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Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: 20. Subventionsbericht
der Bundesregierung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
Herr Präsident! Das Kabinett hat heute, gemäß dem
aus dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz resultierenden gesetzlichen Auftrag, den 20. Subventionsbericht
vorgelegt. Er enthält auch die Leitlinien für die Subventionspolitik. Der Bericht bezieht sich auf die Jahre 2003
bis 2006. In diesem Zeitraum sind die Subventionen des
Bundes um 1,4 Milliarden Euro zurückgegangen.
Der Erfolg hat allerdings zwei Gesichter: Er ist fast
ausschließlich auf Einsparungen bei den Finanzhilfen
zurückzuführen, während die Steuervergünstigungen auf
dem Niveau von 2003 geblieben sind. Die Finanzhilfen
sanken um immerhin 19,4 Prozent. Seit Ende der 90erJahre sind sie insgesamt halbiert worden. Die Entwicklung von 2003 bis 2006 ist wesentlich geprägt durch die
weitere Absenkung der Steinkohlebeihilfe um 1 Milliarde Euro und dadurch, dass in den Bereichen Landwirtschaft und Wohnraumförderung Finanzhilfen von jeweils 200 Millionen Euro nicht mehr gezahlt worden
sind.
Bei den Steuervergünstigungen sind wir weniger erfolgreich gewesen. Das hat im Wesentlichen damit zu
tun, dass wir in 2004 die Steuervergünstigung für Biodiesel eingeführt haben, die mit 1,5 Milliarden Euro pro
Jahr zu Buche schlägt. Andere Maßnahmen, zum Beispiel das vom Parlament bereits beschlossene Auslaufen
der Eigenheimzulage, werden ihre volle Wirksamkeit
nicht 2006, sondern erst in den Folgejahren entwickeln.
Dasselbe gilt für eine ganze Reihe von Entscheidungen
und Maßnahmen, die Sie im Parlament bereits verabschiedet haben oder die auf der Basis des Koalitionsvertrages und der Genshagener Beschlüsse noch vor uns liegen.
Sie wissen, dass wir den Gesamtstaat in dieser Legislaturperiode durch Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen in einem Gesamtvolumen von
19 Milliarden Euro entlasten wollen. Das ist ein wichtiger Beitrag, um dem von der Koalition beschlossenen
Ziel der Konsolidierung des Haushalts nahe zu kommen.
Allgemein will ich darauf hinweisen, dass in dem
neuen Subventionsbericht klare Grenzen gezogen wurden. So haben wir eine Reihe von Maßnahmen, die in
früheren Subventionsberichten nicht enthalten waren,
zum ersten Mal als Subventionen aufgeführt. Als Beispiel für Finanzhilfen, die zum ersten Mal aufgeführt
wurden, nenne ich die Mittel, die bei der Städtebauförderung auf private Endabnehmer entfallen. Im Bereich der
Steuervergünstigungen werden nun alle Maßnahmen der
Sparförderung mitgezählt. Im Zuge der Sparförderung
fördern wir schließlich nicht nur die Spartätigkeit der
Bürgerinnen und Bürger, sondern begünstigen mittelbar
auch die Kredit- und Versicherungswirtschaft. All dies
hat zum ersten Mal Eingang in den Subventionsbericht
gefunden. Dadurch hat das Subventionsvolumen automatisch, ohne dass neue Maßnahmen ergriffen worden
sind, um insgesamt 2,6 Milliarden Euro zugenommen.
Was die Leitlinien betrifft, will ich betonen, dass das
Kabinett noch einmal deutlich unterstrichen hat, dass die
Grundsätze der Degression und der Befristung zukünftig
stärker zu beachten sind. Finanzhilfen sollen grundsätzlich den Vorrang vor Steuervergünstigungen haben, nicht
zuletzt, weil wir zu dem Ergebnis gekommen sind, dass
sich Steuervergünstigungen leichter einer kritischen Erfolgskontrolle entziehen können als Finanzhilfen. Darüber hinaus ist die Befristung der Maßnahmenförderung
im Bereich der Finanzhilfen einfacher als bei steuerlichen Maßnahmen. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass steuerliche Maßnahmen sehr schnell als Bestand der Steuergesetzgebung wahrgenommen werden
und ein Antasten dieser sofort als eine Steuererhöhung
Redetext
angesehen und als solche Gegenstand öffentlicher Debatten wird.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir aufgrund der
Maßnahmen, die das Parlament schon beschlossen hat,
und der Maßnahmen, die in dieser Legislaturperiode
noch vor uns liegen, in der Lage sein werden, mit dem
nächsten Subventionsbericht weitere deutliche Fortschritte vorzuweisen.
Vielen Dank.
Danke schön, Herr Minister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem eben angesprochenen Themenbereich zu stellen. - Als erste Fragestellerin
hat sich die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch gemeldet.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, der Abbau von Subventionen dient unter anderem der Konsolidierung der Staatsfinanzen. Haben Sie im Zusammenhang mit der Vorlage des Subventionsberichts auch
darüber nachgedacht, die öffentlichen Kassen durch eine
Steuererhöhung zu füllen, zum Beispiel durch eine höhere Einkommensteuer?
Vielleicht darf ich, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis, gleich eine zweite Frage anschließen? - Herr Minister, Sie haben ausgeführt, dass Sie den Begriff der Subvention teilweise neu definiert haben. Haben Sie auch
den Begriff der Investition anders gestaltet? Führen Sie
jetzt Dinge unter der Rubrik „Investition“ auf, die früher
nicht darunter fielen?
Bitte schön, Herr Minister.
Nein, es ist bei dem haushaltsrechtlich vorgeschriebenen Begriff der Investition geblieben. Ich lege gern offen, dass dieses Thema in den Koalitionsverhandlungen
eine Rolle gespielt hat. Beide Partner sind zu dem Ergebnis gekommen, keinen Verdacht durch eine plötzliche Erweiterung des Investitionsbegriffs zu erregen. Das
hätte als eine Möglichkeit missverstanden werden können, bei der Nettokreditaufnahme über das hinauszugehen, was nach Art. 115 des Grundgesetzes vorgesehen
ist. Insofern war der Rat aller Beteiligten, es bei der
haushaltsrechtlichen Definition des Investitionsbegriffs
zu belassen, wohl wissend, dass man darüber streiten
kann. Zum Beispiel sind Maßnahmen in Bildung und
Ausbildung jetzt als konsumtive Ausgaben festgelegt,
obwohl sie auch als Investition in Humankapital definiert werden könnten. Aber es gibt im Augenblick keine
Absicht, den Investitionsbegriff zu ändern.
Bezogen auf Ihre erste Frage müsste ich noch in Erfahrung bringen, ob Sie Einkommensteuererhöhungen
unter den Subventionsbegriff fassen. Ich habe das nicht
richtig verstanden.
Bitte schön, Frau Lötzsch.
Ich darf wiederholen: Der Abbau von Subventionen
dient der Konsolidierung des Haushaltes. Ich habe gefragt, ob Sie im Zusammenhang mit dem Subventionsbericht darüber nachgedacht haben, wie man den Haushalt auch auf andere Weise konsolidieren kann, zum
Beispiel indem man - ich formuliere es einmal populär ein gerechteres Steuersystem einführt und die Vermögenden und Besserverdienenden steuerlich stärker belastet.
Sie wissen, dass die Bundesregierung sich vorgenommen hat, eine Reihe von steuerlichen Maßnahmen zu
ergreifen. Diese sind aber nicht Gegenstand des Subventionsberichtes. Wir werden eine umfangreiche Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 umsetzen.
Sie heben hier auf die Einkommensteuer ab. Gegenstand der Vereinbarung der beiden Koalitionspartner ist,
zum 1. Januar 2007 für Höchstverdienende - ab Einkommen von 250 000 Euro bei Ledigen bzw.
500 000 Euro bei Verheirateten - auf den derzeitigen
Spitzensteuersatz von 42 Prozent einen „Balkon“ in
Höhe von 3 Prozent zu setzen. Aber dies ist Gegenstand
der Steuerpolitik des Bundes und nicht Gegenstand des
Subventionsberichts.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Frage hat
der Kollege Jürgen Koppelin.
Herr Minister, Sie hatten dankenswerterweise auch
Steuervorteile angesprochen. Verstehen wir es richtig,
dass die von der Koalition beschlossene begrenzte Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen nach Ihrer Darstellung eine neue Subvention ist?
Darf ich Sie weiter fragen? - In der letzten Legislaturperiode hat Kanzler Schröder für den Bereich der deutschen Kohle weitere Milliarden Euro an Subventionen
zugesagt. Sind damit nicht zusätzliche Subventionen zugesagt worden, obwohl wir alle der Meinung sind, dass
Subventionen abgebaut werden müssen? Gerade im
Kohlebereich führen zusätzliche Subventionen doch
letzten Endes dazu, dass der notwendige Strukturwandel
ausbleibt oder zumindest verzögert wird.
Der Bundeskanzler der früheren Regierung hat keine
zusätzlichen Kohlebeihilfen zugesagt. Es findet vielmehr eine weitere Degression der Steinkohlebeihilfen in
den nächsten Jahren statt. Es gibt keinen Subventionsbereich in der Bundesrepublik Deutschland, der in den
letzten sieben bis acht Jahren eine vergleichbare Degression von Beihilfen hinnehmen musste wie die Steinkohle. Innerhalb dieses Zeitraums haben sich die Steinkohlebeihilfen um ungefähr 45 bis 50 Prozent reduziert.
Dieser Weg wird durch die Maßnahmen, die wir in dieser Legislaturperiode durchführen, fortgeschrieben. Das
wird für die Länderhaushalte, insbesondere für NordrheinWestfalen, automatisch weiter sinkende Beihilfen zur
Folge haben.
Bezogen auf den ersten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen sagen: Sie haben Recht. Die Bundesregierung hat
zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung festgelegt, dass sie bereit ist, im privaten Bereich anfallende
Handwerkerkosten und Betreuungskosten - auch dieses
Thema ist Gegenstand der Debatten in diesem Hohen
Hause - steuerlich absetzbar zu machen. Selbstverständlich werden diese Maßnahmen, weil es sich um Steuervergünstigungen handelt, Gegenstand des nächsten Subventionsberichtes sein.
Vielen Dank. - Die nächste Frage hat die Kollegin
Antje Tillmann.
Herr Minister Steinbrück, Sie haben dargelegt, dass es
zu den Leitlinien Ihrer Subventionspolitik gehört, Subventionen künftig nach Möglichkeit als Finanzhilfen zu
gewähren, und dass Sie beabsichtigen, diese Finanzhilfen nur noch befristet und grundsätzlich degressiv zu gestalten. In Ihrem Bericht weisen Sie darauf hin, dass es
dafür Änderungen des Grundgesetzes bedarf. Teilen Sie
die Auffassung, dass die im Rahmen der Föderalismusreform vorgesehene Einführung des Art. 104 b GG - darin ist die befristete und degressive Ausgestaltung der Finanzhilfen ausgewiesen - erforderlich ist, um die im
Subventionsbericht angesprochenen Maßnahmen durchzusetzen?
Sollte dies verfassungsrechtlich zwingend erforderlich sein, werden wir entsprechende Änderungsvorschläge vorlegen müssen.
Bitte schön, fragen Sie nach.
Meine Frage bezog sich darauf, dass im Rahmen der
Föderalismusreform, durch die Einführung des
Art. 104 b GG, genau diese Änderung - die befristete
und degressive Ausgestaltung der Finanzhilfen - vorgesehen ist. Nach dem Subventionsbericht wäre genau dieser Gesetzeswortlaut notwendig. Daher frage ich Sie: Ist
das Ihrer Auffassung nach hinreichend?
Soweit ich das momentan beurteilen kann, ist dies
hilfreich; denn es setzt uns in den Stand, Finanzhilfen
zukünftig degressiv zu gestalten und zeitlich zu befristen. Insofern ist uns eine solche verfassungsrechtliche
Grundlage sehr willkommen.
Eine weitere Frage des Kollegen Frank Schäffler.
Herr Minister, sowohl in Ihren öffentlichen Äußerungen als auch im Subventionsbericht haben Sie die degressive Ausgestaltung hervorgehoben. Bezieht sich das
nur auf Finanzhilfen oder auch auf Steuervergünstigungen?
Wie Sie wissen, ist eine degressive Ausgestaltung bei
Steuervergünstigungen sehr viel schwieriger zu realisieren als bei Finanzhilfen; denn bei Steuervergünstigungen
müssten die Steuersätze und die jeweiligen Ausnahmeregelungen von Jahr zu Jahr verändert werden. Eine Degression bei Steuervergünstigungen ist bereits in Angriff
genommen worden und teilweise auch gelungen. Ich
habe seinerzeit gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Koch eine solche Maßnahme durchgeführt,
die auf mehrere Jahre angelegt war.
Die nächste Frage hat der Kollege Jochen-Konrad
Fromme.
Herr Minister, durch die Frage des Kollegen Koppelin
ist deutlich geworden, wie dicht Gut und Böse zusammenliegen können. Subventionen sind ja eingeführt worden, weil sie einen Sinn hatten, der sich inzwischen
möglicherweise überlebt hat, sodass man über ihre Abschaffung nachdenken muss. Könnten Sie einmal deutlich machen, dass man durch Subventionen etwas erreichen wollte und sie sich nur dann, wenn sich dieser
Zustand verändert hat, sozusagen zu einem Ärgernis entwickeln und gekürzt werden müssen?
Lassen Sie mich das am Beispiel der Steinkohle verdeutlichen. Eine stärkere Kürzung der Steinkohlebeihilfen wäre nach allem, was wir wissen, automatisch mit
betriebsbedingten Kündigungen verbunden. Dies hätte
Verwerfungen zur Folge, die für den Fiskus nicht positiv
wären. Wahrscheinlich würde die Arbeitslosenquote
steigen, sodass mehr Transferleistungen gezahlt werden
müssten. Es käme zu Kaufkraftverlusten und dadurch zu
Steuereinnahmenverlusten etc. Das bedeutet: Insbesondere bei der Rückführung der Finanzhilfen für die Steinkohle gibt es einen - so bezeichne ich es - Pfad der Vernunft. Ich denke, dass sich die Bundesregierung,
bezogen auf die Degression der Steinkohlebeihilfen, auf
diesem Pfad der Vernunft bewegt. Die Degression muss
so ausgestaltet werden, dass es an anderen Stellen nicht
zu kontraproduktiven oder überkompensierenden negativen Effekten kommt.
Im Übrigen: Die Finanzhilfen, die in der Bundesrepublik Deutschland gezahlt werden, sind sehr viel stärker
als in anderen europäischen Ländern auf so genannte horizontale Ziele konzentriert. Mit dem größten Teil dieser
Finanzhilfen werden energiepolitische und ökologische
Ziele verfolgt. Vertikale Ziele werden durch branchenbezogene Finanzhilfen verfolgt. In Deutschland allerdings
konzentriert sich der überwiegende Teil der Finanzhilfen
auf so genannte horizontale Ziele, die natürlich positive
Effekte haben.
Die nächste Frage hat der Kollege Carsten Schneider.
Herr Minister, in Ihrem Subventionsbericht, den das
Kabinett heute beschlossen hat, weisen Sie darauf hin,
dass die Finanzhilfen in den letzten Jahren nahezu halbiert wurden; bei den Steuervergünstigungen ist das
nicht ganz der Fall. Haben Sie in Ihrer Planung für den
Abbau von Steuervergünstigungen besondere Schwerpunkte und werden diese tatsächlich durchgesetzt werden?
Ein aktueller Punkt ist, die steuerliche Förderung des
Biodiesels umzuwandeln in eine ordnungsrechtliche Lösung - das ist eine Festlegung des Koalitionsvertrags -;
darüber stehen Gespräche zwischen der Regierung und
den beiden Koalitionsfraktionen an und dies wird auch
die Fraktionen beschäftigen. Wir wollen damit die Produktion von Biodiesel bzw. von reinem Biokraftstoff in
keiner Weise negativ berühren. Die Umwandlung dieser
Förderung wird einen erheblichen Beitrag zur Absenkung der Steuervergünstigungen leisten. Die positiven
Effekte, die wir mit der bisherigen steuerlichen Förderung bezweckt haben, sollen auf anderem Wege, und
zwar über das Ordnungsrecht, gewährleistet werden.
Dies ist eine Logik aus dem Koalitionsvertrag, die nach
meiner Auffassung ausgesprochen positiv zu bewerten
ist.
Eine weitere Frage der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben vorhin in Beantwortung meiner Frage gesagt, dass
es in Vorbereitung des Koalitionsvertrages viele Diskussionen über eine Neudefinition des Investitionsbegriffes
gab. Planen Sie, diese Diskussion in dieser Legislaturperiode noch einmal zu führen und, wie Sie selber angesprochen haben, auch Investitionen in Bildung, in Hochschulen, aber auch in Kunst und Kultur - aus meiner
Sicht: sinnvollerweise - dem Investitionsbegriff zuzuordnen?
Ich plane eine solche Änderung nicht. Gäbe es einen
entsprechenden Vorstoß aus der Mitte des Hohen Hauses, würde sich die Bundesregierung dieser Diskussion
sicherlich nicht entziehen wollen. Aber die Gefahr ist
sehr groß, Frau Abgeordnete, dass jede Änderung des Investitionsbegriffs missverstanden und der Verdacht gehegt wird, die Bundesregierung wolle sich auf diesem
Wege einen Spielraum für eine höhere Verschuldung
verschaffen. Ich glaube, dass wir politisch gut beraten
sind, diesem Verdacht entgegenzuwirken. Das ist der
Grund, warum wir bei diesem Investitionsbegriff bleiben.
Kollege Ahrendt.
Umfasst der Subventionsbericht auch Sicherheiten,
die der Staat im Rahmen der Finanzierung privater Projekte übernimmt, und werden auch solche Sicherheiten
mit der Zeit degressiv zurückgeführt?
Sie meinen jetzt Staatsgarantien und -bürgschaften?
Staatsgarantien und -bürgschaften.
Staatsgarantien und -bürgschaften - zum Beispiel
Hermesbürgschaften - sind nicht Gegenstand dieses
Subventionsberichtes. Wenn es gut geht, fällt die Bürgschaft ja nicht an.
({0})
Mir liegt noch eine Reihe von Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung vor, Herr Minister. - Das Wort
hat zunächst der Kollege Hans-Josef Fell.
Herr Minister, das Bundeskabinett hat heute auch den
Entwurf eines Energiesteuergesetzes beschlossen. Ich
habe dazu eine Frage. Bislang konnten sich Biokraftstoffunternehmen und ihre Kunden darauf verlassen, dass Biokraftstoffe bis 2009 steuerbegünstigt sind. Jetzt sollen einige Biokraftstoffe teilbesteuert werden, ab 2007 - so
steht es in der Begründung des Gesetzentwurfs - plant
die Bundesregierung sogar die Vollbesteuerung sämtlicher Biokraftstoffe. Wie beurteilt die Bundesregierung
vor diesem Hintergrund den Bestands- und Vertrauensschutz für die Unternehmen und die Verbraucher, die
aufgrund der bisherigen Regelung in diesen Bereich investiert haben?
Wir werden dazu beitragen, dass dieser Vertrauensschutz weiter gewährleistet ist. Sie müssen aber zwei
Sachverhalte unterscheiden: Mit dem Energiesteuergesetz, dessen Entwurf die Bundesregierung heute beschlossen hat, leisten wir die Umsetzung von EU-Recht,
zu der wir zwingend verpflichtet sind. Es gibt eine Energiesteuerrichtlinie des Europäischen Rates aus dem
Jahr 2003; nebenbei bemerkt muss auch ein Beschluss
des Europäischen Gerichtshofes umgesetzt werden. Hier
geht es ausschließlich um die EU-rechtlich zwingend
gebotene Abschaffung der Überförderung im Bereich
des Biodiesels. Es geht hier nicht um die Umsetzung der
Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag, die, wie ich
schon angedeutet habe, die Abschaffung dieser steuerlichen Vergünstigung und die Einführung einer ordnungsrechtlichen Regelung zum Ziel haben.
Im Übrigen will ich betonen, dass die Landwirtschaft,
bezogen auf ihren Kraftstoffverbrauch, vom heute verabschiedeten Gesetzesvorhaben ausgenommen ist. Auch
die Begünstigung des fossilen Diesels in der Landwirtschaft über die so genannte Gasölbeihilfe ist nicht angetastet worden.
Ich möchte es noch einmal ausdrücklich sagen, weil
das in der öffentlichen Diskussion sehr stark durcheinander geht: Es handelt sich um zwei verschiedene Sachverhalte, die beide unter der Überschrift Biokraftstoffe stehen. Heute ging es nur um die Umsetzung von EUBestimmungen in nationales Recht, was rechtlich zwingend ist.
Zu Ihrer zweiten Frage. Das wird Gegenstand weiterer Erörterungen sein. Sie kennen die Verabredungen im
Koalitionsvertrag. Schon in nächster Zeit wird es zu
Chefgesprächen darüber kommen, da mehrere Ressorts
davon betroffen sind, das Ressort des Kollegen Seehofer
genauso wie das des Kollegen Tiefensee und des Kollegen Glos. Das Parlament wird sich mit dieser Frage spätestens dann offiziell beschäftigen, wenn es um den
Haushaltsplanentwurf für 2007 geht, weil entsprechende
steuerliche Änderungen bzw. ordnungsrechtliche Lösungen zur Förderung des Biokraftstoffs in einem Artikelgesetz zum 1. Januar 2007 vom Parlament festgelegt werden müssen.
Danke schön. - Die nächste Frage hat die Kollegin
Kerstin Andreae.
Herr Minister, die Landwirtschaft soll weiterhin von
der Besteuerung der Biokraftstoffe ausgenommen werden. Wegen des subventionierten Agrardiesels hat sich
die Verwendung von Biokraftstoffen in der Landwirtschaft nicht durchsetzen können. Wissen Sie, wie hoch
der Prozentsatz der Biokraftstoffe in der Landwirtschaft
insgesamt ist?
Eine Zahl kann ich Ihnen nicht nennen. Allerdings ist
es so, dass für größere landwirtschaftliche Betriebe Biokraftstoffe bzw. die Beimengung von reinem Biokraftstoff eine erhebliche Rolle spielen, während für die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe die Begünstigungen
beim fossilen Diesel wichtig sind. Das ist der Grund, warum die Bundesregierung mit der heutigen Vorlage weder das eine noch das andere angetastet hat. Eine genaue
Zahl, wie hoch der Prozentsatz ist, kann ich Ihnen nicht
nennen. - Moment, mir wird von den kundigen landwirtschaftlichen Experten zugerufen, es seien 5 bis 10 Prozent.
Wollen Sie eine Nachfrage stellen? - Bitte.
Können Sie mir sagen, inwieweit die geplante Besteuerung von Biokraftstoffen mit der nationalen Kraftstoffstrategie der Bundesregierung vereinbar ist, die
Biokraftstoffe als einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung ihrer Strategie „Weg vom Öl“ bezeichnet?
Daran wird sich nichts ändern, Frau Abgeordnete.
Wir wollen Biokraftstoffe weiterhin fördern. Wir wollen
das aber nicht - ich drücke mich nun umgangssprachlich
aus - wie mit einer goldenen Mohrrübe tun, die man
dem Nutztier so vorhält, dass es sich in die richtige Richtung bewegt. Wir wollen vielmehr eine ordnungsrechtliche Regelung. Das heißt, wir wollen die Produzenten
und die Nutzer von Biokraftstoffen in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin im Rahmen einer energiepolitischen Strategie gefördert wissen, aber auf
ordnungsrechtlichem Wege, zum Beispiel durch einen
Beimischungszwang oder eine Beimischungsquote.
({0})
Wir wollen eine Förderung nicht auf dem Wege von
Steuervergünstigungen, sondern durch Ordnungsrecht.
Ich habe schon gesagt, dass ich dies im Sinne des Subventionsabbaus für eine richtige Maßnahme halte.
Die nächste Frage hat die Kollegin Cornelia Behm.
Herr Minister, können Sie erklären, warum Sie vorhaben, Biodiesel geringer zu besteuern als reines Pflanzenöl, zumal durch die Umrüstung der Fahrzeuge, die
mit reinem Pflanzenöl fahren, Kosten entstehen, die die
Wirtschaftlichkeit einschränken?
Darf ich eine zweite Frage stellen?
Bitte.
Sie haben gesagt - das enthält auch der Gesetzentwurf -, dass die Landwirtschaft ihre biogenen Kraftstoffe weiterhin steuerbegünstigt bzw. steuerfrei nutzen
kann. Wie stellen Sie sich da eine Abgrenzung vor und
wie begegnen Sie möglichen Vorwürfen, dass die Landwirtschaft damit weiterhin Subventionen empfängt?
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, bezieht sich der
erste Teil Ihrer Frage auf die Sätze, die unterschiedlich
hoch festgelegt sind.
({0})
Diese Sätze orientieren sich streng an der Forderung der
Abschaffung der Überförderung aufgrund der Rohstoffpreisentwicklung der letzten Jahre. Das ist berechnet
worden. Daraus ergeben sich die 5 Cent, 10 Cent oder
15 Cent, je nachdem, worauf es sich genau bezieht: auf
reinen Biokraftstoff, beigemischten Biokraftstoff oder
Pflanzenöl. Die EU hat ihre Mitgliedsländer mit der einschlägigen Energiesteuerrichtlinie aufgefordert, zu regeln, dass die Mehrkosten zwar ersetzt werden können,
diese aber nicht überkompensiert werden dürfen, wie
dies in den letzten Jahren der Fall gewesen ist. Daraus
ergeben sich unterschiedliche Berechnungsergebnisse
bezogen auf das Pflanzenöl, den reinen Biokraftstoff und
den beigemischten Biokraftstoff.
Mit Blick auf die ordnungsrechtliche Regelung, von
der hier mehrfach die Rede gewesen ist, sage ich noch
einmal: Die Bundesregierung wird erst in den nächsten
Wochen und Monaten einen entsprechenden Vorschlag
vorlegen und ihn - da bin ich mir ganz sicher - mit den
Fraktionen diskutieren, weil er sehr weit reichende Folgen hat. Ich kann Ihnen nicht vorab irgendwelche Kriterien in Aussicht stellen, weil diese im Augenblick Gegenstand der Beratungen in den verschiedenen Ressorts
sind.
Die nächste Frage hat der Kollege Jürgen Koppelin.
Ich habe eine Frage zur heutigen Kabinettssitzung.
Meine Frage geht an das Bundeskanzleramt.
Es hat ja das deutsch-französische Ministerratstreffen
gegeben und ich habe den Medien entnommen, dass
Frau Merkel bezüglich des Einsatzes deutscher und französischer Soldaten im Kongo erklärt hat, man sei sich
vollkommen einig. Hat dieses Thema im Kabinett eine
Rolle gespielt und können Sie mir einmal erklären, was
diese vollkommene Einigkeit zwischen Deutschland und
Frankreich bezüglich eines Einsatzes im Kongo bedeutet?
Frau Staatsministerin Müller, bitte schön.
Das Thema hat in der heutigen Kabinettssitzung kurz
Berücksichtigung gefunden. Sie kennen die Grundbedingungen, die auf der EU-Ebene formuliert worden sind.
Herr Solana wird zur Abklärung dieser Grundbedingungen in den Kongo reisen.
Es geht hier erstens um eine mögliche Begrenzung
des Einsatzes auf das Gebiet von Kinshasa und zweitens
um eine zeitliche Begrenzung des Einsatzes auf vier Monate. Es müssen ein VN-Mandat und belastbare Zahlen
anderer EU-Staaten bezüglich einer Beteiligung an einem möglichen Einsatz vorliegen. Insofern gibt es hier
noch nichts Abschließendes. Es gab also keinen Kabinettsbeschluss hinsichtlich eines Einsatzes. Erst wenn all
diese Bedingungen erfüllt sind, wird es eine Befassung
des Kabinetts mit diesem Thema geben.
({0})
Ja, bitte schön.
Frau Staatsministerin, das heißt: Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, wird die Bundeskanzlerin dem Bundeskabinett einen Einsatz deutscher Soldaten im Kongo
empfehlen. So muss ich es aufgrund der Medienberichte,
in denen von einer vollkommenen Einigkeit zwischen
Deutschland und Frankreich gesprochen wird, ja verstehen.
