Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zur heutigen Sitzung des Deutschen Bundestages.
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, habe ich
Ihnen einige Mitteilungen zu machen. Insbesondere gab
es seit unserer letzten Sitzung eine Reihe von runden Geburtstagen, die wir nicht vollständig unerwähnt lassen
wollen. Die Kollegen Peter Rzepka und Dr. HansPeter Uhl haben ihre 65. Geburtstage gefeiert. Ihre
60. Geburtstage begingen die Kolleginnen und Kollegen
Jochen-Konrad Fromme, Susanne Jaffke-Witt,
Bartholomäus Kalb und - erst gestern - Wolfgang
Meckelburg. Bereits seinen 77. Geburtstag feierte der
Kollege Otto Schily. Im Namen des Hauses möchte ich
allen Kolleginnen und Kollegen auch auf diesem Wege
noch einmal alles Gute wünschen.
({0})
Der Kollege Dr. Lothar Bisky hat mit Wirkung vom
14. Juli auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
({1})
Dies war die unabweisbare Folge seiner Wahl in das Europäische Parlament.
({2})
Als Nachfolger begrüße ich sehr herzlich den Kollegen
Dr. Steffen Hultsch.
({3})
Weiterhin hat der Kollege Dr. Peter Jahr mit Wirkung
vom 14. Juli aus gleichem Grunde auf seine Mitglied-
schaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Für ihn gibt
es aufgrund der bekannten Regelungen bezüglich der
Verrechnung von Überhangmandaten keinen Nach-
rücker.
Gemäß § 93 b Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind
auf Vorschlag der Fraktionen deutsche Mitglieder des
Europäischen Parlaments zu berufen, die an den Sit-
zungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union teilnehmen können. Die Fraktio-
nen haben sich auf insgesamt 16 mitwirkungsberechtigte
Mitglieder des Europäischen Parlaments verständigt.
Davon entfallen auf die CDU/CSU sieben, auf die SPD
vier, auf die FDP und Bündnis 90/Die Grünen jeweils
zwei Mitglieder sowie auf die Linke ein Mitglied. Sind
Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 e
auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Ausweitung und Stärkung der Rechte
des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 16/13923 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({4})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Umsetzung der Grundgesetzänderungen für
die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon
- Drucksache 16/13924 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({5})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 16/13925 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({6})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bund und Ländern
in Angelegenheiten der Europäischen Union
- Drucksache 16/13926 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({7})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Nešković, Dr. Diether Dehm, Alexander
Ulrich, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({8})
- Drucksache 16/13928 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({9})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion das
Wort.
({10})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass wir
mitten im Sommer in einer Sondersitzung ein so volles
Plenum mit einer komplett besetzten Bank des Bundesrates und einer ähnlich komplett besetzten Bank der Regierung haben, verdanken wir zwei Umständen: erstens
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum
Lissabon-Vertrag, zweitens dem Willen, die in dieser
Entscheidung gemachten Vorgaben umzusetzen, damit
der Vertrag von Lissabon in Kraft treten und politische
Wirklichkeit werden kann.
({0})
Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind das gemeinschaftliche Werk der Fraktionen des Deutschen Bundestages. Ich möchte mich für die Koalitionsfraktionen bei
der Fraktion der FDP, Herr van Essen, und bei den Grünen für ihre konstruktive Mitarbeit ausdrücklich bedanken. Auch die Linkspartei war eingeladen. Sie war auch
immer da, hat aber nie etwas gesagt,
({1})
sodass ich keinen Dank aussprechen kann.
Mit den heutigen Entwürfen schaffen wir die Voraussetzungen dafür, den Vertrag von Lissabon umzusetzen.
Die Begleitgesetze sind notwendig, damit der Vertrag
zügig ratifiziert werden kann. Das ist für uns von fundamentaler Bedeutung. Europa ist nicht irgendein Projekt
irgendeiner Regierung. Europa und das Bekenntnis
zur europäischen Einheit sind die Staatsräson der jungen Bundesrepublik vor 60 Jahren, als das Grundgesetz
entstand.
({2})
Dafür gibt es heute noch sehr gute Gründe. Ich
möchte nur drei wichtige nennen: Frieden, Globalisierung und wirtschaftliche Prosperität.
Erstens: Frieden. Im Grundgesetz stehen viele gute
Gedanken, aber der stärkste Gedanke, der das Grundgesetz prägt, findet wohl Ausdruck in der geglückten Formulierung in der Präambel. Dort heißt es, dass wir Deutschen als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten
Europa dem Frieden der Welt dienen wollen. Ich glaube,
die Europäische Union ist heute immer noch die beste
Voraussetzung dafür, dass Krieg und Nationalismus in
Europa dauerhaft überwunden werden.
({3})
Zweitens: Globalisierung. Wir müssen uns darüber
im Klaren sein, dass wir Europa brauchen, wenn wir die
deutschen Interessen in der Welt angemessen vertreten
wollen. Das geht im Zeitalter der Globalisierung nur
noch über die Europäische Union. Selbst die großen Mitgliedsländer sind in Weltpolitik und Weltwirtschaft allenfalls Mittelgewichte; das gilt auch für Deutschland.
Nur gemeinsam können wir ein Schwergewicht bilden.
Nur gemeinsam sind wir, wie es Habermas formuliert
hat, ein global verhandlungsfähiges Regime, das in der
Lage ist, die prioritären globalen Probleme anzugehen:
freie Weltwirtschaftsordnung, faire Weltwirtschaftsordnung, Menschenrechte, internationale Sicherheit, Klimaschutz, schonender Umgang mit knappen Ressourcen
und nicht zuletzt Verteidigung der sozialen Marktwirtschaft gegen die geldgierigen Machenschaften auf den
internationalen Finanzmärkten.
Drittens: Wohlstand. Unsere wirtschaftliche Prosperität profitiert in ganz erheblichem Umfang von dem gemeinsamen Markt. Der EU-Binnenmarkt bietet mit fast
500 Millionen Menschen den größten zusammenhängenden Wirtschaftsraum der industrialisierten Welt.
2008 haben deutsche Unternehmen Waren im Wert von
635 Milliarden Euro in europäische Länder ausgeführt.
Das sind fast zwei Drittel unserer Exporte. Die Aufträge
aus ganz Europa bedeuten viele hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland.
Das Grundgesetz will das vereinte demokratische und
soziale Europa.
({4})
Art. 23 sieht ganz konkret vor, dass Hoheitsrechte des
Bundes auf die Europäische Union übertragen werden
können. Genau das geschieht mit dem Vertrag von Lissabon. Er überträgt - deutsche - Staatsgewalt auf die europäische Ebene. Der Vertrag bewirkt, dass in Brüssel
Recht gesetzt werden kann, das in ganz Europa gilt. Dieses Recht ist dann auch verbindlich für die Bürgerinnen
und Bürger hier in Deutschland. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzt an dieser Stelle an und stellt
klar: Der Vertrag als solcher hält sich im Rahmen des
Grundgesetzes. An der Entscheidung des Deutschen
Bundestages vom April 2008 für den Lissabon-Vertrag
wird nicht gerüttelt.
Weil das Grundgesetz die Integration will, gilt der
Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit. Diesen
Grundsatz hat das Verfassungsgericht noch nie so deutlich formuliert wie in diesem Urteil. Er ersetzt aber nicht
die Mitwirkung des Bundestages, wenn es darum geht,
die Kompetenzen der Europäischen Union zu erweitern
oder die Abstimmungsregeln zu verändern. Der Vertrag
ist insoweit auf eine dynamische Entwicklung angelegt.
Dafür gibt es gute Gründe.
So verhindert der schrittweise Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip zum Prinzip der qualifizierten
Mehrheitsentscheidungen, dass in einem Europa der
27 nicht immer der Langsamste das Tempo bestimmen
kann. Auf der anderen Seite verliert die Bundesregierung damit aber auch ihr Vetorecht gegen europäische
Entscheidungen. Für das Gericht ist dieser Vorgang von
so gravierender Bedeutung, dass es festlegt, dass der
Bundestag in einem solchen Fall vorher, wie bei einer
Vertragsänderung, der Veränderung von Abstimmungsregeln zustimmen muss.
Änderungen der vertraglichen Grundlagen gehen
also nicht ohne Beteiligung des Bundestages. Der Bundestag muss gefragt werden, und zwar nicht erst im
Nachhinein. Das betrifft natürlich auch den Bundesrat,
und zwar immer dann, wenn die Länder betroffen sind.
Das Parlament muss die Änderungen im europäischen
Vertrag in jedem Einzelfall ausdrücklich erlauben. Nachträgliches Abnicken reicht nicht. Ansonsten darf die
Bundesregierung in Brüssel nicht zustimmen.
Die neuen Rechte des Bundestages haben wir Punkt
für Punkt gesetzlich geregelt. Das Integrationsverantwortungsgesetz, in dem das alles steht, war gewissermaßen unser Pflichtprogramm. Aber wir haben es nicht bei
der Pflicht belassen, sondern uns auch den Normalbetrieb im Europäischen Parlament angeschaut, also den
europäischen Alltag und die ganz normale Mitwirkung
von Bundestag und Bundesrat bei der Setzung von europäischem Recht. Das war bisher alles in einer Vereinbarung geregelt. Diese Vereinbarung bekommt jetzt die
Form eines verbindlichen Gesetzes. Das ist ein Fortschritt. Die Vorhaben der Europäischen Union werden
dort im Einzelnen definiert. Über diese Vorhaben muss
die Bundesregierung jeweils umfassend informieren.
Der Bundestag hat jeweils das Recht, Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme hat die Bundesregierung zugrunde zu legen, wenn in Brüssel verhandelt wird. Sie
kann aber aus wichtigen außen- und integrationspolitischen Gründen eine abweichende Entscheidung treffen.
Trifft sie abweichende Entscheidungen, dann ist sie dem
Bundestag gegenüber allerdings voll rechenschaftspflichtig. Der Bundestag kann jederzeit eine Debatte
darüber verlangen. Man kann das auf die Formel bringen: uneingeschränktes Verhandlungsmandat nach außen, volle Rechenschaftspflicht nach innen. Ich glaube,
das ist eine ausgewogene Lösung, die den unterschiedlichen Funktionen von Regierung und Parlament im Rahmen der Entscheidungsfindung im Europäischen Parlament gerecht wird.
({5})
Ich bin froh darüber, meine Damen und Herren, dass
wir die Versuche aus Bayern abgewehrt haben, die Bundesregierung am Brüsseler Verhandlungstisch mit imperativen Mandaten zu knebeln.
({6})
Die Konsequenz wäre gewesen, dass Deutschland als
größter Mitgliedstaat in der Europäischen Union den geringsten Einfluss auf Entscheidungen gehabt hätte; denn
es ist völlig klar: In schwierigen Situationen muss die
Regierung Verhandlungen aktiv gestalten können und
darf nicht darauf beschränkt werden, nur Parlamentsvorbehalte zu Protokoll zu geben.
({7})
Mit dem heutigen Gesetzespaket werden wir die Voraussetzungen für eine zügige Ratifikation schaffen. Ein
zusätzlicher Entschließungsantrag ist nach Meinung
meiner Fraktion entbehrlich.
({8})
Insbesondere werden wir nicht den Weg gehen, über eine
Resolution im Deutschen Bundestag europapolitische
Zweifel zu säen und den Vertrag nachträglich zu diskreditieren.
({9})
Völlig abwegig ist der Gedanke der CSU zum völkerrechtlichen Vorbehalt. Das geht schon aus rechtlichen
Gründen nicht, Herr Ramsauer.
({10})
Im Völkerrecht ist es nämlich so wie auch sonst im Vertragsrecht: Ein Vorbehalt bewirkt, dass ein Staat den Vertrag zwar grundsätzlich akzeptiert, dabei aber die
Rechtswirkungen einzelner, konkret benannter Vertragsbestimmungen ausschließt oder ändert.
({11})
Da das Bundesverfassungsgericht den Lissabonner Vertrag aber gar nicht beanstandet hat, gibt es gar keinen
Grund für einen völkerrechtlichen Vorbehalt.
({12})
Herr Ramsauer, stellen Sie sich einmal vor, alle
27 Mitgliedstaaten würden völkerrechtliche Vorbehalte
geltend machen.
({13})
Dann hätten wir ein komplett zersplittertes europäisches
Vertragsrecht und rechtlich gesehen ein babylonisches
Europa.
({14})
Das wird es mit uns nicht geben.
({15})
Herr Kollege Oppermann, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Der Vertrag selbst wird vom Bundesverfassungsgericht gar nicht beanstandet.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht beanstandet lediglich die
innerstaatliche Umsetzung des Vertrages. Hier nehmen wir gerade Reparaturen vor. Es gibt also auch keinen Grund, nach der Reparatur auf den Zustand vor der
Reparatur hinzuweisen. Wenn die Union dies trotzdem
tut, dann ist ihre Absicht leicht durchschaubar: Der Vertrag soll als verfassungsrechtlich makelhaft oder grenzwertig und die EU als eine Veranstaltung im verfassungsrechtlichen Graubereich erscheinen. Dafür gibt es
aber keinen Grund. Deshalb machen wir Sozialdemokraten das nicht mit.
({1})
Herr Kollege Oppermann, denken Sie an die Bewirtschaftung der Redezeit?
Ich komme zum Schluss. - Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass ich in diesem Sommer mit Ihnen
auch gern darüber verhandelt hätte, Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volksentscheide als ErgänThomas Oppermann
zung zur parlamentarischen Gesetzgebung ins Grundgesetz aufzunehmen.
({0})
Im Angebot waren aber nur Vorschläge zur Einführung
von Plebisziten gegen den EU-Beitritt neuer Mitgliedstaaten, vorgelegt von der Linkspartei und der CSU.
({1})
Im Vordergrund steht dabei ganz sicher nicht das Ziel,
den Bürgern mehr Mitsprache bei staatlichen Entscheidungen einzuräumen, sondern es geht um die Mobilisierung politischer Ressentiments, scheinheilige Demokratieangebote und diskriminierende Plebiszite. Es ist gut,
dass wir diese Vorschläge nicht übernommen haben.
({2})
Meine Schlussbemerkung. Ich bin froh darüber, dass
wir diese Gesetzentwürfe gemeinsam erarbeitet haben.
Ich wünsche uns eine gute Beratung und hoffe sehr, dass
am Ende eine große Mehrheit dieses Hauses für die vorliegenden Gesetzentwürfe stimmen wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Jörg van Essen,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Erfreulichste an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist: Der Vertrag von Lissabon ist verfassungsgemäß.
({0})
Das kann man nicht oft genug unterstreichen, weil immer wieder andere Behauptungen in die Welt gesetzt
worden sind.
({1})
Im Hinblick auf das Begleitgesetz hat uns das Bundesverfassungsgericht allerdings Aufgaben gegeben.
Wie immer, wenn Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht werden, gibt es sehr viel Zustimmung. Es wird festgestellt, dass das, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, richtig ist. Das
habe auch ich getan, weil ich mich insbesondere darüber
gefreut habe, dass der Deutsche Bundestag im Bereich
des Strafrechts, meines engeren Arbeitsgebiets, in Zukunft intensiver als bisher wird mitreden können. Denn
manche Vorlagen, die wir in den letzten Jahren im Bereich des Strafrechts aus Brüssel bekommen haben, wären vom Deutschen Bundestag sicherlich nicht in dieser
Form verabschiedet worden.
({2})
Es hat allerdings auch eine sehr kritische Stimme zum
Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben. HansDietrich Genscher hat in einer Rede in Leipzig, wie ich
finde, sehr nachdenklich und sehr nachlesenswert - ich
kann Sie alle nur einladen, das einmal nachzulesen darauf hingewiesen, dass die Präambel des Grundgesetzes - der Kollege Oppermann hat sie vorhin schon
zitiert -, in der es heißt, dass wir als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der
Welt dienen sollen, ein Verfassungsauftrag ist, und
zwar ein unbeschränkter Verfassungsauftrag und nicht
lediglich, wie es das Bundesverfassungsgericht ausgelegt hat, eine beschränkte Ermächtigung. Dies hat die
FDP-Bundestagsfraktion in den Verhandlungen zur Korrektur des Begleitgesetzes zugrunde gelegt. Wir wollen
Europa verbessern; aber wir wollen es nicht beschädigen.
({3})
Ich denke, das muss unser aller Ziel sein. Ich glaube,
dass es uns gelungen ist, genau dieses Ziel zu erreichen.
Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben mit einigem
Erstaunen gesehen, welche Maximalforderungen erhoben worden sind und dass einige politische Kräfte in unserem Land Europa offensichtlich nicht wollen. Für uns
ist völlig klar, dass wir das, was das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat, umsetzen wollen und umsetzen müssen.
Natürlich gibt es Dinge, die man sich darüber hinaus
wünscht. Auch bei uns gibt es entsprechende Wünsche
- das will ich gar nicht verschweigen -, nämlich den,
dass alles das, was mit Europa zu tun hat, in einem eigenen Europagesetz zusammengefasst wird, damit man
einen vernünftigen Überblick bekommt, was dort gilt.
Aber das konnte man zum Schluss dieser Legislaturperiode natürlich nicht schaffen. Von daher war es vernünftig, sich einen Plan vorzunehmen, der letztendlich in einer, wie ich finde, sehr vernünftigen Zusammenarbeit
von vier Fraktionen umgesetzt worden ist.
Für uns war es im Übrigen auch wichtig, das eine
oder andere, was das Bundesverfassungsgericht nebenbei angemerkt hat, in eine sichere Form zu gießen. Da ist
insbesondere das Beteiligungsgesetz zu nennen. Bisher
gab es nur eine unverbindliche Vereinbarung zwischen
der Bundesregierung und dem Bundestag. Jetzt haben
wir eine gesetzliche Grundlage dafür. Das ist gut und
richtig so.
Ich will aber auch einige kritische Bemerkungen machen. Die neuen gesetzlichen Grundlagen, die wir jetzt
schaffen, geben uns als Bundestag zusätzliche Möglichkeiten, aber - ich unterstreiche das - auch Pflichten;
denn so, wie wir es bisher gehandhabt haben, ist es ganz
offensichtlich noch nicht europatauglich. Wir haben ein
paar Schritte unternommen, die gut und richtig waren,
etwa die Einrichtung des Verbindungsbüros in Brüssel;
aber zu viele Ausschüsse beschäftigen sich noch zu wenig mit dem, was in Brüssel passiert. So wie wir die normale Gesetzgebungsarbeit für Bundesgesetze als Aufgabe der Ausschüsse betrachten, so muss es in Zukunft
selbstverständlich werden, dass das, was an europäischer
Gesetzgebung in Brüssel geschieht, auf die Tagesordnung der jeweiligen Ausschüsse kommt.
({4})
Meine zweite Bemerkung - für mich ebenfalls eine
ganz wichtige Baustelle -: Das Verhältnis zwischen
Europäischem Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht bleibt ungeklärt. Das wird zu Konflikten führen.
Auch das muss einer vernünftigen Lösung zugeführt
werden. Das wird nicht einfach sein, weil wir ja tagtäglich merken, wie gut es ist, dass wir das Bundesverfassungsgericht haben.
({5})
Das soll keine Kritik am Bundesverfassungsgericht sein;
aber das Verhältnis zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht muss geklärt werden. So wie es selbstverständlich ist, dass Auslegungen des Amtsgerichts in Tutzing oder wo auch immer die Bundespolitik nicht binden
können, so muss es eine klare Kompetenzverteilung zwischen diesen beiden Gerichten geben.
Meine dritte Bemerkung betrifft den Bundesrat. Es
ist völlig klar, dass der Bundesrat, die Länderkammer, in
den parlamentarischen Prozess eingebunden sein muss.
Aber wer das Urteil des Bundesverfassungsgerichts richtig liest, der sieht, wie sehr es dem Bundesverfassungsgericht auf die parlamentarische Kontrolle ankommt.
Wenn die Zuständigkeit der Länder betroffen ist, dann
dürfen nicht nur die Landesregierungen beteiligt werden,
sondern dann sind die Länder auch in der Pflicht, die
Landtage entsprechend einzubinden.
({6})
Auch die Europafähigkeit der Landtage muss verbessert
werden; auch das ist ein Punkt, den ich ausdrücklich als
Baustelle bezeichnen möchte.
Ich habe deutlich gemacht, dass wir als FDP für den
Prozess der europäischen Einigung sind. Unser Land hat
wie kaum ein anderes Land von der europäischen Einigung profitiert. Es wird auch davon profitieren, dass sich
unser Parlament intensiver in die europäischen Gesetzgebungsprozesse einbindet. Die Gesetze, die heute in
erster Lesung beraten werden, sind eine gute Grundlage
dafür. Wir werden uns an dem Beratungsprozess weiter
konstruktiv beteiligen.
Herzlichen Dank an alle, die bisher verhandelt haben!
Herzlichen Dank an die Bundestagsverwaltung, die ganz
hervorragende Arbeit geleistet hat!
Vielen Dank.
({7})
Dr. Norbert Röttgen ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist schon gesagt worden: Vier Fraktionen - also ein breiter Konsens im Haus, an dem auch alle vier Fraktionen
interessiert waren - bringen heute Gesetze ein, um eine
stärkere Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates in europäischen Angelegenheiten zu verwirklichen.
Einzelheiten der Regelungen, auf die wir uns verständigt haben, sind schon dargestellt worden. Ich möchte
nicht so sehr die Einzelheiten, die zum Teil sehr technisch sind, darstellen, sondern den aus meiner Sicht
wichtigsten Zusammenhang beleuchten: das, was diese
Gesetzgebung und diese Thematik politisch macht.
Manches, was wir gemacht haben, klingt vielleicht sehr
technisch. Im Kern ist das, was wir mit dieser Gesetzgebung regeln, aber eine grundlegende, eminent politische
Frage; denn es geht um die Grundsatzfrage: Wie ist das
Verhältnis zwischen Nationalstaaten und europäischer Integration? Diese Grundsatzfrage hat die europäische Integration immer begleitet. Ich finde es ganz
bezeichnend, dass sie in unserer Zeit wieder aufgeworfen wird. Das verdeutlicht nämlich, wie aktuell die europäische Integration auch heute ist.
