Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/3/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen zu Beginn mitteilen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Tagesordnungspunkt 70 unmittelbar nach dem Tagesordnungspunkt 66 aufzurufen und die nachfolgenden Tagesordnungspunkte 67 und 68 zu tauschen. Sind Sie damit einverstanden? - Das sieht so aus. Dann ist es so beschlossen. Im Übrigen hat der Ältestenrat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, dass in den Plenarsitzungen am 26. August und am 8. September keine Regierungsbefragungen, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden durchgeführt werden. Ich vermute, dass die leichte Enttäuschung über diese Begrenzung der Tagesordnung durch die Freude ausgeglichen wird, dass wir uns in der Sommerpause gleich zweimal zu Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages treffen werden. ({0}) - Ich bin sicher, dass die Zwischenrufe in das Protokoll aufgenommen worden sind. Ich halte aber fest, dass sie nicht als förmliche Anträge zu verstehen waren. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 64 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung ({1}) - Drucksache 16/12852 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung ({2}) - Drucksache 16/13106 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) - Drucksache 16/13666 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding ({4}) Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir das so handhaben. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({5})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss sagen, dass wir heute Morgen noch nicht sehr viele sind. ({0}) Aber heute Nacht am Schluss der Sitzung um 1.08 Uhr war der Saal noch relativ voll. Ich erwähne dies, um zu verdeutlichen, wie lange Plenarsitzungen manchmal dauern können. Die heutige Tagesordnung wird sicherlich nicht ganz so lange gehen. ({1}) - Das denke ich auch. Es ist ein kleines Wunder, dass das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz so lange hat auf sich warten lassen. Eigentlich hätten wir ein solches Gesetz schon seit vielen Jahren gebraucht. Wir haben uns mit verschiedenen anderen Instrumenten, die auch gewirkt haRedetext Lothar Binding ({2}) ben, sehr gut beholfen. Dennoch gibt es in der Bevölkerung - ich finde: zu Recht - einen gewissen Ärger. Der Steuerhinterzieher fährt zum Beispiel auf unseren Straßen. Er schickt seine Kinder auf unsere Schulen. Er will in einem sicheren Land leben. Daran erkennt man schon, wie die Denkrichtung ist: Bezahlen sollen dies immer die anderen Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen und die sich in unserem Land engagieren. Manchmal werden die Ehrlichen noch als die Dummen verhöhnt. Damit möchten wir Schluss machen. ({3}) Der Steuerhinterzieher zwingt also alle anderen Bürger dazu, höhere Steuern zu zahlen. Er fährt auf Kosten anderer in diesem Land auf unseren Straßen, und er schickt seine Kinder auf Schulen, die der Nachbar finanziert hat. Ich glaube, das muss man deutlich machen, um zu erkennen, was dieses Gesetz eigentlich will. In einem Staat, der ziemlich gerecht und nach der Leistung besteuert und der im Vergleich zu anderen europäischen Staaten relativ geringe Steuern erhebt, können wir erwarten, dass jeder seine Steuern zahlt. ({4}) Steuerhinterziehung ist eine Form von Diebstahl. Nun ist das mit dem Diebstahl nicht ganz so einfach. Dabei gibt es oft ein organisiertes Komplott zwischen Bürgern, Kapitalfluchthelfern und bestimmten Staaten oder Steueroasen. Dieses Gesetz zielt darauf ab, dieses Komplott zu beenden. Es nimmt nicht nur den Steuerbetrüger in den Blick, sondern ebenso all jene, die ihm dabei helfen, dass dieser Betrug funktioniert. In diesem Haus beobachtet man manchmal einen merkwürdigen Reflex. Wir alle kennen Sätze wie: Steuerhinterziehung ist zwar kein Kavaliersdelikt, aber es gibt viel Schlimmeres. Es gibt doch viel Schlimmeres als Steuerhinterziehung; warum stellt man sich da eigentlich so an? - Diese Formeln machen aus Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt. Es ist ein Problem, dass wir solche Sätze häufig in diesem Hause gehört haben. Ich finde es besonders merkwürdig, wenn jemand in Deutschland über Deutschland als Steuerwüste spricht. Er erzeugt doch ein unendlich großes Verständnis für jene, die diese Wüste verlassen wollen. Die Menschen wollen natürlich nicht verdursten und verhungern, also wollen sie die Wüste verlassen. Ich habe selbst gehört, wie Herr Westerwelle in einem großen Bierzelt von Deutschland als Steuerwüste sprach. ({5}) Wie kann man klarer Verständnis für Steuerhinterziehung formulieren als auf diese Weise, die den Menschen ein Argument an die Hand gibt, das Land wegen der Steuerpflichten zu verlassen. ({6}) Wir wissen, dass es bisher kaum möglich war, systematisch betriebenen Steuerbetrug grenzüberschreitend zu bekämpfen. Erst spektakuläre Entdeckungen von Einzelfällen und die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise haben den Blick auf die Ursachen, auf das, was wirklich geschieht, geschärft. Erst jetzt haben wir die Möglichkeit, die Verharmlosung von Steuerhinterziehung anzugehen. ({7}) Im parlamentarischen Raum denken wir schon länger nach über Aufträge an die Regierung, über internationale Vereinbarungen, über eine Verstärkung der Steuerfahndung und über eine Bundessteuerverwaltung, die helfen soll, Steuerkriminalität zu bekämpfen. In dieser Phase - das fanden wir sehr interessant - hat der Bundesminister für Finanzen Ende 2008 einen Referentenentwurf zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung eingebracht. Viele hat dieser Entwurf erschreckt. Der Grund dafür ist ganz einfach: Dieser Vorschlag war so konkret, wie ein Vorstoß in diese Richtung noch nie gewesen ist. Er war so konkret, dass sich die Leute vorstellen konnten, was ihnen passieren würde, wenn sie künftig Steuerhinterziehung betreiben würden. Dieser Entwurf hat die Zusammenarbeit mit Staaten in den Blick genommen, deren Recht Steuerbetrug absichtsvoll ermöglicht. Dieser Gesetzentwurf hat Sanktionen gegen jene in den Blick genommen, die sich dieser Steuerhinterziehungsmöglichkeiten bedienen. Parallel dazu - ich glaube, das ist die besondere Leistung - war Peer Steinbrück international unterwegs, um ganz ähnliche Regeln zu verabreden und diese Verabredung so vorzubereiten, dass sich niemand in der Welt darüber wundern musste, was hier passiert. Dadurch wurde Deutschland glaubhaft, und andere Länder haben ähnliche Gesetze gemacht. Das hat viele - das muss man schon sagen - sehr erschreckt. ({8}) Die Arbeit zwischen den Koalitionsfraktionen funktioniert auf Fachebene meistens sehr gut; das gilt für den Finanzausschuss in besonderer Weise. ({9}) - Ich überlege alles ganz genau. - Ich erinnere mich noch sehr genau an einen Brief des Kollegen Meister - ich will aus ihm jetzt nicht wörtlich zitieren -, in dem er uns wieder auf internationale Verabredungen vertrösten wollte. Erst wenn die internationalen Verabredungen mit allen wichtigen Staaten der Welt abgeschlossen seien, sollten wir in Deutschland in das Gesetzgebungsverfahren eintreten. ({10}) Dazu muss ich sagen: Das ist ein tausendjähriger Plan gewesen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass es uns gelungen ist, diese Idee zu überwinden, und dass Sie konstruktiv mitgearbeitet haben, damit wir ein Gesetz machen konnten, mit dem Ministerium und Regierung ein Instrumentenkasten an die Hand gegeben wird, um Steuerhinterziehung erfolgreich zu bekämpfen. Ich glaube, dass das ein sehr gutes Verhandlungsergebnis der Koalition ist, auch wenn das nicht allen - das gilt für beide Seiten - leichtgefallen ist. Mehrere Regelungen sind Einzelnen von CDU und CSU doch sehr schwer geLothar Binding ({11}) fallen. Es gibt auch einzelne Dinge, auf die wir verzichten mussten, was wiederum uns sehr schwer gefallen ist. Der Kompromiss bietet eine sehr gute Basis dafür, dass Steuergerechtigkeit künftig eine größere Bedeutung in unserem Land hat. ({12}) Das Schöne an dem gesamten Prozess ist, dass das Gesetz schon jetzt wirkt, obwohl es noch gar nicht in Kraft ist. ({13}) Zwischendurch gab es so etwas wie eine Schwarze Liste. Jeder versteht, dass man ungern auf einer Schwarzen Liste steht. ({14}) - Das könnte man theoretisch machen. Sie haben wieder exakt die Hälfte der Wahrheit begriffen; das muss ich zugeben. ({15}) Sie haben recht: Wir hätten uns niemals träumen lassen, dass bestimmte Staaten etwas versprechen, was wir schon immer wollten, nur weil es die Ankündigung gibt, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen. Das Dumme ist aber: Diese Staaten haben bisher nur versprochen. Sie haben gesagt, es sei keine schlechte Idee. Es ärgere sie, sie machten aber mit, weil sie nicht auf die Schwarze Liste wollten. Wir müssen abwarten, ob die Länder, an die wir jetzt gerade denken, ihr Versprechen wahrmachen. Sollten diese Länder die internationalen Ideen und die Ideen, die wir entwickelt haben, in ihre Rechtssysteme implementieren, wäre das Gesetz tatsächlich überflüssig. Allerdings gäbe es immer noch eine Ebene, auf der man operativ nachvollziehen können muss, ob Steuerehrlichkeit grenzüberschreitend funktioniert. Deshalb könnten die Länder, wenn sie gute Erfahrungen mit diesem Gesetz machen, noch einen Schritt weiter gehen und den automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden erlauben. Leider ist dieser große Schritt noch nicht möglich gewesen. Angesichts dessen habe ich gesagt: Herr Westerwelle, Sie haben die Hälfte der Wahrheit begriffen. Aber es ist noch Zeit genug, sich die zweite Hälfte zu erschließen. Die steuerrechtlichen Konsequenzen aus dem Gesetzentwurf hängen sehr stark davon ab, welche Mitwirkungspflichten der Steuerbürger einzugehen bereit ist. Diese Mechanik finde ich besonders gelungen. Denn jeder Steuerbürger - sollte er sich über irgendeinen kleinen Aspekt in diesem Gesetz ärgern - hat die Möglichkeit, sich von diesem Aspekt freizustellen, indem er kooperiert und bestimmte Angaben macht, die er zuvor nicht hat machen wollen. ({16}) Das bedeutet - im Gesetzentwurf ist es etwas sperriger formuliert -: Wenn ein Steuerbürger seinen Nachweispflichten nachkommt, ist er von dem, was im Gesetz geregelt ist, eigentlich gar nicht betroffen. Ich glaube, dass das für die allgemeine Gesetzgebung eine sehr kluge Idee ist. Das Gesetz wird die Steuerbürger auf einen guten Weg führen. Aber es gibt natürlich auch ganz konkrete Aspekte, die dem einzelnen Betrüger zu denken geben sollten. Wenn er nicht kooperiert, dann muss natürlich etwas passieren. Anders als bisher, wo möglicherweise eine Art Appell formuliert wurde, muss er jetzt darüber nachdenken, dass er Nachteile im Zusammenhang mit seinen Werbungskosten- und Betriebskostenabzügen hat, dass er bei ausländischen Gesellschaften Nachteile bei der Versagung der Entlastung von der Kapitalertragsteuer hat und dass er Nachteile bei der Versagung der Steuerbefreiung von Dividenden nach dem Körperschaftsteuergesetz hat. Ich wiederhole: Es gibt ganz konkrete Nachteile, die ein Steuerbürger hat, wenn er nicht kooperiert. Aber - wie gesagt -: Wenn er kooperiert, wird er von all den Nachteilen überhaupt nichts spüren. ({17}) Insofern ist das ein Instrumentenkasten, der sehr gut gelungen ist. Ich glaube, steuersystematisch ist auch die Einordnung des Gesetzentwurfs sehr gut gelungen: Er ist verhältnismäßig und ausgewogen. Die Einbindung in die bestehenden Gesetze - das ist keine ganz leichte Aufgabe: in das System der Einkommensteuer, in das System der Körperschaftsteuer und auch in das System der Abgabenordnung - war eine große Aufgabe. Da müssen wir den Mitarbeitern des Ministeriums, Herrn Dr. Misera, Herrn Scheurle und Herrn Wichmann, und dem Minister sehr danken, die das in einer minutiösen Arbeit mit viel Feinsteuerung sehr gut formuliert haben. ({18}) Es gibt sogar gleichlautende Entwürfe der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. Das hat uns in den Verhandlungen sehr geholfen; denn viele Probleme, die strittig waren, konnten auf diese Weise kooperativ gelöst werden. Mir gefällt auch gut, dass wir ein zweistufiges Verfahren haben: Es gibt eine Verordnungsermächtigung - das ist der Instrumentenkasten für die Regierung -, und es gibt die Möglichkeit, mit Zustimmung des Bundesrates eine Rechtsverordnung zu erlassen. Wir wollen deutlich machen: Der Gesamtstaat soll an der grenzüberschreitenden Betrugsverfolgung beteiligt werden. Wir glauben, dass das ein sehr faires Angebot an die beiden Häuser in unserem Staat ist und dass jeder die Möglichkeit hat, sich in angemessener Weise einzubringen. Wir glauben auch, dass die unkooperativen Staaten inzwischen schon sehr viel dazugelernt haben: Sie denken neuerdings über Änderungen beim Bankgeheimnis und über einen verbesserten Informationsaustausch nach. Lothar Binding ({19}) Um es zusammenfassend zu sagen: Sehr viele Staaten sind inzwischen bereit, sich nach den OECD-Standards zu verhalten. Wir sind gespannt, ob sie das wirklich tun. Wenn sie es tun, dann hat das Gesetz sein Ziel zu 100 Prozent erreicht. Schönen Dank. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Volker Wissing ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Besten Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Ziel, Steuerhinterziehung entschlossen zu bekämpfen, sind wir uns alle einig; ({0}) darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Die Frage ist nur: Was ist mit dem, was uns heute konkret vorgelegt wurde? Lassen Sie uns den vorliegenden Gesetzentwurf einmal bewerten. Ein wesentliches Kriterium für die Bewertung eines Gesetzentwurfs ist, ob das Handeln der Bundesregierung verhältnismäßig ist. ({1}) - Die Frage ist: Ist das verhältnismäßig? - Schaut man sich den vorliegenden Gesetzentwurf an, stellt man fest: Er ist nicht erforderlich - zur Begründung hat Herr Binding schon einen wesentlichen Beitrag geleistet -; er ist nicht geeignet, das formulierte Ziel zu erreichen, und er ist erst recht nicht angemessen. Ihr Gesetzentwurf ist ungeeignet, das Problem der Steuerhinterziehung zu lösen. Sie wollen nämlich, dass die Vorgaben aus Art. 26 des OECD-Musterabkommens eingehalten werden; das ist auch vernünftig. Dafür belasten Sie die Steuerzahler allerdings mit Informationspflichten, und das, obwohl die Umsetzung von OECDAbkommen nun wirklich nicht in den Händen der Steuerzahler, sondern ausschließlich in den Händen ausländischer Regierungen liegt. Ihr Gesetzentwurf ist auch nicht erforderlich. Sie haben es schon deutlich gesagt: Er zeigt schon Wirkungen, obwohl er noch gar nicht umgesetzt ist. ({2}) Ich wiederhole: Er ist nicht erforderlich. Denn inzwischen haben die betreffenden Staaten die Ratifizierung der OECD-Standards zugesagt. Es gibt keinen Staat mehr, der auf der sogenannten Schwarzen Liste steht. Ihr Gesetzentwurf geht damit ins Leere. Unnötige Gesetze braucht in diesem Land kein Mensch. ({3}) Auch wenn man den Gesetzentwurf auf Angemessenheit überprüft, sehen Sie schlecht aus. Denn andere Staaten, etwa die USA, haben das Problem der Steuerhinterziehung ohne Belastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler lösen können, indem sie sich schlicht und einfach mit den betroffenen Staaten verständigt haben. Es ist doch unangemessen, wenn eine Regierung die eigenen Schwächen, die sie bei Verhandlungen mit anderen Staaten offenbart, zu einem Problem der Bürgerinnen und Bürger ihres Landes macht. Genau das tun Sie, indem Sie von unbescholtenen Bürgern einen Nachweis verlangen, dass sie nichts Verbotenes vorhaben, wenn sie ihr Geld im Ausland investieren. ({4}) - Es wäre wirklich sinnvoll, wenn wir zumindest am Ende dieser Legislaturperiode einmal sachlich über ein Thema, das die Finanzpolitik betrifft, diskutieren könnten. Aber eine sachliche Debatte ist mit der SPD schon lange nicht mehr möglich, lieber Herr Poß. ({5}) Sie wollen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in die Pflicht nehmen, weil Sie fürchten, dass es Peer Steinbrück nicht gelingen könnte, andere Staaten von der Einhaltung der OECD-Standards zu überzeugen. Das ist wirklich bemerkenswert. Vor dem Hintergrund, dass er nicht gerade als Diplomat aufgetreten ist, kann man das sicherlich nachvollziehen. ({6}) Seine einzigartigen Beschimpfungen anderer Staaten muteten wirklich befremdlich an. So wichtig die Bekämpfung der Steuerhinterziehung als internationale Aufgabe auch ist: Die Sanierung der Staatsfinanzen bleibt eine nationale Aufgabe. Die Ursachen der ruinierten deutschen Staatsfinanzen liegen nicht in der Schweiz und nicht in Luxemburg. ({7}) Die Hauptursache ist - neben der jahrelang erfolglosen Haushalts- und Finanzpolitik der Großen Koalition - Ihr konfuses Krisenmanagement in dieser schwerwiegenden Finanzmarktkrise. ({8}) Das dürfen wir, auch wenn wir heute über viele andere wichtige Themen diskutieren, nicht vergessen. Es heißt so schön: Der Zweck heiligt die Mittel. Aber ein unstrittiges Anliegen wie die Bekämpfung der Steuerhinterziehung rechtfertigt nicht, unverhältnismäßige Gesetzentwürfe zu verabschieden, mit denen der Staat unnötigerweise in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Für Sie, Herr Steinbrück, ist ein Steuerhinterzieher jeder Bürger, solange er nicht das Gegenteil beweist. Das ist der Blick, den Sie auf unsere Gesellschaft haben. Genau diese Sichtweise teilt die FDP nicht. ({9}) Unsere Verfassung schreibt vor, dass wir keine überflüssigen Gesetze auf den Weg bringen dürfen, durch die die Bürgerinnen und Bürger belastet werden. Ausgerechnet in der Finanzpolitik gehen Sie aber gerne auf Konfrontationskurs zu unserer Verfassung. Wenn es um Geld geht, sehen Sie in bürgerlichen Freiheiten einen Akt der Großzügigkeit des Staates, aber längst keine Grundrechte mehr. ({10}) Bürgerliche Freiheiten sind allerdings kein Anhängsel der Verfassung. Sie sind die Legitimation unseres demokratischen Gemeinwesens. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen nicht zuletzt deshalb exorbitant hohe Steuern und Abgaben, weil der Staat ihnen ein Leben in Freiheit und Wohlstand gewährleisten soll. Weil Sie die Freiheit aber zunehmend einschränken und Ihre überbordende Staatsverschuldung den Wohlstand unserer Gesellschaft längst gefährdet, haben Sie unser Land in eine unerträgliche Schieflage gebracht. ({11}) Wenn Sie meinen, den Menschen in dieser Situation weitere Steuererhöhungen zumuten zu können, dann wird es Zeit, dass dieser Irrweg beendet wird. Es ist gut, dass wir heute die letzte Sitzungswoche des Deutschen Bundestages unter einer Großen Koalition erleben. ({12}) Herr Binding hat schon gesagt: Es ist erstaunlich, dass das Thema Steuerhinterziehung so spät auf die Tagesordnung kommt. Das ist eine bemerkenswerte Selbstkritik, Herr Binding; denn die SPD stellt seit elf Jahren den Bundesfinanzminister. ({13}) Oskar Lafontaine hat die Bekämpfung der Steuerhinterziehung nicht nach vorne gebracht, und auch Hans Eichel hat sie nicht auf die Tagesordnung gesetzt. ({14}) Jetzt, kurz vor dem Wahlkampf, wollen Sie mit einem Scheingesetz, mit einem Schaugesetz Punkte machen. Substanziell haben Sie zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung in Deutschland aber nichts beigetragen. ({15}) Es ist vollkommen legitim, wenn der Staat die Einnahmeseite ausschöpfen möchte. Konsequent ist eine Finanzpolitik aber nur dann, wenn man die Ausgabenseite mit dem gleichen Engagement angeht. ({16}) Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie, Herr Steinbrück, im Kabinett jemals einem Kollegen oder einer Kollegin mit der Peitsche oder mit der Kavallerie gedroht hätten. Eine solche Drohung im Kabinett hätte, denke ich, mehr Steuergelder gespart, als Ihre Verbalattacke gegenüber der Schweiz gebracht hat. ({17}) Nach elf Jahren SPD-Finanzpolitik sind die Staatsfinanzen in einem desolateren Zustand als je zuvor. Dabei haben Sie - leider ohne Erfolg - viel versucht, um Ihre Finanzprobleme in den Griff zu bekommen: Sie haben die größten Steuererhöhungen in der Geschichte unseres Landes durchgeboxt. Sie haben bürgerliche Freiheitsrechte massiv beschnitten, ja, sie mit Füßen getreten. Sie haben die Verfassung bis an die Grenzen des Zulässigen gedehnt, ja, Sie haben sie sogar gebrochen; ich erinnere an Ihre Gesetzgebung zur Pendlerpauschale. Nur eines haben Sie nicht getan: Sie haben nicht gespart. Deshalb ist dieser Finanzminister in Wahrheit grandios gescheitert. Neben einem desolaten Steuersystem mit exorbitanter Steuerlast ({18}) steht heute ein desolater Bundeshaushalt, nicht nur wegen mangelnder Einsparungen, sondern insbesondere wegen einer desolaten Finanzaufsicht, die nicht verhindert hat, dass für Bankenspekulationen jetzt die Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen müssen. Gut, dass die Ära sozialdemokratischer Finanzpolitik bald beendet sein wird. Leider werden wir die Schulden, die Sie hinterlassen, noch Jahrzehnte tragen müssen. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Volker Wissing, ich werde mich jetzt mit dem Gesetz beschäftigen. ({0}) Sie haben versucht, einen Rundumschlag zu machen, um die Zeit noch einmal für sich zu nützen. Ich glaube, die Beratungen im Finanzausschuss haben gezeigt, dass sich alle Fraktionen im Grundsatz einig sind. Der Satz „Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt“ ist hier ja mittlerweile ins Allgemeingut eingegangen. Wer seine Steuerschuld nicht bezahlt oder sich um die Steuer herumdrückt, beteiligt sich nicht an der Finanzierung unserer Gemeinschaft. Wir alle wissen: Ohne Steuern ist kein Staat zu machen. Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zahlt ihre Lohn- und Einkommensteuer korrekt und beteiligt sich somit an der Solidargemeinschaft. ({1}) Menschen, die arbeiten, Steuern zahlen und sich an die Gesetze halten, erarbeiten und schultern die staatlichen Investitionen und Aufgaben. ({2}) Diese Leistungsträger sind es, die unseren Staat tragen. ({3}) Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Staaten durch Steuerhinterziehung zwischen 2 und 12 Billionen US-Dollar - diese Zahl muss man sich einmal vorstellen! - verlieren. Gemäß den Schätzungen für Deutschland verlieren unsere öffentlichen Haushalte durch Steuerhinterziehung und Steuerbetrug wahrscheinlich über 100 Milliarden Euro pro Jahr; die Zahl können wir natürlich nicht im Einzelnen nachprüfen. Angesichts dieser Größenordnung kann die Staatengemeinschaft, können wir über das Thema Steuerhinterziehung nicht hinweggehen. In Zeiten, in denen der Staat viel Steuergeld in die Hand nimmt, um unsere Kreditwirtschaft und die Unternehmen durch die Krise zu führen, gilt das erst recht. Es kann nicht sein, dass die meisten mehr an Steuern zahlen müssen, weil sich einige wenige ihrer Steuerlast entziehen. ({4}) Wir, meine Fraktion und ich, gehen aber immer vom ehrlichen Steuerbürger aus. Steuerpflichtige irgendwie unter einen Generalverdacht zu stellen, ist nicht unsere Sache. Das ist auch keinesfalls berechtigt. Wir alle kennen das Zitat, das zum Sprichwort geworden ist: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Unser Menschenbild ist dies aber nicht. ({5}) - Das ist bestens bekannt, Herr Kollege. Sie werden doch nicht erwarten, dass ich hier auch noch seinen Namen nenne. ({6}) So weit geht es nicht. Aber lassen wir das, Herr Kollege Poß. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf werden wir die Mitwirkungspflichten für Steuerpflichtige ausweiten, die in Staaten Geschäfte machen, die keine Auskünfte in Steuersachen erteilen. Beispielsweise kann der Abzug von Betriebsausgaben und Werbungskosten vom Mitwirken des Steuerpflichtigen abhängig gemacht werden. Die Akzeptanz der OECDStandards im Bereich des Steuervollzugs soll also gefördert werden. Die Zweite Konferenz zum Kampf gegen internationalen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, zu der Peer Steinbrück und sein französischer Kollege eingeladen hatten, kann sehr wohl als erfolgreich bezeichnet werden. ({7}) Es wird gemeinsam betont - ich zitiere -, dass Transparenz und Auskunftsaustausch für Steuerzwecke die Grundlage für einen fairen Wettbewerb in einer globalen Wirtschaft und für eine gerechte Verteilung der Steuerlast ehrlicher Steuerzahler sind. Dies ist ebenso ein Verhandlungserfolg wie die Tatsache, dass die teilnehmenden Länder bestätigen, dass der Kampf gegen jede Form von Steuervergehen eine gemeinsame Verantwortung aller Staaten und Gebiete ist. Die Bundesregierung ist also auch auf diesem Gebiet erfolgreich. ({8}) Die Zielrichtung dieses Gesetzentwurfs, den Gedanken der Gerechtigkeit bei allen Steuerzahlern zu stärken, sollten wir unterstützen. Gerechtigkeit kann eben nur bestehen, wenn alle Steuerzahler zum Tragen der Steuerlast herangezogen werden. Wir können es nicht dulden, dass sich ein Teil der Bevölkerung - wenn es auch nur ein sehr kleiner Teil ist - vom Tragen der Steuerlast verabschiedet, weil er sich das, wie auch immer, leisten kann. Ich empfehle, in diesem sensiblen Bereich, der auch das Persönliche stark berührt, immer mit Fingerspitzengefühl vorzugehen. Durch publikumswirksame Vorführeffekte werden zwar einige möglicherweise abgeschreckt, Steuern zu hinterziehen, das solidarische Miteinander wird dadurch aber nicht unbedingt gefördert. ({9}) Dieses Thema ist meiner Meinung nach auch nicht für klassenkämpferische Töne im Wahlkampf geeignet. Wir müssen allen in unserer Gesellschaft immer wieder sagen: Wer alles vom Staat nimmt - Kollege Lothar Binding hat das in anderen Worten formuliert - und möglicherweise auch die eine oder andere Subvention persönlich erhält, Steuern aber nicht zahlt, der beteiligt sich nicht an der Solidargemeinschaft. ({10}) Mir persönlich geht es um die Solidarität in unserem Land. Viele, die ihre Steuern ehrlich zahlen, fühlen sich als die Dummen, wenn sich andere darum herumdrücken. ({11}) Es geht also nicht nur um Steuergerechtigkeit, sondern es geht um Gerechtigkeit und unser Leben in unserer Gemeinschaft. Wir müssen als Staat aber auch einiges dafür tun, die Akzeptanz des Steuersystems als solches zu erhöhen: Erstens. Wir müssen das Besteuerungsverfahren deutlich vereinfachen. Wir Deutsche können einmal zeigen, dass wir durchaus etwas Einfaches machen können. ({12}) Außerdem müssen wir die Steuerverwaltung nachhaltig entlasten. Von dem dadurch eingesparten Bürokratieaufwand profitieren alle: Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmer gleichermaßen. Sie sparen Zeit, Geld und Nerven. Diese Entlastung ist übrigens auch in Zeiten der Krise möglich, wenn wir es richtig machen. Zweitens. Wir wollen ein Steuerrecht nach dem Prinzip „Einfach, niedrig, gerecht“. Der Bürger ist der beste Verwalter seines Einkommens, seines Geldes. Der Staat soll, soweit es irgendwie geht, die Hände von seinem Geldbeutel lassen. Wir sehen ein, dass Verordnungen, die sich aus diesem Gesetz ableiten, Hilfestellung dabei geben müssen, zielgenau und zeitnah auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können. Dass wir uns als Teil des Gesetzgebers die Verordnungen ganz genau anschauen wollen, bevor sie in Kraft treten, ist doch mehr als selbstverständlich. Fingerspitzengefühl beim Vollzug ist also angesagt. So wie Steuerzahler nicht unbegründet an den Pranger gestellt werden dürfen, so funktioniert unsere Volkswirtschaft auch nicht ohne Steuereinnahmen. Die ehrlichen Steuerbürger haben einen Anspruch darauf, dass die Steuerunehrlichen zur Kasse gebeten werden. Diesem Ziel dient das heute zu verabschiedende Gesetz. ({13}) Herr Finanzminister, ich nutze auch die Gelegenheit, Ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses Dank zu sagen für die Möglichkeit der Information im Finanzausschuss, dafür, dass Sie mit Ihren Staatssekretären Rede und Antwort gestanden haben und dass das Zusammenwirken, besonders im fachlichen Teil, immer gut war. Ich glaube, wir haben auch insgesamt eine gute Arbeit für unser Land geleistet. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Steuerhinterziehung kann neben fiskalischen Gründen auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit, d. h. aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichmäßigkeit der Besteuerung, nicht hingenommen werden. So steht es in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum vorliegenden Gesetzentwurf. Leider fällt es Union und SPD erst zum Ende dieser Legislaturperiode ein, hier tätig werden zu müssen. Zugegeben, Ihr Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung geht in die richtige Richtung; aber er kommt erstens zu spät, und zweitens ist er im Vergleich zum Referentenentwurf von Anfang dieses Jahres deutlich abgeschwächt. ({0}) Da fragt man sich doch: Warum trauen Sie sich nicht mehr? In Ihrem Gesetzentwurf drohen Sie erstens den Steuerflüchtigen erstmals mit Strafsanktionen bei Geschäftsbeziehungen mit Steueroasen und damit indirekt auch den Steueroasen selbst. Das wurde Zeit, und das unterstützen wir. Aber - auch hier ein großes Aber - diese Strafandrohungen werden nur wirksam, wenn entsprechende Rechtsverordnungen erlassen werden, und beim Erlassen der Rechtsverordnungen wird das Parlament wieder einmal nicht mit einbezogen. Das lehnen wir ab. ({1}) Außerdem setzen Sie sich keine Zeitgrenzen mit Ihrem Gesetzentwurf. Das heißt, wir sind jetzt zwar in Verhandlungen; aber wie lange diese sich hinziehen können, wie lange Ihre Geduld reicht, das sagen Sie einfach nicht. Das halte ich wirklich für ein Zeichen der Schwäche, hier nicht konsequent zu sein. ({2}) Zudem muss man sagen, dass bisherige Abkommen mit Steueroasen oftmals wirkungslos sind. So wurde ein Abkommen mit der Steueroase Jersey abgeschlossen und der Informationsaustausch nun entsprechend dem OECD-Standard vereinbart. So weit, so gut. Damit verpflichtet sich Jersey, bei Verdacht auf Steuerhinterziehung Auskunft gegenüber den deutschen Steuerbehörden zu leisten. Aber in Jersey existieren weder Register über Unternehmen und Stiftungen noch Daten über Steuerpflichtige. Damit muss jedes Auskunftsersuchen vonseiten deutscher Finanzbehörden trotz Abkommen bis auf Weiteres einfach ins Leere laufen. Das Abkommen bleibt wirkungslos. ({3}) Man muss klar festhalten: Der OECD-Standard ist ein Anfang, aber nicht mehr; er muss auf alle Fälle weiterentwickelt werden. Der Standard beinhaltet zum einen keinen automatischen Austausch über steuerrelevante Aktivitäten. Informationen werden nur weitergegeben, wenn ein Verdacht auf Steuerhinterziehung gegen eine konkrete Person existiert. Das heißt, für jeden Einzelfall muss ein Auskunftsersuchen gestellt werden. Das ist ineffektiv und ungerecht. ({4}) Jede Arbeitnehmerin, jeder Arbeitnehmer muss automatisch sofort seine Lohnsteuer ans Finanzamt abgeben. Jede Hartz-IV-Empfängerin, jeder Hartz-IV-Empfänger muss sich bei der Antragstellung sprichwörtlich bis auf die Unterhose ausziehen, aber Gutbetuchte und Unternehmen werden hier bevorzugt behandelt. Das akzeptieren wir nicht. ({5}) Zum anderen ist die Definition von Steueroasen unzureichend. Dazu zählen laut Gesetzentwurf - Herr Binding hat es schon erklärt - nur die Staaten, die sich nicht dem OECD-Standard zum Auskunftsaustausch anschließen. Dass eine Tochter der Hypo Real Estate nach Irland verlegt wurde, um Steuervorteile zu nutzen, ist ein klarer Fall von Steuervermeidung, auch wenn Irland keine Steueroase ist. Wir müssen deshalb noch einmal über die Definition des Begriffs Steueroase nachdenken. ({6}) Wir haben Ihnen bereits im Mai vergangenen Jahres vorgeschlagen, sich dafür einzusetzen, dass auf internationaler Ebene eine automatische Informationsvermittlung zwischen den nationalen Steuerbehörden erfolgt. Auf nationaler Ebene fordern wir Linken als Sofortmaßnahme eine Meldepflicht für Kapitalbewegungen ins Ausland ab 100 000 Euro jährlich. Ich begrüße, Herr Steinbrück, dass Sie zweitens endlich auch Steuerpflichtige mit bedeutenden Einkünften, wie es im Gesetzentwurf heißt, stärker unter die Lupe nehmen wollen. Steuerpflichtige mit Überschusseinkünften von mehr als 500 000 Euro pro Jahr müssen künftig ihre Unterlagen sechs Jahre aufbewahren. Die Steuerverwaltung darf bei dieser Gruppe Außenprüfungen ohne Begründung vornehmen. Es erfolgt eine Gleichstellung der Steuerprüfung mit der Praxis von Betriebsprüfungen bei Gewerbetreibenden. Als Koalition haben Sie damit drei Jahre gewartet. Wir haben das bereits 2006 vorgeschlagen. ({7}) Warum verpflichten Sie die Finanzämter nicht gleich zu regelmäßigen Kontrollen? Warum gibt es keine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung? Die verschärfte Aufbewahrungspflicht ist zwar ein Fortschritt, aber ohne eine erhöhte Prüfungsdichte bleibt sie wirkungslos. ({8}) Der Bundesrechnungshof hat Ihnen schon 2006 ins Stammbuch geschrieben, dass die Prüfungsdichte bei dieser Personengruppe gerade einmal 5 Prozent beträgt. Deshalb muss man an dieser Stelle mehr tun. Voraussetzung für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung in unserem Land ist, dass die Finanzverwaltung ausreichend mit Personal und Ressourcen ausgestattet ist. Das ist nicht realisiert worden. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie noch hehre Ziele formuliert: Vorhandene Steuerquellen müssen besser ausgeschöpft und Besteuerungsrechte entschlossen durchgesetzt werden. Wir werden uns gemeinsam mit den Ländern um einen effektiveren und effizienteren Steuervollzug bemühen … Glatt versagt, nichts verwirklicht! ({9}) Sie haben keine Bundessteuerverwaltung durchgesetzt. Das hätte laut Kienbaum-Studie mindestens 8 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen pro Jahr gebracht. Die Abstimmung zwischen den Ländern ist nicht verbessert worden. Nein, der Standortwettbewerb zwischen den Bundesländern mittels laxem Steuervollzug läuft unvermindert weiter. Leider bleiben alle Bundesländer um mindestens 10 Prozent unter der notwendigen Personalausstattung. Ich möchte Ihnen deshalb noch einige weitere Vorschläge nennen, die die Fraktion Die Linke in der laufenden Legislaturperiode eingebracht hat und die im Falle ihrer Umsetzung alle wirksam wären. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, das Wohnsitzlandprinzip im Steuerrecht einzuführen. Für sehr wichtig halten wir ein konsequentes Eintreten der Bundesrepublik Deutschland auf europäischer Ebene für die Harmonisierung der EUZinsrichtlinie, von der alle Kapitaleinkünfte - nicht nur die Zinsen, sondern auch Dividenden, Veräußerungsgewinne usw. - erfasst werden müssen. ({10}) Besonders wichtig ist, dass diese Richtlinie nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für juristische Personen gilt. Denn nur so könnten auch die für die Steuerhinterziehung so beliebten Stiftungen in Luxemburg, Liechtenstein und anderswo erfasst werden. Hier gibt es noch sehr viel Handlungsbedarf, Herr Steinbrück. Sie haben viel zu viel Zeit verstreichen lassen. Die grundlegende Frage bleibt: Warum werden so viele Steuern hinterzogen? Die Zahlen, die dazu veröffentlicht wurden, reichen von 10 Milliarden bis 100 Milliarden Euro pro Jahr. Sie haben eine Mitschuld daran. Durch Ihre Ideologie des Steuersenkungswettbewerbs tragen Sie dafür Mitverantwortung. ({11}) Sie meinen, Reiche, Vermögende und Konzerne müssen hofiert und ständig entlastet werden. Seit Jahren betreiben Sie eine entsprechende Politik. Trotzdem hat ein Mann wie Herr Zumwinkel, der bereits durch eine Erbschaft zum Millionär wurde und nicht am Hungertuch genagt hat - allein 2006 hat er seine Gesamtbezüge auf 4,24 Millionen Euro gesteigert -, munter weiter Steuern hinterzogen. Ich erinnere auch an die Amnestie, die seinerzeit Herr Eichel angeboten hat. Ihr Menschenbild in Ehren, aber Sie entlasten gerade diejenigen, die schon viel haben und überhaupt in der Lage sind, Steuern zu hinterziehen. Die Steueramnestie hat nichts gebracht. Sie war völlig wirkungslos. Welche Ansicht hat Herr Steinbrück im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer vertreten? Er hat gesagt: Bevor die Reichen gar keine Steuern auf Zinserträge zahlen, obwohl sie entsprechend ihrem persönlichen Spitzensteuersatz versteuert werden müssten, und ich null von Hundert bekomme, erhebe ich eine 25-prozentige Abgeltungsteuer, in der Hoffnung, dass dann wenigstens diese 25 Prozent gezahlt werden. Sie haben dieser Ideologie des Steuersenkungswettbewerbs, der für die Finanzen des Bundes, der Länder und der Kommunen desaströs ist, mit Ihrer Politik Vorschub geleistet. Sie haben das umgesetzt und vor allem in Europa zum Standard gemacht, indem Sie eine Vorreiterrolle eingenommen haben. Reichen, Vermögenden und Konzernen werden wir das nicht durchgehen lassen. Das bringt nichts, ist höchst ungerecht und zerstört die Demokratie sowie die Staatsfinanzen auf allen Ebenen. Ich danke Ihnen. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fall Zumwinkel liegt noch gar nicht so lange zurück. Dieser Fall war für viele Menschen in diesem Land ein ziemlicher Schock, eine Enttäuschung. Seitdem kommt niemand mehr an der Tatsache vorbei, dass Steuerhinterziehung weit verbreitet ist ({0}) und bis in die Eliten unseres Landes hineinreicht. Das Vertrauen in eine gleichmäßige Besteuerung ist erodiert. Steuerhinterziehung bedroht den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. ({1}) Es ist höchste Zeit, dass etwas geschieht und mit einer Gesetzesvorlage als Ausgangsbasis das ergänzt wird, was in den letzten Jahren punktuell angestoßen worden ist. Ich erinnere an die EU-Zinssteuerrichtlinie. Es war nicht einfach, mit anderen Ländern zu Vereinbarungen und einer gleichmäßigen Besteuerung auf europäischer Ebene zu kommen. Dafür hat übrigens Rot-Grün gesorgt. ({2}) Wir haben unsere Vorschläge vor über einem Jahr vorgelegt. Die Regierung hat ziemlich lange für eigene Vorschläge gebraucht. Es gab, bevor sich das Kabinett damit befasst hat, große Ankündigungen, die in allen Zeitungen nachzulesen waren. Nach dem Kabinettstermin konnten wir feststellen, dass dem Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle ziemlich die Zähne gezogen worden waren. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nichts anderes als ein Minimalkonsens und kann im Grunde nicht abgelehnt werden. ({3}) Deswegen verstehe ich nicht, warum die FDP meint, dieser Gesetzentwurf gehe zu weit und stoße ins Leere. Wir stellen doch fest, dass die Diskussion in Deutschland und anderen Ländern Wirkung zeigt und die Androhung von Maßnahmen bereits greift. ({4}) Das müssen wir auch aus Sicht der Opposition feststellen; denn auch wir nehmen selbstverständlich eine realistische Bewertung der Gesamtsituation vor. Die FDP hat gesagt, die Leute würden ihr Geld in andere Länder bringen, weil das deutsche Steuersystem so kompliziert sei. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, mit welch krimineller Energie Gelder ins Ausland gebracht werden, um sie der Besteuerung zu entziehen, und dass man sich ausführlich beraten lässt, wie man das am besten tut. Das ist anscheinend nicht zu kompliziert. Sie stellen sich mit Ihrer Argumentation letztendlich vor diejenigen, die so etwas tun. Das finde ich verwerflich. ({5}) Durch die neue Gesetzeslage wird eine Drohkulisse aufgebaut. Sie von der FDP haben gesagt, das Gesetz stoße ins Leere, weil plötzlich alle Steueroasen den OECD-Standard zum Informationsaustausch anerkennen wollten. Das ist richtig. Es kommt aber auf die Rechtsverordnung an. Diese Rechtsverordnung - das ist unsere Kritik an der Zweischichtigkeit - bekommt das Parlament jedoch nicht zu sehen. Es ist zwar richtig, dass der Bundesrat darüber zu befinden hat; aber ich bin schon der Meinung, dass wir, wenn es um Steuerhinterziehung geht, auch eine Transparenz hinsichtlich der Verordnungen brauchen und dass der Deutsche Bundestag darüber informiert werden sollte, was in diesen einzelnen Verordnungen steht. ({6}) Der vorliegende Gesetzentwurf führt dazu, dass der Fiskus von Steuerpflichtigen, die Geschäfte in bestimmten Ländern betreiben, genauere Auskünfte verlangen kann. Falls die Steuerpflichtigen das nicht wollen, können sie ihre Kosten steuerlich nicht geltend machen. Das ist der prinzipiell richtige Weg. Auch Praktiker aus der Steuererwaltung haben uns bestätigt, dass das ein richtiger Ansatz ist. Ein Gesetz muss aber auch angewendet werden können. Selbst wenn es in einzelnen Fällen zu Verordnungen kommt, sei es im Körperschaftsteuerrecht, im Einkommensteuerrecht oder im Umsatzsteuer26106 recht, brauchen wir eine vernünftige Personaldecke in den einzelnen Ämtern, bei der Steuerfahndung und vor allen Dingen bei den Gerichten und bei den Staatsanwaltschaften. Die gibt es bis heute, wenn es um Steuerbetrug und Steuerhinterziehung geht, nicht in ausreichendem Maße. ({7}) Das bedeutet, dass ohne zusätzliches Personal in diesem Zusammenhang die Entdeckungsgefahr für Steuerflüchtlinge gering bleibt. Die Koalition hat leider keinen Weg gefunden, diesen Mangel abzustellen. Natürlich könnten die Länder in ihren Verwaltungen für mehr Personal sorgen. Es gibt aber wirtschaftsstarke Länder wie Bayern und Baden-Württemberg, die in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt haben: Wenn wir Steuerprüfer in die Unternehmen schicken bzw. sie nicht dahin schicken, dann wirkt sich das auf den Standort aus. Damit betreiben wir Wirtschaftsförderung. - Das war ein völlig falsches Signal, denn das war eine regelrechte Einladung, nicht so genau hinzuschauen. ({8}) Das Problem ist, dass Personal, das zusätzlich eingestellt würde, von den Ländern finanziert werden müsste, aber die zusätzlichen Einnahmen in den Länderfinanzausgleich fließen würden. Da die Personalkosten bei den Ländern hängen bleiben, wäre es doch sinnvoll, wenn wir möglichst schnell gemeinsam ein Gesetz auf den Weg bringen würden - die Grünen haben das schon vor Jahren vorgeschlagen; ich hatte sogar einmal die Unterstützung des hessischen Ministerpräsidenten Koch, der gesagt hat, das sei ein richtiger Ansatz -, das regelt, dass die Mehreinnahmen in den Länderkassen verbleiben können, wenn mehr Personal eingestellt wird. Dann haben die Länder auch einen Anreiz, mehr Personal einzustellen. ({9}) Es wird berichtet - das Gesetz zeigt schon Wirkung; das finde ich sehr interessant -, dass der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz sagte, ihn hätten wichtige Schweizer Industrielle gebeten, seine Vorbehalte gegen den OECD-Standard aufzugeben. Angesichts dieser Aussage hätten Sie, Herr Minister Steinbrück, sich vielleicht die eine oder andere Äußerung sparen können; denn ich glaube, dass sich nicht nur die Schweizer Regierung auf die Füße getreten gefühlt hat, sondern auch die Schweizer Bevölkerung. Das habe ich schon als etwas schwierig empfunden; denn man kann nicht der Bevölkerung eines anderen Landes unterstellen, dass sie Steuerhinterzieher anzieht. ({10}) Das empfinde ich als ziemlich übertrieben. Deswegen wäre eine andere Wortwahl besser gewesen. Die Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Luxemburg, Belgien, Jersey, Bermuda - alle sind derzeit in Verhandlungen. Immer mehr Steueroasen erklären sich grundsätzlich bereit, stärker zu kooperieren und Daten auszutauschen, wenn die Behörden einen begründeten Verdacht gegen einen Steuerpflichtigen vorbringen können. Das ist ein Fortschritt. Aber dieser Informationsaustausch ist bislang leider nur eine bloße Absichtserklärung. Wir müssen von deutscher Seite darauf drängen, dass dieser Austausch möglichst schnell erfolgt und dass in der Perspektive auch ein automatischer Informationsaustausch zu Kapitalerträgen eingerichtet wird. Das bedeutet für uns, dass die Anerkennung des OECD-Standards nicht der Endpunkt sein kann; denn die deutschen Behörden erhalten nur dann Informationen von Schweizer Banken oder auch von Banken anderer Länder, wenn ein begründeter Verdacht besteht, der erst einmal ermittelt werden muss. Dieses Problem sehen wir. Deswegen wäre ein automatischer Informationsaustausch der bessere Weg, weil er mehr Transparenz und mehr Klarheit schaffen würde. ({11}) Wenn nur zinsähnliche Erträge einbezogen werden - dabei denke ich an die Zinsrichtlinie -, dann ist es leider so, dass geschickte Steuergestalter bei anderen Anlagen mit Dividenden und Veräußerungsgewinne, die noch außen vor bleiben, dazu verführt werden, mit relativer Leichtigkeit an der Besteuerung vorbeizukommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, wir sind der Meinung, dass dies zwar ein guter Ansatz, aber noch lange nicht das Ende des Weges ist, der beschritten werden muss, um Steuerhinterziehungen zu bekämpfen und diejenigen, die das tun, zur Verantwortung zu ziehen. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister für Finanzen, Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für den kolossalen Rundumschlag von Herrn Wissing bedanken. Er ist ein Indiz dafür, wie ernst er mich nimmt. Darüber hinaus ist er der lebendige Beweis dafür, dass die FDP zum Thema Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ein verniedlichendes und verharmlosendes Verhältnis hat. ({0}) Allein die deklamatorische Äußerung „Wir sind dagegen“ reicht nicht. Es müssen Taten folgen. Wenn es eine Kraft innerhalb dieses Parlamentes gibt, die in den letzten drei Jahren zum Thema Steuerhinterziehung und Steuerbetrug ({1}) nicht eine einzige Initiative und nicht eine einzige unterstützende Maßnahme ergriffen hat, dann ist es die FDP gewesen. ({2}) Herr Wissing, ich sage Ihnen ganz freimütig: Sie sind in Stilfragen für mich definitiv keine Instanz. Das gilt auch für Ihren Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Solange ein Staatssekretär meines Hauses von Ihnen so behandelt und angegriffen wird, bevor Sie ihm überhaupt die Möglichkeit gegeben haben, Gehör zu finden, können Sie mit mir über Stilfragen garantiert nicht reden. ({3}) Manche Debattenbeiträge können leider nur so gehalten werden, wie sie gehalten werden, weil es eine selbstverordnete Wahrnehmungsblockade gibt. ({4}) Das ist an vielen Ihrer Beiträge festzumachen. Sie werden natürlich diese Litanei und diese Parolen zum Zustand der deutschen Finanzaufsicht immer wiederholen. Aber ich erinnere daran, dass dieses Hohe Haus gerade gestern ein wichtiges Gesetz beschlossen hat, nämlich das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht. Auch drei andere Gesetze, die die Stellung der deutschen Finanzmarktaufsicht deutlich verbessert haben, wurden alleine in den letzten Monaten verabschiedet. Insofern geben Sie hier nur Parolen heraus. Dasselbe gilt mit Blick auf das Thema der größten Steuererhöhung. Denn Sie verschweigen dabei, dass über die Gesamtheit aller Maßnahmen der Großen Koalition die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei den Steuern und bei den Sozialversicherungsbeiträgen innerhalb eines Jahres um 16 Milliarden Euro entlastet werden. Sie können auch weiterhin gerne über die Haushaltskennziffern reden, Herr Wissing. Es wäre aber schön, wenn Sie gelegentlich die Souveränität und die intellektuelle Brillanz hätten, darauf hinzuweisen, dass diese Republik gerade die schwerste Wirtschaftskrise seit ihrer Gründung 1949 erfährt. Das wäre dann eine vollständige Darstellung des Ganzen. ({5}) Es gibt gelegentlich gute Nachrichten. Ich finde, eine gute Nachricht ist von der Konferenz ausgegangen, die hier letzte Woche auf Einladung meines französischen Kollegen Eric Woerth mit massiver Unterstützung der OECD stattgefunden hat. Das, was in dem dort verabschiedeten Kommuniqué zusammengefasst worden ist, ist der weitestgehende Versuch - mehr als das: der ehrgeizige Ansatz -, dem Thema Steuerhinterziehung und Steuerbekämpfung denselben Stellenwert wie der Bekämpfung und Finanzierung von Terrorismus und der Geldwäsche zu verschaffen. Einen solchen Stand der internationalen Debatte haben wir bisher nicht gehabt. Dafür ist - auch das ist ein Instrument, das von der FDP völlig ausgeblendet wird eine Liste mit verantwortlich, die die OECD seinerzeit veröffentlicht hat. Nicht nur auf deklamatorischem Weg, sondern faktisch auch über einen gewissen Druck - von der internationalen Ebene bis hin zu nationalen gesetzlichen Maßnahmen - haben wir inzwischen erreicht, dass sage und schreibe 84 Länder oder Jurisdiktionen Art. 26 des OECD-Kodex unterzeichnet haben. Ich lasse gerne mit mir darüber reden, ob diese Liste in allen Bestandteilen fair, vollständig ist, ob sich manche dort zu Unrecht wiederfinden oder ob noch andere mit hätten aufgeführt werden müssen. Aber diese Liste hat eine Dynamik, eine Wirkungskraft entfacht, ohne die es nicht zu erklären wäre, dass innerhalb von drei Monaten und über den Finanzgipfel am 2. April dieses Jahres in London 18 Staaten zusätzlich diesen OECD-Kodex akzeptieren. Das ist ein Indiz dafür, dass es richtig gewesen ist. ({6}) Deshalb verfängt Ihre Kritik daran auch nicht. Im Übrigen wird es diese Liste weiterhin geben müssen. Es ist geradezu die Aufgabe, auf die wir uns verabredet haben, dass die OECD in einer weiteren Konferenz, nämlich im September in Mexiko, diese Liste weiter verfolgt, und zwar mit Blick auf die Frage: Wer setzt denn nun die Erklärung in seine jeweilige Steuergesetzgebung bzw. in bilaterale Absprachen, maßgeblich die Veränderung und Überarbeitung von Doppelbesteuerungsabkommen, faktisch um? Selbstverständlich ist es richtig, dass heute der Deutsche Bundestag über einen solchen Gesetzentwurf beschließt, im Übrigen ein Gesetzentwurf, der Maßnahmen enthält, die ein weiter Teil unserer europäischen Nachbarstaaten längst geregelt hat. Worüber regen Sie sich eigentlich auf? Warum kritisieren Sie nicht die Franzosen, dass die längst ein Instrument im Kasten haben, das wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzes ist? Das kommt in Ihren Reden nicht vor, die lediglich Parolen enthalten oder nur agitatorischen oder propagandistischen Charakter haben. Gerade in der jetzigen Situation ist es wichtig, dass die Menschen den Eindruck haben, dass wir Steuerhinterziehung und Steuerbetrug nicht als Kavaliersdelikt behandeln. Es ist kriminell. Es ist ein Schaden für den Steuerstandort Bundesrepublik Deutschland. ({7}) Der Druck, den wir ausüben, erstreckt sich nicht auf souveräne andere Staaten, sondern er erstreckt sich auf deutsche Steuerbürger, die von mir aus legal jedwede Anlage haben können. Das stört mich nicht, sondern mich stört, dass sie dieses Kapital entweder illegal an an26108 dere Standorte schieben, oder, wenn sie es legal verschieben möglicherweise ihrer Steuerpflicht auch in Deutschland nicht Genüge tun. Das ist zum Schaden der einzelnen Steuerbürger; denn wenn es diese Steuerverluste nicht gäbe, könnten wir in dem Ausmaß eventuell Steuersätze senken, und uns stünde mehr Geld für die zentralen Aufgaben, die für die Zukunft dieses Landes wichtig sind, zur Verfügung. Alleine die Infrastruktur des Bildungsbereichs könnte anders bedient werden. ({8}) Die Fahrlässigkeit, mit der Ihre Fraktion darüber hinweggeht, ist teilweise bekümmernd. Ich hätte gerne einen Hinweis, dass Sie gegenüber Bankensektoren in südlichen Ländern, zu denen Sie Kontakt haben, jemals zur Geltung gebracht haben, dass wir auf diesem Gebiet weiterkommen müssen. Ich habe ein solches Indiz nicht. Das ist auch eine Frage der Wahrnehmung von Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft. Gerade in einer Zeit, in der sich viele Menschen mit der Frage beschäftigen, wer eigentlich die Zeche zahlt, ist es sehr wichtig, dass wir mit Blick auf Phänomene wie Korruption, sittenwidrig niedrige Löhne, sittenwidrig hohe Abfindungen und Steuerhinterziehung deutlich machen, dass sich die Politik diesen Phänomenen entgegenstellt. Das ist für die legitimatorische Grundlage dieser Gesellschaft von Bedeutung. ({9}) Das behandelt man nicht en passant oder weil die Gelegenheit günstig ist, in einer letzten Bundestagsrede dem Finanzminister aufs Dach zu hauen, Herr Wissing. ({10}) Etwas mehr Grundsätzlichkeit und Geradlinigkeit hätte ich mir von Ihnen gewünscht. Dieser internationale Druck wird fortgesetzt werden. Ich habe insbesondere gegenüber den französischen Partnern Dank zu leisten. Ohne das Zusammenwirken von Deutschland und Frankreich hätte dies nicht funktioniert. Diesen Dank erstrecke ich namentlich auch auf die Bundeskanzlerin und den französischen Staatspräsidenten. Sie sind es gewesen, die bei dem Finanzgipfel in London am 2. April dieses Jahres in einer vorgeschalteten Pressekonferenz darauf hingewirkt haben, dass es zur Veröffentlichung solcher Listen kommt, dass die entsprechende Benennung stattfindet und der Druck auf die Jurisdiktionen oder Nationalstaaten erhöht wird. Darüber hinaus muss ich ein großes Kompliment an die amerikanische Regierung bzw. die amerikanische Steuerverwaltung machen, die, wie ich finde, mit einem hohen Druck in einer kritischen Betrachtung der einzelnen Steuerbürger aus den USA die Steuerhinterziehung bekämpfen. Das hat zu einem maßgeblichen Durchbruch gegenüber dem Land geführt, das sich diesem Thema bisher weitestgehend verweigert hat. ({11}) Es ist doch auszusprechen, dass es Kreditinstitute außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gibt, die das mindestens billigend in Kauf nehmen, vielleicht sogar mehr als das, vielleicht sogar werbend auftreten - ist das so unwahrscheinlich? -, um hochvermögende deutsche Steuerbürger zu veranlassen, ihr Kapital zu verschieben. Halten Sie diese Betrachtung für naiv? Ich fürchte, das trifft weitestgehend zu. Was man an Informationen bekommt, ist allerdings nicht immer leicht verwertbar, weil es nicht immer beweiskräftig ist. Ich glaube, dass wir über die Entwicklung der letzten Wochen einen großen Schritt weitergekommen sind in der Frage, uns international zu verabreden, um das sehr ernst zu nehmende Thema der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs weiter anzugehen und dafür Sorge zu tragen, dass es zu mehr Steuergerechtigkeit kommt. Ich will abschließend noch einmal sehr deutlich sagen: Wer Steuern hinterzieht, der schadet dem Gemeinwesen, der verhöhnt den Rechtsstaat in Deutschland und schwächt den Staat in einer Zeit, wo dieser Staat mehr denn je handlungsfähig sein muss. Vielen Dank fürs Zuhören. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frank Schäffler ist der nächste Redner für die FDPFraktion. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Finanzminister, Sie haben in bewährter Weise dem Parlament wieder ein Ablenkungsmanöver geliefert. Sie hätten in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als der Finanzminister eingehen können, der seit vielen Jahrzehnten wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt hat. Jetzt gehen Sie in die Geschichte als der Finanzminister ein, der die höchste Neuverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland zu verantworten hat. ({0}) Deshalb ist dieses Gesetz ein einfaches Ablenkungsmanöver, und das muss auch beim Namen genannt werden. ({1}) Sie haben mit diesem Gesetz Mitte und Maß verloren, und Sie haben in zwei Bereichen eine doppelte Moral an den Tag gelegt. Erstens. International sagen Sie: Wir wollen keinen Protektionismus. - Mit diesem Gesetz begründen Sie aber einen steuerlichen Protektionismus. ({2}) Sie handeln so, dass die Menschen in ihrem Güter- und Dienstleistungsverkehr eingeschränkt werden. Das ist am Ende Protektionismus, und das muss auch klar beim Namen genannt werden. ({3}) Zweitens. Sie behandeln die Menschen in diesem Land so, wie Sie es anderen vorwerfen. Der Bundesfinanzhof hat Ihnen mitgeteilt, dass Sie in Deutschland in dieser Legislaturperiode jede zehnte seiner Entscheidungen zum Nachteil der Finanzverwaltung nicht auf die Allgemeinheit angewandt haben. Sie beklagen sich über die Steuermoral der Bürger, setzen aber selbst höchstrichterliche Urteile in Deutschland nicht allgemein um. Sie sind selbst der Brandstifter in diesem Verfahren. Deshalb hat Hoffmann von Fallersleben recht, wenn er sagt: Oh, sage mir, wie heißt das Tier, das vieles kann vertragen, das wohl den größten Rachen hat und auch den größten Magen? Es heißet Haifisch auf dem Meer und Fiskus auf dem Lande. ({4}) Sie sind als Regierung nicht auf Augenhöhe mit dem Bürger, und das beklagen wir. Wir wollen, dass Sie dem Bürger auf Augenhöhe begegnen. Der Bürger ist nicht Bittsteller, und Sie sind nicht der König dieses Landes. ({5}) Deshalb ist es wichtig, in Deutschland eine faire Steuergesetzgebung zu haben, bei der den Menschen auf Augenhöhe begegnet wird. ({6}) Die Rollenverteilung zwischen Staat und Bürger sollte so sein, dass der Bürger am Ende als freier Mensch und nicht als Knecht dasteht. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Kolbe für CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition - damit auch die Union - setzt mit diesem Gesetz ein weiteres Zeichen im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Ich sage es für die Union noch einmal ganz klar: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, und wer Steuern hinterzieht, schädigt die Gemeinschaft. ({0}) Lieber Kollege Lothar Binding, Du warst Mitberichterstatter und hast beklagt, dass das alles ein bisschen zu spät gekommen ist. Dazu kann ich nur sagen, dass die Union erst seit 2005 wieder mitregiert; sonst wäre das vielleicht anders gewesen. ({1}) Außerdem stellen wir derzeit noch nicht den Bundesfinanzminister, aber auch das kann ja noch werden. Aber jetzt zur Sache: ({2}) Die Große Koalition - da werden Sie mir zustimmen war im Kampf gegen die Steuerhinterziehung so erfolgreich wie nur wenige Regierungen zuvor. Wir haben in vier Jahren deutlich mehr auf den Weg gebracht als etwa die rot-grüne Vorgängerregierung in acht Jahren. Ich möchte das noch einmal kurz zusammenfassen: Wir haben das Strafrecht verfassungsfest gemacht. Wir haben den sehr umstrittenen § 370 a Abgabenordnung abgeschafft und den § 370 Abgabenordnung mit seinen Qualifizierungen in Abs. 3 neu gefasst. Damit fällt die bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern jetzt erstmals unter einen qualifizierten Straftatbestand. Wir haben mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung erstmals einen Steuerhinterziehungstatbestand, nämlich die bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern, in den Katalog des § 100 a StPO aufgenommen und damit die Telekommunikationsüberwachung auch bei schwersten Steuerhinterziehungsdelikten ermöglicht. Wir haben mit dem Jahressteuergesetz 2009 die Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung auf 10 Jahre erhöht. Zu begrüßen ist auch, dass der Bundesgerichtshof grundlegende Ausführungen zur Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung gemacht hat. Denn das Problem bei der Steuerhinterziehung ist nicht unbedingt die Höchststrafe von 10 Jahren - diese halten wir für ausreichend -, aber bei dem einen oder anderen Urteil hatte man den Eindruck, dass der Strafrahmen nicht ganz ausgeschöpft war. Hier hat der Bundesgerichtshof jetzt Wegweisendes gesagt: Ab einem Steuerschaden von 50 000 Euro ist eine Freiheitsstrafe möglich, ab 100 000 Euro mehr oder weniger unerlässlich - sie kann allerdings bei Ersttätern noch zur Bewährung ausgesetzt werden -, und ab etwa 1 Million Euro ist eine Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann, grundsätzlich unerlässlich. Wer Steuern in Millionenhöhe hinterzieht, wandert jetzt also tatsächlich ins Gefängnis, und das ist auch richtig so. Schließlich haben wir im Mai dieses Jahres den Koalitionsantrag „Steuerhinterziehung bekämpfen“ beschlossen, der eine Vielzahl von weiteren zu ergreifenden Maßnahmen enthält. Insbesondere soll die EU26110 Zinsrichtlinie überarbeitet und ein verbesserter Informationsaustausch auf internationaler Ebene ermöglicht werden. Besonders im internationalen Bereich sind wir deutlich weitergekommen. Wir streben einen Informationsaustausch mit allen Staaten dieser Welt nach Art. 26 des OECD-Musterabkommens an. Wir sind diesbezüglich weitergekommen, befinden uns in guten Verhandlungen und haben die Hoffnung, dass der Informationsaustausch bald umfassend möglich sein wird. Das ist ein Verdienst der internationalen Gemeinschaft. Die eine oder andere Bemerkung von deutscher Seite, die völlig Unschuldige wie etwa die Indianer oder die Republik Burkina Faso mit der Hauptstadt Ouagadougou beleidigt hat, war dabei eher kontraproduktiv. Lassen Sie mich nun zu dem Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden, kommen. ({3}) Richtig ist der Ansatz dieses Gesetzes. Staaten, die sich nicht am Informationsaustausch entsprechend den OECD-Standards beteiligen und den Finanzbehörden in berechtigten Fällen keine Auskunft erteilen, erleichtern es Bürgern, Steuern zu hinterziehen. ({4}) Dieses Verhalten kann die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmen. Wir können solche Steueroasen nicht dulden. ({5}) Es gibt zwei Wege, um das Verhalten dieser Steueroasen zu bekämpfen. Zum einen kann ich in Verhandlungen mit diesen Ländern treten und versuchen, ({6}) sie zur Einhaltung der OECD-Standards zu bringen. Dabei kann ich durchaus auch politischen und wirtschaftlichen Druck anwenden; da sind wir sicherlich einer Meinung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der zweite Weg ist: Die Bundesrepublik Deutschland geht im nationalen Alleingang gegen deutsche Steuerpflichtige vor, die in Geschäftsbeziehungen zu diesen Staaten stehen, ({7}) und pönalisiert sie durch erhöhte Auskunftspflichten und das Versagen von Abzugsmöglichkeiten usw. Diese beiden Möglichkeiten gibt es. Wir als Union bevorzugen ganz klar den ersten Weg. ({8}) Wir streben an, dass zunächst mit der internationalen Gemeinschaft verhandelt wird. Wir möchten, dass überall auf der Welt ein Auskunftsaustausch gemäß den OECD-Standards gewährt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf geht eher den zweiten Weg. Deshalb haben wir im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt, dass zunächst auf internationaler Ebene verhandelt wird. Wir sind da auf gutem Wege. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben es ja eben gesagt. Im Augenblick zeichnet sich ab, dass alle wesentlichen Staaten dieser Welt den Auskunftsaustausch gemäß den OECD-Standards gewähren wollen. ({9}) Erst dann, wenn dies in dem einen oder anderen Einzelfall nicht möglich ist, kann die Bundesregierung als Ultima Ratio durch eine Rechtsverordnung beschließen, dass das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz für diesen Fall zur Anwendung kommt. Das ist unseres Erachtens der richtige Weg. Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs beschließen wir zugleich auch, dass dieser Weg eingeschlagen wird. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal allgemein etwas zum Thema Steuerhinterziehung sagen: Wie bei jeglicher Kriminalitätsbekämpfung sind auch bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung sowohl Repression - darüber reden wir ja heute - als auch Prävention gefordert. Dies gilt für jegliche Form von Kriminalität, ob es nun Drogenkriminalität oder Steuerkriminalität ist. Es ist nun aber so, dass Teile dieses Hauses nur die eine Seite der Medaille betonen. Die FDP redet sehr viel von der Prävention, und Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben in Ihrer Rede über Repressionen geredet; Ausführungen zur Prävention habe ich jedoch vermisst. Es gibt eben zwei Wahrheiten bei der Steuerhinterziehung: Die eine Wahrheit, Frau Kollegin Scheel, ist natürlich - da teile ich ausdrücklich Ihre Auffassung -, dass jemand wie Herr Zumwinkel nicht wegen der Komplexität des deutschen Steuerrechts nach Liechtenstein gegangen ist und dort eine Stiftung gegründet hat. Vielmehr gibt es Zeitgenossen, die Steuern hinterziehen wollen und dabei auch komplexe, teure rechtliche Wege gehen. Dieses Verhalten müssen wir repressiv bekämpfen. Die andere Wahrheit, Herr Bundesfinanzminister und Frau Scheel, ist aber auch, dass ein einfaches und leistungsgerechtes Steuerrecht natürlich die Anreize zur Steuerhinterziehung senkt, während eine überhöhte Belastung Anreize gibt, die zu einem Anstieg von Steuerflucht führen. ({10}) Ich glaube, diese Wahrheit, Herr Bundesfinanzminister, darf man auch einmal aussprechen, und man sollte sie auch zur Kenntnis nehmen. Deshalb werden wir von der Union weiterhin die Steuerehrlichkeit präventiv durch eine Steuergesetzgebung fördern, die einfach und leistungsgerecht ist. Wir haben das teilweise in dieser Legislaturperiode schon getan. So haben wir eine einfache Abgeltungsteuer eingeführt und die Steuerlast auf thesaurierte Gewinne mit der Unternehmensteuerreform reduziert. ({11}) Wir werden diese Anstrengungen fortsetzen. Das am Montag vorgestellte „Regierungsprogramm 2009 - 2013“ von CDU und CSU ist auch im Hinblick auf diesen Punkt richtungsweisend. Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir als Union werden weiterhin für ein einfaches und leistungsgerechtes Steuersystem kämpfen und damit einen ganz wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung leisten. Heute bitte ich aber erst einmal um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Danke schön. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat der finnische Parlamentspräsident, Herr Sauli Niinistö, mit seiner Delegation Platz genommen. ({0}) Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen begrüße ich Sie herzlich hier im Deutschen Bundestag. Wir freuen uns über Ihren Besuch und noch mehr darüber, dass wir, wie wir ja gestern auch in unseren Gesprächen austauschen konnten, so enge und auch immer intensivere parlamentarische Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern haben. Für Ihren Aufenthalt hier in Deutschland, für die weiteren Gespräche und insbesondere für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche. Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist sicher auch ein Beitrag zur Bekämpfung der internationalen Finanzkrise. Wir alle hier im Hause sind uns darüber im Klaren, dass es in Zukunft keine unkontrollierten Finanzinstrumente mehr geben darf, keine Finanzprodukte, die nicht kontrolliert werden, und auch keine regulierungsfreien Bereiche. Das ist eine ganz wichtige Aussage, zumal dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Steuerhinterziehung wichtig ist. Der Tatbestand, dass drei von vier großen Hedgefonds in Steueroasen zu Hause sind, unterstreicht, dass von hier auch eine Gefährdung der Stabilität der internationalen Finanzmärkte ausgeht. ({0}) Nun gibt es bei diesem Thema - ich sage dies in aller Deutlichkeit - international ein Stück Doppelmoral. Die Vereinigten Staaten halten sich eine Steueroase im eigenen Land. ({1}) Großbritannien hat mehrere Inseln. ({2}) Es muss auch nachdenklich stimmen, dass fast alle großen deutschen Kreditinstitute und fast alle Landesbanken in diesen Ländern vertreten sind. Da in all diesen Gremien auch Vertreter der Politik sitzen, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir all das nicht gewusst haben. Dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist, ist, wie gesagt, ein geflügeltes Wort geworden. Es ist auch richtig, dass die Große Koalition in den letzten vier Jahren auf diesem Gebiet einiges erreicht hat; mein Kollege Kolbe hat ausführlich darauf hingewiesen. Alleine die Ankündigung, dass wir ein solches Gesetz machen, hat dazu geführt, dass die betroffenen Länder, die den viel zitierten OECD-Standard nicht erfüllen, bei uns jetzt Schlange stehen und ein Doppelbesteuerungsabkommen abschließen möchten. Das ist ein gutes Zeichen. Dennoch ist hier eine gewisse Parallelität zu dem Enteignungsgesetz gegeben: Wir haben es zwar nicht gebraucht, aber ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich so gelaufen wäre, wenn wir es nicht verabschiedet hätten. Insofern stimme ich in dem Punkt nicht mit der FDP darin überein, dass wir dieses Gesetz nicht brauchten. Es ist nicht auszuschließen, dass wir keine einzige Verordnung brauchen - das wäre gut -, aber wenn wir jetzt auf halber Strecke aufhören würden, ({3}) wäre es kontraproduktiv. Denn in der Tat haben viele der interessanten Staaten bisher lediglich erklärt, dass sie den OECD-Standard erfüllen möchten. Ich glaube, wenn wir heute dieses Gesetz verabschieden, dann wissen sie, dass wir es ernst meinen. Ich bin allerdings ein bisschen anderer Meinung als der Minister. Denn er möchte die Verordnungen meiner Ansicht nach zu zügig einführen. Ich habe gelesen, dass sie bereits im Sommer gelten sollen. Ich meine, dass man ein bisschen mehr Zeit benötigt, und insofern würde der Herbst ausreichen. Trotzdem ist dies ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, und ich betone das, was mein Kollege Oswald gesagt hat: Unser Ansatzpunkt ist - deshalb haben die Verhandlungen auch so lange gedauert -, dass wir zunächst einmal vom ehrlichen Steuerbürger ausgehen. Wir gehen nicht davon aus, dass jeder nur das eine Ziel verfolgt, Steuerbetrüger zu sein. Unser Ansatz ist insofern ein bisschen anders. Wir sind dann zu einem vernünftigen Ergebnis gekommen, wie ich glaube. Alles spricht dafür, dass meine heutige Rede die letzte vor dem Deutschen Bundestag sein wird. Ich werde zwar noch an einigen Sondersitzungen teilnehmen, aber in diesen geht es voraussichtlich nicht um Finanzen. ({4}) - Ich habe „voraussichtlich“ gesagt. - Deshalb will ich in der mir eigenen Art vier abschließende Bemerkungen machen. Die erste Bemerkung: Bevor ich in den Deutschen Bundestag kam, war ich 14 Jahre Leiter von Kreditinstituten in Norddeutschland. Das war zwar eine spannende Tätigkeit, aber diese Tätigkeit im Deutschen Bundestag ist viel spannender. Daher habe ich es nie bereut, von der Wirtschaft in den Deutschen Bundestag zu gehen. Ich kann dies Leuten in der Wirtschaft nur empfehlen. Hier kann man mitgestalten, und es ist angenehmer, mitzugestalten, als vor der Tür zu stehen und zu kritisieren, wie dies viele in der Wirtschaft ständig machen. ({5}) Die zweite Bemerkung: Die Arbeit der Großen Koalition war aus meiner Sicht deutlich erfolgreicher, als dies in der Mehrzahl der Medien dargestellt und bei der Mehrzahl der Bevölkerung wahrgenommen wird. Ich war nie ein Freund der Großen Koalition - die Sozialdemokraten auch nicht. ({6}) Wir hatten eine Situation, in der nichts anderes möglich war. Nur, ich vermute, dass Historiker eines Tages schreiben werden: Es war gut, dass zur Zeit der größten Finanzkrise, die die Bundesrepublik Deutschland bisher erleben musste, eine Große Koalition an der Regierung war. Sie hat ihre Handlungsfähigkeit oft mit sehr schnellen Entscheidungen bewiesen. ({7}) Der dritte Punkt. Warum hast du dich entschieden, nicht wieder anzutreten? - Jeder muss selbst bestimmen, wann er aufhört. Wir haben uns einmal für die Rente mit 67 ausgesprochen. Ich habe das 67. Lebensjahr vollendet und damit die Grenze, die wir schrittweise ab 2012 verwirklichen wollen, erreicht. Ich ergänze das mit dem Satz: Man soll zu einem Zeitpunkt gehen, zu dem zumindest einige sagen: Schade, und nicht alle sagen: Gott sei Dank. Das „Schade“, das ich zurzeit höre, tut mir ganz gut. ({8}) Die vierte und letzte Bemerkung. Ich habe Vielen Dankeschön zu sagen, insbesondere meiner Fraktion und den Finanzpolitikern dort. Es war eine tolle Mannschaft. Aber ich sage sehr deutlich: Auch die Zusammenarbeit mit den Finanzpolitikern der Koalition war prima und viel besser, als es oft außerhalb geäußert wurde. Ich sage ausdrücklich: Auch mit den drei Oppositionsfraktionen habe ich persönlich gut zusammengearbeitet. Natürlich schließe ich in das Dankeschön das Ministerium ein. Die Zusammenarbeit war konstruktiv. Ich möchte namentlich die beiden Referenten unserer Arbeitsgruppe, Frau Dr. Deter und Herr Dr. Müller, nennen. Sie sind die Seelen der Arbeitsgruppe. Als Allerletztes möchte ich Undine Schöps ein herzliches Dankeschön sagen, die mich in meinem Büro zehn Jahre lang gemanagt hat. Sie ist eine hervorragende Kraft. Ich sage an dieser Stelle Dankeschön. Ich verabschiede mich in der Hoffnung, viele von Ihnen auch in Zukunft zu sehen. Meine Frau und ich werden weiter zwischen meiner Heimatstadt Rendsburg, meinem dann früheren Wahlkreis, und Berlin pendeln. Berlin gefällt uns so gut, sodass ich Ihnen auch in Zukunft nicht erspart bleibe. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Bernhardt, den vielen Danksagungen, die Sie gerade an die unterschiedlichen Adressen gerichtet haben, möchte ich umgekehrt einen herzlichen Dank des Präsidiums für die hier im Deutschen Bundestag von Ihnen geleistete Arbeit hinzufügen. So wie sich Ihre letzten Sätze angehört haben, Herr Bernhardt, besteht ja die begründete Aussicht, dass Sie uns in ähnlich guter Erinnerung behalten wie wir Sie. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13666, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12852 sowie den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/13106 als Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13693 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe den Tagesordnungspunkt 65 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Achtung der Grundrechte - Drucksachen 16/7271, 16/10469 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegen Gisela Piltz für die FDP-Fraktion. ({1})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 23. Mai haben wir den 60. Geburtstag unseres Grundgesetzes ausgiebig feiern dürfen. Heute, sechs Wochen später, nach vielen Sonntagsreden, in denen sich alle in diesem Hause selbstverständlich - wie könnte es auch anders sein? - zu den Grundrechten bekannt haben, geht es um die Achtung der Grundrechte im tatsächlichen Handeln, in der Gesetzgebung ebenso wie im Verwaltungshandeln, in der Gesellschaft wie in der Wirtschaft. Carlo Schmid hat in seiner Rede im Parlamentarischen Rat am 8. September 1948 gesagt, „daß eine Verfassung in einer demokratischen Welt etwas mehr sein muß als ein bloßes Reglement, als ein bloßes Organisationsstatut.“ Das gilt aus unserer Sicht insbesondere für das Herz der Verfassung, für die Grundrechte. ({0}) Es geht nicht einfach nur um Rechtsnormen. Es geht um das Werteverständnis unserer Gesellschaft. Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte und Teilhaberechte, die in unserer Verfassung niedergelegt sind, spiegeln nicht nur das Staatsverständnis eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens wider, sie stehen vielmehr auch für ein Menschenbild, für das Bild von mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Individuen. Ich darf Carlo Schmid weiter zitieren: Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist. Vielleicht ist das eine Botschaft an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU. Wenn Sie bitte einmal zuhören würden! ({1}) - Ja, Sie schon - ich bin darüber total begeistert -, aber Ihre Kollegen verhandeln gerade. Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist, wenn er nur einen willfährigen Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll verfügen können. Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren. ({2}) Das ist heute immer noch aktuell. Bei jedem Gesetzgebungsverfahren und bei allem staatlichen Handeln ist dieser Satz aktuell. Die Grundrechte müssen nicht nur das Grundgesetz regieren, sondern erst recht die einfachen Gesetze. Das sollten wir immer bedenken, wenn wir welche machen. Wenn die Grundrechte in ihrem Gehalt eingeschränkt werden, geht damit immer und unwiederbringlich ein Stück Freiheit und Gerechtigkeit verloren. So haben wir es in der Einleitung zu unserer Großen Anfrage geschrieben. Das halten wir immer noch für aktuell, denn diese schwarz-rote Koalition hat leider ebenso wie ihre Vorgängerin, die rot-grüne Regierung, allzu oft von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Grundrechte einzuschränken, ohne dabei das nötige Augenmaß zu wahren. ({3}) Bei einfachgesetzlichen Regelungen, aber auch beim tatsächlichen Handeln des Staates werden Grundrechte bis aufs Äußerte und leider oft auch darüber hinaus eingeschränkt. Wenn immer mehr und immer tiefer in die Grundrechte eingegriffen wird, verlieren sie an Substanz. Das müssen wir uns immer klarmachen. ({4}) Diese zahllosen Eingriffe sind leider auch geeignet, die Wahrnehmung der Grundrechte zu verändern. Nicht mehr derjenige, der die Freiheit einschränken will, soll das rechtfertigen, wie es dem Grundgedanken des Grundgesetzes entspricht. Nein, langsam ist es genau umgekehrt: Die Grundrechte werden durch eine solche Politik zum Erlaubnistatbestand. ({5}) Jeder, der sagt: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“, greift in Wahrheit die Grundrechte selber an; ({6}) denn diese Haltung ist die geistige Grundlage dafür, die Freiheit des Einzelnen nur noch unter Vorbehalt zu gewähren. Bei dieser Haltung geht man eben nicht davon aus, dass das Individuum von sich aus - und eben nicht von Staates Gnaden - mit unverbrüchlichen Rechten, mit Grundrechten ausgestattet ist, sondern man geht davon aus, dass Rechte vom Staat geschenkt werden. Leider hat der Bundesinnenminister das allzu oft hier vorgetragen. Das hat dazu geführt, dass es für die Freiheit mittlerweile einer Begründung bedarf und nicht länger umgekehrt, für die Einschränkung der Freiheit. Das ist eine fatale Entwicklung. ({7}) - Sie können das ja gleich korrigieren, Herr Dressel. ({8}) Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen oft genug eines drübergegeben und in unserem Sinn entschieden. ({9}) Das sollten Sie bei dem, was Sie hier vortragen, immer bedenken, Herr Kollege. Besonders deutlich zeigt sich das in der Informationsgesellschaft. Die neue Technik ist doch eine Chance für diese Gesellschaft. ({10}) Die Menschen geben ihrer Meinungsfreiheit im eigenen Blog, ihrer Kunstfreiheit vielleicht in einem etwas skurrilen Film auf YouTube, ihrer Berufsfreiheit im E-Commerce und ihrer Kommunikationsfreiheit durch E-Mails, Chats und Internettelefonie Ausdruck. Von dieser großen Freiheit hält der Innenminister gar nichts. Das Internet ist die „Basis des Verbrechens“, so kann man ihn zitieren. Damit werden immer neue Einschränkungen der Grundrechte gerechtfertigt. Darin offenbart sich aus unserer Sicht ein tiefes Misstrauen gegenüber den Menschen statt eines Grundvertrauens in das Individuum. Zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung könnten Sie gar nicht machen, wenn es moderne Technologien nicht gäbe. Sie könnten nicht jeden Brief überwachen. Auf diesen Vorschlag warten wir noch; er wäre aber nicht umsetzbar. ({11}) Vieles von dem, was Sie gemacht haben, schränkt die Grundrechte ein, zum Beispiel auch - wir haben gerade über ein Finanzthema debattiert - das Enteignungsgesetz, durch das der Weg zur Verstaatlichung der Hypo Real Estate frei gemacht wurde. Auch da hätte es günstigere und mildere Mittel gegeben, die die Grundrechte nicht so eingeschränkt hätten. ({12}) Das ist ein schlechtes Beispiel dafür, wie Sie hier Politik machen. ({13}) Bei Ihrer Politik lassen Sie es an Achtung für die Grundrechte fehlen. ({14}) Damit steigt die Gefahr, dass die Anerkennung der herausragenden Bedeutung der Grundrechte in der Gesellschaft verloren geht. Wenn tagtäglich berichtet wird, dass die Grundrechte vor allen Dingen den Täter schützen, muss man sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung Grundrechte nicht mehr wahrnimmt und nicht mehr ernst nimmt. ({15}) Dies gilt im Übrigen auch für andere Gesellschaftsgruppen. ({16}) - Herr Kauder, wenn Sie meinen, dass das Unsinn ist, dann schauen Sie sich die letzten Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichtes an. ({17}) Danach wissen Sie, was Unsinn und was nicht Unsinn ist. Ich glaube, die eine oder andere Ihrer Gesetzgebungen ist Unsinn und nicht etwa meine Rede. Sie sollten sich gut überlegen, was Sie hier sagen. ({18}) Allen muss klar sein, wie wichtig Grundrechte sind. Ehrlich gesagt: Sie von der CDU ({19}) - und CSU; wenn Sie darauf Wert legen, von mir aus; es ist aber neu, dass Sie Wert darauf legen ({20}) - ich weiß; aber Sie sind von der CDU, und ich habe Sie direkt angesprochen - verabschieden heute als letzten Tagesordnungspunkt ein Abkommen zwischen Deutschland und den USA. Damit greifen Sie wieder in Grundrechte ein. ({21}) Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Sie hier Politik machen und die Grundrechte nicht achten. ({22}) Es kann nicht sein, dass Sie hier erklären, was Unsinn sei und was nicht. Schauen Sie sich einmal an, was Ihre Fraktion mit denen da drüben, dem Koalitionspartner, gemeinsam macht. Das ist Unsinn. ({23}) Wir als Bundestag müssen die Grundrechte wieder in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Wenn wir sie nicht achten, wird es niemand tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Jürgen Gehb ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am letzten offiziellen Sitzungstag der zu Ende gehenden Legislaturperiode und auch noch zur besten Fernsehzeit 75 Minuten über den Tagesordnungspunkt „Achtung der Grundrechte“ debattieren zu können, lässt das Herz eines Rechtspolitikers - jedenfalls mein Herz; Ihres offenbar auch, Herr Montag, Sie nicken zustimmend - höher schlagen. ({0}) Selbst die 75 Minuten Debattenzeit, die für uns Rechtspolitiker üppig bemessen ist, gibt natürlich überhaupt nicht ausreichend Gelegenheit, auf ein über 80-seitiges Konvolut, das 167 Fragen der FDP und genauso viele Antworten der Bundesregierung umfasst, auch nur annähernd erschöpfend einzugehen. Deswegen will ich mich auf ein paar grundsätzliche Erwägungen beschränken. Ich will mich zu dem für Sie alle vielleicht vollmundig - oder besser gesagt: euphorisch - anmutenden Satz hinreißen lassen und sagen: Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur die beste geschriebene Verfassung, den besten Verfassungstext, sondern wir leben eine Rechts-, Verfassungs- und Gesetzeskultur, die keinen Vergleich auf dieser Welt scheuen muss. ({1}) Warum bemühe ich einen so staatstragenden Satz? Ich will es Ihnen sagen: Ich gehöre zu den Politikern, die nicht über den politischen Trampelpfad Penne-Partei-Parlament oder auch Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal hierher gekommen sind. Die Gunst meiner beruflichen Laufbahn hat es mir vielmehr ermöglicht, inzwischen alle drei Gewalten einmal kennengelernt zu haben. Zwölf Jahre in der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit in verschiedenen Instanzen und in verschiedenen Funktionen, auch am Hessischen Staatsgerichtshof, dem Landesverfassungsgericht des Bundeslandes Hessen, haben mich gelehrt und haben mir gezeigt, dass alle Entscheidungen, die wir im Namen des Volkes getroffen haben, immer Grundrechtsbezug hatten: Ob es um die Rechtmäßigkeit des Sexualkundeunterrichts ging, um die Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis oder um die Rechtmäßigkeitsprüfung einer Genehmigung zum Bau und zur Errichtung einer Anlage, in der das Produkt Beta-Galactosidase-Präproinsulin-Fusionsprotein hergestellt werden sollte ({2}) - für die Protokollanten: schreiben Sie einfach, dass es dabei um die gentechnische Herstellung von Humaninsulin geht -, immer waren wir mit Grundrechten konfrontiert. Bei allen rechtlichen Regeln, die wir überprüft haben, und bei allen Akten der öffentlichen Gewalt - man nennt sie Verwaltungsakte - haben wir prüfen müssen: Ist die anzuwendende Norm für sich betrachtet bereits verfassungsgemäß, verletzt sie gar Grundrechte, oder ist die Anwendung durch die Verwaltung selber im Einzelfall noch verfassungsgemäß? Wenn ein Instanzgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass schon die anzuwendende Norm nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dann haben wir die entsprechende Frage im Wege der sogenannten konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, unseren Instanzprozess ausgesetzt, gewartet, bis das Bundesverfassungsgericht Ja oder Nein gesagt hat und haben dann entschieden. ({3}) Meine Damen und Herren, die stringente Prüfung von Grundrechten ist mir auch begegnet, als ich vier Jahre lang Bürgermeister der nordhessischen Metropole Kassel sein durfte. Auch dort hatte ich ein zugeschnittenes Dezernat, bei dem es um Ordnungsrecht ging: um das Ausländerwesen, die Erweiterung einer Müllverbrennungsanlage und die Ausweisung und Abschiebung von sich illegal in Deutschland aufhaltenden Ausländern. Auch dort musste ich, sozusagen als Chef der Verwaltung, immer auch die Grundrechte achten. ({4}) In beiden Gewalten, sowohl in der Judikative als auch in der Exekutive, der ich früher angehört habe, konnte ich bei der Achtung der Grundrechte ein signifikantes Defizit - Sie haben in Ihrem Vorwort gesagt, dass es dem Staat an der Achtung der Grundrechte mangelt beim besten Willen nicht erkennen. Selbst wenn das einmal der Fall sein sollte, haben wir oberhalb der Instanzgerichte, also der ersten Instanz, des Berufungsgerichts und des Revisionsgerichts - ob das der BGH, der Bundesfinanzhof, das Bundessozialgericht oder das Bundesarbeitsgericht ist -, noch das Bundesverfassungsgericht. Es ist zwar keine Superrevisionsinstanz, aber eine auf der Welt in dieser Konstellation nahezu einmalige Einrichtung, die im Zweifel den einen oder anderen Fehler korrigiert. Zu derartigen Fehlern kommt es in Deutschland allerdings nur in „homöopathischen“ Dosen. Man sollte nicht so tun, als würde das Bundesverfassungsgericht jede zweite unserer Entscheidungen aufheben. Es ist wie mit einem Flugzeug: Über ein Flugzeug, das landet, wird nicht berichtet. Berichtet wird nur über das Flugzeug, das abstürzt. Es wird auch nie über eine gelungene Operation berichtet, wie ich sie gerade über mich habe ergehen lassen müssen - wie Sie sehen, ist sie gelungen -, ({5}) sondern nur über eine Operation, bei der der Chirurg einen Tampon in der Wunde vergessen hat. Das ist zwar typisch, aber nicht repräsentativ. Da ich gerade über Gerichtsentscheidungen spreche: Frau Piltz, Sie haben sich auch heute wieder zu einer völlig unrichtigen Bemerkung hinreißen lassen und behauptet, wir hätten viele Entscheidungen des Verfassungsgerichtes wieder vor die Nase gesetzt bekommen. Ich will Ihnen sagen: Seit dem 19. Oktober 2005 - das ist der Tag, an dem sich der 16. Deutsche Bundestag konstituiert hat - gibt es nicht eine einzige - ich wiederhole: nicht eine einzige - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der ein Sicherheitsgesetz dieser Koalition aufgehoben worden ist. ({6}) Bei all den Beispielen, die Sie gebetsmühlenhaft wiederholen und immer wieder wahrheitswidrig anführen - hier kann ich es Ihnen nicht durchgehen lassen; wahrscheinlich tun Sie das aber auch auf vielen anderen Veranstaltungen -, handelt es sich um Gesetze, die von der rot-grünen Koalition verabschiedet worden sind, ({7}) oder um Ländergesetze, bei denen die FDP federführend beteiligt war. Das muss einmal gesagt werden. ({8}) Seit 1998 bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages, einer weiteren der drei Gewalten. Wir müssen uns seit etwa 2001 pausenlos einen Vorwurf gefallen lassen, der auch in Ihrem Vorwort zum Ausdruck kommt. Dort haben Sie sich zu der, wie ich finde, unsäglichen Bemerkung hinreißen lassen, dass nicht mehr das Leitbild des mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Menschen Pate bei der Gesetzgebung stehe. Wer denn sonst, Frau Piltz? Etwa das Buch Hiob? ({9}) Selbstverständlich steht dieses Leitbild für uns nach wie vor Pate bei der Gesetzgebung. Meine Damen und Herren an den Fernsehschirmen und auf der Zuschauertribüne, alle Grundrechte, die es gibt, kollidieren per se miteinander. Ein Beispiel: Darf man die fette Villa im Grunewald, die der frühere Außenminister Joschka Fischer gekauft hat, fotografieren, und darf man öffentlich danach fragen, woher er das Geld dafür hat? Da kollidiert das Grundrecht der Informations-, Presse- und Meinungsfreiheit mit dem Persönlichkeitsrecht des grünen Außenministers. Noch ein Beispiel: Darf ein muslimischer Metzger ein Schaf ohne Betäubung schlachten, sprich: schächten? Da kollidiert das Grundrecht auf Religionsfreiheit mit dem Staatsziel Tierschutz. Die Freiheitsrechte kollidieren naturgemäß mit der grundrechtlich verbürgten Pflicht des Staates, seinen Bürgern Fürsorge und Schutz zuteil werden zu lassen. ({10}) Das ist ein in der Natur der Sache liegender Antipode, der, wie es das Bundesverfassungsgericht so schön sagt, im Wege der praktischen Konkordanz immer wieder neu abgewogen und ausgeglichen werden muss. ({11}) Meine Damen und Herren, darüber streiten wir im Deutschen Bundestag allenthalben. Man sollte nicht nur die Grundrechte achten, Frau Piltz, man muss bei allen Diskussionen aufpassen, dass man den Grundkonsens der demokratischen Parteien nicht aufgibt. Dem politischen Gegner, wie Sie es getan haben, vorzuwerfen, er achte die Grundrechte nicht, mit solchen Vorwürfen schärfen Sie Ränder, die wir alle nicht schärfen wollen. ({12}) Deshalb appelliere ich an Sie: Rüsten Sie verbal ab! Wenn man gelegentlich die Augen schließt und Ihnen zuhört, Frau Piltz, weiß man - sowohl der Tonlage als auch dem Inhalt nach - nicht, ob Herr Nešković oder Frau Jelpke reden; das muss ich einmal in aller Deutlichkeit sagen. ({13}) Meine Damen und Herren, häufig hören wir: Der Staat in seiner Allmacht, Big Brother is watching you. Nicht Big Brother is watching you, wir müssen aufpassen, dass Little Brother uns nicht watcht. ({14}) Wir geben allzu leichtfertig, freiwillig Daten preis, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Nutzung von Kundenkarten und Prepaidkarten. Das heißt, es geht nicht mehr nur um das Verhältnis Bürger/Staat. Sie haben eben im Zusammenhang mit verdeckten Ermittlungsmethoden die Telefonüberwachung angesprochen. Die organisierte Kriminalität und die Terroristen trommeln heute eben nicht mehr und geben auch keine Rauchzeichen mehr, sie bedienen sich natürlich moderner Technologien. Da muss es den Ermittlungsbehörden doch verdammt noch einmal möglich sein, sich, um Verbrechen aufzuklären, ebenfalls dieser Technologien zu bedienen. Jedes kleine Kind auf der Straße würde einem da zustimmen. ({15}) Im Übrigen wird das nicht aus Daffke und nicht bei jedem Ladendiebstahl gemacht, sondern nur zur Aufklärung schwerster, in einem Katalog aufgelisteter Straftaten, die es zu verhindern bzw. die es aufzuklären gilt, und auch nur, wenn alle rechtsstaatlichen Kautelen vorangeschaltet sind, namentlich eine richterliche Anordnung. Ein Mehr an rechtsstaatlichen Voraussetzungen können wir beim besten Willen nicht fordern. ({16}) Wenn wir schon bei der Achtung der Grundrechte sind: Diejenigen, die mir hier schon öfters haben zuhören müssen - manche auch haben wollen -, werden sich daran erinnern, dass ich immer wieder gesagt habe: Wir nationalen Parlamentarier dürfen uns nicht zu Vollstreckungsgehilfen europäischer Vorgaben degradieren lassen. Wir sitzen sozusagen in der Ratifizierungsfalle. Mein Kollege und Freund Siegfried Kauder hat das im Zusammenhang mit dem europäischen Haftbefehl fast ohnmächtig eingestehen müssen. Deswegen freue ich mich, dass das Bundesverfassungsgericht die Beteiligungsrechte der Parlamentarier gestärkt hat. Wir müssen jetzt nicht mehr retrospektiv sagen: „Wir stehen hier und können nicht anders, weil uns Europa in ein enges Korsett aus Vorgaben zwingt“, wir können jetzt in statu nascendi, in der Geburtsstunde, an solchen Vorgaben mitarbeiten. ({17}) Wenn das so ist, dann können wir sagen: Wir, die Union, wir achten die Grundrechte, wir setzen sie um, wir verteidigen sie, ({18}) und wenn es nötig ist, ergänzen wir sie auch. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der FDP hat schon einige Monate auf dem Buckel. Sie ist dennoch höchst aktuell. Ich empfehle sie allen, die an Bürgerrechten interessiert sind, zur Lektüre. Die Fragen zeigen, wie gefährdet Bürgerrechte sind. Die Antworten zeigen, wie selbstgefällig die Bundesregierung damit umgeht. ({0}) Deshalb möchte ich eingangs festhalten: Es ist wohlfeil, aus Anlass von 60 Jahren Grundgesetz die Grundrechte in Festreden zu lobpreisen; aber es ist ein Spiel mit dem Feuer, sie einerseits zu loben und andererseits gleichzeitig verkommen zu lassen. Das ist leider politischer Alltag, und das lehnt die Linke ab. ({1}) Ich will Ihnen das gerne anhand der Großen Anfrage der FDP illustrieren. Die FDP fragte: Wie bewertet die Bundesregierung die Akzeptanz der Grundrechte in der Bevölkerung? - Wohlgemerkt: Es geht um die Art. 1 bis 19 Grundgesetz, also um souveräne Rechte aller Bürgerinnen und Bürger. Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Akzeptanz der Grundrechte in der Bevölkerung ist sehr hoch. Dafür spreche allein - ich zitiere „die große Anzahl der Verfassungsbeschwerden“. Mit Verlaub: Auf eine solche regierungsamtliche Formulierung muss man erst einmal kommen. ({2}) Zur Erinnerung: Die Zahl der Verfassungsbeschwerden nimmt deshalb zu, weil die Regierungskoalition wieder und wieder Gesetze beschließt, die mit dem Grundgesetz auf Kriegsfuß stehen. Anstatt also Selbstkritik zu üben, verbreitet die Bundesregierung Selbstlob. Das ist ein Trauerspiel. ({3}) In der Schröder/Fischer-Ära wurde ein Luftsicherheitsgesetz beschlossen, das vom Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht „kassiert“ wurde; denn SPD und Grüne wollten Gott spielen und entführte Flugpassagiere abschießen lassen - ein klarer Verstoß gegen Art. 1 Grundgesetz. In der Merkel/Müntefering-Ära wurde verfügt, dass Computer heimlich ausgespäht werden. Auch dieser Anschlag auf das Grundgesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht gestutzt, leider nur halbherzig, aber immerhin. ({4}) Die Einschläge per Gesetz kommen aber immer näher. Individuelle Freiheitsrechte werden relativiert und staatliche Sicherheitsrechte statuiert. Das ist der Trend. So wird das Grundgesetz in Geist und Buchstabe umgedeutet. Der Staat erhebt sich mehr und mehr über die Bürgerinnen und Bürger, und genau das ist verfassungswidrig. Eine weitere Frage der FDP zielte auf die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. Konkret ging es um den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Die Regierungsantwort lautet: Art. 8 Grundgesetz sei wesentlich Ländersache, und Ländersachen kommentiere man nicht. Mit Verlaub: Rund um den G-8-Gipfel war die Bundeswehr mit Personal und Gerät massiv im Einsatz. Ein Camp von G-8-Kritikern wurde sogar aus der Luft per Tiefflug attackiert. Es ist geradezu schäbig, dem Land Mecklenburg-Vorpommern allein die Grundrechtsverstöße rund um den G-8-Gipfel in die Schuhe zu schieben. ({5}) Verstoßen wurde damit übrigens auch gegen Art. 35 Grundgesetz, weil er besagt, dass die Bundeswehr im Innern nur bei großen Katastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen Amtshilfe leisten darf. Für die Bundeswehr ist doch wohl noch immer die Bundesebene zuständig. Deshalb umgekehrt gefragt: Wenn der G-8Gipfel offenbar als große Katastrophe oder besonders schwerer Unglücksfall eingestuft wurde, sodass die Bundeswehr helfen musste, warum hat dann die Bundeskanzlerin Merkel so viel Gefahr überhaupt ins Land geholt? ({6}) Weiter zur Großen Anfrage der FDP. Mehrere Fragen widmen sich dem Datenschutz. Auch er gilt spätestens seit dem legendären Volkszählungsurteil des Verfassungsgerichtes als verbrieftes Grundrecht. ({7}) Es ist das Grundrecht, das inzwischen auch von Staats wegen zu den bedrohten Arten zählt. ({8}) Ich möchte das an zwei Beispielen illustrieren: Stichwort eins: Hartz IV. Wer arm dran ist, der muss 150 bis 180 ganz persönliche Daten über sich und seine Umwelt preisgeben. Das würden die Ackermänner nie tun. Kurzum: Wer arm dran ist, wird auch noch seiner Bürgerrechte beraubt. ({9}) Stichwort zwei: Vorratsdatenspeicherung. Alles wird registriert: Wer wann wo mit wem telefoniert hat, wer wem eine SMS oder E-Mail geschickt hat und wer wann im Internet welche Internetseite geöffnet hat. ({10}) All das hält die Linke für grundrechtswidrig. Auch dagegen laufen übrigens Klagen beim Bundesverfassungsgericht. Meines Wissens ist es das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass gleich zwei Vizepräsidenten des Bundestages gegen ein von der Mehrheit des Bundestages beschlossenes Gesetz beim Bundesverfassungsgericht klagen. ({11}) Durch die Praxis der Vorratsdatenspeicherung wird allerdings noch ein viel weiter gehender Verstoß gegen das Grundgesetz belegt. Laut Grundgesetz sind Grundrechte vor allem Schutz- und Trutzrechte der Bürgerinnen und Bürger gegen Begehrlichkeiten des Staates. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen, also aktuell die CDU/CSU und die SPD, stellen diesen Grundsatz einfach auf den Kopf. Sie nehmen namens einer vermeintlichen Sicherheit alle Bürgerinnen und Bürger ausnahmslos unter Generalverdacht. Mit Blick auf den Geist des Grundgesetzes ist das ein Ding aus dem Tollhaus, und es zeigt: Die größten Gefahren gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung drohen derzeit nicht von Terroristen, auch nicht von Extremisten, sondern eher von Sicherheitsexperten. ({12}) - Herr Kauder, ich sage das sehr deutlich: Nicht alles, was technisch machbar ist und was man sicherlich aus dem beruflichen Blickfeld von Polizistinnen und Polizisten sowie Ermittlungsbehörden gern an Instrumenten in der Hand hat, ist mit unseren Grundrechten und unserem Grundgesetz vereinbar. Wir sind dazu da, genau dieses Spannungsfeld sehr verantwortungsvoll auszuloten. ({13}) Das Ganze korrespondiert mit einer weiteren Entwicklung. ({14}) Substanzielle und verfassungsrechtliche Grenzen werden Stück für Stück aufgeweicht, zum Beispiel zwischen Landesverteidigung und weltweiten Kampfeinsätzen, zwischen Militär und Polizei, zwischen Polizei und Geheimdiensten. Das heißt, wir erleben seit Jahren den zielstrebigen Umbau der Gesellschaft weg vom Rechtsstaat hin zum präventiven Sicherheitsstaat. ({15}) Andere sprechen auch vom Überwachungsstaat. Auch diese Praxis widerspricht den wohlfeilen Antworten der Bundesregierung. ({16}) - Kollege, ich wollte ja eigentlich noch auf die Fragen und die Antworten an die FDP eingehen, aber Ihr ZwiPetra Pau schenruf veranlasst mich, hier mal sehr deutlich Folgendes zu sagen: ({17}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, ich bin in der DDR geboren. Ich habe in der DDR Verantwortung getragen. ({18}) 1990, die demokratische Wende, die ich nicht erzwungen habe - auch das gestehe ich hier -, hat mir nicht nur sehr viel Stoff zum Nachdenken gegeben, sondern ich persönlich habe aus dem Scheitern dessen, was sich Sozialismus nannte, auch aus dem Scheitern der Ideen, für die ich dort gearbeitet habe, sehr schmerzhafte, aber für mich auch nachhaltige Lehren gezogen. Als ich 1998 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, dass es eine linke, eine sozialistische Bürgerrechtspartei in der Bundesrepublik gibt. Das heißt, aus den Lehren aus der Geschichte nehme ich mir das Recht heraus, auf Gefahren für die Grundrechte und für das Grundgesetz auch hier in dieser Bundesrepublik hinzuweisen. Dazu steht die Linke. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel für die SPD-Fraktion.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon etwas Schweres, nach dieser seltsamen, aber durchaus nicht seltenen Allianz von der Partei auf der Rechten, der FDP, und der Partei auf der Linken dieses Hauses das Wort zu ergreifen. Aber zur Sache sage ich als Erstes, was uns, wie ich denke, hier im breiten Bogen des Hauses verbindet: Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren. Das sage nicht nur ich, das stammt von Carlo Schmid - 1949. Diese Forderung, denke ich, betrifft uns alle, und diese Forderung zeigt uns allen, dass der zentrale Grundstein unserer Verfassung das Bekenntnis zur Menschenwürde in Art. 1 ist und dass unser Staat ein Grundrechtsstaat ist, als solcher konzipiert wurde und als solcher sich auch weiter fortentwickelt hat. Meine Damen und Herren, wenn ich mir hier aber anhören muss, dass wiederholt von Ihnen, Frau Piltz, ausgeführt wird, der Staat greife in Grundrechte ein, wenn das Ganze dargestellt wird, als sei das eine Bösartigkeit per se, dann kann ich Ihnen nur antworten: Ja, natürlich. Ein jedes Gesetz ist ein Eingriff in mindestens ein Grundrecht. ({0}) Ein jedes Gesetz greift zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz ein, es sei denn - jetzt komme ich zu Ihrem Zwischenruf, Herr Wieland -, es handelt sich um das Haushaltsgesetz oder um ein Leistungsgesetz, sofern es nicht Art. 3 Grundgesetz betrifft. Wenn Sie mich hätten aussprechen lassen, dann hätten Sie sich diesen Zwischenruf ersparen können. Auf einen Zwischenruf der FDP wäre ich vorhin gerne eingegangen, als es um die Aufhebung von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht wegen Grundrechtsrelevanz ging. Hier stellen Sie sich vor allem zu Wahlkampfzeiten gerne als Bürgerrechtspartei dar. ({1}) Ich frage Sie: Wo bleibt der Einsatz der FDP für Grundrechte in den Landesregierungen, an denen die FDP beteiligt ist? ({2}) Wo war der Einsatz der FDP im Rahmen der Verabschiedung des Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen, bei dem es um die Onlinedurchsuchung ging ({3}) und das erst vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde? Wenn Sie mit einem Finger auf die Bundespolitik zeigen, dann zeigen mindestens zwei Finger in Ihre Richtung. ({4}) In Ihrer Großen Anfrage muss ich lesen, dass es kein Grundrecht auf Sicherheit gibt. In Ihrer Rede haben Sie eben gesagt, Sicherheit habe mit Grundrechtsschutz nichts zu tun ({5}) - lassen Sie mich doch ausreden; dann verstehen Sie es auch - und Grundrechte seien in erster Linie Abwehrrechte gegen staatliches Handeln. Ich sage dazu: Ja, in erster Linie, aber nicht nur. ({6}) Grundrechte bilden insgesamt - das ist die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - eine objektive Wertordnung, die auch Schutzpflichten beinhaltet. Die Sicherheit für die Bürger ist uns ein wichtiges Anliegen. Nach Maslow kommt das Bedürfnis nach Sicherheit bereits an zweiter Stelle nach den physiologischen Bedürfnissen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Wir sind verpflichtet, für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu sorgen, auch von Verfassungs wegen, und zwar nicht nur dadurch, dass wir als Gesetzgeber tätig werden und als „Nachtwächterstaat“ Abwehrrechte anerkennen, sondern auch, indem wir dafür sorgen, dass die Sicherheit nicht nur für denjenigen gilt, der sich die Kosten für eine private Sicherheitstruppe leisten kann. Frei nach Goethe: Und das heilige Menschenrecht gilt dem Herren wie dem Knecht. Das sollte sich auch die FDP merken. Dass die FDP mit dem Charakter als Rechtsstaatspartei im Gegensatz zu ihrer öffentlichen Darstellung seit längerer Zeit hadert, zeigte schon ihr Verhalten beim Thema großer Lauschangriff mit Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Frau LeutheusserSchnarrenberger ist damals zurückgetreten, aber viele von Ihnen haben es mitgetragen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu eindeutig entschieden. Haben Sie daraus gelernt? Nach dem, was Sie auf Länderebene machen, muss ich sagen: Nein, das haben Sie nicht. ({7}) - Ich weiß, wovon Sie sprechen. Ich kann handwerklich gut arbeiten. Das sollten auch Sie endlich tun. ({8}) Herr Stadler, ich habe Ihnen schon in einem anderen Zusammenhang empfohlen, sich die einschlägige Literatur vorzunehmen. ({9}) Sie schreiben zum Beispiel, dass der Grundsatz der praktischen Konkordanz vom Bundesverfassungsgericht entwickelt worden sei. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz nur übernommen, entwickelt hat ihn aber der große deutsche Staatsrechtslehrer Konrad Hesse. ({10}) Ich empfehle Ihnen als Lektüre sein großes Werk Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Es ist leider nicht als Neuauflage erhältlich. Konrad Hesse ist leider vor einiger Zeit verstorben. ({11}) Bilden Sie sich weiter! Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen. Ich merke, Sie haben es nötig. Der Grundsatz der praktischen Konkordanz ist von Konrad Hesse entwickelt worden und später vom Bundesverfassungsgericht übernommen worden. Dafür können wir dankbar sein. Wenn hier behauptet wird, Grundrechte würden durch die öffentliche Gewalt in Deutschland verkommen - das haben Sie wörtlich gesagt, Kollegin Pau - und es handele sich um Anschläge per Gesetz, halte ich das für eine Unverschämtheit diesem Hohen Hause gegenüber, die man gar nicht deutlich genug zurückweisen kann. ({12}) In den letzten 60 Jahren haben die Grundrechte im öffentlichen Bewusstsein eine deutliche Aufwertung erfahren. Sie haben eine positive Rolle gespielt. Nicht umsonst ist die klare Mehrheit der Deutschen stolz auf das Grundgesetz und hat die Grundrechte gerne verinnerlicht; denn diese Garanten der Freiheit werden als solche verstanden. Zur Freiheit gehört auch, dass der Staat jedem Sicherheit gewährleistet, und zwar in guter Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Jerzy Montag ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Piltz, zu dem hohen Ross, von dem herab Sie hier gesprochen haben, hat der Kollege Dressel schon etwas gesagt. Dem schließe ich mich an. Sie, Herr Kollege Dr. Gehb, haben hier zum wiederholten Mal erklärt, bisher habe das Bundesverfassungsgericht keine Gelegenheit gehabt, eines Ihrer Sicherheitsgesetze zu beanstanden. Das steht aber kurz bevor. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung mit einer einstweiligen Anordnung teilweise ausgesetzt. ({0}) Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Ihnen in Zukunft das gleiche Schicksal blühen wird. ({1}) Als ich zur Vorbereitung auf die heutige Debatte die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der FDP zur Hand genommen habe, war ich eigentlich voller Erwartung auf eine differenzierte, sachlich fundierte Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten politiJerzy Montag schen Generalthemen. In welchem Zustand sind die Grundlagen des Zusammenlebens in einem rechtsstaatlichen Gemeinwesen, wie es unser Land zweifelsohne ist? Werden sie genügend geachtet? Welchen Stellenwert haben heute und im realen Leben die Individualrechte der Menschen gegenüber den staatlichen Instanzen sowie in der Wirtschaft und der Gesellschaft? Welche Veränderungen, Bedrohungen und Gefahren erfordern Korrekturen, Klarstellungen oder Weiterentwicklungen? Gibt es Fälle von Verletzungen der Grundrechte, und wie reagieren wir, der Bundestag, darauf? Je mehr ich in den Text der Antwort der Bundesregierung einstieg, desto ernüchterter war ich. Bei den Antworten der Bundesregierung fallen mir drei Kategorien auf. Viele Fragen werden schlicht nicht oder nur mit nichtssagenden Floskeln beantwortet. Viele Fragen werden ausschließlich über Seiten hinweg dadurch beantwortet, dass allseits bekannte Passagen aus grundlegenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts wörtlich wiedergegeben werden. All das kann man in jedem Grundrechtskommentar nachlesen. Es wirkt im politischen Diskurs wie eine Verweigerung der Debatte, wenn sich die Bundesregierung eigener Bewertungen und Präzisierungen enthält und lediglich - um auf sicherem Boden zu bleiben - das Bundesverfassungsgericht für sich sprechen lässt. Bei der Beantwortung einiger weniger Fragen wurde die Bundesregierung erstaunlich deutlich. Aber uns Grüne können diese Antworten nicht befriedigen. Ich komme auf einige dieser Punkte noch zu sprechen. Generell aber sind die Antworten von der selbstgefälligen Grundhaltung getragen, als ob es bei der Achtung der Grundrechte in unserem Staat, in unserem Gemeinwesen überhaupt keinen Anlass zur Kritik gebe. Bei aller Ablehnung pauschaler Diffamierungen unseres demokratischen Rechtsstaates: Es gibt doch wahrhaft Grund genug, sich in Einzelfällen auch kritisch mit der Frage der Achtung der Grundrechte der Menschen zu beschäftigen. ({2}) Die Enttäuschung, die sich bei mir eingestellt hat, resultiert aber - ich muss das in Richtung der FDP sagen auch aus der Art Ihrer Fragen. Wer so unkonkret fragt und mit drei Zeilen die Entwicklung der Grundrechte in Jahrzehnten in der größtmöglichen Allgemeinheit, die überhaupt nur denkbar ist, erfragen will, der wird keine inhaltsreichen Antworten bekommen. Ich will einige wenige Beispiele aufzeigen. Sie fragen zum Beispiel in Frage 3: Wo liegen aus Sicht der Bundesregierung heute aus welchen Gründen und aufgrund welcher Entwicklungen welche Gefahren für die Grundrechte? Allgemeiner geht es gar nicht. Die Bundesregierung sagt schlicht und einfach, konkrete Gefahren für die Grundrechte bestehen nicht. Die Frage und die Antwort hätten Sie sich sparen können. Oder nehmen wir zum Beispiel die Frage 18: Durch welche Gesetze wurde... - seit 2005 in welche Grundrechte eingegriffen ... ({3})? ({4}) Diese Frage zu stellen, heißt natürlich, die Antwort zu provozieren. Die Bundesregierung schreibt, nahezu alle Gesetze enthalten Eingriffe in Grundrechte. Das sei in einem Rechtsstaat geradezu ihre Funktion. ({5}) Jetzt kann man gern darüber streiten, ob dem so ist, aber es handelt sich um eine inhaltsleere Frage und deswegen auch um eine inhaltsleere Antwort. ({6}) Zu einem anderen Problem bei Ihren Fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. ({7}) - Unter den 170? - Es ist schon erstaunlich, wie Sie es schaffen, in einer solchen Großen Anfrage auch zu erkennen zu geben, wie Sie Ihre Klientel bedienen. Ich fand es zum Beispiel seltsam, dass Sie betreffend den Art. 2 Grundgesetz ({8}) hinsichtlich der informationellen Selbstbestimmung, bei der man wirklich viel Konkretes zu fragen hätte, folgende Frage stellten: Welche Maßnahmen zur Stärkung und Bewahrung des Bankgeheimnisses in Deutschland plant die Bundesregierung? ({9}) Die Antwort der Bundesregierung ist frappant und richtig: Es gibt in Deutschland überhaupt kein Bankgeheimnis gegenüber dem Staat. ({10}) Ganz im Gegenteil sagt die Bundesregierung völlig richtig, die Auskunftspflichten der Banken gegenüber dem Staat, die in diversen Gesetzen geregelt seien, seien geradezu eine Verpflichtung aus Art. 3 Grundgesetz, nämlich aus der Steuergerechtigkeit heraus. ({11}) Da haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, etwas gelernt. Ich kürze ab: Betreffend Art. 3 Grundgesetz - Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz - beginnen Sie mit welchem Thema? Ich hätte wetten können: mit dem allgemeinen Gleichstellungsgesetz. Dass Ihnen das Antidiskriminierungsgesetz, obwohl Sie eine Bürgerrechtspartei sein wollen, nicht schmeckt, ist mir klar. Die Antworten der Bundesregierung waren knapp und klar: Es gibt keinen Aufruhr in der Wirtschaft, es gibt kein Chaos bei den Gerichten, das Antidiskriminierungsgesetz hat sich bewährt. ({12}) Neues Grundrecht auf Datenschutz und das Computergrundrecht: In Frage 46 wird gefragt, ob das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als eigenständiges Grundrecht in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes aufgenommen werden soll. Jetzt komme ich zu meiner Kritik an der Bundesregierung. ({13}) Sie beantwortet sowohl diese Frage als auch die Frage nach dem Computergrundrecht und argumentiert wie folgt: Bei dem Datenschutzgrundrecht seien der Inhalt, die Grenzen und die Beschränkungen durch das Bundesverfassungsgericht schon so weit geklärt, dass es einer Aufnahme in das Grundgesetz nicht bedürfe. ({14}) In Bezug auf das Computergrundrecht sagt die Bundesregierung, der Inhalt, die Grenzen und die möglichen Beschränkungen seien durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht geklärt, weswegen sich eine Aufnahme ins Grundgesetz nicht empfehle. So viel Inhaltsleere und tautologische Begründung wie in diesem Punkt habe ich selten gehört. ({15}) Ganz im Gegenteil: Die Aufnahme des Grundrechts auf Datenschutz, die Aufnahme des Grundrechts auf Information, die Aufnahme des Computergrundrechts und auch die Aufnahme der Erklärung des Bundesverfassungsgerichts, dass es einen Kernbereich privater Lebensgestaltung gibt, der unantastbar ist, ist notwendig, sie gehören in das Grundgesetz. ({16}) Das haben wir Grünen längst vorgetragen und konkrete Vorschläge unterbreitet. ({17}) Ich komme zum Schluss. Mir ist aufgefallen, dass weder in der Fragestellung noch in der Antwort eine Bezugnahme oder ein Zitat dazu vorgetragen wird, dass es auch in der Zivilgesellschaft eine Debatte über die Achtung der Grundrechte gibt. Es gibt viele Bürgerrechtsorganisationen, die sich mit diesem Thema kritisch beschäftigen. Ich will sie hier nicht alle namentlich aufführen, aber ich will Ihnen raten: Nehmen Sie nur einmal den Grundrechte-Report zur Hand, ({18}) der jedes Jahr erscheint. In diesem Grundrechte-Report können Sie viel über die Achtung der Grundrechte und ihren Zustand nachlesen, ({19}) meiner Meinung nach mehr, als in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage zu finden ist. Danke schön. ({20})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren über das höchstrangige Recht, das die Bundesrepublik Deutschland kennt. Ich wäre froh gewesen, wenn das mit der entsprechenden Würde möglich gewesen wäre. Frau Vizepräsidentin Pau, Sie haben das nicht geschafft. ({0}) Frau Kollegin Piltz, für Sie gilt nichts anderes. ({1}) Man kann leicht über Freiheitsrechte räsonieren, wenn man keine konkreten Fälle zu entscheiden hat. ({2}) Uns von der Union geht es nicht um die Frage Freiheit oder innere Sicherheit?, sondern Freiheit in Sicherheit. ({3}) Jetzt kann man lange darüber streiten, ob Isensee recht hatte, der schon 1983 das Grundrecht auf innere Sicherheit kreierte, oder ob man sich dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Papier, anschließt. Ich empfehle den Kritikern, hierzu in der Deutschen Richterzeitung 2009, Seite 130, nachzulesen. Siegfried Kauder ({4}) Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber den Bürgern. Damit ergeben sich Abgrenzungsprobleme bei den Freiheitsrechten gegenüber der inneren Sicherheit, die der Staat zu gewährleisten hat. Innere Sicherheit ist ein hohes Gut, wie man sehr schnell an Einzelfällen feststellt. ({5}) Es gibt eben nicht nur das Freiheitsrecht eines Täters. Es gibt auch die Menschenwürde eines möglichen Opfers. Der stärkste Eingriff, den der Staat sich vorstellen kann, ist der in das Leben. Schauen Sie einmal in den Landespolizeigesetzen nach: Gibt es dort nicht den finalen Rettungsschuss? Der Staat entscheidet darüber, ob ein Mensch lebt oder ob er zu Tode kommt. Das ist eine Abgrenzungsfrage, die sich nach dem Paragrafen über die Nothilfe entscheidet. Der Gesetzgeber hat aus gutem Grund gesagt: Da geht die Menschenwürde des vermeintlichen Opfers, dem der Staat zu helfen hat, vor. Nehmen Sie sich einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 49. Band, Seite 202 ff., vor. Schleyer wurde entführt. Die Terroristen verlangten vom Staat, dass für die Freilassung dieses Menschen elf Topterroristen aus dem Gefängnis entlassen werden sollten. Entscheiden Sie bitte einmal diese Frage. Da müssen Sie Menschenleben gegen Menschenleben abwägen; eine andere Möglichkeit haben Sie nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat klug entschieden und erklärt: Der Staat hat eine Fürsorgepflicht für das Opfer. Aber es bleibt doch ein Spielraum, um im Einzelfall anders zu entscheiden. Deswegen - das ist aus Sicht der Hinterbliebenen, der Familie Schleyer, außerordentlich schmerzhaft - hat der Staat die beantragte einstweilige Anordnung, auf die Forderungen der Terroristen einzugehen, abgelehnt. Sie sehen also: Die Frage der Abgrenzung ist weit schwieriger, als Sie sich das vorstellen. Man könnte die Beispiele endlos fortsetzen. Es ist nicht so, dass Freiheitsrechte uneingeschränkt gelten, dass Grundrechte absolut sind. Es gibt einen Gesetzesvorbehalt, nach dem Eingriffe in Grundrechte denkbar sind. Wer innere Sicherheit will, muss nun einmal Eingriffe in Freiheitsrechte zulassen. Der Staat tut das nicht aus eigenen Zwecken, sondern um die Bürger und die Bürgerinnen zu schützen. Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, gab es noch keinen Computer. Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, gab es noch keinen Terrorismus. ({6}) Das Bundesverfassungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass dann, wenn sich die Formen der Kriminalität wandeln, der Gesetzgeber und die Ermittlungsbehörden die Möglichkeit haben müssen, auf diese gewandelten Formen der Kriminalität angemessen zu reagieren. Deswegen wird es nichts daran ändern, dass der Gesetzgeber immer wieder an die Grenzen dessen gehen muss, was die Verfassung hergibt. ({7}) Der Staat muss Sicherheit gewährleisten, weil er das Gewaltmonopol hat. Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat mit diesen Rechten angemessen umgeht. ({8}) Wir Juristen wissen, dass die Eingriffe des Staates in Grundrechte maßvoll ausgestaltet sind. Da gibt es den Richtervorbehalt. Es ist nicht so, dass die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit eine Telefonüberwachung oder eine Vorratsdatenspeicherung verordnen kann. ({9}) Es muss ein hoher Tatverdacht vorliegen. Das alles wird vom Gesetzgeber entsprechend ausformuliert und von den Ermittlungsbehörden angemessen kontrolliert. Wir sollten hier nicht den Eindruck vermitteln, dass es Bundestagsabgeordnete gibt, die die Freiheitsrechte wahren, und andere Abgeordnete, die aus Jux und Tollerei in diese eingreifen. ({10}) - Herr Kollege Montag, auch der Gesetzgeber ist an das Grundgesetz gebunden. Deswegen sollte man niemanden in die Ecke stellen und sagen, er halte sich nicht an diese grundgesetzliche Vorgabe. Natürlich stehen alle Gesetze unter dem Vorbehalt einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Aber es soll sich bitte niemand etwas vormachen: Wir sind der Gesetzgeber und kein Gericht und können nicht über die eigenen Gesetze entscheiden. Es wird immer wieder vorkommen, dass ein Jurist - dazu zählen auch Verfassungsrichter - eine andere rechtliche Auffassung vertritt als der Gesetzgeber. ({11}) Dieser Diskussion müssen wir uns stellen, aber in einer würdevollen, angemessenen Art und Weise, die nicht nur das Grundrecht der Freiheit mit einem Tunnelblick betrachtet, sondern das Problem praktische Konkordanz einbezieht. Da lässt sich manches lösen. Grundgesetz bedeutet auch, dass Grundrechte im Spannungsverhältnis zueinander stehen. Da hat nicht immer nur der eine oder der andere Recht, sondern wir müssen uns Mühe geben, dass wir der Würde des Grundgesetzes gerecht werden. Dazu lade ich Sie recht herzlich ein. Wir dürfen an die Bevölkerung nicht die Botschaft aussenden, dass das Parlament über Grundrechte streitet, sondern dass das Parlament über Grundrechte sachlich diskutiert, auch im Einzelfall, wenn es um Gesetze geht, sachlich bleibt. Darum bitte ich Sie. Aus dem Rechtsausschuss bin ich das gewohnt. Deswegen sollten wir auch Siegfried Kauder ({12}) bei Schaufensterreden nicht anders handeln als in den Ausschüssen. Dazu lade ich Sie ein. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Max Stadler das Wort. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 8. März hat Bundesinnenminister Schäuble in einem Interview das Bundesverfassungsgericht kritisiert, weil es sich mit der einstweiligen Anordnung gegen die Vorratsdatenspeicherung angeblich zu sehr in die Politik einmische. Wir teilen diese Auffassung ganz und gar nicht. Ganz im Gegenteil! Wenn der Bundestag Gesetze verabschiedet, die unzulässig in die Grundrechte eingreifen, dann ist es die Pflicht der Karlsruher Richter, sich einzumischen. Und das hat das Bundesverfassungsgericht getan. ({0}) Herr Gehb, Sie wissen genau: Andere Gesetze, über die wir hier streitig verhandelt haben, stehen dort noch zur Prüfung an. Sie können sich nicht darauf berufen, dass alles, was Sie hier gemacht haben, problemlos gewesen sei. ({1}) Ich komme jetzt zu dem entscheidenden Punkt, den Herr Kauder angesprochen hat. Unser Eindruck aus der Gesetzgebung der letzten Jahre nicht nur der Großen Koalition, sondern auch der rot-grünen Vorgängerregierung ist in der Tat, dass hier das praktiziert wird, was Sie beschrieben haben, nämlich dass man an die Grenzen der Verfassung geht. ({2}) Wenn man an die Grenzen der Verfassung geht, läuft man aber Gefahr, dass man diese Grenzen überschreitet. ({3}) Sie können doch nicht bestreiten, dass das Bundesverfassungsgericht in einer Fülle grundlegender Entscheidungen der letzten Jahre die Gesetzgebung korrigiert hat, und zwar - das gebe ich zu - nicht nur des Bundestags, sondern auch von Landesparlamenten. Das sollte Anlass sein, darüber nachzudenken, ob es die richtige Politik sein kann, bei Eingriffen in die Bürgerrechte immer sozusagen den äußersten Spielraum auszunutzen. Wir meinen, der Bundestag selber, die Parlamente selber müssen eine grundrechtsorientierte Gesetzgebung betreiben. ({4}) Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel für das, was ich meine, das bisher nicht im Mittelpunkt der Reden gestanden hat, mir aber unvergesslich bleiben wird. Sie haben als Große Koalition Einschränkungen beim Ehegattennachzug von Ausländern beschlossen. Das ist aufgrund unserer Kritik und der Kritik der anderen Oppositionsfraktionen hier streitig verhandelt worden. Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, der Kollege Edathy, hat im Plenum gesagt, er stimme dem Gesetz zwar zu, aber er sei sicher, dass es vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werde. ({5}) - Er hoffe sogar darauf. Das heißt, Teile des Gesetzgebers beschließen hier Gesetze, von denen sie selber der Meinung sind, sie seien verfassungswidrig. ({6}) Das können wir als Opposition doch nicht unkommentiert einfach nur zur Kenntnis nehmen; darauf muss man hinweisen dürfen. ({7}) - Einen Moment! Ich komme gerade zu Ihnen. - Ich will später das Protokoll lesen, aber wenn ich es richtig im Ohr habe, haben Sie vorhin gesagt, Herr Gehb, dass wir Freien Demokraten, wir Liberalen, mit unserer Kritik daran, dass der Gesetzgeber Grundrechte nicht genügend beachtet, Extremisten stark machen würden. Das ist ein so ungeheuerlicher Vorwurf, ({8}) dass Sie gut daran täten, sich jetzt und hier zu entschuldigen, Herr Kollege Gehb; darauf warten wir noch. ({9}) Ich komme zum Ende und will einen vielleicht versöhnlichen Abschluss finden. - Manchmal kommen Vorlagen, die im Bundestag gescheitert sind - ich denke etwa an die Vorratsdatenspeicherung; da haben wir einmal einstimmig gesagt: das wollen wir nicht -, über Europa zurück, natürlich deshalb, weil die Bundesregierung sie dort gebilligt hat. ({10}) Deswegen ist es sehr begrüßenswert - das sage ich als überzeugter Europäer -, dass das Bundesverfassungsgericht in den Randnummern 240 und 241 der LissabonEntscheidung sich eine Prüfungskompetenz bezüglich grundrechtseinschränkender Rechtsakte der Europäischen Union vorbehalten hat. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich schließe mit folgendem Ausblick: Das Verfassungsgericht hat uns den Hinweis gegeben, für diese wichtige Grundrechtsüberprüfung doch einen eigenen Rechtsweg vorzusehen. Wir schlagen vor, dem jetzt gleich im August und im September im Begleitgesetz nachzukommen. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vorbereitung auf die Debatte heute habe ich mir überlegt, muss ich gestehen, auch einige kritische Anmerkungen zum Stand der Umsetzung des Grundgesetzes und der Grundrechte in unserer Gesellschaft zu machen. Nach dem Stand der Debatte, wie ich ihn jetzt sehe, lasse ich das lieber. Ich möchte nicht zu denjenigen gehören, die ein Bild von dem Zustand dieses Landes vermitteln, das dem entspricht, das die Kollegin Pau oder die Kollegin Piltz hier dargestellt haben. ({0}) Wenn andere von außen auf unser Land schauen und diese Debatte hören, ({1}) verstehen sie nicht, worüber wir in diesem Land reden. ({2}) Eine zweite Bemerkung. Damit wende ich mich noch einmal an die Kollegin Piltz, aber auch an den Kollegen Dr. Stadler. - Ich bin nun mal - ich bekenne mich ausdrücklich dazu - 13 Jahre Mitglied der FDP gewesen. Ich kann Ihnen aus dieser Erfahrung sagen: Jawohl, es hat eine Zeit gegeben, in der die FDP eine Bürgerrechtspartei par excellence war. ({3}) Eines sollten wir an dieser Stelle bitte nicht tun - ich versuche, das auch ganz ruhig und ganz cool zu machen -: sich hier aufzuspielen - Sie haben dem Kollegen Kauder und dem Kollegen Dressel das vorgeworfen - als Oberlehrer in Sachen Bürgerrechte. Das steht Ihnen nicht an, das steht uns nicht an; wir sollten hier in aller Ruhe und mit aller Fairness diskutieren. Das wäre der angemessene Rahmen für diese Debatte heute gewesen. ({4}) Das Thema „Großer Lauschangriff“ ist angesprochen worden. Sie können doch nicht sagen: Was das Bundesverfassungsgericht in den letzten acht Jahren entschieden hat, ist ein Beleg dafür, dass Rot-Grün und dass die Große Koalition permanent die Verfassung gebrochen haben. Das ist der Eindruck, den Sie hier vermitteln. Bei aller Kritik an der einen oder anderen Vorlage - auch ich habe nicht alles mitgetragen, was wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben -: Der Eindruck, dass die rot-grüne Koalition und dass die Große Koalition Koalitionen der Verfassungsbrecher gewesen sind, ist wirklich das Letzte, was man in diesem Lande vermitteln darf. Das geht überhaupt nicht. ({5}) Sie, Frau Piltz, und auch Sie, Frau Pau, haben gesagt, anlässlich des 60. Jahrestages des Grundgesetzes seien Fensterreden gehalten worden, auch anlässlich des 60. Jahrestages der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ich habe zahllose Veranstaltungen dieser Art miterlebt. Es gab eine großartige offizielle Veranstaltung der evangelischen Kirche gemeinsam mit der Frau Justizministerin am Gendarmenmarkt. Jeder, der die ernsthaften Debatten zum Beispiel im Hinblick auf die Zuwanderung, das Zuwanderungsrecht und die noch immer nicht erfolgte Rücknahme des Vorbehalts zur Kinderrechtskonvention verfolgt hat, wird Ihnen sagen, dass Sie hier Fensterreden für Ihre politische Partei halten. ({6}) Das ist zwar nicht generell verkehrt, aber auf jeden Fall bei diesem Thema. Das finde ich sehr schade, weil die von Ihnen gestellte Anfrage aus meiner Sicht wichtig ist; der Kollege Montag hat schon das eine oder andere Manko bei der Fragestellung und der Formulierung angesprochen. ({7}) Ich teile auch nicht jedes Detail der Antwort der Bundesregierung. Aber wir hätten die Anfrage zum Anlass nehmen sollen, eine ehrliche Bilanz zu ziehen. Die ehrliche Bilanz ist nicht, dass das Grundgesetz und damit die politische und gesellschaftliche Verfassung dieses Landes in einem schlechten Zustand sind. Das ist definitiv nicht der Fall. ({8}) - Das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe überhaupt kein Problem damit, über all das in der Sache zu diskutieren, was streitig ist. Ich will noch etwas zur Vorratsdatenspeicherung sagen, weil ich den Eindruck habe, dass angesichts der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts diesbezüglich etwas Falsches kolportiert wird. Meine größten Bedenken bezogen sich nicht auf die Zeugnisverweigerungs- und Zeugenschutzrechte. Meine größte Sorge war, dass die Vorratsdatenspeicherung ein Paradigmenwechsel hin zur verdachtslosen und anlasslosen Aufnahme von persönlichen Daten ist; das haben Sie schon angesprochen, Herr Stadler. ({9}) Aber Sie müssten der Ehrlichkeit halber dazusagen, dass gerade dies vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht beanstandet worden ist. ({10}) - Herr Kollege Stadler, ich kenne mich auch ein bisschen in der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung aus, und wir wissen doch, dass das Bundesverfassungsgericht in aller Regel bei der Linie bleibt, die es im einstweiligen Anordnungsverfahren festgelegt hat. Da gerade der Paradigmenwechsel, den auch ich als gefährlich angesehen habe, in der einstweiligen Anordnung nicht beanstandet wurde, spricht - jedenfalls nach meiner Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nichts dafür, dass dies im Hauptsacheverfahren aufgehoben wird. Ich persönlich bedaure das. Aber verkünden Sie hier bitte nicht in vorauseilendem Gehorsam, dass das Verfassungsgericht das Gesetz aufheben wird. ({11}) Wir sollten bei der Sache bleiben. Ich bitte darum, die Diskussion über die Grundrechte und die Verfassungsrechte ernsthaft und nach vorne schauend zu führen. Die Bundesregierung hat - das ist noch gar nicht angesprochen worden - in den letzten fünf Jahren - Rot-Grün hat damit begonnen - internationale Vereinbarungen umgesetzt, zum Beispiel das Zusatzprotokoll zum AntiFolter-Abkommen. Das sollte man einmal lobend erwähnen; denn das hat keine Regierung vor uns hinbekommen. Eine größere Gefahr als von diesem Parlament oder anderen Bewegungen geht von Kommentierungen wie der von Matthias Herdegen aus, der sagt, die Leitlinie unserer Verfassung, die Menschenwürde, ist nicht unantastbar, sie ist relativierbar. Solchen Tendenzen sollten wir gemeinsam entgegentreten. Dann wäre es ein guter Tag für die Grundrechte. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin, es hat etwas gedauert: Der Weg vom Piratenstühlchen bis zum Rednerpult ist ein bisschen weit. Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Karlsruhe ist die Residenz des Rechts. Das ist auch die Region, aus der ich komme. Dort geschehen in letzter Zeit merkwürdige Dinge. Die CDU, lieber Herr Kollege Kauder, hat eine Computerspieleveranstaltung und eine Elterninformation unter Beteiligung der Bundeszentrale für politische Bildung, die dort vorgesehen war, massiv mit öffentlichem Druck verhindert. Sie hat die Stadtverwaltung gezwungen, rechtsverbindliche Verträge mit dem Veranstalter zu brechen. In Karlsdorf-Neuth, auch in meiner Region, musste eine LAN-Party aufgrund des Drucks der CDU abgesagt werden. Junge Leute, die einen Verein gegründet haben, sitzen auf Tausenden von Euro an Schulden. Jugendliche Gamer werden als Killerspieler verunglimpft. Zu Recht sind bei mir in der Region Hunderte von Jugendlichen auf die Straße gegangen. Auf Anhieb hat deren Interessenvertreterin, die Piratenpartei, bei der Europawahl in Karlsruhe über 2 Prozent der Stimmen geholt. Das ist ein gutes und ermutigendes Zeichen. Am Dienstag wurde auf dem Karlsruher Marktplatz ein Bundestagskandidat der Grünen unter Androhung von Haft von zwei Polizisten gepackt, durchsucht und des Platzes verwiesen, nur weil er nach der Berechtigung einer martialischen und in sich ungerechtfertigten Polizeiaktion gegen friedliche junge Leute gefragt hat. Das ist im Gegensatz zu allen salbungsvollen Reden der Zustand in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass noch nicht einmal Bundestagskandidaten ohne Bedrohung durch staatliche Gewalt friedlich auf einem Platz auftreten können. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Videoüberwachung von Plätzen vielleicht ganz anders zu bewerten und insofern als sinnvoll anzusehen, weil dadurch so etwas festgehalten werden kann. Diese drei kleinen Beispiele aus Karlsruhe zeigen, wie sehr sich die Wirklichkeit von dem salbungsvollen Geschwätz der Union abhebt. Karlsruhe musste in Bürgerrechtsfragen mehrfach mehrheitlich gefällte Parlamentsentscheidungen korrigieren. Karlsruhe, lieber Kollege Gehb, wurde von Minister Schäuble, der ja eigentlich auch Verfassungsminister sein sollte, dafür auch noch beschimpft. Ich war immer gerne Bundestagsabgeordneter. Als deprimierend empfand ich es - der Kollege Stadler hat darauf hingewiesen -, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier, also nicht nur eine oder einer, gesagt haben: Ich stimme dem einen oder anderen Gesetz zu, die Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe werden dieses hoffentJörg Tauss lich wieder korrigieren. - Das stellt in der Tat eine Gefährdung der parlamentarischen Demokratie in diesem Lande dar, weil sich so der Vorwurf: „Was machen die da eigentlich?“, immer mehr aufdrängt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, derzeit finden unter dem Schlagwort, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein - diese Formulierung findet sich auch im Programm der Union wieder -, massive Anschläge auf die Bürgerrechte statt. Dieses dumme Geschwätz vom rechtsfreien Raum Internet -