Das heißt das nicht. Es heißt: Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, wird das Kabinett darüber entscheiden.
({0})
- Wenn die Bedingungen erfüllt sind, wird sie dies dem
Kabinett sicherlich mitteilen. Ich weise aber darauf hin,
dass sich der Außenminister und der Verteidigungsminister natürlich an den bereits jetzt geführten Diskussionen in der EU beteiligen. Wir entscheiden das dann,
wenn alle Fragen bezüglich dieses Einsatzes beantwortet
sind.
({1})
- Ich kann hier keine Pressemeldungen kommentieren.
Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Frage richtet
sich vor allen Dingen an den Finanzminister.
Vorab bemerkt: Es ist sicherlich nicht unbekannt - ich
wiederhole es aber gerne -, dass unsere Partei den
Regelsatz des Arbeitslosengeldes für zu niedrig erachtet. - In dieser Woche ist in der Presse die Einkommensund Verbrauchsstichprobe veröffentlicht worden. Einige
politische Kräfte habe das zum Anlass genommen, eine
Senkung des Regelsatzes zu fordern.
Ich wüsste gerne, wie die Bundesregierung dazu
steht. Können Sie mir etwas dazu sagen, ob der Regelsatz Bestand hat oder - wenn es nach uns ginge - aufgestockt wird oder ob es innerhalb der Bundesregierung
andere Initiativen dazu gibt?
Nein, Frau Abgeordnete, aufgestockt wird er nicht. In
den neuen Ländern wird der Regelsatz auf das Niveau
im Westen aufgestockt; das hat die Bundesregierung
festgelegt. Darüber wird sie nicht hinausgehen.
({0})
- Helfen Sie mir!
Immer gerne, Herr Minister. - Ihnen ist ja nicht verborgen geblieben, dass in der Presse und augenscheinlich auch in den Reihen der Koalition aufgrund der
neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe darüber
diskutiert wurde, den Regelsatz zu senken. Ich wollte
von Ihnen die Zusicherung, dass es zu keiner Senkung
des Regelsatzes kommen wird, bzw. eine Auskunft, wer
darüber diskutiert, ihn zu senken.
Ich kenne bisher niemanden, der über eine Senkung
diskutiert hat. Auch ich habe das nicht getan.
Die nächste Frage hat der Kollege Hans-Josef Fell.
Herr Minister Steinbrück, gestatten Sie mir noch eine
Frage zum Energiesteuergesetz, nachdem Sie sagten,
dass Sie die Unterstützung für Biokraftstoffe mit einem
Systemwechsel weg von der Steuerbefreiung hin zu einem ordnungsrechtlichen Instrument, der Quote, aufrechterhalten wollen.
Ist der Bundesregierung bewusst, dass eine Quote in
den ländlichen Räumen wenig hilft? Dort wurde im großen Stil eine Selbstvermarktungsstrategie umgesetzt,
nach der Landwirte direkt an Pkw- oder Lkw-Besitzer
Biokraftstoffe verkaufen. Ihnen hilft das ordnungsrechtliche Instrument der Quote nicht. Dies hilft einzig und
allein den großen Mineralölkonzernen, die dann zwar
ihre Aufgabe ordnungsrechtlich zu erfüllen haben, andererseits aber nicht die dezentralen Strukturen der Landwirtschaft unterstützen. Es wird zu einem Biokraftstoffmarkt kommen, der letztendlich nur ein oligopolisierter
Markt im Sinne der großen Mineralölkonzerne ist.
Diese Bewertung teile ich nicht. Aber ich gebe gerne
zu, dass sich mit der Umstellung von einer steuerlichen
Förderung auf eine ordnungsrechtliche Regelung sehr
viele Aspekte ergeben. Diese Aspekte werden von einigen Ressorts wahrgenommen. Das Landwirtschaftsministerium ist genauso wie das Verkehrsministerium,
das Wirtschaftsministerium, das Umweltministerium
und das Finanzministerium einbezogen. Dies wird Gegenstand der Beratungen des Bundes sein.
Die Bundesregierung wird dann entsprechende Eckpunkte vorlegen, um möglichst viele der Probleme, die
Gegenstand der Gespräche sind, aufzugreifen. Die Bundesregierung wird diese Eckpunkte zur Debatte stellen,
bevor sie nach Lage der Dinge und im Zusammenhang
mit dem Bundeshaushalt 2007 entscheidet, in dem, wie
ich schon sagte, die steuerliche Förderung auf eine ordnungsrechtliche Regelung umgestellt werden soll.
Nächste Frage hat der Kollege Franz Obermeier.
Herr Minister, wir alle wissen, dass die Volkswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt
unter sehr hohen Energiepreisen leidet. Wenn ich das
richtig verstanden habe, dann sollen die Biokraftstoffe
mit einer Beimischung voll besteuert werden. Befürchten Sie und die Bundesregierung nicht, dass die deutsche
Mineralölwirtschaft diesen Umstand dazu verwenden
wird, die Mineralölpreise und damit die Kraftstoffpreise
zwischen 5 und 7 Cent pro Liter zu erhöhen?
Der Aspekt, dass mit einer solchen Umstellung möglicherweise preisfördernde Entwicklungen verbunden
sind, spielte heute in den Beratungen des Kabinetts insbesondere durch einen Beitrag meines Kollegen Gabriel
eine Rolle. Insofern ist dieses Risiko bereits Gegenstand
der Erörterung der Bundesregierung, ohne dass ich Ihnen jetzt eine Lösung in Aussicht stellen kann. Aber dieser Aspekt ist auf dem Bildschirm, wenn ich mich so
umgangssprachlich ausdrücken darf.
Damit sind wir am Ende der Fragen zur Kabinettssitzung. Ich darf fragen, ob es darüber hinaus noch weitere
Fragen allgemeiner Art gibt? - Das ist nicht der Fall.
Dann beende ich die Befragung.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Minister, dass Sie
persönlich Bericht erstattet haben. Das ist eine erfreuliche Erscheinung, die leider nicht üblich ist. Vielen Dank.
Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 16/890 Wir beginnen die Fragestunde mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 1 der Kollegin Monika
Lazar:
Welche Aussagen über geplante Transporte militärischen
Großgerätes in russischen Antonov-Transportflugzeugen enthält der Vertrag, auf den ein Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung laut „Leipziger Volkszeitung“ vom
1. Februar 2006 - „NATO-Flieger ab März in Leipzig“ - hingewiesen hat?
Herr Präsident! Die Frage, Frau Kollegin, ist wie folgt
zu beantworten: „Outsized cargo“ wird gemäß NATO1826
Bestimmungen als Fracht definiert, welche folgende
Maße überschreitet: Länge 2 057,4 Zentimeter - wenn
ich richtig rechne, sind das etwa 20 Meter - mal Breite
297,18 Zentimeter mal Höhe 266,7 Zentimeter. Dieser
strategische Lufttransport von „outsized cargo“ stellt
eine der markantesten Fähigkeitslücken der NATO- und
EU-Mitgliedstaaten dar.
Deutschland hatte die Führung der gemeinsamen
NATO/EU-Initiative „Strategic Airlift Interim Solution SALIS übernommen. Dabei geht es um eine strategische
Lufttransportzwischenlösung, bis genügend nationale
Lufttransportkapazitäten verfügbar sind. Sie wissen,
Frau Kollegin, dass die Bundeswehr gegen Ende dieses
Jahrzehnts mit dem Airbus A400M, dem neuen Transportflugzeug, ausgerüstet wird.
Im Nachgang zu umfangreichen Machbarkeitsstudien und einem internationalen Ausschreibungsprozess
haben die 15 beteiligten Nationen Kanada, die Tschechische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Ungarn,
Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, die Slowakei, Slowenien und Schweden - Schweden
hat seinen Beitritt für nächste Woche angekündigt - mit
dem Anbieter Ruslan SALIS GmbH im Januar 2006 einen Vertrag mit einer Laufzeit von zunächst drei Jahren
geschlossen. Die Ruslan SALIS GmbH ist eine Tochter
der russischen Firma Volga-Dnepr mit Sitz in Leipzig.
Sie kann dabei nicht nur auf die Luftfahrzeuge der Muttergesellschaft Volga-Dnepr zurückgreifen, sondern ist
darüber hinaus eine Kooperation mit der ukrainischen
Firma Antonov eingegangen.
Das wesentliche Merkmal der verhandelten Lösung
ist der gesicherte und zeitgerechte Zugriff auf die benötigte strategische Lufttransportkapazität für die Verlegung schneller Eingreifkräfte der NATO und der Europäischen Union. Darüber hinaus verschafft diese
Initiative den beteiligten Nationen den gesicherten Zugriff auf Flugstundenkontingente für den jeweiligen nationalen Bedarf.
Die operationellen Vorgaben werden durch eine Vollzeitcharter von zwei Luftfahrzeugen Antonov AN-124-100
- das sind die großen, buckligen Flugzeuge, stationiert in
Leipzig/Halle - und den gesicherten Zugriff auf vier
weitere Flugzeuge dieses Typs in sechs bzw. neun Tagen
erfüllt. Der Einsatz der in Leipzig stationierten beiden
Luftfahrzeuge ist grundsätzlich nur für die genannten 15
an SALIS beteiligten Nationen vorgesehen.
Mit SALIS leisten die beteiligten Nationen einen
sichtbaren Solidarbeitrag zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der NATO und der Europäischen
Union. Insofern zielt die Initiative in der Tat auf den
Transport von militärischem Großgerät, nach dem Sie
gefragt hatten.
Die nunmehr verhandelte Lösung ist die angemessene
Antwort auf die politisch anerkannte Fähigkeitslücke
von NATO und EU und erlaubt durch die ständige Verfügbarkeit von zwei dieser Großflugzeuge auch die unverzügliche Unterstützung von humanitären Operationen. Darüber hinaus stellt diese multinationale Lösung
eine beispielgebende, von Deutschland erfolgreich geführte Initiative hinsichtlich der harmonischen Zusammenarbeit von NATO und EU in einem anerkannt kritischen Bereich dar.
Ihre Nachfrage, bitte.
Ich habe zwei kurze Nachfragen. Sie sprachen davon,
dass zwei Maschinen in Leipzig stationiert sind. Sind sie
dort bereits stationiert und in Betrieb und ist schon bekannt, wann sie durch die neuen Maschinen abgelöst
werden? Denn wie Sie sich sicherlich vorstellen können,
stellen sie für die Anwohner eine ziemlich starke Belastung dar. Sie hatten gesagt, dass die Bundeswehr bis
Ende dieses Jahrzehnts mit dem neuen Transportflugzeug ausgerüstet wird. Ist der Zeitrahmen konkret absehbar?
Frau Kollegin, der offizielle Beginn der SALIS-Initiative ist am 23. März - also nächste Woche - vorgesehen.
Ich vermute, dass kurz vorher bzw. zu diesem Zeitpunkt
die beiden Flugzeuge in Leipzig stationiert werden. Die
Intention dieser Stationierung in Leipzig besteht neben
militärstrategischen Überlegungen in dem Interesse an
der wirtschaftlichen Stärkung des Großraums Leipzig
und des Flughafens. Weitere Flugzeuge werden nicht
dauerhaft in Leipzig stationiert.
Die Interimslösung SALIS wird dann zu beenden
sein, wenn der Zulauf der jeweiligen nationalen Lufttransportkapazitäten erfolgt ist. Einen konkreten Endzeitpunkt kann ich Ihnen aber nicht nennen.
Eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz zur
Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 2 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch:
Wie viele Vorstände von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen sind der gesetzlichen Regelung nach dem GKV-Modernisierungsgesetz
nicht gefolgt und haben die Höhe ihrer jährlichen Vergütungen zum 1. März 2006 noch nicht offen gelegt und was haben
die Aufsichtsbehörden in den Fällen unternommen, in denen
dieser gesetzlichen Pflicht erneut nicht gefolgt wurde?
Bitte, Herr Schwanitz.
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Im Hinblick auf die Kürze der zur Verfügung
stehenden Zeit konnte eine entsprechende Abfrage bei
den einzelnen Landesaufsichtsbehörden leider nicht
durchgeführt werden. Was den aufsichtsrechtlichen Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit betrifft, so haben hier alle Spitzenverbände der
gesetzlichen Krankenkassen sowie die beiden Kassenärztlichen Bundesvereinigungen die Veröffentlichungen
für ihren eigenen Bereich zum 1. März 2006 termingerecht vorgenommen.
Das Bundesversicherungsamt weist darauf hin, dass
sich nach dem Veröffentlichungsstand 9. März 2006 für
seinen aufsichtsrechtlichen Zuständigkeitsbereich folgender Sachstand ergibt: Zur Veröffentlichung verpflichtet waren 124 Kassen. Noch nicht veröffentlicht:
29 Kassen. Davon nicht veröffentlicht wegen anhängiger
Klageverfahren: 16 Kassen. Ausstehende Veröffentlichungen: 13 Kassen. Aufgrund der Erfahrungen in den
vergangenen zwei Jahren geht das Bundesversicherungsamt davon aus, dass im Laufe des Monats März 2006
noch weitere Veröffentlichungen erfolgen werden. Spätestens zu Beginn des Monats April 2006 wird das Bundesversicherungsamt mit den Kassen, die noch nicht veröffentlicht haben und bei denen keine Klageverfahren
anhängig sind, Kontakt aufnehmen, die Gründe für die
unterbliebene Veröffentlichung erfragen und die Veröffentlichung im Bedarfsfall mit den zur Verfügung stehenden aufsichtsrechtlichen Mitteln durchsetzen. In den
Fällen, in denen die Veröffentlichung zu spät erfolgte,
werden die Kassen aufgefordert, zukünftig termingerecht zum 1. März zu veröffentlichen.
Da die Mitgliederzeitschriften zu unterschiedlichen
Terminen erscheinen, lässt sich derzeit noch keine abschließende Bewertung über den dortigen Veröffentlichungsstand abgeben. Aufgrund der Erfahrungen in den
letzten beiden Jahren lässt sich aber bereits heute sagen,
dass diejenigen Kassen, die im Bundesanzeiger veröffentlichen, in der Regel das Vorstandsgehalt auch in den
Mitgliederzeitschriften bekannt geben.
Eine Nachfrage, Frau Dr. Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wenn ich mich richtig erinnere, war in der letzten Diskussion über diese Problematik noch von 20 anhängigen
Klagen die Rede. Sie sagen nun, es seien 16 Klagen.
Sind Klagen entschieden worden und, wenn ja, wie?
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, nach meinem Kenntnisstand hat sich die Klagesituation im Vergleich zur Antwort auf diese Frage, die zuletzt, wenn ich mich richtig
erinnere, im Januar dieses Jahres Gegenstand einer Fragestunde war, nicht verändert. Nach meiner Erinnerung,
vorbehaltlich des Protokolls, waren 22 Klagen anhängig.
Es hat eine rechtskräftige Entscheidung gegeben. Das ist
nach wie vor die Situation.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön, Frau
Dr. Lötzsch.
Uns alle interessiert, wie diese Klage entschieden
worden ist; denn im Gesetz ist, wie wir alle wissen, festgelegt, dass die Vorstände der Krankenkassen ihre Bezüge veröffentlichen müssen. Ist die Klage zugunsten
der Vorstände oder - ich vereinfache es einmal - des Gesetzes entschieden worden?
Die eine Klage ist zugunsten der Aufsichtsbehörde
entschieden worden. Das Gericht hat also die Klagegründe seitens des Vorstandes, der Klage erhoben hatte,
nicht anerkannt. Der Auffassung des Gesetzgebers und
der Aufsichtsbehörde ist im Urteil entsprochen worden.
Wir kommen nun zur Frage 3 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch:
Wie viele Gehälter von Vorständen von Krankenkassen
und Kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen wurden durch die zuständigen Aufsichtsbehörden in den
Jahren 2005 und 2006 beanstandet, weil sie nicht den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit folgten?
Bitte, Herr Schwanitz.
Frau Kollegin, wie bereits bei der Beantwortung der
vorangegangenen Frage dargelegt, konnte wegen der
Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine Abfrage
bei den einzelnen Landesaufsichtsbehörden nicht durchgeführt werden. Im aufsichtsrechtlichen Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit - dabei
geht es um die Aufsicht über die Spitzenverbände der
Krankenkassen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen - waren Vorstandsverträge nicht zu beanstanden.
Die Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder
haben im Rahmen der 66. Arbeitstagung am 28. und
29. April 2005 in Dresden beschlossen, gemeinsam Kriterien für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit von
Vorstandsvergütungen und sonstigen dienstvertraglichen Vereinbarungen zu erarbeiten. Das daraufhin von
einer Arbeitsgruppe erstellte Arbeitspapier haben die
Aufsichtsbehörden auf ihrer 67. Arbeitstagung am
3. und 4. November 2005 in Magdeburg zustimmend zur
Kenntnis genommen und beschlossen, es hinsichtlich
neu abzuschließender Verträge zur Grundlage ihrer Aufsichtsführung zu machen. Das Bundesministerium für
Gesundheit hat ebenso wie das Bundesversicherungsamt
in seinem aufsichtsrechtlichen Zuständigkeitsbereich auf
diese gemeinsame Beschlusslage der Aufsichtbehörden
verwiesen.
Bei der Beschlussfassung war Folgendes zu berücksichtigen: Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2000, Aktenzeichen B6 KA 64/989,
hat der Versicherungsträger nach § 69 Abs. 2 SGB IV
bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes sicherzustellen, dass er die ihm obliegenden Aufgaben zur
Berücksichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit erfüllen kann. In der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichtes ist geklärt, dass die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
bei aller begrifflichen Unschärfe rechtliche Gebote darstellen, die vom Versicherungsträger zu beachten sind
und deren Nichtbeachtung mit den Mitteln der Aufsicht
gemäß § 89 Abs. 1 SGB IV beanstandet werden kann.
Allerdings steht dem Versicherungsträger bei Anwendung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eine Einschätzungsprärogative zu, die die Aufsichtsbehörde zu respektieren hat. Es besteht zunächst
ein Vorrecht des Versicherungsträgers zur konkretisierenden Anwendung dieser Haushaltsgrundsätze. Ihm
muss ein gehöriger Einschätzungsspielraum bleiben. Lediglich eindeutige Grenzüberschreitungen dürfen von
der Aufsichtsbehörde als rechtswidrig beanstandet werden. Es ist deshalb schwierig, für den Bereich der Krankenkassen einen marktgerechten Maßstab für die Vergütung zu finden, da weder ein direkter Vergleich mit
Unternehmen der freien Wirtschaft noch ein Vergleich
zum Beispiel mit Behörden möglich ist.
Es obliegt in erster Linie nicht den Aufsichtsbehörden, sondern den Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in den Verwaltungsräten der Krankenkassen,
für die Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und der Sparsamkeit insbesondere auch bei der Vereinbarung der Vorstandsvergütungen zu sorgen.
Nachfrage, Frau Lötzsch?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wie wir alle wissen, werden die Vorstände der Krankenkassen von den Beiträgen der Versicherten bezahlt. Wir
alle wissen - das vielleicht zum besseren Verständnis für
die Zuschauer -, dass wir als Versicherte alles Mögliche
nachweisen und häufig Einschnitte hinnehmen müssen.
Ich begrüße zunächst einmal die strengeren Richtlinien,
die jetzt erlassen wurden. Ich möchte wissen, wie viele
Vorstände von Krankenkassen gleichzeitig Vorstand
mehrerer Kassen sind. Das ist ja durch die neuen Richtlinien ausdrücklich untersagt worden. Gibt es noch Fälle,
dass Vorstände von Krankenkassen gleichzeitig im Vorstand anderer Kassen sind?
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, die Frage kann ich Ihnen
aus dem Stand nicht beantworten. Ich würde das gerne
schriftlich nachreichen.
Weitere Nachfrage?
Ja. - Es wäre sehr nett, wenn Sie das tun würden, Herr
Staatssekretär.
Ich würde unter Bezugnahme auf die Richtlinien, die
Sie dargestellt haben, gerne des Weiteren wissen, wie
viele dieser Vorstände immer noch erfolgsunabhängige
Prämien erhalten.
Das beziehe ich gerne in die Antwort ein.
Danke schön.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Bernd Neumann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Cornelia
Pieper auf:
Wie weit sind vor dem Hintergrund, dass der Beauftragte
der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister
Bernd Neumann, in seiner Antrittsrede vor dem Ausschuss für
Kultur und Medien des Deutschen Bundestages am 14. Dezember 2005 erklärt hat, die Bundesregierung habe das Ziel
der Fusion der Kulturstiftung des Bundes mit der Kulturstiftung der Länder in ihr 100-Tage-Programm aufgenommen,
die Fusionsverhandlungen bisher fortgeschritten und wann ist
mit dem Vollzug der Fusion zu rechnen?
Die Fusion der Kulturstiftungen wurde von den Koalitionspartnern als ein kulturpolitisches Ziel in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Bei der Komplexität der
eine solche Fusion begleitenden Probleme war von vornherein klar, dass nicht die Fusion selbst, sondern die vorbereitenden Gespräche und Verhandlungen innerhalb der
ersten drei Monate meiner Amtszeit eingeleitet werden
sollten. Dies ist auch geschehen. Dabei wirft dieses
Thema - wie in der Vergangenheit - schwierige Fragen
auf, die das Bund-Länder-Verhältnis im Kulturbereich
betreffen. Gleichwohl gestaltet sich die Arbeit mit den
Ländervertretern offen und konstruktiv.
Nachfrage, Frau Pieper.
Herr Staatsminister, Sie haben sich selbst in Ihrem
100-Tage-Programm das Ziel gesetzt, diese Fusion zu
realisieren. Das würde bedeuten - so ist es mir zu Ohren
gekommen -, dass dieses Projekt bereits bis zum
18. Mai - da findet die Sitzung der Chefs der Staatskanzleien statt - angeschoben wird. Ist dieser Termin unter
dem Gesichtspunkt dessen, was Sie soeben vorgetragen
haben, noch zu halten? Ist er aus Ihrer Sicht richtig?
Oder wird das Vorhaben der Bundesregierung, diese Fusion voranzutreiben, einen längeren Zeitraum einnehmen?
Ich habe mir diesen Termin nie gesetzt. Ich weiß
nicht, wie er - außer durch Ihre soeben gestellte Frage verbreitet wird.
Richtig ist, dass ich schon Ende letzten Jahres und
Anfang dieses Jahres mit der Länderseite unmittelbaren
Kontakt aufgenommen habe. Richtig ist auch, dass ich
Wert darauf lege, die Verantwortlichen beider Stiftungen
einzubeziehen. Nach den Vorgesprächen hat es eine erste
Runde der Chefs der Staatskanzleien gegeben, die sich
mit dieser Thematik befasst hat. Gegebenenfalls wird
sich auch die Ministerpräsidentenkonferenz damit befassen.
Aber da es, wie ich schon in meiner ersten Antwort
ausführte, insbesondere auf der Länderseite nicht nur um
die Frage der möglichen Fusion der beiden Stiftungen
geht, sondern auch um den Wunsch, über die Kompetenzen, was die Kultur angeht, von Bund und Ländern generell zu reden, glaube ich, dass dieser Prozess eher länger
dauert.
Ziel ist es, möglichst zügig zu einer Entscheidung zu
kommen. Was dafür zu tun ist, liegt aber nicht allein in
meiner Hand. Das Ganze muss hieb- und stichfest sein
und auch die Interessen des Bundes müssen berücksichtigt werden. Das ist wichtiger, als irgendwelche Schnellschüsse zu machen. Das habe ich nicht vor.
Zweite Nachfrage, bitte schön.
Danke. - Hat die Bundesregierung vor, die Fusion der
Kulturstiftungen auf dem Wege der Rechtsverordnung
oder mit einem Gesetzentwurf zu realisieren?
Auch dies haben wir bisher nicht abschließend diskutiert.
Diskutiert haben wir vielmehr die Aufgaben der Stiftung. Für mich als Vertreter des Bundes ist es ganz wichtig, dass der Ansatz, den die Kulturstiftung des Bundes
jetzt vertritt, also zeitgenössische Kunst, innovative Projekte zu fördern, nicht zu kurz kommt. Darüber hinaus
müssen wir sicherstellen, dass durch eine solche Fusion
die Proportionen, auch in Bezug auf die jetzige Finanzverteilung, berücksichtigt werden. Unser Wunsch ist es
- er ist auch den Ländern übermittelt worden -, dass die
Länder ihren Beitrag, was Stiftungen angeht, erhöhen.
Eine weitere Nachfrage des Kollegen Börnsen.
Herr Staatsminister, Sie haben deutlich gemacht, dass
Sie mit Ihren Plänen bezüglich der Fusion beider Stiftungen in den ersten 100 Tagen Ihrer Amtszeit zunächst einmal Wort gehalten haben. Für uns als Parlamentarier ist
wichtig, dass dieser Prozess in Gang gesetzt worden ist.
({0})
Sie haben in Ihrer Antwort eben auch klargestellt, dass
wir seit Mitte der 70er-Jahre an einer deutschen Kulturstiftung arbeiten und noch nicht vorangekommen sind.
Können Sie uns noch etwas zu der Ausrichtung und zu
den Abschnitten des vorliegenden Fahrplans sagen, der
dazu beitragen soll, dass die Stiftungen beider Bereiche
letzten Endes zusammengeführt werden?
Herr Kollege Börnsen, man könnte sich ohnehin die
Frage stellen, warum ich mit solch einem schwierigen
Thema gleich begonnen habe. Manchmal kommt es vor,
dass man die schwierigen Dinge auf das Ende einer Legislaturperiode verschiebt und sie dann möglicherweise
gar nicht mehr behandelt. Ich habe mir dieses Thema bewusst gleich zu Anfang vorgenommen, weil es ein kompliziertes Thema ist und weil man dafür Zeit braucht.
Was man nicht sozusagen im ersten Schwung bewirkt,
wird man möglicherweise auch später nicht durchsetzen.
Eine gemeinsame Stiftung ist ein Unterfangen, das
sich schon der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt
mit seiner Forderung, eine deutsche Nationalstiftung zu
schaffen, zum Ziel gesetzt hatte. Es konnte leider so
nicht verwirklicht werden. Sie wissen auch, Kollege
Börnsen, dass meine Vorgängerin in der letzten Legislaturperiode den Versuch unternommen hat, diese beiden
Stiftungen zusammenzuführen. Auch dies ist nicht gelungen. Weil die Koalitionsparteien dies erneut als Ziel
aufgeschrieben haben, gilt es, diese Thematik, die auch
noch voll in die Föderalismusdiskussion fällt,
({0})
mit einer gewissen Vorsicht, mit einer gewissen Differenziertheit und mit einer gewissen - wie soll ich sagen? Sorgfältigkeit zu behandeln.
Da ist mir ein solides Ergebnis lieber als am Ende ein
Ergebnis, welches auch von den Vertretern des Bundes
nicht getragen werden kann.
({1})
Eine weitere Nachfrage, nämlich des Kollegen Uwe
Barth.
Herr Staatsminister, zunächst vielen Dank für das
schöne Stichwort Föderalismusreform. Mich würde interessieren: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der
Fusion und der Föderalismusreform? Ist insbesondere
richtig, was ich gehört habe, nämlich dass einige Verhandlungsführer der Länder, darunter Ministerpräsidenten, ihre Zustimmung zur Fusion an Bedingungen knüpfen, wenn ja, welche sind das und gibt es dazu
Protokollnotizen?
Es ist richtig, dass es von Länderseite den Wunsch
gibt - ich weiß jetzt nicht, ob es jeweils die Ministerpräsidenten sind; in diesem Stadium haben sich zumindest
offiziell nicht alle mit der Thematik im Einzelnen befasst, weil es bisher auf Arbeitsebene behandelt wurde -,
in Verbindung mit der geplanten Fusion der beiden Stiftungen auch das grundsätzliche Verhältnis, die grundsätzliche Abgrenzungsfrage bzw. Kompetenzfrage zwischen Bund und Ländern, was die Kultur angeht, zu
besprechen und zu regeln. In den Vorgesprächen und
Vorverhandlungen gab es ein so genanntes Eckpunktepapier, auf das in den Materialien zur Föderalismusreform
an einer Stelle, nämlich bezogen auf einen neuen
Art. 104 b Grundgesetz, hingewiesen wird. Der Wunsch
ist, dies im Zusammenhang zu diskutieren. Meine Position ist: Natürlich kann man über alles reden - Aber unser Ansatz ist: Wir wollen das Ziel der Fusion zu erreichen versuchen und wollen es möglichst nicht mit
grundsätzlichen Abgrenzungsfragen belasten, es sei
denn, man kann hier zu einem einvernehmlichen Ergebnis kommen.