Ich halte es auch für richtig, dass wir die Kontroverse
um dieses Verhältnis, die in unserem Land geführt wird
- und zwar in der Bevölkerung wie in der Fachwelt -,
hier nicht ignorieren, sondern dass wir sie austragen. Ich
möchte uns und auch mich in dieser Grundsatzfrage
positionieren. Die eine Position zu diesem Verhältnis ist:
Wir haben nach all den Jahren und Jahrzehnten ein Maß
und eine Intensität an europäischer Integration erreicht,
die dazu zwingen, ein Stoppschild für die europäische
Integration zu fordern. Der Nationalstaat müsse sich behaupten gegen europäische Eroberung. Die andere Position lautet: Der Nationalstaat ist im Zeitalter der Globalisierung in Wahrheit nicht mehr zeitgemäß, und die
Aufgabe, die wir im Rahmen von europäischer Integration erfüllen wollen, ist in Wahrheit die Überwindung
des Nationalstaates, den wir nicht mehr für zeitgemäß
halten.
Ich finde, ganz bezeichnend für beide Auffassungen
ist, dass sie ein ziemlich ähnliches Verhältnis zur Rolle
des Parlamentes haben: Beide Extrempositionen sehen
das Parlament in diesem Prozess im Wesentlichen als einen Störfaktor an. Die einen wollen das Parlament einsetzen, um Sand ins Getriebe der europäischen Integration zu streuen, und die anderen sehen das Parlament
tatsächlich als Störfaktor bei der Überwindung des Nationalstaates an. Es ist bezeichnend, dass sich diese Positionen in der Einschätzung des Parlamentes treffen.
Diese Geringschätzung des Parlamentes aus der Sicht
beider Positionen ist ein starkes Argument dafür, dass
beide Positionen grundlegend falsch sind. Nach meiner,
nach unserer tiefen Überzeugung ist vielmehr eine andere Position zum Verhältnis von Nationalstaat und Europäischer Union, von Deutschland und EU richtig:
Deutschland und Europa, der Nationalstaat und Europa
sind wechselseitig und - im Sinne des Wortes - existenziell voneinander abhängig.
({0})
Dieses Verhältnis ist dadurch gekennzeichnet, dass keiner ohne den anderen kann.
Um es aus der Sicht des Nationalstaates zu sagen: Auf
viele Fragen - darunter auf die wichtigsten Fragen unserer Zeit - gibt es keine nationale Antwort mehr. Wer
daran noch einen Zweifel hatte, der kann ihn doch jetzt
angesichts der Finanzmarktkrise wirklich nicht mehr haben. Entweder unterliegen die Kapitalmärkte internationalen Regeln, oder wir werden scheitern, wenn wir
versuchen, die Kapitalmärkte einer Ordnung zu unterwerfen.
({1})
Genauso ist es bei Fragen der Sicherheit und der Verteidigung, etwa gegen internationalen Terrorismus - darauf gibt es keine nationalen Antworten -, des Klimaschutzes und auch der Handelspolitik. Wesentliche Fragen unserer Zeit sind nicht mehr durch nationale Politik
zu beantworten; vielmehr ist es so, dass die europäische
Integration, die Verbindung mit anderen europäischen
Staaten unser Weg ist, unsere nationale Souveränität, unsere nationalen Interessen zur Geltung zu bringen. Darum darf der Nationalstaat in der europäischen Integration keine Bedrohung sehen; die europäische Integration
ist vielmehr die entscheidende Möglichkeit, in der Globalisierung nationale Interessen zu vertreten. Das ist unser Verständnis des Verhältnisses von Nationalstaat und
europäischer Integration.
({2})
Aber genauso wie der Nationalstaat Europa braucht,
wenn er souverän handeln, Probleme lösen will, braucht
Europa den Nationalstaat. Die europäische Integration ist
ohne die Verwurzelung in Regionen, ohne die kulturelle
Identität, die durch Nationen vermittelt wird, ohne die
demokratische Auseinandersetzung und Legitimation,
die in den Nationalstaaten, in den Mitgliedstaaten, stattfindet, nicht denkbar und von keinem vernünftigen Menschen gewollt. Darum braucht Europa den Nationalstaat,
die Mitgliedstaaten, also alles, wo sozialer Zusammenhalt, kulturelle Identität und demokratische Legitimation
stattfinden. Auch Europa braucht den Nationalstaat und
ist nicht denkbar, nicht lebensfähig ohne Mitgliedstaaten.
({3})
Wenn man sich bewusst macht, dass dieser Zusammenhang, dass eine Seite ohne die andere nicht kann, ein
wirklich existenzieller ist, dann führt kein Weg an der
Erkenntnis vorbei, dass unsere öffentliche innenpolitische Debatte unter einem erheblichen Defizit leidet. Wir
müssen dann feststellen, dass wir über diesen Teil der
Politik zu wenig debattieren. Auch wir selber müssen
uns das, glaube ich, bewusst machen, und zwar nicht,
weil es zum guten Ton gehörte, als weltoffener Mensch,
als weltoffene Parteien und Fraktionen über Europa zu
debattieren, sondern, weil es ein wesentlicher Teil der
politischen Gestaltung der Wirklichkeit ist, weil es ein
wichtiger Teil unserer nationalen Interessenvertretung
ist.
Wenn wir das so sehen, dann, glaube ich, müssen wir
den Schluss ziehen, dass Europa nicht weit weg ist, sondern dass wir europäische Gesetzgebung, europäische
Politik als einen Teil von Innenpolitik verstehen und darum zu einem Teil der innenpolitischen Debatte machen
müssen. Das muss das Ziel sein, und in dem Kontext ist
diese Gesetzgebung zu sehen, weil sie die Verknüpfung
der politischen Debatte in Deutschland, im Inland, mit
den Entscheidungen, die in Brüssel und in Europa fallen,
herstellt.
({4})
Das ist der Mechanismus, den wir an einer bestimmten Stelle einführen. Er ist schon beschrieben worden.
Ich glaube, dass wir mit dem Gesetz über die Ausweitung der Rechte dem Urteil des Verfassungsgerichts
Rechnung tragen. Wir haben uns sehr an das Verfassungsgericht angelehnt. Wir sind an manchen Stellen
auch über das, was das Verfassungsgericht verlangt hat,
hinausgegangen, etwa bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik. Als das wichtigere Gesetz, den Schwerpunkt sehe auch ich das Zusammenarbeitsgesetz, weil es
dem Parlament die politische Debatte ermöglicht, weil
es im Grunde umfassende, frühzeitige, fortlaufende Information des Parlaments in allen Angelegenheiten ermöglicht, weil es dem Parlament das Instrument an die
Hand gibt, seine Meinung zu bilden, die Debatte zu führen, sich zu positionieren und auch in einen Dialog mit
der Regierung darüber einzutreten, wie europäische
Politik stattfindet - und das nicht, nachdem die Würfel
gefallen sind, sondern in der Gestaltung europäischer
Politik hier im Parlament.
Dieses Gesetz gibt uns aber erst einmal nur Möglichkeiten an die Hand. Es verändert noch nicht die Wirklichkeit. Es verändert die Rechtslage. Aber das Entscheidende müssen wir dann im Parlament tun. Wir müssen es
mit politischem Leben erfüllen. Wir müssen dafür sorgen, dass, wenn wir vom Motor der europäischen Integration sprechen und unser Land meinen, damit nicht
nur die Regierung meinen - natürlich und zuvörderst
auch -, sondern auch das Parlament. Auch wir müssen
uns dieses Selbstverständnis, Motor der europäischen In26258
tegration zu sein, zu eigen machen und dürfen es nicht
auf die Regierung delegieren.
({5})
Ein Weiteres. Ich glaube, dass wir über den Aspekt,
dass die europäische Integration der demokratischen Akzeptanz bedarf, reden müssen, weil sie in unserem existenziellen Interesse ist. Wir wollen doch kein Europa der
Regierungen, sondern wir wollen ein Europa der Bürger.
Darum muss es Teil der Debatte sein. Genauso sehr ist es
aber auch ein Beispiel dafür - die Bundeskanzlerin hat
diesen Gedanken gestern auf der Geburtstagsfeier der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Bonn geäußert -, dass
die Gestaltung der Globalisierung - ({6})
- Das zeigt, dass Sie, auch wenn es um elementare Interessen dieses Landes geht, nur in dem kleinsten Karo
denken können. Das ist bezeichnend für Sie, und sagt alles darüber aus, welchen politischen Schwerpunkt, welche politischen Interessen Sie haben.
({7})
Aus unserer Sicht bildet Europa den wichtigsten Teil
bei der Gestaltung der Globalisierung. Das heißt aber
auch, dass es bei diesem Teil der Gestaltung nicht zur
Entparlamentarisierung kommen darf. Das darf und wird
keine rein exekutive Veranstaltung werden. Diese Prozesse, die Erarbeitung und Durchsetzung einer Weltordnung, müssen von einer demokratischen Debatte begleitet und demokratisch legitimiert werden. Auch dafür
steht diese Gesetzgebung. Die neue Daueraufgabe - sie
wird uns lange begleiten -, die Globalisierung demokratisch, sozial und human zu gestalten, ist nach unserem
Selbstverständnis eine Aufgabe aller Demokraten, insbesondere der Parlamente. Es darf keine Entparlamentarisierung bei der Gestaltung der Globalisierung geben.
Vielmehr muss sich das Parlament als die Vertretung des
Volkes dieser Aufgabe stellen.
Ich glaube, wir leisten mit den Gesetzen, die wir
heute in den Bundestag einbringen, einen Beitrag dazu,
dass die Europapolitik, die europäische Antwort auf die
Globalisierung und die Beteiligung an der Gestaltung einer Weltordnung, hier im Parlament öffentlich stattfinden. Damit besteht die Chance, dass das Akzeptanz bei
den Bürgern findet. Das streben wir mit dieser Gesetzgebung an.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Oppermann, Sie haben darauf hingewiesen, dass wir diese Debatte dem Bundesverfassungsgericht verdanken. Der Vollständigkeit halber hätten Sie
darauf hinweisen sollen, dass das Bundesverfassungsgericht ohne die Linksfraktion gar nicht das Urteil hätte
fällen können.
({0})
Deshalb verdanken wir die Debatte auch uns und - das
vergessen wir doch nicht - einem einzelnen Abgeordneten aus einer anderen Fraktion.
Herr van Essen, Sie haben gesagt, der Vertrag von
Lissabon sei durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Das stimmt, allerdings mit einer neuen, sehr
eigenständigen und verbindlichen Interpretation, die hier
vorher überhaupt nicht so gegolten hat. Das ist die entscheidende Veränderung.
({1})
Jetzt sage ich Ihnen, was das eigentliche Problem ist:
Alle vier Fraktionen - Union, SPD, FDP und Grüne haben den Vertrag von Lissabon natürlich so angenommen, wie er war. Es gab keine Bedenken; es hat Sie
überhaupt nicht bewegt, dass die Rechte des Bundestages und des Bundesrates eingeschränkt worden wären.
Nur wir sind deshalb vor das Bundesverfassungsgericht
gezogen. Jetzt haben der Bundestag und der Bundesrat
mehr Rechte. Dafür könnten sich eigentlich beide Gremien bei uns bedanken. Letztlich haben Sie das nämlich
uns zu verdanken.
({2})
- Ich weiß ja, dass sie das nicht machen.
Ich füge eines hinzu: Die Konsenssoße der vier erwähnten Fraktionen ist eines der Probleme, mit denen
wir es jetzt zu tun haben. Das gilt nicht nur für den Vertrag von Lissabon. Denken Sie an den Krieg in Afghanistan: Hier stimmen alle vier Fraktionen überein. Nur
wir sagen: Mittels Krieg kann man niemals wirksam Terror bekämpfen. Denken Sie an die Rente ab 67: Alle vier
Fraktionen sagen, dass müsse wegen der Demografie so
sein. Wir sagen, dass ganz andere Reformen denkbar
sind. Ich kann auch über die Agenda 2010 und über
Hartz IV reden. Hartz IV ist demütigend und gleichmachend.
({3})
Da sind sich alle vier Fraktionen einig. Nur wir haben
eine andere Auffassung.
({4})
Ich will Ihnen etwas sagen: Was für Lissabon gilt, das
gilt auch hier. Alle vier Fraktionen sind sich auch darüber einig, dass sie keine Vermögensteuer wollen,
({5})
zumindest keine regelmäßige, sondern die Grünen nur
eine einmalige.
Das ist ein Problem für unsere Gesellschaft. Ich
glaube, wir brauchen mehr Auseinandersetzung. Deshalb ist es wichtig, dass auch durch das Begleitgesetz,
das so weit zum Teil in Ordnung ist, endlich die Rechte
des Bundestages und des Bundesrates in Bezug auf die
Europäische Union erweitert worden sind.
Übrigens hat sich Klaus Wowereit so sehr darüber
aufgeregt, dass er sich im Bundesrat der Stimme enthalten musste, und zwar nur, weil unsere Senatoren das verlangt haben. Jetzt könnte er doch einmal Danke sagen.
({6})
Nur unseretwegen ist er der einzige Landesregierungschef, der einem verfassungswidrigen Gesetz nicht zugestimmt hat.
({7})
Nun komme ich zur Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie haben Herrn Genscher zitiert. Joschka Fischer von den Grünen hat gesagt,
({8})
er käme sich, wenn er das Urteil liest, so vor wie bei einer Sitzung der konservativen Fraktion in Großbritannien. Das ist sehr interessant, denn der Vizepräsident des
Bundesverfassungsgericht, Andreas Voßkuhle, hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung dazu Stellung genommen. Diplomatisch meinte er, zu dem Satz
sage er nichts; aber so viel würde er schon sagen: „Ein
Europa der Eliten wird kaum die Basis für die Zukunft
sein.“
({9})
Im Kern ist das der Unterschied. Ihre vier Fraktionen
wollen ein Europa der Eliten, und wir wollen ein Europa der Bevölkerungen, der Bürgerinnen und Bürger.
Das ist im Kern der Unterschied.
({10})
Ich werde es Ihnen belegen. Sie kommen gar nicht darum herum. Es gab einen Verfassungsentwurf.
({11})
Zwei Völker, nämlich die Völker der Niederlande und
Frankreichs, haben den Verfassungsentwurf abgelehnt.
Was war Ihre Schlussfolgerung? Ihre Schlussfolgerung
hätte doch sein müssen: Wir schreiben eine Verfassung,
die von allen Völkern mehrheitlich akzeptiert wird.
({12})
Ihre Schlussfolgerung war aber: Dann schreiben wir
doch etwas auf, was so ähnlich ist, und fragen die Völker
nicht mehr. - Das war Ihre Schlussfolgerung. Die Ausnahme ist Irland, wo das nicht geht.
({13})
Da gab es wieder eine Mehrheit für Nein. Glauben Sie
mir: Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Ich will die europäische Integration wirklich nicht
weniger als Sie.
({14})
Ich weiß, was das für den Frieden bedeutet. Aber ich
sage Ihnen: Das geht niemals angesichts der Ängste, die
gegenwärtig herrschen. Wir müssen die Bürgerinnen und
Bürger mitnehmen; wir brauchen kein Europa der Eliten.
({15})
Sie haben bei dem Begleitgesetz drei Punkte nicht beachtet, was zu den Differenzen mit uns führt. Der erste
ist: Sie haben ausdrücklich festgelegt, dass die Bundesregierung an Stellungnahmen des Bundestages nicht
gebunden ist, wenn sie aus außen- oder integrationspolitischen Gründen meint, sich darüber hinwegsetzen zu
müssen. Meines Erachtens ist das ein völlig falsches
Verhältnis von Parlament und Regierung. Wenn wir eine
Stellungnahme abgeben, muss das für die Regierung
verbindlich sein.
({16})
Der zweite Punkt betrifft die Frage der EU-Rechtsetzung
- das ist etwas kompliziert; das weiß ich; ich mache es
ganz kurz - außerhalb des Art. 23 des Grundgesetzes.
Sie sehen nicht vor, dass der Bundestag auch nur mitentscheiden kann. Ich halte das auch bei dieser Art von EURechtsetzung für ganz wichtig, um die Integration zu befördern und ihr nicht zu schaden, um die Bürgerinnen
und Bürger mitzunehmen, damit es aufhört, dass jede
zweite Bürgermeisterin und jeder zweite Bürgermeister
sich mit EU-Recht herausredet, wenn es um soziale und
andere Fragen geht. Genau das können wir nicht gebrauchen, wenn wir die europäische Integration wollen.
({17})
Auch der dritte Punkt ist spannend: das verfassungsrechtliche Verfahren zur Prüfung der Übereinstimmung
von EU-Recht mit dem Grundgesetz. Da hat das Bundesverfassungsgericht sogar empfohlen, eventuell das
Grundgesetz zu ändern. Den einzigen Vorschlag dazu
unterbreiten wir. Sie lehnen das zumindest zurzeit ab.
Ich hoffe, wir können Sie noch von unserem Vorschlag
überzeugen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Gesichtspunkt, wenn wir die Menschen mitnehmen wollen.
Ferner ist die Frage des völkerrechtlichen Vorbehalts
sehr von Interesse. Herr Ramsauer, da hatte die CSU
ausnahmsweise einmal eine vernünftige Idee,
({18})
aber wie meistens sind Sie wieder umgefallen. Ich sage
Ihnen nur, warum das wichtig ist und weshalb das nicht
stimmt, was Sie, Herr Oppermann, sagen. Wenn wir aufgrund des Urteils einen Vorbehalt erklärten - nicht gegen
einen Artikel, sondern indem wir deutlich machten,
welche Dinge wir anders interpretieren, als sie in Lissabon möglicherweise gemeint waren oder verstanden wurden -, dann brauchten wir keine Ratifizierungsverfahren,
wie es immer behauptet worden ist. Es genügt, wenn die
anderen Länder innerhalb eines Jahres keinen Widerspruch erklären. Großbritannien und andere haben viel
gewichtigere Vorbehalte erklärt. Warum kann Deutschland das nicht machen? Eine Resolution wäre auch mir zu
wenig, muss ich sagen, aber einen völkerrechtlichen Vorbehalt könnten wir, wenn wir etwas gründlicher nachdenken und uns etwas mehr Zeit nehmen würden, so formulieren, dass er uns weiterhülfe, statt dass wir nachher in
Auseinandersetzungen auch mit dem Europäischen Gerichtshof geraten, weil der sich nicht für unsere Interpretation oder die des Bundesverfassungsgerichts interessiert. Dann steuern wir doch nur auf neue Konflikte zu.
Genau das kann man vermeiden.
({19})
Übrigens haben wir Volksentscheide nur für wichtige
Vertragsänderungen verlangt. Wir sollten endlich lernen,
bei wichtigen Vertragsänderungen unsere Bevölkerung
zu fragen.
({20})
Jetzt nenne ich Ihnen noch einen sozialen Aspekt, der
mir wichtig ist. Der Europäische Gerichtshof hat auch
einige merkwürdige Entscheidungen getroffen. Ich nenne
das Urteil gegen das VW-Gesetz und die Aussage, dass
die Marktfreiheit so wichtig sei, dass die öffentliche Hand
in Deutschland, ein Land oder eine Kommune, nicht einmal darauf bestehen kann, dass Unternehmen, die einen
öffentlichen Auftrag erhalten, Tariflöhne zahlen. Eines ist
bisher noch gar nicht diskutiert worden: Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt entschieden, dass man in diesen
Fällen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen und
von ihm prüfen lassen kann, ob das überhaupt mit dem
Grundgesetz übereinstimmt. Also: Gegen ein neues VWUrteil des Europäischen Gerichtshofs dieser Art könnten
wir uns wehren. Das schadet Europa nicht, das hilft Europa. Glauben Sie mir: Der zentrale Punkt ist, dass wir die
vorhandenen Ängste in unserer Gesellschaft abbauen und
die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg in die europäische Integration mitnehmen - und dafür kämpft die
Linke.
Danke schön.
({21})
Rainder Steenblock ist der nächste Redner, für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist für den Deutschen Bundestag ein guter Tag heute,
weil wir es geschafft haben, lieber Kollege Gysi, trotz
Wahlkampf in einer der zentralen Fragen unserer Verfassung, nämlich des Verhältnisses der Verfassungsorgane
Bundestag und Bundesregierung zueinander, und in der
Frage, wie wir Europa bauen wollen, eine gemeinsame
Position von vier Fraktionen zu finden, und wir diese
wichtige Frage nicht benutzt haben, um im Wahlkampf
Polemik zu betreiben und Märchen von gestern zu wiederholen.
({0})
Es ist ein Zeichen der Stärke unserer Demokratie, dass
wir uns in den zentralen Rechten der Parlamentarierinnen und Parlamentarier tatsächlich zusammengefunden
haben.
Beim Lissabon-Urteil sehe ich eines aber mit einem
weinenden Auge: Ich habe mich zwar sehr darüber gefreut, dass das Verfassungsgericht zu jedem Punkt der
Kritik von Ihrer Fraktion, Kollege Gysi, am LissabonVertrag - Militarisierung, Neoliberalismus - gesagt hat:
Das ist Quatsch. Was die Beschwerdeführer vortragen,
ist Unsinn. - Das ist zu all den Punkten, die für Sie relevant waren, sehr deutlich gesagt worden.
({1})
Richtig ist allerdings - das hat mit dem Lissabon-Vertrag
letztendlich nichts zu tun -: Was das Verfassungsgericht
uns als Bundestag aufgegeben hat - das ist so ein bisschen auch ein Tritt vor das Schienbein -, hätten wir selber schon vorher regeln können.
({2})
Das ist ein Problem unseres Selbstverständnisses. Deshalb bin ich inhaltlich dicht bei dem Kollegen Röttgen,
der gesagt hat: Die zentralen Fragen, die in diesem Urteil
angesprochen worden sind, sind die Souveränitätsfragen
und die Legitimationsfragen. Europa der Bürgerinnen
und Bürger, Europa der Nationalstaaten - beides ist immer mit gedacht worden.
Ich gehöre sicherlich zu einer Generation, die gesagt
hat: Der Weg ist sehr eindeutig und führt zu einem Bundesstaat; die Integrationsschritte gehen weiter. - Die ErRainder Steenblock
fahrung, die wir gemacht haben, ist aber, dass wir
Europa ambivalenter denken müssen. Wir brauchen beides: Wir brauchen die Nationalstaaten und die europäischen Strukturen.
Deshalb ist die Demokratisierung des Parlaments auf
der europäischen Ebene durch den Lissabon-Vertrag ein
zentraler Gewinn. Deshalb ist der Lissabon-Vertrag Stärkung der Demokratie. Im Lissabon-Vertrag wird aber
auch die Verantwortung der nationalen Parlamente betont.