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Lieber Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Der Kollege Kauder würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Aber bitte schön, lieber Kollege Kauder.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Tauss, Sie haben gerade behauptet, es gäbe Kollegen und Kolleginnen, die wider besseres Wissen Gesetzen zustimmen würden, weil sie davon ausgingen, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das entsprechende Gesetz aufhebe. Nennen Sie bitte Ross und Reiter!

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Lieber Kollege, ein Name ist gefallen. Ich denke aber, es gehört der Fairness halber dazu, dass ich Kolleginnen und Kollegen, die mir dieses in persönlichen Gesprächen gesagt haben, hier nicht in dieser Form oute. ({0}) Ich bin aber gerne bereit, Ihnen in einem persönlichen Gespräch die Namen zu nennen. ({1}) Es ging insbesondere um die Frage der Vorratsdatenspeicherung. Viele haben mir gesagt, dass das, was hier passiert, zu weit geht, lieber Kollege Kauder. ({2}) Derzeit findet, wie gesagt, von deutschen Christdemokraten und chinesischen Zensoren, vom russischen Putin und von iranischen Mullahs in froher Eintracht eine Debatte über das Internet statt. Allen ist aus unterschiedlichen Gründen - das billige ich ihnen zu - eines gemein: Ihnen ist freie Kommunikation und Netzneutralität ein Dorn im Auge. Das gefährdet in der Tat auch in Deutschland Freiheitsrechte, lieber Kollege Kauder. Es ist überhaupt kein Zufall, dass der innenpolitische Sprecher Ihrer Fraktion - ich nenne hier einen Namen, weil er es öffentlich getan hat -, der Kollege Uhl, in aller Deutlichkeit gesagt hat, in Sachen Überwachung müsse man von China lernen. Ich überlege mir, was in diesem Lande geschehen und was in der Presse losgewesen wäre, wenn von der linken Seite des Hauses irgendjemand gesagt hätte, wir müssten in der Innenpolitik von China lernen. ({3}) Herr Uhl kann das ungestraft tun. Das ist der eigentliche Skandal, gerade in einer Situation, in der wir über Grundrechte diskutieren. Es findet sich erfreulicherweise eine immer größere Zahl von Menschen, auch aus dem konservativen Bereich, denen die Entwicklung des Rechtsstaates und der Umgang mit den Grundrechten in Deutschland Sorge bereitet. Kollege Strässer, wir marschieren entgegen Ihrer Auffassung in Rankings, in denen es um die Beschneidung der Pressefreiheit geht, immer schneller in die Nähe von Staaten, mit denen wir nicht verglichen werden wollen. Es gibt bei uns das Monstrum der Vorratsdatenspeicherung, den Biometriewahn, die Onlinedurchsuchung. Erst wurde die Strafprozessordnung geändert - darüber habe ich viele Auseinandersetzungen mit dem Kollegen Stünker gehabt -, dann die Telekommunikationsüberwachung eingeführt. Dann wurde umgekehrt vorgegangen: Internetfirmen müssen ohne nennenswerte Entschädigung für den Staat Überwachungsstrukturen aufbauen. Das sind Dinge, die in Österreich bereits als verfassungswidrig erkannt wurden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie soll ich Zehntausenden jungen Menschen, die hier eine Petition einbringen, erklären, dass sie dies hätten bleiben lassen können, weil alte graue Herren mit Kugelschreibern keine Argumente hören wollen? ({4}) Darauf folgt zurzeit eine große Politisierung mit dem Schlagwort: Fürchtet euch davor, dass wir nicht mehr politikverdrossen sind. - In der Tat: Von der Union, die von Paintball bis hin zu Computerspielen alles verbieten will, was Jugendkultur ausmacht, erwarten sie ohnehin nichts mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist allerdings bitter: Wenn man auf Google das Stichwort „Verräterpartei“ eingibt - das tut mir nach 38 Jahren immer noch weh -, dann erscheint als Suchergebnis „SPD“. Die Demonstranten in Berlin haben gerufen: Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut! - Das ist zwar nicht gerade originell, aber treffend. Dies spiegelt die Stimmung in weiten Teilen der jungen Generation wider, und aus diesem Grunde danke ich der FDP für diese Debatte. Eine Frage müssen Sie uns aber bitte beantworten, Frau Piltz, Kollege Stadler und alle anderen, und zwar vor der Bundestagswahl, weil Sie und auch viele Grüne liebend gerne mit der CDU ins Regierungsbett wollen: ({5}) Wie halten Sie es mit dem Wahlprogramm der CDU, diesem Programm der Bevormundung, diesem Programm des Ganges in den Überwachungsstaat? - Diese Frage müssen Sie nicht nur uns Piraten, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern im Land beantworten. ({6}) Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Tauss, jeder blamiert sich selbst so gut er kann. Sie haben heute die volle Punktzahl erreicht. Herzlichen Glückwunsch. ({0}) Mehr möchte ich zu Ihrer Rede auch gar nicht sagen. Denn das würde diese nur unnatürlich aufwerten. Es ist schon viel über die Qualität der Fragen und auch über die Qualität der Antworten gesagt worden. Dazu sage ich: Eines bedingt das andere. Jeder kann für sich selbst entscheiden, ob er es gut findet oder nicht. Ich bin dem Kollegen Strässer an der Stelle sehr dankbar für seine Rede. Frau Piltz fing an, und dann schaukelte sich die Debatte über ein Thema, bei dem ich davon ausgehe, dass wir es alle sehr ernst nehmen und mit dem wir auch sehr sensibel umgehen wollen, förmlich hoch. Ich hatte fast den Eindruck, dass ich in einem ganz anderen Staat als der eine oder andere Kollege hier lebe. ({1}) Ab und an führen wir hier Phantomdiskussionen. Davor möchte ich nur warnen, und hier kann ich mich dem Kollegen Strässer nur anschließen: Lassen Sie uns ernsthaft, seriös und sensibel mit dem Thema Wahrung der Grundrechte umgehen. In gleicher Form müssen wir allerdings auch mit dem Thema umgehen, wie wir die Grundrechte als Freiheits- und Abwehrrechte - diese sind sie schließlich - damit in Einklang bringen, dass sich die Zeiten, in denen wir leben, verändern und dass wir plötzlich mit neuen Gegebenheiten umzugehen haben. Ich plädiere nicht dafür, dass wir unser Grundgesetz sofort aufweichen und anpassen. Ganz im Gegenteil: Ich gehöre eher zu der Fraktion, die davor warnt, einen Neckermann-Katalog aus dem Grundgesetz zu machen. Vielmehr geht es darum, die Qualität dieses Werkes als solche zu respektieren. Allerdings sind wir im täglichen Gesetzgebungsverfahren mit diesem Werk betraut. Ich glaube, der Kollege Gehb und auch der Kollege Siegfried Kauder haben es gut formuliert: Wir müssen abwägen. Denn wir haben es immer mit einem Bedürfnis zu tun, das einem anderen gegenübersteht. ({2}) - Liebe Frau Piltz, das versuchen wir doch täglich, und ich lasse mir von Ihnen jetzt weder dazwischenreden noch permanenten Verfassungsbruch unterstellen. Merken Sie eigentlich nicht, wie lächerlich das ist, was Sie hier aufführen? Wenn ich hier von veränderten Gegebenheiten spreche, dann meine ich zum Beispiel, dass wir jetzt mit einem Terrorismus - Terrorismus gab es schon immer von ganz anderer Qualität zu kämpfen haben. Sie sagen, dass es kein Grundrecht auf Sicherheit gebe. Das mag zwar formell richtig sein, aber materiell gibt es zumindest ein Grundbedürfnis auf Sicherheit, und dieses Grundbedürfnis habe ich gegen die vielfältigsten Freiheitsrechte in diesem Lande abzuwägen. Ich glaube, dass wir es in dieser Großen Koalition durchaus vernünftig geschafft haben, diese Abwägung vorzunehmen. Man ist nicht immer mit allem hundertprozentig und sofort zufrieden. Und es gibt Dinge, die wir als Union durchaus anders gemacht hätten, und diese Dinge hätte vielleicht auch unser Koalitionspartner ohne uns anders gemacht. Das liegt einfach in der Natur der Sache. Aber ich muss natürlich auch sagen - an dieser Stelle bin ich wieder beim Kollegen Kauder -: Man kann nicht innere und äußere Sicherheit in Sonntagsreden fordern, ohne sich dafür im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren einzusetzen. Da nützt das ständige Schielen auf die Freiheitsrechte nichts. Es muss vielmehr abgewogen werden. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann würden unsere Strafverfolgungsbehörden, mit denen Sie hoffentlich auch ab und an einmal sprechen, immer nur im VW-Käfer Verbrecher, die in einem Porsche flüchten, verfolgen und sich mithilfe eines unhandlichen WalkieTalkies mit der Zentrale verständigen, während die Täter technisch aufgerüstet haben. So läuft es bei Ihnen doch. ({3}) Wir werden auch mit Ihnen in Bayern noch den einen oder anderen Strauß auszufechten haben. Freiheit geht nicht ohne innere und äußere Sicherheit. ({4}) - Ich lasse keine Zwischenfragen zu. ({5}) Wir müssen das Vertrauen in unsere Polizei, in unsere Staatsanwaltschaften und in unsere Gerichte haben, dass sie mit Mitteln der Strafverfolgung, die wir ihnen sowieso nur für die äußerst schweren Fälle zur Verfügung stellen, vernünftig umgehen. Ich lasse mir daher von Ihnen nicht permanent vorwerfen, dass durch unsere Maßnahmen unser Grundgesetz und damit unser Rechtsstaat untergehen. So viel Vertrauen sollten wir in unsere staatlichen Institutionen haben. Beim Schutz personenbezogener Daten bin ich mit Ihnen einig. Der Staat muss aufpassen, dass er nicht mehr Daten abgreift, als uns guttut. Aber ich sage auch: Die Eigenverantwortung des Einzelnen und des Verbrauchers darf der Staat nicht aus den Augen verlieren. Denn jeder hat es selbst in der Hand, welche Daten er herausgibt und welche er nicht herausgibt. Wer den Vorteil von Rabattkarten mitnehmen und die Chancen von Gewinnspielen nutzen will, der muss sich im Prinzip dafür „verhaften“ lassen, wenn er Daten freiwillig preisgibt. Die Verantwortung für die eigenen Daten kann der Staat niemandem abnehmen. Wir können nur dann einschreiten, wenn Missbrauch stattfindet. Wir müssen uns allerdings fragen, wie viele Daten wir wirklich erheben müssen. In diesem Punkt liegen wir nah beieinander. Aber vergessen Sie bitte nicht die Eigenverantwortung des Einzelnen für seine eigenen Daten. Lieber Kollege Strässer, Sie haben die UN-Kinderrechtskonvention angesprochen. An meiner Fraktion scheitert eine Umsetzung nicht. Es gibt zwar das Lindauer Abkommen. Aber nicht wenige Länder, in denen zum Teil Ihre Parteifreunde und zum Teil meine Parteifreunde in der Regierung sind, sperren sich. Unsere beiden Fraktionen und vermutlich alle Fraktionen des Bundestages haben mehrfach versucht, hier voranzukommen. Von dieser Seite gibt es keinen Widerstand. Wir arbeiten weiter an einer Umsetzung. Wir sind auf keinem schlechten Weg. Wenn wir weiterhin sensibel und seriös mit den Grundrechten umgehen, dann ist mir eigentlich nicht bange. Ich bin sicher, dass wir nicht nur jetzt den 60. Geburtstag des Grundgesetzes mit Stolz feiern können, sondern auch in Zukunft mit Stolz auf das Grundgesetz in seiner jetzigen Form blicken können. Herzlichen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Raab, nachdem Sie einen unzutreffenden Vorwurf gegen die FDP erhoben hatten, haben Sie leider eine Zwischenfrage von mir nicht zugelassen. Deswegen muss ich den Weg der Kurzintervention wählen, um Folgendes klarzustellen: Wenn Sie sagen, man müsse bei der Gesetzgebung abwägen, und wenn Sie betonen, die Union würde mehr in Richtung Sicherheit und die FDP mehr in Richtung Freiheit gehen, dann kann man darüber vernünftig und seriös debattieren. Sie haben aber gemeint, uns auch deswegen kritisieren zu können, weil Sie glauben - so habe ich Ihre Worte im Ohr -, dass die Ausstattung der Polizei und der Sicherheitsbehörden nicht konkurrenzfähig wäre, wenn es nach dem Willen der FDP ginge. So ungefähr haben Sie es formuliert. Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass es unsere ständige Leitlinie ist, zu sagen: Mehr Sicherheit schafft man nicht durch mehr und unnötige Gesetze, sondern mehr Sicherheit schafft man durch eine bessere personelle, technische und finanzielle Ausstattung der Sicherheitsbehörden. ({0}) - Herr Gehb, bevor Sie sich nicht wegen Ihrer unsäglichen Äußerung, wir würden mit unserer Kritik, dass in der Gesetzgebung die Grundrechte nicht genügend geachtet werden, Extremismus fördern, entschuldigt haben, höre ich Ihnen nicht mehr zu. Das sage ich Ihnen ganz deutlich. ({1}) Frau Kollegin Raab, ich komme noch einmal zu dem entscheidenden Punkt. Sie meinen, wir hätten für innere Sicherheit nichts übrig und die Ausstattung wäre ungenügend, wenn die FDP etwas zu sagen hätte. Ich habe Ihnen unseren Grundsatz genannt: Mehr Sicherheit gibt es durch eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Das sagen wir nicht nur, sondern so handeln wir auch. Wir haben in der bayerischen Koalitionsvereinbarung, die die FDP mit der CSU getroffen hat, durchgesetzt, dass der Personalfehlbestand bei der Polizei in Bayern bald der Vergangenheit angehören wird. ({2}) Wir haben durchgesetzt, dass dort 1 000 neue Planstellen für Polizisten geschaffen wurden, weil wir davon überzeugt sind, dass die Sicherheitsbehörden Personal brauchen und keine unnötigen und tief in die Bürgerrechte eingreifenden Gesetze. Dies wollte ich Ihnen gesagt haben, weil Sie hier den gegenteiligen Eindruck erweckt haben. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Raab, bitte.

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Stadler, ich bin Ihnen für diese Kurzintervention durchaus dankbar. Ich habe das Beispiel „VW-Käfer gegen Porsche“ bewusst gewählt. Sie wissen, dass wir hier keine Rechtsvorlesung halten, sondern das eine oder andere etwas plastischer rüberbringen wollen. Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Klarstellung. Das finde ich ganz wundervoll. Ich teile allerdings auch den Zwischenruf des Kollegen Gehb. Wir sind uns doch einig: Eine gute personelle und materielle Ausstattung der Polizei- und Sicherheitsbehörden ist das A und O. Das ist sehr wichtig. Anders ist Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nicht denkbar. Ich erwarte aber auch, dass wir da, wo es notwendig und im Rahmen unseres Grundge26130 setzes möglich ist, der Polizei die Möglichkeit geben, mit potenziellen Kriminellen auf Augenhöhe zu verhandeln und diese auch zu verfolgen. Ich sage ganz bewusst: Im Rahmen des Grundgesetzes. Ich habe vom Porsche, der vorweggaloppiert, und vom Käfer, der hinterherfährt, gesprochen, um deutlich zu machen, dass die Polizeien vor Ort manchmal andere Voraussetzungen haben. Manche kommen beim technischen Fortschritt nicht hinterher, und zwar nicht nur, weil sie technisch nicht ausreichend gut ausgestattet sind, sondern auch, weil sie die Befugnisnorm, um einzugreifen, gar nicht haben. Darum geht es mir. Das sage ich an in dieser Stelle ganz deutlich. Wenn wir hier einen kleinen Widerspruch aufgeklärt haben, bin ich froh darüber. Ich denke aber, dass wir uns an der einen oder anderen Stelle, insbesondere bei den Befugnisnormen, nicht so ganz einig sind. Wir versuchen aber, eine Einigung zu finden. Mir ging es nicht nur um die sachliche und personelle Ausstattung, sondern auch um die Befugnisnormen, die sich selbstverständlich immer im Rahmen des Grundgesetzes zu bewegen haben. Vielen Dank.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach. ({0})

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe lange nicht mehr als letzter Redner geredet. Jetzt kann ich nachvollziehen, welche Bauchschmerzen der letzte Redner manchmal hat, wenn er auf seinen Einsatz warten muss. Aber ganz davon abgesehen, war es spannend. Als wir die heutige Tagesordnung erstellten, nahmen wir an, dies würde der letzte Sitzungstag dieser 16. Wahlperiode sein. Wir dachten, die FDP hätte praktisch in letzter Minute noch einmal zu einer Debatte über die Grundrechte aufgerufen. Ich sage: Dass Sie das gemacht haben, das war gut so. ({0}) - Das ist schön, nicht? Der Pfeffer kommt noch. Nur ruhig Blut! Das Grundgesetz ist der große Wurf der deutschen Verfassungsgeschichte, ({1}) und dies vor allem wegen der Grundrechte. Sie sind das A und O unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Sie sind der Anfang unserer Verfassung. Die Einhaltung der Grundrechte ist aber auch das Ziel, das wir bei jedem unserer Gesetze zu bedenken und zu erreichen haben. Von daher lohnt es sich durchaus, am Ende dieser Wahlperiode innezuhalten und Bilanz zu ziehen, wie es - so haben Sie es formuliert - um die Achtung der Grundrechte in unserem Staat, aber auch in unserer Gesellschaft bestellt ist. Freilich wünscht man sich dabei etwas mehr Seriosität als diese Große Anfrage aufweist. 167 Fragen sind zwar eine Masse, aber haben sie auch Klasse? Dahinter setze ich drei Fragezeichen. ({2}) - Frau Piltz, die Antworten sind genauso wie die Fragen. Manche Fragen haben eben keine anderen Antworten verdient. ({3}) - Jetzt hören Sie einfach einmal zu. Sie beschwören Gefahren, sogar Bedrohungen herauf, die sich nach Ihrer Meinung in den letzten Jahren offenbar verschärft haben. Doch wie hat man sich - so wäre zurückzufragen - die Bedrohung eines Grundrechts in unserem Land vorzustellen? Wo ist denn der Zustand eingetreten, dass irgendeines unserer Grundrechte seinen Zweck, die Bürgerinnen und Bürger gegen Übergriffe der öffentlichen Gewalt zu schützen, nicht mehr erfüllt? Ganz im Gegenteil: Wir erleben täglich, dass die Grundrechte ein enorm starker Faktor unseres gesellschaftlichen Lebens und Bewusstseins sind. Dabei denke ich zuallererst an unsere eigene Arbeit hier im Deutschen Bundestag. Der Einwand, diese oder jene geplante Regelung sei verfassungswidrig, ist allgegenwärtiger Begleiter vieler Gesetzesvorhaben, die wir zu beraten haben. Er gehört zum Standardrepertoire jeder betroffenen Lobby. Natürlich nehmen wir jeden ernst und prüfen alle Vorbehalte genau. Dass jeder, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten verletzt sieht, die Möglichkeit zur Verfassungsbeschwerde hat, ist eine tragende Säule des Grundrechtsschutzes und kein Fehler, wie es oft dargestellt wird. ({4}) Im Jahr 2008 sind beim Bundesverfassungsgericht 6 245 Verfassungsbeschwerden eingereicht worden, allerdings in der Regel gegen behördliche oder gerichtliche Einzelentscheidungen. 111 davon waren erfolgreich; das ist keine sehr große Zahl. So gesehen: Haben die Kassandrarufe der FDP, Grundrechte in Deutschland seien gefährdet oder gar bedroht, nicht etwas Irreales oder von mir aus auch Virtuelles? Manch einer meint, eine Gefährdung oder Bedrohung der Grundrechte daraus ableiten zu können, dass das Bundesverfassungsgericht in der Tat gesetzliche Regelungen für grundrechtswidrig erklärt. Aber wie oft geschieht das wirklich? Im Jahr 2008 waren es 14 Vorschriften, sieben aus dem Bundesrecht und sieben aus dem Landesrecht. Sicherlich ist jedes Mal, wenn sich eine Vorschrift als verfassungswidrig erweist, ein Mal zu viel; aber sieben einzelne Gesetzesvorschriften sind angesichts der Vielzahl der im Bundesgesetzblatt verzeichParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach neten Gesetze eine geringe Fehlerquote; sie liegt unterhalb von 0,1 Promille. ({5}) Ich möchte das nicht bagatellisieren; aber ich möchte dieses Verhältnis auf jeden Fall einmal deutlich machen. ({6}) Ein anderer untauglicher Versuch, eine Gefährdung oder gar Bedrohung der Grundrechte zu suggerieren, besteht darin, zählen zu wollen, wann welche Gesetze in welche Grundrechte eingegriffen haben. Soweit auch dies Gegenstand der Großen Anfrage war, hätten nahezu alle Gesetze angeführt werden müssen, die wir hier beraten und verabschiedet haben. Die große Zahl wäre aber Beleg für die Achtung der Grundrechte und nicht für eine Gering- oder Missachtung gewesen. Denn die Funktion eines Gesetzes besteht gerade darin, allein die gewählte Volksvertretung - ich bedauere, dass Peter Danckert nicht anwesend ist; er legt immer großen Wert darauf - entscheiden zu lassen, ob, wo und wie der Staat in Grundrechte eingreifen darf. Ich erinnere die FDP gerne - Herr Dressel hat es schon einmal getan - an ihren Part beim großen Lauschangriff in der 13. Legislaturperiode. Ich bitte, dass Sie, Herr Stadler und Frau Piltz, sich einmal die Frage stellen, ob Ihr Einknicken damals nicht der eigentliche Sündenfall gewesen ist. ({7}) - Unserer auch; ich behaupte nichts anderes. Aber Ihrer war es mit Sicherheit. Im Übrigen bemerkt man bei Frage 24 Ihrer Großen Anfrage eine gewisse Regierungsentfremdung der FDP. ({8}) Seit 1949 werden alle Gesetze einer verfassungsrechtlichen Vorkontrolle unterzogen: einmal durch das Bundesministerium der Justiz und ein weiteres Mal durch das ebenfalls hier vertretene Bundesministerium des Innern. Was soll da noch eine sogenannte verpflichtende Vorabprüfung? Bringt sie zusätzlich etwas, ohne einen bürokratischen Popanz aufzubauen? Unsere Grundrechte sind also in einer guten Verfassung, was indes nicht ausschließt, dass wir alles ständig zu hegen, zu pflegen und zu entwickeln haben. Das ist auch in der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode an vielen Stellen geschehen. Einige Baustellen, die in der Großen Anfrage zu Recht angesprochen wurden, möchte ich ausdrücklich erwähnen. So war es durchaus ein offener Punkt unserer Rechtsordnung, wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht am Lebensende geschützt und verwirklicht werden soll, Stichwort: Patientenverfügung. Hier haben wir alle mit großem Ernst um eine Lösung gerungen. Wir haben uns auch die dafür erforderliche Zeit gelassen. Ohne Empfehlungen der Fraktionen oder Ausschüsse und ohne Regierungseinfluss konnten wir am 18. Juni dieses Jahres unsere persönliche Wahl zwischen mehreren vorgeschlagenen Regelungsmodellen treffen. Wenn das nicht eine Sternstunde des Parlaments und eine Bestätigung der verfassungsmäßigen Ordnung in diesem Parlament war, dann weiß ich nicht, was sonst. ({9}) Mit berechtigter Sorge wurden in der Großen Anfrage auch Probleme angesprochen: der Datenschutz, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, im nichtöffentlichen Bereich durchzusetzen, die Überwachung von Beschäftigten, Adresshandel, Scoring und Datenschutzaudit. All diese Themen haben die Gesetzgebung in der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode beschäftigt. Ich denke, wir werden heute Nachmittag ein Gesetz auf den Weg bringen, das zumindest aus meiner Sicht ein vernünftiges Gesetz ist. Beachtliches haben wir alle - ich betone ausdrücklich: wir alle -, wie ich finde, auch bei der Förderung von Kindern und Familien geleistet. Die Große Anfrage macht es zum Problem des Art. 6 Grundgesetz, dass es noch immer zu wenige Kinderbetreuungsplätze gebe. Das wird sich ändern. Mit dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz vom Dezember 2007 und dem Kinderförderungsgesetz vom Dezember 2008 wird eine neue Betreuungsquote von 35 Prozent festgelegt, und gleichzeitig wird damit die Finanzierung dieses Ziels sichergestellt. Im Übrigen ist die Kinderbetreuung zumindest zum Teil auch eine kommunale Aufgabe; das sollten wir nicht vergessen. Ich will nicht verhehlen, dass manche Gesetzesvorhaben dieser Wahlperiode auch schwierig waren, insbesondere im Hinblick auf die rechte Ausgewogenheit zwischen dem Schutz der Grundrechte und der Notwendigkeit, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vor Gefahren zu schützen. So haben wir Ende 2007 im schon vielfach angesprochenen Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung die Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, Verkehrsdaten für Strafverfolgungsmaßnahmen zu speichern. Hiergegen wurden einige Verfassungsbeschwerden eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer einstweiligen Verfügung die Auskunft, nicht aber die Speicherung eingeschränkt. Ich bin, wie auch der Kollege Strässer, der Meinung, dass sich die Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht letztlich treffen wird, daran in etwa abzeichnet. Ähnlich mühevoll war es, das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt so zu gestalten, dass unser Staat einerseits terroristischen Bedrohungen wirksam begegnen kann und andererseits die neuen Befugnisse des Bundeskriminalamtes rechtsstaatlich beherrschbar bleiben. Auch gegen dieses Gesetz wurde öffentlichkeitswirksam Verfassungsbeschwerde erhoben. Wir brauchen uns deshalb aber nicht zu verstecken. Denn gerade die Überprüfung des Gesetzgebers macht die Stärke des Rechtsstaates aus. Deswegen fürchten wir das Bundesverfassungsgericht auch nicht, wie manche meinen. Es mag sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es andere Verfassungen gibt, in denen mehr versprochen wird und die blumiger abgefasst sind als unsere. Aber ich glaube, mit Fug und Recht sagen zu dürfen, dass es nur wenige Verfassungen auf der Welt gibt, die die Grundrechte der Bürger so sehr schützen und vor allen Dingen ihre Durchsetzbarkeit so sehr gewährleisten wie unsere. Ich glaube, ohne unbescheiden zu sein, dass Sie alle darauf stolz sein können. ({10}) Zum Schluss bleiben die Fragen: Wie halten wir es mit den Grundrechten selbst? Wäre es an der Zeit, den Grundrechtsteil unserer Verfassung an neuere Entwicklungen anzupassen? Die in Ihrer Großen Anfrage gestellte Frage, ob die Bundesregierung Grundrechtsänderungen plane, war zu verneinen. Die heutige Debatte - auf den letzten 25 Metern dieser Legislaturperiode möchte ich mir erlauben, auch einmal meine persönliche Meinung zu sagen - bietet allerdings die Chance zu einem Ausblick auf die vor uns liegende Wahlperiode. Ich will nicht alle derzeit diskutierten Vorschläge ansprechen, sondern beschränke mich auf drei Bereiche, in denen mir eine behutsame Weiterentwicklung möglich und auch mehrheitsfähig erscheint. An erster Stelle nenne ich die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. ({11}) Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes bringt ein Eltern-Kind-Verständnis zum Ausdruck, das längst nicht mehr unseren Vorstellungen entspricht. Für sinnvoll halte ich eine Regelung, die jedem Kind ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, vor allem auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung zuspricht. Die Rechte des Kindes zu achten, zu schützen, zu fördern und für kindgerechte Lebensbedingungen zu sorgen, erfordert keinen revolutionären Mut; denn entsprechende Regelungen sind mittlerweile in fast allen Landesverfassungen vorhanden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, ich muss Sie schon ein bisschen auf die Redezeit hinweisen.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich bin gleich am Ende meiner Rede.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sonst ist die Geduld der Kollegen überstrapaziert.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich glaube, die hören mir alle gespannt zu, oder? ({0}) - Gut. Trotzdem muss ich noch zwei Dinge ganz kurz ansprechen; dann komme ich in der Tat zum Schluss, Frau Präsidentin.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich bitte herzlich darum.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Wir müssen darüber nachdenken, das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz um das Merkmal der sexuellen Identität zu ergänzen. Wir sollten uns auch darum bemühen, in Art. 6 die Lebenspartnerschaft der Ehe gleichzustellen. ({0}) Ich weiß, das findet nicht überall Zustimmung. Ich möchte mit diesen drei Denkanstößen schließen. Ich bin sicher, dass sich der nächste Bundestag damit beschäftigen wird. Das müssen Sie dann allerdings ohne mich in Angriff nehmen. ({1}) Ich bin gespannt, wie sich die FDP verhalten wird. Es ist meine letzte Rede im Deutschen Bundestag, und ich möchte mit ein paar Dankesworten schließen. Ein Dank geht an meine Ministerin - ich sage das klar und deutlich -, die mich sieben Jahre erduldet hat, mit der ich sieben Jahre hervorragend zusammengearbeitet habe und die mir heute die eigentlich ihr eingeräumte Redezeit zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank, Frau Ministerin! Ich habe auch noch ein Geschenk für dich: ein Feuerzeug. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: meinen persönlichen Mitarbeitern im Bundestag, im Wahlkreis und im Ministerium sowie den Mitarbeitern des Hohen Hauses und der Fraktionen. Mein besonderer Dank gilt Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben viel bewegt, vor allem im Rechtsausschuss. Das war eine gute Zeit; das sage ich klar und deutlich. Wir haben unsere Debatten mit viel Sachverstand und viel fachlichem Wissen geführt. ({2}) - Jürgen, dich mag ich ja besonders. - Wir haben einander respektiert, auch in den Schwächen, die wir sicherlich haben. Ich habe im Deutschen Bundestag - das möchte ich einmal deutlich machen - ein hohes Maß an persönlichem und politischem Anstand und vor allen Dingen an Zuverlässigkeit erlebt. Ich habe mich in meinen Reden und in meinem Auftreten manchmal wie ein Theologieschüler an zwei Prämissen der Bergpredigt gehalten. Das eine war: Selig sind die Sanftmütigen. ({3}) Das andere war: Geben ist seliger denn Nehmen. Ich hoffe, dass Sie mir das heute ein bisschen verzeihen. Allen, die noch einmal antreten, wünsche ich von Herzen alles Gute. Ich bin gerne bei Ihnen gewesen. Ich hoffe, dass alle, die noch einmal antreten, wiederkommen und eine gute Rechtspolitik machen. - Frau Präsidentin, Sie müssen mir noch eine Minute geben. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Aber wirklich nur wenige Sätze!

