Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns weiterhin gute Beratungen.
Es fängt mit erfreulichen Mitteilungen an: Der Kollege Hubert Deittert feierte am 21. März seinen
65. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich nachträglich herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Wir haben den Schwerpunkt der heutigen Debatte an der
Zahl 65 orientiert; insofern ist sichergestellt, dass wir
uns in der Nähe dieses Ereignisses aufhalten.
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der frühere
Abgeordnete Horst Schmidbauer aus dem Stiftungsrat
der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte
HIV-infizierte Personen“ ausgeschieden ist. Als Nachfolger wird der Kollege Christian Kleiminger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Kleiminger in
den Stiftungsrat gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um einige Überweisungen im vereinfachten Verfahren zu erweitern. Die Vorlagen sind in der
Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD,
der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN
Belarus nach den Präsidentschaftswahlen
- Drucksache 16/1077 ({1})
ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das
Unternehmensregister ({2})
- Drucksache 16/960 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
Nr. 146 der Internationalen Arbeitsorganisation vom
29. Oktober 1976 über den bezahlten Jahresurlaub
der Seeleute
- Drucksache 16/1001 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
Nr. 166 der Internationalen Arbeitsorganisation vom
9. Oktober 1987 über die Heimschaffung der Seeleute
({5})
- Drucksache 16/1002 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl
und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ({7})
- Drucksache 16/1024 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({8})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
e) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an
der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan
({9}) auf Grundlage der Resolution 1663 ({10})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
24. März 2006
- Drucksache 16/1052 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({11})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden. Ich vermute, dass
Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden
sind. - Dann ist das so beschlossen.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2006
({12})
- Drucksache 16/750 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009
- Drucksache 16/751 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir für die heutige Aussprache insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen haben
- erfahrungsgemäß wird das eher etwas länger als kürzer -, damit jeder disponieren kann.
Wir beginnen die Haushaltsberatungen mit dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales, Einzelplan 11. Das Wort hat der Bundesminister Franz Müntefering.
({13})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie auch meinerseits ganz herzlich.
Wir haben, was die Konjunkturzahlen angeht, in den
letzten Tagen und Wochen gute Nachrichten bekommen:
Einzelhandelsumsatz plus 1,8 Prozent, Auftragseingang
der Industrie plus 10,6 Prozent, Auslandsaufträge plus
15,9 Prozent, Inlandsaufträge plus 5,3 Prozent, Produktion im verarbeitenden Gewerbe plus 4,7 Prozent, Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe plus 7,3 Prozent,
Ifo-Geschäftsklimaindex von 103,3 im Februar auf
105,4 im März. Das sind nüchterne Zahlen, aber sie zeigen eine gute Tendenz auf. Wir haben allen Grund, in der
Koalition daraus etwas zu machen.
({0})
Dieses Jahr 2006 soll ein Jahr sein, in dem sich die Konjunktur in Bewegung setzt, ein Jahr, in dem dieses Land
Zuversicht gewinnt und wieder besser lernt, seine Chancen zu nutzen und daraus auch für den Arbeitsmarkt etwas Gutes zu machen.
({1})
Die Arbeitsmarktzahlen, die die Bundesagentur
heute bekannt geben wird - es ist nicht meine Aufgabe,
sie hier schon zu kommentieren -, sind noch nicht so
gut, wie wir sie uns eigentlich wünschen. Die Zahl der
Arbeitslosen wird unter 5 Millionen liegen. Es gibt also
deutlich weniger Arbeitslose als im letzten Jahr, auch
wenn es nicht befriedigend ist. Die Zahl der Arbeitslosen
in Deutschland ist zu hoch und das bleibt die große Herausforderung für die Politik, aber auch für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt. Wir wollen und
wir müssen dafür sorgen, dass mehr Menschen in
Deutschland Arbeit haben, dass sie Beschäftigung haben, dass sie aus der Arbeitslosigkeit herauskommen.
({2})
Dazu wird unser 25-Milliarden-Euro-Programm für
diese Legislaturperiode beitragen. Ich will noch einmal
deutlich machen, dass durch diese 25 Milliarden Euro,
die der Bund gibt, Investitionen von etwa 100 Milliarden
Euro in Bewegung gesetzt werden.
({3})
Der Einzelne bekommt beispielsweise von 3 000 Euro
an Arbeitskosten, die er für Reparaturen an seinem Haus,
an seiner Wohnung, an seinem Grundstück zu bezahlen
hat, 600 Euro über das Finanzamt wieder.
({4})
Das heißt, mit dem, was wir anschieben, werden wir
hohe Investitionen in Bewegung setzen.
({5})
Diejenigen, die gleichzeitig noch etwas für die energetische Gebäudesanierung machen, können das additiv absetzen. Das heißt, es können auch 1 200 Euro im
Jahr sein. Es liegt an uns allen, diese Programme in der
Öffentlichkeit bekannt zu machen, dafür zu werben und
den Menschen zu zeigen, wie sie diese nutzen können.
({6})
Wir müssen und wollen natürlich besser werden, was
die Vermittlung der Arbeitslosen durch die Bundesagentur für Arbeit, die Argen oder die optierenden Gemeinden angeht. Die Bundesagentur wird in diesem Jahr ohne
Bundeszuschuss auskommen. Das ist gut. Den Argen
und den optierenden Gemeinden stehen insgesamt
10 Milliarden Euro zur Verfügung: 3,5 Milliarden Euro
für die Verwaltung und 6,5 Milliarden Euro für die Eingliederung. Das ist eine Summe, mit der man eine ganze
Menge erreichen kann. Im Gegensatz zu allem, was in
Deutschland so üblich geworden ist, will ich die Gelegenheit heute Morgen nutzen, den Männern und Frauen
zu danken, die bei der Bundesagentur, in den Argen und
in den optierenden Gemeinden ihre Arbeit tun.
({7})
Es klappt nicht alles,
({8})
aber dort ist eine Menge Engagement vorhanden. Wir
sollten die unterstützen, die gut sind, die sich anstrengen
und die die Dinge im Rahmen dessen, was möglich ist,
in Bewegung setzen.
({9})
Sie tragen im Übrigen auch dazu bei, dass die Zahl
derer, die sich inzwischen als Saisonarbeiter gemeldet
haben, über 20 000 hinausgeht. Das ist, so finde ich, ein
gutes Zeichen. Wir haben lange darüber gestritten, wie
viele von den 330 000 erforderlichen Saisonarbeitern für
die Ernte - so viele gab es im letzten Jahr - vom deutschen Arbeitsmarkt geholt werden können. Wir haben
gesagt, es könnten 10 Prozent sein, also 30 000 bis
33 000. Inzwischen sind es 20 000; die Tendenz ist steigend. Da ist vielleicht ein kleines Stückchen Hoffnung,
dass das, was wir versuchen, erreicht wird, nämlich dass
10 Prozent dieser Saisonarbeiter auf dem deutschen Arbeitsmarkt rekrutiert werden. Das ist meine Erwartung
und das muss möglich sein.
({10})
Angesichts von 4,9 Millionen Arbeitslosen müssen
30 000 vom deutschen Arbeitsmarkt für solche Arbeiten
zur Verfügung stehen.
({11})
Der Haushalt, über den wir sprechen, umfasst
119,5 Milliarden Euro. Davon entfallen 38,5 Milliarden
Euro auf den Bereich Grundsicherung, Arbeitslosengeld II. Wir werden noch in diesem Jahr darüber zu
sprechen haben, was wir an welcher Stelle noch präziser
einsetzen können und ob wir möglicherweise an der einen oder anderen Stelle sparen können.
In dem Haushalt sind aber auch zwei kleinere Posten,
die ich stellvertretend nennen will, weil sie eine Linie
der Politik der großen Koalition deutlich machen.
267 Millionen Euro werden speziell für die Eingliederung Älterer - 50 plus - ausgegeben. Es muss eine der
großen Aufgaben der großen Koalition sein, die Mentalität zu brechen, dass Leute im Alter von 50 oder 55 zum
alten Eisen gezählt werden. Sie sind wichtig, sie können
etwas und sie werden auch in Zukunft in dieser Gesellschaft gebraucht.
({12})
68 Millionen Euro setzen wir für das Programm EQJ
ein. Das ist ein Kürzel, das man sich merken sollte. Es
geht um die Einstiegsqualifizierung für junge Menschen. Das sind solche, die ohne Schulabschluss in das
Alter der Ausbildung kommen und mit diesen Maßnahmen ausbildungsfähig gemacht werden. Die Maßnahmen sind erfolgreich. Im letzten Jahr sind 61 Prozent
dieser jungen Menschen anschließend in eine Ausbildung gekommen. Das ist eine gute Zahl, ein gutes Ergebnis. Dieses Programm wollen wir auf jeden Fall weiterführen.
({13})
Wir werden, wie versprochen, zum 1. Juli die Existenzgründung aus der Arbeitslosigkeit heraus neu ordnen. Aus dem Überbrückungsgeld und der Ich-AG werden wir ein neues, effizientes Konzept machen. Wenn
man sich die Ich-AG anschaut, dann sieht man, dass
ganz besonders viele Frauen in diesem Bereich eine
Existenz gegründet haben. Die Zahl der Frauen unter
den Selbstständigen hat sich in den letzten vier Jahren
von 27,9 auf fast 30 Prozent erhöht. Diese Zahl bietet die
Gelegenheit, auf die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt zu schauen. Die Erwerbsquote ist inzwischen bei
59,2 Prozent angekommen. Auf europäischer Ebene haben wir vereinbart, bis zum Jahr 2010 die Quote auf
60 Prozent zu steigern. Wir könnten das schaffen.
({14})
- Ja, es gibt noch viele „Aber“ dabei. Deswegen spreche
ich das an; denn wir wollen nicht nur über das sprechen,
was schon erreicht worden ist.
Wenn man sich die Löhne der Frauen für vergleichbare Arbeit anschaut, dann erkennt man, dass sie in Ostdeutschland bei 92 Prozent und in Westdeutschland bei
76 Prozent liegen. Es gibt also immer noch ein großes
Gefälle. Dass es dieses Gefälle gibt, liegt ganz sicher
nicht an fehlender Intelligenz oder an fehlenden Fähigkeiten.
({15})
Wenn man sich das Ganze ein wenig genauer anschaut, dann stößt man noch auf Folgendes: 3,4 Prozent
der Jungen, aber nur 2,5 Prozent der Mädchen müssen
eine Schulklasse wiederholen. 22 Prozent der Jungen,
aber 30 Prozent der Mädchen machen Abitur oder erwerben die Fachhochschulreife. 10 Prozent der deutschen Jungen und 23 Prozent der Jungen mit Migrationshintergrund haben keinen Schulabschluss. Im Vergleich
dazu die Mädchen: 6 Prozent der deutschen Mädchen
und 15 Prozent der Mädchen mit Migrationshintergrund
haben keinen Schulabschluss. Das heißt, es gibt viel ungenutzte Kreativität und Intelligenz. Diese müssen wir
mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes dringend nutzen.
({16})
Die europäische Dienstleistungsrichtlinie ist auf einem guten Weg. Ich hoffe, dass sich die Vorschläge der
EU-Kommission an dem orientieren, was das Europäi2322
sche Parlament beschlossen hat. Diese Hoffnung teilt die
ganze Bundesregierung. Unser Land wird allerdings dafür zu sorgen haben, dass es sich mit den entsprechenden
Maßnahmen rechtzeitig gegen Lohndumping absichert,
wenn die europäische Dienstleistungsrichtlinie in einigen Jahren in Kraft tritt.
Die europäische Dienstleistungsrichtlinie bestimmt
nicht die Höhe der Löhne. Unsere Aufgabe wird es sein,
Instrumente zu finden, die Lohndumping verhindern,
zum Beispiel Kombilohn, Mindestlohn, Entsendegesetz.
({17})
Ich empfehle sehr, dass wir uns angewöhnen, erst über
die Ziele, um die es geht, und dann über die Instrumente
zur Zielerreichung zu sprechen. Instrumente darf man
nicht ideologisieren. Die entscheidende Frage lautet:
Wie können wir dafür sorgen, dass gering Qualifizierte
in diesem Land ihre Arbeit behalten, dass ihre Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlagert werden und dass sie
hinreichend hohe Löhne bekommen? Ich wiederhole:
Wir müssen entsprechende Instrumente finden. Wir wollen über diesen Komplex im Verlauf dieses Jahres, im
Herbst, auf jeden Fall noch intensiver sprechen und dann
dafür sorgen, dass Brandmauern gegen Lohndumping
von außen entstehen.
({18})
Im Bundeshaushalt sind 77,7 Milliarden Euro für den
Bereich Rente vorgesehen. Dabei geht es nicht nur um
originäre Rentenzahlungen. Zum Teil geht es dabei um
Maßnahmen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rentenbereich stehen. Es sind also versicherungsfremde Leistungen. Die Menschen erwarten,
dass sie ihr Geld bekommen. Es macht also keinen Unterschied, ob man diese oder jene Bezeichnung wählt: Es
sind 77,7 Milliarden Euro.
Ohne diese Mittel lägen die Rentenversicherungsbeiträge nicht bei 19,5 Prozent, sondern bei 27 Prozent oder
wären die Renten um über 25 Prozent niedriger. Das alles wollen wir aber nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, in welch hohem Maße Renten steuerfinanziert sind.
Ich glaube, unsere Regelung ist vernünftig. Deshalb sage
ich ausdrücklich: Wir bekennen uns dazu, dass ein großer Teil dessen, was wir im Rentenbereich leisten, steuerfinanziert ist.
({19})
Diese Regelung hat allerdings auch ihre Grenzen.
Dass wir die Renten zum 1. Juli nicht erhöhen können,
war klar.
({20})
Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, durch den
eine Rentenabsenkung verhindert werden soll. Das war
eine sinnvolle Maßnahme. Die mir mittlerweile bekannten Zahlen besagen: Die Löhne im Westen der Republik
sind um 0,2 Prozentpunkte gestiegen und im Osten der
Republik um 0,4 Prozentpunkte gesunken. Wenn man
den Riester-Faktor und den Nachhaltigkeitsfaktor hinzugenommen hätte, dann wären die Renten rechnerisch um
etwa 1 Prozentpunkt oder sogar mehr gesunken.
Es gibt eine Schutzklausel, die besagt: Die Rente in
Ostdeutschland darf sich nicht schlechter als die in Westdeutschland entwickeln. Die Konsequenz aus alldem ist,
dass die Renten nicht erhöht werden. Dass wir das per
Gesetz geregelt haben, hat einen großen Vorteil - wir
hätten sonst eine Verordnung erlassen müssen -: Dadurch wird verhindert, dass die Deutsche Rentenversicherung rund 20 Millionen Mitteilungen verschicken
muss. Das war nicht nur ein sinnvoller Schritt hinsichtlich der Beteiligung des Parlaments, sondern auch ein
Beitrag zur Entbürokratisierung. Ich glaube, dass wir mit
dem Gesetz, das wir vorbereitet haben, gut liegen.
({21})
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu der zusätzlichen Versicherung, „Riesterrente“ genannt, sagen.
Wir werden dazu in diesem Jahr noch die Initiative ergreifen, so wie das im Koalitionsvertrag auch steht. Wir
wollen sie noch populärer und interessanter machen, indem wir den Kinderzuschlag erhöhen. Das soll im Jahr
2008 umgesetzt werden, aber das Konzept muss klar
sein.
Wir müssen neben die gesetzliche Rente die betriebliche Rente und die Riesterrente setzen. Bei der betrieblichen Rentenversicherung sind inzwischen 15,7 Millionen Menschen dabei. Bei der Riesterrente sind
inzwischen 5,6 Millionen Menschen dabei. Wir sollten
die Riesterrente für Familien mit Kindern noch interessanter machen, für sie noch eine Verbesserung herbeiführen, indem wir ihnen einen höheren Zuschlag geben,
wenn sie bereit sind, an dieser Stelle vorzusparen.
({22})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Claus?
Ja, bitte schön.
Herr Bundesminister, in verschiedenen Berliner Medien wurde berichtet, dass Sie als Bundesregierung ein
Hartz-IV-Optimierungsgesetz geplant hätten. Können
Sie uns mitteilen, wann Sie dieses Gesetz einbringen
wollen, sofern es von Ihnen denn überhaupt geplant ist,
und können Sie hier ausschließen, dass mit diesem Gesetz Kürzungen beim ALG-II-Bezug vorgesehen sind?
Es ist nicht neu, dass wir ein SGB-II-Optimierungsgesetz machen. Das ist richtig. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Das ist vorbereitet. Wir haben ein SGB-IIÄnderungsgesetz gemacht - ich nehme an, Sie haben das
mitbekommen -; darin haben wir Regelungen zu den bis
zu 25-Jährigen getroffen. Jetzt reden wir im Zusammenhang mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz über die
Frage, ob man im Bereich der Bedarfsgemeinschaften
Präzisierungen haben muss und was sonst noch nötig ist,
um in diesem Bereich zu sparsamem Verhalten zu kommen.
({0})
- Warten Sie!
Wir hatten im letzten Jahr im Haushalt 14,6 Milliarden Euro für Arbeitslosengeld II vorgesehen.
({1})
Es sind aber tatsächlich ungefähr 25 Milliarden Euro geworden.
({2})
Die Gemeinden haben uns im vergangenen Jahr
95 Prozent der Sozialhilfeempfänger in den Bereich des
Arbeitslosengeldes II gegeben. Das ist nicht zu kritisieren; ich stelle es nur fest. Im letzten Jahr haben wir also
etwa 25 Milliarden Euro an Arbeitslosengeld II gezahlt.
Zwischen Januar und September/Oktober ist die Zahl
der Bedarfsgemeinschaften um etwa 16 Prozent gestiegen. Noch immer steigt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die an dieser Stelle Geld bekommen. Nun
müssen wir als Gesetzgeber schauen: Wird das Gesetz so
genutzt, wie es gemeint war, oder entwickelt sich da etwas, was wir so nicht wollen können?
Ich will Ihnen sagen, dass das, was dazu aus Ihrem
Bereich kommt - ich will Sie nicht persönlich dafür in
Anspruch nehmen -, nämlich die Unterstellung, die ich
in diesen Tagen an verschiedenen Stellen lesen musste,
wir versuchten, das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung, auf 225 Euro oder eine vergleichbare Zahl zu
senken, falsch ist. Ich sage es Ihnen nur; Ihre Frage ist
eine gute Gelegenheit dafür, das klarzustellen. Ich bitte
Sie ganz dringend, dies zu unterlassen und nicht dazu
beizutragen, dass da Verunsicherung entsteht.
({3})
Niemand will das Arbeitslosengeld II streichen oder
kürzen; aber es muss damit ein vernünftiger Umgang
praktiziert werden. Einer muss es ja bezahlen; die Steuerzahler sind dran. Was ich in den letzten Tagen und Wochen dazu gehört habe, sagt mir: Wir müssen noch einmal ehrlich darüber sprechen, welche Zielrichtung das
Arbeitslosengeld II hat. Es ist eine Grundsicherung und
es darf nicht über das hinaus gebraucht werden, was wir
eigentlich vorgesehen haben.
Also, das Optimierungsgesetz - das war Ihre Frage wird kommen. Sie sind herzlich eingeladen, dabei mitzuwirken.
({4})
Wenn wir über die Riesterrente und über deren Entwicklung sprechen, werden wir auch darüber sprechen,
wie wir stärker als bisher Wohneigentum einbeziehen
können.
({5})
Ob sich das nun auf Wohneigentum unmittelbar oder
auch auf Dauerwohnrecht beziehen wird, wird zu klären
sein. Es ist ganz zweifellos so: Wohnmöglichkeiten,
Wohnrecht im Alter zu günstigen Bedingungen zu haben, kann ein wichtiger Faktor für das Gefühl der Menschen sein,
({6})
zum Alter hin Sicherheit zu haben. Wir werden ganz sicher einen Weg finden, um da zu einer vernünftigen Regelung zu kommen.
({7})
Herr Minister, würden Sie noch eine weitere Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Seifert, zulassen?
Ja, bitte schön.
Bitte schön, Herr Kollege Seifert.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank auch Ihnen, Herr Minister, dafür, dass Sie das gestatten.
Erlauben Sie mir bitte eine Frage zu einem Punkt, den
Sie bisher nicht angesprochen haben. Da Sie sagten, dass
Sie zum Schluss Ihrer Rede kommen, möchte ich, weil
das in Ihrem Haushalt bis jetzt nirgends zu finden ist,
gern Folgendes fragen:
Nächstes Jahr ist das Jahr der Chancengleichheit. In
Ihrem Ressort muss dafür ja etwas gemacht werden.
Was, bitte, haben Sie vorgesehen, damit dieses Jahr, in
das auch die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands fällt,
für Menschen, die auf Chancengleichheit angewiesen
sind und für die das Jahr wichtig ist, einen Impuls gibt,
der auch über dieses Jahr hinausreicht? Ihr Staatssekretär
konnte mir auf diese Frage vor einem Monat leider noch
keine vernünftige Antwort geben, weil Ihr Haus damals
noch nicht so weit war. Sind Sie da inzwischen etwas
weiter? Was planen Sie in diesem Jahr an Mitteln in den
Haushalt einzustellen, damit das Jahr der Chancengleichheit vorbereitet werden kann, und was planen Sie
für nächstes Jahr, damit wirklich vernünftige Impulse
gegeben werden können?
Vielen Dank, Herr Kollege. Das ist ein richtiger Hinweis. Das nächste Jahr wird das Jahr der Chancengleichheit sein. Wir werden in der Europäischen Union die
Ratspräsidentschaft haben. Das Thema wird natürlich
von der Bundesregierung und der Koalition aufgenommen werden. Jetzt ist, glaube ich, nicht der richtige Zeitpunkt, darüber in aller Breite Ausführungen zu machen.
Ich bin aber gern bereit, das im zuständigen Ausschuss
in absehbarer Zeit ausführlich zu tun. Wir wollen dafür
sorgen, dass im nächsten Jahr unter dem Gesichtspunkt
der Chancengleichheit insbesondere Diskriminierung
verhindert wird, dass die Interessenlage der Menschen
mit Behinderungen in besonderer Weise Berücksichtigung findet. Sie können sicher sein, dass wir diese Aufgabe nicht vergessen, auch wenn heute Morgen nicht die
Zeit ist, über alles im Einzelnen zu sprechen. Aber ich
glaube, dass das, was wir für Menschen mit Behinderungen in den vergangenen Jahren getan haben, gut und
überzeugend war. Diese Arbeit wollen wir auch fortsetzen. Sie ist nötig und wichtig. Ich bin gern bereit, bei anderer Gelegenheit ausführlicher über diese Zusammenhänge zu sprechen. Das Thema ist bei uns jedenfalls
gesetzt. Wir sind uns bewusst, dass das im nächsten Jahr
eine große Rolle spielen wird.
({0})
- Ich habe zur Opposition noch nichts gesagt. Was soll
man dazu auch sagen?
({1})
Aber das kommt mir gerade recht. Denn dann will ich
folgendermaßen abschließen, wenn ich so weit überziehen darf. Gestern hat der Herr Westerwelle ja hier gestanden und sich darüber mokiert, dass ich früher etwas
anderes gesagt hätte als heute, dass ich meine Meinung
geändert hätte. Er hat dazu aus den vergangenen Jahren
zitiert. Ich will Ihnen ausdrücklich sagen: Das ist wahr.
Ich empfehle Herrn Westerwelle, noch einmal die Geschichten von Herrn Keuner nachzulesen. Dort heißt es:
Als Herr Keuner nach vielen Jahren einen alten Bekannten wieder traf, begrüßte dieser ihn und sagte: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ Dazu heißt es bei Brecht:
„Und K. erbleichte.“
({2})
Ganz im Ernst: Wer nicht den Mut hat, in veränderten
politischen Situationen neu nachzudenken, an den Zielen
festzuhalten, aber die Instrumente so zu wählen, dass
man damit Gescheites machen kann, der ist für die Politik nicht geeignet. Schönen Gruß an Herrn Westerwelle:
Westerwelle bleibt Westerwelle. Er hat sich nicht verändert.
Vielen Dank.
({3})
Ich will, Herr Minister, der Vollständigkeit halber hinzufügen, dass der von Ihnen zitierte Autor Bert Brecht
weder Mitglied der FDP-Fraktion noch Mitglied der
SPD-Fraktion war.
({0})
Jedenfalls setzen wir nun die Debatte fort. Das Wort
erhält die Kollegin Frau Dr. Winterstein für die FDPFraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Minister! Bei der Betrachtung des neuen
Ministeriums für Arbeit und Soziales muss man leider
eines in aller Deutlichkeit sagen: Der Arbeitsminister
hat, was den Beitrag zur Haushaltskonsolidierung angeht, völlig versagt. Nach Ihren schönen Worten, Herr
Minister, kommen wir jetzt einmal zu den weniger schönen Tatsachen.
3 Milliarden Euro sollten, so die Koalitionsvereinbarung, durch Optimierungen bei Hartz IV im Jahr 2006
gespart werden. Davon ist kaum etwas übrig geblieben.
Durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge für
Arbeitslosengeld-II-Empfänger sollten 2 Milliarden
Euro gespart werden. Das findet in 2006 nicht statt.
600 Millionen Euro sollten durch Senkung der Ansprüche der unter 25-jährigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger eingespart werden. Davon sind für 2006 nur noch
160 Millionen Euro an Einsparungen übrig geblieben.
Auch dieser Beitrag steht nur auf dem Papier; denn die
Bundesagentur ist nicht in der Lage, dies zeitgerecht umzusetzen.
({0})
Stattdessen wurden Entscheidungen getroffen, die
den Haushalt 2006 zusätzlich belasten, wie die Erhöhung des Arbeitslosengeldes II Ost - das sind 220 Millionen Euro -, die Weiterzahlung des Bundesanteils an
den Unterkunftskosten - das sind 3,6 Milliarden Euro oder die Verlängerung der Förderungsdauer der IchAGs, die die Bundesagentur 270 Millionen Euro kosten
wird.
Auch aus der Absicht, den Bundeszuschuss zur
Rente zu stabilisieren, wird nichts. Der Zuschuss steigt
weiter, jedes Jahr um 1 Prozent. Das ist keinesfalls ein
Einfrieren, wie sich die Koalition das vorgenommen
hatte. 77,5 Milliarden Euro überweist der Bund in diesem Jahr an die Rentenkasse. Das ist der größte Posten
des gesamten Haushalts.
Im Februar 2006 lag die Arbeitslosenzahl in Deutschland wieder bei 5 Millionen, jetzt knapp darunter. Wenn
wir hier endlich zu Verbesserungen kommen wollen,
müssen wir Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt beseitigen. Aber auch hier leistet der Arbeitsminister nicht
das, was notwendig ist. Notwendig aus Sicht der FDP
sind gesetzliche Öffnungsklauseln im Tarifrecht, die Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von
Tarifverträgen, eine Änderung des Günstigkeitsprinzips
und Reformen beim Kündigungsschutz. Alldem verweigert sich die Koalition.
({1})
Im Wahlprogramm der Union klang das übrigens alles
noch ganz anders. Wo sind denn jetzt Ihre Reformansätze, meine Damen und Herren von der Union? Vergessen, versenkt oder ins Gegenteil verkehrt.
({2})
Herr Müntefering hat jetzt sogar die Umsetzung des Koalitionsvertrags in Bezug auf den Kündigungsschutz
gestoppt. Das Wenige, was sich die Koalition dort vorgenommen hat, ist der SPD schon zu viel.
Am 1. März schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“:
Wer Lohnzusatzkosten senken will, darf die Abgabenlast der Minijobs nicht von 25 auf 30 Prozent
erhöhen.
({3})
Wer Beschäftigung schaffen und Schwarzarbeit
verhindern will, darf nicht Mindestlöhne einführen …
({4})
Wer die Steuerzahler beim Arbeitslosengeld II entlasten will, darf nicht ohne zwingenden Grund neue
Leistungen wie die höheren Regelsätze im Osten
einführen.
({5})
Wer die Nürnberger Bundesagentur entlasten will,
darf ihr nicht mit dem geplanten Kombilohn neue
Aufgaben aufbürden.
({6})
So ist es, meine Damen und Herren. Besser kann man es
nicht sagen.
Ich will den Blick noch auf einige Elemente des vorliegenden Haushaltsplanentwurfes lenken. Der Entwurf
nutzt die Umstrukturierung zwischen Arbeits-, Wirtschafts- und Gesundheitsministerium dazu, ein nur
eingeschränkt aussagefähiges Zahlenwerk zu präsentieren. Klar zu erkennen sind in dem Hauptkapitel „Ministerium“ lediglich die Sollzahlen für 2006, nicht aber die
Istzahlen für 2005, sodass ein Vergleich mit dem Vorjahr
überhaupt nicht möglich ist.
Ich habe den Eindruck, dass das Arbeitsministerium
diese Unübersichtlichkeit für sich nutzt. Es gibt etliche
Titel, bei denen die alten Häuser wenig abgeben, das
neue Haus sich aber mehr nimmt. Das betrifft zum Beispiel die Öffentlichkeitsarbeit. 2005 gaben Wirtschaftsund Gesundheitsministerium - allein im engsten Ministeriumsbereich - zusammen 14 Millionen Euro aus. Mit
dem neuen Arbeitsministerium sollen es jetzt zusammen
17 Millionen Euro werden. Das sind im Gesamthaushalt
keine großen Summen. Aber sie sind symptomatisch.
Aus dem alten Ansatz „Forschung, Untersuchungen
und Ähnliches“ des Gesundheitsministeriums in Höhe
von 10 Millionen Euro nimmt das Arbeitsministerium
6,3 Millionen Euro mit. Das Gesundheitsministerium
setzt aber auch 6 Millionen Euro an, also unter dem
Strich 2,3 Millionen Euro zusätzlich. So funktioniert das
also.
Es liegt auch die Vermutung nahe, dass der Arbeitsminister, der ja auch Vizekanzler ist, diese Unübersichtlichkeit dazu nutzt, um Personalaufwüchse zu verstecken.
Aufgrund der Trennung sollen dem Gesundheitsministerium schon 18 neue Stellen zugebilligt werden. Zusätzlich reklamiert aber auch das Arbeitsministerium
19 neue Stellen allein für den Leitungsbereich, die jährlich etwa 1,3 Millionen Euro kosten werden.
({7})
Man muss schon genau und kritisch hinsehen, wo
diese neuen Stellen für erforderlich gehalten werden.
Hier wird deutlich, dass die schiere Existenz des Arbeitsministeriums als neu gestaltetes Haus für den Steuerzahler ein teures Unterfangen ist.
({8})
Ein Minister mehr, damit ist es nicht getan, wie man
sieht.
Im Haushalt 2006 werden die Kosten für die Arbeitsmarktpolitik wieder einen sehr großen Posten ausmachen. Insgesamt 38,3 Milliarden Euro sind im Entwurf
für die Grundsicherung der Arbeitsuchenden vorgesehen. Darin stecken neben den eigentlichen Zahlungen
für das Arbeitslosengeld II unter anderem die
3,6 Milliarden Euro, die der Bund sich als Beteiligung
an den Kosten für Unterkunft und Heizung hat abhandeln lassen, 6,5 Milliarden Euro für Eingliederungsleistungen plus 3,5 Milliarden Euro für Verwaltungskosten.
Bei den Eingliederungsleistungen bitte ich genau
hinzusehen. Denn bei den Instrumenten, die hier zum
Einsatz kommen, handelt es sich auch um solche, die in
der Untersuchung der Effekte von Hartz I bis III besonders schlecht bewertet wurden. Maßnahmen, die im besten Fall unwirksam, im schlechtesten sogar kontraproduktiv sind, müssen so schnell wie möglich abgeschafft
werden.
({9})
Allerdings sieht es nun so aus, als wolle der Arbeitsminister - er hat es eben angesprochen - besonderen Ehrgeiz darauf verwenden, genau diese Instrumente noch
breiter anzuwenden. Seine Initiative „50 plus“ deutet jedenfalls in diese Richtung.
Herr Minister, nicht einmal die Bundesagentur will
diese Instrumente noch. Sie plädiert dringend für ein
Durchforsten des Förderdschungels und für eine Konzentration auf weniger Maßnahmen.
({10})
Es ist deswegen ein Fehler, wenn die Regierung die Effizienzprüfung dieser Maßnahmen verzögert, statt sich ihr
zu stellen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Der Arbeitsminister ist mit seinem Sparbeitrag weit hinter den Vorgaben der Koalitionsvereinbarung zurückgeblieben. Die Regierung ist zu den notwendigen Reformen am Arbeitsmarkt nicht bereit. Bei den Ausgaben für
das Arbeitslosengeld II drohen auch in diesem Jahr
Haushaltslöcher. Der Bundeszuschuss zur Rente steigt
nach wie vor.
Ihr Haushaltsentwurf, Herr Minister, enthält also erhebliche Risiken. Das ist alles andere als solide Arbeit.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Falk, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte über den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Soziales hat nicht allein wegen des großen finanziellen Volumens dieses Einzelplans erhebliche Bedeutung, sondern auch und vor allem deswegen, weil ein
Großteil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger von diesem Haushalt und den darin enthaltenen Maßnahmen unmittelbar betroffen ist.
({0})
Die große Herausforderung dieser Koalition - das ist
eben schon sehr deutlich angesprochen worden - ist die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Deswegen lautet die schlichte Frage: Was kann das
Ressort Arbeit und Soziales dazu beitragen, dass wieder
mehr Arbeitsplätze entstehen? Denn nur durch die
Schaffung von zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen eröffnen wir den
betroffenen Menschen Zukunftsperspektiven, bekämpfen wir nachhaltig Armut und Benachteiligung und erreichen wir die notwendige Entlastung bei den Sozialausgaben, was alles dauerhaft zur Konsolidierung des
Haushalts beiträgt.
In der Arbeitsmarktpolitik gibt es nicht den großen
Wurf, die Lösung. Der Erfolg misst sich vielmehr letztlich an vielen einzelnen Maßnahmen, die sinnvoll ineinander greifen müssen und zum Gesamtergebnis beitragen können. Deswegen lassen Sie mich zu Beginn
meiner Rede noch einmal einen Blick auf das Sofortprogramm für Wachstum und Beschäftigung mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro werfen, das vom
Minister gerade angesprochen worden ist. Ich will dazu
ergänzend einen Punkt benennen, der aus meiner Sicht
einen wichtigen Ansatz im Zusammenhang mit der Arbeits- und Sozialpolitik bietet: Der private Haushalt
wird als Arbeitgeber anerkannt. Wir kommen also der
lang gehegten und in der 13. Legislaturperiode schon
einmal auf den Weg gebrachten, aber dann leider wieder
abgeschafften Idee vom Haushalt als Betrieb ein ganzes
Stück näher. Private Haushalte werden zunehmend zu einem wichtigen Feld für neue Beschäftigung. Unterschiedlichste Aufgaben werden bezahlten Arbeitskräften
übertragen: Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Gartenarbeit, aber auch Dienstleistungen, die das Alter erforderlich macht, bis hin zur Pflege.
Ich will an dieser Stelle auf Folgendes aufmerksam
machen: Frankreich wird uns ja immer als ein Vorbild
zum Beispiel in der Familienpolitik und der Kinderbetreuung vorgehalten. Dort sind inzwischen in den Haushalten im Bereich der Tagesmütter und der Kinderbetreuung 400 000 Stellen entstanden. Man ist dort voller
Optimismus, dass sich das auf 600 000 Stellen steigern
lässt. Ich denke, das ist eine Größe, die wir nicht vernachlässigen sollten.
({1})
Allerdings - deshalb wird die Diskussion nicht gerne
laut geführt - erfolgt dies weitgehend im Bereich der
Schattenwirtschaft. Herr Biedenkopf sagte letzte Woche: Der Haushalt ist die stärkste Säule der Schattenwirtschaft. - Damit kommen wir zu dem größten Problem,
das hier besteht: Sozialversicherungspflichtige Arbeit
muss bezahlbar sein. Deswegen sollten wir neben dem
nun begonnenen Einstieg in eine bessere Steuerabsetzbarkeit diesen Bereich im Zusammenhang mit den Überlegungen zum Niedriglohnsektor - ich nenne hier nur
den Kombilohn - noch einmal näher betrachten. Arbeitsplatzpotenzial scheint hier auf jeden Fall vorhanden zu
sein.
Aber auch hierzu eine kritische Anmerkung: Bei offensichtlich zunehmendem Bedarf an Dienstleistungen
im Haushalt sollten wir für dieses Arbeitsfeld als Ausbildungsberuf werben. Ich kenne viele erwerbstätige
Frauen, die verzweifelt nach qualifizierten Hilfen suchen
und keine finden. Ganz sicher gibt es viele junge Frauen
- Männer wohl eher weniger -, die hier eine geeignete
Arbeit finden könnten. Es ist bedauerlich, dass der Haushalt viel zu lange niedergeredet und als nicht zumutbarer
Arbeitsplatz bezeichnet wurde. Das muss sich dringend
ändern.
({2})
Noch ein Wort zur Schwarzarbeit. Ein gewichtiger
Beitrag sowohl zur Konsolidierung des Haushalts als
auch zur Senkung der Lohnnebenkosten kann mit der
Bekämpfung illegaler Beschäftigung erreicht werden.
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung haben ein bedenkliches Maß erreicht. Deshalb hat sich die Koalition
zum Ziel gesetzt, den gesamten Bereich der Schattenwirtschaft zurückzudrängen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen wichtigen Impuls auch für den Mittelstand versprechen wir uns von
der Senkung der Lohnzusatzkosten. Die Koalition hat
sich vorgenommen, die Lohnzusatzkosten dauerhaft auf
unter 40 Prozent zu senken. Ein erster Schritt, um dieses
Ziel zu erreichen, wird die Absenkung des Beitrags zur
Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent ab
1. Januar nächsten Jahres sein.
Auch der Bundeshaushalt 2006 - nicht nur unser Einzelplan - ist in seiner Struktur von einem viel zu hohen
Anteil an Sozialausgaben geprägt, die sich auf rund
134 Milliarden Euro belaufen. Schwerpunkte bilden erneut die Leistungen an die gesetzliche Rentenversicherung und die Arbeitsmarktausgaben. An dieser Stelle
müssen wir ansetzen. Wir haben uns im Rahmen von Reformen und Strukturverbesserungen eine Reihe von
Maßnahmen vorgenommen, um dauerhaft Einsparungen
zu erzielen.
Erste Sparmaßnahmen sind bereits durch die Änderung des SGB II umgesetzt.
({4})
Ich will beispielhaft auf die Ausweitung der Bedarfsgemeinschaften eingehen, die ja unbestreitbar stattgefunden hat. Es ist beschlossen, die Bildung von Bedarfsgemeinschaften durch unter 25-Jährige wieder
zurückzuführen und Eltern wieder stärker in die Verantwortung für ihre Kinder zu nehmen.
({5})
Darüber hinaus erarbeitet die Koalition gegenwärtig
Eckpunkte für den Entwurf eines Optimierungsgesetzes,
mit welchem Fehlentwicklungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende entgegengewirkt werden
soll. Durch die Optimierung von Verwaltungsabläufen
und eine Verbesserung der Strukturen sollen Einsparungen und auch Effizienzgewinne erzielt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Einsparungen sind
nötig. Sie sind gerechtfertigt und, wie wir finden, auch
gerecht; denn die Ausgaben im Bereich der Grundsicherung haben mit ungefähr 10 Milliarden Euro - die
Zahl wurde bereits erwähnt - bei weitem das angenommene Volumen überschritten. Das liegt nicht allein an
der zusätzlichen Zahl von erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern, denen durch diese Regelung wieder eine
Chance auf dem Arbeitsmarkt eröffnet wurde - das begrüßen wir alle -, sondern vor allem an der offensichtlich kreativen Ausnutzung mancher Regelung; dafür gibt
es deutliche Anzeichen. Die Koalition wird diesem
Missbrauch im Interesse der ehrlichen ALG-II-Empfänger, die darunter ebenso leiden wie die Beiträge und Abgaben zahlenden Arbeitnehmer, entgegensteuern.
({6})
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass es
uns in diesem Bereich zwar sehr wohl um Einsparungen
geht, aber auch darum, wie wir die zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll und im Interesse der Betroffenen
einsetzen können. Wichtig ist mir, dass wir diejenigen,
die trotz besonderer Belastungen arbeiten möchten und
die Solidargemeinschaft nicht belasten wollen, dabei
nicht aus dem Blick verlieren. Ich werde mich im Zuge
der anstehenden Reformmaßnahmen daher ganz besonders dafür einsetzen, dass bezogen auf das ALG II Regelungen geschaffen werden, die Behinderten die Rückkehr ins Berufsleben dadurch erleichtern, dass im Zuge
einer Rehabilitation auch die Kosten für besondere Maßnahmen übernommen werden.
An dieser Stelle sei mir ein kleiner Schlenker zur Gesundheitspolitik erlaubt. Sie alle werden in diesen Tagen
vermutlich von Menschen mit Behinderungen, denen
aufgrund der Budgetierung der Arztleistungen gesundheitserhaltende Therapien vorenthalten werden bzw.
zum Ende eines Quartals nicht mehr zur Verfügung stehen, angesprochen werden. Ich denke, an dieser Stelle
müssen wir sehr genau hingucken, denn gerade diese
Therapien sind oft von substanzieller Bedeutung für die
Erhaltung der Arbeitskraft.
({7})
- Genau hingucken heißt, dass an dieser Stelle keine
Sparmaßnahmen stattfinden dürfen.
({8})
Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben ist
nicht nur Verpflichtung, sondern ein Gewinn für die
ganze Gesellschaft. Das sollten wir uns immer wieder
klarmachen.
Die Koalition ist überzeugt, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung
der Beschäftigungschancen leistet. Wir planen daher, die
Vielzahl der kaum noch überschaubaren Förderinstrumente im Interesse der arbeitssuchenden Menschen auf
den Prüfstand zu stellen und konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn
wir uns dazu durchringen könnten, der örtlichen Ebene
bei den Fördermaßnahmen wieder mehr Verantwortung
zuzutrauen und den einzelnen Agenturen und ihren Mitarbeitern Ermessensspielräume einzuräumen.
Wichtige Instrumente der Arbeitsmarktpolitik sind
angesprochen worden. Eine Arbeitsgruppe arbeitet an
der Neuregelung der Maßnahmen zur Beförderung von
Existenzgründungen. Die Kanzlerin hat gestern zum
Kündigungsschutz, so denke ich, die richtigen Worte gefunden. Daher will ich darauf nicht näher eingehen.
An dieser Stelle sei mir aber erlaubt, darauf hinzuweisen, wie wichtig es auch aus arbeitsmarktpolitischen und
wirtschaftlichen Gründen ist, Familien verstärkt in den
Blick zu nehmen. Die Verantwortung von Familien, zum
Beispiel in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft der Kinder, der zukünftigen Arbeitnehmer, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Auch
die Erziehung zukünftiger Führungseliten unseres Landes findet in erster Linie in den Familien statt. Das dürfen wir nicht unterschätzen.
({9})
Deshalb ist es für Unternehmen und Politik gleichermaßen eine Herausforderung, den Familien durch richtige Rahmenbedingungen und die bessere Gestaltung der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegenzukommen, damit Familie auch gelebt werden kann.
Des Weiteren ist es nicht von der Hand zu weisen,
dass Familie auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für unser
soziales Sicherungssystem gar nicht ernst genug genommen werden kann. Rentenpolitik ist in diesen Tagen allerorten das Thema. Der Zusammenhang mit den zurückgehenden Kinderzahlen ist offensichtlich.
({10})
Wir haben den Beschluss gefasst, das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Diese Antwort halten wir für gerecht. Sie soll für die faire Lastenverteilung
zwischen den Generationen sorgen; denn bei allem, was
wir tun, dürfen wir den Ausgleich zwischen den Generationen nicht vergessen.
({11})
Lassen Sie mich an dieser Stelle zwei Bemerkungen
zu der Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf
67 Jahre machen: Erstens finde ich es bemerkenswert,
dass sich vor allem diejenigen immer lautstark zu Wort
melden, die von der Regelung gar nicht betroffen sind.
Zweitens habe ich mich gefragt, wie sich ein Arbeitsminister eigentlich richtig verhalten kann. Im Zuge der
Debatte wird uns immer wieder der Spruch des ehemaligen Arbeitsministers Blüm „Die Rente ist sicher!“ vorgehalten.
({12})
Er habe angeblich nicht die Wahrheit gesagt. Zugleich
erlebe ich, wie dieselben Kritiker den heutigen Arbeitsminister verbal niedermachen, wenn er ihnen zur Begründung für unser beabsichtigtes Handeln die Fakten
vorhält. Verstehe das, wer will.
({13})
Man kann es drehen und wenden, wie man will. An den
Fakten kommt man einfach nicht vorbei.
Das Thema Rente wird uns weiterhin heftig begleiten.
({14})
Aber es ist zu betonen, dass die gesetzliche Rente auch
in Zukunft einen hohen Stellenwert haben wird. Sie bedarf angesichts der demographischen Entwicklung der
Ergänzung durch die betriebliche und die private Altersvorsorge. Die beabsichtigte zusätzliche Förderung durch
die Erhöhung der Kinderzulage und die Einbeziehung
des selbstgenutzten Wohneigentums in die geförderte
Altersvorsorge wurden hier schon angesprochen.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen: So
notwendig und richtig die beschriebenen Maßnahmen
sind, eine dauerhafte und nachhaltige Entspannung auf
dem Arbeitsmarkt und in der Sozialversicherung werden
wir nur erreichen, wenn es gelingt, in unserem Land wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen.
({15})
Erst dann haben Arbeitslose eine echte Chance, wieder
Arbeit zu bekommen, Arbeit, die ihnen oft verlorenes
Selbstwertgefühl zurückgibt und sie von staatlichen
Leistungen unabhängig macht.
Da logischerweise im Zusammenhang mit dem Arbeits- und Sozialhaushalt immer eher von der anderen
Seite, nämlich den Schwervermittelbaren oder den Unwilligen die Rede ist, ist es mir besonders wichtig, zum
Schluss gerade die in den Blick zu nehmen, die alles Erdenkliche tun, um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz
zu finden. Dies sollten wir viel häufiger ansprechen.
Wir alle haben eine große Verantwortung dafür, für
unser Land wieder Zukunft zu gewinnen. Viele Signale
lassen uns inzwischen optimistischer in die Zukunft sehen. Aber ich appelliere an alle Verantwortlichen in der
Politik - also an uns -, in der Wirtschaft und den Gewerkschaften, stets das Ganze im Blick zu haben und
den sich abzeichnenden Aufbruch nicht durch Klientelpolitik bereits im Keim zu ersticken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Das Wort hat nun die Kollegin Kornelia Möller, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben die höchste Zahl an Langzeitarbeitslosen, die die Bundesrepublik Deutschland je erlebt
hat, und das muss sich wieder ändern.
Dies verkündete Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung.
({0})
Inzwischen sind mehr als hundert Tage vergangen.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist weiter gewachsen.
Über zwei Millionen sind es nach den gestrigen Angaben der Kanzlerin. Die offizielle Gesamtzahl arbeitsloser
Männer und Frauen liegt immer noch bei fast fünf Millionen. Mir fehlt jedes Verständnis, Frau Merkel. Sie haben anscheinend vergessen, Ihrem Finanzminister, Herrn
Steinbrück, Ihre Zielstellung mitzuteilen. Denn der
Haushalt 2006 ist als Instrument des Abbaus der Arbeitslosigkeit völlig ungeeignet.
({1})
Impulse für die dringend notwendige offensive Beschäftigungspolitik? Fehlanzeige. Wenn es nicht mehr
Arbeitsplätze gibt, dann laufen viele, vielleicht gut gemeinte Aktivitäten in der Arbeitsmarktpolitik bei der
Vermittlung und Eingliederung ins Leere. Ich prophezeie
Ihnen: Spätestens die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer wird die Binnenkonjunktur in verantwortungsloser Weise weiter schwächen und die Zahl der
Arbeitslosen weiter in die Höhe treiben.
({2})
Landauf, landab glaubt man Ihren vollmundigen Versprechen nicht mehr, Frau Merkel, Herr Steinbrück und
Herr Müntefering. Eine ernüchternd niedrige Wahlbeteiligung belegt das anschaulich. Selbst dem Chef der Bundesagentur für Arbeit fällt es schwer, auch nur funktionsbedingten Optimismus zu verbreiten. Denn Anfang
April wird er wieder verkünden müssen, dass es fast fünf
Millionen arbeitslose Menschen gibt.
Ich unterstelle einfach, dass es einige in Ihrem Regierungslager gibt, die an Vollbeschäftigung wirklich interessiert sind. Aber die, die tatsächlich das Sagen haben,
die Bosse in Nadelstreifen, nutzen die Arbeitslosigkeit
schamlos aus. Sie machen Druck auf die, die noch Arbeit
haben. Dass nach dem Motto „Friss oder stirb!“ ein
Stundenlohn von 4 Euro gezahlt wird, ist längst keine
Seltenheit mehr.
Aber der eigentliche Skandal in der Politik ist: Ließen
sich die Sozialdemokraten noch vor Jahren von dem
Grundsatz leiten, dass der wichtigste Weg zur Konsolidierung des Haushalts der Abbau der Arbeitslosigkeit
ist, so sehen sie heute offenbar, vereint mit CDU und
CSU, in der weiteren Senkung des Lebensniveaus arbeitsloser Menschen die entscheidende Quelle der Haushaltskonsolidierung. Der Arbeitsminister stellt sich dabei an die Spitze der Befürworter dieser Politik. Im
Klartext: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft
weiter auseinander, und das mit sozialdemokratischem
Segen.
Wir haben Ihnen konkrete Vorschläge gemacht, die
von Ihnen aber abgelehnt wurden. Abgelehnt wurde unser Antrag auf Übertragung der Mittel aus dem Jahr
2005 in das Jahr 2006. Dabei handelte es sich um einen
Betrag in Höhe von rund 1 Milliarde Euro für Eingliederungsmaßnahmen innerhalb des Regelkreises ALG II.
Hätten Sie zugestimmt, stünde heute 1 Milliarde Euro
mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung.
({3})
Es wären mehr Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante möglich, und die dringend nötige Weiterbildung
von Langzeitarbeitslosen könnte stattfinden.
Abgelehnt wurde auch unser Vorschlag zur Einbeziehung weiterer Branchen mit diskontinuierlicher Beschäftigung in die Regelung des Saisonkurzarbeitergeldes.
Hätten Sie zugestimmt, gäbe es heute weniger saisonbedingte Arbeitslose.
({4})
Abgelehnt wurde schließlich unser Vorschlag, das Arbeitslosengeld in den neuen Ländern rückwirkend zum
Januar 2005 an das Niveau in den alten Ländern anzugleichen. Hätten Sie zugestimmt, hätten wir heute eine
Stärkung der Binnennachfrage und dadurch eine verstärkte Nachfrage nach Arbeit.
({5})
Das iso-Institut, eine der 20 Evaluierungseinrichtungen, hat sinngemäß festgestellt: Wer nicht leicht vermittelbar ist, fällt durch den Rost.
({6})
Denn die BA konzentriert ihre Vermittlungsbemühungen
auf jene Arbeitsuchenden, die relativ leicht vermittelbar
sind, weil sie zum Beispiel jung, gesund und gut ausgebildet sind.
Damit keine Zweifel aufkommen: Auch wir sind für
einen effektiven Einsatz der Mittel. Gerade deswegen ist
es für mich als Ökonomin besonders verwunderlich,
dass Sie noch immer glauben, mit betriebswirtschaftlichen Methoden neoliberaler Ausprägung eine Volkswirtschaft beleben und Arbeitsplätze schaffen zu können.
({7})
Früher sagte man dazu: „den Bock zum Gärtner machen“. Aber früher gab es in diesem Parlament auch
noch eine sozialdemokratische Partei.
({8})
Besonders hart hat es die Hartz-IV-Empfängerinnen
und -Empfänger getroffen. Hans-Jürgen Marcus, der
Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, sagte gestern
in Berlin, dass sich allein die Anzahl der Kinder unter
15 Jahren, die auf Sozialhilfeniveau leben, im Jahre
2005 von 1 Million auf rund 1,5 Millionen erhöht hat. Es
gibt in Deutschland also 1,5 Millionen arme Kinder. Die
Dunkelziffer schätzt er auf zusätzlich rund 200 000 Kinder. Als Grund für die steigende Anzahl armer Menschen in diesem Land nannte er die Arbeitsmarktreform
Hartz IV.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, spätestens nach diesem Beispiel müssten Sie sich eigentlich an
Ihre Verantwortung erinnern. Ich sage Ihnen: Beseitigen
Sie diese Zustände! Denn Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Hartz IV muss weg!
({9})
Die Kollegin Brigitte Pothmer ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Guten
Morgen, Herr Arbeitsminister Müntefering! Ich freue
mich, dass nun auch bei Ihnen angekommen ist, dass
Frauen nicht dümmer sind als Männer. Allerdings hätte
ich es noch besser gefunden, wenn Sie uns heute Morgen
mitgeteilt hätten, welche Konsequenzen die Regierung
daraus ziehen wird, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt
gleichwohl auch weiterhin diskriminiert werden.
({0})
Herr Minister, was wir in den vergangenen Wochen
von dieser Regierung und der großen Koalition in Sachen Arbeitsmarktpolitik gehört haben, lässt sich
selbst bei wohlwollendster Betrachtung nicht anders
überschreiben als folgendermaßen: Die große Koalition
und die Arbeitsmarktpolitik - das Ende einer Legende.
Ich will hier gar nicht ausführlich auf die weitgehend unveränderten Arbeitslosenzahlen eingehen. Sie werden
aber nicht bestreiten, dass letztlich diese Zahlen der objektive Gradmesser für den Erfolg oder Misserfolg einer
Regierung in Sachen Arbeitsmarktpolitik sind. Wenn
sich eine Steigerung des Geschäftsklimaindex auf dem
Arbeitsmarkt nicht in Form von neuen Arbeitsplätzen
niederschlägt, dann nützt uns das am Ende wenig.
Die Vorgängerregierungen haben jeweils eine Vielzahl von Gründen für das Ausbleiben einer Verbesserung
auf dem Arbeitsmarkt anführen können. Sowohl die
Kohl-Regierung als auch die rot-grüne Regierung haben
unter der Blockade vieler ihrer Reformen durch die Opposition im Bundesrat gelitten. Aber das sei jetzt vorbei,
so die große Ankündigung von CDU/CSU und SPD bei
ihrer Elefantenhochzeit. Ihre Versprechen lauteten:
Union und SPD in einem Boot; beide ziehen an einem
Strang; Bahn frei für eine neue Republik. Reformstau
solle ein Fremdwort sein. Es gebe neue Möglichkeiten
und rasante Veränderungen. Das alles mache man zum
Wohle der Bürgerinnen und Bürger und vor allen Dingen
zum Wohle der arbeitslosen Menschen.
Viele wussten vorher, dass das so nicht kommen wird,
aber jetzt haben wir es amtlich. Das war letztlich ein großer Bluff. Auch und gerade im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist nicht mehr passiert, als dass die früher
zwischen Bundesrat und Bundestag ausgetragenen Grabenkämpfe nun in der gemeinsamen Regierung stattfinden. Das Kabinett Merkel und Müntefering ist quasi ein
ständiger Vermittlungsausschuss.
({1})
Und was kommt dabei heraus? Die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Der kleinste gemeinsame
Nenner ist aber zu wenig angesichts der großen Probleme, die sich uns bei der Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit in diesem Land stellen.
Sie haben den Menschen eine Koalition der neuen
Möglichkeiten versprochen.
({2})
Aber was passiert? Sie streiten! Sie streiten als verschiedene Arbeitgeber bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Sie streiten über das Renteneintrittsalter.
Sie streiten über Kombi- und Mindestlöhne.
({3})
Sie streiten über den Kündigungsschutz. Herr
Müntefering, ich glaube, dass auch Sie sich das etwas
anders vorgestellt haben. Sie hätten gerne das Motto gehabt: Wo ein Münte ist, da ist auch ein Weg.
({4})
Aber abgesehen davon, dass man zunehmend den Eindruck gewinnen muss, dass Sie dann gar nicht gewusst
hätten, welchen Weg Sie dann hätten einschlagen sollen,
muss es heute heißen: Wo ein Münte ist, da sind ein Dutzend Wegelagerer, aus der eigenen Partei und aus den
Parteien des Koalitionspartners.
({5})
Diese Wegelagerer wollen den Kündigungsschutz
weiter lockern, obwohl Ihnen die Arbeitgeber schon ein
hohes Maß an Flexibilität beim Kündigungsschutz bescheinigen und immer wieder sagen, dass die Befristungsregelungen, die unter Rot-Grün eingeführt worden
sind, allemal besser sind als eine zweijährige Probezeit,
die jetzt von der CDU/CSU gefordert wird. Ich finde es
gut, dass Sie diese Heckenschützen in die Schranken
weisen.
({6})
Gut so, kann ich nur sagen. Sie haben uns dabei auf Ihrer
Seite.
Wenn Sie schon dabei sind, unsinnige Projekte zu
stoppen, dann stoppen Sie bitte auch die großflächige
Einführung von Kombilöhnen. Herr Müntefering, auch
in diesem Punkt sind Sie letztlich klüger als Ihr Koalitionspartner. Sie wissen, dass das kein geeignetes Instrument ist, um eine nennenswerte Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze zu schaffen.
({7})
Herr Minister, Sie haben einmal gesagt - das hat mir
gut gefallen -, eine Regierung solle ab und an ruhig mal
auf die Opposition hören; denn auch die habe manchmal
kluge Ideen. Ich kann Ihnen sagen: Das stimmt, manchmal haben auch wir kluge Ideen. Wenn Sie richtig flott
voran wollen, dann kann ich Ihnen nur unser Progressivmodell empfehlen. Mit diesem würden Sie die Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich, also in
dem Bereich, in dem wir am dringendsten zusätzliche
Arbeitsplätze brauchen, gezielt senken. Was hindert Sie
daran, dieses Progressivmodell einzuführen, Herr
Müntefering?
({8})
Sie haben die Bekämpfung der Schwarzarbeit ja
ganz groß auf Ihre Agenda geschrieben. Was Sie tun, ist
aber leider das Gegenteil. Die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent ist ein gigantisches KonjunkturBrigitte Pothmer
projekt für Schwarzarbeit. Mit der Anhebung der Abgaben für Minijobs belasten Sie ausgerechnet den Teil der
Arbeit, der extrem schwarzarbeitgefährdet ist. Die Bundesknappschaft rechnet Ihnen den Verlust von
750 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich vor. Diese
werden Sie mit dem Kombilohn nie und nimmer wieder
aufbauen. Stoppen Sie also bitte auch diesen Unsinn!
({9})
Sie wollen das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anheben. Sie wissen, dass auch wir keine wirkliche Alternative dazu sehen und dass wir das Projekt unterstützen.
Die widersprüchlichen und unzureichenden Maßnahmen
zur Integration älterer Menschen ins Erwerbsleben werden wir aber nicht mittragen. Sie haben hier auch heute
noch einmal lautstark die Initiative „Arbeit 50 plus“ verkündet, während Sie mit der 58er-Regelung gleichzeitig
die Ausgrenzung Älterer, also genau das Gegenteil, betreiben. Bei uns in Teichlosen, wo ich herkomme, würde
man sagen: Was der mit den Händen aufbaut, reißt er mit
dem Hintern wieder um. So kommen Sie nicht voran,
Herr Müntefering.
({10})
Diese Politik wird uns auch vor dem Hintergrund der
demographischen Entwicklung sehr teuer zu stehen
kommen, übrigens genauso teuer wie die unzureichenden Kraftanstrengungen für die über 600 000 arbeitslosen jungen Menschen unter 25 Jahre. Diesen Jugendlichen wird eine miserable Prognose für ihr Arbeitsleben
gestellt. Durch den Fachkräftemangel, der auf uns zukommen wird, wird dieses Problem auf die Gesellschaft
zurückschlagen. Wenn wir eine Alternative zur lebenslangen Alimentierung dieser fast schon verlorenen Generation schaffen wollen, dann brauchen wir mehr, als
Sie uns hier anbieten, dann brauchen wir nämlich eine
nationale Kraftanstrengung in Sachen Bildung und Qualifikation. Das, was Sie im Rahmen der Föderalismusreform in diesem Bereich vorhaben, ist auch in dieser
Hinsicht wirklich Gift.
({11})
Herr Arbeitsminister, ich fasse zusammen: Der Arbeitsmarktpolitik dieser Regierungskoalition fehlt es an
jeglicher Konsistenz. Bislang sind CDU/CSU und SPD
jeden Beweis schuldig geblieben, dass es sich für die Arbeitslosen gelohnt hat, auf die große Koalition zu setzen.
Herr Müntefering, es gibt eben doch einen Unterschied
zwischen gut gemeint und gut gemacht.
({12})
Als Münte sind Sie wirklich längst Kult - alle Achtung -, als Arbeitsminister haben Sie sich bislang aber
alles andere als einen großen Applaus verdient.
Ich danke Ihnen.
({13})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Brandner für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich will ganz deutlich sagen, dass
die Leitlinien der Haushaltspolitik der Bundesregierung
und auch die Leitlinien der Haushaltspolitik des Ministeriums für Arbeit und Soziales der Schaffung von mehr
Beschäftigung in Deutschland dienen müssen.
({0})
Das sind die Leitlinien, mit denen wir angetreten sind,
und das ist die Messlatte für alles und letztlich auch für
den Erfolg unserer Koalition, der großen Koalition, die
ganz gezielt und systematisch daran arbeiten wird.
({1})
Dazu erhoffen wir die Unterstützung aller hier im Haus.
Wenn es Ihnen Ernst ist, die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen, werden Sie sie leisten.
({2})
Meine Damen und Herren, ich denke, wir müssen den
Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben.
({3})
Deshalb ist unsere oberste Maxime in der politischen Arbeit, dafür zu sorgen, dass mehr Wachstum und Beschäftigung in diesem Land entstehen können. Kolleginnen
und Kollegen von der FDP, das bekommen wir nicht dadurch hin, dass Sie unqualifizierte Zwischenrufe abgeben und nur herumnörgeln,
({4})
sondern dadurch, dass Sie tatsächlich Vorschläge machen, die zu mehr Beschäftigung führen können.
({5})
Wir können über Ihre Politik gerne einen Diskurs führen. Ihr Programm - das haben Sie heute Morgen bewiesen und dargestellt - sieht wie folgt aus: Der Markt regelt alles; weniger Arbeitnehmerrechte; Vorfahrt für
Sozialabbau. Damit haben Sie in der Vergangenheit
nicht mehr Beschäftigung erreicht und das werden Sie
auch in der Zukunft nicht erreichen. Damit werden Sie
scheitern.
({6})
Wir haben gehört, was die rechte Seite dieses Hauses
denkt. Ferner haben wir gehört, was die linke Seite dieses Hauses will: Der allumfassende Staat soll alles regeln und die allumfassende Regulierung soll alles in
Ordnung bringen. - Das ist in der DDR gescheitert und
wird auch hier scheitern. Wir setzen darauf, den Sozialstaat weiterzuentwickeln und durch eine systematische
Verbindung aus Angebots- und Nachfragepolitik zu
mehr Beschäftigung zu kommen. Wir wollen nicht einäugig Politik machen. Vielmehr wird uns ein ausgewogener Politikmix zum Erfolg führen.
({7})
Was wir brauchen, ist mehr Binnennachfrage. Deshalb setzen wir nicht nur auf Konsolidierung pur, sondern wir setzen auf eine vernünftige Mischung aus
Wachstumsimpulsen und Konsolidierung. Das ist das
Leitbild unserer Politik, wie dies gestern und auch am
Dienstag in der Haushaltsdebatte deutlich geworden ist,
als der Finanzminister den Gesamthaushalt vorgestellt
hat. Der logische Dreiklang aus Reformieren, Sanieren
und Investieren wird uns auf einen soliden Wachstumskurs zurückführen
({8})
und damit auch die Grundlagen für mehr Beschäftigung
schaffen.
Ich will in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt
lassen, dass wir die Erhöhung der Mehrwertsteuer als
durchaus problematisch ansehen. Wir stehen aber zum
Koalitionsvertrag, um das hier ganz klar zu sagen. Wir
schätzen, dass die gegenwärtige Dynamik und die zu erwartenden Wachstumsraten diesen bremsenden Effekt
auffangen können, sodass das wirtschaftliche Wachstum
insofern durch die veränderte Mehrwertsteuer nicht
gebremst wird. Wir wollen die Situation nicht schlechtreden, sondern wir setzen darauf, dass das gefasste
Vertrauen zu einem entsprechend gesicherten Wachstumskurs führt.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales orientiert sich an diesem Leitbild. Er ist der
größte Einzelplan. Sein Volumen macht etwa die Hälfte
des gesamten Bundeshaushalts aus. Dieser Umfang
macht schon deutlich, welche Bedeutung die Regierung
Merkel/Müntefering der sozialen Sicherung und den
Chancen für neue Arbeitsplätze beimisst. Wir setzen mit
diesem Bundeshaushalt auf strukturelle Reformen, um
die sozialen Sicherungssysteme vor dem Hintergrund
der demographischen Entwicklung und den Herausforderungen durch die Globalisierung zukunftsfest zu machen.
Die Leitlinien dieses Haushaltes sind die konjunkturgerechte Konsolidierung; das ist richtig. Das war auch
bisher ein Markenzeichen der SPD, an dem wir festhalten werden. Wir stehen aber ebenso - das will ich klar
sagen - für eine sozial gerechte Konsolidierung. Auch
das ist das Markenzeichen der SPD und des Haushalts
von Bundesminister Franz Müntefering, bei dem wir uns
für eine solch klare Orientierung auf eine sozial gerechte
Konsolidierung in seinem Haushalt bedanken.
({9})
Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales zeichnet sich durch eine sinnvolle Balance zwischen Haushaltskonsolidierung und Wachstumspolitik
einerseits und sozialer Sicherheit und qualitativem Anspruch auf eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik anderseits aus.
Was haben wir bisher gemacht? Wir haben - das ist
heute schon angesprochen worden - dafür gesorgt, dass
die Rentenversicherung wieder bezahlbar und verlässlich bleibt und auf eine solide Grundlage gestellt wird.
Deshalb haben wir die grundsätzliche Entscheidung getroffen, die Lebensarbeitszeit in einer Stufenentwicklung
bis 2029 auf 67 Jahre anzuheben.
Diejenigen, die skandalisierend durchs Land gezogen
sind und so getan haben, als würde die Rente mit
67 Jahren schon morgen Wirklichkeit werden, haben
nichts anderes versucht, als das Vertrauen in die Rentenversicherung nachhaltig zu erschüttern. Wir setzen darauf, das Vertrauen in die gesetzliche Rente und deren
Planungssicherheit zu erhalten. Deshalb haben wir bei
der Anhebung des tatsächlichen Renteneintrittsalters
durch die Rückführung der Frühverrentung ein systematisches Zeichen entgegengesetzt.
({10})
Wir haben die Frühverrentung gestoppt, um den Herausforderungen gerecht zu werden, die die Demographie bzw. die längere Lebenserwartung der Menschen
mit sich bringen. An erster Stelle sollte nicht der Wunsch
stehen, ohne Arbeit alt zu werden; es geht vielmehr darum, in Würde alt werden zu können, die Bedingungen
für das Älterwerden zu verbessern und eine größere
Flexibilität beim Übergang aus dem Arbeitsprozess in
die nächste Lebensphase zu erreichen. Hier sind die
wichtigen Veränderungen vorzunehmen, nämlich die
Flexibilität und Qualität der Arbeitsbedingungen zu verbessern und - auch durch lebenslanges Lernen - für einen möglichst langen Verbleib im Arbeitsprozess zu sorgen.
({11})
Wir haben in der Koalition auch dafür gesorgt, dass
weder in diesem Jahr noch in dieser Legislaturperiode
eine Rentenkürzung vorgenommen wird. Wir haben für
die Anhebung des Arbeitslosengelds II in den ostdeutschen Bundesländern auf das Westniveau gesorgt. Wir
haben auch eine Neuregelung für die Zulassung von ausländischen Saisonarbeitskräften vorgesehen, durch die
erstmals festgelegt wird, dass 10 Prozent der Zulassungen - das ist zwar ein kleiner Prozentsatz, aber es ist immerhin ein Einstieg - an inländische Arbeitskräfte verKlaus Brandner
geben werden. Diesen Weg müssen wir kontinuierlich
fortsetzen.
Es muss auch in allen anderen Bereichen - große
Kontingente ausländischer Arbeitnehmer werden zum
Beispiel mit Werkverträgen eingesetzt - gelingen, in einem systematischen Stufenplan mehr Beschäftigung für
inländische Arbeitskräfte zu organisieren. Auch diesen
Weg hat die Koalition systematisch eingeschlagen.
Wir haben des Weiteren durch entsprechende Zuschüsse zu den Unterkunftskosten zur finanziellen Entlastung der Kommunen beigetragen. Damit haben wir
einen deutlichen Beitrag zu mehr öffentlichen Investitionen geleistet. In einer Tickermeldung wurde heute berichtet, dass die öffentlichen Haushalte auf einem guten
Konsolidierungskurs sind. Dieser Prozess muss fortgesetzt werden.
({12})
Wir haben uns vorgenommen, in diesem Jahr daran zu
arbeiten, dass existenzsichernde Löhne in Deutschland
wieder eine größere Bedeutung bekommen. Wir sind dafür, dass die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf die
Gebäudereiniger möglichst schnell umgesetzt wird.
Diese Regelung sollte aber auch möglichst schnell auf
weitere Branchen ausgedehnt werden, um zu verhindern,
dass unter anderem durch die europäische Dienstleistungsrichtlinie Dumpinglöhne in diesem Land eingeführt
werden können, und zu gewährleisten, dass soziale
Sicherheit und Mindeststandards weiterhin eine hohe
Priorität genießen. Wir müssen als Gesetzgeber die Voraussetzungen schaffen, einen Dumpingprozess zu verhindern.
({13})
Wir wollen die Chancen von älteren Beschäftigten
am Arbeitsmarkt verbessern. Wir brauchen dafür kreative Ansätze, um zum Beispiel einen Mentalitätswechsel
in den Unternehmen zu erreichen. Wir unterstützen diese
Aktivitäten und können nur jeden Abgeordneten auffordern, in seinem Wahlkreis die Unternehmen zu belobigen, in denen es gelungen ist, ältere Beschäftigte im Arbeitsprozess zu halten, mit guten Taten zu werben und
mit gutem Beispiel voranzugehen. Das muss zu einem
Mentalitätswechsel in den Unternehmen beitragen. Denn
wir können nicht hinnehmen, dass so viele ältere Menschen, die qualitativ gute Arbeit leisten, über Erfahrungen verfügen und arbeiten wollen, aufs Abstellgleis geschoben werden und nicht mehr die Möglichkeit haben,
in der Arbeitswelt zu verbleiben. Das wollen und dürfen
wir nicht hinnehmen. Dazu muss ein deutliches Signal
aus der gesamten Politik kommen.
({14})
Wir haben uns vorgenommen, im SGB-II-Optimierungsgesetz die Leistungen in der Grundsicherung für
Arbeitslose zu optimieren. Dabei geht es uns nicht in
erster Linie darum, pauschal dem Missbrauch das Wort
zu reden; wir wollen vielmehr die Leistungserbringung
und -umsetzung so optimieren, dass diejenigen, denen
immer wieder unterstellt wird, dass sie auf dumme Gedanken kommen könnten, durch einen schnellen Aktivierungsprozess erst gar nicht die Gelegenheit dazu haben. Das muss unser Anspruch sein: schnell und
vernünftig Leistungen zu erbringen, statt pauschal einen
Missbrauchsverdacht zu äußern und auf diese Art und
Weise Teile dieser Gesellschaft zu diskreditieren.
({15})
Das ist nicht in Ordnung und darum müssen wir uns
kümmern.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang an die
linke Seite des Hauses gewandt etwas anmerken. Sie beklagen die wachsende Armut in diesem Land. Aber wer
wie wir erstens den Leistungsbezieherkreis deutlich erweitert und zweitens das Niveau deutlich anhebt, darf
sich, wenn er für Offenheit sorgt, nicht über die Arbeitslosigkeit wundern und darüber, dass die Zahl der Ärmeren statistisch gesehen steigt. Das hat aber nichts mit
wachsender Armut in diesem Land zu tun. Vielmehr hat
die Offenheit zugenommen; denn wir haben die Kraft
gehabt, das ganze Ausmaß zu offenbaren.
({16})
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Kündigungsschutz sagen.
({17})
- Meine Damen und Herren von der FDP, dass die SPD
keine Änderung des Kündigungsschutzes will, wissen
Sie doch. Das kann ich hier noch einmal deutlich festhalten.
({18})
Es gibt einen Koalitionsvertrag und zu diesem stehen
wir. Wir begrüßen, dass die Bundeskanzlerin gestern
dazu klärende Worte gesprochen hat.
({19})
Ich will aber klar sagen: Wir bestehen nicht auf Änderungen. Wenn die Mehrheit in diesem Haus meint, dass
der Kündigungsschutz nicht geändert werden muss,
dann ändern wir nichts. Das ist auch nicht unser erstes
Ziel.
({20})
Wir stehen aber zu dem, was ausgehandelt worden ist,
und zwar ohne Wenn und Aber. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass uns keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt ist, die die von Ihnen ständig lauthals gepredigte These belegt, dass
weniger Kündigungsschutz mehr Arbeitsplätze schafft.
({21})
Wir wollen, dass die Menschen in diesem Land darauf vertrauen können, dass ihnen der Kündigungsschutz
weiterhin Sicherheit bietet. Es gibt nämlich eine positive
Motivation, wenn man mit entsprechenden Schutzrechten ausgestattet ist. Der Kündigungsschutz steht für uns
Sozialdemokraten für eine moderne Personalpolitik, die
nicht auf Angst, sondern auf ein Miteinander setzt. Das
wollen wir auch in Zukunft beibehalten.
({22})
Wir sind deshalb für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Damit beenden wir
die Zweiklassengesellschaft aus befristet eingestellten
und unbefristet eingestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Für uns Sozialdemokraten ist der Kündigungsschutz ein positiver
Wachstumsmotor.
({23})
Wir bauen darauf, dass das auch in Zukunft im Rahmen
einer sozialen Marktwirtschaft Bestand haben wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Herr Kollege Brandner, Sie wissen, dass die Freude
des Präsidiums immer dann am größten ist, wenn die angekündigten Schlusssätze innerhalb der angemeldeten
Redezeit erfolgen.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb für
die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich zuerst an den Bundesarbeitsminister wenden. Herr Müntefering, Sie haben Brecht zitiert und dem
Vorsitzenden der FDP, Guido Westerwelle, vorgeworfen,
dass er bei dem bleibe, was er schon früher gesagt habe.
Ich stelle fest: Sie haben vor der Bundestagswahl die
Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung zum zentralen Punkt Ihrer Politik gemacht. Aber nach der Wahl haben Sie keine Sekunde gezögert, eine Mehrwertsteuererhöhung zu akzeptieren, und zwar keine 2-prozentige.
Vielmehr haben Sie noch eins draufgesetzt nach dem
Motto: Die Mitte zwischen null und zwei ist drei. - Das
ist etwas, was ich Ihnen vorwerfe. Das ist keine Weiterentwicklung. Vielmehr haben Sie die Masse der Wähler
in Deutschland hinters Licht geführt. Dafür sollten Sie
sich schämen, anstatt anderen Vorhaltungen zu machen.
({0})
Ich finde, Herr Westerwelle hat eine Entschuldigung Ihrerseits verdient.
({1})
Meine Damen und Herren von der großen Koalition
der kleinen Schritte, wie es Ihre Bundeskanzlerin gesagt
hat - Herr Brandner, man kann es auch anders ausdrücken: eine Koalition der großen Mehrheit, aber der kleinen Ergebnisse -, ich finde, es ist bemerkenswert, wenn
Herr Müntefering in einem Interview in der gestrigen
Ausgabe des „Handelsblattes“ sagt: Der Reformmotor
läuft. Wenn dem so ist, kann ich dazu nur sagen: Ihr Koalitionsvehikel ist stark untermotorisiert.
({2})
Sie haben die Reformen in diesem Lande viel weniger
vorangebracht, als es notwendig wäre.
({3})
Sie sagen in Ihren Reden beschwörend - so auch
heute -, es müsse alles dafür getan werden, dass es mehr
Arbeitsplätze gebe. Aber anstatt eine Politik für mehr
Arbeitsplätze zu konzipieren und auch zu betreiben, gibt
es bei Ihnen viel kleines Karo. Gerade die Arbeitsmarktund Sozialpolitik der schwarz-roten Koalition zeigt:
Diese Koalition trägt gern Pepita. Sie mogeln sich an
den Problemen vorbei, anstatt sie zu lösen, getreu Ihrem
Leitmotiv: Es gibt keine Lösung, also gibt es auch kein
Problem.
({4})
Gerade im Bereich der Sozialpolitik haben wir in den
ersten 130 Tagen dieser Koalition schon einige Ankündigungen erlebt. Die gesetzgeberischen Maßnahmen
sind im Wesentlichen auf die Arbeitsmarktpolitik konzentriert gewesen. Nur muss ich feststellen: Von einer
neuen Linie ist keine Spur, ja, es ist überhaupt keine
Linie, kein Leitfaden, kein Plan in Ihrer Politik zu erkennen. Sie haben die Regelungen zur Frühverrentung
verlängert, obwohl Sie doch eigentlich die Lebensarbeitszeit verlängern wollten. Verlängert wurden auch die
Ich-AG und das Förderinstrumentarium für ältere Arbeitnehmer, obwohl sich Union und SPD doch eigentlich
einig sind, dass dieses Instrumentarium ineffizient ist.
Wirklich neu ist bisher nur das Saisonkurzarbeitergeld.
Die Einigung darüber, Herr Müntefering, war allerdings
mehr als zäh. Sie haben versucht, sie als großen Erfolg
regelrecht zu zelebrieren, obwohl die Wirkung auf den
Arbeitsmarkt eher gering bleiben dürfte - also ein kleiner Schritt, ganz im Sinne der Logik von Frau Merkel.
Bemerkenswert ist, dass der Kollege Rauen hier im
Plenum davon gesprochen hat, er habe die Verhandlungen über das Saisonkurzarbeitergeld als die schwierigsten erlebt, seit er im Deutschen Bundestag ist - der Kollege Rauen gehört diesem Hohen Haus seit 1987 an.
Wenn sich die Koalition schon bei einem derart überschaubaren Vorhaben wie dem Saisonkurzarbeitergeld
so schwer tut und an die Grenzen ihrer Konsensfähigkeit
gerät, dann ist bei anderen, größeren notwendigen Reformvorhaben von Ihnen wohl nicht viel zu erwarten.
({5})
Eine Ahnung davon bekommt man bei der geplanten
Änderung des Kündigungsschutzes. Herr Müntefering,
Sie haben im „Handelsblatt“ erklärt, die bescheidene ReDr. Heinrich L. Kolb
form sei gestoppt. Frau Merkel hat gestern hier im Plenum dafür geworben, doch erst einmal das zu machen,
was verabredet worden sei; dann werde man schon sehen. Nein, Frau Merkel, das ist gar nicht erforderlich,
man sieht jetzt schon sehr klar: Bei dem zentralen
Thema - der Gestaltung der Rahmenbedingungen des
Arbeitsmarktes - hat diese Koalition keine Durchsetzungskraft.
({6})
Da ist von konstruktiven Pfadfindern, als die Sie, Herr
Müntefering, die Koalition gerne sehen würden, nun
wirklich keine Spur. Mein Eindruck ist eher, Sie irren im
Dornröschenwald umher und haben sich wahrscheinlich
im Gestrüpp schon ganz fest verheddert.
({7})
Vielleicht ist es auch besser für die Wirtschaft, vor allem
für den Mittelstand, wenn Sie bei Ihrer Blockade bleiben, Herr Müntefering. Denn der Vorschlag, eine vertragliche Verlängerung der Probezeit zu ermöglichen,
gleichzeitig aber die Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung einzuschränken, führt nicht weiter. Eine solche vertragliche Verlängerung wird für Großunternehmen in der Handhabung kein Problem darstellen, aber
kleine Unternehmen werden mit zusätzlicher Bürokratie
belastet: Denn die Fristen müssen überwacht werden und
gegebenenfalls muss eine Kündigung ausgesprochen
werden; dabei gibt es viele Fallstricke zu beachten, Herr
Müntefering. Ein befristetes Arbeitsverhältnis hingegen
läuft, wenn es denn erforderlich ist - wir alle hoffen natürlich, dass eine Verlängerung möglich ist -, einfach
aus. Ich frage mich, ja, ich frage Sie, Herr Müntefering,
warum Sie nicht einfach die alte Regelung beibehalten
und die neue Regelung danebenstellen: Befristete Beschäftigung und Verlängerung der Probezeit wären etwas, was man probieren sollte.
({8})
Aber so ticken die Uhren dieser Koalition nicht. Man beäugt sich argwöhnisch und versucht sich einzureden,
auch das Treten auf der Stelle sei eine Form der Bewegung.
({9})
- Ich glaube, es gibt hier den Wunsch nach einer Zwischenfrage, Herr Präsident.
({10})
Herr Kollege Niebel, bitte schön.
Ich glaube, dass meine Frage für die Öffentlichkeit
durchaus nicht uninteressant ist.
Im Moment ist es doch so, dass ein Arbeitnehmer, der
befristet beschäftigt ist, sich bei seinem nächsten Arbeitgeber bewerben kann als jemand, dessen befristetes Beschäftigungsverhältnis ausgelaufen ist.