({3})
Beides ist wichtig. Europa wird in dieser Frage nur gemeinsam vorankommen.
Das berührt zentral die Frage, wie wir hier im Bundestag mit der Regierung arbeiten. Deshalb ist die zweite
Frage die des Verhältnisses von Parlamentariern zur Regierung. Solange ich Politik mache, beobachte ich leider
einen schleichenden Prozess hin zur Exekutivdemokratie.
({4})
Wir haben den Bundesrat praktisch als Exekutivparlament, aber es gibt eine solche Entwicklung leider auch
auf unserer Ebene. Wir als Parlamentarier haben zwar
Sternstunden hier im Bundestag, haben uns aber tendenziell auf einen Weg begeben, bei dem die Dominanz der
Regierung in vielen Fragen, insbesondere in der Außenund Sicherheitspolitik, anerkannt wird.
({5})
Das Urteil ist auch eine Chance, unser Selbstbewusstsein
und unsere Identität als Parlamentarier in der Wahrnehmung der uns von den Bürgerinnen und Bürgern übertragenen Rechte zu stärken, und die sollten wir nutzen.
({6})
Wir machen in dem Begleitgesetz, das das Zentrum
dieser Gesetzgebung darstellt, eine Reihe von Fortschritten. Die Forderung der Grünen war immer, die Zusammenarbeitsvereinbarung in ein Gesetz zu schreiben. Das
erreichen wir nun. Alle vier Fraktionen waren sich einig,
das umzusetzen.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, an dem wir
weiterkommen müssen, gerade im Interesse des vorhin
Gesagten. Die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist in dem Gesetzespaket, sowohl im Integrationsgesetz wie besonders auch im Begleitgesetz,
nicht auf ein Level mit den anderen Fachpolitiken gestellt worden. Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben einen Sonderstatus, und das halte ich für
falsch.
({7})
Deshalb werden wir die Anhörung dazu nutzen, das
noch einmal zu thematisieren.
({8})
Wenn es nicht gelingt, hier Einvernehmen zu erzielen,
werden die Grünen Änderungsanträge stellen. Aber das
Projekt insgesamt ist uns wichtig; denn es handelt sich
um ein gesamtdemokratisches Projekt.
({9})
Wir werden an dieser Stelle nicht nachlassen zu fordern,
dass dieses Parlament in der Außen- und Sicherheitspolitik über alles informiert wird, damit wir die uns vom
Bürger übertragenen Rechte wahrnehmen können. Dafür
stehen wir als Grüne, und dafür kämpfen wir.
Darüber hinaus sind wir für eine Gleichbehandlung
von Bundesrat und Bundestag. Der Maastricht-Vertrag
hatte eine gewisse Dominanz des Bundesrates zur Folge;
denn nach Art. 23 des Grundgesetzes war die Auffassung des Bundestages „zu berücksichtigen“ und die des
Bundesrates „maßgeblich zu berücksichtigen“. Im Rahmen dieser Gesetzgebung werden wir uns noch über eine
Reihe von Details unterhalten müssen, um eine Gleichstellung des Bundesrates und des Bundestages gegenüber der Bundesregierung, was die Informationsrechte
und die Einflussnahme angeht, zu erreichen. Wir haben
dafür gekämpft, dass die Stellungnahmen dieses Parlamentes von der Bundesregierung berücksichtigt werden
müssen. Aber ich sage, auch als Grüner, sehr deutlich:
Wir sind gegen ein imperatives Mandat des Parlamentes;
denn das hat mit der politischen Wirklichkeit nichts zu
tun.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist
meine letzte Rede vor diesem Hohen Hause.
({11})
Wir sollten uns immer vor Augen führen: Der Bundestag
ist das Hohe Haus, nicht das Kanzleramt.
({12})
- Auch nicht das Auswärtige Amt. - Ich möchte mich
zum Schluss ganz herzlich bedanken: zunächst bei meiner Fraktion, die es mir ermöglicht hat, an ganz wichtigen Stellschrauben mitzuarbeiten. So konnte ich in den
90er-Jahren die ökologisch-soziale Steuerreform für die
Bundestagsfraktion mit entwickeln, die als Gesetz zur
ökologischen Steuerreform dann ja auch eine gewisse
Dynamik entfaltet hat. Seit sieben Jahren habe ich als
europapolitischer Sprecher die Verantwortung für die
Europapolitik. Auch das ist ein gerade für uns Grüne
wichtiges Politikfeld. Vielen Dank für die Zusammenarbeit in der Fraktion; es hat mir viel Spaß gemacht.
Aber ich habe auch über die Fraktionsgrenzen hinaus
in diesem Haus sehr viele Freunde gefunden und sehr
viele Kollegen persönlich schätzen gelernt. Ich habe jeden Tag gemerkt, dass das Zerrbild, das die Medien von
den Abgeordneten und ihrer Tätigkeit häufig zeichnen,
so nicht stimmt. Ich habe hier extrem hart arbeitende
Menschen kennengelernt, die sehr solidarisch miteinander umgegangen sind. Sie haben zwar im Parteienkampf
gestanden; aber es ist ebenfalls wichtig für uns, dass wir
Rückgrat entwickeln und die Zerrbilder von der Arbeit
in diesem Hause in der Öffentlichkeit widerlegen. Mir
hat die Arbeit hier vielleicht nicht jede Sekunde viel
Spaß gemacht, aber im Großen und Ganzen war es für
mich eine sehr schöne Erfahrung. Noch einmal allen
ganz herzlichen Dank dafür!
Denjenigen, die hierbleiben, wünsche ich eine glückliche Hand und viel Erfolg; denn die Aufgaben in der
nächsten Legislaturperiode werden gewaltig sein. Denjenigen, die wie ich dieses Parlament jetzt verlassen, wünsche ich viel Spaß bei der Wahrnehmung aller Aufgaben,
die auf sie zukommen. Ich persönlich freue mich darauf.
Dennoch werde ich mit einem weinenden Auge gehen,
aber auch mit einer guten Erinnerung an diese Zeit.
Vielen Dank.
({13})
Ich hoffe, dass ich jetzt nicht wegen der Prozessionszüge zu Ihnen die Sitzung unterbrechen muss.
({0})
Für weitere Interessenten bitte ich eine Liste anzulegen,
die wir dann abarbeiten werden.
Lieber Kollege Steenblock, nachdem Sie sich so
freundlich für die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen
und Kollegen bedankt haben, möchte ich umgekehrt
meinerseits Ihnen im Namen des Hauses herzlich für
Ihre Arbeit danken und alles Gute für Ihre weitere persönliche Zukunft wünschen.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer für die
SPD-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es gibt
eine öffentliche Debatte, und wir machen Gesetze. Also,
reden wir darüber!
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, also das,
was uns aufgegeben worden ist, wird umgesetzt. Wir
schauen in die Begründung, die Karlsruhe gegeben hat.
Da wird 33-mal die nationale Souveränität betont. Wir
schauen ins Grundgesetz. Die klugen Väter und Mütter
unserer Verfassung - Konrad Adenauer, Carlo Schmid,
Theodor Heuss - haben diesen Begriff in dieser Konfrontation bewusst nie verwendet. Warum? Sie haben
mit unserer Verfassung, auf die wir uns alle berufen, gesagt: Deutschland will und Deutschland soll nie mehr so
souverän sein, dass es in der Lage ist, andere Länder mit
Krieg zu überziehen. - Das ist die Staatsräson dieser
Verfassung.
({0})
Die Konsequenz ist, dass wir gemäß Art. 24 unserer
Verfassung Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen, wie es damals hieß, übertragen können und
dass wir einem System kollektiver Sicherheit beigetreten
sind. Ich glaube, die Frage der Mitgliedschaft und Gestaltung der Europäischen Union einerseits und die
Frage der Mitgliedschaft und Gestaltung der NATO andererseits sind wesentliche Grundlagen unseres Handelns, in der sich auch die Politikfähigkeit in diesem
Hause deutlich zeigt.
({1})
Genau das ist der Unterschied zur Linkspartei: Solange Sie auf diese Fragen Nein sagen, gibt es mit Ihnen
auf Bundesebene keine Koalition. So einfach sage ich
das für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
in diesem Hause.
({2})
Solange Sie hier über die Beteiligung der Bürgerinnen
und Bürger reden, aber das, was wir in Europa durchgesetzt haben, einfach negieren, geht das erst recht nicht.
({3})
Der Lissabon-Vertrag, gegen den Sie geklagt haben
und den das Bundesverfassungsgericht einstimmig unterstützt hat - es war ein einstimmiges Urteil -, enthält
genau dieses Element, dass wir über Europa direkte Demokratie, nämlich Bürgerbegehren, einführen. Dieser
Vertrag ist nicht entstanden, weil irgendwelche Regierungsbeamte oder unbekannte Bürokraten hinter verschlossenen Türen etwas ausgehandelt haben, sondern
weil wir in einem langen Prozess, von der GrundrechteCharta - Gerhard Schröder und anderen sei es gedankt bis zu dem, was Lissabon anbelangt - mit zwei Konventen und mit über zehn Jahre meist öffentlich geführten
Debatten hier in diesem Hause und an vielen anderen
Stellen -, ein Vertragswerk entwickelt haben, das tatsächlich auf eine Stärkung der europäischen Demokratie,
des Europäischen Parlaments und auch des Deutschen
Bundestages ausgerichtet ist. Das haben wir mit dem
Lissabon-Vertrag durchgesetzt.
({4})
Axel Schäfer ({5})
Es ist bezeichnend, dass die Kollegin Kaufmann aus
Ihrem Hause,
({6})
die im Europäischen Parlament all das mitgestaltet hat,
wegen Ihrer Anti-EU-Politik Ihre Partei verlassen hat.
Das ist die Konsequenz. Das wird hier in der Debatte
deutlich.
({7})
Reden wir über das, was zurzeit öffentlich geschieht.
Reden wir darüber kritisch und auch ein Stück weit
selbstkritisch. Wir haben nach dem Lissabon-Urteil eine
öffentliche Debatte, in der sich eine Art neuer Nationalismus bei uns zeigt, über den wir reden müssen. Dieser
neue Nationalismus hat nichts mit Knobelbechern zu
tun; er hat auch nichts mit rechter Gewalt zu tun. Dieser
neue Nationalismus hat vielmehr damit zu tun, dass gesagt wird: Wir sind zwar für die EU, aber unter Vorbehalt. Wir sind nicht mehr wie die Väter und Mütter des
Grundgesetzes dafür, dass wir ein europäisches Deutschland wollen, sondern wir wollen ein Europa unter
deutschem Vorbehalt. - Genau das unterscheidet uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von vielen,
die jetzt das, was wir hier machen, kritisieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben teilweise eine völlig absurde öffentliche Debatte. Hier wird
so getan, als ob sich der Bundestag bisher überhaupt
keine Rechte erkämpft hätte. Hier wird so getan, als ob
uns das, was in der Vereinbarung zwischen Bundestag
und Bundesregierung festgelegt wurde, erst jetzt von
Karlsruhe vorgeschrieben worden wäre. Alles falsch.
Es ist bedauerlich, dass Sie heute das, was damals
auch von Ihrer Fraktion mitgetragen worden ist - Kollege Gysi hat es als Einheitsbrei abgetan -, leider vergessen. Aber Kurt Schumacher hat recht: Demokratie ist
auch eine Frage des guten Gedächtnisses. - An diese
Dinge werden wir Sie erinnern.
({8})
Es ist völlig klar, dass wir in der Politik ohne den europäischen Gestaltungsrahmen, den wir mit den vorliegenden Gesetzen ausfüllen, nicht handlungsfähig wären.
Genauso klar ist aber, dass sich der Nationalstaat damit
nicht überlebt hat. Wir haben das vor dem Bundesverfassungsgericht ausgeführt. Zentrale Auseinandersetzungen, die in diesem Land geführt werden - sei es um die
Ganztagsbetreuung, sei es um den Atomausstieg, sei es
um die Rente, sei es um Hartz IV oder den Mindestlohn -,
haben nichts damit zu tun, was auf der Ebene der Europäischen Union entschieden wird. Diese Dinge entscheiden wir hier in voller Selbstverantwortung und mit all
dem Gestaltungswillen, den wir haben. Man darf nicht
so tun, als würde die Handlungsfähigkeit in unserem
Land durch die Europäische Union begrenzt. Wir müssen diese Handlungsfähigkeit nutzen, und die nutzen wir
auch - auch mit diesen Gesetzen.
({9})
Ich glaube, dass der Auftrag, den uns das Grundgesetz vorgibt, nämlich als Deutsche gleichberechtigt in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen,
ein sehr hohes Gut ist. Es muss daher deutlich gemacht
werden, dass vier Fraktionen das Anliegen heute mittragen. Dies ist nicht überall in Europa so. Es gibt in vielen
Ländern Formen des Nationalismus. Diese richten sich
gegen Minderheiten und ein Stück weit gegen die Europäische Union.
Das, was der Bundestag heute mit dieser Debatte und
der am 8. September anstehenden Entscheidung sagen
will, ist klar: Deutschland gestaltet Europa mit. Deutschland - der Bundestag und ebenso der Bundesrat - wird,
wie es bereits viele andere Parlamente getan haben, diesen Vertrag ratifizieren. Wir sind für Europa ohne Vorbehalt - egal in welcher Weise. Denn wir als Parlament
sind genau wie unsere Regierung und unsere Kolleginnen und Kollegen in Brüssel ein Teil von Europa. Das
sind nicht unsere Gegner. Diese wirken ein Stück weit
auf uns, und wir wirken gemeinsam im Sinne von Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit.
({10})
Es geht heute auch um ein Signal, und zwar im Hinblick auf das Referendum in Irland am 2. Oktober. Es
geht um ein Signal an die Staatsoberhäupter Klaus und
Kaczyński, die seit über einem Jahr Parlaments- und sogar Verfassungsgerichtsentscheidungen blockieren bzw.
boykottieren und den Lissabon-Vertrag in ihrem Land
nicht ausfertigen und die Urkunde nicht nach Rom schicken. Lassen Sie uns das Signal geben, dass wir als
Europäerinnen und Europäer im Deutschen Bundestag
unserer Verpflichtung gerecht werden. Wir machen das
gerne und machen es erfolgreich.
({11})
Während der Rede des Kollegen Schäfer habe ich aus
den Reihen der Fraktion Die Linke den Zuruf „Kriegstreiber!“ gehört, den ich leider nicht persönlich zuordnen
kann. Dieser Zuruf ist weder in der Sache noch in der
Tonlage akzeptabel. Ich weise ihn ausdrücklich als mit
der Ordnung dieses Hauses nicht vereinbar zurück.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Mechthild
Dyckmans für die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 30. Juni dieses Jahres hat inzwischen eine breite
Diskussion in der Öffentlichkeit begonnen, und die ist
noch lange nicht abgeschlossen. Eines kann man ganz
klar sagen: Das Bundesverfassungsgericht stärkt die
Rechte von Bundestag und Bundesrat in allen Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft. Das kann
und wird Europa guttun. Wir machen mit diesen Gesetzen, die wir heute in erster Lesung beraten, Europa besser; denn wir, die nationalen Parlamentarier, werden uns
in Zukunft noch stärker an der Gesetzgebung in Europa
beteiligen und dadurch die europäische Gesetzgebung
öffentlicher machen und dazu beitragen, dass sie auch in
der Öffentlichkeit stärker akzeptiert wird.
({0})
Meine Damen und Herren von der Linken, Ihnen ging
es doch bei Ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht überhaupt nicht um die Rechte des Bundestages.
Sie wollten den Vertrag von Lissabon verhindern. Damit
sind Sie vor dem Bundesverfassungsgericht vollständig
gescheitert.
({1})
Die bessere Mitwirkung an der Gesetzgebung in Europa ist mir ein besonderes Anliegen gewesen, seitdem
ich vor vier Jahren in den Bundestag gewählt wurde und
Mitglied des Rechtsausschusses und des Unterausschusses
Europarecht wurde. In 44 Sitzungen des Unterausschusses haben wir die Informationsrechte bereits ausführlich
wahrgenommen. Wir haben auch fraktionsübergreifend
einige Stellungnahmen zu europäischen Vorhaben beschlossen. Aber ich habe immer wieder gemerkt - das
muss ich jetzt einfach etwas kritisch an die Adresse der
Koalitionsfraktionen sagen -, dass die Mitwirkung an
der europäischen Gesetzgebung für Sie von der Koalition noch längst nicht parlamentarischer Alltag ist. Deswegen hoffe ich, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für alle Fraktionen im neu gewählten Bundestag
Ansporn sein wird, von unseren Mitwirkungsrechten in
EU-Angelegenheiten wirklich regelmäßig Gebrauch zu
machen.
({2})
Mit den Gesetzentwürfen, die wir heute hier beraten,
haben wir einen guten Anfang gemacht.
({3})
Wir haben aus der Mitte des Parlaments heraus die Entwürfe erarbeitet und gemeinsam beraten. Für die konstruktive, sachliche und engagierte Zusammenarbeit
möchte ich mich bei allen bedanken, die daran mitgearbeitet haben.
Für uns FDP-Mitglieder waren zwei Dinge besonders
wichtig: Zum einen mussten alle Forderungen des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. Zum anderen
wollten wir den Hinweis in dem Urteil aufgreifen, die
BBV, also die Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung, in Gesetzesform
zu überführen. Beide Punkte haben wir im Grundsatz
mit den vorliegenden Entwürfen erreicht. Aber wir müssen in den weiteren Beratungen im Ausschuss sicherstellen, dass wir auch im Detail nichts übersehen. Hier
denke ich in erster Linie an die in Art. 86 Abs. 4 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU vorgesehene Möglichkeit, die Befugnisse der europäischen Staatsanwaltschaft zu erweitern. Auch dies ist nach unserer
Auffassung ein Fall, in dem Kompetenzen auf europäischer Ebene ausgeweitet werden. Deshalb brauchen wir
auch hier ein Gesetz nach Art. 23 des Grundgesetzes.
({4})
Diesen Fall hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil schon erwähnt. Deshalb müssen wir das meines Erachtens noch in § 7 des Integrationsverantwortungsgesetzes aufnehmen. Dasselbe gilt, wenn wir
Änderungen der Satzung der Europäischen Investitionsbank vornehmen. Auch dort wird Primärrecht verändert. Auch das bedarf einer gesetzlichen Grundlage.
Nicht ganz so klar geht aus dem Urteil hervor, wie die
Fälle der Notbremse geregelt werden sollen. Wenn der
Bundestag die Bundesregierung anweist, die Notbremse
zu ziehen, muss sie dies natürlich tun. Das hat die FDP
damals bereits in ihrem Entschließungsantrag zur Zustimmung des Vertrags von Lissabon ausdrücklich gefordert. Aber sollte die Bundesregierung nicht auch ohne
eine solche Weisung von diesem Recht Gebrauch machen können? Letztlich dient doch die Notbremse der
Zurückhaltung der EU, zum Beispiel im Bereich des
Strafrechts, wie es das Bundesverfassungsgericht gerade
angemahnt hat. Deshalb muss es eigentlich auch möglich sein, dass die Bundesregierung hier von sich aus tätig wird. Das sollten wir mit den Sachverständigen nochmals erörtern.
Auch bei dem Zusammenarbeitsgesetz haben wir
noch Detailarbeit vor uns, wie wir meinen; denn in
Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes wird verlangt, dass
Bundestag und Bundesrat in allen Angelegenheiten der
Europäischen Union mitwirken. Haben wir mit unserem
Katalog in § 3 des Gesetzentwurfs wirklich alle gewichtigen Fälle aufgenommen? Sind hier zum Beispiel auch
alle Maßnahmen erfasst, die die Bundesrepublik
Deutschland finanziell verpflichten? Das wäre uns wirklich sehr wichtig.
Was ist mit den Beschlüssen der im Europäischen Rat
vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten? Und noch viel grundsätzlicher: Ist der Begriff der
Gesetzgebungsakte wirklich umfassend, wenn der Vertrag von Lissabon doch von „Rechtsakten“ spricht?
Hierüber müssen wir, wie ich meine, noch einmal reden,
um Informationsdefizite, die für den Bundestag auftreten
könnten, auszuräumen.
({5})
Einen Punkt sollten wir aber auf die nächste Legislaturperiode vertagen, und zwar die Frage, ob wir ein
neues Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
brauchen. Hierzu haben wir im Urteil keine so detaillierten Forderungen wie bei den Mitwirkungsrechten im
Parlament. Wir haben auch nicht so viel Erfahrung, wie
wir sie mit der BBV haben. Deswegen bitte ich alle
Fraktionen, dass wir uns für diesen Punkt in der nächsten
Legislaturperiode ausführlich Zeit nehmen. Im Hinblick
auf das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht zu
Europäischem Gerichtshof steht zu viel auf dem Spiel,
als dass wir einen Schnellschuss abgeben könnten.
({6})
Ich komme zum Schluss. Lassen Sie uns über die
Punkte, die wir in dieser Legislaturperiode noch klären
können, ebenso sachlich, engagiert und konstruktiv reden und sie dann lösen, wie wir die Gesetzentwürfe gemeinsam erarbeitet haben.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, es war richtig, dass wir als Deutscher Bundestag
für die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Verfahren gewählt haben, das uns
heute zur ersten Lesung dieser inzwischen vier Gesetze
zusammenführt. Wir haben schon ein Stück weit auf das
Selbstbewusstsein des Parlamentes, aber auch auf die
Art und Weise, wie man einen solchen Gesetzentwurf erarbeitet, geachtet.
Es ist gut gewesen, dass wir die Bundestagsverwaltung bei aller Notwendigkeit der Rechtsförmlichkeitsprüfung durch das Bundesjustizministerium zum Herrn
des Formulierungsverfahrens dieser Gesetze gemacht
haben. Allerdings habe ich manchmal den Eindruck gehabt, dass das, was man Rechtsförmlichkeit genannt hat,
wieder ein wenig der Versuch war, doch Regierungsgedankengut über das zu stellen, was wir als Parlamentarier erarbeitet haben. Nicht wahr, Herr Steenblock?
Ich fand es auch sehr gut, dass wir von Anfang an ein
offenes Verfahren gewählt haben, das den Oppositionsfraktionen die Möglichkeit gegeben hat, konstruktiv mitzuwirken. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und
Kollegen der FDP und der Grünen dafür bedanken, dass
sie sich mit konkreten weiterführenden Formulierungsvorschlägen konstruktiv an der Debatte beteiligt haben.