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich will nicht mit leeren Händen scheiden. Als ich 1994 in den Deutschen Bundestag kam, hat mir ein liebes altes Ehepaar aus meinem Wahlkreis - ich nenne den Namen, damit sie ins Protokoll kommen: Roswith und Horst Rothauge - einen Kürschner von 1928 geschenkt. Ich mache jetzt den berühmten Gummiring ab. Kürschners Handbuch des Deutschen Reichstages von 1928 enthält ein paar bemerkenswerte Hinweise - keine Sorge, ich nenne nicht alles -: Es gab damals 2 Gastwirte, 7 Hausfrauen und 7 Geistliche, 18 Anwälte - heute haben wir, glaube ich, das Zehnfache an Anwälten -, 63 Landwirte - das sind heute ein paar weniger -, 76 Schriftsteller ({0}) und 80 Berufsbeamte. Es finden sich hier so tolle Namen wie Stresemann, Scheidemann und Thälmann. Es finden sich auch Namen von Personen, die heute im Deutschen Bundestag aktiv sind. ({1}) - Nein, Stünker leider nicht. - Einer hieß Leutheußer Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist heute leider nicht hier -, einer hieß Zapf, und, Herr Dautzenberg, einer hieß Dautzenberg. Er war aber in der KPD; das wissen Sie, oder?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, ich darf Sie wirklich auf die Redezeit hinweisen.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ja, ich gebe auch einen aus. - Ich möchte dieses Buch dem Präsidium überreichen und bitten, dass es einen guten Aufbewahrungsort findet. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen erstens im Namen des Präsidiums für das Geschenk. Ich werde es gerne weitergeben. Zweitens will auch ich mich Ihren Dankesworten anschließen. Das ganze Haus dankt Ihnen sehr herzlich für Ihr großes Engagement und Ihre Parlamentstätigkeit in vier Legislaturperioden, aber auch für Ihre Tätigkeit in der Bundesregierung, die Sie fast die Hälfte der Zeit Ihrer Parlamentstätigkeit zusätzlich ausgeübt haben. Wir wünschen Ihnen für die weiteren Lebensjahre alles erdenklich Gute und auch ein bisschen Freizeit, damit Sie all das nachholen können, wozu Sie bislang keine Zeit hatten. ({0}) Alles Gute! ({1}) Dass ich jetzt etwas großzügiger bei der Redezeitbe- messung war, bitte ich, mir nachzusehen. Das ist kein Präzedenzfall für künftige Reden. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 66 a bis 66 c und Zusatzpunkt 11 auf: 66 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung - Drucksache 16/13156 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung - Drucksachen 16/13297, 16/13384 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) - Drucksachen 16/13590, 16/13591 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({3}) Roland Claus Alexander Bonde b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes - Drucksache 16/12996 26134 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) - Drucksache 16/13683 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({5}) Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung - Drucksache 16/12885 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) - Drucksache 16/13679 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({7}) Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Silberhorn, Leo Dautzenberg, Otto Bernhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger, Ingrid Arndt-Brauer, Lothar Binding ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Schadensersatzansprüche gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Real Estate Holding AG - Drucksache 16/13619 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - es geht um Zusatzpunkt 11 - liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. ({9})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren nunmehr über den Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung. Das ursprüngliche Gesetz hatten wir hier im Oktober beschlossen. Nach der Insolvenz bzw. dem Konkurs von Lehman Brothers in den USA hatten sich die Friktionen und Störungen am Bankenmarkt verfestigt, und wir hatten dieses erste Gesetz mit einem Garantierrahmen von 480 Milliarden Euro aufgelegt. Dieses Gesetz hat gewirkt. Wir haben den Finanzmarkt stabilisiert und dafür gesorgt, dass die Spareinlagen sicher sind, dass noch Kredite vergeben werden und dass keine systemrelevante Bank - so lautet eine Verabredung auf internationaler Ebene - in die Insolvenz geht. Nun befinden wir uns am letzten offiziellen Tag der letzten Sitzungswoche des Bundestages in dieser Legislaturperiode, und wir ändern dieses Gesetz noch einmal. Dies ist die Folge einer langen Diskussion über das Thema Bad Banks. Das Ziel lautet, die vielen Maßnahmen, die wir in den vergangenen Monaten zur Stützung der Konjunktur durchgeführt haben, zu verstärken. Warum ist das notwendig? Entscheidend für die Kreditvergabemöglichkeiten der Banken ist ihre Eigenkapitalausstattung. Diese hat in den letzten Monaten gelitten, zum einen durch Abschreibungen und Verluste bei den strukturierten Wertpapieren - diese Papiere sind jetzt nicht mehr allzu viel wert - und zum anderen durch die sich verschlechternde Konjunktur. Die schlechtere konjunkturelle Lage führt zu Auftragseinbrüchen bei den Unternehmen, zu schlechterer Bonität, zu schlechteren Ratings. Letztlich wird dies dazu führen, dass die Banken vorhandene Kredite mit mehr Eigenkapital unterlegen müssen. Es ist ganz logisch, dass dann natürlich weniger Mittel für neue Kreditvergaben zur Verfügung stehen. Von daher haben wir uns zum einen dazu entschlossen, die Bankbilanzen im Bereich der strukturierten Wertpapiere - manche sagen auch „Giftmüll“; ich meine, das ist eine Übertreibung - zu entlasten, und zum anderen, ganze Geschäftsbereiche, die abzuwickeln sind, in eine Bundesanstalt auszulagern. Diese Operation wird in den nächsten Monaten - das Gesetz ist befristet durchgeführt und erfolgreich sein; davon bin ich überzeugt. Der Druck auf die Bilanzen der Banken ist extrem. Ich habe überlegt, ob man deshalb nicht eine verpflichtende Teilnahme festschreibt. Die Änderungen am Gesetzentwurf, die wir am Mittwoch in den Beratungen des Haushaltsausschusses vorgenommen haben, führen zum einen dazu, dass wir den Interessen der Steuerzahler gerecht werden. Zum anderen besteht für die Vorstände und Aufsichtsräte der Banken eine gute Möglichkeit, sich von den derzeitigen Belastungen zu befreien. Warum machen wir das? Weil dies der Schlüssel für konjunkturelles Wachstum ist. Wir sind in einer sehr kritischen Phase. Die Kreditvergabe - ich bin darauf eingegangen - ist der Schlüssel schlechthin. Wenn es bei einer Spirale nach unten bliebe, hieße das, dass die KonjunkCarsten Schneider ({0}) turpakete, die wir zu Beginn des Jahres beschlossen haben, ihre Wirkung verfehlen würden. Dies kann nicht das Ziel sein, und deswegen haben wir uns entschlossen, diesen Weg zu gehen und dem Vorschlag des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung zu folgen. In den nächsten Monaten wird es bei den Unternehmen wahrscheinlich einen Refinanzierungsbedarf von bis zu 600 Milliarden Euro geben. Es gibt keine ausreichende Bereitschaft der Banken, sich im Groß- und Konsortialkreditbereich zu engagieren. Wir sehen auch einen Rückzug internationaler Banken vom deutschen Markt. Dies müssen wir stoppen. Wir haben deswegen im Sinne von Geben und Nehmen - wer etwas bekommt, muss auch etwas geben - im Gesetzentwurf festgelegt, dass für die Vorstände, die die vorgesehenen Maßnahmen in Anspruch nehmen, eine Deckelung der Managervergütungen gilt, und dass die Banken zwingend Stresstests machen müssen, die dazu führen sollen, zu erkennen, ob sie denn tatsächlich überlebensfähig sind. Sind sie es nicht, dann müssen sie mit mehr Eigenkapital ausgestattet werden. Das ist für mich eine zwingende Voraussetzung dafür, dass dieses Modell in Deutschland - hier geht es auch um Europa; denn wir sind die wirtschaftliche Leitnation - tatsächlich funktioniert. Des Weiteren haben wir festgelegt, dass mit diesen Stresstests auch eine Aufgabenerfüllung zu verbinden ist, dass Banken, die von uns gestützt werden, ihren Aufgaben nachkommen und das Geld nicht bei anderen Banken anlegen, sondern die Kreditvergabe an mittelständische Unternehmen tatsächlich gewährleisten. ({1}) Ich bin damit, wie Sie, Herr Ströbele, bisher noch nicht zufrieden; um das klar zu sagen. Der Bundesbankpräsident hat dazu in den vergangenen Tagen wichtige Hinweise gegeben, nämlich dass man, sollten die Banken die derzeit bestehenden Möglichkeiten - ich nenne das Stichwort „billige Liquidität“ - nicht tatsächlich an die Unternehmen weitergeben, zu anderen Mitteln greifen muss. Der Bundesfinanzminister bzw. der SoFFin ist letztlich dazu in der Lage. Denn wir bieten nur dann Leistung, wenn auch eine Gegenleistung erfolgt. Es ist aber auch klar, dass für den Vorstand einer Bank immer noch das Kreditwesengesetz gilt. Selbstverständlich muss darauf geachtet werden, dass das Unternehmen überlebensfähig ist. Das will ich nicht in Abrede stellen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der uns beschäftigt hat, sind die Landesbanken. In den vergangenen eineinhalb Jahren habe ich aus der Perspektive des Bundestages wahrgenommen, dass sich insbesondere bei den Ministerpräsidenten zunehmend das Prinzip der drei Affen durchgesetzt hat: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen bzw. nicht in die Bilanzen blicken, nicht ihre Geschäftsmodelle überprüfen und die Risiken verschweigen. ({2}) Die Risiken sind nicht zu unterschätzen. Wenn es uns heute nicht gelingt, den Gesetzentwurf durch den Bundestag zu bringen, stehen meines Erachtens die wirtschaftliche Existenz und Leistungsfähigkeit nicht nur der Sparkassen, sondern auch einzelner Bundesländer infrage. Unser Modell sieht vor, dass sich die Landesbanken konsolidieren müssen. Wir als SPD hätten uns - das ist der Pferdefuß des Ganzen - eine größere Stringenz und Durchsetzungskraft des Bundes gegenüber den Ländern bzw. den Ministerpräsidenten gewünscht. Das war mit der Unionsfraktion leider nicht zu machen. Wir brauchen aber - dieser Verantwortung müssen sich die Damen und Herren in den Ländern bewusst sein hier schleunigst eine Bereinigung und Konsolidierung. Denn dass die Landesbanken, statt sich auf ihre eigentlichen Aufgaben in ihrem jeweiligen Bundesland zu konzentrieren und die Sparkassen zu unterstützen, in Übersee Geschäfte gemacht haben, die sie nicht richtig verstanden haben, hat zu der sehr prekären Schieflage geführt, in der wir uns derzeit befinden. Die Sparkassen haben sich - sicherlich sind auch viele Kollegen angesprochen worden - zu Recht sehr intensiv in die Debatte eingeschaltet. Sie sind Miteigentümer der Landesbanken und haften dementsprechend im Rahmen der Gewährträgerhaftung für ihr Eigentum. Sie haben in den vergangenen Jahren gut von den Überschüssen profitiert und stehen in der Verantwortung für die Landesbanken. Nichtsdestotrotz besteht die reale Gefahr, dass mit den weitergehenden Verlusten der Landesbanken eine existenzgefährdende Situation für die Sparkassen eintritt. Ohne unseren Gesetzentwurf würde die Lage der Sparkassen viel prekärer. Sie wären in ihrer Existenz gefährdet. ({3}) - Richtig, Herr Schäffler. Das sehen die Sparkassen anders. Ich glaube, sie haben das nicht richtig verstanden. Das gilt gerade für die Verbände. Ich finde diese Art von Lobbyarbeit teilweise schon dreist. Ich bin für einen öffentlich-rechtlichen Bankensektor, und ich bin der Auffassung, dass wir die Sparkassen brauchen, aber sie müssen nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten zu ihrer Verantwortung stehen. Es kann nicht sein, dass wir als Bund in diese Verantwortung treten. ({4}) Deswegen haben wir an dieser Stelle die Haftung der Sparkassen auf die Gewährträgerhaftung begrenzt. ({5}) Wir haben durch eine Überforderungsklausel dafür gesorgt, dass keine Sparkasse in ihrer Existenz bedroht ist. Mit Sicherheit wird es aber in den nächsten Jahren Belastungen geben. Sie resultieren jedoch aus Geschäften der vergangenen Jahre, die sie selbst mitzuverantworten haben. Von daher hoffe ich, dass auch die Sparkassen dazugelernt haben und ihre Schlüsse daraus ziehen werden. Carsten Schneider ({6}) Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf nicht nur den Bundestag und den Bundesrat passiert, sondern auch möglichst schnell umgesetzt wird, weil das für die wirtschaftliche Situation in Deutschland entscheidend ist. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf soll einen Schlussstein in einer langen Kette von Gesetzen zur Finanzmarktstabilisierung bilden. Finanzmarktstabilisierung ist - ich denke, das kann man an dieser Stelle festhalten - ein Ziel, das unmittelbar oder mittelbar allen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland hilft. Es ist ein öffentliches Ziel, für das wir uns gemeinsam einsetzen müssen. Ich stimme dem Kollegen Schneider in einem Punkt zu: Im letzten Oktober war es noch alles andere als selbstverständlich, dass das Finanzmarktstabilisierungsgesetz zumindest in gewissem Maße eine Stabilisierung ermöglichen würde. Das wusste man in der damaligen Situation nicht. Man kann aber nun sagen: Dieses Gesetz vom vergangenen Oktober hat sich im Wesentlichen bewährt. Die FDP legt Wert darauf, dass sie in einem schwierigen Moment Verantwortung übernommen hat und nicht einfach Nein zu diesem Gesetz gesagt hat. ({0}) Es folgte aber bald die Erkenntnis, dass Finanzmarktstabilisierung nicht erfolgreich sein kann, wenn man einfach nur Bank für Bank und Einzelfall für Einzelfall, so schwierig er auch sein mag, durchgeht und löst, sondern dass es strukturelle Probleme gibt, die angegangen werden müssen, wenn man nachhaltig stabilisieren möchte. Ein strukturelles Problem ist die Unsicherheit darüber, wie viele Risiken es in den Bankbilanzen gibt. Das führt dazu, dass Institute Eigenkapital vorhalten müssen und es nicht für die Vergabe neuer Kredite einsetzen können. Damit verringert sich der Spielraum, den Unternehmen, die irgendwann in der Krise wieder Mut fassen und investieren wollen, Geld zur Verfügung zu stellen. Von diesem Problem sind leider oft mittelständische Unternehmen betroffen, die in der Regel auf eine Finanzierung durch eine Bank angewiesen sind. ({1}) Deswegen ist eine Lösung des Problems, das in den Bilanzen der Banken liegt, überfällig. Es muss gelingen, die Risiken aus den Bilanzen herauszubekommen. ({2}) Die Bundesregierung hat unseres Erachtens die Dimension dieser Problematik lange unterschätzt. Es wurde erst spät begonnen, einen solchen Gesetzentwurf zu erarbeiten. - Da manche in der Unionsfraktion irritiert schauen: Ich habe übrigens öffentliche Äußerungen aus der Unionsfraktion im Frühjahr vernommen, als der Bundesfinanzminister gerade dazu aufgefordert wurde. Man kann festhalten, dass hier viel Zeit - auch durch die Fehleinschätzung innerhalb der Bundesregierung - verloren gegangen ist. ({3}) Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine ziemliche Enttäuschung. Es hat offenbar nicht an Willen gefehlt. Aber die Ausgestaltung ist so, dass nicht zu erwarten ist, dass die Probleme, insbesondere die Bewertungsprobleme und die Eigenkapitalbelastung der Banken, substanziell gelöst werden. Ihr Modell wird uns nicht weiterhelfen. ({4}) Es ist für eine Bank nicht möglich, rechtssicher zu kalkulieren, ob es wirtschaftlich tragbar ist, sich an diesem Modell zu beteiligen. Den Banken fehlen entscheidende Parameter. Das fängt bei der Verzinsung der Garantien an. Die Höhe der Verzinsung ist ein ganz entscheidender Parameter; denn anhand dieses Parameters kann man errechnen, ob es sich überhaupt lohnt, mitzumachen oder nicht. Auch die Regeln betreffend den Bewertungsabschlag, der bei Wertpapieren vorzunehmen ist, sind so gestaltet, dass man nicht sehen kann, nach welchem Verfahren bzw. nach welcher Formel das geschieht. Es ist sehr schwierig, das vorherzusehen. Ich sage voraus, dass die Banken, die es können, erst einmal abwarten werden, was passiert und ob eine andere Bank voranschreitet und das ganze Verfahren mit dem SoFFin, dem Bundesfinanzministerium und der EU-Kommission durchficht, um zu schauen, wie die Konditionen letztendlich aussehen werden. So werden wir mindestens weitere Monate verlieren; denn es herrscht noch keine Rechtssicherheit. ({5}) Das Gesetz führt unnötigerweise zu Wettbewerbsverzerrungen. Es ist sicherlich richtig, dass die EU-Kommission verlangt, den Bewertungsabschlag bei Instituten, die sehr wenig Eigenkapital haben, die also tendenziell schwach kapitalisiert sind, zunächst nicht vorzunehmen. Das heißt konkret, diese Institute können ihre Papiere zu einem günstigeren Preis übertragen und bekommen dafür mehr als Institute, die besser dastehen. Das ist aber eine eindeutige Benachteiligung derjenigen, die ihre Hausaufgaben gemacht haben und vor einigen Monaten erkannt haben: Wir kommen mit einer niedrigen Eigenkapitalquote nicht klar und müssen uns deshalb neues Kapital besorgen. - Diejenigen, die das gemacht haben, müssen nun einen höheren Bewertungsabschlag verkraften und stehen am Ende schlechter da. ({6}) Das hätte man vermeiden müssen und auch vermeiden können; denn es ist völlig unproblematisch, den Instituten aufzugeben, für eine angemessene Eigenkapitalquote in Höhe von über 7 Prozent zu sorgen, bevor sie die Instrumente des SoFFin nutzen. Das passiert heute schon, wenn ein Institut Garantien haben möchte. Es ist klar, dass dann zuerst der Eigentümer gefragt ist. Das hat in Einzelfällen auch geklappt. Ansonsten stehen die Instrumente des SoFFin zur Verfügung. Es kann aber nicht sein, dass wir in der jetzigen Situation diejenigen bestrafen, die das getan haben, was nötig ist, nämlich die Kernkapitalquote zu erhöhen. ({7}) Wir, die FDP-Fraktion, befassen uns in unserem vorliegenden Gesetzentwurf, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht, mit Wettbewerbsverzerrungen; denn wir finden, dass Wettbewerb nicht nur ein Thema für diejenigen sein sollte, die ordnungspolitische Fantasie haben oder ordnungspolitische Grundsätze vertreten. Wenn die Unternehmen, die vernünftig gewirtschaftet haben, das Gefühl haben, dass sie schlechter dastehen als die Unternehmen, die Staatshilfe bekommen, dann ist das auch schlecht für die Stabilität des Finanzsektors. Unternehmen werden dann möglicherweise sagen: „Wir verlassen uns darauf, dass uns im Notfall geholfen wird“, und werden sich falsch verhalten, während diejenigen, die es besser gemacht haben, am Ende bestraft werden. Deswegen ist Wettbewerbsgerechtigkeit ein ganz wichtiges Thema. ({8}) Es gibt natürlich auch das große Problem der Landesbanken. Die machen viele Dinge, die gar nicht in den Aufgabenbereich öffentlicher Banken fallen. Für die FDP ist entscheidend, dass dieser Sektor konsolidiert wird und dass sich das ändert. Im Ergebnis sind sicherlich Fusionen, Zusammenlegungen, notwendig. Was mir aber in der Diskussion fehlt, ist, dass man auch einmal über die Aufgaben von Landesbanken spricht. Es reicht nun einmal nicht, nur größere Einheiten zu schaffen und Landesbanken zusammenzulegen, sondern man muss sich systematisch fragen, was eigentlich die Aufgabe einer öffentlichen Bank ist. Für mich ist die Aufgabe einer Landesbank, das anzubieten, wofür eine einzelne Sparkasse zu klein ist; das heißt, eine Landesbank muss ein ergänzender Dienstleister für den Sparkassensektor sein. Das ist eine öffentliche Aufgabe. Alles andere ist eine nichtöffentliche Aufgabe. Diese Aufgaben müssen getrennt werden. Dann kann man fusionieren. Auch in dieser Hinsicht hat der Gesetzentwurf leider eine Chance verpasst. ({9}) Einige Punkte werden kaum diskutiert, obwohl sie folgenschwer sind. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird die Dauer der Anwendung aller Instrumente und Hilfsmaßnahmen, die der SoFFin ergreifen kann - dies betrifft nicht nur das Instrument der sogenannten Bad Banks -, um ein ganzes Jahr verlängert. Das heißt, der Staat beteiligt sich massiv ein weiteres Jahr lang mit dem Geld der Steuerzahler an der Stabilisierung des Finanzmarktes, was auch weiterhin ein Risiko für den Steuerzahler bedeutet. Ich finde, dass diese Verlängerung um ein Jahr eigentlich eine gründlichere Diskussion als die erfordert hätte, die tatsächlich stattgefunden hat. ({10}) Man kann als Ergebnis festhalten, dass dieser Gesetzentwurf zu einem noch stärkeren Einfluss des Staates auf den Bankensektor führt und eher mehr Risiken für den Steuerzahler begründet. Ich kann auch jenseits des Themas, wie man diese Risikopapiere entschärfen kann, nicht erkennen, dass es eine Strategie gibt, wie man irgendwann einmal zur Normalität zurückkehren und den Steuerzahler aus der Haftung entlassen kann. ({11}) Wir haben mit dem heutigen Gesetzentwurf auch die Gewissheit, dass der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung - dieses Sondervermögen, dieser Nebenhaushalt mindestens weitere 20 Jahre bestehen wird. Im letzten Oktober bestand die Erwartung, dass zunächst einmal bis Ende 2009 stabilisiert wird, keine neuen Maßnahmen mehr ergriffen werden und dann abgewickelt wird. So steht es im Übrigen im Gesetz. Jetzt wissen wir, dass es mindestens 20 Jahre so weitergeht. Ich finde, wenn ein Provisorium zu einer Dauereinrichtung wird und wir uns darauf einstellen können, dass das noch für etliche Legislaturperioden so bleiben wird, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie wir die parlamentarische Kontrolle dieses Instruments verbessern können. ({12}) Es ist ein Unterschied, ob etwas befristet wird oder zur Dauereinrichtung wird. Wir Liberale haben als einzige Fraktion in diesem Haus einen Entwurf dazu vorgelegt und werben nachdrücklich um Zustimmung; denn das sollte im Interesse all derjenigen sein, die hier sitzen. Viele wissen noch nicht, in welcher Rolle sie sich im Herbst möglicherweise hier wiederfinden. ({13}) Es sollte aber auch im Bereich der Finanzmarktstabilisierung eine starke Kontrolle geben. ({14}) Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin noch etwas zu dem Antrag zur Hypo Real Estate sagen. Wir unterstützen das Ansinnen, Schadensersatzforderungen zu prüfen und geltend zu machen. Wir wollen aber auch - das beantragen wir nachher -, dass selbstverständlich aufgearbeitet wird, welche Versäumnisse es seitens des Bundes beim Krisenmanagement im Fall der Hypo Real Estate im Zusammenhang mit den ersten Rettungsmaßnahmen gab. Auch dort muss man genau hinschauen, auch dort fordern wir Verantwortung ein. Es muss eine vollständige Aufarbeitung geben. Der Gesetzentwurf als solches wird sicherlich nachbesserungsbedürftig sein und wahrscheinlich nicht den gewollten Erfolg bringen. Wir werden ihn deshalb ablehnen. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Steffen Kampeter das Wort. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten jetzt eine Fortentwicklung unserer nationalen Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung. Das bedeutet nicht, dass die bisherigen Maßnahmen nicht richtig waren; wir sind vielmehr die Probleme, die wir im vergangenen Jahr erkannt haben und die wir nach Meinung der Experten lösen sollten, offensiv angegangen. ({0}) Das, was wir gemacht haben, war erfolgreich. Wir sind im Übrigen im Rahmen der Finanzmarktstabilisierung verantwortungsvoll mit den Steuergeldern umgegangen. Wir haben verhindert, dass in Deutschland reihenweise Banken umgekippt sind. Wir haben insbesondere den Bürgerinnen und Bürgern - angefangen vom Besitzer eines Sparbuchs bis hin zu den gewerblichen Unternehmern, die Kredite nötig hatten - das deutliche Signal gegeben, dass der Staat bereit, willens und in der Lage ist, den Finanzmarkt in der Bundesrepublik Deutschland zu stabilisieren. Dies ist ein gutes Signal; das sollten wir klar bekennen. ({1}) Wenn sich die Lage verändert, muss sich gegebenenfalls auch die Gesetzgebung verändern. Wir haben ein neues Problem, das mit komplizierten Begriffen wie „Ratingmigration“ oder „Giftmüll“ oder anderen beschrieben wird. Gestern haben die Bundesbank und der SoFFin als unabhängige Experten noch einmal erklärt, dass das, was wir in den letzten Wochen im Haushaltsausschuss beraten haben, richtig, notwendig und unverzichtbar ist, um die Stabilität im deutschen Finanzmarkt weiterhin aufrechtzuerhalten. Wir machen Finanzmarktstabilisierung nicht, weil wir für Geschäftsführer oder Vorstände ein besonderes Interesse hätten. Vielmehr ist die Finanzmarktstabilisierung aktive Solidarität in der sozialen Marktwirtschaft. Die Menschen in Deutschland sind an funktionsfähigen Banken sehr interessiert. ({2}) Wenn es neue Fragestellungen gibt, dann sollten wir klarmachen, anhand welcher Prinzipien wir Antworten geben. Das erste Prinzip unserer Bankenrettung - das verfolgen wir im Übrigen schon seit dem vergangenen Jahr - ist Freiwilligkeit. Die USA setzen auf Zwang. Das ist zum einen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler teuer und führt zum anderen offenkundig nicht zu dem Ergebnis, das man sich wünscht. ({3}) Heute ist die 48. Bank in den Vereinigten Staaten über die Wupper gegangen. In Deutschland haben wir Stabilität auf dem Finanzmarkt. Zwangsmaßnahmen führen also nicht zu einem besseren Ergebnis. Sie entsprechen auch nicht der marktwirtschaftlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidung der Banken, sich unter den staatlichen Schirm zu begeben, wird nach wirtschaftlichen und nicht nach ideologischen Kriterien getroffen. Bankenrettung ist kein Spielplatz für Ideologen. Bankenrettung ist verantwortliche Politik. ({4}) Das zweite Prinzip, das wir bei der Finanzmarktstabilisierung verfolgen, ist das der Eigentümerverantwortung. Ich mache dies deutlich: Zuerst und in vorderster Front sind die Eigentümer von Finanzmarktakteuren gefordert. ({5}) Eigentümer sind die Aktionäre; das sind teilweise die Länder; das sind auch Sparkassen. Wir können es keinem Steuerzahler des Landes, des Bundes oder einer anderen Gebietskörperschaft zumuten, selbst einzuspringen und somit die Eigentümer zu entlasten. Unserer Prinzip ist: Erst die Eigentümer, dann die Solidargemeinschaft. Das ist ein weiteres Basisprinzip unserer Politik. ({6}) Das dritte Prinzip ist der Schutz des Steuerzahlers. Wir wollen keine Zwangsbeglückung. Wir wollen in diesem Bereich deutlich machen: Wir sind keine Organisation, die Geld im Land verteilt. Wir haben festgelegt: Wir stellen 470 Milliarden Euro Garantien und Kapitalisierungsmaßnahmen für diesen Bereich zur Verfügung. Wir haben bei unseren Maßnahmen klargemacht: Ein politisches Ziel ist, dass der Steuerzahler durch diese Fortentwicklung der Gesetzgebung nicht zusätzlich in Regress genommen wird. Ich finde, dass wir mit diesen Maßnahmen den ausdrücklichen Wunsch des Bundesfinanzministers umsetzen. Den Steuerzahler zu schützen, ist richtig. Das vierte Prinzip, das wir verfolgen, ist das der Subsidiarität. Der Bund kann auch bei der Finanzmarktstabilisierung nicht alles leisten. „Subsidiär“ heißt zweierlei: ein differenziertes Angebot für die unterschiedlichen Problemlagen der Bankenwelt, aber auch die Möglichkeit, dass Länder, die dazu bereit sind, Verantwortung übernehmen. ({7}) Wir haben deswegen in diesem Gesetz Öffnungsklauseln für Länderaktivitäten verankert, sodass die Länder in eigener wirtschaftlicher Verantwortung nach dem Subsidiaritätsprinzip handeln können. Wer vor Ort handeln möchte, kann dies tun. Wir als Bund haben nationale Verantwortung. Wir stehen zu unserer Verantwortung. Wenn allerdings Länder meinen, sie könnten es besser als der Bund, dann ist es ein wohlverstandenes Prinzip, dass man diejenigen, die eigenverantwortlich etwas in die Hand nehmen wollen, nicht abhält. Deshalb ist das vierte Prinzip Differenzierung und Subsidiarität. Dieses Prinzip steht der Finanzmarktstabilisierung gut an. ({8}) Fünftes Prinzip: keine Leistung ohne Gegenleistung. Man muss den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland sagen: Bankenrettung - oder wie das pathetisch auch anders bezeichnet werden mag - ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wenn uns als Staat ein Institut um Hilfe bittet, dann sagen wir nicht: „Hoppla, was kost’ die Welt? Wir helfen euch!“, sondern wir wollen folgende Auskünfte: Erstens. In welcher wirtschaftlichen Situation befindet sich das Institut? Welche Überlebensperspektive hat es? Das nennen wir Stresstest. Das wird jetzt nicht mehr vom SoFFin, sondern von der Bankenaufsicht durchgeführt. Es dient auch dem Schutz des Steuerzahlers, keine Leistung ohne Gegenleistung zu gewähren. Jeder, der im Rahmen unseres Angebotes Hilfe vom Staat in Anspruch nimmt, muss offenlegen, wie seine Situation ist. Zweitens. Das Institut muss bestimmte Auflagen akzeptieren, beispielsweise zur Struktur des Institutes. Die Landesbankenkonsolidierung ist unverzichtbar. Die Landesbanken sind das zentrale systemische Risiko in der deutschen Finanzwirtschaft. Wir lassen uns nicht davon abbringen, von keinem, jeden politischen Beitrag zur Unterstützung dazu zu leisten, dass der Landesbankensektor konsolidiert und stabilisiert wird. Wir werden auch Auflagen im Bereich von Leistung und Gegenleistung vorsehen - wie wir es beispielsweise bei der Vergütung für die Garantie gemacht haben -, sodass diejenigen, die staatliches Geld erhalten, keine übermäßigen Vergütungssysteme haben dürfen. Das halte ich für vernünftig. Das haben wir in diesem Gesetz festgelegt. Keine Leistung ohne Gegenleistung - so lautet das ist das fünfte Prinzip. ({9}) Ein Thema - wie konnte es anders sein? - hat die Gemüter mehr bewegt als andere, nämlich die Frage: Wie halten wir es mit den Sparkassen? Ich will dazu einiges sagen. Wenn wir heute und der Bundesrat am 10. Juli nicht dieses Gesetz beschließen würden, dann wären die Sparkassen in ihrer wirtschaftlichen Existenz dauerhaft und existenziell gefährdet, weil dann das passieren würde, was wir vermeiden wollen, nämlich dass das finanzielle Risiko aus dem Landesbankensektor die Sparkassen infiziert und mit in den Abgrund reißt. Dieses Gesetz ist zuvorderst ein Rettungsgesetz für die deutschen Sparkassen in ihrer Differenziertheit. Das muss an allererster Stelle festgehalten werden. ({10}) Die Sparkassen hätten sich gewünscht, dass wir als Staat alle Risiken ihrer Aktivitäten übernehmen. Das kann nicht sein. Ich habe vorhin gesagt: Eigentümerverantwortung geht vor Staatsverantwortung. Selbst wenn diese Eigentümer Sparkassen sind, werden wir sie aus ihrer Eigentümerverantwortung nicht entlassen. Eigentümer sind in Deutschland, egal, wer sie sind, in die Pflicht zu nehmen, auch bei diesen Sanierungsmaßnahmen. Das ist ein ganz wichtiger Grundsatz. Wir können bestimmte Eigentümergruppen nicht in einer besonderen Art privilegieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kampeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuchtel?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kampeter, in Bezug auf die Sparkassen konzentriert sich ja die Diskussion auf § 8 a Abs 4 Nr. 1 dieses Gesetzentwurfs und konkret darauf, dass durch Veränderungen bei der Rückgewährhaftung möglicherweise eine Ausdehnung des Haftungsumfangs stattfindet, die die Eigentümerfunktion sehr strapaziert. Mich interessiert, welche Möglichkeit Sie sehen, dass diese Problematik durch eine entsprechende Geschäftspolitik überwunden werden kann.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fuchtel, ich bedanke mich für die Frage, weil sie mir die Möglichkeit gibt, im Detail noch einmal darzulegen, wie differenziert die Haftungsfolgen sind. Die Finanzmarktstabilisierung dient der Stabilisierung des Finanzmarktes. Die Behauptung, wir wollten einzelne Institutsgruppen oder einzelne Institute knebeln oder gar in den wirtschaftlichen Exitus führen, ist angesichts der Zielsetzung des Gesetzes - das muss ich ganz ehrlich sagen - ziemlich abstrus. ({0}) Die Behauptung, es würde hier irgendjemand über Gebühr belastet, kann ich nicht nachvollziehen, zumal das Gesetz auch auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht. An Ihrem Beispiel der Sparkassen will ich gerne erläutern, was das Gesetz beinhaltet. Erstens. Die Sparkassen und Landesbanken haben offensichtlich ein existenzielles Problem. Wir machen ein Angebot zur Lösung dieses existenziellen Problems mit unserem sogenannten AIDA-Modell. Dafür haften selbstverständlich die Sparkassen zuvorderst in ihrer Eigentümerverantwortung, soweit sie Eigentümer dieser Landesbanken sind. Beispielsweise halten die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen 50 Prozent der Anteile an der Westdeutschen Landesbank. Da kann der Bund nicht sagen: Jetzt übernehmen wir mal die Eigentümerverantwortung. Zweitens. Im Gesetz ist festgeschrieben, egal ob es sich nun um eine Sparkasse handelt oder nicht: Kein Eigentümer wird über seine wirtschaftlichen Möglichkeiten hinaus in Anspruch genommen; wir haben eine Überforderungsklausel im Gesetz vorgesehen. Wir halten zwar an der Eigentümerfunktion der Sparkassen fest; allerdings gibt es keine wirtschaftliche Überforderung. Drittens. Im Gegensatz zum ursprünglichen Formulierungsvorschlag, der eine gesamtschuldnerische Haftung vorsah - einer für alle -, haben wir jetzt eine quotale Haftung eingeführt. Das heißt, jeder Eigentümer einer Landesbank haftet nicht für den anderen mit, sondern nur entsprechend seiner quotalen Beteiligung. Schließlich haben wir die Kappung der Haftung der Sparkassen in Höhe der am 30. Juni 2008 existierenden Gewährträgerhaftung vorgesehen, um deutlich zu machen, dass wir bereit sind, das Risiko der Papiere, die sie zum 30. Juni aus ihren Landesbanken übertragen, gemeinsam mit den Sparkassen - meinetwegen in den nächsten 15, 20 Jahren - zu tragen. Allerdings wären wir nicht in der Lage gewesen, auch noch die Gewährträgerhaftung mit einem Volumen von etwas über 500 Milliarden Euro auf den Bund zu ziehen. Wir handeln in solidarischer Partnerschaft mit den Eigentümern der Sparkassen, mit den Landesbanken, mit den Ländern. Niemand wird überfordert, aber jeder muss seinen Beitrag leisten. Dies ist gelebte soziale Marktwirtschaft. Dies ist eine Garantieoption für das wirtschaftliche Überleben des Sparkassenwesens in Deutschland. Wer etwas anderes behauptet, hat den Gesetzentwurf in seinen Details noch nicht hinreichend zur Kenntnis genommen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kampeter, der Kollege Fuchtel hat mir signalisiert, dass er eine zweite Zwischenfrage hat. Ich würde sie auch noch zulassen, möchte aber an alle Kolleginnen und Kollegen - damit auch an Sie - appellieren, an die Verabredungen zu denken, die zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern zum heutigen Ablauf getroffen worden sind. Aber Sie müssen zunächst einmal sagen, ob Sie die Frage noch beantworten möchten. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist ein wichtiges Thema. Ich lasse die Frage gern zu.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle in dieser Woche dann keine Zwischenfrage mehr. ({0}) Ich möchte noch ein Beispiel anführen. Ich gehe einmal von Folgendem aus: Es besteht eine Gewährträgerhaftung von 5 Millionen Euro. ({1}) - Ich breche das auf eine einzelne Sparkasse herunter. Durch diesen Transfer von Papieren kommt es zu Verpflichtungen von 20 Millionen Euro. Damit ergibt sich eine Differenz von 15 Millionen Euro. Es soll dann wohl so sein, dass dafür in verstärktem Maß seitens der einzelnen Sparkasse gehaftet wird. Wie wird begründet, dass man das in diesem Gesetz so regeln will?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gegenüber dem geltenden Recht führen wir Haftungsbeschränkungen für den Sparkassenbereich ein, Herr Kollege Fuchtel. ({0}) Würden wir nicht handeln, würde das aller Voraussicht nach das wirtschaftliche Ende der Sparkassen bedeuten; denn sie würden mit ihrem Eigentümeranteil und wahrscheinlich auch mit ihrem vollen Gewährträgerhaftungsanteil sofort und unmittelbar zur Kasse gebeten. Das würde viele Sparkassen in den Abgrund stürzen. Es ist richtig: Wir würden keine systemrelevante Bank über die Wupper gehen lassen. Aber es kann doch niemand vom Bund erwarten, dass wir diejenigen, die haften müssen, nicht in Regress nehmen. ({1}) Weil wir die schwierigen Papiere, die zu einem wesentlichen Teil mit Gewährträgerhaftung belastet sind, in die Garantieverantwortung des Bundes übernehmen, erwarten wir von demjenigen, der uns diese Papiere überlässt, dass er den Anteil an Haftung übernimmt, den er heute in der Bilanz aufführen kann. Das überfordert niemanden, weil auch heute im Rahmen der Gewährträgerhaftung eine Belastung besteht. Es entsteht aber kein zusätzlicher Haftungsanspruch. Eines wollen wir allerdings nicht, Kollege Fuchtel, nämlich Haftungstatbestände, die die Sparkassen nicht mehr bereit sind zu übernehmen, auf den Bund ziehen. Alle Beispiele, die uns von den Sparkassen zugeleitet werden, zielen im Kern darauf ab, dass die Sparkassen Haftungsrisiken auf den Bund übertragen wollen. Das kann angesichts der Leistungsfähigkeit des Sparkassensystems aber nicht unser Ziel sein. Deswegen bitte ich da um Verständnis. Es kommt nicht zu einer vollständigen Umsetzung der Wünsche der Sparkassen, aber es ist eine vertretbare Lösung, die die wirtschaftliche Existenz des Sparkassenwesens, den Schutz des Steuerzahlers und den Interessenausgleich zwischen Bund, Ländern sowie Sparkassen- und Landesbankeigentümern ermöglicht. Ich finde das vertretbar. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung auch in diesem Bereich. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kampeter, zwar stellt der Kollege Fuchtel in dieser Woche keine Zwischenfrage mehr, aber der Kollege Schäffler möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kampeter, Sie haben es sehr stark auf den Bereich der Gewährträgerhaftung reduziert. Die Sparkassen haben aber nur noch einen gewissen Anteil ihrer Assets unter Gewährträgerhaftung. Für einen großen Anteil dieser Papiere, die sie in ihren Bilanzen haben, gilt die Gewährträgerhaftung nicht mehr. Es war nur ein gewisser Bereich, für den historisch die Gewährträgerhaftung galt. Die Sparkassen wollen auch Bereiche auslagern, für die wohl keine Gewährträgerhaftung besteht. Wie ist da die Rechtslage? Haften die Sparkassen abschließend dafür? Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der Vorwurf der Sparkassenorganisation ja, dass ihr Haftungsregime, die Gewährträgerhaftung, die sie historisch hatten, dadurch erweitert wird. Sind Sie auch meiner Auffassung, dass das der Fall ist?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schäffler, ich bedanke mich für die Frage und halte fest, dass die Gewährträgerhaftung sich reduziert; daran werden wir mit diesem Gesetz überhaupt nichts ändern. Das gilt für diejenigen, die freiwillig Risiken in eine AIDA ausgliedern, für die alle Steuerzahler haften, wenn da etwas schiefgeht. Das wünschen wir uns nicht, das ist nicht das Ziel, und deshalb muss das gemanagt werden. Aber auch bei den vielen Garantieübernahmen ist heute nur ein prozentual sehr geringer Anteil kassenwirksam geworden. Ich finde, wenn nun im Vergleich zu dem jetzigen Rechtszustand eine Haftungsbegrenzung eingeführt wird, ist das eine erhebliche, allerdings noch vertretbare wirtschaftliche Privilegierung des Sparkassenbereichs. Ich kann keinem der kursierenden Rechenbeispiele folgen, wonach eine zusätzliche Haftung der Sparkassen entsteht. Die Fiktion ist, dass die Sparkassen morgen in wirtschaftlichen Regress genommen werden können, wenn wir nicht handeln. Das verhindern wir, und dafür wollen wir die wirtschaftliche Risikomitverantwortung des Sparkassen- und Landesbankenwesens. Das ist ein gerechter und vernünftiger Interessenausgleich, der im Übrigen auch widerspiegelt, dass es in den 16 Bundesländern besondere Privilegierungen des Sparkassenwesens gibt, die in Teilen auf einen Schutz vor Wettbewerb hinauslaufen. Man kann nicht auf der einen Seite Sparkassengesetze und eine Privilegierung der Sparkassen fordern, auf der anderen Seite aber in allen Fragen wie der private Sektor behandelt werden wollen. Das empfinde ich als nicht sachgerecht. Sie sehen: Bankenrettung ist kompliziert, aber trotzdem richtig. Sie ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes notwendig. Wir waren und sind in der sozialen Marktwirtschaft - auch in einer schwierigen Koalition - handlungsfähig. Am letzten Sitzungstag der regulären Sitzungszeit dieses Parlaments bringen wir eine sehr umfassende Fortentwicklung auf den Weg. Das zeigt, dass wir uns der Probleme der Bürgerinnen und Bürger - seien sie Bankmanager, Mittelständler, Sozialhilfeempfänger, die auf Bankdienstleistungen angewiesen sind, oder Menschen, die einfach einen Konsumentenkredit aufnehmen wollen - annehmen. Das zeigt, dass diese Koalition und diese Regierung bereit sind, auch in schwierigen Situationen Verantwortung zu übernehmen. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposition dazu bereit wäre - zumindest bei diesem Gesetz. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der wortreichen Beschwörungen meines Vorredners muss klar festgestellt werden, dass dieses Gesetz nicht nur von schlechten Banken, von Bad Banks, handelt, sondern auch ein schlechtes Gesetz ist. ({0}) Ebenso wie meine Fraktion das erste Finanzmarktstabilisierungsgesetz zur Einrichtung des Sonderfonds und das zweite zur Schaffung der Möglichkeit von Verstaatlichungen abgelehnt hat, wird sie nun auch dieses dritte, das die staatliche Hilfe bei der Entsorgung von Bankenschrott regeln will, klar ablehnen. Ich will dafür einige Gründe nennen, die durchaus mit dem Begriff „Verantwortung“ in Verbindung stehen. Der Hauptgrund ist, dass alle Risiken, die mit dem Gesetz verteilt werden, bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern von heute und morgen abgeladen werden. Die Koalition rühmt sich für ihren Begriff der Eigentümerhaftung. Aber was stellen wir denn dieser Tage fest? Vorstände und Aufsichtsräte treten scharenweise ab; keiner will es mehr gewesen sein. Banken werden umstrukturiert und umbenannt. Ein Vorgang, der mich diese Woche sehr verblüfft hat, war, dass sich die Hypo Real Estate in Deutsche Pfandbriefbank AG umbenannt hat. Man muss sich im Hinblick darauf einmal vorstellen, was in diesem Land innerhalb von wenigen Jahren vorgegangen ist. Können Sie sich vorstellen, dass sich vor drei Jahren eine Bank, die den Namen Hypo Real Estate trägt, in Deutsche Pfandbriefbank umbenannt hätte? Es muss doch etwas in Bewegung gekommen sein. ({1}) Zuweilen wird der Regierung vorgeworfen, ihr Handeln sei sozialistisch. Dann wird aus dem zweiten Gesetz der wunderschöne Satz zitiert: Enteignungsbehörde ist das Bundesfinanzministerium. - Wir müssen dem entgegenhalten, dass nicht etwa werthaltige Substanz verstaatlicht wird, sondern in erster Linie Schulden. Wir sind dagegen, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. ({2}) Das ist nicht Sozialismus, sondern Kasinokapitalismus. Nötig wäre an dieser Stelle eine radikale Umkehr, ein Ausstieg aus dem Kasinokapitalismus. Was Sie aber politisch betreiben, ist die Vorbereitung des nächsten Kasinos. Die Politik ist doch mitverantwortlich für das, was hier geschehen ist. Sie haben der Krise doch 2004 mit der Zulassung von Hedgefonds und Verbriefungen den Weg bereitet. Dann kommen Sie immer mit dem Zauberwort „alternativlos“. Wir sagen Ihnen, Politik ist immer Menschenwerk, und was Menschenwerk ist, geht immer auch anders. Genau das ist unsere Forderung. Insofern war es jedoch nahezu folgerichtig, dass eine Finanzblase entstand. Ein System, in dem Renditeversprechungen von 20 Prozent und mehr gemacht werden, während es nur ein Wirtschaftswachstum von 2 bis 3 Prozent gibt, kann nur funktionieren, wenn in Kauf genommen wird, dass rund herum alles zusammenbricht. Vor kurzem hat mir ein erfahrener Unternehmer die ganze Situation einmal in kurzen Worten geschildert. Er hat gesagt: Wissen Sie, früher war es so, dass sich ein gutes Unternehmen nach einer guten Bank umgeschaut hat, um seine Finanzgeschäfte dort zu tätigen. Heute sind Hedgefonds auf der Suche nach Unternehmen, um diese auszunehmen. - Man muss doch jetzt endlich darangehen, diese Entwicklung umzukehren, statt nur an ihr herumzudoktern. ({3}) Unterdessen ist mir in dieser Woche bekannt geworden, dass die Vertreter der Bundesregierung vor kurzem ein neues Bonussystem für Banker gebilligt haben. Mithilfe dieses neuen Bonussystems soll alles transparenter werden. Wir sagen Ihnen dazu: Solange man Boni an überhöhte Renditeerwartungen knüpft - das ist auch bei diesem sogenannten neuen Bonussystem der Fall -, wird sich die Lage nicht wirklich bessern. Deshalb ist auch dies der falsche Weg. Man kann hier keinesfalls von etwas Neuem sprechen. ({4}) Sie wollen in den Bad Banks die wertlosen Verbriefungen parken. Aber wer hier kann die Frage beantworten, was werthaltig ist und was nicht. Es ist etwa so, als wenn man Wasser und Wein in einem Glas zusammenschüttet und sich danach die Aufgabe stellt, das Wasser wieder herauszunehmen. ({5}) Wer soll das alles bewerten? Wahrscheinlich werden es wieder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sein, die noch vor kurzem maroden Banken ihr Prüfsiegel verliehen haben und denen bestätigt haben, dass alles paletti sei. Wie wollen wir denn garantieren, dass da, wo künftig „Good Bank“ draufsteht, auch wirklich eine „Good Bank“ drin ist? Die Regelung, alles in einer Frist von 20 Jahren zurückzuzahlen, kann, wenn überhaupt - wir nehmen es aber einmal gutwillig an -, nur dann funktionieren, wenn jetzt 20 gute Jahre folgen. Dass das so sein wird, sehe ich aber nicht. ({6}) Auch ein Wort zu den Sparkassen. Wir sind in der Tat der Meinung, dass die Sparkassen über Gebühr in Haftung genommen werden. ({7}) Was Sie hier einführen wollen, ist sozusagen eine erweiterte doppelte Gewährträgerhaftung; denn die Sparkassen haften bereits für die Landesbanken. Das ist doch nicht unbekannt. Insofern sehen wir in der Tat eine Ungleichbehandlung von Sparkassen und Geschäftsbanken. Man muss es in aller Deutlichkeit sagen: Sie spielen mit der Stabilität der Sparkassen und damit mit der jener Finanzinstitute, die als einzige in den Finanzmarkt eine gewisse Sicherheit bringen. Natürlich haben auch die Sparkassen Fehler gemacht; aber ihnen jetzt solche Lasten aufzubürden, geht nicht in Ordnung. Nun hat der Sparkassen- und Giroverband uns, den Mitgliedern des Haushalts- und des Finanzausschusses, dieser Tage einen Lösungsvorschlag zukommen lassen, wie man dieses Problem beheben kann. Ich rufe Sie auf - der Vorschlag liegt vor -: Übernehmen Sie als Koalitionsfraktionen diesen Vorschlag zu § 8! Dann könnten wir dieses Problem noch heilen. ({8}) Meine Fraktion bringt außerdem in Form eines Entschließungsantrags den Vorschlag ein, eine staatliche Ratingagentur zu schaffen, um zu verhindern, dass private Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Ratingagenturen noch einmal ein solches Unheil, zu dem sie jetzt in Gestalt der Finanzmarktkrise maßgeblich beigetragen haben, anrichten. Mit diesem Vorschlag stehen wir nicht allein. Er ist unlängst auch vom Bundespräsidenten Horst Köhler unterbreitet worden. Deshalb wollen wir Ihnen hier die Möglichkeit geben, einen solchen VorRoland Claus schlag, der auf so viel Sympathie in der Gesellschaft trifft, umzusetzen. ({9}) Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist ein schlechtes Gesetz, ebenso wie seine Vorgänger. Sie setzen die unsoziale Regierungspolitik fort: Banken werden beschirmt, die Bürgerinnen und Bürger werden im Regen stehen gelassen. Dazu sagen wir: So nicht! Das Gesetz lehnen wir ab. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich erst einmal eine Anmerkung zum Verfahren machen: Wir haben im letzten Herbst in großer Eile ein Gesetz zur Bankenrettung verabschiedet. Auch wir waren damals der Ansicht, dass man schnell agieren musste. Bei dem Thema, wie wir mit toxischen Wertpapieren umgehen, muss man allerdings hinterfragen, warum dieses am letzten Tag der letzten regulären Sitzungswoche behandelt werden soll. Schließlich war das Thema im letzten Oktober auf dem Tisch. Das Thema ist schon im Januar und Februar diskutiert worden, und nun war es noch nicht einmal auf den letzten Metern möglich, dass wir in der regulären Sitzung des Finanzausschusses Ihre Änderungsvorschläge bekamen. Vielmehr mussten wir das Thema in einer kurzfristig einberufenen zusätzlichen Sitzung durchpeitschen. Das sage ich vor dem Hintergrund, dass es sich um ein Gesetz handelt - das muss man sich einmal klarmachen -, das - das wissen wir - über 20 Jahre Wirkung entfalten wird. Das sind fünf Legislaturperioden; da sind die meisten von uns gar nicht mehr dabei. Dieses Gesetz in dieser Form durchzupeitschen, zeugt nicht von Handlungsfähigkeit, Herr Kampeter. Diese Vorgehensweise zeugt vielmehr von mangelnder Handlungsfähigkeit. In dem Verhandlungsmarathon zwischen den verschiedenen Akteuren auf Bundes- und Landesebene, von SPD und Union hin und her ist es einfach nicht gelungen, dieses Thema, das seit Monaten auf dem Tisch ist, in einem geordneten Verfahren sauber zu behandeln. - Auch dieser Aspekt muss hier einmal beleuchtet werden. ({0}) Wenn man in dieser Weise nun zum dritten Mal ein Gesetz zur Finanzmarktstabilisierung macht - es gibt ja schon das Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz und Ähnliches -, dann gehen einem langsam die Bezeichnungen aus. Ich bin mir allerdings nach dem, was Sie heute vorlegen, sicher, dass die nächste Bundesregierung gar nicht darum herumkommen wird, ein weiteres Gesetz zu machen. ({1}) Nach einigen Monaten muss man sich fragen, ob es nicht an der Zeit ist, einen Blick auf die Strategie zu werfen. Was machen Sie? Sie verharren in einer falschen Strategie und schnüren ein weiteres Milliardenpaket in Form des Bad-Bank-Auslagerungsmodells - ich müsste eigentlich im Plural sprechen, weil Sie sich nicht auf eine einheitliche Lösung verständigen konnten -, um hier noch einmal etwas draufzulegen. ({2}) Jetzt wäre es an der Zeit, einen Strategiewechsel vorzunehmen, und das ist die Position von Bündnis 90/Die Grünen. ({3}) Denn ohne einen Strategiewechsel kann es unserer Meinung nach nicht einfach ein Bad-Bank-Gesetz geben. ({4}) Was wäre Teil dieses Strategiewechsels? Der erste Punkt ist die Freiwilligkeit. ({5}) Das ist angesprochen und auch von der SPD thematisiert worden. Wie weit es geführt hat, haben wir gesehen. Und dann zu sagen, in den USA würden die Regionalbanken aufgrund des Zwangs pleitegehen, Herr Kampeter, war unterirdisch. Es ist doch vielmehr so, dass gerade diese Banken nicht in die Rettungsmaßnahmen mit einbezogen werden, weil man dort zwischen den systemrelevanten und kleineren Banken differenziert. Insofern ist dies überhaupt kein Beispiel dafür, dass Freiwilligkeit notwendig wäre. Im Gegenteil: Wir stellen fest, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, darauf zu warten, dass die Institute sagen, wann sie etwas haben möchten. Wir selber sollten über den Tag hinaus schauen, was die Institute brauchen. Wir müssten realistische Szenarien entwerfen, die in der nächsten Zeit auf uns zukommen könnten, und dann müssten wir schauen, was die Banken aushalten würden. Daraus resultierend müssten wir mit einer Strategie der Rekapitalisierung die Banken so aufstellen, dass bei einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage kein neues Gesetz notwendig wäre. ({6}) Genau das ist der Fehler: Sie agieren so, als wäre alles schon passiert. ({7}) Sie reagieren immer aus der Sicht des Ist-Zustands, obwohl wir wissen, dass es noch eine weitere Verschärfung geben wird. ({8}) Dies sind die kurzfristigen Aktionen, mit denen die Große Koalition reagiert. Es ist eben keine längerfristige Perspektive, und damit stabilisieren Sie gerade nicht, sondern Sie schaffen immer neue Unsicherheiten, ({9}) weil immer nachkorrigiert werden muss. ({10}) Das ist der Fehler, und daher müsste jetzt ein Strategiewechsel her. ({11}) Zu den Sparkassen. Diese haben ja zwei Rollen. Zum einen sind es Institute, die in die Lage versetzt werden sollen, Kredite auszugeben. Zum anderen wissen wir, dass sie Teil derer sind, die wir jetzt stabilisieren müssen. Denn es wird in nächster Zeit nicht allen Sparkassen gut gehen. ({12}) Sie, Herr Kampeter, haben hier nur die Eigentümerrolle angesprochen. Man muss aber beide Punkte gegeneinander abwägen, und aus dieser Abwägung heraus hätte man zu einer anderen Lösung kommen müssen, die die Sparkassen in die Lage versetzen würde, in Zukunft das zu tun, was wir von ihnen erwarten, nämlich in der Region über eine gute Kreditvergabe Arbeitsplätze zu sichern. Das haben Sie nicht so abgewogen, wie es notwendig gewesen wäre. ({13}) Ich will noch ein Wort zu dem Entschließungsantrag sagen, in dem Sie fordern, dass untersucht wird, ob gegen die Hypo Real Estate Schadenersatzansprüche bestehen. ({14}) Was Sie da machen, finde ich drollig. Wir haben vorgeschlagen, dass die Kandidaten - damals waren es noch Kandidaten - für den Aufsichtsrat der Commerzbank im Finanzausschuss gehört werden. Wir waren nämlich der Meinung: Wenn der Bund Eigentumsanteile hat, dann muss er auch wenigstens seine Vorstellungen äußern können. Sie haben aber argumentiert, dass das nicht gehe und dass man keine entsprechende Anhörung durchführen könne, weil man keinen Einfluss auf Aufsichtsräte ausüben könne. Jetzt plötzlich fordern Sie die Aufsichtsräte, die im Namen des Bundes dort tätig sind, in einem Antrag auf, entsprechend zu handeln. Wie passt das eigentlich zusammen? Es ist richtig, dass geprüft wird, ob Schadenersatzansprüche bestehen. Aber Sie müssen endlich einmal die Strategie verlassen, dass der Bund zwar Geld herüberschiebt, aber keinen Einfluss ausüben will. Auch das ist Teil eines Strategiewechsels, der jetzt notwendig ist. Sie versuchen es mit Ihrem Antrag auf die populistische Art. Sie müssten sich aber grundsätzlich einmal die Frage stellen, was aus der Tatsache folgt, dass der Bund Eigentumsanteile besitzt. Auch an dieser Stelle ist ein Strategiewechsel dringend notwendig. Wir, Bündnis 90/Die Grünen, setzen nicht auf das Bad-Bank-Konzept, sondern auf ein Good-Bank-Konzept. Es lagen dazu gute Vorschläge, unter anderem der Bundesbank, vor. Es ist schade, dass diese Vorschläge in Ihrer Diskussion keine Rolle gespielt haben. Das Entscheidende ist jetzt nicht, auf die Altlasten zu schauen, sondern, die Banken so aufzustellen, dass sie in Zukunft das leisten können, was wir von ihnen erwarten, nämlich die notwendige Kreditversorgung des Mittelstandes, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern für die nächsten Monate und Jahre, die leider noch schwierig werden. Meine Prognose ist, dass es genauso kommt, wie wir schon im Frühjahr vorausgesehen haben, nämlich dass es ein weiteres Rettungsgesetz gibt. Eine Regel gilt weiterhin - ich habe sie schon im Frühjahr genannt -: Immer dann, wenn der Bundesfinanzminister mit großer Überzeugung einen Standpunkt vertritt, tritt genau das Gegenteil ein. Im Frühjahr haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, gesagt, es werde keine Bad Bank geben. Jetzt haben wir sie. Sie haben weiterhin gesagt, das Bad-Bank-Gesetz werde der große Hebel für die Konsolidierung der Landesbanken. Wieder trifft die Regel zu, dass das Gegenteil von dem eintritt, was der Bundesfinanzminister mit großer Überzeugung vertritt. Ich glaube, hier brauchen wir einmal eine Korrektur. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Frau Präsidentin! Ich müsste eine Redezeit von 60 Minuten haben, um auf die vielen Irrtümer, Verdrehungen und Überzeichnungen von Herrn Schick einzugehen. ({0}) Da ich aber lediglich 9 Minuten habe, will ich nur sagen: Der Bundesfinanzminister hat nie in irgendeiner Form den Standpunkt vertreten, dass er ein großes Bad-BankModell zentralisierter Art in Deutschland für richtig hält. Sie wissen, dass ich das nie getan habe. ({1}) Ich habe immer davon gesprochen, dass es institutsspezifische Lösungen geben muss. Eine solche Lösung leBundesminister Peer Steinbrück gen wir heute vor. Ich will mich an diesem Punkt aber nicht lange aufhalten, sondern versuchen, etwas grundsätzlicher zu werden. Wir haben damals im Finanzmarktstabilisierungsgesetz, wie Sie sich erinnern können, drei Maßnahmen vorgesehen: Garantien, Kapitalinjektionen und auch die Möglichkeit, sogenannte Problemaktiva - ich sage es einmal umgangssprachlich - aufzukaufen. Von zwei dieser Instrumente ist Gebrauch gemacht worden. Wir haben dann festgestellt, dass das dritte Instrument immer mehr an Bedeutung gewinnt, weil sich die Zeiten ändern. ({2}) Man muss gegebenenfalls nachjustieren. Die Welt um uns herum verändert sich, insbesondere unter dem Druck der Finanzmarktkrise, in einer rasanten Geschwindigkeit. Die Politik kann da nicht stehen bleiben, sondern sie wird sich auf neue und sich verändernde Verhältnisse einzustellen haben. Über diesen dritten Instrumentenkasten reden wir jetzt. Wir haben uns auch nicht fahrlässig viel Zeit gelassen, wie Herr Toncar und andere behaupten. Wir haben aber festgestellt, dass es die komplizierteste Materie ist, die es gibt. Wenn Sie nämlich zu einer Bereinigung der Bilanzen beitragen und die Banken entlasten wollen, indem Sie die belastenden Papieren aus den Bilanzen sozusagen wegfegen, dann müssen Sie die Frage beantworten: Wer ist der Dumme, der die damit verbundenen Risiken übernehmen soll? ({3}) Daran haben andere Länder lange gearbeitet. Je effektiver die Bilanzbereinigung ist, desto drängender steht die Frage im Raum, wer die Haftung und die Risiken für das übernimmt, was aus den Bilanzen weggefegt worden ist. Darauf keine Antwort gefunden zu haben, daran sind andere Länder weitestgehend gescheitert. ({4}) Sie vergessen zum Beispiel, dass die Amerikaner ihr Modell drei- bis viermal unter dem Druck der Veränderungen bzw. aufgrund der Notwendigkeit, nachzujustieren, modifiziert haben. Übrigens sind die Risiken weitgehend bei den Steuerzahlern verblieben. Deshalb sind Ihre Annahme und die von Herrn Claus absolut falsch. Herr Claus sagt, alle Risiken seien beim Steuerzahler geblieben, um alle Menschen, die um uns herum sind und uns zuhören, zu erschrecken. Pustekuchen! Das stimmt gar nicht! Sie sagen, dass ein neues Milliardenpaket auf den Bundeshaushalt und damit auf den Steuerzahler abgewälzt wird. Warum ist Ihnen denn dann kein Gesetzentwurf mit weiteren Forderungen vorgelegt worden? Weil es eben keine neuen Belastungen in Milliardenhöhe sind, die über den 500-Milliarden-Euro-Schirm, den wir haben, hinausgehen. Das, was Sie da sagen, ist falsch. ({5}) Sie bringen eine Dramatik in die Debatte hinein, wollen ein paar Blinklichter setzen und Parolen ausgeben, nach dem Motto: Da muss jetzt nachgelegt werden. Das ist nicht der Kern dieses Gesetzes. Als derjenige, der Ihnen mit Unterstützung des Kabinetts einen Formulierungsvorschlag unterbreitet hat, verlange ich Ihnen vor der Sommerpause keine weiteren Milliarden ab - weder mit Blick auf Kapitalinjektionen noch mit Blick auf Garantien noch über das 500-Milliarden-Euro-Gesetz hinaus -, um der Problemaktiva in den Bilanzen Herr zu werden. Insofern frage ich mich, ob Sie diese Stichworte wider besseres Wissen geben oder ob Sie das nicht begriffen haben. Beides ist für die Politik gleich gefährlich und beunruhigt die breite Öffentlichkeit. Warum haben wir Probleme in den Bilanzen? Wir haben das Problem, dass eine ganze Reihe von Banken unabhängig von ihrer Rechtsform Wertpapier- und Kreditportfolios hat, die einer immer weiter gehenden Abwertung unterworfen sind. Man muss versuchen, das denjenigen Menschen zu erklären, die mit diesen fachlichen Zusammenhängen nicht täglich zu tun haben. Warum ist das so gefährlich? Diese Portfolios unterliegen dem, was wir in der Schule erlebt haben, als die Bewertung unserer Leistungen von Drei auf Drei minus und dann auf Vier herunterging - eine Art Ratingmigration -; das heißt, man wurde immer weiter abgestuft. Mit jeder Abstufung verfressen, verfrühstücken die Banken immer mehr Eigenkapital. Das ist aus zwei Gründen hochgefährlich: Möglicherweise haben diese Banken eines Tages so wenig Eigenkapital, dass sie kurz vor der Insolvenz stehen. Dann muss die Bankenaufsicht eingreifen, dann muss sie tätig werden. Das bedeutet, dass eine solche Bank plötzlich pleite ist und buchstäblich verschwindet. Dann haben wir ein Problem. Ein noch viel größeres Problem ist aber, dass dieses Eigenkapital, das dadurch verfressen bzw. verfrühstückt wird, dass Aktiva dieser Banken immer weiter abgewertet werden, nicht mehr denjenigen zur Verfügung steht, die es in Deutschland aus konjunkturellen Gründen dringend brauchen: die Marktneulinge, der Mittelstand und die großen Unternehmen. ({6}) Sie lesen doch gelegentlich, dass große Unternehmen einen Refinanzierungsbedarf von 2, 3, 4 oder 5 Milliarden Euro haben. Dieses Geld bekommen sie aber nicht mehr. Das bekommen sie auch deswegen nicht mehr, weil sich andere europäische Banken in dieser Krise an der Konsortialfinanzierung in Deutschland nicht mehr beteiligen. Das ist der Grund, warum wir dazu beitragen müssen, dass die Bilanzen der Sparkassen, der Landesbanken, der privaten Geschäftsbanken und, wenn es sein muss, der Genossenschaftsbanken entlastet werden. Das ist der Grund. ({7}) Herr Schick, ich will gar nicht ausschließen, dass die Lage in einem halben Jahr so ist, dass wir noch einmal darüber beraten müssen. Was ich aber ausschließen möchte, ist, dass wir alle in die Sommerpause gehen, ohne einen Instrumentenkasten für den Fall zu haben, dass etwas passiert. Das ist der Grund für unser Handeln. Das müssen Sie doch allen Beteiligten sagen. Es ist kein großes Geheimnis, dass vor vier Wochen eine Landesbank in einer Situation war, in der die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, fast aufsichtsrechtlich hätte tätig werden müssen. Ich möchte ausschließen, dass die Exekutive es in der Sommerpause mit einem ähnlichen Fall zu tun hat, ohne dass ein Instrumentenkasten zur Bewältigung einer solchen Krise zur Verfügung steht. Deshalb bitte ich dringend darum, dass der Gesetzgeber in Ergänzung zu den bisherigen Beratungen diesen Handwerkskasten bereitstellt. Sonst haben wir ein großes Problem. ({8}) Mit Überraschungselementen - von hinten durch die Brust ins Auge - hat das überhaupt nichts zu tun. Was würde passieren, wenn wir im August einen solchen Fall hätten? Das frage ich auch mit einem kritischen Blick auf die Sparkassen. Der jetzige Zustand der Sparkassen ist hoch risikobehaftet. ({9}) Wenn eine Landesbank aufsichtsrechtlich jetzt ins Moratorium, in die Insolvenz gebracht würde, was würde das für die beteiligten Sparkassen bedeuten? Das würde bedeuten, dass sie ihre jeweiligen quotalen Anteile sofort abzuschreiben hätte. Ich will das nicht herbeirufen; aber ich habe einen Fall im norddeutschen Raum vor meinem geistigen Auge und sehe, was dort mit Blick auf die beteiligten Sparkassen allein in einem Bundesland alles passieren könnte. Diese Sparkassen sind schon jetzt in einer weiß Gott nicht komfortablen Position. Es ist unverantwortlich, es dabei zu belassen. Demgegenüber ist all das richtig, was der Kollege Kampeter beschrieben hat, und zwar auch hinsichtlich der Entlastung der Sparkassen. Zu dieser Einsicht kamen wir nicht zuletzt durch die Beratungen innerhalb der Koalition. Ich gebe zu: In meinem Formulierungsvorschlag waren die Haftungsbedingungen für die Sparkassen noch weitreichender. Jetzt werden sie begrenzt; sie unterliegen einer Kappung, und zwar nach der Gewährträgerhaftung, die sie am 30. Juni 2008 gehabt haben. Niemand von den Sparkassen wird darüber hinaus an weiter gehenden Verlusten quotal beteiligt. Dies ist bei den Ländern anders: Die Länder werden quotal auch über ihre jetzige Gewährträgerhaftung hinaus herangezogen, wenn etwas passiert - was hoffentlich nicht der Fall sein wird. Im Übrigen sagen einige, das sei ihnen zu wenig. Dies steht auch in einigen der jüngsten Briefe, die wir bekommen. Ich weiß, dass Sie als Abgeordnete unter massivem Druck sind durch die verschiedenen Bekannten und Freunde, die in den jeweiligen Aufsichtsräten oder Verwaltungsräten sind. Sie müssen nur wissen: Wenn diese Gewährträgerhaftung noch weiter relativiert werden sollte, müssen Sie die Frage beantworten, wer denn dann eintreten soll. Wissen Sie, wer für die Bereitstellung von weiterem Kapital oder die weitere Übernahme von entsprechenden Risiken ausgeguckt ist? Sie, der Deutsche Bundestag. Das ist doch völlig klar. Das ist wie eine Bettdecke, die hin- und hergezogen wird. Wenn andere gerne wollen, dass Ihre Füße, Ihre Knie und Ihre Oberschenkel durch die Bettdecke gut geschützt werden und sagen, sie müsse heruntergezogen werden, dann wird unser Kopf kalt; dann müssen wir zahlen. Die Bettdecke kann nur in die eine oder in die andere Richtung gezogen werden. Ich glaube, dass diese Lösung, auch bei Ergänzung einer sogenannten Überforderungsklausel für die Sparkassen, absolut verantwortlich ist. Ich will in der verbleibenden Redezeit noch einige Dinge kursorisch andeuten. Ja, wir haben, dem Beratungs- und Abstimmungsprozess der Koalition folgend, etwas getan, was ich nicht vorgesehen hatte: Wir haben auch die Möglichkeit von Landesanstalten begründet. Ich gebe zu, dass das für mich ein schwieriger Punkt ist. Warum? Weil ich die Vermutung habe, dass einige Länder die Vorstellung haben, alles so belassen zu können, wie es bisher ist. Ich hätte es lieber gehabt, wenn es bei der AIDALösung geblieben wäre, weil wir dann mit Blick auf die entsprechenden Genehmigungsschritte dahin gehend hätten Druck ausüben können, dass die zwingend notwendige Konsolidierung des Landesbankensektors in Deutschland vorangeht. Ich habe diesen Hebel nur für den Fall, dass die Landesbanken von den Bundesangeboten Gebrauch machen, aber nicht für den Fall, dass sie eine Landesanstalt unter dem jetzt geänderten Bundesrecht einrichten. Ich füge allerdings hinzu: Der Problemdruck und die Europäische Kommission werden die Länder dahin bringen. ({10}) Das heißt, wenn diese Bank, die im Augenblick nur sehr spärlich besetzt ist, die Vorstellung hätte, es bleibe auch in drei oder vier Jahren bei dem jetzigen Konstrukt der Landesbanken - die meisten von denen haben kein tragfähiges Geschäftsmodell -, dann wäre das der größte Irrtum, mit dem man sich über die jetzige Situation hinwegtäuschen würde. ({11}) Niemand kann ausschließen, dass wir im Laufe der nächsten Monate in dem einen oder anderen Fall im Bankensektor weitere Probleme bekommen. Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag mit diesem Thema mehrheitlich bisher sehr verantwortungsbewusst umgegangen ist. Ich wünsche mir gelegentlich, Herr Toncar, dass Sie nicht abschließend sagen: Dieses Gesetz wird nicht zum Erfolg beitragen. Wäre es nicht verantwortungsbewusster, wenn Sie sagen würden: „Wir wollen im Interesse des Landes alles versuchen, damit sich der Erfolg einstellt“? ({12}) Diese Tendenz - es gibt sie oft in Oppositionsreden -, eher am Scheitern orientiert zu sein, führt am Ende, wenn es schiefläuft, dazu, dass man so reagiert wie die Eltern eines Kindes, das auf eine heiße Herdplatte gefasst hat, indem man nämlich sagt: Ich habe dich doch gleich gewarnt, dass das heiß ist; es ist gut, dass du dich verbrannt hast. ({13}) Diese Haltung kommt gelegentlich zum Ausdruck. Stattdessen sollten wir bei einer solchen Frage alle motivieren, gemeinsam zum Gelingen beizutragen, weil das im Interesse dieses Landes ist. Diese Tonlage würde ich mir bei einer solchen Beratung gelegentlich wünschen. ({14}) Ich will mich abschließend namentlich insbesondere bei Herrn Schneider und bei Herrn Kampeter für sehr intensive und lange Beratungen bedanken. Es war ein schwieriger und unter Stress geführter Prozess. Ich glaube, dass dabei etwas sehr Konstruktives herausgekommen ist. Ich weiß, dass Sie einige Überzeugungen über Bord werfen mussten. Auch ich habe mich an der einen oder anderen Stelle auf Ihre Beratung einlassen wollen und müssen. Ich war sehr angenehm überrascht, dass das dann so gut gelaufen ist. Noch einmal: Ich bedanke mich ausdrücklich. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Steinbrück, wir alle sind sehr am Gelingen interessiert und wollen konstruktiv daran mitwirken. Deswegen haben wir mit diesem Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz, wie es etwas kompliziert heißt, im Wesentlichen zwei zusätzliche Instrumente geschaffen, die jetzt genutzt werden können. Erstens. Mit dem sogenannten Beibootmodell haben wir dafür gesorgt, dass die strukturierten Papiere - sie werden auch toxische oder giftige Papiere genannt - in Zweckgesellschaften ausgelagert werden können, und zwar zur Entlastung der Bilanzen, damit die Kernbanken wieder ihrem eigentlichen Kerngeschäft nachgehen können und damit ihre Handlungsfähigkeit wiederhergestellt wird. Vor allen Dingen müssen sie - das ist der Sinn der ganzen Übung - wieder in vollem Umfang in das für sie unverzichtbare Kreditgeschäft einsteigen können. Jetzt geben wir ihnen die Möglichkeit, eventuell auftretende Verluste über 20 Jahre abzuschreiben. Diese Regelung dient auch der Schonung des Steuerzahlers. Zweitens - hier hatten wir in besonderer Weise die Landesbanken im Blick - schaffen wir die Möglichkeit, Risikopositionen und möglicherweise auch strategisch nicht notwendige Geschäftsfelder in eine Anstalt auszugliedern, und zwar ohne Bewertungsabschlag; auch darauf muss einmal hingewiesen werden. Denn hier besteht - das hat der Kollege Kampeter vorhin dargelegt ein Zusammenhang zur vorgesehenen Haftungsregelung. Ich glaube, es ist nicht zu unterschätzen, dass die Ausgliederungen ohne Bewertungsabschlag vorgenommen werden können; denn dadurch werden die Institute entlastet. Danach haben sie die Möglichkeit, über einen langen Zeitraum hinweg eine Neuausrichtung vorzunehmen und ihre Bilanzen zu entlasten. Drittens. Auch wenn Minister Steinbrück bei diesem Thema zu einer etwas anderen Bewertung kommt, möchte ich sagen: Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, dafür zu sorgen, dass auch landesspezifische Lösungen vorgesehen werden können. Wir haben die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass individuelle Lösungen möglich sein werden. Dies hat zum einen zur Folge, dass der Bund nicht zur Verantwortung gezogen wird, und zum anderen, dass die Länder die Möglichkeit haben, für sich strategisch bessere Lösungen zu finden. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Länder in die Vorbereitung und in die Vorgespräche sehr intensiv eingebunden waren. Es ist nicht so, dass wir - sozusagen hermetisch abgeriegelt - dieses Gesetz erarbeitet hätten, ohne die Länder in die Vorbesprechungen und die vorbereitenden Beratungen einzubeziehen. Andere haben schon deutlich gemacht: All die Aktivitäten, die wir seit dem vergangenen Herbst zur Stabilisierung des Finanzmarktes unternommen haben, haben wir unternommen, um den Bankensektor zu stabilisieren und die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger zu sichern; sonst wären viele schlimme Entwicklungen möglich gewesen. Vor allen Dingen ging es uns darum, die Kreditversorgung der Wirtschaft sicherzustellen. Der Deutsche Bundestag handelt immer mit einem Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein. Vieles von dem, was wir tun, ist nicht populär und kommt nicht gut an, und Vorurteilen ist Tür und Tor geöffnet. Manche Themen sind allerdings nicht gerade einfach zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund ist unsere Forderung - viele andere erheben sie auch - verständlich, dass auch diejenigen, die in den Banken unmittelbar Verantwortung getragen haben und immer noch tragen, zur Verantwortung gezogen werden müssen. Natürlich gibt es in einem Rechtsstaat keine Willkür. Die Instrumente, die in einem Rechtsstaat vorhanden sind, müssen allerdings genutzt werden. Auch das gebietet die Situation. Wir erwarten, dass die von uns ergriffenen Maßnahmen nicht nur zur Stabilisierung des Bankensystems dienen, sondern vor allem auch zur Verbesserung des Kreditflusses und zur Kreditversorgung der Wirtschaft; das gilt insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand, aber natürlich auch im Hinblick auf den Privatkunden. Unsere Maßnahmen werden durch die Maßnahmen, die die Zentralbank zur Liquiditätsversorgung ergreift, ergänzt. Ich bin der Meinung, es ist einmalig, dass für 1 Prozent Refinanzierungskosten ein Jahr Liquidität ausgereicht wird. Wir erwarten, dass diese Möglichkeiten nicht für irgendwelche attraktiven Handelsgeschäfte genutzt werden, sondern dass sie genutzt werden, um die Kreditversorgung in noch höherem Maße als bisher sicherzustellen. ({0}) 1 Prozent, ein Jahr - ich glaube, das ist gut.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kalb, achten Sie bitte auf das Signal.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sofort am Ende, Frau Präsidentin. ({0}) Ich will nochmals darauf hinweisen, dass wir all dies nicht tun, weil wir besondere Sympathie für Banken oder für Bankmanager haben, sondern weil es im Interesse der Wirtschaft, im Interesse der sozialen Sicherheit und letztlich im Interesse der Menschen ist. Ich möchte zum Abschluss den amerikanischen Präsidenten, Barack Obama, zitieren, der bereits in seiner ersten Rede gesagt hat: Es geht nicht darum, Banken zu helfen; es geht darum, den Menschen zu helfen. - Das wollen wir tun. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die Unionsfraktion. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz legen wir eine weitere Ergänzung zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilität vor. Einige Redner haben uns vorgeworfen, dass wir immer neue Gesetze vorlegen. Das ist nicht so. Schon das, was wir im Herbst letzten Jahres im Rahmen des ersten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes entwickelt haben, hatte als Grundstruktur die drei Bereiche Garantien, Rekapitalisierung und Risikoübernahme. Es war damals der erklärte Wille der Politik, die ersten beiden Instrumentarien stärker zu fahren und die Frage der Risikoübernahme, weil hier die größte Gefahr einer zusätzlichen Belastung des Steuerzahlers besteht, zurückhaltend zu behandeln. Nichtsdestotrotz hat die Union rechtzeitig daran erinnert, dass wir auch einen Teil brauchen, der die Bilanzen der Banken entlastet. Neben dem Modell der sogenannten Zweckgesellschaft sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, dass sich Banken - auch im öffentlich-rechtlichen Bereich; Stichwort „Landesbanken“ - konsolidieren und aus der Konsolidierung heraus neu strukturieren. Von daher ist diese Gesetzesergänzung - nicht umsonst heißt es: Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung - ein wichtiger Beitrag, diesen Weg zu gehen. Es ist wichtig, dass wir hiermit ein Angebot unterbreiten, das auf freiwilliger Basis angenommen werden kann. Wenn wir bei den Verhandlungen über die Konsolidierungsbank, über das Konsolidierungsmodell einigen Vorstellungen unseres Koalitionspartners bzw. Herrn Schneiders gefolgt wären - es ging um die Frage einer größeren Kapitalbeteiligung des Bundes an diesen Maßnahmen -, hätten Sie, Herr Minister Steinbrück, es wieder mit einer Landesbank - für eine Landesbank haben Sie schon einmal vorübergehend Verantwortung getragen - zu tun bekommen. Davor wollten wir Sie bewahren. Wir wollten die Bereiche stärken, die sich von der Effizienz her als zukunftsweisend herausgestellt haben. Es ist kein Geheimnis, dass es bei unserem Koalitionspartner - aber auch beim Minister - Vorbehalte gab, den Weg, den wir jetzt beschreiten, zu eröffnen. Das ist auch Modellen vom Bankenverband geschuldet. All die Modelle, wie man strukturierte Papiere bankentlastend in andere Bereiche einführen kann, waren dadurch gekennzeichnet, dass dies einseitig zulasten des Steuerzahlers gegangen wäre. Von daher ist hier ein guter Weg gefunden worden. Die Union hat ihren Beitrag zu diesem Gesetz geleistet. Im ersten Gesetzentwurf war ausschließlich der erste Teil vorgesehen: die Zweckgesellschaften, in die strukturierte Produkte ausgelagert und in denen diese Produkte mit Garantien versehen werden können. Wir als Union haben darauf gedrängt, diesen Weg nur zu gehen, wenn auch der zweite Teil, die Konsolidierungsbanken, vorgesehen wird. ({0}) Wir haben diesen Weg eröffnet. Vom Kollegen Kampeter ist schon sehr vieles zur Situation der Sparkassen gesagt worden. ({1}) Ich möchte noch einmal betonen: Die Argumentation, wonach die Sparkassen durch dieses Gesetz zusätzlich belastet werden, ist schon grenzwertig. Durch dieses Gesetz werden sie nicht zusätzlich belastet. Am Status der Sparkassen und des öffentlichen Bereichs in Bezug auf die Gewährträgerhaftung, den Umfang der GewährträLeo Dautzenberg gerhaftung und die Risikobereiche wird sich durch dieses Gesetz nichts ändern. Durch diese Neustrukturierung ermöglichen wir Erleichterungen. Wenn wir nichts getan hätten - das ist betont worden -, dann wäre das den Sparkassen in kürzester Zeit im übertragenen Sinne auf die Füße gefallen, und dann wäre es unter Umständen in der Tat zu einer Kettenreaktion in diesem Bereich gekommen. Wir leisten daher einen wesentlichen Beitrag. Die Opposition hat die Möglichkeit, dem in Verantwortung beizutreten. Wir können nur empfehlen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13590, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/13156 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 66 a. Wir stimmen nun über die Entschließungsanträge ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13709? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13694? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13695? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13590 empfiehlt der Haushaltsausschuss, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung auf den Drucksachen 16/13297 und 16/13384 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 66 b. Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes. Der Haushaltsauschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13683, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12996 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 66 c. Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13679, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12885 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung wiederum die weitere Beratung. Zusatzpunkt 11: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 16/13619 mit dem Titel „Schadensersatzansprüche gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Real Estate Holding AG“. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13620 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD auf Drucksache 16/13619? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 70 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({0}), Monika Lazar, Jerzy Montag, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 16/11885 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 16/13658 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Vizepräsidentin Petra Pau Gisela Piltz Wolfgang Wieland Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings für die Unionsfraktion.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Kurz vor Toresschluss, am Ende der letzten Sitzungswoche des 16. Deutschen Bundestags, debattieren wir eine grundlegende Frage für unsere Demokratie, das Wahlrecht. ({0}) - Diejenigen, die das als eine wichtige Materie empfinden, sollten vielleicht besser zuhören, der Debatte Aufmerksamkeit widmen und nicht schon mit polemischen Zwischenrufen beginnen. ({1}) Nicht umsonst haben die Staatsrechtslehrer seit Jahrzehnten das Bundeswahlgesetz als einen der besonderen Fälle angesehen, in denen der Gesetzgeber materielles Verfassungsrecht setzt. Umso überraschender war, auch für alle Experten, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr, mit dem ein seit Jahrzehnten bekanntes Sonderphänomen unseres Wahlgesetzes, nämlich das negative Stimmgewicht, das vom selben Gericht wenige Jahre zuvor noch ausdrücklich akzeptiert worden ist, nun doch für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurde. Wenn das die Verfassungsexperten schon im letzten Jahr überrascht hat, so ist es ja wohl unvermeidlich, dass in den politischen Äußerungen bei manchen in den letzten Wochen so einiges drunter und drüber ging. ({2}) Ich möchte deshalb meine Redezeit dazu nutzen, mit einigen Legendenbildungen bzw. Fehlinformationen - fünf an der Zahl - aufzuräumen, um in diese etwas überhitzte Debatte mehr Sachlichkeit hineinzubekommen. Die erste Legende, die in den letzten Wochen vielleicht am prominentesten vertreten worden ist, bis hin zu Spitzen der SPD-Fraktion, aber vor allem von den Grünen schon seit langem, lautet, das Bundesverfassungsgericht habe Überhangmandate für verfassungswidrig erklärt. Richtig ist exakt das Gegenteil. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil Überhangmandate ausdrücklich akzeptiert. Vermieden werden muss nach diesem Urteil eben nur das Sonderphänomen des negativen Stimmgewichts. Richtig ist, dass es oft zusammen mit Überhangmandaten auftritt. Aber es gibt Lösungen, die Überhangmandate ermöglichen, ohne zu negativem Stimmgewicht zu führen. Andererseits gibt es auch ein negatives Stimmgewicht in Konstellationen, in denen gar kein Überhangmandat auftritt. Ein Regelungsversuch, wie er von den Grünen vorgeschlagen wird, der schon das Problem nicht richtig erkennt, kann natürlich unmöglich einen guten Lösungsansatz für das Bundeswahlgesetz darstellen. Schon allein aus diesem Grund können wir diesem Vorschlag nicht zustimmen. ({3}) - Sie sollten zuhören, sonst kriegen Sie nachher von mir keinen Hörerschein. ({4}) Kommen wir zur zweiten Legende. Die Grünen behaupten von ihrem eigenen Vorschlag, durch diesen könnten die Überhangmandate und damit auch das negative Stimmgewicht beseitigt werden. Richtig ist: Auch der Entwurf der Grünen kann nicht garantieren, dass kein Überhangmandat mehr entsteht. Denn nach Ihrem Gesetzentwurf besteht keine Pflicht, die Listen zu verbinden. Sie können nach wie vor getrennt werden. An der Stelle hätten Sie besser arbeiten sollen. ({5}) Selbst wenn wir die Verbindung der Listen zur Pflicht machen würden, wäre es immer noch möglich, dass sich eine Partei nach dem Erfolgsmodell der CSU in Regionalparteien aufgliedert und damit ihre Überhangmandate dauerhaft sichert. ({6}) Auch insoweit ist der Vorschlag leider eine Mogelpackung. ({7}) Kommen wir zur dritten Legende. Es wird behauptet, das negative Stimmgewicht würde im Regelfall einem taktischen Wahlverhalten Tür und Tor öffnen. Es ist richtig, dass es vor der letzten Bundestagswahl in Dresden zu einem solchen Fall gekommen ist. Das war aber ein absoluter Sonderfall. Dass die Möglichkeit genutzt wurde, das Wahlverhalten durch die Nachwahl taktisch zu beeinflussen, kam in den letzten Jahrzehnten nur ein einziges Mal in einem einzigen Wahlkreis vor. Das ist beim negativen Stimmgewicht keinesfalls der Regelfall. Wenn man das negative Stimmgewicht manipulativ oder taktisch einsetzen wollte, hieße das, dass sich Hunderttausende von Wählern bei jeder Wahl im Vorfeld genau über ihr Stimmverhalten absprechen müssten, und zwar unter Aufhebung des Wahlgeheimnisses. Dass das ein abstruses Szenario ist, sehen sicherlich alle Fraktionen dieses Hauses ein. Auch aus diesem Grunde taugt der Vorschlag nichts. ({8}) Wir kommen zu einer vierten Legende. Ebenso abstrus ist wohl die Behauptung, das Bundesverfassungsgericht selbst lege uns eine schnelle Wahlrechtsreform nahe. Es ist immer wieder gesagt worden, dass wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt schnell handeln müssten. Auch hier ist das Gegenteil richtig. Hilfreich ist ein simpler Blick auf die Randziffern 143 und 144 des Urteils. Ich darf das Bundesverfassungsgericht zitieren: Andererseits fordert der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen zustehende Gestaltungsspielraum ausreichend Zeit, um die verschiedenen Regelungsalternativen und deren Auswirkungen auf das Wahlrecht angemessen zu berücksichtigen und zu gewichten. Kurz danach heißt es: Das Gesetzgebungsverfahren muss zudem so rechtzeitig abgeschlossen sein, dass sich die Parteien bei der Aufstellung ihrer Kandidaten auf die neue Rechtslage einstellen können. ({9}) Wem das noch zu abstrakt ist, der sollte weiterlesen. Noch konkreter heißt es im nächsten Absatz: Das reguläre Gesetzgebungsverfahren müsste in diesem Fall spätestens im April 2009 abgeschlossen sein, damit das neue Recht bei den Vorbereitungen zur Wahl zum 17. Deutschen Bundestag berücksichtigt werden könnte. Wenn Sie schon keine Lust haben, das Urteil zu lesen, dann sollten Sie zumindest einen Blick in den Kalender werfen. Heute ist der 3. Juli. Die Frist des Gerichts ist seit zwei Monaten abgelaufen. ({10}) Eine überhastete Gesetzesänderung scheidet aber auch deshalb aus, weil das Verfassungsgericht dieses Urteil zum Anlass nehmen will - ich zitiere noch einmal -, das für den Wähler kaum noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzzuteilung im Deutschen Bundestag auf eine neue, normenklare und verständliche Grundlage zu stellen. Lesen Sie dagegen noch einmal Ihren eigenen Entwurf! Noch komplizierter als Sie kann man es eigentlich nicht formulieren. ({11}) Im Januar dieses Jahres hat uns das Gericht noch etwas ins Stammbuch geschrieben. Und Sie sollten möglichst alle Urteile zur Kenntnis nehmen. Seinerzeit hat das Gericht nämlich festgestellt, dass auch das Problem des doppelten Erfolgswertes von Stimmen, der in Berlin aufgrund der Erststimmenerfolge der PDS 2002 eine Rolle gespielt hat, unverzüglich gelöst werden muss. ({12}) Auch dazu halten Sie keine Lösung vor. Sie ignorieren dieses Judikat des Bundesverfassungsgerichts aus dem Januar dieses Jahres. ({13}) Wir als Union werden einem solchen juristischen und politischen Husarenritt heute nicht die Hand reichen. ({14}) Kommen wir zur fünften Legende. Es wird behauptet, der untaugliche Versuch der Grünen zur Änderung des Wahlrechts sei ein möglichst minimaler Eingriff ins Bundeswahlgesetz. Richtig ist: Sie würden das Wahlsystem grundlegend umkrempeln. ({15}) Nach Ihrem Vorschlag würde es Listenkandidaten geben, denen ein Mandat, das sie schon bekommen haben, wieder entzogen würde, um Überhangmandate in anderen Bundesländern auszugleichen. Das wäre eine Bestrafung von Landesverbänden mit guten Zweitstimmenergebnissen, und es würde die Listenkandidaten benachteiligen. ({16}) In der Anhörung haben Experten deutlich gesagt - Sie waren nicht anwesend, Frau Künast, sonst hätten Sie es vielleicht auch gehört -, dass Ihr Vorschlag aus diesem Grunde sogar verfassungswidrig, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, sei. ({17}) Zumindest wäre nach Ihrem Gesetzesvorschlag die Anfechtung der nächsten Wahl schon vorprogrammiert. Es gibt durchaus Alternativen, die wir auch schon diskutiert haben; Sie erinnern sich sicherlich daran, Herr Benneter. Ich habe beispielsweise die vom Bundesverfassungsgericht genannte Alternative der Trennung der Landeslisten aufgegriffen. Niemand in diesem Hause, außer unserer Fraktion, hat sich bisher ernsthaft mit diesem Vorschlag beschäftigt. Es ist eine taugliche Alternative mit einem geringeren Eingriff ins Bundeswahlgesetz, die - um mehr geht es mir gar nicht - ernsthaft diskutiert werden muss. Wir als Union haben erhebliche Bedenken, wenn ein Vorschlag wie der der Grünen eine regionale Ungleichheit und Ungerechtigkeit herbeiführt, wenn er dazu führt, dass einzelne Bundesländer für andere bluten müssen. Wir halten schließlich die Grünen in dieser Frage für nicht besonders glaubwürdig. Sie haben das Problem des negativen Stimmgewichts nie thematisiert, als Sie noch mit der SPD regiert haben. ({18}) Es gab damals für Sie offenbar weder ein Problem noch einen entsprechenden Antrag. Herr Kollege Benneter, Sie haben übrigens vor zwei Jahren vorgeschlagen, das Nachrücken bei Überhangmandaten zu ermöglichen. Sie wollten damals die Überhangmandate noch stärken. Ich habe Sie zusammen mit anderen Kollegen meiner Fraktion davon abgehalten. Ich bin froh, dass uns das damals gelungen ist. Wir sind heute nicht nur wenige Monate vor einer Bundestagswahl, sondern schon mitten im Wahlverfahren. Alle Kandidaten sind aufgestellt. Wer jetzt in dieses Verfahren eingreift, setzt sich dem Geruch von Manipulation aus. Ich darf abschließend die Süddeutsche Zeitung zitieren, die Anfang der Woche zu Recht schrieb: Es riecht nach Bananenrepublik, wenn in der letzten Sitzungswoche vor der Wahl eine Regierungspartei das Wahlrecht ändern möchte. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Krings, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Weil wir als CDU/CSUFraktion für eine seriöse Politik stehen, machen wir keinen Wahlkampf mit dem Wahlrecht. Sie mögen das tun; wir tun es nicht. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber eines ist klar: Meine Waden sind schöner als deine. ({0}) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns alle heute einig: Das Wahlrecht muss reformiert werden. Das ist uns allen klar. ({1}) Aber diese zwingend notwendige Reform zu einem Thema im Bundestagswahlkampf zu machen, ist nicht angemessen. Das ist aus meiner Sicht unanständig und hilft der Sache nicht im Geringsten. ({2}) Der Kollege Krings hat es schon erklärt; aber ich tue es gerne noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Überhangmandate für verfassungswidrig erklärt, sondern das sogenannte negative Stimmgewicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Ansicht wäre, dass das geltende Gesetz so schlimm ist, wie Sie behaupten, dann hätte es andere Regelungen getroffen. Ich empfehle Ihnen, sich genau anzuschauen, was am Dienstag mit dem Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag passiert ist. Es wurde gekippt. Hier gibt es eine Frist. Das ist ein Riesenunterschied, den Sie zur Kenntnis nehmen sollten. ({3}) Zwei Prinzipien hat der Deutsche Bundestag bei Änderungen des Wahlrechtes immer beachtet. Das erste Prinzip ist: keine Änderung im laufenden Verfahren. Günter Krings hat zu Recht darauf hingewiesen: Fast alle Parteien haben ihre Kandidaten aufgestellt und ihre Listen teilweise schon eingereicht. Das Verfahren läuft. Es ist nicht redlich und entspricht zumindest nicht unserem Anspruch an Rechtssicherheit, in das laufende Verfahren einzugreifen. ({4}) Das zweite Prinzip ist: In diesem Parlament war es bislang gang und gäbe, Änderungen des Wahlrechts gemeinsam zu beraten und zu beschließen. Das ist hier nicht der Fall gewesen. ({5}) Ich kann mich an keine Einladung zu einem Berichterstattergespräch über diesen konkreten Gesetzentwurf erinnern, Herr Wieland. Es ist eine Sache, wenn Rot und Schwarz das nicht auf die Reihe bekommen. Aber Sie haben uns auch nicht eingeladen. Es hat keine Berichterstattergespräche gegeben. Das ist schlechter Stil und nicht in Ordnung. ({6}) Klar ist natürlich auch, dass die sogenannte Große Koalition einen Reformvorschlag hätte vorlegen können. Das hat sie nicht getan. Weil dieses Versäumnis letztendlich beide Regierungsfraktionen betrifft, ist es doppelzüngig, dass die SPD jetzt die Welle macht. ({7}) Meine Damen und Herren von der SPD, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir nur deshalb einem Gesetzentwurf zustimmen, damit Sie uns nicht mehr irgendwelcher Motivationen verdächtigen können. Dass wir aus falschen Gründen einem taktischen Gesetz zustimmen, können Sie nicht verlangen. Das ist nicht Politik, sondern nur Wahlkampf. ({8}) Nach unserer Ansicht wäre es falsch, dem jetzigen verfassungswidrigen Zustand mit einem möglicherweise verfassungswidrigen Gesetz, wie es Ihres aus unserer Sicht ist, ({9}) zu begegnen. Ihr Gesetz löst erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel aus, die auch in der öffentlichen Anhörung nicht ausgeräumt werden konnten. So wird nach unserer festen Überzeugung der Gesetzentwurf der Grünen den Anforderungen an eine im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Überarbeitung des Wahlrechts nicht gerecht. Zwei Kernprobleme lösen Sie nach wie vor nicht. Zum einen käme es nach Ihrem Gesetzentwurf zu einer materiellen Verbindung zwischen Direkt- und Verhältnismandat, noch bevor es zu einer Sitzzuteilung an die Länder käme. Die in den Ländern erzielten Direktmandate würden bereits auf Bundesebene vom Gesamtkontingent einer Partei abgezogen und nicht, wie es bislang der Fall ist, auf Länderebene. Das erscheint auf den ersten Blick durchaus logisch. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass hierdurch besonders gute Landesergebnisse mit besonders vielen Direktmandaten benachteiligt würden. Das ist nach unserer Auffassung mit dem föderalen System nicht zu vereinbaren. ({10}) Auch das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass föderale Belange eine angemessene Differenzierung der Wählerstimmen rechtfertigen. Ehrlich gesagt: So täuschen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf die Wähler, und der Vorwurf, den Sie uns machen, fällt auf Sie zurück. Das ist von Ihrer Seite nicht redlich. ({11}) Als zweites Problemfeld - die Kollegen von der CSU mögen es mir nicht übel nehmen, wenn ich sie im Zusammenhang mit einem Problemfeld anspreche - sehen wir die Sonderstellung der CSU. Eine Kompensation auf Bundesebene kann es nämlich für die CSU nicht geben, weil sie sich bekanntlich nur in Bayern zur Wahl stellt. Das ist das eigentlich Inkonsequente in Ihrem Gesetzentwurf. ({12}) Auf der einen Seite wollen die Grünen Überhangmandate zulasten guter Landesergebnisse ersatzlos streichen, auf der anderen Seite wollen Sie Bayern außen vor lassen. Das ist doch wirklich inkonsequent, und das müssen Sie mir erklären. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, um hier und heute das geltende Wahlrecht zu ändern, hätte es eines Gesetzentwurfes bedurft, der alle Abgeordneten des Hauses gleichermaßen überzeugt hätte. ({14}) Das kann Ihr Gesetzentwurf leider nicht leisten. Ich habe vorhin schon einmal gesagt: Das gilt nicht nur für das Ergebnis, sondern Sie haben sich aus unserer Sicht noch nicht einmal ausreichend bemüht. Wir bedauern es außerordentlich, dass es uns als Parlament nicht mehr gelungen ist, vor der Wahl eine Reform hinzubekommen. Das sage ich hier ganz deutlich. ({15}) Wir hätten die Reform gerne unterstützt. ({16}) - Herr Benneter, ich kann mich an keinen Anruf von Ihnen erinnern, in dem Sie mit mir diese Wahlrechtsreform hätten besprechen wollen. ({17}) Sie haben gepennt, nicht wir. Das muss man hier einfach einmal ganz klar sagen. ({18}) Für die Bürgerinnen und Bürger wäre es besser, Sie hätten nicht geschlafen. Sie haben es aber getan. Der Gesetzentwurf der Grünen ist aus unserer Sicht nicht verfassungsgemäß. Deshalb können wir ihm leider nicht zustimmen. Vielen Dank. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Klaus Uwe Benneter das Wort. ({0})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Wahlrecht, bei dem die Zweitstimme eines Wählers für seine Partei dazu führen kann, dass die von ihm gewählte Partei ein Mandat verliert. Wir haben seit genau heute vor einem Jahr ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns zur Korrektur dieses Wahlrechts verpflichtet. ({0}) Wir haben einen Gesetzentwurf der Grünen, der diese Korrektur einfach, ohne revolutionäre Eingriffe in unser Wahlrecht, ermöglicht. Überhangmandate gäbe es dann praktisch keine mehr. ({1}) Und wir haben einen Koalitionspartner, der diese Korrektur nicht will, weil er glaubt, die Überhangmandate würden ihm nützen. Das ist die ganze einfache Wahrheit. ({2}) Sie haben gehört, was der Kollege Krings hier zum Besten gegeben hat. Er sagte, das Wahlrecht sei sensibel, man müsse die Diskussion ernsthaft führen, man müsse gründlich abwägen, alle Möglichkeiten prüfen, Respekt vor dem Wahlrecht bezeugen und dürfe nicht Hals über Kopf agieren. Das alles ist Blubber, glauben Sie mir das. ({3}) Wir haben uns unmittelbar nach dem Urteil, noch im Juli 2008, in der Sommerpause, mit dem Berichterstatter der Union und den Fachleuten des Innenministeriums zusammengesetzt. Wir wollten sofort klären, wie wir das Urteil noch in dieser Wahlperiode umsetzen können. Wir haben damals vereinbart, dass uns das Ministerium zu verschiedenen Problembereichen gutachterlich berät, was uns auch vom Ministerium selbst zugesagt worden war, und dass wir uns noch vor dem Beginn der Sitzungswochen Anfang September erneut treffen. Dieser bereits vereinbarte Termin wurde dann abgesagt - Herr Kollege Mayer, Sie erinnern sich -; „interner Abstimmungsbedarf“ wurde als Begründung angegeben. ({4}) Neue Termine konnten nicht vereinbart werden. Schließlich habe ich den Kollegen Mayer schriftlich gebeten, endlich Terminvorschläge zu übermitteln. ({5}) Ich habe nie eine Antwort oder einen Terminvorschlag bekommen. ({6}) Wir haben daraufhin intern selbst einen gut durchdachten Gesetzentwurf erarbeitet und ihn der Fraktionsführung der Union vorgelegt. Der Inhalt: parteiinterner Ausgleich und damit Abschaffung von Überhangmandaten. Am 4. März hat sich dann der Koalitionsausschuss mit diesem Thema beschäftigen müssen. Daraufhin kam es auf unser Drängen hin endlich zu einer Koalitionsarbeitsgruppe auf Führungsebene, die dann mehrfach über diesen Entwurf beraten hat. Wir sind auf die Union zugegangen. Wir hätten sogar die bayerische Sonderlösung mitgetragen. Danach hätte die CSU als Regionalpartei als einzige der Parteien noch Überhangmandate erzielen können. Wir haben sogar - sehr ungern - eine Lösung für die sogenannten Berliner Zweitstimmen vorgeschlagen, ein Herzensanliegen Ihrer Partei. Wie gesagt, wir haben alles getan, um zügig zu einer verfassungsgerechten Lösung zu kommen. Heute wissen wir: Alle diese Gespräche mit CDU und CSU waren Scheingespräche. ({7}) CDU und CSU haben keine Sekunde daran gedacht, das Wahlrecht schon für die Wahl im September verfassungsgemäß zu gestalten. Sie haben für diese Haltung keine Argumente, sondern Sie sehen nur Ihren Eigennutz. ({8}) Ich weiß, wir alle sind keine Engel. Natürlich überlegt jeder von uns, wo die Vorteile für die eigene Partei liegen. Das ist logisch und bis zu einem gewissen Grade legitim. Dass Grüne und FDP kein Mehrheitswahlrecht wollen, kann jeder verstehen. Natürlich überlegt auch die SPD, was uns eher nützen und was uns eher schaden könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krings?