Weitere Nachfrage, nämlich des Kollegen Patrick
Meinhardt.
Herr Staatsminister, in Ergänzung hierzu die Frage:
Wird die Bundesregierung gewährleisten, dass das Parlament, insbesondere der Kulturausschuss, an den Entscheidungen über die Zukunft der Stiftung, vor allem in
der Frage „Fusion, ja oder nein?“, entsprechend beteiligt
wird?
Ja. Das hat zwei Gründe. Bei schwierigen Dingen soll
man möglichst alle mitnehmen. Sie können davon ausgehen, dass ich als Parlamentarier weiß, wie wichtig es
ist, in einer solch schwierigen Frage das Parlament zu
beteiligen. Ich werde auch den Kulturausschuss jeweils
über den Stand informieren - das habe ich schon getan -,
sodass ich Ihre Frage eindeutig mit Ja beantworten kann,
zumal in den Stiftungsräten, zumindest im Stiftungsrat
der Bundesstiftung, auch Parlamentarier mitwirken und
im Stiftungsrat für eine Veränderung eine Zweidrittelmehrheit erreicht werden muss. Das ist eine Grenze, die
es schon formal erfordert, Parlamentarier zu beteiligen.
Aber unabhängig davon, habe ich das ohnehin vor.
Noch eine weitere Nachfrage, nämlich der Kollegin
Monika Griefahn.
({0})
- Sie können immer nur eine Nachfrage stellen.
({1})
Herr Staatsminister, der Kulturausschuss hat sich in
der letzten Legislaturperiode sehr intensiv mit der Fusion sowie mit dem Eckpunktepapier beschäftigt und
zwei Punkte zum Ausdruck gebracht - diese Einschätzung wird auch in dieser Legislaturperiode nicht anders
sein -: Erstens. Die strittigen Punkte, die in Punkt 3 des
Eckpunktepapiers aufgelistet sind, sind strittig geblieben; dazu gab es keine Einigung. Deswegen meine Frage
zu diesem Punkt: Gibt es schon weitere Überlegungen,
wie man mit diesen strittigen Fragen umgeht? Der
zweite Punkt, der im Kulturausschuss diskutiert wurde,
war die Finanzierung. Die Kulturstiftung des Bundes
soll etwa 75 Prozent in eine gemeinsame Stiftung einbringen, die Kulturstiftung der Länder etwa 25 Prozent;
trotzdem soll der Stimmenanteil pari sein, wenn nicht
sogar noch weiter zulasten des Bundes gehen. Gibt es da
schon Überlegungen, das anders zu gestalten?
Natürlich gibt es Überlegungen; denn das, was Sie angesprochen haben, ist der Kern des Problems. Ich habe
bereits in einer vorherigen Antwort versucht, zum Ausdruck zu bringen, dass wir, was die Größenordnung betrifft, von unterschiedlichen Dimensionen ausgehen. Sie
haben die Zahlen genannt. Der Bund stellt im Augenblick für seine Kulturstiftung 38 Millionen Euro zur Verfügung, die Länder, nachdem der Bund sich zu Beginn
dieses Jahres herausgezogen hat, etwa 8,6 Millionen
Euro. Das sind die Proportionen, von denen man ausgehen muss.
Ich habe vonseiten der Länder vernommen, dass die
Bereitschaft besteht, den Betrag, den sie für den Erhalt
des kulturellen Erbes erbringen - immerhin sind es
16 Länder -, zu erhöhen, um etwa auf Augenhöhe zu gelangen. Aber natürlich müssen wir die Proportionen
auch im Hinblick auf die inhaltlichen Schwerpunkte, die
es schon von der Ausgangsgrundlage her gibt, berücksichtigen. Wir wollen sicherstellen, dass die Entscheidungsverhältnisse am Ende nicht völlig umgedreht werden. Aufgrund der Gespräche mit den Ländern habe ich
jedoch den Eindruck, dass dies durchaus gesehen wird
und dass es möglich ist, hier zu einem Ergebnis zu kommen.
Jetzt habe ich noch eine Frage des Kollegen
Goldmann.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade gesagt, dass Sie
mit den Ländern - also wohl auch mit den Ländervertretern - in der Meinungsbildung im Einklang seien. Gilt
das auch für den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Rüttgers, und, wenn nicht, wo
liegen möglicherweise noch Auffassungsunterschiede?
Dass ich jetzt schon mit allen einig bin, müssen Sie
missverstanden haben.
Mit dem sind Sie also noch nicht einig?
Wenn ich mit allen einig wäre, würde ich dem
Wunsch von Frau Pieper, möglichst schon nach
100 Tagen ein Ergebnis vorzulegen, nachkommen und
hätte Ihnen das Ergebnis attraktiv demonstriert. Das ist
nicht der Fall. Mein erster Ansprechpartner war der Kollege Rüttgers, und zwar deshalb, weil er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz Vorsitzender des Stiftungsrates der Länder ist. Mit
ihm habe ich die ersten Gespräche geführt. Nach diesen
Gesprächen, auch mit seinem zuständigen Staatssekretär
für Kultur und Chef der Staatskanzlei, GrosseBrockhoff, habe ich den Eindruck, dass Herr Rüttgers
hier einen sehr konstruktiven Part spielt. Aber, wie gesagt, die Gespräche können sich nicht nur auf zwei Personen konzentrieren; das ist erst der Anfang. Schließlich
brauchen wir die Zustimmung aller Länder.
Wir wollen - das will ich abschließend sagen - diese
Fusion, aber es gibt keine Fusion um jeden Preis; das Interesse des Bundes, das auch ein spezielles Kulturinteresse beinhaltet, muss gewährleistet sein.
Vielen Dank. - Dann kommen wir zur Frage 5 der
Kollegin Cornelia Pieper:
Inwiefern ist es zutreffend, dass die Bundesregierung in
Absprache mit den Ländern plant, den Sitz der Kulturstiftung
des Bundes in Halle ({0}) aufzugeben und die fusionierte
Stiftung an einem anderen Ort anzusiedeln, und, wenn dies
zutrifft, an welchem?
Eine solche Absprache, dass die Bundesregierung
sich bereits mit den Ländern geeinigt habe, den Sitz der
Kulturstiftung des Bundes von Halle nach Berlin zu verlegen, gibt es nicht, Frau Kollegin Pieper. Die Frage des
Sitzes ist in den bisherigen Gesprächen überhaupt nicht
erörtert worden. Sie steht angesichts der zahlreichen zuvor zu klärenden kulturpolitischen und finanziellen Fragen zurzeit auch nicht an. Der Sitz ist Halle. Ohne eine
Übereinstimmung der Organisationen und Arbeitsbereiche der Stiftung in den wesentlichen Fragen ist eine Debatte über ihren Sitz völlig verfrüht.
Ihre Nachfrage bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben gegenüber der „Mitteldeutschen Zeitung“ am 8. März erklärt, dass für Sie nach
der Fusion Halle als Sitz der neuen Kulturstiftung grundsätzlich fraglich ist. Welche Beweggründe hatten Sie für
diese öffentliche Äußerung? War sie mit der Bundesregierung abgestimmt?
Ich kenne dieses Zitat nicht. Ich weiß nur, was ich gesagt habe. Gesagt habe ich immer das, was ich Ihnen
eben in meiner Antwort mitgeteilt habe und was wir
auch von Anfang an in den Gesprächen erklärt haben.
In internen Gesprächen in meinem Haus, aber auch in
den Gesprächen darüber hinaus haben wir immer betont,
dass wir die Frage des Sitzes oder - ich darf das einmal
so sagen - möglicherweise mehrerer Sitze überhaupt
nicht erörtert haben. Wir waren vernünftigerweise der
Meinung, dass erst einmal geprüft werden sollte, ob wir
überhaupt in der Lage sind, eine solche Fusion kulturpolitisch zu vollziehen. Erst im nächsten Schritt müsste
man die Frage nach dem Sitz der neuen Kulturstiftung
stellen. So habe ich mich immer geäußert.
Ich habe also den Sitz in Halle im Augenblick überhaupt nicht infrage gestellt.
({0})
Ich denke auch gar nicht daran, ihn infrage zu stellen,
bevor mir nicht ein Ergebnis vorliegt, das eine solche
Frage rechtfertigt.
Zweite Nachfrage.
Ich habe der Frau Bundeskanzlerin Merkel vor drei
Wochen einen Brief in dieser Sache zukommen lassen
und sie gebeten, sich für die Franckeschen Stiftungen in
Halle als Sitz nach der Fusion der beiden Stiftungen
- dies hat ursprünglich Günter Grass vorgeschlagen einzusetzen. Kann ich nach drei Wochen noch eine Antwort auf meinen Brief erwarten? Wissen Sie, Herr
Staatsminister, wie sich die Frau Bundeskanzlerin zu
dieser Frage verhält?
Ich gehe davon aus, dass die Frau Bundeskanzlerin zu
ihrem Kulturstaatsminister Vertrauen hat
({0})
und dass ihre Antwort dieselbe ist wie meine. Ich bin
gerne bereit, Ihnen diese Frage noch einmal schriftlich
zu beantworten.
({1})
Ich kann Ihre Sorge verstehen. Ich möchte deshalb
hinzufügen, dass die Äußerungen beispielsweise von
Herrn Genscher, von dem Ministerpräsidenten Böhmer,
der mich angesprochen hat, und auch von Günter Grass
ernsthaft in Betracht gezogen werden, wenn nach erfolgter Fusion diese Diskussion geführt werden muss. Ich
bitte aber um Verständnis, dass ich mich in der jetzigen
Situation auch mit Blick auf den Sitz in Halle an solchen
Spekulationen nicht beteiligen kann.
Bevor ich die weiteren Fragen aufrufe, möchte ich
mitteilen, dass auf der Ehrentribüne der Parlamentspräsident von Kroatien, Herr Šeks, mit seiner Delegation
soeben Platz genommen hat. Ich begrüße Sie im Namen
der Abgeordneten des Hauses sehr herzlich und freue
mich, dass Sie zu uns gekommen sind.
({0})
Es ist uns eine große Freude, Sie und Ihre Delegation
hier zu Gast zu haben. Der Deutsche Bundestag misst
der Zusammenarbeit unserer Parlamente auch und gerade bei der Gestaltung Europas große Bedeutung bei.
Für Ihren Aufenthalt und für Ihre weiteren parlamentarischen Gespräche wünsche ich Ihnen viel Erfolg.
Die nächste Frage hat der Kollege Uwe Barth.
Herr Staatsminister, da Sie nicht spekulieren wollen,
möchte ich einmal folgende unspekulative Frage stellen:
Wie oft im Jahr trifft sich der Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes, welcher Tagungsort überwiegt dabei
und welche Gründe liegen für die Wahl des Tagungsortes vor, sollte dies nicht Halle sein?
Sie fragen mich etwas, das sich zum größten Teil auf
die Zeit bezieht, als ich mein Amt noch nicht innehatte,
sodass ich Ihre Frage nicht konkret beantworten kann.
Ich muss erst nachforschen, wann und wo der Stiftungsrat getagt hat. Ich werde Ihnen die Antwort schriftlich
nachreichen.
Ich bin neuer Vorsitzender des Stiftungsrates, wie
man das auch in anderen Bereichen kraft Amtes wird.
Ihrer Frage entnehme ich die Befürchtung - ich bin mit
diesem Problem vorher noch nie konfrontiert worden -,
dass der Stiftungsrat aus welchen Gründen auch immer
nicht an seinem Sitz in Halle, sondern grundsätzlich woanders tagt.
Ich finde: Es muss nicht immer Halle sein, es kann
auch mal Berlin sein. Aber die Tatsache, dass Halle Sitz
der Stiftung ist, sollte schon dazu führen, dass die Stiftungsratsmitglieder den Sitz der Stiftung regelmäßig zu
Gesicht bekommen.
Nächste Frage, Kollege Patrick Meinhardt.
Herr Minister, nachdem Sie Ihr grundsätzliches Bekenntnis zum derzeitigen Standort Halle abgegeben haben, möchte ich nachfragen, wie Ihre Stimmung dazu ist,
welche positiven Gründe aus Ihrer Sicht für den Tagungsort der Kulturstiftung in den Franckeschen Stiftungen in Halle sprechen, und ob Sie mit Günter Grass
übereinstimmen, der in einem Interview in der „MZ“
vom 14. März 2006 darauf abgehoben hat, dass Halle ein
mit Bedacht gewählter Ort ist.
Ich spreche hier nicht für die alte Bundesregierung.
Aber ich gehe davon aus, dass sie zumindest in den
meisten Fällen das, was sie getan hat, bedacht getan hat
({0})
- auch wenn das vielleicht nicht grundsätzlich zutraf.
({1})
Verehrter Herr Kollege, ich war zu den Zeiten, als
diese Entscheidung fiel, Mitglied des Kulturausschusses.
Ich fand diese Entscheidung damals richtig, weil sie, bezogen auf Halle und die neuen Bundesländer, ein besonderes Signal gesetzt hat. Das ist auch die Argumentation,
die gerade von denjenigen, die sich jetzt um das Verbleiben in Halle bemüht haben, vorgebracht wird. Das sind
die Argumente von Hans-Dietrich Genscher, Ministerpräsident Böhmer und Günter Grass. Sollten wir in die
Situation kommen, dass diese Fusion organisch gelingt
- ich möchte dies gern; dies schreibt auch die Koalitionsvereinbarung vor -, werden diese Argumente, wie
vorhin schon gesagt, eine gewichtige Rolle spielen.
Dann haben wir noch eine Frage des Kollegen
Wolfgang Börnsen.
Herr Staatsminister, Sie haben, wie ich finde, auch zur
Beruhigung der Bürgerinnen und Bürger von Halle deutlich gemacht, dass der Stiftungsrat dort, wo der Sitz der
Stiftung ist, präsent sein muss. Könnten Sie sich vorstellen, dass es zur Beruhigung auch der Mitarbeiter beitragen könnte, wenn Sie sich selbst einmal vor einer Sitzung des Stiftungsrates auf den Weg nach Halle machen
würden, um diese Sache zu klären? Denn ich habe nicht
den Eindruck, dass Herr Grass vorher gefragt hat, ob der
Sitz überhaupt infrage gestellt worden ist. Wir diskutieren hier über eine Sachlage, die eigentlich jeglicher
Grundlage entbehrt.
({0})
Ihre Frage war ja die, ob ich mir vorstellen kann, unabhängig von einer Stiftungsratssitzung Halle einen Besuch abzustatten. Das habe ich fest vor. Ich darf noch
einmal darauf hinweisen, dass ich erst drei Monate im
Amt bin. Ich habe ohnehin vor, gerade was die neuen
Bundesländer angeht - in der nächsten Woche bin ich in
Erfurt und Weimar, insbesondere wegen der Stiftung
Weimarer Klassik -, alle Einrichtungen, an die Mittel
des Bundes fließen, zu besuchen, und zwar unabhängig
davon, ob eine Stiftungsratssitzung stattfindet. Gerade
nach den Beiträgen, die hier geleistet worden sind, habe
ich unabhängig von dem Besuch, den ich ohnehin machen möchte, vor, zu einer der nächsten Sitzungen nach
Halle einzuladen.
({0})
Ich bin ja jetzt Stiftungsratsvorsitzender. Es kann natürlich sein, dass ich mich wegen der langen Anfahrtswege
usw. bei Kollegen, die einer solchen Einladung folgen
müssen, nicht beliebt mache.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Neumann.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Herr Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Paul Schäfer
({0}):
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag des südafrikanischen Verteidigungsministers, Mosiuoa
Lekota, gegebenenfalls Soldaten aus den Staaten der Southern
African Development Community, SADC, zur Absicherung
der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo einzusetzen?
Herr Kollege Schäfer, ich möchte Ihre Frage wie folgt
beantworten: Der Bundesregierung sind Meldungen bekannt, wonach der südafrikanische Verteidigungsminister solche Überlegungen mit der Presse erörtert hat. Die
Bundesregierung begrüßt es, wenn regionale Organisationen in Afrika Verantwortung für Frieden und Sicherheit übernehmen und hierfür operativ tätig werden.
Nach Kenntnis der Bundesregierung hat bisher weder
die südafrikanische Regierung noch die Südafrikanische
Entwicklungsgemeinschaft, abgekürzt: SADC, diese Meldungen offiziell kommentiert. Die Bundesregierung vermag daher nicht zu beurteilen, ob die Mitgliedstaaten der
SADC diesen Vorschlag aufgreifen werden. Der Vorschlag ist jedoch Ausdruck des starken Engagements
Südafrikas in der Demokratischen Republik Kongo, unter anderem als politischer Vermittler, als Truppensteller
bei der UN-Mission im Kongo MONUC und durch Unterstützung bei der Armeereform.
Nachfrage, Herr Schäfer?
Ja, vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
Sie weisen ja zu Recht darauf hin, dass es sich bei Südafrika nicht um einen beliebigen Akteur handelt. Vielmehr ist Südafrika ein Staat, der beim Zustandekommen
des Friedensabkommens eine wichtige Rolle gespielt hat
und der bei der Organisation der Wahlen ebenfalls eine
Rolle spielt. Strebt denn die Bundesregierung Gespräche
mit der südafrikanischen Regierung über dieses Angebot
an?
Die Bundesregierung befindet sich ja in einer ganz
anderen Situation: Sie muss gemeinsam mit den anderen
europäischen Ländern entscheiden, in welcher Weise sie
die Anfrage von der UN aus New York beantworten soll,
die in Form eines Briefes am 27. Dezember an die EU
herangetragen worden ist. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, zu klären, ob dieser Auftrag, den Herr
Guéhenno, der Leiter des Department for Peacekeeping
Operations der UNO, an die EU gerichtet hat, sinnvollerweise auch von anderen wahrgenommen werden könnte.
Das müssten die Vereinten Nationen klären; es ist nicht
Sache der Bundesregierung, das zu klären.
Zweite Nachfrage, bitte.
Spielt denn bei den Beratungen der EU, die sich natürlich mit der Anfrage der Vereinten Nationen beschäftigen muss, die aber immer gern den Grundsatz „African
Ownership“ bemüht, dieser Vorschlag eine Rolle oder
nicht?
Wir haben das als eine sehr positive Geste der südafrikanischen Regierung angesehen; das habe ich eben
schon gesagt. Aber da noch keine Bestätigung der
SADC für diesen Vorschlag vorliegt - ich weiß nicht, in
welcher Weise andere Mitglieder, zu denen unter anderen ja auch der Kongo gehört, überhaupt gefragt worden
sind -, kann die EU im Rahmen ihrer Antwort auf die
Anfrage aus New York diese Frage nicht auch noch mit
beantworten.
Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Kollegen Schäfer
({0}):
Könnte eine solche Unterstützungsaktion nach Auffassung
der Bundesregierung die geplante Militärmission der EU in
der Demokratischen Republik Kongo ersetzen?
Herr Kollege Schäfer, die Vereinten Nationen haben
sich an die Europäische Union mit der Bitte gewandt, die
UN-Mission im Kongo MONUC bei der Absicherung
der Wahlen zu unterstützen. Eine entsprechende Bitte an
andere Organisationen ist der Bundesregierung nicht bekannt. Für den Fall, dass sich die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft zu einer militärischen Unterstüt1834
zungsaktion bereit erklärte, wäre es zunächst Aufgabe
der Vereinten Nationen und der SADC, Art und Umfang
einer solchen Unterstützungsaktion zu untersuchen.
Falls sowohl UN als auch SADC eine militärische
Mission der SADC in der Demokratischen Republik
Kongo empfehlen sollten, müsste geprüft werden, in
welchem Verhältnis ein solcher Beitrag zu einer eventuellen Operation der EU stünde. Sollte sich die EU im
Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einer militärischen Operation in der Demokratischen Republik Kongo entschließen, ist die Beteiligung von Drittstaaten grundsätzlich möglich. 2003
hat Südafrika zum Beispiel einen Beitrag zur Operation
Artemis in der Demokratischen Republik Kongo geleistet.
Nachfrage, Herr Schäfer?
Ja, danke. - Haben Sie die Überzeugung, dass eine
EU-Abschreckungstruppe - es heißt ja: Deterrent Force eher eine stabilisierende Funktion haben würde als eine
Truppe, die von der SADC gestellt würde?
Ich kann nur noch einmal sagen: Diese Initiative geht
ja überhaupt nicht von der EU und schon gar nicht von
der Bundesrepublik aus. Dabei handelt es sich um eine
Entscheidung der für die Peacekeeping Operations zuständigen Abteilung der Vereinten Nationen, in der man
gesagt hat: Wir brauchen für die zeitlich begrenzte Phase
des Abschlusses der Übergangsregelungen im Kongo,
für die Phase der Wahl, eine Deterrent Force, wie es in
diesem Schreiben heißt. Darum ist die EU gebeten worden. Ob es vorher zu einer Abwägung aller anderen
Möglichkeiten und Alternativen gekommen ist, entzieht
sich vollständig unserer Kenntnis. Wir haben jetzt auf
diese Anfrage zu antworten. Wie Sie wissen, wird schon
eine sehr intensive Arbeit zur Vorbereitung einer solchen
Antwort geleistet.
Zweite Nachfrage, bitte.
Sehen Sie die Chance, dass es noch zu einer solchen
Abwägung der verschiedenen Vorschläge und Initiativen
kommen könnte?
Das kann - wie ich eben schon ausgeführt habe - nur
dann passieren, wenn die Vereinten Nationen eine Nachricht von der SADC bekommen und diese Frage noch
einmal aufwerfen. Aber das bisherige Hilfeersuchen der
Vereinten Nationen richtet sich ganz eindeutig an die
EU. Dass hierbei auch bestimmte Erfahrungen mit einer
„Abschreckungsmacht“ eine Rolle spielen, ist ganz offensichtlich, aber von uns nicht zu diskutieren.
Wir haben eine sehr hohe Meinung von der Eigenverantwortung der afrikanischen Staaten, die sich in der
letzten Zeit besonders durch die Aktivität der AU auszeichnet. Das gilt zum Beispiel für das Engagement im
Sudan mit AMIS und andere Friedensoperationen. Wir
bleiben bei unserem Prinzip des African Ownership, also
der Eigenverantwortung für Afrika. Aber in diesem Fall
ist die Frage zu beantworten, die von den Vereinten Nationen an uns, das heißt an die EU, gerichtet ist. Es geht
jetzt nicht um irgendwelche anderen Möglichkeiten.
Eine weitere Frage des Kollegen Karl Addicks.
Herr Staatsminister Erler, hat die Bundesregierung direkt oder via EU Kenntnisse darüber, ob etwa von der
Regierung der Demokratischen Republik Kongo eine
solche Mission gewünscht wird oder nicht?
Sie wechseln jetzt vom Bereich der SADC zum
Kongo. Wir haben schon mehrere Reaktionen aus dem
Kongo zu einer solchen möglichen Mission bekommen.
Es gibt aber einen klaren Konsens in der Bundesregierung, dass das, was bisher dort geäußert worden ist, nicht
ausreicht, sondern dass wir für diese angedachte Mission
seitens der Vereinten Nationen eine förmliche Bestätigung - wenn auch nicht Einladung - vom so genannten
Espace présidentiel, also von Präsident Kabila oder seiner unmittelbaren Umgebung, brauchen. Bisher - das
wissen Sie - liegt eine solche förmliche Bestätigung
nicht vor.
({0})
Eine weitere Frage des Kollegen Ilja Seifert.
Herr Staatsminister, Sie führten aus, dass es äußerst
kompliziert sei, diese Antwort an die UNO zu schreiben.
Das verstehe ich ja. Ich gehe aber davon aus, dass nicht
alle Beamten des Auswärtigen Amtes damit beschäftigt
sind, diese Antwort vorzubereiten. Wäre es also nicht
auch möglich, dass Sie von sich aus aktiv werden und in
Südafrika nachfragen, inwieweit der Vorschlag des Verteidigungsministers von den Staaten dort aufgegriffen
wird? Ist es also in Ihren Augen denkbar, dass die Bundesregierung von sich aus aktiv wird und dort nachfragt?
Herr Kollege Seifert, ich muss noch einmal darauf
hinweisen, dass dies in dieser Situation nicht Aufgabe
der Bundesregierung sein kann. Es ist weder unsere Idee
noch unsere Aufgabe, hier etwas anderes zu versuchen
als das, was die Vereinten Nationen hier gemacht haben.
Insofern - ich sage das noch einmal - haben wir bei aller
Anerkennung des wichtigen Prinzips der afrikanischen
Eigenverantwortung jetzt als Erstes die Aufgabe, diese
Anfrage zu beantworten, zumal, Herr Kollege Seifert,
außer diesem Pressegespräch, welches der südafrikanische Verteidigungsminister hier geführt hat, eine wie
auch immer geartete offizielle Bestätigung zum Beispiel
durch den südafrikanischen Präsidenten noch nicht vorliegt, obwohl es auch Begegnungen gegeben hat. Insofern sind diese Äußerungen, die dort gemacht worden
sind, auch nicht belastbar.
Jetzt kommen wir zur Frage 8 des Abgeordneten
Jerzy Montag:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die
Staatsanwaltschaft letzte Woche in der Strafsache Moussaoui
die Todesstrafe beantragt hat, und was gedenkt die Bundesregierung in dieser Sache zu unternehmen, damit der Antrag auf
Verhängung der Todesstrafe zurückgenommen bzw. die Todesstrafe weder verhängt noch vollstreckt wird?
Herr Kollege Montag, der Bundesregierung ist bekannt, dass die Staatsanwaltschaft in der Sache Moussaoui
für die nach US-Recht mögliche Höchststrafe plädiert
hat. Nach dem Informationsstand der Bundesregierung
haben hierzu aber nicht Beweismittel geführt, die im
Wege der Rechtshilfe in Strafsachen oder des polizeilichen Informationsaustausches an die USA übermittelt
worden sind. Unabhängig davon setzt sich die Bundesregierung weiterhin weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe ein.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich danke Ihnen für diese klare
Aussage. Trotzdem darf ich nachfragen. Die Ankündigung der Staatsanwaltschaft auf Beantragung der Todesstrafe im Moussaoui-Verfahren ist ja nicht im Rahmen
der Schlussplädoyers und unter Bezugnahme auf Beweismittel erfolgt, sondern im so genannten Eingangsplädoyer. Ob die Beweise, die Deutschland zugeliefert
hat, verwendet werden oder nicht, ist also noch offen.
Meine Frage lautet: Woher nimmt die Bundesregierung die Sicherheit und die Zuversicht, dass die Staatsanwaltschaft in den USA die übermittelten Beweismittel
nicht verwenden wird, nachdem wir heute in der Weltpresse lesen können, dass die Staatsanwaltschaft in den
USA in diesem Verfahren das amerikanische Strafprozessrecht in einer ungeheuerlichen Art und Weise gebogen hat? Die zuständige Richterin hat gesagt, derart ungeheuerliche Verstöße gegen die Regularien habe sie in
ihrem ganzen Berufsleben noch nicht erlebt.
Es ist also zu befürchten, dass die Staatsanwaltschaft
in den USA unter Umständen ein zweites Mal gegen solche Regularien zu verstoßen versucht und die Dokumente, die wir beigeliefert haben, doch zur Untermauerung der Todesstrafe verwendet. Was gedenkt die
Bundesregierung zu tun, um abzusichern, dass dies nicht
geschieht?
Herr Kollege Montag, erst einmal kann ich bestätigen, dass dieses Verfahren - es ist das einzige, das im
Zusammenhang mit dem 11. September 2001 gegen einen mutmaßlichen Täter auf amerikanischem Boden geführt wird - in eine sehr prekäre Lage gekommen ist,
und zwar, wie von Ihnen geschildert, dadurch, dass eine
Anwältin der Anklage eine Information an Zeugen weitergegeben hat, was nach amerikanischem Recht unzulässig ist. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob das Verfahren gekippt werden müsste. Wie Sie wissen, ist es
unter Ausschluss von sieben Zeugen auf Montag vertagt
worden. Das ist von uns nicht zu kommentieren.
Aus diesem Vorgang ist aber nicht zu schließen, dass
die Zusicherung, die die Bundesregierung bezüglich der
Übermittlung dieser Informationen in Sachen Anklage
erhalten hat, nicht eingehalten wird.