Ich bitte Herrn Dehm und die Kollegen der Linksfraktion: Stricken Sie jetzt nicht die Legende, Sie hätten konstruktiv an diesem Verfahren mitgewirkt. Ich habe jede
Minute dieses Verfahrens miterlebt: Sie haben stumm
wie die Fische dagesessen,
({0})
haben keinen substanziellen Formulierungsvorschlag
gemacht und sagen jetzt: All das, was vier Fraktionen
über die Sommerpause erarbeitet haben, ist nicht genügend. - Diese Art der Arbeitsverweigerung wollen wir
Ihnen nicht durchgehen lassen.
({1})
Man hat an der Debatte darüber, welche Konsequenzen wir aus dem Urteil ziehen, auch gemerkt, dass die
Linien nicht entlang einer Koalitionslinie verlaufen. Ich
muss schon sagen: Ich habe manchmal unseren lieben
Koalitionspartner zu sehr am Gängelband des Auswärtigen Amtes empfunden.
({2})
Ich habe zum Beispiel nicht geglaubt, dass wir mit unserem Koalitionspartner SPD darum ringen müssen, dass
wir es nicht bei der Zusammenarbeitsvereinbarung
belassen. Der Wunsch war, es in der nächsten Legislaturperiode zu machen. Ich habe geglaubt, dass wir das jetzt
in ein Gesetz gießen und über die Mitwirkungsrechte
und Verbindlichkeit von Stellungnahmen des Bundestages sowie über die Rechtfertigungslast für die Bundesregierung - wenn sie aus wichtigen integrationspolitischen
Gründen abweicht - nicht erst lange diskutieren müssen.
Für uns war das eine Selbstverständlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die bisherige Zusammenarbeitsvereinbarung ist hinsichtlich Form und Inhalt
nicht angemessen. Darauf muss man reagieren. Das darf
man nicht in die nächste Legislaturperiode verschieben.
Für uns war es auch sehr wichtig, dass wir als Bundestag Stellung nehmen, wenn Fragen der kommunalen
Daseinsvorsorge berührt sind, und das auch ins Gesetz
hineinschreiben. Ich habe das Argument, das sei Sache
der Länder, das sei Sache des Bundesrates, nicht verstanden. Ich bin frei gewählter Abgeordneter des Deutschen
Bundestages, und ich möchte Stellung nehmen, wenn
Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge berührt sind.
Ich möchte das nicht allein dem Bundesrat überlassen.
({3})
Das haben wir durchgesetzt.
Ich möchte mich beim Bundesrat, bei denen, die mit
uns verhandelt haben, ganz herzlich bedanken. Der Stil
war konstruktiv. Der Bundesrat hat die Verhandlungen
nicht nach dem Motto „Jetzt bekommt der Bundestag ein
bisschen mehr; dann müssen wir eine Schüppe drauflegen“ begleitet. Ich muss sagen: Seitdem ich in diesem
Parlament bin, habe ich bewundert, was sich der Bundesrat seit der Einheitlichen Europäischen Akte an Mitwirkungsrechten erkämpft hat. Jetzt haben wir als Bundestag ein Stück nachgezogen. Das war höchste Zeit.
({4})
Dass Sie das nicht ausgenutzt haben, sondern konstruktiv mitgemacht haben, sage ich hier ausdrücklich. Dass
Sie mit uns darum ringen, dass die bisherige Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Bundesrat und Bundesregierung, soweit möglich, in ein Gesetz überführt wird,
ist keine bare Selbstverständlichkeit. Das werden wir als
Bundestag konstruktiv begleiten.
({5})
Ich will einen weiteren Punkt nennen - deshalb haben
wir so hart verhandelt und uns als CDU/CSU-Fraktion
über die Bedenken auf Arbeitsebene des Bundeswirtschaftsministeriums ein Stück weit hinweggesetzt -: Wir
werden als Bundestag künftig auch bei Fragen der
Gemeinsamen Handelspolitik ganz anders mitreden
können, als das bislang der Fall war. Das war für mich
der Unterschied. Der Bundeswirtschaftsminister hat politisch gesagt: Das ist richtig; da setze ich mich ein Stück
weit über die Fachmeinung meines Hauses hinweg. Ich
hätte mir gewünscht, dass das Außenministerium der
SPD-Fraktion ein bisschen mehr Leine gelassen hätte
und euch nicht so sehr am Gängelband geführt hätte.
Dann hätten wir vielleicht ein bisschen mehr erreicht.
({6})
Ich sage im Hinblick auf die Gemeinsame Handelspolitik:
({7})
Ich möchte nicht, dass die EU bei den nächsten Welthandelsrunden einfach so vor sich hin verhandelt. Das hat
existenzielle Auswirkungen auf die Agrarfrage in
Deutschland. Ein Freihandelsabkommen mit Korea hat
ganz gravierende Folgen für die Automobilindustrie.
Dabei wollen wir als Deutscher Bundestag in Zukunft
ein größeres Wörtchen mitreden.
({8})
Herr Kollege Koschyk, der Kollege Weisskirchen
möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, selbstverständlich.
Lieber Hartmut, darf ich dich fragen: Wer hat denn in
der Verhandlung, als wir beide und andere zusammensaßen, den Vorschlag gemacht, wie der Passus in der Gesetzesvorlage aussehen soll? War es das Wirtschaftsministerium, oder war es das Auswärtige Amt?
Den Vorschlag habe ich gemacht. Ich habe einen Formulierungsvorschlag gemacht.
({0})
Ich weiß, dass dieser der Arbeitsebene im Bundeswirtschaftsministerium nicht so gut gefallen hat. Aber wir
haben uns da ein Stück weit durchgesetzt. Ich sage noch
einmal: Ich hätte mir gewünscht, ihr hättet ein bisschen
mehr Leine vom Auswärtigen Amt bekommen.
({1})
Ich bedanke mich für den konstruktiven Vorschlag,
den Sie, verehrte Frau Kollegin Dyckmans, in die Diskussion eingebracht haben. Sie haben zu Recht gesagt,
dass die Frage des Spannungsverhältnisses zwischen
Europäischem Gerichtshof, EuGH, und Bundesverfassungsgericht eine Frage ist, die wir einfach treiben
lassen können; auch Herr van Essen hat davon gesprochen. Darüber müssen wir auch im Bundestag einmal
diskutieren. Jetzt sage ich - nicht mehr und nicht weniger will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion -: Den Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts, ein sogenanntes
Kompetenzkontrollverfahren einzuführen, wollen wir in
der nächsten Legislaturperiode aufgreifen. Damit wollen
wir auch signalisieren, dass wir das nicht einfach nur zur
Kenntnis nehmen und achtlos darüber hinweggehen. Ich
frage die Kollegen von der SPD: Ist es denn unmöglich,
als Parlament zu sagen, dass man einen beachtenswerten
Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts aufgreift und
darüber in der nächsten Legislaturperiode diskutiert?
({2})
Ich werbe bei Ihnen: Legen Sie Ihre Nervosität vor der
Bundestagswahl ab! Das ist nämlich ein wichtiges europapolitisches Thema.
({3})
Machen Sie jetzt keinen Klein-Klein-Wahlkampf. Ich
meine, es wäre gut, wenn wir den Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts in einer Entschließung aufgreifen
würden.
({4})
Ich komme zum zweiten europapolitischen Thema,
bei dem wir auch angeblich den Rückwärtsgang einlegen.
({5})
Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht,
dass der Lissabon-Vertrag für Deutschland nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts gilt. Ich glaube, wir sollten versuchen, unseren
Vertragspartnern in Europa diese Interpretation, die für
den Deutschen Bundestag und für die Bundesregierung,
was ihre Außenwirkung betrifft, bindend ist, in geeigneter Art und Weise mitzuteilen.
({6})
Viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das
übrigens schon getan. Bis jetzt haben 15 der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine solche Erklärung abgegeben.
So ist der Deutsche Bundestag übrigens auch vorgegangen, als es um den Vertrag von Maastricht ging.
Der Deutsche Bundestag hat zum Vertrag von Maastricht
eine Entschließung gefasst, um deutlich zu machen,
welch unverzichtbares politisches Gut die Stabilität der
Währung bei der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung für uns ist. Darüber waren wir uns im
Deutschen Bundestag einig, und dazu hat es eine einvernehmliche Entschließung gegeben, die den Vertragsparteien mitgeteilt worden ist.
Ich bitte die SPD-Fraktion, aber auch alle anderen
Fraktionen, eine konstruktive Beratung durchzuführen
und zu überlegen, ob wir als Deutscher Bundestag nicht
in geeigneter Art und Weise zum Ausdruck bringen sollten: Ja, wir stehen zum Vertrag von Lissabon. Wir wollen den Vertrag von Lissabon. Er entwickelt Europa weiter.
Das Bundesverfassungsgericht hat von der Europafreundlichkeit des Grundgesetzes gesprochen. Für uns
gilt der Vertrag von Lissabon allerdings nach den maßgeblichen Gründen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wenn das rückwärtsgerichtet oder antieuropäisch sein soll, dann fehlen mir die Argumente.
Denken Sie noch einmal darüber nach. Wir werben für
den Weg, den ich gerade beschrieben habe.
Eines müssen wir als Deutscher Bundestag sehen:
Wir haben jetzt die Chance genutzt, unsere Mitwirkungsrechte auszuweiten. Die Menschen draußen im
Lande werden aber auch auf unser Selbstverständnis
achten und beobachten, ob wir die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, die wir jetzt minimal abarbeiten, als lästig empfinden oder ob wir die Kraft haben,
zu sagen: Das, was uns das Bundesverfassungsgericht
aufgegeben hat - dass der Lissabon-Vertrag nach Maßgabe der Entscheidungsgründe gilt -, wollen wir unseren
Partnern mitteilen, und die Verfahrensvorschläge, die
das Bundesverfassungsgericht im Spannungsfeld von
EuGH und Bundesverfassungsgericht gemacht hat, in
der nächsten Legislaturperiode aufgreifen und ernsthaft
darüber diskutieren. Darum geht es uns. Darum wollen
wir eine Entschließung.
Es muss doch möglich sein, dies in vernünftige Worte
zu kleiden, um nicht nur bezüglich der vier Gesetzentwürfe, sondern auch mit Blick auf das, was darüber hinaus bedenkenswert ist, zu einer gemeinsamen Entschließung des Bundestages zu kommen. Dafür werben
wir. Wir bitten Sie, mit der CDU/CSU-Fraktion in konstruktive Gespräche über diese Frage einzutreten.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Diether Dehm
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Herr Koschyk! Liebe andere Kollegen! Auch wenn es Ihnen vielleicht unangenehm ist,
dass Sie unsere Vorschläge zum Thema Volksentscheide
abgeschrieben haben
({0})
und jetzt auf Distanz gehen müssen, muss betont werden: Es war unsere Fraktion, die geklagt hat. Sie hätten
sich ruhig einmal bei Herrn Gauweiler bedanken können. Sie haben ihn nämlich allein im Regen stehen lassen. Ihre Fraktion hat nicht geklagt. Aber jetzt ruhen Sie
sich auf den Lorbeeren der Kläger aus.
({1})
- Wir haben als Fraktion geklagt, und Herr Gauweiler
hat geklagt. Die CSU-Fraktion hat nicht geklagt.
Jetzt haben wir hier die Erfolge: die Stärkung des
Bundestages. Man soll seinen eigenen Lügen, auch wenn
die Regierungspropaganda sie immer wiederkäut, nicht
glauben, auch nicht, wenn die für Regierungspropaganda
sehr anfälligen Zeitungen Bild und Spiegel Ihnen ständig
recht geben.
Wenn Sie behaupten, lieber Axel Schäfer, Frau
Kaufmann hätte wegen großer innerlicher Zerwürfnisse
unsere Partei verlassen, sage ich Ihnen: Sie hat mit ihren
großen innerlichen Zerwürfnissen bei uns kandidiert,
und erst, als sie nicht gewählt wurde, ist sie zu euch, zur
SPD, gekommen - da kannte sie aber eure Umfrageergebnisse noch nicht.
({2})
Herr Oppermann, auch Sie sollten etwas mehr bei der
Wahrheit bleiben. Sie haben hier behauptet - ich zitiere
wörtlich -, wir seien bei den Verhandlungen dabei gewesen, hätten aber nie etwas gesagt. Ich weiß nicht, wie oft
Sie mit Ihrem Handy beschäftigt waren. Ich weiß nur eines: Einmal haben wir uns ganz direkt auseinandergesetzt. Da ging es nämlich darum, dass ich gesagt habe:
Wir können nicht hinnehmen, dass bei dem Gesetz zur
Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zur Informationspflicht der Bundesregierung in § 3 am Ende steht:
Dies gilt nicht für Maßnahmen in den Bereichen der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und
der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Das geht nicht. Es ist mit uns nicht zu machen, dass
Herr Berlusconi eher informiert wird als der Deutsche
Bundestag. Das machen wir nicht mit.
Dann haben Sie gesagt, Sie hätten gewusst, dass wir
hier Widerspruch einlegen würden, und in vollem Bewusstsein, dass wir hier Widerspruch einlegen, hätten
Sie das hineingeschrieben. So etwas macht man nicht,
wenn man zusammenarbeiten will.
Ich bin dem Kollegen Steenblock dankbar, dass er gesagt hat, was Sache ist: Dies ist ein Tritt vor das Schienbein des Bundestages. Das hat Kollege Steenblock als
Einzelner hier gesagt.
Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht auf unsere
Klage hin erklärt, wir sind zuständig: Jawohl, jetzt kann
der Betriebsrat von Volkswagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Europäischen Gerichtshof
klagen. Wir werden das mit den Gewerkschaften kämpferisch - außerparlamentarisch und parlamentarisch begleiten. Jawohl; jetzt kann gegen Tariflohndrückerei
- Stichwort Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofs - vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt werden. Das ist ein konkretes Ergebnis, das ist ein Erfolg,
den wir sehen. Wir werden uns außerparlamentarisch
und parlamentarisch mit Druck daran beteiligen.
Und natürlich kann jetzt auch gegen Militäreinsätze
geklagt werden, viel eher als vor dieser Klage und vor
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Aber mit uns
ist Ihr Herausnehmen der Maßnahmen der Verteidigungspolitik aus der Informationspflicht gegenüber dem
Bundestag nicht zu machen.
Wenn Herr Genscher und Herr Fischer und 30 Hochschullehrer, die größtenteils den Parteien, die die Regierungskoalition bilden, angehören, erklären, als Strafe für
das Urteil müsse man jetzt die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts zusammenstreichen, frage ich: Ja
was ist denn das für ein Verfassungsverständnis?
({3})
Das oberste deutsche Gericht fällt ein Urteil, und
30 Hochschullehrer, Herr Genscher und Herr Fischer
fordern, zur Strafe müsse man die Kompetenzen des
Bundesverfassungsgerichts zusammenstutzen. Das geht
nicht.
Ich komme zum Schluss, sage meinen letzten Satz.
Mit uns ist das nicht zu machen. In dem Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Kapitals und der Menschenwürde - Art. 1 des Grundgesetzes - werden wir als
Grundgesetzpartei immer bedingungslos dort sein, wo
die Schwächeren sind,
({0})
das heißt auf der Seite der Menschenwürde. Auch wenn
die Freiheit des Kapitals über Brüssel, über den EuGH
oder die Europäische Union kommt: Wir werden Widerstand leisten, wo die Interessen der sozial und wirtschaftlich Schwächeren dieser Gesellschaft bedroht werden. Dabei bleiben wir.
Danke schön.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war
als Mitglied des Deutschen Bundestages im Februar dieses Jahres bei der mündlichen Anhörung und auch bei
der Urteilsverkündung am 30. Juni in Karlsruhe vor
dem Bundesverfassungsgericht. Weil ich da war, kann
ich hier an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Die Linke
hat vor dem Bundesverfassungsgericht nicht geklagt, um
die Rechte des Deutschen Bundestags und der Abgeordneten zu stärken.
({0})
Mit keinem einzigen Wort haben Sie sich dafür eingesetzt.
({1})
Die Klage der Linken war darauf gerichtet, den Vertrag von Lissabon zu Fall zu bringen.
({2})
Diese Klage haben Sie verloren; denn das Bundesverfassungsgericht hat den Vertrag von Lissabon für verfassungsmäßig erklärt.
Aus Ihrer Sicht, Herr Dehm und auch Herr Kollege
Gysi, ist dieses Urteil ein Kollateralerfolg.
({3})
Sie schmücken sich aber mit falschen Federn, wenn Sie
jetzt sagen, man müsse sich bei Ihnen bedanken.
({4})
Das werden wir auf gar keinen Fall tun.
({5})
Herr Kollege Dehm, nachdem ich Ihnen für Ihre Redezeit in einer unauffällig großzügigen Weise einen Zuschlag gewährt habe, wäre es vielleicht ganz fair, wenn
Sie Ihren nachfolgenden Kollegen wenigstens zeitweise
zu Wort kommen ließen.
({0})
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. - Nach der Verkündung dieser Entscheidung zeigte sich, dass sie scheinbar
viele Väter und Mütter hat. Ich will auf das 14-PunktePapier der CSU zu sprechen kommen. Nicht alle dieser
14 Punkte waren falsch; aber ein Punkt von diesen
14 Punkten war nach unserer, nach Auffassung der Grünen auf jeden Fall falsch - wir warnen ausdrücklich
davor, diesen Weg zu gehen -, nämlich darüber nachzudenken, einen völkerrechtlichen Vorbehalt bei der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages einzulegen. Das ist
nicht nur nicht notwendig, sondern auch schädlich; das
schadet Europa.
Lieber Herr Kollege Koschyk, denken Sie darüber
nach!
({0})
Sie haben heute, etwas sanfter argumentierend, gesagt,
man müsse sich Gedanken darüber machen, auf welche
Art und Weise man den anderen europäischen Staaten
diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zur
Kenntnis bringen könnte.
({1})
- Ja, ich mache Ihnen sofort einen Vorschlag: Machen
Sie 26 Kopien und schicken Sie sie an die Partnerländer
der Europäischen Union. Das reicht für diesen Zweck
völlig.
({2})
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gilt in
Deutschland. Wir halten uns daran, und wir werden uns
daran halten.
({3})
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gilt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht.
({4})
Sie sollten nicht den Umweg über einen solchen völkerrechtlichen Vorbehalt gehen. Wenn alle anderen das auch
machen würden, wäre das ein Akt der Zersetzung der
Europäischen Union.
({5})
Lesen Sie, was Ihr Kollege Röttgen dazu in aller Deutlichkeit gesagt hat!
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gauweiler?
Aber sehr gerne.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Montag, vielen Dank für Ihre freundlichen Bemerkungen, insbesondere zu den 14 Punkten der
CSU. Ist Ihnen bekannt, dass die grüne Fraktion im
Bayerischen Landtag, vertreten durch ihren europapolitischen Sprecher, Herrn Dr. Runge - ich lege ihn Ihnen
ans Herz -, im Maximilianeum beantragt hat, die Bayerische Staatsregierung aufzufordern, sich für eine völkerrechtliche Absicherung der Geltung der Gründe des
Bundesverfassungsgerichtes einzusetzen und starkzumachen?
({0})
Danke, Herr Kollege Gauweiler, für diese Frage. Ich kann Ihnen dazu nur Zweierlei sagen: Ich kenne diesen Antrag der bayerischen Grünen, und ich teile den Inhalt dieses Antrags in diesem einen Punkt nicht. Aber eines ist gewiss, lieber Herr Kollege Dr. Gauweiler: Dieser
Antrag wird im Bayerischen Landtag keine Mehrheit
finden, und zwar deswegen, weil die Fraktion Ihrer Partei, der CSU, dagegenstimmen wird.
({0})
So viel zu der Geradlinigkeit Ihrer eigenen Argumentation.
Herr Kollege Montag, Herr Dr. Gauweiler würde
gerne nachfragen. Gestatten Sie das?
Aber natürlich.
Bitte sehr.
Wäre es nicht vernünftiger, dass Sie sich überlegen
- genauso wie ich es im Hinblick auf meine Fraktion
tue -, die bayerischen Grünen in ihrer richtigen Haltung
in Zukunft zu unterstützen und ihnen hier im Bundestag
nicht in den Rücken zu fallen?
({0})
Lieber Kollege Dr. Gauweiler, Sie fordern jetzt Beifall ein und bekommen ihn von der Linken. Gut, okay.
So viel dazu.
({0})
Ich werde mich tatsächlich dafür verwenden, mit dem
Kollegen Dr. Runge von der Fraktion der Grünen im
Bayerischen Landtag darüber zu reden, ob der Vorschlag, eine solche völkerrechtliche Ratifizierung vorzunehmen, wirklich sinnvoll ist. Ich sage an dieser Stelle
- auch Ihnen - hier in diesem Hause noch einmal: Ich
bin dagegen, eine solche Ratifizierung vorzunehmen;
denn sie ist keine Absicherung. Wenn sie eine Absicherung wäre, könnten wir darüber reden. Tatsächlich ist es
ein Akt, mit dem tendenziell die Europäische Union infrage gestellt wird und der Einigungsprozess sabotiert
werden könnte.
({1})
Wir diskutieren hier nicht nach Fraktionsgrenzen, sondern zur Sache. Deswegen beantworte ich Ihnen die Sache so, wie ich und die Bundestagsfraktion Bündnis 90/
Die Grünen sie sehen.
({2})
Das Integrationsverantwortungsgesetz, über das wir
heute diskutieren, regelt im Wesentlichen Verfahren der
Fortentwicklung der Europäischen Union nach dem Lissabon-Vertrag. Das ist wichtig; aber mich interessiert
vorrangig der europapolitische Tagesablauf, der Alltag
im nächsten Bundestag, wenn wir den Lissabon-Vertrag
ratifiziert haben werden. Es geht ganz konkret - Frau
Kollegin Dyckmans hat es schon angesprochen - um die
Frage, wann und wie sich dieses Parlament in Zukunft
dazu aufschwingen können wird, Stellungnahmen nach
Art. 23 Grundgesetz tatsächlich zustande zu bringen.