({0})
- Ihr müsst das schon ertragen.
({1})
Herr Kollege Kolb, stimmt es, dass, wenn die Regelung, die im Koalitionsvertrag steht, umgesetzt wird
- nach der eine Befristung nicht mehr möglich ist -,
({2})
ein Arbeitnehmer, dem innerhalb der verlängerten Probezeit gekündigt wird,
({3})
sich bei seinem nächsten Arbeitgeber bewerben muss als
jemand, der in der Probezeit entlassen worden ist?
({4})
Wenn das stimmt: Wie wirkt eine derartige Bewerbung
auf Sie als Unternehmer?
({5})
Herr Kollege Niebel, es ist vollkommen richtig, was
Sie in Ihrer Frage ansprechen.
({0})
- Etwas Richtiges wird nicht dadurch falsch, dass es von
einem Kollegen der eigenen Fraktion gesagt wird.
Die vorgeschlagene Regelung führt in keinerlei Hinsicht weiter. Sie ist für Arbeitgeber kontraproduktiv
- das habe ich schon gesagt -, sie ist aber auch für Arbeitnehmer kontraproduktiv. Sie, Herr Müntefering,
wollen immer diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben,
bestmöglich absichern. Wir sorgen uns auch um die
5 Millionen Menschen in Deutschland, die derzeit keinen Arbeitsplatz haben. Für die bauen Sie mit Ihrer
neuen Regelung zusätzliche Hürden auf; denn es ist genau so, wie Sie, Herr Kollege Niebel, gesagt haben:
Diese Regelung wird dazu führen, dass ein Bewerber
künftig mit einem Malus in seiner Bewerbung antreten
muss. Das verschlechtert seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
({1})
Wenn ich Ihre Politik anschaue, dann sehe ich, dass
eines sicher ist: Am kurzen Ende tun Sie mit Ihrer Politik niemandem etwas zuleide, aber langfristig fühlen Sie
sich stark. Das wird besonders am Beispiel der Rentenpolitik deutlich. Sie, Herr Müntefering, haben sich
gestern im „Handelsblatt“ damit gebrüstet, die Grundsatzentscheidung zur Anhebung der Regelaltersgrenze
von 65 auf 67 Jahre getroffen zu haben. Ich sage Ihnen:
Das ist zunächst einmal kein Erfolg, sondern eine Drohung; denn für viele Menschen bedeutet das bei unveränderten Rahmenbedingungen zwei Jahre längere Arbeitslosigkeit oder aber vorzeitigen Ruhestand mit
höheren Abschlägen. Das ist in keinem Fall eine gute
Perspektive.
({2})
Ich sage Ihnen voraus: Solange es keine Trendumkehr
bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
gibt, wird es auch nicht besser werden. Wir haben seit
wenigen Minuten die Zahlen aus Nürnberg. Die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im Vergleich zum Vorjahr erneut um 166 000 zurückgegangen.
Das heißt, im letzten Jahr haben pro Woche rund
3 000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Das sind
arbeitstäglich 600 Menschen, die in Deutschland nicht
mehr arbeiten können, obwohl sie gerne arbeiten wollen.
Dafür sind Sie verantwortlich, Herr Müntefering. Die
Politik der alten Koalition von Rot-Grün wirkt in der
neuen Koalition von Rot-Schwarz weiter.
({3})
Man könnte und müsste noch vieles zu der verfehlten
Politik dieser Bundesregierung sagen. Das ist leider aus
Zeitgründen nicht möglich.
({4})
Ich kann Sie, Herr Müntefering, nur auffordern, sich
endlich an die Arbeit zu machen und die drängenden
Probleme dieses Landes zu lösen, und zwar in einer Art
und Weise, die sicherstellt, dass es zu mehr Beschäftigung kommen kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die Ausgaben des Bundes für Arbeit und Soziales umfassen 51 Prozent des Bundeshaushalts, insgesamt
134 Milliarden Euro. Das ist eine enorme Summe, die
wir dem Steuerzahler abverlangen. Dies ist der größte
Einzelposten im Bundeshaushalt. 38,3 Milliarden Euro
werden allein für Hartz IV veranschlagt, das heißt für die
Grundsicherung, also für Menschen, die der Hilfe bedürfen. Das steht in völligem Gegensatz zu dem Bild,
das zeitweise in der Öffentlichkeit gezeichnet worden
ist, wonach ein sozialer Kahlschlag stattgefunden habe.
Das hatte zur Folge, dass eine Partei, die es sonst im
Bundestag nicht gäbe, Hartz IV ihre Existenz zu verdanken hat und nun hier sitzt. Demgegenüber bleibt festzuhalten: Es wird jede Menge in diesem Bereich ausgegeben. Das ist notwendig und zu diesen Ausgaben stehen
wir.
({0})
Wenn man die beitragsfinanzierten Leistungen der
BA im Rahmen des Arbeitslosengeldes I mit betrachtet,
ergeben sich Ausgaben für Arbeitslose in Höhe von etwa
90 Milliarden Euro. Trotz dieser enormen Summen ist es
in der Vergangenheit bekanntlich nicht gelungen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Wir wissen alle, dass es nicht
reicht, nur viel Geld auszugeben. Das muss an den richtigen Stellen passieren. Deswegen sind wir dankbar und
es ist ein Ansporn für uns in der großen Koalition, dass
wir nicht nur eine deutlich verbesserte Stimmung in unserem Land haben, sondern sich in den letzten Monaten
auch eine verbesserte Lage in diesem Land ergeben hat.
Die positiven Anzeichen auf dem Arbeitsmarkt können
uns nicht zufrieden stellen und wir können uns auf dem
Erreichten nicht ausruhen, aber natürlich ist es gut, dass
heute im Vergleich zu dem entsprechenden Vorjahresmonat die Zahl, um die sich die Arbeitslosigkeit verringert hat, im sechsstelligen Bereich liegt. Das spornt uns
an, auf diesem Weg weiterzugehen.
({1})
Der Bereich Arbeit und Soziales muss seinen Beitrag
zu dem Gleichklang von Investieren, Sanieren und Reformieren leisten. Wir tun das.
Im Haushaltsbegleitgesetz ist vorgesehen - das ist mir
in diesem Zusammenhang ganz wichtig -, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung im nächsten Jahr um
2 Prozentpunkte auf 4,5 Prozent sinkt. Um diese Maßnahme finanzieren zu können, braucht die BA unter anderem den Gegenwert eines Mehrwertsteuerpunktes.
Auch deswegen muss die Mehrwertsteuer angehoben
werden. Das ist wahr.
Auch wir tun das nicht gerne. Wir haben uns zu der
Notwendigkeit dieser Maßnahme vor der Wahl ehrlicherweise bekannt. Herr Kollege Kolb, es ist gar kein
Thema: Wir haben noch sehr wohl im Ohr, was im Bundestagswahlkampf gesagt worden ist, auch vonseiten unseres heutigen Koalitionspartners. Der Unterschied ist:
Die SPD ist nach der Wahl besser als vor der Wahl, bei
Ihnen ist das umgekehrt.
({2})
Deswegen können wir uns auf vernünftige Maßnahmen
verständigen.
Die Arbeitsmarktpolitik muss die von uns eingeleiteten Schritte flankieren. Denn nur mit einem Mehrwertsteuerpunkt und nur mit den Maßnahmen, die die BA
aus eigener Kraft beitragen kann, ist die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht zu schultern. Daher werden wir alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente
auf den Prüfstand stellen. Wir werden, gerade was die
Förderung der Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit
angeht, hier neue Akzente setzen.
Sie wissen, dass die Regelung zur Ich-AG schon
Mitte dieses Jahres ausläuft. Es gibt bisher zwei Instrumente. Wir werden daraus ein Instrument machen. Bisher geben wir hierfür jährlich über 3 Milliarden Euro
aus. Ich bin fest davon überzeugt: Wir können hier zu
Einsparungen kommen, ohne dass sinnvollen und Erfolg
versprechenden Unternehmensgründungen aus Arbeitslosigkeit die Förderung versagt werden muss. Genau das
werden wir in den nächsten Monaten in Angriff nehmen.
({3})
Wir werden die weiteren arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf den Prüfstand stellen. Ein wesentlicher
Teil davon wird im Zusammenhang mit dem Kombilohnmodell, das wir entwickeln, behandelt werden.
Auch das können Sie im Koalitionsvertrag nachlesen: Es
geht nicht darum, neben die vorhandenen Instrumente
ein zusätzliches zu stellen, sondern darum, das, was in
diesem Bereich bereits existiert, sinnvoll zu verknüpfen
und effizienter auszurichten.
({4})
Genau das werden wir machen. Damit werden wir einen
wesentlichen Beitrag leisten, die Arbeitslosigkeit in
Deutschland zu bekämpfen.
Das steht im Gegensatz zu dem, was wir von den Grünen, die neu in der Opposition sind, hören. Sie haben
hier wieder für Ihr Progressivmodell geworben.
({5})
Offensichtlich haben Sie sieben Jahre dafür gebraucht,
es zu entwickeln; denn in Ihrer eigenen Regierungszeit
haben Sie es noch nicht einmal in die Debatte eingebracht. Sie müssen sich überlegen, was Sie wollen. Einerseits sagen Sie, Sie wollten das Progressivmodell, das
es mit sich bringt, dass die beitragsfreien Minijobs abgeschafft werden; darauf läuft es hinaus.
({6})
Auf der anderen Seite beklagen Sie, dass über eine Erhöhung der Pauschalabgaben das gefährdet wird, was Sie
eigentlich gar nicht mehr wollen. Sie betreiben keine
sehr konsistente Politik.
({7})
Im Bereich des Arbeitslosengeldes II haben wir
wichtige Maßnahmen ergriffen und Akzente gesetzt,
({8})
schon mit dem SGB-II-Änderungsgesetz. Fortfahren
werden wir mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz. Korrekturen sind notwendig. Es geht natürlich nicht nur,
aber auch um Leistungsmissbrauchsbekämpfung, um die
effizientere Ausrichtung der Förderung und in der Tat
darum, dass über eine bessere wirtschaftliche Entwicklung - dazu gibt es überhaupt keine Alternative - Fördern und Fordern in Einklang gebracht werden. Das ist
Rot-Grün nicht gelungen, weil die wirtschaftliche Entwicklung so katastrophal war. Die große Koalition wird
die Rahmenbedingungen so setzen, dass Fördern und
Fordern in diesem Bereich möglich ist.
({9})
Angesichts eines so angespannten Bundeshaushalts
macht es natürlich Sinn, Maßnahmen zu ergreifen, die
kein Geld kosten. Damit bin ich auf dem Gebiet des Arbeitsrechts.
({10})
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Kündigungsschutz sagen.
({11})
Ich will deutlich machen: Es geht uns nicht darum, das,
was im Koalitionsvertrag steht, zu korrigieren, sondern
zu konkretisieren. Vor dieser Aufgabe stehen wir. Jeder
weiß doch, dass die Grundsatzvereinbarung, die wir da
getroffen haben, nicht eins zu eins ins Gesetz übernommen werden kann. Den Text nehmen, „Gesetz“ darüberschreiben und eine Unterschrift daruntersetzen, fertig ist
das Ganze - so vorzugehen ist nicht möglich. Vielmehr
müssen wir konkretisieren. Es muss über vieles geredet
werden, so wie wir es bei jedem anderen Gesetz auch gemacht haben. Wir werden das tun. Wir werden auf der
Basis des Koalitionsvertrages eine Lösung finden, die
vielleicht nicht der große Durchbruch ist, die aber ein
kleiner Schritt sein kann.
({12})
Wir alle wissen doch: Da gibt es große Unterschiede.
Vor der Wahl hat es zwischen den Partnern der jetzigen
großen Koalition erhebliche Unterschiede gegeben. Es
war auch in den Koalitionsverhandlungen schwierig. Da
bleiben Unterschiede. Aber ich bin sehr für die folgende
Vorgehensweise - ich bin dem Kollegen Brandner dankbar dafür, dass er auch noch einmal ausdrücklich die Bereitschaft der Sozialdemokraten dazu bekräftigt hat -:
Wenn wir kleine Schritte miteinander vereinbaren können, dann sollten wir diese kleinen Schritte auch gehen.
({13})
Den Kolleginnen und Kollegen von der FDP muss ich
sagen: Was Sie heute Morgen präsentiert haben, war
schon einigermaßen diffus. Die Kollegin Winterstein
sagte, dem Arbeitsminister sei schon das Wenige, was
vereinbart worden sei, zu viel. Wenn Sie auf das Wenige
abheben, sollten wir uns erst einmal darauf einigen, dass
wir jedenfalls etwas Gutes vorhaben. Beim Kollegen
Kolb klang es so, als sei das eigentlich ein Rückschritt.
Ich kann das nicht nachvollziehen.
Heute gibt es im Befristungsrecht ein Wiederbeschäftigungsverbot. Wer einmal in einem Betrieb beschäftigt war, kann dort nie mehr befristet eingestellt
werden. Das ist von der Wirtschaft immer beklagt worden.
({14})
Wenn wir den Koalitionsvertrag umsetzen, entfällt unter
anderem dieses Hindernis.
({15})
Also, machen Sie sich keine Hoffnungen darauf, dass
das irgendwo versandet oder versickert. Wir werden den
Koalitionsvertrag und die Vereinbarungen, die wir darin
getroffen haben, nicht korrigieren. Wir werden sie konkretisieren. Wir werden Ihnen eine Reform des Kündigungsschutzes vorlegen.
({16})
Auch in der großen Koalition sind Reformen im Arbeitsrecht möglich. Das werden wir zeigen, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({17})
Wir haben in den letzten Monaten - um auch das noch
einmal deutlich zu sagen - schon eine Menge an Maßnahmen auf den Weg gebracht. Ich sage das, weil hier
immer so getan wird, als müsste man jetzt erst so richtig
anfangen. Wir haben im letzten Jahr die PSAs, in die
wirklich viel Geld, mit wenig Wirkung, hineingesteckt
worden ist, als Obligatorium abgeschafft. Wir haben mit
dem SGB-II-Änderungsgesetz neue Akzente gesetzt.
Wir haben denjenigen, die der Hilfe bedürfen, auch den
jungen Menschen, gesagt, dass der Anstieg der Zahl der
Bedarfsgemeinschaften nicht so weitergehen kann wie in
der Vergangenheit. Wir haben gleichzeitig den Satz im
Osten auf das Westniveau angehoben. Wir haben ein Gesetz zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung gemacht, gegen das am Ende kein einziger mehr gestimmt
hat. Also hat es sich doch offenbar gelohnt, dass wir uns
ein bisschen Zeit dafür genommen haben. Dabei ist ein
gutes Gesetz herausgekommen.
({18})
Ich sage Ihnen: Diesen Weg werden wir weitergehen.
({19})
Wo immer wir dafür auch die Unterstützung der Opposition finden, sind wir dankbar. Seien Sie sicher: Diese
Koalition wird das, was sie sich vorgenommen hat, auch
umsetzen - im Interesse der Menschen und im Interesse
von mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem
Land.
Danke schön.
({20})
Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Kipping,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem
vorliegenden Haushaltsentwurf wird der Kurs von
Hartz IV zementiert, womöglich sogar noch verschärft.
Uns sollte zu denken geben, dass durch diese Hartz-Reform die Armut in Deutschland noch verschärft wurde
und dass die Zahl der Kinder unter 15 Jahren, die 2005
in Armut lebten, noch einmal um eine halbe Million, um
500 000, zugenommen hat. Das ist nicht nur das Urteil
der Linksfraktion; das ist auch das Fazit der Wohlfahrtsverbände auf der Nationalen Armutskonferenz. Kinderarmut bedeutet, von klein auf das Gefühl des Ausgeschlossen-Seins, der Ausgrenzung von gesellschaftlicher
Teilhabe erleiden zu müssen.
Das Abschieben von immer mehr Menschen auf ein
Abstellgleis ist auch für unser demokratisches Gemeinwesen alles andere als gut.
({0})
Wir wären gut beraten, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir den Ausschluss von Menschen abbauen
können. Dazu bedürfte es einer grundlegend anderen Arbeitsmarktpolitik, wie meine Kollegin Kornelia Möller
schon ausgeführt hat. Dazu bedürfte es einer Anhebung
des Arbeitslosengeldes II, wobei es sich bei einer Erhöhung auf 420 Euro nur um einen ersten Schritt handeln
kann;
({1})
denn grundsätzlich gilt: Das Arbeitslosengeld II, so wie
es jetzt ausgestaltet ist, muss gekippt werden und durch
eine soziale sowie repressionsfreie Grundsicherung ersetzt werden.
({2})
Herr Brandner, Sie haben uns in diesem Zusammenhang unterstellt, wir als Linke wollten den allumfassenden Staat. Ja, es gibt Bereiche, wo der Staat nichts zu suchen hat, zum Beispiel im Schlafzimmer.
({3})
Aber es waren Minister Ihrer Partei, die Sozialspitzel
übers Land geschickt haben, um in den Schlafzimmern
von Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen danach zu
schauen, ob dort nicht noch jemand wohnt - nur mit dem
Ziel, den Leuten die ohnehin schon geringen Leistungen
zu kürzen.
({4})
Dabei wäre es viel effizienter gewesen, im Bereich der
Steuerfahndung aufzustocken; denn dort kann man eher
Geld eintreiben und dem Haushalt zuführen.
({5})
Doch anstatt mit uns gemeinsam darüber zu diskutieren, wie eine Erhöhung des Regelsatzes finanziert werden kann, häufen sich in den Reihen der großen Koalition die Stimmen, die für eine weitere Absenkung des
Regelsatzes sprechen.
Herr Müntefering, Sie haben gesagt, niemand habe
die Absicht, dort Kürzungen vorzunehmen.
({6})
Aber dieser Satz ist alles andere als beruhigend. Ich fand
es sehr schockierend, dass der niedersächsische Ministerpräsident, Christian Wulff, am Wahlabend zur besten
Sendezeit im Fernsehen erzählen durfte, dass das
Arbeitslosengeld II viel zu hoch sei, und niemand aus
den Reihen von SPD und CDU sich bemüßigt fühlte,
ihm in dieser Frage zu widersprechen.
({7})
Dass die CDU in den Haushaltsberatungen die für
Hartz IV eingestellten Gelder als geheime Einsparreserve betrachtet, verwundert nun wirklich nicht. Aber
wenn auch von der SPD kaum noch Gegenwehr kommt,
dann kann einem das den letzten Glauben an die Sozialdemokratie rauben.
Herr Schneider, 345 Euro im Monat bedeuten Armut
per Gesetz.
({8})
Wer nun über eine weitere mögliche Absenkung auch
nur nachdenkt, der denkt darüber nach, Menschen noch
weiter massenweise ins Elend zu treiben.
Herr Müntefering, Sie haben eine Absenkung auf
225 Euro dementiert; aber Sie haben Kürzungen nicht
generell ausgeschlossen. Solche Zwischentöne stimmen
mich nachdenklich. Es kann und darf nicht Ihr Ernst
sein, dass Sie ausgerechnet bei den Leuten, die ohnehin
nichts haben, die Daumenschrauben weiter anziehen
wollen.
({9})
- Herr Schneider, es lohnt sich in der Politik manchmal,
genauer zuzuhören. Wenn ein Minister, der sonst sehr
redselig ist, nun eine Kürzung nicht grundsätzlich ausschließt, dann gibt uns das zu denken. Ich würde mich
sehr freuen, wenn Sie irgendwann einmal deutlich machen, dass Kürzungen nicht vorgenommen werden sollen. Aber es ist ja nicht nur darüber zu diskutieren, dass
nicht gekürzt werden darf; eigentlich müssten wir über
eine Erhöhung beim Arbeitslosengeld II nachdenken.
({10})
Wie es wäre, von 345 Euro im Monat zu leben, überfordert sicherlich die Fantasie vieler von uns. Deswegen
lohnt es sich, noch einmal darzustellen, was das ganz
praktisch bedeutet. Für Freizeitveranstaltungen, Zeitungen, Bücher und Schreibwaren stehen pro Tag noch
nicht einmal 90 Cent zur Verfügung. Haben Sie einmal
versucht, für weniger als 1 Euro eine ordentliche überregionale Tageszeitung zu kaufen?
({11})
Die „taz“, die „FAZ“, die „FR“, die „Welt“, die „Financial
Times“, selbst das „ND“ sind für Arbeitslosengeld-IIEmpfänger ein Luxus, den sie sich vom Regelsatz nicht
mehr leisten können. Selbst wenn sie noch eine billigere
Tageszeitung finden, stehen sie jeden Tag vor der Entscheidung, sich diese Tageszeitung zu leisten oder Geld
anzusparen, um wenigstens einmal im Monat ins Theater
gehen zu können.
({12})
- Da Sie auf die Bibliotheken verweisen: Ein Ergebnis
- vielleicht ist es Ihnen entgangen - der von Ihnen mit
zu verantwortenden Steuerpolitik ist, dass die Kommunen immer weniger Geld haben und in immer mehr
Bibliotheken Gebühren eingeführt werden müssen, sodass sich so mancher Erwerbslose nicht einmal mehr den
Gang in die Bibliothek leisten kann.
({13})
Das gehört zur ganzen Wahrheit mit dazu.
({14})
Leben in Armut bedeutet schon deswegen ein Erleben von Ausschluss, weil man sich die nötige Mobilität
nicht leisten kann. In meinem Wahlkreisbüro treffen sich
regelmäßig Mitglieder des Erwerbslosenrates. Immer
wieder berichten Einzelne, dass sie gerne zu einer Diskussionsrunde gekommen wären, sich aber am Ende des
Monats die Fahrkarte nicht mehr leisten konnten. Das ist
kein Wunder: Für die gesamte Mobilität stehen pro Tag
64 Cent zur Verfügung. Dafür bekommt man noch nicht
einmal eine Kurzstreckenfahrkarte. Während wir Abgeordneten in Berlin die Wahl zwischen kostenlosem Fahrdienst zu jeder Tageszeit und kostenloser Monatskarte
für Bus und Bahn haben, haben Erwerbslose gerade in
ländlichen Regionen enorme Probleme, sich überhaupt
noch die Fahrt zu den verschiedenen Ämtern leisten zu
können.
Für Bekleidung und Schuhe sind noch nicht einmal
35 Euro im Monat vorgesehen. Meine Damen und Herren, wer damit auskommt, muss ein wahrer Lebenskünstler sein.
({15})
Ich frage Sie: Wie soll jemand, der nicht einmal das Geld
für einen ordentlichen Anzug für ein Bewerbungsgespräch hat, überhaupt noch Aussicht auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt haben?
({16})
Auch wenn Sie, meine Damen und Herren auf der
rechten Seite, offensichtlich einen anderen Kurs verfolgen, können wir nur sagen: Es ist längst überfällig, über
eine Erhöhung des Regelsatzes zu diskutieren und diese
in Angriff zu nehmen, allein schon deswegen, weil nach
der alten Berechnung auf Grundlage der Einkommensund Verbrauchsstichprobe völlig unberechtigte Fehlgriffe passierten. Wenn wir den Regelsatz auf 420 Euro
erhöhen, dann handelt es sich nach Berechnungen des
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes um nichts anderes als
um den Ausschluss von Manipulationen. Es wird
höchste Zeit, dass wir das in Angriff nehmen.
({17})
Wir als Linkspartei werden entsprechende Vorschläge
unterbreiten. Ich kann Ihnen nur empfehlen, noch einmal
darüber nachzudenken, ob es nicht an der Zeit ist, der zunehmenden Armut in diesem Land etwas entgegenzusetzen.
Danke.
({18})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die große
Koalition war angetreten, die großen Zukunftsaufgaben
zu lösen. Allerdings hielt dieser Anspruch nicht sehr
lange; denn die Kanzlerin verließ der Mut. Sie verkündete schon bald die Politik der kleinen Schritte.
({0})
Jetzt, wo wir alle darauf warten, dass wenigstens die
kleinen Schritte im Haushalt sichtbar werden, gehen Sie,
meine Damen und Herren von der Koalition, nicht nach
vorne, sondern Sie haben einen Zickzackkurs hingelegt:
einmal nach rechts, einmal nach links. So kommt man
nicht ans Ziel.
Ich mache diesen Kurs am Beispiel des Bundeszuschusses für die Rentenversicherung deutlich. Im Koalitionsvertrag haben Sie sich von der Dynamisierung
des Bundeszuschusses verabschiedet. Als der versammelte Sachverstand Ihnen bescheinigte, dass damit Ihr
Ziel, Rentenkürzungen zu vermeiden und den Beitragssatz bei maximal 19,9 Prozent zu belassen, nicht einzuhalten sei, versprach der Arbeitsminister im Ausschuss
eine moderate Erhöhung des Bundeszuschusses. Im
Rentenversicherungsbericht sehen wir für das Jahr 2007
eine Erhöhung des Zuschusses von 600 Millionen Euro.
Ist das moderat, Herr Minister?
Nun lesen wir im Haushaltsbegleitgesetz, dass der
Bundeszuschuss gekürzt werden soll, nämlich um
170 Millionen Euro für 2006 und um 340 Millionen
Euro für die Folgejahre. Das geht ganz einfach: Die Regierung erhöht die Sozialabgaben bei den Minijobs,
führt sie bei der gut bezahlten Nachtarbeit ein, schätzt
dann die zusätzlichen Einnahmen für die Rentenversicherung, basierend auf den tatsächlich existierenden
Zahlen - vorhin hat meine Kollegin Pothmer gesagt,
dass die Knappschaft davon ausgeht, dass es dadurch
700 000 Minijobs weniger geben könnte -, und zieht
diesen geschätzten Betrag beim Bundeszuschuss wieder
ab. Das ist so ähnlich, wie es Taschenspieler machen.
Das ist aber keine verlässliche Politik.
({1})
Es ist aber auch keine gerechte Politik. Denn wieder
werden die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen belastet, um den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Bisher
gab es einen Konsens: Die Kosten der Alterung der Gesellschaft werden durch die Versicherten, die Rentnerinnen und Rentner und durch die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler gemeinsam geschultert. Auch darum, Herr
Minister Müntefering, unterstützen wir Ihre Pläne, das
Renteneintrittsalter zu erhöhen. Auf der Veranstaltung
der IG BAU am letzten Wochenende mussten die Kollegin Falk und ich Sie verteidigen. Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen haben sich da sehr schnell weggeduckt. Wir stehen also dazu; es muss nur ordentlich
gemacht werden.
Bei der Gelegenheit möchte ich gerne den Kollegen
Kolb fragen. Ich habe Ihnen bei Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört. Sie haben dieses und jenes beanstandet. Aber Sie haben überhaupt nicht gesagt, was Sie machen wollen.
({2})
Ich möchte von Ihnen einmal wissen: Ist die FDP nun
für die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters oder ist
sie dagegen? Sie drücken sich einfach vor diesen Antworten.
({3})
Die veränderten Rahmenbedingungen der letzten
Jahre haben uns verdeutlicht, dass die Rentenpolitik auf
neue Formen von drohender Armut und fehlender sozialer Absicherung reagieren muss. Das ist zum einen die
sinkende Zahl von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und das sind zum anderen
neue Formen der Selbstständigkeit und der prekären Arbeitsverhältnisse.
({4})
- Ich möchte zunächst weiterreden. Ich lasse die Zusatzfrage nachher zu.
Für beide Gruppen besteht zudem das Risiko fehlender sozialer Absicherung in den Bereichen Krankheit
und Invalidität. Wir wissen doch auch, dass die Zahl derjenigen steigt, die keine ausreichende Altersvorsorge betreiben können, die manchmal noch nicht einmal mehr
eine Krankenversicherung abschließen können.
Das sind, Herr Minister Müntefering, in der Hauptsache die Frauen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie
heute Morgen auf die Situation der Frauen in der Erwerbsarbeit eingegangen sind. Wir haben am 9. März
auf Antrag der Grünen eine große Debatte dazu geführt.
Ihre Fraktion war damals so gering vertreten, dass die
Opposition eine Mehrheit hatte. Sie haben in Ihrer eigenen Fraktion offensichtlich noch viel zu tun.
Jetzt sind Sie an der Reihe, Herr Kolb. - Ach nein, ich
darf das ja gar nicht. Das macht der Präsident.
Bilaterale Vereinbarungen erleichtern die Geschäftsführung. - Bitte schön, Herr Kollege Kolb.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich will Sie nicht im
Unklaren lassen. Wären Sie denn bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass die FDP-Bundestagsfraktion das, was in
den Reihen der Koalition bisher erkennbar ist, nicht unterstützt? Denn eine Anhebung des Regelrenteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre bei einer gleichzeitigen Ausnahmeregelung für langjährig Versicherte und für
belastete Berufe führt im Ergebnis zu einer Nulleinsparung bei der gesetzlichen Rentenversicherung.
Außerdem glauben wir, dass man es den Menschen
einfach nicht zumuten kann, das Regelrenteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen, wenn es gleichzeitig schon heute für 50-Jährige keine neue Arbeitsstelle
mehr gibt, wenn er oder sie beispielsweise durch Konkurs des Arbeitgebers - davon gab es ja in den letzten
Jahren im Durchschnitt 40 000 pro Jahr - den Arbeitsplatz verliert. Das, was die große Koalition vorschlägt,
kann man so nicht machen. Sind Sie bereit, diese Position der FDP-Bundestagsfraktion zur Kenntnis zu nehmen?
Diese Position muss ich nicht zur Kenntnis nehmen,
Herr Kolb.
({0})
Aber Sie machen den gleichen Fehler, den viele andere
auch machen. Wir haben heute das Jahr 2006. Das Renteneintrittsalter soll frühestens im Jahre 2029 bei 67 liegen. Es scheint offensichtlich schwer zu sein, sich heute
vorzustellen, was in über 20 Jahren sein wird. Ich gehe
nicht davon aus, dass die wirtschaftliche Situation im
Jahre 2029 genauso schlecht ist, wie sie heute ist.
({1})
Ich gehe aber davon aus, dass es in dieser Zeit möglich
ist, die Integration der Älteren in die Erwerbsarbeit zu
erreichen und entsprechende Angebote zu machen.
({2})
Sie können doch nicht von dem heutigen Zustand auf
einen späteren schließen. Das ist doch genau das, was
Herr Blüm gemacht hat. Er hat von jetzt auf gleich gedacht und gesagt: „Die Rente ist sicher.“ Jetzt wird vorausschauend Politik gemacht und alle haben Zeit, sich
darauf einzustellen. Wir brauchen Gesundheitsförderung
für die älteren Menschen am Arbeitsplatz, damit sie
diese Lebensarbeitszeit auch erreichen können. Wenn
das nicht der Fall ist, dann muss man eine Änderung herbeiführen. Wenn es aber so ist, dass die Menschen bis in
ein Alter von 67 Jahren gesund auf bestimmten Arbeitsplätzen arbeiten können, dann muss das auch möglich
sein.
({3})
- Ich glaube, wir sollten im Ausschuss weiter darüber
diskutieren.
({4})
Die Schlagzeilen aus der gestrigen Tagespresse wie
„Gutes Geschäftsklima“, „Steigende Armut“ und „Koalition hält an ihren Planungen fest“ beschreiben das
Szenario deutlich: Wir haben dringenden Handlungsbedarf. Aber wie geht die große Koalition mit diesen Herausforderungen um? Heute Nacht hat es das Treffen zur
Gesundheitsreform bei der Kanzlerin gegeben. Möglicherweise müssen die Bezieher und Bezieherinnen von
Kleinsteinkommen demnächst sogar Krankenversicherungsbeiträge zahlen, die den Bankdirektor und die Reinigungskraft zu Gleichen unter Gleichen machen.
({5})
Die Union behauptet ja, Einkommensunterschiede über
Steuern ausgleichen zu wollen.
Herr Kauder, ich frage Sie: Wie wollen Sie der Bevölkerung klar machen, dass der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung zur Haushaltskonsolidierung gekürzt
werden muss, während gleichzeitig neue Formen von sozialer Ungleichheit erzeugt werden, die ebenfalls über
den Not leidenden Staatshaushalt zu korrigieren sind?
Soziale Schieflagen werden nicht dadurch gemindert,
dass neue Schieflagen aufgebaut werden. Was tun Sie?
Ich habe es gerade deutlich gemacht: Sie nehmen Geld
aus der linken Tasche und stopfen es in die rechte wieder
hinein. Seriöse Finanzpolitik sieht anders aus.
({6})
- Dazu komme ich gleich, Herr Kauder. Das ist wunderbar.
({7})
Wir können bei Ihnen keine Schritte zur konzeptionellen Weitergestaltung der Rentenpolitik erkennen.
({8})
Neuen Herausforderungen weichen Sie aus.
Ich komme zum Schluss und gehe auf Herrn Kauder
ein. Bei der Aufstellung des Haushaltsgesetzes hat die
große Koalition nichts Großes geleistet. Sie gehen den
einfachen Weg. Sie machen Schulden in Höhe von
38 Milliarden Euro auf Kosten unserer Kinder. Das sind
7 Milliarden Euro mehr, Herr Kauder, als Rot-Grün in
der letzten Haushaltsdebatte vorgeschlagen hat.
({9})
Ich kann mich noch an Ihr Geschrei erinnern, mit dem
Sie hier alles in Grund und Boden geschrien haben. Sie
machen in diesem Jahr 7 Milliarden Euro mehr Schulden, stellen sich jetzt aber hierher und tun so, als sei
nichts geschehen.
({10})
Sie erhöhen im nächsten Jahr den Beitrag zur Rentenversicherung um 0,4 Prozent und kürzen die Rentenbeitragszahlungen für Langzeitarbeitslose. Sie entlasten den
Haushalt auf Kosten der Beitragszahler.
({11})
Eine solche Politik schafft weder Vertrauen noch ist sie
zukunftstauglich.
({12})
Die Schonfrist der großen Koalition ist jetzt vorbei.
Wohlfühlen allein reicht nicht. Fangen Sie endlich an, zu
regieren!
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Max Straubinger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der erste Bundeshaushalt der großen Koalition, der
diese Woche eingebracht worden ist und nun in die Beratungen geht, ist gekennzeichnet durch die Überschriften
Sanieren, Reformieren und Investieren. Ich möchte noch
eine Überschrift hinzufügen: soziale Verantwortung für
die Menschen in Deutschland.
({0})
Das wird auch durch die Mittelansätze deutlich. Herr
Kollege Brauksiepe hat bereits darauf hingewiesen: Mit
diesem Bundeshaushalt werden 134,4 Milliarden Euro
für soziale Leistungen jedweder Art für die Menschen in
diesem Land veranschlagt. Ich glaube, das ist die große
Errungenschaft unseres Sozialstaates. Wir haben etwas
für die Menschen in diesem Land getan, wir haben dies
auch richtig organisiert und die Finanzmittel effektiv
zum Einsatz gebracht. Hier zeigt sich sehr deutlich: Die
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind
sich der Verantwortung gegenüber den Menschen in unserem Land sehr bewusst.
({1})
Die linke Seite dieses Hauses hat in der vergangenen
Zeit Wahlkampf betrieben mit dem Argument, in unserem Land wäre ein Sozialabbau festzustellen. Gerade die
Haushaltsansätze machen aber deutlich, dass wir die Sozialausgaben Jahr für Jahr gesteigert haben und zum Teil
auch steigern mussten. Wir geben mehr als 51 Prozent
der gesamten Haushaltsmittel für soziale Leistungen aus,
das ist die Antwort dieser Bundesregierung.
Wenn für die Rentenversicherung überwiegend in
Form des Bundeszuschusses und eines Ausgleichs für
die Übernahme versicherungsfremder Leistungen Unterstützungsleistungen in Höhe von insgesamt 77,4 Milliarden Euro - das sind 29,6 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens -, und dies auch in der weiteren
Finanzplanung, vorgesehen sind und nicht, wie Sie es
dargestellt haben, Frau Schewe-Gerigk, Kürzungen vorgenommen werden - ein Blick in die schöne Vorlage
würde dies verdeutlichen -, dann belegt dies sehr deutlich, dass wir uns auch unserer Verantwortung gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern sehr bewusst sind.
Natürlich ist auch entscheidend, dass der Arbeitsmarkt wieder mehr Dynamik und Wachstum erfährt.
Die Bundesregierung hat mit der Umsetzung der Genshagener Beschlüsse - ich nenne nur das 25-MilliardenEuro-Programm - bereits dafür gesorgt, dass es mehr Investitionen im Land gibt, dass der Arbeitsmarkt belebt
wird und die Menschen zukünftig wieder eine bessere
soziale Absicherung haben.
({2})
Angesichts einer Arbeitslosenzahl von jetzt knapp
5 Millionen und des Verlusts von 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen steht
die große Koalition vor einer gewaltigen Herausforderung. Herr Bundesminister Müntefering hat bereits darauf hingewiesen, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft wesentlich verbessert hat. Ich habe mir das erst in
der letzten Woche bei der Bundesagentur für meinen
Wahlkreis angeschaut. Die Zahl der Stellenangebote,
so sagten mir die örtlichen Mitarbeiter, ist in unserer Region gegenüber dem letzten Jahr um 46 Prozent gestiegen.
({3})
Das ist ein Anzeichen dafür, dass sich die anziehende
Konjunktur belebend auf den Arbeitsmarkt auswirkt.
Die Arbeitsangebote müssen aber auch angenommen
werden. Ich werte es als Erfolg - der Bundesminister hat
darauf hingewiesen -, dass circa 20 000 Arbeitslosengeld-II-Empfänger bzw. Arbeitsuchende bereit sind, Saisonarbeitnehmertätigkeiten in der Landwirtschaft aufzunehmen.
({4})
Ich glaube, dass dies, wenn wir die vergangene Entwicklung berücksichtigen, ein Erfolg des Prinzips „Fördern
und Fordern“ ist, dem wir uns verschrieben haben.
({5})
Die Motivation muss aber bei manchen noch angestachelt bzw. gestärkt werden. Angesichts von 2,9 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind 20 000 relativ
wenig.
({6})
Wir haben den Anfang gemacht. Ich wünsche uns, dass
wir eine Zahl von 30 000 oder mehr erreichen, weil nur
so die landwirtschaftliche Produktion in unserem Land
verbleiben kann und nicht in das europäische Ausland
abgedrängt wird.
({7})
Von der linken Seite des Hauses wurde heute vielfältig Klage über niedrige Löhne und Lohndumping in unserem Land geführt. Bevor wir aber irgendwelche Maßnahmen - zurzeit werden viele diskutiert: Mindestlohn,
Kombilohn und dergleichen mehr - ins Auge fassen,
sollten wir uns klar machen: Der beste Schutz gegen
Niedriglöhne in unserem Land ist Vollbeschäftigung.
Deshalb gilt es, massiv daran zu gehen, die wirtschaftliche Dynamik zu stärken. Den Weg dahin hat die Bundesregierung in vorbildlicher Art und Weise beschritten.
Der Kollege Brauksiepe hat bereits die Maßnahmen,
die von dieser Regierung eingeleitet wurden, dargestellt.
Es ist aber wichtig, darzulegen, dass diese große Koalition auch ein Partner der Kommunalpolitik ist. Ein Zuschuss in Höhe von 3,6 Milliarden Euro beim Wohngeld
entlastet unsere Kommunen und stärkt damit letztendlich
die Investitionskraft unserer kommunalen Haushalte.
Deshalb auch an dieser Stelle, Herr Bundesminister, ein
herzliches Dankeschön für das aufgebrachte Verständnis. Ich glaube, es ist entscheidend und wichtig, dass wir
ein echter Partner der Kommunen in unserem Land sind.
({8})
Manche Kostenblöcke sind uns aber aus dem Ruder
gelaufen. Im Rahmen der Hartz-IV-Reform lagen die
überplanmäßigen Ausgaben zum Beispiel - darauf
wurde bereits hingewiesen - bei mehr als 11 Milliarden
Euro. Diese Koalition ist aber daran gegangen, Fehlentwicklungen einzuschränken.
({9})
Ich bin insofern schon überrascht darüber, dass die Kollegin Winterstein hier dargelegt hat, die Koalition habe
mit der Angleichung des Arbeitslosengeldes II vom Ostauf Westniveau einen Fehler gemacht. Vonseiten der
FDP hatte ich nämlich bislang nicht gehört, dass sie für
eine Absenkung des Westniveaus ist; vielmehr hat sie
sich bei dieser Abstimmung genauso enthalten wie bezüglich der Einschränkung der Bedarfsgemeinschaften
für unter 25-Jährige.
({10})
Wo ist der Wille der FDP, für Einsparungen zu sorgen?
Ich glaube, die große Koalition ist wesentlich stärker bereit, Einsparungen zur Umsetzung zu bringen.
({11})
Wir werden daran gemessen, dass in Deutschland
mehr Arbeitsplätze entstehen. Wesentliche Umsetzungen
des Koalitionsvertrages haben wir bereits vorgenommen.
Insbesondere mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz und
der Senkung der Lohnnebenkosten sorgen wir dafür,
dass mehr Arbeitsplätze in Deutschland verbleiben. Wir
setzen die nötigen Weichenstellungen für die Zukunft.
Diese große Koalition steht für wirtschaftliche Dynamik
und für die soziale Sicherung der Menschen in unserem
Land.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Lehn,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Minister Müntefering und Steinbrück haben, wie ich finde,
einen sehr soliden und ausgewogenen Haushalt vorgelegt.
({0})
Gleichwohl macht gerade der Sozialhaushalt deutlich, in
welch schwieriger Ausgangssituation sich die Koalition
befindet. Wir geben dieses Jahr 138 Milliarden Euro für
Sozialleistungen aus. Diesen 138 Milliarden Euro stehen
Steuereinnahmen in Höhe von 192 Milliarden Euro gegenüber. Was heißt das? Das heißt, von 100 Euro Steuern, die wir einnehmen, geben wir 72 Euro für Sozialleistungen aus. Wenn die Opposition zur Linken fordert,
dieser Anteil müsse erhöht werden, kann das im besten
Fall als völlig absurd bezeichnet werden.
Damit wir uns die Ausgaben des Bundes leisten können - zum Beispiel für Straßenbau, Familienförderung,
Umweltschutz -, verschulden wir uns dieses Jahr mit
38 Milliarden Euro. Schulden vermindern die Handlungsfähigkeit des Staates in der Zukunft. Deswegen
müssen wir umsteuern. Wir müssen weg von der Verschuldung und hin zu mehr Zukunft. Nun hört sich das
sehr einfach an, aber in der Realität ist es schwierig.
Wem will man denn etwas wegnehmen? Damit meine
ich nicht nur die Ausgabenseite, sondern auch die Einnahmenseite: Von wem soll man denn noch etwas reinholen?
({1})
Gerade im Bereich der Sozialversicherung darf es keine
Denkverbote geben. Ich finde es gut und richtig, diese
Frage ständig zu stellen und sich Gedanken darüber zu
machen. Aber solche Maßnahmen werden nie einfach
und nie populär sein. Gleichwohl bleibt es unsere ständige Aufgabe.
In den vergangenen Jahren haben wir im Gesundheitswesen, bei der Rente und am Arbeitsmarkt wichtige
Reformen begonnen. Diese gilt es jetzt in der großen
Koalition fortzusetzen. Ehrlichkeit in der Debatte - sowohl was möglich ist als auch was nötig ist - würde uns
allen sehr gut tun. Um den Menschen die nötige Orientierung zu geben, müssen wir Eckpfeiler setzen, auf die
sich der Sozialstaat in der Zukunft stützt, also eine Art
Positivliste des Sozialstaates.
({2})
- Dass Sie das nicht wollen, weiß ich. Aber Sie müssen
das nicht ständig wiederholen. Dadurch wird es auch
nicht besser.
({3})
Dabei orientieren wir uns an drei Dingen: an der Bedürftigkeit - was braucht jemand, was braucht der Mensch? -,
an der Verlässlichkeit - was gilt auch noch morgen und
nicht nur heute? - und am Prinzip der sozialen Gerechtigkeit.
Der Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales ist mit rund 120 Milliarden Euro und
47 Prozent des Ausgabevolumens der größte Einzelposten im gesamten Haushalt. Darin enthalten sind - das
sind die größten Bereiche - der Bundeszuschuss für die
Rentenversicherung in Höhe von 77 Milliarden Euro
und die Leistungen für die Grundsicherung der Arbeitsuchenden in Höhe von gut 38 Milliarden Euro.
77 Milliarden Euro für die Rentenversicherung - das
entspricht etwa jedem dritten Euro, den wir an Steuern
einnehmen. Nur damit man das einschätzen kann und
zum Vergleich: Für Bildung und Forschung geben wir
jeden 30. Euro aus, für Umwelt und Naturschutz nur jeden 337. Euro.
Ich sage ausdrücklich: Es ist gut, dass wir über den
Bundeszuschuss die Existenzgrundlage von Menschen
sichern. Aber alles hat seine Grenzen. Diese Grenzen
sind erreicht. Die Bundesregierung hat eine Reihe von
richtigen Maßnahmen beschlossen, um die Dynamik des
Anstiegs des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung, die in den letzten Jahren zu beobachten
war, zu stoppen.
Dazu gehört die vorgesehene Anhebung der Pauschalabgaben auf Minijobs von 12 auf 15 Prozent. Das wird
nicht dazu führen, dass wir 700 000 Minijobs verlieren.
Im Gegenteil: Wenn man sich mit Vertretern der Bundesknappschaft, die das abwickelt, unterhält, dann erfährt
man, dass mittlerweile - zwar noch in moderatem Umfang; aber diese kontinuierliche Tendenz ist erkennbar ein Übergang von Minijobs zu Midijobs, also in die
Gruppe derjenigen, die 400 bis 800 Euro im Monat verdienen, stattfindet. Das ist eine gute Entwicklung, die
eine sehr positive Wirkung hat.
In den letzten zehn Jahren stieg der Bundeszuschuss
zur Rentenversicherung massiv. Aufzufangen war das
nur durch die Einführung der Ökosteuer. Ohne die Ökosteuer wäre das überhaupt nicht denkbar gewesen. Da
man nun aber nicht einfach eine weitere Steuer einführen
kann, ist es meiner Meinung nach richtig, die Dynamik
von jährlich 6 Prozent, die in den vergangenen Jahren zu
verzeichnen war, auf höchstens 1 Prozent pro Jahr zu begrenzen.
Wer fordert, den Bundeszuschuss zur gesetzlichen
Rentenversicherung und die Ausgaben für den Sozialstaat zu senken, der muss auch sagen, was er damit
meint. Ich will Ihnen aufzeigen, welche zwei Möglichkeiten es gibt - denn es gibt nur diese beiden -: Wenn
man den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung um
10 Milliarden Euro kürzt, dann bedeutet das eine Kürzung der Renten um 4,4 Prozent. Legt man die Durchschnittsrente von zurzeit 1 175 Euro zugrunde, entspricht das 52 Euro.
({4})
Für einen Rentner ist eine Kürzung um mehr als 50 Euro
eine ganze Menge. Abgesehen davon haben wir auch
den Rentnern bereits an vielen Stellen zusätzliche Belastungen zugemutet.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Wenn es denn sein muss!
({0})
- Ich kann es auch netter sagen: Immer gerne, Herr
Koppelin.
({1})
Ganz herzlichen Dank, geschätzte Kollegin Lehn. Sie haben gerade ein Rechenbeispiel angeführt, das ich
überhaupt nicht bestreite. Darf ich Sie dennoch fragen,
wie hoch das Minus für einen Rentner aufgrund einer
3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung ausfällt?
({0})
Ich glaube, dass dieses Minus schwer zu errechnen
ist,
({0})
weil durch eine Mehrwertsteuererhöhung die Rentner
mit hohem Einkommen stärker belastet werden als diejenigen, die ein niedriges Einkommen haben,
({1})
und zwar deswegen, weil die Güter des täglichen Bedarfs von der Mehrwertsteuererhöhung ausgenommen
sind.
({2})
In diesen Tagen können wir in den Zeitungen viel
über die demographische Entwicklung in Deutschland
lesen, als sei es eine völlig neue Erkenntnis, dass in unserem Land schon seit vielen, vielen Jahren immer weniger Kinder geboren werden. Manchmal bin ich darüber
verblüfft; denn als wir die Rentenreform beschlossen haben, war genau diese Entwicklung, die wir erkannt und
über die wir auch politisch diskutiert haben, die Grundlage für unsere Entscheidung, ein Rentennachhaltigkeitsgesetz zu erarbeiten. Dieses Gesetz ist vor zwei
Jahren verabschiedet worden. Ich denke, die demographische Entwicklung haben wir in der Zwischenzeit angemessen berücksichtigt.
Aber die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit ist für die
gesetzliche Rentenversicherung ein gravierendes Problem geblieben. Die Einnahmen der Rentenkasse sind zu
einem nicht unerheblichen Teil von der Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt abhängig. Wer eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat, zahlt in die Rentenkasse ein. Zu zwei Dritteln sind die Renten auch heute
noch beitragsfinanziert; lediglich das fehlende Drittel
stammt aus Steuermitteln.
Manchmal wird irrtümlich angenommen, die Rentenkasse sei wie ein Sparstrumpf, in den die heutigen Rentner während ihres Arbeitslebens 40 Jahre lang und länger ihre Beiträge eingezahlt haben und aus dem sie jetzt
ihre Rente bekommen. So ist das aber nicht. Die heutigen Rentner haben während ihres Arbeitslebens die Renten ihrer Eltern und Großeltern gezahlt. Die heutigen Arbeitnehmer, quasi ihre Kinder und Enkel, zahlen die
Renten der jetzigen Rentner.
Wenn die Zahl der Beschäftigten sehr niedrig ist,
dann fließt eben auch sehr wenig Geld in die Sozialkassen hinein. Das verursacht natürlich Probleme. Deswegen ist es richtig, dass in diesem Haushalt zusätzliche
Mittel für Beschäftigung vorgesehen sind. Das kommt
dem Sozialhaushalt unmittelbar zugute. Hier sind nämlich die Grenzen des Sparens erreicht: Wenn Sparen
dazu führt, dass keine Investitionen mehr getätigt werden und so die Arbeitslosigkeit weiter verfestigt wird,
dann ist das Sparen an der falschen Stelle; denn so wird
zusätzlicher Druck unmittelbar auf die Sozialsysteme
ausgeübt.
Ich will an dieser Stelle den Zusammenhang deutlich
machen: Bei 1 Million Arbeitslosen fehlen allein der
Rentenkasse 4 Milliarden Euro. Wenn wir die Arbeitslosigkeit also in erheblichem Umfang abbauen, wird die
Situation auch bei den Sozialleistungen wesentlich günstiger aussehen.
({3})
Ich glaube, dass dieser Haushalt in seiner Gesamtheit ein
ganz wesentlicher Beitrag zu einer solchen Entwicklung
ist.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich halte es für
wichtig, den heute Erwerbstätigen und vor allem den
jungen Menschen, die erst ins Berufsleben einsteigen,
sehr deutlich zu sagen, wie wichtig für sie eine zusätzliche private Altersvorsorge ist. Die Berechnungen im
Alterssicherungsbericht der Bundesregierung belegen,
dass der gewohnte Lebensstandard im Ruhestand dann
aufrechterhalten werden kann, wenn beizeiten private
Vorsorge getroffen wird. Dabei wollen wir denjenigen
besonders helfen, die das nicht aus eigener Kraft können.
Die Altersversorgung bleibt für alle gesichert, auch
für diejenigen, die heute für die Sicherung der heutigen
Renten aufkommen. Allerdings brauchen wir neben der
gesetzlichen Rente zwei weitere Säulen, nämlich eine
gut ausgebaute private und eine gut ausgebaute betriebliche Zusatzversorgung.
({4})
- Wenn Sie das wirklich wollen, dann weiß ich nicht,
warum Sie die Riesterrente in der Vergangenheit so oft
madig gemacht haben.
({5})
- Natürlich!
Wir wollen den Sozialstaat für alle Bürgerinnen und
Bürger erhalten: für die Alten, die für ihre Lebensleistung einen angemessenen Ruhestand verdient haben,
aber auch für die Jungen, die die Möglichkeit haben
müssen, sich ein Leben nach ihren Vorstellungen aufbauen zu können. Diesen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der jungen und der älteren Generation hinzubekommen, ist eine unserer Hauptaufgaben.
Also: Kein Ausstieg aus dem Sozialstaat! Größtmögliche Zielgenauigkeit bei den Instrumenten, vor allem
bei staatlichen Transferleistungen! So wenig Schulden
wie möglich, ohne Verzicht auf Maßnahmen, die dem
Arbeitsmarkt zugute kommen!
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei
Punkte sind aus meiner Sicht in dieser Debatte nicht in
ausreichendem Maße angesprochen worden:
Erstens. Es ist ein Irrglaube, zu denken, allein durch
konjunkturelle Verbesserungen könne eine Sanierung
des Haushaltes gelingen.
({0})
Das strukturelle Defizit beträgt 50 Milliarden Euro.
Das sage ich all denjenigen, die neue Forderungen an
diesen Haushalt stellen. Ein strukturelles Defizit von
50 Milliarden Euro kann man nur durch Konsolidierung
auffangen. Genau zu diesen Themen ist heute nur sehr
wenig gesagt worden.
({1})
Zweitens. Mittlerweile beträgt der Anteil der Kosten
im Sozialbereich am Gesamtetat 51 Prozent. Ich schaue
zur linken Seite des Hauses und frage: Wie viel mehr
muss es eigentlich noch kosten, damit Sie zufrieden gestellt werden können?
({2})
Es sind 51 Prozent! Wenn wir Ihren Forderungen nachkämen, würde es so teuer, dass dieser Staat an seinen
Sozialkosten total Pleite geht. Dadurch würden Sie Ihrer
Klientel am allermeisten schaden; denn Ihre Leute partizipieren an diesen Sozialausgaben überproportional.
({3})
Meine Damen und Herren von den Grünen, es ist
richtig, dass dieser Haushalt noch einmal etwas aufwächst. Aber es gibt gar keinen Zweifel daran, dass das
ein Haushalt der Umsteuerungen ist.
({4})
Es ist ein großer Tanker, der jetzt in eine andere Richtung gelenkt werden muss. Fragen Sie doch einmal, welchen Beitrag Sie dazu geleistet haben, dass der Tanker so
lange in die falsche Richtung gefahren ist. Wenn Sie sich
das vergegenwärtigen, dann werden Sie erkennen - ich
sage es Ihnen jetzt -: Sie sind maßgeblich schuld daran,
dass es dazu gekommen ist.
({5})
Jetzt, da die SPD einen ordentlichen Koalitionspartner
hat,
({6})
sieht man, dass sie durchaus Potenzial für eine sehr zukunftsfähige Politik auf diesem Gebiet hat.
({7})
Meine Damen und Herren von der FDP, in dem einen
oder anderen Fall kann man bei Ihnen durchaus Punkte
finden, die man aufgreifen und in der weiteren Beratung
berücksichtigen kann. Eines dürfen Sie aber nicht tun,
nämlich diese Rosinenpickerei. Highlight war natürlich
wieder das Thema Zahl der Ministerien.
({8})
Ich habe gelernt:
({9})
Wenn man mit der FDP konkret über Koalitionen zu verhandeln hat, dann verschwindet das Thema einer Reduzierung der Anzahl der Ministerien auf einmal ganz
schnell von der Tagesordnung.
({10})
Ich erwarte, dass wir auch in Baden-Württemberg wieder ein Beispiel dafür geliefert bekommen.
({11})
Meine Damen und Herren, wer künftig Sozialpolitik
zukunftsträchtig gestalten möchte, der wird ordnungspolitisch stärker als bisher zwischen den sozialen Investitionen - dieser Begriff muss die Sozialpolitik prägen und der sozialen Verschwendung unterscheiden müssen.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Im Bereich der Altersteilzeit muss inzwischen ein Kostenvolumen von
1,1 Milliarden Euro getragen werden.
({12})
- Sie wollen wissen, wo das steht? Das steht im Haushalt
der Bundesagentur. Diese kleine Lehrstunde speziell für
den Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgruppe ist nunmehr
beendet. ({13})
An diesem Beispiel der Altersteilzeit kann man doch den
Zielkonflikt erkennen: Einerseits wachsen die Ausgaben
dynamisch, auf der anderen Seite werden Wissen und
Erfahrungen verschwendet.
Wir sollten darauf hinwirken, dass solche Fehlsteuerungen im System beseitigt werden. Das sieht zum Beispiel so aus: Wenn ein Unternehmen ankündigt, dass
8 000 Leute kurzfristig freigesetzt werden müssen, dann
muss man fragen dürfen, welche intelligenten Veränderungen unternehmensintern vorgenommen wurden, um
dies zu verhindern.
({14})
Insofern sind solche Entwicklungen in der Wirtschaft
nicht nur eine monetäre Frage, sondern natürlich auch
eine Managementfrage. Wenn wir verstärkt Begründungen einklagen, können wir sicher Fehlsteuerungen beseitigen. Hier bin ich völlig auf Ihrer Seite.
({15})
Der Minister Müntefering sagte, er bewege sich meistens im Maschinenraum. Ich denke, angesichts des Anteils von 51 Prozent am Gesamtetat sind Sie natürlich
auch Kapitän.
({16})
Ich darf die Aufgabe, die der Haushaltsausschuss hat,
einmal so beschreiben: Wir stehen in schwierigen Gewässern gerne als Lotse zur Verfügung, um in diesem
Rahmen mit Ihnen gemeinsam das Sparziel zu prägen.
In diesem Zusammenhang auch Folgendes: Wenn wir
den Zuschuss für die Bundesagentur für Arbeit auf
null setzen wollen, dann sollten wir das durchhalten, und
zwar nicht nur in diesem, sondern auch im nächsten Jahr.
({17})
Wir sollten das Haushaltsbegleitgesetz daraufhin überprüfen, ob es nicht noch Schlupflöcher enthält, die möglicherweise in Darlehensform überjährige Kredite ermöglichen
({18})
und damit zu einem Bauchladen werden, den wir nicht
haben wollen.
({19})
Schließlich müssen wir uns so fit machen, dass wir daran
denken können, bei den Beitragssätzen einen nächsten
Schritt zu tun, über das hinaus, was wir jetzt wollen. Das
können wir nur erreichen, wenn wir in den nächsten Jahren keinen Darlehensbauchladen vor uns hertragen. Das
ist ein ganz wichtiger Punkt, weil wir da unsere Ressourcen richtig einsetzen können.
Ich bin der Auffassung, dass wir alles tun sollten, damit die Bundesagentur ihren Beitrag leistet und einen
Beitragspunkt aus ihrem Haushalt erbringt. Hier darf es
kein Wenn und Aber geben, sondern wir müssen unsere
weiteren Maßnahmen darauf ausrichten, diesen Beitragspunkt aus den Ressourcen der Bundesagentur zu erwirtschaften.
({20})
Wenn wir dies tun, dokumentieren wir damit unseren
Sparwillen und werden erfolgreich sein.
Herr Minister, Sie können davon ausgehen, dass wir
mit Ihnen nicht nur oben auf der Kommandobrücke stehen wollen, sondern dass wir uns - das gilt für alle Haushälter - auch gerne um die Aufgaben im Maschinenraum
kümmern.
({21})
Insoweit haben Sie unsere volle Unterstützung.
Vielen Dank.
({22})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mit einem Thema beginnen, das nicht mehr allzu
sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, aber das uns
in Deutschland und darüber hinaus nach wie vor intensiv
beschäftigt, nämlich mit der Vogelgrippe.
Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, dass unsere
Schutzmaßnahmen, nachdem wir seit dem 14. Februar
mit dieser Krankheit in Deutschland zu tun haben, gewirkt haben. Es ist gelungen, das oft befürchtete Überspringen des Virus auf Nutztiere in Deutschland zu vermeiden. Das ist ein Erfolg der von uns gesetzten
Rahmenbedingungen. Aber ich habe mich auch bei den
Geflügelhaltern und der Bevölkerung zu bedanken, weil
aufgrund ihres verantwortlichen Handelns das Überspringen auf Nutztiere vermieden werden konnte.
({0})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Ja. Diese Frage war aber nicht bestellt.
Herr Minister, Sie haben auf die Besonnenheit der
Geflügelhalter und der Bevölkerung verwiesen. Allerdings wurden nicht nur die Geflügelhalter, sondern auch
ganze Landstriche, insbesondere die Insel Rügen, in touristischer Hinsicht in Mitleidenschaft gezogen.
Deshalb meine Frage an Sie: Würden Sie mir beipflichten, dass es jedem, auch allen hier im Haus Befindlichen, gut anstehen würde, Solidarität mit dem Tourismus auf Rügen zu zeigen und dies dadurch zu beweisen,
in diesem Jahr dort ein paar Urlaubstage zu verbringen?
({0})
Die Menschen dort warten auf ein Signal und hoffen,
dass wir sie nicht im Regen stehen lassen, sondern dass
wir etwas für sie tun. Da bietet sich ein Urlaub geradezu
an.
({1})
Ihre Frage war: Würden Sie mir beipflichten? Das tue
ich ausdrücklich.
({0})
Das, was ich gesagt habe, ist wichtig. Trotzdem müssen wir bei unserer Linie bleiben und konsequent, besonnen und wachsam sein.
Ich beginne mit einem Punkt, der deutlich macht, dass
wir trotz aller Sparzwänge auch in diesem Haushalt Akzente in Richtung Innovation und Wachstum setzen.
Trotz der Mittelknappheit wendet die Bundesregierung
60 Millionen Euro zusätzlich für ein Sofortprogramm
im Bereich Forschung auf, um Erkenntnislücken im Zusammenhang mit dieser gefährlichen Tierseuche, aber
auch bei Zoonosen generell in Deutschland zu schließen.
Damit sollen zum Beispiel die Ausbruchursache der
Vogelgrippe in Deutschland und die Infektionswege erforscht und insbesondere nach Möglichkeit in absehbarer Zeit ein Impfstoff entwickelt werden, der die Sicherheit von Tier und Mensch erhöht.
Allein dieses Beispiel zeigt, wie man Sparen und Innovation vernünftig miteinander verbinden kann.
({1})
Wir geben mehr für Innovationen aus.
Ich teile ausdrücklich die Meinung, dass die Regierung und die Koalition jetzt eine zweite Etappe beschreiten. Ich nenne sie Pyrenäenetappe, weil es ein steiniger
Weg wird. Auch im Haushalt des Landwirtschafts- und
Verbraucherschutzministeriums steht eine ganze Reihe
von Baustellen an. Ich denke zum Beispiel an die Haltung von Schweinen und Hennen, die uns in diesen Tagen intensiv beschäftigt - ich werde pausenlos öffentlich
zu bestimmten Dingen aufgefordert -, den verantwortlichen Umgang mit der Grünen Gentechnik, die Reform
der agrarsozialen Sicherungssysteme, die Entbürokratisierung, die auch in der Landwirtschaft ein zentrales
Thema darstellt, das die Bäuerinnen und Bauern besonders bewegt,
({2})
und die Erarbeitung eines ressortübergreifenden Konzepts zur Förderung des ländlichen Raumes in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich möchte einige Schlaglichter auf diese Themen
werfen, weil sie unmittelbar mit der Finanzausstattung
unseres Haushalts zusammenhängen. Ich halte von der
Grundausrichtung der Koalition, verlässliche Politik zu
machen, sehr viel. Zu verlässlicher Politik gehört auch,
dass man über schwierige Themen zuerst nachdenkt, bevor man sich öffentlich äußert und handelt.
({3})
Das gilt für die Grüne Gentechnik ebenso wie für die
Tierhaltung.
Ich möchte zunächst einige Anmerkungen zur Tierhaltung machen. Zurzeit ist die Legehennenhaltung in
der Diskussion. Niemand in der Koalition möchte zur alten Käfighaltung zurück und niemand ist der Auffassung, dass die geltende Rechtslage unverändert bleiben
kann.
({4})
Wenn die geltende Rechtslage beibehalten würde,
hätte das zur Folge, was sich schon in den letzten Jahren
abgezeichnet hat, dass es eine Hennenhaltung in
Deutschland im nennenswerten Umfang nicht mehr gibt,
die Investitionen im Ausland - insbesondere in Osteuropa - erfolgen und anschließend die im Ausland gelegten Eier nach Deutschland importiert werden.
({5})
Ich bin dafür, dass wir uns gemeinsam und in aller
Ruhe in der Koalition, aber auch darüber hinaus Gedanken über mögliche Anschlussregelungen zum 1. Januar
2007 machen. Dazu finden in der Koalition sachliche
und vernünftige Gespräche statt. Wenn diese abgeschlossen sind, dann werden wir auch eine öffentliche Debatte
darüber führen. Ich bin sehr dafür, erst in der Koalition
miteinander zu sprechen und dann eine Entscheidung zu
fällen.
({6})
Es kann sich also jeder die Pressemitteilungen sparen;
sie werden den Prozess nicht ändern. Wir bleiben bei unserer Grundrichtung.
Das Gleiche gilt für die Grüne Gentechnik. Auch
das ist eines der Themen, die ich bei meinem Amtsantritt
vorgefunden habe. Wir wollen einen verantwortlichen
Umgang mit der Grünen Gentechnik und auch ihre Weiterentwicklung, wir müssen aber immer eine vernünftige
Balance zwischen der Förderung und Entwicklung einerseits und dem Schutz von Mensch und Umwelt andererseits finden. Auch hier gibt es einen großen Widerspruch
in der öffentlichen Debatte. Nicht wenige, die öffentlich
feststellen, es gebe noch viele Erkenntnislücken hinsichtlich der Auswirkungen auf die Böden, andere Pflanzen und der Wechselwirkungen in der freien Natur,
fordern uns gleichzeitig auf, Deutschland zur gentechnikfreien Zone zu erklären. Darin liegt ein großer Widerspruch.
Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass wir noch
das eine oder andere im Zusammenhang mit der Grünen
Gentechnik und ihrer Anwendung wissen wollen oder
müssen, dann kann man nicht gleichzeitig dagegen sein,
in Deutschland Forschung zu betreiben, um diese Erkenntnislücken zu schließen.
({7})
Ich bleibe dabei - das ist zuallererst Aufgabe des zuständigen Ressorts -: Wir werden den Dialog mit allen
Verantwortlichen führen. Das werde ich im April tun.
Wir werden dann im Mai ein Eckpunktepapier für die
Beratungen in der Koalition vornehmen, um schließlich
auf dieser Grundlage zu entscheiden, wie wir mit der
Nutzung der Grünen Gentechnik in der Bundesrepublik
Deutschland weiter verfahren. Hierbei geht es insbesondere um die Anbau- und Haftungsregeln, aber auch um
die Bedingungen für die Forschung in Deutschland;
denn bei uns muss Forschung ebenfalls möglich sein. Es
darf nicht geschehen - wie auch bei der Tierhaltung
nicht -, dass wir uns Regeln geben, die dazu führen, dass
die Forschung im Ausland erfolgt und anschließend die
Produkte dieser Forschung in die Bundesrepublik
Deutschland importiert werden.
({8})
Ein ganz großes Thema in den nächsten Monaten
wird die Reform der agrarsozialen Sicherung sein. Ich
bin sehr froh, dass es gelungen ist, in diesem Bundeshaushalt die Mittel für die agrarsoziale Sicherung unangetastet zu lassen. Das war im letzten Jahr nicht so. Wir
haben nun die Mängel des letzten Jahres wieder ausgeglichen. Ich bin der Auffassung, dass man die Mittel für
die agrarsoziale Sicherung nur dann reduzieren kann,
wenn man gleichzeitig Strukturreformen bei der agrarsozialen Sicherung durchführt. Sonst bedeutet es für die
Landwirte nichts anderes als eine Einkommenskürzung.
({9})
Diese Strukturreformen sind schwierig. Da werden wir
in der Koalition viel Gehirnschmalz aufwenden müssen.
Ich nenne an erster Stelle die landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaften. Die Landwirte klagen zunehmend über die Höhe der Beiträge. Ich teile ihre Sorgen
ausdrücklich. Ich weise darauf hin, dass die Verwaltungsausgaben in den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften im Durchschnitt bei 12 Prozent liegen,
während die Verwaltungsausgaben in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung im Durchschnitt noch nicht
einmal 6 Prozent betragen. Ich sage allen, die in diesem
Bereich der Verwaltung tätig sind: Wir müssen auf
diesen Stand kommen und die Verwaltungskosten halbieren; denn wir können angesichts der Lage in der
Landwirtschaft nicht zunehmend mehr für die Selbstverwaltung ausgeben.
({10})
Ich gehe davon aus, dass wir auch hier Ende Mai, nachdem wir in der Koalition darüber beraten haben, in der
Lage sind, die notwendigen Entscheidungen herbeizuführen.
Ich bin entschieden der Auffassung, dass wir die anstehende große Gesundheitsreform nutzen sollten, um
die landwirtschaftliche Krankenversicherung mit der
allgemeinen Krankenversicherung zu verzahnen. Nicht,
dass die landwirtschaftlichen Krankenkassen aus der allgemeinen Krankenversicherung bedient werden sollen.
Aber ich glaube, dass die demographische Herausforderung in der Landwirtschaft noch ein ganzes Stück größer
ist als in der allgemeinen Sozialversicherung und dass
die landwirtschaftliche Krankenversicherung nur dann
ernsthaft eine Zukunft hat - ohne ständig am Tropf der
öffentlichen Haushalte zu hängen -, wenn wir sie mit der
allgemeinen Krankenversicherung stärker verzahnen.
({11})
Ich bin deshalb sehr dafür, dass wir die landwirtschaftliche Krankenversicherung in die Grundentscheidung einbeziehen, die wir in den nächsten Wochen im Hinblick
auf die allgemeine Krankenversicherung treffen.
({12})
- Frau Höfken, darauf dürfen Sie gespannt sein. Zum
Schluss werden Sie sogar überrascht sein, was wir alles
zustande gebracht haben.
({13})
Ein weiteres großes Thema ist der Bürokratieabbau.
Natürlich braucht man auch in der Landwirtschaft eine
Verwaltung. Eine Verwaltung ordnet ja, wenn sie vernünftig aufgebaut ist, die Systeme. Aber wir haben im
landwirtschaftlichen Bereich die Grenze von der Verwaltung zur Schikane überschritten. Das muss man so deutlich sagen.
({14})
Das hat zwei Ursachen. Die eine Ursache ist - hier bin
ich sehr selbstkritisch - die These von der Eins-zu-einsUmsetzung der EU-Richtlinien. Wenn man mit der Umsetzung der Richtlinien beginnt, dann wird man sehr
schnell ernüchtert, insbesondere auf Bundesebene. Das
sage ich für beide Koalitionsfraktionen. Wenn noch der
Bundesrat die Bühne betritt, wird es entschieden schwieriger. Es werden dann viele Gründe angeführt, warum etwas so und nicht anders gemacht werden soll. Ich bin alles andere als amüsiert, dass man nun im Bundesrat
versucht - Kollege Kelber, darin stimmen wir überein -,
die Regelung der Schweinehaltung mit der der Hennenhaltung formal zu verbinden, wohl in der Erwartung,
dass wir in Berlin dann wegen der notwendigen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Schweinehaltung gezwungen
wären, bei der Hennenhaltung alles zu akzeptieren, was
im Bundesrat beschlossen wird. Ich spreche das so offen
an: Es wird nicht gelingen, das eine mit dem anderen so
zu verknüpfen; das hat mit Eins-zu-eins-Umsetzung
nichts zu tun.
({15})
In dem anderen Punkt, nämlich der Kontrolle der
landwirtschaftlichen Betriebe wegen der Direktzahlungen aus der Europäischen Union - die Fachleute nennen
das Cross Compliance -, sind wir auf der europäischen
Ebene in den letzten Tagen, was die Entschlackung betrifft, sehr erfolgreich gewesen. Ich kann dem Parlament
hier mitteilen, dass es nach den Informationen der letzten Stunden gelungen ist, Cross Compliance - das ich im
Grunde für notwendig halte: wenn 6 Milliarden Euro aus
Steuermitteln als Direktzahlungen fließen, muss man
auch kontrollieren, ob die Vorschriften im Pflanzenschutz, im Tierschutz, das Futtermittelrecht oder das Lebensmittelrecht eingehalten werden - sinnvoll weiterzuentwickeln. Aber dabei dürfen wir keine bürokratischen
Ungeheuer aufbauen. Deshalb bin ich froh, dass die
Kernanliegen, die Deutschland letztes Jahr im Dezember
eingebracht hat, jetzt berücksichtigt worden sind: Die
Kontrollen sollen sich jetzt auf die landwirtschaftliche
Urproduktion - auch für diese gibt es Direktzahlungen
aus Brüssel - konzentrieren und nicht auf die Weiterverarbeitung; es gibt also keine Ausweitung auf andere Bereiche.
Zweitens wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit
eingeführt: Wenn eine Ohrmarke nicht angebracht ist,
aber schon bestellt ist, ist es geradezu widersinnig, für
diesen minimalen Verstoß finanziell eine maximale Bestrafung vorzunehmen. Deshalb wird jetzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeführt. Drittens werden auf
europäischer Ebene die Kontrollschwerpunkte definiert,
die gewährleisten sollen, dass die Kontrollen auf die
Schwerpunkte konzentriert werden, die für die Verbraucher wirklich relevant sind.
({16})
Nur dürfen wir diesen Erfolg auf der europäischen
Ebene, diesen bürokratischen Rückgang, jetzt nicht
durch zusätzliche Bürokratie in der Bundesrepublik
Deutschland konterkarieren. Ich bin mit den Bundesländern im Gespräch über das Problem von fachrechtlichen
Prüfungen und Cross Compliance. Dieses Nebeneinander muss beendet werden: Wer in Cross Compliance
war, braucht nicht mehr in fachrechtliche Prüfungen,
und wer in fachrechtlichen Prüfungen war, muss nicht
mehr in Cross Compliance; das ist ein Übermaß.
({17})
Ich bitte auch die Parlamente vor Ort, in den Bundesländern, mich zu unterstützen; ich bin ziemlich sicher, dass
das der Fall sein wird.
Gut in diesem Haushalt ist, dass die nachwachsenden
Rohstoffe uneingeschränkt gefördert werden: mit
53,6 Millionen Euro, kein einziger Cent wird gekürzt.
Lieber Herr Goldmann, diese Entscheidung ist goldrichtig und sie ist kein Rückschritt in die Künast-Politik,
sondern sie folgt der gesellschaftlichen Grundüberzeugung, dass das dritte Standbein der Landwirte, nämlich
die Rohstoffproduktion, gefördert werden sollte, auch
weil sie eine Voraussetzung für die zukünftige Wertschöpfung in den ländlichen Räumen ist.
({18})
Keinerlei Kürzungen werden beim Verbraucherschutz vorgenommen: 104 Millionen Euro für den Verbraucherschutz. Ich bin froh, dass wir im Grundsatz so
weit sind, dass sich die Fraktionen und die Bundesregierung mit dem seit fünf Jahren anstehenden Verbraucherinformationsgesetz beschäftigen und darüber entscheiden können. Ich denke, dass dieses Gesetz, wie man bei
nüchterner Betrachtung zugeben muss, verbraucherpolitisch einen Durchbruch darstellt, mit dem auch Konsequenzen gezogen werden aus manchem Lebensmittelskandal der letzten Wochen. In diesem Gesetz ist zum
Beispiel vorgeschrieben, dass die Staatsanwaltschaft ihre
Kenntnisse den Lebensmittelbehörden mitteilt. Denn es
war ein unerträglicher Zustand, dass die eine Staatsbehörde wusste, dass etwas faul ist, aber der anderen zuständigen Behörde, im Lebensmittelbereich, dies nicht
mitgeteilt hat. Künftig wird es möglich sein, dass besonders raffgierige schwarze Schafe - wir haben es Gott sei
Dank nicht mit mafiösen Strukturen zu tun, sondern nur
mit raffgierigen Einzelfällen; das ist eindeutig - nicht
dadurch geschützt werden, dass sie, wenn sie ihre Ware
bereits verkauft haben, nicht mehr öffentlich genannt
werden dürfen. Ich bin froh, dass wir uns in der Koalition einig sind, dass auch dann Namen genannt werden
dürfen, wenn das Produkt schon verkauft ist. Alles andere würde bedeuten, dass derjenige, der am Gesetz vorbei schnell verkauft hat, privilegiert ist gegenüber demjenigen, der so dumm war, dass sein Produkt noch auf
dem Markt ist.
({19})
Wir bekommen auch den Anspruch des Bürgers auf
Informationen über die Produktbeschaffenheit von Lebensmitteln, Futtermitteln und Bedarfsgegenständen gegenüber einer Behörde, soweit sie dort vorliegen und
verbraucherschutzpolitisch relevant sind. Zu der ständigen Behauptung, dass dieser Anspruch des Bürgers ins
Leere gehe, weil wegen der Wahrung der Geschäftsgeheimnisse die Auskunft nicht erteilt werden dürfe,
möchte ich sagen, dass eindeutig in dem Gesetz geregelt
ist, dass Rechtsverstöße nicht durch Geschäftsgeheimnisse gedeckt werden. Es wäre aberwitzig, wenn jemand,
der einen Rechtsverstoß begangen hat, sich anschließend
auf das Geschäftsgeheimnis berufen könnte, um das
Auskunftsbegehren der Bevölkerung zu umgehen.
Ich bin der Meinung, dass wir in den ersten gut hundert Tagen viele Probleme, die auf uns eingeströmt sind
- von der WTO über die Zuckermarktordnung und das
Gammel- bzw. Ekelfleisch bis hin zur Vogelgrippe und
aktuellen Schweinepest -, in guter koalitionärer Zusammenarbeit bewältigt haben. Jetzt kommen wir zur Pyrenäenetappe, die sehr steinig sein wird. Im nächsten
Vierteljahr wird es eine Fülle von Baustellen und Themen geben, die für die Menschen und für die Agrarwirtschaft insgesamt von großer Bedeutung sind.
Positiv festzuhalten ist die Tatsache, dass es uns in der
Koalition gelungen ist, die verschiedenen Denkschulen
und Produktionsprofile in der Agrarwirtschaft zusammengeführt zu haben. Diese haben sehr lange darunter
gelitten, dass sie entweder ausgegrenzt und diskriminiert
oder gegeneinander ausgespielt wurden. Jetzt haben wir
in wenigen Wochen einen Geist des Dialogs und der
Partnerschaft geschaffen. So war es beispielsweise vor
wenigen Tagen bei einem Treffen bei der Bundeskanzlerin ganz selbstverständlich, dass die Geflügelhalter konventioneller Art und die des Ökolandbaus beieinander
saßen und vernünftig die Argumente ausgetauscht haben. Genau das ist der richtige Ansatz: nicht das Gegeneinander, sondern partnerschaftliche Umgangsformen
angesichts der Vielfalt innerhalb der Agrarwirtschaft.
Ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir diesen Geist
weiter pflegen, die Probleme lösen und insgesamt viel
für die Agrarwirtschaft tun.
Die Agrarwirtschaft ist für unsere Volkswirtschaft
von großer Bedeutung. 12 Prozent der Erwerbstätigen
arbeiten in der Agrarwirtschaft. Das wird oft übersehen.
In der Agrarwirtschaft sind exakt so viele Menschen beschäftigt wie im ganzen deutschen Gesundheitswesen,
nämlich 4 Millionen. Diese haben eine ungeheure Bedeutung für den ländlichen Raum und für die Versorgung
unserer Bevölkerung mit hochwertigen und sicheren
Nahrungsmitteln. Deshalb plädiere ich weiter für diesen
Geist der Partnerschaft und wende mich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Die Zukunft liegt bei aller
Pluralität und Vielfalt der Denkschulen letzten Endes in
der Partnerschaft, weil wir dann alle miteinander gewinnen.
Danke.
({20})
Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich werde aufgefordert, zu sagen, das sei eine
gute Rede gewesen. Das war nicht der Fall. Es waren
schöne Worte. Es waren viele sympathische Worte, die
von einer durchaus sympathisch auftretenden Person herübergebracht wurden.
({0})
Wir wollen uns aber mehr an den Fakten orientieren.
({1})
Bei einer Haushaltsdebatte hat man sich an den Fakten
zu orientieren.
({2})
Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, Ihnen und auch
allen anderen hier im Haus wird klar sein, dass die FDP
in dem Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine sehr klare Furche zieht. Wir sind für unternehmerische, marktorientierte Landwirtschaft. Wir
sind ganz klar für Bürokratieabbau. Wir sind für Transparenz und Klarheit. Man kann sagen, dass das immer
mehr bei den Menschen ankommt; denn beispielsweise
bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz haben 20 Prozent der
Landwirte unsere Idee vom eigenverantwortlichen Landwirt gewählt. Darauf sind wir stolz. Diese Linie wollen
wir fortsetzen und daran messen wir Ihr Tun.
({3})
Wie ich eben schon gesagt habe, war vieles von dem,
was Sie vorgetragen haben, sympathisch und angenehm.
Aber manchmal ging Ihre Rede auch an der Sache vorbei; ich will hier nicht das Wort „unehrlich“ benutzen.
Sie haben mich vorhin persönlich angesprochen: Ich
habe die Bereitstellung von Mitteln für nachwachsende Rohstoffe mit keinem einzigen Wort kritisiert. Ich
denke, dass Sie dpa-Meldungen lesen: In dem, was da
wiedergegeben wird, geht es um die Bereitstellung von
Mitteln für den Ökolandbau. Die geschätzten Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU haben den KünastHaushalt wegen der Bereitstellung von Mitteln für den
Ökolandbau immer außerordentlich scharf kritisiert. Ich
habe meine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass dieser Bereich in diesem Haushalt völlig ungeschmälert überlebt. Das ist doch ein Vorgang, zu dem
ich sagen muss: Das überrascht mich.