Zweite Nachfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, die Beweismittel, die die Bundesrepublik Deutschland in diesem Verfahren an die Vereinigten Staaten übermittelt hat, sind an das Bundesjustizministerium der USA geschickt worden. Meine Frage
lautet: Ist Ihnen bekannt, ob diese Dokumente dort noch
lagern oder schon an die Staatsanwaltschaft Pennsylvanias weitergeschickt wurden? Wird die Bundesregierung
jetzt, nachdem die Staatsanwaltschaft im Eröffnungsplädoyer die Todesstrafe beantragt hat, beim Justizministerium der USA tätig werden, um zu verhindern, dass das
Justizministerium der USA diese Unterlagen an die
Staatsanwaltschaft weiterleitet?
Herr Kollege Montag, Ihnen ist sicherlich aufgefallen, dass eine Ihrer zwei Fragen wegen des außenpolitischen Bezuges an mich ging, die zweite Frage, die sich
auf die Beweismittel bezieht, aber an den Kollegen
Altmaier, der hier für das BMI spricht. Er hat, wie ich
weiß, eine exzellente Antwort auf Ihre Frage, die ich ihm
nicht vorwegnehmen möchte.
({0})
Danke schön, Herr Staatsminister Erler.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Montag auf:
Hat die Bundesregierung Beweismittel in der Strafsache
Moussaoui an die USA weitergegeben, und, wenn ja, an welche Bedingungen bzw. Zusicherung bezüglich der Beantragung, Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe wurde
diese Weitergabe geknüpft?
Herr Kollege Montag, die USA stellten am 7. Februar
2002, am 13. April 2003 und am 15. März 2005 in dem
dort geführten Strafverfahren gegen Zacarias Moussaoui
Rechtshilfeersuchen. Mit Schreiben von 20. November
2002 sicherten die USA zu, die von Deutschland übermittelten Beweismittel weder gegenüber dem Angeklagten noch gegenüber Dritten direkt oder indirekt zur Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe zu
verwerten.
Die Rechtshilfeersuchen wurden von Deutschland
teilweise erledigt. Die Übersendung von Erledigungsstücken wurde stets mit der Bezugnahme auf diese Zusicherung verbunden.
Bereits im Vorfeld des oben genannten Rechtshilfeersuchens hatte das BKA dem FBI Erkenntnisse im Wege
des polizeilichen Informationsaustausches zur Verfügung gestellt. Den Regeln der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit entsprechend waren diese Informationen nicht zur Verwendung im Strafverfahren
bestimmt. Auf diesen Umstand hatte das Bundeskriminalamt mit Schreiben vom 1. Februar 2002 an das FBI
ausdrücklich hingewiesen.
Nachfrage? - Bitte schön.
Auch Sie möchte ich noch einmal fragen: Ist Ihnen
angesichts der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft in
diesem Verfahren im Eröffnungsplädoyer nunmehr die
Todesstrafe gefordert hat, und angesichts der schockierenden Erfahrung, dass die Staatsanwaltschaft in diesem
Verfahren in einem unglaublichen Maße US-Recht gebrochen hat - die gestrigen Erklärungen der Richterin
sprechen ja für sich -, bekannt, wo sich diese Beweisstücke jetzt befinden, und ist die Bundesregierung bereit,
gegenüber den Vereinigten Staaten tätig zu werden, um
zu erreichen, dass diese Beweisstücke - sollten sie noch
nicht an die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren herausgegeben worden sein - nicht herausgegeben werden?
Die Bundesregierung hat meines Wissens keine
Kenntnis darüber, dass die Zusicherungen der USA jemals nicht eingehalten worden wären. Wir gehen davon
aus, dass die Zusicherungen auch in diesem laufenden
Verfahren eingehalten werden.
Nochmals meine Frage: Wir haben jetzt neue Informationen. Wir haben die Information, dass die Todesstrafe beantragt wurde, und sehen das Verhalten der
Staatsanwaltschaft. Wird die Bundesregierung in dieser
Ausnahmesituation gegenüber den Vereinigten Staaten
noch einmal vorstellig werden, um sicherzustellen, dass
diese Zusicherung, der ich grundsätzlich genauso vertraue wie Sie, auch in diesem konkreten Fall eingehalten
wird?
Die Bundesregierung verfolgt das Verfahren sehr genau und wird in jedem Stadium des Verfahrens das Notwendige tun, damit die vorhandenen Abmachungen eingehalten werden.
({0})
Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Jan Korte:
Wann wird die Bundesregierung der Öffentlichkeit eine
Stellungnahme und politische Bewertung zum 20. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz vom
19. April 2005 vorlegen?
Herr Kollege Korte, ich habe eine gute Nachricht für
Sie. Die Stellungnahme der Bundesregierung zum
20. Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten ist
fertig gestellt und auf dem Weg zum Deutschen Bundestag.
Gibt es eine Nachfrage? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 11, ebenfalls vom Kollegen Korte gestellt:
Was sind die Gründe dafür, dass keine zeitnahe Behandlung der Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten für den
Datenschutz erfolgt, sondern im Falle des 20. Berichtes bislang fast ein Jahr und im Falle des 19. Tätigkeitsberichtes
16 Monate verstrichen?
Herr Kollege Korte, Sie können sich vorstellen, dass
die Prüfung der vielfältigen Vorschläge, die in diesen
Tätigkeitsberichten enthalten sind, eine erhebliche Zeit
in Anspruch nimmt. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass die neue Bundesregierung seit etwas mehr als
drei Monaten im Amt ist und es geschafft hat, innerhalb
dieser Zeit ihre Stellungnahme auf den Weg zum Deutschen Bundestag zu bringen.
Nachfrage?
Herr Staatssekretär, schönen Dank für die Antwort zu
meiner ersten Frage. Ich bin sehr begeistert.
Mit Blick auf die Zukunft frage ich, da ich weiß, dass
der Datenschutz Ihnen ganz besonders am Herzen liegt:
Wie gedenkt die Bundesregierung künftig vorzugehen,
sodass von der Veröffentlichung eines Berichts bis zur
Stellungnahme und Diskussion darüber nicht wieder
mehr als 16 Monate vergehen? Es wäre gut, wenn wir
ein Verfahren finden könnten, durch das dies zeitnäher
geschieht.
Herr Kollege Korte, die von Ihnen angesprochenen
Verzögerungen beziehen sich auf Vorgänge, die in der
Vergangenheit, vor Tätigkeitsaufnahme dieser Bundesregierung, liegen. Die Bundesregierung hat innerhalb von
etwas mehr als drei Monaten ihre Stellungnahme auf den
Weg gebracht. Ich denke, das ist ein guter Anfang. Wir
sollten versuchen, dies bei künftigen Berichten in ähnlicher Form zu handhaben.
Weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Frage 12 des Kollegen
Dr. Uwe Küster:
Wie bewertet die Bundesregierung den schriftlichen Aufruf des Geschäftsführers des zu 80 Prozent aus Bundesmitteln
und zu 20 Prozent aus Landesmitteln finanzierten Olympiastützpunktes Magdeburg, Bernd-Uwe Hildebrandt, Spenden
für die Wiederwahl von Ministerpräsident Wolfgang Böhmer
zu sammeln, in dem es unter anderem heißt: „Wir beabsichtigen, Anzeigen in allen Tages- und Wochenzeitungen mit jeweils wechselndem Text bei gleichem Erscheinungsbild aufzugeben. Der Kostenaufwand dürfte bei circa 100 000 Euro
liegen“?
Sehr geehrter Herr Kollege Küster, soweit erkennbar
ist, ist Herr Hildebrandt im Zusammenhang mit dem
Aufruf, um den es geht, nicht als Leiter des Olympiastützpunktes in Erscheinung getreten. Im Übrigen steht
Herrn Hildebrandt selbstverständlich das Recht auf freie
Meinungsäußerung zu.
Nachfrage, Herr Küster?
Diese Antwort wäre zu akzeptieren, wenn ich nicht
wüsste - auch Sie wissen das -, dass in dem Spendenaufruf „Stimmen für Böhmer“ genau die Infrastrukturdaten für den Olympiastützpunkt verwendet worden sind.
Der Bund, der den Olympiastützpunkt zu 80 Prozent finanziert, wäre somit offensichtlich Unterstützer eines
Spendenaufrufs für eine politische Person.
Meine Frage lautet: Wie verhält sich die Bundesregierung dazu, dass in Zusammenhang mit diesem Spendenaufruf sowohl Infrastrukturdaten als auch Personal des
Olympiastützpunktes verwendet werden? Ist das nicht
eine indirekte Parteienfinanzierung?
Herr Kollege Küster, dazu kann ich nichts sagen.
Denn nach dem, was mir vorliegt, hat Herr Hildebrandt
den Wahlaufruf mit „Manager des Sportclubs Magdeburg“ unterzeichnet. Das ist ausdrücklich keine Bezugnahme auf Infrastrukturdaten des Olympiastützpunktes.
Insofern hat meine Antwort nach wie vor Gültigkeit.
Zweite Nachfrage.
Zunächst eine Ergänzung Ihrer Antwort: Das, was ich
meine, liegt Ihnen vor. Es ist Ihnen als Anlage zu meiner
Frage zugegangen. Daher verstehe ich nicht, dass Sie
keinen Bezug auf diese Frage und diese Anlage nehmen.
Meine zweite Nachfrage: Bei dem Spendenkonto
handelt es sich ja um ein Konto der „Schubert Treuhand
GmbH Steuerberatungsgesellschaft“. Können Sie sagen,
ob diese Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unter Umständen für den Olympiastützpunkt tätig ist?
Das ist mir nicht bekannt.
({0})
- Das werden wir nachreichen.
({1})
Dann kommen wir zur Frage 13 des Kollegen
Wolfgang Wieland:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von Kardinal Karl
Lehmann in einem Pressegespräch am 7. März 2006 vorgebrachte Kritik der Deutschen Bischofskonferenz an der von
der Bundesregierung geplanten Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes, insbesondere die Feststellung Kardinal Karl
Lehmanns zur beabsichtigten Neuregelung des Nachzuges
von ausländischen Ehegatten nach Deutschland: „Die geplante Heraufsetzung des Nachzugsalters auf 21 Jahre und die
Verpflichtung des Nachziehenden, bereits vor der Einreise
deutsche Sprachkenntnisse nachzuweisen, sind unseres Erachtens mit dem Schutz von Ehe und Familie kaum in Einklang
zu bringen“, und wie reagiert die Bundesregierung auf die von
Kardinal Karl Lehmann im gleichen Zusammenhang vorgebrachte dringliche Forderung der Deutschen Bischofskonferenz nach einer „Bleiberechtsregelung für Menschen, die bereits seit Jahr und Tag mit immer wieder nur kurzfristig
verlängerter Duldung in Deutschland leben“?
Herr Kollege Wieland, zu dem Gesetz zur Umsetzung
der aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union, das unter anderem Veränderungen
beim ausländerrechtlichen Ehegattennachzug, auf den
Sie abstellen, vorsieht, wurde im Bundesministerium des
Innern ein Gesetzentwurf erarbeitet. Dieser Gesetzentwurf befindet sich derzeit in der Abstimmung mit den
anderen betroffenen Ressorts und den Bundesländern.
Anregungen und politische Meinungsäußerungen zu diesem Gesetzgebungsvorhaben - um solche handelt es sich
auch bei den angesprochenen Äußerungen des Herrn
Kardinals - werden von der Bundesregierung daraufhin
überprüft, ob und gegebenenfalls wie sie übernommen
werden können. Die Haltung der Bundesregierung wird
dann durch einen Kabinettsbeschluss zu einem entsprechenden Gesetzentwurf festgelegt.
Die Frage der Bleiberechtsregelung wird seit geraumer Zeit immer wieder angesprochen. Sie hat aber nichts
mit diesem Gesetzgebungsvorhaben zu tun; denn sie
steht in keinem inhaltlichen Zusammenhang zu den elf
EU-Richtlinien, die umzusetzen sind. Deshalb ist sie
nicht Gegenstand des anhängigen Gesetzgebungsverfahrens.
Allerdings ist es so, dass das Bundesinnenministerium derzeit entsprechend der Koalitionsvereinbarung
eine Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes durchführt.
Dazu wird demnächst eine Praktikeranhörung stattfinden. Die Ergebnisse dieser Evaluierung, die auch die
Frage der so genannten Kettenduldungen umfasst, werden bis zum Ende der Evaluierungsphase selbstverständlich auch daraufhin überprüft, ob sie durch politisches
Handeln ergänzt werden können.
Ihre Nachfrage, Kollege Wieland.
Herr Staatssekretär, hat denn die Mahnung des obersten Katholiken in diesem Lande, des Kardinals
Lehmann, nicht insbesondere bei dem christlich firmierenden Teil dieser Regierung insoweit besonderes Gewicht, als dass seine Aussage, dass man durch eine Anhebung des Nachzugsalters für Ehegatten auf 21 Jahre in
den Kernbestand von Ehe und Familie eingreift, bei Ihnen zu Nachdenken und Besonnenheit geführt hat, sodass Sie in der Lage sind, uns zu erklären, dass Sie von
diesem Plan abrücken, der, wie man lesen konnte, ursprünglich gegen Zwangsverheiratungen gerichtet war?
In Ihrem Referentenentwurf geht es aber auch um Personengruppen, die aus Staaten kommen, in denen es gar
keine Zwangsverheiratungen gibt. Im Übrigen umfasst
er auch alle Männer, die in der Regel nicht zwangsverheiratet werden.
({0})
- Ja, so ist das. ({1})
Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist
dieser Entwurf daher sehr weit gefasst. Kurzum: Folgen
Sie dem Rat von oben oder beharren Sie auf Ihrem Referentenentwurf?
Herr Kollege Wieland, die von Ihnen angesprochenen
Äußerungen des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz bezogen sich auf eine verfassungsrechtliche
Würdigung der vorgeschlagenen Regelung. Sie können
davon ausgehen, dass die Bundesregierung sich, bevor
sie einen Gesetzentwurf beschließt, umfassend mit der
verfassungsrechtlichen Zulässigkeit desselben auseinander setzt und dass wir großen Wert darauf legen, dass unsere Gesetzentwürfe höchsten verfassungsrechtlichen
Anforderungen genügen.
Weitere Nachfrage?
Der Kardinal hat nicht unbedingt als Verfassungsrechtler gesprochen und die Bischofskonferenz im eigentlichen Sinne auch nicht, sondern sie haben als Menschen gesprochen, die sich um den Bestand von Familie
und Ehe sorgen.
Meine Nachfrage bezieht sich darauf, dass die Bundesregierung verlangen will, dass die Nachziehenden in
ihrem Herkunftsland Deutsch lernen. Was soll dann ein
Ehemann machen, dessen Ehefrau in einem Dorf im Jemen lebt - dieser Fall ist uns zugemailt worden -, wo sie
keinen elektrischen Strom hat und keine Möglichkeit, irgendwo jemanden zu finden, der Deutsch spricht? Wie
soll seine Frau dieses Erfordernis je erfüllen? Auch der
Hinweis Ihres Chefs auf audiovisuelle Medien und Internet greift da erkennbar zu kurz. Zusammengefasst: Wo
überall auf der Welt soll man wie Deutsch lernen, um
nachziehen zu können?
Herr Kollege Wieland, es ist Ihnen wahrscheinlich
nicht entgangen, dass auch die übrigen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union mit der Umsetzung der entsprechenden europäischen Richtlinien befasst sind. Dabei
wird in einer Reihe von Staaten darüber diskutiert, das
Nachzugsalter heraufzusetzen. In Dänemark beträgt es
derzeit bereits 24 Jahre. In den Niederlanden ist vorgesehen, es auf 21 Jahre heraufzusetzen. Es gibt auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Diskussionen darüber, ob vor einem Nachzug Sprachkenntnisse
zu verlangen sind. Die Bundesregierung verfolgt diese
Debatten sehr genau und sie verfolgt auch alle Äußerungen, die in der innenpolitischen Debatte - vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, aber auch von
vielen anderen - gemacht werden. Es gibt sowohl Kritik
an der vorgeschlagenen Regelung als auch zustimmende
Meinungsäußerungen. All dies wird geprüft werden und
es wird in die Willensbildung der Bundesregierung am
Ende einfließen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Britta
Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben sich gerade in Ihrer Antwort an Herrn Wieland
darauf bezogen, dass es noch keinen Kabinettsbeschluss
zu einem Nachzugsalter gibt. Wie erklären Sie uns dann,
dass wir in den letzten Tagen und Wochen ständig mit
öffentlichen Äußerungen der Bundesregierung konfrontiert worden sind: einerseits in Person des Innenministers
Wolfgang Schäuble, der sich eindeutig und dezidiert für
ein Nachzugsalter von 21 Jahren ausgesprochen hat, und
andererseits in Person der Migrationsbeauftragten Maria
Böhmer, die sich dezidiert für ein Nachzugsalter von
18 Jahren ausgesprochen hat?
Ich erkenne hierin eindeutig das Bekunden der Bundesregierung, ein Nachzugsalter festsetzen zu wollen.
Dies steht im Gegensatz zu Ihrer Aussage, dass wir auf
einen Kabinettsbeschluss hinsichtlich eines Nachzugsalters warten müssen. Diese beiden Personen gehören
doch dem Kabinett an. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung also?
Frau Kollegin, Sie werden mir sicherlich zustimmen,
dass zu differenzieren ist zwischen der Auffassung von
Mitgliedern der Bundesregierung in einer bestimmten
Frage - das sind die Äußerungen, auf die Sie sich bezogen haben - und der Haltung der Bundesregierung als
solcher. Eine Haltung der Bundesregierung im rechtstechnischen Sinne gibt es erst ab einem entsprechenden
Kabinettsbeschluss.
Das heißt, es handelt sich um Einzelmeinungen.
Entschuldigung, aber jeder hat nur eine Zusatzfrage.
Der Kollege Jerzy Montag hat eine weitere Zusatzfrage.
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben in der Beantwortung der Frage des Kollegen
Wieland, der im Zusammenhang mit der Bleiberechtsregelung wiederum Herrn Kardinal Lehmann zitiert hat,
das Wort „Kettenduldung“ in den Mund genommen. Das
hat mich zu dieser Nachfrage veranlasst.
Das Zuwanderungsgesetz - so wie es in der letzten
Legislaturperiode zustande gekommen ist - war von allen beteiligten Fraktionen mit dem ausdrücklichen Willen zustande gebracht worden, die jahrzehntelange
Übung der Kettenduldungen endlich zu beenden, weil
wir alle in diesem Hause sie für ein Übel gehalten haben.
Das Zuwanderungsgesetz hat insbesondere wegen der
Ausführungsbestimmungen in den Ländern, aber auch
wegen der fehlenden Ausführungsbestimmungen im
Bund hinsichtlich der Abschaffung der Kettenduldungen
nicht gehalten, was es versprochen hat. Weswegen zögert die Bundesregierung, unmittelbar tätig zu werden?
Warum will sie eine neue Evaluierung dieses Tatbestandes, den wir seit Jahren kennen, der evaluiert und als
Übel erkannt ist? Sie könnte Kettenduldungen doch abschaffen.
Herr Kollege Montag, als kundigem Juristen wird
Ihnen nicht entgangen sein, dass sich die alte Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf und in der Gesetzesbegründung für die Abschaffung der Kettenduldungen
ausgesprochen hat. Durch die parlamentarischen Gesetzgebungskörperschaften wurde der Gesetzestext im Laufe
des Gesetzgebungsverfahrens aber an dieser Stelle geändert. So kommt es, dass das Problem der Kettenduldung
zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht befriedigend gelöst
ist. Im Rahmen der Evaluierung, die im Augenblick
stattfindet, wird darüber zu sprechen sein. Im Übrigen
hat, wie Sie vielleicht wissen, die Innenministerkonferenz auf ihrer jüngsten Tagung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit dieser Frage und mit der Frage einer
möglichen Bleiberechtsregelung befassen wird.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Altmaier.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 14 des Kollege Hans-Michael
Goldmann:
Weshalb hat die Bundesregierung nicht im Rahmen des
Haushaltsbegleitgesetzes eine Anpassung der Vorsteuerpauschale in der Landwirtschaft als Ausgleich für die Erhöhung
der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent vorgesehen?
Herr Kollege Goldmann, die von der Bundesregierung in ihrer Antwort vom 30. November 2005 auf Ihre
schriftlichen Fragen 32 bis 34 für den Monat November
2005 angekündigten Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen.
Ihre Nachfrage, Herr Goldmann.
Frau Staatssekretärin, richtig ist, dass im Haushaltsbegleitgesetz keine Anpassung der Vorsteuerpauschale
vorgesehen ist. Könnten Sie konkret sagen, ob vielleicht
doch die Absicht besteht, eine solche Anpassung vorzunehmen, oder muss ich Ihrer Antwort entnehmen, dass
Sie Haushaltsbegleitgesetze für eine bestimmte Zeitspanne verabschieden, ohne sich mit dem Problem der
Vorsteuerpauschale konkret auseinander zu setzen und
zu einer Lösung zu kommen?
Herr Kollege Goldmann, es ist nicht zwingend notwendig, die Vorsteuerpauschale anzuheben, wenn die
Mehrwertsteuer angehoben wird. Innerhalb der Bundesregierung bestehen hierzu unterschiedliche Auffassungen; das wird Sie nicht erstaunen. Die Prüfungen der
Bundesregierung hierzu sind, wie ich schon gerade gesagt habe, noch nicht abgeschlossen.
Nach Auffassung des Bundesrechnungshofs, die er
schon im Jahre 1999 geäußert hat, sind die bestehenden
Vorsteuerpauschalsätze zu hoch. Es ist also in der Tat so,
dass die unterschiedlichen Interessen in der Bundesregierung noch nicht ausgeglichen sind.
Herr Goldmann, Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, haben Sie in Ihrem Haus eine
Verbindung geknüpft zwischen der Besteuerung von
Biodiesel und Überlegungen zur Änderung der Vorsteuerpauschale?
Nein, Herr Kollege.
Dann kommen wir zu Frage 15 des Kollegen
Goldmann:
Sieht die Bundesregierung in der von rund 90 Prozent der
Landwirte angewendeten Vorsteuerpauschalierung ein System
der Subventionierung, das durch eine höhere Pauschale verfestigt würde ({0})?
Aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben
dürfen die Pauschalausgleichsgesetze nicht dazu führen,
dass die Pauschallandwirte insgesamt Erstattungen
erhalten, die über die Umsatzsteuervorbelastung hinausgehen. Daher ist die Regelung des § 24 Umsatzsteuergesetz bisher nicht im Subventionsbericht der Bundesregierung enthalten. Der Bundesrechnungshof hat dazu,
wie ich Ihnen eben schon gesagt habe, eine weitergehende Auffassung.
Herr Goldmann, Ihre Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, im „Handelsblatt“ ist eine Äußerung des Pressesprechers von Minister Steinbrück,
Herrn Torsten Albig, veröffentlicht worden. Dort heißt
es:
Schon das heutige System ist eine Subvention, die
durch eine höhere Pauschale verfestigt würde.
Teilen Sie diese Auffassung? Ist Ihnen bekannt, dass
es bei 40 000 Data-geprüften Betrieben im Bereich der
Landwirtschaft genau die gegenteilige Auffassung gibt,
nämlich dass es sich nicht um einen Subventionstatbestand handelt, sondern dass schon unter den jetzigen Bedingungen die Vorsteuerpauschale über 9,5 Prozent liegen müsste?
Nein, Herr Kollege, diese Auffassung teile ich nicht.
Ich sagte Ihnen schon eben, dass es unterschiedliche
Auffassungen bezüglich der Frage gibt, ob es sich um
eine Subvention handelt oder nicht. Der Sprecher des
Bundesministers der Finanzen hat sich bei seinen Äußerungen an der Auffassung des Bundesrechnungshofes
orientiert, die er, wie ich Ihnen schon sagte, bereits im
Jahre 1999 in einem Bericht zum Ausdruck gebracht hat.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wenn das schon 1999 sozusagen geklärt worden ist, dann frage ich mich allerdings,
warum es bezüglich dieser Frage jetzt noch einen Klärungsbedarf gibt.
Ich hatte Ihnen gesagt, dass die Prüfung nicht abgeschlossen ist. Ich hatte Ihnen aber auch ganz freimütig
erklärt, dass es durchaus Interessens- und Auffassungsunterschiede innerhalb der Bundesregierung und insofern natürlich noch keine einheitliche Meinung der Bundesregierung gibt.
Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Dr. Gerhard
Schick:
Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass die Länder - wie im Begleitgesetz zur Föderalismusreform festgeschrieben - die technischen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen, die für eine effiziente Steuererhebung nötig
sind, und wie viele zusätzliche Stellen sind im Bundeszentralamt für Steuern zur Umsetzung dieser und anderer in der
Föderalismusreform festgelegten Veränderungen erforderlich?
Herr Kollege Schick, auch nach den im Rahmen des
Föderalismusreform-Begleitgesetzes vorgesehenen Neuregelungen im Finanzverwaltungsgesetz und in der Abgabenordnung bleibt die Organisation der Steuerverwaltung originäre Aufgabe der Länder. Der Bund könnte die
Schaffung organisatorischer und technischer Voraussetzungen für mehr Effizienz im Steuervollzug nur im Falle
der Einrichtung einer Bundessteuerverwaltung, das heißt
der Übernahme der Verwaltungskompetenz für die Gemeinschaftssteuern, in vollem Umfang gewährleisten.
Eine Verständigung mit den Ländern über entsprechende Rahmenbedingungen könnte angesichts der
punktuellen Stärkung der Rechtsposition des Bundes
künftig zwar leichter zu erreichen sein, jedoch bleibt die
Kooperation mit den Ländern weiterhin unverzichtbar.
Das gilt auch und gerade für die Verantwortung der Länder, geeignete Voraussetzungen für den Einsatz bundeseinheitlicher Programme im automatisierten Besteuerungsverfahren zu schaffen.
Unabhängig davon ist zu erwarten, dass die im Interesse eines effektiven und effizienteren Steuervollzugs
geplante stärkere Rolle des Bundes im Bereich der Auftragsverwaltung sowohl im Bundeszentralamt für Steuern als auch im Bundesministerium der Finanzen einen
Personalmehrbedarf nach sich ziehen wird. Genauere
Aussagen dazu können allerdings erst dann getroffen
werden, wenn feststeht, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt die Föderalismusreform letztlich umgesetzt
wird.
Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank. - Ich habe zwei Teilfragen.
Zunächst zu den Betriebsprüfungen. Halten Sie es,
wenn dafür mehr Personal zur Verfügung steht, für erforderlich, dass Personen des Bundes häufiger mit in die
Betriebe gehen, und wie passt das mit der generellen
Zielsetzung zusammen, für eine Entflechtung zu sorgen,
die mit der Föderalismusreform verfolgt wird?
Dasselbe frage ich bezüglich der Tatsache, dass die
Software vom Bund praktisch verbindlich festgelegt
wird, die technischen Voraussetzungen dafür aber von
den Ländern geschaffen werden sollen. Wie passt das zu
der allgemeinen Zielsetzung, dass wir durch die Föderalismusreform einheitliche Entscheidungsstrukturen
schaffen wollen?
Herr Kollege, Sie haben in Ihren beiden Teilfragen
gerade zwei unterschiedliche Dinge angesprochen. Zum
Ersten haben Sie gesagt, mit der Föderalismusreform
werde das Ziel verfolgt, für eine Entflechtung zu sorgen.
Ja, es geht um die Entflechtung, und zwar insbesondere
im Gesetzgebungsbereich und zum Teil auch in den Zuständigkeitsbereichen.
Durch die Föderalismusreform bleibt es aber natürlich unbenommen - das kann auch gar nicht anders
sein -, dass die Steuersätze für die Gemeinschaftssteuern
einheitlich erhoben und bundesgesetzlich geregelt werden müssen. Selbstverständlich hat der Bund dann auch
darauf zu achten, dass eine gleichmäßige Erhebung stattfindet.