Ich kann an dieser Stelle nur an alle appellieren, insbesondere an die heutigen, aber auch an die jeweiligen zukünftigen Koalitionsfraktionen: Gerade in der europäischen Diskussion muss sich dieses Parlament auch als
eine Einheit verstehen können und nicht nur auseinanderdividiert in eine Regierungsmehrheit und eine Opposition. Das heißt, wir müssen das Recht auf Stellungnahmen nach Art. 23 Grundgesetz - dieses Recht haben
wir - mit Leben füllen. Ich habe wie die Kollegin
Dyckmans in der zurückliegenden Zeit allzu oft erlebt,
dass von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalitionen kein Interesse an einer europapolitischen
Stellungnahme nach Art. 23 Grundgesetz signalisiert
worden ist. So werden wir unserer Integrationsverantwortung nicht gerecht werden. Für die Zukunft gilt es,
dieses Gesetzeswerk mit Leben zu füllen. Dazu ist der
ganze Bundestag aufgerufen.
Danke schön.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Piratenpartei dürfte die erste Partei sein, die zuerst in
das Europäische Parlament und dann erst in nationale
Parlamente gewählt wurde. Insofern nehme ich zum
heute diskutierten Thema Lissabon auch sehr gerne Stellung.
Zunächst einmal geht mein Dank in der Tat in Richtung der Kläger, Kollege Gauweiler und Kollege Gysi.
Wir hatten öfter an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Auffassungen, aber dieser Dank ist an dieser
Stelle berechtigt. Die Motive der Kläger sind mir dabei
gleichgültig. Mir sind auch die Motive des Bundesverfassungsgerichtes gleichgültig, ob nicht lieber das Recht
des Europäischen Gerichtshofs hätte geklärt werden sollen. Nein, es ist richtig, dass wir heute die Möglichkeit
haben, die Diskussion zu führen, und das ist zurückzuführen auf den Spruch des Bundesverfassungsgerichtes.
Dass dieses Parlament die Stärkung letztlich gar nicht
wollte - entgegen der einen oder anderen salbungsvollen
Rede, die wir heute gehört haben -, zeigt die Tatsache,
dass der Prozessbevollmächtigte des Deutschen Bundestages die Stärkung der Rechte des Deutschen Bundestages in der Kommentierung zum Urteil als Kollateralschaden diffamiert hat. Der Vertreter des Deutschen
Bundestages vor dem Verfassungsgericht wollte keine
Stärkung des Parlaments. Das muss man an dieser Stelle
einmal festhalten. Das ist die Wahrheit.
({0})
Dass diese Stärkung wichtig ist, Kollege Steenblock, ist
für mich völlig klar. Ich stimme allen zu, die gesagt haben, dass es auch darauf ankommt, dass wir diese Stärkung tatsächlich wollen. Das Verhalten unseres Prozessvertreters war hier kein guter Einstieg.
Es gab in der Vergangenheit oft genug negative Beispiele. Das Strafrecht ist vom Kollegen van Essen angesprochen worden, in der Tat völlig berechtigt. Ich will
die Vorratsdatenspeicherung als ein weiteres Beispiel
nennen; wir könnten weitere finden. Bei der Vorratsdatenspeicherung hat der Deutsche Bundestag noch in der
letzten Legislaturperiode fraktionsübergreifend - inklusive der Damen und Herren der Union - gesagt: Wir
wollen das nicht. - Daraufhin ging die Exekutive - der
Innenminister, Herr Schäuble, ist hier - nach Brüssel
und hat dort den Beschluss dieses Parlamentes ohne erkennbaren Protest dieses Parlaments ausgehebelt. Im
Gegenteil: Kaum war die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung da, wurde sie hier in fast skandalöser Weise von der Mehrheit der Rechts- und Innenpolitiker unterstützt und vom Parlament umgesetzt, obwohl
selbst Kollege Siegfried Kauder die Zuständigkeit Europas bezweifelt hatte. Was hätte die Stärkung des Parlaments damals genutzt, wenn das Parlament gegenüber
der Exekutive derart devot und willfährig ist? Ich unterstütze alle Redner, die heute im Parlament gesagt haben,
dass sich das ändern muss.
Es gibt weitere Beispiele, etwa die Softwarepatentierung. Der Deutsche Bundestag hat sich klar dagegen
ausgesprochen, weil eine Patentierung mit 20-jährigen
Schutzfristen in diesem Bereich völliger Unfug ist. Was
ist passiert? Die Bundesregierung in Gestalt des damaligen Wirtschaftsministers Clement ging nach Europa und
handelte dort das Gegenteil dessen aus, was das Parlament hier wollte. Diese Beispiele ließen sich fortsetzen.
Es ist eine Frage des Selbstbewusstseins dieses Parlaments, ob es sich so etwas auch künftig gefallen lässt
oder nicht. Kollege Steenblock, ich stimme Ihnen völlig
zu: Wenn wir kein parlamentarisches Rückgrat gegenüber der Exekutive haben, im Zweifel über Fraktionsgrenzen hinweg, dann werden einige Damen und Herren,
die hier auf der Regierungsbank sitzen, weiterhin mit
uns Jojo spielen. Es stellt sich die Frage, mit welchem
Selbstbewusstsein dieses Parlament gegenüber der Exekutive auftritt.
Im Herbst werden wir erleben - Kollege van Essen,
das ist ein weiteres Beispiel; ich bin gespannt auf die
Positionierung Ihrer Partei -, dass Herr Schäuble einen
weiteren Abbau von Bürgerrechten und damit den
europäischen Überwachungsstaat vorantreibt. Die Überwachungsdatenbanken sollen auf der sogenannten
Stockholm-Konferenz unter Ausschluss jeglicher parlamentarischer Kontrolle ausgelagert, verbunden und zusammengeführt werden. Herr Bundesaußenminister, hier
hätten Sie die Möglichkeit, die Forderung „Mehr Demokratie wagen“ in die Wirklichkeit umzusetzen und Herrn
Schäuble deutlich zu machen, dass dieser Abbau von
Bürgerrechten in Europa mit Ihnen nicht möglich ist,
dass dieser Überwachungswahn mit Ihnen nicht machbar
ist.
Welche Prämissen die Union bei diesem Thema hat,
kann man schon jetzt an ihren Wahlplakaten erkennen.
Farblich unterlegt, wird dort dick und fett „Sicherheit“
und erst darunter „Freiheit“ plakatiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das ist eine Reihenfolge, die dem Grundgesetz eindeutig widerspricht. Die
Väter und Mütter des Grundgesetzes haben Grundrechte
und Freiheit vorangestellt; sie haben, Herr Schäuble,
kein Grundrecht auf Sicherheit geschaffen. Herr
Schäuble, wir haben Glück, dass Sie nicht der Autor unserer Nationalhymne waren. Sonst hieße es dort heute
nicht „Einigkeit und Recht und Freiheit“, sondern „Einigkeit und Recht und Sicherheit“.
Die anstehende Bundestagswahl und das heute beratene Gesetz entscheiden auch darüber, ob Sie, Herr
Schäuble, weiterhin in Europa die Axt an unsere Verfassung legen können. Nochmals: Wenn es den jeweiligen
Koalitionsmehrheiten in diesem Parlament egal ist, unter
welchen Beamten und Ministern sie mit sich machen lassen, was die Exekutive vorhat, nützt die Stärkung der
Parlamentsrechte nichts. Aus diesem Grunde kann ich
nur an diesen Bundestag appellieren - an diejenigen, die
in der nächsten Legislaturperiode hier vertreten sind -,
deutlich zu machen: Wir brauchen in Europa Freiheit
statt Sicherheitshysterie, weniger Überwachung, mehr
Privatsphäre und eine Stärkung der Parlamentsrechte.
Wenn dieses Gesetz einen Beitrag dazu leistet, haben wir
viel erreicht.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege
Dr. Carl-Christian Dressel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie gestatten mir, dass ich zum Thema des Nachmittags zurückkehre. Vor 40 Jahren haben die Väter und Mütter
des Grundgesetzes den Satz in die Präambel geschrieben:
… von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der
Welt zu dienen …
Dies geschah im breiten Verfassungsbogen von FDP,
CDU und SPD. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sage,
dass man mittlerweile auch die Fraktion der Grünen im
breiten Verfassungsbogen begrüßen kann.
Dieser Verfassungsbogen hat sich jetzt, in einer Zeit,
in der ein Meilenstein der europäischen Entwicklung,
der Vertrag von Lissabon, in nationale Gesetzgebung
umzusetzen war, auf eine nationale Reaktion im Rahmen
der europäischen Entwicklung geeinigt.
Das ist im Rahmen dieses Verfassungsbogens auf sehr
gute Art und Weise geschehen. Ich denke, wir als Parlamentarier haben dadurch gezeigt, dass wir mit Selbstbewusstsein und mit Wissen um die Maßgeblichkeit der
parlamentarischen Tätigkeit gegenüber der Bundesregierung und auch gegenüber den Regierungen der Länder
auftreten können. Wenn die Notwendigkeit dazu besteht,
wie es in diesen Zeiten der Fall war, dann ist der Deutsche Bundestag als Parlament auch handlungsfähig,
wenn das Ende der Legislaturperiode vor der Tür steht
und der Wahlkampf mitten im Gange ist.
Etwas bedenklich stimmt es mich allerdings, wenn
ich sehe, welche Allianzen sich hier bilden. Angesichts
dessen, was wir vorhin bezüglich der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni gehört haben,
darf ich Ihnen, Herr Kollege Gysi, einen Abschnitt der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorlesen:
3. Der Antrag im Organstreitverfahren der Antragstellerin zu II. wird zurückgewiesen.
({0})
Es tut mir leid, Herr Gysi: Diese Antragstellerin zu II.
waren Sie. Das heißt, Ihre Fraktion ist mit ihrem Begehren schlichtweg gescheitert.
({1})
- Fragen Sie, Herr Dehm, der Sie sich so echauffieren
und brüllen, den Rechtsanwalt Dr. Gysi, was es heißt,
wenn ein Antrag zurückgewiesen wird. Ich glaube, er
kann Ihnen das erklären.
Ich halte es gleichsam für bedenklich, wenn man hier
feststellen muss - das hat Herr Kollege van Essen in seiner Eingangsrede mit Recht getan -, dass einige Kräfte
auch in diesem Hause die europäische Einigung nicht
wollen. Das waren ganz klar Sie, die mit dem Ziel, den
Vertrag von Lissabon zum Scheitern zu bringen, vor dem
Bundesverfassungsgericht geklagt haben und gescheitert
sind. Gleichzeitig muss man sich im Klaren sein: Es gibt
mehr, die mit dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes
nichts anfangen können. Ich halte es für bedauerlich,
wenn der heute schon wiederholt zitierte Kollege
Gauweiler, der entgegen dem Eindruck, den Herr Kollege
Dehm manchmal erweckt hat, noch nicht der Linksfraktion angehört, hier sagt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei ein Sieg über die Integrationsfanatiker - so in der Jungen Freiheit vom 21. August.
({2})
- Ich lese auch die Junge Welt, um zu sehen, was Sie Absurdes von sich geben.
({3})
Auch halte ich es für bedauerlich - das geht in Richtung der Kollegen der CDU/CSU -, dass der Prozessbevollmächtigte des Kollegen Gauweiler, Professor
Murswiek, als Sachverständiger für die Anhörung heute
und morgen im Europaausschuss des Deutschen Bundestags benannt worden ist.
({4})
Wir brauchen nach wie vor einen großen Konsens der
Verfassungsfreunde und der Demokraten im Deutschen
Bundestag, um zu zeigen, dass wir hier eine große Basis
der Europafreunde bilden, die sich dem Auftrag des Verfassungsgebers für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit in Europa zugunsten des Friedens in der Welt
verpflichtet fühlen. Ich sage genauso: Dieses Thema
sollte nicht für Wahlkampfzwecke missbraucht werden.
In diesem Zusammenhang komme ich noch einmal auf
Sie von der PDS zurück. Wenn der Kollege Nešković die
nächste Klage gegen das neu vorgelegte Begleitgesetz
androht, so ist das ein falsches Signal - innerdeutsch wie
auch innereuropäisch; denn wir müssen zeigen, dass wir
für die europäische Einigung einstehen. Ihr Sonderweg
führt schlichtweg in die Irre.
({5})
- Wenn Sie sich bei „Irre“ angesprochen fühlen, Herr
Dehm, kann ich Sie daran nicht hindern.
Wir von der SPD-Bundestagsfraktion stehen nach wie
vor zum Vertrag von Lissabon. Den hält das Bundesverfassungsgericht, wie heute schon mehrmals, aber mit
Blick auf Sie nicht oft genug ausgeführt, für verfassungskonform. Wir erachten es als wichtig, dass das Ratifikationsverfahren noch in dieser Wahlperiode abgeschlossen wird und dass unsere europäischen Partner
wissen: Auch in Wahlkampfzeiten ist die Bundesrepublik Deutschland, ist der Deutsche Bundestag ein verlässlicher Partner, der vor Ort mit Gesetzgebung auf das
reagieren kann, was ihm das höchste deutsche Gericht,
nämlich das Bundesverfassungsgericht, vorschreibt.
Wir als sozialdemokratische Fraktion haben unmittelbar nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 30. Juni deutlich gemacht, was wir wollen,
({6})
nämlich die Eins-zu-eins-Umsetzung des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts mit wenigen zusätzlichen
Änderungen. Das umzusetzen, ist uns in einem guten
und breiten Zusammenwirken auch gelungen.
Der Bundestag erhält durch das Begleitgesetz jetzt
die Möglichkeit, seiner Integrationsverantwortung gerecht zu werden. Die Bundesregierung wird im Rahmen
von Verhandlungen nach wie vor die Möglichkeit haben,
kurzfristig und adäquat zu reagieren. Die Vereinbarung
zwischen Bundestag und Bundesregierung wird jetzt in
Gesetzesform gegossen. Wir zeigen, dass wir als Gesetzgeber die Zügel in der Hand behalten. Wahlkampfpolemik nach der Art „Wer zieht wen am längeren Zügel?
Wen halten wir am Zügel der Bundesregierung? Zieht
die Bayerische Staatskanzlei vielleicht andere am Zügel?“ brauchen wir nicht aufkommen zu lassen; denn es
muss uns um die Sache gehen, um die Sache eines einigen Europa und um die Sache, ein starkes Parlament in
einem starken Deutschland für ein starkes Europa zu haben.
Ich danke Ihnen.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als das Bundesverfassungsgericht am 30. Juni dieses
Jahres sein Urteil zu den Klagen gegen den LissabonVertrag - die Begleitgesetze und vor allem das Zustimmungsgesetz - gesprochen hat, war das ein bemerkenswertes Urteil. Wichtig ist, noch einmal auf Folgendes
hinzuweisen - das haben zwar schon mehrere Redner
getan, aber als letzter Redner wiederhole ich es -: Das
Bundesverfassungsgericht hat den Lissabon-Vertrag einschließlich des Zustimmungsgesetzes für verfassungskonform erklärt.
({0})
Die Klagen - von den Linken zum Beispiel ist vorgetragen worden, mit dem Lissabon-Vertrag werde sich die
Union zu einer unkontrollierten Militärunion entwickeln
und das Sozialstaatsprinzip werde aufgehoben - sind
wörtlich als unbegründet zurückgewiesen worden.
({1})
Aber das Bundesverfassungsgericht hat - das richtet sich
an unsere Adresse - das Begleitgesetz als unzureichend
tituliert. Deshalb müssen wir es nachbessern.
Dabei geht es vor allen Dingen um Folgendes: Das
Verfassungsgericht hat festgestellt, dass die parlamentarische Beteiligung bei den durch den Lissabon-Vertrag
ermöglichten vereinfachten Veränderungen beim Primärrecht unzureichend ist. Damit hat das Verfassungsgericht - ich weiß nicht, ob es ihm so klar war - Bundestag und Bundesrat unter einen enormen Zeitdruck
gesetzt. Weil wir die europäische Taktung des Prozesses
von Lissabon nicht einfach verändern oder anhalten können, müssen wir noch in dieser Legislaturperiode ein
neues Gesetz verabschieden, das den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht und das es ermöglicht, in dieser Legislaturperiode die Urkunde in Rom zu hinterlegen.
Wir hatten nicht nur das Problem, in kürzester Frist
eine äußerst komplexe Rechtsmaterie zu regeln; wir
mussten dies auch noch in einer Zeit tun, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, wo - das ist auch ein
wichtiger Prozess in einer lebendigen Demokratie - die
Parteien eher damit beschäftigt sind, sich gegeneinander
zu profilieren, als damit, bei komplexen Sachverhalten
nach einem gemeinsamen Weg, nach einer gemeinsamen
Lösung zu suchen.
Das Ergebnis ist, dass wir heute vier Gesetzentwürfe
zur ersten Lesung vorlegen. Bemerkenswert - vor allem
angesichts der kurzen Zeit und der in Kürze anstehenden
Wahlen - ist: Diese Gesetzentwürfe werden von den
gleichen Fraktionen mitgetragen, die seinerzeit dem Lissabon-Vertrag sowie dem Verfassungsvertrag zugestimmt haben.
Mit dem Integrationsverantwortungsgesetz tragen wir
dem zwingenden Umsetzungsbedarf Rechnung, den das
Bundesverfassungsgericht bezüglich des vereinfachten
Vertragsveränderungsverfahrens verlangt hat; denn wann
immer, durch den Lissabon-Vertrag ermöglicht, ein vereinfachtes Verfahren zur Änderung des Primärrechts als
Projekt in Angriff genommen wird, müssen Bundestag
und Bundesrat im Rahmen ihrer Rechtsetzungskompetenzen der Auslöser dieses Verfahrens sein. Dieses Verlangen des Bundesverfassungsgerichts wird mit diesem
Gesetz umgesetzt.
Wir haben uns dabei an eine klare Konzeption gehalten, die wir auch in den zurückliegenden Jahren berücksichtigt haben. Wir wollen bei diesen Fragen den maximalen Einfluss der Legislative, das heißt der Bundestages
und des Bundesrates, auf europäische Rechtsetzung bei
Erhalt der optimalen Durchsetzungskraft der Bundesregierung bei den europäischen Räten. Deutschland wird
mit diesem Gesetzespaket weder zur Integrationsbremse,
was gelegentlich behauptet worden ist, noch werden wir
unsere Minister in den europäischen Räten neutralisieren.
Ganz im Gegenteil: Mit diesen Gesetzen erreichen wir,
dass europäisches Handeln öffentlicher und transparenter
wird. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Integration der
Europapolitik; denn die Menschen werden besser verstehen, was geschieht, und können sich an die wenden, die es
zu verantworten haben.
Lassen Sie mich noch kurz auf einen kosmetischen
Makel hinweisen - das ist mir wichtig -: Am Ende sind es
zwei Begleitgesetze geworden. Das hat nichts mit unserer Regelungswut zu tun, sondern ist durch die praktische
Umsetzung sehr widersprüchlicher Vorgaben durch den
Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichtes bedingt.
Der Zweite Senat hat uns aufgefordert, die Hinterlegung
der Ratifizierungsurkunde erst nach Inkrafttreten des Begleitgesetzes zu ermöglichen. Dabei hat er allerdings
übersehen, dass wesentliche Teile des Begleitgesetzes,
nämlich die Verfassungsänderung in Art. 23, zwingend
erst mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages - hoffentlich irgendwann in diesem Jahr - umgesetzt werden können. Die Lösung dieser Aufgabe gleicht der Quadratur
des Kreises. Deshalb gibt es jetzt zwei Gesetzentwürfe.
Das Gesetz zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen
ist das zweite Gesetz, das zusammen mit dem LissabonVertrag in Kraft tritt. Ich sage ganz deutlich: Bei einer etwas sorgfältigeren Arbeit des Zweiten Senates wäre das
nicht notwendig gewesen.
({2})
Ich möchte kurz noch auf den nach meiner Einschätzung größten Erfolg der letzten fünf Wochen eingehen,
nämlich auf die Tatsache, dass wir es geschafft haben,
aus der Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung ein Zusammenarbeitsgesetz
zu machen
({3})
und dieses hier gemeinschaftlich vorzulegen.
({4})
Ich halte das schon rein symbolisch für besonders bedeutsam; denn in der Tat - darüber haben wir ja diskutiert, auch mit der Bundesregierung - war diese Änderung nicht zwingend von Karlsruhe vorgegeben. Ich
halte es für ein Defizit, dass Karlsruhe sich einerseits mit
den Primärrechtsänderungen sehr intensiv beschäftigt
hat - logisch nachvollziehbar in seinen Beschlüssen -,
aber in der Frage der täglichen europäischen Rechtsetzung nahezu nichts ausgeführt hat, was uns in der Argumentation geholfen hätte.
Wir haben es allerdings nicht nötig, immer auf Karlsruhe zu warten.
({5})
In der Frage der Parlamentsrechte leisten wir seit vielen
Jahren erfolgreiche Arbeit. Wir haben eine gute Chance,
und wir nutzen sie. Wir haben eine zweieinhalbjährige
Erfahrung mit der Zusammenarbeitsvereinbarung. Wir
haben in zwei Monitoring-Prozessen definiert, in welchen Bereichen sie noch nicht ausreichend funktioniert,
und haben das in einer Entschließung im Mai dieses Jahres im Bundestag beschlossen. Wenn auch die Beschlussfassung nicht ganz einheitlich war, waren die Debatten
doch durchaus einvernehmlich. Wir haben es geschafft,
dieses Gesetz mit den Änderungsnotwendigkeiten umzusetzen. Das ist ein Quantensprung, was die Europafähigkeit und die Europaarbeit des Bundestages betrifft.
Allerdings - auch das ist von mehreren Rednern
schon gesagt worden - ist auch wichtig, festzuhalten:
Diese Rechte werden natürlich nur Wirksamkeit entfalten und mehr Öffentlichkeit für die europäische Politik
bewirken, wenn der Deutsche Bundestag und seine
Fachausschüsse sie ausreichend nutzen. Das bleibt die
Herausforderung in der nächsten Legislaturperiode. Wir
als Parlamentarier im Bundestag werden uns dieser Herausforderung stellen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/13923, 16/13924, 16/13925,
16/13926 und 16/13928 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von
Unternehmen
- Drucksache 16/13927 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Verordnung der Bundesregierung
Fünfundachtzigste Verordnung zur Änderung
der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksache 16/13920 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Auswärtiger Ausschuss
c) Verordnung der Bundesregierung
Einhundertachte Verordnung zur Änderung
der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksache 16/13921 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 4 a und 4 b.