({4})
Mich überrascht auch Ihre Bereitstellung von Mitteln
für sonstige Aufgaben: im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, im Bereich der Konferenzen. Ich glaube, dass wir
deutlich sagen müssen: Das ist nicht die notwendige Bereitstellung von Mitteln für den Bereich Ernährung,
Landwirtschaft, Verbraucherschutz; das sind Spielwiesen, die Sie pflegen, die den Interessen der Betroffenen
vor Ort aber nicht Rechnung tragen.
({5})
Herr Minister, Sie haben gesagt: Dort, wo Verwaltung
zur Schikane wird, haben wir eine Grenze überschritten.
Das hört sich toll an. Dass das richtig ist, ist völlig klar.
Nur, Sie überschreiten diese Grenze doch an vielen Stellen. Sie haben sie in den ersten vier Monaten Ihrer Regierungszeit permanent überschritten. Das ist im Koalitionsvertrag angelegt. Sie wollen zum Beispiel einen
Stall-TÜV. Dieser TÜV ist so überflüssig wie ein Kropf.
Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft ist im Grunde genommen ein entsprechendes
Begleitgremium. Wir sind gerade auf dem Gebiet der
Umsetzung von Stalltechnik für kluge Haltungsformen
absolute Spitze.
({6})
Sie kritisieren den Bürokratieaufwuchs in bestimmten Bereichen. Aber was machen Sie denn bei den biogenen Kraftstoffen? Gerade dort schaffen Sie eine Regelung, die wiederum zu sehr viel Bürokratie führen wird.
Völlig unklar ist nämlich: Was ist die Verwendung von
einem biogenen Kraftstoff durch einen Landwirt auf seiner eigenen Fläche? Wo ist die Abgrenzung? Wo sind
die Nachweiskriterien?
Sie sagen: Ich bin für Bürokratieabbau. Was machen
Sie? Durch die Pauschalierung über die Erhöhung der
Mehrwertsteuer schaffen Sie gerade diese unbürokratische Praxis ab. Das wird doch nicht nur von uns kritisiert, sondern sogar von Kollegen aus Ihren eigenen Reihen, die sich wegen dieses Sachverhalts an die
Bundeskanzlerin gewandt haben, um hier Abhilfe einzufordern.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres
Kollegen Koppelin?
Ja, bitte.
Lieber Kollege Goldmann, ist das, was Sie eben angesprochen haben, vielleicht der Grund dafür, dass, seitdem Minister Seehofer gesprochen hat, fast die gesamte
Regierung fluchtartig den Saal verlassen hat?
Ich finde die Auseinandersetzung mit Herrn Minister
Seehofer, Herr Kollege Koppelin, außerordentlich spannend. Durch sein Verhalten kann man möglicherweise
das eine oder andere lernen, wenn man eine populistische Politik machen will. Wenn man sich an der Sache
orientieren möchte, dann wäre es gut, wenn die Regierungsbank stärker besetzt wäre; denn dann würden die
Regierungsmitglieder zwischen der Botschaft, die Herr
Seehofer verbal verkündet, und seinem Tun differenzieren können. Frau Bundeskanzlerin Merkel würde dann
nicht die Frage in den Raum stellen, was die Menschen
über uns denken würden, wenn wir etwas anderes als das
täten, was in der Koalitionsvereinbarung festgelegt ist.
Man würde feststellen, dass im Koalitionsvertrag eine
Eins-zu-eins-Umsetzung vereinbart ist und dass Herr
Seehofer europäische Vorgaben nicht eins zu eins umsetzt.
Herr Kollege Koppelin, Sie können sich jetzt wieder
setzen, weil ich jetzt in der Sache fortfahre.
({0})
- Herr Kelber, zu Ihnen und Ihren Widersprüchlichkeiten komme ich noch.
({1})
- Das steht in Ihrer Koalitionsvereinbarung.
({2})
- Warum soll ich das? Entschuldigung, kennen Sie Ihre
eigene Koalitionsvereinbarung nicht?
({3})
- Ich behaupte das nicht nur. Ich gehe davon aus, dass
Sie Ihre eigene Koalitionsvereinbarung kennen. Darin
steht, dass Sie für eine Eins-zu-eins-Umsetzung europäischer Vorgaben in nationales Recht sind.
({4})
Ich will das einmal an einem Beispiel belegen, damit
klar wird, worum es hier geht. Herr Minister Seehofer,
wir sind die Allerletzten,
({5})
die für die alten Käfige sind, aber wir sind die Allerersten, wenn es darum geht, Weichen für die Zukunft, für
eine unternehmerische Landwirtschaft zu stellen. Sie
setzen auch die Nutztierhaltungsverordnung im Schweinebereich nicht sachgerecht, nicht eins zu eins, um. Wissen Sie, dass das die Schweinewirtschaft eine halbe Milliarde Euro kostet? Wissen Sie, dass das jeden
Durchschnittsbetrieb mit 65 000 Euro zusätzlich belastet?
({6})
Wissen Sie, dass das die direkteste Möglichkeit ist, um
Arbeitsplätze und Unternehmen in diesem Bereich zu
zerstören? Das ist unsere Kritik an Ihnen: Sie erzählen
schöne Dinge, aber Sie handeln dann so, dass Arbeitsplätze vernichtet werden, dass es für die Agrarwirtschaft
in Deutschland noch enger wird. Das kritisieren wir,
meine ich, zu Recht.
({7})
Ich will das auch beim Thema Vogelgrippe ansprechen. Wir sind in den Fällen, in denen Sie eine kluge und
sachgerechte Politik machen, immer auf Ihrer Seite.
Aber Ihr Auftritt auf Rügen - dabei bleibe ich - war in
der Sache falsch. Das haben wir kritisiert. In der Sondersitzung waren Sie übrigens keineswegs so sympathisch
und freundlich, wie Sie sich heute hier dargestellt haben,
sondern sehr angriffsfreudig. Es ist in der Sache geboten,
sich dafür einzusetzen, dass man das Problem der Vogelgrippe in den Griff bekommt. Aber es ist in der Sache
nicht geboten, Kollegen in der Form anzugreifen, wie
Sie es bei der Sondersitzung getan haben.
({8})
Wir sind nicht die Verursacher des Stutenbeißens mit Ihrem Landwirtschaftsminister in Bayern; das müssen Sie
dann schon mit Ihrem Kollegen vor Ort austragen.
Herr Kelber, Sie haben vorhin etwas angesprochen.
Kommen wir gleich zur Sache: Die CSU-Landesgruppe
fordert: „Vorsteuerpauschale muss angepasst werden“.
Sie widersprechen. Das ist das Problem, das Sie als
schwache große Koalition haben:
({9})
Der eine läuft vor und der andere pfeift zurück. Herr
Seehofer erklärt, er sei auf dem besten Wege, und die
Kollegin Mortler beschwert sich bei der Bundeskanzlerin darüber, dass im Grunde genommen keine Weichen
für eine unternehmerische, marktorientierte Landwirtschaft gestellt werden.
({10})
Wir stimmen in bestimmten Dingen Ihrer Zielsetzung
zu, Herr Seehofer. Bei den agrarsozialen Sicherungssystemen sind Sie auf dem richtigen Weg, bei der Grünen
Gentechnik auch. Aber dazu kann ich dann auch nur sagen: Fangen Sie an, die Pyrenäen zu erklimmen!
({11})
Machen Sie nicht weiter Versuche, sondern machen Sie
sich konkret daran, die vierte Novelle des Gentechnikgesetzes auf den Weg zu bringen!
Herr Minister Seehofer, kommen Sie in der Agrarpolitik an! Beschäftigen Sie sich engagiert, wie Sie es vorhin beim Thema Cross Compliance dargelegt haben, mit
der Bereitstellung von Prämien für die Fläche!
Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr!
Beschäftigen Sie sich nicht mit der Kopfpauschale!
Sie sind Agrarminister und nicht Gesundheitsminister.
Wir warten auf die Beweise für Ihr Tun.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Wolff,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Goldmann, zu den Aussagen, die Sie zum Schluss zur Koalition getroffen haben
({0})
- Herr Goldmann, ich rede mit Ihnen; es wäre schön,
wenn Sie zuhören würden -, kann ich nur sagen: Da
spricht der Neid der Besitzlosen. Was Sie angesprochen
haben, ist ein Diskussionsprozess. Wenn man zwischen
Koalitionären unterschiedliche Meinungen hat, die zunächst einmal diskutiert und das öffentlich wird: Das
nennt man Demokratie. Das ist eigentlich eine ganz gute
Kultur. Die sollten wir beibehalten.
({1})
Sie haben von Transparenz, Verbraucherschutz und
Bürokratieabbau gesprochen. Lieber Kollege Goldmann,
das alles sind Themen, die wir in der Koalition auch bearbeiten.
({2})
Wenn Sie sich unseren Haushalt anschauen, dann können Sie dem eigentlich nur zustimmen.
({3})
Was den Ökolandbau angeht, bitte ich Sie, meinen
Ausführungen zu folgen; ich glaube, davon kann man
noch ein bisschen lernen.
Die Zeit der Haushaltsberatungen ist immer sehr
spannend. Ich mache das zum achten Mal mit. Jedes Mal
fehlt mir aber ein spannender Einstieg. Ich habe gedacht,
dass ich heute eigentlich sagen könnte: Wir haben nichts.
Wir geben nichts. - Das wäre für die Opposition die
richtige Schlagzeile.
({4})
Aber ich muss Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Das stimmt nicht. Ich muss
Sie enttäuschen, und das im positiven Sinne. Durch den
Konsolidierungsbeitrag von 200 Millionen Euro hat unser Haushalt zwar ein geringeres Volumen, aber uns sind
viele Einzelheiten sehr gut gelungen.
Die Grundlage unseres Haushaltsplans ist natürlich
der Koalitionsvertrag, in dem wir festgehalten haben,
dass wir die Rahmenbedingungen und die Wettbewerbssituation für die deutsche Land- und Forstwirtschaft, die
Ernährungswirtschaft und den Gartenbau verbessern
werden.
Grundsätzlich will ich vorausschicken, dass wir trotz
aller Sparzwänge der Entwicklung der ländlichen
Räume, der Forschung, gerade im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe, und dem Verbraucherschutz unsere ganze Aufmerksamkeit widmen werden. Wir werden Schwerpunkte setzen und deren Entwicklung mit
aller Kraft vorantreiben.
({5})
Mit fast 3,8 Milliarden Euro ist der Bereich der landwirtschaftlichen Sozialpolitik der finanzielle Schwerpunkt unseres Einzelplans. Ich bin ganz besonders froh,
Herr Minister Seehofer, und möchte mich dafür herzlich
bei Ihnen bedanken, dass wir keine weiteren Einsparungen bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung vornehmen müssen. Das war meine große Befürchtung.
Hier gibt es Bundeszuschüsse von 200 Millionen Euro.
In den vergangenen Jahren war es immer wieder ein großes Problem, dass das Bundesministerium leider keine
grundlegenden Konzepte für die landwirtschaftliche Sozialversicherung vorgelegt hat, sondern dass lediglich
der Rotstift angesetzt wurde. Ich bin froh, dass wir es in
diesem Haushaltsjahr geschafft haben, die Zuweisungen
zu sichern.
Trotzdem möchte ich das Dankeschön mit einer Bitte
verknüpfen. Da sind Sie aber schon vorausgeeilt. Ich
wünsche mir, dass wir das Ministerium an unserer Seite
haben, wenn es erneut um die Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung geht. Wenn wir das
System für die Versicherten erhalten wollen, ist eine
Reform unumgänglich. Ich bitte darum, dass wir die
Waltraud Wolff ({6})
Unterteilung in Unfall-, Kranken- und Alterssicherung
beibehalten und einheitliche Beitragsmaßstäbe für die
Kranken- und Unfallversicherung in Deutschland einführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesprogramm für tiergerechte Haltungsverfahren wird mit
3 Millionen Euro auf gleichem Niveau weitergeführt.
Hier können die Landwirte, die dieses Programm nutzen,
von Kontinuität ausgehen.
Das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“
werden wir - das haben Sie sehr richtig gelesen, Herr
Goldmann - künftig weiterhin mit 20 Millionen Euro
fördern. Denn der ökologische Landbau ist eine besonders nachhaltige Form der Landbewirtschaftung und
dessen Ausdehnung ist sinnvoll. Die Maßnahmen dieses
Bundesprogramms setzen sowohl bei der Erzeugung als
auch bei der Vermarktung an. Darüber hinaus werden
Verbraucherinnen und Verbraucher über die Produkte
des Ökolandbaus informiert.
Ich meine, es kommt nicht von ungefähr, dass der inländische Umsatz von Lebensmitteln aus dem Ökolandbau auch im Jahr 2005 ein konstantes Wachstum verzeichnen konnte. Mit einem Anstieg um 15 Prozent
erreichte er 4 Milliarden Euro - wirklich eine erfreuliche
Entwicklung.
({7})
Kommen wir zu einem in meinen Augen sehr wichtigen und zukunftsträchtigen Punkt, der aber nur im Zusammenhang mit anderen Punkten genannt werden
kann. Ich meine die nachwachsenden Rohstoffe. Die
dazugehörigen Stichworte sind aus meiner Sicht Forschung, Biomasse, Bioenergie und Wertschöpfung im
ländlichen Raum. Wir haben uns in Deutschland durch
die Beschlüsse zum EEG gut positioniert. Herr Seehofer
hat schon gesagt, dass 53 Millionen Euro für diesen Bereich aus unserem Haushalt kommen. Ich möchte ergänzen: Die Masse der Zuwendungen kommt aber aus dem
EEG, das wir in der letzten Legislaturperiode durchgesetzt haben.
({8})
Wir können auch die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien in der Zukunft noch viel besser decken,
wenn wir uns politisch konsequent dahinterstellen. Länder wie Schweden haben da eine Vorreiterrolle; sie sind
sehr mutig. Ich bin überzeugt, dass wir das genauso gut
können. Hinzu kommt, dass unsere Technologien in diesem Bereich weltweit sehr gefragt sind. Diese Position
gilt es weiter auszubauen.
Aus diesem Grund ist hier ein Schwerpunkt auf die
Forschung zu legen. Wie könnten wir das besser tun als
mit dem schon in der letzten Legislaturperiode beschlossenen Biomasseforschungszentrum in Ostdeutschland?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, es
bleibt mir nicht erspart, das zu sagen: Wir haben das in
der letzten Legislaturperiode beschlossen; allein an der
Umsetzung hat es gefehlt. Die große Koalition wird dies
tun; wir haben die Umsetzung sozusagen auf dem
Schirm.
({9})
Als ich vorhin von der Stärkung der Landwirtschaft
geredet habe, meinte ich das Potenzial, das über die Nahrungsmittelproduktion hinaus ausgeschöpft werden
muss.
({10})
Ich habe immer den Standpunkt vertreten, dass unsere
Landwirte am Anfang der Kette zur Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe stehen. Hier gilt es, noch viel
Aufklärungsarbeit zu leisten; aber auch unsere Unterstützung ist gefragt. Denn die großen Konzerne haben
längst erkannt, dass man mit alternativen Energien und
mit Treibstoffen richtig Geld verdienen kann.
({11})
Aus diesem Grund liegt unser Augenmerk nicht nur
darauf, dass es eine steuerfreie Verwendung von reinen
Biokraftstoffen in der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft und bei den Lohnunternehmern geben wird, sondern wir werden im Rahmen der Neuregelung zur Besteuerung der Energieerzeugnisse auch intensiv darauf
achten, dass es nicht zu Verwerfungen auf diesem jungen
und noch labilen Markt kommt.
({12})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Happach-Kasan?
Aber gerne.
Frau Kollegin Wolff, ich freue mich sehr, dass Sie
hier noch einmal ausdrücklich betont haben, dass man
mit biogenen Kraftstoffen Geld verdienen kann und dass
sich inzwischen eine Industrie in Deutschland entwickelt
hat, die aufstrebend ist und die sich die Marktführerschaft erobert hat. Dies alles ist geschehen vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses, bis zum 1. Januar
2009 die biogenen Kraftstoffe mineralölsteuerfrei zu
stellen.
Ich frage Sie aufgrund Ihres Plädoyers für die biogenen Kraftstoffe, das Sie eben gehalten haben: Warum hat
die schwarz-rote Koalition beschlossen, diese Steuerbefreiung vorzeitig aufzuheben und durch einen Beimischungszwang zu ersetzen? Sie wissen doch genau, dass
damit Investitionen in ihrem Wert gefährdet sind, dass
das Vertrauen von Unternehmen in das politische Handeln massiv untergraben wird und dass schon jetzt abDr. Christel Happach-Kasan
sehbar ist, dass Investitionen, die in Deutschland geplant
werden, nach Großbritannien und Schweden verlagert
werden.
({0})
Frau Kollegin Happach-Kasan, von der Verlagerung
in andere Länder ist mir überhaupt nichts bekannt.
({0})
Die Beimischungspflicht birgt nicht nur ein Risiko,
wie Sie sagen, sondern auch eine Chance. Wir müssen
im Rahmen der Diskussion über das Energiesteuergesetz
darauf achten, die Quoten gerecht festzulegen. Darauf
muss man den Schwerpunkt setzen. Wenn wir es schaffen, die Steuerbefreiung für die Landwirtschaft aufrechtzuerhalten, dann sind wir insgesamt einen großen Schritt
weiter gekommen. Eine Beimischungspflicht bedeutet,
dass es einen gesicherten Absatz geben wird.
({1})
Unsere Landwirtschaft leistet mit der Erzeugung von
Energiepflanzen - dieser Punkt passt sehr gut zur Zwischenfrage - den Grundstock für die CO2-Minderung in
Deutschland und auch für die Erfüllung des Kiotoprotokolls. Darum sage ich: Die Produktion dieser Pflanzen
kann nicht zum Nulltarif zu haben sein. Wir wissen: In
vielen Bereichen der Lebensmittelproduktion diktieren
andere die Preise. Ich erinnere nur an die Schleuderpreise für Milch oder für Eier und an andere Sonderangebote. Das darf uns bei den Energiepflanzen nicht passieren.
({2})
Deshalb ist es wichtig, an dieser Stelle im Energiesteuergesetz Schwerpunkte zu setzen.
({3})
Änderungen, die im Haushaltsbegleitgesetz vorgenommen werden, oder auch Gesetzgebungen aus anderen Fachbereichen, die die Landwirtschaft originär betreffen, müssen wir auch in Zukunft im Blick behalten.
Nun zu einem ganz anderen Thema. Ich weiß, dass
viele Kreis- und Landesbauernverbände bereits Kolleginnen und Kollegen gebeten haben, sich im Zuge der
Mehrwertsteuererhöhung für eine Erhöhung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft von 9 auf
12 Prozent einzusetzen. Um was geht es hier eigentlich?
Die Mehrwertsteuer, die ein Unternehmer als Vorleistung für seine Produktion zu entrichten hat, nennt man
Vorsteuer; sie wird später vom Finanzamt zurückerstattet. Für die Landwirtschaft entfällt normalerweise die
Aufzeichnungspflicht gegenüber dem Finanzamt. Die
Landwirte können von der so genannten Vorsteuerpauschale Gebrauch machen. Zurzeit beträgt sie 9 Prozent.
({4})
Prinzipiell darf jeder Berufsstand seine Forderungen
stellen, auch die Bauern. Ich erlaube mir aber an dieser
Stelle, einfach einmal die Frage zu stellen, ob die Erhöhung der Pauschale die richtige Lösung ist. Ich bin zwar
für Bürokratieabbau und auch für den Abbau ungerechtfertigter Härten. Aber meiner Ansicht nach muss man
bei der Vorsteuerpauschale ein bisschen genauer hinschauen. Landwirte können jederzeit zur Buchführung
wechseln, wenn sie unzumutbare Härten vermuten oder
sich vom Fiskus ungerecht behandelt fühlen.
({5})
- Herr Goldmann, genau darauf will ich Ihnen gerne antworten. Wenn Sie die Vorsteuerpauschale mit Bürokratieabbau in Verbindung bringen, ist das lächerlich. Hier
geht es um Steuergerechtigkeit.
({6})
Wir leben im Jahre 2006. Wir leben in einem Zeitalter, in dem jeder Hartz-IV-Empfänger seine Konten offen legen muss,
({7})
in dem jeder, der Zuwendungen vom Staat erhalten will,
transparent bis aufs Hemd sein muss. Ist es da wirklich
zeitgemäß, dass Landwirte pauschalieren?
Berechnungen besagen, dass eine Anhebung des Pauschalierungssatzes von 9 auf 12 Prozent für die Landwirtschaft sowie in der Forstwirtschaft von 5 auf
5,5 Prozent Mindereinnahmen von sage und schreibe
570 Millionen Euro zur Folge hätte. Ich bin der Meinung, dass wir, wenn wir über die Entwicklung der ländlichen Räume reden, Steuergelder sinnvoller und wirkungsvoller einsetzen könnten. Hier könnten wir unsere
Kreativität einsetzen. Ich will es auf den Punkt bringen:
Für mich bedeutet „Buchführung beim Finanzamt“, eine
ordentliche Steuererklärung zu erstellen, wenn mich
nicht alles täuscht.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe zu Beginn
von der Verantwortung der Regierungskoalition in Bezug auf die Verbraucherpolitik gesprochen. Dazu wird
- denn ich sehe, dass meine Redezeit dafür zu kurz ist mein Kollege Kelber einiges sagen. Ich möchte zum
Schluss auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen
Frau Kollegin, Sie müssen diesen Punkt aber sehr
kurz halten.
- den halte ich ganz kurz -, damit mir die Opposition
nicht vorwerfen kann, ich schummele mich um dieses
Thema, nämlich um die GAK, herum. Wir alle wissen:
In Zukunft werden wir dafür 50 Millionen Euro
({0})
- ja, Entschuldigung, 70 - weniger zur Verfügung haben.
Dazu möchte ich sagen: Hier ist die Kreativität von
Bund und Ländern gefragt. Wir müssen gemeinsam im
PLANAK Mittel und Wege finden, nicht mit der Gießkanne zu arbeiten, sondern ganz gezielt Fördermaßnahmen vorzunehmen.
Wir haben einen Haushaltsplan vorgelegt, der es lohnt
diskutiert und dann auch mit Mehrheit beschlossen zu
werden.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Um es gleich vorwegzusagen:
Wir glauben, dass mit diesem Agrarhaushalt die Probleme im ländlichen Raum nicht nur nicht gelöst, sondern sich weiter zuspitzen werden.
({0})
Aber gestatten Sie mir zunächst eine grundsätzliche
Bemerkung. Der nun auch von der Bundesbank bestätigte wesentliche kausale Zusammenhang zwischen fehlenden Einnahmen und dem Staatsdefizit bringt uns in
eine prekäre Situation: Die politischen Gestaltungsmöglichkeiten werden immer kleiner. Stattdessen verwalten wir selbstverschuldeten Mangel. Das trägt zu
Politikverdrossenheit und Wahlverweigerung bei und
beschädigt die Demokratie.
({1})
Der erneut reduzierte Bundesagrarhaushalt spitzt die
Probleme im ländlichen Raum weiter zu, selbst wenn
man berücksichtigt, dass Bundesmittel nicht die einzige
Finanzierungsquelle sind. Uns allen wurde die Aufgabe
gestellt, mit nunmehr 5 Milliarden Euro zu politischen
Rahmenbedingungen beizutragen, die dem ländlichen
Raum und der Landwirtschaft eine wirkliche Zukunftschance eröffnen. Da ist selbst mit einer Prioritätensetzung nicht viel zu stemmen. Umso mehr kommt es aus
unserer Sicht darauf an, wirtschaftliche, ökologische
({2})
- könnte ich um ein bisschen Ruhe bitten - und soziale
Interessen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern
zusammenzudenken.
Doch die gegenläufige Tendenz ist der Fall. Immer
mehr ländliche Räume werden zu sozialen Brennpunkten. Ein expandierender Niedriglohnsektor und Hartz IV
führen dazu, dass nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern
auch Einzelhändler, Dienstleister und ihre Angestellten
ihre Existenz nicht mehr bestreiten können. Gleichzeitig
werden Umwelt- und Naturschutz zunehmend als wirtschaftsfeindlich oder gegen die Interessen der Menschen
gerichtet dargestellt. Angesichts dieser Probleme wird
dringender denn je ein zukunftsfähiges agrarpolitisches
Konzept gebraucht.
({3})
Im Zentrum unserer konzeptionellen Gedanken steht,
dass eine sozialökologische Umgestaltung der Gesellschaft zwingender denn je ist und dass die ländlichen
Räume mit ihrer Agrarwirtschaft dabei eine zentrale
Funktion haben. Sie müssen als soziale und nicht nur als
wirtschaftliche Räume politisch gestaltet werden, und
zwar so, dass auch künftige Generationen dort leben
können. Das heißt, sowohl natürliche Ressourcen zu
schonen als auch existenzsichernde Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen - nicht nur in der Landwirtschaft. Das ist zugegebenermaßen gelegentlich ein Spannungsfeld, das sich aber mit gutem Willen und klugen
Ideen durchaus auflösen lässt und das aufgelöst werden
muss, wollen wir nicht die zunehmende Verarmung und
Vergreisung in den ländlichen Räumen tatenlos hinnehmen.
Das heißt agrarkonzeptionell gedacht: Erstens. Wir
brauchen existenzsichernde Arbeitsplätze auch in der
Landwirtschaft. Die Tendenz zu diskontinuierlicher, saisonaler Beschäftigung und Niedriglohn hat gerade im
ländlichen Raum dramatische Folgen. Wir wollen keine
Tagelöhner.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schirmbeck?
Selbstverständlich.
Frau Kollegin, um Ihnen die Chance zu geben, uns
aufzuzeigen, was man im Einzelnen tun könnte, hätte ich
folgenden Hinweis für Sie: Die Kollegen Holzenkamp
und Kues und ich kommen aus einer Region mit intensiv
betriebener Landwirtschaft. Schauen Sie sich einmal die
Schweine- und die Hühnerhaltung in diesen Regionen
an, auch die Ernährungswirtschaft und die dort ausgewiesenen FFH-Gebiete und vergleichen Sie dies mit dem
Bundesdurchschnitt! Dann werden Sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Tagelöhner, von denen Sie gesprochen haben, immerhin dazu geführt haben, dass die Arbeitslosenquote bei uns um 6 Prozent beträgt. Zeigen Sie
mir einmal andere Räume in Deutschland, wo die Entwicklung so positiv verläuft, und sagen Sie mir einmal,
was Sie in diesen Räumen umgestalten wollen, wenn
man die Politik umsetzen würde, die zu skizzieren Sie
uns eigentlich schuldig bleiben. Sagen Sie uns einmal,
was wir dann zu erwarten haben!
Mir ging es um die Tagelöhner, denen für die Arbeit
2,50 Euro pro Stunde gezahlt werden und die auch nur
zeitweise arbeiten können. Ich glaube, es ist unser gemeinsames Anliegen, die saisonale und diskontinuierlich
anfallende Arbeit in der Landwirtschaft in eine ganzjährige Beschäftigung zu überführen.
({0})
Sie haben selber einen entsprechenden Gesetzentwurf
eingebracht. Das muss unser Ansatz sein. Diskontinuierliche und saisonale Arbeit kann nicht unsere Zukunft
sein. - Aber recht schönen Dank für Ihre Nachfrage.
Ich fahre fort und zähle jetzt einige Punkte auf, die
auch Antworten auf Ihre Frage sind.
Zweitens. Als traditioneller Kern der ländlichen Wirtschaft muss flächendeckende Land- und Forstbewirtschaftung mit vielfältigen Betriebsstrukturen und Eigentumsformen gesichert werden.
Drittens. Regionale Wirtschaftskreisläufe können ein
stabilisierender Faktor für die regionalen Arbeitsmärkte
sein.
Viertens. Wir wollen eine multifunktionale Landwirtschaft, die sich neue Erwerbsfelder erschließt, ob regenerative Energien, nachwachsende Rohstoffe oder Tourismus.
Fünftens. Die Agrarwirtschaft muss umweltgerecht
und verbraucherorientiert sein. Das spricht zum Beispiel
gegen eine Anwendung der Grünen Gentechnik, aber für
eine tierschutzgerechte Nutztierhaltung.
({1})
Sechstens. Die Pflege und ökologisch sinnvolle Gestaltung der Kulturlandschaft durch die Landwirte muss
als gesellschaftlich gewollte Arbeitsleistung entlohnt
werden.
({2})
Messen wir also den vorliegenden Agrarhaushalt an
diesen Herausforderungen. Ich fange einmal mit dem
Positiven an. Die Bundeszuschüsse für das agrarsoziale System sollen nicht gekürzt werden. Das ist ein
richtiger und mutiger Schritt; denn immerhin - das ist
bereits gesagt worden - macht dieser Etat 75 Prozent des
Gesamthaushalts aus. Da sind Begehrlichkeiten vorprogrammiert. Es ist dringend erforderlich, diese Begehrlichkeiten angesichts der meist geringen Verdienste in
der Landwirtschaft abzuwehren. Weitere Beitragserhöhungen wären von vielen nicht mehr zu verkraften. Der
letzte Agrarbericht gab selbst für das Spitzenjahr 2004/05
einen Durchschnittsgewinn plus Personalaufwand von
nur rund 23 000 Euro je Arbeitskraft an. Als Landwirt
wird man im Laufe des Lebens vermutlich reich, aber
nur an Erfahrung.
({3})
Die bloße Fortschreibung der Bundeszuschüsse ist
kein zukunftsfähiges Konzept. Die dafür notwendigen
Überlegungen müssen unter Einbeziehung der Betroffenen angestellt werden und die Lösungen solidarisch und
sozial gerecht sein.
({4})
Ich fahre mit einem weiteren positiven Aspekt - viel
mehr gibt es nicht - fort. Das Budget für Verbraucherpolitik im Bundeshaushalt lässt erkennen, dass die Lebensmittelskandale der vergangenen Monate nicht ganz
spurlos geblieben sind. Die tatsächliche Lage in diesem
Bereich wird aber leider nicht stabilisiert; denn auf Länderebene wurden die finanziellen Mittel für die Verbraucherzentralen zum Teil drastisch gekürzt. Das gilt vor allen Dingen für die ärmeren Bundesländer. Dort leben
aber meistens auch die ärmeren Menschen. Für sie sind
die immer weiteren Wege zu den Beratungsstellen kaum
mehr überbrückbar - und das in einer Situation, in der
die Herausforderungen an die mündige Verbraucherschaft immer größer werden. Das heißt, Arme werden
noch rechtloser und damit noch ärmer.
Schauen wir uns als nächstes den Etat für die
Gemeinschaftsaufgabe an. Der Situationsbericht 2006
des Deutschen Bauernverbandes stand unter dem Motto
„2005 nur noch 685 Millionen Euro“. Jetzt verhandeln
wir über gerade einmal 615 Millionen Euro. Das sind
70 Millionen bzw. circa 10 Prozent weniger.
Das ist nicht alles. Auch die EU-Mittel für den ländlichen Raum, die so genannte zweite Säule, werden drastisch, nämlich um durchschnittlich 40 Prozent, gekürzt,
obwohl sie schon ungekürzt alles andere als ausreichend
waren.
Um die Liste des Raubbaus an finanziellen Mitteln
für die ländliche Strukturpolitik zu vervollständigen: Der
Bund kofinanziert mit Mitteln aus der Gemeinschaftsaufgabe Landesmittel. Also gehen auch diese verloren.
Hinzu kommt, infolge der ebenfalls bundespolitisch verursachten Haushaltsnotstände, der zunehmende Ausfall
der öffentlichen Hand bei Investitionen in den ländlichen
Gemeinden.
Fazit: Die ländlichen Räume sind die großen Verlierer
der aktuellen Politik, und zwar in Ost und in West.
({5})
Diese Misere wird durch die neuen Ideen zur Besteuerung der biogenen Kraftstoffe - sie wurden schon genannt - verstärkt. Dadurch droht eine Vernichtung der
umfangreichen Investitionen, gerade der dezentralen Ölmühlen. Eine neu erschlossene Wertschöpfungsquelle im
ländlichen Raum wird damit versiegelt. Das kommt dabei heraus, wenn man die Agrarstrukturpolitik vom Finanzminister machen lässt. Das ist zumindest politisch
unklug.
({6})
Zum Schluss will ich ein Thema ansprechen, weil auf
diesem Gebiet seit Jahren Handlungsbedarf vorhanden
ist, der zwar offensichtlich, aber unbeachtet geblieben
ist. Tierseuchen und Zoonosen sind seit Jahren im zunehmenden Maße medial gefühlte oder tatsächliche Bedrohungen für Menschen und Nutztiere. Leider muss
aber oft erst der Ernstfall eintreten, bevor die Politik sie
als Risiko wirklich wahrnimmt. Die Ereignisse um die
Vogelgrippe in den vergangenen Wochen haben eines
bewiesen: Der Bundesrepublik fehlen Ressourcen in der
veterinärepidemiologischen Forschung.
({7})
Auf diesem Gebiet sind wir bestenfalls ein Entwicklungsland.
Einige Nachbarländer haben spätestens nach den
brennenden Kadaverbergen des MKS-Seuchenzugs in
Großbritannien reagiert und die Veterinärepidemiologie
gestärkt.
({8})
In der Bundesrepublik wurden als Schlussfolgerung aus
der BSE-Krise zwar zwei große neue Bundesinstitute geschaffen, an der Veterinärepidemiologie ging dieses
Füllhorn aber vorbei.
Gestern teilte mir Minister Seehofer per Antwortbrief
mit, dass er an den Umzugsplänen für das Institut für
Epidemiologie des Friedrich-Loeffler-Instituts in Wusterhausen festhalten will. Seine Begründung: Synergieeffekte. Das ist die Begründung seiner Vorgängerin. Der
Umzug an einen wenig geeigneten Standort ist aber nach
BSE, MKS, Schweine- und Geflügelpest falscher als
1996.
({9})
Damit würde mittel- und erst recht langfristig die Arbeitsfähigkeit der einzigen ausschließlich veterinärepidemiologisch arbeitenden Einrichtung in der Bundesrepublik gefährdet und damit die wissenschaftliche
Beratung des Bundesministeriums bei diesen Themen.
Eine vernünftige Ausgabenpolitik sieht, denke ich, anders aus.
({10})
Die richtige Schlussfolgerung aus den Ereignissen der
vergangenen Wochen wäre die Aufarbeitung der offensichtlichen Defizite, statt die Fehler der Vorgänger fortzusetzen. Nicht das Festhalten am Umzug, sondern die
Stärkung dieses Instituts wäre das Gebot der Stunde, übrigens auch unter strukturpolitischen Gesichtspunkten.
Es geht hier um die letzten Arbeitsplätze in der Wissenschaft in einer Region mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit
und um einen der größten lokalen Arbeitgeber.
Es geht aber nicht nur um den Standort. Die Diskrepanz zwischen den notwendigen und den personell tatsächlich verfügbaren Ressourcen wird in diesem Ressortforschungsbereich immer größer.
Das Gleiche gilt in der Bundesforschung für die Forschung zu wildbiologischen Fragen. Diese Defizite sind
zwar bei der aviären Influenza offensichtlich geworden,
sie sind aber für andere Wildtierinfektionen wie Tollwut,
Wildschweinepest und Kleiner Fuchsbandwurm ebenso
gültig. Angesichts dieser Situation klingen die gestrigen
vollmundigen Bekenntnisse der Koalition zur Forschung
nur bedingt glaubwürdig.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Jetzt werde hier mal nicht fies.
Wenn man den Nebel einmal beiseite schiebt, der von
der großen Koalition verbreitet wird,
({0})
dann muss man sagen: Mit der schwarz-roten Regierung
und CSU-Minister Seehofer findet ein nie da gewesener
Kahlschlag für die ländlichen Räume statt.
({1})
Herr Seehofer steht als Kaiser ohne Kleider da, bejubelt
vom Hofstaat. Denn gleich in den ersten hundert Amtstagen beschloss die schwarz-rote Regierung zwar großzügig die Aufstockung der deutschen Zahlungen an
Brüssel um immerhin 2 Milliarden Euro pro Jahr, verzichtete dabei aber ebenso großmütig auf rund 400 Millionen Euro an Fördermitteln aus der EU für die deutschen ländlichen Räume. Ob aus Ignoranz oder Naivität,
das bleibt Spekulation. Tatsache ist: Während Luxemburg, Österreich, Italien und andere mit erheblichen Aufstockungen nach Hause gehen konnten, fehlen ab jetzt
vor allem in den westdeutschen Bundesländern etwa
45 Prozent der bisherigen Finanzmittel.
({2})
Mit den Kofinanzierungsmitteln summiert sich das
Ganze auf Defizite von über 700 Millionen Euro pro
Jahr. Seehofer und andere rechtfertigen dieses Desaster
damit, dass man so die Direktzahlungen gesichert habe.
Da haben die Hühner endlich wieder einmal etwas zum
Lachen.
({3})
Im Dezember hat Frau Merkel noch von Kompensationen geredet, aber wenn man sich den Haushalt ansieht, findet man davon nichts. Im Gegenteil: minus
200 Millionen Euro zusätzlich im nationalen Haushalt,
davon eine Kürzung in Höhe von 70 Millionen Euro für
die deutsche Gemeinschaftsaufgabe - und das trotz des
guten Mittelabflusses in den Ländern und trotz guter Investitionswirkung dieser Maßnahmen.
Was hatten CDU und CSU nicht alles versprochen?
Wenn man sich die alten Haushaltsreden durchliest, dann
sieht man: Die Steuern für Agrardiesel sollten auf das
gleiche Niveau wie in Frankreich gebracht und die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit sollten abgesenkt werden.
({4})
Man sieht, all das waren Rattenfängereien im Wahlkampf. Das kann man jetzt erkennen.
({5})
Der von Schwarz-Rot vorgelegte Haushalt zeigt deutlich, dass Landwirtschaft, Forsten, die ländliche Entwicklung und der Verbraucherschutz die Verlierer dieser
Politik sind.
Es gibt natürlich ein paar Bonbons: Der Haushalt für
die Verbraucherzentralen wurde nicht angetastet, das
Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ besteht weiter und die agrarsoziale Sicherung ist gesichert. Das ist
okay. Aber ganz klar ist auch: Im Gesamten betrachtet
kann man das nur als einen Kahlschlag begreifen.
({6})
Was dieser Haushalt übrigens auch nicht zeigt, das
sind Wahrheit und Klarheit. Es gibt einen Schattenhaushalt, eine globale Minderausgabe von über 100 Millionen Euro,
({7})
was ihr bei viel geringeren Summen heftig kritisiert
habt. Es gibt keinerlei Transparenz über die Mittelverwendung, es gibt spekulative Einnahmen usw. Das zeigt
auch, dass die große Koalition die Rechte des Parlaments komplett ignoriert. Darüber werden wir in den Beratungen noch reden.
({8})
Frau Künast als Ministerin
({9})
und Rot-Grün hatten umgesteuert, Wertschöpfung geschaffen, Arbeitsplätze in der Qualitätserzeugung bei
den erneuerbaren Energien geschaffen, die Umweltleistungen und besseren Verbraucherschutz in der Landwirtschaft honoriert, erfolgreiche Programme für die Regionalentwicklung und bessere Kinderernährung aufgelegt,
Rapsanbau für Biokraftstoffe unterstützt, Bioprodukte,
regionale Spezialitäten, tiergerechte Erzeugung, Naturschutz und Gewässerpflege gefördert. Hier gibt es - das
sieht man jetzt - eine enorme Entwicklung gerade für
den Mittelstand, in der Landwirtschaft und im ländlichen
Raum. Zehntausenden von neu geschaffenen Arbeitsplätzen wird jetzt die Unterstützung entzogen.
({10})
Es ist schon angesprochen worden: Durch die Mehrwertsteuererhöhung und die Vorsteuerpauschale gerät
die Lebensmittelwirtschaft weiter unter Druck und bekommt große Absatzprobleme. Aus Erfahrung wissen
wir, dass die Leute hier am meisten sparen, wenn man
ihnen Geld wegnimmt.
({11})
Hinzu kommt die Besteuerung der Biokraftstoffe. Die
geplanten Zwangsbeimischungen machen den Bauern
den Markt kaputt
({12})
und entwerten die getätigten Investitionen.
({13})
Durch die Hintertür kommt es auch noch zu einer kräftigen Erhöhung der Kraftstoffpreise.
Statt den Mittelstand und die Bauern zu stärken, werden die Weichen ganz radikal in Richtung Industrialisierung gestellt. Die Agrogentechnik soll mit den Produkten von Bayer und Monsanto gegen alle Widerstände
von Bauern und Verbrauchern durchgedrückt werden.
Die gewerblich-industrielle Geflügelwirtschaft darf ihre
tierquälerische Käfighaltung und damit ihren Dumpingwettbewerb gegenüber der tiergerechten Produktion fortsetzen.
({14})
Der Raps stürzt im Preis ab und fließt in den Profit der
Mineralölkonzerne. Die Tabaklobby feiert fröhliche Urständ und darf weiterhin für Produkte werben, die unserer Gesellschaft enorme Probleme bereiten und hohe
Kosten verursachen. Es handelt sich um 140 000 Tote,
3 300 davon durch Passivrauchen, und Kosten in Höhe
von 17 Milliarden Euro pro Jahr.
Herr Seehofer, hier sehen Sie als ehemaliger Gesundheitsminister wohl keinen Handlungsbedarf.
({15})
Dabei könnte man an dieser Stelle wirklich Haushaltskonsolidierung betreiben, indem man diese gesundheitsschädlichen Produkte angemessen besteuert
({16})
- ich kritisiere ja auch die eigenen früheren Beschlüsse -,
statt die blödsinnigen Steuerhinterziehungsaktivitäten
der Tabakindustrie noch tatsächlich zu verlängern.
({17})
Durch die Feinschnittausnahme, die so genannten Sticks,
und die vor kurzem eingeführten Volumentabake
entgehen dem Staat pro Jahr Einnahmen von mindestens
2 Milliarden Euro. Hätte man dem Finanzminister diesen
Weg vorschlagen, wären dadurch alle Kürzungen im
Einzelplan 10 völlig überflüssig geworden.
({18})
Hinzu kommt, dass 7 Milliarden Euro für die Schwerpunkte Forschung und Innovationen zur Verfügung standen. Was haben Sie in diesem Bereich eigentlich gemacht? Wieso hat das Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hier
keinen Bedarf angemeldet? Ich nenne nur die Stichworte
Tierseuchen, Biomasse, Verbraucherschutz, Ökoproduktion, Pflanzenschutz und Tierzucht. Besteht hier etwa
kein Bedarf? Das ist wohl komplett an Ihnen vorbeigegangen. Wie ist das zu begründen?
Betreiben Sie beim Flugbenzin einen vernünftigen
Subventionsabbau, sorgen Sie für eine gerechtere Verteilung der Agrarfördermittel
Frau Kollegin.
- ich komme zum Schluss - und schaffen Sie Transparenz bei der Verwendung der Mittel!
Mit Ihrer Politik werden zukunftsfähige Entwicklungen blockiert,
({0})
die wir angesichts der WTO-Verhandlungen und der notwendigen Reformen machen müssen. Mein Fazit zu den
neuen Kleidern des Ministers, der Kanzlerin und der
schwarz-roten Koalition lautet - das ist die nackte Wahrheit -: keine Unterstützung und keine Perspektive für die
Landwirtschaft, für den Verbraucherschutz und für die
ländlichen Räume.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Bleser, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
neue Bundesregierung ist jetzt 129 Tage im Amt.
({0})
Eine Bewährungsprobe nach der anderen war zu bestehen.
({1})
Gleich nach seiner Vereidigung musste Minister
Seehofer nach Brüssel reisen, um die fast fertig verhandelte Zuckermarktordnung noch in eine verträgliche
Form zu bringen,
({2})
mit dem Ergebnis, dass wir in der Zuckerwirtschaft
50 000 Arbeitsplätze gesichert haben.
({3})
Kurz danach kamen die Gammelfleischskandale ans
Licht. Hier wurde zusammen mit den Ländern binnen
weniger Tage ein Zehnpunkteprogramm erarbeitet, um
solche Machenschaften in Zukunft wirksam bekämpfen
zu können.
({4})
Nur wenige Wochen später war auf der Insel Rügen
das erste Tier mit dem H5N1-Virus befallen. Damit hatte
eine aus Asien kommende furchtbare Tierseuche, die unsere Nutztierbestände und letztlich auch die Menschen
bedroht, auch Deutschland erreicht.
Die konsequente und rigorose Bekämpfung dieser
Tierseuche hat dazu geführt, dass bisher keine Nutztierbestände befallen sind und sich auch noch kein Mensch
mit diesem Virus infiziert hat. Deswegen ist auch in Zukunft am Worst-Case-Prinzip festzuhalten,
({5})
um zu verhindern, dass sich diese Tierseuche bei uns
weiter ausbreitet.
Warum nenne ich gerade diese drei Vorfälle? Ich
nenne sie, weil die Art und Weise, wie wir mit diesen
Problemen umgegangen sind, eine neue politische Verhaltensweise sichtbar macht, die einen fundamentalen
Wechsel der Agrarpolitik in Deutschland darstellt.
({6})
Nicht im bockigen Alleingang und von einer einseitigen
Ideologie geprägt, wie dies bei Frau Künast der Fall war,
({7})
sondern unter Einbindung der Betroffenen
({8})
und der Länder wird jetzt Politik gemacht. Kooperation
statt Konfrontation, so lautet das Motto. Das ist die
Marschrichtung, die wir eingeschlagen haben. Mit einer
solchen Politik helfen wir den Menschen.
({9})
Mit unserem Vorgehen haben wir aber auch Folgendes erreicht: Die Verbraucher sehen, dass ihre Regierung, wenn es um gesundheitlichen Verbraucherschutz
und die Sicherung höchster Qualitätsansprüche geht,
kompromisslos ist. Ein solider und wissenschaftlich begründeter Verbraucherschutz schafft Vertrauen in unsere Lebensmittel und damit letztlich auch in unsere Politik.
({10})
Das hat übrigens ganz konkrete Auswirkungen. Hat
sich schon jemand gefragt, warum es in den südlichen
Ländern wie Frankreich, Italien oder Griechenland bei
Geflügelfleisch einen dramatisch hohen Absatzeinbruch
gab, während der Absatzeinbruch in Deutschland - Gott
sei Dank - weit unter 25 Prozent geblieben ist?
({11})
Das ist eine konkrete Auswirkung unseres Verhaltens bei
der Bewältigung dieser Krise. Die Menschen trauen uns.
Herr Goldmann, leider haben Sie dazu keinen großen
Beitrag geleistet.
({12})
Mit unserer neuen Politik - Kooperation statt Konfrontation, Schaffung von Vertrauen in den Verbraucherschutz, Vertretung deutscher Interessen in der Europäischen Union und in anderen Gremien - haben wir dazu
beigetragen, dass die ersehnte Bauernbefreiung stattgefunden hat.
({13})
Die 4,3 Millionen Beschäftigten in der Agrarbranche
können wieder Hoffnung und Zuversicht schöpfen. Das
ist sogar messbar. Das Agrarkonjunkturbarometer ist im
September sofort steil nach oben geschnellt. Der Anstieg
ist bisher ungebrochen. Damit wird sichtbar, dass die
Menschen wieder an die Politik glauben
({14})
und dieser Koalition zutrauen, mehr Beschäftigung zu
schaffen,
({15})
was Voraussetzung dafür ist, dass es wieder mehr Familien mit Kindern gibt. Das sind zwei zentrale Ziele dieser
Koalition. Diese müssen wir auch im Agrarbereich verfolgen und wir müssen mithelfen, sie zu erreichen.
Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis harter
Arbeit der Regierung, aber auch - das sage ich ganz
ohne Eigenlob - der Koalitionsfraktionen und der Arbeitsgruppen. Dabei hatten beide Koalitionspartner bei
den verschiedenen Themen unterschiedlich lange Wege
zurückzulegen. Das ist uns bisher immer gelungen, zumal die Atmosphäre immer menschlich und angenehm
war.
({16})
Frau Wolff, zu Ihrer Einlassung zur Mehrwertsteuererhöhung. Das ist natürlich nicht Konsens in der Koalition.
({17})
Natürlich muss der Finanzminister seine Einnahmen ermitteln und erwirtschaften, gerade auch mithilfe der
Umsatzsteuer. Ich denke, das kann man auf verschiedene
Art und Weise tun. Hier müssen wir uns verständigen.
Ich bin sicher, dass die Argumente letztlich greifen, indem wir uns in der Koalition auf Bürokratieabbau einigen.
({18})
Neben den bisher umgesetzten EU-Vorhaben in nationale Gesetze - ich nenne das Gentechnikgesetz, das
Pflanzenschutzgesetz und die Zuckermarktordnung;
diese Gesetze waren überfällig - sind noch andere wesentliche Dinge anhängig, die zu regeln sind. Dazu gehört die Tierhaltungsverordnung. Ich kann dazu nur so
viel sagen, weil in den nächsten Tagen die Entscheidungen hierzu fallen: Die Vorschläge des Bundesrates weisen in die richtige Richtung. Ich denke, dass wir auf dem
Sektor einen Konsens finden, der dazu führt, unter Achtung des Tierschutzes - das ist der entscheidende Punkt 30 000 Arbeitsplätze zu sichern und 1 Milliarde Euro an
Investitionen freizugeben. Hier blockt alles.
({19})
Wir müssen in den nächsten Wochen dafür sorgen, dass
auch dort eine Planungssicherheit entsteht, die ein Wirtschaften und die Sicherung von Arbeitsplätzen in diesem
Bereich ermöglicht.
Das Gleiche gilt auch für die Schweinehaltungsverordnung. Auch hier müssen wir die Planungsrahmen so
setzen, dass investiert werden kann, um Marktanteile zu
sichern. Ich sage es ganz bewusst: Dort werden keine
Subventionen gezahlt, dort gibt es die Wettbewerbsfähigkeit. Es muss das Ziel dieser Koalition sein, diese
Politik in den nächsten Monaten - das muss sehr schnell
gehen - fortzusetzen.
Herr Kollege.
Ich weiß, die Redezeit ist leider beschränkt worden.
Nicht von der Präsidentin.
({0})
Es ist ganz wichtig, dass wir den Menschen die Zuversicht vermitteln, dass sie mit der jetzigen Koalition,
mit dem Minister und der ministerialen Führung Ansprechpartner haben, die ihre Probleme nicht nur verstehen, sondern die ihnen auch helfen, eine Perspektive für
die Zukunft aufzubauen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss schon sagen, dass die Berufung von Minister
Seehofer zumindest für uns eine Überraschung war;
({0})
denn daran führt ja kein Weg vorbei: Minister Seehofer
hat ein bestimmtes Image, auch in seiner eigenen Fraktion. Er trat als Vize der Fraktion zurück und verzog sich
schmollend nach Bayern. Das Interessante war allerdings, dass er das Fenster weit öffnete, um den Ruf als
Minister zu hören - er bot sich in den Zeitungen auch
selbst als Minister an -, als die Bundestagswahl gelaufen
und eine große Koalition in Sicht war. Gut, vielleicht
wollte er seine Erfahrungen, die er mit Frau Schmidt bei
der Gesundheitsreform gemacht hat, einbringen. Zum
Leidwesen unserer Bürger hatten wir ja damals schon
die große Koalition.
Herr Minister Seehofer, Sie haben heute Ihren Etat
vorgestellt. Ich fand es übrigens erfreulich, dass Sie auch
auf einzelne Positionen eingegangen sind. Auch ich
werde das gleich tun. Sie müssen sich aber fragen lassen,
warum Sie sich nicht bemüht haben, das umzusetzen,
was Ihre Fraktionskolleginnen, die Kollegin Aigner und
die Kollegin Hasselfeldt, in der Oppositionszeit hier gesagt haben. Nicht ein Stück davon haben Sie umgesetzt.
({1})
- Ich habe die Reden übrigens da. Du kannst es nachlesen. Der Zuruf war also überflüssig.
({2})
Fangen wir einmal an. 200 Millionen Euro sollen als
globale Minderausgabe gespart werden. Sie haben uns
zwar nicht gesagt, wo Sie sparen wollen, aber Sie haben
schon gesagt - das ist richtig; Kollege Goldmann hat
darauf hingewiesen -, dass wir bei den agrarsozialen
Versicherungssystemen einen Umbau vornehmen müssen. Das ist richtig, keine Frage. Ich habe allerdings die
große Sorge - das sage ich auch in Richtung unserer
Landwirte -, dass das solch vermurkste Konzepte sind
wie die, die Sie gemeinsam mit Frau Schmidt beschlossen und uns hier vorgetragen haben. Den Murks, den Sie
mit Frau Schmidt damals beschlossen haben, dürfen Sie
unseren Landwirten nicht zumuten.
({3})
Der zweite Bereich ist der Ökolandbau; er ist hier
angesprochen worden. Herr Minister, ich wundere mich
schon, dass Sie diese Position im Haushalt gelassen haben. Die Kollegin Wolff hat das hier noch einmal glorreich dargestellt. Der Etat für den Ökolandbau beträgt
20 Millionen Euro. Herr Minister, haben Sie denn vergessen, was der Bundesrechnungshof zu dieser Position
gesagt hat? Ich zitiere:
Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft … hat aus dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau … in weitem
Umfang Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit finanziert, um die politische Grundausrichtung der
Bundesregierung darzustellen. Damit hat es gegen
Haushaltsrecht verstoßen.
Das haben wir in der Oppositionszeit - auch Ihre Fraktionskollegen - hier mehrfach kritisiert.
({4})
Was tun Sie? Sie belassen die Position in genau der
gleichen Höhe im Haushalt. Beim ersten Berichterstattergespräch - Sie konnten nicht dabei sein; ich glaube,
Sie waren zum Starkbieranstich in München - habe ich
danach gefragt und Ihr Ministerium war nicht in der
Lage, auch nur ein einziges Konzept vorzulegen.
({5})
Ich muss vermuten, dass es genauso weitergeht wie bisher. Eventuell wollen Sie diese Position ja auch als Spardose nutzen.
Für das Bundesprogramm „Tiergerechte Haltungsverfahren“ stellen Sie 3 Millionen Euro zur Verfügung.
Sie wissen doch ganz genau - ein Blick in den Haushalt
und auf die Ist-Zahlen zeigt das -, dass das Geld nie abgerufen worden ist.
({6})
Bei Frau Künast war das früher aufgebläht bis zum
Gehtnichtmehr. Es ist nie abgerufen worden. Nicht einmal 1 Million ist abgerufen worden. Warum lassen Sie
das Geld weiterhin drin?
({7})
Für die Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben stehen 9 Millionen zur Verfügung. Kein
Konzept steht dahinter. Ihr Ministerium ist nicht in der
Lage, uns ein Konzept bzw. einen Plan vorzulegen, aus
dem hervorgeht, was Sie damit tun wollen.
Ein weiterer Bereich. Sie lassen ein Gutachten erstellen, nämlich eine neue nationale Verzehrserhebung.
5 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Wir nehmen 38 Milliarden Euro an neuen Schulden auf und Sie
führen solche Programme durch, die nichts bringen. Das
Ergebnis, das bei einer nationalen Verzehrserhebung für
5 Millionen Euro herauskommen wird, kann ich - meine
Kollegen in der Fraktion sicher auch - Ihnen heute schon
sagen.
({8})
Bei der Forschung - auch das ist unglaublich interessant - begründen Sie Ihre Forderung nach mehr Geld gegenüber den Berichterstattern damit, dass die Forschungsinstitute, die Ihrem Ministerium zur Verfügung
stehen, nicht in der Lage seien, diese Aufgaben zu erfüllen. Dazu kann ich nur sagen: Wenn das stimmt, dann
machen Sie doch die Läden dicht. Die Menschen dort
leisten aber hervorragende Arbeit und man sollte auf das
Fachwissen dieser Forschungsinstitute zurückgreifen
und sich nicht den Sachverstand von außen holen; denn
das kostet den deutschen Steuerzahler viel Geld.
({9})
Im Etat finde ich nur eine Position zur Vogelgrippe,
und zwar unter dem Begriff internationale Zusammenarbeit: Vogelgrippevorbeugung in Kambodscha. Wenn Sie
diese Vorbeugung schon seit zwei Jahren finanzieren,
hätten Sie sich das Fachwissen vielleicht aus Kambodscha holen können. Ich sage etwas süffisant, Herr Minister: In Ihrem Etat ist dazu nichts zu finden.
Ich habe die Sorge, Herr Minister - damit komme ich
zum Schluss -, dass Sie dieses Amt nicht angestrebt haben, um etwas für unsere Landwirte zu tun, sondern aus
einem ganz anderen Grund. Ich darf einmal zitieren, damit es dem einen oder anderen deutlich wird. Nachdem
Sie aus dem Präsidium der CDU/CSU-Fraktion und als
Vizefraktionsvorsitzender zurückgetreten waren, haben
Sie in einem Interview mit dem „Stern“ dazu einiges gesagt. Frage vom „Stern“:
Was sagen Ihre Fraktionskollegen denn?
Ihre Antwort:
Die fragen mich: Wer hat denn nun dich aufs Kreuz
gelegt - Merkel oder Stoiber?
({10})
Zweite Frage vom „Stern“:
Monatelang hat Stoiber Sie an die Front geschickt … Dann knickt er im letzten Moment ein.
Werden Sie ihm jemals wieder richtig vertrauen
können?
Antwort von Seehofer:
Natürlich werde ich solche Erlebnisse immer im
Hinterkopf haben.
Das ist der entscheidende Punkt. Sie haben etwas
ganz anderes im Hinterkopf. Sie wollen nicht der Minister für unsere Landwirte und die Verbraucher sein, sondern Sie wollen zukünftiger Ministerpräsident in Bayern
werden. Das ist Ihre Zielsetzung. Dazu benutzen Sie dieses Amt.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Ernst Bahr, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dass wir uns in der Haushaltsberatung sachlich
miteinander auseinander setzen, versteht sich von selbst.
Dass es manchmal auch polemisch wird, verstehe ich.
Ich bin aber nicht dafür, Kolleginnen oder Kollegen für
ihre Redebeiträge zu kritisieren. Dennoch will ich zwei
kritische Anmerkungen zu dem machen, was eben gesagt wurde.
Herr Koppelin, ich frage mich wirklich, ob wir in der
Haushaltsberatung über Herrn Seehofers Karriere reden
müssen.
({0})
Aber ich will auf die Sachthemen zurückkommen.
Adipositas bzw. die Fehlernährung von jungen Menschen ist ein Modell, das zu Demonstrationszwecken im
Etat des Ministeriums enthalten ist. Sie können doch
nicht ernsthaft behaupten, dass das ein Fehlprogramm
sei und nicht notwendig sei.
Zur Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz will ich an dieser Stelle anmerken: Dies ist eigentlich Aufgabe der Länder. Wir machen eine Ko- bzw.
Ergänzungsfinanzierung. Wie die Abrufung der Mittel
bisher ausgesehen hat, wissen Sie. Ich denke, wir sollten
hier sachlich bleiben.
Ein anderer Beitrag hat mich heute ein bisschen mehr
geärgert. Da muss ich mich an Sie wenden, Frau Höfken.
Sie haben Begriffe wie Verlierer, Kahlschlag, Schattenhaushalt, Einschränkung der Rechte des Parlaments, Industrialisierung der Landwirtschaft und Tabakwerbung
in einem Zusammenhang gebraucht,
({1})
den ich für unangemessen halte. Außerdem könnten Sie
die Kritik, die Sie heute am Entwurf des Haushalts 2006
geäußert haben, auch auf die Haushalte der vergangenen
sieben Jahre beziehen; denn vom Inhalt und vom Betrag
her ist der Entwurf des Einzelplans 10 fast identisch mit
dem, was wir in den vergangenen Jahren vorgelegt haben. Eigentlich hätten Sie eine Lobrede halten müssen.
({2})
Das, was Sie von sich gegeben haben, finde ich demagogisch. Deswegen muss ich das ausdrücklich kritisieren.
Ernst Bahr ({3})
({4})
Über den Entwurf für den Haushalt 2006 wird unter
sehr schwierigen finanzpolitischen Bedingungen diskutiert; das wissen wir alle, das muss ich nicht wiederholen. Ich will aber deutlich machen, dass es deshalb um so
notwendiger ist, die Konsolidierung des Haushalts voranzutreiben und dennoch gewisse Schwerpunkte in unserer Politik zu setzen. Dabei ist es uns wichtig, dass wir
Investitionen und Innovationen fördern. Im Einzelplan 10 ist das berücksichtigt.
Wie ich gerade gesagt habe, haben wir die Kontinuität
der vergangenen Jahre inhaltlich und finanziell gewahrt.
Von den 5,05 Milliarden Euro dieses Etats werden allein
74,9 Prozent für Sozialleistungen ausgegeben. Das beweist, dass es - der Minister und auch meine Kollegin
Wolff haben das dankenswerterweise schon angesprochen - um wichtige Aufgaben geht. Hier müssen wir uns
einer Herausforderung stellen, die in den nächsten Jahren Strukturveränderungen mit sich bringen wird, die
wir bewältigen müssen. Schließlich wollen wir den
Landwirten nichts wegnehmen. Gleichzeitig müssen wir
die Ausgaben auch finanzieren.
({5})
Dass wir im Entwurf für den Haushalt die Zuschüsse
sicherstellen, ist das eine. Das andere ist die Finanzierung der Zukunftsaufgaben. Ich finde es in diesem Zusammenhang wichtig, Mittel bereitzustellen, um im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe für die Landwirte
neue Einkommensbereiche zu erschließen und eine größere Unabhängigkeit in der Energieversorgung in
Deutschland erreichen. Viele Gemeinden sind auf Basis
dieser Form der Energieversorgung bereits völlig autark.
In der Forschung verstetigen wir ebenfalls die Mittel.
So werden in diesem Jahr wieder 200 Millionen Euro für
die Bundesforschungsanstalten eingestellt. Wie Sie wissen, sichern diese Mittel die Wahrnehmung der ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben, deren vernünftige
Durchführung durch die Forschungsanstalten außer
Frage steht. Weitere 9 Millionen Euro haben wir für die
bereits erwähnten Modell- und Demonstrationsvorhaben
bereitgestellt, die ich für sehr wichtig halte.
Auch in der Verbraucherpolitik verfolgen wir kontinuierlich den von uns eingeschlagenen Weg weiter. Die
Mittel für die Verbraucheraufklärung werden auf dem
bisherigen Niveau fortgeschrieben. Das ist - wie in allen
anderen Bereichen - sicherlich nicht genug, aber man
muss die Bedingungen berücksichtigen, unter denen wir
den Haushalt aufstellen.
Dass wir Einsparungen vornehmen müssen, ist unumgänglich.
({6})
200 Millionen Euro ist ein hoher Betrag, auch wenn er
gemessen am Volumen des Gesamthaushalts von
5,05 Milliarden eher niedrig erscheint. Davon werden
aber 3,78 Milliarden Euro für Sozialleistungen eingesetzt, sodass nur etwa 1 Milliarde Euro übrig bleibt. Die
erforderlichen Einsparungen in Höhe von 200 Millionen
Euro werden vor allem durch Kürzungen im Bereich
der GAK und durch eine globale Minderausgabe von
100 Millionen Euro erbracht, die im Wege der Haushaltsdurchführung aufzulösen sein wird.
({7})
Den Restbetrag müssen wir durch Veräußerungen aufbringen.
Wichtig ist es, auch in diesem Haushaltsplan strukturelle Veränderungen vorzunehmen. Das haben wir verabredet und wir werden einen Beitrag dazu leisten, die
Notwendigkeit, Aufgaben zu finanzieren, mit den Finanzierungsmöglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen.
In diesem Sinne freue ich mich auf die vor uns liegenden
Beratungen und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit bei
der Bewältigung dieser Aufgaben.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, dieser Agrarhaushalt ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis und nach meiner Auffassung eine Katastrophe
für den ländlichen Raum.
({0})
Das ist keine Oppositionsrhetorik, Herr Minister.
({1})
Sogar aus den eigenen Reihen kommt herbe Kritik. So
hat Ihre Kollegin Marlene Mortler einen Beschwerdebrief direkt an die Kanzlerin gerichtet. Ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin aus der „Saarbrücker Zeitung“
vom 22. März zitieren:
Obwohl der Haushalt des Agrarministers „ausgelutscht und ausgebeutelt“ sei, habe Seehofer Kürzungen in Höhe von 200 Millionen Euro pro Jahr
zugestimmt.
Von den 200 Millionen Euro, die Sie einsparen wollen, entfallen allein 70 Millionen auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz GAK genannt. Diese Kürzungen bei
der GAK bedeuten eine klare Absage an die ländlichen
Regionen in Deutschland. Denn die GAK ist neben den
EU-Mitteln das wichtigste Förderinstrument für den
ländlichen Raum. Sie ist das zentrale Element, um die
Agrarstrukturpolitik in Deutschland zu koordinieren und
zu vereinheitlichen.
Schlimm genug, dass uns der Merkel-Kompromiss
beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs
im Dezember vergangenen Jahres 3,5 Milliarden Euro
EU-Mittel für den ländlichen Raum in der nächsten Förderperiode gekostet hat. Dadurch werden jährlich
500 Millionen Euro fehlen. Das entspricht einer Kürzung von 37 Prozent. Nun kürzen Sie vorab schon einmal die nationale Kofinanzierung. Damit wird nicht weniger als die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Land- und Forstwirtschaft zur Disposition gestellt.
({2})
Ich nenne als Fallbeispiel die Umsetzung der FloraFauna-Habitat-Richtlinie in Waldgebieten. Zur Ausfinanzierung der Umsetzungsverpflichtung des Naturschutz-Netzwerks Natura 2000 sind jedes Jahr 600 Millionen Euro notwendig. Die GAK-Mittel haben einen
erheblichen Anteil daran. In Wäldern, die im Rahmen
von Natura 2000 als FFH-Gebiete ausgewiesen sind,
gelten bekanntlich Bewirtschaftungsauflagen. Dafür
müssen die Waldbauern auch Ausgleichszahlungen erhalten. Sonst drohen deutliche Einkommenseinbußen.
({3})
Wenn Sie, Herr Minister, diese Gelder nicht bereitstellen, verstoßen Sie entweder gegen EU-Recht oder Sie
schädigen die Waldbauern. Beide Varianten stellen meines Erachtens keine Option für eine seriöse Haushaltsplanung dar.
({4})
Ich könnte unzählige weitere Beispiele nennen.
Wovon wollen Sie denn, Herr Minister, zusätzliche Leistungen im Tierschutz honorieren? Wie wollen Sie die
dringend notwendige Diversifizierung der landwirtschaftlichen Tätigkeiten fördern?
Aber nicht allein die Kürzungen bei der GAK sind
das Problem. Von dem Unsinn mit der Biokraftbesteuerung will ich hier gar nicht reden. Nur so viel: Da haben
Landwirte in Ölmühlen investiert und sollen nun wieder
zu billigen Rohstofflieferanten für die Mineralölindustrie degradiert werden.
({5})
Eines liegt mir noch am Herzen. Während sich Minister Gabriel damit brüsten kann, dass die Forschungsausgaben für die erneuerbaren Energien verdoppelt werden - was allerdings mehr ein Buchungstrick ist -,
({6})
ist Minister Seehofer stolz, den Titel für die Fachagentur
Nachwachsende Rohstoffe auf gleichem Niveau zu halten. Aber was ist denn mit einer nationalen Biomassestrategie? Was ist denn mit den Herausforderungen, die
der Klimawandel für die Landwirtschaft bedeutet? Der
Agrarhaushalt ist jedenfalls keine adäquate Antwort auf
diese Fragen.
Ich bleibe dabei: Dieser Haushalt ist kein Beitrag zu
Wachstum und Beschäftigung, Herr Minister. Er ist vielmehr ein Armutszeugnis Ihrer Agrarpolitik und eine Bedrohung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Georg Schirmbeck,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Goldmann und Frau Kollegin Behm, es ist doch
festzustellen, dass wir eine Zeitenwende in Deutschland
haben. Als die Bundesministerin vor zwei Jahren die
Grüne Woche besuchte, rührte sich keine Hand. Nun war
der Bundesminister dort und es gab stehende Ovationen.
Daran sehen Sie, wie diejenigen, die ein Interesse an Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz haben,
das bewerten.
({0})
Der Minister ist hier eben souverän aufgetreten nach
dem Grundsatz „sehen, urteilen, handeln“. So wollen das
die Menschen in unserem Land. Sie wollen keine Sprüche. Nun gibt es Erleichterung und Zuversicht in unserem Land. Das sehen Sie insbesondere dort, wo investiert wird. Das brauchen wir auch.
({1})
Herr Minister Seehofer hat gesagt, dass wir die Doppelverwaltung - in manchen Bereichen haben wir sogar
eine Dreifachverwaltung - abbauen müssen. Wenn er
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Förderung durchsetzt, dann ist das etwas ganz Konkretes, was
sich zwar nicht in Euro in unserem Bundeshaushalt niederschlägt, wohl aber bei den Bauern. Das ist eine richtige Sache.
({2})
Es ist deutlich geworden, dass wir in der Koalition bei
der Mehrwertsteueroptierung noch nicht hundertprozentig einer Meinung sind.
({3})
Aber wir werden jeweils ganz konkret berechnen - und
nicht schätzen -, welche Auswirkungen welche Regelung auf den Bundeshaushalt haben wird. Wenn wir die
Pauschalierung abschaffen, kann es passieren, dass mancher Bauer eine Rückrechnung für die letzten fünf Jahre
macht, was dann den Bundeshaushalt stärker belastet als
die Pauschalierung.
({4})
Der Kollege Bahr und ich sind letztlich für den
Einzelplan 10 zuständig und wir werden das sehr sachlich berechnen. Ich bin optimistisch, dass wir zu einem
guten Ergebnis kommen.
({5})
Denn auch die FDP-Minister im Bundesrat stellen fest:
Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Das
heißt, wir können uns zwar vieles ausdenken, haben aber
nicht mehr Geld zur Verfügung. Danach müssen wir unsere Beschlüsse ausrichten.
({6})
Im Übrigen verhält es sich mit dem Agrarhaushalt genauso wie mit dem Bundeshaushalt. Von den eingestellten 5 Milliarden Euro sind 4 Milliarden für Soziales vorgesehen. Wenn wir uns einig sind - der Minister hat das
zu Recht gesagt -, dass wir das nur im Rahmen genereller Strukturreformen im Sozialbereich ändern können,
dann haben wir nur 1 Milliarde, über die wir uns politisch auseinander setzen können. Mehr Geld steht nicht
zur Verfügung.
Die 615 Millionen Euro, die für die GAK zur Verfügung stehen, entsprechen immerhin den Istmitteln im
letzten Jahr. Das heißt, das, was im letzten Jahr in den
Bundesländern umgesetzt wurde, kann auch zukünftig
umgesetzt werden. Das ist im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten, die wir haben, eine ganze Menge. Ich
darf noch einmal sagen: Wir machen keine ideologische
Politik von dem einen Graben in den anderen Graben,
({7})
sondern wir kümmern uns um jeden einzelnen Ansatz im
Bundeshaushalt und werden behutsam umsteuern. Ich
hätte wirklich gedacht, dass gerade Sie, Frau Behm, aus
grüner Sicht sagen würden: Respekt, wir haben Schlimmeres befürchtet!
({8})
Es geht nicht um Ideologie, sondern um sachgerechte
Politik.
({9})
Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zur GAK.
Ich höre in den Diskussionen mit den Fachleuten manchmal „Die GAK hat beschlossen …“. Ich werde in den
anstehenden Beratungen über den Haushaltsplan ganz
konkret nachfragen, wer bei den Ländern einzelne Detailregelungen auf den Weg bringt und wer die Lobby
ist, die dahinter steht. Manchmal habe ich nämlich den
Eindruck, wir werden zwar politisch zur Verantwortung
gezogen dafür, an der Meinungsbildung selbst sind wir
aber überhaupt nicht beteiligt.
({10})
Da meine beiden Vorredner, Herr Minister Seehofer
und auch Peter Bleser, mir zugesagt haben, in meinen
Wahlkreis zu kommen dafür, dass sie mir einige Sekunden Redezeit genommen haben,
({11})
lassen Sie mich damit schließen: Wo uns die Mittel fehlen, müssen wir mit Innovation und Kreativität an die
Lösung der vor uns liegenden Aufgaben gehen. Ich sage
Ihnen: Im ländlichen Raum sind die Menschen hart im
Nehmen und wirklich kreativ. Mancher sagt: Lasst uns
bitte in Ruhe, lasst uns gestalten, dann nehmen wir unsere Zukunft in die eigenen Hände und dann wird es gut
sein. - Was gut ist für den ländlichen Raum, ist gut für
die ganze Republik. In diesem Sinne wird die große Koalition zukünftig Agrarpolitik und Verbraucherschutzpolitik machen.
Herr Präsident, ich bedanke mich, dass Sie mir
30 Sekunden mehr gegeben haben.
({12})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Bemerkungen vorweg: Im Zusammenhang
mit den Biokraftstoffen können wir viel diskutieren
über die Unterschiede zwischen einem Kabinettsentwurf
({0})
und dem, was in den Fraktionen diskutiert wird. Aber
was mich an unserem ehemaligen Koalitionspartner
schon wundert, ist, dass er mit uns ein Gesetz gemacht
hat, in dem steht, dass die steuerliche Förderung auf
Überkompensation geprüft wird und sie gegebenenfalls
angepasst wird, aber jetzt, da wir dies machen, so tut, als
sei er nicht dabei gewesen. Das ist nicht in Ordnung.
({1})
Das Bild von der Pyrenäenetappe, das Bundesminister Seehofer gebraucht hat, nehme ich gerne auf: Wir
fühlen uns fit für die Pyrenäenetappe, wir halten es mit
Gerhard Schröder, der immer gesagt hat: Wenn es einfach wäre, könnten es auch die anderen machen.
({2})
Da wir uns in der Debatte über den Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz befinden, möchte wenigstens ich einen
Beitrag zum Thema Verbraucherschutz liefern, nachdem
wir bisher eine reine Agrardebatte geführt haben.
Im Mittelalter hat man Bäcker, die zu kleine Brote gebacken haben, in Eisenkörbe gesperrt; in Münster - es
kommen ja einige aus dieser Gegend - sieht man Eisenkörbe, die auch noch für andere Zwecke verwendet wurden. Diese aus heutiger Sicht natürlich unangemessen
brutale Form des Verbraucherschutzes hat seinen Ursprung damals übrigens nicht nur aufseiten der Kunden
gehabt; es war vielmehr gerade die Bäckerzunft, die
wollte, dass man die ehrlichen Bäcker schützt. Auch seinerzeit ging es schon um zwei Ziele: darum, die Wirtschaft vor einem ruinösen Preiswettbewerb zu schützen, und darum, die berechtigten Interessen der Kunden
durchzusetzen.
({3})
Dieselbe Debatte ist in unserem Land nach dem
Zweiten Weltkrieg erneut geführt worden. Es war
Ludwig Erhard, der die Rolle des Konsumenten in der
Marktwirtschaft betont hat. Als auf sein Betreiben 1957
das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eingeführt worden, bekämpften die deutschen Wirtschaftsverbände dieses neue Gesetz als - Zitat - „Staatsinterventionismus“. Ich glaube, nicht nur mir kommt diese
Wortwahl mancher Wirtschaftsverbände in der Debatte
über den Verbraucherschutz sehr bekannt vor. Ich würde
mir wünschen, dass auch die deutschen Wirtschaftsverbände verstehen, welches Eigeninteresse Deutschland
mit seinen vielen Premiummarken und der Topqualität
an hohen Standards im Verbraucherschutz hat - damit
aus einem reinen Preiswettbewerb ein Qualitätswettbewerb wird.
({4})
Ich erwähne die wirtschaftliche Bedeutung des Verbraucherschutzes ungeachtet seiner anderen Ziele: Schutz
von Gesundheit und Sicherheit, Schutz wirtschaftlicher
Interessen der Kunden, Wahlfreiheit, nachhaltiger Konsum. Die Wirtschaftsverbände müssten sich als Partner
im Verbraucherschutz verstehen. Viele Unternehmen tun
das längst.
Es gibt noch ein wichtiges Signal, das manchmal unter anderen Vorzeichen diskutiert wird. Gelegentlich
wird so getan, als sei Verbraucherschutz etwas für die
wohlhabenden Schichten. Das Gegenteil ist der Fall.
({5})
Es ist die aktive Verbraucherschutzpolitik, die dafür
sorgt, dass auch preisgünstige Lebensmittel gesund sind,
dass auch preisgünstiges Kinderspielzeug keine gefährlichen Inhaltsstoffe hat und dass auch Menschen mit einem kleinen Geldbeutel Zugang zu einem Girokonto bekommen. Verbraucherschutz ist etwas gerade für die
Schwächeren in unserer Gesellschaft.
Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?
Ja, gerne.
Sehr geehrter, geschätzter Kollege Kelber, ich finde
das interessant, was Sie sagen. Ich frage mich vor diesem Hintergrund, wie Ihre Aussage zu verstehen ist, die
in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ stand - wörtliches
Zitat -:
Der SPD-Fraktionsvize geht davon aus, dass
„Seehofer sich noch bewegen wird“.
Es geht um das Verbraucherinformationsgesetz.
Sie sagen dann - wörtliche Rede -:
„Das dürfte er schon deshalb tun, um sich nicht mit
einem unwirksamen Gesetz zu blamieren.“
Sind Sie der Auffassung, dass das von Herrn Minister
Seehofer auf den Weg gebrachte Verbraucherinformationsgesetz den Tatbestand der Blamage erfüllt?
Ich bedanke mich aus zwei Gründen für die Frage.
Erstens ist die Debatte mit solchen Zwischenfragen
spannender und zweitens wäre das der nächste Punkt
meiner Rede gewesen. Diesen kann ich nun in der Antwort auf Ihre Frage ergänzen, ohne dass dies auf meine
Redezeit angerechnet wird.
Das Verbraucherinformationsgesetz, wie es in
Kürze von den beiden Koalitionsfraktionen eingebracht
werden wird, ist klar die gemeinsame Position von
CDU/CSU und SPD. Es gab bestimmte Punkte bei dem
Gespräch innerhalb der Koalition, die meiner Fraktion
besonders wichtig waren. Das war zum Beispiel die
klare Verpflichtung der Behörden zur Auskunft, also der
Übergang von einer Kann- zu einer Sollbestimmung,
was für den Nichtjuristen gleichbedeutend mit einer
Mussbestimmung ist.
({0})
Hinzu kam eine klare Definition der Fristen und der
Ausnahmetatbestände und Ähnliches. Es hat Entwicklungen gegeben, die dazu geführt haben, dass wir jetzt
eine gemeinsame Vorlage der Koalition haben. Dieses
Gesetz ist brauchbar, es ist wirksam und es ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was auch Ihre Fraktion
in der Vergangenheit vertreten hat.
({1})
Mit diesem Verbraucherinformationsgesetz, das wir einbringen, schaffen wir eine klare Rechtsgrundlage
({2})
über die Unterrichtung.
({3})
- Ist das jetzt eine erneute Zwischenfrage oder nur ein
Zwischenruf? Ich habe so viel Zeit gespart, dass ich auch
auf den Zwischenruf eingehen kann: Sie sollten etwas
von der Dynamik von Politik verstehen, nicht nur von
der Statik von Politik, und wissen, wann man welchen
Druck ausübt, um Kompromisse zu erreichen. Man muss
sich aufeinander zubewegen. Das ist in Koalitionen notwendig. Ich weiß, dass Sie nur noch in drei Koalitionen
in der Bundesrepublik vertreten sind. In BadenWürttemberg hat es gerade noch einmal zu einer gereicht, in den beiden anderen Ländern nicht mehr. Sie
würden gerne in einer Koalition solche Prozesse mitgestalten; Sie sind aber nicht dabei. Überlassen Sie doch
uns, wie wir es so organisieren, dass wir zu guten Ergebnissen kommen.
({4})
Wenn also in Zukunft ein Unternehmen Gammelfleisch verkauft, kann es benannt werden, egal welche
Methoden es vorher angewendet hat, um schnell den bisherigen Bereich zu verlassen.
Es gab einige Punkte, die wir diskutiert haben, zum
Beispiel welche Informationen die Unternehmen eigentlich von sich aus den Verbraucherinnen und Verbrauchern geben müssen. Das ist eine wichtige Debatte.
Aus meiner Sicht gibt es dabei drei Punkte zu bedenken.
Erstens. Kundeninformation ist ein Teil des Wettbewerbs und ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Unternehmen, das man nicht vollständig verwischen sollte.
Zweitens. Für kleine Unternehmen kann eine gesetzliche, dann sehr starre Regelung in der Tat zu einer Belastung werden.
Drittens. Gerade Premiummarken und inländische
Unternehmen müssen ein Interesse an einem höheren
Standard als heute haben, um mit Importeuren und Unternehmen, die einen niedrigeren Qualitätsstandard haben, in einen fairen Wettbewerb eintreten zu können.
Wir in der Koalition haben uns darauf geeinigt, dass wir
von der deutschen Wirtschaft eine Hebung des Informationsniveaus und eine evaluierbare, quantitativ und qualitativ überprüfbare Information der Verbraucherinnen
und Verbraucher durch die Unternehmen erwarten und
dass es ansonsten zu einer gesetzlichen Lösung kommt.
Das ist die richtige Art und Weise, wie man solche Probleme löst. Genau das haben wir erreicht.