Der Bund beabsichtigt, dies insbesondere dadurch zu
gewährleisten - das ist kein neuer Ansatz -, dass die
Bundesbetriebsprüfung auch personell etwas besser ausgestattet wird. Wir haben vor, in den nächsten zehn Jahren jeweils 50 zusätzliche Bundesbetriebsprüfer einzusetzen, sodass der Anteil derjenigen Prüfungen, an denen
Bundesbetriebsprüfer teilnehmen, gesteigert werden
wird. Das heißt nicht - es handelt sich in diesem Fall sowieso nur um Konzernbetriebsprüfungen, also nicht um
die Prüfung von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben -,
dass dort ein einheitliches Besteuerungssystem sozusagen über die Länder hinweg angewandt wird. Darauf hat
der Bund zu achten. Der Bund ist natürlich auch verpflichtet, darauf zu achten, dass er seine eigenen Besteuerungsgrundlagen nicht verliert.
Diese Zielrichtung verfolgen wir also bei der Verstärkung der Bundesbetriebsprüfung, die es schon heute gibt
und die personell aufgestockt werden wird. Es gibt keine
prinzipiell anderen Vorgehensweisen, sondern es wird
häufiger so sein, dass Bundesbetriebsprüfer vor Ort in
Betrieben mit prüfen und auch bei den Abschlussbesprechungen dabei sind. Das ist die Zielrichtung.
Ihre zweite Frage bezog sich auf eine einheitliche
Software. Wenn eine einheitliche Software angewandt
wird, ist es so, dass die Hardware selbstverständlich von
den Ländern beschafft werden muss. Solange wir keine
Bundessteuerverwaltung haben, bleibt die Organisationsgewalt bei den Ländern; das ist nicht zu bestreiten.
Deswegen hatte ich gerade darauf hingewiesen, dass wir
auch nach den von uns erwarteten und erhofften Fortschritten durch die Föderalismusreform, etwa die
Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes - das ist eine
unterhalb des Grundgesetzes vorgesehene Änderung einfachen Rechtes -, gleichwohl alles nur im Einvernehmen
mit den Ländern werden regeln können. Wenn wir
gleichsam mit Macht eine einheitliche Software durchsetzen und sich einzelne Länder weigern würden, die
entsprechende Hardware zu beschaffen und das entsprechende Personal bereitzustellen, kämen wir nicht voran.
Deswegen geht das letzten Endes doch nur im Einvernehmen.
Zweite Nachfrage.
Würden Sie mir also zustimmen, dass es insofern eine
verstärkte Doppelbeschickung bei Konzernprüfungen
von Landes- und von Bundesbeamten geben wird und
wir im Zuge dieser Föderalismusreform zusätzliche
Doppelstrukturen schaffen werden?
Nein, wir schaffen keine zusätzlichen Doppelstrukturen; das bestreite ich ganz energisch. Es wäre falsch,
wenn Sie das aus meinen Ausführungen schließen würden. Schon heute werden einige Konzernbetriebsprüfungen parallel, also gleichzeitig, von Landes- und von
Bundesbetriebsprüfern durchgeführt. Wir wollen den
Anteil dieser Prüfungen, bei denen auch Bundesbetriebsprüfer dabei sind, erhöhen. Das sind aber keine zusätzlichen Doppelstrukturen.
Wir kommen zur Frage 17 des Kollegen Schick:
Wie wird die im Koalitionsvertrag vorgesehene und von
der EU-Kommission im Rahmen der Lissabonagenda geforderte einzige Anlaufstelle für ausländische Unternehmen in
Steuerfragen verwirklicht?
Im Rahmen des Föderalismusreform-Begleitgesetzes
soll die Befugnis der Finanzämter, im Einzelfall verbindlich Auskünfte zu erteilen, in der Abgabenordnung ausdrücklich geregelt werden. Bei ausländischen Antragstellern soll das Bundeszentralamt für Steuern derartige
verbindliche Auskünfte erteilen. Damit steht für Investoren aus dem Ausland, die bislang in Deutschland nicht
steuerpflichtig waren, eine zentrale Anlaufstelle für verbindliche Auskünfte in steuerlichen Fragen zur Verfügung, wenn dieses Gesetz so verabschiedet wird.
Nachfrage.
Kann das dazu führen, dass Betriebe, die am selben
Standort tätig sind, aufgrund unterschiedlicher verbindlicher Auskünfte, die von einer Landessteuerverwaltung
bzw. der Bundesbehörde gegeben worden sind, unterschiedliche Verfahren anwenden, zum Beispiel bei
Transfer Pricing, oder unterschiedlich besteuert werden?
Nein, Herr Kollege Schick, dazu kann das nicht führen. Das Bundeszentralamt für Steuern gibt schon heute
ausländischen Investoren Auskünfte, wenn sie beabsichtigen, sich in der Bundesrepublik Deutschland anzusiedeln. Diese Stelle ist allerdings erst seit dem 1. Januar
2005 beim Bundeszentralamt für Steuern eingerichtet
worden.
Die Länder haben sich in diesem Zusammenhang geweigert, dem Bundeszentralamt für Steuern das Recht
auf verbindliche Auskünfte nach der Abgabenordnung
zu erteilen. Die Länder haben bisher darauf bestanden,
das Recht so zu belassen, wie es bis jetzt ist, nämlich
dass nur die Finanzämter vor Ort - im Zweifelsfall in
Abstimmung mit der jeweils zuständigen Oberfinanzdirektion - verbindliche Auskünfte geben dürfen.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf, der dem Bundestag am letzten Freitag zugeleitet worden ist, haben sich
die Länder bereit erklärt, dem Bundeszentralamt für
Steuern das Recht, verbindliche Auskünfte im Sinne der
Abgabenordnung zu erteilen, einzuräumen. Dies gilt
aber nur dann, wenn sich ein ausländischer Investor, der
bisher noch keine Betriebsstätte in Deutschland hat, erstmals in der Bundesrepublik Deutschland sachkundig
macht. Wenn er dann durch das Bundeszentralamt für
Steuern eine verbindliche Auskunft bekommt, dann ist
diese verbindliche Auskunft für die Finanzverwaltung
bindend, egal wo er sich anschließend ansiedelt. Er muss
dann nicht noch einmal eine verbindliche Auskunft einholen. Diese hat er dann bereits und diese ist für die
Finanzverwaltung bindend.
Dann kommen wir zur Frage 18 der Kollegin Sabine
Zimmermann:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um
die steuerliche Förderung von Arbeitsplatzverlagerungen
durch die ungleiche Behandlung von Fremd- und Eigenkapital
zu vermeiden, und inwiefern hat sie den Vorschlag einer Verlagerungsabgabe geprüft, das heißt Verlagerungen von Unternehmen von der Politik wie Veräußerungsgewinne zu besteuern?
Frau Kollegin Zimmermann, das geltende Steuerrecht
enthält keine Regelungen, die die Verlagerung von
Arbeitsplätzen in das Ausland fördern oder subventionieren. Aufwendungen im Zusammenhang mit Betriebsverlagerungen werden im Grundsatz nach dem Veranlassungszusammenhang abgegrenzt, sodass nur die durch
die inländische Betriebsstätte veranlassten Kosten in
Deutschland als Betriebsausgabe abziehbar sind.
Die Bundesregierung hat einen Schwerpunkt ihrer
Steuerpolitik darauf gelegt, Gestaltungen bei der internationalen Steuerplanung der Unternehmen zu unterbinden.
Im Zusammenhang mit der Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung ist auf die Regelung des § 8 a des Körperschaftsteuergesetzes zur Gesellschafterfremdfinanzierung
hinzuweisen, die im Jahr 2003 novelliert worden ist.
Auch im Rahmen der anstehenden Unternehmensteuerreform sollen Fragen der Finanzierungsneutralität thematisiert werden. Soweit Unternehmen ins Ausland verlagert und dabei Wirtschaftsgüter überführt werden,
findet nach geltendem Recht eine Besteuerung der stillen
Reserven vergleichbar einer Veräußerungsgewinnbesteuerung statt. Das ist die so genannte Entstrickung.
Gegenwärtig befinden sich die Entstrickungsregelungen noch über das Ertragssteuerrecht verteilt an verschiedenen Stellen bzw. sie basieren auf der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Die Bundesregierung wird
in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Einführung der
europäischen Gesellschaft und zur Umsetzung der europäischen steuerlichen Fusionsrichtlinie vorlegen, der unter anderem auch die Regelungen zur Entstrickung vereinheitlicht. Darüber finden zurzeit Gespräche mit der
Europäischen Kommission statt.
Ihre Nachfrage, Frau Zimmermann.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage, die
den zweiten Teil meiner Frage betrifft: Was halten Sie
von dem Vorschlag einer Verlagerungsabgabe? Inwieweit wird er in die Diskussion innerhalb der Bundesregierung mit einbezogen? Können Sie dazu schon etwas
sagen?
Frau Kollegin, die Hebung der stillen Reserven und
die darauf folgende Besteuerung dessen, was als
Verkehrswert festgestellt wird - obwohl es mit einem
sehr niedrigen Buchwert veranschlagt wurde -, wenn ein
Betrieb ins Ausland verlagert wird, ist in der Tat faktisch
eine Art Verlagerungsabgabe. Darüber hinausgehende
Verlagerungsabgaben werden zumindest auf europäischer Ebene nicht erhoben werden können, weil das der
Freizügigkeit widerspräche.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe keine weitere Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 19 der Kollegin Sabine
Zimmermann:
Was hat die Bundesregierung hinsichtlich der Ankündigung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos, vom 31. Januar 2006 unternommen, die Förderung von Betriebsverlagerungen innerhalb der EU mit Strukturfondsmitteln auszuschließen, und inwiefern hat sich dies
bereits in den laufenden Verhandlungen der Strukturfondsverordnungen niedergeschlagen?
Frau Kollegin Zimmermann, die Bundesregierung
setzt sich im Rahmen der Verhandlungen zu den Strukturfondsverordnungen dafür ein, dass Betriebsverlagerungen nicht mit Strukturfondsmitteln unterstützt werden können. Beim Gespräch zwischen Staatssekretär
Würmeling und EU-Kommissarin Hübner am 9. März
2006 einigte man sich darauf, eine textliche Lösung für
die Verlagerungsproblematik zu erarbeiten.
Die Bundesregierung steht darüber hinaus in dieser
Frage mit vielen anderen Mitgliedstaaten in engem Kontakt. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.
Ihre Nachfrage, Frau Zimmermann.
Ich habe eine Nachfrage. Können Sie den Verhandlungsstand vom 9. März etwas stärker konkretisieren?
Ich kann Ihnen gerne die Position der Bundesregierung erläutern. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen,
die bestehenden Regelungen der der Kommission bereits
obliegenden Großprojektkontrolle zu verschärfen. Betroffene Mitgliedstaaten sollen künftig über Förderanträge informiert werden. Die Kommission soll die EUStrukturfondsmittel versagen, wenn die Verlagerung zu
einem erheblichen Arbeitsplatzverlust an einem anderen
Standort in der Gemeinschaft führt. Der Schwellenwert
für die Einzelfallgenehmigung bei gewerblichen Unternehmen soll von derzeit 50 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro abgesenkt werden.
Das sind die beiden Vorschläge: die Verschärfung der
Großprojektkontrolle und die Senkung des Schwellenwertes. Eine Vereinbarung darüber gibt es noch nicht;
aber wir versuchen in Gesprächen mit den anderen Mitgliedstaaten, der Kommission und der Präsidentschaft,
hier zum Ziel zu kommen. Morgen tagt wieder die Ratsarbeitsgruppe zu den Strukturfonds, in der wir unser Anliegen weiter vorantreiben werden.
Ihre zweite Nachfrage.
Wann ungefähr werden nach Ihrer Einschätzung die
Verhandlungen zu diesem Thema abgeschlossen sein?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie wissen sicherlich,
dass die Verordnung der Einstimmigkeit im Rat unterliegt. Das heißt, wir müssen uns mit allen Mitgliedstaaten einig werden. Das ist bei unterschiedlicher Interessenlage kompliziert. Aber wir arbeiten sehr intensiv
daran, zum Ziel zu kommen.
Schließlich muss der Strukturfonds bis 2007 stehen.
Deshalb habe ich nachgefragt.
({0})
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hill auf:
In welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung Städte
und Gemeinden an der Ausarbeitung des energiepolitischen
Gesamtkonzeptes zu beteiligen?
Bitte, Herr Hintze.
Herr Kollege Hill, im Rahmen der Erarbeitung eines
energiepolitischen Gesamtkonzeptes wird die Bundesregierung relevante Gruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft in geeigneter Weise einbeziehen. Eine konkretere
Auskunft kann ich Ihnen am heutigen Tage noch nicht
geben.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Hill.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
trotzdem möchte ich ergänzend nachfragen. Wenn Sie
Verbände einladen wollen, sehe ich die Notwendigkeit,
dass zumindest alle Verbände, die mit Energie zu tun
haben, einbezogen werden. Ich plädiere dafür, dass man
auch die Vertreter der Verbände aus den Bereichen Solarenergie, Windenergie, Biomasse, Geothermie und
Wasserkraft einbezieht. Ist das vorgesehen? Können Sie
dazu heute schon etwas sagen?
Über die Frage, welche Interessengruppen bei der Entwicklung dieses Konzepts im Folgenden beteiligt werden
und in welcher Form dies geschieht, ist noch nicht entschieden worden. Deswegen kann ich Ihnen dazu heute
nichts sagen.
Haben Sie noch eine zweite Zusatzfrage, Herr Hill?
Ja, ich habe noch eine zweite Zusatzfrage.
Bitte, Herr Hill.
Von der gerechten Einbindung der Kommunen hängt
sehr viel ab. Die Existenz vieler Stadtwerke ist - insbesondere in Bezug auf die Oligopole - gefährdet. Die entscheidende Frage ist, wie die Kommunen in diesen Gipfel einbezogen werden.
Herr Kollege Hill, ich muss auf meine Antwort von
eben verweisen. Über die Frage, welche Interessengruppen wie beteiligt werden, ist noch nicht entschieden worden. Deswegen kann ich Ihnen dazu heute nichts sagen.
Danke schön.
Dann rufe ich die Frage 21 der Kollegin Dr. Höll auf:
Wenn, wie in der Sitzung des Finanzausschusses vom
8. März 2006 von der Parlamentarischen Staatssekretärin
Dr. Barbara Hendricks geäußert, verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Sitzlandbesteuerung angebracht sind,
sind diese dann nicht auch im Zusammenhang mit der EUDienstleistungsrichtlinie angebracht, die auch in der jetzigen
Form - in der das Herkunftslandsprinzip zwar nicht mehr so
heißt, sich aber vom Grundsatz her nicht grundlegend verändert hat - dazu führt, dass die Zugrundelegung ausländischen
Rechts und ausländischer Standards für Tätigkeiten auf deutschem Hoheitsgebiet angewendet wird?
Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung möchte ich
wegen des engen sachlichen Zusammenhangs die
Fragen 21 und 22 im Zusammenhang beantworten.
Frau Dr. Höll, sind Sie damit einverstanden? - Das
scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich auch die Frage 22
der Kollegin Dr. Höll auf:
Sieht die Bundesregierung, wenn man davon ausgeht, dass
deutsche Rechtsnormen und Standards für einheimische
Dienstleistungsanbieter gelten und von ausländischen Anbietern aufgrund des in der EU-Dienstleistungsrichtlinie verankerten Prinzips des freien Dienstleistungsverkehrs unterlaufen
werden können, nicht auch hier verfassungsrechtliche Probleme im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Dr. Höll, ich möchte zuerst auf den
Kompromisstext hinweisen, auf den sich das Europäische Parlament Mitte Februar dieses Jahres verständigt
hat und den die Bundesregierung als eine gute Basis für
weitere Verhandlungen begrüßt. Bleibt es bei diesem
Kompromiss, wird es das Herkunftslandprinzip in der
von der EU-Kommission vorgeschlagenen Form nicht
geben. Stattdessen ist nun vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten den freien Marktzugang und eine freie Ausübung
von Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten sicherstellen müssen. Insbesondere müssen bestimmte diskriminierende Barrieren abgebaut werden, wie zum Beispiel Genehmigungs- und Niederlassungserfordernisse.
Das entspricht dem Ausgangspunkt der schon heute geltenden Rechtslage.
Weiterhin hat das Europäische Parlament beschlossen, dass die Richtlinie weder für das Arbeits- und das
Sozialrecht noch für das Steuerrecht gelten soll. Die von
Frau Staatssekretärin Hendricks angesprochenen Steuerfragen sind also von der Dienstleistungsrichtlinie von
vornherein ausgenommen.
Auch sonst wird es nach diesem Kompromisstext
überwiegend dabei bleiben, dass sich ausländische Anbieter an deutsches Recht und deutsche Standards halten
müssen. Wahr ist allerdings auch: Wir werden europäischen Dienstleistern, die vorübergehend hier tätig werden wollen, nicht alle Standards vorschreiben können.
Das dürfen wir nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aber heute schon nicht. Das Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot ist keine Erfindung der Dienstleistungsrichtlinie, sondern ist seit 1957
im EG-Vertrag verankert.
Unser Verfassungsrecht steht einem solchen System
nicht entgegen. Dies gilt schon deshalb, weil es hier um
die Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechts geht,
das grundsätzlich Vorrang vor deutschem Recht genießt.
Der in der Frage angesprochene Gleichheitsgrundsatz
wäre im Übrigen nur verletzt, wenn vergleichbare Sachverhalte ohne hinreichenden Grund ungleich behandelt
werden. Ein rechtfertigender Grund liegt hier jedoch
grundsätzlich darin, dass die EU-Dienstleister bereits
das Normsystem ihrer Heimatstaaten befolgen müssen
und in Deutschland nur vorübergehend tätig werden.
Ihre Situation unterscheidet sich damit von der inländischer Anbieter.
Frau Kollegin Dr. Höll, Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für Ihre Antwort.
Ich möchte aber nachfragen. Ich beziehe mich in meinen
schriftlich eingereichten Fragen auf den Stand der Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie. Mich hat sehr
verwundert, dass in der bisherigen Diskussion - bis zur
Kompromissfindung - kein Hinweis seitens der Bundesregierung auf verfassungsrechtliche Bedenken kam.
Diese spielten erst in der Sitzung des Finanzausschusses
eine Rolle, als es um die Sitzlandbesteuerung ging. Über
die Gründe für diese unterschiedliche Herangehensweise
möchte ich gerne Auskunft erhalten.
Die Dienstleistungsrichtlinie wird zum europäischen
Gemeinschaftsrecht gehören. Dieses hat Vorrang vor
dem Recht der Mitgliedstaaten, also auch vor dem deutschen Recht. Deswegen sieht die Bundesregierung die
Gefahr der hier von Ihnen befürchteten Kollision nicht.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich sehe meine Fragen zwar immer noch nicht beantwortet, möchte das aber jetzt nicht
vertiefen, sondern in einer anderen Richtung nachfragen.
Inwieweit sehen Sie in dem von Ihnen angesprochenen
Kompromissvorschlag die Gefahr der Senkung von
Standards hier in Deutschland? Sie haben bereits darauf
hingewiesen, dass Sie sich bemühen werden, die Standards überwiegend - das war Ihre Einschränkung - zu
halten. Wie wollen Sie vorgehen, damit dieses „überwiegend“ sichergestellt werden kann?
Wir müssen zwischen Dienstleistern, die hier vorübergehend tätig werden, und Dienstleistern aus anderen
europäischen Mitgliedstaaten, die hier dauerhaft tätig
werden, unterscheiden. Wir werden darauf achten, dass
der Verhandlungsposition zur Dienstleistungsrichtlinie,
die die Bundesregierung erarbeitet hat und die dem Ausschuss für die Angelegenheit der Europäischen Union
und dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zur
Verfügung gestellt worden ist, im Zuge der weiteren Verhandlungen über die Dienstleistungsrichtlinie Rechnung
getragen wird. Wir wollen dabei unsere ökonomischen
Interessen verfolgen, aber auch die berechtigten sozialund gesellschaftspolitischen Anliegen berücksichtigen.
Ich bin optimistisch, dass uns das im weiteren Verhandlungsverfahren gelingt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann sind wir am Ende
des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Herr Staatssekretär, herzlichen
Dank für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen 23, 24, 25 und 26 der Kolleginnen
Behm und Höfken werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Für
die Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Die Frage 27 des Abgeordneten Gehring soll schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen dann zur Frage 28 der Kollegin
Haßelmann:
In welchem Verhältnis sieht die Bundesregierung die Kritik überregional tätiger Träger wie zum Beispiel des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, bpa, und des
Verbandes der Angestellten-Krankenkassen e. V./AEV - Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes e. V., VdAK/AEV, dass eine
Zersplitterung des Heimrechtes in 16 verschiedene Länderregelungen zu einem erheblichen Bürokratiemehraufwand führen würde, zu ihrer eigenen Angabe in der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Hermann Kues,
auf meine Frage 26 in der Fragestunde am 8. März 2006,
Plenarprotokoll 16/21, Seite 1616 B, dass ein „gewisser
Mehraufwand“ nötig sei, wenn das Heimgesetz in die Länderzuständigkeit übertragen wird?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für eine Verlagerung des Heimrechts auf die Länder
- das sei zunächst einmal festgehalten - spricht die
Möglichkeit der flexibleren Anpassung des Rechts an
die besondere Situation des jeweiligen Landes. Schon
heute haben die Länder einen gewissen Gestaltungsspielraum bei den Durchführungsbestimmungen zum
Heimrecht. Regelmäßige Besprechungen der für das
Heimrecht Verantwortlichen in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe haben in der Vergangenheit dazu geführt,
dass die Auslegung des Heimrechts in den Ländern nicht
zu weit divergierte. Die Entwicklung des Heimrechts im
Allgemeinen und der darin festgelegten Standards im
Besonderen lässt sich für die Zukunft schwer prognostizieren. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit ist es
sehr wahrscheinlich, dass künftig erforderliche Veränderungen des Heimrechts in großem Umfang einvernehmlich vorgenommen werden, sodass eine zu starke Zersplitterung des Heimrechts in den Ländern ebenso wie
eine zu unterschiedliche Festlegung der Standards nicht
zu befürchten ist. Nach der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für das Heimgesetz nach Art. 125 a
Abs. 1 des Grundgesetzes wird das Bundesrecht so lange
in Kraft bleiben, bis es die Länder durch Landesrecht ersetzt haben. Mittelfristig kann es theoretisch damit zu
16 Heimgesetzen der Länder kommen. Die Anwendung
dieser eventuell unterschiedlichen Heimgesetze erfordert
einen gewissen Mehraufwand für die Koordinierung bei
den überregional tätigen Heimträgern.
Ihre Zusatzfragen, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, in meiner ersten Nachfrage würde ich
mich gern auf den Komplex Mehrbedarf beziehen. Sie
haben das Thema Föderalismusreform in der letzten Woche hier im Bundestag eingebracht und unter anderem
argumentiert, dass sie zur Entbürokratisierung, Entschlackung und Übersichtlichkeit führen werde und keine
Doppelstrukturen entstünden, die durch Länder- und
Bundeszuständigkeiten hervorgerufen würden. Nun sagen Sie uns aber deutlich, dass durch die Verlagerung
auf die Länder ein Mehrbedarf entsteht. Deshalb meine
Frage: Glauben Sie nicht, dass es zu einem viel größeren
Bürokratieaufwand kommen wird, wenn 16 verschiedene Heimgesetze vorhanden sind?
Nein, das glaube ich nicht. Es ist schon bislang so gewesen, dass die Länder für die Umsetzung des Heimrechts zuständig waren; sie hatten also einen gewissen
Gestaltungsspielraum. Durch eine vernünftige Koordination musste verhindert werden, dass es zu einer unangemessenen Zersplitterung kommt.
In der Projektgruppe 5 der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung wurde bei der
Behandlung regionaler Themen im Jahr 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in der Materie des Heimrechts auch der Aspekt der Gefahrenabwehr enthalten ist
und dass es gute Argumente für eine Regionalisierung
gibt.
Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
Ja, Frau Präsidentin. Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie sprechen immer wieder die Vergangenheit, bisherige Regelungen und die Bereitschaft der Länder zur Kooperation mit dem Bund an. Dabei gehen wir bisher aber
von einer ganz anderen Grundlage aus. Es gibt bisher
nämlich eine bundeseinheitliche Rahmengesetzgebung
und innerhalb dieses Rahmens können die 16 Länder
Ausführungsbestimmungen machen. Demnächst sind
Sie nicht mehr in der Lage, 16 Länder über einen bundesgesetzlichen Rahmen zusammenzubringen. Wie
glaubt die Bundesregierung künftig den Schutz sowie
Rechte und Rechtsansprüche der Betroffenen und ihrer
Angehörigen unter dem Aspekt der Gleichwertigkeit der
Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sicherstellen zu
können?
Frau Abgeordnete, wir haben in der Bundesrepublik
ein föderatives System, nicht nur in diesem, sondern
auch in anderen Bereichen der Politik. Ich persönlich
sage ausdrücklich - ich glaube, das kann ich auch für die
Bundesregierung sagen -, dass wir den Bundesländern
hinsichtlich der Bereitschaft, Qualitätsstandards zu entwickeln, einzuhalten und weiterzuentwickeln, genauso
viel wie der Bundesebene zutrauen sollten.
Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Elisabeth
Scharfenberg auf:
Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung
für bzw. gegen die Verlagerung der Kompetenz für das Heimrecht an die Länder im Zuge der Föderalismusreform und welche konkreten Auswirkungen sieht die Bundesregierung für
Pflegebedürftige und deren Angehörige?
Frau Präsidentin, ich bitte darum, dass ich die
Fragen 29 und 30 gemeinsam beantworten darf, da es
sich um den gleichen Sachverhalt handelt.
Die Fragestellerin ist damit einverstanden. Dann rufe
ich auch die Frage 30 der Abgeordneten Scharfenberg
auf:
Kann die Bundesregierung einen Grund nennen, warum
sie es für wahrscheinlich hält, dass künftig erforderliche Änderungen des Heimrechts in großem Umfange einvernehmlich
vorgenommen werden, wie es die Antworten des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Hermann Kues, auf meine
Fragen 24 und 25 und auf die Frage 26 der Abgeordneten
Britta Haßelmann, Plenarprotokoll 16/21, Seite 1616 A und
C, nahe legen?
Zur Beantwortung der Fragen 29 und 30 verweise ich
auf die eben gegebene Antwort auf die Frage 28 der Abgeordneten Haßelmann.
Frau Kollegin, Ihre erste von vier möglichen Zusatzfragen.
Vielen Dank. - Sie haben meine Frage im Rahmen Ihrer Beantwortung der Frage von Frau Haßelmann beantwortet.
Meine Frage zielte aber auch darauf ab, welche
Gründe Sie eventuell gegen eine Verlagerung des Heimrechts auf Länderebene sehen. Da möchte ich jetzt gern
direkt nachfragen: Könnten eventuell Probleme im Bereich der Qualitätssicherung auftreten?
Ich glaube, dass die Antwort, die ich eben gegeben
habe, richtig war: Ich sehe keinen Anlass, anzunehmen,
dass die Länder geringere Qualitätsansprüche an die
Heime stellen werden, als es die Bundesebene bisher
getan hat. Die föderale Ordnung funktioniert ohnehin
nur so, dass man den anderen Ebenen zumindest den
gleichen Anspruch unterstellt, den man für sich selbst
gelten lässt. Sonst wären wir überhaupt nicht in der
Lage, die Zuständigkeiten auch in anderen Bereichen zu
entzerren, einen Teil der Bundesebene zuzubilligen und
einen anderen Teil in die Subsidiarität der Länder zu geben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Danke. - Wenn Sie das durchweg positiv bewerten,
wie erklärt sich die Bundesregierung dann den breiten
Widerstand und eigentlich auch das Entsetzen der Wohlfahrtsverbände bezüglich der Kompetenzverlagerung auf
die Länder?