Dabei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 4 a:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Bärbel Höhn, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Risiko-Reaktoren abschalten
- Drucksache 16/13864 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 4 b:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max
Stadler, Jörg van Essen, Hellmut Königshaus,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung der Parlamentsrechte unverzüglich umsetzen
- Drucksache 16/13865 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Vereinbarte Debatte
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Frage- und Informationsrecht des
Bundestages sowie zu den Rechten eines Untersuchungsausschusses
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Siegfried Kauder das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im März 2007 - 2007, nicht 2009 - hat die Opposition einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt, weil man der Meinung war, die Bundesregierung
habe nicht alle Akten, die man haben wollte, herausgegeben. Das Gericht hat nach zwei Jahren entschieden.
Am 17. Juni 2009, da war der Markt verlaufen: Der Untersuchungsausschuss hatte seine Arbeit abgeschlossen.
Also nutzen die Akten, die man damals heraus haben
wollte, nichts mehr.
({0})
- Der Kollege Stadler sagt „Mir schon“.
Auf welcher Rechtsgrundlage will man die Akten
jetzt haben? Es war Akteneinsicht für den Untersuchungsausschuss zu Beweiszwecken nach § 18 des Parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetzes beantragt. Zu Beweiszwecken geht nun einmal nicht mehr,
weil es den Untersuchungsausschuss nicht mehr gibt.
({1})
Wenn ich nun Bundesregierung wäre, was ich nicht
bin, würde ich auf Ihr Akteneinsichtnahmegesuch antworten: Dazu bin ich bereit im sogenannten Vorsitzendenverfahren, weil es sich um sensible Akten handelt.
Vorsitzende gibt es aber nicht mehr. - Sie sehen also,
dass Sie schon aus formellen Gründen mit Ihrem Ansinnen nicht durchdringen können.
({2})
Nun versucht die Opposition, aus der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts Honig zu saugen. Wenn
es schon das Recht, die Akten einzusehen, nicht mehr
gibt, muss doch irgendetwas übrig bleiben, was man der
Bundesregierung ans Bein packen kann.
({3})
Man muss die Entscheidung richtig lesen. Die ersten
paar Seiten kann man überfliegen. Spannend wird es ab
Randziffer 138. Es ist nämlich nicht so, dass das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung aufgegeben
hat, dass die Akten herauszugeben sind.
({4})
- Herr Kollege Ströbele, so ist es. - Das Bundesverfassungsgericht hat etwas völlig anderes entschieden. Es
hat nämlich gesagt, dass eine Sperrerklärung einzelfallbezogen zu begründen ist.
({5})
Das heißt, wäre die Entscheidung früher gefallen, hätte
die Bundesregierung die Begründung für die Sperrerklärung nachbessern können.
({6})
Es gibt Grenzen, die festlegen, wann die Bundesregierung Akten vorzulegen hat. Das eine ist der Untersuchungsauftrag. Danach ist abzugrenzen: Was außerhalb des Untersuchungsauftrages liegt, gehört nicht zu
den Akten, die der Untersuchungsausschuss einzusehen
hatte. Auch das Staatswohl und der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung - Gewaltenteilung nennt man
das - waren zu berücksichtigen. Ich glaube schon, dass
sich die Bundesregierung ernsthaft Mühe gemacht hat,
diese Spielregeln einzuhalten. Mancher von Ihnen mag
das anders sehen.
({7})
Aber genau das hat das Bundesverfassungsgericht, Kollege Ströbele, nicht zu entscheiden vermocht, weil es
nicht anstand. Man sollte einmal die Entscheidung bezüglich des Flick-Untersuchungsausschusses nachlesen
- dies steht im 67. Band der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Seite 100 ff. -, in der das Bundesverfassungsgericht genau diese Spielregeln aufgestellt hat, die meines Erachtens eingehalten worden sind.
Was heute zur Diskussion steht, ist also eine Schaufensterdebatte; denn sie bewirkt in der Sache nichts
mehr. Dies wird das Leben in Untersuchungsausschüssen in Zukunft sicherlich beeinflussen. Es ist eine Handlungsanleitung an die Bundesregierung, wie man in Zukunft Sperrerklärungen zu verfassen hat. Dies bedeutet
keine Stärkung der Parlamentsrechte,
({8})
sondern ist eine Handlungsanleitung, vorgegeben durch
ein Gericht.
In dem Antrag, über den wir heute debattieren, wird
eine zweite Gerichtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Grundlage herangezogen, um zu versuchen, Rechte des Parlaments zu stärken. Es ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli
2009. Das ist ein Themenbereich, über den wir sensibler
diskutieren müssen. Diese Entscheidung befasst sich mit
der Frage, ob eine Kleine Anfrage des Parlaments, die
sich mit dem hochsensiblen Bereich der Beobachtung
von Parlamentariern durch die Geheimdienste befasst,
zu beantworten ist. Auch Parlamentarier bewegen sich
nicht in einem rechtsfreien Raum; auch sie sind dem
Grundgesetz und dem Recht unterworfen. Es ist
schlimm genug, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Anlass sieht, Abgeordnete zu beobachten, um zu
sehen, ob sie die Verfassung einhalten. Aber auch da
sind Spielregeln einzuhalten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sagt dies auch; damit werden wir
uns ernsthaft befassen müssen. Das ist ein hochsensibler
Bereich, der nicht nur denjenigen betrifft, der beobachtet
wird, sondern das Parlament insgesamt.
Siegfried Kauder ({9})
({10})
Da werden Parlamentsrechte beeinflusst. Wir müssen
uns Gedanken darüber machen, ob es ausreicht, wenn in
diesem hochsensiblen Bereich das Parlamentarische
Kontrollgremium eingeschaltet wird, sodass der einzelne
Abgeordnete und das gesamte Parlament keinen Einblick in die Umstände bekommen, warum beobachtet
wird.
Darüber können wir sicherlich diskutieren; dies ist es
auch wert. Aber man sollte die beiden Entscheidungen
nicht in einen Topf werfen, rühren und damit Stimmung
machen. Diese Themen sind viel zu sensibel.
Die Beobachtung von Abgeordneten durch die Nachrichtendienste ist diskussionswürdig. In diese Diskussion würde ich gerne einsteigen. Die erste Entscheidung
eignet sich dafür nicht. Deswegen konnten wir dem Antrag der FDP auch nicht zustimmen.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es wird Sie nicht überraschen, dass wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juni
2009 ganz anders beurteilen als mein Vorredner, der geschätzte Kollege Kauder. Wir sind der Meinung: Wir, die
Opposition, haben mit unserer Verfassungsklage eine geradezu epochale Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwirkt.
({0})
Ich stehe nicht an, an dieser Stelle dem jetzigen Präsidenten des Deutschen Anwaltsvereins, Herrn Professor
Wolfgang Ewer, der uns in Karlsruhe anwaltlich vertreten hat, für seine erfolgreiche Prozessführung ebenso zu
danken wie unserem Fraktionsjustiziar Rainer Funke
und meinen Kollegen Hellmut Königshaus, HansChristian Ströbele, Wolfgang Nešković und Professor
Paech, die sich besonders um die Abgeordnetenbetreuung bei dieser Klage verdient gemacht haben.
({1})
Was ist das Besondere an dieser Entscheidung? Das
Bundesverfassungsgericht hat das Verhältnis von Parlament und Regierung in grundsätzlicher Weise neu bestimmt. Es hat die Kontrollmöglichkeiten des Regierungshandelns als eine Aufgabe des gesamten
Parlaments definiert und sie deutlich verbessert. Das ist
nur zu begrüßen.
({2})
Leider mischt sich in diesen positiven Befund eine
bittere Erkenntnis: Die Opposition hat diese Rechte, die
dem gesamten Parlament zugutekommen, in Karlsruhe
allein erstreiten müssen. Die Regierungsfraktionen haben uns dabei leider im Stich gelassen.
({3})
Kein einziges Mal haben Sie von der Koalition uns im
Untersuchungsausschuss unterstützt, wenn es darum gegangen ist, der Bundesregierung bei der unberechtigten
Weigerung, Akten vollständig herauszugeben, entgegenzutreten.
({4})
Sie haben uns nicht unterstützt, als wir kritisiert haben, dass die Aussagegenehmigungen für wichtige und
wichtigste Zeugen unzulässig eingeschränkt worden
sind.
({5})
Aus diesem Grund hat sich im BND-Untersuchungsausschuss ein strukturelles Problem großer Koalitionen
deutlich erwiesen. In Zeiten großer Koalitionen fallen
Teile des Parlaments als Kontrollorgan der Regierung
tendenziell leider aus. Das ist die eigentliche Erkenntnis
aus dieser Entscheidung.
({6})
Die CDU/CSU hat uns erst am Schluss der Ausschussarbeit in unserem Aufklärungsbemühen unterstützt, nämlich als es um die Rolle von Herrn Steinmeier
bei der Beteiligung am Irak-Krieg gegangen ist. Sonst
haben auch Sie fast immer der SPD zugestimmt, die unsere Beweisanträge abgelehnt hat.
({7})
Erst vom Bundesverfassungsgericht sind uns die Rechte,
die uns zustehen, zugesprochen worden.
({8})
Ich kann nur feststellen: Es ist ein unguter Zustand,
wenn mehr als zwei Drittel der Abgeordneten des Deutschen Bundestags ihre Kontrollaufgabe nicht erfüllen;
das konnte man jetzt an einem konkreten Fall nachweisen. Es wird höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden.
({9})
Herr Kollege Kauder hat die Bedeutung der Entscheidung ein wenig heruntergespielt. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich hervorgehoben, dass auch dem
Parlament die Wahrung des Staatswohls anvertraut ist.
Das ist deswegen wichtig, weil die Bundesregierung den
Parlamentariern künftig nicht mehr mit dem pauschalen
Verweis auf vorgebliche Staatswohlgründe Informationen verweigern kann. Das geht weit über den aktuellen
Anlass des Untersuchungsausschusses hinaus. Das betrifft die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums, des Innenausschusses, aller Ausschüsse und das
Frage- und Auskunftsrecht der einzelnen Abgeordneten.
Deswegen hat die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung.
({10})
Nun stellt sich freilich die Frage: Wie können die neu
definierten Rechte von uns noch zu weiterer Aufklärung
genutzt werden? Es nützt nichts, heute - Ende August einen neuen Untersuchungsausschuss einzurichten.
({11})
Wir wissen alle - Herr Kollege Ströbele und ich haben
uns darüber unterhalten -: Die Geschäftsordnungsmehrheit der Koalition hätte - ich bin da wenig optimistisch viele Möglichkeiten, die Tagungen eines solchen Ausschusses hinauszuzögern.
({12})
Man muss eines wissen: Mit Ende der Legislaturperiode endet ein solcher Ausschuss automatisch.
({13})
Er kommt also zu spät. Wir schlagen daher einen Weg
vor, der wirklich nützlich ist. Es gibt Beweisbeschlüsse.
Wir wollen, dass uns diese Akten herausgegeben werden. Wenn der Bundestag dies gerade beschlossen hätte,
würde ich keine rechtlichen Hindernisse sehen, warum
uns die von uns bereits beantragten, aber nicht vollständig übermittelten Akten nicht jetzt noch zugeteilt werden
könnten. Denn dann hätten wir die Möglichkeit, ohne
Sondersitzungen im Aktenstudium noch für Aufklärung
zu sorgen. Angesichts dessen, was wir jetzt über die Folterpraktiken der CIA erfahren, hätten wir genug Anlass
dafür.
Deshalb schließe ich mit einem Appell an die Bundesregierung: Auch wenn unser Antrag hier gerade bedauerlicherweise keine Mehrheit gefunden hat, wird Sie
niemand daran hindern, dem Aufklärungsinteresse des
Parlaments zu entsprechen. Überlassen Sie uns sofort die
Akten, die wir längst beantragt haben. Dann können wir
noch sinnvolle Aufklärungsarbeit leisten.
Vielen Dank.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege
Michael Hartmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich habe nicht im Geringsten die Absicht, die
heutige notwendige und sinnvolle Debatte mit dem zu
vermischen, was vielleicht naheliegenderweise oder verlockenderweise an Wahlkampfgetöse draußen tobt; eigentlich tobt es ja gar nicht so sehr.
Ich möchte vielmehr als Erstes feststellen: Die Oppositionsfraktionen im Untersuchungsausschuss haben wegen aus ihrer Sicht unzureichender Aktenvorlage und
weil man der Auffassung war, dass die Zeugenaussagegenehmigungen nicht ausreichend waren, eine Organklage eingereicht. Das Verfassungsgericht
({0})
hat festgestellt, dass das in Teilen richtig war. Ich respektiere das nicht nur, sondern ich erkenne das an und freue
mich darüber, weil dadurch die Rechte des Parlaments
gestärkt werden.
({1})
- Herr Ströbele, freuen Sie sich doch mit mir darüber,
({2})
dass das Parlament jetzt stärker mitbestimmen kann und
mehr erreicht wurde, anstatt einfach nur dazwischenzuquäken. Vielleicht beeindruckt das Ihre Wähler in
Kreuzberg. Ich glaube, dass wir die heutige Debatte auch
anders führen können. Dies ist ein guter Tag, weil das
Parlament in der Konsequenz jetzt stärker mitreden und
weil es seinen Kontrollpflichten nachkommen darf.
Die einen sind glücklich darüber, weil sie einen vermeintlichen Sieg erreicht haben. Die anderen sind aber
nicht traurig; es tut mir leid. Als Parlamentarier freue ich
mich ausdrücklich darüber, dass die Kontrollrechte des
Parlaments gestärkt wurden. Das ist meine erste Bemerkung.
Zweite Bemerkung: Es ist gut, dass in Zukunft nicht
mehr einfach unter Verweis darauf, dass der Kernbereich
der exekutiven Eigenverantwortung erreicht ist oder
hohe Belange des Staatswohls berührt werden, Nein gesagt werden kann, sondern - da hat der Vorsitzende völlig recht - begründet werden muss, warum.
({3})
- Der bisherige Vorsitzende, Herr Wieland. Ich nehme
diesen Zwischenruf dankbar auf. Es freut mich ja, wenn
Sie mir so konzentriert zuhören. - Das heißt, es ist kei26278
Michael Hartmann ({4})
neswegs klar, dass uns irgendein Aktenstück mehr oder
weniger vorgelegt würde, wenn wir jetzt wieder in ein
Verfahren eintreten würden. Die Frage ist also nicht, ob
wir mehr sehen würden, sondern zunächst einmal, mit
welcher Begründung die Bundesregierung dem Ausschuss entgegentreten würde, mit welcher Begründung
sie sagen würde: „Ja, das dürft ihr sehen“, oder: „Nein,
das dürft ihr nicht sehen.“ Das Gleiche gilt für die Aussagegenehmigung. Warum ist sie so eng gefasst? Muss
sie weitergefasst werden? Das alles ist gut, weil insbesondere jene Fraktionen, die einen Untersuchungsausschuss vorantreiben, die Möglichkeit erhalten, kritischer
und genauer nachzufragen und damit auch für eine kritischere Öffentlichkeit zu sorgen. Für Fälle wie die, die
wir im 1. Untersuchungsausschuss behandelt haben, bedeutet das: Die Bundesregierung muss entweder hinsichtlich der Begründung nachlegen oder Akten vorlegen.
({5})
Damit haben wir ein Dilemma aber nicht behoben
- ich bitte, kurz darüber nachzudenken -, das den 1. Untersuchungsausschuss der zu Ende gehenden Wahlperiode immer begleitet hat, nämlich das Grundproblem,
dass einerseits wichtige Belange des Staatswohls, wichtige, geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte erörtert
werden, auf der anderen Seite ein solcher Ausschuss
aber auch die hohe Pflicht hat, für das Parlament und die
deutsche Öffentlichkeit so viel Aufklärung wie möglich
herbeizuführen. Das und keineswegs die Boshaftigkeit
der Bundesregierung hat oft dazu geführt, dass so abgewogen wurde, wie das geschehen ist.
({6})
Es ging also keineswegs darum, die eine oder andere
Person zu schützen, was Sie unterstellen,
({7})
sondern es ging darum, dass einzelne Personen, die nicht
unbedingt als Großverdiener im Interesse der Sicherheit
unseres Landes tätig sind, nicht dekuvriert werden, Herr
Ströbele.
Es ging beispielsweise auch darum, dass wir von Informationen benachbarter und befreundeter Dienste in
Zukunft nicht abgeschnitten werden
({8})
und dass wir nicht generell offenlegen, wie geheime
Nachrichtendienste arbeiten. Dies zu schützen, war in
der Vergangenheit und ist auch in der Zukunft Aufgabe
der Bundesregierung. Ich erwarte von ihr, dass sie dies
auch weiterhin tut. Jetzt hat sie uns allerdings genau zu
erklären, warum sie das tut oder unterlässt.
({9})
Sie darf uns nicht mit der Antwort: „Das ist Kernbereich
der exekutiven Eigenverantwortung“ abspeisen.
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses ist abgeschlossen; es gibt ihn nicht mehr. Herr Wieland hat mit
seinem Zwischenruf deutlich gemacht, dass die machtvolle Position des Herrn Kauder im 1. Untersuchungsausschuss nicht mehr fortbesteht.
Jetzt haben wir zwei Möglichkeiten:
Erstens. Wenn nach unserer gemeinsamen Auffassung
so viele Sachverhalte, wie manche glauben, unbearbeitet
geblieben sind, können wir überlegen, ob wir dieses Fass
in der nächsten Wahlperiode noch einmal aufmachen
und uns erneut mit diesen Fragen befassen.
({10})
Das ist die erste Option, die wir haben.
Die zweite Option ist, dass wir als Ergebnis festhalten:
Jetzt und in Zukunft können wir, was das Agieren der
Bundesregierung angeht - in diesem Falle ging es insbesondere um das Bundeskanzleramt mit Dr. de Maizière an
der Spitze der Verantwortlichkeit -, genauer feststellen,
ob alle Aussagegenehmigungen, die erteilt werden, korrekt sind. Für die Zukunft ist das auf jeden Fall segensreich. Was die Aufklärung der noch in Rede stehenden
Sachverhalte betrifft, ist dies eine Abwägungsfrage. An
dieser Stelle können Sie beweisen, ob es Ihnen lediglich
darum geht, während des Wahlkampfes Theaterdonner
zu veranstalten, oder ob es Ihnen tatsächlich um die Inhalte geht.
({11})
Diesen Untersuchungsausschuss jetzt wieder aufleben
zu lassen, würde selbst dann, wenn wir alle daran mitwirken würden, bedeuten, dass wir zunächst einmal einen Einsetzungsbeschluss fassen müssten.
({12})
Außerdem müssten wir den Untersuchungsauftrag definieren.
({13})
- Pardon, Herr Ströbele, aber das schreiben nicht Sie alleine auf. Nach Ihrem Selbstverständnis machen Sie so
etwas vielleicht alleine.
({14})
Die Frage, ob so etwas eine Person alleine macht oder
von gewählten Mehrheiten festgelegt wird, hat übrigens
Michael Hartmann ({15})
auch etwas mit Parlamentarismus zu tun, lieber Herr
Ströbele.
({16})
Wir müssten, wie gesagt, zunächst einmal viele Verfahrensfragen klären. Erst dann könnten wir uns in einer
gemeinsamen Sitzung mit der Bundesregierung über einzelne Aktenstücke auseinandersetzen.
({17})
Dabei müssten wir klären, ob die Bundesregierung die
geforderten Akten jetzt freigibt und, wenn nein, warum
nicht.
Ich frage Sie: Wohin soll das führen? Selbst wenn wir
permanent tagen würden, könnten wir unsere Arbeit bis
zur Konstituierung des nächsten Deutschen Bundestages
nicht beenden.
({18})
Das wäre nur Klamauk. Das haben die Themen, um die
es geht, nicht verdient.
Vor diesem Hintergrund sage ich noch einmal: Das
Parlament ist vorangekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte des Parlaments gestärkt. Darüber
sollten wir uns in diesem Hause gemeinsam freuen. Wir
dürfen diese Situation aber nicht ausnutzen und instrumentalisieren, um bei ernsten und schwierigen Themen
unnötigen Theaterdonner zu veranstalten.
Vielen Dank.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norman Paech
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist wahrlich kein rühmliches Ende der
16. Legislaturperiode. Da verpasst das Bundesverfassungsgericht der Regierung und den Regierungsfraktionen eine schallende Ohrfeige und erinnert sie an ihre
Rechte und Pflichten im Parlament, und Sie, Herr
Kauder, sagen: Diese Rechte interessieren uns nicht.
({0})
Mehr als drei Jahre hat sich die Opposition im Untersuchungsausschuss abgemüht, um Licht in das Dunkel
der geheimdienstlichen Aktivitäten des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigem Amtes und seiner Geheimdienste im Krieg der USA gegen den Terror zu bringen.
Immer wieder sind wir wegen der Geheimniskrämerei
der Regierung aufgelaufen. Aber es war nicht nur die
Regierung, die unsere Arbeit behindert hat. Der größte
Widerstand kam von den Regierungsfraktionen. Dieser
Widerstand hat unseren Gang zum Bundesverfassungsgericht und später zum Bundesgerichtshof überhaupt erst
notwendig gemacht.
Herr Hartmann und Herr Kauder, in allen wesentlichen Punkten hat das Bundesverfassungsgericht der
Klage der Opposition recht gegeben.
({1})
Geradezu lehrbuchartig hat es nicht etwa nur die Rechte
des Parlaments gestärkt, sondern es hat dem Parlament
seine Rechte und Aufgaben, die die Mehrheit des Parlaments gar nicht haben wollte, auch vor Augen geführt.
Das sind nämlich unsere Rechte, und die braucht man
nicht zu stärken, wir müssen sie nur ergreifen.
({2})
Da Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bislang offensichtlich nicht vollständig gelesen haben, bin ich gezwungen, Ihnen eine kurze Passage vorzulesen. Da heißt es: Es geht
im Untersuchungsausschuss um die Aufklärung eines Sachverhalts zu politischen Zwecken, vor allem
um die Wahrnehmung der Kontrollfunktion des
Parlaments. Die einzelne Beweiserhebung eines
Untersuchungsausschusses muss daher nicht auf
bestimmte Tatsachen bezogen sein, sondern kann
darauf abzielen, zunächst „Licht ins Dunkel“ eines
Untersuchungskomplexes zu bringen, um auf diese
Weise die Aufklärung von politischen Verantwortlichkeiten zu ermöglichen …
So weit das Bundesverfassungsgericht.
Die Regierung und beide Regierungsfraktionen haben
mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass die Opposition - FDP, Grüne und Linke - Licht ins Dunkel bringt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Siegfried Kauder?