({5})
Herr Bundesminister Seehofer hat auch unsere klare
Unterstützung, wenn es darum geht, ein eigenständiges
Verbraucherinformationsgesetz einzubringen. Unsere
Koalition wird gemeinsam Vorbereitungen dafür treffen,
dass weitere Produkte und Dienstleistungen dort in diesem Verbraucherinformationsgesetz aufgenommen werden, wo es ihre spezifischen Bedingungen betrifft.
({6})
Folgende Fragen sind beim Verbraucherinformationsgesetz sehr wichtig: Wann gibt es Ausnahmen von dieser
Informationsmöglichkeit? Was sind die Betriebsgeheimnisse und Ähnliches mehr?
({7})
Wir legen einen Entwurf vor, der im Augenblick der
gemeinsamen Beschlusslage entspricht und der von uns
mitgetragen wird. Ich bitte allerdings darum, dass wir in
den Anhörungen etwas prüfen.
({8})
Mir ist ein Schreiben eines Futtermittelverbandes an
seine Mitgliedsunternehmen zugespielt worden. In diesem Schreiben werden alle Unternehmen aufgefordert,
möglichst alle Daten zu Betriebsgeheimnissen zu erklären.
({9})
Wir werden in den Anhörungen prüfen müssen, wo Lücken sind, die man ausnutzen will. Wenn wir Lücken finden, dann werden wir sie im parlamentarischen Verfahren schließen.
({10})
Das Verbraucherinformationsgesetz ist also ein erster
wichtiger Schritt. Wir wollen noch mehr machen; wir
wollen in weitere Bereiche vordringen. Für uns sind vier
Felder besonders wichtig: Verbraucherschutz für die
Belange von Kindern und Jugendlichen,
({11})
Verbraucherschutz für die Belange älterer Menschen,
({12})
Verbraucherschutz im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und Verbraucherschutz in der digitalen Welt.
({13})
Seien wir offen: Wir muten Kindern in unserer heutigen Welt sehr viel zu. Sie haben mehr Möglichkeiten als
je zuvor; aber diese Welt ist auch komplexer und orientierungsloser als vorher. Deswegen muss eine aktive
Verbraucherschutzpolitik Kinder informieren, Angebote
für sie vergleichbar machen, Qualität sichern und schützen.
({14})
Beispiel: Im Augenblick engagiert sich die SPD im
Dialog mit den Mobilfunkunternehmen, vor allem mit
den Discountern, dafür, dass sich Jugendliche nicht
zwischen guten Tarifen und kostenlosen Jugendschutzoptionen entscheiden müssen. Vielmehr muss es eine
Selbstverständlichkeit sein, dass jedes Unternehmen
kostenlose Jugendschutzoptionen zum günstigsten Tarif
anbietet, genauso wie ein alkoholfreies Getränk in jeder
Gastwirtschaft das preisgünstigste Getränk sein muss.
Wir wollen das durchsetzen, entweder im Dialog oder
mit einer klaren gesetzlichen Grundlage.
({15})
- Herr Goldmann, ich reagiere noch einmal auf einen
Zwischenruf von Ihnen. Wenn Ihr Horizont im Verbraucherschutz bei der Kenntnis des Verbraucherinformationsgesetzes und keiner weiteren gesetzlichen Initiativen endet, ist das nicht mein Problem. Wir sind bereit,
innerhalb einer Legislaturperiode mehr als ein Gesetz zu
machen.
({16})
Zum zweiten Bereich, dem Verbraucherschutz für
ältere Menschen. Ja, wir brauchen verbesserte Patientenrechte. Wir müssen die Altersdiskriminierung bei der
Vergabe von Krediten stoppen und wir müssen ein Vertragsauflösungsrecht bei unlauter zustande gekommenen
Verträgen durchsetzen.
({17})
Das sind die Aufgaben in dieser Legislaturperiode. Eine
aktive Verbraucherschutzpolitik muss dem auch nachkommen, um das Vertrauen älterer Menschen in das
Wirtschaftsgeschehen zu stärken. Die Möglichkeit, dass
das Investitionen, Nachfrage und damit Arbeitsplätze
nach sich zieht, ist groß.
({18})
Zum dritten Bereich: Die Politik erwartet von den
Menschen immer häufiger, dass sie individuell vorsorgen. Dieser Trend wird sich nicht so schnell umkehren.
Dann muss Politik aber auch dafür sorgen, dass die Menschen dieser Erwartung im Finanz- und Versicherungsbereich gerecht werden können. Dazu gehören das
Recht auf ein Girokonto und ein Ende des diskriminierenden Scorings bei Kreditvergaben.
({19})
Das System muss transparent sein. Es muss klar sein,
nach welchen Kriterien bewertet wird. Alles, was mit
privaten Entscheidungen zu tun hat - Wohnort, Information über Konditionen -, darf vom Kreditgewerbe nicht
mehr verwendet werden.
({20})
Die SPD hat die zentralen Unternehmen dieser Branche
für die nächste Woche eingeladen, um nach Gesprächen
schnell zu einem Ergebnis zu kommen.
Wir werden auch die Bedingungen von Versicherungen vergleichbar machen und Transparenz in die Beziehung zwischen dem Versicherungsmakler und seinen
Angeboten bringen, damit die Kunden mehr Sicherheit
haben.
Ich komme zum letzten Bereich, dem Verbraucherschutz in der digitalen Welt. Wir werden auf die Verbraucherrechte beim Urheberrecht achten müssen.
({21})
Wir wünschen uns von unserem Koalitionspartner, dass
er sich in der Frage der Bagatellgrenze bei Privatkopien
endlich bewegt. Das hat etwas mit der Akzeptanz der
Realität zu tun.
({22})
Wir wollen an denjenigen Stellen, wo die Rechtsgrundlage ausreicht, zum Beispiel beim Phishing, die
Praxis anpassen. In Bereichen wie Spam und Spit - da
geht es um die Überflutung mit unerwünschter Werbung
per E-Mail oder Telefon - wollen wir die Rechtsgrundlage verbessern. Was dort geschieht, muss endlich zur
Ordnungswidrigkeit erklärt werden.
Alles zusammen heißt: Wir wollen durch eine aktive
Verbraucherschutzpolitik erreichen, dass die Menschen
in unserem Land gut leben können und gleichberechtigte
Partner der Wirtschaft sind. Das ist die Aufgabe von Verbraucherschutzpolitik. Begleiten Sie uns, anstatt nur dazwischenzurufen!
({23})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich rufe die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf:
ZP 2 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister ({0})
- Drucksache 16/960 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 146 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976
über den bezahlten Jahresurlaub der Seeleute
- Drucksache 16/1001 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 166 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 9. Oktober 1987 über
die Heimschaffung der Seeleute ({3})
- Drucksache 16/1002 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den
Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union ({5})
- Drucksache 16/1024 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({6})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten
Nationen im Sudan ({7}) auf Grundlage
der Resolution 1663 ({8}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2006
- Drucksache 16/1052 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({9})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: Es
handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 3 a:
Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses
zu 51 gegen die Gültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen
- Drucksache 16/900 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer
Bernhard Kaster
Thomas Strobl ({10})
Klaus Uwe Benneter
Dr. Carl-Christian Dressel
Ernst Burgbacher
Ulrich Maurer
Petra Merkel ({11})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen bei Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses, zunächst zu Tagesordnungspunkt 3 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 25 zu Petitionen
- Drucksache 16/942 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 25 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 3 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 26 zu Petitionen
- Drucksache 16/943 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 26 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ablehnung der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 3 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 27 zu Petitionen
- Drucksache 16/944 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 27 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen mit dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12, fort.
Das Wort hat als erster Redner der Bundesminister
Wolfgang Tiefensee.
({15})
Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Vizekanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren
Abgeordnete! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zur Debatte steht der Einzelplan 12. Mit einem Finanzvolumen von circa 24 Milliarden Euro im Jahr 2006 ist
er der viertgrößte Etat. Mit einem Investitionsvolumen
von etwa der Hälfte, von rund 12 Milliarden Euro, ist er
der größte Investitionshaushalt, den die Bundesregierung vorlegt. Die Bundesregierung setzt auf Investitionen, um wirtschaftlichen Aufschwung und ein Mehr an
Arbeitsplätzen zu ermöglichen.
({0})
Wir stehen vor aktuellen Herausforderungen, die mit
diesem Haushalt zu bewältigen sind. Im europäischen
Kontext wird prognostiziert, dass wir im Jahr 2020 etwa
1,5 Millionen LKW sowie etwa 70 Millionen PKW
mehr auf den Straßen der Europäischen Union haben
werden. Für Deutschland sind die Zahlen ähnlich dramatisch. Es wird ein Zuwachs im Güterverkehr um 30,
40 Prozent prognostiziert.
Hinzu kommen die Herausforderungen im Städtebau,
in der Stadtentwicklung und im Zusammenhang mit den
Wohnungsbeständen, die der Sanierung bedürfen, und
den innerstädtischen Straßen. Der Wettbewerb zwischen
der Innenstadt und der grünen Wiese will genauso bewältigt werden wie die sozialen Problematiken, die mit
Urbanität und Lebensqualität, also mit städtischen Ballungsräumen und den umgebenden Regionen, zu tun haben. Schließlich spielt auch die Frage des Aufbaus Ost
mit all seinen Facetten eine Rolle.
Der Haushalt des Einzelplans 12, den wir vorlegen
und der die Bereiche Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
umfasst, soll auf diese Herausforderungen reagieren. Ich
bin dankbar, dass ich im Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung Gelegenheit hatte, zweimal mit Ihnen
ausführlich zu debattieren und die Schwerpunkte zu besprechen. Ich denke und hoffe, dass sie sich quer durch
die Fraktionen des Deutschen Bundestages in der Akzentsetzung wiederfinden.
Ich darf in Erinnerung rufen, dass ich bei meiner Regierungserklärung im Dezember auf drei Schwerpunkte
Wert gelegt habe, die sich im Einzelplan 12 wiederfinden sollen:
Erstens will unser Haus seinen Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten. Hier geht es speziell darum, den Mittelstand in Ost und West, in Nord und Süd mit stetiger und
zunehmender Investition, also auch mit zunehmenden
Aufträgen, zu versorgen. Der Mittelstand ist - das ist
keine Aussage aus einer Sonntagsrede, sondern wurde
im Etat in Zahlen gegossen - das Fundament der wirtschaftlichen Entwicklung und der Zur-Verfügung-Stellung von Arbeitsplätzen.
({1})
Zweitens beschäftigt sich unser Haus mit der Fortentwicklung von neuen Technologien, mit Innovation
sowohl in den Verfahren als auch in den Prozessen, in
Antrieben, beim Kraftstoff, im modernen Verkehrsleitsystem. Auch das finden Sie im Haushalt wieder.
Drittens ist unser Haus angetreten, seinen Beitrag
zum regionalen sozialen Zusammenhalt zu leisten. Die
Etats für Bau und Stadtentwicklung belegen das eindeutig.
Der frühere Oberbürgermeister Rommel pflegte zu
sagen, Politik sei, den Bürgern das Geld aus der Tasche
zu ziehen und unter Abzug der Verwaltungskosten in einer Zeremonie zurückzugeben, die sie glauben macht,
sie würden beschenkt.
({2})
Es geht nun also darum, mit den Steuergeldern, die uns
gegeben worden sind, möglichst effizient auf die Herausforderungen zu reagieren. Wie tun wir das?
Zunächst schnallen wir den Gürtel enger. Wir fangen
bei der Bürokratie, bei der eigenen Verwaltung an, zu
sparen.
({3})
In den letzten zwölf Jahren ist der Personalbestand in
unserem Hause von 1 850 um 450 reduziert worden. Das
sind knapp 25 Prozent. Auch im Jahre 2006 werden wir
mit Stelleneinsparungen, verlängerter Arbeitszeit und
Streichung der Sondervergütungen für die Beamten einen nachhaltigen Sparbeitrag leisten und damit den Gürtel enger schnallen.
Bei den Investitionshaushalten sieht es folgendermaßen aus: Wir haben ein Investitionsvolumen von
12 Milliarden Euro, von denen etwa 9 Milliarden Euro
auf die reinen Verkehrsträger entfallen. Ungefähr
4,9 Milliarden Euro davon werden in die Straße investiert. Wir setzen auf den Erhalt und den Neubau von
Straßen, damit wir Engpässe beseitigen und die von mir
angesprochenen erheblichen Zuwächse beim Personenund Güterverkehr mit unseren Infrastrukturmaßnahmen
abfangen können.
Wir wollen diesen Etat verstetigen und in den
Jahren 2007, 2008 und 2009 Planungssicherheit gewährleisten. Meine Damen und Herren, das ist konkrete Mittelstandspolitik.
({4})
Wir wollen weitere rund 3,4 Milliarden Euro dafür
einsetzen, dass die Schienenwege weiter ausgebaut werden können. 2,5 Milliarden Euro sollen ins Bestandsnetz
fließen, der Rest in die Neubaumaßnahmen, die Sie aus
der 66er-Liste kennen.
Es muss uns darum gehen, mehr Güterverkehr von
der Straße auf die Schiene zu verlagern.
({5})
Unser Beitrag dazu ist ein nachhaltiges Investitionsvolumen.
Die Wasserstraßen, ein weiterer Verkehrsweg - vielen Dank für das Stichwort -, mit rund 700 Millionen
Euro stellen dann die verbleibende Differenz zu den
etwa 9 Milliarden Euro dar.
Diese Verstetigung auf 9 Milliarden Euro über die
kommenden Jahre ist ein hervorragendes Ergebnis nicht
zuletzt der Koalitionsverhandlungen. Es zeigt, dass diese
Koalition antizyklisch investieren will, obwohl die
Haushaltslage schwierig ist und für Kontinuität im Vermögenshaushalt im Bereich der Investitionen sorgt. Ich
denke, das ist aller Ehren wert.
({6})
Stichwort Bundeswasserstraßen. Wir wollen in den
Jahren 2008 und 2009 eine zusätzliche Anhebung, also
eine Veränderung der Quote, erreichen, weil wir glauben, dass insbesondere im Bereich der Schleusen, aber
auch in Bezug auf die Anbindung der großen Häfen an
das Hinterland das nachgeholt werden muss, was in der
Vergangenheit liegen geblieben ist. Beispiele für solche
Innvestitionen sind die Schleuse an der Mosel und der
Hafen Magdeburg.
Ein weiterer Bereich umfasst die Mittel aus dem
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Auch hier
gibt es eine Verstetigung in Höhe von reichlich 1,6 Milliarden Euro über die kommenden Jahre. Damit werden
wir gezielt Bundesprogramme für größere Maßnahmen
auf den Weg bringen. Mit Länderprogrammen sollen
zum Beispiel die innerstädtischen Straßen ertüchtigt
werden. Diese Verstetigung des Betrags von 1,6 Milliarden Euro im Bereich des GVFG ist ein großer Erfolg,
der den Städten und Gemeinden zugute kommen wird.
({7})
Der vorliegende Haushalt kümmert sich auch um
Technologie und Innovationen. Wir investieren in das
System Galileo, das GPS ersetzen soll. Wir investieren
in den Transrapid. Vorausgesetzt, dass die Finanzierungsvereinbarung hoffentlich recht bald in trockenen
Tüchern ist, dann kann es schnell vorangehen.
({8})
Wir investieren in Programme wie die Entwicklung
von Brennstoffzellen und Wasserstoffzellen. Im Laufe
der nächsten zehn Jahre stellen wir dazu
50 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Wir beginnen
damit bereits jetzt. Mit diesem Anschubprogramm für
die Industrie wollen wir dieser Technologie zum Durchbruch verhelfen. Auch das ist ein wichtiger Meilenstein
in der Entwicklung neuer Technologien in Deutschland.
({9})
Die Verkehrsleitsysteme werden ergänzt durch innovative Verfahren wie beispielsweise das Mautverfahren.
Dieses Verfahren macht uns weniger Sorgen auf der
Ausgabenseite. Wir müssen es schaffen, die Einnahmen
zu verstetigen. Im Jahre 2006 etatisieren wir auf der Einnahmeseite 2,9 Milliarden Euro. In den folgenden Jahren
werden es 3,1 Milliarden sein. Wir werden mit diesen
Einnahmen nachhaltig in die Verkehrsträger investieren
können.
Zum Städtebau und Wohnungswesen: Dazu gehören
wichtige Programme für den Aufbau Ost. Wir wollen in
diesem Bereich nachhaltig Akzente setzen. Im Bereich
des Städtebaus beträgt das Finanzvolumen bisher
470 Millionen Euro. Dieses Volumen stocken wir im
Jahr 2006, wenn Sie denn zustimmen, um 76 Millionen
Euro auf. Die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“
sollen von 70 Millionen Euro um 40 Millionen Euro auf
110 Millionen Euro aufgestockt werden. Diese Maßnahme soll sich nicht nur im investiven Bereich auszahlen. Wir wollen damit auch mittels Modellvorhaben die
Verschränkung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Belangen mit investiven Belangen ermöglichen.
Ich weiß, dass es darüber in den Ausschüssen Diskussionen gibt. Ich werbe nachdrücklich dafür, dass Sie so wie
unser Haus Stadtentwicklungspolitik als einen integrierten Ansatz sehen und diese Mittel in den Etat einstellen.
({10})
Beim Stadtumbau Ost gibt es eine Aufstockung der
Mittel um 20 Millionen Euro. Der Abriss von Häusern
und die Aufwertung von Flächen sollen mit diesem zusätzlichen Geld kontinuierlich ermöglicht werden. Ich
nenne ferner die Erhöhung der Mittel für den Stadtumbau West um 16 Millionen auf 56 Millionen Euro. Für
Denkmalschutzprogramme, für die Bundesstiftung Baukultur sowie für Programme, durch die die Forschungsvorhaben der Bauindustrie unterstützt werden, werden
ebenfalls Mittel in den Etat für Stadtentwicklung und
Wohnungsbau eingestellt.
Herr Minister Tiefensee, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Sehr gerne.
Bitte, Herr Seifert.
Schönen Dank, Herr Minister, dass Sie mir diese
Frage erlauben. - Sie haben die ganze Zeit von Innovationen im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung und
dem Verkehrsbereich gesprochen. Mir fällt auf - ich
habe Sie im Ausschuss schon mehrfach danach gefragt;
wir haben auch darüber gesprochen, als der zuständige
Kommissar da war -, dass in Ihren Reden, in Ihren
Schreiben und in Ihrem Etat die Barrierefreiheit als
durchgehendes gestalterisches Prinzip - ich meine damit
nicht nur den Bau von Rampen - nicht vorkommt. Investitionen in Barrierefreiheit können aber zu einem Innovationsschub werden. Außerdem würde diese Investition
allen nützen. Dazu gehören ferner die Stadt der kurzen
Wege wie auch Leitsysteme für gehörlose oder für
blinde Menschen. Ich möchte das gerne von Ihnen hören
und dann auch etatisiert haben. Warum sagen Sie das
nie?
Vielen Dank. Das ist ein wichtiger Hinweis. - Sie
wissen, dass das im Wesentlichen Länder- oder kommunale Angelegenheit ist. Dennoch leistet der Bund seinen
Beitrag. Dieser ist nicht in einem Extratitel ausgewiesen,
sondern findet sich beispielsweise dann wieder, wenn
wir über die im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes vorgesehenen Mittel reden. Das sind
rund 1,7 Milliarden Euro. Die werden eingesetzt, um die
Verkehrswege in den Städten und Gemeinden so zu gestalten, dass sie modernen Anforderungen genügen.
Dazu gehören die Barrierefreiheit bzw. der Anspruch,
dass sie behindertengerecht sind. Maßnahmen wie das
Programm „Stadtumbau Ost“ beschäftigen sich damit,
auf der einen Seite den Rückbau von leer stehenden Plattenbauten oder auf der anderen Seite die Aufwertung der
Städte, insbesondere die Wiederherstellung von Gründerzeitquartieren, zu ermöglichen. Für den Rückbau gibt
es eine Förderung von 60 Euro pro Quadratmeter, für die
Aufwertung einen Anteil, der in den Ländern unterschiedlich ist. Mit diesen Aufwertungsgeldern werden
unter modernsten Gesichtspunkten Plätze gestaltet und
Wohnungen erneuert. Dazu gehört auch das Ziel, dass
die Plätze und Gebäude behindertengerecht werden und
der Barrierefreiheit Genüge leisten.
Ich verstehe Ihren Ansatz und würde ihn gern in die
Aufforderung ummünzen, dass nicht nur der Bund mit
seinen Programmen auf diesem Gebiet aktiv ist, sondern
natürlich auch die Städte und Gemeinden trotz ihrer
schwierigen Haushaltssituation auf diesen Umstand
Wert legen. Die Wohnungsgenossenschaften bzw. Wohnungsgesellschaften sind insbesondere beim Neubau, bei
der Umgestaltung und der Renovierung von Wohnungen
gefragt. Bei der Errichtung von öffentlichen Gebäuden,
auch der von Bundesbauten, spielt die Barrierefreiheit
eine große Rolle. Das alles sind Bereiche, in denen Ihr
Anliegen Berücksichtigung findet, auch im Etat.
({0})
Erlauben Sie eine Nachfrage des Kollegen Seifert,
Herr Minister?
Ja, bitte schön.
Herr Seifert.
Herr Minister Tiefensee, selbstverständlich ist der
Appell an die Länder und die Kommunen wichtig; das
ist ganz klar und überhaupt keine Frage. Das ändert aber
nichts an der Tatsache, dass der Bund eine Vorbildfunktion ausüben muss. Es kann nicht sein, dass wir einerseits ein Bundesbehindertengleichstellungsgesetz haben, in dem steht, Barrierefreiheit sei der wichtigste
Punkt, auf der anderen Seite dieses Anliegen aber in allen Etats der einzelnen Ressorts nicht mehr vorkommt.
Wenn die Bundesregierung dies tatsächlich umsetzen
will, dann kann das kein Spezialgesetz sein, sondern
muss überall vorkommen.
Es ist ja so - das will ich ausdrücklich sagen -, dass
gerade die Gemeindeverkehrsfinanzierung und damit die
Herstellung der Barrierefreiheit in Verkehrsmitteln offensichtlich durch die Föderalismusreform sehr gefährdet ist. Wir erhalten von den zuständigen Instituten
Alarmsignale. Die sagen: Genau dort wird das Problem
einsetzen. Das unterliegt dann dem Wettbewerb zwischen den Ländern, wenn Sie all diese Aufgaben an die
Länder übertragen. Wie bekommen wir es denn geregelt,
dass es Barrierefreiheit nicht nur in wenigen Ländern
gibt, während in den anderen die Barrieren umso größer
sind? Wie bekommen wir das hin?
({0})
Sehr verehrter Herr Abgeordneter, noch einmal zum
GVFG: Wir haben nach wie vor die gleiche Regelung
wie in den vergangenen Jahren in Bezug auf die in Höhe
von 1,66 Milliarden Euro vorgesehenen Mittel. 20 Prozent dieser Mittel behält der Bund; der Rest steht den
Städten zur Verfügung. Wir haben eine Veränderung
- ich weiß nicht, ob Sie darauf anspielen - bei der Förderung von sozialem Wohnraum. Das ist ein wichtiger
Aspekt. Durch die Föderalismusreform werden wir die
bisherigen Bundesfinanzhilfen an die Länder ab 2007
durch pauschale Ausgleichszahlungen ersetzen, bis 2013
mit einer Zweckbindung für den bisherigen Aufgabenbereich.
Ihre Zwischenfrage gibt mir im Übrigen die Gelegenheit, deutlich zu machen, wie der Bund im Sinne der
Konnexität, also der Finanzierung von Aufgaben, die er
abgibt, mit den Ländern umgeht. Momentan brauchen
die Länder rund 220 oder 230 Millionen Euro pro Jahr
für den sozialen Wohnungsbau. Ab 1. Januar 2007 zahlt
der Bund für ein erweitertes Spektrum 520 Millionen
Euro. Ihre Befürchtung wird nicht eintreten. Im Gegenteil: Der Bund gibt eine Aufgabe ab und - irgendeiner
hat bei den Föderalismusverhandlungen sehr gut verhandelt und ist sehr erfolgreich gewesen - stockt diese Gelder um mehr als das Doppelte auf.
({0})
Die Schwierigkeit besteht allerdings darin - das gebe
ich gerne zu -, dass dann die Landesminister in der Verantwortung stehen. Ich kann mir vorstellen, dass dieser
oder jener Landesminister das Geld, das er vorher für die
50-prozentige Kofinanzierung verwendet hat, nun eher
für etwas anderes ausgeben wird. Aus diesem Grund
geht der Appell an die Landesfinanzminister, dem Wohnungsbau weiterhin Geld zur Verfügung zu stellen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich einen weiteren Punkt herausgreifen: die Energiebilanz und in diesem Zusammenhang den Mittelstand.
Unser Haus gibt neben der Aufstockung in Höhe von
4,3 Milliarden im direktinvestiven Bereich in dieser Legislaturperiode, also bis zum Jahr 2009, 5,6 Milliarden
Euro für ein Programm zur CO2-Gebäudesanierung
aus. Dieses Programm kommt dem Mittelstand eins zu
eins zugute.
({2})
Wir prognostizieren, dass dadurch am Markt Aufträge in
einem Volumen von 28 Milliarden Euro ausgelöst werden können.
({3})
Dies wird ergänzt durch die Steuerbefreiung von Handwerkerleistungen bis zu 3 000 Euro jährlich.
({4})
Das ist eines der größten Mittelstands- und Energiebilanzverbesserungsprogramme, die es je gegeben hat. Es
erfolgt antizyklisch, aber es ist zyklisch im Sinne der
Mittelstandsförderung und einer besseren Energiebilanz.
({5})
Ich komme nun zum Aufbau Ost. Wenn Maßnahmen
wie die Zahlung der Investitionszulage mit einem prognostizierten Volumen von etwa 600 Millionen Euro pro
anno - das gehört zwar nicht zum Einzelplan 12, aber
ich möchte es der Vollständigkeit halber erwähnt
haben - fortgeführt werden, wird dies dazu führen, dass
wir einerseits wiederum die kleinen und größeren Handwerksbetriebe - speziell im Osten - fördern und auf der
anderen Seite Unternehmen, die Neuinvestitionen bzw.
Erweiterungsinvestitionen tätigen, eine verlässliche Basis geben. Da ist noch eine Menge zu tun, aber dies zu
tun haben wir uns vorgenommen.
Zum Schluss zwei Stichworte. Wir haben im Haushalt, zum Beispiel im Mautbereich, das Problem, dass
wir neue Finanzierungsinstrumente - ich nenne als
Stichworte die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, VIFG, und die A-Modelle für Public Private Partnership - in Gang setzen wollen. Diese Bundesregierung, unser Haus, kümmert sich darum, das Geld, das
wir vom Steuerzahler bekommen haben, vernünftig auszugeben und durch privates Geld zu ergänzen. Meine
herzliche Bitte ist - das ist auch ein Appell an die Länder, die Städte und Gemeinden -, an diesen Projekten
mitzuwirken.
Schließlich kümmern wir uns darum, dass dieses Geld
schnell und effizient ausgegeben wird. Wir wollen mit
den Vorhaben aus dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz Nutzeffekte ziehen,
({6})
um die Verfahren um bis zu zwei Jahre zu verkürzen,
schneller mit dem Bau zu beginnen und so schneller die
Infrastruktur zur Verfügung stellen zu können. Mit diesem Projekt leisten wir unseren Beitrag zu weniger Bürokratie und schnellerem Bauen.
({7})
Herr Minister, wollen Sie noch eine Zwischenfrage
der Kollegin Zimmermann zulassen?
Sehr gerne.
Bitte schön, Frau Zimmermann.
Herr Bundesminister Tiefensee, Sie kommen wie ich
aus Sachsen - ich komme aus Zwickau - und wissen ja,
dass die Sachsen-Magistrale nicht in der vorgesehenen
Form realisiert wird. Zum 1. Dezember soll die Verbindung von Dresden nach Hof anders gestaltet werden.
Wie bewerten Sie die Abkoppelung von Zwickau, einem
wirtschaftlich starken Standort mit einem VW-Werk mit
6 000 Beschäftigten? Vor allem im Bereich der mittelständischen Unternehmen ist bereits ein Abzug zu
verzeichnen. Sie sagen: Wir haben dann keine entsprechende Anbindung mehr; es gibt nur noch den Regionalverkehr. Das bedeutet für uns zusätzliche Zeit. Das
können wir uns nicht leisten. - Es gibt also bereits Unternehmen, die Zwickau verlassen, weil es schlecht angebunden ist. Ich frage gerade unter dem Aspekt der
Förderung des Mittelstandes.
Vielen Dank für die Frage. - Aufbau Ost hat etwas
mit Infrastruktur zu tun. Es geht darum, Ballungsräume, wie beispielsweise Zwickau, an die größeren
Ballungszentren, wie Chemnitz, Leipzig oder Dresden,
anzuschließen.
Im Investitionsetat spielt der Osten sowohl im Bereich Schiene als auch in den Bereichen Straße und Binnenwasserstraße - Stichwort „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“: 8.1 Nürnberg-Erfurt, 8.2 Erfurt-Halle/
Leipzig - eine herausragende Rolle. Diese Projekte können dank des gestiegenen Etats - 4,3 Milliarden Euro in
dieser Legislaturperiode - mit einem Aufwuchs von
durchschnittlich circa 100 Millionen Euro pro anno
rechnen, das heißt, wir ziehen, wenn Sie dem zustimmen, die Bauzeit vor.
({0})
Wichtige Projekte - Stichwort „Ballungszentren“ -,
wie die A 20, die Autobahn an der Ostsee, die A 72,
Chemnitz-Dresden, die A 38, die B 6 im Vorharzland in
Sachsen-Anhalt, mit 87 Millionen Euro etatisiert, sind
bereits umgesetzt oder werden fortgesetzt. Die A 71
wird von Thüringen, vom Suhler Ballungsgebiet nach
Bayern fortgeführt.
Wir haben in unserer „66er-Liste“ auch die SachsenFranken-Magistrale einsortiert.
({1})
- In den neuen Ländern, soweit ich weiß.
Im Rahmen der internen Beratungen wird es an Ihnen
sein, diese Prioritätenliste fortzuschreiben bzw. an dieser oder jeder Stelle neue Prioritäten zu setzen. Wir haben ein Gesetz und eine verabschiedete Liste. Daran halten wir uns zunächst. Der Souverän ist aber
selbstverständlich in der Lage, andere Prioritäten zu setzen.
({2})
Wir führen hier keine Dialoge, das nimmt überhand.
Ihre Fraktion hatte drei Zwischenfragen, das ist genug.
({0})
Ich darf herzlich bei Ihnen dafür werben, dass Sie
dem Einzelplan 12 in seinen Eckpunkten - hoffentlich
quer durch alle Fraktionen - zustimmen. Das ist ein richtungsweisender, nach vorn weisender Einzelplan, der
Wirtschaft, Arbeit, Technologie und Innovation vorantreiben wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia
Winterstein von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Minister Tiefensee, wenn man Ihnen zuhört,
bekommt man den Eindruck, als würde in Deutschland
tatsächlich wieder mehr in die Verkehrsinfrastruktur investiert, als würden Sie so richtig Gas geben.
({0})
Sie schwärmen ebenso wie Ihre Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD in den bisherigen Debattenbeiträgen von dem 25 Milliarden schweren Investitionsund Wachstumsprogramm, von denen nun 4,3 Milliarden Euro in den Verkehrsbereich fließen sollen. Doch
die Investitionen in die Verkehrsträger steigen keineswegs.
({1})
Zum einen fließen die 4,3 Milliarden Euro nicht im Jahr
2006, sondern werden über die Jahre bis 2009 verteilt.
Zum anderen kommt die angebliche Steigerung der Investitionen 2006 lediglich im Vergleich mit der alten
mittelfristigen Finanzplanung zustande, die von etwa
8 Milliarden Euro ausging, also deutliche Absenkungen
vorsah.
({2})
Sie treten also eher auf die Bremse, Herr Minister.
({3})
Zur Verdeutlichung der tatsächlichen Zahlen: Die
Investitionsausgaben in die Verkehrsträger Straße,
Schiene und Wasserstraße betrugen im Jahr 2004 circa
9,7 Milliarden, im Jahr 2005 knapp 9 Milliarden Euro
und in diesem Jahr, 2006, sollen sie 9 Milliarden Euro
betragen. Das ist keine Erhöhung. Das ist gegenüber früheren Jahren eine Senkung und eine Stagnation im Vergleich zum letzten Jahr.
({4})
Im Prinzip ist das ein Stillstand. Das sind Zahlen, die
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich
vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen sollten.
In dem so genannten Regierungsprogramm vom Juli
2005 hat die Union die über die Jahre sinkenden Investitionen des Bundes in die Verkehrsinfrastruktur noch kritisiert. Nun beteiligt sie sich munter an genau dieser
Politik. Zudem werden in den Haushaltstiteln für den
Verkehr - wie übrigens im Jahr zuvor - die Investitionstitel in der Höhe der Mauteinnahmen abgesenkt. Das ist
eine weitere Unverfrorenheit.
({5})
Denn es war, wie Sie alle wissen, vereinbart, die Mittel
aus der Maut zusätzlich in die Verkehrsinfrastruktur
einfließen zu lassen. Vor der Wahl hat die Union den
Mautbetrug angeprangert, jetzt stimmen Sie dafür.
({6})
Ich sage Ihnen: Wir wollen bei den Investitionen in
die Verkehrsinfrastruktur einen Schwerpunkt setzen.
Denn nur mit bedarfsgerechten Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur wird es zu mehr wirtschaftlichem
Wachstum kommen. Zudem wirken diese Investitionen
auch positiv auf den Arbeitsmarkt. Sie, Herr Minister,
argumentieren ja gern damit, dass 1 Milliarde Euro an
Verkehrsinvestitionen etwa 25 000 Arbeitsplätze bedeutet.
Investitionen in den Verkehrsbereich sind wirtschaftlich auch deswegen vernünftig, weil sie für den Staat
rentabel sind. Die Straßenverkehrsteilnehmer zahlen
dem Bund jährlich rund 45 Milliarden Euro an Mineralölsteuer und LKW-Maut, aber nur 4,8 Milliarden Euro
will der Bund in die Bundesfernstraßen investieren.
({7})
Diese Summe deckt nicht den Bedarf. Das wissen Sie,
seit die Pällmann-Kommission dies bekannt gegeben
hat, doch sehr wohl. Bedarfsgerecht wäre ein verkehrsträgerübergreifendes Investitionsniveau von 12 Milliarden Euro.
({8})
Doch Sie halten die Investitionen kurz und benutzen Ihre
so gefeierten Investitionsprogramme letztendlich nur als
Feigenblatt.
Auch Ihre Verteilung der Mittel auf die Verkehrsträger fördert die Wirtschaft nicht optimal. Tatsache ist
doch, dass die Straße nach wie vor der Verkehrsträger
Nummer eins ist. Im Personenfernverkehr liegt der
Marktanteil der Bahn bei gerade einmal 7 Prozent, im
Güterverkehr - der doch so gefördert wird - bei nur
15 Prozent. Es kann nicht angehen, dass die für den Verkehr weit weniger bedeutsame Schiene 40 Prozent der
Investitionsmittel erhält. Davon profitiert am Ende nur
die Deutsche Bahn AG, die sich damit für die Börse attraktiv macht.
Sie sollten die übertriebene Großzügigkeit gegenüber
der Deutschen Bahn AG sowieso endlich beenden, Herr
Minister.
({9})
Der Bundesrechnungshof kommt in seinem aktuellen
Bericht zur Finanzierung der Bundesschienenwege vom
März 2006 zu dem Schluss, dass der Steuerzahler der
Deutschen Bahn AG für die Jahre 1998 bis 2008 insgesamt 7 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stellt, als es
die Gesetzeslage vorsieht.
({10})
Allein durch die Rückkehr zur Gesetzeslage - das
könnte man ja verlangen -, also zur Gewährung von
zinslosen Darlehen statt verlorener Zuschüsse, könnten
für die verbleibenden Jahre 2006 bis 2008 circa
2,25 Milliarden Euro eingespart werden.
({11})
Angesichts der miserablen Kassenlage dürfen wir uns
solche Milliardengeschenke nicht erlauben.
({12})
Noch einmal zum Stichwort Investitionen und Ehrlichkeit: Hier lassen Sie auch auf dem Gebiet des Wohnungswesens und des Städtebaus einiges zu wünschen
übrig. Im Rahmen der Zuweisungen zur Förderung von
Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf, beim
so genannten Programm „Soziale Stadt“, stellen Sie
68 Millionen Euro in dem Etat ein. Dann liest man aber
im Haushaltsvermerk, dass die Bundesmittel in Höhe
von 40 Millionen Euro auch für Modellvorhaben in den
Gebieten, die das Programm „Soziale Stadt“ umfasst,
eingesetzt werden können, also zum Beispiel für Zwecke
wie Spracherwerb, zur Verbesserung von Schul- und Bildungsabschlüssen und zur Betreuung von Jugendlichen
in der Freizeit. Damit wir uns hier nicht missverstehen:
Das alles sind ganz sinnvolle Vorhaben, aber es sind
eben keine Investitionen im Sinne des Haushaltsrechts.
({13})
Daher haben sie im Etat für Wohnungswesen und Städtebau überhaupt nichts verloren.
({14})
Sie bessern durch diese sachwidrige Verschiebung von
Haushaltstiteln nur Ihre Investitionsstatistik auf. Das ist
in hohem Maße unlauter.
({15})
Ebenso zu erwähnen ist ein weiteres Projekt des angeblich so großartigen Investitions- und Wachstumsprogramms, nämlich das CO2-Sanierungsprogramm mit
einem Umfang von jährlich gut 1 Milliarde Euro. Das
Ziel der Verminderung der CO2-Emissionen ist richtig.
Doch seine Präsentation als Investitions- und Wachstumsprogramm ist verfehlt. Denn wir alle wissen: Solche Programme sind allenfalls ein konjunkturelles Strohfeuer.
Zu den Zinsverbilligungen des bisherigen Programms
kommen ab dem Jahr 2006 nun sogar direkte Zuschüsse
hinzu. Sicher ist dabei nur eines: Durch zusätzliche Zuschüsse erhöhen Sie auch die Schuldenlast des Staates.
Herr Minister, in Ihrer Antrittsrede haben Sie verkündet, Ihnen komme es darauf an, mit Ihrer Politik bei der
Bevölkerung und bei den kleinen und mittelständischen
Unternehmen für eine Aufbruchstimmung zu sorgen.
Dabei haben Sie besonders hervorgehoben, dass Sie zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wollen.
({16})
Damit werden Sie scheitern, weil Sie in Wirklichkeit
keine zusätzlichen Investitionsmittel zur Verfügung stellen. Sie betreiben eine Nebelkerzenpolitik.
({17})
Damit werden Sie keine Aufbruchstimmung erzeugen.
Alles, was Sie erzeugen, sind weitere Unsicherheit und
weitere Verluste von Arbeitsplätzen. Das ist die zu erwartende Bilanz Ihrer Politik.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Kollegen! Im Koalitionsvertrag vom Herbst letzten Jahres
heißt es - ich darf zitieren -:
Unsere Verkehrspolitik ist sich ihrer Verantwortung
für Wirtschaft, Beschäftigung und Umwelt in
Deutschland bewusst.
Herr Minister, ich denke, an diesem Bundeshaushalt
wird deutlich, dass wir dieses Bewusstsein auch in ganz
konkrete Politik umsetzen.
({0})
Verehrte Frau Winterstein, bei Investitionen in die Infrastruktur handelt es sich nicht um Programme, die nur
für ein konjunkturelles Strohfeuer sorgen, sondern um
Zukunftsinvestitionen. Das sollten Sie zur Kenntnis
nehmen.
({1})
Denn eine gut durchdachte Infrastrukturpolitik ist die
Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung. Die
Mobilität sichert den Zugang der Wirtschaft zu den
Märkten und den Rohstoffen,
({2})
und sie sichert den Zugang der Menschen zu ihren Arbeitsplätzen
({3})
sowie - umgekehrt - den Zugang der Wirtschaft zu den
Arbeitskräften.
Verkehrsinfrastrukturpolitik ist also einerseits eine
Grundlage für das Funktionieren einer Volkswirtschaft.
Andererseits hat sie aber auch - insofern haben Sie
Recht - unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsplätze,
({4})
insbesondere im Baubereich und in der Bahnindustrie,
({5})
die im Übrigen - darauf können wir stolz sein - international sehr erfolgreich ist.
({6})
Deswegen werden im gesamten Bundeshaushalt die
meisten Investitionen im Bereich Bau und Verkehr getätigt. Sie haben jedoch gesagt, Sie könnten keine Erhöhung der Mittel erkennen. Diese Kritik verstehe ich
nicht. Denn in der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung waren für diesen Sektor 8 Milliarden Euro vorgesehen. Diesen Betrag haben wir auf 9 Milliarden Euro
erhöht. Dem normalen Verständnis zufolge ist das eine
Steigerung.
({7})
Allerdings haben wir diese Mittel nicht nur erhöht,
sondern auch und vor allem verstetigt. Jetzt sind die Zeiten vorbei, in denen die Mittel für Investitionen zunächst
viel zu niedrig angesetzt und dann durch das hektische
Auflegen von Sonderinfrastrukturprogrammen erhöht
wurden. Das Programmchaos ist beendet.
({8})
Nun werden die Mittel verstetigt.
({9})
Diejenigen, die im Baubereich tätig sind, kann man
nicht wie Hampelmänner behandeln, an denen man
zieht, wenn man Lust dazu hat, und die man sonst hängen lässt.
({10})
Diese Leute brauchen Planungssicherheit und Kalkulationsmöglichkeiten. Diese Voraussetzungen haben wir
jetzt für sie geschaffen.
Berücksichtigt man auch die Sonderprogramme einschließlich der Gemeindeverkehrsfinanzierung, so beträgt das Investitionsvolumen fast 11 Milliarden Euro.
Ich denke, das kann sich wirklich sehen lassen.
({11})
Ich wünsche mir, dass wir es durch den Einsatz dieser
Investitionsmittel schaffen - das ist ein wichtiger wirtschaftspolitischer Aspekt -, unseren mittelständischen
Unternehmen zu weiteren Aufträgen zu verhelfen. Jeder Einsatz lohnt sich. Wenn öffentliche Gelder investiert werden, muss bei den Ausschreibungen dem Mittelstand eine faire Chance im Wettbewerb gegeben werden.
Ich sage das auch mit Blick auf die Finanzierung
öffentlicher Aufgaben mit privatem Kapital, auf die
so genannten PPP-Projekte; Minister Tiefensee hat dieses Thema schon angesprochen. Wir hören immer wieder von erfolgreichen Projekten solcher öffentlich-privaten Partnerschaften, bei denen Gelder privater Anleger
verwendet werden, um Einrichtungen zu schaffen, die
vom Staat gegen Entgelt gemietet und genutzt werden,
um öffentliche Aufgaben zu erfüllen.
({12})
Es gibt viele Beispiele in der Kommunalpolitik, die zeigen, dass der Weg einer solchen Finanzierung erfolgreich ist.
({13})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({14})
Es handelt sich um die Ergänzung und nicht um den Ersatz staatlicher Mittel. Ich denke, wir sollten diese Form
der Finanzierung in der Zukunft verstärkt auch für den
Verkehrsbereich nutzen. Wir werden in der Koalition
darüber sprechen, wie wir privates Kapital mobilisieren
können. Auch die Frage der Beteiligung des Mittelstandes an solchen PPP-Projekten ist ein wichtiger Punkt.
Wenn es ums Geld geht, lohnt sich immer auch ein
Blick auf den Verkehrsträger Schiene. Sie haben das
angemahnt; ich möchte das nun tun. In den vergangenen
Jahren wurden alles in allem 19 Milliarden Euro in den
Verkehrsträger Schiene investiert.
({15})
- Das ist in der Tat eine Menge Geld. - Wenn man berücksichtigt, welcher Nachholbedarf beim Ausbau des
Schienennetzes und der Infrastruktur in den neuen Ländern bestand und wie der Ausbau seit 1990 Stück für
Stück vorangegangen ist, dann kann man nur sagen, dass
die Bahnpolitik in diesem Land seit der Wiedervereinigung vorbildlich gewesen ist.
({16})
Die Kritik der FDP an dem bemerkenswerten Aufbau
Ost in diesem Bereich, der geleistet worden ist, kann ich
nicht verstehen.
({17})
Das Ausland beneidet uns zu Recht um unser gut
funktionierendes und gut ausgebautes Schienenverkehrssystem.
({18})
Trotzdem oder gerade deshalb, Kollege Friedrich, halte
ich es für unerlässlich, dass wir einen ernsthaften Dialog
über die Zukunft des Verkehrsträgers Schiene führen.
Ich habe das Gefühl, dass in dieser Frage sehr viel hinter
vorgehaltener Hand diskutiert wird. Es gibt nicht wenige, die den Verkehrsträger Schiene als einen Verkehrsträger vergangener Zeiten ansehen
({19})
und davon ausgehen, dass er von neuen Verkehrssystemen, insbesondere vom Individualverkehr, abgelöst
worden ist.
({20})
Ich fordere in dieser Frage eine differenzierte und offene
Diskussion.
({21})
- Kollege Oswald, Sie haben Recht. Auch für meine Begriffe hat die Schiene ein großes Zukunftspotenzial.
Das Potenzial des Verkehrsträgers Bahn besteht vor
allem im Güterfernverkehr und im Personennahverkehr: Der Güterfernverkehr ist wichtig für den Wirtschafts- und Investitionsstandort Deutschland, der Personennahverkehr ist ein wichtiger Bestandteil der
Daseinsvorsorge. Ich denke, wir als Verkehrspolitiker
haben die Aufgabe, ohne Ideologie und ohne unnötige
Besitzstandswahrung die Möglichkeiten zu nutzen, die
sich insbesondere für den Verkehrsträger Schiene in Zukunft ergeben.
Das bringt mich zum Thema Regionalisierungsmittel.
Herr Kollege Friedrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Günther?
Ja.
Bitte schön, Herr Günther.
Kollege Friedrich, Sie haben gerade die Investitionen
von 19 Milliarden Euro in den Verkehrsträger Schiene
angesprochen. Ist Ihnen als Einwohner von Hof in Oberfranken bekannt, dass die Sachsen-Magistrale - sie ist in
dieser Debatte bereits angesprochen worden - im Verkehrswegeplan zwar enthalten ist, aber nicht auf der
Dringlichkeitsliste steht? Sie sagen, die Schiene habe
Zukunft. Der Zug zwischen Dresden und Nürnberg
braucht gegenwärtig 40 Minuten länger als 1924. Das
passt meines Erachtens nicht zusammen.
Lieber Kollege Günther, es ist wichtig, dass wir nun
möglichst viele Projekte der 66er-Liste abarbeiten und
dafür verstärkt Mittel zur Verfügung stellen. Dann können wir andere Projekte, die im Bedarfsplan stehen und
auf Realisierung warten, nachziehen. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt. Kollege Friedrich, selbstverständlich ist
die Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale im
Streckenabschnitt Nürnberg bis Reichenbach im Verkehrswegeplan enthalten.
({0})
Es geht darum, dass wir die 66er-Projekte jetzt abarbeiten, damit wir neue Projekte nachziehen können.
({1})
Durch die Erhöhung der Mittel erzielen wir insgesamt
einen Vorzieheffekt in allen Bereichen.
({2})
Zum Thema Regionalisierungsmittel möchte ich einige Anmerkungen machen.
({3})
Es war in der Vergangenheit zweifellos ein Erfolgsmodell der deutschen Haushalts-, Finanz- und VerkehrspoliDr. Hans-Peter Friedrich ({4})
tik, diese Mittel bereitzustellen. Es war richtig, den Ländern diese Mittel pauschal zuzuweisen und ihnen die
Möglichkeit zu geben, dadurch Effizienzgewinne zu realisieren. Diese Mittel wurden in den letzten Jahren immer wieder angepasst und dynamisiert. Ich sage aber:
Auch hier können die Bäume haushalts- und finanzpolitisch nicht in den Himmel wachsen.
({5})
Ich weise die Behauptungen und die Panikmache zurück, dass die moderate Reduzierung der Regionalisierungsmittel, die jetzt vorgenommen wird, sozusagen einen Kahlschlag und einen Zusammenbruch des
Schienenpersonennahverkehrs bedeutet.
({6})
Ich denke, dass es richtig ist, dass wir einen Teil der Effizienzgewinne, die die Länder zum Beispiel durch die
Ausschreibung von Leistungen erzielen können, auch
für den Bund reklamieren und aktivieren.
({7})
Erzielte und erzielbare Einspareffekte müssen auch dem
Bund ein Stück weit zugute kommen.
({8})
Wenn die Länderfinanzminister den unerwarteten Geldsegen aus der Mehrwertsteuererhöhung, den sie im
nächsten Jahr erhalten werden, nur ein wenig auch für
den Schienenpersonennahverkehr verwenden, dann
muss keine sinnvolle Verbindung im Schienenverkehr
ausgedünnt oder gar gestrichen werden.
({9})
Ich komme zum Bereich Bau- und Stadtentwicklung. In diesem Bereich wird nicht gekleckert, sondern
geklotzt. Die Maßnahmen sind genannt: Absetzbarkeit
von Bauhandwerkerleistungen, energetische Sanierung
von Bundesbauten - das ist ein Schub für unser Handwerk - und 1 Milliarde Euro für Energieeinsparungsmaßnahmen und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes.
Ich denke, in Zeiten steigender Energiepreise und angesichts der Möglichkeit, dass es vom Staat finanzielle Zuschüsse gibt, muss man jedem Besitzer alter Wohnungen
oder Häuser die Frage stellen: Wann wollen Sie investieren, wenn nicht jetzt? Ich glaube, jetzt ist der richtige
Moment, auch diese Möglichkeiten zu nutzen.
Es freut mich erstens besonders, dass wir neben der
Zinsverbilligung, die es ja schon gibt, künftig auch einen
Zuschuss einführen. Ich halte es nämlich für einen großen strukturellen Fehler, dass wir bei den politischen
Entscheidungen immer diejenigen, die Schulden machen, denjenigen gegenüber bevorzugen, die sparsam
sind. Wer heute Konsumverzicht übt und Geld spart, um
etwas zu investieren, muss ebenso von öffentlichen Programmen profitieren. Das halte ich in diesem Zusammenhang für einen wichtigen Aspekt.
({10})
Das Zweite, was ich für gut und richtig halte, ist, dass
wir auch bezogen auf öffentliche Gebäude - Kindergärten und Schulen - die Möglichkeit eröffnen wollen,
Maßnahmen zur Einsparung von CO2 durch zinsgünstige
Kredite des Bundes zu fördern, und dass insbesondere
für strukturschwache Gebiete und Gemeinden besonders
günstige Zinssätze angestrebt werden. Ich denke, das
wird die Bürgermeister in den strukturschwachen Gebieten freuen.
Ich denke, dass wir mit diesem Programm insgesamt
auch eine Neuausrichtung unserer Handwerksbetriebe in
Richtung auf Bestandserhalt und Pflege der vorhandenen
Bausubstanz bewirken können. Ich glaube, dass unser
Handwerk in sehr starkem Maße neubauorientiert ist und
dass wir mit diesem Programm eine Neuorientierung in
Richtung Substanzerhalt und Substanzpflege auf den
Weg bringen können. Angesichts der demographischen
Entwicklung und der Veränderung der städtischen und
der dörflichen Struktur halte ich dies für den richtigen
Weg. Das ist im Übrigen ein Weg, auf dem die deutschen
Handwerkerleistungen noch mehr zu einem Exportschlager werden können als bisher; denn ich glaube, dass es
auch im Vergleich mit dem europäischen Ausland, nirgends so viel handwerkliches Know-how wie gerade in
unserem deutschen Handwerk gibt. Ich komme aus einem grenznahen Raum und erwarte dadurch einen großen Schub für unser Handwerk im benachbarten Ausland.
({11})
Die Mittel für das Programm der Städtebauförderung
„Soziale Stadt“ wurden aufgestockt. Gleiches gilt für
die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau
West“. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass
sich die Städtebauförderung und die Stadtumbauprogramme nicht nur auf Großstädte in Ballungsgebieten
beziehen; vielmehr profitieren davon auch kleine Städte
im ballungsfernen bzw. ländlichen Raum; das muss man
ganz klar sehen.
Wir wollen Städte mit einem stabilen sozialen und gesellschaftlichen Umfeld. Insofern haben diese Programme auch einen sozialpolitischen Aspekt; ohne
Frage. Wer Wohnumfeldverbesserungen vornimmt, der
erhöht auch die Lebensqualität und das Lebensgefühl.
({12})
Dazu gehört natürlich auch, lieber Kollege Dr. Seifert,
die Barrierefreiheit. Ich kenne kein Projekt im Rahmen
der „Sozialen Stadt“, von „Stadtumbau Ost“ oder „Stadtumbau West“, in dem die Frage der Barrierefreiheit nicht
automatisch in die Planungen mit eingeflossen ist. Das
wird flächendeckend berücksichtigt. Ich halte das für
wichtig.
({13})
Vor allem aber geht es darum, die Wirtschaft in den
Städten, gerade in strukturschwachen Gebieten zu
Dr. Hans-Peter Friedrich ({14})
fördern. Ich fordere die Länder, soweit das nicht schon
geschehen ist, auf, ihre operativen Programme, die sie
schon unter Nutzung von beispielsweise europäischen
Programmen aufgelegt haben, mit Strukturfördermaßnahmen und Stadtentwicklungsprogrammen des Bundes
zu verzahnen. Das wird eine Möglichkeit sein, die
Wohnqualität unserer Städte zu erhöhen.
Im Bereich von Verkehrsinfrastruktur, Bau und Stadtentwicklung werden und wollen wir die Innovationen
und die technologischen Meisterleistungen deutscher
Herkunft besser präsentieren. Das Thema Bauforschung
erhält in diesem Haushalt eine neue Dimension. Der
Komplex Forschung und Innovation zieht sich also
durch alle Einzelpläne dieses Haushalts. Wir werden mit
der Bundesstiftung „Baukultur“ die Leistungsfähigkeit
von Architekten und Ingenieuren in Deutschland auf den
Weltmärkten besser präsentieren. Auch hier haben wir
Export- und Innovationschancen durch die Präsentation
deutscher Leistungsfähigkeit zu erwarten.
({15})
Die Wirtschafts- und Konjunkturlokomotive von Verkehrsinfrastruktur und Bau nimmt Fahrt auf. Lieber Herr
Minister, wir stehen in dieser Frage dicht an Ihrer Seite.
Die große Koalition ist auf Kurs in Richtung Zukunft.
({16})
Alles Gute.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bevor ich mit einer kritischen Analyse dieses
Haushaltes beginne,
({0})
gestatte auch ich mir eine Sicht von oben auf die Substanz dieses Planes. Es ist schon beachtlich, über wie
viel Substanz wir hier reden. Man kann das im Umkehrschluss deutlich machen, indem man sich einmal
vorstellt, was wäre, wenn all das, worüber wir hier im
Zusammenhang mit diesem Einzelplan reden, nicht existierte: Schienen, Straßen, städtische Infrastruktur, ja sogar der Wetterdienst.
({1})
Es geht also in der Tat um drei große Bereiche. Der
erste ist die Frage der Mobilität: Wie wollen wir uns bewegen? Der zweite Bereich dreht sich um die Frage des
Bauens und der Stadtentwicklung: Wie wollen wir wohnen? Der dritte Bereich betrifft die Frage: Wie wollen
wir die Förderpolitik gegenüber den neuen Bundesländern gestalten?
Ich will zunächst deutlich sagen, dass dieser Plan viel
Gutes und Vernünftiges enthält. Wenn Dinge gut und
vernünftig sind, finden sie natürlich auch die Zustimmung meiner Fraktion.
({2})
Sie nennen uns gerne Ideologen.
({3})
Dazu will ich sagen: Die Sache wird nicht besser, wenn
die einen Ideologen die anderen Ideologen „Ideologen“
nennen.
({4})
Dieser Haushalt - das kann man von keinem anderen
Haushalt behaupten - enthält über die Hälfte Investitionsanteile. Ein solcher Haushalt fordert die politische
Gestaltungskraft heraus.
({5})
Er fordert auch Verantwortung heraus. Wir meinen - das
ist unsere generelle Kritik -, dass Sie vor allem im Verkehrsbereich die Prioritäten erneut falsch gesetzt haben.
({6})
- Ich komme noch auf die einzelnen Bereiche zu sprechen.
Der Bundesfinanzminister hat uns am Dienstagmorgen zu verstärktem Optimismus aufgefordert. Bundesminister Tiefensee hat erwartungsgemäß sein Alleswird-gut-Lächeln aufgesetzt.
({7})
- Nein, Herr Kampeter. Auch wir wollen, dass eher
Hoffnungsträger als Bedenkenträger Konjunktur haben.
Das ist keine Frage.
({8})
Es geht aber darum, erfüllbare Hoffnungen zu wecken,
keine vorgetäuschten.
Der hinter uns liegende Wahlsonntag hat doch Ihren
gefühlten Aufschwung Lügen gestraft.
({9})
Die Wählerinnen und Wähler sehen diesen Aufschwung,
von dem Sie pausenlos reden, nicht.
({10})
Jetzt will ich die einzelnen Bereiche durchgehen. Ich
komme zuerst zum Thema „Mobilität und Verkehr“. Die
Bundeskanzlerin hat ihre Regierungserklärung unter das
Motto „Mehr Freiheit wagen!“ gestellt.
({11})
Freiheit und Mobilität hängen zusammen. Aber es ist
heute bittere Realität, dass für eine Empfängerin von
Arbeitslosengeld II die Freiheit schon an der Bushaltestelle endet, weil sie die teurer gewordenen Fahrscheine
nicht mehr bezahlen kann.
({12})
Deshalb wollen wir vor allem eine Frage in den Mittelpunkt stellen, Herr Minister. Im Herbst dieses Jahres
steht der geplante Börsengang der Bahn AG ins Haus.
({13})
Unsere Aufgabe ist die politische Begleitung dieses Prozesses.
({14})
Dieser Prozess wird wahrscheinlich eines Tages mit Ihrem Namen verbunden sein, Herr Minister. Wir meinen,
dass Sie damit bereit sind, die historische Fehlentscheidung des Jahres 2006 zu treffen.
({15})
- Ich höre mit Wohlwollen, dass noch nichts entschieden
ist, Herr Kollege. Aber ich kenne den Stand der Vorbereitungen.
Wir wollen vor allem auf folgende Fakten aufmerksam machen: Sie rechnen gegenwärtig den Wert der
Bahn AG erheblich nach unten, Experten zufolge um
mehr als das Zweieinhalbfache. Das ist nach unserer
Auffassung ein Widerspruch zur Bundeshaushaltsordnung.
({16})
- Ich denke, Sie wissen sehr wohl, dass das gründlich
berechnet worden ist. Sie müssen sich nur die internen
Berechnungen anschauen.
({17})
Sie sind laut Grundgesetz dafür verantwortlich, zu gewährleisten, dass in Bezug auf die Bahn das Wohl der
Allgemeinheit geachtet und den Verkehrsbedürfnissen
Rechnung getragen wird. Mit dem geplanten Börsengang der Bahn gefährden Sie aber Kundinnen und Kunden und Beschäftigte der Bahn gleichermaßen.
({18})
In Art. 14 unseres Grundgesetzes heißt es, dass eine
Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig
ist. Was Sie jetzt vorhaben, bedeutet die Enteignung von
Vermögen der Bevölkerung.
({19})
Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Die Bahn gehört nicht
der Bundesregierung, sondern der gesamten Bevölkerung.
({20})
An die Kolleginnen und Kollegen der Koalition gewandt möchte ich Folgendes feststellen: Ich hätte eigentlich von Ihnen ein bisschen mehr Dankbarkeit erwartet.
({21})
Ich will Ihnen das erklären. Sie leben schließlich davon,
dass es Opposition gibt. Ich erlebe aber seit Dienstag in
den Haushaltsberatungen, dass Sie sich in der Auseinandersetzung mit den Liberalen oder den Grünen erkennbar künstlich aufregen müssen. Das merkt man Ihnen an.
Mit uns müssen Sie sich aber so auseinander setzen, dass
Sie sich ehrlich aufregen können. Das ist doch wohl ein
gewisses Maß an Dankbarkeit wert.
({22})
Wir kritisieren ausdrücklich die Kürzung der Regionalisierungsmittel für die Verkehre in den Bundesländern. Sie haben nun eine Diskussion über Fehlverwendungen eröffnet. Wir kennen ja den Verlauf solcher
Debatten. Ich sage Ihnen dazu nur eines: Solange in diesem Land Fördermittel für Golfplätze eingesetzt werden
und das als Investition in die Wirtschaft bezeichnet wird,
so lange sollte niemand hier von Fehlverwendungen reden.
({23})
Herr Minister, die Art und Weise, wie Sie sich zu den
ausstehenden 5 Milliarden Euro Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Mautvertrag geäußert haben - Sie
haben uns mit einem fröhlichen Lächeln darauf hingewiesen, dass wir hier noch ein paar Einnahmen zu erwarten hätten -, ist angesichts der Bedeutung dieses Vorgangs etwas zu lax.
({24})
Im Bereich Bau- und Wohnungswesen gibt es viele
Maßnahmen, die wir bereits positiv gewürdigt haben.
Ich will daran erinnern, dass wir uns in den zuständigen
Ausschüssen ausdrücklich für das CO2-Sanierungsprogramm stark gemacht haben. Wir sind der Meinung, dass
die Mittel dafür erheblich aufgestockt werden sollten,
und wir wollen Ihnen in den weiteren Haushaltsberatungen dazu Vorschläge machen. Wenn wie in diesem Fall
ein vernünftiger Schritt gegangen wird, dann können Sie
immer davon ausgehen, dass er die energische Unterstützung der linken Opposition in diesem Hause findet.
({25})
Kritischer sehen wir nach wie vor die Fragen betreffend den Bereich des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Hier
haben sich viele in den letzten Jahren - ich nehme uns
nicht aus - erheblich versündigt. Wir brauchen mehr Unterstützung für die Wohnungsunternehmen. Wir werden
Ihnen in Bälde einen entsprechenden Antrag vorlegen,
der vorsieht, die bislang gültigen Fristen aufzuheben.
Wir müssen zudem endlich die kommunale Investitionskraft stärken. Das ist gerade für die Wohnungsbauwirtschaft nicht unwichtig. Meine Fraktion wird deshalb im
Zuge der Haushaltsberatungen vorschlagen, erneut eine
kommunale Investitionspauschale in Höhe von 1,5 Milliarden Euro aufzulegen.
({26})
- Das bekommen Sie alles geliefert. Ich denke, Sie haben sich inzwischen gründlich mit unserem Steuerkonzept beschäftigt.
({27})
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auf einen
Fakt hinweisen: Unser Steuerkonzept sieht vor,
({28})
die Kommunen mit 20 Prozent am Mehrwertsteueraufkommen - von der Sünde, die Sie im nächsten Jahr begehen wollen, will ich gar nicht reden - zu beteiligen.
Mit dieser Summe ließe sich Planungssicherheit schaffen.
({29})
Wir sind zudem mit den Plänen betreffend den Neubau des Bundesinnenministeriums - das wird ebenfalls
den Einzelplan 12 tangieren - nicht einverstanden.
Ich will noch einige Worte zum Aufbau Ost sagen.
Diesbezüglich werden in der Koalitionsvereinbarung
viele relativ gute Ziele gesetzt. Die Abteilung „Überschriften“ hat ganze Arbeit geleistet.
({30})
- Leider nicht, Herr Kollege. - Nach der Beschreibung
der Ziele heißt es aber nur, dass der bisherige Weg fortgesetzt wird und dabei auf die bewährten Instrumente
zurückgegriffen wird. Wenn die bewährten Instrumente
aber bislang nicht zu den Ergebnissen geführt haben, die
man sich wünscht, dann werden sie auch nicht den neuen
Zielen, die Sie in den Überschriften formuliert haben,
gerecht werden.
({31})
Schauen wir uns einmal die Fakten an. Nach wie vor
ist die Industrieproduktion in Westdeutschland zehnmal
höher als die in Ostdeutschland. Wir haben es in Ostdeutschland mit einer verstetigten Abwanderung zu tun.
Die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland liegt im Durchschnitt bei 8,5 Prozent, während sie in Ostdeutschland
bei 18,4 Prozent liegt. Da das Bundesministerium neue
Zahlen vorgelegt hat, kann ich allerdings den oft gemachten Vorwurf entkräften, die neuen Bundesländer
hätten eine zu hohe Personalkostenquote. Das ist nichts
anderes als eine Legende; denn aus den jüngsten Berechnungen geht hervor, dass der Anteil der Personalkosten
an den Landeshaushalten in Ostdeutschland bei
26,3 Prozent, aber in Westdeutschland bei 40,6 Prozent
liegt. Der Vorwurf geht also ins Leere.
Die Absicht dieser Regierung, eine so genannte
Hartz-IV-Optimierung vorzunehmen - das darf man
nicht ausblenden, wenn es um Ostdeutschland geht -,
bereitet mir große Sorgen. Wenn davon gesprochen
wird, die Arbeitsuchenden oder ALG-II-Bezieher sollen
nicht auf dumme Gedanken kommen können, dann weiß
ich, dass das wieder eine Verschärfung der Diskriminierung und der Repression von Arbeitsuchenden bedeutet.
({32})
Dazu will ich eines sagen: Solange es in diesem Lande
ein legalisierter Volkssport ist, dass sich Begüterte bei
der Steuer arm rechnen - ich verweise nur darauf, dass
eines der meistgekauften Bücher „1000 ganz legale
Steuertricks“ ist -, kann man es den Ärmsten der Gesellschaft nicht vorwerfen, dass sie anwenden, was das Gesetz hergibt. Wo kommen wir denn da hin?!
({33})
Leider ist es so - das wissen auch Sie -, dass gemäß
den wichtigsten wirtschaftlichen Indikatoren sich die
Schere zwischen Ost und West seit 1997/1998 wieder
öffnet. Deshalb schlagen wir ein Zukunftsinvestitionsprogramm „Jugend und Innovation“ für diesen Bereich
vor. Dieses Programm wollen wir solide gegenfinanzieren. Ich will daran erinnern: Als wir im vergangenen
Jahr - da war von der Bundestagswahl eigentlich noch
nicht die Rede - davon gesprochen haben, dass wir ein
solches Zukunftsinvestitionsprogramm brauchen, haben
Sie schon diesen Begriff als sozialistisches Teufelszeug
abgetan.
({34})
Inzwischen haben auch Sie sich damit angefreundet. Ich
will damit sagen: Wir werden die Probleme dieses Landes nicht weglächeln können, wir müssen uns ihnen stellen - da hilft weder schwarz malen noch schönreden. Es
macht mir Sorgen, wenn ich mir anschaue, was die CDU
macht, wenn sie Regierungsverantwortung hat. In dem
Bundesland, aus dem ich komme, Sachsen-Anhalt,
({35})
waren die ersten Schritte der damaligen CDU/FDP-Regierung, das Kinderförderungsgesetz zu verschlechtern
und ein Feststellenprogramm im Jugendbereich kurzerhand auslaufen zu lassen. Das sind völlig falsche Wege.
Deswegen haben Sie kein Recht, Innovation, FamilienRoland Claus
freundlichkeit oder Jugendfreundlichkeit als Überschrift
für Ihre Programme zu nehmen.
({36})
Es ist uns in diesen Haushaltsberatungen von Vertretern der Regierung und der Koalition gerade erneut vorgehalten worden, ihre Haushalts- und Finanzpolitik sei
alternativlos. Wer so etwas behauptet, stellt sich selbst
ein Armutszeugnis aus und sollte nicht den Anspruch erheben, in diesem Land etwas nach vorne bewegen zu
können. Meine Damen und Herren, Politik ist immer
Menschenwerk; deshalb ist sie nie alternativlos - es geht
immer auch anders.
Vielen Dank.
({37})
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Hermann von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Herr Minister Tiefensee! Meine Damen und Herren! Die große Koalition betont oft und immer wieder - auch heute haben wir es mehrfach
gehört -, dass der Bereich Verkehr der zentrale Zukunftsbereich überhaupt ist. Ich will das durchaus unterstreichen; ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns einig.
In der Drucksache zur mittelfristigen Finanzplanung
heißt es unter anderem:
Bei den Verkehrsinvestitionen handelt es sich um
eines der wichtigen Zukunftsfelder für den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Standort Deutschland.
Danach kommen weitere hehre Worte, die das alles unterstreichen und betonen. Abgesehen davon, dass Verkehrspolitik nicht nur Standortpolitik sein kann, finde
ich, dass sich diese hehren Worte im Programm-KleinKlein des Haushaltes nicht wirklich wiederfinden, und
auch nicht in der mittelfristigen Finanzplanung.
Herr Minister, Sie haben heute in Ihrer Rede vielfach
das Wort „Zukunft“ in den Mund genommen, übrigens
auch sehr oft das Wort „nachhaltig“, wenn auch meistens
nicht im Sinne von „ökologisch verträglich“ oder „sozial
verträglich“, sondern eher im Sinne von „nachdrücklich“; anscheinend ist es Ihnen aber nicht fremd. Sie haben von wichtigen Zukunftsaufgaben gesprochen und
ich war gespannt, was Sie sagen würden. Erstaunlich
finde ich, dass Sie eine ganze Reihe von offensichtlichen
Zukunftsfragen überhaupt nicht angesprochen haben
- Sie haben sie weder in Ihrer Rede thematisiert noch indirekt, in Programmen -: Wenn die Prognose lautet, dass
der Verkehr auf der Straße zunimmt, liegt es doch auf
der Hand, dass man sich fragt: Wie können wir diesen
Verkehr umweltverträglich und klimafreundlich organisieren? Was kann man da verbessern, was können wir
tun? Das ist eine zentrale Frage.
Wenn wir wissen, dass wir in allen Bereichen Erfolg
in Sachen Klimaschutz erzielt haben, wie können wir
dann den Klimaschutz beim Verkehr anders angehen, wo
doch Jahr für Jahr immer mehr CO2-Emissionen zu beklagen sind? Da braucht man doch ein Konzept. Da
muss man als Regierung ran.
({0})
Eine weitere Frage: Wie sichern wir zukünftig Mobilität, wenn wir wissen, dass unser Verkehrssystem zu
über 90 Prozent auf der Nutzung und Vernutzung von Öl
basiert? Wenn das offenkundig ist, dann muss sich die
Regierung doch darüber Gedanken machen, wie Mobilität auch ohne Öl dauerhaft gesichert werden kann. Es
weiß doch jeder, dass die Ölvorräte zu Ende gehen, Öl in
absehbarer Zeit ziemlich teuer wird und man es sich
wahrscheinlich nicht mehr leisten kann, den Verkehr auf
der bisherigen Basis zu organisieren. Das sind meines
Erachtens große Zukunftsfragen. Um die sind Sie, Herr
Minister, herumgeschlichen. Sie haben sie nicht wirklich
gestellt, jedenfalls nicht in dem umfassenden Sinne, in
dem ich sie angesprochen habe. Ganz zu schweigen davon, dass Sie Antworten gegeben hätten, was allerdings
kein Wunder ist. Wer keine Fragen stellt, findet auch
keine Antwort.
({1})
Nehmen wir ein typisches Feld, um die Fragen abzuarbeiten, den Schienenpersonennahverkehr. Sie werden in Ihren eigenen Veröffentlichungen ständig die Formulierung finden, dass es für die Qualität der Städte, für
die Lebensqualität, für die Menschen, die keine Autos
haben, und aus Klimaschutzgründen dringend notwendig wäre, den Schienenpersonennahverkehr zu fördern.
Was aber tun Sie? Ausgerechnet in dem Bereich, in dem
die Politik der letzten zehn Jahre über alle Fraktionen
hinweg außerordentlich erfolgreich war, weil wir durch
Regionalisierungsmittel, die jährlich gestiegen sind, diesen Bereich gestärkt und weil wir den Ländern viel Geld
gegeben haben, damit sie guten Nahverkehr organisieren
und bezahlen können, also in einem Bereich, an dem
man erfolgreich zeigen kann, dass man Menschen zum
Umsteigen vom Straßenverkehr auf den Schienenverkehr bringen kann - heute benutzen 30 Prozent mehr
Menschen den öffentlichen Personennahverkehr auf der
Schiene -, setzen Sie mit Ihren Kürzungen an. Das ist
doch absolut kontraproduktiv unter dem Gesichtspunkt,
dass wir einen umweltfreundlichen und umweltverträglichen Verkehr wollen.
({2})
Sie kürzen in den nächsten Jahren die Regionalisierungsmittel sukzessive. In der Summe sind es in vier
Jahren 2,3 Milliarden Euro, in sechs Jahren - über diesen Zeitraum geht Ihre Planung - sind es schon 3,3 Milliarden Euro. Das ist, wie ich meine, noch kein Kahlschlag. Das will ich nicht behaupten. Aber wenn Sie in
diesem System in diesen Zeiträumen um zwei bis
3 Milliarden Euro kürzen, dann machen Sie viel kaputt.
Dann wird in manchen Ballungsräumen jeder fünfte oder
sechste Zug einfach gestrichen werden müssen.
({3})
Es wird natürlich zu Tariferhöhungen kommen, weil die
Bahnen sonst nicht mehr bezahlbar sind.
({4})
Eine womöglich schlecht privatisierte Bahn wird Strecken stilllegen müssen, was dann gut zusammenpasst.
({5})
Man hat weniger Mittel und braucht deshalb auch nicht
alle Strecken zu bedienen. Das ist die große Gefahr, die
wir sehen.
({6})
Meine Damen und Herren, Kollege Kampeter, es ist
einer der größten Fehler dieser großen Koalition, dass
sie ausgerechnet im Nahverkehr die Mittel streicht.
({7})
- Doch, Sie streichen die Mittel drastisch. Sie waren übrigens der Erste, der das angekündigt hat. Sie haben uns
dankenswerterweise vorgewarnt.
Was wollen Sie? Sie sagen, Sie wollten die Mittel effizienter einsetzen.
({8})
Gerne, wir sind dabei.
({9})
Um Effizienzgewinne zu erzielen und die Gelder präzise
zu verwenden, hatten Sie aber genügend Zeit. Sie hätten
schon längst die Länder in die Pflicht nehmen können.
({10})
Wir sind dabei, wenn es darum geht, konkret nachzuweisen, wo es Fehlverwendungen gibt. Es gibt einzelne Beispiele, aber es ist nicht so, dass in der Summe das Geld
in den Ländern falsch verwendet wird. Es ist vielmehr
mit viel Geld ein guter Nahverkehr organisiert worden.
Das wollen wir fortsetzen. Es ist eigentlich eine Herausforderung dieser Zeit, den Nahverkehr auszubauen und
zu verbessern, aber es kann nicht angehen, ihn zusammenzustreichen.
({11})
Der nächste Bereich betrifft die Investitionen. Die
Kollegin Winterstein hat Ihnen, wie ich finde, zu Recht
vorgerechnet, dass man das nur auf der Grundlage einer
außerordentlich mickrigen mittelfristigen Finanzplanung
machen kann.
({12})
- Noch unter Rot-Grün? Wir haben ihr nie zugestimmt,
weil sie in erheblicher Weise Eingriffe in die Schieneninfrastrukturinvestitionen bedeutet hätte. Das haben wir
immer kritisiert.
Wenn man von dieser Basis ausgeht, dann haben Sie
etwas draufgelegt. Wenn man aber gegenrechnet und die
4 Milliarden Euro durch vier Jahre teilt, dann kommt
man auf gerade einmal 1 Milliarde Euro. Wenn man
noch die 2 bis 3 Milliarden Euro herausrechnet, die Sie
bei den Regionalisierungsmitteln einsparen, dann ist aus
der großen Infrastrukturinvestitionspackung ein kleines
Päckle geworden, wie wir in Schwaben sagen.
Sie von der großen Koalition erwecken den Eindruck,
dass Sie etwas tun. Aber Sie tun nichts. Es ist mir fast
peinlich, zu sagen, dass selbst Rot-Grün mehr für den
Straßenbau getan hat, als Sie in den kommenden Jahren
tun wollen.
({13})
Was den Schienenverkehr angeht, ist der Unterschied
drastisch. Im Schnitt wird hierfür eine halbe Milliarde
Euro weniger als unter Rot-Grün in den letzten Jahren
ausgegeben. So sorgen Sie weder für einen umweltfreundlichen Verkehr noch für mehr Klimaschutz. Sie
werden gar nichts erreichen, sondern eher Abstriche in
denjenigen Bereichen machen müssen, die wir eigentlich
fördern müssen.
Nächster - und wahrscheinlich mein letzter - Punkt:
Klimaschutz, Treibstoffe.
({14})
- Sie sagen „Gut so“. - Die Frage ist doch: Was können
wir tun, um zum Beispiel mehr biogene Treibstoffe auf
den Markt zu bringen? Was können wir tun, um andere
Antriebssysteme, andere Technologien auf den Markt zu
bringen?
({15})
- Sie fördern sie, ja. Sie wollen sogar viel Geld für den
Bereich Wasserstoff zur Verfügung stellen. Für Biokraftstoffe sollen gerade einmal 3 „Milliönchen“ Euro bereitgestellt werden, obwohl diese Kraftstoffe in der Zukunft
eine wesentliche Rolle spielen. Angesichts der Milliarden, die Sie für die Infrastruktur ausgeben wollen, sind
3 Millionen Euro einfach zu wenig.
Auch bei Ihnen muss doch irgendwann einmal ankommen, dass moderne Verkehrspolitik nicht nur Infrastrukturpolitik ist. Man muss vielmehr auch in innovative Technologien gehen; denn dort entstehen die
Arbeitsplätze von morgen.
Herr Minister Tiefensee, Sie betonen immer wieder,
dass Verkehrspolitik auch Arbeitsplätze schafft. Wirklich gefährdet sind diejenigen Arbeitsplätze in Deutschland, die etwas mit der Produktion von Öl fressenden
Autos zu tun haben. Wir alle müssen uns doch Gedanken
machen, wie wir umweltverträgliche Autos, umweltverträgliche Verkehrssysteme
({16})
und die umweltverträgliche Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsteilnehmer organisieren und fördern. Dafür tun Sie mit diesem Haushalt deutlich zu wenig.
({17})
Ich komme zum Schluss.
({18})
Ich will zusammenfassend sagen: Anstatt mit einer guten
Politik, die innovative Konzepte, das Spritsparen und
neue Technologien fördert, Schritt für Schritt vom Öl
wegzugehen, streichen Sie bei den Mitteln für den
Schienenverkehr. Anstatt wirklich moderne Mobilitätskonzepte zu entwickeln, setzen Sie letztendlich doch
nur auf die alte Infrastruktur, im Wesentlichen auf die
Straße.
Mir ist völlig klar, dass eine moderne Verkehrspolitik
nicht allein von Politikern gemacht werden kann. Dabei
müssen auch Menschen mitmachen, die das Leitbild der
Nachhaltigkeit leben. Aber man muss sich natürlich
auch im Kopf bewegen. Meine Damen und Herren von
der großen Koalition, ich muss Ihnen schon sagen: Ein
bisschen mehr Mobilität im Kopf in der Verkehrspolitik
täte Ihnen gut.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Beckmeyer von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts des Volumens dieses Haushaltes muss
man den Oppositionspolitikern erst einmal sagen: Vergleichen Sie ihn mit den Vorgängerhaushalten!
({0})
Die Vorgängerhaushalte hatten ein deutlich geringeres
Volumen; wir haben es dagegen mit einem Aufwuchs zu
tun.
Herr Hermann, der hochverehrte Kollege Albert
Schmidt hat, als wir noch in einer Koalition waren, zum
letzten Haushalt gesagt, der Vorgängerhaushalt habe
zwar am seidenen Faden gehangen, aber der Haushalt
2005 hänge an einem dicken Tau. Was sagen wir denn zu
diesem Haushalt? Das Tau ist noch viel dicker geworden.
({1})
Der Aufwuchs dieses Haushaltes ist erheblich. Insofern
haben wir ein großes Stück erreicht.
Noch unter der alten Koalition wurden zusätzlich
2 Milliarden Euro für den Verkehrshaushalt mobilisiert.
Diese Koalition will noch mehr Mittel bereitstellen. Und
das ist auch gut so, weil Deutschland seine Infrastruktur
für die Ökonomie dieses Landes und für die damit verbundenen Arbeitsplätze - sie entstehen direkt, aber auch
indirekt, zum Beispiel Systemindustrie - weiterentwickeln muss. Das Prinzip der Verstetigung ist ein zentraler Punkt.
Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder Probleme gehabt - man muss es einmal
nüchtern sagen; das ist auch beklagt worden -: Mal
musste die Rente finanziert werden. Dann gab es eine
globale Minderausgabe, die umgesetzt werden musste.
Der Verkehrshaushalt war immer mit einem Viertel dabei. Dies gilt es auf Dauer zu vermeiden.
({2})
Jetzt kommt 1 Milliarde Euro obendrauf, um dieses
Auf und Ab im Verkehrsbereich, diese Unsicherheiten
bezüglich der Höhe der Investitionen zu reduzieren. Die
Absicht und das klar erklärte Ziel dieser Koalition lauten: Verstetigung auf höherem Niveau.
({3})
Wichtig ist auch, dass wir im Koalitionsvertrag gemeinschaftlich endlich klar gemacht haben: Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind keine Subventionen. Ich sage das, damit ja niemand mehr, ob
Ministerpräsident oder wer auch immer, auf diese Idee
kommt.
({4})
Bei den Ausgaben für die Wirtschaftsstruktur handelt es
sich um Investitionen; es sind keine Subventionen.