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Kollege Krings. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Benneter, da Sie gerade von Vorteilen und Nachteilen solcher Regelungen gesprochen haben: Sind Sie denn bereit, auf vergangene Wahlen zurückzublicken, um festzustellen, dass die SPD seit der deutschen Einheit bis hin zu diesem aktuellen Deutschen Bundestag bei Wahlen mit Abstand mehr Überhangmandate als unsere Fraktion bekommen hat und dass das für Sie bis dahin nie ein Problem gewesen ist? ({0})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerade davon habe ich eben gesprochen. Natürlich ist es legitim, wenn Parteien darauf achten, wo sie Vorteile haben und wo nicht. Aber das geht eben nur bis zu einem bestimmten Grade. ({0}) Bei den Überhangmandaten ist es so - darauf komme ich jetzt -, dass sie schon lange in der Diskussion sind. Dass sie immer nur den großen Parteien nützen, wissen wir schon lange. Aber dass sie verfassungswidrig sind, wissen wir auf den Tag genau erst seit einem Jahr. ({1}) Deshalb möchte ich hier ganz deutlich sagen: Es gibt ganz klare Grenzen für solche egoistischen Überlegungen. Die Grenze der zulässigen Berücksichtigung eigensüchtiger Interessen wird auf jeden Fall dann überschritten, wenn wir eindeutig wissen, dass das Wahlrecht verfassungswidrig ist. Das wissen wir aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts seit einem Jahr. Die Union sagt nun, der Entwurf der Grünen sei beileibe nicht alternativlos. Man könne auch eine Reihe anderer Maßnahmen treffen, um das negative Stimmgewicht auszuschalten. Sicher gibt es theoretisch Alternativen zum Entwurf der Grünen: reines Mehrheitswahlrecht, reines Verhältniswahlrecht, Grabensystem, Wahl nach Bundesländern getrennt oder Bundeslisten. Aber alle diese Varianten sind doch chancenlos. Das wissen Sie von der Union ganz genau. Hier werden nur Nebelkerzen geworfen. ({2}) Aber das mit den Nebelkerzen funktioniert nicht. Es ist zu durchsichtig und zu fadenscheinig. Nun komme ich zu Ihrer Behauptung, jetzt sei es zu spät; 80 Tage vor der Wahl könne man das Wahlrecht nicht mehr seriös ändern. Auch das stimmt nicht. Man kann das Wahlrecht durchaus ändern; denn die Änderungen betreffen in keiner Weise, Frau Piltz, die Kandidatenaufstellung, sondern ausschließlich die Berechnungsmethode nach der stattgefundenen Wahl. ({3}) Die neuen Berechnungen sind auch mathematisch nicht schwer. Das können sogar Juristen nachvollziehen, Herr Kollege Krings. Und die Software beim Bundeswahlleiter kann dazu auch noch schnell geschrieben werden. Das schaffen wir in Deutschland. Nun zu der Frage der Union, warum diese Eile erforderlich sei; das Bundesverfassungsgericht habe uns doch Zeit bis 2011 gelassen. Das stimmt, das hat das Bundesverfassungsgericht getan. Ursache ist vielleicht ein schlechtes Gewissen des Gerichts, das besser schon vor zwölf Jahren Gerhard Schröder hätte recht geben sollen. Schröder ist als Ministerpräsident von Niedersachsen 1996 mit sehr guten Gründen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, weil er schon vor über zehn Jahren die Überhangmandate im Bundeswahlrecht für verfassungswidrig hielt. In einer knappen Vier-zu-vierEntscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Überhangmandate für zulässig erklärt. Jetzt hat sich herausgestellt, dass Gerhard Schröder von Anfang an recht hatte. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Königshaus?

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte, Herr Kollege Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Benneter, verstehe ich Sie richtig, dass Sie sehenden Auges einen verfassungswidrigen Zustand beibehalten wollen? Sie reden zu einem Antrag der Grünen, der nach Ihren Ausführungen geeignet ist, einen Verfassungsbruch zu verhindern, beabsichtigen aber offenkundig, ihm nicht zuzustimmen. Könnten Sie uns das erklären? ({0})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Königshaus, ich bin gerade dabei, Ihnen klarzumachen, dass gerade Ihre Partei heute die Chance hätte, nicht nur in einer Großen Anfrage die Grundrechte aufzurufen und zu sagen, dass Sie die Bürgerrechtspartei sind. Hier könnten Sie zeigen, dass es Ihnen wirklich um die Rechte der Bürger geht. ({0}) Wie gesagt, jetzt hat sich herausgestellt, dass Gerhard Schröder von Anfang an recht hatte. Es scheint ja offensichtlich sein ganz besonderes Problem zu sein, dass sich immer erst hinterher, erst sehr spät herausstellt, wie gut er war und wie recht er hatte. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls die Frist bis 2011 mit der Komplexität des Regelungsauftrags und der Schwierigkeit, die Berechnung der Sitzzuteilung auf eine verständliche Grundlage zu stellen, begründet. Wir wissen aber inzwischen, dass wir mit einer kleinen Gesetzesänderung das negative Stimmgewicht ausschalten und die Berechnung der Sitzzuteilung klar und für jedermann nachvollziehbar regeln können. Es gibt also in der Sache kein ernsthaftes Argument gegen die Abschaffung der Überhangmandate. Es gibt keine ernsthaften Alternativen dazu, und die Zeit für eine Änderung würde bei einem gemeinsamen Vorgehen auch noch reichen. Es ist gute Tradition dieses Hauses - die Kollegin Piltz hat bereits davon gesprochen -, dass Wahlrechtsänderungen gemeinsam besprochen und von allen mitgetragen werden. Dass die Union solche Gespräche ernsthaft nie geführt hat, ist nicht in Ordnung. Das ist ja auch in ihren eigenen Reihen aufgefallen. Der Bundestagspräsident hat offen erklärt, er würde eine Wahlrechtsänderung noch in dieser Legislaturperiode begrüßen. Und der Bundesinnenminister - heute Herr Altmaier ({2}) hat erklärt, er würde das Parlament fachlich dabei gerne unterstützen. Übrigens, auch die FDP verweigert sich jetzt. ({3}) Sie möchte gerne Arm in Arm mit der Union in eine neue schwarz-gelbe Zukunft spazieren, auch wenn diese dann auf verfassungswidrigen Füßen stehen sollte. ({4}) Das ist schon ganz schön sonderbar. Ich kenne die FDP als eine Partei, die die Bürgerrechte immer gerne hochhalten will. ({5}) Dass sie hier beim Wahlrecht, einem ganz grundlegenden Recht der Bürger, nicht darauf drängt, dass die Verfassung schnellstmöglich eingehalten wird, verträgt sich nicht mit dem Bild einer Bürgerrechtspartei. ({6}) Herr Stadler, gerade Sie haben heute Morgen andere beschimpft, weil sie angeblich sehenden Auges verfassungswidrige Gesetze beschließen würden. ({7}) - Es ist Ihre Auffassung, dass es verfassungswidrige Gesetze seien. - Von dem, was wir hier machen, wissen wir, dass es verfassungswidrig ist, ({8}) und Sie verweigern sich. Das ist doch bigott. Scheinheiliger als so, wie sich die FDP hier verhält, geht es doch überhaupt nicht mehr. ({9}) Die Grünen sagen nun: Liebe SPD, ihr könnt das verhindern. Ihr braucht nur unserem Gesetzentwurf zuzustimmen, ({10}) dann ist alles paletti. - Wir wissen: Dann ist nichts paletti. - Das wissen auch Sie. Wenn wir so verfahren, wird der Bundesrat - über die Landesregierungen, an denen Union und FDP beteiligt sind - den Vermittlungsausschuss anrufen und dann das Verfahren über Vertagungsanträge lahmlegen. Eine Wahlrechtsänderung ist in dieser Situation nur mit der Union möglich. Das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen; das ist nun mal so. Wir sind der Koalition nicht mehr verpflichtet als der Verfassung - das Gegenteil wird uns ja vorgehalten -, aber wir sehen die realen Machtverhältnisse, und um die geht es. ({11}) CDU und CSU verweigern sich hier der notwendigen Korrektur aus ganz egoistischen Motiven. Dieses Verhalten - das will ich Ihnen einmal sagen - ist einer demokratischen Partei unwürdig. ({12}) „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, sagt das Grundgesetz, und das Wahlrecht stellt sicher - dazu ist es da -, dass das Parlament mit dieser Legitimation arbeiten kann. Nur die demokratische Wahl gibt uns das Recht, eine Regierung zu bestimmen und Gesetze zu beschließen, die für alle gelten. Dass diese Legitimation zweifelsfrei besteht, muss das gemeinsame Anliegen aller Demokraten und jedes einzelnen Parlamentariers hier im Hause sein. Das nächste Parlament wird nach einem in der Sache verfassungswidrigen Wahlrecht gewählt werden. Das macht auf die Bürgerinnen und Bürger zu Recht einen verheerenden Eindruck. Schuld daran haben allein CDU, CSU und FDP. ({13}) Sie versündigen sich mit Ihrer Haltung „Erst die Partei und dann das Land“ an einem ganz grundlegenden Demokratieprinzip. Das wird Ihnen noch ganz schön lange nachhängen. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Krings, zu Ihren Bemerkungen, was die Ungerechtigkeit des Wahlausgangs 2002 anbetrifft, will ich Ihnen eines sagen: Die Kolleginnen Petra Pau und Gesine Lötzsch hatten so viele Stimmen, wie dies sehr viele in diesem Plenum nicht hatten. ({0}) Insofern war es sehr gerecht, dass die beiden hier gesessen haben. Sie haben tapfer gekämpft. Richtig ist: Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2008 entschieden. Darauf ist schon hingewiesen worden. Wir begehen heute den ersten Jahrestag. Richtig ist auch: Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bis 2011 Zeit gelassen. Aber bei gutem politischen Willen wäre es möglich gewesen, zu einer Neuregelung noch in dieser Wahlperiode zu kommen. Diesen guten politischen Willen spreche ich einer Mehrheit in diesem Hohen Hause ab. Kollege Benneter, was Sie hier machen, ist scheinheilig. ({1}) Sie halten eine Rede für die Änderung des Wahlrechts. Sie halten de facto eine Rede für diesen Gesetzentwurf. Wir wissen aber ganz genau: Sie werden gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. - Das ist scheinheilig hoch drei. Sie wollten die Änderung nicht. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass das negative Stimmgewicht, das dort entsteht, den Wählerwillen tatsächlich deutlich verfälschen kann. Ich finde, das ist ein eindeutiges Warnsignal an die Politik. Aber die Koalition hat keinen Bedarf für eine Änderung gesehen. Die internen Gespräche, die Sie angeblich geführt haben, helfen auch nicht darüber hinweg. Der Bedarf ist nicht erkannt worden. Hier ist nicht gehandelt worden. Die Linke hat eine gesetzliche Neuregelung noch in dieser Wahlperiode gefordert. Die Grünen haben einen Entwurf eingebracht. Wir unterstützen ihn. Natürlich wissen auch wir, dass es noch offene Fragen gibt. Ein Problem ist die CSU, wenn es um Ausgleichsmandate geht; das ist angesprochen worden. ({3}) - Die CSU ist so und so ein Problem; da haben Sie vollkommen recht. ({4}) In dieser Frage ist sie es natürlich auch. Wir hatten die Zeit, darüber zu reden, und es gab auch Vorschläge, wie man das Problem im Hinblick auf die CSU lösen kann. Das wäre also durchaus möglich gewesen. Wenige Wochen vor der Wahl ist die SPD aufgewacht oder - anders gesagt - aufgeschreckt. Professor Behnke von der Universität Friedrichshafen hat eine Modellrechnung aufgemacht. Er hat auf Grundlage der Umfragewerte einmal ausgerechnet, was an Direktmandaten und an Überhangmandaten entstehen würde. Das Ergebnis war zumindest für die SPD erschreckend oder - wie man heute erkennen kann - aufschreckend. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein schlechtes Wahlergebnis der SPD zustande kommt, was zu deutlich weniger Direktmandaten für die SPD, mehr Direktmandaten für die CDU und damit auch zu mehr Überhangmandaten für die CDU als bisher führt. Damit ist eine Mehrheit für Schwarz-Gelb allein durch Überhangmandate möglich. Die CDU lacht sich ins Fäustchen, und die FDP hält, wie wir heute mitbekommen haben, aus gutem Grunde still, denn sie will in die Regierung. Ob das nur mit Überhangmandaten geht oder anders, ist ihr egal. ({5}) - Ich nicht, aber es gibt Leute, die das sehr genau berechnet haben. - Jetzt gibt es eine öffentliche Debatte, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es künftig so etwas wie ein taktisches Wahlverhalten gibt, worauf Schwarz und Gelb durchaus setzen könnten. Die SPD hat heute viel Lärm um nichts gemacht. Sie lehnen den Gesetzentwurf ab, und es war ein unwürdiges Schauspiel, was Sie in den letzten Wochen aufgeführt haben. Erst wollten Sie das Wahlrecht ändern, dann haben Sie den Schwanz eingekniffen, und heute werden Sie dagegen stimmen. Das ist unwürdig und hat mit Demokratie überhaupt nichts zu tun. ({6}) Wir hatten die Zeit, das Wahlrecht gemeinsam zu ändern, aber das war nicht gewollt. Jetzt müssen Sie mit den Folgen leben. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Stephan Mayer das Wort.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Benneter, erlauben Sie mir, nachdem Sie mich persönlich angesprochen haben, zu Ihrem Vorwurf Stellung zu beziehen, wir als CDU/CSU-Fraktion und insbesondere ich als Berichterstatter für das Wahlrecht hätten uns Ihrem Gesprächsangebot entzogen. Ich finde Ihre Einlassung insbesondere vor dem Hintergrund bedauerlich, dass wir das Bundeswahlgesetz in dieser Wahlperiode konstruktiv und größtenteils einvernehmlich gemeinsam novelliert haben. Ich warte aber nach wie vor auf Ihre konkreten Vorschläge und konzeptionellen Überlegungen hinsichtlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes von vor einem Jahr. Sie haben kein einziges Mal das Gespräch mit mir gesucht, obwohl Stephan Mayer ({0}) es dazu am Rande jeder Innenausschusssitzung in jeder Sitzungswoche genügend Gelegenheiten gab, um mir Ihre ganz konkreten Überlegungen an die Hand zu geben, wie wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen sollten. Ihrerseits kam kein einziger konkreter Vorschlag. Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode haben Sie sich jetzt einfach an den Rockzipfel der Grünen-Fraktion gehängt und sich ihrem Gesetzentwurf angeschlossen. ({1}) Herr Kollege Benneter, ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, dass es einfach nicht zutrifft, dass wir die Bundestagswahl am 27. September 2009 unter verfassungswidrigen Umständen durchführen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Jahr besagt ganz klar, dass wir einen Umsetzungsspielraum bis zum 30. Juni 2011 haben. Wir wissen jetzt also so sicher wie bei keiner Bundestagswahl zuvor, dass die Bundestagswahl unter vollkommen verfassungsgemäßen Rahmenbedingungen stattfinden wird. Ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort, Kollege Benneter.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mayer, das Einzige, was wir wissen, ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des Bundeswahlgesetzes, unter dem gewählt werden soll, nicht beanstanden wird. Aber dass das Gesetz in der Sache verfassungswidrig bleibt, habe ich in meinem Beitrag klar genug gemacht. Angesichts dessen, was Sie zu den Abläufen sagten, frage ich mich schon, wie Sie mit der Wahrheit umgehen. ({0}) Wir haben Ihnen einen ausformulierten Gesetzentwurf vorgelegt, und zwar schon vor geraumer Zeit, ({1}) in dem wir dargelegt haben, wie man mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vernünftig umgehen kann. Ich hatte hier ja schon die Abläufe dargestellt. Sie waren doch derjenige, der mit mir noch in der Sommerpause des letzten Jahres einen Termin ausgemacht hatte, dann aber diesen Termin mit ganz fadenscheinigen Ausflüchten hat platzen lassen. So sagten Sie, es gebe noch internen Gesprächsbedarf. Natürlich haben wir das erst einmal akzeptiert. Den ganzen Winter über habe ich dann aber darauf gedrängt, dass ein Gespräch stattfindet. Erst im März ist es dazu gekommen, als sich der Koalitionsausschuss damit befasst hat. Ihre Partei musste dazu gedrängt werden, dass wenigstens eine Arbeitsgruppe auf der Ebene der Parlamentarischen Geschäftsführer eingerichtet wird. ({2}) Das ist die Situation. Sie haben eine Novellierung verhindert. Wir hätten längst gemeinsam etwas machen können. Wir könnten auch heute noch gemeinsam etwas machen. Das geht aber nur zusammen. Wenn die CDU/ CSU nicht mitmacht, dann ist das verlorene Liebesmüh. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Wolfgang Wieland das Wort. ({0})

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Benneter, Ihre Rede hat mir richtig gut gefallen. ({0}) Sie sagten, Sie wurden hingehalten. Kollege Hartmann hat etwas süffisant gesagt, die SPD habe dabei mitgemacht, weil ihr etwas in Aussicht gestellt worden sei; in Wirklichkeit habe es sich um Scheinverhandlungen gehandelt. Sie haben zu Recht gesagt, das Ganze ist vom Bundesverfassungsgericht eindeutig als verfassungswidrig beurteilt worden. Nun sagen Sie als Begründung dafür, warum Sie dem Antrag der Grünen nicht zustimmen wollen, nachdem das Ihr Kollege Müntefering und Ihr Kollege Struck noch vor wenigen Wochen angekündigt hatten und Thomas Oppermann das sogar noch am Montag dieser Woche mit den Worten: „Wir werden zustimmen“, bestätigte, ({1}) dass sich auf einmal eine andere Mehrheit im Bundesrat ergeben habe und dass das deswegen nicht mehr ginge. Das ist nicht überzeugend. Sie haben gut gebrüllt - es war alles richtig, was Sie hier gesagt haben -, nun müssen Sie auch zubeißen. Das erwarten wir von Ihnen. ({2}) Natürlich hat jeder hier im Saal beim Wahlrecht Interessen. Das ist gar keine Frage. Auch wir haben Interessen. ({3}) Aber darum geht es nicht. ({4}) Wir sind eine kleine Partei ({5}) - alles ist relativ, auch das -, die in absehbarer Zeit nicht allzu viele Überhangmandate erringen wird. Der FDP geht es genauso. Aber sie nimmt ja sogar Rücksicht auf die Überhangmandate des potenziellen Koalitionspartners. Das muss man sich einmal vorstellen. ({6}) Diese selbst ernannte Rechtsstaatspartei erklärt durch Frau Piltz: Man habe auf einen Telefonanruf gewartet. Wir haben Ihnen sogar einen Antrag geschickt, Frau Piltz. Es kam aber überhaupt keine konstruktive Kritik, es kam gar nichts. Der Kollege Burgbacher hat am Tag der Urteilsverkündung gesagt, das Parlament müsse schnell beraten. Da frage ich mich: Wo waren denn die FDP-Beiträge bei den Beratungen im Innenausschuss und in den Anhörungen? Sie haben mit fadenscheinigen Argumenten versucht, unseren Antrag madig zu machen, aber Eigenes haben Sie nicht geleistet. Ihr Fraktionsvorsitzender Westerwelle hat das auch erklärt. Er hat wörtlich gesagt: So eine hochkomplizierte Reform könne man nicht übers Knie brechen. - Es ist völlig eindeutig: In dieser Frage geht Ihnen Macht vor Verfassungstreue. Das halten wir fest. ({7}) Sehenden Auges mit einem verfassungswidrigen Wahlrecht in eine Wahl zu gehen, ist eines Rechtsstaates unwürdig. Das ist auch respektlos vor den Wählerinnen und Wählern. ({8}) Professor Meyer, der frühere Präsident der HumboldtUniversität, hat in der Anhörung - ich gebe zu: sehr zornig; aber da kann man auch sehr zornig sein - Folgendes gesagt: Alle diese Dinge wie Kinderwahlrecht und Sonstiges kann man machen, aber es geht nicht darum, was man machen kann, sondern dass man verhindern muss, dass nach einem Wahlrecht gewählt wird, das so katastrophal ist, dass es kein Wahlrecht mehr ist. Wörtlich sagte er weiter: Da sitzen Sie ein ganzes Jahr herum und tun nichts, … Auch heute wollen Sie herumsitzen und nichts tun. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({9}) Ich bin nicht der Erste, der in dieser Debatte redet. Niemand hat bisher das Urteil zitiert. Deswegen trage ich es noch nach in dieser Debatte. Zitat aus der Entscheidung: Der Effekt des negativen Stimmgewichts beeinträchtigt die Stimmengleichheit bei der Wahl zum Deutschen Bundestag in eklatanter Weise. … Ein Wahlsystem, das … in typischen Konstellationen zulässt, dass ein Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führt oder dass für den Wahlvorschlag einer Partei insgesamt mehr Mandate erzielt werden, wenn auf ihn selbst weniger oder auf einen konkurrierenden Vorschlag mehr Stimmen entfallen, führt zu willkürlichen Ergebnissen und lässt den demokratischen Wettbewerb um Zustimmung bei den Wahlberechtigten widersinnig erscheinen. Der von Ihnen benannte Sachverständige Mahrenholz, der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, hat zu Recht gesagt, „willkürlich“ sei das schärfste Verwerfungsprädikat, das dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung stehe. Er hat gesagt: Zusammengefasst: Die Art. 38 und 39 GG sind im Sinne zwingenden Rechts dahin auszulegen, dass nach dem gegenwärtigen Wahlrecht im September nicht gewählt werden darf. Setzen Sie sich doch bitte mit diesen Ausführungen auseinander und lassen Sie Ihren richtigen Worten hier auch Taten folgen. ({10}) Jetzt noch zu den Einwänden, die hier gerade absurderweise von Frau Piltz kamen und auch im Innenausschuss von Frau Köhler vertreten wurden. Sie sagten, wir hätten das Problem der CSU nicht gelöst. ({11}) - Ja, wir haben es nicht gelöst. Was Sie als CDU in 60 Jahren nicht geschafft haben, haben wir in sechs Monaten nicht geschafft. Das geben wir zu. Aber werfen Sie es doch nicht uns vor. ({12}) Nun zum Stimmensplitting. Dass nun auf einmal das Problem des Splittens der Stimmen an den Stimmen der Linkspartei festgemacht wird, ist doch völlig absurd. Keine Wählerschaft wählt so konstant ihre Partei wie die Partei, deren Vorsitzender Walter Ulbricht hieß. Wenn man ihnen sagt, wie ihre Partei gerade heißt, dann wählen sie sie auch. ({13}) Hier nun zu sagen, die Wähler der Linken würden besonders viel splitten und dies stelle ein Problem dar, ist doch absurd. Das ist doch aberwitzig! ({14}) Eine abschließende Bemerkung.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Es ist unbedingt erwünscht und bei gutem Willen auch möglich, die Regelung des Wahlrechts noch rechtzeitig zu korrigieren … Deswegen fordern wir Sie ernsthaft auf: Zeigen Sie diesen guten Willen. Belasten Sie die Wahl am 27. September nicht mit einem - so wörtlich - dezidiert willkürlichen und widersinnigen Wahlrecht. Stimmen Sie unserem Gesetzestext zu. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Wolfgang Götzer das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, welch hohe Wellen dieses Thema in den letzten Wochen und gerade auch in den letzten Tagen schlägt. Es wird geradezu ein Horrorszenario an die Wand gemalt und von verfassungswidrigen Wahlen gesprochen. So kann man ein Thema natürlich hochziehen. Dabei geht es darum, ein Problem zu lösen, mit dem unsere Demokratie weit über 50 Jahre verfassungsrechtlich und politisch problemlos gelebt hat. Niemand kann doch seriöserweise behaupten, dass bisherige Parlamentsmehrheiten und Regierungen in der Geschichte unseres Landes unter mangelnder Verfassungslegitimität gelitten hätten oder gar undemokratisch zustande gekommen wären und die Wählerschaft nicht korrekt widergespiegelt hätten. Insofern meine ich, dass man die Kirche im Dorf lassen sollte. Zudem möchte ich anmerken, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2008 nicht etwa die Überhangmandate an sich für verfassungswidrig erklärt hat. ({0}) Vielmehr hat es nur ({1}) einen Verstoß gegen Art. 38 Grundgesetz angenommen, soweit durch einzelne Vorschriften des Bundeswahlgesetzes ein negatives Stimmgewicht ermöglicht wird. Man kann dies augenscheinlich nicht oft genug sagen. Lieber Herr Kollege Benneter, ich bin fast schon ein bisschen traurig darüber, dass Sie das Urteil offensichtlich bis heute nicht verstanden haben. ({2}) Auch Sie haben die meiste Zeit von Überhangmandaten, die verfassungswidrig seien, gesprochen. ({3}) Aber genau das ist nicht Inhalt des Urteils von Karlsruhe. ({4}) Es ist im Übrigen gar nicht klar, ob ein solches negatives Stimmgewicht bei der nächsten Wahl überhaupt eintritt. Ich denke also, wir sollten in dieser angeheizten Debatte einen kühlen Kopf bewahren. Karlsruhe hat sogar sein ausdrückliches Plazet dafür gegeben, dass die bevorstehende Bundestagswahl noch nach geltendem Recht durchgeführt wird. Eine größere Legitimierung für das Prozedere bei der Bundestagswahl am 27. September hat es noch nie gegeben. ({5}) Selbstverständlich werden wir den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllen. Hierzu gibt es aber verschiedene Möglichkeiten, die wir erst gründlich und ausführlich diskutieren müssen. Eines dieser Denkmodelle ist, Überhangmandate vor der endgültigen Unterzuteilung zu verrechnen, wovon offensichtlich der Gesetzentwurf der Grünen ausgeht. Allerdings ist er so schwer lesbar, in sich widersprüchlich und wohl auch verfassungswidrig, dass er einfach nicht brauchbar ist. Ein anderes Modell wäre die Trennung der Listen. Das hätte den Charme einer nur geringfügigen Gesetzesänderung mit nahezu unverändertem Wahlrecht. Es gibt noch weitere Modelle, weshalb ja auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung am Ende davon spricht, dass die Alternativen vom Parlament in der gebotenen Weise bedacht und erörtert werden sollten. Die Abwägung von Alternativen ist ein Grund dafür, warum das Bundesverfassungsgericht uns eine Nachbesserungsfrist bis über die kommende Wahl hinaus, nämlich bis zum Jahr 2011, also bis zur Mitte der nächsten Wahlperiode, gewährt hat. Allein das ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass wir nichts überstürzen sollten. Der Hauptgrund für diese großzügige Nachbesserungsfrist ist die „hohe Komplexität des Regelungsauftrages“, die es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „unangemessen“ erscheinen lässt, „dem Gesetzgeber aufzugeben, das Wahlrecht rechtzeitig vor Ablauf der gegenwärtigen Wahlperiode zu ändern“. ({6}) Das Gericht selbst sagt, es sei unangemessen, dieses Verfahren im Schweinsgalopp durchzuziehen. Die Änderung des Wahlrechts ist eben nicht so einfach, wie es manche uns glauben machen wollen. Die lange Übergangsfrist hat das Gericht allerdings mit der Auflage verbunden, das für den Wähler kaum noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht - man kann schon sagen: Dickicht - der Berechnung der Sitzzuteilung auf eine neue, normenklare und verständliche Grundlage zu stellen. Das heißt im Klartext: Wir sind aufgefordert, vom Bürokratendeutsch Abstand zu nehmen und lesbare und verstehbare Vorschriften zu erlassen. Beim Gesetzentwurf der Grünen, über den wir heute abstimmen, ist das, mit Verlaub gesagt, ganz sicher nicht der Fall. Ich nenne einen weiteren sehr wichtigen Gesichtspunkt für eine parlamentarische Beratung ohne Zeitdruck. Das Wahlrecht ist für unseren Staat, für unsere Demokratie und die Menschen, die über die Zusammensetzung dieses Parlaments entscheiden, von so elementarer Bedeutung, dass es nicht nur auf die Lesbarkeit und Verständlichkeit der einzelnen Vorschriften ankommt. Es ist von sehr großer Wichtigkeit - auch das ist heute schon angesprochen worden -, dass jede Änderung des Wahlrechts von einer großen Zustimmung im Parlament getragen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Götzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider?

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Herr Kollege, Sie sollten zuhören, wenn es um Demokratie und Wahlrecht geht. Das schadet Ihnen ganz bestimmt nicht. ({0}) Es war bisher in diesem Hause guter Brauch, Wahlrechtsänderungen in möglichst breitem Konsens zu beschließen. Deshalb verwundert es doch sehr, dass sich die Grünen von dieser guten und wichtigen Tradition - warum auch immer - abwenden wollen. Es gibt noch einen Grund - auch der ist schon angesprochen worden -, warum eine Wahlrechtsänderung zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll ist. Die Zeit für eine Umsetzung reicht einfach nicht mehr. Das Bundesverfassungsgericht selbst hielt die hierfür nötige Deadline bereits mit dem 30. April für überschritten. Lassen Sie mich summa summarum sagen: Eine so kurzfristige, nach erfolgter Aufstellung der Kandidaten und mitten im Wahlkampf über das Knie gebrochene Wahlrechtsänderung wird dieser höchst sensiblen Materie nicht gerecht und trägt den Makel eines Manipulationsversuchs auf der Stirn. ({1}) Einem solchen Vorwurf sollten wir uns gar nicht erst aussetzen. Wir werden uns deshalb nach der Konstituierung des 17. Deutschen Bundestages zügig zusammensetzen und anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts das Wahlrecht anpassen. Hierzu gehört im Übrigen auch die Einbeziehung einer weiteren Karlsruher Entscheidung, nämlich der vom Januar dieses Jahres über die sogenannten Berliner Zweitstimmen. Das können wir alles in der 17. Wahlperiode ohne Druck und ohne Wahlkampf zum Wohle des Parlaments und zum Wohle unserer Demokratie machen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Volker Schneider das Wort. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Ich komme nur dem Wunsch des Kollegen Dr. Götzer nach. Ich bin in meiner Wissbegierde hinsichtlich Demokratie kaum noch zu befriedigen. Da Sie mir leider keine Zwischenfrage gestattet haben, muss ich zur Möglichkeit einer Kurzintervention greifen. Sie haben davon gesprochen, dass das vorliegende Gesetz im Schweinsgalopp durchgepeitscht werden soll. Man solle das Ganze lieber nach der Wahl am 27. September in Ruhe machen. Zunächst einmal habe ich ein rechnerisches Problem damit, festzustellen, was der Unterschied ist zwischen dem Zeitraum, den Sie vor der Wahl zur Verfügung hatten, in dem Sie das ja hätten machen können, und dem Zeitraum nach der Wahl. Das ist kein so großer Unterschied, dass ich das eine Verfahren als Schweinsgalopp bezeichnen würde. Das eine ist ein solcher Schweinsgalopp wie das andere. ({0}) Das Zweite, was mich wirklich brennend interessiert, ist Folgendes: Ihnen ist das Ganze jetzt zu kompliziert. Sie müssen mir einmal ganz genau erklären, wie sich das damit vereinbaren lässt, dass Sie in einem ungleich kürzeren Zeitraum das ungleich kompliziertere Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag auf den Weg bringen wollen, und zwar wirklich im Schweinsgalopp. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Götzer, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich brauche zur Antwort nur auf den Text des Urteils zu verweisen. Daraus geht klipp und klar hervor, dass selbst das höchste deutsche Verfassungsgericht diesen Zeitraum für unangemessen gehalten hat. Es hat uns genügend Zeit eingeräumt, damit wir diese Sache nach der Wahl angehen können. Das habe ich gesagt. Ich wiederhole das gerne für Sie. Vielleicht lesen Sie das Urteil einmal in einer ruhigen Stunde durch. Das hilft weiter. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Mir liegen zahlreiche Erklärungen aus der SPD-Frak- tion und eine Erklärung aus der Unionsfraktion nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) ({0}) Wir nehmen sie entsprechend unserer Geschäftsordnung zu Protokoll. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13658, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11885 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, und ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu überprüfen, ob Ihr Name auf der Ab- stimmungskarte steht. - Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? - Ich eröffne die Abstim- mung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, dass seine Stimme noch nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir setzen die Beratungen fort, sobald alle Kolleginnen und Kollegen den Beratungen folgen können. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 68 a bis 68 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Volker Schneider ({2}), Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Altersrente - Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen - Drucksachen 16/12295, 16/12737 - Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider ({4}), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die gesetzliche Rentenversicherung zur solida- rischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen - Drucksachen 16/6440, 16/11445 - Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf 1) Anlagen 2 und 3 2) Ergebnis 26164 D c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider ({6}), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Solidarausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen stärken - Drucksachen 16/7038, 16/10335 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß ({7}) Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Altersrente - Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen“ werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gregor Amann für die SPD-Fraktion. ({8})

Gregor Amann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003731, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der - zumindest vorläufig - letzten Plenarsitzung des Bundestags sprechen wir noch einmal über das Thema Rente und Altersvorsorge. Das ist auch gut so. Das ist ein wichtiges Thema, nicht nur, weil 20 Millionen Menschen in diesem Land eine Rente beziehen, sondern auch, weil es 35 Millionen Versicherte gibt, die einzahlen. Wie wir mit Menschen umgehen, die im Alter über kein eigenes Einkommen mehr verfügen, ist ein Gradmesser dafür, wie sozial und solidarisch eine Gesellschaft ist. Ich sage Ihnen auch: Als Sozialdemokrat bin ich durchaus dankbar, drei Monate vor der Bundestagswahl noch einmal über dieses Thema diskutieren zu können. Denn Rentenpolitik ist bei Sozialdemokraten in den letzten zehn Jahren in guten Händen gewesen, ({0}) bei sozialdemokratischen Arbeitsministern von Walter Riester bis Olaf Scholz. Was ist eine gute Rentenpolitik? Man kann sie an drei Kriterien messen. Das erste Kriterium ist das Versorgungsniveau der Ruheständler, also die Rentenhöhe und die Einkommenssituation. ({1}) - Ich gehe gleich darauf ein, Herr Schneider. - Das zweite Kriterium ist die Belastung für die arbeitende Bevölkerung, also die Beitragshöhe. Das dritte Kriterium ist die langfristige finanzielle Stabilität des Rentensystems. ({2}) Alle drei Kriterien, die sich zum Teil widersprechen, müssen gemeinsam betrachtet werden. Nur in einer Balance aller drei Kriterien lässt sich eine gute Rentenpolitik beurteilen. Manche Parteien betreiben Klientelpolitik und versuchen, einem einzigen dieser Kriterien gerecht zu werden; ich denke gerade an die Anträge der Linken, könnte aber auch in die andere Richtung dieses Hauses schauen. Das reicht nicht, um eine gute Rentenpolitik zu machen. ({3}) Die sozialdemokratische Rentenpolitik der letzten zehn Jahre hat eine gute Balance gefunden. Das zeigt auch das internationale Lob. Ich erinnere nur an die Aussagen vonseiten der OECD. ({4}) Lassen Sie mich auf die drei Kriterien im Einzelnen eingehen. Erstens: zum Versorgungsniveau. Sowohl im historischen als auch im geografischen Vergleich steht Deutschland sehr gut da. ({5}) Die Altersarmut ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland weitgehend verschwunden. „Weitgehend“ heißt nicht, dass es nicht auch in Deutschland ältere Menschen gibt, die in Armut leben. Aber insgesamt sind nur 2,4 Prozent der Menschen in diesem Land auf die Grundsicherung angewiesen. ({6}) Das ist ein großer Erfolg unseres Sozialstaates. ({7}) Natürlich wird häufig eingewandt, dass das Rentenniveau in den letzten Jahren gesunken ist. Dieser Schritt war völlig richtig und politisch gewollt. ({8}) - Vor der demografischen Entwicklung können auch Sie nicht die Augen verschließen. - Wir haben allerdings Folgendes getan: Wir haben die Senkung des Rentenniveaus durch die Einführung und Stärkung der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge, der Riester-Rente und der betrieblichen Altersvorsorge, kompensiert. ({9}) Zum 1. Juli 2009 sind die Renten im Westen um 2,41 Prozent und im Osten um 3,38 Prozent gestiegen. Diese Rentenerhöhung ist für den Westen die größte seit 1994, also seit 15 Jahren, und für den Osten seit 1997. Wenn man die Senkung des Beitragssatzes zur Krankenversicherung, die wir im Rahmen des Konjunkturprogramms beschlossen haben und von der ebenfalls zum 1. Juli dieses Jahres auch die Rentner betroffen sind, mitberücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Rentner in Deutschland ab Juli dieses Jahres insgesamt 5,6 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben. ({10}) All das haben wir getan, während in den USA viele Millionen Rentner ihre Altersvorsorge, die in Pensionsfonds angelegt war, verloren haben. ({11}) Jetzt will ich noch etwas zum Nachhaltigkeitsfaktor sagen - wenn es um das Rentenniveau geht, spielt er nämlich eine Rolle -: Sie von den Linken fordern in einem Ihrer Anträge, den Nachhaltigkeitsfaktor abzuschaffen. Durch den Nachhaltigkeitsfaktor werden Rentenerhöhungen sinnvollerweise mit dem Zahlenverhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern verknüpft; das sind nämlich zwei Seiten derselben Medaille. Das hat sich in den letzten Jahren, in denen aufgrund der guten Wirtschaftsentwicklung die Zahl der Beitragszahler stärker als die Zahl der Rentenbezieher gestiegen ist, rentensteigernd ausgewirkt. Wenn Sie also ausführen, dass Sie den Nachhaltigkeitsfaktor abschaffen wollen, müssen Sie den Menschen auch sagen, dass dies dazu geführt hätte, dass die Rentensteigerungen der letzten zwei Jahre geringer ausgefallen wären. ({12}) Auch Sie wissen, dass der Umfang von Rentenerhöhungen sowie die Sätze der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes II miteinander verknüpft sind. Beides wird immer parallel erhöht. Wenn das, was Sie fordern, gemacht worden wäre, und wenn die Rentensteigerungen in den letzten zwei Jahren demzufolge geringer ausgefallen wären, dann wären in den letzten zwei Jahren auch die ALG-II-Sätze weniger stark gestiegen. ({13}) Das sind die Folgen der Politik der Linken, die Sie aber nicht erwähnen. Faktisch hätte Ihre Politik allerdings diese Folgen. ({14}) Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung die Rentner in den nächsten Jahren vor Kürzungen schützt. Genauso wie es richtig ist, beim Lohn eine Untergrenze einzuziehen, also einen Mindestlohn einzuführen, ist es auch richtig, für die Rentner eine Untergrenze einzuziehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland in den nächsten Jahren zu Rentenkürzungen kommt. Ich finde es, ehrlich gesagt, auch unerträglich - das sage ich an die Adresse der Union -, wenn Jungpolitiker wie der Kollege Spahn versuchen, Alt gegen Jung auszuspielen. Die Rente ist kein Almosen. ({15}) Vielmehr haben die Menschen aufgrund ihrer Arbeitsleistung, mit der sie dieses Land aufgebaut haben, einen Anspruch auf Rente. Das zweite Kriterium ist der Rentenbeitrag - da mir die Zeit davonläuft, muss ich mich etwas kürzer fassen -: 1982, als die Kohl-Regierung ins Amt kam, lag der Beitragssatz zur Rentenversicherung bei 18 Prozent. In den Folgejahren bis 1998 ist er kontinuierlich auf 20,3 Prozent gestiegen. Seit die SPD an der Regierung ist, seit 1998, ist der Beitragssatz zur Rentenversicherung wieder auf unter 20 Prozent gesunken. In den letzten zehn Jahren ist er sogar stabil unter 20 Prozent geblieben. ({16}) Das dritte Kriterium ist die langfristige finanzielle Stabilität der Rentenversicherung. An dieser Stelle will ich nur erwähnen, dass sich die Rücklage der Rentenversicherung inzwischen wieder auf einen Monatsbeitrag erhöht hat. Das hat natürlich mit den Reformen der letzten Jahre zu tun. Zu diesen Reformen gehört auch die Rente mit 67. In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Bemerkung zu einem Antrag der Linken machen. Ich finde es absolut unseriös, wenn Sie die derzeitige Wirtschaftskrise mit der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre verknüpfen, wenn Sie also so tun, als habe das eine etwas mit dem anderen zu tun. ({17}) Das eine kommt im Jahr 2029, die Wirtschaftskrise ist jetzt. ({18}) Wer die Wirtschaftskrise so krass wahrheitswidrig mit der Rente mit 67 verknüpft, der zeigt, dass es ihm weder um die Wirtschaftskrise noch um eine seriöse Rentenpolitik geht, ({19}) sondern ausschließlich darum, die Ängste und Sorgen der Menschen zu benutzen, um sein eigenes politisches Süppchen zu kochen. Ich finde das schäbig. ({20}) Ich bin am Ende meiner Redezeit. Ich darf abschließend nur darauf hinweisen: Gute Rentenpolitik hat eine Vielzahl verschiedener Aspekte. Ein paar konnte ich aufzählen. Rentenpolitik ist bei den Sozialdemokraten in guten Händen. ({21}) Das war in der Vergangenheit so, und das wird auch in Zukunft so bleiben. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir die Debatte fortsetzen, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 70 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 493. Mit Ja haben gestimmt 97 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 391 Kolleginnen und Kollegen, und 5 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 493; davon ja: 97 nein: 391 enthalten: 5 Ja SPD Dr. Lale Akgün Otto Schily Dr. Wolfgang Wodarg DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Klaus Ernst Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Monika Knoche Katrin Kunert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kornelia Möller Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({0}) ({1}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({2}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz ({3}) Vizepräsidentin Petra Pau Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth ({4}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({5}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({6}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({7}) Veronika Bellmann Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({8}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Cajus Caesar Gitta Connemann Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({9}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({10}) Dirk Fischer ({11}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({12}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen-Esser Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({13}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({14}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({15}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({16}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({17}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({18}) Stefan Müller ({19}) Dr. Gerd Müller Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Ruprecht Polenz Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({20}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({21}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({22}) Hermann-Josef Scharf Norbert Schindler Georg Schirmbeck Andreas Schmidt ({23}) Ingo Schmitt ({24}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Andreas Storm Matthäus Strebl Thomas Strobl ({25}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({26}) Gerald Weiß ({27}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. h. c. Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({28}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Volker Blumentritt Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({29}) Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Vizepräsidentin Petra Pau Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf ({30}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({31}) Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Petra Hinz ({32}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({33}) Frank Hofmann ({34}) Dr. Eva Högl Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({35}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({36}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({37}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({38}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({39}) Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Ortwin Runde ({40}) Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Silvia Schmidt ({42}) Heinz Schmitt ({43}) Carsten Schneider ({44}) Olaf Scholz Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({46}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({47}) Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christian Ahrendt Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Horst Friedrich ({49}) Hans-Michael Goldmann Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({50}) fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Enthalten CDU/CSU Josef Göppel SPD Dirk Becker Ernst Kranz Nun hat für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Heinrich Kolb das Wort. ({51})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute eigentlich Anträge der Linken beraten. Ihre Ausführungen, Herr Amann, zwingen mich aber - trotz aller persönlichen Sympathie -, einige Anmerkungen zu machen; denn so kann man das nicht stehen lassen: Dass zehn Jahre SPD-Regierung eine Erfolgsstory für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland gewesen seien, das kann man beim besten Willen nicht sagen. ({0}) Bei allen drei Kriterien, die Sie genannt haben - Versorgung, Beitragshöhe, langfristige Stabilität -, stellen sich am Ende Ihrer Regierungsbeteiligung mehr Fragen als zu Beginn. Ich will ein Beispiel nennen. Sie sagen, Sie hätten den Beitragssatz, der einmal bei 19,8 Prozent lag, fast stabil gehalten. Ich muss daran erinnern, dass Sie zwischenzeitlich die Ökosteuer eingeführt haben. Das Ziel bei der Einführung der Ökosteuer war die Absenkung des Beitragssatzes auf 18,1 Prozent. Das hat nie stattgefunden. Nach dem aktuellen Rentenversicherungsbericht soll der Rentenbeitragssatz eigentlich auf 19,1 Prozent abgesenkt werden, weil nur durch diese Absenkung gewährleistet werden kann, dass 2020 ein Beitragssatz von 20 Prozent ausreicht. Das ist aufgrund der ewigen Rentengarantie von Herrn Scholz gestrichen worden. ({1}) Eine Erfolgsgeschichte für die Beitragszahler ist das wirklich nicht. Was die Versorgung der Menschen anbelangt, stimme ich Ihnen zu: Im Moment ist Altersarmut in Deutschland kein Problem. 2,5 Prozent, 2,7 Prozent der Menschen in Deutschland beantragen Grundsicherung. Das ist im Einzelfall bedauerlich und für den Einzelnen schwer zu ertragen - das räume ich ein -; aber die Herausforderungen stehen uns erst noch bevor. Ich will für die FDP-Fraktion in diesem Hause in allem Selbstbewusstsein sagen: Wir sind bislang die einzige Fraktion, die Bausteine zur Vermeidung von Altersarmut vorgelegt hat. ({2}) - Das können Sie anhand von Bundestagsdrucksachen konkret nachvollziehen. - Wir machen uns Gedanken. Ich will beispielsweise unseren Vorschlag nennen, private und betriebliche Vorsorge auf die Grundsicherung im Alter nicht anzurechnen. ({3}) Damit schließen wir eine wesentliche Lücke und verringern das Risiko von Armut im Alter. Das ist ein entscheidender Punkt. Herr Amann, mit der Rentengarantie, die Sie zuletzt abgegeben haben, haben Sie die noch von Walter Riester eingeleitete Stabilisierung der Rentenfinanzen wieder zu einem großen Teil infrage gestellt. Die Nachhaltigkeit der Rentenfinanzen ist nicht mehr in dem Maße gewährleistet, wie sie es im Zusammenhang mit dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz schien. Deswegen sind viele Fragen offen. Ein Allerletztes. Ich finde es putzig, wenn man eine nominale Rentengarantie gibt - also garantiert, dass der Zahlbetrag der Renten nicht gekürzt wird -, gleichzeitig aber der Staatssekretär des BMAS im Ausschuss formuliert, dass Einkommensverluste der Rentner, zum Beispiel durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte, in Kauf genommen werden. ({4}) Diese Erhöhung hat die Rentnerinnen und Rentner besonders belastet, weil sie von der mit dieser Erhöhung verbundenen Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages nicht profitiert haben. Das sind Wahrheiten, die einfach dazugehören. Herr Amann, ich habe meine Redezeit jetzt fast für die Antwort auf Ihre Rede verbraucht - die Kollegen von den Linken müssen mir das nachsehen -, das musste dann doch einmal gesagt werden. ({5}) Auch Sie von den Linken sind rückwärtsgewandt; das muss man sagen. Sie wollen die Erhöhung der Regelaltersgrenze ersatzlos - ich betone: ersatzlos - zurücknehmen. Ihr Antrag erschöpft sich darin, den Status quo ante von 2007 wiederherzustellen. Dazu muss man sagen: Das ist zu wenig. Das enthält keinerlei Ansatz dafür, wie in Zukunft eine leistungsfähige Rentenversicherung gewährleistet werden soll und wie das Rentensystem attraktiv gestaltet werden kann. Deswegen will ich die verbleibenden zwei Minuten dazu nutzen, Sie noch einmal für einen Vorschlag zu sensibilisieren, den die FDP-Fraktion hier in den Deutschen Bundestag eingebracht hat, nämlich den Vorschlag, das System starrer Regelaltersgrenzen durch einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand auf der Basis einer eigenen freien Entscheidung zu ersetzen. ({6}) Wir verbinden diesen Vorschlag mit dem Wegfall aller Zuverdienstgrenzen. ({7}) Es gibt keinen Grund dafür, dass der Staat jemandem, der grundsicherungsfrei ist, noch länger vorschreibt, ob und in welchem Umfang jemand tätig ist. Das kann jeder Mensch für sich sehr gut selbst entscheiden. Diese Entscheidung sollten wir ihnen auch überlassen. ({8}) Ich finde, das ist wirklich ein zukunftsweisender Vorschlag, und in Podiumsdiskussionen landauf, landab höre ich schon einmal Zustimmung von Ihren Kollegen. Sie sagen: Mehr Flexibilität ist eigentlich die Richtung, in die wir auch marschieren wollen. ({9}) Ich weiß, dass jetzt Wahlkampf ist und dass Sie uns jetzt noch nicht vorbehaltlos zustimmen können. Nach dem 27. September 2009 sollten Sie aber einmal ganz nüchtern auf das schauen, was die FDP Ihnen präsentiert. Sie werden dann feststellen, dass das ein Vorschlag ist, der den Menschen gerecht wird und der im Ergebnis dazu führt, dass die Erwerbsteilhabe älterer Menschen deutlich gesteigert wird, was wir alle ja wollen. Das ist jedenfalls die Beobachtung, die wir in den skandinavischen Ländern gemacht haben. ({10}) Eine allerletzte Anmerkung zur Erwerbstätigenversicherung. Das fordern Sie; damit sind Sie aber nicht alleine. Auch in anderen Fraktionen gibt es Sympathisanten. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung ({11}) oder auch eine Milchjungenrechnung, um der Kollegin Schewe-Gerigk gleich zuvorzukommen. Hier muss man deutlich sagen: Es gilt das Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung. Es werden Renten in dem Umfang zu zahlen sein, in dem zuvor Beiträge gezahlt wurden. Das heißt, mit einer Erwerbstätigenversicherung können Sie allenfalls ein kurzfristiges Strohfeuer, einen Liquiditätseffekt, erreichen. Auf Dauer verschärfen Sie damit aber die strukturellen Probleme der Rentenversicherung. ({12}) Diese Zeche wird genau dann zu zahlen sein, wenn wir erleben müssen, dass die junge Generation von heute für die heute höchsten Beiträge die dann niedrigsten Renten erhält. Deswegen kann ich nur dringend ermahnen, von diesem Experiment der Erwerbstätigenversicherung abzulassen. Ich hätte Ihnen gerne noch mehr ins Stammbuch geschrieben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, aber meine Redezeit ist leider schon überschritten, und die Kollegen wollen nach Hause. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf eine Fortsetzung unserer interessanten rentenpolitischen Diskussionen in der nächsten Legislaturperiode. Danke schön. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe das Wort. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand es zu Beginn meiner parlamentarischen Tätigkeit durchaus gewöhnungsbedürftig, wenn bei Gesetzentwürfen unter Punkt C - Alternativen - immer stand: Keine. Natürlich gibt es in den meisten Fällen durchaus diskussionswürdige politische Alternativen, aber nicht dafür, die Rente mit 67 einzuführen und damit die durchschnittliche Rentenbezugsdauer innerhalb von 20 Jahren ab heute von jetzt 17 Jahre auf 18 Jahre und nicht auf 20 Jahre zu erhöhen sowie gleichzeitig die Lebensarbeitszeit für diejenigen, die es können, um zwei Jahre zu verlängern, damit diejenigen, die nicht so lange arbeiten können, weiter solidarisch abgesichert werden. Wenn es in den letzten Jahren irgendetwas gab, wozu es keine seriöse Alternativ gab, dann war es dieses Gesetz für die Rente mit 67. ({0}) Es ist - auch das sei zum Ende dieser Legislaturperiode noch einmal rückblickend gesagt - natürlich ein bleibendes Verdienst dieser Bundesregierung und des damaligen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering, dies auch in den eigenen Wirkungskreisen durchgesetzt zu haben. Wir haben hier eine gute Entscheidung gemeinsam getroffen. ({1}) Es ist eine Entscheidung, die gerade auch im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit Älterer wichtig ist. Meine Damen und Herren, es ist doch kein Zufall, dass, seit die Diskussion über diese Themen läuft und seit die Beschäftigung insgesamt gestiegen ist, gerade bei den Älteren die Erwerbsbeteiligung deutlich zugenommen hat. Das sogenannte Lissabon-Ziel, bis zum Jahre 2010 50 Prozent der über 55-Jährigen in Beschäftigung zu bringen, haben wir schon überschritten. Wir sind schon bei 54 Prozent. Klar ist doch auch, selbst wenn es jetzt durch die Wirtschaftskrise hier Probleme geben sollte, muss man doch immer fragen, was die Alternative wäre. Wenn wir mit der Erwerbsbeteiligung Älterer nicht zufrieden wären, müssten wir doch klar sehen: Höhere Lohnzusatzkosten, die eine Rücknahme dieses Gesetzes bedeuten würden, und das damit verbundene politische Signal: „Die Älteren kann man eher aussortieren, die brauchen sich mit 50 nicht mehr weiterzubilden, das lohnt sich nicht mehr, die arbeiten ja eh nicht mehr lange“, das kann doch niemals die Alternative sein. Mit der Rücknahme dieser Maßnahme würde in jedem Fall die Erwerbsbeteiligung Älterer sinken, die Arbeitslosigkeit Älterer steigen. Genau das wollen wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen bleibt es bei dieser Maßnahme. ({2}) Im Übrigen will ich Legenden vorbeugen, die in diesem Zusammenhang gelegentlich auftauchen, als würde das alles unter Vorbehalt stehen und wäre unter Vorbehalt beschlossen. Es wird im Jahr 2010 einen Bericht der Bundesregierung geben, wie auch immer sie aussieht. Die Bundesregierung hat die Pflicht, darüber zu berichten, wie sich die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer entwickelt hat. Damit ist selbstverständlich kein Automatismus verbunden im Hinblick auf irgendeine gesetzliche Regelung. Es wird dabei bleiben, egal wie die Beschäftigung Älterer aussieht. Es macht Sinn, sie zu steigern. Eine Notwendigkeit in diesem Zusammenhang sind möglichst bezahlbare Beiträge und klare Signale, dass die Älteren in unserer Gesellschaft gebraucht werden. Wir haben natürlich - das wird ja auch immer eingewandt - nur begrenzte Beitragssenkungsspielräume. Das war auch politisch gewollt. Wir haben eben ganz bewusst gesagt: Wir setzen bei den rund ein Dutzend Rentenarten, die es gibt, nicht bei jeder Rentenart die Grenze einfach um zwei Jahre herauf, sondern wir machen Ausnahmen, zum Beispiel bei den ErwerbsminderungsrenDr. Ralf Brauksiepe ten. - Wir haben großzügige Übergangsregelungen für diejenigen gefunden, die nicht mehr arbeiten können und deswegen in Erwerbsminderungsrente gehen müssen. Wir haben insbesondere auch gesagt: Diejenigen, die 45 Beitragsjahre haben, können weiterhin abschlagsfrei mit 65 Jahren in Rente gehen. - Auch das ist ein ganz wichtiges Ziel, das wir im Interesse der langjährigen Beitragszahler durchgesetzt haben. Ich sehe die Kollegin Schewe-Gerigk. Wir haben uns ja im Wahlkreis eineinhalb Jahrzehnte lang auseinandergesetzt; sie hat hier ihre letzte Rede gehalten. Aber es war eben eine falsche Ankündigung, zu sagen: Der Bundespräsident wird es nicht unterschreiben, das Bundesverfassungsgericht wird es nicht akzeptieren. - Nein, alle haben es akzeptiert. ({3}) Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Es ist berechtigt, wenn man diejenigen, die durch besonders viele Beitragsjahre diesen Sozialstaat mit aufgebaut und finanziert haben, mit 65 in eine abschlagsfreie Rente gehen lässt. Genau das ist bestätigt worden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ich will heute zur FDP nichts sagen. Bei uns Westfalen ist Schweigen bekanntlich die höchste Form der Zustimmung. Ich bitte, dies daher als Zeichen guten Willens zu sehen, dass ich zur Rentenpolitik der FDP sonst weiter nichts sage. ({5}) Zu den Grünen habe ich etwas gesagt. ({6}) Zu den Antragstellern will ich noch sagen: Papier ist ja geduldig. Ich habe die Sächsische Zeitung vom 13. Dezember 1989 gefunden - sehr interessante Zeitung -, kurz nach dem Fall der Mauer. Sozialistische Tageszeitung für den Bezirk Dresden. Darin stehen interessante Sachen. Oben drüber steht: „Proletarier aller Länder vereinigt euch“. ({7}) Eine Überschrift ist: „Gysi für Eigenständigkeit und Souveränität der DDR“ - noch nicht allzu lange her. Dann gibt es eine Meldung der Nachrichtenagentur ADN unter „Lafontaine fordert neue Zuzugsregelungen“: Lafontaine sprach auch von „guten Argumenten“, Rentnern aus der DDR bei einer Übersiedlung in die Bundesrepublik aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit keine Rente mehr zu zahlen. ({8}) Es sei geltendes Recht in der Bundesrepublik, dass jemand, der keine Beiträge eingezahlt habe, keine Rente bekomme. So weit die sozialistische Sächsische Zeitung seinerzeit. ({9}) Sie wollen uns hier erzählen, wir müssten mit der Angleichung des Rentenniveaus vorankommen. Das wollen wir ja politisch. Aber das sagen Sie, nachdem Sie 40 Jahre lang die DDR in den Ruin getrieben haben. Jetzt erzählen Sie uns, wir zahlten zu wenig Rente. ({10}) Selber wollte Ihr Vorsitzender gar keine Rente für die Menschen in der DDR. Das ist die Wahrheit. ({11}) Wir werden das nicht vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir werden Sie daran erinnern, auch wenn die Herren, die für Eigenständigkeit, Souveränität der DDR und gegen Rentenzahlungen an DDR-Rentner sind, dieser Debatte heute wahrscheinlich aus Scham lieber fernbleiben. Meine Damen und Herren, es liegen noch diverse qualitativ ähnlich indiskutable Anträge der Linkspartei vor. Zum Thema Erwerbstätigenversicherung will ich dem Kollegen Kolb ausdrücklich recht geben. Was er dazu gesagt hat, ist richtig. Ein System der gesetzlichen Rentenversicherung, das sich für 20 Millionen Rentner nicht rechnen würde, würde sich auch dann nicht rechnen, wenn man ein paar Millionen Menschen zusätzlich zu den gleichen Bedingungen in das System aufnehmen würde. Wir müssen stattdessen dafür sorgen, dass die gesetzliche Rentenversicherung insgesamt so ausgestattet ist, dass sie in Verbindung mit betrieblicher und privater Vorsorge auskömmliche Renten garantiert. Das ist der Grund, warum wir über den Bundeshaushalt fast 100 Milliarden Euro jährlich einsetzen, um die Alterssicherung generell zu stabilisieren. Ein Vorschlag der Linkspartei bezieht sich darauf, etwas für die Geringverdiener unter den Rentnern zu tun. Wir sind in der Tat dafür, dass diejenigen, die lange bei geringen Einkommen Vollzeit gearbeitet haben, eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus bekommen. Aber alles andere, was Sie in Ihren Anträgen vorschlagen, würde im Grunde bedeuten, zu dem völlig anderen demografischen Zustand vor 1992 zurückzukehren und all das zurückzunehmen, was seitdem gemacht worden ist. Das würde - wie das Prognos-Institut schon vor langem errechnet hat - dazu führen, dass die Beitragssätze auf 40 Prozent steigen müssten. Das ist völlig illusorisch. Deswegen machen wir das nicht mit. Wir können uns als Große Koalition und auch gerade als CDU/CSU mit dem sehen lassen, was in dieser Legislaturperiode in der Rentenpolitik erreicht worden ist. In der Rentenpolitik gibt es eben keine Kontinuität über zehn oder elf Jahre. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, haben wir in der Rentenversicherung wieder Reserven. Im November 2005 brauchte die Rentenkasse noch ein Darlehen. Seit Angela Merkel Kanzlerin ist, gibt es wieder Rentensteigerungen, in diesem Jahr um 2,41 Prozent in den alten und 3,38 Prozent in den neuen Ländern. Wir haben die Rentenfinanzen auf eine solide Basis gestellt. Wir haben wieder für höhere Renten gesorgt, und wir haben mit der Rente mit 67 dafür gesorgt, dass der Fortschritt nachhaltig und generationengerecht ist. Die Menschen können sich sicher sein, dass wir in der nächsten Legislaturperiode an diese Erfolge anknüpfen werden. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Amann hat gesagt: Die Rentenpolitik ist bei der SPD in guten Händen. - Die Altersarmut nimmt zu, das Rentenniveau sinkt, das Renteneintrittsalter steigt, und Sie sagen: Die Rente ist bei der SPD in guten Händen. Genauso gut kann man spielenden Kindern sagen, sie sollen im Heuschober mit Streichhölzern spielen. Dann sind die Streichhölzer auch in guten Händen. Sie haben die Rente ruiniert und weichgeschossen. Das ist die Wahrheit. ({0}) Herr Brauksiepe, Sie haben von einem höheren Rentenniveau gesprochen und gesagt, es gäbe keine Alternative zur Rente mit 67. - Er hört gerade nicht zu, weil er sich wohl über seine Rede unterhält. ({1}) Sie wissen genau, dass der Beitragssatz nur 0,3 Prozentpunkte höher sein müsste. ({2}) - Es können auch 0,5 Prozentpunkte sein. Das sind 0,25 Prozentpunkte für die Arbeitnehmer. Das wäre die Alternative, die Sie aber nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Das ist ein Problem, auch wenn Sie sagen, dass es keine Probleme gibt. ({3}) Das Thema Rente mit 67 ist für die SPD langsam lebenswichtig. Ich weiß nicht, ob Ihnen allen bekannt ist, dass Sie, wenn am nächsten Sonntag gewählt würde, nur noch 23 Prozent erreichen würden. ({4}) Ich freue mich, dass das auch in der SPD zur Kenntnis genommen wird. Ich zitiere Herrn Florian Pronold aus der Bild vom 22. Juni: Ich gehe davon aus, dass die Rente mit 67 wegen steigender Arbeitslosenzahlen in der Wirtschaftskrise nicht in Kraft treten kann. Herr Andreas Steppuhn, Abgeordneter der SPD, hat am 23. Juni festgestellt: Korrigieren kann ein Ausdruck von Größe sein. Beim Europawahlkampf ist für die SPD sichtbar geworden, dass viele Menschen, gerade auch ältere, Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Ganz zart hat den einen oder anderen von Ihnen die Erkenntnis geküsst. ({5}) Ihr Vorsitzender ist von einem solchen Kuss noch verschont geblieben. Das ist das Problem. Wenn Herr Müntefering daraufhin ein Machtwort gesprochen hat und die sozialdemokratische Führung eine vernünftige Haltung verhindert, dann muss ich feststellen: Es ist Ihr Vorsitzender, der momentan dazu beiträgt, dass eine vernünftige Rentenpolitik in der SPD nicht mehr möglich ist. Es ist richtig: Auch wir wollen, dass die Menschen länger arbeiten können. Aber bei dem einen oder anderen ist das nicht mehr sinnvoll. Ich glaube, dazu gehört auch Ihr Vorsitzender - um es deutlich zu sagen. ({6}) Der Starrsinn Ihres Vorsitzenden ruiniert die SPD. Wann wollen Sie sich eigentlich von dieser Fessel befreien? ({7}) Wo sind denn eigentlich die Linken in der SPD? Wo sind denn eigentlich die Gewerkschafter in der SPD? ({8}) Wo sind denn eigentlich die Standfesten in der SPD? Ich kann sie nicht mehr finden und erkennen. ({9}) Bei der namentlichen Abstimmung, die wir gleich haben, werden wir sehen, wer von Ihnen noch einen aufrechten Gang hat und wer nicht. Reden wir über die Realität. Das Netzwerk für eine gerechte Rente, in dem sich der DGB, der Paritätische Wohlfahrtsverband und andere Sozialverbände zusammengeschlossen haben, hat festgestellt, dass Sie die Statistiken schönen, und zwar bis hin zur Fälschung. Wenn Sie sagen, es gebe kein Problem mit der Arbeitslosigkeit der Älteren, dann nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass seit Dezember 2007 - das ist das Ergebnis Ihrer Politik die Zahl der Arbeitslosen im Alter zwischen 60 und 65 Jahren konstant gestiegen ist. Sie hat sich seit ihrem Tiefststand verdreifacht. Nur 22,64 Prozent der Arbeitslosen zwischen 60 und 65 Jahren weisen Sie in der Statistik tatsächlich aus. Aber aus dem Bericht des Netzwerks geht die Realität deutlich hervor. Dort heißt es: Die Beschäftigungsquote fällt ab dem 50. Lebensjahr dramatisch ab. Nur 20 Prozent der Männer und nur circa 10 Prozent der Frauen sind mit 64 Jahren noch in einer Beschäftigung. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Glauben Sie wirklich, dass die Menschen, die mit 64 keinen Job mehr haben, mit 65 wieder eingestellt werden, wenn Sie das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen? Auf welchem Stern leben Sie denn eigentlich? ({10}) Für die übergroße Mehrheit bedeutet die Rente mit 67 nichts anderes als eine Rentenkürzung um 7,2 Prozent. Schauen wir uns die Regelungen in anderen europäischen Ländern an. Es gibt nur zwei Länder in der EU, die die Rente mit 67 haben. Das sind Island und Norwegen. ({11}) In Frankreich gilt nach wie vor die Rente mit 60. Selbst in Albanien dürfen Frauen ab dem 60. Lebensjahr nach Hause gehen. Dabei ist dieses Land wirtschaftlich schwächer als die Bundesrepublik. ({12}) Vielleicht denken Sie darüber nach, ob Sie sich hier nicht auf dem Holzweg befinden. Sie haben heute die letzte Chance, diese Regelung zurückzunehmen. Wir werden sonst die Bundestagswahl zur Volksabstimmung über die Rente mit 67 machen. Darauf können Sie Gift nehmen. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man gerade Herrn Ernst zugehört hat, fällt einem auf, dass es wirklich nicht leicht ist, sich heute, mitten in der Talsohle der Wirtschaftskrise, eine Situation vorzustellen, die sich erst in 20 Jahren auswirkt. Das fällt der Linken ganz besonders schwer. ({0}) Wer von uns kann sich den Arbeitsmarkt im Jahre 2029 vorstellen? Glauben Sie, dass die Krise bis 2029 anhält? Denn erst dann wird die Rente mit 67 greifen, die Sie gerade abschaffen wollen. ({1}) Das Renteneintrittsalter wird in sehr kleinen Schritten ab dem Jahre 2012 erhöht. Erst die heute 45-Jährigen - nicht etwa ältere Menschen - werden 2029 davon betroffen sein. Bis dahin werden die Menschen - das wissen Sie selbst, Herr Ernst - im Durchschnitt drei Jahre länger leben. Die nächste Zahl: Sie werden dann fast 20 Jahre Rente beziehen. Noch eine Zahl, die Ihnen zu denken geben sollte: Sie reden immer von der Arbeitslosigkeit im Jahre 2029. Im Jahre 2029 wird es 8 Millionen weniger Menschen im erwerbstätigen Alter geben. Das heißt, den Betrieben werden Menschen fehlen. Eine solche Herausforderung kleinzureden, nur weil Wahlkampf ist, finde ich fahrlässig. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Volker Schneider?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, es ist zunächst einmal reine Kaffeesatzleserei, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie es im Jahr 2029 aussehen wird. ({0}) - Entweder man nimmt die Wahrheit zur Kenntnis, oder man verleugnet sie. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte wird zurückgehen, aber kein Mensch weiß, ob sich vor dem Hintergrund zurückgehender Bevölkerungszahlen und einer zurückgehenden Binnenkonjunktur der Arbeitskräftebedarf reduzieren wird. Tatsache ist: Wir können einigermaßen präzise voraussagen, was im Jahr 2012 sein wird. Dann, liebe Kollegin Schewe-Gerigk, beginnt die Rente mit 67. Würden Sie mir zustimmen, dass vor dem Hintergrund der Aussage des Kollegen Ernst, dass 80 Prozent der Männer und 90 Prozent der Frauen im Alter von 64 überhaupt nicht erwerbstätig sind, die Rente mit 67 im Jahr 2012 nichts anderes als die Kürzung der Rente für mehr als 80 Prozent der Menschen um 0,3 Prozent bedeutet, und das lebenslang, und dass in den folgenden Jahren zunächst jeweils weitere 0,3 Prozent hinzukommen? In diesem Zusammenhang muss ich den Kollegen Braucksiepe korrigieren. Er betreibt selber Legendenbildung. ({1}) Volker Schneider ({2}) Die Prüfklausel sagt, dass auf diesem Hintergrund geprüft werden muss - ({3})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Fragen Sie jetzt mich oder Herrn Brauksiepe?