Ich kann zunächst einmal feststellen, dass viele Verantwortliche in der Pflege, auch Wohlfahrtsverbände und
Seniorenorganisationen, sich gegen die Übertragung der
Zuständigkeit auf die Länder ausgesprochen haben. Ich
sage ganz deutlich: Es wird, wie ich eben dargelegt habe,
Sache der Länder sein, durch entsprechendes Handeln
mit diesen Bedenken verantwortlich umzugehen. Die
bisherige Wahrnehmung der politischen und gesellschaftlichen Versorgungsleistung in diesem Bereich
durch die Länder lässt auch zukünftig auf eine gute und
sachgerechte Praxis schließen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine weitere Zusatzfrage. - Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es länderübergreifend
große Übereinstimmungen im Heimrecht geben wird
und dass es nicht zu einer Zersplitterung in 16 unterschiedliche Heimrechte kommen kann. Angesichts dessen bitte ich um eine schlüssige Erklärung dafür, dass die
Zuständigkeit für das Heimrecht überhaupt auf die Länder übertragen werden soll. Wenn angestrebt wird, letztlich doch ein einheitliches Recht zu haben - man hofft,
dass keine Zersplitterung erfolgt -, dann kann doch die
Zuständigkeit auf Bundesebene bleiben; denn dann ist
das letztlich in einer Hand und damit ist auch gesichert,
dass es nicht zu einer Zersplitterung und einer länderspezifischen Ausführung kommt.
Frau Abgeordnete, ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass bereits bei der bisherigen Regelung die
Notwendigkeit der Umsetzung des Heimrechts in den
einzelnen Ländern bestand. Dabei gab es durchaus eine
Variationsbreite und auch bislang schon einen Koordinierungsbedarf in dieser Hinsicht.
Ich nenne einen weiteren Aspekt. Im Heimrecht haben wir ein regionales Element insofern, als das Heimrecht Ordnungsrecht ist. Zur Gefahrenabwehr muss man
in der Lage sein, sehr ortsnah einzugreifen. Auch von
daher spricht vieles dafür, dies in den Ländern unterschiedlich zu handhaben.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage. - Wie gedenkt die
Bundesregierung den bei einer Zersplitterung des Heimrechts erhöhten Bürokratieaufwand für überregionale
Träger - Sie haben vorhin schon gesagt, dass es dazu
kommen könnte - als notwendig zu transportieren und
schlüssig zu erklären - gerade in Zeiten, in denen Entbürokratisierung auf breiter Ebene wünschenswert und
wichtig ist?
Ich gehe davon aus, dass die Länder hinreichend darauf achten werden, dass es nicht zu einer willkürlichen
Zersplitterung kommt, und dass unterschiedliche Wege,
die in den Ländern gegangen werden, dazu dienen, die
Qualität der Pflege in den Heimen in einer gewissen
Vielfalt sicherzustellen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Für
die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Kasparick zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter auf:
In welcher Höhe sind in der durch die Gesellschafterversammlung vom 8. Dezember 2005 beschlossenen und in der
Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ulrich
Kasparick auf meine Frage 28 vom 8. März 2006,
Plenarprotokoll 16/21, Seite 1599 B, bestätigten Rückforderung eines Teilbetrags des an die Flughafen München GmbH,
FMG, ausgereichten Darlehens Zinsen enthalten und, wenn
nicht, warum?
Herr Dr. Hofreiter, die Gesellschafterversammlung
der Flughafen München GmbH hat am 8. Dezember 2005 die Rückforderung eines Teils der ausgereichten Gesellschafterdarlehen beschlossen. Aussagen
zu Zinszahlungen sind in diesem Beschluss nicht enthalten. Das ist auch nicht notwendig, weil die Zinszahlungen in den bis 1993 abgeschlossenen Darlehensverträgen
geregelt sind. Die Verträge lauten in diesem Punkt wie
folgt - ich darf zitieren -:
Das Darlehen ist jährlich mit 3,0 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu
verzinsen. Die Verzinsung beginnt mit dem Tag der
Überweisung der vom Darlehensgeber jeweils gezahlten Geldbeträge. Die Zinsleistungen werden innerhalb von zwei Monaten nach Feststellung des
Jahresabschlusses fällig.
Jetzt kommt ein für Ihre Frage wichtiger Satz:
Zinsleistungen sind nicht zu erbringen, soweit sie
nicht aus dem Bilanzgewinn ({0}) des laufenden Jahres und der nachfolgenden
4 Jahre abgedeckt werden können.
Der Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2005 wird
voraussichtlich am 27. Juli 2006 festgestellt.
Wir haben vorhin in der Arbeitsgruppe schon einmal
über das Thema gesprochen. Sie haben Ihre Frage dahin
gehend präzisiert: Auf wie viel kumulierte Zinsen hat die
Bundesregierung jährlich verzichtet? Die Antwort: Es
sind gar keine Zinsansprüche entstanden, auf die die
Bundesregierung hätte verzichten können, weil die Voraussetzungen für Zinszahlungen gemäß Darlehensvereinbarungen nicht erfüllt waren.
Haben Sie Zusatzfragen, Herr Kollege?
Ja, ich habe eine Zusatzfrage. - Sie stimmen mir also
sicherlich darin zu, dass es sich damit um eine Subvention handelt. Ich frage mich, wie Sie das eigentlich mit
dem EU-Recht in Einklang bringen, wenn Sie komplett
auf Kapitalzinsen verzichten. Das heißt, dem Unternehmen ist das Kapital über lange Zeit de facto nahezu kostenfrei zur Verfügung gestellt worden. Ich könnte mir
vorstellen, dass es sehr viele Unternehmen gibt, die den
einen oder anderen Geschäftsbereich durchaus mit Gewinn fahren könnten, wenn sie keinerlei Kapitalkosten
hätten. Hier ist noch nicht einmal Gewinn entstanden,
wie wir jetzt erfahren durften. Dann handelt es sich doch
offensichtlich um eine Subvention. Oder täusche ich
mich hier?
In diesem Fall täuschen Sie sich. Die Bundesregierung hat die vertragliche Regelung mit Bezug auf § 158
Abs. 1 Nr. 5 Aktiengesetz zu beachten.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht
der Fall.
Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Dr. Geisen werden schriftlich beantwortet.
Damit haben wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung abgeschlossen. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die
Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier steht für die Beantwortung der Fragen Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Hans-Kurt
Hill auf:
Welche Ministerien, Behörden, Unternehmen und Verbände sind maßgeblich in die Vorbereitung des Energiegipfels
einbezogen und werden am Energiegipfel teilnehmen und
sind speziell die kommunalen Spitzenverbände beteiligt?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Kollege Hill, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die
Federführung der Vorbereitung des Energiegipfels liegt
beim Bundeskanzleramt, das den Bundesminister für
Wirtschaft und Technologie und den Bundesminister für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beratend
hinzugezogen hat. Ein Statusbericht zur Energieversorgung für Deutschland wurde in Vorbereitung des Energiegipfels erstellt und wird am 16. März, also morgen,
veröffentlicht. Der Energiegipfel ist als Spitzentreffen
wichtiger Akteure aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit einer begrenzten Teilnehmerzahl geplant.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, ich möchte trotzdem nachfragen - ich
habe ja vorhin eine erschöpfende Antwort vom Wirtschaftsministerium bekommen -: Haben Sie geplant, die
eben angesprochenen Verbände zu diesem Energiegipfel
einzuladen und auch die Kommunen daran zu beteiligen?
Herr Kollege Hill, ich habe eben darauf hingewiesen,
dass Gastgeberin des Energiegipfels die Bundeskanzlerin ist. Morgen wird das Kanzleramt in einer Bundespressekonferenz sowohl den Statusbericht als auch weitere Details zum Energiegipfel, so auch die
Teilnehmerliste, veröffentlichen. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich dieser Pressekonferenz nicht vorgreifen kann.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dann erfahre ich morgen, wer eingeladen ist.
Jawohl.
({0})
Danke.
Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Sylvia KottingUhl werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Umweltministeriums. Ich danke Frau Staatssekretärin
Klug für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Für die Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Thomas Rachel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 37 der Kollegin Priska Hinz auf:
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zu den Plänen
der EU-Kommission, ein Europäisches Technologieinstitut,
ETI, zu gründen, und welche Aufgaben könnte ein solches Institut aus Sicht der Bundesregierung erfüllen?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, grundsätzlich begrüßt die Bundesregierung das Engagement der EUKommission zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der
technologischen anwendungsorientierten Forschung in
Europa. Jedoch sind im Bereich der Technologieförderung insbesondere beim Vorschlag der Kommission für
die Einrichtung eines Europäischen Technologieinstituts
noch zahlreiche Fragen rechtlicher, finanzieller und
sachlicher Art wie im Übrigen auch die Frage des europäischen Mehrwerts zu prüfen. Auffassung der Bundesregierung ist, dass die Potenziale der hervorragenden
technischen Universitäten und Einrichtungen in Europa
genutzt und auch weiterentwickelt werden müssen. Vielfalt und dezentrale Organisation ist eine Stärke der europäischen Wissenschaft, die es zu erhalten gilt. Primär
geht es nach unserer Auffassung also darum, die vorhandene Spitzenforschung der einzelnen Institutionen verstärkt zu fördern.
Hierzu wird im Übrigen auch der Europäische Forschungsrat auf europäischer Ebene einen wichtigen
Impuls geben, dessen erfolgreiche Umsetzung wir im
Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms höchste
Priorität einräumen. Darüber hinaus könnten die Synergien in den Bereichen Bildung und Forschung sowie
Technologietransfer durch Förderung von Netzwerken
der leistungsfähigen technischen Institute und Universitäten in Europa gestärkt werden. Hierbei sollte eine Auswahl der besten Institutionen nach unserer Auffassung
ausschließlich nach Kriterien der Exzellenz im Rahmen
eines Wettbewerbsverfahrens erfolgen.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, wie bewertet die
Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Kritik
vieler Forschungsgemeinschaften, aber auch des EUForschungskommissars Potočnik an der Einrichtung eines eigenständigen Technologieinstitutes, wo Sie gerade
selbst darauf hingewiesen haben, dass man auf vorhandene Strukturen zurückgreifen solle? Ist auch die Bundesregierung eher der Meinung, dass kein eigenes Institut geschaffen werden soll, sondern die Aufgaben
verlagert oder ein Netzwerk gestaltet werden soll, in
dem die verschiedenen Aufgaben eines solchen Institutes dann wahrgenommen werden könnten?
Von einer Äußerung des Kommissars Potočnik in
der von Ihnen beschriebenen Art und Weise ist mir
nichts bekannt. Im Gegenteil: Herr Potočnik hat am
Montag im EU-Wettbewerbsrat das von mir gerade angesprochene Konzept für das Europäische Technologieinstitut noch einmal bekräftigt. Demgegenüber steht
die Bundesregierung einem eigenen rechtlichen Status
skeptisch gegenüber. Wir sehen es als besondere Aufgabe an, die vorhandenen leistungsfähigen europäischen
Forschungsinstitute zu stärken und einen Mehrwert
durch eine Vernetzung zu erzielen.
Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine zweite Zusatzfrage. - Herr Staatssekretär, wie verträgt sich der Plan zur Einrichtung eines
europäischen Forschungsinstituts mit der vorgesehenen
Etablierung eines Europäischen Forschungsrates? Welche Kooperationsmöglichkeiten sehen Sie da und welche
Konkurrenz könnte auftreten?
Frau Kollegin, wir gehen davon aus und werden uns
massiv dafür einsetzen, dass ein Europäisches Technologieinstitut - falls es errichtet werden sollte; darüber ist
bis jetzt noch keine Entscheidung getroffen worden - auf
keinen Fall die Arbeit des Europäischen Forschungsrates, ERC, gefährden darf. Es ist der Bundesregierung im
Zuge ihrer forschungspolitischen Linie ein großes Anliegen, dass seine Stellung unbedingt gestärkt werden
sollte.
Nun eine Zusatzfrage der Kollegin Sager.
In der Diskussion steht auch, ob sich das Netzwerk,
über das wir jetzt sprechen, auf bestimmte Technologiebereiche konzentrieren soll. Wie ist dazu die Auffassung
der Bundesregierung?
Wir befinden uns erst am Anfang einer umfassenden
Diskussion, die nach Auffassung der EU-Kommission
erst im Jahre 2008 abgeschlossen sein soll. Insofern
kann ich zur Auswahl von bestimmten Forschungsbereichen zum jetzigen frühen Zeitpunkt noch keine Auskunft
geben.
Nun rufe ich die Frage 38 der Kollegin Hinz ({0}) auf:
Soll das von der EU-Kommission geplante Europäische
Technologieinstitut, ETI, aus den allgemeinen Forschungsmitteln der EU finanziert werden oder werden dafür Sondermittel bereitgestellt?
Frau Kollegin, im derzeit diskutierten Entwurf des
7. Forschungsrahmenprogramms ist eine Finanzierung
eines so genannten Europäischen Technologieinstituts
nicht vorgesehen. Die Bundesregierung ist der Meinung,
dass die Möglichkeit einer Finanzierung außerhalb des
7. Forschungsrahmenprogramms derzeit nicht erkennbar
ist. Die Obergrenzen der finanziellen Vorausschau stehen nicht zur Disposition.
Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin in die
Debatte zum ETI einbringen. Dabei werden auch die
Fragen der Finanzierung unbedingt erörtert werden müssen. Allerdings muss die Kommission erst einmal erklären, welcher Finanzbedarf aus ihrer Sicht vorhanden ist
und in welchem Rahmen sie Vorschläge zur Deckung
der Finanzierungsleistungen, die sich aus diesem Konzept ergeben, zu machen gedenkt.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Das heißt also im Klartext: Wenn das Institut eingerichtet wird und keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung
gestellt werden, dann müsste die Finanzierung aus dem
7. FRP zulasten der Forschungsbereiche, die im 7. FRP
vorgesehen sind, erfolgen.
Frau Kollegin, Sie haben damit richtigerweise ein
weiteres wesentliches Problem der Vorschläge der EUKommission angesprochen. Auch wir sehen diese Fragestellung als äußerst wichtig und drängend an. Jedenfalls
ist nicht erkennbar, dass die EU-Kommission bisher Mittel außerhalb des 7. Forschungsrahmenprogrammes zur
Verfügung stellen will. Insofern ist aus unserer Sicht
eine Finanzierung innerhalb des 7. Forschungsrahmenprogramms äußerst kritisch zu sehen.
Wir sind zeitlich am Ende der Fragestunde. Die noch
offenen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kein Zurückweichen vor Rechtsextremismus - Bundespolitische Konsequenzen vor dem
Hintergrund aktueller Ereignisse in SachsenAnhalt und Brandenburg
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Abgeordneten Claudia Roth, Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist erst zwei Monate her, dass in Pömmelte
ein zwölfjähriges afrodeutsches Kind von fünf Neonazis
schrecklich misshandelt wurde. Dieser Fall hat uns alle
schockiert.
Er ist kein Einzelfall. Bitterfeld 30. Januar 2006: Ein
34-jähriger Mann aus Burkina Faso wird rassistisch angepöbelt und bedroht. Köthen am 5., am 10. und am
23. Februar: Chinesische Studenten werden von rechtsextremistischen Tätern beleidigt und angegriffen. Magdeburg 15. Februar: Ein Rechtsextremer hetzt seinen
Hund auf einen Mann aus dem Togo. 25. Februar in
Kalbe: Drei Rechtsextreme greifen einen Jugendlichen
an. Er wird im Gesicht und am Körper verletzt.
Ich sage auch: Rechtsextremistische Taten betreffen
nicht nur Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Sie betreffen vielmehr uns alle. Die meisten führenden Kader
- Westdeutsche sollten da sehr vorsichtig sein - kommen
aus den westdeutschen Ländern. Gewalt, Hetze, Denkmalschändungen wie jetzt am Wochenende in BerlinTiergarten sind in allen Bundesländern und Regionen
Realität.
({0})
Das Bittere ist: Es vergeht kein Tag ohne Meldungen
darüber.
Dann hat uns letzte Woche die Nachricht aus Halberstadt erreicht: Der Landrat entzieht auf Druck der NPD
einem Konzert mit dem Titel „Nazis raus aus unserer
Stadt“ die Genehmigung. Die NPD hatte in einem
Schreiben - ich gehe davon aus, dass Sie dieses Schreiben kennen - mit „aktiver Teilnahme“ an diesem Konzert von Konstantin Wecker gedroht. Aktive Teilnahme,
das meint im zynischen Nazijargon: Behinderung, Drohung, Beleidigung und, wenn nötig, auch Gewalt. Diesem Erpressungsversuch hat sich der Landrat gebeugt.
Claudia Roth ({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein verheerendes Signal, wenn die Politik vor der NPD, die eine antisemitische und rechtsextreme Partei ist, kuscht.
({2})
Dies ist doppelt verheerend, weil wir noch vor wenigen
Tagen hier im Hause anlässlich der Mohammed-Karikaturen mit großer Leidenschaft über Freiheitsrechte, über
die Freiheit der Presse, der Kunst und Kultur diskutiert
haben. Es ging zu Recht scharfe Kritik durch das Land,
weil man sich nicht von Fundamentalisten in der islamischen Welt den Mund verbieten lassen wollte.
Im Fall von Halberstadt geht es aber nicht um die islamische Welt, sondern um Vorgänge in Sachsen-Anhalt.
Der Kampf für die Freiheit von Rede und Kunst fängt
hier, bei uns zu Hause, an.
({3})
In der offensiven Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus geht es im Kern auch um den Kampf für
die Werte unserer Demokratie. Es geht um die ganz zentrale Frage, die jeden von uns betrifft: In welchem Land
wollen wir leben?
Es gibt wirklich sehr bedrohliche Entwicklungen: Die
Zahl rechtsextremer Gewalt- und Straftaten steigt massiv. Die Anhängerschaft in der rechtsextremen Szene
wächst. Es gibt neue gefährliche Bündnisse zwischen
den rechtsextremen Parteien und den militanten freien
Kameradschaften. Es findet ein offensiver Kampf der
Alt- und Neonazis um die Köpfe, die Straßen und die
Parlamente statt. Es gibt ein gezieltes Einwirken auf Jugendliche, zum Beispiel durch das Verteilen von Schulhof-CDs, wie es diese Woche wieder passiert ist. Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus werden bei
uns viel zu oft - das ist meine Kritik - verharmlost, verdrängt, relativiert oder gar zur Normalität erklärt. Das ist
gefährlich falsch.
({4})
Wir haben natürlich mit dem Innenminister gesprochen. Ich bin froh, dass der Innenminister in SachsenAnhalt die Handlung des Landrats kritisiert hat. Das war
ein gutes Signal. Die Verantwortung liegt aber nicht nur
bei den Kommunen, den Landkreisen und Ländern, sondern fängt im Bund an. Deswegen muss von hier aus das
Signal gegeben werden, dass wir vor Neonazis, Antisemiten und Rassisten nicht zurückweichen, uns vor alle
bedrohten Menschen in unserem Land stellen
({5})
und sie schützen, wie es Art. 1 unseres Grundgesetzes
beschreibt, wenn dort geschrieben steht: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar.“
Vor allem die zivilgesellschaftlichen Initiativen brauchen unseren Rückhalt. Es gibt für mich irritierende
Signale vonseiten der Bundesregierung. Ich sage ausdrücklich an die Adresse der Bundesregierung: Es ist
richtig und gut, wenn man sich mit Islamismus und Fundamentalismus auseinander setzt, aber die Mittelvergabe
sollte bitte nicht in Konkurrenz zu den Förderprogrammen für die Initiativen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus erfolgen. Was bedeutet denn
diese Konkurrenz? Unter dem Strich würden die Mittel,
die man beispielsweise für die Opferberatung so dringend braucht, faktisch gekürzt werden. Ebenfalls ein
Fehler ist es - wenn ich das an die Adresse der Regierung in Sachsen-Anhalt sagen darf -, dass auch dort die
Mittel für Initiativen gekürzt worden sind, anstatt dass
ein konsequentes Landesprogramm aufgelegt worden
wäre.
({6})
Was brauchen wir also?
Frau Kollegin, Sie haben das Ende Ihrer Redezeit erreicht.
Ich komme zum Schluss. - Neben der politischen
Auseinandersetzung, neben politischen Initiativen benötigen wir endlich eine Sicherung, eine Verstetigung, eine
Steigerung dieser Mittel. Das muss das Signal sein und
nicht das Wegkuschen vor rechtsextremen Drohungen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun der Justizminister des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Curt Becker.
({0})
Curt Becker, Minister ({1}):
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Sie
haben diese aktuelle Debatte vor dem Hintergrund der
Absage eines Konzertes von Konstantin Wecker beantragt.
({2})
Minister Curt Becker ({3})
Ich will diesen Vorfall in Halberstadt gern als Erstes ansprechen, da ich befürchte, dass einige Presseberichte,
aber auch öffentliche Äußerungen eher geeignet sind, einer Legendenbildung Vorschub zu leisten, die letztlich
nur den Extremisten zugute kommt.
({4})
Ich gestehe freimütig: Auch ich war sehr irritiert, als
ich las, der Landrat des Kreises Halberstadt habe ein
Konzert des Liedermachers auf Druck der rechtsextremen NPD untersagt. Ich kann alle verstehen, die sich besorgt gefragt haben, ob es in Deutschland wieder so weit
gekommen ist, dass politische Extremisten die Entscheidungen der öffentlichen Verwaltungen beeinflussen können. Auch deshalb bin ich der Sache nachgegangen und
habe den Sachverhalt überprüfen lassen.
Er stellt sich anders dar, als ich zunächst befürchtet
habe. Fakt ist nämlich, dass der Landrat einen Mietvertrag über die Nutzung einer öffentlichen Schule mit den
Veranstaltern eines Konzerts der Antifa-Tour 2006 unter
dem Motto „Nazis raus aus dieser Stadt“ nicht geschlossen hat. Hat er sich damit einem Erpressungsversuch gebeugt, wie Sie, Frau Roth, gesagt haben? Er ließ sich von
der geltenden Rechtslage - und Recht muss nun auch
einmal akzeptiert werden - leiten, die vorsieht, dass,
wenn er das Wecker-Konzert in der Schule zulässt, die
Schule auch künftig für Veranstaltungen rechtsradikaler
Musikgruppen geöffnet werden muss.
({5})
- So ist die Rechtsprechung; an ihr können wir nicht
vorbei.
Er wollte verhindern, dass rechte Parteien eine Plattform in einer kreiseigenen Schule bekommen. Das
Nichtzustandekommen eines Mietvertrages bedeutet
aber keineswegs eine Absage oder gar ein Verbot des
Wecker-Konzerts im Landkreis Halberstadt oder in Halberstadt selber, im Gegenteil: Der Landrat unterstützte
den Veranstalter bei der Suche nach anderen geeigneten
Räumlichkeiten, so beim Nordharzer Städtebundtheater.
({6})
Nur war dort an diesem Tag kein Raum frei; das Konzert
hätte auf einen anderen Tag verlegt werden müssen. Es
ist also nicht so, dass der Landrat gegen das Konzert
war. Er wollte es nur nicht in einer öffentlichen Schule
stattfinden lassen, um nicht einen Fall eintreten zu lassen, auf den sich andere hätten berufen können.
Sachsen-Anhalt, verehrte Frau Kollegin Roth, kapituliert nicht vor politischen Extremisten - ich sage es
deutlich -,
({7})
weder vor rechtem noch vor linkem noch vor religiösem
Extremismus.
({8})
Wir nehmen die Gefahr des Rechtsextremismus sehr
ernst.
({9})
Wir wissen, dass vor allem Musik von der rechten Szene
als Lockmittel und gleichsam als Einstiegsdroge eingesetzt wird. Ich darf daran erinnern, dass wir mit unserer
Aktion gegen die „Schulhof-CD“ einen großen Erfolg
erzielt haben. Wir haben die Materialien beschlagnahmt
und haben erreicht, dass diese CDs nicht mehr auf dem
Schulhof vertrieben werden können.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Frau
Roth, Sie haben die Vorgänge in Sachsen-Anhalt als eine
Abfolge rechtsextremistisch motivierter Taten hingestellt. Wir bedauern das genauso wie Sie, aber wir haben
diesen Dingen den Kampf angesagt. Ich weise darauf
hin, dass unser Landtag im vergangenen Jahr einstimmig
das Netzwerk für Demokratie und Toleranz unter der
Schirmherrschaft des Landtagspräsidenten und des
Ministerpräsidenten gegründet hat. Ich möchte darauf
hinweisen, dass für dieses Netzwerk bislang
170 Institutionen, Verbände und Einzelpersonen als Mitwirkende gewonnen wurden und Projekte entstanden
sind, die präventiv gegen Rechtsextremismus wirken.
Denn wer gegen die rechte Szene angehen will, muss in
der Gesellschaft Zivilcourage und Bürgersinn stärken.
Das wollen wir mit dieser Aktion erreichen.
({10})
Sachsen-Anhalt ist sich seiner Verantwortung bewusst. Ein Zurückweichen vor Extremisten gibt es bei
uns nicht.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat nun die Kollegin Cornelia Pieper, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde es einerseits wichtig, dass wir darüber diskutieren, dass wir eine wehrhafte Demokratie haben und wir
jeglichen rechtsextremistischen Bestrebungen in unserem Land die Stirn bieten müssen, und zwar wir alle, alle
demokratischen Parteien in diesem Hohen Hause, gemeinsam.
({0})
Ich wehre mich andererseits aber auch - das sage ich
ganz deutlich - gegen den Vorwurf einiger Politiker,
aber auch einiger anderer Meinungsbildner, wie beispielsweise der Medien, die da sagen, dass sich der
Rechtsextremismus in einigen ostdeutschen Gegenden
zur dominierenden Alltagskultur entwickelt habe. Das
halte ich für wenig hilfreich, für komplett verfehlt.
({1})
Ich glaube, dass das dem Ansehen unseres Landes und
dem Ansehen unserer Demokratie schadet.
({2})
Herr Minister Becker hat zum Ausdruck gebracht,
dass die Landesregierung in Sachsen-Anhalt sehr engagiert Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus ergriffen hat. Wie die Rechtslage auch ist, muss man ehrlicherweise zugeben, dass das Verhalten des Landrates in
Halberstadt vermuten lässt, dass die Demokratie nicht
wehrhaft genug ist. Die NPD braucht nur zu drohen - so
war es jedenfalls dort -, einen Drohbrief zu schreiben,
schon knickt der Staat ein. Gegen diesen Schein müssen
wir uns verwahren. Das darf nicht passieren. Die Demokratie muss wehrhaft bleiben. Wo kommen wir hin,
wenn Grundfreiheiten so schnell zur Disposition gestellt
werden? Mit wehrhafter Demokratie hat das weiß Gott
nichts zu tun. Angst ist immer ein schlechter Berater, vor
allem wenn es um die Verteidigung demokratischer
Grundrechte geht.
Gerichtet an die Grünen, die diese Aktuelle Stunde
beantragt haben, sage ich, dass ich es nicht für gut halte,
den konkreten Fall, also die Probleme, die im Zusammenhang mit diesem Vorfall in Halberstadt aufgetreten
sind, vor den Bundestag zu ziehen.
({3})
Denn so entsteht der Eindruck, dass Sie Ihren Landtagswahlkampf in diesem Hohen Hause führen wollen.
({4})
Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob Sie damit
nicht der NPD eine Bühne bereiten, die diesen Leuten
überhaupt nicht gebührt.
({5})
Jede Minute Aufmerksamkeit, die wir den rechtsextremistischen Parteien in dieser Debatte schenken, ist eine
Minute zu viel.
({6})
Deswegen will ich für uns ganz deutlich sagen: Wir
halten es für wichtig, dass es ein Bündnis gegen den
Rechtsextremismus gibt. Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind eine Herausforderung für unsere Demokratie. Mit Beschämung denken
wir an die rechtsextremistischen Straftaten aus jüngster
Zeit. Das gilt nicht nur für Sachsen-Anhalt. Sie haben
deutlich gesagt, dass die aktuellen Zahlen der Kriminalitätsstatistik erneut einen Anstieg der rechtsextremistischen Gewalttaten zeigen.
Auch der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2005
verzeichnet ein weiteres Erstarken von Rechtsextremen.
Alarmierend ist die Erkenntnis, dass immer mehr Radikale dazu neigen, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen.
Andererseits beobachten wir gefährliche Tendenzen,
dass Rechtsextreme systematisch versuchen, in bürgerliche Milieus einzudringen. Ich sage: Wehret den Anfängen!
({7})
Ich warne davor, auf den Druck von rechts mit
Gleichgültigkeit, Hilflosigkeit und Resignation zu reagieren. Das wäre ein Tabubruch unserer Gesellschaft.
({8})
Zur Bekämpfung rechtsextremer Gewalt brauchen wir
- das will ich deutlich sagen - eine klare strafrechtliche
Ahndung von Gewalttaten. Ich glaube, darin sind wir
uns alle einig. Der Staat muss die ihm schon jetzt vor
Verfügung stehenden Mittel wirksam und konsequent
einsetzen. Der Staat muss auf diese Angriffe schnell und
hart reagieren.