({5})
Wir brauchen hierüber Klarheit. Wir haben sie gemeinschaftlich geschaffen.
Investitionen in die Verkehrsträger sind notwendig.
Wir haben festzustellen, dass die Mittel, die wir hier investieren, auskömmlich sein werden. Weil auch an dieser Stelle immer wieder Kritik von der Opposition
kommt, will ich noch einmal festhalten: Wir haben es
mit einem integrierten Verkehrskonzept, mit einem integrierten Ansatz der Verkehrspolitik in Deutschland zu
tun. Insofern ergänzen sich die Investitionen in die
Straße mit den Investitionen in die Schiene und den Investitionen in die Wasserstraße.
Was man auch festhalten muss: Der Bundesverkehrswegeplan, die Fünfjahrespläne und die jährlichen Investitionsansätze, auf die das Ganze heruntergebrochen
wird, vermitteln die klare Erkenntnis, dass wir nicht nur
Neubauten finanzieren, sondern dass wir immer auch die
Unterhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen
({6})
auf der Agenda haben. Das sage ich vor dem Hintergrund des Vorwurfs, der aus der Öffentlichkeit so wieder
in dieses Haus schwappt: Ihr unterhaltet eure Infrastruktur nicht richtig. - Im Haushalt ist das fast fifty-fifty!
({7})
Ich will etwas zu dem Konjunktureffekt sagen. Der
Minister sprach vorhin von starken Effekten auch für
den Mittelstand. Dieser Einzelplan, der Verkehrshaushalt, hat enorme konjunkturelle Effekte. Wir Parlamentarier haben schon im vergangenen Jahr, im November/
Dezember, darauf gedrungen, dass möglichst viele Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan angefangen
werden, um auf diese Art und Weise das Problem des
Haushalts 2006, der seine Wirksamkeit erst im Juli entfalten wird, zu überbrücken, damit wir schon jetzt Aufträge erteilen können, ohne gegen die Haushaltsordnung
zu verstoßen, damit wir schon jetzt Investitionen in das
Land bringen. Auch das ist ein ganz wesentlicher Punkt,
der hier heute benannt werden muss.
({8})
Wir wollen, dass die Systemindustrien, ob Eisenbahnindustrie oder die Industrien, die sich mit dem Autobahnbau beschäftigen, wissen, dass wir diese Verstetigung, diese Kontinuität im Ausgabeverhalten, im
Investitionsverhalten der Bundesrepublik auch für die
Zukunft aufrechterhalten wollen.
Die Infrastrukturplanungsbeschleunigung ist ein
ganz wesentliches Thema. Wir wollen mit diesem Instrument schneller werden - das will ich unterstreichen -,
aber wir setzen weiter darauf, dass auch noch das eine
oder andere im nachgelagerten Bereich schneller wird.
Wir müssen darüber nachdenken, ob das deutsche Vergaberecht nicht am Ende dazu führt, dass die Beschleunigung in der Infrastrukturplanung durch Klagen ausgeschiedener Wettbewerber wieder zunichte gemacht wird.
Hier müssen wir gegebenenfalls auf eine Änderung
drängen. Das ist ein Thema, dem sich der Gesetzgeber
möglicherweise in einem zweiten Durchgang noch zuwenden muss, weil sonst der beabsichtigte Effekt so
wieder aufgehoben wird.
Maritimes Bündnis. Das ist ein gutes Beispiel dafür,
wie zwischen Wirtschaft und Politik eine über Jahre verlässliche Verabredung getroffen werden kann. Dadurch
ist in diesem Feld der deutschen Verkehrswirtschaft inzwischen Hervorragendes geleistet worden. Die Rückflaggungsquote ist enorm hoch. Von dem volkswirtschaftlichen Nutzen profitiert der Finanzminister in
dreistelliger Millionenhöhe. Ich denke, das eine oder andere davon sollte auch, wie in der Maritimen Konferenz
versprochen, bei der Wirtschaft ankommen.
({9})
Zum Thema Kapitalprivatisierung. Bei der Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung befinden
wir uns in der letzten Kurve. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, weil wir mit der Deutschen Flugsicherung
Optionen in Europa nutzen wollen. Eines der besten
Flugsicherungsunternehmen der Welt hat die Chance,
sich auch in Europa zu bewähren, zu wachsen und auf
diese Weise noch mehr Sicherheit in den europäischen
Luftraum hineinzutragen.
({10})
Zur Kapitalprivatisierung bei der Deutschen Bahn.
Ich würde niemals mehr von einem Börsengang reden.
Wer das tut, ist ein bisschen neben der Spur. Das ist ein
interessanter Vorgang, bei dem wir aber, bitte schön, unseren Grundgesetzauftrag genau im Auge behalten müssen. Das nehmen wir Sozialdemokraten und die gesamte
Koalition sehr ernst. Das betrifft die Frage der Risikoabgrenzung, der Risikoeinschätzung und gleichzeitig die
Fragen: Was bringt uns das? Welche Erträge haben wir
und wie viel macht das Fresh Money aus, das bei der
Deutschen Bahn ankommt? Das gilt es ganz nüchtern
abzuarbeiten.
Wir sind in der Politik gut beraten, uns bei Modellen
von Emotionen frei zu machen und die anstehenden Fragen anhand von Kriterien sauber abzuarbeiten, sodass
wir am Ende ein gutes, passendes Ergebnis haben, mit
dem wir sowohl in ökonomischer als auch in politischer
Hinsicht in der Bundesrepublik bestehen können. Das
ist, glaube ich, ein ganz wichtiger und nicht zu unterschätzender Punkt.
({11})
Zu den neuen Elementen. Ich habe nicht ganz verstanden, Herr Hermann, was Sie damit meinten, der Minister habe nicht über Innovationen und über Neues gesprochen. Er hat über Wasserstofftechnologie und
Brennstoffzellentechnologie gesprochen, für die ein
enormer Investitionsaufwand betrieben wird - nicht nur
im Bereich des Verkehrsministeriums, sondern auch im
Bereich des Forschungsministeriums. Insgesamt werden
hier in der nächsten Zeit öffentliche, aber auch private
Gelder in dreistelliger Millionenhöhe mobilisiert. Das ist
ein entscheidender Punkt.
({12})
Die Forschungsmittel werden also aufgestockt, was
sich auch bei den Innovationen zeigt. Dadurch werden
neue Impulse in der Wirtschaft gesetzt.
Außerdem: Umweltmotoren für die Binnenschifffahrt, ist das nichts Neues? Das ist ein Thema, zu dem
wir so schon in der Vergangenheit Überlegungen angestellt haben und das sich demnächst auch im Haushalt
wiederfindet.
Ich will an dieser Stelle noch etwas Weiteres zu neuen
Elementen sagen. Wir beraten den Haushalt heute in erster Lesung. Im Koalitionsvertrag steht - das will ich dick
unterstreichen - etwas zum Masterplan Logistik - ein
Thema, das in Deutschland viel mehr Aufmerksamkeit
verdient, als wir ihm in der Vergangenheit vielleicht haben zuteil werden lassen. Um den Masterplan Logistik
wird sich das Verkehrsressort sehr verdient machen,
wenn wir dieses Thema jetzt gemeinschaftlich anschieben. Bereits im Haushalt 2006 muss es dafür einen eigenständigen Titel geben. Wir müssen in dieser Frage
jetzt die Kräfte derer bündeln, die mit uns gemeinsam
diesen Masterplan anschieben wollen. Wir brauchen einen nationalen Auftritt. Bisher gibt es einzelne Aktivitäten der Bundesländer. Aber in anderen Ländern ist es der
Nationalstaat, der sich entsprechend aufstellt. Ich
glaube, es wäre gut, wenn Deutschland seine Stärken
über einen nationalen Masterplan Logistik besser herausarbeiten und präsentieren würde.
({13})
Das nächste Thema ist im Haushalt schon berücksichtigt. Die damit verbundenen Bemühungen müssen meines Erachtens aber noch verstärkt werden, nämlich: Was
tun wir gegen Lärm? Lärm stellt eine hohe Belastung
dar und sorgt für große Akzeptanzprobleme beim Thema
Verkehr. Wenn wir den Bürgern nicht vermitteln, dass
wir uns bei der Frage der Lärmvermeidung und Lärmbekämpfung noch mehr anstrengen, werden wir langfristig
oder auch schon kurz- oder mittelfristig Probleme hinsichtlich der Akzeptanz von zusätzlichem Verkehr haben, den es in Zukunft geben wird. Darum bin ich der
Meinung, dass wir auch im Sektor Lärmvermeidung und
Lärmbekämpfung ein wenig mehr zulegen müssen. Wir
werden das mit der großen Koalition auch schaffen.
({14})
Ich komme nun zum Thema Binnenschifffahrt. Wir
hatten einen langen und kalten Winter. Die Binnenschifffahrt hat daher unsere Unterstützung verdient.
({15})
Die Kollegen, die in beiden Fraktionen der großen Koalition in diesem Bereich tätig sind, warnen vor Schäden
aufgrund der sehr langen Aufliegezeiten der Schiffe. Vor
vielen Jahren gab es das Instrument der so genannten
Eishilfe. Wir sollten dieses Instrument im Rahmen der
Beratungen des Haushalts 2006 zur Sprache bringen und
es vielleicht nutzen.
({16})
Ich denke, es lohnt sich, darüber nachzudenken. Es handelt sich zwar nicht um sehr große Beträge. Aber es ist
eine Geste gegenüber diesem wichtigen Wirtschaftszweig.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Es
geht um die Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung. Ich darf sowohl dem Verkehrsminister als
auch dem Finanzminister danken, dass es im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Kapitalprivatisierung
gelungen ist, das Bundesamt für Flugsicherung so stabil
aufzustellen, wie es nötig ist, um im Zuge einer Kapitalprivatisierung, einer entsprechenden Beleihung der
Deutschen Flugsicherung, die staatlichen Aufgaben wie
Überprüfung und Kontrolle in qualitativ hochwertiger
Weise wahrzunehmen.
Die Beratungen in den Ausschüssen werden zeigen,
welche Einzelvorschläge noch auf den Tisch des Hauses
kommen. Wir werden sie sachgerecht beraten und dann
in der zweiten und dritten Lesung abschließend behandeln.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Tiefensee, ich muss Ihnen zunächst einmal
dafür danken, dass Sie etwas in den Diskussionsprozess
wieder eingebracht haben, von dem ich gedacht habe, es
sei vergessen worden, nämlich das Thema Transrapid.
Ihre Einlassung habe ich wohlwollend aufgenommen.
Spannend wird es allerdings, wenn man Fakten
schafft. Bleibt es bei der Festlegung von Rot-Grün, dass
der Transrapid München ein regionales Projekt ist?
Bleibt es dabei, dass maximal 550 Millionen Euro finanziert werden? Wie wird die Differenz zu den eigentlichen Baukosten beglichen? Wenn das geklärt ist, kann
man sich freuen. Aber bis dahin ist es ein Schattenboxen
auf hohem Niveau.
({0})
Ich komme nun zu dem Haushalt und zu den Zahlen.
Wenn Ihre Aussagen nicht ganz falsch sind, dann hatten
wir im Jahre 2004 im Haushalt des Verkehrsministers
eine Istausgabe für Investitionen in Höhe von 9,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2005 waren wir bei 9 Milliarden
Euro. Für das Jahr 2006 werden wiederum 9 Milliarden
Euro erwartet. Das ist für mich kein Aufwuchs, sondern
bestenfalls eine Stagnation gegenüber 2005. Gegenüber
2004 ist es sogar weniger.
Um den Haushalt einzuordnen, darf ich den Kollegen
Dirk Fischer zitieren. In seiner Rede zum Haushalt des
Jahres 2005 kommt er zu der bemerkenswerten Erkenntnis:
Horst Friedrich ({1})
Die für 2005 vorgesehenen Investitionsmittel decken die Kosten für Neu-, Ausbau- und Instandhaltungsmaßnahmen nicht einmal ansatzweise.
({2})
Er sagt ferner:
Der drastische Investitionsrückgang ist Folge eines
verantwortungslosen Gesetzesverstoßes.
({3})
- Herr Kampeter, es ist schon beachtlich, dass Sie als
haushaltspolitischer Sprecher mir gerade erklären, dass
der Unterschied zwischen 9 Milliarden Euro und 9 Milliarden Euro eine Erhöhung ist. Wenn das Ihre Mathematik für die Haushaltssanierung ist, dann wundert mich allerdings nichts mehr.
({4})
Ich zitiere weiter:
Der drastische Investitionsrückgang ist Folge eines
verantwortungslosen Gesetzesverstoßes. Hier stand
zu Recht § 11 des Mautgesetzes im Mittelpunkt der
Diskussion.
Da frage ich mich, Herr Kollege Fischer: Wo bleibt denn
Ihr Gesetzentwurf, um Verstöße gegen § 11 Mautgesetz
zu sanktionieren? Sie haben doch jetzt die Mehrheit. Ich
warte immer noch darauf. Wenn das, was Sie gesagt haben und was ich inhaltlich voll teile, für 2005 gegolten
hat, dann gilt es in gleicher Weise für 2006.
({5})
Ich habe den Eindruck, Sie versuchen das Ganze zu
übertünchen, indem Sie jetzt schnellere Planungsverfahren fordern. Das ist wunderbar. Ich stimme Ihnen voll
und ganz zu, dass wir die Verfahren beschleunigen müssen und dass wir in ganz Deutschland ein einheitliches
Planungsrecht brauchen. Aber das löst nicht das Problem
der fehlenden Mittel. Allein mein geliebtes Heimatland
Bayern hat, wenn der zuständige Minister für Straßenbau Recht hat, einen Bestand von planfestgestellten Projekten im Straßenbau, die ein Volumen von
750 Millionen Euro haben. Er bräuchte eigentlich gar
keine neuen Planungen; er bräuchte mehr Geld. Nur, das
bekommt er nicht; denn die Investitionshöhe ist gleich.
Ich habe schon den Eindruck, dass Sie jetzt mit Ihrer
Änderung des Planungsvereinfachungsgesetzes versuchen, ein bisschen davon abzulenken, dass Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, das umzusetzen, was
man mit der Maut eigentlich erreichen wollte.
({6})
- Herr Kollege Kampeter, ich bin davon ausgegangen,
dass der Kollege Fischer das, was er vor der Bundestagswahl zur Maut gesagt hat,
({7})
nach der Bundestagswahl umsetzt. Wir reden über einen
Betrag von schätzungsweise 2,2 bzw. knapp
3 Milliarden Euro, der von dem damals amtierenden Finanzminister, bevor die Maut eingeführt wurde, abgesenkt wurde, um danach durch die Einnahmen aus der
Maut ersetzt zu werden.
({8})
Von zusätzlichen Mitteln ist nicht die Rede; das alles haben Sie mit beschlossen.
Lassen Sie mich noch zwei Sätze zum Thema Bahn
sagen. Wir haben jetzt erleben dürfen, dass das Ergebnis
des Jahres 2005 vorliegt und als sensationeller Erfolg im
Vergleich zur Planung gefeiert wurde. Richtigerweise
müsste man fragen, mit welcher Planung das Ergebnis
verglichen wird. Die für Morgan Stanley zugrunde liegende mittelfristige Planung sah zu diesem Zeitpunkt einen Betriebsergebnis-II-Betrag von 1 Milliarde Euro vor.
Morgan Stanley hat daraus geschlossen, dass die Planung nicht ausreichend ist. Dann hat man in zwei weiteren Planungen das Ergebnis auf 420 Millionen Euro reduziert. Jetzt erreicht man mit 448 Millionen Euro die
Ziellinie. Die Steigerung des Ergebnisses ist zwar richtig, löst das Problem aber nicht. Denn alle sind sich einig, dass die Bahn erst dann börsenfähig wäre, wenn das
Betriebsergebnis II bei 2,4 Milliarden Euro läge. Dahin
ist es noch ein weiter Weg. Auch den sollten wir uns zu
Gemüte führen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister, ich will einige wenige Punkte aus
Ihrer Rede aufgreifen. Sie haben in besonderer Weise auf
die Bedeutung der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen
hingewiesen. Sie haben die Bedeutung dieses Haushalts
sehr zu Recht als Investitionshaushalt schlechthin hervorgehoben. Sie haben am Beispiel des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes herausgestellt, wie
wichtig es ist, dass Investitionen sehr schnell zur Ausführung kommen.
Wir haben in diesem Jahr ein besonderes Problem,
weil wir unter dem Zeichen der vorläufigen Haushaltsführung stehen. Die Bundesregierung bzw. die Ressorts
haben vernünftige Regelungen getroffen, um laufende
Maßnahmen zügig und ununterbrochen fortführen zu
können. Dafür möchten wir uns ganz herzlich bedanken.
Wir halten dies im Interesse des Vorankommens der Projekte, aber auch im Interesse der beteiligten UnternehBartholomäus Kalb
men, die auf diese Aufträge natürlich angewiesen sind,
für ganz wichtig.
Ich möchte die Aufmerksamkeit auf einen weiteren
Punkt lenken: auf das In-Gang-Setzen neuer Maßnahmen. Dies ist etwas komplizierter, weil wir hier in besonderer Weise Art. 111 des Grundgesetzes zu beachten
haben. Aber nach meiner Überzeugung ist es auch hier
möglich, in Übereinstimmung mit Art. 111 des Grundgesetzes zu Lösungen zu kommen, die uns in der Praxis
weiterhelfen. Nach bisherigem internen Regelwerk
- schade, dass jetzt kein Vertreter des Finanzministeriums da ist; denn meine Aussage richtet sich auch an das
Finanzministerium - ist es so, dass, ehe beispielsweise
die DB AG oder ein anderer Maßnahmeträger Ausschreibungen tätigen kann, die entsprechenden Finanzierungsvereinbarungen und -zusagen vorhanden sein müssen.
Ich bin der Meinung - ich habe das vergaberechtlich
prüfen lassen -, dass es in dieser Sondersituation durchaus möglich ist, schon vorher Ausschreibungen zu tätigen - natürlich unter dem Haushaltsvorbehalt; das muss
dem Bieterkreis vorher bekannt sein -, um dann schnell
handeln zu können, wenn der Haushalt in Kraft getreten
ist. Das wird aller Voraussicht nach erst Mitte Juli dieses
Jahres der Fall sein. Wenn es nicht gelingt, zu einer solchen pragmatischen Vorgehensweise zu kommen, hätten
wir das Problem, dass faktisch vor Mitte Juli nicht ausgeschrieben und konsequenterweise vor Mitte Oktober
keine Aufträge vergeben werden könnten. Das kann
nicht in unserem Sinne sein.
({0})
Ich denke, so, wie ich es dargestellt habe, vorzugehen,
ist vergaberechtlich zulässig und steht in Übereinstimmung mit Art. 111.
Ich fordere die Bundesregierung auf, diesen Weg zu
beschreiten, damit wir entsprechend schnell die notwendigen Investitionen tätigen können, zumal, Herr Kollege
Hübner und Herr Kollege Königshofen, die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen in keiner Weise die
Absicht haben, bei den Mittelansätzen für den investiven
Bereich bezogen auf die Verkehrsinfrastruktur Kürzungen vorzunehmen. Dies möchte ich als Botschaft an das
Haus weitergeben.
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen. Der Kollege Friedrich hat das Thema Transrapid bereits aufgegriffen; Sie, Herr Minister, haben dies dankenswerterweise selber angesprochen. Ich bin sehr dankbar, dass in
den Erläuterungen zur Titelgruppe 03 nach wie vor zu
lesen ist - ich zitiere -:
Der Transrapid ist nicht nur ein innovatives Verkehrsprojekt, sondern auch ein Symbol für die Leistungsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland.
Bei dem einschlägigen Titel 882 31 heißt es weiter:
Die Planung und Realisierung von Anwendungsstrecken für die Magnetschwebebahntechnik dient
der Sicherung der Magnetschwebebahntechnik und
liegt im Interesse des Technologievorsprungs, des
Erhalts der Arbeitsplätze und der Sicherung des Industriestandortes Deutschland.
Ich möchte dies ausdrücklich unterstreichen, weil es
deutlich macht, dass es sich bei dem jetzt ins Auge gefassten Projekt in München nicht um ein lokales bzw. regionales Interesse handelt, sondern um ein nationales Interesse. Ich denke schon, dass es richtig ist, dieses
System, dessen Entwicklung hier mit Milliardenbeträgen
unterstützt worden ist, auch in Deutschland zur Anwendung zu bringen. Ich gehe jetzt nicht darauf ein, warum
es bei den anderen zunächst geplanten Anwendungsstrecken nicht zur Realisierung kam. Es ist aber schon eigenartig, wenn man die Interessenten aus aller Welt nach
Shanghai einladen muss, um dort eine deutsche Technologie zu besichtigen. Es sei mir ein leiser Hinweis gestattet: Wenn wir uns nicht beeilen, jetzt selber zum Zuge zu
kommen, dann werden wir gewollt oder ungewollt
- wahrscheinlich mehr ungewollt - einen riesigen Verlust an Know-how erleben. Das wollen wir nicht.
({1})
Die Frau Bundeskanzlerin hat gestern noch einmal
deutlich gemacht, dass es wichtig ist, die erzielten Ergebnisse im Forschungs- und Entwicklungsbereich, die
wir mit entsprechenden Mitteln unterstützt haben, zu
nutzen, indem wir sie zugunsten der Entstehung von Arbeitsplätzen zur praktischen Anwendung bringen.
Herr Kollege Kalb, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Lührmann?
Gerne.
Bitte schön, Frau Lührmann.
Herr Kollege Kalb, ich habe eine Frage zum Thema
Transrapid. Sie haben vorhin nur einen Teil der Erläuterungen vorgelesen. In den Erläuterungen wurde bisher
konkretisiert, dass die Mittel für die Transrapidstrecke in
Bayern erst dann freigegeben werden sollen, wenn ein
Gesamtfinanzierungs- und Wirtschaftlichkeitskonzept
vorliegt. Dieser Teil der Erläuterungen ist nun auf
Wunsch der Berichterstatter der großen Koalition gestrichen worden. Vielleicht können Sie mir sagen, wo
dieses Gesamtfinanzierungs- und Wirtschaftlichkeitskonzept vorliegt und wie es genau aussieht.
({0})
Ich habe dies weder von der großen Koalition bzw. von
der Bundesregierung noch von der bayerischen Regierung vorgelegt bekommen.
Erstens. Wenn Sie mir die notwendige Redezeit zubilligen könnten, hätte ich die Erläuterungen komplett vorgelesen. So viel Redezeit habe ich aber leider nicht.
Zweitens. Wir sind bei dem Projekt München sehr
weit vorangekommen; das wird nicht bestritten. Sie wissen, dass jetzt die Verfahren beginnen und dass die öffentliche Auslegung der Unterlagen erfolgt. Natürlich
müssen die letzten Feinheiten beim Finanzierungskonzept noch zwischen dem zuständigen bayerischen Ministerium, Herrn Bundesminister Tiefensee und dem vermutlichen Projektträger, der DB AG, abgestimmt
werden. Wir sind aber sehr weit vorangekommen. Bis
wir den Bundeshaushalt zum Abschluss bringen, werden
wir hier klarer sehen.
Nach meiner festen Überzeugung haben wir keine
Zeit mehr zu verspielen, wenn wir hier nicht ins Hintertreffen geraten wollen. Ich könnte fast boshaft sagen:
Ansonsten kommt „Commander Wu“ und sagt: Wenn ihr
es nicht könnt, dann realisiere ich das bei euch. - Das
sollten wir eigentlich vermeiden.
({0})
Herr Minister Tiefensee hat vorhin zu Recht darauf
hingewiesen, bei welchen Technologien wir in Deutschland Schwerpunkte setzen können. Der Transrapid ist ein
Beispiel von denen, die vorhin schon genannt wurden.
Er ordnet sich in den Gesamtbereich von Verkehrs-, System- und Verkehrsleittechnologie ein. An dieser Stelle
sei beispielsweise auf Galileo verwiesen. Das ist in sich
stimmig.
Wir tun gut daran, einen Blick über die Grenzen zu
werfen und von unseren Nachbarn zu lernen. Wenn ich
nach Frankreich schaue, dann fällt mir auf, dass dort eine
konsequente Industrie-, ich würde sogar sagen: Technologiepolitik betrieben wird und Schwerpunkte gesetzt
wurden. In den Bereichen Luft- und Raumfahrt,
Nuklearenergie - Stichwort „Kernfusionsforschung“ und Biotechnologie hat die französische Nation zahlreiche Schwerpunkte herausgebildet. Ich bin der Meinung,
dass es uns gut ansteht, unsere Chancen in den Bereichen, in denen wir Stärken haben, zu nutzen. Wir müssen unsere Stärken zur Anwendung bringen und Akzente
setzen. Herr Bundesminister, hierin weiß ich mich mit
Ihnen einig. Wir sollten diesen Weg weiter voranschreiten.
Gerne hätte ich jetzt noch ausführlicher zur VIFG,
der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft,
Stellung genommen. Ich bin der Meinung - es ist fast etwas gewagt, wenn das ein Haushälter sagt -, dass wir
hierzu noch verstärkt Diskussionen führen sollten, um
bei diesem Thema voranzukommen und diese Gesellschaft geschäftsfähig, handlungsfähig zu machen.
({1})
Das steht im Zusammenhang mit dem, was wir bei
der DB AG vorhaben. Hier müssen ebenfalls weitere
Schritte eingeleitet werden. Ein Vorbild könnte die
ASFINAG in Österreich sein.
({2})
Wir sollten nicht mit Scheuklappen an das Thema herangehen. Es geht darum, die Effizienz zu steigern sowie
mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln sparsam
und wirksam umzugehen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Hettlich von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der Verkehrspolitik komme ich
jetzt zur Baupolitik. Ich habe der Rednerliste entnommen, dass Petra Weis und Joachim Günther, beides ausgewiesene Bauexperten, folgen. Ich werde mich in meiner Rede also mit dem Aspekt des Stellenwertes der
Baupolitik in diesem Haushaltsentwurf beschäftigen.
Man muss vorwegschicken, dass man zwar über das
eine oder andere diskutieren kann, es von unserer Seite
aber relativ wenig Kritik gibt. Der Aufwuchs beim CO2Gebäudesanierungsprogramm zur Förderung der
energetischen Sanierung zum Beispiel ist ein großer
Schritt in die richtige Richtung. Und das tragen wir ganz
sicher mit.
({0})
Allerdings bin ich der Meinung, dass man sich bei der
Frage, wie viel Geld am Ende tatsächlich in das Programm fließt, nicht Taschenspielertricks bedienen sollte:
Im Koalitionsvertrag war noch von mindestens
1,5 Milliarden Euro die Rede; im Haushaltsentwurf sind
1,4 Milliarden Euro gelistet. Ich denke, es wäre ehrlicher, von 1 Milliarde Euro zu sprechen. Auf jeden Fall
ist das aber ein deutlicher Aufwuchs. Das Ziel, das damit
verfolgt wird, ist richtig.
Wir müssen kritisch beäugen - das ist eine der zentralen Aufgaben -, ob die KfW-Mittel am Ende dieses Jahres auch tatsächlich abgerufen wurden, ob man mit einer
weiteren Zinsvergünstigung tatsächlich eine größere
Nachfrage bewirken kann. Wir haben aufmerksam registriert, dass die Zuschüsse erst einmal nur für die Jahre
2006 und 2007 festgeschrieben wurden. Wir werden genau schauen, ob sich diese Packung zumindest bis zum
Ende Ihrer Legislaturperiode als haltbar erweist. Wie gesagt: Es ist der richtige Schritt in die richtige Richtung.
An dieser Stelle will ich ein wenig abschweifen. Wir
haben uns im Nationalen Allokationsplan und im Kiotoprotokoll verpflichtet, den CO2-Ausstoß im Bereich Gebäudewirtschaft von 123 Millionen Tonnen auf lediglich
120 Millionen Tonnen zu senken. Aus meiner Sicht ist
das zu wenig. Wir müssen in den nächsten Jahren erheblich mehr tun,
({1})
auch jenseits von Fördergeldern. Ich appelliere an alle:
Wir müssen uns überlegen, was uns Klima und Klimaschutz wert sind. Wir können nicht nur dann reagieren,
wenn es eine staatliche Förderung gibt. Fördermittel sind
als Anstoß sicher wichtig. Aber jeder hier im Raum ist
an seiner eigenen Verantwortung gepackt, an dieser
Stelle etwas für sich selber, für seine Kinder und Kindeskinder und für die Zukunft unserer Welt zu tun.
({2})
Außerdem ist noch einmal ganz deutlich geworden
- die Debatten über die steigenden Energiepreise in den
letzten Wochen und Monaten haben das gezeigt -, dass
Ökologie und Ökonomie absolut kein Widerspruch sind,
sondern sich gegenseitig bedingen. Es ist ganz eindeutig,
dass Energieeffizienz und vor allen Dingen der Einsatz
von regenerativen Energien in Verbindung mit KraftWärme-Kopplung die Themen sind, mit denen wir uns
in den nächsten Jahren gerade in der Gebäudewirtschaft
sehr stark und intensiv beschäftigen müssen. An dieses
Feld müssen wir energisch und noch sehr viel stärker herangehen.
Ich möchte meinen zweiten Punkt der Zukunft der
Stadt widmen. Herr Minister Tiefensee hat das Thema
gerade angesprochen. Aus meiner Sicht liegt hier eine
der zentralen Aufgaben. Auch hier - das muss ich sagen - kommt der Haushaltsentwurf unseren Anforderungen durchaus entgegen. Der Stadtumbau Ost ist eine anstrengende Aufgabe und wird weiterhin sehr aufwendig
bleiben, aber auch der Stadtumbau West - das habe ich
schon in vorhergehenden Reden gesagt - wird uns in den
nächsten Jahren immer stärker beschäftigen. Aus diesem
Grund ist es richtig, dass im Haushalt die entsprechenden Akzente gesetzt wurden.
Ich muss noch einmal ausdrücklich betonen, dass ich
mich freue, dass für das Programm „Soziale Stadt“ für
das nächste Jahr ein Aufwuchs geplant ist. Meiner Meinung nach, liebe Kollegin Winterstein, sind auch die
Modellvorhaben im Rahmen dieses Programms durchaus wichtig und haben ihre Berechtigung. Sie haben
wahrscheinlich die extremsten Beispiele aus dem Haushaltsplan vorgelesen. Meine persönliche Erfahrung ist,
dass sich integrierte Ansätze lohnen, und in solchen Modellen können Sie die einzelnen Maßnahmen nicht entkoppeln.
({3})
Viele Investitionen gerade in diesem Bereich weisen in
die Zukunft.
({4})
Ich denke mir, dass man den Haushaltsbegriff da etwas
weiter fassen muss, auch was die streng investive Verwendung angeht.
Lebenswerte Stadt, das ist sicher ein Thema, das in
den nächsten Jahren ansteht. Uwe Beckmeyer hat gerade
gesagt: Lärm ist die Seuche der modernen Zeit. Er ist aus
meiner Sicht fast noch schlimmer als andere Emissionen. Dagegen müssen wir viel stärker etwas machen. Ich
fordere weitere innovative Schritte seitens des Ministeriums, seitens der großen Koalition ein. Es ist ganz klar
Ihre Aufgabe, hierzu Maßnahmen vorzulegen.
({5})
Ganz kurz - ich habe nur noch eine halbe Minute Redezeit - zum Aufbau Ost: Ich freue mich, dass die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung“
unverändert geblieben ist und der Ansatz einer Kürzung
entgangen ist. Ich warne davor - wie das mancher hier
im Raum vielleicht will -, an dieser GA die Axt anzulegen. Sie ist für die Investitionsförderung in Ostdeutschland ein ganz wichtiges Instrument und aus meiner Sicht
eines der erfolgreichsten überhaupt. Wenn Sie an dieser
Stelle Unterstützung brauchen, dann werden Sie die
auch von uns als Oppositionspartei bekommen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Petra Weis hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Kollege Hettlich hat schon darauf hingewiesen:
Wenn man sich bei einer Debatte wie dieser zum
Einzelplan 12 mit den Themen Bau, Wohnen und Stadtentwicklung beschäftigt, hat man das Problem, dass man
erst relativ spät zu Wort kommt, und läuft Gefahr, bereits
Gesagtes zu wiederholen. Letzterer Gefahr werden wir
jetzt, so glaube ich, nicht erliegen. Aber man muss natürlich versuchen, die Aufmerksamkeit des Publikums bis
zum Ende zu behalten.
Ich habe mir vorgenommen, in den nächsten Minuten
den Entwurf zum Einzelplan 12 für die Bereiche Bau,
Wohnen und Stadtentwicklung zum Anlass zu nehmen,
um deutlich zu machen, dass sich in dem vorliegenden
Zahlenwerk in einer, wie ich finde, beeindruckenden Art
und Weise die Bausteine einer ausgesprochen zeitgemäßen, nachhaltigen und sich ihrer gesellschaftspolitischen
Bedeutung durchaus bewussten Bau-, Wohnungs- und
Städtebaupolitik widerspiegeln. Ich stelle mit Genugtuung fest, dass die neue Bundesregierung hierbei in die
Fußstapfen der alten tritt und diesen Fachbereich zu einem Markenzeichen ihrer Politik gemacht hat,
({0})
und das bei einem Finanzvolumen, das im Verhältnis
zum Bereich der Verkehrspolitik eher bescheiden daherkommt.
Dass wir mit vergleichsweise geringen Summen - natürlich unter Mittun von Ländern und Gemeinden - eine
durchweg positive Entwicklung in unseren Städten angestoßen haben, verdient, wie ich finde, ein bisschen
Selbstlob. Es passiert in diesen Zeiten ja nicht allzu oft,
dass wir gelobt werden. Deswegen will ich das hier einmal tun. In dieses Lob will ich auch die Tatsache einbeziehen, dass es gelungen ist, die Städtebauförderung in
Zukunft als eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden festzuschreiben.
({1})
Die Herausforderungen sind gewaltig und die Lösungsansätze dementsprechend komplex und sehr streng
an Effizienzgesichtspunkten orientiert; darauf hat Minister Tiefensee schon hingewiesen. Das gebietet nicht nur
die schwierige Haushaltslage, sondern auch das Credo
einer problembewussten und lösungsorientierten Politik
der nachhaltigen Stadtentwicklung, wie wir sie seit
vielen Jahren praktizieren.
Es ist fast banal, wenn ich sage, dass sich der wirtschaftliche Strukturwandel und die demographische Entwicklung zuallererst in unseren Städten auswirken. Eine
hoch entwickelte, letztendlich aber auch noch bezahlbare Infrastruktur wird auf Dauer - das wissen wir - nur
in den Städten vorgehalten werden können. Die Städte
sind gut beraten, sich früh darauf einzustellen. Unsere
Aufgabe ist, sie dabei nachhaltig zu unterstützen.
({2})
Die Anpassung der Wohnungsbestände und der sozialen und technischen Infrastruktur an eine Bevölkerung,
die nachweislich schrumpft, und die Attraktivierung unserer Städte, insbesondere unserer Innenstädte, für alte
Menschen wie für junge Familien gleichermaßen sind
das Gebot der Stunde, von der Integration der Menschen
mit Migrationshintergrund, vor allen Dingen der Kinder
und Jugendlichen, ganz abgesehen.
Die Programme „Soziale Stadt“, „Stadtumbau Ost“
und „Stadtumbau West“ sind differenzierte Antworten
auf differenzierte Problemlagen. Die bisherigen Finanzvolumina und die vorgesehenen Aufstockungen sind bekannt. Umstritten ist unsere Absicht, den integrativen
Ansatz der Städtebauförderprogramme weiterzuentwickeln, indem wir beispielsweise im Programm „Soziale
Stadt“ auch nichtinvestive Zwecke fördern, zum Beispiel
die Sprachförderung von Jugendlichen oder Initiativen
der lokalen Ökonomie und damit auch der lokalen Beschäftigung. Ich weiß, dass wir hier noch keinen endgültigen Konsens erzielt haben, würde mich aber freuen,
wenn wir das im Verlauf der Beratungen schaffen würden.
({3})
Die von uns geplante Weiterentwicklung des integrativen Ansatzes zeigt sich auch daran, dass wir die zusätzlichen Mittel des Programms „Stadtumbau Ost“ verwenden können, um die städtische Infrastruktur der
schrumpfenden Bevölkerungszahl anzupassen, zum Beispiel bei der technischen Infrastruktur.
Ich möchte ebenfalls nicht unerwähnt lassen, dass der
Stadtumbau in Ost und West - es ist mir sehr wichtig,
das zu betonen - klare Leitbilder für die Entwicklung der
Städte braucht. Diese klaren Leitbilder müssen einhergehen mit einer nachdrücklichen Aufklärungsarbeit und
- lassen Sie es mich einmal so deutlich sagen - mit einer
mutigen Enttabuisierung von unabweisbaren Entwicklungen. Wer schon einmal mit interessierten Laien unter
dem Aspekt des demographischen Wandels über das
Thema Stadtentwicklung diskutiert hat und in die teilweise ungläubigen Augen des Publikums geschaut hat,
der weiß sicherlich, wovon ich spreche.
Ich möchte einen Vergleich wiederholen, den ich vor
kurzem gezogen habe - das tue ich, obwohl ich weiß,
dass er ein bisschen hinkt -: Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass das Gelingen eines nachhaltigen und
damit auch erfolgreichen Stadtumbaus in all seinen Facetten von nahezu gleichem gesellschaftspolitischen
Rang ist wie der erfolgreiche Umbau unserer sozialen
Sicherungssysteme.
({4})
Denn jenseits aller materiellen Zwänge und Möglichkeiten - ich denke, das wissen wir alle - ist die Qualität
der Wohnung, des Wohnumfelds, des Quartiers, des
Stadtteils und der Gesamtstadt nicht nur ein wichtiger
Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen städtischen
Ökonomie, sondern natürlich auch einer der wichtigsten
Stabilitätsfaktoren in unserer Gesellschaft.
Allen Programmbereichen ist gemeinsam, dass der
Einsatz der Mittel möglichst flexibel handhabbar sein
muss und dass wir regelmäßig überprüfen müssen, ob
sich die mit der Programmentwicklung verfolgten Ziele
tatsächlich eingestellt haben oder ob wir die Notwendigkeit für Veränderungen sehen. Insofern, denke ich, ist
auch das ein Bestandteil einer modernen und an Effizienzgesichtspunkten ausgerichteten Politik.
Diese komplexen und effizienten Problemlösungsstrategien verlangen nach einem integrierten Politikansatz; einige meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben
das schon deutlich gemacht. Diese Lösungsstrategien
verlangen aber auch nach Partnerinnen und Partnern,
sowohl in der Bürgerschaft als auch in der Wohnungswirtschaft. Die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und die Ermutigung zu privater Initiative auf allen Ebenen sind von ebenso großer Bedeutung wie die
Verknüpfung von stadtentwicklungspolitischen und
wohnungspolitischen Zielen.
Dazu gehört, dass wir die vorbildlichen wohnungswirtschaftlichen Initiativen, die es vielerorts gibt, unterstützen. Das Gleiche gilt für die genossenschaftlichen
Modelle; auch sie müssen wir dringend stärken. Daran
führt meines Erachtens kein Weg vorbei. Das ist eines
unserer ganz besonders wichtigen Ziele.
({5})
Hier ist im Augenblick sicherlich weder die Zeit noch
der Raum, um auf die Entwicklung der Wohnungsmärkte, auf die Zukunft der Immobilienwirtschaft und
auf die Situation in den Kommunen einzugehen. Aber
ich denke, in den nächsten Wochen und Monaten werden
wir die Gelegenheit haben, darüber auch in diesem
Hause zu diskutieren.
Wenn es um das CO2-Gebäudesanierungsprogramm geht, lauten die Stichworte Qualitätsverbesserung, nachhaltiger, weil sparsamer Ressourcenverbrauch, Innovation und Beschäftigung; auch darauf ist
bereits eingegangen worden. Minister Tiefensee hat auf
die finanziellen Dimensionen des Programms hingewiesen und darauf, dass die zu erwartenden Folgeinvestitionen die Förderung hochwirtschaftlich machen. Jede investierte Milliarde Euro sichert oder schafft - das wissen
wir - Tausende Arbeitsplätze. Dass auch Maßnahmen
der Städte und Gemeinden zur Energieeinsparung mit
zinsgünstigen Krediten gefördert werden, ist aus meiner
Sicht ebenso zukunftsweisend wie die Möglichkeit, dass
man neben zinsverbilligten Krediten auch Zuschüsse in
Anspruch nehmen kann.
({6})
Dass das Programm mit dem Energieausweis, der in
Kürze eingeführt werden wird, verknüpft werden muss,
versteht sich von selbst, sodass das Programm die Möglichkeit bietet, sowohl die Energiekosten zu senken als
auch Wohnqualität zu steigern.
Für Qualität und Qualitätsverbesserung steht die Stiftung Baukultur; hier wende ich mich besonders Ihnen
zu, Frau Kollegin Blank. Ich hoffe, dass es uns in den
kommenden Monaten gelingen wird, die Stiftung unbeschadet von weiteren Kapriolen ins Leben zu rufen und
damit das gute Planen und Bauen als gesellschaftlichen
Anspruch für lebendige Städte ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Es ist an der Zeit - ich glaube, Kollege
Friedrich war es, der darauf schon hingewiesen hat -, die
hohe Leistungsfähigkeit deutscher Architekten und Ingenieure auf internationalen Märkten noch besser darzustellen.
({7})
Apropos Qualität: Im Bereich der Bauforschung ist es
uns gelungen, dass hierzu im Finanzplan ein eigener
Forschungsschwerpunkt mit einem Volumen von
2 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen worden ist. Diese
Ressortforschung soll die Umsetzung wichtiger Beschlüsse der Regierung wie beispielsweise die zum Klimaschutz und zur Energieeinsparung sowie Forschungsinitiativen unterstützen.
Dazu gehört natürlich auch, dass wir die Bauwirtschaft in diesen Prozess einbinden. Unser Ziel ist die Erarbeitung eines „Leitbildes Bauwirtschaft“ als Gesamtrahmen für eine moderne Baupolitik, die mit Innovation
und Qualität Investitionen und zukunftsfähige Arbeitsplätze sichert. Im Übrigen will ich an dieser Stelle darauf
hinweisen, dass die Bauwirtschaft durch die Vorhaben,
die wir auf den Weg bringen wollen, wenigstens etwas
Licht am Ende des Tunnels sehen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher,
dass wir mit diesem Haushalt die Grundlage für eine moderne, den ökonomischen, sozialen, demographischen
und ökologischen Gegebenheiten angepasste Wohnungsund Stadtentwicklungspolitik gelegt haben. Ich weiß,
dass in einer Haushaltsdebatte die Versuchung groß ist,
nur über die Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel zu
diskutieren. Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass
auch die Qualität von Konzepten und Programmen eine
Richtschnur für den Erfolg oder den Misserfolg von Politik sein kann. Auch vor diesem Hintergrund muss sich
der Einzelplan 12 nicht verstecken, die Fachpolitik muss
es schon gar nicht. In jeder Zeile des Haushaltsentwurfs
ist spürbar, so empfinde ich es nach der Lektüre des Entwurfs jedenfalls, dass wir Verantwortung für die Zukunft
unserer Gesellschaft übernehmen.
Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Beratungen.
Zum Abschluss wünsche ich mir eine Verabschiedung in
möglichst großem Konsens.
Herzlichen Dank.
({8})
Der Kollege Joachim Günther hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, der Haushalt zum Einzelplan 12 muss, soweit er den Bereich Bau- und Wohnungswesen betrifft
- ich werde mich so wie der Kollege Hettlich vorrangig
auf diesen Bereich beziehen -, auch von unserer Seite
positiv eingeschätzt werden.
Ich gehe davon aus, dass die Investitionsmittel, die
für diesen Bereich zur Verfügung stehen, vorrangig für
Maßnahmen eingesetzt werden, die sich aus dem demographisch-strukturellen Wandel ergeben. Schließlich
wird uns in Deutschland dieses Thema in der nächsten
Zeit bewegen.
In der Vergangenheit gab es hierzu ein erfolgreiches
Programm - das haben wir als Opposition immer so
aufgefasst -, nämlich das Programm „Stadtumbau Ost“,
später ergänzt um den Stadtumbau West. Ein Artikel, der
heute hierzu in der „Welt“ erschienen ist, hat mich allerdings etwas stutzig gemacht. Es geht darin um einen unveröffentlichten Statusbericht zum Programm „Stadtumbau Ost“. Es wird unverhohlen Kritik daran geübt, dass
zum Beispiel zu wenig Mittel für den Rückbau von Plattenbauten und anderen Wohnungen im Osten eingesetzt
werden, wodurch zum Teil eine falsche Steuerung in der
Immobilienpolitik erfolge. Deshalb bitte ich Sie, uns diesen Bericht möglichst bald zur Verfügung zu stellen, damit wir ihn in die weiteren Diskussionen über den Haushalt und über das Stadtumbauprogramm einbeziehen
können.
Joachim Günther ({0})
Ich möchte im Zusammenhang mit dem Stadtumbauprogramm noch etwas richtig stellen. Es geht uns nicht
darum - die Kollegin Winterstein hat das vorhin
angesprochen -, dass wir die 40 Millionen Euro nicht
einsetzen wollen, zum Beispiel zur Integration von Personen. Wir möchten lediglich nicht, dass diese Mittel im
investiven Bauhaushalt eingesetzt werden. Sie sind anders einzusetzen, nämlich vor Ort in den Städten und
Kommunen.
({1})
Wir als FDP kümmern uns immer auch etwas um das
Wohneigentum. Da das heute kaum eine Rolle gespielt
hat, möchte ich diesen Punkt noch einmal kurz ansprechen. Herr Minister, ich stelle fest, dass wir seit dem
Wegfall der Eigenheimzulage keinen Schritt vorangekommen sind: Es gab nicht die Steuerreform, durch die
der Bürger entlastet wird, damit er das Geld für Wohneigentum verwenden kann, und ab 2007 wollen Sie selbst
genutztes Wohneigentum in die Altersvorsorge einbeziehen.
({2})
- Ach, Herr Tauss, kümmern Sie sich mehr um Ihr Land
Baden-Württemberg als um die Zwischenrufe.
Inzwischen gibt es viele Verbände - Sie wissen das,
Herr Tiefensee -, die entsprechende Angebote unterbreitet haben. Ich nenne das KaNaPE-Modell, Bau-Riester
und die Immobilie als vierte Säule. Als Bundesregierung
haben Sie sich hier bisher in Schweigen gehüllt. Heute
früh, als Ihr Kollege Müntefering gesprochen hat, bin ich
doch stutzig geworden und habe gedacht, dass ich einmal nachfragen muss. Er hat heute früh wörtlich gesagt:
Zudem will die Regierung die Wohneigentumssituation
verbessern, indem die Riesterrente einbezogen wird - ob
für das Wohneigentum oder für das Dauerwohnrecht. Ich
weiß nicht, was damit gemeint ist, aber das ist eine Verunsicherung. Dauerwohnrecht wollen wir nicht, wir wollen eindeutig, dass unsere Bürger Wohneigentum erwerben können.
({3})
Zudem drängt die Zeit: Bis all diese Modelle, die unter den Fachexperten diskutiert wurden, auf dem Markt
sind und zur Wirkung kommen, vergeht ein Zeitraum
von fast acht Jahren, in dem Luftleere herrscht. All diese
Modelle sind nämlich mit Ansparzeiten verbunden und
kommen frühestens nach sechs Jahren - in der Regel
aber erst nach acht - zur Auszahlung. Das bedeutet für
unsere Bauwirtschaft ein Loch, das im Prinzip nicht zu
schließen ist. Ich bin mir sicher, dass so der Erwerb von
Wohneigentum gegenüber anderen Eigentumsformen
zurückgestellt wird. Hier sollten wir schnell und umfassend zu einer Lösung kommen.
({4})
Über den Aufbau Ost haben wir ja erst vor kurzem
diskutiert, als wir über den Jahresbericht gesprochen haben. Aus Zeitgründen können wir meines Erachtens auf
eine Wiederholung des Gesagten verzichten. Die GAMittel haben Sie - darauf wurde bereits hingewiesen für dieses Jahr sichergestellt. Spannend wird jedoch
sein: Was passiert im nächsten Jahr, wenn die EU-Mittel
für die neuen Bundesländer zurückgefahren werden?
Wie kann diese Differenz ausgeglichen werden und stehen Sie dann noch dazu, was Sie im Wahlkampf gesagt
haben, dass es nämlich kein Zurückfahren geben wird?
Ich bin gespannt und wir werden nachfragen.
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege
Norbert Königshofen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Wir haben es schon gehört:
Der Einzelplan 12 ist der viertgrößte Etat. Deswegen
kann man in einer so kurzen Rede auch nicht alles behandeln. Ich beschränke mich also auf fünf Aspekte.
Erstens. Mit seinem Urteil vom 16. März 2006 hat das
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Weg für den
Bau des Flughafens BBI in Schönefeld freigemacht.
Dieser Bau ist ein Konjunkturmotor für die gesamte Region Berlin-Brandenburg. Das Investitionsvolumen beträgt rund 2 Milliarden Euro. 112 Millionen Euro davon
trägt der Bund. Jetzt herrscht Planungssicherheit und die
Gelder, die bisher über Verpflichtungsermächtigungen
gesperrt waren, können endlich freigegeben werden.
Nach den Flughäfen in Frankfurt und München wird
Schönefeld der drittgrößte Flughafen werden. Die drei
Berliner Flughäfen zusammen haben jetzt schon ein größeres Passagieraufkommen als der Rhein-Ruhr-Flughafen in Düsseldorf.
Zweitens. Das Leipziger BBI-Urteil ist aber auch unter dem Gesichtspunkt des Lärmschutzes bedeutsam.
Wieder einmal hat ein Gericht Lärmschutzkriterien festgelegt. Das zeigt, wie notwendig die Novellierung des
Fluglärmgesetzes ist. Ich freue mich, dass wir da auf einem guten Weg sind. Man muss aber immer wieder darauf hinweisen, dass die rot-grüne Vorgängerregierung
dort viel Zeit vertan hat.
({0})
- Rot-Grün hat dieses Projekt sieben Jahre lang liegen
lassen. Erst jetzt wird es aufgegriffen.
({1})
Drittens. Die Einschränkung der Lebensqualität durch
Verkehrslärm trifft natürlich nicht nur Menschen in der
Nähe von Großflughäfen, sondern eine große Belastung
geht auch von dem Verkehrsträger Schiene aus; der
Kollege Uwe Beckmeyer hat das vorhin schon angesprochen. Für den Neubau und den wesentlichen Ausbau von
Schienenstrecken sind Lärmschutzmaßnahmen vorgeschrieben, aber bei den bestehenden Schienenstrecken
besteht kein Rechtsanspruch auf Lärmschutz. Das trifft
insbesondere die Ballungsgebiete wie das Ruhrgebiet,
aus dem ich komme, oder das Rheintal, aber auch Großstädte wie Berlin, Hamburg, Frankfurt, München und
Stuttgart.
Seit 1999 gibt es das Programm zur Lärmsanierung
bestehender Schienenstrecken. Dafür sind im Haushalt
51 Millionen Euro eingestellt. Auch wir meinen, Uwe
Beckmeyer, dass dieser Ansatz nicht ausreichend ist. Die
Prioritätenliste ist ellenlang und wird ständig erweitert.
Wenn man alles zusammennimmt, ist das ein Milliardenprogramm. 51 Millionen Euro für ein Jahr reichen nicht
aus. Der Haushaltsansatz könnte auf gut 100 Millionen
Euro verdoppelt werden.
({2})
- Ich freue mich immer, wenn die Grünen klatschen,
Herr Hermann.
({3})
Viertens. Haushaltswirksam sollen auch die anstehenden Privatisierungen sein. Die Deutsche Bahn AG soll
zumindest zur Hälfte privatisiert werden. Der Weg dahin
wird kontrovers diskutiert; denn es gibt mehrere Privatisierungsmodelle. Bisher gibt es keine Festlegung meiner
Fraktion, der Meinungsbildungsprozess ist dort in vollem Gange. Am 10. Mai wird zu diesem Thema eine Anhörung stattfinden. Dabei wird zu prüfen sein, ob der Erlös aus dem Verkauf der Hälfte der Deutschen Bahn AG
- dabei geht es um rund 9 Milliarden Euro - einschließlich des Schienennetzes dem Haushalt zufließen kann
oder ob wir die 9 Milliarden Euro für die Tilgung eines
Teils des riesigen Schuldenberges der Deutschen Bahn
AG brauchen. Nur bei einer Erhöhung der Eigenkapitalquote bleibt die Kreditfähigkeit nach einer Privatisierung
erhalten und damit auch das A-Rating, das notwendig
ist, um an „fresh money“ zu kommen.
Es wird zu prüfen sein, ob es richtig ist, zukünftig
4 Milliarden Euro pro Jahr aus dem Haushalt in das Netz
der DB fließen zu lassen, ohne dass Bundestag und Regierung wirklich Einfluss auf die Streckenplanung und
die Mittelverwendung haben. Es ist richtig, darüber
nachzudenken, ob wir Probleme wie in England und
Neuseeland in Kauf nehmen. Dort musste nach einer Privatisierung des Schienennetzes der Staat das Schienennetz zu einem viel höheren Preis zurückkaufen, weil es
die privaten Investoren vernachlässigt hatten. Es konnte
nur dadurch wieder in Ordnung gebracht werden, dass es
der Staat als sein Eigentum übernahm.
({4})
- Genau das muss geprüft werden, Herr Hermann; denn
der Steuerzahler musste dort dafür geradestehen, dass
die Eigentümer das eigentliche Ziel - dieses Ziel verfolgt auch die Deutsche Bahn AG, nämlich den Schienenverkehr in Deutschland zu sichern - aus dem Auge
verloren haben. Es wird letzten Endes zu prüfen sein,
wie das Ziel der Bahnreform, Wettbewerb auf die
Schiene zu bringen, erreicht werden kann. Dieses Ziel
haben wir als Union und, wenn ich das richtig sehe, auch
die Mehrheit des Hauses seit Beginn der Bahnreform
Anfang der 90er-Jahre verfolgt.
({5})
Es sind also noch viele Fragen offen. Deshalb bin ich
auf die Anhörung, die Stellungnahme der Experten und
die darauf folgende Diskussion gespannt.
Ich komme zum letzten Punkt: der Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung. Die Reform der
Flugsicherung soll mit einer 74,9-prozentigen Kapitalprivatisierung abgeschlossen werden. Ein jahreslanges
Ringen findet damit einen guten Abschluss.
Das Gesetz sichert die hohe Qualität der Flugsicherung und bietet der DFS Entwicklungsmöglichkeiten.
Zudem bringt es eine ansehnliche Summe in die Staatskasse. Wir rechnen mit Beträgen zwischen 1 Milliarde
und 1,5 Milliarden Euro.
Wie schon verschiedene Vorredner betont haben, beraten wir heute den größten Investitionshaushalt. Er ist
von zentraler Bedeutung für die Stärkung von Innovation, Wachstum und Beschäftigung, die wir sicherstellen
wollen. Ich hoffe, dass wir in den Beratungen gemeinsam mit unserem Partner unsere Vorstellungen durchsetzen können.
({6})
Zum Abschluss der Debatte über diesen Einzelplan
spricht Manfred Grund für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister Tiefensee, ich will mich zum Abschluss der Debatte noch einmal der Situation in den neuen Bundesländern zuwenden. Im Koalitionsvertrag heißt es unter der
Überschrift „Aufbau Ost voran bringen“:
Die Bundesregierung wird den Aufbau Ost fortsetzen und dazu beitragen, in den neuen Ländern ein
wirtschaftlich selbst tragendes Wachstum zu erreichen. Die Reduzierung der Arbeitslosigkeit ist das
zentrale Ziel beim Aufbau Ost.
Wenige Zeilen weiter wird aber auch klargestellt:
Die Haushaltssituation des Bundes wird keine zusätzlichen Leistungen für die neuen Länder erlauben … Die Koalitionsparteien bekennen sich deshalb zur Einhaltung der Mittelzusagen des Bundes
im Rahmen des Solidarpakts II ({0}).
Der Solidarpakt II ist bis 2019 festgeschrieben. Er gibt
den neuen Ländern Planungssicherheit, aber er ist degressiv ausgestaltet. Der Mitteltransfer reduziert sich
Jahr für Jahr; 2019 ist dann Schluss damit.
Auch die EU-Mittel im Rahmen der Strukturfonds
werden ab 2007 im Zuge der Osterweiterung abgeschmolzen. Dies alles ist für die neuen Länder von besonderer, fast von existenzieller Bedeutung. Denn schon
ein Blick beispielsweise auf die Thüringer Steuerquote
von nur 45 Prozent zeigt, dass die neuen Länder noch einen weiten Weg vor sich haben und der Solidarität des
Bundes und der leistungsstarken Länder bedürfen.
Dabei sind die Solidarpaktmittel Hilfen zur Selbsthilfe. Diese sind notwendig, weil die neuen Länder auch
15 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer unter
den teilungsbedingten Folgen von 40 Jahren realem
Sozialismus leiden. Man braucht sich nur an die Situation 1989 zu erinnern: verfallene Häuser, verfallene Straßenzüge, verfallene Städte, zerstörte Infrastruktur, zerstörte Umwelt.
Noch schwerer wiegt vielleicht: Mit der Enteignung
und Vertreibung von Handwerkern und kleinen und mittleren Unternehmen war auch dem Bürgertum, dem Mittelstand, die Existenz entzogen. Wenn wir heute zu
wenig selbstständige Existenzen, Unternehmer und bürgerschaftliches Engagement in den neuen Ländern beklagen, hat das auch in der geistigen Deindustrialisierung als Folge des Sozialismusversuches seine Ursache.
({1})
Davon ausgehend haben die neuen Länder alles in allem eine gute Entwicklung genommen. Dies ist am Zustand der Straßen, der Schienenwege, der Infrastruktur
insgesamt, aber auch am engmaschigen Netz aus leistungsfähigen Universitäten, Forschungseinrichtungen
und Technologietransfereinrichtungen erkennbar.
Es gibt weitere gute Indikatoren. Die Erwerbstätigenquote Ost ist durchaus mit der in den alten Bundesländern vergleichbar. Das verarbeitende Gewerbe wächst
weitaus stärker als im Bundesdurchschnitt. Aber auch
die Defizite sind nicht zu übersehen: die relativ niedrige
Produktivität, die Strukturprobleme in der Bauwirtschaft, die im Vergleich mit den alten Bundesländern
doppelt so hohe Arbeitslosigkeit und das zunehmende
Problem der Abwanderung gut qualifizierter Menschen.
Dabei sind es vor allem junge Frauen, die weggehen.
Für Thüringen, mein Heimatland, gilt wie für Ostdeutschland insgesamt: Es ist - das ist eine schmerzliche
Bilanz - bisher nicht gelungen, eine selbsttragende Wirtschaftsentwicklung zu erreichen. Herr Minister
Tiefensee, unser zentrales Anliegen ist, in den nächsten
Jahren zu einer selbsttragenden Wirtschaftsentwicklung
in Ostdeutschland zu kommen. Der hohe Bedarf an
Transfer von West nach Ost vor allem zur Finanzierung
der Leistungen der gesamtdeutschen Sozialsysteme
bringt dies ebenso zum Ausdruck wie die Tatsache, dass
Jahr für Jahr in den neuen Bundesländern ein Drittel
mehr an Gütern verbraucht als hergestellt wird.
Ich nenne zur Verdeutlichung nur ein Stichwort: die
Ausgaben für die Sonder- und Zusatzversorgungssysteme für ehemalige DDR-Staatsdienstmitarbeiter.
Rund ein Drittel der Mittel für den Aufbau Ost muss inzwischen für diese Aufgaben aufgewandt werden. Dieses Geld ist für Investitionen verloren. Seit 1994 haben
sich diese Ausgaben, bedingt durch höchstrichterliche
Urteile, mehr als verdreifacht. Diese Entwicklung war
erstens nicht vorhersehbar und zweitens ist eine solide
Finanzplanung in den neuen Bundesländern auf dieser
Basis kaum möglich.
Damit komme ich zur Verwendungsbreite der Solidarpaktmittel. Sie dienen natürlich der Überwindung der
teilungsbedingten Nachteile, dem bedarfsgerechten Ausbau der Infrastruktur. Doch diese Verengung wird der
tatsächlichen Situation in den neuen Bundesländern
nicht mehr gerecht; denn die Folge eines solchen engen
Investitionsbegriffs ist, dass das Asphaltieren von Waldwegen und der Bau irgendwelcher Verwaltungsgebäude
generell aufbaugerecht ist, dass aber die Ausstattung der
Hochschulen mit Professoren, die Zuschüsse an Existenzgründer und die Zuschüsse an Forschungseinrichtungen dieses Kriterium nicht erfüllen.
({2})
Wir brauchen eine wachstumsorientierte Neuausrichtung des Solidarpaktes II und damit einen reformierten
Verwendungsnachweis.
Des Weiteren ist mir beim Thema neue Bundesländer
wichtig: Es mangelt nicht an Vorschlägen. Aber bisher
hat sich kein Weg bzw. kein Instrument als optimal erwiesen. Die ausschließliche Förderung von Leuchttürmen oder von Clustern greift aus meiner Sicht genauso
kurz wie das Prinzip „Gießkanne“. Grundsätzlich gilt:
Welcher Unternehmer sich an welchem Standort letztlich niederlässt, bleibt dessen unternehmerische Entscheidung. So gibt es überall in der Fläche die Entwicklung, dass sich Menschen in Rückbesinnung auf
traditionelle Standorte und regionale Besonderheiten
eine Zukunft erarbeiten, und es gibt Leuchttürme, die
deutlich in die umliegenden Regionen ausstrahlen.
Mit Beginn dieser Legislaturperiode ist der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, Herr
Tiefensee, für die verschiedenartigen Themenfelder
beim Aufbau Ost und damit für Grundsatzfragen und das
Gesamtkonzept zuständig. Es wäre wünschenswert, dass
spätestens bis zum Herbst dieses Jahres die für den
Korb II relevanten Politikfelder abgestimmt werden,
dass bezüglich der Solidarpaktmittel aus dem Korb I
Verwendungskriterien definiert werden und dass die Zuordnung bei Bund und Ländern bezüglich der EU-Strukturfondsmittel geklärt ist. Des Weiteren gibt es Irritationen bezüglich der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale
Wirtschaftsförderung“. Es wäre wünschenswert - Herr
Minister, Sie sind in Ihrer Rede kurz darauf eingegangen -, dass der Entwurf eines Investitionszulagengesetzes 2007 - abgestimmt mit Brüssel - noch im Mai dieses
Jahres in den Bundestag eingebracht wird.
Herr Minister Tiefensee, ich möchte noch etwas ansprechen, was mir sehr am Herzen liegt. Wir brauchen
Ihre aktive Unterstützung, wenn es darum geht, circa
70 000 Opfern der SED-Diktatur eine Opferpension zu
gewähren.
({3})
Solidarpakt hin, Förderung her, ohne ein gesamtdeutsches Wirtschaftswachstum wird der Aufbau Ost zu
einer unendlichen Geschichte. Alles, was den Wirtschaftsstandort Deutschland voranbringt, bringt uns der
Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse näher. Alles,
was uns der Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse näher bringt, verhindert wiederum Abwanderung, gibt
Hoffnung und Perspektive. Deshalb ist die Stärkung des
Wirtschaftsstandortes Deutschland der beste Aufbau
Ost. Was für Gesamtdeutschland gut ist, hilft den Menschen in den neuen Bundesländern, dauerhaft auf eigenen Füßen zu stehen. Wir können dabei durch eine verantwortungsbewusste Regierungspolitik oder durch eine
konstruktive Oppositionsarbeit mithelfen. Die Menschen
in den neuen Bundesländern haben es verdient.
Herzlichen Dank.
({4})
Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Einzelplan 17. Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Wir alle wissen, dass in kaum einem anderen Land der Welt so wenige Kinder geboren
werden wie bei uns. Ich brauche gerade Ihnen nicht zu
schildern, welche dramatischen Auswirkungen dies auf
die Innovationskraft unseres Landes und auch auf den
sozialen Zusammenhalt unseres Landes hat. Diesen demographischen Wandel zu gestalten, seine Risiken zu erkennen, aber auch die Chancen zu ergreifen, das ist ohne
Zweifel eine große Herausforderung.
Der Haushalt 2006 ist dabei der erste Meilenstein auf
dem Weg zu einer modernen Familienpolitik. Die Regierung setzt ein Zeichen; der Schwerpunkt ist die aktive
Gestaltung des demographischen Wandels. Dazu
zählt in erster Linie die Übernahme von Verantwortung
für die nächste Generation. Wir haben uns vorgenommen, Deutschlands öffentliche Finanzen wieder auf solide Beine zu stellen. Deshalb haben wir uns bei der Aufstellung des Einzelplans 17 gemeinsam mit dem
Finanzministerium stark an den Ist-Ergebnissen des Jahres 2005 orientiert. Dadurch konnten wir einen beachtlichen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten, ohne
die Planungssicherheit zu gefährden und ohne gesetzliche Ansprüche einzuschränken.
Konkret heißt das: Wir haben die Ansätze im Zivildienst um 109 Millionen Euro, beim Kinderzuschlag um
67 Millionen Euro und beim Kindergeld um 7,2 Millionen Euro bedarfsgerecht absenken können. Der Haushaltsansatz für den Zivildienst orientiert sich am IstErgebnis 2005 und gewährleistet, dass auch 2006 in
etwa gleich viele Zivildienstleistende wie im vergangenen Jahr tätig im Dienst sind. Bei einer Einberufungsquote von annähernd 100 Prozent besteht im Zivildienst
Einberufungsgerechtigkeit. Alle Zivildienstpflichtigen
werden 2006 ihren Zivildienst leisten oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr
absolvieren.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag auch vorgenommen, gezielt dort zu investieren, wo die Weichen für die
Zukunftsfähigkeit unseres Landes gestellt werden. Ich
nenne Ihnen hier nur die drei wichtigsten Schwerpunkte,
die mit neuen Vorhaben verbunden sind: Wir möchten
erstens, dass junge Menschen am Anfang gezielt Unterstützung erhalten, wenn sie Mut zum Kind haben; das
Stichwort heißt „Elterngeld“. Wir möchten uns zweitens
besser und von Anfang an um die Kinder kümmern, die
auf der Schattenseite des Lebens geboren werden; das
Stichwort ist hier „frühe Hilfen“, bevor es zu Vernachlässigung oder Verwahrlosung kommt. Wir möchten
drittens den Zusammenhalt der Generationen in einer
neuen, modernen Form stärken; das Stichwort ist „Mehrgenerationenhäuser“.
Zum ersten Schwerpunkt. Mit dem Elterngeld signalisieren wir ganz klar: Es ist nicht gleichgültig, ob sich
junge Menschen für ein Kind entscheiden oder nicht.
Das Elterngeld sichert Familienzeit in einer entscheidenden Lebensphase finanziell ab, es nimmt die Angst vor
ökonomischen Schwierigkeiten unmittelbar nach der
Geburt eines Kindes und wirkt auch Armutsrisiken entgegen. Das Elterngeld erkennt die Leistung von Familien an und schafft mehr Gerechtigkeit für Eltern.
({0})
In der Finanzplanung für die Jahre 2007 bis 2009 wird
für das Elterngeld ein jährlicher Zusatzbetrag von netto
1 Milliarde Euro veranschlagt. Damit haben wir eine der
wichtigsten familienpolitischen Vereinbarungen des Koalitionsvertrags in der Finanzplanung verankert.
({1})
- Es geht auch erst im Jahr 2007 los. Dann kann es im
Haushaltsplan für das Jahr 2006 auch nicht enthalten
sein. Wichtig ist die weitere Finanzplanung.
Zum zweiten Schwerpunkt. Jedes Kind ist wichtig.
({2})
Wir möchten durch ein Frühwarnsystem Kinder frühzeitig finden und schützen, die mit ihren Eltern in eine
Situation der Erziehungsohnmacht, sozialen Isolation
und innerfamiliären Aggression oder Verwahrlosung geraten. Für diese Kinder möchten wir ein enges Hilfenetz
rund um die Familien knüpfen, ein Netz aus Hebammen,
Familienhelfern, Kinderärztinnen und Geburtshelfern
und der Kinder- und Jugendhilfe. Wir haben die Strukturen in Deutschland, aber wir müssen sie früher, gezielter
und präventiv einsetzen.
({3})
Ich bin sehr froh, dass vorgesehen ist, dass für dieses
wichtige Vorhaben in den nächsten fünf Jahren
10 Millionen Euro bereitstehen. Auf der Grundlage von
Erfahrungen aus Kommunen, aus Bundesländern und
auch aus dem Ausland konzipieren wir Modellprojekte
auf Bundesebene, die bereits im Herbst dieses Jahres
starten können. Im Herbst soll bereits außerdem ein Servicebüro eingerichtet werden, das Aktivitäten in den
Ländern und an den Modellstandorten koordiniert.
Zum dritten Schwerpunkt. Im demographischen Wandel haben wir auch die Chance, das soziale Kapital der
älteren Menschen zu mobilisieren. Noch nie in der Geschichte sind so viele Menschen so alt geworden. Aber,
was noch wichtiger ist: Noch nie in der Geschichte gab
es so viele und so ressourcenstarke ältere Menschen wie
heute. Noch nie waren sie so gesund, so gebildet und
hatten so viel Zeit wegen der längeren Lebenserwartung.
Unser Ziel ist es, mit Mehrgenerationenhäusern
Räume zu schaffen, die den Kreislauf des Gebens und
Nehmens zwischen den Generationen nach dem Prinzip
der Großfamilie, aber in einer modernen Form ermöglichen. Wir wollen als Modell in jedem Landkreis und in
jeder kreisfreien Stadt in Deutschland ein Mehrgenerationenhaus schaffen. Dafür gibt es an vielen Orten schon
positive, aber sehr unterschiedliche Anknüpfungspunkte.
Wir wollen uns deshalb nicht darauf beschränken, die
Idee des Mehrgenerationenhauses an wenigen Modellstandorten zu erproben, sondern wollen der modellhaften Vielfalt eine Chance geben. Es geht darum, im Nebeneinander, im Miteinander, aber auch im Wettbewerb
der Mehrgenerationenhäuser Anstöße für eine neue Infrastruktur zu geben, die gerade in Zeiten ganz knapper
Kassen Bestehendes aufgreift, besser nutzt und damit
neue Ressourcen für den Generationenzusammenhalt erschließt.
({4})
Unser Konzept sieht vor, dass Mehrgenerationenhäuser mindestens drei Funktionen verbinden. Sie führen
jung und alt zusammen und nutzen dabei ganz gezielt die
Kompetenz älterer Menschen, sie bieten gezielt Dienstleistungen und Beratungen an, die insbesondere Familien entlasten, und sie gewinnen Menschen jeden Alters
für bürgerschaftliches Engagement. Gleich nach der Verabschiedung des Haushalts 2006 werden wir eine
Servicestelle für die Projektumsetzung einrichten. Im
Herbst kann dann die Förderung in vielen Regionen beginnen. Deshalb sind für die Mehrgenerationenhäuser
schon für dieses Jahr 6 Millionen Euro im Haushaltsentwurf vorgesehen. Auch die Gesamtfinanzierung des Projektes in Höhe von 98 Millionen Euro ist nach unseren
Planungen vollständig gewährleistet. Das gibt dem Projekt gleich zum Start die notwendige Sicherheit.
({5})
Wenn wir Familien, ältere Menschen, Frauen, Väter,
Mütter, Kinder und Jugendliche in den nächsten Jahren
wirkungsvoll - ({6})
- Väter sind Männer, meines Erachtens.
({7})
Senioren sind Männer, meines Erachtens. Unter Jugendlichen sind auch junge Männer, meines Erachtens, und
unter Kindern sind Jungen.
({8})
Ich setze meinen unterbrochenen Satz fort: Wenn wir
all die Menschen, die ich eben erwähnt habe, in ihrer
spezifischen Rolle in dieser Gesellschaft wirkungsvoll
unterstützen wollen, dann brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung, mehr Kinder in den Familien
und mehr Familienwerte in der Gesellschaft. Das ist der
Schlüssel für Innovation, für Wachstum, für Wohlstand
und für sozialen Zusammenhalt im demographischen
Wandel.
Ich danke Ihnen.
({9})
Ina Lenke spricht für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben einen neuen Haushaltsplan für 2006, aber keinen
neuen Politikentwurf für eine liberale Bürgergesellschaft, in der die Vielfalt von Familie, die Gleichstellung
von Frauen und Männern auf eine neue Grundlage gestellt wird. Über Frauenpolitik habe ich von Frau von der
Leyen heute nichts gehört. Ich habe von ihr heute nur etwas über Familienpolitik gehört.
({0})
Wenn man sich den Einzelplan 17 anschaut, dann erkennt man: Es handelt sich um neuen Wein in alten, rotgrünen Schläuchen. Die Ministerin propagiert die Einführung des Elterngeldes und fordert gebührenfreie Kindergartenplätze.
({1})
- Ja, Frau Griese. - Das Elterngeld ist nicht Bestandteil
des Einzelplans 17, über den wir heute reden. Fakt sind
derzeit Steuererhöhungen der großen Koalition, die Familien ganz besonders zu spüren bekommen. Das Geld,
das Sie den Familien über Familienförderung geben,
ziehen Sie ihnen aus der anderen Tasche wieder heraus.
({2})
Ich will dafür nur zwei Beispiele nennen: Mit der
Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent
belasten Sie gerade Familien mit Kindern. Die Einsparungen durch die Eigenheimzulage für Familien, die von
Regierung und Parlament gewollt sind, erfahren in dem
Haushaltsplan 2006 jedoch keinen Ersatz. Versprochen
haben Sie, bei der Riesterrente die Kinderförderung zu
erhöhen. In diesem Jahr findet jedoch nichts dergleichen
statt.
({3})
Das soll auf das nächste Jahr verschoben werden. Unter
dem Strich werden Familien in diesem Jahr weniger gefördert als vorher.
Ich komme jetzt auf das Thema „kostenlose Kindergartenplätze“ zurück. Kostenlose Kindergartenplätze
haben der Fraktionsvorsitzende Peter Struck, der Finanzminister Steinbrück und unsere Familienministerin versprochen. Diese Versprechen sind Schall und Rauch.
({4})
Bereits bei der Finanzierung der Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe haben diese Gelder die Kommunen so nicht erreicht. Die Bundeskanzlerin hat in
ihrer Regierungserklärung den Kommunen versprochen, dass sie das zugesagte Geld auch wirklich bekommen. Außerdem hat sie gesagt, nach der Föderalismusreform sei das alles noch wichtiger. Nach meinen
Recherchen bei den Kommunen bekommen sie sehr viel
weniger Geld, und zwar verbunden mit sehr vielen Unterschieden. Die Bundeskanzlerin hat ihr Versprechen
bisher also nicht eingelöst.
Die große Koalition muss eine grundlegende Reform
der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern
vornehmen, damit die Kommunen, die für die Kinderbetreuung gern Geld ausgeben, nicht die Gekniffenen sind.
Deshalb will die FDP, dass das Konnexitätsprinzip im
Grundgesetz verankert wird.
({5})
Die Ministerin ist auch für die Jugendpolitik zuständig.
({6})
- Hören Sie bitte genau zu! - Von Generationengerechtigkeit kann man bei der Politik der großen Koalition
wirklich nicht reden. Frau von der Leyen, statt der geplanten 22 Milliarden Euro Neuverschuldung des Bundeshaushaltes geben Sie jetzt Ihre Zustimmung zu
38,3 Milliarden Euro Neuverschuldung. Da bleiben die
Interessen unserer Kinder und Enkel auf der Strecke.
({7})
Für die FDP ist die Förderung von jungen Zuwanderern besonders wichtig. Mit Aufmerksamkeit verfolgen wir, dass SPD und CDU/CSU im Haushalt bei den
Mitteln für die Integration junger Zuwanderer und Zuwanderinnen heftig kürzen. Ausreichende Sprachförderung ist ein zentraler Punkt von uns allen. Dass es
hierbei um die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund geht, muss sich
auch im Haushalt 2006 niederschlagen; denn: ohne
Sprachkenntnisse keine Integration.
({8})
Zum Zivildienst. In Sonntagsreden loben CDU/CSU
und SPD die Arbeit der Zivis. Gleichzeitig ist das aber
der Spartopf Ihrer Regierung, meine Damen und Herren.
Das hat auch Frau von der Leyen sehr fröhlich und sehr
bestimmt deutlich gemacht.
({9})
Seit Jahren wird in diesem Bereich gespart. Beim Rentenversicherungszuschuss, beim Entlassungsgeld, beim
Essengeld, überall wird gekürzt. Bei Ihnen passen Worte
und Taten nicht zueinander.
Die FDP ist für Freiwilligendienste und für die Abschaffung von Pflichtdiensten. Die Ministerin will
Pflichtdienste beibehalten. Drei Gründe sprechen dafür,
dass die Wehrpflicht und der Zivildienst abgeschafft
werden: Erstens. Sicherheitspolitisch ist die Wehrpflicht
überflüssig.
({10})
Zweitens. Es besteht eine eklatante Wehrungerechtigkeit. Nur noch jeder zweite junge Mann absolviert den
Pflichtdienst. Drittens. Immer mehr Einrichtungen wie
Krankenhäuser und Alten- und Pflegeheime steigen aus
dem Zivildienst aus und beschäftigen lieber 1-Euro-Jobber.
Meine Damen und Herren und liebe Frau Ministerin,
in einer liberalen Bürgergesellschaft haben Zwangsdienste keinen Platz mehr.
({11})
Aus Zeitgründen will ich zu Ihrer Idee, die Sie aus
Niedersachsen mitgebracht haben, zu den Mehrgenerationenhäusern, nicht mehr viel sagen. Grundsätzlich begrüßen wir von der FDP das. Die Förderung wird in diesem Jahr nicht mehr beginnen, weil der Haushalt erst
Mitte des Jahres verabschiedet wird. Deshalb werden Sie
Schwierigkeiten haben, das zeitlich hinzubekommen.
Zum Projekt Elterngeld. Heute haben Sie, Frau Ministerin, in Ihrer Rede sehr umfänglich über das Elterngeld gesprochen. Im Etat des Familienministeriums findet sich dazu aber kein Etatposten. Die FDP-Fraktion hat
sich in einer Kleinen Anfrage nach den Details des Elterngeldes erkundigt. Die Antwort der Bundesregierung
auf die Fragen 3 bis 7,10 bis 14, 16, 19, 20 und 22 lautet:
Da der Entwurf dazu noch nicht fertig gestellt ist, können diese Fragen zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden.
Für die FDP-Bundestagsfraktion stelle ich hier fest:
Eine Gesamtkonzeption zum Elterngeld existiert bei dieser großen Koalition nicht. Das Problem der Anschlussbetreuung, meine Damen und Herren, haben Sie bisher
nicht gelöst. Wenn Sie da nichts machen, wird das Projekt des Elterngelds ins Leere laufen.
({12})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme jetzt zum Schluss.
Der Einzelplan 17, der Haushalt des Familienministeriums, zeigt nur kleine Trippelschritte der großen Koalition.
({0})
Damit wird die Bundesregierung den Herausforderungen
einer modernen Gesellschaft in unserem Land nicht gerecht.
({1})
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Nicolette
Kressl.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hinter den Zahlen eines Haushaltsplans stehen
immer die Ideen und die Vorstellungen der Politik, in
diesem Fall der Politik für Familie, Frauen, Senioren und
Jugend. Frau Lenke, zu einer Haushaltsberatung gehört
immer eine mittelfristige Finanzplanung. Darin wird das
Elterngeld sehr wohl enthalten sein. Ich wundere mich,
dass es Ihnen schon seit langer Zeit nicht gelingt, den
Blick über ein Jahr hinaus zu richten. Vielleicht können
Sie es nicht lesen; ich weiß es nicht. Aber hören Sie auf,
solche unhaltbaren Vorwürfe in den Raum zu stellen!
({0})
Wir sprechen heute über diesen Haushalt. Ich will an
einigen Beispielen zeigen, dass es für uns eine wichtige
gedankliche Leitlinie gibt. Wir wollen mit diesem Haushalt auch die Rahmenbedingungen für selbstbestimmtes
Leben und freie Entscheidungen deutlich machen.
({1})
Ich will das zunächst am Beispiel der Familie beschreiben. Für uns ist klar, dass es - in der Weiterentwicklung dessen, was wir in den letzten Jahren gemacht
haben - darum geht, die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf zu verbessern und damit zusammenhängend den
Ausbau der Kinderbetreuungsangebote voranzubringen.
Lassen Sie mich all jene, die in der letzten Zeit - wie
ich finde, zu Recht - über die Frage der Entscheidungsund Wahlfreiheit bei diesem Thema debattieren, auf
Folgendes hinweisen: Wer glaubt, wir würden mit dem,
was wir tun, Wahlfreiheiten einschränken - manchmal
höre ich das -, der vergisst, dass wir Wahlfreiheit nur
dann einschränken könnten, wenn sie vorhanden wäre.
Ich glaube aber, dass wir in der alltäglichen Praxis sehr
oft erleben, dass sie bisher bei weitem noch nicht in vollem Umfang gegeben ist. Solange ich von den Arbeitsgemeinschaften und Arbeitsagenturen noch höre, dass es
Alleinerziehenden nicht gelingt, einen Job anzunehmen,
weil keine Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind, so
lange können wir nicht von Wahlfreiheit sprechen.
