung; aber was bei der 58er-Regelung und in anderen Bereichen geschieht, ist nicht in Ordnung. Dies ist eine Kürzung von Sozialleistungen. Natürlich gilt dies erst für die Zukunft. Dies tut nicht so weh und dies merkt der aktuelle Wähler nicht so sehr. Dann zu den Sonn- und Feiertagszuschlägen. Ich erinnere auch da an die Werbung der SPD im Wahlkampf; es ging ja nicht nur um die Mehrwertsteuer. Da haben Sie gesagt: Auf gar keinen Fall gehen wir an die Steuerfreiheit heran. Ich frage mich immer: Hat es nach der Wahl neue Krankenschwestern gegeben, die nach Ansicht der SPD auf einmal keine Steuerfreiheit mehr brauchen? Ich bin sehr gespannt, wie das begründet wird. ({20}) Haushalt ist harte Arbeit, manchmal auch sehr viel Klein-Klein; aber es lohnt sich, dieses Klein-Klein stetig zu betreiben. Denn es geht um unsere Zukunft, um die unserer Kinder und für viele auch schon um die ihrer Enkel. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses haben 77 Kinder und weit über 20 Enkel. Da liegt unsere Verantwortung. Ich kann nur jedem raten: Denken Sie nicht daran, was in einem, in zwei oder drei Jahren ist, sondern daran, wie Sie in 30 Jahren oder - sagen wir - mit 70 dastehen, wenn Sie Ihren Kindern erklären müssen, warum dieser Staat, für den es sich lohnt, zu arbeiten, in dem das Leben viel Spaß macht und der viel Freiheit bietet, den Bach heruntergeht! Verhindern Sie das, Herr Minister, und seien Sie der Bannerträger! ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Haushaltsgesetzes 2006 und des Finanzplans des Bundes 2005 bis 2009 auf den Drucksachen 16/750 und 16/751 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einVizepräsident Wolfgang Thierse verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiterer Abgeordneter Einsetzung eines Untersuchungsausschusses -Drucksache 16/990 Überweisung: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren jetzt über ein Thema, das die Republik mehrere Wochen lang - zu Recht, wie ich finde - beschäftigt hat. Wir alle wissen, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus für uns alle wichtig ist - und dies vor allen Dingen in einem Jahr, in dem in Deutschland die Fußballweltmeisterschaft stattfindet. Deshalb muss über diesen Kampf im Deutschen Bundestag geredet werden. Aber wir haben anhand der Umstände, die wir im Auftrag des Untersuchungsausschusses niedergelegt haben, auch gesehen, dass darüber gesprochen werden muss, wo die rechtsstaatlichen Grenzen dieses Kampfes liegen. ({0}) Das ist für uns als FDP-Bundestagsfraktion ein ganz wichtiger Punkt. Ich will das anhand einiger Untersuchungsgegenstände deutlich machen. Das sind zum einen die CIAFlüge und die Umstände, die mit der Verschleppung des deutschen Staatsangehörigen el-Masri verbunden sind. Jeder kann sich vorstellen, welche Aufregung in anderen Ländern, unter anderem auch in den Vereinigten Staaten, entstanden wäre, wenn beispielsweise ein amerikanischer Staatsbürger von einem fremden Staat entführt worden wäre. ({1}) Deshalb ist es notwendig und sachgerecht, dass wir uns damit beschäftigen. Grenzen müssen zum anderen auch aufgezeigt werden, wenn wir hören, dass Angehörige unserer Strafverfolgungsorgane - es gehört zu den festen Säulen unserer Demokratie, dass wir streng auf Rechtsstaatlichkeit achten - in Syrien Menschen vernommen haben, wie beispielsweise den Deutsch-Syrer Zammar, ({2}) der davon gesprochen hat, dass es bei den Vernehmungen Folter gegeben habe. Es kann nicht sein, dass durch die Anwesenheit deutscher Ermittler, beispielsweise auch in Guantanamo, bei denen, die solche Einrichtungen betreiben, der Eindruck entsteht, dass wir davon klammheimlich profitieren wollen. ({3}) Einen solchen Eindruck darf ein Rechtsstaat nicht erwecken. Nun zu einem letzten Punkt, der selbstverständlich auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein muss. Sie merken deutlich, dass dieses Thema für die FDP nicht im Zentrum steht. Wir wissen nämlich, wie wichtig gute Nachrichtendienste für unser Land sind. Unser Ziel ist nicht, die Nachrichtendienste in die Ecke zu stellen. Unser Ziel in einem Untersuchungsausschuss ist es, unsere Nachrichtendienste zu stärken. ({4}) Nachrichtendienste arbeiten häufig in einer Grauzone. Es ist nicht immer appetitlich, was die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes tun müssen; aber sie tun es für unser Land. Aufsicht und Kontrolle sind in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung, ({5}) und zwar durch die Dienstvorgesetzten, aber in gleicher Weise auch durch die Politik. Ich möchte einem Eindruck schon zu Beginn der Diskussion widersprechen. Wir kritisieren nicht, dass BNDMitarbeiter in Bagdad waren. ({6}) Sie haben sich freiwillig dafür gemeldet. Ich will deshalb ausdrücklich meinen Respekt gegenüber den beiden Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes aussprechen, die diese gefährliche Mission auf sich genommen haben. ({7}) Aber uns interessiert die politische Verantwortung für die Dinge, die sie gemeldet haben. Es kann doch nicht stehen bleiben, dass ein Bundeskanzler und ein Bundesaußenminister mit der Aussage „Wir beteiligen uns nicht am Irakkrieg“ in den Wahlkampf gegangen sind, wenn wir jetzt lernen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Deutschen - und zwar mit politischer Billigung - und den Amerikanern in diesem Krieg möglicherweise viel enger war, als nach außen hin der Eindruck erweckt worden ist. ({8}) Es ist auffällig, dass die Grünen in ihrem Vorschlag eines Untersuchungsauftrags diese Frage nicht geklärt sehen wollten. ({9}) - Herr Beck, regen Sie sich bitte ab! Es ist doch eine Schutzbehauptung, wenn Sie sagen, dazu sei schon alles bekannt. ({10}) Die Kollegen des Parlamentarischen Kontrollgremiums waren doch dabei; wir sind alle Fragen mit ihnen durchgegangen. ({11}) In diesem Untersuchungsauftrag sind keine geklärten Fragen enthalten, es handelt sich nur um ungeklärte Fragen. ({12}) Wir haben Ihren Geheimhaltungsanspruch in all den Debatten, die wir intern geführt haben, übrigens nie verletzt, lieber Herr Stünker. Wir müssen aber auch nach den Konsequenzen fragen. Ich habe es vorhin schon deutlich gemacht: Nachrichtendienste, die vor Fehlern gefeit sind, können ihre Arbeit am besten tun, weil sie dann nicht in die öffentliche Diskussion geraten. Deshalb ist für uns die Verbesserung der Kontrolle ein weiteres wichtiges Ziel. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass es nicht hinnehmbar ist, dass die Fraktionsvorsitzenden, aber auch das PKGr nicht über den Einsatz der beiden BND-Mitarbeiter im Irak informiert worden sind. Das muss sich ändern. ({13}) Die Kontrolle muss verbessert werden; das sagen uns übrigens auch Geheimdienstpraktiker. Wir werden dieses Thema konstruktiv angehen. Wir stärken damit unsere Nachrichtendienste und wir stärken die Sicherheit unseres Landes. Das muss unser Anspruch sein. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat das Wort Kollege Bernhard Kaster, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist das Recht des Parlamentes, es ist Ihr Recht als Opposition, von der Möglichkeit unserer Verfassung Gebrauch zu machen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wenn Sie hierzu die Notwendigkeit sehen. Wir sehen diese Notwendigkeit nicht. ({0}) Wir halten diese Entscheidung aus vielerlei Gründen, auf die ich noch zu sprechen komme, schlichtweg für falsch. Es ist der falsche Weg zur falschen Zeit. Aber lassen Sie mich, damit kein Missverständnis aufkommt, vorweg sagen: Wir werden Ihre Entscheidung respektieren und uns in aller Sachlichkeit und mit aller Ernsthaftigkeit in diesen Ausschuss einbringen. ({1}) Wir werden in diesem Untersuchungsausschuss zu den vier Themen, die Sie in diesem Antrag formuliert haben, aktiv mitarbeiten. Ein Untersuchungsausschuss darf aber kein Selbstzweck sein. Ein Untersuchungsausschuss ist nach unserer Verfassung das gewichtigste Instrument parlamentarischer Kontrolle und Information. Herr Kollege van Essen, Sie benutzen oft das Wort vom „schärfsten Schwert“, welches hier benutzt werde. Das ist ein Instrument, das eingesetzt werden soll, wenn wichtige Fragen des Parlaments unbeantwortet geblieben sind oder mit weiteren Antworten nicht zu rechnen ist. Zu den Themen, die im Untersuchungsausschuss behandelt werden sollen, haben in der Vergangenheit zahlreiche stundenlange Sitzungen und Sondersitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums stattgefunden. Dem Parlamentarischen Kontrollgremium wurde ein 224 Seiten umfassender Bericht vorgelegt. Wir alle, das heißt 614 Mitglieder des Deutschen Bundestages, haben einen 140-seitigen vertraulichen Bericht der Bundesregierung bekommen. Dieser Bericht enthielt ebenfalls detaillierte Informationen zu Vorgängen im Irakkrieg und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Herr Kollege Beck, Sie sprachen heute Morgen, mit Recht, von einer „Aufklärungsoffensive“. Sie sprachen davon, 90 Prozent seien aufgeklärt und Ihr Antrag beziehe sich auf die übrigen 10 Prozent. ({2}) Dazu kann ich nur sagen: Auch die sind im üblichen Verfahren, wenn Sie denn noch Fragen haben, ebenfalls aufzuklären. ({3}) Der Kollege Nešković hat im März in einem Interview gesagt: Die Bundesregierung hat einen Bericht über konkrete Operationen vorgelegt. Noch nie wussten wir so viel über die Arbeit des BND. ({4}) An dieser Stelle sei mir die Frage erlaubt, in welchem Land man vergleichbare Berichte, Berichte mit den Details, die hier geliefert wurden, erwarten kann. ({5}) Die Möglichkeiten des Parlamentarischen Kontrollgremiums und die Möglichkeiten öffentlicher oder geheimer Sitzungen des Innen-, des Auswärtigen oder des Verteidigungsausschusses haben Sie nicht ausgeschöpft. Umso mehr und umso kritischer muss die Frage nach der politischen Botschaft und den politischen Zielen, die diesem Untersuchungsausschuss zugrunde liegen, gestellt werden. Dies gilt insbesondere, wenn man sich die angeführten Begründungen vor Augen führt. Man muss wissen, wir sprechen über einen und nicht über drei Untersuchungsausschüsse. Es ist außerordentlich bemerkenswert, welche Bündnisse eingegangen werden. Ich meine nicht die formalen Bündnisse; formal muss das bei der derzeitigen Konstellation so sein. Ich meine inhaltliche Bündnisse. Welche politischen Botschaften und welche politischen Ziele verfolgt man gemeinsam? ({6}) Herr Westerwelle, die FDP sucht laut zahlreicher Presseverlautbarungen - auch eben klang das an - die Abrechnung mit der rot-grünen Bundesregierung und stellt die Glaubwürdigkeitsfrage; Stichwort: Vergangenheitsbewältigung. Sie gibt aber auch ein staatstragendes Bekenntnis zu den Nachrichtendiensten ab. Das ist in Ordnung. Sie tun dies aber im Bündnis mit der Linken, die die Geheimdienste - das ist mehreren Pressemitteilungen zu entnehmen - als Gefahr für die Demokratie verunglimpft. ({7}) Wer gestern die Debatte zum Einzelplan des Innenministeriums verfolgt hat, wer gehört hat, was seitens der Linken, insbesondere von Frau Jelpke, gesagt worden ist, hat gesehen, welches Staatsverständnis dem zugrunde liegt. Ich gebe das einmal wieder: … Haushaltsentwurf des Innenministeriums: 70 Prozent der Gelder sind für Maßnahmen im Bereich der Sicherheit. Darüber empören sie sich. Das bedeutet eindeutig eine weitere Stärkung des Repressionsapparates. … Das Beste wäre im Übrigen eh, die Behörde aufzulösen … Sie spricht von „Geisterjägern vom Verfassungsschutz“. ({8}) Das ist doch entlarvend. Es ist deutlich, was damit verfolgt werden soll. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kaster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Alle Fragen werden im Untersuchungsausschuss gestellt. ({0}) Lassen Sie mich an dieser Stelle, gerade angesichts der Äußerungen zu unseren Nachrichtendiensten, die ich zitiert habe, ein herzliches Wort des Dankes an all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Nachrichtendienste richten, die in einer schwierigen Zeit schwierige Aufgaben für die Sicherheit unseres Landes und unserer Bevölkerung erledigen. ({1}) Da ist die Fraktion der Grünen, die das Ansehen grüner Außenpolitik in Gefahr sieht und deshalb den Untersuchungsausschuss - das haben wir heute Morgen in der Geschäftsordnungsdebatte gehört - bereits bei der Einsetzung mit grundsätzlichen Debatten über die Kontrolle der Nachrichtendienste und mit Themen wie Folter und Menschenrechte beschäftigen will. Das sind natürlich Ablenkungsmanöver, weil Ihnen der Untersuchungsauftrag - oder Teile davon - eigentlich unangenehm ist. ({2}) Der öffentliche Druck war einfach zu groß. Sie konnten nicht mehr Nein sagen. Bei Fragen rund um die Geheimdienste geht es auch immer um Fragen der nationalen Sicherheit. Es war immer Konsens, die Themen und Gegenstände im Parlamentarischen Kontrollgremium aus berechtigten staatspolitischen Gründen nicht öffentlich zu behandeln. Wenn Sie dennoch das Bedürfnis haben, die Kontrollmechanismen, die rechtlichen Rahmenbedingungen und vor allem das Verhältnis zwischen Parlament, Bundesregierung und Nachrichtendiensten neu auszurichten, können wir jederzeit hier im Parlament darüber diskutieren, es abwägen und entscheiden. Dazu brauchen wir keinen Untersuchungsausschuss. ({3}) Unsere Demokratie muss immer eine wehrhafte Demokratie sein. Hierzu bedarf es leider mehr denn je erfolgreich arbeitender Nachrichtendienste. In unserer Rechtsordnung sind dies politisch kontrollierte Nachrichtendienste. Die Anforderungen an unsere Nachrichtendienste sind durch den internationalen Terrorismus und seine weltweiten Verflechtungen so hoch und diese Dienste sind sicherheitspolitisch so wichtig wie noch nie. Mit diesem Untersuchungsausschuss stellen Sie unsere Nachrichtendienste in den Mittelpunkt des Interesses. Bei den Fragestellungen geht es auch um Details des operativen Geschäfts. Das ist in dem Antrag enthalten. Dazu sage ich, dass bei allem Verständnis für parteipolitische Profilierung, gewünschte und kalkulierte Skandalisierung und erhoffte öffentliche Aufmerksamkeit eines bedacht werden und oberstes Gebot sein muss: Die Funktionsfähigkeit und auch die Kooperationsfähigkeit der Nachrichtendienste muss gewährleistet sein. ({4}) Sie können sicher sein, dass wir darauf achten werden. ({5}) Ich will in diesem Zusammenhang eine Frage an die Oppositionsfraktionen stellen, nur so zum Nachdenken: ({6}) Glauben Sie, dass unsere und Ihre Kollegen in den Parlamenten in Madrid und in London mit diesem Thema genauso umgehen würden? ({7}) Wir werden uns in diesen Ausschuss einbringen. Wir werden zuvor im Geschäftsordnungsausschuss eine wichtige verfassungsrechtliche Frage klären; das ist auch in Ihrem Interesse. Es geht um die Abgrenzung zwischen Art. 44 und 45 a des Grundgesetzes. Diese ist wichtig; wir müssen das Instrument ernst nehmen. Das ist in unser aller Interesse. Danach wird der Ausschuss seine Arbeit aufnehmen können. Mühevoll, qualvoll und auch langwierig war das Zustandekommen des heutigen Antrages. Wir hoffen, dass das kein Vorzeichen für diesen Ausschuss ist. Wir wollen keinen mühevollen, qualvollen und langwierigen Untersuchungsausschuss. Die von Herrn Beck angemahnten 10 Prozent Beantwortungsbedarf werden wir in aller Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit abarbeiten, auch wenn man es anders hätte tun können. In dieser Art und Weise werden wir uns einbringen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kaster, da Sie mir die Möglichkeit der Zwischenfrage nicht gegeben haben, möchte ich eine Kurzintervention machen. Meine erste Bemerkung ist: Wir haben nach unserem Untersuchungsausschussgesetz jede Möglichkeit, Geheimhaltungen zu beschließen. Wir haben die Möglichkeit, einen Ermittlungsbeauftragten einzusetzen, so wie es von den Freien Demokraten angeregt worden ist. Es kann also in gar keiner Weise davon gesprochen werden, dass die konkrete Arbeit von Geheimdiensten durch die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses gefährdet werden könnte. ({0}) Sie schieben eine Kulisse. Das ist in meinen Augen nicht zulässig. Zweitens. Dass Ihnen - Sie haben gesagt, für das qualvolle Zustandekommen dieses Untersuchungsausschussauftrages seien vier Monate benötigt worden wenige Tage vor der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses plötzlich noch einfällt, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung durchgeführt werden müsse, ist ein bemerkenswerter Vorgang und zeigt Ihre Art des Umgangs mit dem eindeutigen Minderheitenrecht in diesem Hohen Hause, Herr Kollege Kaster. ({1}) Drittens - das will ich an dieser Stelle ganz klar sagen, weil Sie nach Allianzen und Bündnissen gefragt haben -: Ich glaube, dass die Linkspartei und die Freien Demokraten wirklich unverdächtig sind, demnächst irgendwelche Bündnisse eingehen zu wollen. ({2}) - Herr Kuhn, nicht einmal in Ihren Albträumen sollten Sie auf diese Idee kommen, jedenfalls nicht, was die FDP betrifft. ({3}) Das, was Sie angesprochen haben, betrifft einen ganz anderen Punkt. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir Freidemokraten würden diese Affäre viel lieber gemeinsam mit Ihnen von der Union aufklären. ({4}) Aber Sie wollen lieber Ihren Koalitionspartner, die SPD, schonen. Das ist der eigentliche Grund. ({5}) Wären Sie noch in der Opposition, stünden Sie längst an der Spitze der Aufklärungsbewegung und würden genau das Gegenteil von dem sagen, was Sie gerade gesagt haben. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kaster, Sie haben das Wort.