Ich würde das jetzt gerne erst einmal zu Ende bringen.
Vielleicht ergibt sich die Frage dann.
Wie oft haben wir uns mit lückenhaften, geschwärzten und bis zur Unkenntlichkeit gekürzten Unterlagen
herumschlagen müssen!
({0})
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Geheimhaltung
nicht nur als unangemessen, sondern als verfassungswidrig, als grundgesetzwidrig gerügt.
({1})
Es hat, weil die Begründungen der Regierung vollkommen unzureichend waren, nunmehr die Herausgabe der
vollständigen Akten verfügt.
Nur ein Beispiel: Als es darum ging, warum der Bremer Türke Murat Kurnaz nicht aus Guantánamo nach
Deutschland zurückkehren durfte, blockten die Regierung und die beiden Koalitionsfraktionen die Auskunft
über die Beratungen in der sogenannten Präsidentenrunde der Sicherheitschefs ab. An ihr nahm auch der
ehemalige Chef des Kanzleramts, Steinmeier, regelmäßig teil. Die Regierung hat Auskünfte darüber mit der
Behauptung verhindert, sie seien von der Aussagegenehmigung nicht erfasst, das alles falle in den Kernbereich
exekutiver Eigenverantwortung.
Das Bundesverfassungsgericht hat darin zu Recht
eine unzulässige Verkürzung des parlamentarischen Untersuchungsrechts nach Art. 44 Grundgesetz gesehen,
und es hat gerügt, dass es in all diesen Fällen regelmäßig
an einer substanziellen Begründung dafür gefehlt hat.
Besonders peinlich sollte diese Kritik den beiden Regierungsfraktionen sein, die immer wieder Anträge und
Beschwerden von uns niedergestimmt haben und ihre
subalterne Rolle als Regierungsunterstützungsverein offensichtlich gar nicht bemerkt haben.
({2})
Als es um die zweifelhafte Zusammenarbeit mit den
US-Geheimdiensten ging - ich erinnere an die Kriegsunterstützung in Bagdad im Frühjahr 2003 -, hat die Regierung eine Gefährdung des Staatswohls beschworen, um
unsere Fragen leerlaufen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass mögliche
Unannehmlichkeiten mit ausländischen Regierungen
„keine Gefährdung des Staatswohls“ darstellen, „sondern eine hinzunehmende verfassungsgewollte Folge der
Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts“.
({3})
Nach dem Urteil zum Lissabon-Vertrag war dieser
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bereits die
zweite Entscheidung, mit der das höchste deutsche
Gericht die Bundesregierung für die Missachtung des
Parlaments schwer gerügt hat. Im Juli hat das Bundesverfassungsgericht in einer dritten Entscheidung die Verweigerungsstrategie der Regierung noch einmal als verfassungswidrig gerügt. Jedes Mal - das ist zu betonen war es die Opposition, waren es die drei Parteien, die
drei Fraktionen der FDP, der Grünen und der Linken, die
das höchste Gericht zur Hilfe rufen mussten, um ihre
Rechte - die ja Rechte des ganzen Parlaments sind - gegen die Regierung und ihre Vasallen, die Regierungsfraktionen, durchzusetzen.
({4})
Die logische Konsequenz daraus, Herr Kauder, Herr
Hartmann, wäre, die Arbeit des Untersuchungsausschusses jetzt fortzusetzen. Wir hätten dem Plenum den Abschlussbericht niemals übergeben, wenn wir gewusst
hätten, dass am Tage vorher das Bundesverfassungsgericht unserer Klage stattgibt. Die Arbeit des Ausschusses
wäre ohne Zweifel und ohne besondere Probleme weitergegangen. Wenn SPD und CDU/CSU jetzt erneut die
Rechte der Opposition und eine Wiederaufnahme der
Ausschussarbeit blockieren, so ist das nicht etwa mit
Wahlkampf oder einem der vielen Kollateralschäden einer Großen Koalition zu entschuldigen, sondern, meine
Damen und Herren und liebe Kollegen, dies ist wirklich
ein beschämender Abschied von dieser 16. Legislaturperiode.
Danke schön.
({5})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Siegfried Kauder.
Herr Kollege Paech, hat eigentlich die Opposition gegen die Regierungskoalition geklagt oder gegen die
Regierung, weil Akten nicht herausgegeben wurden?
Können Sie mir einen Fall nennen, in dem die Regierungskoalition gegen einen Beweisantrag der Oppositionsfraktionen gestimmt hat? Können Sie damit behaupten, dass die Regierungskoalition die Arbeit des
Untersuchungsausschusses behindert hat? War es nicht
vielmehr so, dass sich die Regierungskoalition in aller
Regel enthalten hat, sodass Sie Ihre Minderheitsrechte
wahrnehmen konnten und keine Behinderung eingetreten ist? Ihre Behauptung, dass die Regierungskoalition
die Arbeit behindert habe, ist nicht richtig. Es war
manchmal so, dass man sich gefragt hat, ob die Oppositionsfraktionen mit dem notwendigen Nachdruck das Interesse an Aufklärung transportieren.
({0})
Herr Dr. Paech, zur Erwiderung, bitte.
Herr Kollege Kauder, nichts leichter als das. Wir haben in der Tat gegen die Regierung geklagt, weil die entsprechenden Vorgänge im Jahr 2007 stattfanden; aber
mit der weiteren Entwicklung des Untersuchungsausschusses war es immer mehr die Regierungskoalition,
die unsere Beweisanträge behindert hat.
({0})
Ein Beispiel: Als wir von der Regierung forderten,
dass sie die Requests for Information offenlegt, die die
Amerikaner dem BND-Mitarbeiter in Doha/Katar gegeben haben, damit er sie über Pullach nach Bagdad gibt,
damit man sie dort bearbeitet, um die entsprechenden
Antworten wiederum nach Doha zu geben, haben Sie,
die SPD und die CDU/CSU, verhindert, dass wir unsere
Fragen stellen konnten; die Regierung hatte uns nämlich
nichts anderes übermittelt als geweißte Blätter. Wir
wussten nur, dass die Amerikaner ihre Fragen gestellt
hatten. Was sie aber für Fragen zur Kriegsführung gestellt hatten, das wussten wir nicht. Leider muss ich sagen: Es geht auch auf Ihre Intervention als Vorsitzender
und die der SPD zurück, dass wir da nicht durchkamen.
Wir mussten sogar den BGH anrufen. In der zweiten Instanz wurde in der Tat nicht in unserem Sinne entschieden, weil man der Meinung war: Das ist eine Sache des
Bundesverfassungsgerichts.
({1})
- Nein, wir haben da nicht verloren; vielmehr hat der
BGH gesagt: Wir entscheiden nicht, weil darüber das
Bundesverfassungsgericht entscheiden muss.
Wir hätten natürlich eine Anschlussklage beim Bundesverfassungsgericht einreichen können. Wie die Sache
dann ausgegangen wäre, das können Sie sich vorstellen.
({2})
Nun hat das Wort der Kollege Hans-Christian
Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kauder, Sie haben mich heute sehr enttäuscht. Ich hatte erwartet, dass Sie heute, da es um Parlamentsrechte geht, eine andere Rede halten. Das haben
Sie nicht gemacht.
Über viele Jahre hat diese Bundesregierung die Verfassung gebrochen, die Verfassung verletzt, und sie tut
das immer noch.
({0})
Das ist schlimm. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass Sie uns in verfassungswidriger Weise, unter Verletzung des Grundgesetzes immer wieder, in zahlreichen Fällen, die Akten nicht gegeben und keine
Aussagegenehmigung erteilt haben, das heißt, Sie haben
es dem Parlament nicht möglich gemacht, seiner Pflicht
zur Aufklärung eines Sachverhalts nachzukommen. Das
ist ganz schlimm.
Dass Sie uns aber noch heute - obwohl das Verfassungsgericht festgestellt hat, dass Sie verfassungswidrig
gehandelt haben - die Akten vorenthalten - wir haben
geschrieben; wir haben gefordert, einen neuen Untersuchungsausschuss einzusetzen; wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht, über den heute im Parlament abgestimmt wird -, ist ungeheuerlich. Spätestens
jetzt müsste die Bundesregierung sagen: Okay, jetzt habt
ihr die Akten, jetzt schaut hinein; wir wollen mit der Behinderung der Arbeit des Deutschen Bundestags, dieses
Parlaments, Schluss machen.
({1})
Herr Kollege Kauder, das Schlimmste aber ist - das
sage ich allen Abgeordneten der Koalition -, wie Sie
sich verhalten haben. Sie haben durch Nichtstun, durch
Lächerlichmachen, durch Zynismus, durch Hohngelächter Ihre Auffassung immer wieder beispielsweise in den
Medien verbreitet, dass das, was die Opposition will,
nichts als Theaterdonner ist, dass sie auf dem völlig falschen Weg ist und dass die Bundesregierung in allen
Punkten recht hat.
Sie haben sich nicht in einem einzigen der zahlreichen Fälle, die das Gericht entschieden hat, auf unsere
Seite gestellt und gesagt: Liebe Bundesregierung, missachtet nicht den Ausschuss und die Rechte des Parlaments. Das werfe ich Ihnen vor. Denn wir haben nicht
nur für unsere Rechte als Parlamentarier, für die Rechte
der Opposition gekämpft, sondern wir haben diese Organklagen eingereicht, um die Rechte des gesamten Parlaments, also auch Ihre Rechte, zu sichern.
({2})
Sie haben Ihren Job im Deutschen Bundestag und insbesondere im Untersuchungsausschuss völlig missverstanden, und zwar dahin gehend, dass Sie sich als eine
Art Hilfsbeamter der Bundesregierung betätigt haben.
Ihre Aufgabe war es nur, sich schützend vor die Bundesregierung zu stellen, durch langes Palaver, durch lange
Befragungen zu ganz anderen Punkten, durch Obstruktion und durch wiederholte Erklärungen, dass dieser
Ausschuss eigentlich völlig überflüssig sei, die Arbeit
lächerlich zu machen und ad absurdum zu führen. Sie
haben überhaupt nicht gesehen, dass die Beweisanträge,
die der Ausschuss beschlossen hat, denen Sie nicht widersprochen haben, auch zum Erfolg geführt haben. Das
werfe ich Ihnen vor.
({3})
Ist denn dieser Deutsche Bundestag nicht Manns und
Frau genug, seine eigenen Rechte zu sichern? Muss man
immer zum Bundesverfassungsgericht gehen? Das ist
jetzt der dritte Fall, wo sich das Bundesverfassungsgericht bemüßigt fühlt, endlich die Rechte des Parlaments
hochzuhalten und wiederherzustellen, weil Sie das nicht
tun, weil unter der Großen Koalition die Rechte des Parlaments mit Füßen getreten werden. Das wollen wir
nicht hinnehmen. Überlegen Sie sich einmal, was Sie da
angerichtet haben!
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kauder?
Ja, wenn er jetzt etwas Vernünftiges sagt.
({0})
Es ist schön, Herr Kollege Ströbele, dass Sie mit Ihrem Beitrag das Gelächter des Parlaments herbeiführen.
Es ist nicht schön, dass Sie mir etwas vorwerfen, was
unberechtigt ist.
Was macht der Vorsitzende eines Untersuchungsausschusses, wenn die Regierung erklärt, dass Akten nicht
herausgegeben werden? Gibt es einen Amtsermittlungsgrundsatz, dass der Vorsitzende dann selbst gegen die
Regierung vorgehen kann, oder ist es nicht so, dass man
den Weg nach § 18 Abs. 3 des Untersuchungsausschussgesetzes einhalten muss, das heißt, gegen die Regierung
klagen muss?
Herr Kollege Kauder, wenn die Bundesregierung
ganz offensichtlich in Dutzenden von Fällen Akten
schwärzt, nicht herausgibt, Aussageverweigerungen der
Zeugen hinnimmt und rechtfertigt, Aussagegenehmigungen einschränkt oder gar nicht erteilt und die Opposition
das beanstandet, dann erwarte ich vom Vorsitzenden und
von der Zweidrittelmehrheit des Ausschusses, dass sie
sich mindestens in die Diskussion einschalten und sagen:
Liebe Bundesregierung, was ihr hier macht, ist verfassungswidrig. Wollt ihr uns nicht die Akten geben? Es
steht doch schließlich im Grundgesetz, dass ihr verpflichtet seid, die Akten herauszugeben, und zwar so,
dass man sie lesen kann. Das ist eigentlich selbstverständlich. Liebe Bundesregierung, tut das.
Wenn dann die Opposition in ihrer Verzweiflung, dass
sie ihren Aufgaben nicht nachkommen kann, Klagen
beim Bundesverfassungsgericht einreicht, dann erwarte
ich, dass sich der Vorsitzende und die Ausschussmehrheit dieser Klage anschließen und sagen: Hier sind Verfassungsrechte des ganzen Parlaments in Gefahr oder
mit Füßen getreten worden.
({0})
Das hätte ich erwartet und nicht, dass Sie da sitzen und
sagen: Na, wollen wir doch mal sehen, ob in dieser Legislaturperiode überhaupt noch eine Entscheidung
kommt. Wenn Sie ein Aufklärungsinteresse gehabt hätten, dann hätten Sie sich persönlich und alle Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition, die mit im Untersuchungsausschuss gesessen haben, anders verhalten müssen.
({1})
Nun kommen wir zum Untersuchungsausschuss. Da
haben Sie die Arbeit verfassungswidrig behindert. Das
stellen wir jetzt einmal fest. Wir haben Ihnen Gelegenheit gegeben, auf unseren Vorschlag einzugehen, den
Untersuchungsausschuss, von dem Sie sagen, er hätte
seine Arbeit beendet, wieder einzusetzen. Wenn uns die
Bundesregierung die Akten herausgäbe, würde die Zeit
ausreichen - das steht zutreffend im Antrag der FDP -,
um sie innerhalb von ein oder zwei Wochen - das traue
ich mir zu - durchzusehen und zu erkennen, ob darin etwas Wichtiges steht, ob man noch etwas machen muss
oder nicht. Sie machen aber überhaupt nichts. Wir haben
versucht, den Untersuchungsausschuss wieder einzusetzen; Sie haben sich verweigert. Leider ist die FDP auf
halbem Wege stehen geblieben und hat uns da nicht unterstützt.
({2})
In dieser Stunde geht es aber auch noch um eine andere Frage; denn die Bundesregierung missachtet auch
in anderen Bereichen das Parlament und seine Rechte.
Als der Kollege Beck, nachdem eine Zeitung dies berichtet hatte, fragte, ob es tatsächlich so sei, dass Bundestagsabgeordnete vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und in irgendeiner Weise überwacht
werden - eine Frage, die in der Tat uns alle angeht; da
haben Sie recht -, hat die Bundesregierung die Antwort
verweigert. Die Bundesregierung sagte, diese Frage
dürfe allein im Parlamentarischen Kontrollgremium behandelt werden. Da sagen wir: Auch das ist verfassungswidrig. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist nicht
dafür da, den Deutschen Bundestag zu ersetzen und die
Rechte aller anderen 600 Abgeordneten aufzuheben.
Vielmehr soll das Parlamentarische Kontrollgremium
eine ergänzende, zusätzliche Kontrolle der Bundesregierung im Geheimdienstbereich ermöglichen, und zwar in
den Fällen, in denen das Ganze geheim bleiben muss.
({3})
Die Behandlung der Frage, ob Abgeordnete des Deutschen Bundestages vom Verfassungsschutz überwacht
werden, bedarf aber keiner Geheimhaltung. Das darf der
Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden.
({4})
Auch da haben wir Recht bekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Parlament ins Stammbuch geschrieben: Die Bundesregierung muss auf all diese Fragen Antworten geben; das Parlament muss dafür sorgen,
dass diese Antworten tatsächlich rechtzeitig vorliegen.
Sie, die Regierung, treiben das noch weiter. Wir haben weitere Fragen gestellt, die wir dem Verfassungsgericht noch nicht vorlegen konnten; wir werden das noch
tun. Es geht darum, ob die Bundesregierung die Beantwortung von Fragen zur Deutschen Bahn - zu den Machenschaften von Herrn Mehdorn - mit der Begründung
verweigern kann, dass es sich um ein privates Unternehmen handele, das zwar dem Bund gehöre, mit dem man
aber ansonsten nichts zu tun habe. Auch das ist verfassungswidrig.
Dies betrifft auch meine Fragen an die Bundesregierung, die nicht oder nur unzulänglich beantwortet werden: Was ist nach der Verabschiedung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes mit der Hypo Real Estate, der
Commerzbank oder anderen Banken ausgehandelt worden? Müssen die Banken irgendwelche Bedingungen
einhalten? Wenn die Bundesregierung überhaupt reaHans-Christian Ströbele
giert, sagt sie: Darauf geben wir keine Antwort; das ist
Geschäftsgeheimnis.
Sie, die Regierung, treiben das immer weiter. Sie
missachten das Parlament. Sie machen es uns Parlamentariern unmöglich, unseren Parlamentsaufgaben nachzukommen. So kann das nicht weitergehen. Deshalb muss
diese Große Koalition zu Ende gehen, besser heute als
morgen.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kristina Köhler
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als selbstbewusste Parlamentarier begrüßen wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung
der Kontrollrechte des Parlaments.
({0})
Dieser Beschluss wird zukünftig das Verhältnis von Regierung und Parlament prägen.
Wie gehen wir jetzt mit dieser Entscheidung um? Es
liegen mehrere Vorschläge auf dem Tisch. Die Grünen
und die Linken möchten noch in dieser Legislaturperiode einen neuen Untersuchungsausschuss einsetzen.
Die FDP hat einen Antrag zur Beratung eingebracht, mit
dem sie die bis dato vorenthaltenen Unterlagen anfordert. Die SPD wird sicherlich keine weiteren Unterlagen
anfordern. Sie hofft wahrscheinlich eher, dass der Wähler die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses bis zur
Wahl vergessen wird.
Wir als CDU/CSU hätten natürlich nichts dagegen,
wenn noch mehr Fakten auf den Tisch kommen würden,
die Herrn Steinmeier belasten. So ist zum Beispiel in der
Tat immer noch die Frage offen, ob Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes in Bagdad militärische Informationen von sich aus geliefert oder ob sie das ganz konkret auf amerikanische Bestellung gemacht haben.
({1})
Wenn dem so wäre, dann würde dies zeigen, wie stark
Deutschland entgegen den Behauptungen von Schröder
und Steinmeier in die Kriegsführung der USA involviert
war.
({2})
Diese Frage ist in der Tat noch offen, weil diese Anfragen der Amerikaner bis dato geschwärzt waren.
({3})
Aber so interessant und wichtig diese Frage ist, so ernsthaft müssen auch solche Untersuchungen durchgeführt
werden, und das geht nicht, wie von den Grünen und den
Linken gefordert, so kurz hopplahopp noch vor der
Wahl.
({4})
Wir haben jetzt mehr als drei Jahre ernsthafte Arbeit
in diesen Untersuchungsausschuss gesteckt. Ich habe
ehrlich gesagt keine Lust, dass diese ganze Arbeit jetzt
im Wahlkampfgetöse untergeht.
({5})
Das würde sie. Es ist doch völlig naiv zu glauben, man
könnte jetzt neue Akten kurz in ein, zwei Sitzungen abhandeln, zumal es damit nicht getan wäre. Höchstwahrscheinlich müssten dann wieder Zeugen befragt werden.
Dann müssten wir eventuell wieder Herrn Steinmeier
und Herrn Schily neu befragen. Für all das braucht man
Zeit, mehr Zeit, als diese Legislaturperiode noch hergibt.
Diese Zeit haben wir nicht. Das Ende der Legislaturperiode bedeutet nun einmal rechtlich automatisch das
Ende jedes Untersuchungsausschusses.
({6})
Wir könnten also höchstens noch ein Ausschüsschen
einrichten, aber keinen ernsthaften Ausschuss mehr. Das
kann nur der nächste Bundestag. Ein Kommentar in der
Neuen Osnabrücker Zeitung hat das ganz richtig zusammengefasst. Dort steht - ich zitiere -:
Denn Karlsruhe hat die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Regierung deutlich gestärkt.
Dieser Fortschritt sollte nicht durch Schaumschlägerei - wie aktuell durch Grüne und Linke - diskreditiert werden.
Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.
({7})
Ich komme zum Antrag der FDP. Wir haben dem Antrag der FDP nicht zugestimmt, weil er aus unserer Sicht
fehlerhaft ist.
({8})
Erstens. Es ist nicht so, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, dass die Bundesregierung jetzt
alle Unterlagen herausgeben müsse, sondern das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Alleine mit den vorliegenden Begründungen kann die Bundesregierung die
Herausgabe der Akten nicht verhindern. Die FDP suggeriert aber in ihrem Antrag, dass die Akten nunmehr so26284
Dr. Kristina Köhler ({9})
fort vollständig herausgegeben werden müssten. Aber
das ist falsch. Die Bundesregierung braucht für die
Nichtherausgabe nur bessere Gründe.
({10})
Frau Kollegin, Herr Kollege Ströbele möchte gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich will das jetzt im Zusammenhang darstellen.
Zweitens. Das Problem, dass in dieser Legislaturperiode keine seriöse Aufarbeitung dieser Unterlagen mehr
möglich ist, bleibt meines Erachtens auch beim FDPAntrag bestehen. Hinzu kommen die Fragen: Wer soll
denn die geheimen Unterlagen anfordern? Wohin?
({0})
Wer darf sie dann lesen? Wir haben keinen Untersuchungsausschuss mehr. Das hat der Kollege Kauder eben
vorgetragen. Das scheinen auch die Linken und die Grünen so zu sehen, sonst hätten sie heute keinen neuen Untersuchungsausschuss beantragt.
Noch eine Anmerkung zu den Folgen der Entscheidung über die parlamentarischen Kontrollrechte: Ein
Teil der Akten wurde von der Bundesregierung mit dem
Hinweis zurückgehalten, dass geheime Informationen
bekannt werden würden und dass dies das Staatswohl
gefährden würde. Das ist an sich eine völlig richtige und
nachvollziehbare Grenze. Bemerkenswert ist aber, dass
das Bundesverfassungsgericht klar sagt: Der Schutz des
Staatswohls obliegt nicht nur der Bundesregierung, sondern auch dem Parlament. Das Staatswohl ist der Bundesregierung und uns gemeinsam in die Hände gelegt.