({2})
Solange Väter sich wegen der finanziellen Einschränkung, die eine Familie hätte, wenn sie eine Zeit lang auf
Erwerbstätigkeit verzichten würden, nicht für Betreuung
entscheiden können, so lange können wir nicht von
Wahlfreiheit sprechen.
({3})
Deshalb bin ich der Meinung, dass auch eine Diskussion
über das Elterngeld die Möglichkeit der freien Entscheidung beider Elternteile verbessert und nicht verschlechtert. Dieses Thema möchte ich gerne diskutiert haben.
Wir sollten offen miteinander darüber reden.
({4})
Solange es keine ausreichende frühe Förderung unserer Kinder gibt und damit ihre Chancen für die Zukunft
nicht gesichert sind, so lange können wir auch von deren
Wahlfreiheit in Bezug auf Beruf und Zukunftsentwicklung nicht reden. Deshalb ist es gut, dass es auch für diesen Bereich Ansätze im Haushaltsplan gibt. Das gehört
für mich zu einem selbstbestimmten Leben, das wir Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ermöglichen müssen. Das steckt hinter diesem Haushaltsplan.
({5})
Dazu gehört für mich, dass wir uns anschauen, was
über die Jahre an Förderung und Unterstützung gewachsen ist, und überprüfen, wie wir Mittel gezielter in die
Infrastruktur, den Betreuungsausbau - dazu gehört auch
die frühe Förderung von Kindern - fließen lassen können. Denn es ist wichtig, den jungen wie den älteren
Menschen in aller Breite Chancen zu ermöglichen.
({6})
Diese Linie bezüglich der Entscheidungsfreiheit ist
nicht nur im Familienbereich zu finden. Die Tatsache
beispielsweise, dass wir wollen, dass junge Menschen
sich gesellschaftlich und politisch frei und ohne Druck
engagieren können, ist daran festzumachen, dass wir
weiterhin in gleicher Höhe Mittel für Programme gegen
Rechtsextremismus verankert haben. Dass wir junge
Menschen, die Opfer von Druck von rechtsradikaler
Seite werden, unterstützen und ihnen helfen, sich zu
wehren, gehört für mich zu der Linie einer freiheitlichen
Entscheidung und eines selbstbestimmten Lebens. Das
geht weit über die üblichen Diskussionen hinaus und ist
für mich ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Bereichs.
({7})
Frau Kollegin, die Kollegin Ina Lenke würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Na klar.
Bitte schön.
Frau Kressl, ich kann vielem, was Sie sagen, zustimmen. Aber wenn Sie von der Freiheit junger Menschen
sprechen, dann habe ich wirklich die ernsthafte Frage:
Was ist denn mit der Freiheit der Menschen in Bezug auf
den Pflichtdienst, auf Wehrpflicht und Zivildienst?
({0})
Ich habe Ihnen drei gute Gründe gegen diese Pflichtdienste genannt und würde Sie bitten, sich einmal zu der
Freiheit von jungen Männern zu äußern.
Sehr geehrte Frau Lenke, wir können gern ein bisschen miteinander philosophieren.
({0})
Zum Thema Freiheit gehört für mich immer auch die
Debatte über Verantwortung.
({1})
Sie wissen, dass es natürlich auch in meiner Fraktion
eine politische Debatte darüber gibt. Ich halte es für richtig, dass sie geführt wird. Ich halte es aber für falsch,
dass Sie mit Ihrer Frage im Prinzip unterstellen, die Freiheit junger Männer sei ausschließlich dann gewährleistet, wenn sie nicht einen Pflichtdienst leisten müssen,
ohne gleichzeitig die Frage zu berücksichtigen, mit welchem Beitrag sie ihrer Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden können.
({2})
Ich bin bei der Debatte darüber für jedes Ergebnis offen. Die Unterstellung, Ihre Sichtweise sei die einzig
richtige, halte ich für falsch.
({3})
Frau Kressl, möchten Sie eine Nachfrage zulassen?
Ja.
Bitte schön, Frau Lenke.
Frau Kressl, Sie unterstellen den jungen Männern, sie
würden wenig soziales Engagement zeigen.
({0})
Ist es nicht besser, statt des Pflichtdienstes die Freiwilligendienste zu stärken? Der Pflichtdienst ist wirklich
überflüssig. Es gibt eine Wehrungerechtigkeit, weil nur
jeder zweite Mann zu einem Pflichtdienst einberufen
wird.
({1})
- Doch, das stimmt. - Frau Kressl, sollten wir uns nicht
besser gemeinsam mehr für Freiwilligendienste - für das
freiwillige soziale Jahr, für das freiwillige ökologische
Jahr -, nicht nur für junge, sondern für Menschen jeden
Alters, einsetzen? Der Pflichtdienst, von dem ich gesprochen habe, gehört nicht dazu.
Es wäre schön, Frau Lenke, Sie hätten eine Frage gestellt. Stattdessen haben Sie behauptet, ich würde den
jungen Männern geringes Engagement unterstellen. Das
habe ich ausdrücklich nicht getan. Ich habe nur gesagt:
Für mich gehört zur Debatte über Wehrdienst und Wehrpflicht auch die Debatte darüber, ob und in welcher
Form Verantwortung wahrgenommen werden muss oder
nicht. Es ist doch selbstverständlich, dass ich überhaupt
nicht infrage stelle, dass sich viele junge und ältere Männer und Frauen in ganz hervorragender Weise mit ehrenamtlichem Engagement in die Gesellschaft einbringen.
Ich möchte Sie bitten, einen Blick in den Haushaltsplan zu werfen. Wenn Sie das getan hätten, dann hätten
Sie festgestellt, dass wir seit letztem Jahr im Bereich
„Generationenübergreifende Freiwilligendienste“ bei
der Frage der Unterstützung des Engagements junger,
aber auch älterer Menschen deutliche Zeichen setzen.
({0})
Die Linie, die wir verfolgen, halte ich für ganz wichtig:
Wir wollen anerkennen, dass es bei der Frage des selbstbestimmten Lebens der älteren Generationen nicht nur
um Heime und um die Pflegeversicherung geht. Unser
Einsatz für selbstbestimmtes Leben und die freiheitliche
Entscheidung für das eigene Leben finden darin Ausdruck, dass wir mit dem Titel „Generationenübergreifende Freiwilligendienste“ die Schaffung von Rahmenbedingungen für das Einbringen der älteren Generation
in die Gesellschaft deutlich unterstützen. Auch das ist
wichtig.
({1})
Ich möchte gern mit Ihnen allen über die Frage, was
uns im Bereich des selbstbestimmten Lebens und der
freiheitlichen Entscheidung wichtig ist, reden. Auch
wenn wir uns zwischen den Fraktionen politisch noch
nicht ganz geeinigt haben, gibt es ein deutliches Signal,
dass wir eine Stelle einrichten wollen, die sich um die
Gleichbehandlung von Menschen in dieser Gesellschaft
kümmert. Wir wollen nämlich bei der Umsetzung der
Antidiskriminierungsrichtlinie deutlich machen, dass
diese Stelle Unterstützung anbietet.
Für mich ist es selbstverständlich, dass es für uns eine
Verpflichtung ist, für den Fall, dass Behinderten beispielsweise immer noch nicht der Zutritt zu Hotels und
Restaurants gewährt wird, ihre Freiheit nicht einzuschränken, sondern sie zu garantieren. Manchmal
braucht es da gesetzliche Sicherungen.
({2})
Wenn wir sie dann nicht nutzen müssen, umso besser.
Das Gleiche gilt im Übrigen - das ist nicht zu vergleichen; aber es steht in einem gewissen Zusammenhang für die Frage, in welchem Maße die Gleichbehandlung
von Frauen und Männern im Wirtschaftsleben, zum
Beispiel bei der Entlohnung, dem Arbeitsrecht oder
beim Zugang zu Qualifikationen und bei Aufstiegsmöglichkeiten,
(Ina Lenke ({3}): Da haben wir gute!
ausgestaltet ist. Ich bin absolut der Meinung, dass wir
nicht nur über Vertragsfreiheit, sondern auch über die
Freiheit der Menschen, die sich in dieser Situation befinden, sprechen sollten. Beide Punkte möchte ich ausdrücklich beleuchtet haben.
({4})
Das heißt - um es zusammenzufassen -, es geht darum, die Rahmenbedingungen für alle Generationen zu
verbessern, gesellschaftliche Veränderungen wahrzunehmen und sie dann in politisches Handeln umzusetzen
und entsprechend zu verankern. Dies wollen wir weiter
auf den Weg bringen. Ich bin ganz sicher, dass diese
Ziele hinter diesem Haushaltsplan sehr deutlich werden
und die Zahlen, die auf den ersten Blick zu erkennen
sind, bei weitem überdecken.
Vielen Dank.
({5})
Es spricht der Kollege Jörn Wunderlich, Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Anwesende! Glaube, Hoffnung und
Vertrauen
({0})
- hören Sie erst einmal zu -: Die Menschen im Lande,
Kinder-, Jugend-, Familien- und Seniorenverbände hatten im Herbst 2005 die Hoffnung auf eine veränderte
Politik, die aus der Spirale der Armut und der ungenügenden Bildung herausführt, Hoffnung auf eine Politik,
die Wege aufzeigt, davon wegzukommen, die Aufgaben
im Gemeinwesen - ob Kinderbetreuung oder Bildung,
Gesundheit oder Kultur - stets auf den Kostenfaktor zu
reduzieren.
Mit Spannung warten viele Menschen in dieser Woche auf Impulse, die das Land in seiner Entwicklung
spürbar voranbringen sollen. Aber wieder geben Sie als
Regierung mit Ihrer Haushaltspolitik - da haben wir als
Beispiel den Einzelplan 17 - keine eindeutigen Antworten. Die halbherzigen Aussagen des Finanzministers und
der Kanzlerin sind ein Beleg dafür.
Was Sie leugnen und nicht wahrhaben wollen: Sie
zerstören mit Ihrer derzeitigen Politik die Sozialsysteme. Sie engen die Handlungsspielräume der Kommunen immer mehr ein und - das ist besonders verwerflich - Sie wollen sich als Bund aus der kommunalen
Verantwortung zurückziehen.
({1})
Das ist und bleibt ein unhaltbarer Zustand und führt die
Menschen in diesem Land in die Irre. - Sie sagen, das
sei richtig so. Wir wissen, wie Sie denken. - Sie bauen
an einem Haus, bei dem die Mängelliste für das Fundament schon jetzt endlos ist.
Wenn ich ehrlich sein soll: Seit meiner ersten Rede in
diesem Haus zweifle ich zunehmend an der Glaubwürdigkeit Ihrer Versprechungen.
({2})
Ich bleibe dabei: Ich messe Sie an Ihren Taten. Wie in
der gestrigen Debatte durch meine Fraktion deutlich gemacht wurde - ich bekräftige das mit Nachdruck -: Die
Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland ist die
Antwort der Menschen auf Ihre Ehrlichkeit und Verlässlichkeit in der Familienpolitik.
({3})
Wer trotz schöner Worte nach außen die Arbeitsmarktund Sozialpolitik heimlich ausdünnt und abbaut, muss
sich am Ende nicht wundern, wie die Menschen darauf
reagieren. Faszinierend an der Sache, aber aus unserer
Sicht leider auch falsch und verlogen ist Ihre Sprachgewandtheit, mit der Sie die Menschen zu besänftigen versuchen. - So viel zu Ihrer Ehrlichkeit, Frau Merkel - leider ist sie heute nicht da - und Co.
Zum Einzelplan 17. Auf den ersten Blick könnte man
positiv überrascht sein. Allerdings trauen wir diesem
Frieden nicht, weil, wie von mir bereits erwähnt, klare
Aussagen zur Finanzierung der im Koalitionsvertrag
vorgesehenen Vorhaben fehlen. Die Wahrheit ist: Im
Grunde geht quer durch den Einzelplan 17 der Rotstift.
Frau von der Leyen, in den ersten 100 Tagen der Regierung habe ich Sie mehrfach erlebt, als Sie die Aufgaben Ihres Ministeriums präsentierten. Sie haben immer
wieder Wert darauf gelegt und betont, den Kindern, die
nicht auf der Sonnenseite, sondern auf der Schattenseite
des Lebens geboren werden, eine besondere Hilfe zukommen lassen zu wollen.
Leider vermisse ich bis heute Ihre Aussagen dazu,
was Sie konkret bereit sind zu unternehmen, um die gesellschaftlichen Ursachen für die Probleme zu beseitiJörn Wunderlich
gen, damit für alle Kinder wieder von Anbeginn die
Sonne scheint und damit sich der Junge aus Dresden
eben nicht mehr morgens sein Pausenbrot von der Ausgabestelle der Tafel holen muss. Konkret vermisse ich
Ihren Gestaltungswillen im Sinne einer interfraktionellen und von Ihnen immer wieder betonten Querschnittsaufgabe Ihres Ministeriums zur Verhinderung von Armut
bei Kindern, bei Jugendlichen, in den Familien und bei
Senioren. Keiner, auch kein Rentner, darf sein Einkommen durch Sammeln von Leergut aus Mülltonnen aufbessern müssen.
({4})
Geben Sie hier und heute Ihr Bekenntnis ab, alles zu
tun, damit in den nächsten Jahren keine Kürzungen im
Bereich des Gemeinwohls vorgenommen werden. Hier
haben Sie die Chance dazu. Tragen Sie im Gegenteil
doch einmal Sorge dafür, dass das Zukunftsprogramm
„Jugend und Innovation“ in seinem Finanzansatz verdoppelt wird. Ein Haushalt, der Fragen der Zukunft aufwirft, muss in der Gegenwart die dafür notwendigen Bedingungen schaffen, und zwar rechtzeitig.
({5})
Dann - und nur dann - kann Vertrauen entstehen.
Trotz der erfreulichen Aufstockung des Kinder- und
Jugendplans des Bundes frage ich mich, wie sich die
Förderschwerpunkte zukünftig gestalten werden. Ein
Beispiel: Die Bundesregierung baut die Freiwilligendienste aus und realisiert dies mit Umschichtungen im
Kinder- und Jugendplan. Für 2006 ist das noch relativ
unproblematisch, aber ab 2007 soll ein weiterer Ausbau
erfolgen. Wie und wo soll dann noch umgeschichtet werden? Anders gefragt: Was steht schon jetzt auf der
Streichliste?
Wer gestern Frau Merkels Worte aufmerksam verfolgt
hat, wird nicht überhört haben, dass sie mehrfach an Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen appelliert hat.
Da stellt sich natürlich die Frage: Wie wird denn der Koalitionsvertrag bezüglich der Weiterentwicklung des
Kinder- und Jugendplans nach den Kriterien Wirksamkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit umgesetzt?
Zur Familienpolitik. Wenn für Sie in der Regierung
Familienpolitik gleichzeitig auch Gleichstellungspolitik
ist, ist das anerkennenswert. Wenn ich aber beim Lesen
des Einzelplans 17 feststellen muss, dass Gleichstellung
von Frauen und Männern Sie nur interessiert, wenn es
sich um Gleichstellung von Müttern und Vätern handelt,
stimmt mich das schon sehr nachdenklich. Bezüglich der
Gleichstellungspolitik scheint Ihnen jegliche Fantasie zu
fehlen. Aus meiner Sicht findet die Gleichstellungspolitik für Sie vordergründig in Studien, Berichten und der
Produktion vielen Papiers statt - von globalen Kürzungen einmal ganz abgesehen.
Woher Sie die Zahlen zum Zivildienst nehmen, weiß
ich nicht. Wenn man sich die prognostizierten Zahlen der
Wehrpflichtigen anschaut, dann stellt man fest, dass dieser Haushaltstitel mit etwa 70 Millionen Euro überfrachtet ist. Ist das die Art, Geld im Haushalt zu verstecken?
So weit, Frau Merkel und Frau von der Leyen, zu Ihrer Aussage - ich zitiere -:
Unsere Politik muss beweisen, ob wir es ernst meinen.
- Wer soll da noch Vertrauen haben?
Um schlussendlich noch zum Glauben zu kommen:
Schon Jakobus kannte offensichtlich die große Koalition. Ich darf aus dem Brief des Jakobus Kap. 2 Vers 17
zitieren:
So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot
in sich selber.
Die Hoffnung ist gestorben, Vertrauen kann nicht
wachsen, der Glaube ist tot. Große Koalition, ich verneige mich vor dir.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Ministerin von der Leyen, wir alle wissen: Wir diskutieren hier einen Haushalt, der sich innerhalb engster finanzieller Spielräume bewegt. Daher gilt
es, mit den vorhandenen Mitteln auch die richtigen Prioritäten zu setzen.
Der Einzelplan 17, also der Haushaltsplan, den wir
heute beraten, stellt eine dieser Prioritäten im Gesamthaushalt dar. Er enthält die entscheidenden Leistungen,
die aus Deutschland ein kinderfreundliches und damit
zukunftsfähiges Land machen können. Deshalb war ich
auch erstaunt, wie kurz der Vortrag der Ministerin war.
({0})
Erst einmal freut es mich natürlich, dass in einigen
Bereichen an die erfolgreiche Arbeit der rot-grünen Regierung angeknüpft wird. Ich verweise auf Programme
wie die Allianz für Familie und die Weiterführung der
lokalen Bündnisse für Familie, die sich in vielen Kommunen als Glücksfall für Familien erweisen, weil sie ein
familienfreundliches Umfeld schaffen. Gerade das ist es,
was sich viele Familien von der Politik erhoffen und,
wie ich finde, zu Recht von ihr erwarten.
({1})
Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, geben schon jetzt - nach 130 Tagen - vor, diese Erwartungen erfüllen zu können. In der Realität hat sich
seit Ihrem Regierungsantritt für Familien und Kinder
bislang allerdings nichts verändert.
({2})
Sie, Frau Ministerin, vermitteln zwar nach außen den
Eindruck, es solle jetzt so richtig viel für Familien mit
Kindern passieren. Bislang herrscht allerdings, was
neue Akzente angeht, klar Funkstille.
({3})
- Regen Sie sich doch nicht so auf. - Verstehen Sie mich
nicht falsch, ich finde es gut, sogar wunderbar, dass Familienpolitik derzeit in aller Munde ist. Das gefällt mir.
({4})
Trotz intensiver Arbeit der rot-grünen Regierung auf
diesem Feld, zum Beispiel beim Tagesbetreuungsausbaugesetz oder beim Kinderzuschlag, ist Deutschland
leider immer noch kein kinderfreundliches Land.
Wir beklagen vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung vor allem die niedrigen Geburtenraten.
({5})
- Jetzt kommen Sie mir nicht damit, dass Rot-Grün dafür verantwortlich ist. Die Geburtenrate geht seit 1970
zurück. - An die Adresse der Herren, die sich gar nicht
beruhigen können, sage ich: Durch altkluge Ratschläge,
gerade an junge Frauen gerichtet, sich endlich für ein
Leben mit Kindern zu entscheiden, ändert sich in dieser
Gesellschaft gar nichts.
({6})
An einer verlässlichen Kindertagesbetreuung, am Voranschreiten der Gleichstellung von Frauen und Männern,
an einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
und zwar für Frauen und Männer, sowie an der Tatsache,
dass Kinder nicht mehr das Armutsrisiko Nummer eins
sein dürfen, müssen wir weiterhin arbeiten. Wir müssen
tragfähige Konzepte und Lösungen entwickeln, sonst ändert sich langfristig nichts.
({7})
Sehen wir uns Ihre Kinderpolitik nach 130 Tagen Regierungsverantwortung doch einmal genauer an. Trotz
der viel beschworenen Politik der kleinen Schritte sind
Sie bereits nach den ersten Metern ins Stolpern gekommen. Sie machen den dritten Schritt vor dem ersten. Zunächst sah es so aus, als hätten Sie sich im Koalitionsvertrag auf ein halbwegs stringentes Konzept geeinigt.
Als es in den Gesprächen dann konkreter wurde, war
schnell klar, dass die Einigung nur Makulatur war. Was
am Ende herauskam, ist ein Modell der Absetzbarkeit
von Betreuungskosten, das kompliziert und ungerecht
ist - ungerecht, weil es zum Beispiel für ein Drittel aller
Familien in Deutschland, die aufgrund geringster Einkommen gar keine Steuern zahlen, überhaupt nichts
bringt.
Für das Elterngeld - ich habe mich gewundert, dass
Sie so laut geklatscht haben - wird schon einmal
1 Milliarde Euro, natürlich erst für 2007, eingestellt,
ohne dass wir bisher ein schlüssiges Konzept gesehen,
geschweige denn diskutiert hätten.
({8})
Mir ist klar, warum das so ist. Die Vorschläge von Frau
von der Leyen sind ja nicht einmal in den eigenen Reihen mehrheitsfähig, rütteln sie doch zu sehr am althergebrachten Familienmodell der CDU/CSU.
({9})
Mein Kollege Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen, Ihr
Ministerpräsident,
({10})
hat doch längst erklärt, dass er die dringend notwendige
Väterkomponente im Elterngeld ablehnt. Er hat damit
gedroht - das sagt er auch gegenüber der Presse -, dass
er einen Gesetzentwurf mit dieser Väterkomponente im
Bundesrat ablehnen und blockieren wird.
({11})
So sieht es aus. Da frage ich mich, wie viele Kolleginnen
und Kollegen gerade aus der CDU insgeheim Beifall
klatschen, weil Herr Rüttgers ihnen aus der Seele
spricht.
({12})
Frau Ministerin, Sie versuchen im Moment diese
Schwierigkeiten zu überspielen, indem Sie uns Frauen
dauernd öffentlichkeitswirksam vorführen, wie frau es
schaffen kann, Familie und Kinder unter einen Hut zu
bekommen.
({13})
Eine Familienpolitik, wie wir sie wollen, die das Kind
in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellt, braucht
keine arbeitsmarktpolitischen Scheinlösungen mit Absetzbarkeitsmodellen und keine faulen Kompromisse,
bei denen man an jeder Stelle das überholte Familienbild
durchschimmern lässt. Was Sie gerade skizzieren, ist
keine moderne Familienpolitik.
Was wir brauchen - das sollte der erste Schritt sein -,
ist eine flächendeckende Kindertagesbetreuung auch
für Kinder unter drei Jahren. Darin liegt der Schlüssel
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
({14})
Jetzt fragen Sie sich sicher: Woher das Geld nehmen?
Wir machen einen Vorschlag: aus dem Ehegattensplitting. Das Abschmelzen bringt geschätzte 2,1 Milliarden
Euro. Sie könnten wir prima einsetzen. Dieses Splitting
dient doch nur einem einzigen Zweck, und zwar der FörBritta Haßelmann
derung der Ein-Verdiener-Ehe nach dem Motto „Papa
geht arbeiten und Mama hütet das Heim.“
({15})
Ich frage Sie: Glauben Sie ernsthaft, dass dieses Familienmodell den heutigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen
junger Frauen und Männer entspricht? Ich glaube, das
der meisten nicht.
({16})
Es ist richtig, gerade angesichts der demographischen
Entwicklung über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sprechen. Aber es ist falsch, die Gleichstellungspolitik darauf zu reduzieren. Frau Ministerin, in Ihren
Ausführungen im Familienausschuss habe ich Sie über
Frauen bisher nur im Kontext von Familie sprechen hören.
({17})
Welchen Stellenwert die Gleichstellungspolitik für Sie
hat, haben Sie uns unlängst hier im Parlament gezeigt:
Sie mussten offiziell herbeizitiert werden, als wir einen
Tag nach dem Internationalen Frauentag über die Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben diskutiert haben.
({18})
Das ist unangenehm, aber wahr.
Da wir gerade beim Thema Diskriminierung sind:
Kollegin Kressl, natürlich ist es schön, dass eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet wird. Ich finde das
prima; ich begrüße das. Aber kommen Sie beim Antidiskriminierungsgesetz doch erst einmal zwischen Union
und SPD zu einem Ergebnis.
({19})
Meine Damen und Herren von SPD und CDU/CSU,
die in Ihrem Haushalt vorgeschlagene Reduzierung der
Ansätze von Gleichstellungs- und Seniorenpolitik zugunsten des Ansatzes von Familienpolitik halte ich für
falsch, und zwar nicht nur, weil wir einer engagierten
Frauenpolitik dadurch nicht gerecht werden, sondern
auch älteren Menschen nicht. Wer ständig betont, wie
wichtig die ältere Generation sei und wie wichtig es sei,
sich die Frage zu stellen, wie Menschen länger im Arbeitsleben bleiben können und wie wir ihren Erfahrungsschatz sichern können, der oder die sollte nicht anfangen, diesen Etat zugunsten der Familienpolitik zu
kürzen.
({20})
Nun zu Ihrem Schlagwort „Mehrgenerationenhäuser“. Natürlich begrüße ich Beratungsstellen und Begegnungsstätten für Alt und Jung. Das alles ist wunderbar.
Staatssekretär Kues hat uns neulich erklärt, bei den
Mehrgenerationenhäusern solle das Prinzip der Großfamilie verankert werden. Ja wunderbar, aber was bedeutet
das? Wie wollen Sie ein solches Konzept mit den Kommunen, mit den Städten und Gemeinden und mit den
Wohlfahrtsverbänden umsetzen? Ich finde, das ist ein
Einsatz von Geld ohne Konzept und ohne eine vorherige
Diskussion im Ausschuss.
({21})
Aber Ihr Haushalt spiegelt nicht nur Realitätsferne in
Kompromissen und Konzeptlosigkeit wider, sondern es
gibt auch klare Fehlentscheidungen. An dieser Stelle
nenne ich den Zivildienst. Sie sehen 170 Millionen Euro
für Sold, Zulagen und Zuwendungen für Zivildienstleistende vor. Was hat das mit verbesserter Einberufungsgerechtigkeit zu tun?
({22})
Über 88 000 Zivildienstleistende und 59 000 Wehrpflichtige haben demnächst Dienst abzuleisten. Was also
hat das mit der Wehrgerechtigkeit zu tun, die Sie im Koalitionsvertrag versprechen?
({23})
Ich finde: rein gar nichts. Deshalb gewährleisten Sie
doch wenigstens über den Haushaltsansatz die Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden. Unser
Ziel ist es nach wie vor, den Wehrdienst abzuschaffen.
({24})
Nun noch zu einem weiteren Punkt: das Thema
Rechtsextremismus. Natürlich ist es wichtig, die Programme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus fortzuführen. Das ist angesichts der aktuellen Zahlen und
angesichts der Verfassungsschutzberichte ganz entscheidend. Ich finde es einfach unglaublich, dass an dieser
Stelle darüber diskutiert werden muss, ob wir die Programme demnächst nur noch als Programme gegen Extremismus bezeichnen dürfen oder weiterhin als Programme gegen Rechtsextremismus.
({25})
Dabei erhoffe ich mir vonseiten der SPD ein bisschen
Unterstützung, um ein klares Signal zu senden, um die
Länder und Kommunen sowie alle Menschen, die ganz
engagiert an diesem Thema arbeiten, nicht auf der Stelle
treten zu lassen und um das Thema Rechtsextremismus
da zu behandeln, wo es hingehört, nämlich in der Mitte
dieses Parlamentes.
({26})
Das Thema Jugend behandeln Sie im Grunde genommen überhaupt nicht. Es steht im Arbeitsprogramm der
Ministerin ganz hinten an. Im Haushalt sind keine notwendigen Initiativen für Bildung, Ausbildung, Chancenund Lebensperspektiven zu erkennen. Dabei bedeutet
Jugend Zukunft. Also: Wo sind die Vorschläge der großen Koalition zum Thema Perspektiven für Jugendliche?
Ich sehe keine. Ich fände es gut, wenn Sie mir welche
nennen würden.
Am Ende kann ich nur sagen: Dieser Haushaltsentwurf reduziert Ihre Politik auf nüchterne Zahlen und
Fakten und blendet freundliches Lächeln und großmütige Ankündigungen einfach aus.
({27})
Deshalb bleibt mir, festzustellen, dass Sie in einem so
wichtigen und entscheidenden Zukunftsfeld faktisch
noch nichts bewegen.
Vielen Dank.
({28})
Frau Kollegin Haßelmann, das war - sozusagen unter
Realbedingungen - Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir alle Ihnen ganz herzlich
und wünschen viel Erfolg.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer,
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die große Koalition hat die Familienpolitik
dorthin gerückt, wo sie hingehört: ins Zentrum der Politik. Der Haushalt 2006 ist keine Ankündigungsschrift,
sondern ein Kursbuch der Taten.
({0})
Der erste wichtige Beschluss dieser Koalition war, die
steuerliche Absetzbarkeit der Kosten für die Kinderbetreuung deutlich zu verbessern. Nun mag zwar der eine
oder andere sagen, das sei ein kleiner Schritt. Aber ich
glaube, viele Familien würden sagen: lieber kleine
Schritte als große Sprüche.
({1})
Ihnen, Frau Bundesministerin, gilt mein Dank. Sie haben die Besserstellung von Familien und Kindern in der
öffentlichen Wahrnehmung zum Toppthema gemacht
und das ist gut so.
({2})
Eine Haushaltsdebatte gibt Anlass, über den Tellerrand hinaus zu schauen und perspektivisch auch die
nächsten Jahre in den Blick zu nehmen. Wenn wir das
tun, macht uns - das klingt in allen Reden durch - die
demographische Entwicklung Sorgen. Familienpolitik
und Bevölkerungspolitik sind zwar nicht dasselbe. Aber
die Zahl der Kinder, die in unserem Land geboren werden, ist ein wichtiger Indikator dafür, ob sich die Familien hier wohl fühlen oder nicht.
Das, was sich hinter der demographischen Entwicklung verbirgt und durch die Verwendung dieses Begriffs
vielfach sogar noch verharmlosend schöngeredet wird,
ist an Dramatik nicht zu überbieten. Die Zahl der Familien in Deutschland geht immer weiter zurück. Wenn
nichts geschieht, sterben die Deutschen aus. Findige
Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass der letzte
Deutsche angeblich um das Jahr 2150 geboren wird.
Ob das zutreffen wird, wissen wir alle nicht. Aber eines ist klar: Wenn sich nichts ändert, wird der Letzte die
Tür offen lassen und das Licht nicht ausknipsen. Das ist
für hoch entwickelte Industriestaaten allerdings kein Naturgesetz. Denn ein Blick über unsere Grenzen zeigt,
dass die Bevölkerungszahl zum Beispiel in Frankreich in
den nächsten zehn Jahren nicht, wie es bei uns der Fall
ist, zurückgeht, sondern um 10 Prozent steigt. Das hat
auch damit zu tun, dass die Bedingungen für Familien
dort günstig sind.
Was kann die Politik tun, um die zutiefst persönliche,
private Entscheidung von Paaren, ob sie Kinder bekommen wollen oder nicht, zu beeinflussen? Welche Möglichkeiten und Grenzen gibt es? Ich denke, das Wichtigste und Schwierigste ist, dass wir einen Klimawechsel
und ein Umdenken herbeiführen müssen. Deutschland
ist in vielen Bereichen ein kinderentwöhntes Land geworden. Einige meinen sogar, in Einzelfällen mit der
Schaffung von kinderfreien Zonen in Thermalbädern
Werbung machen zu können.
Deshalb brauchen wir zuallererst eine breit gefächerte
Kampagne aller Gutwilligen in unserem Land. Deutschland soll ein Land der Kinderfreundlichkeit werden.
Kinder gehören dazu. Wenn sich Deutschland in einer
groß angelegten Imagekampagne wenige Wochen vor
Beginn der Fußballweltmeisterschaft als ein Land der
Ideen darstellt - das sicherlich nicht ohne Erfolg und
ohne Resonanz -, dann brauchen wir erst recht eine
Kampagne für mehr Kinderfreundlichkeit, um Deutschland als ein Land darzustellen, in dem Kinder erwünscht
sind und dazugehören.
Abgesehen von finanziellen Maßnahmen brauchen
wir aber noch etwas: ein Klima des Optimismus. Jemand, der der Überzeugung ist, dass die Zukunft risikoreich bzw. schlechter als die Gegenwart ist, wird sich
kaum für Kinder entscheiden. Wer dagegen meint, dass
sich die Situation verbessert, und Vertrauen gewinnt,
wird sich eher für Kinder entscheiden.
({3})
Durch lustvoll zelebrierte Dekadenz oder morbide
Untergangssehnsucht lässt sich keine Atmosphäre der
Zuversicht schaffen, wohl aber durch eine Politik, die
anpackt und es schafft, Kräfte zu wecken.
({4})
Die Menschen in Deutschland haben in den letzten
Jahrzehnten gezeigt, dass sie in der Lage sind, auch
schwierigste Situationen zu meistern. Der Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder, das Zusammenwachsen der
beiden Teile Deutschlands waren größte Herausforderungen. Das Ausland kann seine Bewunderung bei einer
solchen Bewältigung der Aufgaben nicht versagen. Wir
brauchen jetzt in Deutschland einen zweiten Marshallplan zugunsten von mehr Kinderfreundlichkeit und
neuer Zuversicht.
Die Politik muss aber auch ihre Grenzen erkennen
und darf keine falschen Versprechungen machen. Sie hat
kaum Einflussmöglichkeiten auf die zutiefst persönliche
Entscheidung von Paaren, die mit der Bindungsfähigkeit zusammenhängt. Viele haben durch ständigen beruflich bedingten Ortswechsel sowie die Verpflichtung,
praktisch universell in vielen Städten in Europa und rund
um die Uhr verfügbar sein zu müssen, schlichtweg kaum
mehr die Möglichkeit, Partnerschaften zu gründen.
({5})
Wir müssen dafür sorgen, soweit das die Politik kann,
dass Mobilität nicht zum Partnerschaftskiller wird.
({6})
Eine Bringschuld hat die Politik allerdings, wenn es
darum geht, die ökonomische Benachteiligung von Eltern abzubauen. Natürlich bedeuten Kinder zuallererst
Lebenssinn, Freude und Liebe.
({7})
Aber wenn in den Augen vieler Eltern Kinderlosigkeit
eher wirtschaftliche Vorteile bringt, dann führt das zu einer Resignation. Deshalb wollen wir die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf verbessern. Außerdem macht es
Sinn - damit nehme ich auf, was die Kollegin Kressl gesagt hat -, auf die rund 140 staatlichen Transferleistungen an die Familien einen genauen Blick zu werfen und
sie dahin gehend zu überprüfen, welche davon wirklich
effizient sind, welche eine Wirkung haben und welche
anders und neu bewertet werden müssen.
Nicht alle Kinder wachsen in intakten Verhältnissen
auf. Diesen Kindern muss unsere besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. In den letzten Wochen sind zum
Teil spektakuläre Fälle von schwerster Verwahrlosung
von Kindern bekannt geworden; die Ministerin hat das
angesprochen. Wir wollen keinen Generalverdacht gegenüber den Eltern aussprechen; denn es sind wirklich
nur wenige Fälle. Aber diese wenigen Fälle sind Grund
genug, um alles zu tun, damit sich so etwas nicht wiederholt. Wir werden nicht nur Diskussionen darüber führen,
sondern werden ein abgestimmtes Programm vorlegen,
wie wir, soweit es geht, diese Problemfälle rechtzeitig
erkennen und die Kinder schützen können.
({8})
Dazu zählt auch, ein besonderes Augenmerk darauf
zu richten, dass den Seelen der Kinder keine Verletzungen und Verwundungen zugefügt werden. Ich denke insbesondere an Medien, die die Kinder schon fast miterziehen, oder an so genannte Killerspiele. Es muss in
unserem Land möglich sein - und es wird, soweit unsere
Möglichkeiten in der Politik reichen, auch möglich
werden -, beispielsweise zu verhindern, dass Filme eine
zu niedrige Altersfreigabe erhalten. Es darf nicht passieren, dass Filme für Altersklassen freigegeben werden,
für die sie nicht geeignet sind. Das ist nach meinem Gefühl noch viel zu oft der Fall. Durch solche Filme werden die Seelen der Kinder und Jugendlichen verletzt und
verwundet. Die Verwundung ist dabei größer als der
Nutzen.
Zur nachhaltigen Kinderfreundlichkeit gibt es keine
Alternative.
({9})
Ein demographischer Schrumpfungsprozess durch
immer weniger Kinder begünstigt neue Konflikte und
Bruchlinien in unserem Land. Der Demographieexperte
Professor Birg beschreibt vier dieser Konfliktlinien.
Erstens: wachsender Verteilungsstress zwischen den Generationen. Zweitens: die Spaltung unseres Landes in
wachsende und schrumpfende Städte oder Bundesländer.
Drittens: das Auseinanderdriften von zugewanderten
Populationen und alteingesessener Bevölkerung. Viertens: die Spaltung der Gesellschaft in Teilgesellschaften
mit und ohne Nachkommen.
Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Huber, hat
vorgestern in einer Aufsehen erregenden Rede darauf
hingewiesen, dass die Gefahr droht, dass eine, wie er es
genannt hat, „kindsvergessene Gesellschaft“ maßgebliche Tugenden des Zusammenlebens wie Solidarität und
Rücksicht vergisst. Das können wir nicht zulassen. Deshalb wollen wir die Kinder und die Familien ins Zentrum der Politik stellen. Das bedeutet keinesfalls eine
Vernachlässigung der älteren Generation. Der prognostizierte Krieg der Generationen ist kompletter Unsinn. Wir
brauchen keinen Krieg, wir brauchen eine Solidarität der
Generationen.
({10})
Ein wichtiges Vorhaben ist das Projekt Mehrgenerationenhäuser, das die Ministerin vorgestellt hat. Familie
ist kein Auslauf-, sondern ein Zukunftsmodell. Es gibt
keinen Menschen in Deutschland, der nicht in eine Familie hineingeboren wurde. Es gibt niemanden, der sich
nicht eine intakte Familie wünschen würde. Deshalb
werden wir alle Signale für die Zukunft der Familie auf
Grün stellen.
({11})
Dies tun wir auch deshalb, weil ohne eine Zukunft mit
Kindern eine Zukunft im Alter irgendwann einmal immer schwieriger wird.
Vielen Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Otto Fricke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Mit Interesse habe ich
heute die Agenturmeldungen durchgesehen und festgestellt, dass Sie auch heute wieder etwas zum Kinderkriegen gesagt haben, nämlich dass die Rolle der Männer
eine entscheidende Mitursache für die niedrige Geburtenrate ist.
Ich gebe Ihnen Recht. Das bedeutet für eine Familienministerin dann aber doch, dass sie in dem neuen Haushalt, der ja angeblich anders als der vorherige Haushalt
sein soll, für diesen Bereich etwas tun muss.
({0})
Wir haben ein sehr gutes Berichterstattergespräch geführt, das durch den Kollegen Schmidt geleitet wurde.
Ich frage mich, wo ich die Ansätze in Ihrem Haushalt
finde. Damit das nicht falsch verstanden wird: Ich finde
Programme über Programme zu allem möglichen Wichtigen. Für die Frage, wie ich die Mentalität der Männer
verändere, finde ich aber nur relativ wenig.
({1})
- Zum Elterngeld komme ich gleich.
Es gibt ein Gutachten der Prognos AG mit dem Titel
„Väterfreundliche Maßnahmen in Unternehmen“, das
von Ihrer Vorgängerin in Auftrag gegeben wurde. Als einer der Kernsätze steht dort, dass man eigentlich nur etwas tun kann, was insgesamt familienfreundlich ist. Von
Frau Schmidt wurde damals wohl schon erkannt, dass
hier ansonsten Trippelschritte notwendig wären. Im Übrigen ist es die Mentalität. Es stellt sich die Frage, wie
wir in der Gesellschaft miteinander umgehen. Es geht
also darum, wie Männer mit Frauen umgehen und wie
sich Männer beim Thema Familie untereinander verhalten.
Herr Singhammer, wirtschaftliche Gründe sind nicht
maßgeblich. Ich gebe Ihnen Recht, dass die grundlegende Frage in unserer materialistischen Gesellschaft
leider immer noch lautet, wie viel das kostet. Wir wollen
aber doch erreichen, dass sich die Mentalität ändert und
dass die Menschen nicht fragen, wie viel sie die Kinder
kosten, sondern dass sie erkennen, wie viel die Kinder
ihnen bringen können. Das muss doch das Ziel sein.
In einem Interview der „Stuttgarter Zeitung“ haben
Sie gesagt, Frau Ministerin: Ich gebe zu, dass es auch
daran liegt, dass die Frauen den Männern nicht zutrauen,
eine gute Erziehungsleistung zu erbringen.
({2})
Ich muss eines sagen: Ich halte das für den komplett falschen Ansatz. Jungen Männern, die jetzt Familienverantwortung übernehmen, wird in dieser Gesellschaft viel zu
wenig zugetraut. Wir sind sehr viel weiter.
({3})
Als ich hier vor drei Jahren meine so genannte Jungfernrede gehalten habe, waren im Plenum weit mehr,
nämlich 80 bis 90 Prozent, Frauen anwesend. Die Kollegin Griese erinnert sich. Das hat sich geändert. Man
kann das sehr genau sehen. Ich sehe in allen Fraktionen,
wie sich junge Männer hier engagieren. Versuchen Sie
doch einmal, mehr an dieser Stelle anzusetzen und den
Frauen klar zu machen - da haben Sie im Moment ja einen starken Zugang -, dass sie von Männern mehr fordern können, weil man Männern auch mehr zutrauen
kann.
({4})
Es gab hier eine Diskussion über den Haushalt und
ich werde es noch einmal sagen, wenn wir zum Elterngeld kommen: Ich habe schon massenhaft Haushaltspläne gesehen, in denen alles mögliche Tolle stand, was
man in den nächsten Jahren tun wollte. Maßgeblich sind
immer nur die konkreten Zahlen, die für das aktuelle
Jahr im Haushalt stehen.
({5})
Bevor diese Zahlen im nächsten Jahr nicht im Haushalt
stehen, bin ich an dieser Stelle vorsichtig.
Damit auch das nicht missverstanden wird: Ich wünsche mir, dass wir beim Elterngeld etwas tun; denn es
ist ein wesentliches Kriterium, um die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu erreichen. Bezüglich der Lösung
bin ich allerdings gespannt, wie diese beiden Blöcke zueinander geführt werden können, ohne dass die Mitte zu
sehr zerquetscht wird.
Schauen wir uns die andere Seite an. Es war Minister
Steinbrück, der die Debatte über eine Absenkung des
Kindergeldes zur Finanzierung von Kindergärten losgetreten hat. Ob das richtig ist, will ich einmal hintanstellen. Aber eines ist wichtig: Es geht nicht um die Frage
von mehr oder weniger Kindergeld, sondern es geht um
die Frage von mehr oder weniger Geld für Kinder. Wir
wollen mehr Geld für Kinder. Das muss das Ziel von Familien- und Kinderpolitik sein.
({6})
Dass es dabei Probleme mit dem Steuerrecht gibt, will
ich gar nicht bestreiten. Aber ich will ganz ehrlich sagen:
Wir sind der Bundestag und wir sind diejenigen, die die
Gesetze machen. Wir sind diejenigen, die Anstrengungen unternehmen müssen, Lösungen dafür zu finden, um
Menschen, die ihre Kinder nicht richtig versorgen, ob
mental oder emotional, zu unterstützen. Dabei müssen
im Zweifel diejenigen, die mehr Geld haben, einen finanziellen Beitrag leisten.
({7})
Ich will noch ein Grundsatzproblem ansprechen.
Während der Haushaltsberatungen der letzten Tage - ich
habe hier wirklich viel Zeit verbracht - habe ich das
Wort sparen nicht gehört. Auch heute habe ich dieses
Wort in keinem der Redebeiträge von der Koalition vernommen, sondern immer nur den Begriff der knappen
Kassen. Wenn es neben den Haushältern, die in fast allen
Fraktionen nicht besonders beliebt sind, eine Gruppe
gibt, die zum Sparen anhalten und sich für die StreiOtto Fricke
chung von Subventionen einsetzen sollte, dann sind es
die Familienpolitiker; denn sie wissen, dass wir in
30 Jahren in die Augen unserer Kinder und Enkelkinder
sehen und ihnen erklären müssen, warum wir ihnen so
hohe Schulden hinterlassen haben.
({8})
Zum Thema Antidiskriminierungsstelle ist einiges
gesagt worden. Frau Haßelmann, es wird letztlich nichts
anderes als eine neue Behörde sein, wenn sich CDU/
CSU und SPD darauf einigen können, ob diese Stelle bei
der Justizministerin von der SPD oder der Familienministerin von der CDU angesiedelt wird. Ich sage Ihnen
ganz klar: Aus Sicht der FDP ist das völliger Mumpitz.
Wir haben so viele Beauftragte und Behörden in
Deutschland. Besser ist Folgendes: Welche Behörde,
zum Beispiel das BAZ, hat weniger zu tun und kann
diese Aufgabe übernehmen? Eine andere Überlegung ist:
Warum soll dieser Beauftragte zur Exekutive gehören?
Wäre es nicht besser - Stichwort Wehrbeauftragter -,
wenn dieser Beauftragte dem Bundestag zugeordnet ist?
Dann hätten wir als Politiker eine bessere Kontrolle über
das, was dort geschieht.
({9})
Ich komme zum Schluss. Frau Ministerin, in meiner
Heimatstadt Krefeld steht das Rathaus auf dem Von-derLeyen-Platz.
({10})
Auf diesem Platz hofft man, Kinder zu sehen. Dort finden Sie Jugendliche und Erwachsene. Aber was Sie auf
diesem Platz nicht wahrnehmen, ist Kinderlärm. Dabei
wäre Kinderlärm die richtige Zukunftsmusik. Diese allerdings ist in Ihrem Haushaltsplan gegenwärtig noch
nicht enthalten.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort erhält die Bundesministerin Ursula von der
Leyen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
wollte nur eine Kleinigkeit geraderücken. Sie haben
eben das Interview in der „Stuttgarter Zeitung“ angesprochen. Ich habe es jetzt nicht vorliegen, aber ich habe
in diesem Interview schlicht und einfach eine Allensbach-Umfrage zum Thema Väter angeführt. Das Ergebnis dieser Umfrage war, dass 55 Prozent der Frauen
Männer für grundsätzlich nicht fähig halten, Kinder zu
erziehen. In diesem Interview gebe ich auch wieder, was
ich davon halte, nämlich dass dies absurd ist.
Es ist eine Frage des Loslassens und des Zulassens,
dass der Partner gleichberechtigt Verantwortung übernimmt, und zwar nicht nur für das Einkommen, sondern
auch für die Erziehung der Kinder. Es geht also bei beiden Geschlechtern darum, Raum zu lassen.
Heute wissen wir, dass zwei Drittel der jungen Männer im Vater eher den Erzieher als den Ernährer sehen.
Vor 20 Jahren lag diese Zahl noch bei 50 Prozent. Heute
erklärt ein überwiegender Teil der jungen Männer, dass
ihr eigener Vater für sie kein Vorbild ist. Nur 17 Prozent
geben an, dass der eigene Vater so, wie er mit ihnen umgegangen ist, auch als ein „ferner Vater“ ein Vorbild ist.
Dieses Thema ist also gesamtgesellschaftlich in der Diskussion.
Ich wollte nur klarstellen, dass ich in diesem Interview ein Umfrageergebnis wiedergegeben habe. Meine
Meinung als Ministerin und als Person habe ich dazu
eben dargelegt.
Danke.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Helga Lopez, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau
Ministerin von der Leyen, die Familienpolitik hat deutlich an öffentlicher Bedeutung gewonnen. Das ist sicherlich auch gut. Ich vermute aber, dass der Grund für die
Wiederentdeckung des Themas leider nicht nur in der
Fortführung und Erweiterung der ehemals rot-grünen
Politik
({0})
wie der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten, dem künftigen Elterngeld, den frühen Hilfen
für Kinder und Eltern und den Mehrgenerationenhäusern
zu finden ist. Angesichts der Schlagzeilen in den letzten
Wochen kann man vielmehr - leider, muss ich sagen den Eindruck bekommen, dass hauptsächlich die Angst
vor den finanziellen Folgen der zunehmenden Kinderlosigkeit das Thema gesellschaftlich relevant macht. Es ist
jetzt nicht mehr nur ein Frauenthema; denn die rückläufige Geburtenquote rüttelt inzwischen an den Grundfesten unseres gesamten Gemeinwohls.
Ich will mich nicht an der allgemeinen Demographiehysterie beteiligen. Aber wir kommen nicht an der Tatsache vorbei, dass die Geburtenrate in Deutschland sehr
niedrig ist. Es gibt sicherlich viele Gründe, warum sich
Familien entscheiden, keine oder nur wenige Kinder zu
bekommen. Ich will nicht alle Gründe aufzählen, aber
- das ist auch für die Ausgestaltung dessen, was wir auf
den Weg bringen, von Bedeutung - es ist sicherlich verfehlt, Kinder nur unter einem ökonomischen Blickwinkel, zum Beispiel als Absicherungsmaßnahme für unser
Rentensystem, zu betrachten.
Nur die Einsicht, dass Kinder unser Leben und unsere
Gesellschaft ideell bereichern und sich sinnstiftend auf
unser Leben auswirken, kann die Geburtenrate nachhaltig erhöhen. Das setzt voraus, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Umgekehrt ausgedrückt wird eine Gesellschaft, die den Wert der Kinder erkennt, beste
Rahmenbedingungen für sie schaffen, damit jedes einzelne Kind, egal welcher Herkunft, zu einem freien und
selbstbewussten Menschen heranwachsen kann.
({1})
Die rot-grüne Vorgängerregierung hat sehr viel auf
den Weg gebracht, um gute Rahmenbedingungen zu
schaffen. Ich nenne als Beispiele nur das Tagesbetreuungsausbaugesetz und das Ganztagsschulprogramm.
Rot-Grün hat es geschafft, dass sich der Dreiklang Infrastruktur, Zeit und Geld als nachhaltige Familienpolitik in
Deutschland etabliert hat, die die große Koalition jetzt
fortführt.
({2})
Die bereits vorhandenen Rahmenbedingungen werden
aber sehr unterschiedlich genutzt. Es gibt Regionen wie
meinen Wahlkreis Lahn-Dill, die sehr aktiv sind; andere
Regionen unternehmen bis heute nur unzureichende Anstrengungen.
Neben dem notwendigen Ausbau der Betreuungseinrichtungen dürfen wir auch nicht die Qualität der Betreuung aus den Augen verlieren. In diesem Zusammenhang
empfehle ich, den Blick auf die verschiedenen Ländervorgaben für die Gruppenstärken und deren Mindestausstattung zu richten. Daraus lassen sich viele Schlüsse
hinsichtlich der großen Qualitätsunterschiede ziehen.
Eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung
halte ich für ein Muss; denn damit schaffen wir gute Bedingungen für Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft oder
aus ihrem Lebenszusammenhang heraus weniger Bildungschancen haben. Nur so kann der Teufelskreislauf,
dass Armut mit unzureichender Bildung einhergeht, was
später wieder zu Armut und Arbeitslosigkeit führt, unterbrochen werden. Das ist angesichts der Tatsache, dass
rund 1,5 Millionen Kinder auf oder unter Hartz-IVNiveau leben, auch bitter notwendig.
({3})
In den letzten Wochen gab es immer wieder Diskussionen um kostenlose Kindergartenplätze. Dies ist
eine ureigene Forderung der SPD, die wir mittelfristig
mit den Ländern umsetzen wollen.
({4})
Es darf uns aber nicht nur um reine Betreuungsangebote,
sondern es muss uns auch um frühkindliche Bildungsangebote gehen; denn Bildung beginnt, wie schon gesagt,
im Kindergarten und Bildung sollte in der Tat für alle
Menschen kostenfrei sein.
({5})
Eine weitere Bemerkung dazu: Eine Kürzung des
Kindergeldes in diesem Zusammenhang lehne ich ab;
denn sie wäre sozial unausgewogen. Sie ginge eindeutig
zulasten von Familien mit niedrigerem Einkommen. Das
kann doch nicht Ziel einer sozial gerechten Familienpolitik sein. Wenn wir uns einig sind, dass wir mehr für Familien mit Kindern tun wollen, dann kann es hier nicht
um Umschichtungen, sondern nur um zusätzliche Mittel
gehen. Als Stichwort will auch ich, Frau Haßelmann, das
Ehegattensplitting nennen. Zugegeben, es ist für nicht
wenige eine heilige Kuh. Aber wer oder was soll denn
eigentlich finanziell entlastet werden: die Ehe als Institution oder die Familie mit Kindern, die eine deutliche finanzielle Mehrbelastung zu tragen hat?
({6})
Ich bin sicher, dass die von Rot-Grün begonnene neue
Familienpolitik, die nun von der großen Koalition in verstärktem Maße fortgesetzt wird, in Deutschland sehr
gute Rahmenbedingungen für Familien mit Kindern
schafft. Dann klappt es vielleicht wieder mit dem Kinderkriegen.
({7})
Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen
Hauses ganz herzlich.
({0})
Das Wort hat jetzt Diana Golze, Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! „Kinder
kriegen mehr …!“ So lautet ein bekannter Slogan aus
dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend. Ich möchte hier überprüfen, ob dies mehr
als nur einer der vielen schönen Sätze ist, die wir von unserer Familienministerin regelmäßig hören. Aus Sicht
der Linken müssten dann im Bundeshaushalt die zentralen kinder- und jugendpolitischen Herausforderungen der Gegenwart aufgegriffen werden.
({0})
Ich nenne Ihnen hier nur drei. Erstens. Auch wenn es
wirtshaftnahe Experten wegreden wollen, für viele Kinder und Jugendliche bleibt Armut im Jahr 2006 bittere
Realität. Wo wie in der Uckermark jedes dritte Kind auf
Sozialhilfeniveau lebt, sind die Fundamente unseres Gemeinwesens in Gefahr.
Zweitens. Die Defizite bei der öffentlichen Kinderbetreuung in Deutschland sind mehr als einmal beklagt
worden. Qualität und Quantität sind dringend verbesserungsbedürftig. Es mangelt nicht am Engagement von
Eltern und Fachkräften. Es wird auch hier nicht ohne ein
verstärktes finanzielles Engagement von Bund, Ländern
und Kommunen gehen.
({1})
Drittens. Die Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland befindet sich in einer Krise. Auch hier mangelt es
nicht am Engagement von Ehrenamtlichen und Freiwilligen. Es mangelt aber am Willen zur Förderung. Diese ist
nicht zuletzt im Kinder- und Jugendhilferecht verankert.
Aber darüber, ob Sie solche bundesweiten Standards
überhaupt noch wollen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, haben Sie im Rahmen der Föderalismusreform zu entscheiden.
({2})
Fakt ist, dass seit dem Jahr 2000 die Mittel für Maßnahmen in der Kinder- und Jugendarbeit um 17 Prozent
gekürzt wurden. Außerdem fehlt die Perspektive. Nur
mit Feuerwehrprogrammen ist keine gute Jugendarbeit
zu machen.
({3})
Im Rahmen des Bundeshaushalts verfügt man über einige Instrumente zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Aber das kinder- und jugendpolitische Denkmodell der Koalition lässt sich auf den absurden Nenner
bringen: Kinder kriegen mehr, aber sie sollen es selbst
bezahlen.
({4})
Nicht anders ist es zu verstehen, wenn zum Beispiel zur
Finanzierung von beitragsfreier Kinderbetreuung eine
Kürzung des Kindergeldes vorgeschlagen wird.
({5})
Der Kinder- und Jugendpolitik mangelt es nicht an
guten Ideen, sondern an Geld zu deren Umsetzung. Gerade aus dieser Sicht lässt der Haushalt 2006 zu viele
Fragen offen. Lassen Sie mich Folgendes beispielhaft
aufzählen: Erstens. Den Kinderzuschlag wollten Sie,
verehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
laut Koalitionsvertrag mit Wirkung ab dem Jahr 2006
weiterentwickeln, um die Kinderarmut zu reduzieren.
Der Kreis der Anspruchsberechtigten sollte erhöht werden. Das ist ein begrüßenswertes Vorhaben, wenn es
denn richtig ausgeführt wird. Wir finden im Haushalt
aber einen reduzierten Ansatz für den Kinderzuschlag.
Nun werden Sie mir sicherlich sagen, das habe mit der
Zahl der bewilligten Anträge zu tun. Aber wäre es dann
nicht sinnvoller gewesen, zuerst die Regelungen zu verbessern, deretwegen 80 bis 90 Prozent der Anträge abgelehnt werden? Sie kürzen stattdessen erst einmal den Ansatz.
Die Kinderarmut ist nicht zuletzt durch Hartz IV
deutlich gestiegen. Die Vorstellung, dass Sie, wie bislang geplant, die Weiterentwicklung des Kinderzuschlags im Rahmen des SGB-II-Optimierungsgesetzes
regeln wollen, macht den Betroffenen und auch mir
Angst. Laut Herrn Müntefering soll der Kinderzuschlag
ab 2008 die Riesterrente attraktiver machen. Ich bin gespannt, was Sie nun wirklich wollen.
({6})
- Dann fragen Sie Herrn Müntefering, warum er das in
diesem Zusammenhang bringt.
Die Kinderarmut steigt, der Kinderzuschlag sinkt.
Das ist die schwarz-rote Haushaltslogik.
({7})
Verehrte Damen und Herren, wir unterstützen Ihr Vorhaben, den Kinderzuschlag weiterzuentwickeln und den
Kreis der Anspruchberechtigten auszuweiten, zum Beispiel auf Empfängerinnen und Empfänger von ALG II.
Ich kündige Ihnen schon jetzt eine parlamentarische Initiative dazu an. Ich hoffe, Sie stimmen dann nicht gegen
Ihren eigenen Koalitionsvertrag.
({8})
Zweitens. Die Abschaffung der Elternbeiträge für
Kindertagesstätten steht zwar nicht im Koalitionsvertrag, dafür aber endlich auf der politischen Agenda.
Während die Regierungskoalition sich ohne große Diskussionen entschieden hat, wohlhabenden Haushalten
durch die steuerliche Förderung von Kinderbetreuung
Hunderte von Millionen Euro zu schenken, ist sie in dieser Frage zögerlich: Nirgendwo im Haushaltsplan findet
sich ein Ansatz zur Realisierung dieses ambitionierten
Vorhabens. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf: Setzen Sie ein Zeichen für Kinder! Gebührenfreie Kindergartenplätze sind wichtiger als das, was
dieses Land für Waffen ausgibt und was es sich an Steuernachlässen für Reiche leistet.
({9})
Drittens. Der Kinder- und Jugendplan des Bundes
ist dieses Jahr - informierte Beobachterinnen und Beobachter reiben sich die Augen! - nicht nur vor Kürzungen
sicher, er wird sogar leicht, auf nunmehr 105 Millionen
Euro, erhöht. Das sind - nur damit Sie sich daran erinnern - zwar immer noch 15 Millionen Euro weniger als
im Jahr 2004. Aber es war Schlimmeres zu erwarten von
einer Regierung, deren Finanzminister die Koch/
Steinbrück-Liste mit zu verantworten hat, auf der der
Kinder- und Jugendplan stand und gemäß der er nach
dem Rasenmäherprinzip gekürzt werden sollte.
({10})
- Den brauchen Sie an dieser Stelle nicht anzurufen.
({11})
Hier erkennen die Akteure der Kinder- und Jugendarbeit genauso wie ich einen Fortschritt an. Hoffentlich
nehmen sich Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Ländern daran ein Beispiel und sichern die Kinder- und Jugendarbeit als Investition in die Zukunft auch in Zeiten
knapper Haushalte nachhaltig.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
({0})
Wo wir gerade bei Nachhaltigkeit sind -
Nein, Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist wirklich zu
Ende.
Der Kollege von meiner Fraktion hat eine Minute eingespart; ich dachte, ich könnte diese Minute ausnutzen.
Ich bekomme Ihre Redezeit angezeigt. Sie ist deutlich
zu Ende. Sie müssen zum Ende kommen.
Dann sage ich nur noch einen Satz: Ich freue mich,
dass die Programme gegen Rechtextremismus in diesem
Jahr ungekürzt bleiben sollen. Für 2007 steht in der mittelfristigen Planung allerdings etwas anderes. Ich hoffe,
daran ändert sich noch etwas, Frau Ministerin.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ole Schröder, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Nur einen Satz zur PDS:
({0})
Es ist schon sehr unglaubwürdig, wenn Sie uns hier Vorhaltungen machen, was auf Bundesebene mehr für Kinder und Jugendliche getan werden kann, wo wir doch
heute hören, dass eine Schule in Berlin-Neukölln sich
nicht mehr zu helfen weiß: In ihr sind die Zustände für
die Schülerinnen und Schüler so unhaltbar, dass das Lehrerkollegium den rot-roten Senat mit einem einstimmigen Beschluss aufgefordert hat, diese Schule zu schließen.
({1})
Diese Zustände werden vom rot-roten Senat geduldet!
Ich glaube, Sie sollten zuerst dort Ihre Hausaufgaben
machen, bevor Sie hier solche Reden halten, Frau Kollegin!
({2})
Aber es ist positiv, dass wir auf Bundesebene unsere
Hausaufgaben machen: Noch nie stand die Familienpolitik so im Mittelpunkt der Diskussion wie bei dieser großen Koalition. Frau Ministerin von der Leyen, das ist Ihr
Verdienst, Sie haben es geschafft, die Familienpolitik
von einem randständigen Thema in den Mittelpunkt der
Diskussion zu rücken, und Sie haben wichtige Impulse
für die Familienpolitik gesetzt: bei der Kinderbetreuung und beim Elterngeld.
({3})
Im Mittelpunkt der Familienpolitik steht die Herausforderung der demographischen Entwicklung. Die
Familienpolitik muss Rahmenbedingungen schaffen, dass
Paare ihren Kinderwunsch in die Realität umsetzen können. Zweitens - das ist von entscheidender Bedeutung müssen wir das Altern der Gesellschaft annehmen. Auch
dafür muss die Politik Rahmenbedingungen setzen;
({4})
das kommt mir in der Diskussion viel zu kurz.
Lassen Sie mich zunächst etwas zum ersten Punkt sagen, zur Familienpolitik. Wenn man die Höhe unserer
Ausgaben für die Familienpolitik mit der anderer Länder
vergleicht, liegen wir international in der Spitzengruppe.
Aber was erreichen wir damit? Bei der Geburtenrate stehen wir ganz weit unten, mit an letzter Stelle. Fast
2 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland leben von Sozialhilfe. Immer mehr Fälle von häuslicher
Verwahrlosung werden öffentlich bekannt und die Bildungschancen der Kinder hängen in Deutschland - das
müssen wir zur Kenntnis nehmen - im Wesentlichen von
ihrer sozialen Herkunft ab. Hier gilt es, gegenzusteuern
und die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel zu erhöhen.
({5})
Es reicht eben nicht aus, immer nur an Stellschrauben zu
drehen.
Angesichts der vielen familienpolitischen Maßnahmen blickt jedenfalls der Normalbürger nicht mehr
durch. Die normale Familie weiß nicht, was auf sie zukommt, wenn sie sich für Kinder entscheidet. Dadurch
geht der letzte finanzielle Anreiz, mehr Kinder in die
Welt zu setzen, verloren. Beim Jugendamt bekommt die
junge Familie Erziehungsgeld bzw. Elterngeld, bei der
Agentur für Arbeit Kindergeld und den Kinderzuschlag.
Vom Sozialamt bekommt man Sozialhilfe. Beim Finanzamt kann man Kinderbetreuungskosten geltend machen
und Steuerfreibeträge nutzen. Wenn man noch kinderbezogene Leistungen nach dem SGB II - siehe Unterhaltsvorschuss - bekommen will, landet man beim Jugendamt usw. usw. Teilweise werden die Leistungen noch
gegeneinander aufgerechnet. Unterschiedlichste Einkommensbegriffe und Einkommensgrenzen werden angewendet.
({6})
Es gibt eine Vielzahl von familienpolitischen Maßnahmen.
({7})
Als Mitglied des Haushaltsausschusses kommt es mir
darauf an, dass das Geld für diese Maßnahmen effizienter als bisher eingesetzt wird.
({8})
Wenn wir mehr Kinder in unserem Land haben wollen,
dann muss dieses Geld den Eltern und den Kindern zugute kommen und nicht in der Bürokratie versickern.
({9})
Daher bringt es auch nichts, darüber zu diskutieren, ob
der Staat 1 Euro weniger Kindergeld zahlen soll, um so
mehr Geld für Kinderbetreuung ausgeben zu können.
Nebenbei bemerkt: Dass ein Kindergartenplatz kostenlos ist, bedeutet nicht - so schön das auch ist -, dass
auch nur ein einziger Kindergartenplatz zusätzlich geschaffen wird. Die Diskussion über kostenlose Kindergartenplätze sollten wir daher nachgelagert führen.
Entscheidend ist, dass wir die Transferleistungen für
die Familien organisatorisch bündeln. Das haben wir
auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Ziel ist es,
eine Familienkasse zu entwickeln, in der die familienpolitischen Leistungen zusammengefasst sind.
Ich möchte zum Ausgangspunkt zurückkommen.
Selbst wenn wir es schaffen, dafür zu sorgen, dass
- auch kurzfristig - mehr Kinder geboren werden, wird
sich das Ergebnis natürlich erst in ungefähr 25 Jahren
auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Lassen Sie
uns daher auch die Herausforderungen der alternden Gesellschaft annehmen! Lassen Sie uns hierfür Rahmenbedingungen schaffen! Ich bin froh, dass Ministerin von
der Leyen diesen wichtigen Punkt offensiv angeht.
({10})
Bei den Beratungen werden wir noch über einige
Punkte reden, insbesondere was die Personalausgaben,
was die Auswanderungsberatung und was die Integrationskosten angeht. Das Volumen des Einzelplans „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ konnte etwa auf
dem Niveau des Vorjahres gehalten werden. Ich denke,
das ist positiv. Einsparpotenziale konnten realisiert werden, um mehr für Familien und für Kinder zu tun.
Herr Kollege, auch Sie muss ich an die Zeit erinnern.
Von diesem Entwurf geht ganz klar das Signal aus,
Frau Präsidentin, dass wir in die Zukunft, dass wir in die
Familien investieren. Entscheidend ist jetzt, dass wir das
noch effizienter, noch zielgerichteter tun als bisher.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Spanier, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Einbringung des Haushalts ist immer eine Gelegenheit, über den jeweiligen
Politikbereich grundsätzlich miteinander zu diskutieren.
Das gilt auch für meine heutige Rede.
Alle Redner haben zu Recht darauf hingewiesen, dass
sich unsere Politik - das gilt nicht nur für unseren Bereich, sondern für alle Ressorts - nach der demographischen Entwicklung ausrichten muss. Frau Kressl hat
richtigerweise gesagt: Es geht um die Rahmenbedingungen für alle Generationen. „Für alle Generationen“, das
ist entscheidend.
({0})
Darüber wird nicht nur in unserem Bereich diskutiert
und entschieden, sondern auch in anderen Ressorts. Dort
geschieht dies vielleicht noch nachhaltiger, noch nachdrücklicher als bei uns. Ich erinnere nur an die Problematik der materiellen Sicherung im Alter. Frau Ministerin, das ist keine Aufgabe Ihres Hauses, sondern eine
Gesamtaufgabe des Parlaments. Die ministerielle Verantwortung dafür ist in einem anderen Ressorts verankert.
Ich will den Fokus heute auf die Älteren richten.
Nachdem wir gerade einiges über die Befindlichkeit junger Väter gehört haben, erwarten Sie nun keine Enthüllungen über die Grundbefindlichkeit eines 63-Jährigen.
Es ist schon wichtig, dass sich in unserer Gesellschaft
auch in diesem Bereich so etwas wie ein Paradigmenwechsel vollzieht, dass Ältere nicht mehr nur, wie in
manchen oberflächlichen Diskussionen im Zusammenhang mit der Rente, als eine Art Kostgänger betrachtet
werden. Mittlerweile ist verankert, dass der Beitrag der
Älteren für die Wirtschaft, für die Gesellschaft und für
die Familie unverzichtbar ist.
({1})
Der Fünfte Altenbericht - in dem Zusammenhang
werden wir demnächst ausführlicher über diese Thematik miteinander sprechen können - hat den treffenden Titel: „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“. Diese Potenziale gilt es zu initiieren und zu
stärken. Das ist eine der Hauptaufgaben unseres Ministeriums.
Es geht darum, den Bereich Seniorenwirtschaft weiterzuentwickeln und Erfahrungswissen wieder stärker in
das Wirtschaftsleben einzubeziehen. Es geht zum Beispiel auch um das Programm unseres Bundesarbeitsministers Initiative „50 plus“. Das muss man in diesem
Zusammenhang sehen. Es ist natürlich ein Skandal, dass
60 Prozent der Betriebe in Deutschland keine Mitarbeiterin und keinen Mitarbeiter über 50 Jahre haben.
({2})
Es geht auch um die Einbindung der Älteren in das
bürgerschaftliche Engagement. Hierbei ist die ältere Generation schlicht und einfach unverzichtbar. Die Zahlen
des letzten Freiwilligensurveys sind schon bemerkenswert: 40 Prozent der 55- bis 64-Jährigen und 26 Prozent
der über 60-Jährigen sind ehrenamtlich engagiert. In diesen Altersgruppen ist die Steigerungsrate besonders
hoch. Es ist wichtig und richtig, dass wir die generationenübergreifenden Freiwilligendienste hier besonders
im Auge haben.
({3})
Weil uns die Qualität der Pflege und demnächst sicherlich auch die finanzielle Absicherung der Pflege intensiv beschäftigen werden, ist es richtig, dass in Ihrem
Haus, Frau Ministerin, nach wie vor wichtige Projekte
im Zusammenhang mit der Altenpflegeausbildung und
mit dem Umgang mit Demenz angestoßen werden. Auf
ein Projekt möchte ich besonders hinweisen: „Charta der
Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“. Das ist
zwar sprachlich ein Ungetüm - verzeihen Sie es dem
ehemaligen Deutschlehrer! -, aber die Sache ist wichtig,
gerade in einer Zeit, wo es aus Kostengründen nach wie
vor Zwangseinweisungen in Pflegeheime - gegen den
Willen der Betroffenen - gibt, zum Beispiel in Ihrer
Stadt, Frau Haßelmann; dafür sind Sie nicht verantwortlich, aber es ist, denke ich, ein Skandal.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch ein
paar offene Worte zum Thema Heimrecht sagen. Das gehört hier mit hinein. Ich würde mir sehr wünschen - ich
weiß, dass viele von Ihnen genauso denken -, dass wir
die Bundeskompetenz beim Heimrecht erhalten.
({4})
Dafür gibt es auch rechtliche Argumente; die fachpolitische Argumentation steht dabei nicht so sehr im Vordergrund. Das SGB XI und das Heimgesetz sind miteinander verknüpft. Das sollte man nicht auseinander reißen,
indem man unterschiedliche Zuständigkeiten begründet.
Der Heimvertrag wird im Rahmen des bürgerlichen
Rechts, also im Rahmen der Bundeszuständigkeit, geregelt. Darüber, dass Verbraucherschutz - auch darum
geht es in diesem Zusammenhang - bundeseinheitlich
geregelt werden soll, sind wir uns, denke ich, einig. Das
wird mit den Verfassungsrechtlern in allen Fraktionen
nicht so ganz einfach sein, aber ich bin froh, dass wir im
Rahmen der Anhörung ausführlich darüber reden werden.
({5})
Wir haben zwei neue Projekte. Ein Projekt ist das
Mehrgenerationenhaus. Dazu ist hier schon eine
Menge gesagt worden. In meinem Wahlkreis gibt es übrigens ein großes Interesse daran. Es geht allerdings
nicht darum, den Mythos der Großfamilie - sozialwissenschaftlich betrachtet ist das nämlich nur ein Mythos wieder zu beleben, sondern darum, den Kontakt der Generationen zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dass dafür wieder Bewusstsein geschaffen wird, ist unbestritten
richtig.
({6})
Das Thema „Wohnen im Alter“ ist natürlich von entscheidender Bedeutung. Deswegen finde ich es richtig,
dass wir mit dem Programm „Neues Wohnen“ veränderten Bedürfnissen in der Gesellschaft Rechnung tragen, nämlich dem Bedürfnis nach neuen Wohnformen
im Alter, nach gemeinschaftlichen Wohnformen, nach
generationenübergreifendem Wohnen. Dazu wollen wir
Hilfestellung und Anreize für Initiativen geben. Ich bin
froh darüber, dass parallel im Ministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung ein ähnliches Programm aufgelegt ist: „Lebenswerte Stadtquartiere für Jung und
Alt“.
Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr!
Verehrte Frau Präsidentin, mein letzter Satz. - Es gibt
diesen Dreiklang, diesen Zusammenhang von Stadtentwicklung, Wohnen und Pflege. Den müssen wir im Auge
behalten.
Es mag an der einen oder anderen Stelle im Haushalt
Kürzungen geben, aber die konkreten Impulse, die hier
gesetzt worden sind,
Jetzt reden Sie auf Kosten der Zeit Ihrer Kollegin.
- weisen, glaube ich, in die richtige Richtung.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Christel Humme, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Nach der heutigen Debatte kann ich sagen: Mit dem
Haushaltsplan zur Familienpolitik bin ich sehr zufrieden.
Frau Haßelmann, ich kann Ihre Meinung überhaupt nicht
teilen, dass unser Haushalt konzeptionslos sei; denn das
würde bedeuten, dass die Familienpolitik, die Rot-Grün
gemeinsam eingeleitet hat, schon in der letzten Legislaturperiode konzeptionslos war. Ich glaube, das würden
Sie nicht behaupten wollen.
({0})
Nach wie vor stehen - das haben wir heute schon in
mehreren Reden gehört - zwei Schwerpunkte im Zentrum unserer Politik: Chancengleichheit in der Bildung
von Anfang an und die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Ich bin sehr froh, dass wir diese Zukunftsthemen,
die wir bereits 1998 auf den Weg gebracht haben, weiterführen, auch jetzt in der großen Koalition. Dafür danke
ich Ihnen ganz besonders, Frau von der Leyen;
({1})
wissen wir doch, dass wir damit der heute jungen Generation die richtigen Zukunftsperspektiven geben. Wir gehen diesen Weg trotz angespannter Haushaltslage.
In einem Zeitungsinterview haben sich in der letzten
Woche fünf Berliner zu ihren Lebenswünschen geäußert.
Die beiden befragten Mädchen wollten - wen wundert
es - natürlich Familie und Beruf, wie 88 Prozent aller
jungen Männer und Frauen. Um ihnen das später zu ermöglichen, schichten wir jetzt Haushaltsmittel um und
schaffen neue Rahmenbedingungen mit Investitionen in
die Zukunft.
Frau Lenke, dazu gehört nach wie vor unser Tagesbetreuungsausbaugesetz.
({2})
Sie wissen ganz genau: Die Kommunen - das ist anerkannt - werden um 2,5 Milliarden Euro entlastet. Das
weiß jeder. 1,5 Milliarden Euro stehen für die Betreuung
der unter Dreijährigen und 4 Milliarden Euro für den
Ausbau der Ganztagsschulen zur Verfügung. Ich denke,
das ist ein wichtiger Erfolg.
({3})
Aber ich sage an dieser Stelle auch: Ich würde es sehr
bedauern, wenn eine solche sinnvolle Unterstützung
durch den Bund nach der Föderalismusreform nicht
mehr möglich sein sollte. Es war gut, dass wir uns hier
eingebracht haben; denn ohne den Impuls aus dem Bund
hätte sich in den Kommunen und Ländern in puncto
mehr Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder sowohl qualitativ als auch quantitativ nicht sehr viel bewegt. Das ist Fakt und wir sind stolz auf die Entwicklung.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Ich kenne die Frage zwar schon, aber sie soll sie noch
einmal stellen.
({0})
Sehr verehrte Kollegin, ich frage Sie, ob Sie die Passage der Regierungserklärung Ihrer Bundeskanzlerin
vom 30. November letzten Jahres kennen, in der es
heißt:
Bis 2010 sollen 230 000 zusätzliche Betreuungsplätze vor allem für Kleinkinder entstehen.
Jetzt kommt es:
Die zugesagten Mittel allerdings - das betone ich müssen den Kommunen real zur Verfügung gestellt
werden, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
Nach der Föderalismusreform wird das noch wichtiger.
Ich frage Sie, ob Sie jetzt immer noch mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz kommen
({0})
oder ob Sie das Versprechen der Bundeskanzlerin auch
als SPD-Bundestagsabgeordnete einhalten wollen.
Genau darum geht es, Frau Lenke. Das, was dort gesagt wurde, ist im letzten Jahr realisiert worden, als zugesichert wurde, dass den Kommunen 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden durch die Entlastung durch Hartz IV.
({0})
Das ist Fakt. Das können Sie anzweifeln, soviel Sie wollen. Aber Sie müssen auch einmal Realitäten zur Kenntnis nehmen und dürfen nicht immer nur Ihre Gedanken
zum Leitbild der Welt machen.
({1})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, neben den Rahmenbedingungen - wir haben in verschiedenen Reden
gehört, wie wichtig sie sind - bleibt es natürlich auch dabei, dass Familien finanzielle Unterstützung brauchen.
Es ist bekannt, dass wir seit der Steuerreform 2001
38 Prozent mehr Kindergeld als zuvor zahlen, Geld, das
vor allem - das war uns seinerzeit wichtig - Eltern mit
geringem und mittlerem Einkommen zur Verfügung
steht. Ich sage in die linke Richtung: Wir wollen keine
Kürzung des Kindergeldes, Frau Golze. Das ist sicherlich eine Fehlinterpretation.
({2})
Aber die aktuelle Debatte über weniger Kindergeld
für Gebührenfreiheit der Kinderbetreuung trägt leider
zur Verwirrung bei. Das gebe ich zu. Aber richtig daran
ist: Frühkindliche Bildung muss gebührenfrei sein. Das
ist unser langfristiges Ziel; daran geht kein Weg vorbei.
({3})
Richtig ist auch: Wir gehören im internationalen Vergleich zu den Spitzenreitern bei der Zahlung von Familienleistungen. Wir müssen genauer hinschauen, ob das
viele Geld gut angelegt ist. Darum geht es letztlich. Wir
müssen uns fragen, ob dieses Geld so angelegt ist, dass
wir damit tatsächlich die Chancengleichheit in der Bildung verbessern, und ob dieses Geld Männern und
Frauen wirksam hilft, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können.
({4})
Das zu hinterfragen, ist nicht nur legitim, sondern unbedingt notwendig, und zwar über die heutige Haushaltsdebatte hinaus. Wir wollen nämlich den Standard unserer europäischen Nachbarn erreichen. Das heißt, wir
wollen alle Kinder von Anfang an optimal fördern. Das
ist - Herr Wunderlich, Sie haben das Stichwort genannt - wahre Armutsbekämpfung. Wir wollen eine
hohe Erwerbsbeteiligung bei den Frauen und mehr Kinder.
Gerade bei diesem Thema hilft es, einen Blick über
unseren eigenen Tellerrand zu werfen. So erkennt man,
dass die demographische Entwicklung kein rein deutsches Problem ist und dass andere Länder den demographischen Wandel besser bewältigen. Sie schaffen es besser, weil sie den Familien bessere Rahmenbedingungen
bieten. Unsere europäischen Nachbarn - da beißt die
Maus keinen Faden ab - sind uns nach wie vor 30 Jahre
voraus.
Wir müssen - daran geht kein Weg vorbei - bei der
Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
für Männer und Frauen Tempo machen. Herr Fricke, das
Elterngeld ist ein weiterer Baustein, der dazu beiträgt,
dieses Ziel zu erreichen.
({5})
Diese Lohnersatzleistung wird das Familieneinkommen
sichern.
Mit der Regelung zu den zwei Partnermonaten beim
Elterngeld fordern wir die Väter heraus. Wir stellen sie
nicht in eine Ecke und behaupten, sie seien nicht fähig,
zu erziehen. Im Gegenteil: Wir fordern sie heraus, ihren
Wunsch, Familienarbeit zu leisten, im Betrieb zu artikulieren. Auch darum sollte es gehen. Herr Fricke, seien
Sie demnächst mutig. Sagen Sie, dass Sie die Elternzeit
in Anspruch nehmen wollen, oder ermutigen Sie die
Männerwelt dazu. So bewegen wir etwas in der Männerwelt, aber auch hinsichtlich gleicher Chancen in Bewerbungsgesprächen.
Frauen werden dadurch in Zukunft nicht mehr zurückgesetzt. Vielmehr ist dann die Elternzeit für Männer
und Frauen ein Thema. Ich glaube - ich finde das vollkommen richtig -, dadurch wird eine neue Entwicklung
bei Bewerbungsgesprächen in den Betrieben ausgelöst.
Gleichzeitig findet die Debatte über mehr Zeit für die
Familie Eingang in die Arbeitswelt. Es ist höchste Zeit,
dass es dazu kommt. Es wäre wünschenswert, wenn wir
uns dabei einig wären und die FDP mitziehen würde.
({6})
Die Einführung einer neuen Teilzeitregelung in der
vorletzten Legislaturperiode war eine wichtige Weichenstellung. Wir brauchen ein Recht auf Teilzeit und eine
flexible Elternzeit. Beides hat dazu geführt, dass sich der
Anteil der Väter, die die Elternzeit in Anspruch nehmen,
verdreifacht hat. Dass der Anteil der Männer nur
5 Prozent beträgt, ist jedoch bei weitem nicht zufriedenstellend. Das Elterngeld wird sicherlich zu Veränderungen führen. Zusätzlich brauchen wir aber - davon bin ich
fest überzeugt - ein verändertes Rollendenken sowohl in
der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft.
Bischof Huber brachte es vorgestern in seiner Rede
auf den Punkt. Er sprach von mehr Verantwortung für
Väter, mehr Freiheit für Mütter. Die Freiheit für die Mütter bedeutet jedoch nichts, wenn damit nicht gleichzeitig
die Gleichstellung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz verbunden ist.