Mit dem Strafrecht allein ist es aber nicht getan. Viel
wichtiger ist, dass sich die Gesellschaft gegen diesen
braunen Sumpf stark macht. Der Ruf nach dem starken
Staat muss dort verhallen, wo die Zivilgesellschaft gefragt ist. Eine vitale Bürgergesellschaft muss das Ziel
sein. Die beschämenden rechtsextremen Straftaten belegen offensichtliche Defizite unserer Gesellschaft in der
Erziehung zur Demokratie. Zu einer Erziehung zur Demokratie gehört eben auch eine Achtung fremder Kulturen. Die Werte einer freiheitlichen Gesellschaft müssen
in der Schule eingeprägt, in der Familie erlebbar gemacht und schließlich von der ganzen Gesellschaft getragen werden.
({9})
Im Namen der FDP fordere ich, dass wir unverzüglich
konkrete Schritte zur Stärkung der politischen Bildung
einleiten. Gefördert werden müssen vor allem Projekte
der kommunalen Jugendarbeit, soziales Engagement und
kulturelle Arbeit in nicht staatlichen Organisationen.
({10})
Ich appelliere auch an die Bundesregierung, das Aktionsprogramm des Bundes „Jugend für Toleranz und
Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ auch nach 2006 fortzusetzen und zu finanzieren. Das wäre ein klares Signal der
Bundespolitik.
({11})
Zum Schluss will ich noch eines sagen: Das beste
Programm gegen Rechtsextremismus - das gilt auch und
gerade für die neuen Bundesländer - ist Wachstum und
Beschäftigung. Auf diesem Gebiet soll die Bundesregierung endlich ihre Hausaufgaben machen.
Danke.
({12})
Das Wort hat nun der Kollege Andreas Steppuhn,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Als Abgeordneter für die Harzregion und somit
auch für Halberstadt betone ich: Die Absage des Konzerts von Konstantin Wecker war aus meiner Sicht eine
falsche Entscheidung.
({0})
Man darf vor rechtsextremistischen Parteien nicht kuschen. Das muss die Lehre aus Halberstadt und den damit verbundenen öffentlichen Reaktionen sein.
({1})
Die öffentliche Auseinandersetzung mit der Absage
des Wecker-Konzertes und den Folgen lehrt uns: Ein Zurückweichen vor rechtsextremen Parteien bewirkt das
Gegenteil.
({2})
Deshalb hätte ich mir gewünscht, der Landrat von Halberstadt hätte Mut und Courage bewiesen und die
Durchführung des Konzertes befürwortet und unterstützt.
({3})
Selbst wenn man Auseinandersetzungen mit der rechten Szene erwartet, muss es in einem demokratischen
Rechtsstaat möglich sein, eine derartige Veranstaltung
durchzuführen.
({4})
Deshalb ist zu begrüßen, dass geplant ist, dieses Konzert
im Rahmen einer Open-Air-Veranstaltung mit Unterstützung von Verbänden und Organisationen, zum Beispiel
den Gewerkschaften, sowie vielen Kommunalpolitikern
nachzuholen.
({5})
Diese Veranstaltung ist eine Gelegenheit, bei der die
Menschen in der Harzregion deutlich machen können:
„Wir sind gegen rechtsextreme Parteien, braunes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit.“
({6})
Rechtsextreme Organisationen haben angekündigt,
am 22. April in Halberstadt aufzumarschieren. Dies ist
eine der Folgen. Es ist aber gleichzeitig eine Gelegenheit
für die Menschen in Halberstadt und Umgebung, Flagge
zu zeigen und deutlich zu machen: „Wir sind gegen
Rechtsextremismus! Wir wollen keine Nazis in unserer
Stadt!“
({7})
Die Ereignisse von Halberstadt haben, nicht zuletzt
durch die mediale Berichterstattung, dazu geführt, dass
Halberstadt und die vom Tourismus geprägte Harzregion
bundesweit in der öffentlichen Wahrnehmung Schaden
genommen haben. Lassen Sie mich deshalb hier sagen:
Die übergroße Mehrheit der Menschen in der Harzregion
hat mit rechtsextremen Gedankengut nichts am Hut und
bedauert es sehr, dass ein Eindruck entstanden ist, der
nicht gerechtfertigt ist.
({8})
Bereits jetzt - das zeigen viele E-Mails und Briefe - sind
negative Auswirkungen auf den Tourismus unverkennbar.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal klarstellen:
Halberstadt und die gesamte Harzregion werden nach
wie vor gute Gastgeber für Menschen aus Europa und
der ganzen Welt sein.
({9})
Dennoch gilt es, sich in der Harzregion mehr als anderswo mit der Entwicklung des Rechtsextremismus zu
beschäftigen und Lehren und Konsequenzen daraus zu
ziehen.
Wir als Sozialdemokraten haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode unter Rot-Grün Programme
erarbeitet, die sich mit dem Rechtsextremismus auseinander setzen, und die notwendigen finanziellen Mittel
zur Verfügung gestellt, um Projekte und Initiativen gegen den Rechtsextremismus zu unterstützen. Hierfür treten wir auch in der großen Koalition ein.
({10})
Wir treten dafür ein, dass Förderprogramme wie
Civitas, Xenos und Entimon weiterhin durch finanzielle
Zuschüsse gesichert werden.
({11})
Denn erst dadurch können die zahlreichen lokalen Initiativprojekte gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus unterstützt werden. Seit
dem Jahr 2001 wurden bundesweit mehr als 4 000 Einzelprojekte über diese Programme gefördert. Die jährliche Fördersumme betrug allein 19 Millionen Euro. Ende
2006 laufen nun aber zwei Förderprogramme aus. Nicht
zuletzt angesichts der aktuellen Ereignisse in BrandenAndreas Steppuhn
burg und Sachsen-Anhalt steht die SPD zu ihrem Wort
und steht die SPD-Bundestagsfraktion zu ihrer Aussage
im Koalitionsvertrag, diese Maßnahmen weiterhin zu
verstetigen.
({12})
Uns ist bekannt, dass es im Familienministerium
Pläne gibt, diese Programme auf Bereiche des Linksextremismus sowie radikale Islamisten auszuweiten und
die Mittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus zu
kürzen. Deshalb sage ich an dieser Stelle für die SPDBundestagsfraktion deutlich: Mit uns wird es bei diesen
Programmen keine Abstriche und Kürzungen geben.
({13})
Im Gegenteil: Angesichts der Auseinandersetzung, in
der wir mit den rechtsextremen Parteien stehen, ist eigentlich das Gebot der Stunde, diese Mittel sogar noch
aufzustocken. Hier gilt es, im Rahmen der anstehenden
Haushaltsberatungen ein Zeichen zu setzen, insbesondere um lokale Aktionsbündnisse zu unterstützen.
Es sind aber auch die Bundesländer gefragt. Deshalb
betrachte ich mit großer Sorge, dass es insbesondere die
CDU/FDP-geführte Landesregierung in Sachsen-Anhalt
in den vergangenen Jahren versäumt, ja verschlafen hat,
Initiativen gegen rechtsextreme Entwicklungen zielgerichtet zu fördern.
({14})
Dies ist der falsche Weg. Angesichts der Plakatkampagnen von NPD und DVU im Landtagswahlkampf hat der
DGB in Sachsen-Anhalt die Parteien dazu aufgerufen,
einen Teil ihres Wahlkampfetats für Projekte gegen
Rechtsextremismus zur Verfügung zu stellen.
({15})
Einige Parteien, unter anderem die SPD, sind darauf eingegangen. Die Regierungsparteien in Sachsen-Anhalt
dagegen haben das nicht für nötig gehalten.
({16})
Dieses Signal ist mehr als traurig.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen: Es
darf kein Wegschauen geben. Wir alle müssen uns engagieren, wenn rechtes Gedankengut und Rechtsextremismus keine Chance mehr haben sollen.
({17})
Möglichen Rechtsextremisten gilt es, eine klare Kante
zu zeigen und nicht zu kuschen. Deshalb ist es wichtig,
im Rahmen der heutigen Debatte - wenn wir sie schon
führen -, ein Zeichen zu setzen und den Menschen in
Sachsen-Anhalt und in Brandenburg zu zeigen: Sie stehen nicht allein, sondern haben die Unterstützung des
deutschen Parlamentes.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Roland Claus,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Reaktion oder, besser gesagt, die Nichtreaktion der CDU/CSU-Fraktion auf meinen Vorredner
macht vielleicht mehr deutlich, als man mit Worten sagen könnte.
({0})
- Sie müssen sich schon selbst beantworten, was dieser
Blödsinn soll. Ich weiß nicht, ob diese Form der Auseinandersetzung dem Thema angemessen ist.
({1})
Wo Antifaschismus zum Unwort wird, ist die Demokratie in Gefahr. Ich will eine andere, viel banalere Begebenheit erzählen: In einer Sporthalle in einem mir benachbarten Bundesland fiel mir eine Ergebnistafel auf,
auf der geschrieben stand: Adolf Hitler ist mein bester
Freund. Ich habe das Management der Einrichtung darauf aufmerksam gemacht. Man reagierte mit dem erwarteten Entsetzen und sagte: Ja natürlich, wir werden
das sofort entfernen. Ich merkte aber, dass bei den Leuten noch etwas im Hinterkopf war. Ich fragte nach und
bekam die Antwort: Das muss seit Wochen dort stehen
und ist niemandem aufgefallen.
Genau das ist das Problem: die schleichende Akzeptanz des Rechtsextremismus bis in die Mitte unserer Gesellschaft. Insofern hält die fatale Fehlleistung des Landratsamtes in Halberstadt uns allen womöglich nur einen
Spiegel vor. Es gibt sehr viel Rassismus und Rechtsextremismus im Alltag, der Menschen widerfährt, die
niemand kennt und die hier niemals zur Sprache kommen werden. Deshalb müssen wir uns mit diesem Thema
befassen.
({2})
Die gemeinsame Empörung über die Geschehnisse in
Halberstadt enthebt uns nicht unserer gemeinsamen Verantwortung, dem Rechtsextremismus entgegenzutreten.
In Sachsen-Anhalt existiert ein funktionierendes
Bündnis für Demokratie und Toleranz. Vor dem Hintergrund der ausgesprochenen Drohungen wäre es Aufgabe
des dortigen Landrates gewesen, nicht etwa feige und
still zu kuschen und zu kapitulieren, sondern dieses
Bündnis anzusprechen und Öffentlichkeit herzustellen.
Dass dies nicht geschehen ist, ist besonders ärgerlich
und nicht hinzunehmen; denn zusammen mit diesem
Bündnis hätte man sehr wohl öffentlich agieren können.
({3})
Jetzt geht es allerdings nicht darum, ganz Halberstadt
in Haftung zu nehmen. Die Fraktion meiner Partei hat im
dortigen Kreistag sofort eine Sondersitzung des Kreisausschusses verlangt; dort wird man sich mit diesem
Thema auseinander zu setzen haben.
({4})
Wir erleben seit vielen Jahren - ich seit 15 Jahren -,
dass das Engagement gegen Rechtsextremismus zuweilen diskriminiert bzw. lediglich als ein Kampf gegen gesellschaftliche Randerscheinungen verstanden wird. Herr
Minister Becker, durch Ihre verbale Gleichsetzung von
links und rechts haben Sie zur Lösung des Problems,
über das wir heute reden, wirklich keinen vernünftigen
Beitrag geleistet.
({5})
Lassen Sie mich daran erinnern, dass es im Jahr 2001
zu so etwas wie einem „Aufstand der Anständigen“ gekommen ist. Seinerzeit haben hier im Bundestag vier
Fraktionen gemeinsam einen Beschluss zum Kampf gegen den Rechtsextremismus gefasst, der noch immer
gültig ist und einiges bewirkt hat. An Ihre Adresse, Herr
Becker, und an die Adresse der CDU/CSU-Fraktion, die
diesen Beschluss damals nicht mitgetragen hat, möchte
ich sagen: Wäre es heute nicht an der Zeit, dem zuzustimmen, anstatt neue Vorwürfe zu erheben?
({6})
Wir können vieles tun. Aber gegen „Nazis in den
Köpfen“ hilft vor allem Bildung.
({7})
Schauen Sie sich doch einmal an, wie dürftig die Zeit
des Dritten Reiches in den Schulbüchern abgehandelt
wird.
({8})
Oder schauen Sie sich die Politik des Landes SachsenAnhalt an: Einer Ihrer ersten Schritte, die Sie eingeleitet
haben, als Sie dort im Jahr 2002 die Regierung übernommen haben, bestand darin, dass Sie das Auslaufen des
Feststellenprogramms für die Jugendarbeit angekündigt
haben. Das muss man ansprechen; denn der Weg, den
Sie, Herr Becker, damals eingeschlagen haben, war
falsch.
({9})
Auch möchte ich daran erinnern, dass der Bund der
Antifaschisten regelmäßig im Verfassungsschutzbericht
erwähnt wird.
({10})
Dieser Umstand ist bestimmt nicht geeignet, der Bedeutung des Kampfes gegen den Faschismus gerecht zu
werden.
({11})
Ich will für meine Fraktion ganz ausdrücklich sagen,
dass wir Initiativen wie die Konstantin Weckers unterstützen, der es nicht einfach hinnimmt, dass die DVU im
Bunde mit der NPD auf Schulhöfen CDs mit rechtsextremistischem Inhalt verteilen will, sondern sich wehrt. Das
halten wir für wichtig.
Ich sage noch einmal: Wo Antifaschismus zum Unwort wird, ist die Demokratie in Gefahr. Lassen Sie uns
gemeinsam gegen die schleichende Akzeptanz des
Rechtsextremismus in der Gesellschaft antreten. Wir
bleiben dabei: Faschismus ist keine Meinung, sondern
ein Verbrechen.
({12})
Das Wort hat nun die Kollegin Kristina Köhler, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie ist keine Eigenschaft einer Gesellschaft. Sie ist eine Momentaufnahme, die Tag für Tag
verteidigt werden will: gegen diejenigen, die unserer Demokratie offen entgegenstehen, und gegen diejenigen,
die die Freiheiten der Demokratie gern annehmen, um
sie dann als Waffe gegen die Demokratie selbst zu richten.
({0})
Dies tut der Rechtsextremismus zurzeit verstärkt. Ganz
egal jedoch, welcher Instrumente sich der Extremismus
bemächtigt, es darf kein Zurückweichen vor den Feinden
unserer Demokratie geben.
({1})
Die CDU/CSU ist allerdings der Meinung, Projekte
gegen Extremismus müssen Projekte der demokratischen Mitte sein. Deshalb wollen wir, dass man auch den
Linksextremismus und den Islamismus nicht aus den
Augen verliert.
({2})
Kristina Köhler ({3})
Leider wird von den linken Abgeordneten in diesem
Hause immer wieder versucht, den Eindruck zu erwecken, jeder Gegner von Rechtsextremismus sei automatisch ein Demokrat. Wenn ich mir jedoch die selbst ernannten Antifaschisten anschaue oder wenn ich höre,
dass die Kommunistische Plattform der Linkspartei sagt,
man dürfe weder die Verbrechen der kommunistischen
Regime verurteilen noch dürfe man Kuba wegen Menschenrechtsverletzungen angreifen, dann muss ich sagen: So etwas Menschenverachtendes und Geschichtsvergessenes! Mit solchen Menschen kann man nicht
gemeinsam unsere Demokratie verteidigen.
({4})
Es geht heute ganz aktuell um die Ereignisse in
Sachsen-Anhalt und Brandenburg, wie das Thema der
Aktuellen Stunde auf Verlangen der Grünen lautet. Eines
dieser Ereignisse ist das Konzert Konstantin Weckers im
Rahmen seiner so genannten Antifa-Tour in Halberstadt
in Sachsen-Anhalt, ein Musterbeispiel dafür, wie die
Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nicht
funktioniert.
({5})
Die Presse war in den letzten Tagen voll mit Artikeln,
die den immer gleichen Tenor hatten: NPD verhindert
Wecker-Konzert.
({6})
Die Reaktionen der Politiker folgten prompt: Frau Kollegin Lazar von den Grünen sprach davon, dass die Halberstädter Politiker „Erfüllungsgehilfen rechtsextremer
Ziele“ seien.
({7})
Auch Herr Kollege Edathy von der SPD war sich nicht
zu schade, den Halberstädtern einen Mangel an demokratischer Zivilcourage vorzuwerfen.
({8})
Meine Damen und Herren, es ist so einfach, von hier
aus den Menschen vor Ort Ratschläge zu erteilen und
mal eben ganze Landkreise zu verurteilen.
({9})
Dabei hätte ein einziger Anruf in Halberstadt genügt, um
herauszufinden, dass die Geschichte zu parteipolitischen
Zwecken nicht taugt. Ich habe mit dem Landrat telefoniert. Er sagte mir, dass von den Politikern, die sich verächtlich geäußert haben, bis heute kein einziger fähig
war, zum Telefonhörer zu greifen und sich bei den Menschen vor Ort zu informieren.
({10})
Hätten Sie das gemacht, wäre Ihnen klar geworden, dass
das Wecker-Konzert in Halberstadt nicht abgesagt worden ist, und dann hätten Sie das heute nicht wieder behauptet.
({11})
Das Konzert wurde auch nicht verboten.
({12})
- Frau Roth, ich erkläre es Ihnen: Es ging lediglich darum, wo man ein solches Konzert stattfinden lassen
kann. Das sollte nicht an der Schule geschehen,
({13})
worauf man sich mit dem Veranstalter, dem Verein Zora,
am 9. Februar auch geeinigt hatte. Der Presserummel begann auch erst am 8. März. Am 26. März sind übrigens
Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt.
Was hat nun die NPD mit der Sache zu tun? Ganz einfach: Man wollte das Konzert deshalb nicht an einer
Schule stattfinden lassen, weil man befürchtet hat, mit
einem solchen Antifa-Konzert das Tor dafür zu öffnen,
dass in Zukunft auch die NPD Konzerte an Schulen veranstalten kann.
({14})
- Das ist kein Unsinn. Diese Problematik ist real und die
Juristen unter Ihnen kennen sie: Man kann ein öffentliches Gebäude nicht einfach für einen bestimmten Zweck
zur Verfügung stellen, ohne dass dann auch andere das
Recht haben, es zum selben Zweck zu nutzen.
({15})
Ein berühmtes analoges Beispiel ist die Nibelungenhalle
in Passau, die aufgrund gerichtlicher Entscheidungen
- trotz allem Widerwillen - regelmäßig für die DVU
aufgeschlossen werden muss.
({16})
Das ist das Dilemma von Demokratie, welches ich
eingangs erwähnt habe: Sie liefert ihren Gegnern bisweilen selbst die Waffen. Aber Demokraten sollten sich
nicht auch noch vor den Augen ihrer Gegner gegenseitig
zerfleischen.
({17})
Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Lazar,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Rechtsextremismus hat sich in einigen Regionen zu einer ernsthaften Gefahr entwickelt. Rechtsextremisten
versuchen, die öffentliche Meinung zu bestimmen. Niemand hört das gerne. Die Kolleginnen und Kollegen von
der Union möchten, wie wir das auch heute wieder gehört haben, die rechtsextremen Provokationen und Straftaten sogar als Einzelfälle darstellen.
({0})
Mit überzogener Hysterie stellen sie stattdessen Schreckensbilder von Linksextremismus und überbordendem
Islamismus in den Raum.
Meines Wissens haben Autonome oder radikale Islamisten noch nicht versucht, in unseren Parlamenten für
Angst und Schrecken zu sorgen. Wahlerfolge von Rechtsextremen in Ländern oder Kommunen gibt es dagegen in
steigender Zahl. Im Wahlkampf spielen sich Rechtsextremisten zunächst als Kämpfer für das Volk auf. Mit platten
Parolen missbrauchen sie die Probleme der Menschen
zum Stimmenfang. Sind sie erst einmal gewählt, zeigen
sie ihre wahren Ziele, wie das so häufig im Landtag von
Sachsen zu sehen war, wo die NPD eine eigene Fraktion
stellt.
In Halberstadt und im gesamten Harz agieren Neonazis schon mit Erfolg. Die Harzregion bildet einen
Schwerpunkt rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt.
Die Rechtsextremen schlagen Andersdenkende zusammen und greifen nach Macht und Einfluss.
Konstantin Wecker ist ein bekannter Liedermacher.
Er tritt zurzeit auch in anderen ostdeutschen Städten auf,
zum Beispiel am Wochenende in Leipzig. Dort gibt es
solche Probleme nicht. Sein Konzert in Halberstadt
sollte unter dem Motto „Nazis raus aus dieser Stadt“ stehen. Der NPD gefiel das nicht. Sie forderte die Verantwortlichen auf, das Konzert abzusagen. Zur Sicherheit
drohten sie noch Randale an, falls die Kreisverwaltung
ihren Willen nicht erfüllen würde. Und was geschah?
Die Verantwortlichen reagierten in vorauseilendem Gehorsam. Das Konzert fiel aus. Da fragt man sich: Wer hat
in Halberstadt das Sagen?
Dass Neonazis in unserem Land Veranstaltungen verhindern können, weil sie ihnen nicht passen, ist skandalös. Einer öffentlichen Zensur durch Rechtsradikale
müssen wir uns entgegenstellen.
({1})
Zivilcourage, Demokratie und das Einstehen für kulturelle Vielfalt sind Werte, die wir offensiv vertreten.
Vorfälle wie in Halberstadt machen deutlich, wie
wichtig es ist, Rechtsextremismus zu bekämpfen und
Demokratie zu stärken. Gerade in vielen örtlichen Verwaltungen und kommunalen Parlamenten besteht darin
offensichtlich noch immer großer Nachholbedarf; aus
praktischer Erfahrung vor Ort kann ich das, wie ich
glaube, beurteilen. Das sollte endlich auch die sachsenanhaltische Landesregierung lernen, die sich bislang
weigert, das Problem wahrzunehmen und ein Landesprogramm mit der nötigen finanziellen Ausstattung aufzulegen. Man braucht dafür nämlich immer auch Geld;
das ist wichtig.
({2})
Die erfolgreichen Bundesprogramme bleiben vor diesem Hintergrund unverzichtbar. Sie müssen unbedingt
langfristig abgesichert werden. Stattdessen will die Bundesregierung die finanziellen Mittel dafür - das wurde
schon gesagt - herunterfahren. Noch dazu ist eine Vermischung mit anderen Inhalten wie Linksextremismus
und radikalem Islamismus geplant, wie uns heute im Familienausschuss bestätigt wurde. Das läuft auf eine erhebliche Mittelkürzung hinaus und bedeutet für viele
mobile Beratungsteams und Opferberatungsstellen, die
sich in den letzten Jahren etabliert haben und die so
wichtig sind, das Aus.
In besonderem Maße betroffen wären die neuen Bundesländer. Dort konnten in den vergangenen Jahren
durch die Civitas-Programme des Bundes engagierte zivilgesellschaftliche Netzwerke entstehen. Das Zurückfahren der öffentlichen Unterstützung würde viele Strukturen zerschlagen. Bündnis 90/Die Grünen werden in
den Haushaltsberatungen entschieden dagegen vorgehen. Seit Jahren verteidigen wir die zivilgesellschaftlichen Programme gegen Kürzungsversuche der Union.
Nach wie vor halten wir derartige Pläne für nicht akzeptabel.
Die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus
ist zudem nicht sachgerecht. Selbst den Verfassungsschutzberichten kann man entnehmen, wie extrem hoch
Organisationsgrad und undemokratisches Gefahrenpotenzial neonazistischer Strukturen sind. Eine Gleichsetzung mit einzelnen linksextremen Aktionen verharmlost
die Gefahr von Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus.
({3})
Es gibt noch immer mehr Opfer rechter Gewalt. Dennoch will sich der Bund aus der Förderung der Opferberatungsstellen zurückziehen. Ein Großteil der Verantwortung soll künftig auf die Kommunen verlagert
werden. Dort fehlt aber oft das Problembewusstsein für
dieses Thema. Somit werden die zivilgesellschaftlichen
Initiativen allein gelassen. Was wird dann aus den langjährig angelegten Strukturprojekten? Sollen sie sich etwa
andere Namen und Vorhaben ausdenken und ihre bewährten Konzepte nicht weiter verfolgen, um eine
Chance auf Förderung zu behalten?
Ich denke, wir können es uns nicht leisten, das entstandene Know-how und die wertvollen Erfahrungen der
engagierten Leute vor Ort zu verlieren. Angesichts der
bestehenden rechtsextremen Gefahr wird eine sichere
und langfristige Finanzgrundlage gebraucht.
Die Regierung ist in der Pflicht, entstandene Strukturen zu erhalten. Wir fordern Sie auf, die Probleme mit
dem Rechtsextremismus in Deutschland ernst zu nehmen und in Ihren Konzepten und Finanzplänen angemessen zu berücksichtigen.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Sebastian Edathy, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Köhler, ich glaube, es ist eher zweitrangig, ob der Landrat des Kreises Halberstadt ein Konzert
abgesagt oder dem Stattfinden eines Konzertes nicht zugestimmt hat.
({0})
Wir sagen den Bürgerinnen und Bürgern zu Recht,
seid mutig und zeigt Zivilcourage gegen Rechtsextremismus. Ich finde, das eigentliche Problem ist: Wenn
wir das glaubwürdig sagen wollen, dann müssen wir von
den öffentlichen Repräsentanten unseres Staates zugleich erwarten können, dass sie mit Mut und als Vorbild
vorangehen. Das ist der entscheidende Punkt.
({1})
Es kann nicht sein - und zwar nirgendwo in unserer
Republik -, dass Rechtsextremisten darüber entscheiden, welche kulturellen oder sonstigen Veranstaltungen
stattfinden oder nicht stattfinden. Das ist der entscheidende Punkt.
({2})
Wenn wir uns diesem Thema und auch der Frage widmen - sie ist hier angesprochen worden -, wie es mit den
Programmen des Bundes gegen Rechtsextremismus eigentlich weitergeht
({3})
und was wir tun können, um den Menschen vor Ort Unterstützung zukommen zu lassen, dann bin ich sehr dafür, dass wir nicht ideologisch argumentieren. Herr Landesminister, ich weiß nicht, ob Sie mit Islamisten in
Sachsen-Anhalt dieselben Probleme wie mit Rechtsextremisten haben. Aufgrund der Zahlen, die ich kenne,
bezweifle ich das zumindest.
({4})
Wir schauen uns die Fakten an und sagen, dass das
Konsequenzen haben muss. Diese sind eindeutig. Im
Jahre 2004 gab es 14 000 Straftaten mit einem extremistischen Hintergrund. Die Zahlen für 2005 liegen noch
nicht vor. 12 000 dieser 14 000 Straftaten gehen auf das
Konto von Rechtsextremisten.
({5})
10 000 gewaltbereite Rechtsextremisten gibt es in
Deutschland. Die Hälfte davon lebt in den neuen Bundesländern, was übrigens gravierende Folgen hat. In
Sachsen-Anhalt beispielsweise kommen auf 100 000 Einwohner drei gewalttätige Übergriffe mit einem rechtsextremistischen Hintergrund. Im Schnitt der alten Bundesländer ist es eine Gewalttat. Auch das ist zu viel und
auch das ist schlimm.
({6})
- Frau Kollegin Pieper, ich habe gerade von Ihnen gehört: „Immer die Ossis“. Rechtsextremismus ist ohne
Zweifel ein gesamtdeutsches Problem. Man wird der
Herausforderung, die damit verbunden ist, aber nicht gerecht, wenn man nicht auch zur Kenntnis nimmt, dass
dieses Problem regional sehr unterschiedliche Ausprägungen hat.
({7})
Das muss für uns und auch für das Bundesengagement
gegen Rechtsextremismus Folgen haben.
({8})
Ich begrüße es, dass das Land Sachsen-Anhalt in den
letzten Jahren stärker als zu Beginn der Wahlperiode des
Landestages bereit war, solche Projekte kozufinanzieren,
die wir aus dem Bundeshaushalt unterstützen. Ich finde,
wir haben bei den Bundesprogrammen und insbesondere
bei der Unterstützung kultureller Aktivitäten zu Recht
einen Schwerpunkt auf die neuen Bundesländer gelegt.