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Westerwelle, ich will auf Ihre letzte Aussage eingehen. Sowohl zu Beginn als auch am Ende meiner Rede habe ich in aller Deutlichkeit gesagt, dass es für uns als Union eine Selbstverständlichkeit ist, uns dem Untersuchungsausschuss, den Sie beantragen, mit Ernsthaftigkeit zu stellen und die Dinge, die Ihrer Meinung nach noch aufzuklären sind, in aller Sachlichkeit aufzuklären. Damit haben wir überhaupt kein Problem; das muss sein. Aber es muss auch erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass ein Untersuchungsausschuss nach unserem Grundgesetz ein ganz besonderes Instrument ist. Daher stellt sich die Frage: Wenn es - obwohl schon viele Informationen geflossen sind - noch so viele andere Möglichkeiten gibt, warum soll ausgerechnet dieses Instrument eingesetzt werden, ein Instrument, das mit bestimmten Begleiterscheinungen auch in Bezug auf die politischen Botschaften einhergeht? Denn es werden dadurch bestimmte Aspekte in den Mittelpunkt gerückt. Deswegen ist auch der Hinweis berechtigt, dass unsere Nachrichtendienste zwangsläufig im Mittelpunkt des Geschehens stehen werden. Dennoch werden wir uns der Arbeit in diesem Ausschuss stellen und mit aller Sachlichkeit vorgehen. Nun zur Frage der verfassungsrechtlichen Prüfung. Zunächst einmal mussten wir doch abwarten, welchen Untersuchungsauftrag Sie uns vorlegen. Sie haben bei der Formulierung des Untersuchungsauftrags ja mühevolle Arbeit geleistet. Wenn in diesem Zusammenhang eine wichtige Frage auftaucht, müssen wir ihr auch nachgehen. Es hat ja schon seinen Grund, wenn hinsichtlich des Verteidigungsbereiches eine Abgrenzung zwischen Art. 45 a und Art. 44 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Ich denke, diese Frage muss geklärt werden. Das ist übrigens auch in Ihrem Interesse; denn so kann gewährleistet werden, dass die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht an irgendeiner Stelle ins Stolpern gerät. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. In den Medien wird er gern als „BND-Ausschuss“ gehandelt. Das finde ich falsch; denn diese Bezeichnung trifft nicht den eigentlichen Kern. Vielmehr geht es um die Frage, ob im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus Menschen- und Bürgerrechte verletzt wurden und, wenn ja, wer das getan hat, wer es geduldet hat und wer die politische Verantwortung dafür trägt. ({0}) Deshalb geht die Fraktion Die Linke auch nicht in einen „BND-Ausschuss“, sondern in einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss für Bürger- und Menschenrechte. ({1}) Das ist jedenfalls meine Intention. Es gibt mehr als nur einen begründeten Anfangsverdacht, der die Einsetzung eines solchen Ausschusses rechtfertigt. Nicht ohne Grund befasst sich auch das EUParlament mit diesen Fragen. Von meiner Kollegin Sylvia-Yvonne Kaufmann weiß ich, dass in diesem Zusammenhang noch sehr viele Fragen offen sind - so viel zur europäischen Praxis, die Sie angesprochen haben -: ({2}) nach den geheimen Aktivitäten der CIA auf europäischem Territorium, nach Entführungen europäischer Bürger, auch über deutsche Flughäfen, und nach Geständnissen, die nach Folter abgegeben wurden ({3}) und von denen auch deutsche Dienste profitiert haben sollen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages wird sich mit der übergreifenden Frage befassen, ob das Grundgesetz - fahrlässig oder bewusst außer Kraft gesetzt wurde. Ich finde, diese Grundsatzfrage sollte allen Fraktionen aller Mühen wert sein. ({4}) Ich sage das auch mit Blick auf die aktuellen Einbürgerungsdebatten. Sie tragen inzwischen absurde Züge. Ich verweise nur auf den vorgesehenen Einsatz von Fragebögen in Baden-Württemberg und Hessen. Demnach müssten übrigens in Baden-Württemberg der Papst und in Hessen noch mehr Deutsche ausgebürgert werden. ({5}) Ich habe mich heute mit einem eigenen Fragebogen in die Debatte eingemischt. Vielleicht hilft diese Karikatur, mehr Sinn in diesen Unsinn zu bringen. Denn richtig ist doch: Wenn Migranten Deutsche werden wollen, dann müssen sie Deutsch sprechen können und müssen das Grundgesetz respektieren. Aber was sind solche berechtigten Forderungen an Migrantinnen und Migranten wert, wenn ebenso berechtigte Zweifel bestehen, dass die deutsche Politik dasselbe Grundgesetz großzügig außer Kraft setzt, wenn es ihr opportun erscheint? Mit genau diesen Zweifeln werden wir uns im Untersuchungsausschuss beschäftigen. Nun habe ich sehr wohl vernommen, dass die Bundeskanzlerin die USA ob des Gefangenenlagers Guantanamo kritisiert hat. Das hätte der rot-grünen Regierung vordem vielleicht besser zu Gesicht gestanden. ({6}) Aber es muss jeder selbst wissen, von wem er sich die Butter vom Brot nehmen lässt. ({7}) Solange es allerdings als nützlich gilt - das steht jedenfalls im Raum -, die geschundenen Guantanamo-Häftlinge der USA für vermeintlich deutsche Interessen zu gebrauchen, so lange hat auch die Kritik der Bundeskanzlerin einen faden Beigeschmack. Bundesinnenminister Schäuble hat sinngemäß erklärt: Ohne die Informationen, die unter Folter erwirkt wurden, müssten die deutschen Geheimdienste einpacken. Das heißt ja wohl auf schlecht Deutsch: Folter gehört sehr wohl zum internationalen Geschäft. Genau das ist aber verfassungswidrig. Wir erleben seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA, dass Grund- und Bürgerrechte immer kleiner geschrieben werden und dass derjenige, der sie dennoch verteidigt, oft als Sicherheitsrisiko abgestempelt wird. Das ist ein realer und gefährlicher Trend für die Verfasstheit der Bundesrepublik. Ich habe hier mehrfach dazu und vor allem dagegen gesprochen. Auch bei den Rednerinnen und Rednern der FDP war das der Fall. Das habe ich, bei allen gravierenden Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, immer honoriert und respektiert. Ich tue es auch heute. Denn dank engagierter FDP-Politikerinnen und -Politiker wie zum Beispiel der Kollegin LeutheusserSchnarrenberger oder des Kollegen Hirsch gibt es einschlägige Urteile des Bundesverfassungsgerichtes. ({8}) Diese Urteile setzen Grenzen. Ich finde, es wird höchste Zeit, dass diese Grenzen respektiert werden, und zwar schon während des Gesetzgebungsverfahrens, damit die Gesetze nicht im Nachhinein korrigiert werden müssen. ({9}) Nun zurück zum Untersuchungsausschuss. Ich habe keine Illusionen darüber, was er letztlich klären kann. CDU/CSU und SPD haben mehrfach erklärt, was sie alles nicht wollen. Mit ihrer übergroßen parlamentarischen Mehrheit werden sie das sicherlich zu verhindern suchen. Ich bin aber dennoch für einen Untersuchungsausschuss, eben weil es mir um Bürger- und Menschenrechte geht. Sie müssen endlich wieder ein Positivthema werden. Ich finde, dieser Ausschuss kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten; denn er kann Zweifel ausräumen und die Grundrechte stärken. Das will ich. Dazu sollten wir uns alle eingeladen fühlen. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Stünker, SPDFraktion. ({0})