Es ist zu begrüßen, dass wir im Haushalt Mittel für
eine Antidiskriminierungsstelle bzw. Gleichstellungsstelle vorgesehen haben. Auch die große Koalition muss
das Ziel haben, sich auf ein Antidiskriminierungsgesetz
- ein Gesetz, das vor allem von den Frauen erwartet
wird - zu einigen. Es darf nicht daran scheitern, dass einige meinen, bestimmte Gruppen seien mehr, andere weniger schützenswert. Ich bleibe dabei: Ein Antidiskriminierungsgesetz, das diskriminiert, darf es nicht geben.
Danke schön.
({7})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07, einschließlich
des Bundesverfassungsgerichts, Einzelplan 19.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche außerhalb des Saals fortzusetzen bzw. ihren Platz
einzunehmen.
Das Wort hat die Bundesministerin für Justiz, Brigitte
Zypries.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie jedes
Jahr bei der Einbringung des Haushalts des Bundesministeriums der Justiz nutze ich auch dieses Mal gern die
Gelegenheit, um zu verdeutlichen, wie wichtig die Rolle
der Justiz für unseren Rechtsstaat ist. Freiheit, Sicherheit
und gesellschaftlicher Wohlstand brauchen nun einmal
verlässliche Regeln und Institutionen, die für die Einhaltung dieser Regeln sorgen.
Dass die Leistungsfähigkeit unseres Rechtssystems
sehr hoch ist, ist inzwischen allgemein anerkannt. Ich
habe Ihnen letztes Jahr von dieser Stelle aus gesagt, dass
ich mich gefreut habe, dass die Industrie- und Handelskammer, die IHK, als Jahresthema das Thema „Standortvorteil Recht“ gewählt hat. Wir haben diese Chance
genutzt und im letzten Jahr auf zahlreichen Veranstaltungen deutlich gemacht, welche Bedeutung das Recht als
Standortvorteil hat.
Wir haben die Situation im Rechtsbereich insgesamt
verbessert. Wir haben es in Deutschland geschafft, mit
weniger Geld besser zu arbeiten. Im internationalen Vergleich steht Deutschland ohnehin sehr gut da.
({0})
Unser Rechtsstaat ist also nicht nur ein Garant der Bürgerrechte und ein Stück Lebensqualität, sondern auch
ein echter Wettbewerbsvorteil für unser Land. Denken
Sie nur an die Unterschiede, die im Zivilrecht zwischen
Deutschland und Amerika bestehen. Um diesen Standortvorteil zu sichern, müssen wir uns auch in Zukunft
anstrengen.
Die Bedeutung und die Leistungsfähigkeit der Justiz
stehen in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu
ihren Kosten.
({1})
- Vielen Dank, Herr Vorsitzender des Haushaltsausschusses. - Denn unsere Justiz ist nicht nur wichtig und
gut, sondern auch preisgünstig. Der Justizetat macht nur
0,13 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes aus. - Herr
Gehb, auch Sie können jetzt noch etwas lernen. ({2})
Selbst bei den Ländern, die die Hauptlast im Justizbereich tragen, macht der Anteil an den Länderhaushalten
im Durchschnitt noch nicht einmal 4 Prozent aus. Nun
wissen wir alle nicht nur aus dem Tierreich, sondern
auch von der Börse, dass derjenige, der klein ist, manchmal Gefahr läuft, von den Großen geschluckt zu werden.
Das gilt auch bei der Haushaltsaufstellung; hier ist ein
kleiner Haushalt ein Problem. Gegen einen solchen
Etatdarwinismus helfen nur engagierte Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker
({3})
und verständnisvolle Berichterstatter im Haushaltsausschuss. Deshalb auch an dieser Stelle mein ganz herzlicher Dank an die Berichterstatter für die Unterstützung
bei der Einbringung des Haushaltes!
Der Justizetat trägt einen gerechten Anteil an der
Konsolidierung des Bundeshaushaltes, aber er taugt
nicht für Sparexzesse; das ist von Ihnen allen dankenswerterweise anerkannt worden.
({4})
Wir werden bei einem Gesamtvolumen von 339 Millionen Euro Einsparungen in Höhe von 13 Millionen Euro
erbringen, was, betrachtet man die Ausgangssumme, im
Grunde viel ist. Wir werden sehen, dass wir diese Einsparungen so erbringen, dass die Qualität der Leistungen
nicht leidet.
Der Schwerpunkt unserer Aufgaben liegt auch weiterhin beim Deutschen Patent- und Markenamt. Dort ist
es uns gelungen, die Befristung der Personalstellen zu
verlängern und zusätzliche Mittel für die Informationstechnik einzuwerben. Das wird uns garantieren,
dass Deutschland auch in Zukunft bei den Patentanmeldungen an der Weltspitze bleibt.
({5})
Nun brauchen wir eine ordentliche Finanzausstattung
für die Justiz nicht nur beim Bund. Wir müssen auch sehen, dass die Länder das Ihre dazu tun; denn die Länder
tragen bereits jetzt eine große Verantwortung für die
Aufrechterhaltung der Justiz und sie schicken sich im
Zuge der Föderalismusreform an, weitere Verantwortung und Zuständigkeiten zu übernehmen.
({6})
Viele Ansätze zur Modernisierung der Justiz, die der
Deutsche Bundestag beschlossen hat, hängen davon ab,
wie die Länder sie umsetzen. Der Bund kann zwar die
gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen - er hat
dies auch getan -, dass die Justiz online geht. Aber für
die technische Ausstattung der Gerichte und der Staatsanwaltschaften müssen die Länder sorgen.
Klar muss auch sein: Wer sich in der Föderalismuskommission dafür einsetzt, die Kompetenz für den
Strafvollzug zu bekommen, muss sich auch auf einen
Wettbewerb um einen guten Strafvollzug einlassen und
darf sich nicht schon jetzt in vorauseilendem Gehorsam
gegenüber einem imaginären oder auch realen Finanzminister vor der Standardreduzierung ducken und es auf
diese Art und Weise versäumen, einen ordentlichen
Strafvollzug zu garantieren.
({7})
Die Länder müssen sich bei der Zunahme ihrer Kompetenzen darüber im Klaren sein, dass sie etwas Positives
tun müssen. Die Sorge, die wir haben, dass die Länder
nur den Standard nach unten senken werden, ist hoffentlich nicht berechtigt. Wir müssen die Länder auffordern,
sich in einen positiven Wettbewerb zu begeben und einen Strafvollzug zu ermöglichen, der den Menschen ein
Leben jenseits von Kriminalität ermöglicht.
({8})
- Es geht ja gerade darum, Herr Kollege Wieland, den
Ländern zu sagen: Das ist es, was ihr nicht tun dürft,
weil ihr dann die Verantwortung, die euch übertragen
wird, nicht sachgerecht wahrnehmt.
({9})
Meine Damen und Herren, Rechtspolitik ist immer
auch Gesellschaftspolitik. Sie muss deshalb auf veränderte Lebenswirklichkeiten reagieren. Ein Thema, das in
der Diskussion über den Haushalt der Kollegin von der
Leyen behandelt wurde, ist die Frage: Wie reagiert diese
Gesellschaft auf den demografischen Wandel, also auf
eine immer älter werdende Gesellschaft, und die Tatsache, dass es mehr Kinder geben muss? Wir müssen auch
darauf reagieren, dass immer mehr Ehen geschieden
werden und dass immer öfter Zweitfamilien gegründet
werden. Unsere Aufgabe ist es, die Sorge für die Kinder
und die Förderung des Kindeswohls durch die Setzung
rechtlicher Rahmenbedingungen zu ermutigen.
Ich habe die verschiedenen Projekte, die wir derzeit
seitens unseres Ministeriums verfolgen, um das Kindeswohl zu fördern, einmal zusammengeschrieben; denn
ich glaube, dass es sinnvoll ist, deutlich zu machen, dass
die Justiz durch die Setzung dieser Rahmenbedingungen
ganz erheblich dazu beiträgt, sich der Veränderung in der
Gesellschaft anzupassen.
Der erste Punkt - darüber haben wir hier neulich diskutiert - ist die Reform des Unterhaltsrechts. Kinder sollen künftig den ersten Rang erhalten; das Kindeswohl
hat Priorität.
Der zweite Punkt ist die Veränderung der gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern. Sie
wissen, das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgetragen, uns mit diesem Thema zu beschäftigen. Wir meinen: Kinder brauchen sowohl Vater als auch Mutter.
Deshalb wollen wir eine Veränderung vorschlagen,
durch die den Vätern mehr Rechte gegeben werden.
Der dritte Punkt ist eine Regelung zur Vermeidung
heimlicher Vaterschaftstests. Wir meinen, dass wir die
Rechte der Kinder in ihrem Anspruch auf genetische Daten stärken müssen.
Der vierte Punkt ist die Anfechtung missbräuchlicher
Vaterschaftsanerkennung. Eine gezielte Missbrauchsbekämpfung - die Betonung liegt auf „gezielte“ - wirkt der
Diskreditierung der von uns geförderten sozialen Vaterschaft entgegen und wird, so meine ich, im konkreten
Fall dem Kindeswohl dienen.
Wir haben eine Arbeitsgruppe zu § 1666 BGB eingesetzt. Wir wollen gerne erreichen, dass bei Gefährdungen des Kindeswohls möglichst frühzeitig eingegriffen
wird
({10})
und dass die Sorge - die wir aufgrund ganz konkreter
Fälle in letzter Zeit leider viel zu oft haben mussten -,
dass es doch erhebliche Probleme in der Erziehungsfähigkeit einiger Eltern gibt, durch frühes staatliches Eingreifen aufgegriffen werden kann.
Zur Veränderung der Lebenswirklichkeiten gehört
auch, dass immer mehr Kinder in gleichgeschlechtlichen
Beziehungen groß werden. Deshalb werden wir ein Forschungsvorhaben in Auftrag geben, das die Situation
von Kindern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen beleuchtet. Wir möchten wissenschaftlich fundiertes Material, das eine Antwort darauf gibt, ob es tatsächlich so
ist, wie einige behaupten, dass solche Kinder einer größeren sozialen Stigmatisierung ausgesetzt sind, oder ob
wir davon ausgehen können, dass das nicht der Fall ist.
({11})
- Das dient übrigens nicht der Beruhigung des Koalitionspartners, sondern geht auf einen ausdrücklichen
Wunsch des Bundesverbandes der Lesben und Schwulen
in Deutschland zurück. Insofern brauchen Sie keine
Sorge zu haben, dass hier irgendjemand befriedet werden muss. Es geht schlicht und ergreifend um Datenmaterial.
Ich möchte noch etwas dazu sagen, wie wir die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern, um auf die veränderte Gesellschaft zu reagieren. Dabei geht es um die
Stärkung der Solidarität innerhalb der klassischen Familie, auch bei ihrer Trennung, und anderer Verantwortungsgemeinschaften.
Erstens: Versorgungsausgleich. Durch das Prinzip
der möglichst weit gehenden Realteilung wollen wir zu
mehr Gerechtigkeit kommen und vor allen Dingen das
Vermögen erhalten. Nach der jetzigen Bargeldverordnung verschwindet nämlich ziemlich viel Geld und wird
nicht zugunsten des ausgleichsberechtigten Ehegatten
ausgegeben.
Zweitens: Unterhaltsreform. Wir wollen lang andauernde Ehen, verabredete Verantwortungsgemeinschaften, die über viele Jahre bestanden haben, schützen.
Drittens: Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes. Wir meinen, dass in allen Beziehungen, in denen Verantwortung füreinander übernommen wird, in
denen Pflichten übernommen werden, in denen man finanziell füreinander einsteht, auch dieselben Rechte vorhanden sein müssen.
Viertens: Reform des Pflichtteilrechts. Wir werden
darüber diskutieren, ob eine veränderte gesellschaftliche
Wirklichkeit nicht auch hier zu einer Veränderung führen muss.
Fünftens: Reform des Zugewinnausgleichs. Sie wissen, dass es einige Defizite gibt, die vonseiten der Praxis
schon lange beklagt werden. Diese wollen wir jetzt endlich in Angriff nehmen. Ich nenne als Stichwort das negative Anfangsvermögen.
({12})
Für die Justiz gibt es eine Menge zu tun. Es geht zum
einen darum, die veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit nachzuvollziehen, und zum anderen darum,
zukunftsweisend zu handeln, indem wir andere Lebenswirklichkeiten anerkennen und unterstützen. Wir meinen, dadurch der Gleichbehandlung zu dienen.
({13})
Am Ende meiner Rede darf ich mich für die Bereitschaft der Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker sowie der zuständigen Berichterstatter dafür bedanken, den
Haushalt mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet zu
haben und dazu beigetragen zu haben, dass diese Politik
gelingen kann.
({14})
Ich erteile das Wort Kollegin Mechthild Dyckmans,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutigen Beratungen des Justizhaushaltes bieten Anlass, zurückzublicken auf das, was war, und nach vorne zu
schauen, auf die Herausforderungen, denen wir uns in
der Rechtspolitik zu stellen haben.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag
zahlreiche Initiativen im Bereich der Rechtspolitik angekündigt. Die Bilanz nach nunmehr über 130 Tagen ist
aus Sicht der FDP eher ernüchternd. Zwar haben Sie,
Frau Ministerin, in den letzten Wochen einige Eckpunkte
und Initiativen vorgestellt - auch heute haben Sie gesagt,
was Sie zur Förderung des Kindeswohls und im Bereich
des Familienrechts tun wollen -, aber in vielen anderen
wichtigen Bereichen ist bislang nichts geschehen.
({0})
Nennen möchte ich zum Beispiel die Reform der
Telekommunikationsüberwachung. Jahrelangen Ankündigungen sind keine Taten gefolgt, obwohl in Ihrem
Ministerium eigentlich umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden sein müssten. Erste Ergebnisse sind für die
zweite Jahreshälfte angekündigt. Wir sind gespannt, wie
ernst gemeint Ihre Versprechungen diesmal sind.
({1})
Hinzu kommt, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung als Auftrag verstanden werden muss, grundsätzlich alle staatlichen Überwachungsmaßnahmen auf den Prüfstand zu
stellen. Wir verlangen von der Bundesregierung ein Gesamtkonzept. Wir brauchen eine Rechtspolitik aus einem
Guss.
({2})
Bei einer solchen Reform, Frau Ministerin, wird die
FDP-Bundestagsfraktion konstruktiv mitarbeiten.
Ich freue mich auch auf die angekündigte Unterstützung bei der Beratung unseres Entwurfs eines Gesetzes
zur Pressefreiheit, der insbesondere rechtsstaatliche Gesichtspunkte stärker berücksichtigt und dadurch einen
besseren Schutz der Presse garantiert.
Enttäuscht hat uns allerdings der von Ihnen vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes. Obwohl Sie wissen, dass der
Gesetzentwurf in keiner Weise die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung berücksichtigt, haben Sie die Geltung bis Mitte
2007 verlängert und damit einen verfassungsrechtlich
bedenklichen Zustand verfestigt.
({3})
Die erste Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen dieses Gesetz ist bereits anhängig. Ich bedaure sehr,
dass Sie schon zu Beginn der Wahlperiode die notwendige Sensibilität für eine an den Grundrechten unserer
Verfassung ausgerichtete Rechtspolitik vermissen lassen.
Lange überfällig und von der FDP immer wieder angemahnt sind die im Koalitionsvertrag angekündigten
Gesetzentwürfe zur Untersuchungshaft und zum Strafvollzug. Die Umsetzung ist wohl fraglich geworden,
wenn man die Vorschläge zur Föderalismusreform sieht.
Zwar haben alle Experten in den vergangenen Monaten
immer wieder auf die Gefahr der Verlagerung der Kompetenz für den Strafvollzug auf die Länder hingewiesen,
aber Sie, Frau Ministerin - so haben wir es gerade
gehört -, haben sich offensichtlich schon mit einer Übertragung abgefunden. Das finden wir nicht gut.
({4})
Wir, die FDP-Fraktion, haben uns in unseren Forderungen nach einem Jugendstrafvollzugsgesetz im Bundestag
klar für die Beibehaltung der Gesetzgebungskompetenz
für den Strafvollzug beim Bund ausgesprochen. Ich
hoffe sehr, dass wir bei der Anhörung zur Föderalismusreform gemeinsam eine vernünftige Lösung finden werden.
Die Bundeskanzlerin hat ihre Regierungserklärung
unter das Motto „Mehr Freiheit wagen“ gestellt. Die Bilanz der Bundesregierung im Bereich der Rechtspolitik
wird diesem Motto, wie ich meine, nicht gerecht. Statt
gestärkter Bürgerrechte sind weitere Eingriffe in geschützte Rechtspositionen zu befürchten; ich erinnere
nur an die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den
Europäischen Haftbefehl. Auch in der Gesellschaftspolitik verweigert die Bundesregierung wichtige Reformen,
die es den Menschen in unserem Land ermöglichen, ihren individuellen Lebensentwurf in Freiheit und Selbstbestimmung zu leben.
Aus Sicht der FDP sind die ersten Schritte der Bundesregierung im Bereich der Rechtspolitik weder von
Mut noch von Freiheit geprägt. Ich erwarte, dass die
Bundesregierung die kommenden Jahre nutzt, um eine
Rechtspolitik anzugehen, die den Rechtsstaat und die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger stärkt und verteidigt.
Danke schön.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Gehb, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
Ministerin, wenn Sie zu Beginn Ihrer Rede den Eindruck
hatten, dass Sie für einen Augenblick nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatten, dann bitte ich, dies zu entschuldigen. Es scheint aber auch die Vorstellungskraft
einiger zu überschreiten, dass es Menschen gibt, die mit
der Begabung gesegnet sind, zwei Sachen auf einmal
machen zu können, selbst wenn sie nicht immer zuhören.
({0})
Nicht nur wenn es um die Erzeugung von Gütern und
Waren oder um die Erbringung von Dienstleistungen
geht, sondern auch und gerade auf dem Felde der
Rechtspolitik gilt es, auf die Herausforderungen einer
veränderten Zeit und einer veränderten Welt möglichst
rasch überzeugende und pragmatische Antworten zu geben. Unser Land und unsere einheimische, kontinentaleuropäisch geprägte Rechtsordnung sollen stark und attraktiv bleiben oder, soweit sie es heute noch nicht sind,
werden.
Kollege Gehb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kampeter?
Das ist selbstredend.
({0})
Herr Kollege Gehb, sind Sie der Auffassung, dass die
Frau Abgeordnete, die zweitberuflich Justizministerin ist
und sich gerade lange mit einem Kollegen der SPDFraktion unterhält, nichts von Ihnen lernen kann? Sie hat
Ihnen ja gerade vorgeworfen, Sie hätten Ihr nicht aufmerksam genug gelauscht und Lernchancen versäumt.
Herr Kollege Kampeter, sicherlich ist das Maß an
mangelnder Aufmerksamkeit bei der Frau Ministerin
noch stärker ausgeprägt als bei mir vorhin, aber möglicherweise ist ihre Begabung, mehreres auf einmal zu
machen, so gut ausgeprägt wie bei einem Simultanschachspieler.
({0})
Meine Damen und Herren, der Aufgabe, auch auf
dem Gebiet der Rechtsordnung rasche Antworten auf die
veränderte Welt zu geben, stellt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusammen mit ihrem Koalitionspartner,
den Sozialdemokraten. Die Aufwärmphase ist nun auch
unter uns Rechtspolitikern - jedenfalls denen der großen
Koalition - abgeschlossen. Wir wechseln also - gestatten Sie mir diese Metapher - wie beim Autofahren vom
ersten in den zweiten Gang. Dazu brauchen wir nicht die
Anschubhilfe der Opposition, die uns in den letzten Wochen und Monaten mit Schaufensteranträgen meinte zum
Jagen tragen zu müssen.
({1})
Heute stand zwar in der Zeitung, wir sollten deutsch
reden. Aber, Herr Montag, Sie haben neulich die Redewendung „cum grano salis“ gebraucht. Da kann ich nur
sagen: Insofern ist die Bundesregierung und sind die beiden Koalitionsfraktionen ein „omnimodo facturus“,
({2})
für die Oberrealschüler: ein ohnehin Tatgeneigter.
({3})
Lassen Sie mich Ihnen jetzt nicht, quasi nach dem
Klipp-Klapp-Schema, die Agenda aller Gesetzesvorlagen herunterleiern.
({4})
Ich will nur ein paar Streiflichter erwähnen.
({5})
Das Kabinett hat in der vergangenen Woche eine
Novelle zum Urheberrecht beschlossen, die demnächst
auch parlamentarisch beraten wird. Gerade die geistigen
und kreativen Leistungen werden in Zukunft für unsere
Volkswirtschaft eine immer größere Rolle spielen, sodass eine vernünftige wirtschaftliche Verwertung sichergestellt werden muss.
({6})
Daher wollen wir ganz bewusst die Rechte der Urheber
stärken.
({7})
Ebenfalls auf dem Weg ist die Einführung der Europäischen Genossenschaft. Auch die Änderungen des
Genossenschaftsrechts stehen nicht für sich allein, sondern spiegeln unseren Grundansatz wider, den Standort
Deutschland zu stärken, indem wir eine bewährte
Rechtsform zeitgemäß erneuern.
({8})
Unser Ziel ist es selbstverständlich auch, dass eine neu
gegründete Europäische Genossenschaft ihren Sitz in
Deutschland nimmt. Daher wollen wir ganz bewusst in
unser deutsches Recht Anreize einbauen, die notwendig
sind, um mit unserem Angebot gegenüber der europäischen Konkurrenz bestehen zu können.
Gerade die Konkurrenz der Rechtsordnungen ist
ein Phänomen, dessen Dynamik und Wichtigkeit meinem Eindruck nach noch immer unterschätzt wird. Sicherlich - das haben Sie gesagt, Frau Ministerin - können wir auf unsere Rechtsordnung und unsere
Rechtspraxis stolz sein. Wie Sie hat auch der Präsident
des Deutschen Industrie- und Handelskammertages,
Ludwig Georg Braun, gesagt, dass unsere Justiz ein positiv besetzter Standortfaktor in Deutschland ist. Dennoch wäre es völlig falsch, sich entspannt, vielleicht sogar selbstgerecht und zufrieden zurückzulehnen. Ganz
im Gegenteil: Wir müssen uns noch viel intensiver als
bisher fragen, ob wir ausreichend gut aufgestellt sind,
um in der Konkurrenz der Rechtsordnungen erfolgreich
bestehen zu können.
({9})
Denken Sie nur an das Gesellschaftsrecht. Lange
lebten wir in Deutschland fast abgeschottet in einer Art
Paradies. Nun ist alles viel europäischer, letztlich sogar
viel globaler geworden. Vor diesem Hintergrund ist die
notwendige GmbH-Reform wichtig, richtig und viel bedeutungsvoller, als manche im ersten Augenblick meinen.
({10})
In der letzten Debatte, die wir zum Thema Gesellschaftsrecht geführt haben, habe ich gesagt - darauf weise ich
noch einmal hin -, dass inzwischen jedes fünfte Unternehmen in der Rechtsform einer so genannten englischen Limited gegründet wird. Dabei handelt es sich bis
jetzt um nahezu 30 000 Unternehmen. Dagegen müssen
wir etwas tun.
({11})
Aber wir haben es nicht nur innerhalb Europas mit einem Wettbewerb der Rechtsordnungen zu tun. Vor wenigen Tagen haben die Justizministerin, der Kollege
Montag, die Kollegin Dyckmans und ich an einer Veranstaltung der IHK in Frankfurt teilgenommen, die den
aufschlussreichen und leicht provozierenden Titel
„European and German Law goes Hollywood“ trug.
({12})
Warum hat man uns zu einer Podiumsdiskussion mit einem solch schmissigen Titel nach Frankfurt eingeladen?
Der Grund ist ganz einfach:
({13})
Ob es um Antidiskriminierungsrichtlinien oder die Offenlegung von Managergehältern geht, ob es um die Einführung von Sammelklagen oder eine Diskussion über
Erfolgshonorare geht, ob es um die Frage geht, Elemente
des Strafrechts in das Schadenersatzrecht aufzunehmen
- Stichwort: Punitive Damages -, eines haben all diese
Themen gemeinsam: Der Einfluss des angloamerikanischen Rechts auf unsere Gesetzgebung ist unübersehbar
und wächst.
({14})
Doch glauben Sie ja nicht, dass deutsche Unternehmen
über diese schleichende Amerikanisierung des deutschen
Rechts glücklich sind. Ich habe sogar den Eindruck, sie
sind es ganz und gar nicht.
({15})
Auch ich bin der Überzeugung, dass wir mehr als bisher darauf achten müssen, dass unser Rechtssystem nicht
durch eine punktuelle und systemwidrige Übernahme
fremder Rechtsinstrumente aus dem Gleichgewicht gebracht wird.
({16})
- Alfred, ich weiß, dass du aus Hofgeismar kommst und
eher das Kasseler Landrecht beherrschst. Aber das hier
ist die Bundesliga. Allzu schnell können sonst gewachsene systematische Zusammenhänge zerstört werden.
({17})
Wir sollten deswegen ausgesprochen vorsichtig und zurückhaltend mit der Einführung ausländischer Rechtsinstrumente in unsere Rechtsordnung sein.
({18})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir an dieser
Stelle, an der es um die Unterschiedlichkeit von Rechtsordnungen geht, auch wenige Worte zum Fall Abdul
Rahman zu sagen. So glücklich wir alle sicherlich sind,
dass Herr Rahman inzwischen freigelassen worden ist,
so sehr sollten uns die Geschehnisse der vergangenen
Tage dafür sensibilisiert haben, wie gefährdet die Religionsfreiheit an vielen Orten dieser Erde ist und wie
wichtig und notwendig daher - das richte ich vor allem
an die Rechtspolitiker, aber auch an die anderen Kollegen und die Zuhörer - der tagtägliche Einsatz für die
Menschenrechte und die Religionsfreiheit ist.
({19})
Wir Christdemokraten - und ich glaube, da stehen wir
nicht alleine - sind stolz auf Art. 4 unseres Grundgesetzes. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gehört für uns
zu den Eckpfeilern unserer - ich sage ganz bewusst: eigentlich nicht nur unserer - Rechtsordnung. Der weltweite Einsatz hierfür ist aller Mühe wert. Ich danke der
Bundesregierung, namentlich unserer Bundeskanzlerin
Angela Merkel, im konkreten Fall für ihren Einsatz und
ihre Anstrengungen.
({20})
Ich erlaube mir allerdings, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass ich froh wäre, wenn nicht nur, wie es in
Deutschland der Fall ist, der Bau von Moscheen mit Minaretten und der Ruf des Muezzins erlaubt wäre, sondern
wenn umgekehrt in muslimischen Ländern das Glockengeläut christlicher Kirchen zu hören wäre.
({21})
Zu den Artikeln unserer Verfassung, die sicherlich
nicht geändert werden, gehört Art. 4. Viele andere Artikel unseres Grundgesetzes werden allerdings infolge der
Föderalismusreform geändert werden. Zu Beginn dieses Monats haben wir in einer ersten großen Debatte
über die Föderalismusreform gesprochen. In der Generaldebatte des gestrigen Tages haben die Bundeskanzlerin, aber auch viele andere Rednerinnen und Redner in
ihren Ausführungen die Notwendigkeit und Wichtigkeit
dieser Reform nochmals betont.
Kollege Gehb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Keskin von der Linksfraktion?
Ich kenne ihn zwar nicht, gestatte aber natürlich seine
Zwischenfrage.
({0})
Herr Kollege, mir ist in Deutschland keine Moschee
bekannt, von deren Minarett aus ein Muezzin zum Gebet
ruft. Das ist in Deutschland noch nicht erlaubt.
Ist Ihnen bekannt, dass es eine Reihe von islamischen
Ländern gibt, in denen die Kirchen durchaus existieren
können und in denen gemäß ihrem Glauben gebetet werden kann?
Der erste Teil Ihrer Frage war keine richtige Frage,
sodass ich darauf keine Antwort geben kann. Zum zweiten Teil: Wenn in einigen muslimischen Ländern die Religionsausübung in homöopathischen Dosen erlaubt ist,
freut mich das sehr. Ich würde mich aber noch mehr
freuen, wenn das andere Ausmaße annähme.
({0})
Meine Damen und Herren, nun ist der Rechtsausschuss federführend mit der parlamentarischen Behandlung der Föderalismusreform betraut worden. Ich halte
dies für eine angemessene und richtige Entscheidung;
denn es ist die originäre, ja geradezu genuine Aufgabe
des Rechtsausschusses, sich mit den vielen einschneidenden Veränderungen in unserem Grundgesetz zu beschäftigen.
({1})
Die organisatorischen Vorbereitungen zu all den umfassenden Anhörungen hierzu im Rechtsausschuss befinden
sich inzwischen in der Schlussphase. Ich habe mehr und
mehr den Eindruck, dass sich inzwischen alle Seiten dieses Hauses - auch unsere Kollegen in den anderen Fachausschüssen - mit dem nun gewählten Verfahren der parlamentarischen Beratung haben anfreunden können. Für
all die notwendige Vorarbeit möchte ich an dieser Stelle
allen Obleuten des Rechtsausschusses und an prominentester Stelle seinem Vorsitzenden, Andreas Schmidt,
ganz herzlich danken.
({2})
Sie werden von mir hier und heute keine Aussagen
zur Föderalismusreform in der Sache hören, auch nicht
zu den Punkten, die den Bereich Justiz betreffen. Unsere
Fraktion wird sich intensiv mit den Pro- und Kontraargumenten zum vorliegenden Entwurf beschäftigen. Angesichts dessen, dass unlängst behauptet worden ist, wir
wollten die Sache nur durchwinken, kann ich nur sagen:
Eine Anhörung über sieben volle Tage ist einmalig in der
Geschichte des Deutschen Bundestags.
({3})
Allerdings müssen wir auch darauf achten, dass in beiden Häusern eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. In
zeitlicher Nähe zu den Beratungen rund um die Föderalismusreform werden wir uns auch mit der Frage der
Aufnahme neuer Staatsziele in unser Grundgesetz beschäftigen.
({4})
Vor wenigen Tagen haben wir in diesem Haus eine
erste Debatte zum Staatsziel Kultur geführt. Wenn Sie
die heutigen Zeitungen aufgeschlagen haben, dann werden Sie darin die Forderung des Berufsverbandes der
Kinder- und Jugendärzte in Deutschland gelesen haben,
in unserer Verfassung ein Grundrecht für Kinder auf körperliche und seelische Unversehrtheit zu verankern.
Ich greife beide Forderungen deshalb in der heutigen
Debatte auf, weil mich eine wirklich ernste Sorge umtreibt, und zwar die Sorge, dass sich im Empfinden der
Menschen - aber auch im Empfinden vieler unserer parlamentarischen Kollegen in diesem Hause - mehr und
mehr der Eindruck festsetzt, dass ein politisches Ziel
oder ein Recht nur noch dann angemessen verortet ist,
wenn es seinen Platz im Grundgesetz gefunden hat. Alles andere wird scheinbar nur noch als zweit- oder drittrangig wahrgenommen.
Für mich ist das eine geradezu dramatische Fehlentwicklung. Beschreiten wir diesen Weg weiter, dann habe
ich ernsthaft die Befürchtung, dass damit unser Grundgesetz überdehnt und inflationiert und ihm letztlich geschadet wird.
({5})
Ich werbe somit dafür, unsere Verfassung so auszugestalten, dass sie erfüllbare Rechte und Pflichten enthält.
Nicht ohne Not haben wir das Grundrecht auf Arbeit
nicht im Grundgesetz verankert. Die vorhandene Kapazität korrespondiert nämlich nicht mit einem solchen
Recht und in Nichterfüllungsfällen würde man bei enttäuschten Bürgern nur für Frust und Enttäuschung sorgen.
({6})
Dieser Frust und diese Enttäuschung würden der Akzeptanz unserer Verfassung letztlich eher schaden.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Viele
politische Ziele sind mehr als ehren- und auch aller
Mühe wert, so auch das Recht der Kinder auf Unversehrtheit. Mir fiele vieles ein, was mir noch wünschenswert erscheint. Damit sollten wir aber unsere Verfassung
nicht überfrachten.
({7})
Unser Grundgesetz ist kein politischer Wünsch-dir-wasKatalog.
Herr Präsident, ehe Sie mich auffordern, aufzuhören,
sage ich zum Abschluss: Der Charme unseres Grundgesetzes besteht gerade in seiner Kargheit, seiner Schlichtheit und seiner Schlankheit.
({8})
Damit das so bleibt, sollten wir Rechtspolitiker alle unser Auge darauf haben.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile Kollegen Wolfgang Nešković, Fraktion
Die Linke, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Zypries, ich
muss es Ihnen so deutlich sagen: Die Justiz- und Rechtspolitik ist bei Ihnen in schlechten Händen.
({0})
- Ich freue mich, dass sich die Claqueure wieder richtig
einstimmen. Ich weiß ja, dass ich derjenige bin, der den
Blutdruck des Parlaments immer in besonderer Weise
hochtreibt.
({1})
Eine rechtspolitische Handschrift - insbesondere eine
sozialdemokratische - ist bei Ihnen nicht ersichtlich. Das
war bei Ihrer Vorgängerin noch ganz anders.
({2})
Ihre Politik ist fragmentarisch. Frau Dyckmans hat es
völlig zu Recht gesagt: Es ist keine Politik aus einem
Guss. - Vor allem sind keine Schwerpunkte ersichtlich,
denen man entnehmen könnte, welche rechtspolitischen
Themen Ihnen eine Herzensangelegenheit sind. Themen,
die bei Ihnen sogar eine politische Leidenschaft entfachen könnten, sind nicht erkennbar. Technokratisch arbeiten Sie das ab, was Ihnen durch das Sammelsurium
des Koalitionsvertrages aufgegeben wurde. Sie erweisen
sich nicht als engagierte Verfechterin des sozialen
Rechtsstaates. Sie stärken die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter nicht und Sie sorgen sich auch nicht
um eine schleichende Auszehrung der Judikative. Insbesondere treten Sie einer unerträglichen Ökonomisierung der Justiz
({3})
nicht entgegen, die vor allem die Schwachen in unserer
Gesellschaft trifft.
Unter Ihrem Einfluss soll nicht die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern die schnelle und möglichst kostengünstige Herstellung eines Rechtsprechungsproduktes die Aufgabe der Justiz sein. Unter
Ihrem Einfluss denkt man laut darüber nach, die Prozesskostenhilfe zusammenzusparen.
({4})
Dabei wird übersehen, dass damit die friedensstiftende
Funktion des Rechts gleich mit eingespart wird.
Sie müssen sich einmal die Folgen dieses Vorhabens
bewusst machen: Mit jedem Menschen, den wir aus dem
Bezug der Gewährungen dieser Gesellschaft herausdrängen, riskieren wir es, einen Befürworter dieses Staates
und seiner Werteordnung zu verlieren.
({5})
Bei der so genannten großen Justizreform geht es um
die Abschaffung ganzer Instanzenzüge.
({6})
Auch dadurch wird den Bürgern ihr Anspruch auf eine
gerechte und fundierte Streitentscheidung genommen.
Das kann ich als Richter, der in diesem Beruf 27 Jahre
tätig gewesen ist, sagen.
({7})
Frau Zypries, es ist auf Ihren Einfluss zurückzuführen, dass nunmehr den Ländern der Strafvollzug übergeben werden soll; dazu haben Sie einiges ausgeführt. Sie
geben damit den grundgesetzlichen Resozialisierungsauftrag aus Ihren Händen, wohl wissend um die Finanznot der Länder. Die Folge ist - das haben Sozialdemokraten zu verantworten -, dass es nach Sozial- und
Lohndumping nunmehr auch ein Strafvollzugsdumping
geben wird. Das ist Ihre Politik.
({8})
Sie riskieren - das wissen Sie sehr wohl, die ganze
Fachwelt bestätigt es Ihnen - einen Wettlauf um die kostengünstigste Verwahranstalt, der nur neue Straffälligkeiten und neue Prozesse auslösen wird. Das Strafvollzugsgesetz war einmal ein Herzstück sozialdemokratischer
Politik und ein Markenzeichen Jochen Vogels. Selbst
wenn das Gesetz bis heute weitgehend nicht umgesetzt
wurde, hat es doch deutlich gemacht, zu welch großen
Würfen sozialdemokratische Rechtspolitik fähig ist.
Mit der nunmehr neuen Politik lassen Sie den Sozialund Rechtsstaat im Stich, und zwar - Sie haben es selbst
gesagt - ohne finanzielle Not. Das Justizressort ist weder
besonders kostenträchtig noch aufgebläht. Der Anteil
des Justizhaushalts - Sie haben es gesagt - beträgt lediglich 0,13 Prozent. Aus dem Verhältnis von Einnahmen
und Ausgaben ergibt sich eine Deckungsquote von circa
97 Prozent. Diese Quote kann kein anderes Ressort aufweisen. Dieses Ressort finanziert sich aus eigener Kraft.
Anstatt nun Gesetze zu schaffen, die den Menschen
tatsächlich nützen, werden unter Ihrer Mitwirkung Gesetze gemacht, die kurz darauf vor dem Bundesverfassungsgericht qualvoll verenden.
({9})
Denken Sie nur an das gescheiterte Luftsicherheitsgesetz! Dabei wäre es Ihre Pflicht gewesen, Herrn Schily
die Verfassungswidrigkeit seines Vorhabens klar zu machen.
({10})
Oder denken Sie an das Europäische Haftbefehlsgesetz,
bei dem Ihr Haus federführend versagte. Sie produzieren
Murksgesetze. Sie widersprechen nicht im Kabinett,
wenn Ihre Kollegen Murks fabrizieren, obwohl dieser
Widerspruch Ihre Ressortpflicht wäre.
Beim Zollfahndungsdienstgesetz haben wir leider
vergeblich versucht, der Mehrheit in diesem Hause
schon vor Jahreswechsel klar zu machen, dass das Gesetz - befristet oder nicht, Herr Kauder - die Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts ignoriert, weil es noch
immer keine Regelungen zum Schutz des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung enthält.
({11})
Lag es nun daran, dass der Rat von uns kam oder dass
Sie sich von der Verfassung generell nicht ärgern lassen?
Sie haben sich damals wieder einmal entschlossen, ein
Gesetz auf den Weg zu bringen, das Sie sehr bald mit
großem Aufwand werden novellieren müssen, weil es
verfassungswidrig ist.
({12})
- Ja, wir werden sehen.
Frau Ministerin Zypries, Sie haben im „Tagesspiegel“
vom 20. Januar 2006 gesagt:
Unsere Freiheit lässt sich nur mit Hilfe des Rechtsstaates sichern, niemals durch seine Preisgabe.
Das war schön gesagt. Frau Zypries, Sie sind die Chefin
des „Rechtsstaatsministeriums“ und haben es damit
selbst in der Hand, die schleichende Preisgabe des
Rechtsstaats aufzuhalten.
Damit bin ich bei einem weiteren Murksgesetz, das
bei Ihnen in der Schublade liegt, das so genannte Untätigkeitsbeschwerdengesetz; ein furchtbares Wort, aber
es entspricht dem Inhalt dieses Gesetzes.
({13})
Mit diesem Gesetz wollen Sie überlange Gerichtsverfahren verhindern. In erster Linie verhindern Sie aber die
Unabhängigkeit der Richter, weil Sie ihnen das nehmen,
was sie für ihre Entscheidungsfindung unentbehrlich benötigen, nämlich Zeit. Sie gewinnen dabei keinen Pfifferling für den Rechtssuchenden. Statt eines Ersatzanspruches in Geld für ein verzögertes Verfahren geben Sie
ihm ein zusätzliches Verfahren an die Hand, mit dem er
dann Verzögerungen rügen darf. Für diese Art von Hilfe
wird er sich bedanken. Das ist so, als würden Sie einem
Ertrinkenden ein Glas Wasser reichen.
Noch nicht einmal aus dem Blickwinkel der Ausgabenseite macht diese Initiative Sinn. Sicherlich können
Sie anführen, das Instrument der Untätigkeitsbeschwerde nehme sich gegenüber einem echten Ersatzanspruch in Geld recht kostengünstig aus. „Billig“ wäre
das richtige Wort und die Logik dieses Gedankenganges
ist es auch.
Denn wenn sich die Gerichte neben ihrer regelmäßigen Arbeit mit der Bearbeitung von Verzögerungsbeschwerden befassen, statt dem Bürger einen finanziellen
Ersatzanspruch zu bieten, dann bedeutet das eine zusätzliche Belastung der Gerichte. Das bedeutet einen erhöhten finanziellen Aufwand und eine weitere Verzögerung
der Bearbeitungsdauer der Verfahren, gegen die die Bürger dann wiederum Beschwerde einlegen können. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Idee!
Die Neue Richtervereinigung hat das Untätigkeitsbeschwerdengesetz deshalb auch jüngst als einen Schildbürgerstreich bezeichnet, der geeignet ist, den deutschen
Justizapparat nahezu lahm zu legen.
({14})
Ich mache Ihnen einen besseren Vorschlag: Sorgen Sie
zumindest in Ihrem Zuständigkeitsbereich für eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Justiz und machen Sie im Übrigen Ihren politischen Einfluss auf Länderebene geltend! Dann wird sich das
Problem der langen Verfahrensdauer von allein erledigen.
({15})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
({0})
Ich bin noch bei meinem letzten Satz. - Ich gebe zum
Abschluss noch einen grundsätzlichen Rat:
({0})
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Reißen Sie nicht die rechtsstaatlichen und sozialen Errungenschaften aus Jahrzehnten nieder, weil Sie meinen,
sich Sparzwängen fügen zu müssen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich bin beim letzten Satz.
Das haben Sie schon einmal gesagt.
({0})
Ich habe einen Punkt übersehen. - Sie werden sonst
erleben müssen, dass Sie in einer Phase der möglichen
wirtschaftlichen Konsolidierung plötzlich ohne einen
modernen und sozialen Rechtsstaat dastehen.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Jerzy Montag, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nešković, Rechtspolitik wurde in diesem Hause
- ich gehöre dem Parlament jetzt im vierten Jahr an zwar in der Sache kritisch, aber doch differenziert diskutiert. Ihre pauschale Kritik hat mich aber fast so weit gebracht, die Ministerin in Schutz zu nehmen. Lassen Sie
es bitte nicht so weit kommen.
({0})
Ich halte heute meine vierte Haushaltsrede. Die Haushaltsdaten, die wir heute zu diesem Einzelplan diskutieren, sind solide und praktisch identisch mit denen, die in
den Vorjahren vorgelegt worden sind. Deswegen gibt es
dazu, meine ich, nicht sehr viel zu sagen.
Ich will mir aber eine Anmerkung nicht verkneifen.
Die Ausgaben für das Bundesverfassungsgericht sind
von 17,5 Millionen auf 16,5 Millionen Euro gekürzt
worden. Damit nähern sich die Ausgaben, die wir uns für
das gesamte höchste deutsche Gericht leisten, dem Gehalt des Vorstandsvorsitzenden einer deutschen Großbank. Ich finde das nicht angemessen und richtig. Vielleicht war Ihre heutige Formulierung, Frau Zypries, die
Qualität der deutschen Justiz stehe im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu den Ausgaben für diese, etwas
missverständlich. Dieser Befund ist zwar vielleicht nicht
ganz falsch, aber tendenziell können wir nicht damit
fortfahren, der Justiz immer weniger zu geben, damit sie
immer besser wird. Irgendwann schlägt das Pendel so
weit aus, dass das nicht mehr funktioniert.
Jeder und jede Deutsche zahlen weniger als 30 Cent
im Jahr für den Haushalt der Bundesjustiz.
({1})
Auch in den Ländern sind es weniger als 5 Euro im Jahr.
Ich glaube, dass die Justiz und der Rechtsstaat in
Deutschland es verdienen würden, dass, bei aller Notwendigkeit sparsamer Haushalte, in diesem Bereich
nicht weiter gespart wird.
({2})
Der Rechtsstaat ist nicht käuflich, aber er kostet. Deswegen kann es für den Bereich der Justiz und der Rechtsprechung keine Politik nach Kassenlage geben,
({3})
ganz im Gegenteil: Wir wollen mehr Rechtsstaatlichkeit
und mehr Einsatz für die Bürgerrechte. Das bedeutet in
der konkreten Situation in den Bundesländern und auch
beim Bund mehr Geld für Personal und eine moderne
Ausstattung der Justiz. Aber hier vermisse ich sowohl
hinsichtlich des Haushaltsansatzes als auch in der Koalitionsvereinbarung nach vorne weisende Vorschläge, die
dazu dienen, die Justiz in Deutschland zu stärken.
Ich will noch einige Worte zur Rechtspolitik der großen Koalition sagen. Meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, Sie haben uns, als wir regierten, ständig vorgeworfen, dass wir uns - zum Beispiel bei der Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie - so viel Zeit
ließen. Nun, da Sie an der Regierung sind, legen Sie uns
erst gar keinen Gesetzentwurf vor.
({4})
Wir hingegen haben schon längst - auch in dieser Legislaturperiode - einen Gesetzentwurf vorgelegt. Aber Sie
setzen seine Behandlung im Rechtsausschuss aus formalen Gründen von der Tagesordnung ab, weil Sie sich
nicht in der Lage sehen, einen eigenen Gesetzentwurf
vorzulegen. Ich finde, das ist ziemlich schwach.
({5})
Ich will noch einige Worte zu den rechtspolitischen
Aspekten der Föderalismusreformdebatte sagen. In
Deutschland gilt für alle Deutschen das Grundrecht, sich
ohne Anmeldung und Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Es sollte Aufgabe des Bundes bleiben, über das Versammlungsrecht zu wachen. Wir sind
absolut dagegen, dass Sie - aus nicht nachvollziehbaren
Gründen - das Versammlungsrecht in die Hände der
Bundesländer legen.
({6})
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Denn die Bundesländer werden dieses Recht ausschließlich unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten behandeln.
Darunter wird das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
in Deutschland leiden.
({7})
Das Bundesverfassungsgericht hat in drei Aufsehen
erregenden Entscheidungen vom September und November letzten Jahres sowie vom März dieses Jahres drei
Menschen - einen bereits nach acht Jahren - aus der Untersuchungshaft entlassen, weil sich die Justiz sowohl im
richterlichen als auch im nicht richterlichen Bereich
nicht in der Lage gesehen hat, ihre Aufgaben gemäß der
Verfassung und des Beschleunigungsgebots zu erfüllen.
Folgende Passage aus einer der drei Entscheidungen will
ich Ihnen nicht ersparen:
Die Überlastung eines Gerichts fällt in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Der Staat kann sich dem Beschuldigten gegenüber nicht darauf berufen, dass er seine Gerichte
nicht so ausstattet, wie es erforderlich ist, um die
anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abzuschließen.
Weiter heißt es:
Hilft der Staat der Überlastung der Gerichte nicht
ab, so muss er es hinnehmen und gegebenenfalls
auch seinen Bürgerinnen und Bürgern erklären,
dass mutmaßliche Straftäter auf freien Fuß kommen, sich der Strafverfolgung und Aburteilung entziehen und erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen.
Angesichts dessen hätte es eines Zusammengehens
von Bund und Ländern auf der Justizebene bedurft. Man
hätte über die dramatische Situation in den Justizhaushalten der Länder diskutieren müssen. Aber nichts ist
passiert. Wer in dieser Situation die Zuständigkeit für
den Strafvollzug für Erwachsene, den Strafvollzug für
Jugendliche und auch noch die Untersuchungshaft in die
Hände der Bundesländer legt, der macht den Bock zum
Gärtner. Sie werden auf unseren erbitterten Widerstand
treffen, wenn Sie das alles in die Hoheit der Länder geben wollen.
({8})
Ich finde, eine Rechtspolitik, die dies und noch einiges mehr durch einen Kuhhandel im Rahmen der Föderalismusreform aus der Hand gibt, ist ein Desaster. Wir
werden in der Diskussion über die Föderalismusreform
der Öffentlichkeit diese Punkte in allen Einzelheiten darlegen und versuchen, die Phalanx der Vorentscheidung
durch Sachargumente zu durchbrechen.
({9})
Zum Schluss möchte ich auf Ihre Rede eingehen, Frau
Zypries, die Sie anlässlich des Neujahrsempfangs gehalten haben.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Sie können
nicht auf ein neues Thema eingehen.
Der letzte Satz. - In dieser Rede haben Sie davon gesprochen, Frau Zypries, dass Sie die Rechte der Bürger
in der Bundesrepublik Deutschland wahren und schützen
wollen. Ich würde mir wünschen, dass diese Rede keine
Sonntagsrede bleibt und dass Sie in Ihrer praktischen Arbeit als Justizministerin beweisen, dass Sie das auch in
die Tat umsetzen.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Stünker, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Montag
und Herr Nešković, die Rechtspolitik der großen Koalition steht in der Kontinuität der Rechtspolitik der letzten
sieben Jahre,
({0})
der Rechtspolitik von Herta Däubler-Gmelin bis zu
Brigitte Zypries.
({1})
Von dieser Rechtspolitik, Herr Kollege Nešković - Ihre
Rede gibt Anlass, das noch einmal zu sagen -, haben
auch Sie einmal profitiert; da standen Sie noch auf der
anderen Seite.
({2})
Von daher sollten Sie sich in Ihren Reden und bei den
Vorwürfen, die Sie hier erheben, im Ton ein bisschen zurücknehmen, Herr Kollege!
({3})
Wir sind es in der Rechtspolitik bisher nicht gewohnt gewesen, dass der Wortwechsel in solch einer persönlichen
Schärfe erfolgt. Ich hoffe, dass das nicht der Stil ist, in
dem in den Senaten des BGH mittlerweile beraten wird dann müssten wir bei den nächsten Besetzungen ein bisschen genauer hinsehen.
({4})
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass das Justizministerium prozentual gemessen mit einem geringen
Anteil am Gesamthaushalt auskommen muss. Ich meine,
dass es in den zurückliegenden Jahren hervorragende
Arbeit geleistet hat. Dafür herzlichen Dank, Frau Ministerin, auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ihrem Hause, die in den letzten Jahren wirklich Großes geleistet haben!
({5})
All denen, die im Augenblick so ungeduldig sind und
uns fragen, wann die große Koalition den Rechtsausschuss endlich mit Vorlagen befassen will, sage ich: Wir
werden noch in diesem Jahr umfangreiche Entwürfe vorlegen.
({6})
- Wissen Sie, Herr Fricke: Wir haben erst im Dezember
des vorigen Jahres mit der Regierungsbildung begonnen
und brauchen natürlich ein paar Monate, um sorgfältig
und gründlich an guten Entwürfen zu arbeiten; genau das
machen wir im Augenblick.
({7})
Wir werden Ihnen in absehbarer Zeit einen Entwurf zur
angemahnten Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vorlegen.
({8})
Die Regelung der Vorratsdatenspeicherung, die neue
Kronzeugenregelung, die Normierung der Vereinbarung
im Strafprozess, die uns abgefordert wird, die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Jugendlichen, die Neuregelung der Führungsaufsicht, der Maßregelvollzug,
Probleme des Stalkings, Probleme der Zwangsheirat und
der Zwangsprostitution - überall haben wir Entwürfe in
der Bearbeitung, über die wir zu reden haben und die wir
Ihnen demnächst vorlegen werden.
({9})
Nicht zuletzt für uns alle ein wichtiges Thema ist, wie
die Abgeordnetenbestechung künftig zu regeln sein
wird; auch das werden wir noch in diesem Jahr sorgfältig
zu beraten haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Ferner sind zu nennen der zweite Korb beim Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, die Richtlinien des
Forderungssicherungsgesetzes, das Insolvenzrecht, die
FGG-Novellierung - ein umfangreicher Katalog von
Novellierungen, die notwendig sind und die wir mit Ihnen gemeinsam diskutieren werden. Ihre Ungeduld werden Sie noch verlieren; Sie werden genügend Arbeit bekommen.
({11})
Ich sage heute auch deutlich - man sollte vor seiner
Vergangenheit nicht weglaufen -: Seit 1998 fristet die
Rechtspolitik in diesem Hause kein Mauerblümchendasein mehr, sondern steht immer häufiger im Mittelpunkt
des gesellschaftlichen Diskurses, mal kritisch, mal weniger kritisch.
Ich habe in meinem Resümee zum Haushalt bisher so
viele positive Dinge gesagt, da muss ich auch eine Negativentwicklung erwähnen, auch vor dem Hintergrund der
Diskussion um die Föderalismusreform. Diejenigen von
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die mich länger
kennen, wissen, dass ich seit 1998/99 in jeder Debatte
hier zu denen gehört habe, die eine Modernisierung der
Justiz eingefordert haben. In der Haushaltsdebatte vom
7. September 2004 - ich habe es noch einmal nachgelesen - habe ich optimistisch verkündet, „dass die seit langem überfällige Reformdebatte in der Justiz jetzt endlich
auch in einem breiteren Feld und mit einem breiten Konsens eröffnet worden“ sei. Sie erinnern sich vielleicht an
den damaligen Aufschlag der „Jumiko“. Die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung machte damals mit der
Überschrift „Die größte Justizreform seit 1873“ auf,
wenn ich mich richtig erinnere.
Die Entwicklung seitdem, gerade in den letzten Wochen und Monaten, hat mich allerdings erneut etwas anderes gelehrt. Der Konsens, den ich eingefordert hatte,
muss zwischen dem Bund und den Ländern gefunden
werden; das ist klar. Aber die Entwicklung zeigt im Augenblick, dass die Länder den Konsens gar nicht führen
können, weil sie selber ein Länderinteresse nicht definieren können. So wird das sehr problematisch. Beim
Thema „große Justizreform“ wird jetzt ein Schreckensbild an die Wand gemalt. Frau Ministerin, einen gemeinsamen Lösungsansatz sehe ich im Augenblick nicht, um
es ganz deutlich zu sagen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle wissen,
dass ich ein energischer Verfechter der Notwendigkeit
einer bzw. der Föderalismusreform bin. Reform des Föderalismus heißt für mich, die historisch erfolgreiche föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland in einem sich erweiternden Europa und unter dem Druck der
massiven globalen Herausforderungen zukunftsfähig zu
machen.
({13})
Reform des Föderalismus bedeutet aber nicht einen
Rückfall in die deutsche Kleinstaaterei des 18. und
19. Jahrhunderts.
({14})
In dem uns so sehr berührenden Bereich der Justiz habe
ich gegenwärtig den Eindruck, dass einige oder die
meisten Länder auf dem Weg zurück in diese historisch,
wie ich denke, überholte Kleinstaaterei sind.
Herr Kollege Montag, Herr Kollege Nešković, Frau
Kollegin - - Nein, Sie haben das nicht angesprochen,
glaube ich.
({15})
Die Punkte in dem Gesamtpaket, die die Justiz angehen
- Strafvollzug, Notarordnung, alle diese Dinge -, werden wir in der Anhörung mit Ihnen gemeinsam sorgfältig
ansehen. Wie Herr Gehb gesagt hat, wird da nichts
durchgewunken. Da wird wirklich in der Sache gründlich gearbeitet.
({16})
Ich hoffe, wir alle werden das in einem weniger aufgeregten Ton tun können, als er teilweise zu Beginn dieser
Debatte geherrscht hat. Die Themen, die wir zu bearbeiten haben, sind es wert, weniger ideologisch, sondern
mehr sachlich gesehen zu werden.
Schönen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegen Otto Fricke, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir ganz ehrlich sind
({0})
- ich versuche es jetzt einmal mit Konsens -, dann müssen wir eingestehen, dass wir alle Befürchtungen haben,
was die Frage angeht, ob sich unser Land in einer globalisierten Welt, in der sich alles schneller entwickelt, weiterhin die Qualität der Justiz und des Rechtsstaates leisten kann, die alle in diesem Hause wollen.
Das Justizministerium hat von allen Ministerien den
kleinsten Haushalt.
({1})
- Herr Kollege, warten Sie es ab, ganz ruhig, ganz lässig!
({2})
Reden Sie mit Herrn Hartenbach! Dann können Sie noch
mehr lernen. Ich will einfach versuchen, das klarzustellen.
Dieser Haushalt ist von den Einnahmen, hauptsächlich aus dem Deutschen Patent- und Markenamt, abhängig. Das ist gut und richtig. Wir alle müssen aber sehen,
dass Druck entsteht, wenn von dort keine Einnahmen
mehr kommen. Dann wird das Finanzministerium Druck
ausüben und sagen: Das wollen wir nicht.
Für diesen Fall bitte ich Sie aus einem ganz bestimmten Grund, Vorkehrungen zu treffen. Die Bugwelle, die
wir beim Patent- und Markenamt haben, wird - das darf
ich als Haushälter einmal sagen - nämlich zum Glück
endlich abgebaut. Wir haben den Break-even-Point irgendwann Anfang des Jahres erreicht.
Das heißt im Zweifel aber auch: Wenn die Anzahl der
Anträge nicht steigt, dann werden die Einnahmen immer
geringer. Diese Befürchtung existiert. Ich hoffe nicht,
dass es so kommt. Als Haushälter, der den Rechtsstaat
verteidigen will, sehe ich es als eine dringende Notwendigkeit an, an dieser Stelle zu mahnen.
Herr Kollege Montag, als Haushälter darf ich eine
kleine Korrektur anmahnen: Es sind nicht 30 Cent, sondern 13 Cent, die der Haushalt vorsieht. Beim letzten
Mal waren es noch 20 Cent. Das alles liegt nicht daran,
dass die Justiz so gut arbeitet, sondern daran, dass das
Patent- und Markenamt so gut arbeitet. Die Ausgaben
steigen nämlich erstmals seit fünf Jahren. Das hat seine
Gründe. Dazu will ich auch nichts sagen. Nochmals: Wir
sind davon abhängig, dass Einnahmen und Ausgaben an
dieser Stelle stimmen. Als Rechtspolitiker, als Bürger,
die den Rechtsstaat verteidigen, müssen wir aufpassen,
dass man da nicht über einen Umweg herangeht.
Ich komme zum Bundesamt für Justiz, Frau Ministerin. Es spricht sich herum, dass das eine ganz tolle Sache sei. In der „BZ“ steht, dass dort 80 neue Stellen geschaffen werden
({3})
und dass das 400 000 Euro kostet. Ich denke, dass das alles noch klargestellt werden wird. Ich bin gespannt, was
die Haushaltszahlen hierzu ergeben werden.
Ich will aber eines deutlich machen: Das Schaffen einer neuen Behörde allein bedeutet nichts. Es muss ein
Vorteil für den Bürger dabei herausspringen und es darf
nicht nur um die Sicherung des Standortes Bonn gehen.
So vorzugehen, ist jedenfalls keine Lösung.
({4})
Ich will auf die Antidiskriminierungsstelle zu sprechen kommen. Ich verweise auf das, was ich eben zum
Einzelplan 17 - Familie - gesagt habe. Die große Koalition war bisher nur groß im Ankündigen, Herr Stünker.
Sie haben wiederum keinen Zeitpunkt genannt. Sie haben wieder nur gesagt: Wir machen das dieses Jahr.
({5})
- Ja, das höre ich andauernd. Herr Benneter hat das
ebenfalls gesagt. Auch er hat eine Zusage im Bereich
GmbH gemacht. Ich bin gespannt, was da passiert.
Auch diese Koalition hat wie viele andere vor ihr gesagt: Wir machen das dieses Jahr. „Dieses Jahr“ hieß es
dann, dass Ende Dezember ein Referentenentwurf an die
Länder verteilt wird. Das geht nicht. Dafür haben wir zu
viele Baustellen. Im Übrigen sind diese Baustellen selbst
verschuldet, Frau Ministerin - ich spreche jetzt von der
rot-grünen Koalition -, wie uns das Bundesverfassungsgericht wiederholt mitgeteilt hat.
Die Antidiskriminierungsstelle entweder bei einem
SPD-geführten oder bei einem CDU-geführten Ministerium anzusiedeln, das kann nicht die Lösung des Problems sein. Ich bitte Sie darum, sich einmal ein bisschen
anzustrengen und zu überlegen, wie man diese Stelle
einsparen kann, wie man verhindern kann, dass eine
neue Behörde geschaffen wird, welche Möglichkeiten
bestehen, die entsprechenden Aufgaben auf Beauftragte
zu verteilen.
Noch etwas: Muss denn jede neue Institution bei der
Exekutive angesiedelt sein? Wäre es nicht viel besser,
sie beim Bundestag anzusiedeln?
({6})
Ich zum Beispiel bin immer noch der Meinung, dass der
Datenschutzbeauftragte eher zum Parlament als zum Innenministerium gehört. Die Ansiedlung beim Innenministerium ist für mich nämlich ein Widerspruch.
({7})
Mein letztes Wort gilt dem Bundesverfassungsgericht, über das wir heute ebenfalls reden. Für die Spezialisten unter uns ist in letzter Zeit viel über die Richterwahl geschrieben worden. Ich will hier eines klarstellen:
Keiner Partei stehen irgendwelche Richterstellen beim
Bundesverfassungsgericht zu. Ebenso stehen aber auch
keiner Koalition irgendwelche Stellen beim Bundesverfassungsgericht zu. Ich warne die große Koalition hier
ausdrücklich, die Besetzung der in der nächsten Zeit frei
werdenden Stellen - ich erinnere an die aktuell zu wählenden Richter - an parteipolitischen Kriterien auszurichten. Ich hoffe, Sie tun das nicht; denn das wäre ein
Schaden für den Rechtsstaat und ein Schaden für den
Standort.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegin Daniela Raab, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zugegeben, die Rechtspolitik steht, auch
was die Debattenzeitpunkte angeht - das sehen wir auch
heute wieder -, nicht immer im Fokus der öffentlichen
Wahrnehmung. Das mag auch daran liegen, dass Rechtspolitik bis auf wenige Ausnahmen immer von Sachlichkeit geprägt war und sich frei von jeglichem Klamauk
präsentierte, Herr Nešković.
({0})
Gott sei Dank!
Doch hat sich - da muss ich Herrn Stünker leider etwas widersprechen - mit der großen Koalition etwas
verändert, und zwar sicherlich zum Positiven: Rechtspolitik wird nun nicht mehr allzu sehr dazu missbraucht,
gesellschaftliche Veränderungen per Gesetz herbeizuführen,
({1})
was oftmals gerade Ziel der Grünen war, Herr Montag.
Wir orientieren uns nun fern jeglicher Ideologie an den
Bedürfnissen, die sich aus der täglichen Justizpraxis und
aus dem täglichen Leben ergeben und die an uns herangetragen werden.
({2})
- Ich komme noch darauf, Herr Montag. - So hat es die
Union in den letzten Jahren stets getan bzw. so hätte sie
es bevorzugt.
Wir orientieren uns - das findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder - an dem Wunsch nach Sicherheit
und Freiheit gleichermaßen, ohne dabei deplatziertes
und auch völlig unnötiges Weltverbesserertum zu betreiben; denn klar ist: ohne Sicherheit auch keine Freiheit.
Die Union hat es deshalb sehr begrüßt, Frau Ministerin - sie ist jetzt gerade leider weg; wo ist sie? -,
({3})
dass nun zum Beispiel auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich sein soll, wenn die besondere Gefährlichkeit eines Straftäters erst nach dem Urteil
und während der Haft festgestellt wird. Lange haben wir
vonseiten der Union dies vergebens gefordert, aber Sie
wissen ja: Was lange währt, wird endlich gut, Frau Ministerin. Wir freuen uns sehr darüber.
({4})
Aus diesem Grunde haben wir heute auch mit Freude
sowohl von Ihnen, Frau Ministerin, als auch von Herrn
Stünker vernommen, dass ebenfalls ein Gesetzentwurf
zur Sicherungsverwahrung von Straftätern zu erwarten
ist, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden
sind.
({5})
- Gott sei Dank, Herr Montag; da bin ich sehr froh. Auch das ist überfällig. Ich habe Ihnen am Anfang gesagt, dass sich etwas zum Positiven verändert hat. Das
gehört sicherlich dazu.
({6})
- Aber er hat es gemerkt. Das ist schön. Das zeigt mir:
Wir sind auf dem richtigen Weg.
Durch aktuelle, immer dramatischere Vorfälle nimmt
auch das Thema Stalking noch mehr an Brisanz zu. Erst
letzte Woche wurde wieder eine Frau von ihrem Exmann, der sie über Monate hinweg verfolgt und drangsaliert hatte, auf offener Straße erstochen - trotz Kontaktverbots.
Uns liegen zu diesem Thema - auch hierzu haben wir
vielleicht noch eine kleine Meinungsverschiedenheit; ich
bin aber sicher, dass wir sie beseitigen können - zwei
Gesetzentwürfe vor, einer aus dem Bundesjustizministerium und einer aus dem Bundesrat, unter Federführung
von Hessen und Bayern. Diese beiden Gesetzentwürfe
unterscheiden sich im Wesentlichen in zwei Punkten, die
ich durchaus für bemerkenswert halte. Der Bundesrat
normiert einen deutlich weiter gehenden Tatbestand des
Stalking. Außerdem sieht er die so genannte Deeskalationshaft vor. Der Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium verzichtet auf beides.
Ich muss hier ausdrücklich sagen, dass ich in diesem
Fall die Bundesratsvariante unterstütze, denn ich bin der
Meinung, dass es ein Fehler wäre, schon jetzt, wo wir
beim Thema Stalking noch ganz am Anfang stehen, wo
wir die Motivationen erst erleben, einen endgültigen Tatbestand zu normieren, ohne sozusagen noch Ausweichmöglichkeiten vorzusehen. Wir wissen alle: Gerade Stalker sind von ihrer Persönlichkeitsstruktur her sehr
intelligente Täter, die sich immer wieder neue Möglichkeiten ausdenken, ihr Opfer zu drangsalieren und zu verfolgen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir uns einigen könnten, Frau Ministerin; denn der Bedarf für eine
Regelung ist völlig unbestritten. Darum bin ich auch
sehr positiv gestimmt und denke, dass wir da einen Weg
finden werden.
Auch was die Strafbarkeit von Freiern angeht, müssen
wir dringend handeln. Zwangsprostitution und Zwangsheirat sind ebenfalls Themen, mit denen wir uns unbedingt befassen müssen.
Fraktionsübergreifend einig sind wir uns in der Feststellung, dass wir als deutsche Parlamentarier nicht mehr
nur ergebene Vollstrecker von europäischen Vorgaben
sein wollen. Hier ist unser aller Selbstbewusstsein gefragt. Hier ist insbesondere die Sensibilität der Rechtspolitiker gefragt, aber natürlich auch unser aller Einsatz,
der oft schwierig genug ist. Wir müssen uns früh genug
in solche Entscheidungsprozesse einbringen, die aus
Brüssel und aus Straßburg auf uns zukommen. Wir alle
wissen - darüber sind wir uns tatsächlich einig -: Was
man jetzt flott durchwinkt, kann oftmals wie ein Bumerang zurückkommen. Wir sollten aus den Fehlern der
Vergangenheit lernen und zusammenarbeiten. Auf diese
Weise können wir für den deutschen selbstständigen Parlamentarismus wirklich einiges bewirken.
({7})
Das Thema Antidiskriminierungsgesetz kann ich
aufgrund der knappen Redezeit nur noch kurz ansprechen: Ich bin nicht ganz so traurig darüber, dass wir
beim Antidiskriminierungsgesetz noch nicht so weit
sind, wie es die Grünen gern hätten. Ich verhehle nicht,
dass gerade wir als Union unsere Probleme nicht nur mit
Ihrem Gesetzentwurf, sondern insbesondere natürlich
mit den Richtlinien haben, die uns von Rot-Grün überlassen worden sind.
({8})
- Ja, es hilft leider wirklich nichts. Wir müssen ran. Aber
dann reicht es tatsächlich, wenn wir eins zu eins umsetzen. Wir brauchen nicht wieder über das Ziel hinauszuschießen. Unser deutsches Rechtssystem verfügt über diverse Schutzmechanismen gegen Diskriminierungen.
Wir müssen nicht unnötigerweise immer noch mehr
draufsatteln. Ich denke, da haben wir noch einiges vor
uns. Aber auch da werden wir uns sicherlich einigen.
Das bedarf selbstverständlich der notwendigen Sensibilität beider Koalitionspartner; denn jeder weiß natürlich,
wie wichtig dem jeweils anderen einzelne Themen sind.
Wir werden aber konstruktiv zusammenarbeiten.
Ich denke, der Umschwung von Rot-Grün zur großen
Koalition ist uns erfolgreich gelungen. Ich blicke positiv
in die Zukunft und hoffe auch auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der FDP, die das angeboten hat. In
diesem Sinne danke ich Ihnen und freue mich auf das
kommende Jahr.
({9})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen damit zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06, einschließlich Versorgung, Einzelplan 33. Ich erteile das
Wort dem Bundesminister des Innern, Wolfgang
Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Hauptteil des Einzelplans 06 umfasst die Ausgaben für den Sicherheitsbereich. Von den rund
4 Milliarden Euro im Entwurf des Haushaltsplans sind
rund 2,9 Milliarden Euro, also etwa 73 Prozent, für den
Sicherheitsbereich vorgesehen. Das spiegelt den
Schwerpunkt der Aufgaben im Geschäftsbereich des
Bundesministers des Innern wider.
Angesichts der wachsenden Herausforderungen durch
organisierte Kriminalität und internationalen Terrorismus haben wir einen steigenden Sicherheitsbedarf. Der
Aufwuchs in den Ausgaben für den Sicherheitsbereich in
einer Größenordnung von 127 Millionen Euro, also etwa
4,5 Prozent, im Entwurf des Haushaltsplans ist im Wesentlichen zurückzuführen auf zwingende steigende
Ausgaben für die Beauftragung privater Unternehmen
bei der Bundespolizei zur Durchführung der Luftsicherheitskontrollen - damit reagieren wir auf das gestiegene
Fluggastaufkommen - und die dringend notwendige
Einführung des Digitalfunks bei den Behörden der öffentlichen Sicherheit. Wir haben gerade nach den Katastrophenschutzübungen wieder Klagen gehört, dass die
entsprechenden Dienste und Einrichtungen noch immer
nicht über hinreichende Funkverbindungen verfügen. Es
ist dringend notwendig, dass wir die Einführung beschleunigen. Ich bin fest entschlossen, alles zu tun, um
dieses langwierige Verfahren bald zum Abschluss zu
bringen.
({0})
Ich glaube, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass
wir uns, ohne im Rahmen dieser Haushaltsdebatte ausführlich darüber diskutieren zu können, immer wieder
klar machen müssen, dass wir eine völlig veränderte Bedrohungslage haben und dass wir durch die weltweite
Vernetzung der Entwicklungen vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Die organisierte Kriminalität bzw.
überhaupt irgendwie professionell geplante Kriminalität
ist inzwischen immer grenzüberschreitend, europäisch
und international. Das ist eine völlig neue Dimension, im
Übrigen auch, was meine Erfahrung angeht. Bei mir gibt
es ja einen gewissen Erinnerungseffekt in Bezug auf Zeiten vor 15 Jahren. Als auch damals für die innere Sicherheit unseres Landes verantwortliches Mitglied der Regierung sehe ich, dass die europäische und internationale
Dimension der Arbeit ungeheuer viel intensiver geworden ist. Das spiegelt die weltweiten Entwicklungen wider.
Wir haben heute und morgen eine Konferenz, auf der
wir in Vorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft
mit den für die Sicherheit Verantwortlichen in Bund und
Ländern und allen anderen 31 Teilnehmerstaaten durchchecken, ob wir bei allen Vorbereitungen das Menschenmögliche getan haben. Ich glaube, wir sind auf einem
guten Weg. Aber das macht deutlich, dass diese Mittel
angesichts der weltweiten Entwicklungen dringend benötigt werden.
Ich füge die Bemerkung hinzu: Eine solche Haushaltsdebatte ist auch Anlass, den Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten von Bund und Ländern einmal Dank zu
sagen für die Arbeit, die sie im Interesse der Sicherheit
unseres Landes und aller seiner Bürgerinnen und Bürger
leisten.
({1})
Dies gilt auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aller anderen Sicherheitsbehörden. Ich habe in einem anderen Zusammenhang darauf hingewiesen, dass wir bei
der Gefahrenabwehr auf die Funktionsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit von Nachrichtendiensten dringend angewiesen sind. Ohne funktionsfähige, zur internationalen
Zusammenarbeit fähige Nachrichtendienste wäre die Sicherheitslage unseres Landes dramatisch schlechter. Ich
bitte das Hohe Haus, bei allen anstehenden Verfahren im
Zusammenhang mit Institutionen und dergleichen
- selbstverständlich unter Wahrnehmung aller parlamentarischen Rechte - darauf zu achten, dass wir unserer
Verantwortung gerecht werden.
({2})
Ich möchte, weil im Haushaltsentwurf für diesen Bereich ein Mittelaufwuchs veranschlagt ist, die Anmerkung machen, dass es zur Gewährleistung der inneren
Sicherheit in einem starken Maße erforderlich ist, die Sicherheit bei der Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien zu verbessern, einmal, was
die Sicherheit der Informationstechnik selbst betrifft,
mehr aber noch, was die modernen Informations- und
Identifizierungstechnologien, deren Nutzung einen Sicherheitsgewinn für unser Land bedeuten kann, angeht.
Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, insgesamt
20 Millionen Euro aus dem Zukunftsfonds der Bundesregierung für den Geschäftsbereich des Einzelplans 06
zu gewinnen, weil wir in der Forschung im Bereich der
inneren Sicherheit erhebliche Anstrengungen leisten und
dabei auf einem guten Weg sind.
Ich füge, weil hier so viel über die Föderalismusreform debattiert worden ist, hinzu, dass wir uns in den
kommenden Wochen auch mit der zweiten Stufe der Föderalismusreform zu beschäftigen haben werden. Das
wollen wir auch; so haben wir es besprochen, Herr Kollege Burgbacher.
({3})
Es geht dabei um die Bund-Länder-Finanzbeziehungen.
Meine Überzeugung ist, dass wir dabei nur dann Erfolg
haben werden, wenn es nicht zu einem Nullsummenspiel
kommt. Ein Nullsummenspiel bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen verläuft so: Die Länder beschließen,
dass keinem Land weniger Mittel zur Verfügung stehen
dürfen als zuvor; der Bund sagt, es dürfe aber nicht mehr
kosten. Dann kommt am Ende zu wenig Bewegung.
Wir werden uns der Anstrengung unterziehen müssen,
zu überlegen, wie wir nicht durch Grundgesetzänderungen im Bereich der Zuständigkeiten, sondern bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern zusätzliche Synergieeffekte mobilisieren können, damit die Neugestaltung
der Bund-Länder-Finanzbeziehungen eben nicht zu einem Nullsummenspiel wird.
Der Bereich E-Governance, also die Nutzung moderner Informationstechnologien für Verwaltungszwecke,
ist ein Bereich, in dem wir durch eine Intensivierung der
Zusammenarbeit und der Arbeitsteilung von Bund, Ländern und Gemeinden insgesamt - für die Gemeinschaft,
für den öffentlichen Gesamthaushalt, für die Steuerzahler - Effizienzgewinne erzielen können. Ich arbeite sehr
intensiv daran, das Menschenmögliche zu tun.
Ich habe die Sicherheitsvorkehrungen für die Fußballweltmeisterschaft angesprochen. Wir haben vor
kurzem im Sportausschuss eine Debatte darüber geführt.
Ein Kollege hat mir gesagt: Nun freuen Sie sich doch auf
die Fußballweltmeisterschaft; reden Sie nicht immer nur
von Sicherheitsproblemen!
({4})
- Herr Kollege Wieland, damit wir alle uns auf die Fußballweltmeisterschaft freuen können, ist es notwendig,
das Menschenmögliche dafür zu tun, dass bei der Fußballweltmeisterschaft Sicherheit gewährleistet ist, dass
sich die Millionen Besucher, die in unser Land kommen
werden, wirklich bei Freunden zu Gast fühlen.
Wir haben alles getan, damit es eine fröhliche, freundliche, weltoffene Fußballweltmeisterschaft wird. Dazu
gehört, dass die Sicherheit gewährleistet ist. Das muss
sein!
({5})
- Herr Kollege Wiefelspütz, ich wollte gerade darauf
hinweisen, dass sich die Zuständigkeit des Bundesinnenministers für den Sport nicht auf die Frage der Sicherheit
bei der Fußballweltmeisterschaft beschränkt, sondern
auch die Sportförderung auf nationaler Ebene umfasst.
Für diesen Bereich sieht der Haushaltsentwurf Mittel auf
dem hohen Niveau der Vorjahre vor. Dabei steht für
mich im Vordergrund, dass wir die Freiheit der Sportorganisationen wahren, bis hinzu der Frage, wer im Tor der
deutschen Fußballmannschaft stehen wird. Es tut mir
Leid: Als Bundesinnenminister bin ich dafür nicht zuständig.
({6})
- Nein, keine Fachaufsicht.
Aber nun im Ernst: Es ist wichtig, dass auch im Jahr
der Fußballweltmeisterschaft in der Bundesrepublik
Deutschland eine intensive Sportförderung erfolgt. Dies
ist eine sehr vielfältige Aufgabe. Diese wird auch im
Jahr der Fußballweltmeisterschaft mit großer Intensität
wahrgenommen.
({7})
Wir können auch ein bisschen stolz darauf sein, dass
die Sportler der Bundesrepublik Deutschland bei den
Olympischen Winterspielen in Turin in der wie immer
fragwürdigen Nationenwertung Platz eins errungen haben. Aber da wir nun schon Platz eins errungen haben,
können wir auch sagen: Insofern nehmen wir die Nationenwertung ausnahmsweise einmal ernst.
({8})
Wir werden übrigens bei der Fortführung der Sportförderung große Anstrengungen unternehmen - um es
nun im Ernst zu sagen; ich bin entschlossen, mich dafür
sehr stark zu engagieren -, die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Spitzensportler - denken Sie an die
Olympischen Sommerspiele in zwei Jahren - auch in
Zukunft gewährleisten zu können.
Ich füge hinzu: Auch bei den Paralympischen Winterspielen in Turin haben die Sportlerinnen und Sportler der
Bundesrepublik Deutschland mit großartigen Leistungen
Platz zwei in der Nationenwertung erzielt.
({9})
Es waren wunderbar spannende Wettkämpfe. Ich nutze
die Gelegenheit gern, dem Herrn Bundespräsidenten für
sein ganz außergewöhnliches, großartiges persönliches
Engagement, das er gerade den behinderten Sportlern
bei den Paralympics in Turin entgegengebracht hat, meinen Dank auszusprechen
({10})
Es waren ja einige der Kolleginnen und Kollegen dankenswerterweise anwesend.
Wir werden aus diesem Erfolg Konsequenzen ziehen
müssen, um auch unseren behinderten Spitzensportlern
für kommende internationale Wettbewerbe gleiche
Chancen gewährleisten zu können. Da werden wir neue
Maßnahmen treffen. Ich prüfe zusammen mit dem Bundesverteidigungsminister, ob wir in der Vorbereitung auf
internationale Wettbewerbe ähnliche Möglichkeiten der
Hilfe wie für Spitzensportler auch im Behindertenbereich anbieten können.
({11})
Dies muss gar nicht von der Bundeswehr oder der Bundespolizei ausgehen; das kann man auch im Bereich der
zivilen Verwaltung machen. Wir sind dabei und werden
Ihnen entsprechende Lösungsvorschläge unterbreiten.
Das bringt mich zu der Bemerkung, dass der Sport natürlich ein besonders geeignetes Feld ist, um vielfältige
Integrationsprobleme in unserer Gesellschaft erfolgreich zu bewältigen.
({12})
Wir sollten bei dieser Gelegenheit den Sportorganisationen, den Vereinen und Verbänden, für ihren Beitrag dazu
danken.
Auch folgender Punkt in aller Eile: Natürlich ist die
Steuerung und Begrenzung der Migration bzw. der Zuwanderung und die Verbesserung der Integration derjeniBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
gen, die zu uns gekommen sind und zu uns kommen,
eine der Hauptaufgaben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Wir arbeiten daran. Wir hatten heute die große Arbeitstagung zur Evaluierung des
Zuwanderungsgesetzes, wie wir sie in der Koalitionsvereinbarung verabredet hatten. Ich hoffe zuversichtlich,
dass wir auf der Grundlage dieses Erfahrungsaustausches in der Lage sein werden, zu Beginn der zweiten
Jahreshälfte mit den Ländern insgesamt zu einvernehmlichen Regelungen zu kommen, auch was Kettenduldungen und Altfälle anbetrifft.
({13})
Wir sollten im Übrigen auch zu bundeseinheitlichen Regelungen kommen, wie das Staatsangehörigkeitsrecht
exekutiert werden könnte. Natürlich brauchen wir am
Ende bundeseinheitliche Regelungen, weil alles andere
uns in die Irre führt. Einbürgerungstourismus kann
Deutschland nicht nützen.
({14})
- Herr Kollege Ströbele, wenn Sie eine einheitliche Regelung aller Bundesländer befürworten und als Bundesinnenminister einen Beitrag dazu leisten wollen, dann
sind Sie klug beraten, wenn Sie öffentlich dazu keine
Vorgaben machen, sondern zunächst einmal auf eine Einigung der 16 zuständigen Kolleginnen und Kollegen
hinwirken. Das ist mein Verständnis. Ich hoffe, wir
schaffen es miteinander und gemeinsam.