Aus dieser Verantwortlichkeit resultiert aber auch eine
gesteigerte Verantwortung. Zu Recht betont das Bundesverfassungsgericht nämlich auch, dass das Staatswohl
nur geschützt werden kann, wenn ausreichende Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen werden. Wir alle wissen, dass in den letzten drei Jahren dieses Untersuchungsausschusses immer
wieder vertrauliche und geheime Informationen an die
Presse weitergegeben wurden. Der ehemalige Obmann
der Linken, Herr Nešković, hat gar eine ganze geheime
Akte verloren, die bis heute nicht wieder aufgetaucht ist.
({1})
Beides ist unwürdig, und beides ist beschämend.
({2})
Wenn wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages
also unsere Rechte als Volksvertreter einfordern, dann
sollten wir uns auch auf unsere Pflichten als Volksvertreter besinnen. Das ist die ungeschriebene Seite dieser
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Frau Kollegin Köhler und Herr Kollege
Kauder, ich verstehe Sie nicht ganz. Wollen Sie jetzt tatsächlich sagen, Sie hätten mit der Bundesregierung
nichts zu tun und die Entscheidung, in der in eindeutiger
Weise ein Verfassungsverstoß festgestellt worden ist, berühre die Position der Koalitionsfraktionen nicht? Die
Koalitionsfraktionen haben die Position der Bundesregierung doch immer verteidigt, auch wenn sie sich bei
der Abstimmung über Anträge der Stimme enthalten haben. Sie haben die Bundesregierung in ihrem Verfassungsverstoß doch immer gestützt.
({0})
Wenn Sie heute hier sagen, Frau Köhler, dass Sie natürlich gern mehr gewusst hätten, frage ich: Wer ist denn
im Kanzleramt? Wer hat es denn zu verantworten gehabt, dass die Aktenherausgabe verweigert wurde? Das
war doch Herr de Maizière. Das war doch das Kanzleramt.
({1})
Das ist wirklich der Gipfel der Heuchelei. Das kann man
nicht durchgehen lassen.
({2})
Ich will noch einen Punkt ansprechen, nämlich die
Art und Weise, in der hier auch ganz generell mit dem
Fragerecht und dem Informationsrecht des Parlaments
umgegangen wurde; insofern ist das Bundesverfassungsgericht sehr eindeutig gewesen. Ich erinnere mich an
manche Fragestunde, in der fast schon die Lottozahlen
statt der Antwort auf die Frage hätten verlesen werden
können. Das geht tatsächlich ans Selbstverständnis des
Parlaments. Das muss aufhören. Auch das steht fest.
Wenn hier also gesagt wird, oftmals auch vom Präsidium: „Wie die Bundesregierung auf die Frage antwortet, ist ihre Sache“, muss dem entgegengehalten werden,
was das Bundesverfassungsgericht klar gesagt hat, nämlich: Das ist nicht Sache der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat gefälligst die Fragen des Parlaments zu
beantworten; denn es ist das Fragerecht des Parlaments
und nicht das Antwortrecht der Bundesregierung.
({3})
Ich muss auch noch auf Herrn Ströbele eingehen. Er
hat gesagt, die FDP sei auf halbem Wege stehen geblieben. Frau Enkelmann war es, glaube ich, die so etwas
Ähnliches gesagt hat, nämlich die FDP habe Angst vor
ihrer eigenen Courage.
({4})
Die Neueinsetzung eines Untersuchungsausschusses zu
einem Thema ist nur dann folgerichtig, wenn der Untersuchungsausschuss dazu nicht mehr existiert. Sie haben
aber doch gemeinsam mit uns die Auffassung vertreten,
er bestehe noch. Dann ist es nicht folgerichtig, einen
neuen zu beantragen.
({5})
Es ist folgerichtig, Akteneinsicht und Herausgabe an die
Obleute zu verlangen, wie wir das getan haben.
({6})
- Einen Moment! Ich bin mit der Redezeitverlängerung
selbstverständlich einverstanden.
Dass wir zeitlich in eine solch enge Situation gekommen sind, liegt doch in erster Linie daran, dass wir am
Anfang über Monate hinweg auf die Grünen warten
mussten, die den Untersuchungsausschuss zunächst
nicht wirklich wollten.
({7})
Sie als Person wollten ihn vom ersten Tag, Herr
Ströbele. Ich habe hier aber Zitate. Ich könnte Ihnen gern
vorlesen, was dazu im Einzelnen gesagt wurde, insbesondere von Jerzy Montag; er ist jetzt leider nicht da. Er
war mehr oder weniger der Meinung, eigentlich sei der
ganze Katalog von Fragen beantwortet. Sie als Grüne
hatten am Anfang kein Interesse daran. Anders als Sie
als Person, Herr Ströbele, wollten die Grünen als Fraktion dieses Thema am Anfang gar nicht weiter erörtert
wissen.
Jetzt können Sie die Frage gern stellen.
Herr Kollege Königshaus, zu dem Letzteren will ich
jetzt gar nicht viel sagen, außer - ({0})
Außer dass es stimmt!
Nein. Meine Fraktion und ich waren gemeinsam der
Auffassung: Wir nutzen erst die Möglichkeiten der Untersuchung durch das Parlamentarische Kontrollgremium. Das war auch sehr ertragreich. Bei dieser Untersuchung ist unendlich viel herausgekommen, wovon
auch der Untersuchungsausschuss nachher gezehrt hat.
Das war unsere Linie damals. Es hat natürlich ein bisschen gedauert, weil das PKGr seine Arbeit erst zu Ende
bringen musste.
({0})
Jetzt aber zu meiner Frage.
Herr Kollege, ich darf nur darauf hinweisen, dass einige Kollegen Anschlusstermine haben.
Ja, okay; das ist aber jetzt ein wichtiger Punkt.
Ich wollte Sie nur davon in Kenntnis setzen.
Herr Kollege Königshaus, bitte sagen Sie mir, ob Sie
mir in Folgendem recht geben: Wenn Sie und die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion unseren Antrag auf
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit unterschrieben hätten, hätten wir diesen Antrag heute einbringen
können. Damit hätten wir uns zwar gegen unsere bisherige
Position, dass der Untersuchungsausschuss fortbestehen
müsse, gestellt, dies jedoch vor dem Hintergrund, dass
wir zur Kenntnis nehmen mussten, dass die anderen Fraktionen, der Parlamentspräsident und andere der Meinung
waren - und entsprechend gehandelt haben -, der Untersuchungsausschuss bestehe nicht mehr. Also brauchen
wir folgerichtig einen neuen, der dann, und zwar viel besser, als es durch den Antrag der FDP möglich ist, auf der
Grundlage der Verfassung die Akten sofort hätte anfordern können; denn das steht so in der Verfassung und im
Parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetz. Das
heißt, wir hätten dadurch eine gesetzliche, sogar eine verfassungsrechtliche Grundlage gehabt, um unsere Arbeit
tatsächlich ein Stück voranzubringen. Das haben wir mit
Ihrem Antrag leider nicht.
({0})
Ich gebe Ihnen leider nicht recht. Fragen Sie einmal Ihren Kollegen Jerzy Montag, wie man so etwas macht. Sie
haben völlig zu Recht angemerkt, dass die Koalition unsere Arbeit nicht gerade konstruktiv begleitet hat. Wenn
wir davon ausgehen, dass das auch in Zukunft so sein
wird - und nach den Beiträgen, die wir aus der Koalition
gehört haben, muss man das -, dann wird das eintreten,
was Jerzy Montag festgestellt hat: Dann wird - wie es damals bei der rot-grünen Mehrheit im Visa-Untersuchungsausschuss und auch in diesem Untersuchungsausschuss der Fall war - zunächst argumentiert, der Antrag
müsse erst verfassungsfest gemacht werden. Dann
kommt der ganze Vorgang in den Geschäftsordnungsausschuss. Anschließend wird sehr intensiv über die konkrete Formulierung diskutiert. Dann wird sehr detailliert
darüber diskutiert, welche Akten überhaupt noch offen
sind. Und die Bundesregierung - ich höre Dr. Hofmann
schon - würde natürlich sagen: Gerade weil es so wichtig
ist, müssen wir besonders sorgfältig schauen, welche Akten wir herausgeben müssen, damit wir bloß nichts übersehen. Das hätte zur Folge, dass wir nichts bekommen.
Wir haben deshalb den Antrag gestellt, dass die bereits konkret bezeichneten Akten herausgegeben werden, mit den Einschränkungen, die das Bundesverfassungsgericht akzeptiert hat. Diese Akten bräuchte man
nicht mehr zu suchen. Sie sind da, und sie hätten herausgegeben werden können. Dann hätten wir tatsächlich etwas bewegen können. Ihr Weg ist nach meiner festen
Überzeugung falsch; denn er hätte denjenigen, die blockieren wollen, die Möglichkeit dazu gegeben. Wir haben einen Weg gewiesen, mit dem wir an die entscheidenden Informationen kommen könnten.
({0})
Frau Präsidentin, ich sehe, dass ich schon über die
Zeit bin; deshalb zum Schluss nur so viel: Die Aktionen
der Koalition waren, wenn Sie mich fragen, nicht nur
eine Schande für die Bundesregierung, sondern in der
Tat auch ein Armutszeugnis für die Koalition selbst.
Niemand hat das besser formulieren können als Hans
Peter Schütz im Stern. Er hat gesagt:
Die SPD wollte um jeden Preis verhindern, dass ein
Schatten auf die frühere Arbeit ihres Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier fällt, der einst
Gerhard Schröders operative Hand war. Dafür war
ihr kein Argument zu dünn bis dümmlich. Auch die
CDU/CSU hatte kein Interesse daran, im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der BND-Affären
beizutragen. Das Koalitionsklima war der Kanzlerin wichtiger als die Achtung des Wunsches der
Verfassungsväter.
Dem, meine Damen und Herren, ist nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.
({1})
Nun hat das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Carl-Christian Dressel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte - ich denke, es ist auch an der Zeit - die Bahnen
des Wahlkampfs wieder verlassen, zur Sachlichkeit zurückkehren und vor allem auf das zu sprechen kommen,
worauf Herr Kollege Königshaus gerade rekurriert hat:
auf den Willen der Väter - und ich füge hinzu: auch
Mütter - der Verfassung, die das in Deutschland historisch verbriefte Untersuchungsrecht des Parlaments in
Art. 44 des Grundgesetzes wieder aufgenommen und gestärkt haben.
Das Untersuchungsrecht des Parlaments ist ein
Thema, das nicht nur historisch überliefert ist, sondern,
auch in seinen Grenzen, wiederholt Gegenstand von Untersuchungen - da möchte ich nicht nur maßgebliche
Dissertationen zitieren - und Streitigkeiten geworden ist.
Da gab es zum Beispiel in Bayern die Frage, inwieweit sich eine Parlamentsmehrheit über die Frage des
Untersuchungsausschusses hinwegsetzen oder sie neu
formulieren darf. Das Recht der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist - ich denke, da sind wir uns einig ein wichtiges Recht nicht nur des Parlaments in seiner
Gesamtheit gegenüber der Regierung, sondern auch der
Opposition gegenüber der Regierung und den sie tragenden Fraktionen.
Im Rahmen dieses Rechts ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juni 2009 meines Erachtens ein Meilenstein.
({0})
In dem Beschluss wurde nicht - im Gegensatz zu dem,
was Kollege Dr. Stadler gesagt hat - die Bundesregierung zur Herausgabe von Akten verurteilt. Das war eindeutig nicht der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat
in seinem Beschluss unter Nr. 1 unter der ausdrücklichen
Einschränkung „nach Maßgabe der Gründe“ lediglich
festgestellt, dass die Nichtherausgabe der Akten und die
Nichterteilung der kompletten Aussagegenehmigungen
gegen die Verfassung verstößt.
Gleichzeitig bewirkt dieser Beschluss aber etwas sehr
Wertvolles. Er hat uns nämlich von der Gratwanderung
befreit, in der wir uns als Parlament in Bezug auf einen
Untersuchungsausschuss im Verhältnis zur Regierung
wiederholt befunden haben. Diese Gratwanderung ist
gekennzeichnet durch die Frage: Wie weit geht das Kontrollrecht des Parlaments, und wo endet es?
Wenn man sich die Argumente der Kläger, insbesondere unter Randnummer 49 der Entscheidung, anschaut,
dann könnte man zur Auffassung gelangen, das Kontrollrecht des Parlaments sei endlos,
({1})
was es aber nicht ist.
({2})
- Herr Kollege Ströbele, wenn man die Randnummer 49
liest, kommt einem das endlos und unbegrenzt vor.
({3})
In den Entscheidungsgründen und insbesondere unter
Randnummer 116 ff. der Entscheidung wird ausdrücklich ausgeführt, wo das Kontrollrecht des Parlaments
seine Grenzen findet und wo im Rahmen der Gewaltenteilung die Abgrenzung zwischen dem Kernbereich der
exekutiven Eigenverantwortung auf der einen Seite und
dem Kontrollrecht des Parlaments auf der anderen Seite
liegt.
Die Entscheidung wird dadurch historisch, indem wir
nämlich für die Zukunft wissen, wo die Grenzen des Untersuchungsausschusses und die Grenzen des Untersuchungsauftrages sind und wo die Bundesregierung begründen muss. Der neue Schritt in der Entscheidung ist
die Einführung einer Begründungspflicht der Bundesregierung, wenn sie sich auf den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung zurückzieht oder wenn
sie das Interesse des Wohles des Staates insgesamt gefährdet sieht.
Selbstverständlich wäre es besser gewesen, wenn man
im Hinblick auf den 1. Untersuchungsausschuss diese
Gründe im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
schon vor dem Abschlussbericht vorliegen gehabt hätte.
({4})
Dann hätte man nämlich seitens der Bundesregierung die
Möglichkeit gehabt, zu begründen, warum Aussagegenehmigungen nicht erteilt wurden oder warum Akten
nicht vorgelegt wurden. Ich denke, diese Klarheit, die
man auf diese Weise hätte herstellen können, hätte am
Ende auch vermeiden können, dass wir heute über dieses
Thema sprechen müssen.
Aber nun weg vom Spekulativen und hin zum Handwerklichen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird für die Zukunft zu mehr Klarheit im
Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen führen.
Wir müssen nun den Blick auf die Zukunft richten.
Ob es sinnvoll sein mag, einen Untersuchungsausschuss zwei Monate vor Ende der Wahlperiode neu
einzurichten, kann ich als Mitglied einer Regierungsfraktion dahingestellt sein lassen. Kollege Ströbele, das
ist das Recht der Oppositionsfraktionen. Wenn die Oppositionsfraktionen ausreichend Unterschriften für die
erneute Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bekommen können, dann ist es ihr gutes Recht, dass er
auch eingesetzt wird.
({5})
Ich denke, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist gut. Sie zeigt uns, wo die Grenzen sind, innerhalb welchen Bereichs sich das Parlament bewegen
kann, dass die Exekutive sagen muss, innerhalb welchen
Bereichs sie Reservatrechte hat, und dass sie vor allem
begründen muss, wenn sie solche Reservatrechte ausüben will.
Wir können damit gut gerüstet in die Arbeit künftiger
Untersuchungsausschüsse in den nächsten Legislaturperioden gehen. Dieses Urteil wird uns einen guten Weg
weisen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Recht eines Parlamentes, einen Untersuchungsausschuss einzurichten,
ist unbestreitbar eines der vornehmsten und wichtigsten
Rechte eines Parlamentes. Es ist richtigerweise schon erwähnt worden: Das Recht, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, ist vor allem ein sehr scharfes
Schwert der Opposition.
Dennoch möchte ich für die CDU/CSU zum Ausdruck bringen, dass der Eindruck, der von manchen Rednern zu vermitteln versucht wurde, nämlich dass wir als
Vertreter der Unionsfraktion im Untersuchungsausschuss dem Untersuchungsauftrag nicht in vollumfänglicher Weise nachgekommen seien, nicht zutrifft. Ich finde
es zudem nicht fair - ich sage das in aller Offenheit -,
dass hier von Hilfsbeamten der Bundesregierung gesprochen wird. Ich persönlich habe mich in 60 Sitzungen, in
denen wir eine Beweisaufnahme von insgesamt
480 Stunden betrieben haben, nie als Hilfsbeamter der
Bundesregierung empfunden. Ganz im Gegenteil: Wir,
die Unionsfraktion, haben Fragen gestellt, teilweise auch
unangenehme. Wir haben natürlich nicht immer die Fragen gestellt, die Sie als Vertreter der Opposition gestellt
haben.
Für die Unionsfraktion möchte ich aber schon in Anspruch nehmen, dass wir diesen Untersuchungsausschuss vielleicht sogar am ausgewogensten und am objektivsten über dreieinhalb Jahre hinweg betrieben
haben.
({0})
Wir haben Akten von insgesamt 12 Metern Länge bearbeitet, 140 Zeugen vernommen und Vernehmungsprotokolle von insgesamt 5 700 Seiten fabriziert.
({1})
Man kann uns nicht den Vorwurf machen, wir seien dem
Untersuchungsauftrag nicht nachgekommen.
Ob die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Juni dieses Jahres historisch ist, mögen andere beurteilen. Sie ist mit Sicherheit wichtig. Sie
ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass sie Klarheit und Licht ins Dunkel bezüglich der Fragen - diese
Fragen hatten wir im Untersuchungsausschuss über dreieinhalb Jahre oft zu klären - bringt: Wie weit darf die
Aussagegenehmigung seitens der Bundesregierung begrenzt werden? In welchen Fällen dürfen Akten zurückgehalten werden? Inwiefern darf die Genehmigung,
Akten herauszugeben, seitens der Bundesregierung restriktiver gehandhabt werden? Da waren wir oft unwissend; ich sage das ganz offen. Da ging es uns allen oft
gleich.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts gibt ein
ganz klares Modell vor, indem festgelegt ist, in welchen
Fällen die Aussagegenehmigung verweigert werden darf
und in welchen Fällen nicht. Um eines aber herauszustellen: Die Entscheidung des Verfassungsgerichts darf
Stephan Mayer ({2})
nicht so interpretiert werden, dass jetzt alle Akten grenzenlos und schrankenlos herauszugeben
({3})
oder alle Zeugen zu vernehmen wären, deren Vernehmung beantragt wurde. Das Gegenteil ist der Fall: Das
Verfassungsgericht sagt eindeutig: Liebe Bundesregierung, ihr müsst die Begründung so stichhaltig, so sachgerecht und so einzelfallbezogen vornehmen, dass für jeden konkreten Einzelfall nachvollziehbar ist, warum die
Aussagegenehmigung in diesem konkreten Fall begrenzt
werden darf oder warum eine bestimmte Akte oder ein
bestimmter Teil einer Akte nicht herausgegeben werden
darf. Darum geht es. Das Bundesverfassungsgericht hat
uns nicht gesagt: Alle Zeugen sind jetzt noch einmal
schranken- und grenzenlos zu vernehmen,
({4})
bzw. alle Akten sind dem Untersuchungsausschuss ungeschwärzt auszuhändigen.
Zudem muss klargemacht werden: Dieser Untersuchungsausschuss existiert nicht mehr. Wir haben unsere
Arbeit am 2. Juli 2009 mit der Kenntnisnahme des
Berichtes beendet, und das zu einem Zeitpunkt - das
möchte ich betonen -, zu dem uns die Entscheidung des
Verfassungsgerichts vom 17. Juni 2009 bereits vorlag
und bereits bekannt war.
({5})
Ich möchte einmal herausstreichen, in welchen Fällen
die Aussagegenehmigung laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts verweigert werden darf. Wir müssen uns
bei allem natürlich immer am Untersuchungsgegenstand
orientieren. Er ist die klare Leitlinie und die klare Leitplanke, an denen sich ein Untersuchungsausschuss
orientieren muss.
Einer der wichtigsten und entscheidendsten Punkte,
die das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet hat,
ist, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung natürlich kein absolutes Stoppschild bedeutet. Es
hat aber genauso festgehalten, dass nicht schrankenlos
über den Inhalt von sogenannten nachrichtendienstlichen
Lagen oder Präsidentschaftsrunden berichtet werden
muss. Es muss auch hier sachgerecht und im Einzelfall
abgewogen werden zwischen dem berechtigten Geheimhaltungsbedürfnis der Bundesregierung, auch dem Bedürfnis, Regierungsarbeit in einer gewissen Vertraulichkeit und Diskretion vornehmen zu können, auf der einen
Seite und dem berechtigten und nachvollziehbaren Kontroll-, Auskunfts- und Informationsrecht der Parlamentarier auf der anderen Seite.
Was Präsidentenrunden oder nachrichtendienstliche
Lagen anbelangt, kann das Parlament in Zukunft nicht in
vollem Umfang Zugriff auf den Inhalt derartiger Besprechungen nehmen. Es muss im Rahmen einer praktischen
Konkordanz sachgerecht differenziert werden. Diese
unterschiedlichen, für sich genommen immer sehr nachvollziehbaren Bedürfnisse und Interessen müssen gegeneinander abgewogen werden. Das ist der Inhalt der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wir als
Parlamentarier sollten für diese Entscheidung dankbar
sein.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, ich halte nichts davon - das sage ich
ganz ehrlich -, diese Entscheidung jetzt zu instrumentalisieren, um den BND-Untersuchungsausschuss, der
seine Arbeit wohlgemerkt schon beendet hat, fortzusetzen und einen Nachklapp zu betreiben. Ich konnte mich,
offen gesagt, nicht des Eindruckes erwehren, dass es hier
auch darum geht, Wahlkampf zu betreiben. Das finde ich
persönlich einfach sehr schade. Wir haben in den letzten
dreieinhalb Jahren die Arbeit des Untersuchungsausschusses wirklich sehr einvernehmlich begleitet, die
- teilweise sehr unbequem - von unserem ehemaligen
Vorsitzenden vorangetrieben wurde. Er hat sich allenthalben großes Lob verdient.
Ich persönlich finde es sehr schade, dass jetzt, nachdem die Arbeit beendet wurde, hier dieser Nachklapp
veranstaltet wird, nur um die öffentliche Aufmerksamkeit, die Sie sich persönlich Anfang Juli von diesem
Thema versprochen hatten und die es nicht erfahren hat,
jetzt zu erreichen. Deswegen glaube ich, dass es richtig
ist, diesem Antrag der FDP-Fraktion eine Absage zu erteilen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 8. September 2009, 11 Uhr,
ein. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute, angenehme,
interessante und spannende Zeit.
Die Sitzung ist geschlossen.