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Untersuchungsausschuss wird, nachdem wir heute den Antrag auf Einsetzung überwiesen haben, nach Beratungen im Geschäftsordnungsausschuss in der nächsten Woche eingesetzt werden. Die Minderheit hat von den Möglichkeiten des Untersuchungsausschussgesetzes Gebrauch gemacht. Das ist so auch in Ordnung. Das werden wir akzeptieren und werden nicht an dieser Entscheidung rütteln. ({0}) - Herr Maurer, wir haben in der vorletzten Legislaturperiode zusammen mit unserem Koalitionspartner das Untersuchungsausschussgesetz so gefasst, weil wir die Minderheitenrechte schützen wollten. So ist es gewesen. ({1}) Nach den ersten beiden Reden der Antragsteller - der Redner der Grünen hat noch nicht gesprochen ({2}) bin ich allerdings etwas verwirrt, was denn nun Gegenstand des Untersuchungsausschusses werden soll. ({3}) Nach der Rede, die Herr van Essen gehalten hat, und der Kurzintervention von Herrn Westerwelle wollen Sie von der FDP nachweisen, dass sich Rot-Grün klammheimlich am Irakkrieg mitbeteiligt hat. So ähnlich haben Sie sich hier geäußert. Ich kann Ihnen sagen: Das wird Ihnen nicht gelingen; denn so ist es nicht gewesen. Das weiß die ganze Welt, Herr Kollege van Essen. ({4}) Dafür brauchen Sie diesen Untersuchungsausschuss nicht. Die Kollegin Pau hat hier eben versucht, ihre ganze Staatsverdrossenheit noch einmal deutlich zu machen, ({5}) wie dies auch Herr Kollege Nešković im Parlamentarischen Kontrollgremium getan hat. - Okay. Wollen wir einmal schauen, welches Anliegen die Grünen noch haben. Welches Anliegen Herr Ströbele hat, weiß ich schon, da ich ja in vielen Sitzungen mit ihm zusammengesessen habe. Ich kann den drei Fraktionen, die hier diesen Ausschuss beantragt haben, nur eine gute Reise wünschen. Ich hoffe, Sie sind sich der Verantwortung bewusst, die Sie dadurch übernehmen, dass Sie in diesen Ausschuss gehen; ({6}) denn nach sachlicher Bewertung - diese kann man vornehmen, wenn man im Sachverhalt steckt - muss ich sagen: Alle Punkte, um die es hier geht und die Sie in Ihren Antrag geschrieben haben, den ich mir sehr gründlich durchgelesen habe, sind lückenlos geklärt. Als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums habe ich die Möglichkeit gehabt, die Vorwürfe, die dort erhoben wurden, in sehr vielen Sitzungen und Stunden mit zu erörtern und aufzuklären. Von daher wird dieser Ausschuss keine neuen Erkenntnisse und keine neuen Aufklärungen bringen. Im Grunde wissen auch Sie, dass nicht mehr zu tun ist. ({7}) - Herr Kollege Westerwelle, mit etwas, was überflüssig ist, sollte man gar nicht erst beginnen. So ist das. ({8}) Zu dem ersten Punkt Ihres Antrags: Die Bundesregierung hat glaubhaft versichert und deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik Deutschland keine Erkenntnisse über die genannten CIA-Flüge und die dort genannten Gefängnisse hat. ({9}) Sie können vielleicht völkerrechtlich aufklären wollen, was andere Staaten dort getan haben, aber das werden Sie in diesem Ausschuss nicht hinbekommen. ({10}) - Herr Kollege Ströbele, Sie wissen das ganz genau. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass das EU-Parlament mittlerweile auch einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hat. ({11}) - Eben nicht, Herr van Essen. - Wenn man mit den Kollegen dort spricht, dann erfährt man, dass sie mächtig auf der Stelle treten und nicht weiterkommen; denn die Antworten, die man haben müsste, werden von denen, die sie geben könnten - die Amerikaner und niemand sonst -, nicht gegeben. Sie können sie ja vorladen. Bitte schön. Dann werden Sie sehen, zu welchen Ergebnissen Sie kommen. Zu Ihrem zweiten Punkt: Das Kontrollgremium ist zu dem Ergebnis und der festen Überzeug gekommen, dass es keine deutsche Beteiligung an der Entführung des Herrn el-Masri gegeben hat. Er ist auch nicht von deutschem Boden aus entführt worden, wenn er denn überhaupt entführt worden ist. Mittlerweile wissen wir ja nicht einmal mehr das genau. Möglicherweise könnte er selbst mit ganz anderen Intentionen irgendwohin auf dem Weg gewesen sein. ({12}) - Herr Kollege Stadler, dieser Herr el-Masri ist auch nicht irgendwer. ({13}) - Genau die werden Sie in dem Ausschuss nicht beantwortet bekommen, es sei denn, Herr el-Masri sagt einmal, was wirklich Sache gewesen ist. Das mag natürlich sein. ({14}) - Dann tun Sie das. Er war gerade in Brüssel vorgeladen und die Kolleginnen und Kollegen dort waren hinterher sehr frustriert, Herr Kollege Stadler. Genau so war es. ({15}) Der dritte Punkt, der genannt wird, ist die informatorische Anhörung - so möchte ich sie einmal nennen von Herrn Zammar in Syrien. Es war eine informatorische Anhörung einer Person, von der wir damals gewusst haben und auch heute noch wissen, dass sie zum engsten Kreis der islamistischen Szene hier in Deutschland gehört. Sie gehört zum engsten Kreis der Personen in der Hamburger Zelle, die mitverantwortlich für die Ereignisse am 11. September 2001 waren. Diese Person bekennt sich auch dazu. Wenn die deutschen Dienste die Möglichkeit