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Würden nicht auch Sie unter Anwendung der Prüfklausel zu dem Ergebnis kommen, dass vor dem Hintergrund der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren das Projekt „Rente mit 67“ zumindest verschoben werden müsste?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist jetzt eine neue Frage, die Sie angehängt haben. Ich fange mit der ersten an. Wie im Jahr 2029 der Arbeitsmarkt aussieht und wie groß das Arbeitskräftepotenzial ist, wissen wir. Die Kinder sind entweder geboren oder auch nicht geboren. ({0}) Deshalb wissen wir, dass 8 Millionen Menschen weniger erwerbstätig sein können. Wir hatten die Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“, die sehr deutlich gemacht hat - dieser Meinung waren alle Fraktionen außer der damaligen PDS -, dass das Renteneintrittsalter erhöht werden müsste. Wir haben gesagt, dass für uns die Rente mit 67 Voraussetzungen und Bedingungen hat: Die Arbeitsplätze müssen vorhanden sein, und die Menschen müssen gesund sein, damit sie die Arbeit ausführen können. Aber die Maßnahmen, die Sie vorschlagen, insbesondere der Kollege Ernst von der IG Metall, zielen doch darauf ab, die Älteren aus dem Arbeitsmarkt herauszuholen. ({1}) Die Altersteilzeit und die Verkürzung der Arbeitszeit, die Sie vorschlagen, tragen doch dazu bei, dass die Menschen nicht länger arbeiten, sondern vorzeitig aus dem Arbeitsprozess ausscheiden. Sie beklagen das, wozu Sie die Grundlagen gelegt haben. ({2}) Wir Grünen schleichen uns nicht aus der Verantwortung. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe da so meine Erfahrungen in den letzten Monaten gemacht. Obwohl von der Großen Koalition eingeführt, bin ich bei vielen Wahlkampfgroßveranstaltungen häufig die Einzige, die die Rente mit 67 verteidigt. Die SPD schickt ihre Lauterbachs und Schreiners, die CDU kommt überhaupt nicht, ({3}) zum Beispiel zum Seniorentag in Leipzig oder zu der Veranstaltung der IG BAU in Nordrhein-Westfalen, wo Hunderte von Leuten teilnehmen. Auch ich weiß, dass die Verlängerung der Lebensarbeitszeit keine populäre Entscheidung ist. ({4}) Aber gerade deshalb muss man mit den Menschen darüber reden. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Ernst?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich möchte jetzt zu Ende reden. - Den Deutschen ist über Jahrzehnte gesagt worden, dass sie Arbeitsplätze für Junge frei machen, wenn sie möglichst früh aus dem Betrieb ausscheiden. Das war ein Trugschluss. Das haben wir doch gesehen. Jeder, der ehrlich mit dem Thema umgeht, muss doch zugeben, dass sich Arbeitgeber und Betriebsräte oft schnell darauf einigen, bevorzugt Ältere zu entlassen, weil sie in Altersteilzeit gehen können oder einen längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld I als Jüngere haben. Herr Ernst, ich habe es Ihnen gerade schon gesagt, und als IG-MetallFunktionär wissen Sie, wie so etwas funktioniert. Ihnen nehme ich Ihre Krokodilstränen am wenigsten ab, wenn Sie einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei den Älteren in diesem Jahr beklagen. Der ist da, aber er ist durch künstliche politische Maßnahmen entstanden. Wer dafür Anreize schafft, braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn davon Gebrauch gemacht wird. Wer die Rente mit 67 so bekämpft wie die Linke, muss sich auch die Frage gefallen lassen, wie viel Engagement er eigentlich daransetzt, um eine längere Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen. ({0}) Die Unterbeschäftigung von Älteren darf und wird nicht bleiben. Die Betriebe müssen sich auf eine ältere Belegschaft einstellen, auch weil nicht genügend Junge nachkommen. Es wird also jeder und jede gebraucht. Den Fachkräftemangel spüren wir schon heute. Die Alterung der Gesellschaft ist eine große Herausforderung. Ich würde mich freuen, wenn auch die Linke das endlich einmal zur Kenntnis nimmt. ({1}) Wir Grüne stehen zu einer schrittweisen Erhöhung des Rentenalters. Aber wir sagen auch: Die Anhebung des Rentenalters darf nicht zu Rentenkürzungen führen. Damit es dazu nicht kommt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden. Erstens. Es müssen genügend Arbeitsplätze für Ältere zur Verfügung stehen. Deshalb fordern wir regelmäßige Berichte, welche Fortschritte die Erwerbsintegration Älterer macht. Daran sollte sich das Tempo der Anhebung orientieren. Hier hat sich in den letzten zehn Jahren erfreulicherweise viel getan. Die Beschäftigungsquote Älterer ist in den letzten zehn Jahren von 38 Prozent auf fast 54 Prozent gestiegen. Herr Ernst, auch das ist ein Ergebnis der Debatte über die Rentenzeitverlängerung. Zweitens. Die Beschäftigten müssen gesundheitlich in der Lage sein, tatsächlich noch arbeiten zu können. Anderenfalls haben wir die Erwerbsminderungsrente. Ich nenne ein paar Stichpunkte: Gesundheitsförderung, Anpassung des Arbeitsplatzes an den Menschen und nicht Anpassung des Menschen an den Arbeitsplatz, Humanisierung der Arbeitswelt, Qualifizierung und Weiterbildung. Diese Stichpunkte spielen eine große Rolle, damit wir das spätere Renteneintrittsalter tatsächlich umsetzen können. ({2}) Langfristig werden wir den Anteil Älterer am Arbeitsmarkt nur dann erhöhen können, wenn damit die Erhaltung der Gesundheit, lebenslanges Lernen und die Teilhabe am Erwerbsleben einhergehen. Für uns Grüne gilt aber auch: Wer ein Leben lang in die Rentenversicherung eingezahlt hat, darf im Alter nicht auf die Grundsicherung angewiesen sein. Darum muss die gesetzliche Rente armutssicher gemacht werden. Wir Grünen wollen kurzfristig eine Garantierente für Bürgerinnen und Bürger einführen, die wegen niedriger Verdienste oder Unterbrechung der Erwerbsarbeit nur mit einer geringen Rente rechnen können. Langfristig brauchen wir eine Alterssicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen. Wir hoffen, dass es nach der nächsten Wahl hier im Bundestag endlich eine Mehrheit für ein solches Modell gibt. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kollegin Schewe-Gerigk, dies war Ihre letzte Rede. Ich bedanke mich im Namen des Hauses herzlich für Ihre langjährige Arbeit in diesem Parlament. Wir alle miteinander wünschen Ihnen - wir reden ja heute über Alterssicherung -, dass Sie noch mindestens 30 gute Jahre vor sich haben.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich darf die Glückwünsche erwidern. Ich bin vor 35 Jahren in die Politik gegangen, weil ich spürte: In dieser Gesellschaft stimmt etwas nicht. ({0}) - Damals war ich bei den Liberalen. Da waren sie sozialliberal. Die Bürgerrechte waren bei ihnen beheimatet. ({1}) Die habe ich mit zu den Grünen genommen; das wissen Sie. ({2}) Ich habe gespürt: Die Rechte von Frauen und Männern sind in dieser Gesellschaft nicht gleich verteilt. In den letzten 15 Jahren, in denen ich hier im Bundestag tätig sein konnte, habe ich wirklich das große Glück gehabt - das ist eine Herausforderung und ein toller Job, den wir hier machen können -, an dieser Situation etwas zu ändern. In den sieben Jahren rot-grüner Politik haben wir die Gesellschaft verändert. Wir haben viele Gesetze gemacht. Ich danke insbesondere den Kolleginnen von der SPD sehr. Aber wir haben auch in der Oppositionszeit viel erreicht. Da sehe ich die Solidarität der Frauen aus allen Fraktionen. Wir, die Frauen aller Fraktionen, haben nämlich dafür gesorgt, dass entgegen der Mehrheit der damals schwarz-gelben Koalition, die etwas ganz anderes wollte, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde. ({3}) Das ist mit den Namen Rita Süssmuth, Irmgard Karwatzki, Ulla Schmidt, die hier als Ministerin leider nicht anwesend ist, und Sabine LeutheusserSchnarrenberger verbunden. Sie hatten es in ihrer Fraktion ungleich schwerer als ich bei den Grünen. Recht herzlichen Dank dafür. ({4}) Bevor ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen des Hauses und auch der Bundestagsverwaltung bedanke, möchte ich noch ein Wort - Herr Präsident, ich bin gleich am Ende - an meine Fraktionskollegen von den Grünen richten. Ich finde, liebe Grüne, wir können schon ein bisschen stolz darauf sein, dass wir in Deutschland den Boden dafür geschaffen haben, dass es möglich ist, eine Kanzlerin zu wählen. Sie hat zwar das falsche Parteibuch, aber das bekommen wir auch noch hin. Recht herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen noch einen Moment lang zuhören, denn das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ernst. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kolleginnen und Kollegen, das müsst ihr schon ertragen. Ich bin mehrmals namentlich angesprochen worden. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen da so ginge. Erstens. Ich habe festgestellt, dass wir genau wissen, was im Jahr 2030 los ist. Angesichts der exakten Prognosen wundere ich mich über diese Wirtschaftskrise, die ein halbes Jahr vorher noch niemand voraussagen konnte. Auch die Konsequenzen konnte man nicht sehen. Zweitens. Sie haben mehrmals die Demografie angesprochen, Frau Schewe-Gerigk. Eigentlich ist es ganz einfach: Wir wissen, dass - das ist einigermaßen gesichert - im Jahre 2030 die Zahl der Bevölkerung in der Bundesrepublik geringer sein wird als jetzt. Wir wissen auch einigermaßen gesichert, dass die Krise vorbeigehen wird und im Jahre 2030 das Bruttoinlandsprodukt größer sein wird als jetzt. Wir haben also einen größeren Kuchen, aber eine kleinere Zahl von Menschen, die sich diesen Kuchen teilen kann. Würden Sie mir zustimmen, dass unter dieser Voraussetzung das einzelne Kuchenstück nicht zwangsläufig kleiner ist, sondern durchaus größer sein kann, und dass die Rentner deshalb nach wie vor eine vernünftige Rente bekommen können, auch wenn sie nur bis 65 Jahren arbeiten? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie können jetzt ein bisschen weiterreden. Bitte schön.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich rede eigentlich immer nur dann, wenn es sich wirklich lohnt. ({0}) Ich glaube, der Kollege Ernst wollte gerne noch einmal das sagen, was er vorher schon gesagt hat. Es ist auch nicht besser geworden. Insofern verzichte ich darauf. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Anton Schaaf für die SPDFraktion. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Irmingard Schewe-Gerigk, an einer Stelle möchte ich deine Rede ein wenig korrigieren. Die IG-Metall ist eine große und herausragend gute Gewerkschaft. Zwar nicht alle Mitglieder sind große und herausragende Gewerkschaftler, aber die IG-Metall ist es sehr wohl. ({0}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist der eine oder andere Kollege aus unserer Fraktion gefragt worden: Wie ist es mit der Einführung der Rente mit 67 Jahren und der Wirtschaftskrise? Dann haben die Kolleginnen und Kollegen korrekterweise auf das Gesetz verwiesen, nämlich auf die Vorbehaltsklausel. Entsprechend sind sie auch zitiert worden. Aber das Ziel, die Rente mit 67 Jahren bis 2029, hat niemand infrage gestellt und stellt die SPD-Bundestagsfraktion auch nicht infrage. ({1}) Den Weg dahin gestalten wir, und zwar gemeinsam. Das haben wir im Gesetz festgelegt. Das ist der entscheidende Unterschied. Warum machen wir das nicht? - Es geht nicht so sehr, Herr Ernst, um die Finanzierbarkeit des Rentenversicherungssystems. Sie beantworten diese Umverteilungsfragen ja immer relativ einfach: Nehmt den Reichen Geld weg, dann können wir allen anderen etwas mehr geben. So einfach ist es im Rentensystem natürlich nicht. Der entscheidende Punkt ist die demografische Entwicklung, die Altersentwicklung in der Gesellschaft. In Baden-Württemberg und anderen Landesteilen sucht man händeringend qualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter, die Menschen, die unseren Wohlstand erarbeiten, weil sie nicht mehr in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Dem müssen wir Rechnung tragen. Sie sagen nicht ein einziges Wort dazu, wie man in Zukunft mit diesen Tatsachen umgehen soll. ({2}) Dann bringen Sie Beispiele, die ich immer wieder sehr bezeichnend finde. Ein Beispiel ist die jetzt 64-jährige Frau, die aufgrund der Rente mit 67 Abschläge hinnehmen muss. Wenn die Frau jetzt 64 Jahre alt ist, kann sie im nächsten Jahr ohne Abschläge in Rente gehen. Das ist dummes Zeug, was Sie erzählen. Sie wollen die Menschen nur verunsichern. Das ist das, was Sie machen. ({3}) Der Kollege Amann hat völlig recht: Sie nutzen die jetzige Wirtschaftskrise dazu, den Menschen Angst davor zu machen, dass sie im Jahre 2029 erst mit 67 Jahren in Rente gehen dürfen. Wir haben als SPD klar gesagt, was wir uns für den Zeitraum dazwischen vorstellen. Wir haben gesagt, dass wir zum Beispiel die geförderte Altersteilzeit beibehalten wollen, damit man, wenn man nicht mehr so gut kann, vorzeitig gehen kann. Wir haben Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente vorgesehen. Nicht alles war mit der Union als Koalitionspartner zu machen, aber es ist auch nicht so, dass wir unsere Ziele aufgegeben hätten. Da muss man einmal genau hinschauen. Wir wollen die Lebenssituation und die Arbeitssituation der Menschen verbessern. Was Sie hier sagen, finde ich heuchlerisch. Sie sagen: Die Menschen können nicht bis 67 arbeiten. Bei einigen stimmt das. Das sind aber dieselben, die auch nicht bis 65 arbeiten können. Was machen wir denn jetzt mit denen? Lassen wir die etwa ins Bodenlose fallen? Nein, das tun wir nicht, und das werden wir auch mit den Menschen nicht tun, die bis 67 arbeiten müssen, es aber nicht können. Auch die werden wir nicht ins Bodenlose fallen lassen, und darauf kommt es an. ({4}) Sie sagen: Dann sind die Menschen aus Arbeit kaputt und können gar nicht bis 67 arbeiten. Wenn das so ist, ist es die erste Pflicht für einen Gewerkschafter, dafür zu sorgen, dass die Menschen aus Arbeit möglichst nicht kaputt werden, und dieser Pflicht kommen Sie in keiner Weise nach. ({5}) Das war eben schön: Sie beschimpfen uns und sagen, wir wären gewerkschaftsfeindlich oder nicht arbeitnehmerfreundlich. Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas: Es gibt auch in Ihrer Fraktion den einen oder anderen wirklich guten Kollegen oder die eine oder andere wirklich gute Kollegin; das kann man überhaupt nicht bestreiten. ({6}) Aber Ihre Landesverbände im Westen radikalisieren sich und schmeißen die Gewerkschafter von den Listen; ich bedauere das übrigens. ({7}) Das ist der Punkt: Die Gewerkschafter werden gar nicht mehr im Bundestag sein - außer dem Linksradikalen Klaus Ernst; sonst sind sie alle weg. ({8}) Wenn man hier schon eine rentenpolitische Debatte führt, hätte ich mir gewünscht, dass jemand aus Ihrer Fraktion dazu spricht, der wirklich Ahnung hat. Aber der Kollege wird dem nächsten Bundestag aller Wahrscheinlichkeit nach leider nicht mehr angehören. Das muss man einmal klipp und klar festhalten: So gehen Sie mit Sachkompetenz, mit Fachverstand und mit Gewerkschaftern in Ihren Reihen um. ({9}) - Herr Kolb, ich wollte ohnehin das, was Sie vorhin gesagt haben, aufnehmen, weil es recht typisch war. ({10}) Ich lasse im Übrigen keine weiteren Zwischenfragen zu. Wir haben seitens der Linken genug Wahlkampfklamauk gehabt. Herr Kolb, Sie haben gestern bei der Beratung eines Antrages zum Thema Altersvorsorge dargestellt, was Sie rentenpolitisch wirklich wollen. ({11}) - Nein, es war Ihr Kollege Lotter - das stimmt schon -, aber er hat die Position der FDP dargestellt. - Sie wollen die Altersvorsorge individualisieren und privatisieren. Ihr Vorschlag, dass die Menschen in Rente gehen können, wann sie wollen, ist ein Frühverrentungssystem für Gutverdiener, ({12}) die sich damit aber definitiv aus der Solidargemeinschaft verabschieden, was ihre Beiträge angeht - sie zahlen ja nicht mehr in die Rentenversicherung ein - und was vor allen Dingen den solidarischen Ausgleich für die Erwerbsminderungsrente angeht. Das ist das, was Sie wollen. Sie wollen für Ihre ureigene Klientel privatisieren. ({13}) Herr Ahrendt, es war schon sehr richtig, was der Kollege Amann gesagt hat: Rentenpolitik ist bei der SPD nach wie vor gut aufgehoben. Sie fängt da an, wo man vor allen Dingen dafür Sorge trägt, dass die Menschen über ihre Arbeit überhaupt Ansprüche an die Rentenversicherung aufbauen. ({14}) Dazu haben wir in den letzten Wochen und Monaten, aber auch schon in den letzten Jahren eine Menge beigetragen. Die Arbeitslosenzahl - das muss man einmal feststellen - ist deutlich nach unten gegangen - bis zu dieser Wirtschaftskrise. Wir dürfen feststellen, dass die Beschäftigungsquote Älterer tatsächlich deutlich gestiegen ist. Wir dürfen feststellen: Was wir zum Konjunkturprogramm beschlossen haben, schützt tatsächlich Arbeitsplätze. 10 Milliarden Euro für die Kommunen wirken unmittelbar vor Ort. Das war schon immer klare Position der SPD: Der beste Schutz vor Altersarmut ist, Arbeit zu haben. Wir kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz in diesem Land. Das ist unsere Politik. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dass heute der Kollege Ernst in einer Sachdebatte gesprochen hat, an der der Kollege Ernst gar nicht teilnehmen kann, spricht Bände. Das hat sich in seinem Beitrag auch gezeigt. Letztendlich geht es nur um Wahlkampf und darum, die notwendigen Reformen madigzumachen, die wir in der Großen Koalition im Interesse eines guten sozialen Sicherungssystems durchgeführt haben, damit die Menschen sich auf die gesetzliche Rente verlassen können. Sie können sich darauf verlassen, Herr Kollege Ernst; das möchte ich hier voranstellen. ({0}) Die linke Fraktion ist heute mit zwei Anträgen vertreten. Mit dem einen will sie die gesetzliche Rentenversicherung in eine sogenannte Erwerbstätigenversicherung umbauen, ({1}) mit dem anderen lehnt sie zum wiederholten Male die Rente mit 67 ab. Das zeigt sehr deutlich, dass die Linke sich gegenüber den zukünftigen demografischen Herausforderungen blind stellt, und natürlich hat sie auch keine Lösungsansätze. Insgesamt ist Ihr Antrag von sozialistischen Träumen geprägt. ({2}) Die Rentenversicherung umzubauen und die Beitragsbemessungsgrenze wegzuwischen, das Gehalt in voller Höhe mit dem Beitrag zu belasten, aber dem keine entsprechende Leistung gegenüberzustellen, bedeutet letztendlich, sich vom sogenannten Äquivalenzprinzip zu verabschieden. ({3}) Wir stehen für die Beitragsbezogenheit der Rente. Der Beitragszahler, der viel eingezahlt hat, soll eine höhere Rente bekommen als derjenige, der eine niedrigere Beitragszahlung geleistet hat. ({4}) Das zeigt sehr deutlich, dass sozialistische Gleichmacherei die Hand geführt hat. Das wird uns sicherlich nicht weiterführen. Im Hinblick auf die Erwerbstätigenversicherung wurde heute bereits ausgeführt, dass, wenn man alle gesellschaftlichen Gruppen - Beamte, Selbstständige, Politiker - in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen würde, auch entsprechende Ansprüche zu bedienen wären. Das ist letztlich ein Nullsummenspiel, das niemandem nützt und keine verlässliche Grundversorgung bedeuten würde. Damit würde die gesetzliche Rentenversicherung zur Sozialfürsorge umgestaltet werden. Das kann nicht im Sinne unseres Rentensystems sein. ({5}) Es wurde heute bereits sehr ausführlich dargelegt, wie unsere Entscheidung unter Bundesminister Müntefering und der Bundesregierung für die Rente mit 67 zustande gekommen ist. 2030 wird es eine um drei Jahre längere Lebenserwartung geben; die Kollegin Schewe-Gerigk hat das dargestellt. Die Rente mit 67 bedeutet also keine Rentenkürzung. Vielmehr wird die Rentenbezugsdauer weiter steigen, nämlich von 17,2 Jahren auf knapp 19 Jahre. Das bedeutet letztlich, wir haben keine Rentenkürzung, sondern wir haben einen Ausgleich zwischen den Ansprüchen der jüngeren Generation der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und der gestiegenen Lebenserwartung für die Rentnerinnen und Rentner geschaffen. Das ist ein notwendiger gesellschaftlicher Ausgleich, der die Grundlage dafür schafft, dass unsere Gesellschaft im Rahmen des Generationenvertrags weiterhin zusammenhält. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Enkelmann?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Präsident, ({0}) weil ich den Eindruck habe, dass es hier nur noch um Wahlkampf geht. Außerdem gibt es verschiedene Kollegen, die möglicherweise zum Beispiel einen Zug erreichen müssen. Im Hinblick auf die längere Lebensarbeitszeit müssen in den Betrieben auch entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden. Ich gebe dem Kollegen Schaaf ausdrücklich recht: Die Gewerkschaften, die Arbeitgeber und viele andere sind aufgefordert, in der Gesellschaft dafür zu sorgen, dass bessere Arbeitsbedingungen für die ältere Generation in den Betrieben organisiert werden. Wir sind dabei auf einem guten Weg. Die Teilnahme älterer Menschen am Erwerbsleben ist gestiegen, und zwar insbesondere seit die Regierung Angela Merkel angetreten ist. Das lässt sich auch statistisch belegen. Ich darf ganz kurz die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, die mir vorliegt, darstellen: Im Jahr 2005 waren im Dezember in der Gruppe der 50- bis 54-Jährigen 2 922 800 sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im Dezember 2008 war die Zahl der Beschäftigten in der gleichen Altersgruppe auf 3 270 000 gestiegen, also eine klare Steigerung der Zahl der Erwerbstätigen aus der älteren Generation. Dies wird sich fortsetzen. Noch etwas ist sehr bemerkenswert: In der Kategorie der 60- bis 64-Jährigen waren im Dezember 2005 noch 751 000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im Jahr 2008, ebenfalls im Dezember, waren es 936 000. Das zeigt sehr deutlich: Wir haben es geschafft, dass die ältere Generation weiterhin am Erwerbsleben teilnehmen kann. Das sollten wir als Chance begreifen, statt dazu beizutragen, dass die ältere Generation aus dem Erwerbsleben herausgedrängt wird, wie es letztendlich die Folge Ihrer Anträge wäre, werte Damen und Herren von der Linken. ({1}) Einer solchen Politik werden wir nicht die Hand reichen. Wir werden deshalb Ihre Anträge ablehnen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Altersrente - Erhö- hung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurückneh- men“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/12737, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12295 abzuleh- nen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Es lie- gen zwei Erklärungen zur Abstimmung vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ist das erfolgt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir setzen die Abstimmungen fort. Tagesordnungspunkt 68 b: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- ziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Die gesetzliche Rentenversicherung zur solidari- schen Erwerbstätigenversicherung ausbauen“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11445, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6440 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Soli- darausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbro- chenen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/10335, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7038 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit derselben Mehrheit wie zuvor angenommen. 1) Anlagen 4 und 5 2) Ergebnis Seite 26179 C Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 67 auf: Beratung des Bericht des Petitionsausschusses ({0}) Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2008 - Drucksache 16/13200 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Kersten Naumann für die Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Meine Damen und Herren! Als Erstes möchte ich korrigieren, dass ich als Ausschussvorsitzende und nicht als Vertreterin der Linken spreche. Ich möchte direkt anschließend meine Verärgerung über das mangelnde Interesse für diesen Tagesordnungspunkt zum Ausdruck bringen. ({0}) - Schön, dass Sie da sind, Herr Wieland. Ich freue mich, dass Sie da sind. Bei aller Wichtigkeit des Bundeswahlgesetzes bin ich davon überzeugt, dass die Arbeit des Petitionsausschusses Respekt und mehr Beachtung verdient hat und nicht weniger bedeutend ist. - Dies nur einleitend. ({1}) Die Vorstellung des Jahresberichts möchte ich mit zwei Fragen beginnen: Was versteht man bei der Arbeit des Petitionsausschusses unter einem guten Jahr? War 2008 ein gutes Jahr? - Im eigentlichen Sinne war es das nicht. Denn die Anzahl der Zuschriften, die uns erreichten, ist im Vergleich zum Vorjahr wieder angestiegen. Dies ist ein Indiz dafür, dass es immer noch zu viele Probleme gibt, für die der Petitionsausschuss oft der letzte Rettungsanker ist. Somit gehört der Petitionsausschuss zu den wenigen, die sich nicht über steigende, sondern über eher sinkende Zahlen freuen würden. Damit bin ich auch schon bei den Zahlen aus dem Jahr 2008. Insgesamt gingen 2008 18 096 Eingaben beim Petitionsausschuss ein; das waren etwa 72 Zuschriften pro Arbeitstag. Trotz der hohen Anzahl von Petitionen gibt es einen Grund zur Freude: Im vergangenen Jahr wurde das Provisorium der öffentlichen Petition in den Regelbetrieb übernommen. Ziel der öffentlichen Petition ist es, ausgewählte Themen, die von den Petenten vorgegeben wer26178 den und die von allgemeinem Interesse sind, im Internet auf der Seite des Petitionsausschusses vorzustellen und zur Diskussion anzubieten. Diese öffentlichen Petitionen erfuhren bereits in der Probephase einen stetig wachsenden Zuspruch seitens der Internetnutzer. So wurden in dem dreijährigen Modellversuch von 2006 bis 2008 667 Petitionen im Netz mitgezeichnet und diskutiert. Nach einer zwischenzeitlichen intensiven Vorarbeit sowohl des Ausschussdienstes als auch der Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus, die für das Internet und den IT-Bereich zuständig sind, konnte im Oktober 2008 der Startschuss für den regulären Betrieb der Onlinepetition gegeben werden. Aufgrund der publikumswirksamen Vorbereitungen und positiver medialer Begleitung stieg die Zahl der Diskussionsbeiträge von etwa 900 pro Monat auf 2 500 am Ende des Jahres 2008. Im November 2008 wurde die Arbeit des Petitionsausschusses mit dem „Politik-Award“ gewürdigt. Das war eine große Auszeichnung für uns, auf die wir auch stolz sind. ({2}) Doch nicht nur die Anzahl der öffentlichen Petitionen, sondern auch die Anzahl der Zugriffe auf die Internetseiten des Petitionsausschusses mit derzeit fast 800 000 pro Jahr ist ein beeindruckender Beweis des steigenden Interesses der Bürgerinnen und Bürger. Hier ein Beispiel von vielen: So verzeichnete eine Petition, bei der die Reduzierung der Besteuerung von Diesel und Benzin gefordert wurde, über 128 000 Mitzeichnungen bei insgesamt 1 130 Diskussionsbeiträgen. Kommen wir zu einem anderen Thema, den Sammelund Massenpetitionen. Bei den Sammel- und Massenpetitionen gab es auch im Berichtszeitraum wieder Themen, die einige Tausend Unterstützer fanden. So gingen bei den Massenpetitionen bezüglich der Forderung nach Änderung des Luftsicherheitsgesetzes allein 22 339 Zuschriften ein. Bei den Sammelpetitionen führte eine Petition zur vorgesehenen Änderung des Steuerberatergesetzes mit über 37 000 Unterschriften die Liste an. Größtes übergreifendes Thema bei den Massen- und Sammelpetitionen war jedoch 2008 die Rentenproblematik. Allein 7 930 Massenpetitionen und zusätzlich an die 30 000 Unterschriften zur Rentenerhöhung bzw. -anpassung Ost/West, zur Altersarmut und zum Renteneintrittsalter wurden eingereicht. Ausgewählte Themen, denen nicht nur bezüglich der Anzahl der Mitzeichner ein großes Interesse zuteil wird, sondern die auch in den Medien einen hohen Stellenwert finden, werden vom Ausschuss in öffentlichen Beratungen behandelt. Dazu werden die Petenten nicht nur eingeladen, sondern sie erhalten auch Rederecht, um ihre jeweiligen Positionen darzustellen. Außerdem können sie sich an der Diskussion beteiligen. So wurden zum Beispiel Themen aus dem Verkehrswesen, aus der Gesundheitspolitik, der Umweltpolitik, dem Wirtschafts- und Steuerrecht sowie über die Situation der Heimkinder in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1975 behandelt. Bei diesem letzten Thema war das Interesse der Öffentlichkeit besonders groß, sodass als Ergebnis ein runder Tisch ins Leben gerufen wurde, der unter Leitung der früheren Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Antje Vollmer, diese Zeit aufarbeiten wird. Die eigentliche Erfolgszahl für den Ausschuss ist jedoch die Zahl der Petitionen, bei denen den Bürgerinnen und Bürgern wirklich geholfen werden konnte. Circa 38 Prozent aller Eingaben konnten mit einem positiven Ergebnis für die Petenten abgeschlossen werden. ({3}) Welche Bereiche waren es im Jahr 2008, zu denen die meisten Zuschriften eingingen? Hier steht nach wie vor beharrlich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit insgesamt 4 096 Eingaben auf Platz eins. Das sind 22,6 Prozent aller Eingaben. Ganz vorn standen die Petitionen zur Sozialversicherung sowie zur Höhe der Leistungen. Auch die Frage der Angleichung der Renten in den neuen und alten Bundesländern spiegelte sich in vielen Zuschriften wider. Das Thema Rente ist seit Jahren ein Dauerbrenner. Allein 1 940 Petitionen bezogen sich darauf. Das war sogar eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Den größten Zuwachs mit 2 462 Eingaben verzeichnete jedoch das Finanzministerium, welches damit auf die zweite Stelle vorgerückt ist. Ein Schwerpunktthema war die Einkommensteuer mit sehr vielen Eingaben zur Entfernungspauschale. Kritik gab es an der Erhöhung der Mehrwertsteuer, und es wurde die Reduzierung der Mineralölsteuer gefordert. Das Justizministerium nahm mit 12 Prozent der Eingaben die dritte Stelle ein, wobei es - wie in den vergangenen Jahren - in einem hohen Maße um Beschwerden über Gerichte und Staatsanwaltschaften ging. Hier sind dem Petitionsausschuss jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen die Hände gebunden, da Art. 97 des Grundgesetzes die richterliche Unabhängigkeit gewährt. Sehr stark stiegen auch die Eingaben im Bereich des Innenministeriums von 1 278 im Vorjahr auf 1 811 in 2008. Schwerpunkte waren das öffentliche Dienstrecht sowie die im Berichtszeitraum erfolgte Verabschiedung der Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechtes. Einige Petenten wandten sich auch gegen die Erfassung biometrischer Daten für Reisepässe und Personalausweise. Weitere Themen waren das Waffenrecht sowie das Ausländer- und Asylrecht. Einen Zuwachs verzeichnete auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit 1 570 Eingaben im Vergleich zu 1 070 im Vorjahr. Dabei spannte sich der Bogen von der Forderung nach ausreichenden Parkplätzen für Lkws an Autobahnen über die Einführung einer Pkw-Maut für Autobahnen und Bundesstraßen, einer Helmpflicht für Fahrradfahrer bis hin zu einem barrierefreien Zugang zu Bahnsteigen. Ein imKersten Naumann mer wiederkehrendes Thema ist der Lärmschutz, was sowohl die Straßen und die Schienen als auch den Luftverkehr betrifft. In diesem Zusammenhang führte der Ausschuss im Berichtszeitraum zwei Ortsbesichtigungen durch. Interessant ist auch die Frage nach dem Anteil der Zuschriften aus den einzelnen Bundesländern. Relativiert man auf 1 Million Einwohner, um einen realistischen Vergleich zu gestatten, dann liegen alle fünf neuen Bundesländer an der Spitze, gefolgt von Hessen und Niedersachsen. Baden-Württemberg bildet hier das Schlusslicht. Berlin ist mit 450 Eingaben je 1 Million Einwohner am eingabefreudigsten. Bei vielen Eingaben wird immer wieder deutlich, welche Verzweiflung oft hinter den Hilferufen an den Petitionsausschuss steht, welche persönlichen, familiären und finanziellen Situationen die Betroffenen dazu veranlassen, ihr ganzes Vertrauen in diesen - unseren Ausschuss zu investieren. Um für den Petenten die bestmögliche Lösung zu finden - das darf ich hier mit Bestimmtheit von allen sagen -, knien sich die Mitglieder des Ausschusses bei vielen Fällen regelrecht hinein. Dafür meinen herzlichen Dank. Es gab aber auch immer wieder Fälle, bei denen bereits bestehende Gesetze aufgrund von Petitionen überarbeitet werden mussten, da mögliche Härtefälle im Vorfeld nicht bedacht wurden. Leider kann ich auch nicht verschweigen, dass es uns traurig stimmt, wenn wir feststellen müssen, dass uns öfters die Hände gebunden sind. Manchmal gelingt der große Durchbruch, und manchmal muss man einsehen, dass die ersehnte Hilfe nicht versprochen werden kann oder nur kleine Erfolge möglich sind. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch etwas zum Selbstbewusstsein des Petitionsausschusses sagen. Die Art. 17 und 45 c des Grundgesetzes sind nicht irgendwelche Artikel, sondern bilden die Rechtsgrundlage unserer Arbeit. Das ist der Auftrag. Um diesen erfüllen zu können, benötigen wir die uneingeschränkte Kooperation der von uns angerufenen Stellen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir sehr hartnäckig sind, wenn es um die Petentinnen und Petenten geht, die sich voller Vertrauen an uns wenden. ({4}) Nicht vergessen möchte ich, einen besonderen Dank an die Mitarbeiter und Sachbearbeiter des Petitionsausschussdienstes zu richten. Nur durch ihren unermüdlichen Einsatz und eine stets kollegiale Zusammenarbeit mit den Ausschussmitgliedern konnte die große Zahl der Anfragen, Bitten und Beschwerden bearbeitet werden, und dies bei gleichbleibender bzw. zeitweilig verminderter Arbeitskapazität. Herzlichen Dank! ({5}) Als Vorsitzende möchte ich mich aber auch bei meinen Ausschusskolleginnen und -kollegen aus allen Fraktionen bedanken. Die vergangenen dreieinhalb Jahre waren für mich lehrreich, spannend und in jeder Hinsicht reich an Erfahrungen. Ich wünsche dem neuen Petitionsausschuss weiterhin eine bürgernahe, konstruktive und sachliche Zusammenarbeit im Sinne der Petentinnen und Petenten. Dem neuen Ausschuss möchte ich folgenden Spruch von Indira Gandhi mit auf den Weg geben - ich zitiere -: Mein Großvater sagte mir einst, dass es zwei Sorten von Menschen gäbe. Die, die arbeiten, und die, die sich die Lorbeeren für diese Arbeit einheimsen. Er sagte mir, ich solle versuchen, in der ersten Gruppe zu sein; es gäbe dort viel weniger Konkurrenz. Herzlichen Dank und alles Gute! ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich komme auf den Tagesordnungspunkt 68 a zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 466. Mit Ja haben gestimmt 412, mit Nein haben gestimmt 52, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 466; davon ja: 412 nein: 52 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Monika Brüning Cajus Caesar Gitta Connemann Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen-Esser Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({5}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({6}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({7}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({8}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({9}) Stefan Müller ({10}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Ruprecht Polenz Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({11}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({12}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({13}) Hermann-Josef Scharf Norbert Schindler Georg Schirmbeck Andreas Schmidt ({14}) Ingo Schmitt ({15}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Andreas Storm Matthäus Strebl Thomas Strobl ({16}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({17}) Gerald Weiß ({18}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({19}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Volker Blumentritt Kurt Bodewig Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({20}) Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf ({21}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({22}) Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Petra Hinz ({23}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({24}) Frank Hofmann ({25}) Dr. Eva Högl Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({26}) Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({27}) Dr. Karl Lauterbach Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({28}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({29}) Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Ortwin Runde ({30}) Axel Schäfer ({31}) Marianne Schieder Otto Schily Silvia Schmidt ({32}) Heinz Schmitt ({33}) Carsten Schneider ({34}) Olaf Scholz Swen Schulz ({35}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörn Thießen Franz Thönnes Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Petra Weis Gert Weisskirchen ({36}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({37}) Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christian Ahrendt Daniel Bahr ({38}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Horst Friedrich ({39}) Hans-Michael Goldmann Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({40}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({41}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({42}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({43}) Markus Kurth Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({44}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Claudia Roth ({45}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Nein SPD Wolfgang Gunkel Detlef Müller ({46}) DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Klaus Ernst Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Monika Knoche Katrin Kunert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kornelia Möller Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({47}) ({48}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bettina Herlitzius Monika Lazar Hans-Christian Ströbele fraktionsloser Abgeordneter Gert Winkelmeier Enthalten SPD Dr. Wolfgang Wodarg BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Thilo Hoppe Wir fahren mit Tagesordnungspunkt 67 fort. Ich erteile dem Kollegen Gero Storjohann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({49})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der jährliche Bericht des Petitionsausschusses ist ein Highlight. - Es wäre schön, wenn das so wäre. Dieser Bericht ist aber eine Möglichkeit, wie wir als Ausschuss auf unsere Arbeit aufmerksam machen können. Deswegen ist es gut, dass wir über ihn diskutieren. Diese Diskussion wird nicht unbedingt kontrovers geführt, aber wir weisen auf Teilaspekte hin, die uns wichtig sind. In die heutige Debatte wird sicherlich auch einfließen, was wir in den letzten vier Jahren geleistet haben; denn die Arbeit im Petitionsausschuss war unter einer Großen Koalition zu leisten. Ich muss zugeben: Das war durchaus spannend; denn es gab Voten der Mitglieder vor der Großen Koalition, während der Großen Koalition und in Erwartung von anderen Koalitionen. ({0}) Das waren sicherlich keine einfachen Entscheidungsfindungen. Unser Hauptthema war das Onlinepetitionswesen, das wir gemeinsam in Schottland entdeckt haben, das wir gemeinsam entwickelt haben und von dem wir gemeinsam der Überzeugung sind, dass es etwas Gutes ist. Das Internet als solches eröffnet uns neue Kunden, neue Möglichkeiten, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Kritik an den Bundestag zu richten. Das, was als Experiment begann, ist inzwischen ein Aushängeschild geworden. Wir freuen uns natürlich, dass wir inzwischen, wenn ich von den Klicks im Internet ausgehe, der berühmteste Ausschuss geworden sind. ({1}) Es ist möglich, Petitionen im Internet zur Diskussion zu stellen, es ist möglich, sie zu unterstützen, und es ist möglich, andere Petitionen mitzuzeichnen, und das alles schnell vom Arbeitsplatz oder von zu Hause aus. Die Nutzerzahlen steigen enorm. Wir erleben, wie sich somit eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern aktiv an der Bundespolitik beteiligt - vielleicht auch aus einer gewissen Verärgerung heraus; aber auch das ist eine Beteiligung - und mit großer Leidenschaft mit dem Parlament in Kontakt tritt. ({2}) Onlinepetitionen sind für viele Menschen ein interessantes Mittel zur unmittelbaren Teilnahme an der Politik. Wenn darüber hinaus ein politischer Prozess entsteht, bei dem viele mitmachen, dann sind wir noch begeisterter. Wir in der CDU/CSU-Fraktion sind stolz auf diese Entwicklung. Wir haben sie mitgetragen; denn das Onlinepetitionswesen bereichert unsere Arbeit. Es ist zeitgemäß und hilft uns, auch jüngere Generationen für unsere Arbeit zu interessieren. ({3}) Wir als Ausschuss stellen fest, dass wir im Ausland eine Vorreiterrolle haben. Wir werden aufgefordert, unsere Erfahrungen mit den Onlinepetitionen woanders vorzutragen. In anderen Ländern, auch in einigen Bundesländern, wird die Onlinepetition jetzt möglich gemacht. Trotz aller Euphorie bleiben wir als Union aber dabei, stets zu betonen: Eine Petition wird nicht dadurch gewichtiger, dass sie ein großes Medieninteresse hervorruft und eine hohe Unterstützerzahl hat. ({4}) Wir wissen, dass dies oft von großem Interesse ist. Aber das Einzelschicksal, die kleine Ungerechtigkeit in einem Gesetz, interessiert uns sehr wohl, und wir versuchen immer, hier ein Sprachrohr zu sein. Egal, ob eine Petition von einem oder 50 000 Unterzeichnern die Unterstützung erfahren hat, für uns verdient jede Eingabe die gleiche Sorgfalt; sie erfährt auch die gleiche Sorgfalt. Es zählen Inhalt und Argument und nicht die mediale Wucht. Das, glaube ich, wird von allen Mitgliedern des Ausschusses so gesehen, besonders bei der Union. Oftmals geht es um ganz individuelle Lebensgeschichten. Die Petentinnen und Petenten, die sich an uns wenden, reichen uns sinnbildlich ein Vergrößerungsglas und zeigen, wie sich die allgemeinen Gesetze und Vorschriften im Einzelfall individuell auswirken. Deswegen gibt es den Petitionsausschuss; er ist hier Anwalt für die Sache. ({5}) Bitte verzeihen Sie mir, dass ich einen Fall aus dem Ausschussbericht herauspicke, der natürlich aus Schleswig-Holstein kommt und den wir zu einem guten Ende führen konnten. Es geht um den berühmten Leuchtturm Bülk an der Kieler Förde. Er ist ein beliebtes Ausflugsziel. Die Existenz der Kioskbetreiberin war bedroht, da am Leuchtturm Bülk Ausbaumaßnahmen seitens der Wasser- und Schifffahrtsdirektion anstanden. Der Petitionsausschuss wurde eingeschaltet. Es gelang uns innerhalb von zwei Monaten - das ist nicht üblich; es war also ein sehr schnelles Verfahren -, eine einvernehmliche Regelung herbeizuführen, die vorsieht, dass die Kioskbetreiberin an einem anderen Platz, auf der anderen Seite des Leuchtturms, ihr Geschäft weiterbetreiben kann. Darüber sind wir froh. ({6}) - Dies ist ein echtes Leuchtturmprojekt - den Ausspruch vom Kollegen Winkler nehme ich gern auf -, um das wir uns kümmern konnten. ({7}) Da ärgert man sich, dass man nicht selber auf dieses Wortspiel gekommen ist. ({8}) Sie sehen, wie wir hier zusammenarbeiten. Man muss damit rechnen, dass Vorschläge, die gemacht werden, von der Opposition oder den Koalitionsfraktionen übernommen werden. Deswegen muss man vorsichtig sein mit dem, was man sagt. Hier haben wir also eine gute Lösung herbeigeführt. Verkehrstechnisch wurde alles umgesetzt. Die Kioskbetreiberin hat sich sehr positiv über die Arbeit des Petitionsausschusses geäußert. Zum Schluss: Mein Dank gilt allen Mitarbeitern des Hauses, des Ausschussdienstes, an der Spitze Herrn Haase. Mein Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss. Mein besonderer Dank gilt den Vertretern der kleinen Fraktionen, die doppelt so viel arbeiten müssen wie die der großen Fraktionen. Das liegt allein in der Natur der Sache. Sie haben trotzdem alles geschafft. Ich persönlich empfand es als Bereicherung meiner parlamentarischen Arbeit, im Petitionsausschuss mitzuwirken. Ich bin sehr gerne weiterhin Mitglied des Petitionsausschusses. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Jens Ackermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedermann hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden. Wir hatten im Jahr 2008 mehr Bitten und Beschwerden zu bearbeiten als in den Jahren zuvor; 18 096 waren es ganz genau. Die Petenten, die sich an uns gewandt haben, müssen wir ernst nehmen. Wenn man sich anschaut, wo die meisten Petitionen eingegangen sind, stellt man fest: Das war im Ministerium unseres Staatssekretärs Franz Thönnes der Fall. Im Ministerium für Arbeit und Soziales gab es 4 100 Petitionen, im Finanzministerium 2 100, und im Gesundheitsministerium waren 1 500 Zuschriften zu verzeichnen. Diese Zahlen machen deutlich: Die Unzufriedenheit der Menschen wächst. Ich möchte einige Beispiele aus dem Bericht des Petitionsausschusses herausgreifen, die verdeutlichen, in welchen Bereichen die Menschen besonders unzufrieden sind. Unzufrieden sind sie zum Beispiel mit der Reform der Erbschaftsteuer. ({0}) Wie soll ein kleiner Familienbetrieb, der an die nächste Generation weitergegeben wird, überleben, wenn das Finanzamt gnadenlos abkassiert? ({1}) Ich fordere die Bundesregierung auf: Kümmern Sie sich um die kleineren Betriebe und die Familienbetriebe! Denn sie sind diejenigen, die in unserem Land Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. ({2}) Auch mit unserer Gesundheitspolitik sind die Menschen unzufrieden. Der Beitragssatz ist hoch, ({3}) der Steuerzuschuss ist sehr hoch, und die Versorgung hat sich nicht verbessert. Im Gesundheitswesen sind Warteschlangen und Rationierungen zu beobachten. Krankenschwestern und Ärzte sind von der zunehmenden Bürokratie genervt. Hier fordere ich die Bundesregierung auf: Machen Sie Schluss mit der Staatsmedizin und mit dem Einheitsbrei bei den Krankenkassen! ({4}) Auch andere Berufsgruppen wenden sich an uns. Die Einsatzkräfte im Rettungsdienst beispielsweise sind mit ihrer Situation sehr unzufrieden. Sie fordern, dass in einer Situation, in der sie vor Ort einem Notfallpatienten helfen, Rechtssicherheit bestehen muss. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Rettungsassistenten ihr Wissen und Können nicht voll einsetzen dürfen. Hier fordere ich die Bundesregierung auf: Erneuern Sie das Rettungsassistentengesetz, auch im Sinne der Notfallpatienten! ({5}) Die vielen Petitionen machen deutlich, wo der Schuh drückt. Die Menschen wenden sich an uns und bringen sich ein; das ist das Gute an unserem Petitionswesen. Es ist ein Beispiel für gelebte Demokratie, dass sich die Bürgerinnen und Bürger einmischen. Wir dürfen sie jedoch nicht enttäuschen. Sonst werden sie sich von uns abwenden. Nun möchte ich auf eine Erfolgsgeschichte eingehen, die im Bericht ebenfalls beschrieben wurde: auf die Onlinepetitionen. Dieser Weg ist einfach, dank der neuen Medien unkompliziert, und jeder hat die Möglichkeit, sich mit einem Klick zu beteiligen. Pro Monat gehen circa 2 500 Beiträge ein. Das heißt, dass insgesamt 1,1 Millionen Menschen sozusagen mittendrin statt nur dabei sind. Auch im Hinblick auf die Onlinepetitionen nenne ich einige Zahlen: 130 000 Petenten haben gesagt, dass die Steuern auf Diesel und Benzin viel zu hoch sind. In Grenzgebieten kommt es zu einem regelrechten Tanktourismus. ({6}) Mittlerweile macht es gar keinen Sinn mehr, 30 Kilometer von einer Grenze entfernt eine Tankstelle zu betreiben. Hier fordere ich die Bundesregierung auf: Senken Sie die Steuern auf Diesel und Benzin! ({7}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Vorratsdatenspeicherung. 13 000 Menschen haben gefordert: Schluss mit der Vorratsdatenspeicherung! Warum werden Telefonate und E-Mails von gesetzestreuen und unbescholtenen Bürgern gespeichert? Damit muss Schluss sein. 130 000 Menschen haben sich dagegen gewandt, Internetsperren einzuführen. Meine sehr geehrten Kollegen, vor einem Verbrechen ein Stoppschild einzurichten, das hilft überhaupt nichts. Man muss das Übel an der Wurzel packen, darf aber nicht das Internet zensieren. ({8}) Jeder hat die Möglichkeit, sich schnell an den Bundestag zu wenden. Ich fordere auch die Besucher auf der Zuschauertribüne auf: Besuchen Sie doch, wenn Sie heute nach Hause kommen, unsere schöne Homepage. Dort können Sie sich auch prima einbringen. ({9}) Unsere Ausschussvorsitzende hat schon erwähnt, dass ein runder Tisch eingerichtet worden ist. Alle Mitglieder des Ausschusses haben sich geehrt gefühlt, als Bundestagspräsident Norbert Lammert bei uns zu Gast war. Das war für unseren Ausschuss eine große Ehre und eine Auszeichnung. Ich hoffe, dass die Situation der Heimkinder der 50er- und 60er-Jahre dort näher beleuchtet werden kann. Ich fordere von hier aus dazu auf, die Streitigkeiten am runden Tisch zu beenden und wieder zur Sacharbeit zurückzukommen; daran sind wir sehr interessiert. ({10}) Das Wohl der Bürger steht im Mittelpunkt. Ich möchte, auch im Namen meiner Fraktion, einen Dank an das Ausschusssekretariat richten; es ist hier vertreten. Ohne Sie wäre es nicht möglich gewesen, die Fülle der Petitionen zu bearbeiten. Ich möchte mich auch bei den Mitarbeitern in unseren Büros für die Zuarbeit in Einzelfällen bedanken. Recht herzlichen Dank dafür! Aus dem Bundesland, aus dem ich komme - SachsenAnhalt -, haben uns 650 Petitionen erreicht. Ein großes Thema war die Forderung nach einer Angleichung der Rentenwerte Ost und West. Für einen Abgeordneten ist es wichtig, Zuschriften aus der Bevölkerung zu bekommen: Man kann sie in die politische Arbeit einfließen lassen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen Antrag vorgelegt, wie man das Rentenrecht Ost und West 20 Jahre nach der Wiedervereinigung auf ein Niveau bringen kann. Aus Sachsen-Anhalt haben uns auch viele Petitionen zum Thema Lärmschutz erreicht. Lärm an der Autobahn A 14 ist ein großes Problem. Ich freue mich, dass wir zusammen mit dem Land Sachsen-Anhalt zu einer Lösung kommen können. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir auf unsere Stellvertreter angewiesen sind. Der Kollege Gero Storjohann hat gesagt, die kleineren Fraktionen seien doppelt so stark mit Arbeit belastet, weil alle Petitionen begutachtet werden müssten. Unsere Stellvertreter Otto Fricke, Erwin Lotter, Volker Wissing und Ina Lenke sind voll in das Petitionswesen eingebunden. Das macht deutlich, dass die FDP-Fraktion die Menschen ernst nimmt. Wir hören auf die Menschen. Die Kollegen, die heute nicht da sind, Herr Lehrieder, sitzen schon wieder über Petitionen ({11}) und arbeiten an einer Beantwortung. Wir nehmen die Menschen ernst, wir hören auf sie. Bei der Bundesregierung bin ich mir nicht ganz so sicher, ob sie die Anliegen der Bürger ernst nimmt. Ich fordere die Bundesregierung auf: Hören Sie auf die Menschen! Gehen Sie auf die Menschen zu! Ansonsten werden Sie abgewählt. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Lydia Westrich für die SPD-Fraktion. ({0})