2004 hat es 140 Konzertveranstaltungen von Rechtsextremisten gegeben - auch das ist eine interessante
Zahl -; 80 davon fanden in den neuen Bundesländern
statt. Ich glaube, in diesen Zusammenhang bettet sich
auch der aktuelle Anlass für die heutige Debatte ein, in
der wir über Halberstadt sprechen. Ich denke, wir haben
nicht zu viele Veranstaltungen und zu viele Aktivitäten
gegen Rechtsextremismus, sondern leider immer noch
nicht genug. Alle, die in diesem Bereich tätig sind, verdienen unser aller Unterstützung.
({9})
Das ist auch der Grund, weshalb wir nach meinem
Dafürhalten in den Haushaltsberatungen sehr stark Acht
darauf geben müssen, dass wir hier zu einer Verstetigung
des Mitteleinsatzes kommen.
({10})
Wenn wir uns mit diesem Thema beschäftigen, dann
brauchen wir nicht Kleinmut und Kurzatmigkeit, sondern dann brauchen wir eine Verstetigung des Bundesengagements und einen langen Atem.
({11})
Das gilt übrigens auch - das will ich deutlich sagen für das Thema politische Bildung.
({12})
Ich halte es für hochproblematisch, wenn im Entwurf
des Bundeshaushaltes für 2006 vorgesehen ist, die Mittel
für die Bundeszentrale für politische Bildung um 20 Prozent abzusenken. Wir brauchen nicht weniger politische
Bildung, sondern mehr politische Bildung.
({13})
Ich glaube, dass das Parlament sein ureigenstes Recht
selbstbewusst wahrnehmen sollte, um eine Änderung der
Regierungsvorlage zu erreichen. Das Haushaltsrecht ist
eines unserer vornehmsten Privilegien. Im Interesse der
Stärkung der Demokratie in diesem Land, die ständig
bedroht und verletzbar ist, sollten wir es an dieser Stelle
weidlich ausüben.
Das gilt auch für die Frage, wie wir mit Menschen
und ihren Projekten und Initiativen umgehen, die sich in
diesem Bereich engagieren. Es ist zweifelhaft, was in
Halbe vor wenigen Tagen passiert ist. Dort sind Demonstrationsteilnehmer eines gewerkschaftlich organisierten Protestes gegen einen Neonaziaufmarsch in übertriebener Weise kontrolliert worden. Auch halte ich es
für fragwürdig, was aus dem Raum Stuttgart zu hören
ist. Dort werden Nazigegner, die mit Plaketten mit einem
durchgestrichenen Hakenkreuz auf den Straßen unterwegs waren, wegen Verwendung eines verfassungsfeindlichen Symbols angeklagt.
Wir dürfen nicht die Gegner von Neonazismus stigmatisieren und sie auf dieselbe Stufe mit denjenigen stellen, gegen die sie sich wenden. Sie brauchen unsere
Unterstützung - in Halberstadt, aber auch überall anderswo. Lassen Sie uns in diesem Sinne in die Haushaltsberatungen gehen! Rechtsextremismus ist eine Bedrohung der Demokratie. Wir sind gehalten, uns ihm
entgegenzustellen.
({14})
Das Wort hat nun der Kollege Alois Karl, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute von
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf die Tagesordnung gebrachte Thema ist von meinen Vorrednern
schon weidlich behandelt worden. Selbstverständlich
gibt es - wer wollte das bestreiten? - kein Zurückweichen vor dem Rechtsextremismus. Gleiches gilt übrigens
auch für den Extremismus der linken Seite. Ich füge für
meine Fraktion hinzu, dass es die wehrhafte Demokratie
verlangt - wir freuen uns, dass wir deren legitime und
frei gewählte Vertreter sind -, beiden Extremismen, dem
linken und dem rechten, in gleicher Weise entgegenzutreten. Extremismus darf bei uns überhaupt keine
Chance haben.
Ich finde die Fragestellung der Grünen reichlich verkürzt. Warum soll das Szenario des Rechtsextremismus
behandelt werden und all die anderen Facetten extremistischen Verhaltens außer Acht gelassen werden?
({0})
Ist es nicht so, dass gerade die Ausblendung all der anderen Spielarten des Extremismus, die alleinige Fokussierung auf den Extremismus der rechten Seite gerade jene
bestärkt, die ihr extremes Süppchen kochen? Wir als
CDU/CSU-Fraktion wenden uns gegen Extremismus in
jeder Form. Ich halte die Diskussion der heutigen Stunde
für bewusst verkürzt und auch für gefährlich. Sie thematisieren ein Problemfeld, engen es bewusst ein und erkennen die Facetten der Gefährdung der anderen Art
nicht.
({1})
Das Bundesinnenministerium weist in dem Verfassungsschutzbericht - das haben wir gehört - aus, welche
Straftaten bei uns allenthalben anfallen: Es sind mehr als
14 000. Jede dieser Straftaten ist zu viel. Der Extremismus muss allgemein bekämpft werden. Ein Zurückweichen darf es nirgendwo geben. Religiös motivierter Extremismus ist uns genauso zuwider wie nationalistisch
motivierter Extremismus. Marxistisch oder links motivierter Extremismus kann bei uns genauso wenig beschönigt oder verharmlost werden wie der Rechtsextremismus. Für keine Spielart des Extremismus darf es
Toleranz geben.
({2})
Null Toleranz und kein Zurückweichen der Gesellschaft
oder des Staates - das ist unsere Losung.
({3})
Unsere Aufgabe in der Politik ist es, Orientierung zu
geben und sich nicht mit kurzatmigem Aktionismus zu
beschäftigen. Das Bohren der dicken Bretter und Nachhaltigkeit sind die eigentliche Aufgabe unseres politischen Handelns.
Der Extremismus, egal ob von rechts oder links, muss
von uns als dauerhafte Aufgabe verstanden werden, unsere Grundordnung zu verteidigen. Hierauf müssen wir
unsere Politik ausrichten. Politischer Extremismus ist
weder auf Deutschland konzentriert, noch ist er eine
Frage der Vergangenheit oder der Gegenwart.
({4})
Auch die Wahlergebnisse in Italien und Frankreich
- dort hat der nationalistische Präsidentschaftskandidat
Le Pen sogar mehr Stimmen erhalten als der sozialistische - zeigen, dass wir in Deutschland von solchen Gefährdungen Gott sei Dank noch weit entfernt sind.
({5})
Dies haben wir gerade der Eindeutigkeit der Politik
zu verdanken. Ich verweise dabei auf das Beispiel Bayern.
({6})
Gerade Innenminister Beckstein und die Staatsregierung
zeigen politischen Einsatz, um gegen rechte Gruppierungen, die NPD und die Republikaner, vorzugehen. Es gibt
keinen Zweifel daran, dass bei diesen Gruppierungen
keine Toleranz, Kooperation und Duldung möglich sind.
Die jetzt erkennbaren Bestrebungen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg dürfen wir nicht verharmlosen.
({7})
Wir müssen auch die Motivation derer erkennen, die sich
heute extrem zeigen. Für viele junge Leute ist die Arbeitslosigkeit ein Grund für die Perspektivlosigkeit, wegen der sie sich Rattenfängern zuwenden.
({8})
Zu der Arbeitslosigkeit kommt ein weiteres gesellschaftliches Problem hinzu. Vielen fehlt ein innerer
Kompass; sie sind daher anfällig für extremistisches Gedankengut. Als richtig verstandenes Konjunkturprogramm gegen Extremismus und als Gebot unserer Politik wollen wir daher die wirtschaftliche Situation in den
neuen Bundesländern verbessern, um jungen Leuten
wieder eine Perspektive im Arbeitsleben zu geben.
({9})
Arbeit bedeutet nach unserer Vorstellung Teilhabe an der
Gesellschaft und am gesellschaftlichen Leben. Wer sich
in dem Teufelskreis von Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit befindet und sich zudem mit einer Politik konfrontiert sieht, die von Beliebigkeit und Wertelosigkeit
getragen zu sein scheint, von dem können wir nicht erwarten, dass er bereit ist, sich für die Werte der Demokratie einzusetzen und ihren Grundkonsens zu teilen.
Ein Bestandteil des Grundkonsenses ist die Toleranz.
Ich denke, wir müssen gegenüber anderen, auch Andersgläubigen, tolerant sein. Dennoch hat die Toleranz eine
Grenze, und zwar in unseren eigenen Wertvorstellungen.
Aus diesem Grunde dürfen wir es nicht dulden, dass es
in Deutschland rechtsfreie Räume gibt. Wir werden also
nicht dulden, dass es in unserem Staate Parallelgesellschaften gibt, dass die Rechtsstaatlichkeit aufgegeben
wird und das Recht des Stärkeren gilt. Wir werden nicht
dulden, dass bei uns die Scharia anstelle des Grundgesetzes gelten soll. Hier endet unsere Toleranz.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Die Toleranz endet auch bei der gewählten Sprache.
Wenn jemand andere Gruppen als „Schweinebande“ bezeichnet, dann ist auch hier die Toleranzgrenze überschritten.
({0})
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit!
Ich komme zum Schluss.
Ich meine, dass wir unsere Aufgabe im Parlament
dann richtig erfüllen, wenn wir über das tagespolitische
Geschäft und über Brandenburg und Sachsen-Anhalt
- selbst wenn dort Wahlkampf ist - hinaus den jungen
Leuten Orientierung bieten, damit sie den Weg zu einer
gestärkten Demokratie finden und nicht in die Arme
links- oder rechtsextremer Rattenfänger fallen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Niels Annen, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Karl, ich glaube, es herrscht kein Dissens in diesem Hause, dass extremistische Gewalttaten - ob sie von
Islamisten oder von Linksextremisten begangen werden bekämpft werden müssen. Aber darum geht es heute
nicht.
({0})
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nun auf unser
Thema lenken.
({1})
Rechtsextremisten drohen damit, ein Konzert zu sprengen. Ob Absage, Verhinderung oder was auch immer,
Frau Kollegin Köhler, es findet aufgrund einer politischen Entscheidung nicht statt. Das ist kein Szenario aus
der deutschen Vergangenheit, sondern das ist vor wenigen Tagen in Sachsen-Anhalt geschehen. Darüber muss
dieses Haus heute reden.
Die rechtsextreme NPD hat den Auftritt des Liedermachers Konstantin Wecker verhindert.
({2})
Erschreckend ist, dass dafür ein Brief des örtlichen
NPD-Vorsitzenden offensichtlich ausgereicht hat, angereichert durch mehr oder minder gut verhüllte Drohungen, die dann über das Internet wiederholt worden sind.
({3})
Konstantin Wecker ist offensichtlich ein höflicher
Mensch. Er bezeichnet die Verhinderung des Konzerts
als einen „Mangel an Zivilcourage“. Ich will deutlich sagen: Ich halte diese Entscheidung für ein politisch verheerendes Signal.
({4})
Denn wieder einmal scheint es der NPD gelungen zu
sein, demokratische Institutionen der Bundesrepublik
massiv vorzuführen und unter Druck zu setzen. Wieder
einmal scheint es gelungen zu sein, die demokratische
Gesellschaft gegenüber den Neonazis in die Defensive
zu drücken. Wieder einmal hat das Thema Rechtsextremismus in diesem Land Hochkonjunktur.
Die Vorfälle nicht nur in Sachsen-Anhalt, nicht nur im
Osten Deutschlands, sondern - darin stimme ich meinen
Vorrednern ausdrücklich zu - im gesamten Bundesgebiet
sind Anzeichen für eine Entwicklung, die uns in der Tat
Anlass zur Sorge gibt. Parteien wie die NPD und die
DVU haben nicht nur im Osten Deutschlands in den letzten Jahren kontinuierlich den Aufbau ihrer Strukturen
verfolgt. Sie hatten und haben dabei keine Berührungsängste vor gewalttätigen Straftätern. Einige haben sie sogar in ihre Parteiorganisation integriert. Wir haben es
heutzutage bei den Neonazis nicht mehr nur mit irgendwelchen kahl rasierten Menschen mit Springerstiefeln zu
tun, die klar erkennbar sind. Es handelt sich vielmehr um
den offensichtlichen Versuch, sich in der politischen
Mitte dieses Landes zu positionieren und die demokratiefeindliche Ideologie hinter Nadelstreifen und halbwegs zivilem Auftreten zu verbergen. Das dürfen wir
den Rechtsextremisten nicht durchgehen lassen. Wir
müssen uns mit ihren Strategien auseinander setzen.
Wie weit die NPD und ihre Helfershelfer in ihrem Bemühen vorgedrungen sind, zeigt nicht nur der Vorgang,
über den wir uns in der heutigen Aktuellen Stunde unterhalten. Die Zahlen sind bereits genannt worden und sie
sind eindeutig. Über 12 000 rechtsextremistisch bedingte
Straftaten wurden im Jahr 2004 begangen. Die Tendenz
ist bedauerlicherweise - das ist unstrittig - steigend.
Deshalb war und ist es richtig, dass wir dieser Gefahr
von rechts mit Bundesprogrammen und einer entsprechenden Mittelausstattung begegnen und so eine dauerhafte Arbeit gewährleisten. Wir alle kennen doch die Art
und Weise der Auseinandersetzung. Es gibt eine rechtsextremistische Straftat oder ein sensationelles Wahlergebnis einer rechtsextremen Partei und die Zeitungen
sind voller Informationen. Aber danach ebbt das Interesse wieder ab. Wir brauchen aber eine kontinuierliche
Auseinandersetzung.
({5})
Das haben wir gewährleistet. Die Evaluationen sind eindeutig positiv; das können wir belegen.
Unsere Philosophie bei der Arbeit gegen rechts und
den entsprechenden Programmen ist und bleibt, diejenigen zu stärken, die sich vor Ort diesen menschenfeindlichen Ideologen entgegenstellen.
({6})
Aber das, was in der Vergangenheit unter dem Begriff
der akzeptierenden Jugendarbeit firmierte und was der
eine oder andere nicht ganz zu Unrecht als staatliche
Glatzenpflege bezeichnet hat, dürfen wir nicht wiederholen. Wir müssen vielmehr die Arbeit, die vor Ort geleistet wird, unterstützen; denn nur so werden die Strukturen aufgebaut, die wir brauchen, auf die sich eine
demokratische Gesellschaft verlassen muss.
({7})
Ich stimme meinen Vorrednern zu, die die Entscheidung des Landrats für falsch halten. Man hätte dafür sorgen müssen, dass das Konzert stattfindet.
({8})
Aber wir müssen uns die Frage stellen, in welchem
gesellschaftlichen Klima eigentlich eine solche Entscheidung zustande kommt.
({9})
Wie kann es denn sein, dass jemand mehr Angst davor
hat, dass ein solches Konzert stattfindet, als vor den politischen Folgen einer Konzertabsage? Das heißt, wir
müssen uns grundsätzlich mit der Strategie auseinander
setzen. Die Erfahrung unserer erfolgreichen Arbeit zeigt:
Dort, wo alle demokratischen Kräfte trotz der einen oder
anderen Meinungsverschiedenheit zusammenstehen und
zusammenarbeiten, gibt es Erfolg, vielleicht nicht von
heute auf morgen, aber von heute auf übermorgen. Man
sieht das an den Wahlergebnissen, an der inneren Sicherheit und an dem sich entfaltenden kulturellen Leben.
Die Demokraten müssen zusammenstehen. Das sollte
trotz aller Differenzen in diesem Haus die Botschaft
sein.
Danke schön.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Grindel,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind uns hier im Haus einig, dass wir den Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus offensiv,
entschieden und klar führen müssen. Ich möchte aber
hinzufügen: Dieser Aufgabe sollten wir uns gemeinsam
stellen und wir sollten auch wenige Wochen vor Landtagswahlen nicht der Versuchung erliegen, kleinkariert
parteipolitische Süppchen zu kochen, wie es der eine
oder andere gemacht hat. Dafür ist die Diskussion, so
finde ich, zu ernst.
Lieber Herr Kollege Claus, gerade vor dem Hintergrund der Attitüde, mit der Sie Ihre Rede gehalten
haben, muss ich sagen: Wenn ich einen Fraktionsvorsitzenden hätte, der so aufgetreten ist wie Ihr Fraktionsvorsitzender Lafontaine,
({0})
der uns Abgeordnete als Schweinebande und Plapperfritzen bezeichnet hat - eine schlimme Sprache - und der
damit - ich sage das hier sehr deutlich - bewusst auch
rechtsextremistische Stimmungen bedient hat,
({1})
dann würde ich erst einmal vor der eigenen Tür kehren.
Es wäre in dieser Debatte hilfreich gewesen - Herr
Claus, vielleicht nutzen Sie im Nachgang noch die Gelegenheit -, ein distanzierendes Wort zu Herrn Lafontaine
zu sagen. Das hätte auch zu dieser Debatte gehört.
Ich finde es richtig, dass Herr Annen darauf hinweist,
dass vor Ort viele eine gute Arbeit leisten. Ich hätte mir
auch gewünscht - das ist meine persönliche Meinung -,
dass die Landkreisverwaltung dort entschiedener vorgegangen wäre,
({2})
und zwar aus einem Grund: weil es sehr viele bzw., um
es nicht zu dramatisieren, eine Reihe von Fällen gibt, in
denen auf Schulhöfen, in Jugendklubs und Diskotheken
({3})
Neonazis versuchen, durch martialisches Auftreten
- auch durch Angstschüren - Stimmungen zu machen
und dort die Mehrheit zu erkämpfen.
({4})
Es gibt sehr tapfere Jugendklubleiter und Schulleiter, die
dagegen kämpfen.
({5})
Wenn diese Menschen zum Teil mit erheblichem persönlichen Risiko gegen solche Bestrebungen ankämpfen,
dann brauchen sie auch von allen staatlichen Stellen das
Zeichen, dass sie genauso mit vollem Einsatz entschieden gegen Rechtsextremismus kämpfen.
({6})
Ich habe vorhin gesagt, wir sollten bei dieser Debatte
keine parteipolitischen Süppchen kochen. Ich finde, dass
wir hier zu kurzsichtig über die zahlreichen Modellprojekte, was Rechtsextremismus angeht, geredet haben. Es
geht doch im Kern nicht darum, dass irgendjemand den
Sinn dieser Projekte infrage stellt, sondern darum, zu sehen oder, wie es so schön neudeutsch heißt, zu evaluieren, ob das, was wir machen, richtig ist und ob wir effektiv die Menschen, insbesondere die Jugendlichen,
erreichen, und zwar weiß Gott nicht nur in den neuen
Ländern. Wir können doch nicht auf Dauer, wie hier gesagt worden ist, jedes einzelne Projekt finanziell absichern. Es ist auch Aufgabe der kommunalen Jugendarbeit und Aufgabe von Kommunalpolitikern, nach den
vielen Jahren, in denen solche Modellprojekte unterstützt worden sind, zu entscheiden, ob sie sich bewährt
haben, ob sie fortgeführt werden sollen und ob man dafür Geld einsetzt. Um diese Überprüfung wird es in der
Zukunft gehen und um nichts anderes. Ich finde es deswegen nicht in Ordnung, der neuen Bundesregierung
oder dem zuständigen Ministerium zu unterstellen, sie
würden den Kampf gegen Rechtsextremismus nicht engagiert führen. Wir sollten uns solche Unterstellungen
ersparen.
({7})
Ich will die Arbeit von Sozialprojekten nicht infrage
stellen. Wir sollten uns aber schon fragen, ob das Dringendste, was die betroffenen Jugendlichen, die sich von
Neonazis vereinnahmen lassen, brauchen, ein Sozialarbeiter ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie einen Ausbildungsplatz und einen vernünftigen Lehrherren brauchen, der sich um sie kümmert.
({8})
Sie brauchen Sportvereine mit engagierten Übungsleitern, in denen sie die Erfahrung machen, dass man
Selbstbewusstsein und Anerkennung findet, wenn man
ordentliche sportliche Leistungen bringt, aber nicht
dann, wenn man rechte Sprüche reißt oder Leute mit Gewalt bedroht. Insofern ist ein Teil der Antwort auch:
Mancher Euro ist besser für einen Sportplatz angelegt als
hinterher für Sozialprojekte.
({9})
Wir müssen jetzt Überzeugungsarbeit leisten und gemeinsam bei dieser Debatte gerade gegenüber den Wählern in Sachsen-Anhalt deutlich machen, dass Protest1864
stimmen für Extremisten nichts bringen. Die DVU und
auch die NPD tun, wenn sie in den Parlamenten sitzen,
nichts für die Menschen, sondern halten unverschämte
Reden und bekämpfen sich innerparteilich gegenseitig.
Jede Stimme für diese Parteien ist eine verlorene
Stimme. In der kommenden Zeit geht es darum, das klar
zu machen.
Gegen Rechtsextremismus müssen Demokraten einig
kämpfen, couragiert und mit Rückgrat. Ich sage noch
einmal: Niemand sollte der Versuchung erliegen, dieses
Thema in Wahlkampfzeiten parteipolitisch zu vereinnahmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat nun das Wort
die Kollegin Kerstin Griese, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will auf einen Aspekt eingehen, der noch gar nicht so
ausführlich erwähnt wurde. Sie, Herr Grindel, haben
Projekte gegen Rechtsextremismus angesprochen. Man
muss sehen: In Halberstadt waren es gerade Jugendliche,
die sich für ein Konzert gegen Neonazis eingesetzt haben. Das war das erfolgreiche Ergebnis von pädagogischen Programmen, von der Arbeit mit Jugendlichen, die
sich dort für Toleranz und Demokratie engagiert haben.
Sie wollten mit diesem Konzert ein Zeichen gegen Neonazis, für Toleranz und Demokratie setzen.
Wer in Halberstadt versagt hat, war die Erwachsenenwelt:
({0})
Es war der Landrat. Die Erwachsenen haben eben keine
Vorbildfunktion ausgeübt. Ich bin wirklich der Überzeugung, dass der Ansatz, Jugendliche, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen, zu stärken, richtig ist.
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden,
Stephan Kramer, hat im Zusammenhang mit den Vorfällen in Halberstadt von einer Bankrotterklärung für die
Politik im Hinblick auf die NPD gesprochen. Er hat den,
wie ich finde, klugen Satz gesagt:
Wer den Aufstand der Anständigen fordert, sollte
zunächst selbst in den Spiegel schauen.
Das möchte ich dem Halberstädter Landrat von hier aus
gern sagen.
({1})
Gleichzeitig möchte ich aber auch ausdrücklich den
Jugendlichen, die sich in Halberstadt engagiert haben,
danken; denn sie haben versucht, ein Zeichen gegen
Neonazis zu setzen. Auch das ist über Halberstadt hinaus
bekannt geworden. Das sollten wir ebenfalls nicht vergessen.
Ich glaube, dass die Gleichsetzung eines NPD-Konzerts mit einem Konzert von Konstantin Wecker unzulässig ist.
({2})
Man kann nicht sagen: Das ist das Gleiche; das eine
steht gegen das andere. Auf den Konzerten dieser Partei
wird zum Beispiel verfassungsfeindliches Liedgut gespielt wird. Es gibt eine ganze Menge Möglichkeiten
- das zeigen viele Beispiele -, NPD-Konzerte zu verbieten.
({3})
Ich möchte noch etwas zu unseren Programmen gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sagen - in dieser Wahlperiode werden wir
sie wahrscheinlich „Programme für Vielfalt, Toleranz
und Demokratie“ nennen -: Wir haben bewusst den Ansatz gewählt, diejenigen Jugendlichen, diejenigen zivilgesellschaftlichen Kräfte zu unterstützen, die sich für die
Demokratie einsetzen. Ich glaube, es war ein erfolgreicher Ansatz. Die sehr wohl vorhandene Evaluation zeigt,
dass dort eine Wirkung erzielt worden ist, dass Beratungsstellen aufgebaut wurden, dass Menschen in ihrem
Engagement für Demokratie und Zivilgesellschaft unterstützt wurden.
Wir sehen, dass es gerade in den neuen Bundesländern - Frau Pieper, das ist keine Stigmatisierung der
neuen Bundesländer, sondern einfach die Realität wichtig war, dass dort neue Strukturen geschaffen wurden, weil es teilweise keine gewachsenen gab. Insbesondere die Opferberatungsstellen und die mobilen Beratungsteams leisten dort eine sehr gute und sehr wichtige
Arbeit.
({4})
Wir haben heute im Rahmen der Haushaltsberatungen
im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
unter anderem diese Programme beraten. Wir haben erfahren, dass es weitaus mehr Anträge auf Unterstützung
solcher Projekte gibt, als überhaupt bewilligt werden
konnten. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass sich
noch mehr Menschen für Demokratie und Toleranz einsetzen wollen.
Auch in Sachsen-Anhalt gibt es Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen, die Perspektiven für Jugendliche aufzeigen. Dort gibt es das Projekt „Courage zeigen“. Es gibt dort eine ganze Menge Ansätze, die wir
hier - auch mit unseren Debatten - unterstützen sollten.
In den neuen Bundesländern leben weniger Ausländerinnen und Ausländer als in Hamburg. Trotzdem ist die
Zahl der ausländerfeindlichen und rechtsextremen Straftaten dort höher. Dieses Problem sollte uns sehr nachdenklich machen. Angstzone bedeutet, dass sich Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Gesinnung dort
nicht mehr auf die Straße trauen. Wir dürfen in der Demokratie keine Angstzonen - diesen Begriff benutzt man
in der Wissenschaft; die Neonazis nennen es „national
befreite Zonen“; ich finde diesen Begriff ganz schlimm dulden; wir müssen uns gemeinsam dagegenstellen.
({5})
Wir, die CDU/CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion,
haben im Koalitionsvertrag gemeinsam festgehalten:
Wir wollen den Kampf gegen Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit, für Demokratie und Toleranz fortführen und auf Dauer verstetigen. Ich sage ganz deutlich: Auch wir als SPD-Fraktion stehen dazu; ja, wir
wollen den Kampf gegen den Rechtsextremismus verstetigen; wir sehen eindeutig, dass wir dort weiterhin einen
Schwerpunkt setzen müssen. Ich habe mit großer Zustimmung gelesen, dass Sie, Frau Kollegin Köhler, auch
in der aktuellen Ausgabe „Blickpunkt Bundestag“ unmissverständlich gesagt haben: Der Schwerpunkt muss
auf der Bekämpfung des Rechtsextremismus liegen;
denn von dort gehen eindeutig die größeren Gefahren
aus.
({6})
Ich sage deutlich, auch für uns als SPD-Fraktion: Wir
wollen trotz aller haushaltstechnischen Probleme eine
Lösung finden, bei der mobile Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen weiter bestehen können. Wir wollen gemeinsam überlegen, wie man das erreichen kann; denn wir wissen, dass - bei allen
haushaltstechnischen Problemen - diese Arbeit eine sehr
wichtige ist.
Wir wollen die Mittel für diese Projekte nicht kürzen
- das werden wir, denke ich, in der großen Koalition gemeinsam auch hinbekommen -, sondern versuchen, für
diese Arbeit Mittel in Höhe von 19 Millionen Euro zur
Verfügung zu stellen. Wir wollen das Programm gegen
Rechtsextremismus, Antisemitismus und Gewalt unter
dem Titel „Für Demokratie, für Toleranz, für Vielfalt“
fortführen; denn das ist die Zielrichtung, um die es geht.
Mir ist ganz wichtig, dass wir uns die Evaluation genau ansehen, um festzustellen, wo wirklich Arbeit nötig
ist. Wir haben gesehen, dass gerade die Beratungsteams
und die Opferberatungsstellungen ganz wichtig sind. In
der heutigen Zeit ist es ein, wie ich finde, wichtiges Signal in Richtung der Opferberatungsstellen, dass wir
diese Arbeit weiter unterstützen wollen.
Die Evaluation zeigt auch: Wenn man eine nachhaltige Wirkung haben will, braucht man eine Vernetzung,
eine gegenseitige Unterstützung der engagierten Bürgerinnen und Bürger sowie der Institutionen vor Ort, die
sich für Demokratie und Toleranz einsetzen, die gemeinsam Handlungsstrategien gegen rechtsextremes Gedankengut, gegen rechtsextreme Aufmärsche und gegen
rechtsextreme Konzerte erarbeiten. Vonseiten des Deutschen Bundestages sollten wir diese Menschen bei ihrem
Engagement, Gesicht gegen die Rechtsextremisten zu
zeigen, in aller Eindeutigkeit unterstützen.
Vielen Dank.
({7})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. März 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.