wahrnehmen - berechtigt, wie ich meine -, Informationen zu bekommen, die sie im Interesse der nationalen Sicherheit dringend benötigen, dann habe ich das nicht zu beanstanden. ({16}) - Herr Kollege Ströbele, Sie wissen doch ganz genau, dass der Herr Zammar von deutschen Behörden nicht gefoltert worden ist. ({17}) Sie wissen ganz genau, dass er sehr offen und deutlich gesagt hat, wie er mit denen, die ihn eingesperrt haben, umgegangen ist. Herr Kollege Ströbele, wir alle sind uns einig - das brauchen wir uns gegenseitig nicht mehr zu erzählen -, dass Folter kein Mittel für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren sein kann. ({18}) Seit dem 11. September 2001 habe ich mich in den verschiedenen Tätigkeiten, die ich in diesem Hause wahrgenommen habe, immer wieder gefragt - das war für mich immer das Worst-Case-Szenario -: Was passiert in der Bundesrepublik Deutschland, wenn in Berlin oder in Frankfurt ein Anschlag wie in Madrid oder London stattfindet und dann hinterher von Zeitungen berichtet wird, dass wir hätten vorbeugen können, wenn die entsprechenden Dienste allen Hinweisen nachgegangen wären und alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft worden wären? Der Vorwurf wäre dann, dass die Bomben möglicherweise nicht hochgegangen wären und 100 oder 120 Menschen hätten gerettet werden können, wenn wir das gemacht hätten. Ich garantiere Ihnen, dass wir, wenn das der Fall gewesen wäre, nicht nur einen Untersuchungsausschuss hätten. ({19}) Der vierte und letzte Punkt in dem Antrag, den Sie vorgelegt haben, betrifft die Tätigkeit von zwei BNDMitarbeitern seinerzeit in Bagdad. Das Kontrollgremium und, wie ich glaube, die große Mehrheit dieses Hauses - das habe ich zumindest bisher so von Ihnen gehört - ist der festen Überzeugung, dass es richtig war, zurzeit des Irakkrieges mit zwei Mitarbeitern in Bagdad präsent gewesen zu sein, weil wir - das liegt im nationalen Interesse - nur so unsere eigenen Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen konnten und mussten. Der Hintergrund dafür ist das Szenario im Weltsicherheitsrat und der Auftritt von Colin Powell. Man muss sich wieder ins Gedächtnis rufen, wie dort die Welt ganz bewusst mit Falschinformationen gefüttert worden ist. Gerade wir, die wir uns aus Überzeugung und trotz viel Gegendrucks unter der Führung von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer nicht an diesem Krieg beteiligt haben, wollten und mussten unsere Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen. Ich glaube - das hoffe ich zumindest -, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. ({20}) Nun geht es um Folgendes: Was haben die beiden BND-Mitarbeiter dort gemacht? Wie haben sie ihren Auftrag ausgeführt? Da, Kollege Ströbele, wird es in meinen Augen unappetitlich, um das ganz deutlich zu sagen. Wir kennen uns lange und Sie wissen, ich schätze Sie. Es geht aber nicht an, dass Sie, weil Sie sich mit Ihrem ehemaligen Außenminister nicht anlegen wollen und dürfen, ohne den Verlust der Mehrheit Ihrer Fraktion zu riskieren, die Sie für Ihre Intentionen benötigen, auf einmal beidrehen und nun untersuchen wollen, ob die Beamten, die dort einen gefahrvollen Auftrag ausgeführt haben, vielleicht Mist gebaut und etwas anderes als das gemacht haben, was ihnen die Regierung vorgegeben hat. ({21}) Das ist nicht in Ordnung. Da wird von denjenigen, die nicht das Rückgrat haben, sich in ihrem eigenen Laden durchzusetzen, versucht, die Verantwortung auf die Kleinsten der Kleinen abzuwälzen, Herr Kollege Ströbele. Das war auch Gegenstand der vielen stundenlangen Sitzungen im Kontrollgremium. Wir haben all diese Personen angehört. Wir haben sie alle befragt. Wir haben Bilder und Luftaufnahmen ausgewertet. Es gibt nichts mehr, was dort noch aufzuklären wäre. Wenn Sie etwas Neues finden, dann - das ist eine Wette - geben wir vielleicht einen aus. Zumindest ich bin nach den Erkenntnissen, die wir gewonnen haben, zu der Auffassung gelangt: Mit dem Bericht liegt alles auf dem Tisch. Nach dem, was in dem Bericht steht, ist das Kontrollgremium zu der festen Überzeugung gekommen, dass diese Mitarbeiter keine Informationen oder Mitteilungen weitergegeben haben, die im operativen Geschäft der Amerikaner im Krieg von Bedeutung hätte sein können. ({22}) Solche Mitteilungen gab es nicht, Kollege Ströbele. Sie werden sie auch bei der Vernehmung mithilfe fiktiver Tatsachen, Implementierungen oder Unterstellungen nicht herbeizaubern können. ({23}) Wie vorhin schon von dem Kollegen von der Union geschehen, möchte auch ich für meine Fraktion von dieser Stelle aus den beiden BND-Mitarbeitern, die vor Ort in einer sehr gefahrvollen Mission jeden Tag ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, für ihren Einsatz ausdrücklich danken. Dieser Einsatz, den sie dort geleistet haben, rechtfertigt nicht, sie hinterher möglicherweise einem Verdacht auszusetzen. ({24}) Herr Kollege Stadler, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie im Bericht des Kontrollgremiums die Überzeugung zum Ausdruck gebracht haben, die ich eben dargestellt habe. Denn ich meine, es wäre nicht anständig, das auf diese Ebene zu verlagern. ({25}) Von daher stellt sich die Frage, was der Untersuchungsausschuss im Ergebnis bewirken soll. Ich habe bereits auf das Minderheitenrecht zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses hingewiesen, das wir geschaffen haben. ({26}) Warum legt sich der Deutsche Bundestag ein parlamentarisches Kontrollgremium zu, in das er mit Kanzlermehrheit neun Abgeordnete wählt, um dann alles, was dieses Gremium untersucht und aufgeklärt hat, für nicht ausreichend zu erklären und das Kampfinstrument eines Untersuchungsausschusses zu fordern? ({27}) Der Sinn dieses Vorgehens erschließt sich mir nicht; es sei denn, es erscheint dem politischen Tagesgeschäft dienlich. Ich halte aber das Thema, um das es heute geht, für zu sensibel, um einem