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Eine junge Frau hat sich voller Zuversicht in ihr Studium gestürzt. Sie hat BAföG erhalten. Sie stand kurz vor dem Abschluss. Dann kam eine Krankheit. Nun ist sie erwerbsunfähig. Ein Leben voller Hoffnungen - jetzt in Trümmern. Noch bevor sie sich in ihrer neuen, schweren Zukunft einrichten konnte, kam der BAföG-Bescheid mit der Forderung nach Rückzahlung der während des Studiums erhaltenen Unterstützung, obwohl sie sich jetzt mit ihrer Krankheit einrichten muss und keinen lukrativen Job hat. Die junge Frau hat sich an den Petitionsausschuss gewandt mit der Bitte, ihr die Rückzahlung des Darlehens zu erlassen. Sie wird damit erfolgreich sein, Herr Müller. Wenigstens diese Sorge soll sie los sein. Berücksichtigung des Anliegens unserer Petenten ist das höchste Votum, das der Petitionsausschuss vergeben kann. Er verlangt damit die Erfüllung der Petition, ohne Wenn und Aber. Es ist nicht sehr häufig, dass dieses unbedingte Votum von uns getroffen wird, da wir viele Aspekte zu berücksichtigen haben: Gibt es einen Präzedenzfall? Welche Kosten werden für die Allgemeinheit entstehen? Wir müssen ja bedenken, dass das, was wir einem gewähren, eventuell auch vielen anderen nicht verschlossen bleiben darf. Dann wird es meist sehr teuer. Wir müssen auch bedenken: Was für den einen eine Ungerechtigkeit bedeuten kann, kann für andere sehr hilfreich sein. Das heißt, wir müssen genau abwägen. Wir können als Regierungsfraktionen nicht so bedenkenlos votieren wie manche Oppositionsfraktionen. So können wir einer Forderung nach Erhöhung des Kindergeldes auf 400 Euro nicht leichtfertig stattgeben, weil wir wissen, dass bereits eine Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro mehr als 1 Milliarde Euro kostet. Eine Verdopplung des Kindergeldes mag wünschenswert sein, lässt sich aber nicht seriös finanzieren. Petitionsarbeit muss meiner Ansicht nach wahrhaftig und realitätsnah sein, wenn das Vertrauen der Bürger erhalten werden soll. ({0}) Jedem wohl und niemandem weh - so sehe ich die Aufgaben unseres Ausschusses nicht. Wir müssen aber die Anliegen mit offenem Herzen und Sinn aufnehmen und prüfen, und wir müssen nach Lösungen suchen. Ich denke, das ist unsere Aufgabe. Die Frau Vorsitzende hat schon erwähnt, dass wir Ausschussmitglieder eine große Portion Hartnäckigkeit aufbringen müssen. Wir müssen wieder und wieder nachfragen und Berichterstattergespräche führen. Die Ministerien haben ihre eingefahrenen Gleise, und Einzelschicksale sind nicht ihr Spezialgebiet - aber unseres. Wir Petitionsleute lassen nicht locker, und siehe da: Häufig gibt es doch Lösungen. Ein Zollbeamter hatte in einer für ihn schwierigen Lebensphase dem Alkohol etwas zu sehr zugesprochen und wurde vom Dienst suspendiert. Er legte Widerspruch ein und arbeitete in seiner Behörde untadelig weiter. Acht Jahre dauerte die Erledigung seines Widerspruchs. ({1}) Die Entfernung aus dem Dienst wurde leider gerichtlich bestätigt. Acht Jahre lang leistete er gute Arbeit und machte sich Hoffnungen, seinen Fehler von damals wiedergutgemacht zu haben, und dann kam doch das Aus. Da er Beamter war, floss noch nicht einmal Arbeitslosengeld. Gerichtsurteile können wir als Petitionsausschuss nicht aufheben, aber gemeinsam mit den anderen Berichterstattern konnte ich das Finanzministerium davon überzeugen, dass in diesem Fall auch eine soziale Verantwortung des Arbeitgebers gegeben ist. Ich bin glücklich, dass ihm das Finanzministerium eine Arbeitsstelle auf Probe angeboten hat. Ein anderer schlimmer Fall war das Verhalten einer Krankenkasse einer Petentin gegenüber, deren schwerstkrankes Kind stationär in einem Berliner Krankenhaus lag. Sie wohnte 200 Kilometer entfernt, und sie fuhr zu ihrem Kind, sooft sie konnte, bis es starb. Die Krankenkasse lehnte die Übernahme der Fahrkosten ab, da sie es verabsäumt hatte, eine schriftliche Bestätigung des Arztes anzufordern, dass ihre Anwesenheit für die erhoffte Heilung des Kindes notwendig war. Es ist klar, dass Besuche im Krankenhaus zur privaten Lebensführung gehören. Das wollen wir auch nicht ändern. Aber auch hier waren wir der Meinung, dass jeder Fall einzeln betrachtet werden muss. So hat sich die Krankenkasse mit der Petentin auf unser Drängen hin letztlich doch auf eine hälftige Übernahme der Fahrkosten geeinigt. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als alle Kraft, die wir haben, in das Finden einer Lösung zu investieren, wenn wir vor den Briefen sitzen, in denen teilweise tragische und ziemlich schwere Schicksale geschildert werden. Häufig sind wir nach langen Gerichtswegen die letzte Station, die verzweifelte und verbitterte Menschen anlaufen, und häufig können wir nichts tun, weil alle Möglichkeiten bereits ausgeschöpft wurden. Ich denke aber, es lohnt sich, in jeden Fall neu einzusteigen. Die Aufgabe besteht darin, aus den teilweise verbitterten Briefen, die nicht angenehm zu lesen sind, das Anliegen herauszufiltern und genau zu prüfen, ob es nicht doch Erleichterung und Hilfe geben kann. Immer wieder erleben wir, dass es sie gibt. Nach meiner 15 Jahre langen Arbeit im Petitionsausschuss kann ich den Bürgerinnen und Bürgern nur versichern, dass ihre Wünsche und Forderungen von uns sehr ernst genommen werden. Das gilt für alle Kolleginnen und Kollegen, die sich dieser Arbeit, wie Herr Storjohann es deutlich gemacht hat, verschrieben haben - ganz zu schweigen von den hervorragenden Mitarbeitern unseres Ausschussreferates und auch unseren eigenen Mitarbeitern, denen wir viel zu verdanken haben. Ich bin davon überzeugt, dass der Petitionsausschuss auch in Zukunft Auge, Ohr und Sensor der Bürgerinnen und Bürger sein wird. Alles Gute für die Zukunft! Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kollegin Westrich, liebe Lydia, das war Ihre letzte Rede. 15 Jahre im Petitionsausschuss - das verdient wahrlich Respekt und ein großes Dankeschön. ({0}) Wir wünschen Ihnen bzw. dir alles Gute für die nächsten Jahrzehnte deines Lebens. ({1}) Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die Linke. ({2})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die für uns im Ausschuss die vielen Tausend Petitionsakten vorbereitet und vorbearbeitet haben und damit eigentlich die Hauptlast dieser Arbeit getragen haben, also bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes. Sie haben täglich damit zu kämpfen und zu ringen, eine sachgerechte Behandlung der Anliegen der Petentinnen und Petenten zu erreichen - und dies in einer schwierigen Gemengelage zwischen Bitten und Forderungen der Menschen einerseits und den höchst unterschiedlichen Auffassungen der Ausschussmitglieder andererseits. Dies ist eine häufig nicht ganz dankbare Aufgabe. Aber dass sie diese Aufgabe wahrnehmen und sie bewältigen, dafür möchte ich ihnen meine Anerkennung und meinen herzlichen Dank aussprechen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Politikerinnen und Politiker sind wir bei unserer Arbeit gut beraten, dem Volk aufs Maul zu schauen. Früher vollzogen sich solche Beobachtungen nicht selten am Stammtisch in der Kneipe. ({1}) Worüber sich die Menschen Gedanken machen und welche Wünsche sie an die Politik haben, wird heute oft von Meinungsforschungsinstituten ermittelt. Ich bin aber der Überzeugung, die Petitionen sind ein sehr geeignetes Mittel, um auch außerhalb von Gastronomiebetrieben dem Volk aufs Maul zu schauen. Die Befassung mit den Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern ist ein Gewinn für das Parlament, ein Erkenntnisgewinn. Durch Petitionen wird uns Politikerinnen und Politikern deutlich gemacht, wie die Bürgerinnen und Bürger die Anwendung der Gesetze erfahren und die Rechtslage erleben. Im Petitionsausschuss können wir dazu beitragen, dass Missverständnisse aufgeklärt, Behördenfehler erkannt, Konflikte bereinigt und Rechte der Bürgerinnen und Bürger durchgesetzt werden. Wir lassen die Rechtssituation prüfen und sollten dann dazu beitragen, eventuell festgestellte Gesetzeslücken zu schließen. In diesem Sinne war der für 2008 zu verzeichnende Anstieg der Zahl der Petitionen ein Mehrwert, ein Zugewinn an Erkenntnis für uns. Förderlich waren dabei die Zugangserleichterungen durch die Einführung der Onlinepetition und der öffentlichen Petition. Dabei darf jedoch eines nicht übersehen werden: Um eine Onlinepetition einzureichen, um eine öffentliche Petition mitzuzeichnen oder sich am Diskussionsforum zu beteiligen, braucht man einen PC und einen Internetzugang. Viele Menschen jedoch besitzen keinen Computer und haben nicht die finanziellen Mittel für einen Internetanschluss. ({2}) Hier stelle ich nun den Zusammenhang her zwischen der Wahrnehmung von Rechten der Bürgerinnen und Bürger, ihrer sozialen Situation und der regionalen Infrastruktur. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob die Menschen im Land die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen und ihre Rechte wahrzunehmen, oder ob es Hürden und Hindernisse gibt, die wir ausräumen müssen. ({3}) Die angesprochenen Themen sind vielfältig; dazu wurde bereits einiges gesagt. Es fällt aber auch im Bericht von 2008 auf, dass die meisten Petitionen den Bereich Arbeit und Soziales betreffen - über 4 000 Petitionen. Der Ausschuss muss diese Tatsache kritisch hinterfragen und auch thematisieren. Über 800 Petitionen, also etwa 20 Prozent, betrafen die Grundsicherung. Warum gab es dann aber in dieser Wahlperiode nicht eine öffentliche Ausschusssitzung zum Thema Hartz IV und den damit zusammenhängenden Problemen? ({4}) Der Jahresbericht hält uns einen weiteren Spiegel vor. Schlüsselt man die Petitionen danach auf, wie viele Petitionen auf 1 Million Einwohner in den jeweiligen Bundesländern kommen, ergibt sich folgendes Bild: Nach Berlin folgen Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Das sind also die fünf neuen Bundesländer. Gemessen an der Zahl der Menschen in diesen Ländern kamen aus diesen Bundesländern die meisten Petitionen. Das ist kein Wunder. Von der Angleichung der Lebensverhältnisse Ost und West sind wir auch nach 20 Jahren Einheit noch weit entfernt. Offenbar hat sich die Bundesregierung mit dem unlängst vorgelegten Bericht zum Stand der deutschen Einheit auch vom Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu schaffen, verabschiedet, spricht sie doch nur noch davon, die ostdeutschen Bundesländer bis 2019 an das Niveau strukturschwacher Regionen im Westen heranführen zu wollen. Dem Volk aufs Maul zu schauen, heißt deshalb für mich auch, nicht nur zuzuhören, sondern die Erkenntnisse, die gewonnen wurden, in die parlamentarische Arbeit einzubeziehen. Kritisch sehe ich dabei Folgendes: Viele Petitionen wurden ohne direkte Beteiligung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier erledigt. Den 17 091 im Jahr 2008 abgeschlossenen Eingaben stehen nur 7 317 Petitionen gegenüber, die der Ausschuss dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt hat. Das bedeutet, dass eine große Zahl von Petitionen erledigt wurde, ohne dass das Parlament die Gelegenheit genutzt hat, sich selbst mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger zu beschäftigen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass der Ausschuss vergrößert und sein Verwaltungsapparat strukturell erweitert würde. Damit würden aber auch sein Gewicht und seine Bedeutung gestärkt. Die Bürgerinnen und Bürger gehen meiner Auffassung nach mit Recht davon aus, dass ihre Petitionen die Abgeordneten erreichen. Die Bilanz der Erledigungen ist ernüchternd. Von 17 091 abgeschlossenen Petitionen wurden 2008 lediglich 43 Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung bzw. Erwägung überwiesen. Das heißt, in nur 2,5 Promille der Fälle hat der Petitionsausschuss mit seinem Votum zum Ausdruck gebracht, dass er eine Abhilfe im Sinne der Petenten für geboten hält. ({5}) Ich denke, es wäre wichtig, zu wissen, was davon von der Bundesregierung aufgenommen und umgesetzt wurde. ({6}) Die CDU/CSU-Fraktion gibt sich in einer schriftlichen Stellungnahme zum Jahresbericht gegenüber einer Fortentwicklung des Petitionsrechts durchaus aufgeschlossen. Sie meint jedoch, dass vor einer Erweiterung der Befugnisse des Ausschusses eine klare Analyse stehen müsse, ob der Petitionsausschuss mit den im Grundgesetz sowie im Befugnisgesetz angelegten Grundsätzen tatsächlich nicht auskommt. Ich schlage vor, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, sich zunächst einmal mit zwei Punkten zu beschäftigen: mit der Transparenz des Petitionsverfahrens und dem einklagbaren Anspruch auf inhaltliche Befassung. Die Ausgestaltung des Petitionsrechts im Sinne dieser Punkte ist auch ohne die Erweiterung von Ausschussbefugnissen möglich. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung hat erst im April eine Studie zur Bekanntheit und zum Ansehen des Petitionsausschusses mit vielen nützlichen Anregungen für die Verbesserung des Petitionswesens vorgelegt. Ich hoffe, dass unsere heutige Debatte und der vorliegende Jahresbericht einen Beitrag dazu leisten, diese Verbesserungswünsche aufzugreifen. Ich wünsche mir, dass das Petitionsrecht in weiteren Kreisen der Bevölkerung bekannt wird. Es ist nämlich eine Möglichkeit der Bürgerbeteiligung und könnte damit auch seinen Teil dazu beitragen, die Politikverdrossenheit abzubauen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Kollege Josef Winkler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege Wieland möchte ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz hören, aber ich werde in den sieben Minuten, die mir zur Verfügung stehen, auf das große Ganze eingehen. Sie können selber nachlesen, welche Fälle besonders interessant waren. Auch ich möchte mich zunächst im Namen meiner Fraktion bei der Frau Vorsitzenden, den Kolleginnen und Kollegen aus dem ganzen Hause, aber vor allem auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen, den Abgeordnetenbüros und der Verwaltung des Deutschen Bundestages für die gute und faire Zusammenarbeit bedanken. Wir haben vor, die Zusammenarbeit auch in Zukunft überwiegend freundlich und kollegial zu gestalten. Daran werde ich mich jetzt auch in meiner Rede halten, auch wenn Frau Kollegin Binder mich ein bisschen gereizt hat. ({0}) Bürgernah, innovativ und erfolgreich: Das ist das Modell Petitionsausschuss. Der Jahresbericht 2008 ist ein Dokument des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit des Deutschen Bundestages. Erlauben Sie mir eine Bemerkung an die Linksfraktion: Wenn es weniger Petitionen gibt, dann loben Sie die Bundesregierung auch nicht dafür, dass sie die Probleme aller Bürgerinnen und Bürger gelöst hätte, sondern beschweren sich, dass zu wenig für das Petitionsrecht geworben worden wäre. Gibt es aber mehr Petitionen, dann heißt es, Staatssekretär Thönnes komme seinem Job nicht richtig nach. Irgendetwas gibt es immer zu meckern. ({1}) Der Jahresbericht ist zugleich Ausweis für unsere Problemlösungskompetenz und die Bereitschaft zum Dialog. Wir zeigen mit unserer Arbeit, dass man als normaler Bürger Hindernisse überwinden und Ziele - auch im politischen Bereich - erreichen kann. Uns gelingt es, benachteiligte Menschen in den politischen Prozess einzubeziehen. Wir haben zudem neue Zugänge zum Petitionsrecht und neue Formen der Partizipation gemeinsam geschaffen. Meine Damen und Herren von der Linken, Sie haben Ihre Vorschläge, über die wir erstmalig debattiert haben, nicht auf die Tagesordnung des Ausschusses setzen lassen. Wenn Sie das beantragt hätten, hätten wir uns nicht verweigert. Wir haben mehrfach nachgefragt. Sie selber haben aber keinen akuten Bedarf gesehen. Insofern weiß ich nicht, an wen sich die Beschwerde von Frau Binder, die sie am Ende ihrer Rede formuliert hat, richtet. Wir haben feststellen müssen: Oft reimt sich E-Petition, also elektronische Petition, auf Opposition. Es gibt auf jeden Fall - der Kollege Hagemann hat das eben eingeworfen - öffentlich zugängliche Internetcafés, in denen man relativ preiswert surfen kann. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Niemand ist gezwungen, per E-Mail eine Petition einzureichen. Wir haben das bestehende Grundrecht auf das Einreichen einer Petition nur ergänzt; denn es gibt inzwischen Leute, die kaum noch wissen, wie man ohne eine Tastatur schreiben kann. Für viele junge Leute stellt das Postkarten- und Briefeschreiben von Hand eine Herausforderung dar. Aber auch ihnen wollen wir die Möglichkeit geben, eine Petition an den Bundestag zu richten. Sie sollen nicht erst zur Oma gehen müssen, um es sich aufschreiben zu lassen. ({2}) Wichtig ist uns: Egal ob die Petition von einer Person eingereicht wird, ob Petitionen von Dritten für andere eingereicht werden, ob es ein Kind oder ein Erwachsener ist, der schreibt, oder ob es 100, 1 000 oder 100 000 sind, die eine Petition unterzeichnen, der Bundestag nimmt alle Petitionen gleichermaßen ernst, ({3}) - sofern sie ernst gemeint sind; sagen wir es einmal so -; denn das Anliegen des Einzelnen ist unser Kerngeschäft. Gerade bei den ganz leisen, verzweifelten und einsamen Petitionen hören wir genau hin. Das hat die Kollegin Westrich gerade deutlich gemacht, indem sie einige besonders krasse Beispiele genannt hat. Es gibt trotz alledem keinen Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Das sieht man an den Petitionen im Bereich der sozialen Sicherung. Wenn die Bundesregierung noch einmal in den Rückspiegel des Jahresberich26188 tes 2008 des Petitionsausschusses schaute, sähe sie, dass die Politik noch einiges nachzuholen hat. Ein Musterbeispiel dafür ist - es ist ein bisschen dem Ende der Wahlperiode und der Blockadesituation in der Großen Koalition geschuldet - die Petition zur Generation Praktikum. Diese Petition wurde bereits 2006 eingereicht und wurde von über 100 000 Menschen unterschrieben. Wir waren uns über die Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass hier Abhilfe geschaffen werden muss, dass sich nicht ein Praktikum an das andere reihen darf, womöglich noch unbezahlt, obwohl die Betroffenen schon einen akademischen Abschluss haben. Hier gab es leider gar keine Fortschritte. Ich bin froh, dass wir uns im Ausschuss immer einig waren: Wir lassen die Regierung mit diesem Problem nicht allein. - Wir haben mehrfach Staatssekretäre aus mehreren Häusern frühmorgens, um 7 Uhr oder 7.30 Uhr, in den Ausschuss bestellt, damit es für alle Beteiligten unterhaltsam ist, und haben sie gegrillt. Das hat leider nichts gebracht. Da hier nicht das Prinzip der Diskontinuität gilt, wird die nächste Wahlperiode Abhilfe bringen müssen. Vielleicht lassen wir dann die Sitzungen um 6 Uhr morgens beginnen, Herr Staatssekretär Thönnes. ({4}) - Das ist für uns kein Problem. Um diese Uhrzeit endet manchmal erst das Plenum. Zur Petition, in der es um Heimkinder geht, wurde schon einiges gesagt. Ich habe dazu nur ein, zwei Anmerkungen zu machen. Die in den Medien aufgebauschten Konflikte decken sich nicht ganz mit dem Verfahrensstand, den ich kenne. Vor kurzem endete die dritte Sitzung des runden Tischs „Heimerziehung“. Dort wurde sehr konstruktiv gearbeitet. Da die Kollegin, die an den Sitzungen teilgenommen hat, gleich noch etwas dazu sagen wird, nur so viel: Es ist schon ein Problem, dass der ehemalige Staranwalt Witti - seinen Namen kann ich nennen, weil er selber ihn so gerne in der Zeitung liest -, der die Anwaltszulassung verloren hat, weil er Entschädigungsgelder, die er für jüdische Mandanten erstritten hatte, veruntreut hat, der Hauptberater des Vereins ehemaliger Heimkinder ist. Die Betroffenen sollten sich überlegen, ob sie sich damit wirklich einen Gefallen tun. ({5}) Ein letzter Gedanke am Ende. Wir haben in diesem Jahr den 60. Geburtstag unseres Grundgesetzes begangen. Ich möchte aus diesem Anlass an den ersten mündlichen Bericht des Petitionsausschusses vor dem Deutschen Bundestag am 20. März 1952 erinnern; denn dort findet sich eine Lehre für uns alle. In jener ersten Debatte zu einem Jahresbericht sprach die berichterstattende Abgeordnete Albertz von der SPD-Fraktion von jenen Petenten - ich zitiere -, „die etwas merkwürdige Wünsche an den Bundestag haben“, und sie brachte das Beispiel einer - Zitat - „Junggesellin, die auch für die Gasthäuser Raucher- und Nichtraucherabteile vorgesehen wissen möchte, weil sie sich durch die qualmenden Männer belästigt fühlt“. ({6}) Der Stenografische Bericht des Bundestages verzeichnete an dieser Stelle: „Hört! Hört! und Heiterkeit“; ich nehme an, Ähnliches tut er auch heute. Damals aber wurde diese Petition mit einem Schenkelklopfen einfach abgetan. Nach über 50 Jahren haben sich der damaligen Junggesellin - ich weiß nicht, wie sie sich weiterentwickelt hat ({7}) auch die verheirateten Frauen und Männer und im letzten Jahr sogar die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages angeschlossen, und die Petentin hat sich letztendlich durchgesetzt. Das heißt, auch Petitionen, die uns auf den ersten Blick etwas abenteuerlich anmuten, können doch zum Erfolg führen. In diesem Sinne: Wir nehmen auch solche Anliegen, die auf den ersten Blick Heiterkeit hervorrufen, ernst. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSUFraktion.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte mir ähnlich wie die anderen Kollegen vorgenommen, heute, am offiziell letzten Sitzungstag, eigentlich nur nett zu sein. Aber Sie, Frau Kollegin Binder, machen mir das ein bisschen schwer. Wenn Sie ihre negative Bilanz davon herleiten, dass wir nur einen geringen Prozentsatz an Petitionen an die Regierung zur Berücksichtigung überweisen konnten, so ignorieren Sie - die Linke ignoriert in diesem Hohen Hause leider immer öfter das Zahlenmaterial - die Vielzahl der Petitionen, die abgeschlossen werden konnten, weil sich das Anliegen durch eine Gesetzesinitiative erledigt hat. Denken Sie an die Vielzahl der Petitionen zur Pendlerpauschale, die sich in der Zwischenzeit durch die Gesetzesänderung aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erledigt haben. Denken Sie daran, dass wir in der Großen Koalition mit den Konjunkturpaketen in vielen Bereichen Bürgeranliegen entsprochen haben. All das ignorieren Sie, und Sie tun so, als ob der Petitionsausschuss ein stumpfes Schwert sei. Man muss schon ehrlich mit den Leuten umgehen. Das ist insbesondere für unsere Zuschauer auf der Tribüne und an den Fernsehgeräten wichtig. Jeder Bürger unseres Staates kann sich mit Bitten oder Beschwerden an die Volksvertretungen des Bundes und auch der Länder wenden. So ist es in Art. 17 des Grundgesetzes festgeschrieben. Zudem ist der Petitionsausschuss einer der wenigen Ausschüsse, dessen Einrichtung das Grundgesetz in Art. 45 c zwingend vorschreibt. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Immer mehr Bürger werden sich dieses grundlegenden Rechts bewusst. Oft sind sie mit ihren Anliegen auf anderen Wegen gescheitert und versprechen sich von uns Hilfe; die Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Für alle BePaul Lehrieder teiligten bietet deshalb der Petitionsausschuss große Chancen: Der Bürger bekommt für ein konkretes Anliegen Unterstützung, Behörden und Gesetzgeber bekommen ein Feedback aus dem täglichen Leben über Schwachstellen im Praxistest der Vorschriften, und schließlich bekommen wir als Abgeordnete die Rückkopplung über das Wirken der Gesetzgebung in Fällen, wie sie jedem von uns auch in unserer Wahlkreisarbeit begegnen - neben den Stammtischen, Frau Kollegin Binder. Es ist eine Vielzahl von Problemen, die uns begegnen. Wir haben uns in den letzten Jahren Gedanken über die Legalisierung von Haschisch und - ich schaue in eine bestimmte Richtung - über die Bagatellisierung von Schwarzfahrern in öffentlichen Verkehrsmitteln gemacht, diese Petitionen aber mit großer Mehrheit abgelehnt. Allerdings sollte die Arbeit des Petitionsausschusses nicht missverstanden werden. Er kann weder einen Verwaltungsakt noch einen Gerichtsbeschluss verändern oder aufheben. Die Bürger können auch keine Gesetzesinitiativen einbringen. Der Petitionsausschuss ist vor allem ein Untersuchungsorgan. Die Beschlüsse des Plenums über Petitionen sind zunächst einmal rechtlich unverbindlich. Die Bundesregierung ist leider nicht einmal an das Votum des Parlaments gebunden. Damit ist der Petitionsausschuss aber kein stumpfes Schwert in der Hand des Bürgers. Im Gegenteil: Sobald sich ein Petent an den Petitionsausschuss wendet, wird seine Beschwerde oder Bitte von einer privaten Angelegenheit zu einem öffentlichen Anliegen. Der Bürger hat durch Petitionen die Möglichkeit, seine Interessen gegenüber seinen Vertretern unmittelbar zu artikulieren. So werden die stark repräsentativ geprägten Verfahren der parlamentarischen Willensbildung durch ein gewisses plebiszitäres Element ergänzt. Kurzum: Der Petitionsausschuss ist nahe bei den Menschen. Deshalb bin ich froh, in diesem Ausschuss mitarbeiten zu dürfen, gerade auch, wenn ich ganz persönlich Erfolge in dieser Arbeit sehe. Fünf der von mir bearbeiteten Petitionen sind in den vorliegenden Tätigkeitsbericht aufgenommen worden. Eine davon möchte ich Ihnen kurz als Beispiel dafür vorstellen, wie viel der einzelne Abgeordnete, wie viel wir gemeinsam im Sinne des Bürgers bewegen können. In einem Fall beklagte sich eine Petentin darüber, dass das Bundes-Immissionsschutzgesetz lediglich auf durchschnittlich lärmempfindliche Menschen abstellt. Der besonderen Empfindlichkeit von Kindern, alten, kranken oder behinderten Menschen gegenüber den von Windkraftanlagen ausgehenden Schallemissionen trage es jedoch nicht Rechnung. Ihr Sohn sei Epileptiker und daher in dieser Hinsicht besonders empfindlich. Eine Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg gegen den Betrieb der in der Nachbarschaft befindlichen Windkraftanlagen ist unter anderem mit der Begründung abgewiesen worden, dass das Baurecht auf eine lediglich durchschnittliche Empfindlichkeit abstelle. Vor diesem Hintergrund forderte die Petentin den Gesetzgeber auf, in der Formulierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes deutlich zu machen, dass diese Vorschrift lediglich auf durchschnittlich empfindliche Menschen abstellt, Kinder, alte, kranke und behinderte Menschen dagegen nicht besonders berücksichtigt. Insbesondere sollte der Begriff „Menschen“ durch die Wörter „durchschnittlich empfindliche Menschen“ ersetzt werden. Der Petitionsausschuss ist hier zur Auffassung gekommen, dass das Bundes-Immissionsschutzgesetz hinreichend Schutz vor entsprechenden Lärmemissionen bietet, und hat daher nicht der Forderung der Petentin nach einer begrifflichen Ergänzung des Gesetzes entsprochen. Zugleich unterstrich der Petitionsausschuss jedoch die Notwendigkeit, die Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung zur Wirkung der von Windkraftanlagen ausgehenden Infraschallemissionen auf den menschlichen Organismus insbesondere im Hinblick auf lärmempfindliche Personengruppen weiterhin genau zu verfolgen, um erforderlichenfalls eine rasche Gesetzesanpassung vornehmen zu können. Daher empfahl der Ausschuss, die Petition dem Bundesumweltministerium als Material zu überweisen und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben. In konkreten Fällen Probleme lösen zu helfen, für Klarheit zu sorgen, ist eine dankbare Aufgabe für einen Volksvertreter und hat eine Bedeutung darüber hinaus. Für den Petenten ist der Staat nicht anonym. Für den Abgeordneten, den er ins Parlament entsandt hat, ist er Wähler, aber auch Bürger mit oft berechtigten Anliegen. Deshalb darf ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive, sachliche, gelegentlich, Herr Winkler, auch sehr humorvolle Arbeit im Petitionsausschuss bedanken. Ich wünsche mir weiterhin dieses konstruktive kollegiale Miteinander und Ihnen ein paar ruhige und erholsame Wochen. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, was das Tolle an der Arbeit im Petitionsausschuss ist, außer dass er viel Arbeit macht, mehr Arbeit als jeder andere Ausschuss? Das Tolle ist, dass man ganz nah an den Anliegen und Problemen von Menschen arbeitet und parteipolitische Hahnenkämpfe und Schauanträge relativ selten vorkommen. Man versucht, sehr nahe dranzubleiben. Man sucht Lösungen. Das wird leider in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, macht aber die Arbeit so befriedigend. Der Petitionsausschuss ist garantiert nicht dazu da, agitatorische Eingaben entgegenzunehmen, um Beteiligung sicherzustellen. Da wären wir 25 überfordert. Wir haben uns mit den Wünschen, Anliegen, Beschwerden von Menschen auseinanderzusetzen. Dahinter stehen zum Teil massive Probleme, die die Menschen belasten, weil sie keine Lösung finden. Ich möchte drei Beispiele anführen, wo konkrete Eingaben zu Gesetzen geführt haben. Es war nicht immer sehr angenehm für den Staatssekretär, mit mir zu reden, weil ich manchmal wie ein Bullterrier sein kann. Wenn ich mich in etwas verbissen habe, dann lasse ich es nicht mehr los, bis ich eine Lösung habe. Er hat mir versprochen, dass er die beiden Gesetzentwürfe erarbeitet. Wir haben sie in der letzten Sitzungswoche verabschiedet. Ich will das kurz darstellen. Erstens ging es um behinderte Kinder in Pflegefamilien. Sie leiden unter der Schnittstellenproblematik von Sozialgesetzbuch XII - Sozialhilfe - und Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -; sie werden permanent hin- und hergeschoben. Die Pflegeeltern eines behinderten Pflegekindes haben dann eine Eingabe gemacht. Niemand war bereit, für diese Familie genauso zu handeln, als wenn das Pflegekind nicht behindert wäre. Man kann es sich manchmal wirklich nicht vorstellen, aber es war so. Wir haben eine Lösung gefunden. Jetzt werden die Kinder gleichgestellt. Ich hoffe, dass wir langfristig, nach 2013, eine noch bessere Lösung haben werden. ({0}) Zweitens. Für contergangeschädigte Menschen haben wir die Gesetzeslage verändert. Kurzfristig ging uns eine Eingabe zu. Das Thema mag für manche nebensächlich sein, für die Betroffenen ist es aber ganz wichtig. Da ist jemand ohne Arme, aber nicht blind, und er hat einen Behindertenbegleithund. Wenn er mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, muss er entweder für den Hund oder für die Begleitperson eine Fahrkarte lösen. Wäre der Betreffende blind, müsste er für beide keine Fahrkarte lösen. Da haben wir gesagt: Das kann ja nicht wahr sein. Da ist ein Bruch in der Logik. Wir haben also die Hunde, die Blindenführhunde und die Behindertenbegleithunde, gleichgestellt. Wir haben ein Gleichstellungsgesetz für Hunde gemacht. Ich finde es ganz toll, dass uns das gelungen ist. Es sind wirklich oft Kleinigkeiten, bei denen wir helfen. ({1}) Wir haben drei Jahre lang intensiv mit Menschen und über Menschen beraten, die vor Jahrzehnten in der Bundesrepublik in Heimen waren; der Herr Winkler und die Frau Vorsitzende haben es schon angesprochen. Wir hätten rechtlich keine Handhabe gehabt, irgendeine Lösung anzubieten. Wir haben aber sehr ernsthaft beraten. Ich danke allen sehr herzlich dafür, dass sie nicht gesagt haben: Es gibt kein Gesetz. Weg damit! Beschluss: Es kann nicht geholfen werden. Wir haben es zu einer Aufgabe des Parlaments gemacht. Wir haben einen Runden Tisch eingerichtet. Wir haben klare zeitliche Vorgaben formuliert, etwa dazu, wann wir eine Lösung erwarten. An diesem Tisch sitzen jetzt Fachleute, Betroffene, Menschen, die Einrichtungen betrieben haben, oder deren Nachfolger. Wir wollen bis Ende 2010 einen Bericht mit Lösungsvorschlägen bekommen. Wir lassen uns auch nicht, durch wen auch immer, davon abbringen. Ich sitze mit am Runden Tisch. Wer mich kennt, weiß: Da muss einer schon ganz kräftig Anlauf nehmen, um mich ins Stolpern zu bringen, wenn ich mir ein Ziel vorgenommen habe. Hier habe ich mir das Ziel vorgenommen: 2010 findet das Parlament eine gemeinsame Lösung, wie wir dem Unrecht abhelfen können, das diesen Menschen angetan wurde. In diesem Sinne hoffe ich eigentlich wieder auf gute - Nein, ich habe meinen Mitarbeitern versprochen, dass ich nicht noch einmal in den Petitionsausschuss gehe. Nach elf Jahren ist auch eigentlich genug. Aber ich stehe garantiert zur Verfügung, wenn Menschen in meiner Fraktion sagen: Mach wenigstens Stellvertretung bei der Petitionsbearbeitung! - Das ist wirklich die beste Lehrwerkstätte für alle im Parlament. Man erfährt, wenn man bei einem Gesetz nicht gut gearbeitet hat, und man erfährt, wenn man bei einem Gesetz gut gearbeitet hat. Etwaige Mängel gemeinsam auszubügeln, finde ich schön. Hervorzuheben ist vor allem auch die immer konstruktive Arbeit mit allen Kolleginnen und Kollegen. Ich würde mir wünschen, die Medien würden dort einmal hereinschauen, um festzustellen, wie wirklich gearbeitet wird. Herzlichen Dank, vor allem auch dem Ausschussdienst, der mein manchmal unkonventionelles Vorgehen immer mitgetragen hat. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl kaum einen Ausschuss oder kaum ein Gremium, dem von den Bürgerinnen und Bürgern so viel Vertrauen entgegengebracht wird wie dem Petitionsausschuss. Das ist erfreulich, ermutigend, aber manchmal auch belastend; denn die Vielfalt der Lebensverhältnisse wird hier deutlich, aber auch die Erwartung, dass in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft dem jeweiligen individuellen Anliegen tatsächlich Rechnung getragen wird. Das ist nicht immer einfach, und das stößt an Grenzen - an Grenzen des Parlaments, an Grenzen des Rechtsstaates und an Grenzen der Akzeptanz von denjenigen, die möglicherweise negativ von Regelungen betroffen werden. Die Anregungen, Hinweise und Bedenken, die der Petitionsausschuss an die Regierung, die Fraktionen und die Bundesministerien leitet, fließen nicht selten in Initiativen und Gesetzesvorhaben ein. Das Recht, insbesondere das Sozialrecht, wird immer ausdifferenzierter und immer undurchschaubarer - für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Abgeordnete. Man hat manchmal den Eindruck, dass man kaum noch den Überblick über das Sozialrecht behalten kann. Ich halte es für notwendig, die Sozialgesetzbücher - das ist ein Ergebnis der vielen Petitionen, die sich damit beschäftigen - darauf durchzusehen, wo welche Sachverhalte aufeinander abgestimmt werden können. Wenn zum Beispiel bei einer Rehabilitationsmaßnahme Lohnersatzleistung gezahlt wird und die im Haushalt des Rehabilitanden lebenden Stiefkinder bei der Berechnung der Leistung nicht berücksichtigt werden, in demselben Haushalt aber bei Leistungen nach der Grundsicherung für Arbeitsuchende Stiefkinder sehr wohl mit einbezogen werden, so ist das nur schwer erklärbar und nicht mehr darstellbar. Wir müssen auch in den Sozialgesetzbüchern Gleiches gleich behandeln. Diesbezüglich sehe ich dringenden Handlungsbedarf. ({0}) Ohne Zweifel hat mich und uns in dieser Legislaturperiode die Petition der ehemaligen Heimkinder am meisten bewegt. Vieles kam da zusammen: Lebensschicksale der Kriegs- und Nachkriegszeit mit psychologisch belastenden Problemen für Eltern und Erzieher und vielleicht daraus resultierender Machtmissbrauch und Übergriffe auf Schutzbefohlene. Das ist ein hochkomplexes Thema. Der Petitionsausschuss hat es sich - wie Frau Rupprecht das schon dargestellt hat - mit dieser Petition nicht einfach gemacht. So entstand in einem Beratungszeitraum von mehr als drei Jahren ein ungewöhnliches Verfahren im Petitionsausschuss mit einem für den Petitionsausschuss ungewöhnlichen Ergebnis, das der Situation der Betroffenen Rechnung trägt. Ja, ich war und bin wie die übrigen Mitglieder des Petitionsausschusses auch von dem individuell erlebten Unrecht, von dem uns ehemalige Heimkinder in nichtöffentlichen Sitzungen berichtet haben, tief bewegt und betroffen. Dennoch - Frau Rupprecht hat es gesagt - hätten wir es uns auch einfach machen können. Wir hätten die Petition einfach an die Landesparlamente weitergeben können. Denn der Bund war damals nicht der Handelnde, er hatte keine Aufsicht und keine Zuständigkeit. Wir waren uns aber einig, dass wir diesen Menschen, die in diesem Abschnitt der deutschen Geschichte gelebt haben, so nicht gerecht geworden wären. In der Petition der ehemaligen Heimkinder ging es um eine sehr zentrale Frage. Es ging darum - das wurde übrigens in allen Gesprächen deutlich -, dass die nun ins Alter gekommenen ehemaligen Heimkinder ein Anrecht darauf haben, dass das in ihrer Kinder- und Jugendzeit Erlebte in Worte gefasst, bekannt und so durch Gesellschaft und Staat wahrgenommen wird. Die Erfahrungen waren damals durchaus unterschiedlich. Bei weitem nicht jeder, der in einem Heim war, ist misshandelt worden. Die genaue Zahl ist übrigens auch nicht bekannt. Aber diejenigen, die das erlebt haben, haben ein Anrecht darauf, dass gesehen wird, wovon ihr Leben geprägt und geformt war. Das muss aufgearbeitet werden. Die Kirchen sind im Übrigen dabei. Sie haben ein Projekt zur Erforschung der konfessionellen Heimerziehung in der früheren Bundesrepublik an der RuhrUniversität Bochum in Auftrag gegeben. Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die Bodelschwinghschen Anstalten und viele andere haben an diesem Thema gearbeitet. Ich freue mich sehr, dass wir nach vielen Gesprächen mit Vertretern der Heimkinder, der Träger und der Wissenschaft fraktionsübergreifend beschlossen haben, einen Runden Tisch einzurichten. Ich bin sicher, dass Dr. Antje Vollmer diesen Runden Tisch kompetent, umsichtig und zielstrebig leitet. Dafür gebührt ihr unser aller Dank. ({1}) Dank gilt auch dem Bundesfamilienministerium, das im Auftrag der Länder die begleitende Koordination übernommen hat. Große Sorgen - das will ich hier nicht verheimlichen bereitet mir in diesem Zusammenhang die aktuelle Entwicklung. Wie man einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Juni 2009 entnehmen konnte, nutzen einige Rechtsanwälte die schwierige Situation des Vereins ehemaliger Heimkinder und die Situation von ehemaligen Heimkindern aus, um die Konflikte auf dem Buckel der ohnehin schon Betroffenen in ihrem Sinne noch einmal neu auszutragen. ({2}) Finanzielle Forderungen standen im Übrigen bei der Petition nicht im Mittelpunkt; vielmehr standen die Lebensschicksale im Mittelpunkt. Noch mehr irritiert mich die in dem FAZ-Artikel enthaltene Information, dass die Giordano-Bruno-Stiftung, eine, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb, „neuatheistische Stiftung“, die sich offensichtlich dem Kampf gegen Kirche und Religion widmet, nun die Situation ehemaliger Heimkinder ebenfalls für ihre Interessen nutzt. Ich wünsche sehr, dass der Runde Tisch in Ruhe arbeiten kann. Das entspricht auch dem Wunsch des Petitionsausschusses. Ich kann nur warnend darauf hinweisen, dass sich Außenstehende das Schicksal ehemaliger Heimkinder zunutze machen und auf deren Rücken nun ihre eigenen Interessen verfolgen. Ich bin sicher, dass die Anliegen ehemaliger Heimkinder beim Runden Tisch gut aufgehoben sind und dass dort sehr geordnet und sehr geplant daran gearbeitet wird, dass ihren Interessen und den Interessen aller anderen Rechnung getragen wird. Meine Damen und Herren, für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit auch in dieser Frage danke ich den Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich. Das war nicht einfach, es war aber, wie ich meine, eine Sternstunde guter Zusammenarbeit über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Ich danke sehr herzlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes, die sich mit dieser Frage ebenso schwergetan haben wie wir, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen und in den Abgeordnetenbüros. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Clemens Bollen für die SPD-Fraktion.

Clemens Bollen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003875, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Petitionsausschuss bestimmen die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ganz direkt und unmittelbar unsere Tagesordnung. Das wurde hier in allen Berichten der Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss schon deutlich. Unser Bemühen, über die Fraktionsgrenzen hinweg nah bei den Menschen zu sein, ihre Sorgen und Nöte ernst zu nehmen, kann auch das Bild der Politik und der Politiker in ein besseres Licht rücken. Insofern arbeiten wir erfolgreich. Wichtig ist insbesondere, dass wir im Dialog mit den Menschen stehen. 18 000 Eingaben, 600 000 Unterschriften und Tausende Diskussionsbeiträge im Internet zeigen einerseits, dass von Politikverdrossenheit in unserem Bereich keine Rede sein kann. Andererseits zeigt all das aber auch, wie viel Handlungsbedarf besteht. Man kann das Ganze von daher auch als gelebte Demokratie bezeichnen. Die Kritik an bestehenden Gesetzen und Verhältnissen oder an ungerecht empfundenen Entscheidungen ist auch eine Art von Motor, der die Politik antreibt. Deshalb dürfen wir diese Arbeit niemals als Bürde ansehen, sondern als Ansporn dazu, Fortschritte und Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele unserer Arbeitsschwerpunkte wurden hier schon angesprochen. Ich erinnere an das Schicksal von Heimkindern, das uns besonders betroffen gemacht hat. Das, was wir hier auf den Weg gebracht haben, ist ein Erfolg für die gemeinsame Arbeit im Petitionsausschuss. Die Berichte zeigten aber auch, dass im Bereich Arbeit und Soziales ein weiterer Schwerpunkt liegt. Ich erinnere nur an die 4 000 Petitionen, die zu diesem Bereich eingereicht wurden. Kritik an Abläufen der Arbeitsverwaltung oder Fragen zur Rente machen deutlich, welche Verantwortung wir haben. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der sich im Moment rasant verändernden Bedingungen aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Darauf müssen wir generell schnell reagieren. Damit können wir auch deutlich machen - es ist, wie ich glaube, ganz wichtig, sich das bewusst zu machen -, dass nicht jedes Gesetz in Stein gemeißelt ist. Gerade bei Themen wie Kurzarbeit, Arbeitslosengeld und Rentenübergang müssen wir uns deshalb einbringen. Ich glaube, das haben wir auch sehr engagiert getan. Nun ein paar konkrete Fälle aus dem Bereich Arbeitsund Rentenrecht, den ich bearbeite. Ein deutscher Bergbaukumpel, der in Polen und Deutschland gearbeitet hatte, sollte, nachdem er sich die Bergmannskrankheit zugezogen hatte, von der Berufsgenossenschaft nur einen geringen Betrag erhalten. Die Berufsgenossenschaft stellte sich auf den Standpunkt, den Differenzbetrag solle er sich von der polnischen Seite holen. Angesichts der Europamüdigkeit in der Bevölkerung können wir gerade an diesem Beispiel deutlich machen, dass wir nicht nur ein Europa der freien Märkte, sondern auch ein soziales Europa anstreben. Hier konnte ein klarer Rentenbescheid erreicht werden, der auch weitere Auswirkungen hat. Insofern ist dies ein konkretes Beispiel dafür, wie wir auch das Rentenrecht sozial mitgestalten können. ({0}) Daher war es gut, dass dieser Mann eine Petition eingereicht hatte. Denn gerade bei den Renten der Berufsgenossenschaften steht noch eine ganze Menge Arbeit an, damit wir die sich verändernden Bedingungen stärker mit einbeziehen können. Ein weiterer Bereich, der von uns oftmals unterschätzt wird, sind die Formulare. Ich meine die Amtssprache, die für die Menschen doch komplizierter ist, als wir uns das als Parlamentarier vorstellen können. Hier konnten wir die oftmals komplizierte Sprache der Formulare bei der Bundesagentur für Arbeit - dies betrifft gut Hunderttausende oder gar Millionen Menschen - mit verändern. Dieser Erfolg wird zwar nicht groß mit der Pauke verkündet, aber das hat trotzdem eine Verbesserung gebracht. Dies gilt auch für das Einbringen von vielen Novellierungen. Die fraktionsübergreifende Arbeit ist - das wurde hier deutlich - sehr effektiv, auch wenn man bei dem einen oder anderen Thema anderer Meinung ist. Beispielsweise mussten wir bei der Anrechnung der Abwrackprämie auf Einkommen von Arbeitslosengeld-II-Empfängern Kompromisse machen, aber wir haben hier eine Lösung gefunden. Vieles steht allerdings noch an. Beispielhaft nenne ich das Gutachterwesen bei Klageverfahren gegen Berufsgenossenschaften oder die Massenpetitionen im Zusammenhang mit dem VW-Gesetz. Hier müssen sicherlich noch viele Diskussionen geführt werden. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit bedanken. Obwohl ich mich zukünftig nicht mehr selbst darum kümmern kann - ich verabschiede mich nämlich mit dieser Rede aus dem Hohen Hause, weil ich auf eigenen Wunsch hin ausscheide -, bin ich mir doch dessen gewiss, dass alle Themen, also auch die noch anstehenden, bei Ihnen in besten Händen sind. Insbesondere möchte ich mich bei der Vorsitzenden, der Kollegin Naumann, für die engagierte Leitung des Ausschusses bedanken. Natürlich bedanke ich mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und bei Ihnen, Herr Winkler, für Ihre Einwürfe und engagierten Diskussionen und bei Ihnen, Herr Baumann. Mein Dank gilt auch meiner Sprecherin, Frau Gabriele LösekrugMöller, für die konstruktive Unterstützung. Ich wünsche Ihnen allen zum Wohle der Menschen in diesem Land alles Gute und viel Erfolg. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege Bollen, das war Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Dank für Ihre jahrelange Arbeit, auch im Petitionsausschuss. Wir alle wünschen Ihnen noch viele schöne, heitere und erfolgreiche Jahrzehnte in Ihrem Leben. Alles Gute! ({0}) Das letzte Wort in dieser Debatte hat Kollege Klaus Hagemann für die SPD-Fraktion.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Präsident hat gesagt, dass ich in dieser Debatte das letzte Wort habe. Das ist immer angenehm, weil man das eine oder andere aufgreifen und vielleicht auch richtigstellen kann. Die Reform des Petitionswesens hat sehr viel Lob und Anerkennung gefunden, und es war gut, dass wir die modernen Medien hier mit einbezogen haben. Lieber Kollege Storjohann und lieber Kollege Josef Winkler, dies hat bei einer gemeinsamen Dienstreise, die wir nach Schottland unternommen haben - Dienstreisen sind manchmal auch sinnvoll -, seinen Anfang genommen. ({0}) - Immer? Gut. Sie sind sinnvoll. Jetzt möchte ich mich an den Kollegen Winkler und die Grünen wenden: Wir haben es dann auch in Entwürfen umgesetzt, und da fiel mir das Zitat ein, Frau Kollegin Naumann, das Sie eben gebracht haben: Die einen arbeiten, so hat Indira Gandhi gesagt, und die anderen kassieren die Lorbeeren. Das ist hier nicht so. Vielen Dank, Kollege Storjohann, dass Sie uns so gelobt haben. Schließlich hattet ihr am Anfang Bedenken, und es hat eine lange Zeit gedauert, bis wir es gemeinsam einbringen konnten. Die Anstöße sind aber gekommen. Ähnliches gilt beim Ganztagsschulprogramm oder bei der Integrationsarbeit: Spät ist gut, aber nie ist schlecht. Deswegen sind wir froh, dass wir es jetzt so hinbekommen haben. Den Erfolg können wir bei der Massenpetition „Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ sehen. Den Gesetzentwurf haben wir beschlossen. 140 000 haben mitgezeichnet und viele Bedenken geäußert. ({1}) Leider konnten wir diese Massenpetition nicht mehr so behandeln, wie es sich gehört. Ich gehe allerdings davon aus und fordere dies schon heute, dass wir dies in der nächsten Legislaturperiode tun. Denn es gibt eine ganze Menge Anregungen - Frau Vorsitzende, ich schaue in Ihre Richtung -, und sie sind teilweise auch schon mit in den Gesetzentwurf eingeflossen, sodass dieser uns von Frau von der Leyen vorgelegte Gesetzentwurf, der am Anfang ein bisschen schwach war, durch die gemachten Vorschläge ein bisschen aufgepeppt worden ist. Nun soll nach drei Jahren eine Evaluation stattfinden. Wir sagen auch: Erst löschen, dann stoppen. Darüber hinaus soll es Gremien geben, die die Kontrolle ausüben. Das alles sind Anregungen, die in Gesprächen zwischen unserer Fraktion und der Petentin aufgegriffen worden und in den Gesetzentwurf eingeflossen sind. Ich bitte diejenigen, die mitgezeichnet haben, jetzt nicht zu resignieren. Denn das Ganze - ich sage es noch einmal - fällt nicht der Diskontinuität zum Opfer. Im Petitionswesen kennen wir die Diskontinuität nämlich nicht. Wir werden dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode behandeln und entsprechende Evaluationen durchführen. Wir bitten die Betroffenen darum, dass sie ihre Bedenken und ihre Äußerungen einbringen, sodass wir darüber beraten können. ({2}) Ein weiteres Kapitel, das schon vom Kollegen Winkler angesprochen worden ist, ist das Thema „Generation Praktikum“. Wir sind am Anfang der Legislaturperiode als Tiger gestartet und am Ende, jedenfalls inhaltlich gesehen, als Bettvorleger gelandet. Denn es ist ruhig um dieses Thema geworden. Aber das Problem ist immer noch vorhanden, dass viele Praktikantinnen und Praktikanten ausgenutzt werden und ihre Karriere nicht voranbringen können, obwohl wir in der Wirtschaft Fachkräfte brauchen. Deswegen müssen wir, Herr Kollege Schulz, dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode wieder auf die Tagesordnung setzen. Herr Staatssekretär, vielen Dank, dass Sie als einziges Mitglied der Bundesregierung die gesamte Zeit bei der Beratung anwesend sind. Wir hoffen, dass Sie die Vorschläge aus Ihrem Hause umsetzen können, damit die Praktikanten nicht weiter ausgenutzt werden. Ich bin guter Hoffnung, dass das gelingen wird. Zwischenzeitlich beschäftigen sich auch wissenschaftliche Organisationen - ich nenne die FraunhoferGesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft - mit der Frage, wie man vorhandene Kräfte nutzen kann, sodass sie unserer Wirtschaft nicht verloren gehen. Ich sage es noch einmal: Der Fachkräftemangel ist auch in Zeiten der Wirtschaftskrise spürbar. Deswegen muss hier gehandelt werden. Ich habe davon gehört, dass es in den Niederlanden ein sehr interessantes Projekt gibt, das dafür sorgt, dass auf der einen Seite die jungen Menschen weder ausgegrenzt noch ausgenutzt werden und dass sie auf der anderen Seite ihre wissenschaftlichen Kenntnisse einbringen können. Wir sollten uns dieses Modell zusammen mit der Wissenschaft und dem Bundesverband der Deutschen Industrie näher anschauen - denn auch der BDI ist der Meinung, es sei ein interessantes Modell -, sodass wir in der Lage sind, entsprechende Vorschläge zu machen. Ein weiteres Beispiel. Ich gehe nur kurz darauf ein, weil meine Redezeit fast zu Ende ist. Wir hatten viele Petitionen zum Thema BAföG, Herr Kollege Müller. Diese haben wir zum großen Teil aufgegriffen. Hier müssen auch die Behörden, die für den Vollzug verantwortlich sind, näher hinschauen. Auch das haben wir festgestellt. Dafür sind die Länder zuständig. Insbesondere eine Forderung haben wir in die Gesetzgebung einfließen lassen, nämlich die Forderung, das BAföG deutlich zu erhöhen. Ich bin froh und stolz darauf, dass uns das gelungen ist. ({3}) Mit Unterstützung des Petitionsausschusses konnten im letzten Oktober eine Erhöhung des BAföG um 10 Prozent und eine Erhöhung der Freibeträge um 8 Prozent erreicht werden. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Auf diesem richtigen Weg müssen wir weitergehen. Frau Binder, Sie hatten die personelle Erweiterung des Ausschussdienstes angesprochen. Still und heimlich haben Frau Kollegin Lösekrug-Möller und ich zusammen mit den Damen und Herren des Ausschussdienstes - in diesem Zusammenhang einen herzlichen Dank an sie - bei den Haushaltsberatungen mit dafür gesorgt, dass hier mehr Stellen zur Verfügung gestellt werden. So steht für die Arbeit mit den modernen Medien, die in die Arbeit des Petitionsausschusses Einzug gehalten haben, mehr Personal zur Verfügung. Auch da ist gehandelt worden. Meine letzte Anregung. Dieses Jahr feiern wir 60 Jahre Petitionsausschuss. Es gibt den Verein „Freunde des Petitionswesens“ in Bremen. Herr Bockhofer ist hier besonders zu nennen. Er hat eine Ausstellung vorbereitet, die im Moment noch bei ihm zu Hause steht. Wenn es uns gelingt, 10 000 bis 15 000 Euro aufzutreiben, dann können wir diese Ausstellung möglichst noch dieses Jahr oder spätestens nächstes Jahr im Deutschen Bundestag zeigen. Ich glaube, Herr Bockhofer sowie seine Freundinnen und Freunde haben es verdient. Herzlichen Dank an alle, die hier zum Erfolg der Arbeit des Petitionsausschusses im Interesse der Menschen beigetragen haben. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 69 a bis 69 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutzaudits und zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/12011 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 16/13657 - Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Gisela Piltz Silke Stokar von Neuforn b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Hans-Michael Goldmann, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Datenschutz-Audit-Verfahren und Datenschutz-Gütesiegel einheitlich regeln - zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Kai Gehring, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Datenschutzaudit umsetzen - Gütesiegel stärkt Bürgerrechte und schafft Akzeptanz für wirtschaftliche Innovationen - zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({2}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Datenschutz stärken - Bewusstsein schaffen - Datenmissbrauch vorbeugen - Drucksachen 16/9452, 16/1169, 16/1499, 16/10216, 16/13657 - Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Gisela Piltz Silke Stokar von Neuforn c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Dr. Thea Dückert, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte der Beschäftigten von Discountern verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Kerstin Andreae, Volker Beck Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter sichern - Datenschutz am Arbeitsplatz stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Datenschutz für Beschäftigte stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente und praxisgerechte Regelungen gesetzlich absichern - Drucksachen 16/9101, 16/9311, 16/11376, 16/12670, 16/13364 Berichterstattung: Abgeordnete Anette Kramme Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Beatrix Philipp für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({5})