({15})
Denn am Ende hilft uns bei der Bewältigung der Integrationsaufgaben der öffentliche Streit über diese Fragen
nicht wirklich. Je eher wir eine zwischen Bund und Ländern einvernehmliche und einheitliche Regelung zustande bringen, umso besser sind die Chancen, dass wir
die in der Integration bestehenden Defizite, die wir ganz
unbestreitbar haben - übrigens nicht nur in Deutschland;
das ist in anderen europäischen Ländern, die seit Jahrzehnten mit Zuwanderung konfrontiert werden, ganz genauso; Frankreich hat ähnliche Probleme -, bewältigen.
Ohne in lange Schuldzuweisungsdebatten einzutreten,
müssen wir uns darauf konzentrieren, dass die Situation
besser wird; denn es ist höchste Zeit, dass wir die Integration verbessern.
Weil ich damit begonnen habe, will ich noch folgende
Bemerkung machen: Ein Schwerpunkt der Arbeit des
Bundesinnenministeriums in den kommenden Monaten
wird sein müssen - im Verantwortungsbereich des Bundesinnenministers -, die deutsche Präsidentschaft in der
Europäischen Union vorzubereiten. Mir liegt sehr daran, dass wir im Bereich der Justiz- und Innenpolitik in
Europa effizienter werden und dass wir klar machen: Europäische Einigung bedroht die Menschen nicht, sondern
ist ein Sicherheitsgewinn. Europa ist in der Lage, für uns
alle das Leben sicherer zu machen. Dazu müssen wir
zwischen erster und dritter Säule in den europäischen
Verträgen - und im Übrigen auch nach dem Mechanismus des Prüm-Vertrages - vorankommen, indem wir die
Länderzusammenarbeit dort, wo die Länder dazu bereit
sind, pragmatisch vereinbaren.
Je mehr wir für die Sicherheit der Bürgerinnen und
Bürger in Europa zusammenarbeiten, umso mehr stärken
wir auch die Akzeptanz der europäischen Einigung. In
diesem Sinne bitte ich um Ihre Begleitung bei den vielfältigen Arbeiten.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich erteile das Wort der Kollegin Gisela Piltz, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Koalitionsvereinbarungen waren für uns Liberale im Bereich der Innenpolitik schon eine herbe Enttäuschung.
({0})
Außer einigen Ankündigungen und einigen Prüfaufträgen steht da, ehrlich gesagt, nicht viel drin.
Aber auch in den letzten vier Monaten können wir
nicht so recht den roten Faden in der Innenpolitik erkennen, Herr Minister.
({1})
- Von mir aus auch ein rot-schwarzer Faden, aber man
muss nicht alles parteipolitisch interpretieren.
({2})
Von daher sollten wir es einmal bei dem roten Faden belassen.
Sie haben natürlich Recht, dass wir bei der FußballWM alles Menschenmögliche unternehmen müssen, damit das ein sicheres Ereignis zwar nicht für Düsseldorf
- für Düsseldorf leider nicht, da wir kein Spiel bekommen haben; Sie merken, das ärgert einen als Düsseldorferin -, aber für Deutschland wird.
({3})
Man muss aber nicht alles verfassungsrechtlich Unmögliche dafür fordern. Das haben Sie getan. Sie haben immer wieder die Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern auf den Tisch des Hauses gebracht;
insbesondere haben Sie nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Maßnahmen gefordert, die definitiv mit dem
Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen sind. So habe
ich mir den Einsatz eines Verfassungsministers für unsere Verfassung nicht vorgestellt.
({4})
Ich finde, Sie hätten das Urteil akzeptieren müssen. Die
heutigen Äußerungen aus der CDU und CSU waren billige Wahlkampfpolemik, hatten aber nichts mit der eigentlichen Sicherheit zu tun.
Wo bleibt also der rote Faden in dem Thema? Ihr Koalitionspartner war gegen den Einsatz der Bundeswehr
- wir können im Innenausschuss ja jedes Mal die Fortsetzung der Koalitionsverhandlungen erleben - und auch
Ihr eigener Ministerkollege war dagegen. Von daher hat
uns schon sehr gewundert, dass Sie das wieder auf den
Tisch gebracht haben. Wir hoffen, dass jetzt mit diesem
Thema wirklich Schluss ist. Wenn man in diesem Land
etwas für Sicherheit tun will, dann muss man das Mögliche tun, anstatt darüber zu reden, wovon man gerne
träumt und wie man gerne die Verfassung ändern
möchte, selbst wenn man es nicht kann.
Wenn Sie wirklich alles für die Sicherheit tun möchten, dann hätten wir auch schon längst den BOS-Digitalfunk haben müssen.
({5})
Ich kann mich erinnern, dass wir Seite an Seite mit der
CDU Ihren Amtsvorgänger immer wieder aufgefordert
haben, dieses Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen.
Das einzige, was Rot-Grün damals einfiel, war, ein
neues Amt zu schaffen - das ist doch immer Klasse. Danach haben Sie sich überlegt, dieses Projekt auszuschreiben. Wir erwarten von Ihnen, Herr Minister, ganz konkret eine europarechtlich korrekte Ausschreibung. Vor
allen Dingen erwarten wir, dass Sie sich dabei für die
beste Technik für unsere Sicherheitskräfte entscheiden.
Es kann nicht sein, dass wir uns aus irgendwelchen
Gründen für eine Technik entscheiden, die nicht das
Beste und Modernste ist, bloß weil irgendwelche Absprachen gelaufen sind.
({6})
Wie gesagt, mit Sicherheit hat das alles leider nichts zu
tun.
Wenn man überlegt, dass dieses Verfahren insgesamt
15 Jahre lang gedauert hat,
({7})
dann muss man sich doch fragen: In welcher Republik
leben wir hier eigentlich? Wenn ich höre, dass einige
Länder jetzt noch dreistellige Millionenbeträge in das
alte Analogsystem stecken müssen, damit es überhaupt
funktioniert, dann muss ich feststellen, dass das rausgeschmissenes Geld ist - und zwar rausgeschmissenes
Geld aller Steuerzahler, nicht nur der Länder. Das hätte
wirklich vermieden werden können.
({8})
Wir können die beste Ausstattung für unsere Streitkräfte erwarten. Sich darum zu kümmern, wie die Soldatinnen und Soldaten aussehen, ob sie Ohrringe tragen
oder der Lippenstift vielleicht zu rot ist und ob die Uniform grün oder blau sein soll, ist allerdings kleinkariert.
Das ist nicht gerade Beleg für einen roten Faden in der
Sicherheitspolitik. Das macht uns nicht zufrieden.
Es hieß ja immer, für den BOS-Digitalfunk hätten wir
kein Geld. Für andere Dinge haben wir aber Geld, zum
Beispiel für die biometrischen Ausweispapiere. Auf
einmal wird ganz Deutschland mit einem riesigen Modellversuch überzogen. Reisepässe mit einem RFIDChip auszustatten, ist bisher nirgendwo in Deutschland
in der Praxis ausprobiert worden. Niemand weiß, ob sie
sicher sind. Niederländische Hacker haben sie gerade
geknackt.
Im Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2006
sind auch nur 7 Millionen Euro dafür eingestellt worden,
vorwiegend für teure Gutachten. Die hätte man sich sparen können, wenn man erst einmal einen Versuch gestartet hätte. Das wollten Sie aber nicht. Sie mussten ja
Rücksicht auf die Bundesdruckerei nehmen.
({9})
Das Geld, das jetzt noch übrig ist, reicht gerade einmal für die Ausstattung mit Lesegeräten an den Grenzen.
Da muss ich Sie fragen: Wie wollen Sie eigentlich die
Ausstattung, die notwendig ist, um die Daten aus der
Entfernung auslesen zu können - Sie haben ausdrücklich
gesagt, dass Sie das wollen -, finanzieren? Das können
Sie nicht finanzieren.
Darüber hinaus leisten wir uns in Frankfurt ein teures
Pilotprojekt, das sich mit der Iriserkennung beschäftigt,
obwohl Ihr Vorgänger festgelegt hat, dass die einzigen
Merkmale im Pass Fingerabdruck und Gesichtserkennung sein sollen.
({10})
Warum machen wir ein teures Pilotprojekt für biometrische Daten, wenn wir sie gar nicht mehr brauchen? Nur weil im Wahlkreis Ihres Vorgängers ein Unternehmen ansässig ist, das sich damit beschäftigt?
({11})
Ich fordere Sie auf: Hören Sie mit diesem Unsinn auf!
Das brauchen wir nicht. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wir für die Sicherheit brauchen. Dieses Projekt bringt uns jedenfalls - ehrlich gesagt - nicht mehr
weiter.
({12})
Seit dem 1. Januar 2006 gibt es das neue Informationsfreiheitsgesetz - Gott sei Dank!
({13})
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist jetzt auch
dafür zuständig. Der Datenschutz spielt bei Ihnen ja ohnehin eine untergeordnete Rolle. Wenn der Datenschutzbeauftragte jetzt aber auch noch dafür zuständig sein
soll, frage ich mich: Warum, um Himmels willen, kürzen
Sie ihm seinen Etat? Wenn Sie in diesem Bereich einen
roten Faden suchen, dann rate ich Ihnen, endlich das
Bundesdatenschutzgesetz zu novellieren. Alle Verbraucherinnen und Verbraucher warten darauf.
({14})
Auch bei der Integrationsförderung fehlt uns ein roter Faden. Lang und breit wird darüber diskutiert, welchen Einbürgerungstest wir demnächst stellen. Wir sind
nicht in einer Quizshow, wo man bei der Frage nach drei
deutschen Mittelgebirgen einen Ministerjoker ausspielen
kann. Warum finden Sprachkurse statt, wenn Sprache
nicht abgefragt wird? Der Kollege Grindel von der CDU
- er ist heute leider nicht da - hat uns in der letzten Sitzung des Innenausschusses eindrucksvoll geschildert,
dass Sprachkurse in dieser Form nicht funktionieren.
Aber warum kürzen Sie die Mittel deshalb gleich, anstatt
diesen Bereich zu überprüfen und den Mittelansatz zunächst gleich zu lassen? Das ist der falsche Weg. Die
Einbürgerung, ein Test oder ein Gespräch kann nur am
Ende des Integrationsprozesses stehen. Wir müssen den
Prozess unterstützen und nicht den Test am Ende. Bitte
hören Sie auf mit diesen unsäglichen Tests!
({15})
In diesem Zusammenhang noch ein Appell: Finden
Sie endlich eine Regelung, nach der langjährigen Flüchtlingen ein Bleiberecht eingeräumt wird! Herr Minister,
Sie haben das zwischen den Zeilen angekündigt. Ich
würde mich sehr freuen, wenn wir für die integrierten
Menschen endlich eine Lösung finden würden. Ich habe
gemerkt, dass Ihre eigene Fraktion dabei nicht geklatscht
hat.
({16})
- Nur sehr wenige.
Liberale haben einen roten Faden.
({17})
Wir können in Zeiten bedrohter Sicherheit alles tun, um
die Sicherheit unser Bürgerinnen und Bürger zu wahren.
Zugleich können wir aber auch den freiheitlichen Gehalt
des Grundgesetzes und die klassische Rechtstaatlichkeit
wahren. Unser liberaler Innenminister in NordrheinWestfalen beweist zum Beispiel jeden Tag, dass beides
geht. Aus unserer Sicht müssen Maßnahmen, die in die
Bürgerrechte jedes einzelnen Bürgers einschneiden, immer geeignet, erforderlich und angemessen sein. Diesen
juristischen Dreiklang vermisse ich sehr häufig in der
Diskussion, allgemein in der Innenpolitik und gerade bei
den Themen der inneren Sicherheit. Ich appelliere an Sie
alle, dass wir dahin zurückkommen.
({18})
Aus unserer Sicht bleibt nicht viel Gutes über die
erste Zeit zu sagen. Sie haben vieles nicht zurückgenommen, was Ihre Vorgänger umgesetzt hatten. Es brauchte
Liberale vor dem Bundesverfassungsgericht, um das
Luftsicherheitsgesetz zu kippen; rechtswidriger als dieses Gesetz ging es wohl nicht. Wir hoffen, dass Sie einen
roten Faden finden werden. Wenn Sie den finden und
Freiheit und Sicherheit in geeigneter Weise zusammenbringen, dann sind wir gern an Ihrer Seite.
Vielen Dank.
({19})
Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Rudolf Körper,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, in Ihrer Rede hat der Sport einen relativ
großen Teil eingenommen.
({0})
Ich denke, es war gut, dass der Sport eine große Rolle
gespielt hat.
({1})
Ich will auf ein Thema hinweisen, das mir ein bisschen Sorge macht, nämlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. März dieses Jahres zum Thema
Sportwetten.
({2})
In der Urteilsbegründung steht unter anderem, dass eine
effektive Bekämpfung der Spielsucht als Voraussetzung
des Monopols nicht gewährleistet sei. Das Verfassungsgericht schlägt eine zeitliche Frist vor, zu deren Ablauf
dies geregelt sein muss. Ich weiß, dass bei den Regelungen, die dabei ins Auge zu fassen sind, zuerst die Länder
gefordert sind. Aber wir wissen auch, dass bei einer Länderregelung viele Staatsverträge geschlossen werden
müssten. Die Frist bis zum 31. Dezember 2007 ist deshalb recht knapp bemessen. Ich verweise darauf, weil ich
der Auffassung bin, dass der Sport, der deutsche Spitzensport und insbesondere der deutsche Breitensport,
auf das Geld aus diesem Bereich nicht verzichten können. Deswegen sind Regelungen dringend notwendig.
({3})
Wenn ich schon bei diesem Thema bin, will ich den
Blick auf einen damit in Zusammenhang stehenden Bereich lenken: Wir freuen uns sehr darüber, dass Großereignisse wie beispielsweise die Fußballweltmeisterschaft bei uns stattfinden werden. Angesichts der
Tatsache aber, dass im Jahr 2007 zehn internationale
Meisterschaften in Deutschland stattfinden werden
- worüber wir uns natürlich alle sehr freuen -, scheint
mir der entsprechende Mittelansatz in der mittelfristigen
Finanzplanung nicht ausreichend zu sein. Deswegen bin
ich der Auffassung, dass wir das noch einmal gemeinsam überarbeiten müssten, damit insbesondere die Fachverbände, die diese Wettbewerbe organisieren und
durchführen, die Planungssicherheit bekommen, die sie
brauchen. Ich denke, das ist wichtig.
Diese Beträge, über die wir reden, stellen mit Sicherheit nicht den größten Batzen dar. Der Haushalt beträgt
- das wurde vorhin gesagt - 4 Milliarden Euro; davon
sind 2,9 Milliarden Euro für den Sicherheitsbereich
vorgesehen. Ich bin der Auffassung, dass diese 2,9 Milliarden Euro gut angelegtes Geld sind.
({4})
Deutschland ist ein sicheres Land. Das können wir mit
Fug und Recht behaupten. Deutschland ist eines der sichersten Länder in dieser Welt.
({5})
- Das hat einmal jemand anderes gesagt, lieber Herr
Stadler. Deswegen möchte ich das nicht wiederholen
oder unterstreichen.
Warum sage ich, dass Deutschland ein sicheres Land
ist, und stelle das voraus? Ich glaube, dass die hervorragende Sicherheitslage in Deutschland auch ein ganz
wichtiger Standortfaktor für die Wirtschaft in unserem
Land ist. Deswegen sollten wir positiv darüber sprechen.
({6})
Viele sind dafür verantwortlich und tragen dafür
Sorge, dass Deutschland ein sicheres, aber auch ein
freies Land ist. Ich denke, Freiheit und Sicherheit bedingen sich einander.
({7})
Beide Elemente sind für unser Handeln in der Innenpolitik ganz entscheidende Richtschnüre.
({8})
Deswegen ist es sehr gut, wenn wir uns bewusst machen, dass, um Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten,
mehr denn je Zusammenarbeit vonnöten ist: zwischen
der Bundes- und der Länderebene, aber auch auf europäischer Ebene. Ich bin dankbar, dass die Anregung zum
Prümer Vertrag aus Deutschland kam: Die zuständigen
Minister verschiedener Mitgliedstaaten haben sich darauf verständigt, die polizeiliche Zusammenarbeit auf
europäischer Ebene gemeinsam zu gestalten und auszubauen. Das ist der richtige Weg.
({9})
Es ist ebenfalls richtig, dass wir eine moderne
Sicherheitsarchitektur entwickeln, in deren Rahmen
auch neue Technologien zum Einsatz kommen. Eine Antiterrordatei wäre überhaupt nicht denkbar, wenn man
sich der neuen Technologien nicht bedienen würde. Ich
bin mir sicher, dass wir hier zu einer guten Lösung kommen werden.
({10})
Ich möchte betonen: Auch unter Beachtung des Trennungsgebotes können wir ein wirksames Instrument zur
Verfolgung terroristischer Straftäter schaffen.
({11})
Auch im Zuge der Föderalismusdebatte sollten wir
uns mit der Frage beschäftigen, in welchen Bereichen
die Sicherheitsarchitektur - ich habe es bereits angesprochen - weiterentwickelt werden kann. Ich bin sehr froh,
dass im jetzt vorgeschlagenen Paket vorgesehen ist, die
Präventivkompetenzen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus dem Bundeskriminalamt zu übertragen. Ich denke, das ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen des internationalen Terrorismus.
({12})
Ich würde mich freuen, wenn tatsächlich Einsicht um
sich greifen und so entschieden würde.
Da, wie ich betont habe, ein Zusammenhang zwischen der Sicherheitsarchitektur und modernen Technologien besteht, muss man bei diesem Thema auch auf die
Einführung des Digitalfunks zu sprechen kommen.
({13})
Lange Zeit habe ich gesagt, das sei eine nicht enden wollende Geschichte.
({14})
- Aber, liebe Frau Stokar, es scheint tatsächlich so zu
sein, dass nicht nur Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist, sondern wir mit diesem Projekt noch in diesem
Jahr beginnen können, sofern die Verfahren - die im
Übrigen sehr sachbezogen und objektiv durchgeführt
werden; hier wird es keine Mauscheleien geben - entsprechend abgewickelt worden sind. Ich halte die Ansätze, die wir im Haushalt 2006 veranschlagt haben, daher für völlig richtig: 104 Millionen Euro in diesem Jahr
und Verpflichtungsermächtigungen in einer Größenordnung von 1 Milliarde Euro zur Fortführung dieses Projekts für die Dauer von zehn Jahren. Das ist der richtige
Weg. Ich sage: Den Digitalfunk brauchen wir im Interesse der Sicherheit in unserem Land.
({15})
Ein gutes Beispiel für das, was die Koalition in
diesem Bereich bisher geleistet hat, ist das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das evaluiert wurde. Die Koalitionsfraktionen sind gegenwärtig dabei, die KonsequenFritz Rudolf Körper
zen aus den Ergebnissen dieser Evaluierung zu ziehen.
Wir können davon ausgehen, dass alle notwendigen Entscheidungen, beispielsweise zur Frage der Entfristung,
bis zum Sommer dieses Jahres getroffen worden sind.
Auch hier sind wir auf einem guten Weg.
Zum Thema Fußballweltmeisterschaft will ich keine
großen Worte verlieren. Nur so viel: Ich bin fest davon
überzeugt, dass das Sicherheitskonzept, das Bund und
Länder gemeinsam - das betone ich ausdrücklich - erarbeitet haben, nicht nur auf dem Papier gut ist, sondern
sich in der Praxis bewähren wird
({16})
und wir eine Fußballweltmeisterschaft bekommen, die
ihrem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ gerecht
werden wird. Dieses Motto sollten wir nicht vergessen,
wenn wir an der Vorbereitung dieses Ereignisses arbeiten.
({17})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wir dürfen
im Kampf gegen Extremismus und Rechtsextremismus
nicht nachlassen.
({18})
Wir dürfen uns nicht dadurch blenden lassen, dass Extremisten und Rechtsextremisten bei den letzten Landtagswahlen - zum Glück - keine guten Ergebnisse erzielt haben. Ich bin der Auffassung, dass Projekte gegen
Rechtsextremismus, die sich bewährt haben, weiter fortgesetzt werden sollten. Die haushaltsrechtliche Situation
sollte kein Hindernis sein, um erfolgreiche und bewährte
Projekte fortzusetzen.
({19})
Es gibt einen Punkt, mit dem ich Schwierigkeiten
habe; das gebe ich gerne zu. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat auch zum Thema Kampf gegen Extremismus hervorragende Arbeit geleistet, entsprechende Projekte durchgeführt und Broschüren aufgelegt.
Ich bin der Auffassung, dass wir über die vorgesehene
Kürzung des Haushaltsansatzes im Zuge der Haushaltsberatungen noch einmal nachdenken sollten. Vielleicht
könnten wir so verfahren wie im Jahr 2005. Ich bin nämlich der Auffassung, dass es die Bundeszentrale für politische Bildung bei dieser guten Arbeit verdient hätte,
dass ihr die Mittel nicht gekürzt werden, sondern zumindest die gleiche Höhe wie im Jahr 2005 veranschlagt
wird.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({20})
Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag mit
deutlichen Worten ins Stammbuch geschrieben, dass der
Gesetzgeber Grundrechte massiv verletzt hat, zum Beispiel durch das Luftsicherheitsgesetz, den Europäischen
Haftbefehl und den großen Lauschangriff.
Dennoch setzt diese Regierung ihre verfehlte Politik
des Abbaus von Bürgerrechten konsequent fort. Das
zeigt sich auch im Haushaltsentwurf des Innenministeriums: 70 Prozent der Gelder sind für Maßnahmen im Bereich der Sicherheit. Das bedeutet eindeutig eine weitere
Stärkung des Repressionsapparates. Als zentrale Begründung dafür dient die Bekämpfung des Terrorismus,
wie wir auch heute wieder gehört haben.
In Wahrheit wird nicht mit realen Gefährdungslagen
operiert, sondern Hysterie geschürt.
({0})
Nehmen wir die heute stattfindende Konferenz zur Sicherheit bei der Fußballweltmeisterschaft: Statt den
Menschen die Vorfreude auf dieses Großereignis zu vermitteln - Herr Schäuble, Ihre Einlassungen dazu haben
mich auch heute nicht überzeugt -, erwecken Sie mit Ihrer ständigen Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr und dem beispiellosen Aufwand für Sicherheitsüberprüfungen eines jeden Würstchenverkäufers den
Eindruck, als sei der Ausnahmezustand auszurufen. Das
ist typisch für die deutsche Innenpolitik. Alles wird als
gefährlich und bedrohlich bezeichnet. Als Lösung wird
dann die Einschränkung der Grundrechte gefordert.
Diesem Argumentationsmuster ist der Vizepräsident
des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, am
letzten Wochenende in einer Grundsatzrede auf dem
Strafverteidigertag entgegengetreten. Er kritisierte, dass
Sie zuerst die Furcht vor einem Verbrechen schüren, um
sie dann zu bedienen. Somit bleibe die Verhältnismäßigkeit der Mittel auf der Strecke und Freiheitsrechte hätten
keine Chance. - Damit hat der Verfassungsrichter die
Politik der alten und der neuen Regierung präzise charakterisiert. Es ist eine Angstpolitik auf Kosten der
Grundrechte. Dies lehnen wir entschieden ab.
({1})
Werte Kolleginnen und Kollegen, die so genannten
Antiterrormaßnahmen der letzten Jahre stellen selbst
eine massive Gefährdung der rechtsstaatlichen Ordnung
dar. Sie von der Koalition haben bisher nicht den geringsten Schritt unternommen, um dies zu ändern. Ich
will das an einigen Beispielen erläutern:
In Berlin wird das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum aufgebaut.
({2})
Verschiedene Behörden - Polizei, Geheimdienste und
sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - arbeiten dort Hand in Hand zusammen und tauschen Daten
aus.
({3})
Herr Minister, kennen Sie eigentlich das Trennungsgebot unserer Verfassung? Aufgrund der Erfahrungen
unserer Geschichte haben sich die Verfasser des Grundgesetzes für die strikte Trennung von Geheimdiensten
und Polizei entschieden.
({4})
Heute finden die CDU/CSU und sage und schreibe auch
die SPD nichts mehr dabei, dieses bewährte Prinzip zu
missachten.
({5})
Es ist noch schlimmer: Der Innenminister wollte die
klare Trennung zwischen Polizei und Militär aufheben.
Herr Schäuble, ich habe heute natürlich zur Kenntnis genommen, dass Sie diese Forderung in der „Frankfurter
Rundschau“ zurückgezogen haben. Ich erinnere das
Haus aber daran, dass Herr Schäuble schon vor ein paar
Jahren die Militarisierung nach innen gefordert hat.
({6})
Für mich stellt sich die Frage, wann Sie den nächsten
Anlass finden, um diese Fragen erneut auf die Tagesordnung zu setzen.
Werte Kollegen und Kolleginnen, für den Inlandsgeheimdienst sind Mittel im Haushalt eingestellt, aber man
erfährt nicht, wofür genau. Damit wird in erster Linie
eine Sicherheit vor der parlamentarischen Kontrolle geschaffen.
({7})
Bei der inneren Sicherheit hat der Verfassungsschutz
eindeutig versagt, wie sich beispielsweise bei der Auseinandersetzung mit der NPD gezeigt hat. Nicht einmal
das Verfassungsgericht konnte zum Schluss noch unterscheiden, ob in manchen NPD-Gremien mehr echte Parteimitglieder oder mehr Verfassungsschützer saßen. Deshalb ist das NPD-Verbotsverfahren kläglich gescheitert.
Auf Verfassungsschutzmitarbeiter, die selber eine neofaschistische Politik betreiben, können wir gut verzichten.
({8})
Das Beste wäre im Übrigen eh, die Behörde aufzulösen
und die Gelder sinnvoller zu investieren.
({9})
Ich will Ihnen auch sagen, wo man tatsächlich zum
Schutz der Verfassung beitragen könnte.
({10})
Herr Körper, allein im vergangenen Jahr hat das Bundeskriminalamt 10 000 rechtsextremistische Straftaten
gezählt. Jeden Tag schlagen Neonazis Andersdenkende,
Andersaussehende und Homosexuelle zusammen und
schaffen vielerorts ein Klima der Angst und Bedrohung.
Es geht bis hin zu Tötungsdelikten. Gegenüber diesen
realen Gefahren bleibt die Bundesregierung unverständlicherweise passiv.
({11})
Dass Sie jetzt sogar noch Anstalten machen, die Bundesprogramme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zu
kürzen, ist einfach nur noch absurd und zynisch. Das Gegenteil wäre richtig.
({12})
Die Regierung will nun aber lieber dem so genannten
Linksextremismus den Kampf ansagen. Bei Ihnen im
Kabinett geht offenbar ein Gespenst um und Ihre Geisterjäger vom Verfassungsschutz haben jetzt nichts Besseres zu tun, als Mitglieder der Linksfraktion auf ihre
schwarzen Listen zu setzen. Indem es seinen langjährigen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine überwachen
lässt,
({13})
macht sich das Saarland lächerlich.
({14})
Peinlich ist auch, wie seit Jahren diejenigen diffamiert
werden, die sich gegen Neofaschismus wenden, zum
Beispiel die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
Stattdessen sollten Sie die politische Bildungsarbeit
intensivieren. Wir wenden uns daher gegen Kürzungen
der Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung.
Deren Programme können dann nichts bewirken, wenn
die Bundesregierung selbst keine grundrechtsorientierte
Politik praktiziert, wenn Abgeordnete über deutsche
Leitkultur schwadronieren, wenn Sie Einwanderer und
Flüchtlinge generell zur Bedrohung erklären und damit
der Fremdenfeindlichkeit Vorschub leisten.
Minister Schäuble hat letzte Woche in Heiligendamm
mit EU-Kollegen über die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer gesprochen. Dort ertrinken jedes Jahr bis zu Tausend Flüchtlinge.
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Ende.
Diese Menschen riskieren ihr Leben, weil ihnen auf
ihrer Flucht vor Elend und Verfolgung jeder legale Weg
abgeschnitten wird. Die EU-Festung soll noch besser geschützt werden. Ihre Abschottungspolitik machen wir
nicht mit. Diese Art von Sicherheitspolitik wird für
Flüchtlinge weiterhin tödliche Folgen haben. Anstatt
Mittel für Grenzsicherung und Abschottung in den
Haushalt einzustellen, sollten Sie, wie gesagt, lieber Bildung finanzieren.
Ich danke.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Silke Stokar.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt reden wir wieder über reale Innenpolitik.
({0})
Herr Bundesinnenminister, ich habe während Ihrer
Rede genau zugehört. Ich finde, dass Sie heute erstaunlich wenig über Ihr Lieblingsthema geredet haben. Deswegen möchte ich Sie noch einmal daran erinnern, was
Sie erst vor kurzem auf einer Wahlveranstaltung der
CDU in Rheinland-Pfalz gesagt haben - ich zitiere wörtlich -:
Ich kann nicht verstehen, dass die Bundeswehr unsere Sicherheit überall verteidigen darf, nur nicht in
Deutschland.
Für einen Innenminister, der für die Verfassung zuständig ist, ist das schon ein sehr bemerkenswerter Satz. Ich
kann dazu nur sagen, Herr Schäuble: Wenn Sie die
Grundwerte unserer Verfassung nicht verstehen, dann
empfehle ich Ihnen, sich bei einem Integrationskurs anzumelden; denn da werden sie Ihnen vermittelt.
({1})
Ich finde es auch bemerkenswert, dass der Bundesinnenminister ein Rechtsgutachten braucht, um die Frage
klären zu lassen, ob Bundeswehrsoldaten an die Bundespolizei abgeordnet werden müssen. Auch hier hätte ein
einfacher Blick in die Verfassung gereicht. Ich hoffe,
dass die große Koalition nun, da der Wahlkampf in den
drei Bundesländern vorüber ist, in der Lage ist, diese
Geisterdebatte über den Einsatz der Bundeswehr im
Innern zu beerdigen. Das wäre gut für die Sicherheit im
Land und auch für das Klima zur Fußballweltmeisterschaft.
({2})
- Das ist gut, Herr Edathy. Eigentlich ist es ganz einfach:
Die Verteidigung bei der Fußballweltmeisterschaft übernehmen die Nationalspieler auf dem Rasen
({3})
und für die Sicherheit ist die Polizei zuständig.
Ich sehe allerdings im Zusammenhang mit dem Haushalt die zahlreichen Anforderungen der Länder zum
technischen Einsatz der Bundeswehr, also im Rahmen
der von der Verfassung gedeckten Amtshilfe, mittlerweile sehr kritisch. Die über hundert Anforderungen lösen in mir den Verdacht aus, dass die Länder versuchen,
die Bundeswehr als Lückenbüßer einzusetzen, weil diese
in den letzten Jahren bei der Polizei gespart haben.
({4})
Im Rahmen einer Anforderung beispielsweise, die
mir bekannt geworden ist, sollte die Bundeswehr
150 000 Mahlzeiten zubereiten. Dazu kann ich nur sagen: Die Bundeswehr ist nicht dafür da, für die Polizei
Butterstullen zu schmieren.
({5})
Die Bundeswehr ist für andere Aufgaben qualifiziert.
({6})
Der Hintergrund ist, dass die Länder in den vergangenen
Jahren nicht nur 7 000 Polizeidienststellen abgebaut,
sondern auch die Mittel für die Infrastruktur der Polizei
ganz erheblich gekürzt haben. Ich werde in diesem Zusammenhang sehr genau darauf achten, dass diejenigen,
die Amtshilfe anfordern, dafür kostendeckend an den
Bund bezahlen. Wir werden den Haushalt auf diese
Rechnung prüfen.
Wir werden uns den Haushalt auch im Hinblick auf
den AWACS-Einsatz genau ansehen, zu dem ich eine
Frage an den Innenminister habe. Aus Sicherheitsgründen will ich an dieser Stelle keine Kritik üben. Mir ist
nur aufgefallen, dass weder im Haushalt des Innenministeriums noch in dem des Verteidigungsministeriums die
mit der AWACS-Überwachung verbundenen Kosten in
Höhe von etwa 2,5 Millionen Euro ausgewiesen sind.
Ich habe ein ganz gutes Gedächtnis. Als es um die
AWACS-Überwachung während der Olympischen
Spiele in Griechenland ging, hat die Bundesregierung
die Rechtsauffassung vertreten, dass die Kosten dafür
nicht von der NATO, sondern vom Gastgeberland zu tragen wären. Daraus schließe ich, dass die Mittel irgendwo
im Haushalt veranschlagt sein müssen.
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Ich
finde den Streit um die Kosten für die Fußball-WM mittlerweile ziemlich peinlich für die föderale Ordnung in
Deutschland. Der Streit in den Austragungsorten füllt
mittlerweile die Schlagzeilen. In Niedersachsen streiten
sich die Stadt Hannover und das Land über die Kosten
im Bereich des Katastrophenschutzes.
({7})
Innenminister Schünemann meint, das Land sei erst
dann zuständig, wenn eine Katastrophe eingetreten ist.
Wenn das bundesweite Sicherheitskonzept so aussieht,
dann habe ich tatsächlich Bedenken und Befürchtungen
hinsichtlich der Sicherheit.
Ich komme zum Thema Datenschutz. Wir Grüne
freuen uns, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte jetzt
auch Beauftragter für Informationsfreiheit ist. Im Haushalt spiegelt sich das nicht wider. Herr Körper, wir haben
damals im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsgesetz vereinbart, sechs zusätzliche Stellen für den
Bereich der Informationsfreiheit einzurichten. Sie aber
streichen Mittel für den Datenschutz und von den Stellen
ist weit und breit nichts zu sehen. Ich gehe davon aus,
dass sich die große Koalition offensichtlich darauf verständigt hat, die Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes zu blockieren und zu behindern. Nach den Strafgebühren beim Informationsfreiheitsgesetz, die Sie mit
zu verantworten haben, wird jetzt das Personal für die
Bearbeitung verweigert.
Was den modernen Ansatz der Informationsfreiheit
angeht, den es in allen großen OECD-Staaten und in allen europäischen Ländern gibt, ist Deutschland Schlusslicht. Das ist keine grüne Marotte. Inzwischen haben alle
Industriestaaten begriffen, dass die moderne Wissensgesellschaft von Informationsfreiheit lebt. Sie gestalten
nicht die Zukunft; Sie machen vielmehr eine rückständige Politik.
({8})
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Thema
Datenschutz. Manchmal ist es witzig, Zeitung zu lesen.
Bundeskanzlerin Merkel weiß jetzt aus eigenem Erleben, dass die Persönlichkeitsrechte geschützt werden
müssen. Das kommt davon: Wer sich für flächendeckende Videoüberwachung einsetzt, muss tatsächlich damit rechnen, dass das eigene Wohnzimmer in den Blickwinkel der Überwachungskameras gerät.
({9})
Frau Bundeskanzlerin Merkel ist jetzt beim Thema Datenschutz scharf im Bild. Ich hoffe, dass sie das für dieses Thema sensibilisiert.
Ich nehme den Hinweis der SPD ernst, die Streichung
der Mittel für politische Bildung - für die Einsetzung
sind zunächst einmal Sie verantwortlich; Sie sind in der
Regierung - zurücknehmen zu wollen. Wir sind dabei
auf Ihrer Seite. Wir können nicht die niedrige Wahlbeteiligung und den in erschreckendem Maße zunehmenden
Rechtsextremismus in unserem Land beklagen und
gleichzeitig die Mittel für politische Bildung streichen.
Ich sage deutlich: Wir brauchen nicht weniger, sondern
mehr politische Bildung. Die Kürzung der Civitas-Mittel
in der mittelfristigen Finanzplanung ist ein falsches Signal an die Initiativen. Solche Kürzungen sollten rückgängig gemacht werden.
({10})
- Das hat etwas damit zu tun, dass der großen Koalition
in der Haushaltsberatung unendlich viel Redezeit zur
Verfügung steht, während wir von den Oppositionsfraktionen die Themen in einem Stakkato abhandeln müssen.
({11})
Das ist ein Demokratiedefizit im Parlament. Ich bitte jedenfalls um Entschuldigung, dass wir nach den unendlich vielen Reden der Abgeordneten von SPD und CDU/
CSU - das wird sich noch fortsetzen - die Themen in einem Schnelldurchlauf anreißen müssen.
Ich möchte noch etwas zu Ihrem Integrationskonzept sagen. Es reicht nicht aus, eine Integrationsbeauftragte im Kanzleramt anzusiedeln. Wir, die wir mit diesem Ansinnen damals an der SPD gescheitert sind,
begrüßen das. Aber Sie müssen auch auf die Staatsministerin Böhmer hören. Sie hat in ihren Ausführungen
sehr deutlich gesagt, den Integrationskursen mangle es
an Qualität, zudem sei die Nachfrage größer als das Angebot und die Honorierung der Lehrkräfte stimme nicht.
Was machen Sie? Sie kürzen die Mittel für die Integrationskurse um 67 Millionen Euro. Ihre Sonntagsreden
zur Integration können Sie sich sparen, wenn Sie nicht
endlich kapieren, dass das die große Zukunftsaufgabe
ist. Integration gibt es nun einmal nicht für weniger
Geld.
({12})
Ich möchte noch ein paar Worte zum öffentlichen
Dienst sagen. Der öffentliche Dienst hat in den vergangenen Jahren einen fairen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet. Die Beschäftigten im öffentlichen
Dienst erwarten die Anerkennung ihrer Leistung und
eine verlässliche Perspektive. Die Haushaltslöcher durch
das Streichen des Weihnachtsgeldes zu stopfen, hat allerdings wenig mit nachhaltiger Politik zu tun. Wir, die rotgrüne Regierung, haben damals zumindest den Entwurf
eines Strukturreformgesetzes vorgelegt und damit ein inhaltliches Angebot gemacht. Lassen Sie mich aber auch
sagen: Dort, wo Kürzungen unumgänglich sind, erwarten wir eine soziale Staffelung.
Herr Bundesinnenminister, Sie könnten einen Teil des
Vertrauens bei den Bediensteten des öffentlichen Dienstes zurückgewinnen, wenn Sie die verbliebenen Sonderzahlungen in die Grundgehälter einbeziehen sowie einen
verlässlichen Zeitplan für die Umsetzung des Eckpunktepapiers zur Strukturreform im öffentlichen Dienst vorlegen.
({13})
Ich überstrapaziere schon die Geduld des Präsidenten.
({14})
Denn meine Redezeit ist zu Ende.
Ich danke Ihnen.
({15})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Uhl,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker
Kauder, hat unlängst einen nationalen Integrationsplan
gefordert. Er hat Recht. Es reicht nicht mehr aus, über
den schillernden Begriff der Integration nur zu reden.
Vielmehr müssen wir die Integration in konkretes Verwaltungshandeln umsetzen, und zwar mit Rechten und
Pflichten, mit Angeboten und Verboten. Die Integration
wird damit messbar, haushaltswirksam und kostenträchtig. Die Integration wird sehr, sehr teuer werden. Beim
Thema Zuwanderung und Integration müssen wir von
der großen Koalition uns gemeinsam der Realität stellen.
Das heißt, alle grüne Multikultiseligkeit ist nicht mehr
angebracht.
({0})
Es ist nämlich so - wir wissen es doch längst -: Menschen, die in den großen Wohnblöcken unserer Großstädte leben,
({1})
empfinden nicht alles Fremde per se als Bereicherung,
sie empfinden es bisweilen als störend, manchmal sogar
als bedrohlich.
Wir müssen die wachsende Selbstabschottung von
Zuwanderern aufbrechen.
({2})
Menschen, die auf Dauer bei uns leben wollen, müssen
sich mit unseren Grundüberzeugungen, mit unseren
Werten auseinander setzen. Nur so können wir Konflikte
entschärfen und den sozialen Frieden sichern. Mit Besorgnis stellen wir fest: In Deutschland sind derzeit
700 000 Ausländer arbeitslos; das entspricht einer Arbeitslosenquote von sage und schreibe 26 Prozent. Immer mehr Ausländer leben von Sozialleistungen. In der
Kriminalitätsstatistik dieser Stadt Berlin ist der Anteil
der Tatverdächtigen bei den jugendlichen und heranwachsenden Nichtdeutschen auf circa 30 Prozent angestiegen. Im Verlaufe der nächsten Jahre werden viele
Großstädte kippen: Die Zugewanderten und ihre Nachkommen werden bereits in wenigen Jahren die Mehrheit
der unter 40-Jährigen stellen.
({3})
Der Ausländeranteil in einigen Stadtteilen deutscher
Großstädte, beispielsweise München, Frankfurt, Berlin,
beträgt schon heute über 40 Prozent.
({4})
In vielen Stadtvierteln haben sich Parallelgesellschaften entwickelt, die keinen Kontakt zu Deutschen wollen,
schlimmer noch: die auch gar keinen Kontakt zu Deutschen brauchen. Sie leben in diesen Gesellschaften weit
gehend autonom in ihrem eigenen Kulturkreis. Geprägt
vom Recht der Scharia gibt es alles: Zwangsehen, arrangierte Ehen, häusliche Sklaverei, vereinzelt sogar Ehrenmorde.
({5})
Hier werden - das muss angeprangert werden ({6})
unsere fundamentalen Menschenrechte - die Menschenwürde, das Recht auf Leben, die Gleichberechtigung von
Mann und Frau, die Religionsfreiheit - mit Füßen getreten. Heute, Herr Winkler, haben Sie im „Tagesspiegel“
den unglaublichen Notruf einer Berliner Hauptschule lesen können: Die Schulleitung hat um Auflösung ihrer
Schule gebeten,
({7})
weil sie die Lage nicht mehr unter Kontrolle bekommt.
Türen werden eingetreten, Knallkörper gezündet, Lehrer
attackiert, Mitschüler zusammengeschlagen.
Was lernen wir aus solch erschütternden Ereignissen?
Es ist wirklich fünf vor zwölf, wir müssen das sehen!
Wer die Rechte und Sozialleistungen unseres freiheitlichen Rechtsstaates in Anspruch nehmen will, muss
auch bereit sein, die Pflichten zu übernehmen.
({8})
Im Klartext heißt das: Wer als Neuwanderer
({9})
- Neuzuwanderer; im Gegensatz zu denen, die schon
hier sind - nicht Deutsch lernen will, darf nicht auf
Dauer in Deutschland bleiben.
({10})
Wer vom deutschen Staat Leistungen empfängt, aber
nicht bereit ist, Deutsch zu lernen, muss mit empfindlichen Kürzungen rechnen. Wer deutscher Staatsbürger
werden will, muss nachweisen, dass er die deutsche
Sprache beherrscht und dass er unser Wertesystem als
verbindlich anerkennt.
Lassen Sie mich noch einen Satz zu der Scheindebatte
- so muss man es nennen - über den richtigen Haushaltsansatz für Integrationsmaßnahmen sagen, Frau
Stokar. Stellen Sie sich vor: Wir bieten für Millionen Integrationskurse an, und keiner geht hin.
({11})
- Das sagen Sie.
({12})
Deswegen werden wir den Dingen in der nächsten
Woche in einer Anhörung auf den Grund gehen. Wir
wollen wissen, wie viele Ausländer zu Deutschkursen
verpflichtet wurden, wir wollen wissen, wie viele Ausländer daran teilgenommen haben,
({13})
wir wollen wissen, wie viele davon eine Abschlussprüfung gemacht haben, und vor allem wollen wir wissen,
in wie vielen Fällen die Verwaltung Integrationsverweigerer mit den gesetzlich vorgeschriebenen Sanktionen
belegt hat. Wir haben nämlich entsprechende Paragrafen
geschaffen. Ich fürchte nur, sie werden von den Behörden nicht angewandt. Selbstverständlich müssen am
Schluss, nach dieser Debatte, ausreichende Mittel für Integrationskurse bereitgestellt werden. Denn wenn wir
das nicht tun, wird es später umso teurer.
({14})
Da gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen uns.
Die Eindämmung des internationalen, insbesondere
des islamistischen Terrorismus ist eine wichtige Herausforderung der deutschen Sicherheitspolitik. Die Koalition ist derzeit dabei, eine gründliche Evaluation
durchzuführen, und wird sich demnächst auf eine verbesserte gesetzliche Grundlage zur wirksamen Bekämpfung des Terrorismus einigen.
Zur wirksamen Bekämpfung gehört auch die Nutzung moderner Informationstechnologie. Das AntiTerror-Datei-Gesetz muss endlich auf den Weg gebracht
werden. Ich höre aus dem Innenministerium, dass man
dabei ist.
Ein wichtiger Schritt zur weiteren Verbesserung der
praktischen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist
das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Berlin-Treptow. Davon war schon die Rede. Ich halte es für
gut und einen Ausbau für möglich und notwendig. Dieser ganzheitliche Ansatz muss auch bei der Bekämpfung
des Menschenhandels und der Schleuserkriminalität zur
Anwendung kommen. Alle Behörden beim Bund und
bei den Ländern, die hierfür zuständig sind, müssen zusammenarbeiten.
In Zukunft muss die Zollverwaltung, die für das Bundesfinanzministerium Schwarzarbeitskontrollen durchführt, den Sicherheitsbehörden, die diesen modernen
Sklavenhandel, den wir derzeit beobachten, bekämpfen,
die Nationalität der Schwarzarbeiter mitteilen. Das tut
sie bisher nicht. Es kann nicht sein, dass die eine Behörde der Bundesregierung daran arbeitet, den organisierten Menschenhandel aufzudecken, und eine andere
Behörde nicht bereit ist, ihr die Nationalität der festgestellten ausländischen Schwarzarbeiter mitzuteilen. Dieser Kampf muss konsequenter geführt werden; denn der
Menschenhandel bedroht nicht nur die innere Sicherheit,
sondern auch unsere Sozialsysteme und eigentlich die
gesamte Volkswirtschaft.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir wollen bitte gemeinsam unsere Rechtsordnung, unsere Zivilgesellschaft verteidigen und damit für
ein friedliches Zusammenleben aller in Deutschland Lebenden, der Deutschen und auch der Ausländer, sorgen.
Danke schön.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fußball
bestimmt die Schlagzeilen. Die WM rückt näher und näher. Ich möchte zunächst der Bundesregierung Dank für
die uneingeschränkte Unterstützung sagen, vor allem
was die der FIFA und dem OK zugesagten Garantien angeht. Als Mitglied des Aufsichtsrates der DFB-Kulturstiftung möchte ich die Förderung des Kunst- und Kulturprogramms 2006 mit 11 Millionen Euro besonders
herausstellen. Die 48 Veranstaltungen können sich sehen
und hören lassen. Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, können daran noch teilhaben.
Fußball ist aber nicht alles. Unsere Großstadien sind
zwar in einem Topzustand; die Sportstättenlandschaft
insgesamt lässt aber viele Wünsche offen. Mit den bereitgestellten Mitteln von 22,7 Millionen Euro lässt sich,
wie die Regierung selbst zugibt, der Antragsstau nur
zum Teil abbauen. 70 000 Sportanlagen warten nach Angaben des DSB auf eine Sanierung. Mit dem hochtrabenden so genannten Goldenen Plan Ost lässt sich auch kein
Staat machen. Mit 3 Millionen Euro dotiert, ist er nicht
mehr als ein symbolischer Akt, der nur in Einzelfällen
und regional begrenzt Wirkung entfalten kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen mehr.
Wir brauchen eine gesamtdeutsche Sportstätteninitiative,
wollen wir dem Sport den notwendigen Rahmen sowohl
für Hochleistungen als auch für Gesundheitsförderung
sichern.
({0})
Die Bundesregierung verweist zu Recht auf die Bedeutung in diesem Bereich getätigter Investitionen, die zugleich Arbeitsplätze sichern und neue schaffen können.
Das würde vorzüglich in das 25-Milliarden-EuroWachstumspaket der Bundesregierung passen.
Die Förderung der olympischen Sportarten bleibt
auf hohem Niveau. Beim Rückblick auf die Winterspiele
in Turin erkennen wir, dass an der richtigen Stelle investiert wird. Nach den gelungenen World Games in Duisburg dürfen wir aber die Unterstützung der nicht olympischen Disziplinen nicht vernachlässigen.
({1})
Wenn zum Beispiel der Rugby-Verband ein Nationalteam nach Kürzungen auflösen muss, ist das ein Alarmzeichen zur Überprüfung der Förderrichtlinien.
Auch für die Paralympics müssen auslaufende Maßnahmen wie die bewährte Top-Team-Förderung unbedingt fortgeführt werden können. Erfolge nach dem Zufallsprinzip müssen der Vergangenheit angehören. Die
Förderung des Behindertensports bedarf - Herr Minister,
Sie haben darauf dankenswerterweise hingewiesen - der
Verstetigung, auch unter dem Aspekt dringend gebotener
Nachwuchsarbeit.
({2})
Doping ist die Geißel des Sports. Da sind wir uns alle
einig. Umso verwunderlicher ist es, dass die Bundesregierung zwar den Ansatz der Dopinganalytik beibehält,
aber bei der Prävention 100 000 Euro kürzt. Wenn auch
nach effektiveren Präventionsmaßnahmen gesucht werden muss: Die Arbeit der NADA darf hier nicht erschwert werden. Am 20. Mai dieses Jahres schlägt in
Frankfurt mit der Fusion von DSB und NOK eine historische Stunde des deutschen Sports. Der Bundestag
sollte mit einer Anschubfinanzierung dem neuen Deutschen Olympischen Sportbund die ersten Schritte erleichtern. Vorher muss aber glasklar sein, wohin diese
Mittel fließen. Blankoschecks sollten wir hier nicht ausstellen.
Ich komme zum Schluss. Eine neue Ära des Sports
beginnt. Der Bundestag muss und wird ein verlässlicher
Partner der Volksbewegung Sport bleiben. Ich wünsche
uns allen als parteiübergreifender Sportfraktion dabei ein
gutes Gelingen.
Danke.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Sebastian Edathy, SPDFraktion.
Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben es gerade gehört: Der Bundesinnenminister hat unter anderem die wirklich schöne Aufgabe, Sportminister zu sein. Er ist der Verfassungsminister, er ist der Sicherheitsminister und er ist letztendlich
auch - das erkennt man, wenn man sich den Bereich der
politischen Bildung und der Integration anschaut - Demokratieminister. Eines ist klar: Nur eine aktive Gesellschaft bewusster Demokratinnen und Demokraten kann
die Grundlage für ein wirklich sicheres und freies Land
bilden.
({0})
Deswegen will ich etwas zu diesem Bereich ausführen.
Ich bin sehr dankbar, dass ich nicht der erste Redner
bin, der darauf hinweist, dass wir, was den Haushaltsentwurf anbelangt, parlamentarischen Handlungsbedarf
beim Bereich der Bundeszentrale für politische Bildung sehen. Wir als neue Koalition haben - ich finde:
völlig zu Recht - in unser Arbeitsprogramm, in den Koalitionsvertrag, wörtlich hineingeschrieben: „Wir werden deshalb die politische Bildung stärken.“ Wir sollten
uns ein halbes Jahr nach Verabschiedung dieses Koalitionsvertrages nicht selber dementieren, indem wir die
Mittel, die der Bundeszentrale für politische Bildung zur
Verfügung gestellt werden, um annähernd 30 Prozent
kürzen. Das geht nicht an. Jeder, der sich über geringe
Wahlbeteiligungen an Landtagswahlen oder über zu wenig Aufklärung über politischen Extremismus beklagt,
der muss die Bundeszentrale für politische Bildung als
wichtige demokratische Agentur in diesem Land in die
Lage versetzen, Angebote zu machen.
({1})
Umso weniger verständlich ist es für mich, dass im
Haushaltsentwurf zur Erläuterung steht: „Weniger wegen Umsetzung Koalitionsvereinbarung“. Ich habe die
Koalitionsvereinbarung anders verstanden und gehe davon aus, dass bis zur zweiten und dritten Lesung eine
Aufstockung der Mittel erfolgt, dass jedenfalls diese
Kürzung nicht in Kraft tritt.
Damit wir eine ähnliche Debatte nicht jedes Jahr erneut führen müssen, rate ich übrigens, die mittelfristige
Finanzplanung zu überprüfen, was die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung anbelangt.
({2})
Ich glaube, dass die Sätze, die dort für die nächsten Jahre
vorgesehen sind, im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister - ich denke, er hat für diese Thematik
viel Verständnis - erhöht werden sollten.
({3})
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Frage der
Integrationskurse machen. Die Sprach- und die damit
verbundenen gesellschaftlichen Orientierungskurse sind
nach meinem Dafürhalten das Herzstück des im Jahre
2005 in Kraft getretenen Integrations- und Zuwanderungsgesetzes. Wir können zwar feststellen - das ist
richtig -, dass die Mittel im Jahre 2005 nicht in der zuvor prognostizierten Höhe abgerufen worden sind; aber
ich glaube sehr wohl - dazu wird hoffentlich auch eine
Sitzung des Innenausschusses am 5. April dieses Jahres
beitragen -, dass wir uns auf Fachebene noch einmal intensiv darüber informieren lassen müssen, was die
Konstruktion der Kurse betrifft und was Anspruchsberechtigte anbelangt, die im letzten Jahr nicht zum Zuge
gekommen sind. Wir müssen sicherstellen, dass wir am
Ende der Haushaltsberatungen sagen können: Integrationsmaßnahmen richten sich nicht nach den Haushaltsansätzen, sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir
tun das, was für Integration nötig ist, und danach wird
der Haushaltsansatz berechnet.
({4})
Es ist schon auffällig, wenn man bei den Integrationskursen feststellt - ich darf noch einen Augenblick bei
diesem Thema bleiben -, dass 30 Prozent der Teilnehmer die abschließende Prüfung nicht erfolgreich bewältigen. Wir werden darüber zu reden haben: Reichen die
630 Stunden oder muss es eine Aufstockung geben?
Sind die Kurse hinreichend differenziert, zum Beispiel
was spezielle Kurse für jugendliche Sprachkursteilnehmer anbelangt? Wir werden auch darüber zu reden haben, ob die Vergütung angemessen ist. Bei einer Vergütung von 2,05 Euro pro Teilnehmer - so sind die
Rückmeldungen aus der Praxis - haben Integrationskurse selten weniger als 25 Teilnehmer.
({5})
Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen derer,
die an den Kursen teilnehmen, habe ich große Bedenken,
ob derartig große Kurse überhaupt einen positiven Abschluss versprechen können.
({6})
Unser Ziel muss sein, dass am Ende eines Integrationskurses auch tatsächlich Sprachkenntnisse vermittelt worden sind, die Menschen ein Erfolgserlebnis haben und
nicht mit der Nachricht nach Hause gehen: Ihr habt nicht
genug gelernt; vielleicht lag das daran, dass ihr nicht genug lernen konntet; aber die gesetzlichen Voraussetzungen sind so. - Wir müssen darüber reden, ob wir da etwas verändern wollen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Debatte über Integrationsfragen gehört sicherlich auch die öffentliche
Diskussion, die in den letzten Wochen zum Thema Einbürgerung geführt worden ist; sie ist auch vom Kollegen Uhl angesprochen worden. Als Mitglied der Koalition freue ich mich immer, wenn ich Gelegenheit habe,
den Koalitionspartner zu loben. Ich lobe ausdrücklich
den Integrationsminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Ich finde es übrigens gut, dass es dort ein Integrationsministerium gibt. Das ist vielleicht etwas, über das
auch in anderen Bundesländern nachgedacht werden
könnte.
({8})
Ich finde gut, was der NRW-Integrationsminister und
frühere Bundestagskollege der CDU, Armin Laschet,
heute in einem „Stern“-Interview gesagt hat.
({9})
Er hat wörtlich ausgeführt:
Aber die Fragebogendebatte ist falsch, weil sie den
Eindruck erweckt, wir hätten zu viele Einbürgerungen. Das Problem ist: Wir haben zu wenig.
({10})
Wir haben zu wenig Einbürgerungen, meine Damen und
Herren!
Vielleicht könnten wir aus sportpolitischer deutscher
Sicht mit ein bisschen mehr Zuversicht auf die Fußballweltmeisterschaft blicken, wenn es uns gelungen wäre,
auch junge, in Deutschland geborene, aber ausländische
Fußballspieler zu gewinnen, zum Beispiel Nuri Sahin.
({11})
Er ist ein Riesentalent, in Deutschland geboren, türkischer Staatsbürger. Er spielt bei Borussia Dortmund. Er
ist jetzt auf dem Weg in die Türkei, um dort sein erstes
Spiel für die Nationalmannschaft der Türkei zu bestreiten. Warum haben wir den eigentlich nicht für uns gewonnen? Warum ist es diesem Land nicht gelungen,
mehr Menschen anzusprechen, nicht nur Staatsbewohner, sondern auch Staatsbürger zu sein? Das ist übrigens
etwas, das nicht allein im Interesse derer ist, die da eingebürgert werden. Da ist ein wirklicher Knackpunkt und
ist eine Schieflage in der Debatte.
Wenn Einbürgerungen vorgenommen werden, so entspricht das nicht einem Gnadenakt.
({12})
Vielmehr erfolgen Einbürgerungen im Interesse der aufnehmenden Gesellschaft, weil es für eine funktionierende Demokratie auf Dauer nicht gut ist, wenn sich die
langfristig im Inland ansässige Wohnbevölkerung in die
Gruppe der Staatsbürger und die Gruppe derer aufteilt,
die Gästestatus haben.
({13})
Wir brauchen da eine Politik der ausgestreckten Hand
und nicht eine Politik der geballten Faust.
({14})
Selbstverständlich gilt, dass für die Einbürgerungen
Voraussetzungen zu erfüllen sind. Die haben wir unter
rot-grüner Regierungsverantwortung übrigens ein Stück
weit erhöht, was etwa den Nachweis von Sprachkenntnissen anbelangt. Wenn man sich anschaut, wie hoch die
Hürden bereits sind, dann muss man sagen: Die Tatsache, dass die Einbürgerungszahlen im Gegensatz zu
dem, was landläufig unterstellt wird, rückläufig sind, hat
auch etwas damit zu tun, dass die Ausgestaltung des
Staatsbürgerschaftsrechts tatsächlich so ist, dass denen,
die sich einbürgern lassen wollen, einiges abverlangt
wird.
Was wir nach meinem Dafürhalten aber nicht abverlangen können, ist ein Gesinnungstest, der zudem von
der Anlage her noch diskriminierend ist. Was in BadenWürttemberg vorgelegt worden ist, ist problematisch,
weil zur Überprüfung von Verfassungstreue gegen den
Geist der Verfassung Fragen gestellt werden sollten. Wir
brauchen auch nicht die Annahme, dass man in Deutschland Abitur haben muss, um deutscher Staatsbürger werden zu können.
({15})
Eine türkische Bürgerin, die sich lange in Deutschland
aufhält, sich um ihre Familie kümmert, einer Berufstätigkeit nachgeht, die deutsche Sprache beherrscht und
sich nicht strafbar gemacht hat, muss uns in Deutschland
auch dann als Mitbürgerin herzlich willkommen sein,
wenn sie nicht drei deutsche Philosophen mit Namen
kennt.
({16})
Ich bin jedenfalls der Überzeugung, dass das so ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen keine
Misstrauenskultur gegenüber Ausländerinnen und Ausländern, sondern eine Politik, die aufgeschlossen ist unter der Definition von gemeinsamen Grundlagen. Herr
Kollege Uhl sagte, manche Großstädte seien davor, zu
kippen, weil der Anteil von Bürgerinnen und Bürgern
mit Migrationshintergrund dort sehr groß werde. Das ist
eine Debatte, die in den USA niemand führen würde,
weil man in den USA vor Augen hat, dass ein Zuwanderer ein potenzieller Mitbürger ist.
({17})
Wenn wir nach über 30, 40 Jahren immer noch davon
ausgehen, dass Zugewanderte eigentlich Fremde geblieben sind, und sie in der Abgrenzung, die es hier oder
dort noch gibt, vielleicht sogar noch bestätigen und bestärken, dann machen wir einen Fehler. Aber, Herr Kollege Uhl, wir sind ja noch jung in der Koalition. Lebenslanges Lernen ist ein wichtiges Politikziel. Ich glaube,
dass wir da noch einen langen Weg vor uns haben.
({18})
Viele Punkte sind angesprochen worden: Wir brauchen eine humanitäre Bleiberechtsregelung und ein
wirksames Antidiskriminierungsgesetz. Ich will mit einem Zitat aus dem Koalitionsvertrag schließen, das
Richtlinie für uns alle hier im Parlament sein könnte. Es
heißt im Koalitionsvertrag:
Die Förderung von Toleranz, die Achtung der
Rechte von Minderheiten und die Selbstbestimmung der Menschen sind Leitziele unserer Politik.
Wir gestalten Einwanderung, schützen Flüchtlinge
und fördern Integration.
({19})
Es ist viel zu tun.
({20})
Ich erteile das Wort Kollegin Sevim Dagdelen, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
großen Worten hatte die schwarz-rote Koalition angekündigt, in der Integrationspolitik ganz neue Akzente
setzen zu wollen. Bei ihrer Regierungserklärung am
30. November letzten Jahres sagte die Frau Bundeskanzlerin - ich zitiere -:
Deshalb ist Integration eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit. Mit der Ansiedelung der Beauftragten für
Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt habe ich sehr bewusst ein Signal gesetzt, dass
dies eine gesamtpolitische Aufgabe ist, der wir
große Beachtung schenken wollen.
Auch die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und
Integration, Frau Maria Böhmer, sprach bei ihrem Amtsantritt von einem Paradigmenwechsel von der Migrations- zur Integrationspolitik. Was das bedeutet, konnten
wir in den letzten Wochen, gar Monaten sehr genau verfolgen: Da überboten sich Politiker schon fast hysterisch
mit Vorschlägen, einbürgerungswilligen Migranten mit
Wissenstests, Wertetests, Staatsbürgerkursen und Einbürgerungsgesprächen zu Leibe zu rücken und sie dahin
gehend zu überprüfen, ob sie auch ja eine rechtschaffene
Gesinnung besitzen.
Oft überschritten die Argumente dabei nicht das
Niveau von Stammtischparolen. Sätze wie „Wir entscheiden, wer Deutscher ist, und wir lassen nicht jeden
hinein“ oder „Staatsbürgerschaft zu Ramschpreisen“
oder gar „im Vorbeigehen“ - laut Kanzlerin - sind unerträglich und noch dazu völlig realitätsfern.
({0})
Sie ignorieren, dass bereits strikte Voraussetzungen erfüllt werden müssen, um überhaupt eingebürgert werden
zu können. Wir alle kennen diese Voraussetzungen.
Die große Koalition tönte von Anfang an, ihren
Schwerpunkt in der Integrationspolitik auf die Sprachförderung zu legen. Der Haushaltsplanentwurf dagegen
entspricht diesem Ansatz keinesfalls. Trotz der enorm
großen Nachfrage sind im Haushalt Kürzungen bei den
Integrationskursen um 67 Millionen Euro geplant. Damit entzieht man der Integration ein Stück mehr die materielle Basis. Man kann nicht Integration fordern und
die Voraussetzungen dafür verhindern.
({1})
Das Argument, dass bereitgestellte Mittel von knapp
120 Millionen Euro nicht abgerufen wurden - das sagte
Herr Kollege Uhl noch einmal -, geht an der Realität der
Sprachförderungen mit ihren massiven Defiziten vorbei.
Die Fallzahlen, die für die Veranschlagung der Mittel für
2006 zugrunde liegen, unterschlagen die reale Nachfrage
von Migranten nach Sprachförderung.
Selbst Ihre Kollegin Frau Maria Böhmer sah es in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ bereits
am 8. Dezember 2005 so. Sie sagte - ich zitiere -:
Wir können schon heute feststellen, dass viele, insbesondere Frauen, ganz freiwillig diese Kursangebote wahrnehmen
({2})
und die zur Verfügung stehenden Plätze die Nachfrage nicht decken.
({3})
Die Veranschlagung der Mittel für die verschiedenen
Zielgruppen für das Jahr 2006 ist wiederum von einer
Vernachlässigung geprägt: Anstatt die Mittel für bereits
länger in Deutschland lebende Migranten zu erhöhen,
wird in der Berechnung der Kosten für das Jahr 2006 die
Nachfrage vonseiten der Bestandsausländer lediglich in
einem sehr geringen Umfang berücksichtigt.
Die Bundestagsfraktion Die Linke fordert deshalb,
auch den Migranten, die bereits länger in Deutschland
leben, ein Recht auf Teilnahme an einem Sprachkurs zu
gewähren und die notwendigen finanziellen Mittel zur
Verfügung zu stellen.
({4})
Die Fraktion Die Linke fordert, nicht nur den Ansatz
von jährlich circa 208 Millionen Euro bei diesem Titel
beizubehalten, sondern auch die Qualität der Sprachkurse zu verbessern und die genannten Defizite konsequent abzubauen.
({5})
Die Probleme liegen schon seit längerem auf dem Tisch.
Seit über einem Jahr weisen die Volkshochschulen, die
Verbände, die Migrantenorganisationen und die Sprachschulen darauf hin, woran es mangelt.
Die Beseitigung dieser Probleme allein reicht aber
nicht aus. Wir haben schon immer darauf hingewiesen,
dass Integrationspolitik viel mehr als nur Sprachförderung ist; im Zuwanderungsgesetz wird sie jedoch darauf
reduziert. Die Integrationspolitik muss gleiche Bildungschancen eröffnen und die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglichen. Die Tatsache, dass
ein Viertel aller Migranten arbeitslos ist, dass ihre Bildungschancen so schlecht sind, dass Experten schon von
einem ethnisch segmentierten Bildungssystem in
Deutschland sprechen, findet nicht die nötige Beachtung; die große Koalition sieht hier keinen Handlungsbedarf.
Ich möchte mit folgendem Satz schließen: Wir sind
nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun. Das
heißt, wenn wir etwas fordern, dann müssen wir auch
fördern.
Danke schön.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Michael Luther, CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich als Haushälter anlässlich der ersten Lesung des Bundeshaushaltes 2006 an
dieser Stelle ein paar Bemerkungen mache.
Der Gesamthaushalt des Einzelplans für den Bereich
Inneres umfasst gut 4 Milliarden Euro. Das heißt, er hat
in etwa denselben Umfang wie 2005. Das wiederum bedeutet, dass Mehrausgaben im Bereich der Sicherheit
oder aufgrund der Einführung des neuen Digitalfunks
- davon ist heute hier gesprochen worden - nur durch
Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt ermöglicht
werden können. Hinzu kommen Einsparungen, die aus
globalen Minderausgaben folgen oder auf Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zurückgehen. 51 Prozent des
Haushaltes umfassen Personalausgaben. In diesem Bereich ist es nicht ganz einfach, zu Einsparungen zu kommen.
Mit den Mitteln dieses Ansatzes müssen die Ausgaben sowohl des Ministeriums als auch der 18 Geschäftsbereiche des Innenministeriums finanziert werden. Die
Aufstellung, die ich soeben vorgetragen habe, zeigt in aller Kürze, welche Probleme sich bei der Aufstellung des
Einzelplans ergeben.
Eines der wichtigsten Vorhaben des Einzelplans ist
der Aufbau eines bundesweiten digitalen Sprechfunknetzes für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, die so genannten BOS. Der Einzelplan sieht dafür
Mittel in Höhe von rund 100 Millionen Euro und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von fast 1 Milliarde Euro vor. Ich glaube, es wird wirklich Zeit, dass sich
der Deutsche Bundestag mit diesem Thema beschäftigt.
({0})
Der Analogfunk ist veraltet. Unsere Nachbarländer haben alle, teilweise seit Jahren, Digitalfunk. Auch deshalb
sollten wir ihn in Deutschland einführen.
Ich weiß, dass der Abstimmungsprozess schwierig
war. Auch die vorige Regierung hat sich bemüht, kam allerdings leider nicht zu einem Ergebnis. Ich danke ausdrücklich Wolfgang Schäuble dafür, dass es ihm offensichtlich gelungen ist, die Forderungen aller
Bundesländer unter einen Hut zu bringen, sodass wir
hierbei vorankommen.
({1})
Für den Bereich der Bundespolizei - ich begrüße das
sehr - wurden die Mittel aufgestockt. Durch die seit
2001 global veränderte Sicherheitslage hat sich das Aufgabenspektrum der Bundespolizei nicht nur gewandelt,
sondern auch stark erweitert. Zusätzliche Aufgaben wie
die verstärkte Bestreifung der Flughäfen, der Schutz
deutscher Auslandsvertretungen und der Personenschutz
sind nach meiner Meinung nur mit einer entsprechenden
Aufstockung des Personals zu gewährleisten. Deshalb ist
hier eine Aufstockung der Mittel, die übrigens durch
eine interne Umschichtung erbracht werden muss, gerechtfertigt.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen - das ist heute schon ein Thema gewesen -, dass die
Bundespolizei bei der Bewältigung der Sicherheitsaufgaben anlässlich der Fußballweltmeisterschaft eine
wichtige Rolle spielt. Auf sie kommen neue Belastungen
zu. Diese muss sie letztendlich ohne zusätzliche Mittel
bewältigen.
Zum THW ist heute noch nicht viel gesagt worden;
gestatten Sie mir deswegen ein paar Bemerkungen dazu.
Das Technische Hilfswerk ist eine international anerkannte Institution. Sie leistet einen großen Beitrag zum
Katastrophenschutz.
({2})
Wie wichtig ein funktionierendes und gut ausgestattetes
THW ist, haben wir 2002 beim Hochwasser in Sachsen,
Anfang des vergangenen Jahres in Südostasien, letzten
Sommer in New Orleans oder auch bei zahlreichen kleineren Einsätzen - siehe letzten Winter in Deutschland gesehen.
({3})
Das THW wird auch bei der Fußball-WM präsent sein.
Deshalb ist es gerechtfertigt, dass das THW von Sparmaßnahmen weitestgehend ausgenommen wurde.
Allerdings lohnt es sich, genauer in das entsprechende
Kapitel zu schauen. Das THW ist durch seine nationalen
und internationalen Einsätze und die damit vorhandene
positive Medienpräsenz für junge Leute attraktiv. Das
drückt sich in einer wachsenden Zahl ehrenamtlich Tätiger aus. Deshalb werde ich im Haushalt prüfen, ob eine
Senkung der Mittel für die Aus- und Weiterbildung und
für die Ortsverbände wirklich sinnvoll ist oder ob besser
an einer anderen Stelle dieses Kapitels gespart werden
sollte.
({4})
Für mich gilt: Wir brauchen schlanke Strukturen in der
Führungsebene, die ein effektives Arbeiten an der Basis
ermöglichen sollen.
Auch zur Bundeszentrale für politische Bildung
will ich eine Bemerkung machen. Politische Bildung ist
für die Menschen in unserem Land sehr notwendig. Bildung ist - das ist eine Tatsache - vor allem Länderaufgabe. Aber es gibt auch Aufgaben der politischen Bildung, die einer besonderen bundesstaatlichen
Unterstützung bedürfen. Das - und nur das - rechtfertigt
im Übrigen die Existenz der Bundeszentrale für politische Bildung.
Hier ist in den letzten Jahren viel passiert und viel gemacht worden. Aber dies reicht konzeptionell aus meiner Sicht nicht aus. Eine konzeptionelle Schwerpunktausrichtung auf aus bundespolitischer Sicht
wichtige Themen ist geboten. Dafür müssen dann auch
ausreichend Mittel zur Verfügung stehen - aber nur dafür.
({5})
- Das können wir anlässlich der Haushaltsberatungen
gerne miteinander besprechen. Lassen Sie das einmal so
im Raum stehen, wie ich das an dieser Stelle gesagt
habe.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Themen. Das BSI,
also das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, und das Bundeskriminalamt sind heute
schon angesprochen worden. Dort werden sehr wichtige
Aufgaben erfüllt.
Wenn der Präsident es mir gestattet, will ich noch etwas zum Thema Integration aus haushaltspolitischer
Sicht sagen. Integration hat etwas mit Sprachkompetenz
zu tun; darüber sind wir uns einig. Es ist traurig, dass
von denjenigen, die einen Sprachkurs in Anspruch nehmen könnten, nur 53,4 Prozent dies auch tun. Wir müssen darüber reden, warum das so ist. Aber es macht keinen Sinn, einen Haushaltsansatz vorzusehen, dessen
Mittel offensichtlich nicht gebraucht werden. Ich sage
ganz klar: Wenn diese Mittel gebraucht werden, dann
müssen sie auch im Haushalt zur Verfügung gestellt werden. Für mich gilt an dieser Stelle: Das Geld folgt der
Aufgabe - und nicht umgekehrt.
Das Bundesinnenministerium hat eine vielfältige Palette von Aufgaben zu erfüllen. Deshalb lohnt es sich,
diesen Haushalt an vielen Stellen genauer zu betrachten.
Ich glaube, es wird eine spannende Haushaltsberatung
werden. Ich bitte um Ihre Unterstützung.
Recht herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael
Hartmann, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gar nicht so einfach, diese alles in allem recht
harmonisch verlaufende Debatte nun abzuschließen.
Seien Sie deshalb versichert: Ich werde mich auf ganz
wenige Punkte konzentrieren und nur die Dinge ansprechen, die mir zu dieser späten Stunde tatsächlich relevant zu sein scheinen.
({0})
Herr Bundesinnenminister, Sie haben in Ihren Ausführungen mit Recht darauf hingewiesen, dass der Haushalt Ihres Ministeriums mit 4 Milliarden Euro Gesamtvolumen im Wesentlichen durch das gedeckt wird, was
wir für die innere Sicherheit ausgeben. Die innere Sicherheit befindet sich in der Tat in einer historisch einmaligen Situation, die nicht zuletzt durch die Anschläge
des 11. September offenkundig geworden ist.
Frau Jelpke, ich habe Ihnen sehr genau zugehört.
({1})
Man muss ja nicht immer einen Dissens suchen, wo keiner vorhanden ist; aber so zu tun, als würden wir unsere
Sicherheitsanstrengungen deshalb unternehmen, um einen Repressionsapparat aufzubauen, hat wirklich nichts
mit bundesdeutscher Realität zu tun.
({2})
Lassen Sie mich unabhängig davon auf eines hinweisen - vielleicht passt das auch in die Abendstunde, in der
wir uns jetzt befinden -: Wenn wir - ich sage das bewusst auch in die Richtung unseres ehemaligen Koalitionspartners - über innere Sicherheit reden, die eben
rund 70 Prozent des Haushalts des Bundesministers des
Innern ausmacht, so reden wir über einen Bereich, der
im Gesamtvolumen des Bundeshaushalts zwar lediglich
1,5 Prozent ausmacht, für den wir aber eine große Verantwortung tragen und in dem wichtige Fragestellungen
behandelt werden. Deshalb fand und finde ich es gut,
dass wir als Innenpolitiker zumindest dann, wenn es um
innere Sicherheit geht, immer eine Art Commonsense
bewahren.
({3})
- Liebe Silke Stokar, das ist in der Zeit, in der wir zusammengearbeitet haben, gelungen. Erinnern Sie sich
beispielsweise an die Beschlüsse, die wir gemeinschaftlich - sicherlich nach einigen Diskussionen - nach dem
11. September gefasst haben. - Es gelingt auch jetzt,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, beispielsweise wenn es darum geht, das Terrorismusbekämpfungsgesetz fortzuschreiben. Ich glaube, dass wir
diesen Commonsense bei allen Unterschieden, die es geben muss, und bei aller Kritik, die aus der einen oder anderen Richtung kommen mag, in der inneren Sicherheit
auch zukünftig wahren dürfen.
({4})
Deshalb freue ich mich auf die kritische Zwischenfrage
des Kollegen Stadler umso mehr.
Bitte schön, Kollege Stadler.
Lieber Herr Kollege, da Sie von einem Commonsense
in der Sicherheitspolitik bzw. in der Innenpolitik sprechen: Es trifft natürlich zu, dass es ein allgemeines Anliegen ist, dass wir alles für die innere Sicherheit tun.
Stimmen Sie mir aber auch zu, dass der Commonsense,
den Sie beschrieben haben, vom Bundesverfassungsgericht anscheinend mehrfach gestört worden ist, indem es
mit deutlichsten Worten gesagt hat, es habe sich gewissermaßen gar nicht vorstellen können, welche Gesetzgebung teilweise von der Mehrheit in diesem Haus beschlossen worden ist?
Sehr geehrter, geschätzter Herr Kollege Dr. Stadler
({0})
- was wahr ist, darf man aussprechen, hat meine Oma
immer gesagt -,
({1})
es ist ja eine Sache, ob man in Serie Opposition ist und
aus der Sicht bürgerrechtlicher Freiheit den Finger auf
die Wunde legt - einverstanden.
({2})
Es ist aber eine ganz andere Sache, wenn man in mühsamen Abwägungsprozessen - wie zum Beispiel beim
Luftsicherheitsgesetz - über eine Ultima Ratio entscheiden muss, von der man hofft, dass sie niemals eintritt.
Beim Luftsicherheitsgesetz hat uns das Verfassungsgericht klar gesagt: Der Subjektcharakter der Person darf
nicht verletzt werden; es darf keine Abwägung Menschenleben gegen Menschenleben geben. Dazu sage ich:
Das oberste Gericht ist ja dafür da, uns in bestimmten
Fällen genau auf die Finger zu schauen.
Ich sage aber auch dazu - und zwar mit mindestens so
viel Respekt vor dem Verfassungsgericht wie Ihnen gegenüber, Herr Kollege Dr. Stadler -: Das Verfassungsgericht lässt uns als Innenpolitiker da und dort aber auch
alleine. Was machen wir denn beispielsweise im Renegade-Fall, wenn sich eine von Terroristen gekaperte Maschine - was Gott und unsere Sicherheitsvorkehrungen
verhüten mögen - auf ein voll besetztes Stadion stürzen
Michael Hartmann ({3})
würde? Wir sind als Innenpolitiker immer in der schwierigen Abwägung konkreter Entscheidungen. Ich gebe zu,
dabei kann man schuldig werden. Aber niemand in diesem Hohen Hause handelt in der Absicht, Grundrechte
zu verletzen oder gegen die Menschenwürde zu agieren.
Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn wir von Kontinuität
sprechen, dann sei in dieser sehr schnelllebigen Zeit, in
der heute jemand noch etwas wert ist, der morgen vergessen ist, an eines erinnert: Diese Kontinuität - davon
können wir in der Tat sprechen - ist in der großen Koalition deshalb so groß, weil wir auf den Schultern eines
anerkannten Innenministers stehen. Ich glaube, es ist
nicht verkehrt, am heutigen Tage noch einmal Otto
Schily für seinen großen Einsatz für die Innenpolitik und
die innere Sicherheit unseres Landes zu danken.
({5})
- Mich wundert ein bisschen, dass die Grünen nicht klatschen und kein Lächeln auf die Lippen der Unionsabgeordneten gezaubert wurde; denn Sie, Herr Bundesinnenminister Schäuble, setzen in vielen Bereichen
konsequent das fort, was Otto Schily richtigerweise begonnen hat. Das betonen Sie ja auch da und dort.
({6})
Liebe Silke, ich gebe zu, wir hatten es nicht immer
einfach mit Otto Schily. Wir werden es aber auch mit
Wolfgang Schäuble nicht immer einfach haben.
({7})
Es gibt selbstbewusste Innenminister auf der einen Seite
und ein selbstbewusstes Parlament auf der anderen. Aus
dem Zusammenspiel von beiden entsteht gute Innenpolitik für Deutschland.
({8})
Sehr geehrter Herr Kollege Luther, lassen Sie mich
ein Thema aufnehmen, das Sie in Ihrer Rede angeschnitten haben - ich teile Ihre Auffassung, halte es ebenfalls
für wichtig -: Das Technische Hilfswerk bildet im Kanon aller Einrichtungen, Institutionen und Behörden, die
sich um die innere Sicherheit kümmern, ein wichtiges,
ein zentrales Element. Das THW ist ebenso wie unsere
Bundeswehr immer häufiger in Auslandseinsätzen. Die
Anerkennung für diese Einsätze ist in der Tat so groß,
wie Sie es gesagt haben.
Ich bin der Meinung - Herr Bundesminister, lassen
Sie uns hierüber in Kontakt bleiben -, dass bei allen notwendigen Sparbemühungen, die das Haus erbringt, noch
einmal darüber nachgedacht werden muss, ob eine Kürzung der Fort- und Weiterbildungsmittel um 40 Prozent
tatsächlich gerechtfertigt ist. Lassen Sie uns bitte darum
ringen, ob das notwendig ist. Lassen Sie uns miteinander
über andere Lösungen diskutieren, die einen genauso
großen Einspareffekt erbringen. Das THW ist ein Aushängeschild für unser Land, für unsere Friedenspolitik
und für unsere Sicherheitspolitik.
({9})
Zum Schluss der Debatte und aufgrund einzelner
Ausführungen der Oppositionsparteien darf ich noch
einmal darauf hinweisen, dass, wer Innenpolitik betreibt,
im Bereich der inneren Sicherheit fast täglich die
schwierige Abwägung vorzunehmen hat, wie weit Freiheit geht und wie weit Sicherheit reichen muss, damit
diese Freiheit gewährleistet bleibt. Wir haben in der alten Koalition versucht, diese Abwägung klug und im Interesse des Gesamtstaates vorzunehmen. So versuchen
wir es auch jetzt.
Ich glaube, es ist nicht gut, wenn einzelne Fraktionen
des Hauses versuchen, die bürgerlichen Freiheitsrechte
für sich allein in Anspruch zu nehmen. Wir sollten gemeinsam darum ringen und uns nicht wechselseitig den
guten Willen absprechen.
({10})
Ich bin mir sicher, dass die große Koalition genauso vorsichtig zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen wird.
({11})
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir auch während der
kommenden Jahre diesen Konsens wahren werden;
({12})
auch wenn manche von uns - einverstanden -, wenn es
um Ausländerpolitik geht, tatsächlich noch das eine oder
andere lernen müssen.
Vielen Dank.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 31. März 2006, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
freundlichen Abend und eine gute Nacht.