solchen Zweck zu dienen. ({28}) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Eine bekannte deutsche Monatszeitschrift hat vor einigen WoJoachim Stünker chen zu dem Thema getitelt: „Wie im BND-Skandal Spekulationen und Meinungen zu Fakten wurden. Wie mit Durchstechereien in den USA deutsche Medien geleimt wurden. Und warum der BND-Skandal in Wahrheit ein Medienskandal ist“. ({29}) Ich hoffe, das Ganze wird im Ergebnis nicht zu einem weiteren Skandal. Von daher kann ich nur feststellen: Die Mitglieder im Untersuchungsausschuss tragen - gerade im Jahr der Fußballweltmeisterschaft - eine große Verantwortung. Ich bin sicher, dass die Mehrheit diese Verantwortung richtig wahrzunehmen weiß. Schönen Dank. ({30})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ebenfalls sehr dafür, gerade in Sicherheitsfragen sehr verantwortungsvoll mit dem Instrument des Untersuchungsausschusses umzugehen. Deswegen werden wir unterstützen, dass zügig gearbeitet und die noch offenen Fragen schnell geklärt werden. Aber es sind Fragen offen geblieben, von denen ich meine, dass sie dringend der Klärung bedürfen. Es muss zum Beispiel - Sie haben den Fragekomplex angesprochen - geklärt werden, warum bei dem BND-Einsatz in Bagdad - der grundsätzlich nicht zu kritisieren ist nicht allen an dem Vorgang Beteiligten die Weisungslage bekannt gewesen ist. Das interessiert mich und das führt auch zur Beantwortung der Frage, wie wir unsere Geheimdienstarbeit so organisieren können, dass sich die Geheimdienste nicht weg von der politischen Weisungslage verselbstständigen. Das ist schließlich nicht der erste Skandal, den wir beim BND zu beklagen haben. ({0}) Ein weiterer Fall ärgert mich, weil er sich von der alten bis zur neuen Bundesregierung erstreckt, und zwar die CIA-Flüge und die Verschleppung von Gefangenen durch die Amerikaner. Warum arbeitet trotz entsprechender gesetzlicher Grundlage das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht im Sinne seines Auftrags und untersucht, was fremde Geheimdienste auf deutschem Boden machen? Warum wissen wir darüber nichts? ({1}) Entweder ist der Dienst sein Geld nicht wert oder es läuft etwas grundsätzlich schief. Ich verstehe auch nicht, dass wir, nachdem das bekannt geworden ist, bis zum heutigen Tage im Flugverkehrsrecht nicht mit den Amerikanern geklärt haben, wie diese uns gegenüber mit der merkwürdigen Rechtskonstruktion der ungesetzlichen Kämpfer umgehen. Die Amerikaner sagen: Es gibt neben Kriegsgefangenen, Tatverdächtigen und Straftätern eine weitere Kategorie Menschen, die völlig rechtlos sind. Wir hingegen sagen: Im deutschen Luftraum und auf deutschem Territorium gelten internationales Menschenrecht und unsere Verfassung. Wer hier Einrichtungen und den Luftraum nutzen will, der muss sich an diese rechtliche Lage halten. Ansonsten verletzt er unsere Souveränität. Ich verstehe nicht, warum sich die Bundesrepublik Deutschland eine systematische Verletzung ihrer Souveränität gefallen lässt. ({2}) Wenn die Amerikaner nicht bereit sind, hier mit uns zu einer gemeinsamen Rechtsauffassung zu kommen, dann muss gelten: Nutzung des deutschen Luftraums nur nach Kontrolle der Maschinen, die hier landen und starten. Ansonsten geht es nicht. Wir müssen unsere Rechtsordnung auch gegenüber den Amerikanern auf unserem Staatsgebiet durchsetzen. ({3}) - Das weiß Herr Fischer. Aber Herr Fischer kann das nicht mehr exekutieren. ({4}) Sie wissen genau, dass die Praxis der CIA-Flüge nicht vor, sondern nach der Bundestagswahl bekannt geworden ist. Herr Stünker, ich gebe Ihnen Recht: In anderen Komplexen ist der Untersuchungsauftrag ein bisschen bepackt worden. Das ist nun einmal ein Kompromiss. Bestimmte Fragen halte ich ebenfalls für weitgehend aufgeklärt. Aber in diesem Parlament gibt es noch zwei Fraktionen von Wiederkäuern, ({5}) die darauf bestanden haben, dass bestimmte Dinge ergänzt werden. Ansonsten wäre der Untersuchungsauftrag nicht zustande gekommen. Im Untersuchungsausschuss kann man noch darüber reden, welche Prioritäten gesetzt werden sollen. ({6}) - Herr Präsident, wenn ich wieder das Wort erhalten könnte. ({7}) Zu dem gesamten Komplex der Vernehmung von Gefangenen durch deutsche Beamte im Ausland ist meines Erachtens eigentlich alles gesagt; hier ist alles geklärt. Nun müssen Konsequenzen gezogen werden. ({8}) Volker Beck ({9}) Es darf nicht sein, dass von deutschen Beamten augenzwinkernd die Früchte der Folter im Ausland geerntet werden. Hier brauchen wir eine klare rechtsstaatliche rote Linie. ({10}) Da es diese gegenwärtig nicht gibt, will ich nicht, dass lange untersucht wird, sondern ich will, dass gehandelt wird. ({11}) Wir werden nun im Geschäftsordnungsausschuss über den Auftrag reden. Wenn die Koalition vernünftige Vorschläge macht und es sich um verfassungsrechtliche Argumente handelt, kann sie mit uns reden. Ich finde, der Hinweis auf Art. 45 a des Grundgesetzes ist nicht abwegig, wenn es um das militärische Nachrichtenwesen geht. Man kann das durchaus unter den Begriff der Verteidigung fassen. Danach wäre das nicht durch einen Untersuchungsausschuss, sondern durch den Verteidigungsausschuss zu untersuchen. Das heißt nicht, dass nicht aufgeklärt werden darf. Aber die Frage ist, wo. Darüber können Sie mit uns sprechen. Es war ein besonderer Wunsch der FDP-Fraktion, das in den Auftrag aufzunehmen. Wir haben daran unsere Zweifel. Wenn wir zu einem anderen Ergebnis kommen, werden wir nicht in Tränen ausbrechen. Eines ist allerdings klar: Wir werden nicht zulassen, dass die Mehrheit in irgendeinem Punkt Dinge unter den Tisch kehrt, unter der Decke hält und die Aufklärung behindert. Dann werden Sie mit unserem entschiedenen Widerstand rechnen müssen. Wir wollen alles aufklären; denn wir wissen, dass wir nichts zu verbergen haben. Sie behaupten ständig, wir scheuten eine Aufklärung hinsichtlich der Position des Bundesaußenministers. Dazu kann ich nur sagen: Sie täuschen sich gewaltig. Was in dem Einsetzungsantrag zur Verantwortung steht, stammt aus der Feder meiner Fraktion. Man muss aber feststellen, ob etwas schief gelaufen ist, bevor man fragt, wer verantwortlich ist. Sie wollen jedoch die Debatte mit Vorverurteilungen bestreiten. Ich warte auf den Tag, an dem Sie erklären: Die Amerikaner waren gar nicht im Irak; das waren in Wirklichkeit deutsche Soldaten in amerikanischen Uniformen. - Das hieße es, wenn man das, was Sie bislang vorgetragen haben, zu Ende denkt. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Stephan Mayer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Recht nach Art. 44 des Grundgesetzes, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, ist mit das elementarste und das vornehmste Recht des Deutschen Bundestages. Eben weil es ein so wertvolles Gut ist, Regierungs- und Behördenhandeln in der parlamentarischen Demokratie mit weit reichenden rechtlichen, vor allem strafprozessrechtlichen Befugnissen zu überprüfen, sind wir gut beraten, klug und umsichtig von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Entscheidend muss sein, ob zu erwarten ist, dass durch den Untersuchungsausschuss neue Erkenntnisse und Fakten zutage gefördert werden. Im konkreten Fall ist dies meines Erachtens nicht zu erwarten. Es gäbe vieles dazu zu sagen, wie lange die drei Oppositionsfraktionen gebraucht haben, sich darauf zu verständigen, ob sie einen Untersuchungsausschuss einrichten und vor allem, mit welchen konkreten Fragen sich dieser beschäftigen soll. ({0}) Tatsache ist: Es war eine lange und schwere Geburt; doch nicht alles, was lange währt, wird automatisch gut. Die letzten Wochen und Monate erinnerten mich ein wenig an das Gänseblümchenspiel „Ich will den Untersuchungsausschuss - ich will den Untersuchungsausschuss nicht - ich will den Untersuchungsausschuss …“: ({1}) Zuerst wollten die einen, dann zögerten die anderen. Wollten wiederum die anderen, hatten die einen große Vorbehalte. Es wird spannend und interessant sein, zu beobachten, wie lange diese neu ausgebrochene große Harmonie zwischen den drei Oppositionsfraktionen im Untersuchungsausschuss tatsächlich anhält. ({2}) Nach der heutigen Debatte haben wir in dieser Hinsicht einiges zu erwarten. Es wird vor allem interessant sein, wenn es ans Eingemachte geht: wenn der Frage nachzugehen ist, inwiefern sich die rot-grüne Bundesregierung Verschulden, Mitwissen oder Untätigkeit vorwerfen lassen muss. An dieser Stelle muss eines festgehalten werden: Das Parlamentarische Kontrollgremium hat sich in insgesamt 10 Sitzungen über 45 Stunden lang ausführlich und intensiv mit den aufgeworfenen Fragen und Vorwürfen auseinander gesetzt. Dies wird von keiner Seite ernsthaft bestritten, nicht einmal von Ihnen, Herr Kollege Ströbele, der Sie in Ihrem Sondervotum zum Bericht des Kontrollgremiums ausdrücklich feststellten, dass Sie den Zeit- und Arbeitsaufwand des Parlamentarischen Kontrollgremiums in diesem Fall als - so wörtlich - „außergewöhnlich“ empfanden. ({3}) Auch in einem am 23. Februar 2006 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erschienenen Artikel haben Sie ausgeführt, dass fast alle Fragen beantwortet seien. Das Parlamentarische Kontrollgremium war und wäre nach wie vor der richtige Ort, um bei den teilweise sehr schwer wiegenden Vorwürfen die mit Sicherheit notwenStephan Mayer ({4}) dige lückenlose Aufklärung, Information und Untersuchung zu betreiben. Dieser Aufgabe ist das Gremium nachgegangen und es ist ihr meines Erachtens auch gerecht geworden. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die beiden BND-Mitarbeiter, die sich während des Irakkriegs in Bagdad aufhielten, den klaren und eindeutigen Auftrag bzw. die Weisung hatten - was übrigens vom Abgeordneten Ströbele ausdrücklich bestätigt wird -, keinerlei Unterstützung für operative Kampfhandlungen der US-Streitkräfte oder deren Verbündeter zu leisten, und dass sie sich insbesondere nicht - das ist meines Erachtens der schwerwiegendste Vorwurf - an der Bombardierung eines Restaurants im Bagdader Stadtteil Mansur am 7. April 2003 beteiligt haben. Abgesehen davon bleibt festzuhalten: Es war vor allem im Eigeninteresse der Bundesrepublik Deutschland, dass wir während des Irakkriegs mit zwei Kräften in Bagdad präsent waren. An dieser Stelle steht es uns gut an, nicht nur denjenigen, die während des Irakkriegs als BND-Mitarbeiter in Bagdad waren, sondern allen, die für die Bundesrepublik Deutschland in gefährliche Einsätze gehen, dafür zu danken, dass sie dadurch letztlich die Sicherheit von uns allen hier in Deutschland stärken. ({5}) Es liegt im Interesse von uns allen, dass der BND nicht ständig und unablässig Gegenstand öffentlicher Debatten und Diskussionen ist. Gerade angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Diskussionen und der immanenten Bedrohung durch den internationalen - insbesondere islamistischen - Terrorismus brauchen wir einen starken Bundesnachrichtendienst, der in der notwendigen Ruhe und Sachlichkeit, aber auch mit der erforderlichen politischen Rückendeckung seiner Arbeit nachgehen kann. Ich wage zu bezweifeln, ob es gut ist, wenn sich der BND gerade in diesem Jahr, in dem wir Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft sind und in dem mit Papst Benedikt XVI. ein sehr wichtiger Besucher nach Bayern kommt, ({6}) dieser Angriffe und Untersuchungen ausgesetzt sieht. Ich erhoffe mir für die Arbeit des Untersuchungsausschusses, dass wir in Sachlichkeit, in Nüchternheit und ohne Aufgeregtheit den uns gestellten Fragen nachgehen. Ich glaube, wenn wir dies alles auch noch zügig und schnell über die Bühne bringen, dann gereicht dies letztlich niemandem zum Schaden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/990 an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. April 2006, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein heiteres Wochenende.