Beatrix Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002750, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzten Plenartage einer auslaufenden Legislaturperiode erzeugen bei vielen Kolleginnen und Kollegen eine merkwürdige Stimmung. Je nachdem, was sie besonders bewegt, erbringen die einen philosophische Glanzleistungen im Angesicht des Abschieds aus diesem Hohen Hause, die anderen hinterlassen eine Art Vermächtnis für nachfolgende Generationen. Sogar Wehmut wird spürbar. Oft hatte ich den Eindruck, dass das Gefühl vorherrschte, nach bestem Wissen und Gewissen für die Menschen in diesem Land gewirkt zu haben. Diese Gedanken haben mich in den letzten Tagen häufiger berührt und machten - das gebe ich ehrlich zu - den Einstieg in das heutige Thema nicht einfacher, zumal bis in die letzten Tage hinein in den Medien zum Teil falsch berichtet wurde. Zur Sache. Ich habe den Auftrag, Sie mit dem Ergebnis ausgesprochen schwieriger Koalitionsverhandlungen bekannt zu machen, mit einem Ergebnis, von dem jeder, aber auch wirklich jeder an einer anderen Stelle sagen könnte: Das hätte ich viel lieber anders gehabt. Aber jeder weiß, dass wir nicht alle zufriedenstellen konnten. Ich will so ehrlich sein, Ihnen zu sagen: Wir wissen auch, dass es Gruppierungen gab, die nach dem Motto „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“ bis in die letzten Tage hinein nicht geglaubt haben, dass es noch zu einer Einigung innerhalb der Koalition kommen werde. Wir wären unserer Verantwortung aber nicht gerecht geworden - davon bin ich fest überzeugt -, wenn wir dem nachgegeben hätten. Deswegen freue ich mich wirklich darüber, dass wir nach diesen langwierigen und intensiven Verhandlungen das Ziel der Verabschiedung der Datenschutznovelle II erreichen werden. ({0}) Natürlich ist niemandem verborgen geblieben, was Kundige immer schon wussten: dass Datenschutz stets auch eine Frage der Abwägung ist. In dem jetzt hinter uns liegenden Gesetzgebungsverfahren wurde das so deutlich wie selten zuvor. Kein Wunder, die Menschen erwarteten nach den Datenschutzskandalen bei der Telekom, bei Lidl, bei der Deutschen Bahn und bei anderen, dass die Politik und, ganz konkret, der für den Datenschutz zuständige Innenminister Dr. Schäuble darauf reagieren und auch agieren würde; das hat der Innenminister auch getan: Auf dem sogenannten Datenschutzgipfel wurden Eckpunkte formuliert, die, was Kundige ebenfalls wissen, erst in und durch die parlamentarischen Beratungen rund wurden. An dieser Stelle muss es einmal gesagt werden - wir haben im Innenausschuss eine intensive Debatte darüber geführt -: Es zeugt von einem merkwürdigen Demokratieverständnis und einem merkwürdigen Selbstverständnis von Abgeordneten der Opposition, wenn sie das nun vorliegende Ergebnis, das massive und deutliche Veränderungen beinhaltet, benutzen, dummes Zeug zu behaupten, etwa, wir hätten den Innenminister im Regen stehen lassen. Ich sage ganz ausdrücklich: Meine Fraktion und ich empfinden es - im Gegenteil - als besten Beweis für Demokratie, wenn ein gewähltes Parlament nicht nur nickt, sondern sich mit Gesetzentwürfen intensiv auseinandersetzt und sie eben auch verändert. ({1}) Interessant ist, dass ein solches Verhalten bei den Grünen völlig unüblich zu sein schien. Die SPD hat gelernt, weil sie sich früher mit „Basta!“ hat auseinandersetzen müssen. Wir haben jedenfalls diskutiert. Ich denke, wir können mit dem Ergebnis zufrieden sein. Wie gesagt: Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Beispiel für die Handlungsfähigkeit der Großen Koalition bis zum letzten Tag. Man merkt dem Entwurf aber auch den Verlauf der Verhandlungen an - auch das will ich deutlich sagen -: Er ist nur sehr schwer lesbar, wie man immer wieder merken kann. Das trägt sicherlich dazu bei, dass hier und da noch immer Irritationen bezüglich des Inhalts bestehen; das will ich gar nicht bestreiten. Es wurden immer wieder - in einem intensiven Diskussionsprozess ist das eben so - Verhandlungsergebnisse eingebaut. Immer wieder haben die vier beteiligten Ministerien, die vier Arbeitsgruppen und schließlich auch die Ausschüsse und nicht zuletzt die beiden Fraktionen ihre Schwerpunkte und unterschiedlichen Sichtweisen in die Gesprächs- und Koalitionsrunden eingebracht. Das wurde dann eingearbeitet. Beim Datenschutzgipfel im September 2008 wurde von den beteiligten Ministerien die Abschaffung des sogenannten Listenprivilegs als wirksames Mittel zur Verhinderung weiterer Datenskandale in Aussicht gestellt. Außerdem sollte ein verpflichtendes Opt-in eingeführt werden, das heißt die ausdrückliche Zustimmung zur Weiterverwendung der Daten. Meine Fraktion und ich haben sehr schnell erkannt, dass ein uneingeschränktes Opt-in für die Wirtschaft unzumutbar wäre. ({2}) - Herr Korte, man muss sich natürlich mit denen auseinandersetzen, die Kritik üben. Das haben wir gemacht. Die Argumente der Kritiker waren sehr glaubwürdig und überzeugend. Deswegen haben wir einen Teil der Argumente aufgenommen. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Es stellte sich auch heraus, dass ein generelles Verbot des Handels mit persönlichen Daten die Verbraucher vor kriminellen Machenschaften nicht schützen würde. So haben die Fachgespräche mit Vertretern von Handwerk und Mittelstand, mit dem Versandhandel, mit Spendenorganisationen, mit Markt- und Meinungsforschung, mit der Werbewirtschaft, mit den Verlegern, mit potenziellen Existenzgründern, mit unzähligen Interessenvertretern und mit Datenschützern dazu geführt, dass diese massiven Bedenken gehört wurden und zum Teil Berücksichtigung gefunden haben. Alle haben ungewöhnlich heftig reagiert, aber auch sehr differenziert, Herr Korte, und glaubwürdig, das heißt, überzeugend in ihren Argumenten. Vielleicht ist der Zeitpunkt ein besonders ungünstiger gewesen. Auf das Experiment, eine solche völlige Umkehr zu vollziehen zu einem Zeitpunkt, zu dem es Existenzprobleme gibt - wir stecken in einer schwerwiegenden Krise -, wollten wir uns in keinem Fall einlassen. ({3}) Wie gesagt: Die Argumente waren glaubwürdig und überzeugend. Deswegen trägt das Ergebnis, das die Koalition jetzt vorlegt, den Bedenken der Wirtschaft, der Verbraucher und nicht zuletzt der Datenschützer weitestgehend Rechnung. Die ernst zu nehmenden Bedenken haben uns bewogen, den Grundsatz des Opt-in zwar beizubehalten, aber Ausnahmen zuzulassen. Als Beispiel nenne ich die berechtigten Interessen der Spendenorganisationen und der für sie Tätigen, die nicht nur um ihre eigene Existenz fürchteten, sondern um das gesamte Spendenwesen im sozialen Bereich. Mit der Beipack- und Empfehlungswerbung wollen wir das Bewerben eigener Kunden durch die Unternehmen weiterhin zulassen. Zu Recht wurde zunächst bemängelt, dass es sich nur um eine sehr eng gefasste Ausnahmeregelung handelt. Es wurden weder Konzernstrukturen berücksichtigt noch Wirtschaftszweige, die auf direkte Werbeansprachen dringend angewiesen sind, zum Beispiel der Versandhandel und die Presse. Auch hier haben wir Abhilfe geschaffen: Künftig werden die Weitergabe und Nutzung von personenbezogenen Daten möglich sein, und zwar genau dann, wenn derjenige, der diese Daten zum Beispiel zu Werbezwecken nutzt, die Quelle der Daten angibt. So wird dem Verbraucher die Möglichkeit gegeben, den Gang seiner Daten zu verfolgen und genau dann zu stoppen, wenn er es nicht mehr will. ({4}) Diese Angaben von Quellen sind für die Wirtschaft absolut zumutbar. Meine Damen und Herren, natürlich sind auch Wünsche an uns herangetragen worden - das möchte ich ebenfalls ehrlicherweise sagen -, von denen ich behaupte, ihre Erfüllung hätte zwar dem eigenen Vorteil gedient, aber nicht der Sache. Deshalb ist ihnen nicht Rechnung getragen worden. Meine Redezeit erlaubt es leider nicht, intensiver und vollständiger auf Details einzugehen. Aber ich nutze die verbleibende Zeit gerne, um dankzusagen, zunächst den Damen und Herren in den Ministerien. Mit einer ungeheuren Geduld sind die jeweils vorgetragenen Wünsche der Koalitionäre nach jedem Gespräch an erster Stelle im Innenministerium, aber auch im Justiz-, Verbraucherschutz- und Wirtschaftsministerium oft fast rund um die Uhr umgesetzt worden. Ich habe dem Kollegen Dr. Bürsch dankzusagen. Ich werde ihn nach so vielen Jahren als Kopiloten im Datenschutz vermissen; ich denke, das darf man hier deutlich sagen. ({5}) - Ja, aber Sie sind nur ein Ersatz, Herr Wiefelspütz; auch das darf ich heute sagen. ({6}) Alle, die beteiligt waren, einte stets der Wunsch, den Datenschutz nach vorn zu bringen; sonst wäre dieses Ergebnis nicht denkbar gewesen. Selbst der Datenschutzbeauftragte, der auf der Besuchertribüne sitzt, ist weitestgehend zufriedengestellt. Meine Damen und Herren, auch die Berichterstatterin der Grünen, Frau Stokar von Neuforn, hatte in den letzten Jahren den Wunsch, den Datenschutz nach vorne zu bringen. Sie setzte zwar immer andere Schwerpunkte als wir, aber immerhin. Liebe Frau Stokar, auch wenn Sie aus verständlichen Gründen nicht als Berichterstatterin Ihrer Fraktion in dieses Gesetzgebungsverfahren eingebunden waren, ({7}) waren Sie bei den vielen gemeinsamen Gesprächen über das Thema Datenschutz und bei anderen Gelegenheiten in den vergangenen Jahren stets eine faire Kollegin. ({8}) Dafür möchte ich mich bei Ihnen ausdrücklich bedanken. ({9}) Abgesehen von den gesetzlichen Regelungen bleibt es eine ständige Verpflichtung, den Menschen nahezubringen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit der Pflicht, verantwortungsbewusst und sparsam mit den eigenen persönlichen Daten umzugehen, einhergeht. Daran müssen wir alle arbeiten, auch in der nächsten Legislaturperiode. Ich danke Ihnen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich begrüße den Datenschutzbeauftragten. Ich nehme an, dass es zu seiner Arbeit gehört, hier zu sein und diese Debatte zu verfolgen. Ich gebe der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der soeben begrüßte Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hat in einer der letzten Sitzungen des Innenausschusses darauf hingewiesen, dass es in den letzten Legislaturperioden immer in der letzten Sitzungswoche zu Verbesserungen beim Datenschutz gekommen ist. Herr Schaar, Sie haben recht behalten. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit! Geben Sie diesen Dank bitte an Ihre Mitarbeiter weiter. Sie haben uns in der zu Ende gehenden Legislaturperiode immer sehr geholfen. ({0}) Ich glaube, ich kann für alle, die sich in den letzten Monaten mit dieser Materie beschäftigt haben, festhalten - das gilt unabhängig von der jeweiligen Fraktion -: Mit diesem Thema haben wir uns so umfassend beschäftigt wie mit kaum einem anderen Thema. Wir haben - Frau Philipp hat schon darauf hingewiesen - so viele Gespräche mit Vertretern von Verbänden und Firmen geführt, wie es, jedenfalls für mich, bei bisher keiner anderen Gesetzesnovelle der Fall gewesen ist. Bedauernd muss ich feststellen: Nicht alle Gespräche verliefen in einem angemessenen Rahmen. Nicht selten mussten wir uns vorwerfen lassen, wir hätten eigentlich gar keine Ahnung, wovon wir sprechen, und man müsse uns erst einmal erklären, worum es geht. Vor diesem Hintergrund muss ich sagen: Ich finde es klug und richtig, dass wir den teilweise durchaus polemischen Forderungen nicht gefolgt sind und überzogene Weltuntergangsszenarien nicht ernst genommen haben, sondern wenigstens einen Schritt in die richtige Richtung machen. Allerdings, liebe Kollegin Philipp, ist eines richtig: In dieser Legislaturperiode ist kein Gesetz aus dem Hause des Bundesinnenministers so sehr verändert worden wie dieses, kein einziges. ({1}) Ich hätte mir gewünscht, dass sich die sogenannte Große Koalition, die sich im Innenausschuss dafür gefeiert hat, den Parlamentarismus entdeckt zu haben, auch bei dem einen oder anderen Gesetzgebungsverfahren entsprechend verhalten hätte. Das muss einmal gesagt werden. ({2}) Unsere Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf haben wir in unserem Entschließungsantrag zusammengefasst. Zwei Punkte möchte ich betonen: Erstens bedauern wir sehr, dass es wieder einmal nicht für ein Gesetz zum Datenschutzaudit gereicht hat, sodass § 9 a Bundesdatenschutzgesetz auch nach acht Jahren immer noch ins Leere läuft. Hält man sich vor Augen, dass wir diesen Punkt aus unserem gemeinsamen Antrag zum Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten gestrichen haben, weil alle Beteiligten der Meinung waren, dass er jetzt aufgegriffen wird, erscheint das umso skurriler. Wir hätten uns, auch um den Datenschutz zu stärken, gewünscht, dass dieses Vorhaben jetzt umgesetzt wird. Zweitens stand für uns, die FDP-Bundestagsfraktion, von Anfang an fest, dass das zentrale Anliegen sein müsste, jeden Bürger zum Herrn über seine Daten zu machen, und zwar in verfassungsgemäßer Weise. ({3}) Dass dies gelungen ist, wage ich zu bezweifeln. Aus unserer Sicht ging es darum, jedem Einzelnen das Recht einzuräumen, darüber zu entscheiden, ob jemand anderes mit seinen Daten Geld verdienen darf. Darum ging es, um nichts anderes. Wenn wir über Datenschutz reden, reden wir auch über informationelle Selbstbestimmung. Wir sprechen also über ein Grundrecht mit Verfassungsrang. Es galt, die durchaus berechtigten Interessen der Branche gegen dieses Recht abzuwägen. Auch wir wägen nämlich ab, auch wenn uns das in der Debatte heute Morgen abgesprochen wurde. Auch wir haben diese Interessen zur Kenntnis genommen, und wir haben in der Anhörung ei26198 nen Kompromissvorschlag gemacht, den Sie jetzt, zumindest teilweise, umgesetzt haben. Ob die nun gefundenen Veränderungen und Übergangsregelungen auf fruchtbaren Boden fallen und damit künftig insbesondere das Umhervagabundieren von Millionen Datensätzen unterbunden werden kann, bleibt abzuwarten. Wir hätten eine Formulierungshilfe für die Einwilligungsregeln, auch im Sinne der Wirtschaft, für klug gehalten. Zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz hätte ich mir heute eine eigene Debatte gewünscht. ({4}) Die ermattete Koalition hielt es aber nicht für nötig, sich darum weiter zu kümmern. Dass ich mich darüber ärgere, ist das eine. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland haben jedenfalls allen Grund, sich zu ärgern. ({5}) Ich frage mich - das habe ich schon beim letzten Mal gesagt -, ob die SPD als selbsternannte Arbeiterpartei ({6}) sich selbst überhaupt noch ernst nehmen kann. Seit elf Jahren stellen Sie den Arbeitsminister, seit elf Jahren haben Sie nichts getan. ({7}) Noch in der letzten Debatte hat die Kollegin Kramme hier groß angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode werde ein Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz kommen. Wie lange sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darauf noch warten? Wie lange wollen Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch im Regen stehen lassen? Im Kölner Stadt-Anzeiger war die folgende spannende Aussage des Arbeitsministers zu lesen: Wichtig ist, dass wir immer schneller sind als die Probleme. … Wir handeln schnell, wenn und wie es die Situation erfordert. ({8}) Offensichtlich hat er sich da selber nicht richtig verstanden. Wir bedauern das sehr. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten einen besseren Arbeitnehmerdatenschutz verdient. Wir werden abwarten, ob die heute zu beschließenden Regelungen tatsächlich klare und praktizierbare Rahmenbedingungen für alle Beteiligten bieten. Wir werden uns das genau anschauen. Zum Schluss muss ich - nicht dass Sie Sorgen haben; denn ich werde dem Hohen Haus ja weiter angehören noch eines sagen - Beatrix Philipp, du hast es schon zum Ausdruck gebracht -: Mein Dank gilt insbesondere Michael Bürsch und Silke Stokar. ({9}) Wir haben hier vieles verhandelt für den Datenschutz. Ich finde, dadurch, dass wir uns gemeinsam so bemüht haben, auch in gemeinsamen Beschlüssen, ist der Datenschutz sicherlich vorangekommen. Für meinen Teil: Ich werde euch vermissen. Viel Erfolg, was immer ihr auch tut! ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Bürsch hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Dank. Auch ich betrachte die Arbeit an dieser Datenschutznovelle als die sorgfältigste Arbeit, die ich in zwölf Jahren Bundestag vollbringen konnte und durfte. Nach den Datenschutzskandalen vom letzten Sommer haben wir ein Jahr lang intensiv an diesem Werkstück gearbeitet, haben darum gestritten und sind am Ende zu einem, wie ich meine, respektablen Ergebnis gekommen, zu einem Ergebnis, das, wie ich im Ausschuss schon gesagt habe, die Tür zum Datenschutz des 21. Jahrhunderts öffnet. Das ist der erste Schritt. Wir haben Pflöcke eingeschlagen. Wir sind beileibe noch nicht fertig; aber wir haben angefangen, das Datenschutzrecht, das aus den 70er-Jahren stammt, an die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte anzupassen. Darauf bin ich mit Ihnen zusammen, Kolleginnen und Kollegen, schon ein bisschen stolz. Ich danke für die kräftige Mitwirkung Dieter Wiefelspütz, meinem engagierten Sprecher. Ich danke Hans Peter Bull, dem ersten Bundesbeauftragten für den Datenschutz, der uns, was uns sehr zugutegekommen ist, über die ganze Strecke begleitet und beraten hat. Ich danke auf der Arbeitsebene Till Rothfuß, der uns manches erleichtert hat und uns manchen Fehler erspart hat. Frau Kollegin Philipp, ich gebe das gerne zurück: Wir waren zusammen Kopiloten, auch in manchem Schleudersitz saßen wir zusammen; aber es hat Spaß gemacht, und es hat uns vorangebracht. Herrn Uhl gilt besonderer Dank. Es ist schon angedeutet worden: Dieses Gesetz stand tatsächlich auf der Kippe, weil bei diesem Thema verschiedene Interessen betroffen sind, die nicht einfach unter einen Hut zu bringen sind. Aus meiner Sicht haben Sie das Ganze in letzter Minute gerettet. Ich finde, das Gesetz ist es wert. Herzlichen Dank, Herr Uhl! ({0}) Auch die Zusammenarbeit mit dem Ministerium, mit Minister Schäuble, mit Herrn Beus, hat durchaus Freude gemacht und das Projekt vorangebracht. Ich danke natürlich auch dem hier auf der Tribüne anwesenden Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Herrn Schaar, der für uns auch sonnabends und sonntags erreichbar war. ({1}) Er ist in der Tat ständig im Dienst; denn die Datenschutzverstöße finden auch am Sonnabend und Sonntag statt. Noch einmal: Vielen Dank! Sie haben unauffällig, unaufdringlich und ohne die Öffentlichkeit zu suchen sehr viel dazu beigetragen, dass dies ein vernünftiges Gesetz wird. Ich kann Ihnen eines zurückgeben - wir haben darüber gesprochen -: Ihre Behörde ist zur Bewältigung der Aufgaben, die Sie jetzt zusätzlich bekommt, personell unterbesetzt. Da muss etwas passieren. ({2}) Ich habe beim Minister und beim Staatssekretär angefragt. Die Antwort lautete - so würden wir SchleswigHolsteiner sagen -: Ik warr mi dorüm kümmern. Das heißt - konstruktiv gesagt -: Da passiert etwas. Sie können davon ausgehen: Das wird in den nächsten Wochen verhandelt. Ein Dank geht natürlich auch an die Berichterstatter, die durch ihre wunderbar kritischen Anmerkungen das ganze Projekt vorangetrieben haben. Silke Stokar ist unersetzbar, egal in welchem Ausschuss sie arbeitet. Sie hat viel Zeit damit verbracht, immer die formale Anrede zu wählen. Sie hat immer „Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!“ gesagt. Dadurch hat sie stets ein Stück ihrer Redezeit vergeudet. Silke, wenn du noch einmal im Bundestag bist, dann lass das einfach weg. Auch Jan Korte und Gisela Piltz haben uns nach Kräften unterstützt. Durch die Kritik, die wir erfahren haben, ist der Gesetzentwurf ein Stück besser geworden. Ich sage zum einen ein paar Worte zum Inhalt der Novelle und zum anderen zu der Verantwortung der Verbände, die ich im Zusammenhang mit der Arbeit an diesem Gesetzentwurf durchaus kritisieren möchte; das ist bei Frau Piltz schon angeklungen. Der Inhalt dieses Gesetzes ist, um das auf einen Nenner zu bringen, ein vernünftiger Interessenausgleich zwischen den Interessen des Datenschutzes einerseits, der Wirtschaft - sie dürfen wir dabei nicht vergessen - andererseits und darüber hinaus des Verbraucherschutzes, der hier durchaus seinen Platz gefunden hat. Wir haben den Interessenausgleich wirklich hart erarbeitet. Wir haben den Gesetzentwurf sorgfältig begleitet, und wir haben am Ende ein Ergebnis erreicht, durch das die Sicherheit der Daten, was Nutzung und Weitergabe angeht, erheblich vergrößert wird. Wir haben den Arbeitnehmerdatenschutz, jedenfalls in einer ersten Tranche, berücksichtigt: Persönliche Daten, die für das Beschäftigungsverhältnis erhoben werden, dürfen grundsätzlich nicht anderen Zwecken dienen. Wir haben die Auftragsdatenverarbeitung verbessert, und wir haben den Datenschutzaufsichtsbehörden zum ersten Mal ein umfängliches und umfassendes Eingriffsrecht gegeben, das sie vorher nicht hatten. Diese Lücke gab es seit den 70er-Jahren, was nicht verständlich ist. Wir haben die Sanktionen verschärft und Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung geschaffen. Auch im Bereich des Verbraucherschutzes haben wir durchaus einiges getan. Die Einwilligung zur Einzelgewinnung der Daten von Personen ist natürlich erforderlich, und sie muss deutlich hervorgehoben werden. Wir brauchen jetzt - das ist neu; dies hat der Datenschutzbeauftragte in der Öffentlichkeit schon deutlich gemacht - die Herkunftsbezeichnung, damit den Verbrauchern, den Bürgerinnen und Bürgern bei jeder Verwendung von Daten - ob das über Listen oder auf anderen Wegen geschieht - deutlich gemacht wird, woher diese Daten kommen, sodass sie wissen, bei wem sie sich beschweren müssen, um zu verhindern, dass persönliche Daten weiterhin verwendet werden. Der ursprüngliche Gesetzentwurf ist durch die Gesetzgebungsarbeit in der Tat maßgeblich verbessert worden. Diese Auffassung vertritt auch der Innenminister; er hat mir das gestern gesagt. Er kann bei dieser Debatte leider nicht anwesend sein kann, weil er einen zwingenden Termin in Bayern hat. Um es deutlich zu sagen: Durch das Gesetz wird es keine Nachteile geben, sondern in jedem Falle nur Vorteile. Wir können meinethalben darüber streiten, ob ihr Anteil bei 50 Prozent oder 75 Prozent liegt; das ist egal. Es wird Vorteile für den gesamten Bereich des Datenschutzes geben. Für die Wirtschaft ist dabei ein erträgliches und umsetzbares Konzept herausgekommen. Mit dem Gesetzespaket wurden Schritte unternommen, die in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich weiterverfolgt werden müssen. Beim Arbeitnehmerdatenschutz haben wir einen ersten Schritt getan, indem wir die bestehende Gesetzeslage kodifiziert haben; wir haben festgehalten, was in den Urteilen steht. Wir müssen noch erheblich mehr für die Sicherheit im Umgang mit Daten tun, um dem gesamten Bereich Datenschutz gerecht zu werden. Ich möchte an dieser Stelle gerne einmal die Verantwortung der Lobbyisten, der Verbände und insbesondere der gemeinnützigen Organisationen ansprechen. Ich habe Verständnis dafür, dass zugespitzt und mit dem Blick eines Verbraucherschützers - mit dem Tunnelblick - manches auch übertrieben wird; das ist völlig in Ordnung. Ich akzeptiere gern auch etwas Polemik von Verbänden. Aber von gemeinnützigen Verbänden, also von Verbänden, die am Gemeinwohl orientiert sind, erwarte ich wenigstens einen ordnungsgemäßen Umgang mit der Wahrheit. Leider lese ich in Presseerklärungen und leider höre ich in Kampagnen immer wieder Aussagen - zum Beispiel über diesen Gesetzentwurf -, die nicht mit der Wahrheit übereinstimmen; irgendetwas läuft da also falsch. Transparency International etwa schreibt: Auf keinen Fall kann aber akzeptiert werden, dass jetzt in einem Parforceritt eine unausgegorene Regelung durchgepeitscht wird, die die Unsicherheit bei Beschäftigten und Unternehmen weiter erhöht, anstatt Klarheit zu schaffen. Angesicht dessen kann ich der geneigten und wirklich auch angesehenen Organisation Transparency International nur sagen: Liebe Leute, das kann nicht wahr sein. Es ist altes Recht; es ist nicht neu geschaffen; es ist in Urteilen festgelegter Arbeitnehmerschutz. - In diesem Falle geht es darum, dass kein Screening, keine Untersuchung von Daten und kein Datenvergleich stattfinden dürfen, ohne dass es einen anfänglichen Verdacht gibt. Das ist für mich ein Rechtsstaatsprinzip, das wir immer hochhalten wollen. Ich verstehe nicht, dass an dieser Stelle eine Kampagne losgetreten wird. Leider es gibt genügend Medien, die dabei mitmachen. ({3}) Ich habe, wie wahrscheinlich alle anderen, genügend Anrufe auf diese Presseerklärung hin bekommen. Das Gleiche gilt für den Verbraucherschutz. Der oberste Verbraucherschützer hat wirklich in großem Stil eine Kampagne losgetreten - ich denke, zur eigenen Profilierung -, indem er sagte: Alles, was in dem Gesetzentwurf anfangs stand, um die Verbraucher besser zu schützen, ist zusammengedampft, herausverhandelt, gestrichen worden; das ist nur noch eine Nullnummer; es ist ein PlaceboGesetz. - Das gibt nicht das wieder, was in dem Gesetz wirklich enthalten ist. ({4}) Wenn an der einen oder anderen Stelle etwas verändert worden ist - gut und schön. Aber auch ein solcher Verband muss am Ende bei der Wahrheit bleiben. Ich finde, dass auf der anderen Seite ein Wort des Bedauerns angebracht ist. Dies ist mein letzter Versuch, eine gute Rede zu halten. Ich möchte damit enden, meinen Dank für die zwölf Jahre, die ich hier Abgeordneter war - diese Jahre haben mir große Freude gemacht -, zum Ausdruck zu bringen. Ich habe die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag als ständige Fortbildungsveranstaltung empfunden: Ich durfte Dinge lernen, die ich sonst gar nicht so intensiv hätte lernen können, und ich konnte an der einen oder anderen Stelle Einfluss nehmen. Ich möchte denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Anerkennung aussprechen, die mich über zwölf Jahre getragen haben und mir das ermöglicht haben, was ich in diesem Bundestag sein konnte. Die Namen dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standen bisher nicht im Protokoll. Es sind aus Berlin: Serge Embacher, Ruth Herzog und Sebastian Wehrsig. Herzlichen Dank! Es sind aus meinem Wahlkreis: Tatjana Zahnow, Anne Wagner und Hans-Ulrich Christiani. Ihre Arbeit war mein Gerüst, mein Flugzeug, das mich hat fliegen lassen. Mein Dank gilt diesen Personen. Das geht wahrscheinlich Ihnen allen so: Die Mitarbeiter verhelfen uns letztlich zu dem, was wir hier - hoffentlich erfolgreich vollziehen können. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lieber Herr Bürsch, Ihnen gebührt der Dank des ganzen Hauses für Ihre sachliche Arbeit und für Ihre guten Reden hier. Die Zusammenarbeit mit Ihnen war ganz offensichtlich eine sehr fruchtbare. Dafür danke ich Ihnen im Namen aller und wünsche alles Gute für Ihren weiteren Weg. ({0}) Jetzt gebe ich das Wort dem Abgeordneten Jörg Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Statt einer umfassenden Modernisierung des Datenschutzes nach den größten Datenschutzskandalen in der Bundesrepublik Deutschland sollen heute Nachmittag nebenbei noch ein paar neue datenschutzrechtliche Regelungen beschlossen werden. Als Abgeordneter der Piratenpartei sollte ich auf Wunsch des Herrn Präsidenten an den Sitzungen des Innenausschusses nicht mit Rederecht teilnehmen. Jetzt weiß ich auch, warum: Die Beratungen im Innenausschuss waren außerordentlich interessant. Wie heute Nachmittag dankte man gegenseitig dafür, dass der Datenschutz nun etwas besser und wenigstens nicht schlechter geworden ist. Kollege Bürsch hat dies gerade in den wunderbaren Satz gekleidet: Das Gesetz bringt keine Nachteile. ({0}) Nach den größten Datenschutzskandalen der Republik bringen wir heute wieder etwas auf den Weg, was keine Nachteile bringt. Dass Herrn Uhl, der den chinesischen Datenschutz prima findet, in dieser umfassenden Form dafür gedankt wurde, dass er den Gesetzentwurf nicht in letzter Minute verhindert hat, ist etwas bizarr. Liebe Kolleginnen und Kollegen meiner früheren Fraktion, dieser Dank der SPD an die CDU/CSU erinnert mich an den Dank einer Frau an ihren gewalttätigen Ehemann, dass er sie künftig nur noch einmal statt wie bisher zweimal pro Woche verprügelt. Ich glaube, das ist ein bisschen zu wenig. Was sind die Gründe dafür? Die Union ist an dem Thema völlig desinteressiert. Frau Kollegin Philipp ist das lebende Symbol dafür. Wenn man die Begriffe Datenschutz und CDU googelt, findet man nicht viel. Die CDU/CSU-Fraktion hat den Datenschutz blockiert. Frau Kollegin Philipp, was Sie heute zu Herrn Schäuble gesagt haben, ist schlicht falsch. Sie vergessen immer, dass das Netz nichts vergisst. Ausgerechnet Sie haben dem armen Herrn Minister Schäuble noch vor kurzem vorgeworfen, er schieße beim Datenschutz über das Ziel hinaus. Dass Sie das ausgerechnet Herrn Schäuble vorwerfen, ist großes Kino. Die SPD-Fraktion ist heute des Lobes voll. Ich war früher bei der IG Metall für Tarifverhandlungen zuständig. Ich stelle mir einmal vor, ich hätte damals als Verhandlungsführer in einer Tarifkommission zu einem Tarifvertrag verkündet: Ich habe erreicht, dass wir eine geringere Lohnerhöhung bekommen, als die Arbeitgeber - im übertragenen Sinne Herr Schäuble und Herr Glos uns ursprünglich angeboten hatten. - Man hätte mich zum Teufel gejagt. Zu diesen tollen Verhandlungen kann ich Ihnen nur gratulieren. Es wurde nicht einmal das erreicht, was Herr Schäuble und Herr Glos in ihren Showveranstaltungen angekündigt hatten. Aber es bringt wenigstens keine Nachteile. Ein wesentlich innovativerer Ansatz wäre ein Datenschutzaudit gewesen. Der Staatssekretär hat mich noch im letzten Jahr aufgefordert, nachzuweisen, dass die Wirtschaft ein solches Audit will. Das ist so ähnlich, als würde man von Schafen erwarten, lieber von Wölfen als vom Schäfer bewacht zu werden. ({1}) Das alles wundert einen aber nicht, wenn man weiß, wie die Union mit den Daten von Menschen umgeht, die sich beispielsweise auf ihre Homepage verirren. Dazu gab es gestern interessante Informationen beim Nachrichtendienst heise online. Die Daten derer, die auf CDU-Seiten surfen, werden extern bearbeitet, ohne dass der Nutzer dies weiß. Bei der CSU ist es noch doller. Die liefern ohne ein entsprechendes Abkommen mit den USA gleich ihre Daten zur Auswertung über den großen Teich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen, bitte.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sie haben recht, Frau Präsidentin. Aber da ich heute voraussichtlich meine letzte Rede halte und Staatssekretäre zehn Minuten überziehen konnten, will ich mit einigen Schlusssätzen zum Ende kommen. Wer bei der Union im Internet surft, ist in einem rechtsfreien Raum. Die Antwort dieser Koalition auf die Herausforderungen des Datenschutzes als ein zentrales Bürgerrecht ist ein klägliches Versagen. Das Versprechen, es in der nächsten Legislaturperiode besser zu machen, ist nach dem, was wir ein Jahr lang an Verhinderung und Blockaden erlebt haben, reine Show.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Es ist Zeit, das zu ändern: Piraten wählen! Ich danke Ihnen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jan Korte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten, ist eine Reaktion auf zwei Vorgänge in unserer Gesellschaft, zum einen auf die unfassbaren Datenschutzskandale der letzten Jahre. Ich denke, wir sind einer Meinung darüber, dass es unfassbar ist, wie mit persönlichen Daten gezockt und gehandelt wurde. Zum anderen ist es - das halte ich für eine gute Nachricht - auch eine Reaktion der Politik auf ein neues Bewusstsein für den Datenschutz in der Bevölkerung. Das sollten wir anerkennen. Die Politik ist gezwungen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Ich will zugestehen, dass es bei dem, was Sie als Koalition heute vorlegen, durchaus einige Verbesserungen gibt, etwa im Bereich der Transparenz oder - das finde ich in der Tat wichtig - bei der Nachvollziehbarkeit der Datenherkunft. Das ist ein richtiger Schritt, und das muss man anerkennen. Ich kann Ihnen allerdings auch am letzten Tag der regulären Sitzungswochen in dieser Legislaturperiode ein Aber nicht ersparen. ({0}) Das tut mir sehr leid. Ich hätte es Ihnen gerne erspart. Aber wenn man Ihren Gesetzentwurf dem auf Schäubles Datenschutzgipfel angekündigten Paradigmenwechsel gegenüberstellt, dann stellt man fest, dass davon nicht viel übrig geblieben ist, so schade das ist. ({1}) Die Kernfrage, um die es in unserer Diskussion geht, ist: Erhalten die Bürger und Verbraucher ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre Souveränität über ihre Daten zurück, die sie zwar ursprünglich hatten, die ihnen aber inzwischen verloren gegangen sind? Das ist die entscheidende Frage. Wir müssen das Gesetz daran messen, ob es das erfüllt. Ich bin aber mit den Verbraucherschutzzentralen einer Meinung, dass das Gesetz dieser Notwendigkeit nicht Rechnung trägt, obwohl es einige Verbesserungen gibt. In der Summe kann man sagen: als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet. ({2}) Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz wurde schon angesprochen. Es ist gut, dass in § 32 des Bundesdatenschutzgesetzes nun unmissverständlich klargestellt ist, dass die Daten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundsätzlich nicht mehr für andere Zwecke verwendet werden dürfen; das ist gut, gar keine Frage. Trotzdem ist es nicht das, was wir brauchen. Wir brauchen ein eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Das wäre nach den Skandalen bei Lidl, der Telekom und der Deutschen Bahn, bei der sogar Gewerkschafter ausgespitzelt worden sind, ({3}) wirklich angemessen gewesen. Ich verstehe nicht, warum wir das nicht hinbekommen haben, obwohl alle Fraktionen schon vor mehreren Jahren der Meinung waren, dass wir ein solches Gesetz brauchen. Warum ist das nicht möglich? Das ist schlicht unfassbar. Dafür hatten wir über vier Jahre Zeit. ({4}) Es wurde schon darauf hingewiesen: Das ist insbesondere dem Versagen der SPD geschuldet; das muss man deutlich sagen. Wenn ich in der Süddeutschen Zeitung lese und auf Gewerkschaftstagen höre - das sind durchaus bemerkenswerte Reden -, dass man endlich ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz braucht, und man gemeinsam mit den Gewerkschaften Seite an Seite schreitet, kann ich nicht verstehen, warum man sich in der letzten Legislaturperiode nicht bemüht hat, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Das ist sehr schade. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Legislaturperiode ein solches Gesetz im Sinne der Beschäftigten endlich auf den Weg bringen und dass Sie sich in Zukunft nicht mehr von einer penetranten Lobbyarbeit, wie ich sie noch nie erlebt habe, in die Knie zwingen lassen, wenn es um den Datenschutz geht. ({5}) Wir tun das nicht. Aber Sie haben das leider getan. Das ist zu kritisieren. Um noch etwas Versöhnliches zum Schluss zu sagen: Es gibt einige Verbesserungen. Ich fand es ganz klasse, mich in den letzten vier Jahren mit Herrn Bürsch und Silke Stokar öfter zu streiten. ({6}) Das hat durchaus Erkenntnisgewinn gebracht und das Florett weiter geschärft. Mit Beatrix Philipp war es eigentlich auch ganz cool, obwohl wir nicht oft einer Meinung waren. Aber das war ganz in Ordnung. ({7}) In diesem Sinne: Es ist leider ein schlechtes Gesetz, aber es war eine gute Zeit. So sollte es jetzt weitergehen. Besten Dank, auch an dich, Gisela. Tschüss. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Silke Stokar das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Philipp, ich möchte Ihnen die Sache mit dem Parlament und der Regierung noch einmal erläutern. Ich glaube, dass Sie meine Kritik falsch verstanden haben. Es ist richtig: Ich habe in Berlin an Demonstrationen des Arbeitskreises „Vorratsdatenspeicherung“ teilgenommen. Dort gab es große Plakate, auf denen stand: „Stoppt Schäuble!“ ({0}) Sie haben das aber völlig falsch umgesetzt. Ich habe das immer so verstanden - so war das auch gemeint -, dass wir die Datensammelwut des Bundesinnenministers Schäuble im Bereich der Vorratsdatenspeicherung oder bei der Onlinedurchsuchung stoppen sollen. ({1}) Aber Sie, das Parlament, haben Schäuble gestoppt, als er versucht hat, ein paar kleine Regeln für den Datenschutz in der Privatwirtschaft aufzustellen. Meine Kritik zielt nicht darauf, dass eine Regierungsfraktion ein Gesetz der Bundesregierung verändert. Aber ich habe zum ersten Mal erleben müssen, dass wir Datenschützer nicht treiben, die Gesetze der Bundesregierung zu verbessern. Sie haben es geschafft - das verkaufen Sie auch noch als Erfolg -, ein Gesetz von Herrn Schäuble noch zu verschärfen. Sie wollen weniger Datenschutz als der Bundesinnenminister. ({2}) Das hat es bisher nicht gegeben. Mein Ansatz ist immer: Die engagierten Datenschützer treiben zusammen mit dem Parlament die Innenminister dazu, den Datenschutz ernst zu nehmen. Das ist der Unterschied. Ich hoffe, dass das jetzt deutlich geworden ist. ({3}) Zu den Punkten, in denen das Gesetz meiner Meinung nach nicht ausreichend ist. Es reicht nicht, darauf hinzuweisen, dass ein Jahr lang intensiv beraten wurde. Denn Sie haben nach den Skandalen mit dem Adressenhandel zugesagt - nicht nur Bundesinnenminister Schäuble nach dem Datenschutzgipfel, sondern auch Bundeskanzlerin Merkel und auch Herr Seehofer, als er noch Verbraucherminister war -, dass Adressen in Zukunft nur noch mit der Einwilligung der Bürgerinnen und Bürger weitergegeben werden. Dieses Versprechen stand im Raum, und dieses Versprechen lösen Sie heute nicht ein. ({4}) Wir bekommen weder eine Opt-in-Regelung, ({5}) noch wird das Listenprivileg aufgehoben. Dies wird dazu führen, dass die Datenschutzskandale, die wir alle hier beklagt haben, sich wiederholen, weil Sie unter dem Druck der Wirtschaftslobby eingeknickt sind ({6}) und weil Sie der Meinung sind, dass es wirtschaftsfreundlich ist, der Wirtschaft im 21. Jahrhundert keinen Datenschutz zumuten zu müssen. Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. Das Thema ist in dieser Woche in einem anderen Zusammenhang im Parlament behandelt worden. Die Bundesregierung hat den Druck des Quelle-Katalogs sichergestellt. ({7}) Was Sie machen müssten, Herr Kollege Grindel, damit Quelle eine Chance hat, wäre, den Datenschutz so zu modernisieren, dass es Zuwächse im Onlineshopping gibt, dass E-Business in Deutschland wachsen kann und dass E-Government eine Chance hat. Sie begreifen einfach nicht, dass uns in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht Datenschutzverweigerung weiterbringt, ({8}) sondern moderner Datenschutz, Datenschutzsicherheit und Datenschutzverlässlichkeit. Mich erinnert das fatal an die Automobilindustrie, die zehn Jahre lang Lobbyarbeit gegen Ökoautos gemacht hat. Erst als sie in die Knie gegangen ist, hat sie begriffen, dass das der Wirtschaft überhaupt nichts genützt hat. Ihre Politik ist nicht modern, Ihre Politik ist nicht nachhaltig; Datenschutzverweigerung kann keine Politik des 21. Jahrhunderts sein. ({9}) Zum Arbeitnehmerdatenschutz wurde in der letzten Debatte Ähnliches gesagt. Eine Generalklausel allein kann doch nicht die Antwort auf die Skandale von Lidl, der Deutschen Bahn und der Telekom sein. Wir brauchen ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Heute bekam ich eine Anfrage, ob der persönliche elektronische Kalender am PC vom Chef eingesehen werden darf. Das ist nicht geklärt. Dafür haben wir keine Regeln. ({10}) Weder die private Internetnutzung noch die Nutzung des E-Mail-Verkehrs ist geregelt. Meine Redezeit ist beendet. In der nächsten Legislaturperiode gibt es noch verdammt viel zu tun. Ich werde als Abgeordnete nicht mehr dabei sein. Ich kann Ihnen versichern, dass es eine engagierte grüne Nachfolge im Bereich des Datenschutzes geben wird. Ich möchte nicht damit enden, dass ich mich für die kollegiale Zusammenarbeit bedanke. Ich bin von den Wählerinnen und Wählern - so habe ich das immer verstanden - hierhin geschickt worden, um die Position der Grünen deutlich zu machen. ({11}) Ich habe Demokratie nicht so verstanden, dass wir unsere inhaltlichen Gegensätze verkleistern sollen. Wir sollen sie vielmehr aushalten, uns gegenseitig antreiben und uns dennoch, Herr Kollege Bürsch, ({12}) nach dem inhaltlichen Streit weiterhin die Hand geben und nett miteinander umgehen. ({13}) Die inhaltliche Auseinandersetzung gehört in das Parlament. Ich reklamiere für mich, dass ich mich zivilisiert und erfolgreich mit Ihnen gestritten habe. Ich wünsche mir, dass wir ein modernes Datenschutzgesetz in der nächsten Legislaturperiode bekommen. Ich bedanke mich bei Peter Schaar und seinem Haus für die engagierte Arbeit. Sie haben es geschafft, dass Datenschutz in Deutschland wieder ein Thema geworden ist. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Datenschutzbereich, bei Frau Kollegin Philipp, bei Herrn Bürsch und bei Gisela Piltz. Ich denke, wir alle haben gemeinsam engagiert gekämpft. ({14}) Es gab unterschiedliche Inhalte und unterschiedliche Ergebnisse. Es hat Spaß gemacht. Ich freue mich jetzt auf meine persönliche Freiheit. Zu Jan Korte möchte ich sagen: Er ist ein cooler Junge; er ist grün sozialisiert. Ich habe bedauert, dass du uns verlassen hast. Es gibt einen Weg zurück, Jan! ({15}) Danke schön. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Liebe Silke Stokar, auch Ihnen ist im Namen des gesamten Hauses für Ihre sachliche und zugleich sehr leidenschaftliche Arbeit sehr herzlich zu danken. Jemand hat vorhin gesagt, dass Sie gerne die Innenminister angetrieben haben. In Ihrer letzten Rede haben Sie die Kolleginnen und Kollegen angetrieben, und Sie haben ihnen gleich Arbeitsaufträge gegeben. Für Sie selbst alles Gute! ({0}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Gesetzentwurf zur Regelung des Datenschutz- audits und zur Änderung datenschutzrechtlicher Vor- schriften. Dazu liegen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/13657, den Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/ 12011 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak- tionen. Dagegen haben gestimmt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Fraktion Die Linke und der Abge- ordnete Tauss. Die Fraktion der FDP hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13696 ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt, bei Zustimmung durch die einbrin- gende Fraktion; die Koalition hat dagegen gestimmt; die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke haben sich enthalten. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In- nenausschusses auf Drucksache 16/13657. Der Aus- schuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfeh- lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9452 mit dem Titel „Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür hat die Koalition gestimmt; dagegen haben die FDP und der Abgeordnete Tauss gestimmt; die Fraktio- nen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben sich enthalten. Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1169 mit dem Titel „Datenschutz-Audit-Verfahren und Daten- schutz-Gütesiegel einheitlich regeln“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenom- men bei Zustimmung durch die Koalition; dagegen ha- ben FDP und Die Linke gestimmt; die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1499 mit dem Titel „Datenschutzaudit umsetzen - Gütesiegel stärkt Bürgerrechte und schafft 1) Anlagen 6 bis 8 Akzeptanz für wirtschaftliche Innovationen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür haben die Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD gestimmt; das übrige Haus hat dage- gen gestimmt. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 sei- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/ 10216 mit dem Titel „Datenschutz stärken - Bewusst- sein schaffen - Datenmissbrauch vorbeugen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfeh- lung angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktio- nen gestimmt; dagegen haben die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, die Fraktion Die Linke und der Abgeord- nete Tauss gestimmt; enthalten hat sich die FDP-Frak- tion. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/ 13364. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9101 mit dem Titel „Rechte der Beschäftigen von Discountern verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfeh- lung? - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Be- schlussempfehlung angenommen. Dafür haben die Ko- alition und die FDP gestimmt, dagegen Bündnis 90/ Die Grünen. Die Linke hat sich enthalten. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9311 mit dem Titel „Persönlichkeits- rechte abhängig Beschäftigter sichern - Datenschutz am Arbeitsplatz stärken“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, dagegen Bündnis 90/ Die Grünen und die Linke; die FDP hat sich enthalten. Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ 11376 mit dem Titel „Datenschutz für Beschäftigte stär- ken“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP; dagegen hat die Fraktion Die Linke ge- stimmt; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12670 mit dem Titel „Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente und praxisgerechte Regelungen gesetzlich absichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch SPD und CDU/ CSU; dagegen hat die FDP gestimmt; Bündnis 90/ Die Grünen und die Linke haben sich enthalten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 71 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung - Drucksache 16/12814 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 16/13672 - Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Mechthild Dyckmans Wolfgang Nešković b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Bleser, Julia Klöckner, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marianne Schieder, Ortwin Runde, Ulrich Kelber, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistun- gen erweitern und durchsetzen - Drucksache 16/13612 - Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Marco Wanderwitz, Peter Jahr, Klaus Uwe Benneter, Marianne Schieder, Mechthild Dyckmans, Sevim Dağdelen, Nicole Maisch, die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser und der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege- lung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetz- barkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschbera- tung. Es gibt Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsord- nung, und zwar der Kollegen Albert Rupprecht und Leo Dautzenberg.2) Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/13672, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12814 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf angenom- men bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP; dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen gestimmt; die Linke hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - 1) Anlage 10 2) Anlage 9 Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung bei dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/13612 mit dem Titel „Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen erweitern und durchsetzen“. Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke; Bündnis 90/Die Grünen sind dagegen; die FDP hat sich enthalten. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kai Gehring, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene einführen - Drucksachen 16/12303, 16/13281 - Berichterstattung: Abgeordnete Leo Dautzenberg Nina Hauer Hierzu haben ihre Reden zu Protokoll gegeben die Kolleginnen und Kollegen Albert Rupprecht, Florian Pronold, Frank Schäffler, Dr. Axel Troost und Dr. Gerhard Schick.3) Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13281, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12303 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür haben gestimmt CDU/CSU, SPD und FDP, dagegen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Ich rufe Tagesordnungspunkt 73 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes ({3}) - Drucksachen 16/12060, 16/12105 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) - Drucksache 16/13687 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({5}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde 3) Anlage 11 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Zu Protokoll gegeben wurden die Reden von Jochen-Konrad Fromme, Bernhard Brinkmann, Otto Fricke, Roland Claus und Alexander Bonde.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13687, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 16/12060 und Drucksache 16/12105 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- stimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP; dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, aufzustehen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher. Ich rufe Tagesordnungspunkte 74 a bis c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 16/13108 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6}) - Drucksache 16/13616 - Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 16/13109 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) - Drucksache 16/13617 - Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gero Storjohann, Volkmar Uwe Vogel, Dr. Andreas Scheuer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heidi Wright, Klaas 1) Anlage 12 Hübner, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Punkte-Systematik des Verkehrszentralregisters in Flensburg einfacher und verständlicher gestalten - Drucksachen 16/12993, 16/13407 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({9}) Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolleginnen und Kollegen Gero Storjohann, Heidi Wright, Patrick Döring, Dorothée Menzner, Peter Hettlich und der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verkehrspolitik ist spannend. Heute werden wir gleich drei Bereiche im Verkehrsrecht voranbringen: den „Feuerwehrführerschein“, das Onlinemeldewesen für Kraftfahrzeuge und das Punktesystem des Flensburger Zentralregisters. Seit Einführung der Zweiten EU-Führerscheinrichtlinie im Jahr 1999 können Besitzer eines Pkw-Führerscheins der Klasse B nur noch Fahrzeuge mit einem Gewicht von maximal 3,5 Tonnen fahren. Früher, mit der alten Pkw-Führerscheinklasse 3, lag die Grenze bei 7,5 Tonnen. Zwar hat ein vor der Umstellung erworbener Führerschein Bestandsschutz. Für solche Führerscheininhaber ist das Führen von Kraftfahrzeugen bis zu 7,5 Tonnen auch weiterhin erlaubt. Aber um es auf den Punkt zu bringen: Den freiwilligen Feuerwehren, den technischen Hilfsdiensten und den Rettungsdiensten gehen langsam aber sicher die Fahrer aus. Denn junge Leute machen in aller Regel nicht „mal eben so“ einen zweiten Führerschein der Klasse C 1, also für Fahrzeuge zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen. Aber weil selbst kleinere Einsatzfahrzeuge in der Regel über 3,5 Tonnen wiegen, besteht großer Handlungsbedarf. Der Bundesrat hat nun angeregt, den Geltungsbereich des Führerscheins der Klasse B für Einsatzkräfte automatisch auf Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen auszuweiten. Für Fahrzeuge bis 7 Tonnen wiederum sollte die Fahrerlaubnis nach einer praktischen Unterweisung erteilt werden. Die Bundesregierung wiederum hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Prüfungsanforderungen zwar immer noch einfacher und kostengünstiger als beim regulären C-1-Führerschein gestaltet werden sollten. Aber beim Vorschlag des Bundesrates wären die Rettungskräfte weit besser „gefahren“ - „gefahren“ hier im wahrsten Sinne des Wortes. Umso erfreulicher, dass wir am vergangenen Mittwoch im Verkehrsausschuss den Gordischen Knoten durchtrennen konnten. Wir haben uns auf einen guten Kompromiss geeinigt: Für Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen wird nun eine verbandsinterne Schulung und Prüfung ausreichen. Die Länder erhalten hier einen weiten Gestaltungsspielraum. Für Einsatzfahrzeuge bis 7,5 Tonnen wird es eine Fahrberechtigung zu wesentlich erleichterten Bedingungen geben. Die theoretische Ausbildung und Prüfung entfällt. Ich will nicht verhehlen, dass viele von uns den freiwilligen Feuerwehren, technischen Hilfsdiensten und den Rettungsdiensten gerne eine Sonderfahrerlaubnis nach altem Recht, also bis 7,5 Tonnen, ermöglicht hätten. Aber entscheidend ist: Wir haben eine gute Lösung gefunden. Die Mobilität der freiwilligen Feuerwehren, der technischen Hilfsdienste und der Rettungsdienste ist gesichert. Weniger dramatisch, aber im Grunde ebenso zukunftsweisend ist der Startschuss für ein Onlineverfahren für das Kfz-Meldewesen. Im Jahr 2006 haben Bund und Länder gemeinsam den Aktionsplan „Deutschland-Online“ verabschiedet. Ziel ist die Modernisierung der Verwaltung durch E-Governance, also die Bereitstellung von Leistungen mithilfe moderner Informations- und Kommunikationstechniken. Was sich trocken anhört, ist ein großer Fortschritt, nämlich die schrittweise Erweiterung der Amtsstube durch neue Zugangsmöglichkeiten, Öffnungszeiten rund um die Uhr und insgesamt mehr Bürgerfreundlichkeit. Innovative Neuerungen der letzten Jahre werden aufgegriffen, genutzt und verbreitet. Deutschland ist ein innovatives Land, ein Land der Ideen, wie es zu Recht heißt. Dieser Innovations- und Modernisierungsprozess betrifft auch die öffentliche Verwaltung. Der Aktionsplan „Deutschland-Online“ leistet auch hierzu einen wichtigen Beitrag. Ein bedeutender Teil dieser Initiative betrifft das KfzWesen. Das An-, Um- und Abmelden von Kraftfahrzeugen soll auch online möglich sein. Für die administrative Umsetzung sind das Bundesministerium des Innern sowie die Finanzbehörde Hamburg federführend. Wir wiederum schaffen für dieses Vorhaben die rechtlichen Grundlagen. Wir passen das Straßenverkehrsgesetz an und ermöglichen so dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ausnahmen zu den bisher geltenden Regelungen bei der Fahrzeugregistrierung zu erlassen. Auf dieser Grundlage wiederum können dann die Länder ermächtigt werden, für drei Jahre Erfahrungen mit dem Onlinemeldewesen für Kraftfahrzeuge zu sammeln. Dies dient in erster Linie der Rechtskonformität. Denn das geltende Zulassungsrecht geht - kulturell-historisch bedingt - wie selbstverständlich davon aus, dass Zulassungsverfahren über das Medium Papier abgewickelt werden. Ohne eine entsprechende Anpassung des Straßenverkehrsgesetzes ist zu erwarten, dass die geplanten Onlinezulassungsverfahren mit einzelnen Vorschriften des Zulassungsrechts kollidieren. Der erste Umsetzungsschritt ist dann die Einführung von Pilotprojekten in einzelnen Ländern. Die Teilnahme als Pilot ist freiwillig. Bis jetzt wollen Hamburg, BadenWürttemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen daran teilnehmen. Bis Ende 2009 oder im Laufe des Jahres 2010 wird die neue Leistung in den Pilotländern verfügbar sein. Um es nochmals zu betonen: Die Möglichkeit des Onlinemeldewesens dient den Bürgerinnen und Bürgern. Nach Informationen der Stadt Hamburg wurde im Vorfeld des Vorhabens wiederholt deutlich, dass vonseiten der Bürger und Unternehmen großes Interesse besteht. Denn so kann man sich Fahrzeugdokumente und Schilder an einen Ort seiner Wahl liefern lassen. Das spart Weg-, Warte- und Fahrtzeiten inklusive der dabei entstehenden Kosten. Aber ebenso wichtig ist, dass das onlinebasierte Kfz-Meldewesen als zusätzliche Option zum herkömmlichen Meldewesen eingeführt wird. Menschen, die sich - aus welchen Gründen auch immer beim Umgang mit dem PC unwohl fühlen, können wie bisher persönlich mit der örtlichen Meldebehörde in Kontakt treten. Der Datenschutz ist ebenfalls berücksichtigt: An der Planung des Vorhabens ist das „Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein“ unmittelbar beteiligt. Wesentliche Punkte und Handlungsempfehlungen werden in einer Checkliste zusammengefasst und den Pilotländen zur Verfügung gestellt. Auf dieser Grundlage kann dann jedes Pilotland ein den eigenen Strukturen angepasstes Datenschutzkonzept erstellen, in der Regel mit Beteiligung des jeweiligen Landesbeauftragten für Datenschutz. Ein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung und mehr Bürgerfreundlichkeit ist auch die Vereinfachung des Systems, mit dem im Verkehrszentralregister des Flensburger Kraftfahrtbundesamtes verkehrsrelevante Verfehlungen gespeichert werden. Je nach Art und Schwere eines Verstoßes entstehen - entsprechend der Bußgeldverordnung - ein bis sieben Punkte. Bei acht Punkten erfolgt eine Meldung an die zuständigen Fahrerlaubnisbehörden und eine Verwarnung des Betroffenen, ab 14 Punkten wird eine Nachschulung angeordnet und ab 18 Punkten - als letzte Konsequenz - die Fahrerlaubnis entzogen. Gleichzeitig erhält ein Betroffener eine Rückmeldung, also eine Hilfestellung, um vorhandene Defizite zu erkennen und zu beheben. Damit dient das Punktesystem dem Schutz vor Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern bzw. -haltern ausgehen. Es ist also ein Instrument zur Verbesserung der Verkehrsicherheit. Allerdings kann das gegenwärtige Punktesystem diesem Anspruch nur bedingt gerecht werden. Denn insbesondere die komplizierten Berechnungen der verschiedenen Tilgungsfristen sind für die Verkehrsteilnehmer kaum nachvollziehbar. So verfallen Punkte für Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich nach zwei Jahren, spätestens nach fünf Jahren. Bei einfachen Straftaten wiederum beträgt die Verfallsfrist generell fünf Jahre, bei schweren Straftaten im Straßenverkehr, wie etwa Alkoholstraftaten, wiederum zehn Jahre. Gleichzeitig unterbleibt die Löschung von an sich tilgungsreifen Punkten, solange weitere, noch nicht tilgungsreife Eintragungen vorhanden sind, wobei Punkte für Ordnungswidrigkeiten nur die Löschung von Ordnungswidrigkeiteneinträgen verhindern können, während Straftatpunkte bis zu ihrer eigenen Tilgungsreife die Tilgung aller anderen Punkteintragungen hindern können. Dies gilt zumindest so lange, bis die besagte 5-Jahres-Grenze für Bußgeldpunkte erreicht ist. Spätestens dann verfallen diese Punkte kraft Gesetzes automatisch. Zu Protokoll gegebene Reden Spätestens hier ist der normale Verkehrsteilnehmer nicht mehr informiert, sondern nur noch verwirrt. Aber auch bei Behörden und Gerichten entstehen erheblicher Verwaltungsaufwand und Auslegungsschwierigkeiten. Selbst vom Kraftfahrtbundesamt wurde dies bei einem gemeinsamen Besuch von Kollegen Volkmar Vogel und mir in Flensburg klar bestätigt. Deutlich wurde auch der 47. Deutsche Verkehrsgerichtstag, der Anfang des Jahres eine ganze Reihe von Verbesserungs- und Vereinfachungsmaßnahmen angeregt hat. All dies zeigt: Eine Reform des Punktesystems ist dringend geboten. Darum ist es gut, dass der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig einem von uns initiierten Antrag zugestimmt hat. Dies war ein entscheidender Anstoß zur Vereinfachung des Punktesystems. Das Bundesverkehrsministerium wird beauftragt, einen Reformvorschlag auszuarbeiten. Die inhaltlichen Leitlinien sollen sich weiterhin an einer je nach Schwere eines Verstoßes gestaffelten Punktevergabe orientieren, allerdings mit klaren Verfallsdaten für jede einzelne Tat. Das übergreifende, positive Votum des Verkehrsausschusses war ein wunderbarer Auftakt. Und das heutige Votum des Plenums ist ein hervorragender Startschuss für mehr Transparenz des Punktesystems und eine höhere Akzeptanz des Verfahrens.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heute stehen zwei Gesetzentwürfe und ein Antrag zur Abstimmung, die viele Bürgerinnen und Bürger in ihrem Alltag und im Straßenverkehr direkt betreffen. Wir wollen Pilotprojekte für die Onlineregistrierung von Kfz weiterentwickeln, die Punktesystematik des Verkehrszentralregisters in Flensburg vereinfachen und den freiwilligen Feuerwehren, den technischen Hilfsdiensten und den Rettungsdiensten vereinfachte Fahrberechtigungen für ihre Einsatzfahrzeuge ermöglichen. Zunächst zur Onlineregistrierung von Kfz. 2006 haben wir im Bund gemeinsam mit den Ländern den „Aktionsplan Deutschland-Online“ beschlossen. Ziel ist die Modernisierung und Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen durch den Einsatz von Onlineverfahren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen zukünftig bei der Fahrzeugzulassung Zeit, Kosten und Aufwand sparen. Etwa 20 Millionen Vorgänge pro Jahr könnten online angemeldet, umgemeldet und abgemeldet werden. Um dies zu ermöglichen, sind rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen anzupassen. Unter Federführung der Freien und Hansestadt Hamburg hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit Unterstützung des Bundesministeriums des Innern entsprechende Konzepte erarbeitet. In einem zweistufigen Verfahren soll den Bürgern ab 2010 eine Alternative zum bisherigen Behördengang angeboten werden. Diese basiert auf den bekannten Fahrzeugdokumenten und Kennzeichen und beruht im Wesentlichen auf den bereits bekannten Geschäftsprozessen der Zulassungsbehörden. Die Erweiterung besteht in der Kombination von internetbasierter Beantragung, dem optimalen Einsatz des elektronischen Personalausweises und einer optimierten Logistikkette für die Lieferung vom und zum Bürger. In der geplanten zweiten Stufe sollen ab 2013 herkömmliche Fahrzeugdokumente durch elektronische Medien ersetzt werden. Damit wird der Ausbau der Informationstechnologie aus der ersten Stufe effektiv fortgeführt und der Dokumententransport mittelfristig auf elektronisch lesbare Medien umgestellt. Pilotprojekte gibt es in Hamburg, Baden Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie in Bayern, und zwar in meinem Wahlkreis Main-Spessart, das jedoch mangels gesetzlicher Regelung nur sehr begrenzte Erleichterungen und Vereinfachungen bringt. Deshalb ist es notwendig, per Gesetz eine Ausnahmeregelung zu erlassen, die es den Ländern erlaubt, zunächst befristet auf drei Jahre die E-Government verfahren für die Zulassung anzuwenden. Zur Vereinfachung des Punkteregisters in Flensburg. Das Punktesystem des Verkehrszentralregisters in Flensburg ist uns allen wohl-, manchen übel bekannt. Bei Verstößen im Straßenverkehr werden Strafpunkte vergeben, die im Verkehrszentralregister gespeichert werden. Wird eine bestimmte Punktzahl erreicht, erhält der Fahrer eine Verwarnung oder muss an Maßnahmen wie beispielsweise Aufbauseminaren teilnehmen. Als letzte Konsequenz muss ein Fahrer seine Fahrerlaubnis - bei Erreichen von 18 Punkten - abgeben. Für die Betroffenen ist es aber nicht einfach, ihre Eintragungen selbst zu verfolgen, um sich über den Punktestand zu informieren. Zudem verlängern erneute Verstöße im Straßenverkehr den Ablauf und die Tilgung von bereits registrierten Strafpunkten. Dabei spielt es keine Rolle, um welche Art von Verstößen es sich handelt. Auch bestehen Auslegungsschwierigkeiten bei den Gerichten und Behörden. Hier ist es sinnvoll, Erleichterungen zu erreichen. Wir folgen damit auch einer Empfehlung des Verkehrsgerichtstages. So sollten die Tilgungsfristen dahin gehend verändert werden, dass neue Verstöße nicht mehr automatisch zu einer Verlängerung der Tilgungsfristen von Verstößen aus der Vergangenheit führen. Bei der Reform muss jedoch berücksichtigt werden, dass das bestehende hohe Niveau der Verkehrssicherheit erhalten bleibt. Das Punktesystem ist ein wesentliches Instrument zur Gewährleistung eines hohen Niveaus der Verkehrssicherheit. Dies ist ausdrücklich mein Anliegen, somit stehe ich nicht ein für eine Lockerung von Sanktionen für Verkehrsvergehen, wohl aber für mehr Transparenz des Verfahrens und für die Aufhebung der Ablaufhemmung wegen unterschiedlicher Tilgungsfristen. Die Reform des Punktesystems wird meines Erachtens auch schnell vorangehen, denn bereits im Herbst 2008 hat das Verkehrsministerium Vorschläge zum Mehrfachtäterpunktesystem aufgegriffen. Zum Führerschein für die freiwilligen Feuerwehren und technischen Hilfsdienste. Es klappt, der „Feuerwehrführerschein“ kann kommen, und zwar in einer einfachen, aber verantwortlichen Weise, preisgünstig und anwendungsorientiert. Das wollen wir mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und unserem Änderungsantrag sicherstellen. Zu Protokoll gegebene Reden Kurz zur Historie: Am 1. Januar 1999 trat die 2. EGFührerscheinrichtlinie in Kraft, nach der ein Führerschein der Klasse B nur noch zum Führen von Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen berechtigt. Die meisten Fahrzeuge der Feuerwehren, der technischen Hilfsdienste und der Rettungsdienste sind aber durch Aufbauten und Ausstattung immer schwerer geworden und überschreiten die 3,5-Tonnen-Grenze. Damit die Einsatzfähigkeit weiterhin gewährleistet ist, war es notwendig, über eine Lösung nachzudenken. Zunächst setzte uns ein Antrag aus Bayern im Bundesrat, eine Sonderregelung für Fahrzeuge bis zu 4,25 Tonnen herbeizuführen, auf eine falsche Fährte. In intensiven Runden mit den Hilfsorganisationen wurde dann schnell die Gewichtsklasse 4,75 Tonnen definiert, die eine Vielzahl von Einsatzfahrzeugen abdeckt, aber auch die Notwendigkeit der Fahrerlaubnis der Klasse C1 für größere Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen. Bundesweit sind im Brand- und Katastrophenschutz mindestens 16 000 Fahrzeuge im Einsatz, die in diese Kategorie fallen. Um deren Einsatzfähigkeit 24 Stunden zu gewährleisten, werden für jedes Fahrzeug fünf oder mehr Fahrer benötigt. Wir brauchen also insgesamt einen Pool von 80 000 ehrenamtlichen Helfern, die in der Lage sind, diese Fahrzeuge zu fahren und zu beherrschen. Das stellt die Verbände jetzt vor große Probleme, zum einen geht es um die Ausbildung, zum anderen um die Kosten. Jedem ist klar: Wir sind in der Bundesrepublik im Brandfall, bei Unfällen und Naturereignissen auf die Einsatzfähigkeit der Feuerwehren, der technischen Hilfsdienste und der Rettungsdienste als Element unseres Katastrophenschutzes angewiesen. Der Einsatz der Menschen im Ehrenamt ist gar nicht hoch genug zu schätzen und zu bewerten. Unsere besondere Anerkennung gebührt den Feuerwehren, dem Roten Kreuz, dem THW, ASB, Johanniter, der DLRG, also den Hilfs- und Rettungsdiensten, die es schaffen, immer wieder junge Menschen für den Dienst am Nächsten und für die Allgemeinheit zu gewinnen. Noch verfügen wir in Deutschland über eine große Zahl von Nachwuchskräften im Ehrenamt, nicht zuletzt dank der vorbildlichen Jugendarbeit der Vereine und Verbände. Ich denke, wenn wir junge Menschen weiterhin für ehrenamtliche Aufgaben begeistern und gewinnen wollen trotz der hohen Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt, der heutzutage erforderlichen Mobilität und der veränderten Gewohnheiten der Freizeitgestaltung, müssen wir Anreize im Ehrenamt setzen. Auch dies war mir ein wichtiger Aspekt bei der Regelung um den sogenannten Feuerwehrführerschein. Vier Aspekte haben uns in der SPD-Fraktion dabei geleitet: Einsatzfähigkeit der Rettungs- und Hilfsdienste erhalten, Verkehrssicherheit für die Helfer gewährleisten, Kostengünstigkeit wahren, Aufwertung des Ehrenamtes. Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und den Länderregelungen wird es gelingen, eine praktikable und verantwortliche Lösung zu entwickeln, die für die Kommunen als Aufgabenträger in einem finanzierbaren Rahmen bleibt. Es wird eine Doppellösung geben: Mit dem jetzt vorliegenden Änderungsantrag von SPD und CDU/CSU eröffnen wir den Ehrenamtlichen die Möglichkeit, nach einer internen Einweisung und Prüfung eine Fahrberechtigung zum Führen von Fahrzeugen bis 4,75 Tonnen zu erhalten, also einfach und praktikabel. Die konkrete Ausgestaltung wird den Ländern übertragen, die dem Gesetzentwurf jetzt zügig zustimmen - der Bundesrat stimmt am 10. Juli darüber ab - und ihn dann ebenso zügig in die Praxis umsetzen müssen. Der große Wurf ist die neue Fahrberechtigung, die zum Fahren von Einsatzfahrzeugen bis 7,5 Tonnen berechtigt. Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs ermöglichen wir eine vereinfachte und anwendungsorientierte, aber externe fachliche Ausbildung und Prüfung, die dann das Führen von Fahrzeugen bis 7,5 Tonnen ermöglicht. Die Ausbildung und Prüfung wird kostengünstig angeboten werden. Dies wurde zwischen dem Bundesverkehrsministerium und den Einsatz- und Fahrlehrerverbänden fest vereinbart. Nach zwei Jahren kann die in der Feuerwehr bzw. in den Hilfsdiensten abgelegte und bis dahin nur im Einsatz geltende Fahrberechtigung umgeschrieben werden. Dann erlangt die Fahrerlaubnis allgemeine Gültigkeit und kann auch im zivilen Verkehr genutzt werden. Dies ist ein klares Signal pro Ehrenamt. Das sage ich mit großer Überzeugung zu allen Kameradinnen und Kameraden in den Einsatz- und Hilfsorganisationen. Es ist gelungen, eine unbürokratische Lösung zu finden, die allen Erfordernissen der Praxis entspricht. Wenig nachvollziehen kann ich die Störmanöver aus der bayerischen Landespolitik und von Kollegen der CSU, die glaubten, sich aus der Verantwortung ziehen und dem Bundesverkehrsminister den Schwarzen Peter zuschieben zu können. Wiederholte Polemik von dieser Seite wurde immer wieder in die Organisationen hineingetragen, was gelinde gesagt wenig hilfreich war. Sachgerechte Politik ist mit blankem Populismus nicht vereinbar. Mit vollkommen irrealen Vorschlägen wurden Prozesslösungen gefährdet. So sollte die Fahrberechtigung ohne jede Art von Überprüfung der Fahrkenntnisse ausgegeben werden, sozusagen per Hand auflegen. Dies widerspricht massiv allen verantwortlichen Vorgaben der Verkehrssicherheit. Zudem wurde sehenden Auges ein Vertragsverletzungsverfahren mit der EU provoziert; vermeintlich in Bayern als Heldenstück aufführbar. Das ist unverantwortliche Politik und nützt niemandem. Tatsache ist, dass an runden Tischen, in den Fraktionen und mit dem Verkehrsminister konsequent eine praktikable und unbürokratische Lösung erarbeitet wurde, die wir heute auf den Weg bringen. Allen, die positiv mitgewirkt haben - so auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Dr. Hans-Peter Friedrich - und die diese Lösung nun positiv vertreten, danke ich herzlich. Zu Protokoll gegebene Reden Eine Schlussbemerkung in meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag sei mir erlaubt. Die Verkehrssicherheit war mein Fachgebiet. Ich habe, nicht immer zur Begeisterung aller, die Verbesserung der Verkehrssicherheit als immerwährende Aufgabe verstanden und zu einem ständigen Thema gemacht. Ein wichtiger Aspekt der Verkehrssicherheit ist der Einsatz der Rettungs- und Hilfsdienste nach einem Unfallgeschehen. Somit fügt es sich heute für mich , dass wir deren Einsatz in besonderer Weise hervorheben können. Mit dem Einsatzführerschein für Menschen, die ihren Dienst für die Allgemeinheit erfüllen, und der Möglichkeit, diesen Einsatzführerschein nach zwei Jahren auch für den Allgemeingebrauch zur Verfügung zu haben, können wir eine werthaltige Anerkennung gewähren.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Diese Große Koalition ist ausgebrannt, und deshalb ist es gut, dass sie mit Ablauf dieses Sitzungstages endet und nicht weiter die wichtigen Entscheidungen, auf die die Bürgerinnen und Bürger warten, über Monate mit Streitereien blockiert. Sankt Florian muss schockiert sein, wenn er das Treiben der Koalitionsfraktionen beim sogenannten Feuerwehrführerschein beobachtet hat. Es ist weit mehr als ein halbes Jahr her, dass die Forderung nach Erleichterungen der Führerscheinbedingungen für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren erhoben wurde. Die FDP-Fraktion hat als erste Fraktion im Deutschen Bundestag für ausgewogene Veränderungen geworben. Nun liegt nach monatelangem Koalitionsgezänk ein Gesetzentwurf vor, der den Belangen der Feuerwehren und der Straßenverkehrssicherheit gerecht wird und die europarechtlichen Anforderungen erfüllt. Wichtig ist mir dabei besonders, dass wir eine unbürokratische Regelung für die kleineren Einsatzfahrzeuge bis zu 4,75 Tonnen bekommen, wie wir das auch gefordert haben. Im Gewichtsbereich bis zu 7,5 Tonnen bleibt aber eine professionelle Führerscheinausbildung bestehen, die sich stärker an den Bedingungen der Einsatzfahrzeuge und -fahrten orientiert. Das ist zum einen wegen der europarechtlichen Vorgaben erforderlich. Zum anderen wäre es nicht richtig, die straßenverkehrsrechtliche Verantwortung auf den „Ausbildungsfahrten“ im Rahmen einer Laienausbildung auf die erfahreneren Ehrenamtlichen zu verlagern. Dass Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, für das Aufschreiben dieses Vorschlags so lange gebraucht haben, ist für mich nur schwer verständlich. Die Art und Weise, in der Sie sich in dieser Diskussion über Wochen gestritten haben, ist allerdings symptomatisch für den Zustand dieser Koalition. Auch wenn die nun gefundene Lösung in materieller Hinsicht auch die Unterstützung der Liberalen findet, teilen wir nicht ihre Art der Umsetzung. Wir hätten uns eine bundesweit einheitliche Lösung gewünscht. Stattdessen hat sich der Bundesverkehrsminister in die Schmollecke zurückgezogen, weil er offenbar nicht bereit war, mehr als gerade nötig auf eine Forderung des Bundesrates einzugehen. Eine Umsetzung der Regelung in den Ländern hat keine ersichtlichen Vorteile, bringt aber Probleme mit sich. Es gibt noch viele offene Fragen, damit sich die ehrenamtlichen Einsatzkräfte nicht während eines Einsatzes in einem Zustand der straßenverkehrsrechtlichen Rechtsunsicherheit wiederfinden, wenn 16 Landesverordnungen zum sogenannten Feuerwehrführerschein erlassen werden. Unklarheiten gibt es zum Beispiel, wenn ein Einsatzfahrzeug in einem Einsatz die Landesgrenze überquert und das Zielland keine Regelung erlassen hat oder Umzüge in ein anderes Bundesland anstehen. Wie wird dann mit dem Feuerwehrführerschein verfahren? Nun will ich zum Thema Punkte kommen. Die Koalition beabsichtigt dieses Mal ausnahmsweise nicht, die Punktetatbestände auszuweiten. Das beruhigt mich schon. Wir sind anderes gewöhnt. Wenn es für verfehlte Straßenverkehrspolitik Punkte gäbe, hätten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, schon das eine oder andere Aufbauseminar absolvieren müssen. Da bin ich mir sicher. Nein, dieses Mal findet Ihr Anliegen die Unterstützung der Liberalen. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hat in diesem Jahr die Anregung zur Reform des Punktesystems gegeben. Es ist richtig, für mehr Transparenz zu sorgen und das System überschaubarer zu machen. Wir begrüßen das ausdrücklich. Ich will aber nicht verschweigen, dass sich die Liberalen einen weitergehenden Ansatz gewünscht hätten. Besonders in den letzten Jahren haben wir erlebt, dass neue Verkehrsvorschriften - meistens Verbote, denn hiervon ist die Verkehrspolitik der rot-grünen und auch der schwarz-roten Bundesregierungen geprägt gewesen mit Punkteintragungen versehen worden sind. Das hat inzwischen dazu geführt, dass der Punktekatalog in sich nicht mehr stimmig ist. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn kein einziges Einfahrtverbot in eine Straße mit einem Punkt bewehrt ist, die unerlaubte Einfahrt in eine Umweltzone aber selbst dann mit einer Punkteintragung geahndet wird, wenn das Fahrzeug gar keinen Dieselruß ausstößt, dann stimmt etwas nicht bei der Administration der Umweltzonen. Dann muss man feststellen, dass wir die Stringenz des Punktesystems insgesamt überprüfen müssen. Eine Neubewertung der Verkehrsverstöße anhand ihrer straßenverkehrsrechtlichen Gefährlichkeit für andere Verkehrsteilnehmer wäre aus Sicht der FDP-Fraktion daher dringend erforderlich. Dabei muss man auch darüber nachdenken, ob wiederholte schwere Verkehrsverstöße nicht stärker als bisher zu Buche schlagen sollten. Außerdem plädiere ich dafür, im Rahmen der Umstellung des Systems alle Einträge mit nur einem und zwei Punkten zu löschen, weil diese auf geringfügigen Verstößen beruhen, die zum Teil nach der Neubewertung der Verkehrsverstöße nicht mehr mit einem Punkteintrag geahndet würden. Auch beim freiwilligen Punkteabbau muss sich etwas verändern. Bislang besteht die einzige Möglichkeit zum Punkteabbau in der Teilnahme an einem Aufbauseminar. Das überzeugt mich nicht. Der Grund für die Eintragung des Punktes liegt in einer Gefährdung der Verkehrssicherheit durch den begangenen Verkehrsverstoß. Wenn Zu Protokoll gegebene Reden der Fahrer einen anderen Beitrag zur Steigerung der Verkehrssicherheit leistet, muss auch dann eine vorzeitige freiwillige Tilgung von Punkten in Betracht kommen. Es ist allgemein anerkannt, dass zum Beispiel Fahrsicherheitstrainings einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Eine simulierte Alkoholfahrt trägt zur Vermeidung von Alkoholfahrten bei, weil den Fahrern die Unfallgefahr bei Alkoholfahrten vor Augen geführt wird. Eines muss aber auch klar sein: Der Abbau durch die Teilnahme an Sicherheitstrainings muss stark begrenzt sein, damit diese nicht zum Freifahrtschein für Verkehrsverstöße wird. Aber es können auf diese Weise Anreize für die Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining gesetzt werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Abbaumöglichkeiten ausweiten sollten, weil wir damit die Verkehrssicherheit erhöhen können.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der neue Führerschein der Klasse B hat einen Haken. Nur Autos bis 3,5 Tonnen dürfen damit bewegt werden anders als mit dem alten Führerschein Klasse 3. Da hagelte es Proteste der freiwilligen Helfer, der Feuerwehrleute, der Retter beim Katastrophenschutz und bei den technischen Diensten. Dort gibt es nämlich viele Autos mit weit höherem Gewicht. Insofern war es gut, dass die Oppositionskollegen der FDP Abhilfe gefordert haben. Leider aber sind Sie mit ihrem Antrag zu kurz gesprungen: Ausnahmen lediglich für Autos bis 4,25 Tonnen reichen nicht. Deshalb wurde hinter den Kulissen gearbeitet, und jetzt steht im Regierungsentwurf sogar eine Gewichtsgrenze von 7,5 Tonnen. Damit können alle freiwilligen Helfer gut leben. Die Linke ist dafür. Zustimmung vonseiten der Linken auch für mehr Transparenz in der Punktekartei. Flensburg, das heißt für manche drohendes Fahrverbot, für andere vorbeugende Sicherheit. Diesem Gegensatz hat sich auch der Verkehrsgerichtstag in Goslar gestellt. Und dessen Empfehlungen umzusetzen, wird mit dem Antrag der Koalition gefordert. Für Betroffene, Anwälte und Behörden soll der Kontakt zum Flensburger Register künftig einfacher werden. Außerdem soll geprüft werden, ob jeder Neueintrag weiterhin bedeutet, dass die Fristen zur Tilgung der schon vorhandenen Eintragungen gestreckt werden. Begründet wird das mit Floskeln wie Verwaltungsvereinfachung und Bürokratieabbau. Da ist für Linke zunächst immer Wachsamkeit geboten. Trotzdem kann die rote Warnlampe hier gleich wieder ausgeschaltet werden. Die Koalition bezieht sich explizit auf die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages. Ansonsten bleibt sie so vage, dass sogar die Linke zustimmen kann. Dass der Punktekatalog nicht gerade übersichtlich ist, ist nicht zu bestreiten. Und dass Auskünfte nur auf dem Postweg erteilt werden, dazu Formular und Kopie des Personalausweises einzusenden sind, ist sicher nicht der einfachste Weg. Andererseits hätten sicherlich viele etwas dagegen, wenn die Punkte im Internet frei für alle zu zählen wären. Gewisse Sicherheiten sollten sein. Eine Schwachstelle aber weist der Antrag auf, und darauf möchten wir hinweisen. Derzeit gibt es für die Tilgungsfrist der Punkte drei Stufen. Diese will die Koalition nun dahin gehend prüfen, ob die Fristen je nach Verkehrsverstoß gesondert festgelegt werden. Im Gegenzug könnte die Verlängerung bei Neueinträgen entfallen. Das kann zwar gemacht werden, könnte aber „Vergrößerung der Transparenz des Punktesystems“ oder „Verwaltungsvereinfachung“ konterkarieren. Da muss die Linke fragen, ob die Koalition nicht etwa beabsichtigt, Flensburger Punkte schneller abzubauen und so das System zu schwächen. Da würden wir nicht mitgehen. So weit aber gehen Sie noch nicht. Jetzt soll geprüft werden. Da gehen wir mit. Beim dritten Straßenverkehrsthema, das hier beraten wird, geht es nicht um Registrierung von Fahrern, sondern um Registrierung von Fahrzeugen: um Onlinetechniken und deren Erprobung. Dazu soll das Bundesverkehrsministerium die Landesregierungen ermächtigen, Ausnahmeregelungen zuzulassen. Und hier enthält sich die Linke. Wir teilen die Bedenken des Bundesrats: Durch Pilotprojekte dürfen: keine Auswirkungen auf das Zulassungsverfahren außerhalb der Länder eintreten, in denen Pilotprojekte durchgeführt werden, sei es dadurch, dass dort Daten zeitaufwendig von Hand in das entsprechende System eingepflegt werden müssen, oder aber über Ausnahmeregelungen hinsichtlich der Zuständigkeit die finanziellen und personellen Planungen von Zulassungsbehörden ad absurdum geführt werden. So die Bundesratsdrucksache 329/1/09. Zudem gibt es offenbar schon ein Feinkonzept für das E-Government in der Autozulassung. Darauf bezieht sich die Bundesratsempfehlung. Die Initiatoren des Gesetzes aber hielten es nicht für nötig, das Feinkonzept mit darzulegen. Das ist nicht redlich. Deshalb kann sich die Linke zu diesem Gesetz nur der Stimme enthalten. Doch auch wenn die Katze im Sack bleibt: Bei den Pilotprojekten dürfen Dritte keinerlei Zugriff auf Daten haben. Die Bahnspitzelaffäre hat gezeigt: Detekteien kommen an solche Daten. Ich frage mich: Wird das künftig leichter? Und die Betrugssicherheit? Bei der Abwrackprämie wurde von krimineller Energie gesprochen, sodass die Regierung nachgebessert hat und jetzt Originalfahrzeugpapiere einzusenden sind. Dem wäre bei Onlineregistrierungen wohl nicht so. Wird dem Betrug dann wieder Tür und Tor geöffnet?

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie haben heute über drei relativ unterschiedliche Vorlagen zu entscheiden: einen Antrag und zwei Gesetzentwürfe zum gleichen Gesetz, nämlich dem Straßenverkehrsgesetz, zu entscheiden. Ich möchte zunächst auf den Antrag bezüglich der Punktesystematik des Verkehrszentralregisters und dann auf das Sechste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes eingehen, um meinen Beitrag mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zu beenden. Die Punktesystematik des Verkehrszentralregisters in Flensburg hat sich als Instrument zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit bewährt. Das heißt aber nicht und das gilt für die Verkehrssicherheit in Deutschland insgesamt -, dass das System nicht noch verbessert werZu Protokoll gegebene Reden den kann. Denn viele Autofahrerinnen und Autofahrer verstehen nicht, für welche Vergehen sie wie viele Punkte bekommen und - vor allem - wie lange diese erhalten bleiben. Das gilt erst recht für die Autofahrerinnen und Autofahrer, die wegen ihres guten Fahrverhaltens noch keine Erfahrung mit Punkten gemacht haben. Daher begrüße ich diesen Prüfauftrag, und ich bin gespannt, welche Änderungen uns von der Bundesregierung vorgeschlagen werden. Ob wir diesen zustimmen können, wird sich erst dann zeigen. Es ist schon erstaunlich wie experimentierfreudig eine Regierungskoalition sein kann, wenn das Ende der Legislaturperiode naht. Ich wünschte mir, dass das in anderen Bereichen der Verkehrspolitik in den vergangenen Jahren ebenso gewesen wäre. Einer Erprobung neuer Verfahrensweisen mit Hilfe von Onlineprozessen für die Registrierung von Fahrzeugen auf dem Wege einer Experimentierklausel wird die grüne Bundestagfraktion ganz bestimmt nicht im Wege stehen. Beim fünften Änderungsgesetz zum Straßenverkehrsgesetz hat die Bundesregierung wie so oft bis zur letzten Minute gewartet. Das Problem mit den Fahrerlaubnissen besteht doch schon seit 1999. Heute schreiben wir das Jahr 2009. Warum ist da nichts geschehen, obwohl es doch um die Fahrerinnen und Fahrer geht, die tagtäglich für unser aller Sicherheit im Einsatz sind? Die vielfach ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer des Katastrophenschutzes, der Feuerwehren und des Rettungswesens benötigen für ihre Einsätze Fahrzeuge, die schwerer als 3,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht und zum Teil sogar schwerer als 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht sind. Nach neuem Recht brauchen sie die Fahrerlaubnis der Klasse C1 oder C, wenn sie ihre Fahrerlaubnis erst nach dem 1. Januar 1999 erhalten haben und daher nicht aus dem Bestandschutz Nutzen ziehen können. Jeder von uns will aber, dass sich unsere Retterinnen und Retter sicher bei ihren Alarmeinsätzen mit ihren Fahrzeugen auf unseren Straßen bewegen; denn ein verunfalltes Rettungsfahrzeug erreicht sein Ziel nicht und bindet zudem andere Rettungskräfte, die am eigentlichen Einsatzort dann nicht zur Verfügung stünden. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Akteure vor Ort die Erfahrungen haben und am besten wissen, wie sie sicher zum Einsatzort kommen und wie sie das auch vermitteln können. Wichtig ist für mich, dass der Fahrer eines Rettungsdienstes wie jeder andere, der ein Fahrzeug steuern will, eine praktische Fahrprüfung mit dem Prüfungsfahrzeug der jeweiligen Klasse erfolgreich absolvieren muss. Da das mit dieser Gesetzesänderung gewährleistet ist, stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wollte ich diese meine letzte Rede noch im Plenum halten. Angesichts der langen Tagesordnung und einer Folgeveranstaltung ist mir dieser letzte Schlussstein wohl nicht mehr vergönnt. Aber ich trage es mit Fassung, denn ich hatte ja schon mehrfach Gelegenheit, mich bei euch und Ihnen zu bedanken und zu verabschieden. Ich danke bei dieser Gelegenheit Toni Hofreiter, der mir seine Redezeit abgetreten hat; es war auf jeden Fall einen Versuch wert. Schließlich habe ich 2002 mit Verkehrsthemen begonnen. Da ist es schlüssig, wenn ich 2009 mit einem Verkehrsthema aufhöre. Für mich waren es sieben spannende, aufregende, aber auch anstrengende Jahre, die ich nicht vergessen werde, und in denen ich viele Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen schätzen gelernt habe. Wenn uns auch manchmal inhaltliche Differenzen trennten, im Umgang miteinander war der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung immer menschlich und anständig, einfach eine tolle Truppe. Zu einigen von euch werde ich sicherlich engeren Kontakt halten können, andere werde ich bei anderen Gelegenheiten sicherlich wiedersehen, wiederum andere werde ich vielleicht ganz aus den Augen verlieren, ganz wie im richtigen Leben. Ich wünsche mir besonders, dass auch in der kommenden Legislaturperiode dieser Ausschuss federführend für die Belange der ostdeutschen Bundesländer bleibt; denn er war viel besser als sein Ruf. Die zahlreichen Debatten in unserem Ausschuss - dafür leider zu wenige im Plenum und die noch dazu zu schlechten Tageszeiten waren von einer hoher Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit geprägt. Es ging oft um ganz andere Themen als Verkehrsinfrastruktur oder Stadtumbau Ost. Es gelang uns immer wieder, auch die westdeutschen Kollegen für unsere Themen zu interessieren. Wir brauchen daher auch in Zukunft die Zuständigkeit dieses Ausschusses, damit er sich auch weiterhin dieser wichtigen Querschnittsaufgabe annimmt. Das Thema ist zu wichtig, um es bloß der Exekutive überlassen zu dürfen. Den vielen Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses, die dem 17. Deutschen Bundestag nicht mehr angehören werden, wünsche ich einen reibungslosen Übergang in ihr neues Leben, viel Glück, Gesundheit und mehr Zeit für sich selbst und ihre Liebsten. Denjenigen, die weitermachen, wünsche ich viel Kraft und Freude für diese wichtige Aufgabe und viele nette neue Kolleginnen und Kollegen im 17. Deutschen Bundestag.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Der Ihnen vorliegende Entwurf eines 5. Gesetzes zur Änderung des StVG wird die Nachwuchsprobleme der Freiwilligen Feuerwehren und Rettungsdienste schnell und pragmatisch lösen können. Derzeit können nur ältere Fahrerlaubnisinhaber, die vor dem 1. Januar 1999 ihre Fahrerlaubnis erworben haben, auch heute noch schwerere Fahrzeuge mit dem bisherigen Führerschein der - alten - Klasse 3 fahren. Nunmehr müssen jüngere Fahrer nachrücken, die aber nicht mehr über die benötigte Fahrerlaubnis verfügen. Grund für diese Entwicklung ist die 2. EG-Führerscheinrichtlinie, mit der die Fahrerlaubnisklassen zum 1. Januar 1999 europaweit harmonisiert wurden. Seither dürfen mit einer Pkw-Fahrerlaubnis der Klasse B nur noch Kraftfahrzeuge bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 3,5 Tonnen gefahren werden. Für Kraftfahrzeuge zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen ist seitdem eine Fahrerlaubnis der Klasse C1 und für Kraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen eine Fahrerlaubnis der Klasse C erforderlich. Aus diesem Grund ist auch die Zu Protokoll gegebene Reden Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick: ursprünglich vom Bundesrat in seiner Entschließung vom 7. November 2008 geforderte Lösung nicht EGrechtskonform. Das Fahren von Einsatzfahrzeugen bis zu einer Gesamtmasse von 4,25 Tonnen ohne weitere Ausbildung und Prüfung entspricht nicht den strengen Vorgaben aus Brüssel. Die Bundesregierung hat deshalb mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf die notwendigen Vorschriften für die Aufnahme einer speziellen Fahrberechtigung für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren, der Rettungsdienste und der technischen Hilfsdienste eingebracht. Die neue Fahrberechtigung macht es möglich, Einsatzfahrzeuge bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 7,5 Tonnen auf der Grundlage einer EG-rechtlich vorgeschriebenen, spezifischen Ausbildung und Prüfung zu fahren. Damit gehen wir sogar deutlich über die vom Bundesrat geforderten 4,75 Tonnen hinaus. Die neuen Regelungen, die in das Straßenverkehrsgesetz, StVG, und die entsprechende Ausführungsverordnung, die Fahrerlaubnis-Verordnung, aufgenommen werden sollen, enthalten folgende Neuerungen: die Einführung einer „einfachen“ Fahrberechtigung bis 4,75 Tonnen, die im Rahmen einer organisationsinternen ({0})Ausbildung mit anschließender interner praktischer Prüfung erworben werden kann, - die Befug- nis zur Regelung der Ausbildung und Prüfung wird un- mittelbar auf die Länder übertragen -; zudem die Ein- führung einer „qualifizierten“ Fahrberechtigung bis 7,5 Tonnen mit einer verkürzten praktischen Ausbildung in den Fahrschulen und einer praktischen Prüfung bei den Prüforganisationen. Durch die Verringerung des Umfangs der theoretischen Ausbildung und Prüfung so- wie wenige vorgeschriebene Sonderfahrten kommt es zu einer spürbaren Reduzierung der Kosten und des zeit- lichen Aufwandes. Je nach Stundenzahl soll ein solcher „Feuerwehrführerschein“ zwischen circa 300 Euro und 600 Euro kosten. Hinzu kommt eine Prüfungsgebühr von rund 120 Euro. Damit liegen wir deutlich unter den 1 000 Euro, mit denen wir vor drei Monaten als Zielvorgabe gestartet sind. Dabei möchte ich hervorheben, dass diese „qualifi- zierte“ Fahrberechtigung nach zwei Jahren in eine allge- meine Fahrberechtigung der Klasse C1 prüfungsfrei umgetauscht werden kann, die dann auch privat und vor allem beruflich genutzt werden kann. Über diese Eckpfeiler der neuen Fahrberechtigung ist in den vergangenen Wochen auch bei dem von BM Tiefensee ins Leben gerufenen Runden Tisch intensiv und durchaus kontrovers diskutiert worden. An diesem Runden Tisch haben neben den Fachleuten meines Hauses auch das zuständige Innenministerium, alle be- troffenen Verbände, die Prüforganisationen TÜV und DEKRA, die Fahrlehrerschaft und die Bundesländer teil- genommen. Dort konnten wir auch die zuletzt aufgekom- mene Frage einer „Anhängerregelung“ bis 1,5 Tonnen ohne rechtliche Änderungen für die sogenannten weißen Verbände wie die DLRG, das DRK und die Johanniter pragmatisch lösen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird einerseits der schmale, EG-rechtlich zulässige Grat ausgeschöpft und andererseits den Belangen der ehrenamtlich tätigen Angehörigen der freiwilligen Feuerwehren, der Ret- tungsdienste und der technischen Hilfsdienste schnell und pragmatisch Rechnung getragen. Im Interesse unse- rer ehrenamtlich tätigen Mitbürgerinnen und Mitbürger bitte ich Sie daher, dem 5. Gesetz zur Änderung des Stra- ßenverkehrsgesetzes zuzustimmen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die dringend erfor- derliche Reform des Punktesystems. Sehr geehrte Kolle- ginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, ich bin Ih- nen dankbar, dass Sie gemeinsam mit meiner Fraktion diesen wegweisenden Entschließungsantrag auf den Weg bringen. Kaum ein Thema bewegt die Verkehrsteilneh- mer im Alltag so sehr, wie die sogenannte Verkehrssün- derkartei in Flensburg. So wichtig wie das seit 1999 geregelte Verkehrszentralregister auch ist, so unüber- sichtlich sind zwischenzeitlich die rechtlichen Folgen. Komplizierte Fristenberechnungen, die nicht nur von der Schwere des Verkehrsverstoßes abhängen, sondern auch von dem Umstand, ob es in einem bestimmten Zeitraum zu weiteren Eintragungen in das Register gekommen ist, erschweren das Verfahren für alle Beteiligten. Weder die Bürgerinnen und Bürger, noch die Verwaltungsbehörden und sogar die Gerichte können die teilweise hochkompli- zierten Fristenberechnungen nachvollziehen und bewer- ten, sodass eine Vereinfachung des gesamten Punktesys- tems dringend geboten ist. Auch der Verkehrsgerichtstag in Goslar hat sich ja in diesem Jahr der Thematik ange- nommen und entsprechende Gesetzesänderungen emp- fohlen. Klar ist dabei aber auch, dass ein reformiertes Punk- tesystem als Instrument zum Erhalt des hohen Niveaus der Sicherheit im Straßenverkehr dienen muss und Mehr- fachtäter nicht bessergestellt werden dürfen. Was wir nicht wollen, ist ein Verkehrssünderrabatt. Es gibt keine Abstriche bei den Tilgungsfristen. Ich bitte Sie daher, im Interesse aller Verkehrsteilnehmer dem vorliegenden Entschließungsantrag zuzustimmen. Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben 2006 den Aktionsplan „Deutschland-Online“ beschlos- sen. Ziel ist die Modernisierung der Verwaltung unter Nutzung von E-Government. Das Vorhaben Kfz-Wesen ist ein wichtiger Bestandteil dieses Aktionsplans: Die Regis- trierungsprozesse von Fahrzeugen sollen danach unter Nutzung der Möglichkeiten von E-Government neu ausgerichtet werden. Da es insoweit in erster Linie um Verwaltungsver- fahrensfragen geht, wird das Projekt unter der Feder- führung des BMI und der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Finanzbehörde Hamburg betrieben. Die Vorstellungen Hamburgs haben jedoch auch unmit- telbare Auswirkungen auf das Zulassungsrecht, sodass das BMVBS und die Verkehrsministerkonferenz um Un- terstützung des Deutschland-Online-Projekts „Kfz-We- sen“ gebeten wurden. Diese wurde zuletzt Ende April an- lässlich der VMK zugesagt. Dabei ist klar: Erfolgreich kann das Projekt nur sein, wenn eine enge fachliche Einbindung der Verkehrsseite gelingt. Ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Bürger und die Verwaltung ist eine der maßgeblichen Zu Protokoll gegebene Reden Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick: Voraussetzungen. Gleichzeitig dürfen Verkehrssicher- heits-, Steuer- und Versicherungsfragen nicht außer Acht gelassen werden. Dies alles unter einen Hut zu bekom- men, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Als wichtigem Schritt zur Verwirklichung wurde bei der letzten VMK Ende April dem sogenannten Fein- konzept Hamburgs zugestimmt. Durch Pilotprojekte in Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein- Westfalen soll danach die möglichst weitgehende Nutzung von Onlineprozessen für die Fahrzeug- registrierung erreicht werden. Um das vorgesehene Pilotprojekt in Hamburg durchzuführen, sind nach Auf- fassung der Finanzbehörde Hamburg jedoch dort Abweichungen von den Vorschriften zur Fahrzeug- zulassung erforderlich. Dazu haben wir, das BMVBS, zugesagt, eine befristete Experimentierklausel in das StVG einzubringen und unseren konstruktiven Beitrag zu leisten: § 6 StVG wird um einen neuen Abs. 6 ergänzt. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent- wicklung wird ermächtigt, eine Ausnahmeregelung zu erlassen, die es den Ländern auf drei Jahre befristet gestattet, zur Anwendung von E-Government ihrerseits Ausnahmen von Regelungen für die Zulassung von Fahr- zeugen zu treffen. Ich bitte Sie, diesem Gesetz zuzustim- men. Weitere Details und auch mögliche Grenzen müssen dann anschließend in einer Verordnung festlegt werden. Dies kann dann folgen, wenn die Einzelheiten der Pilot- projekte feststehen. Wir erwarten hierzu insbesondere aus Hamburg eine konkrete und mehrheitsfähige Zuar- beit. Unser rasch erarbeiteter Gesetzesvorschlag belegt: Das Projekt D-Online wird vom BVMBS aktiv unter- stützt. Einzelne Zielsetzungen im Feinkonzept, etwa die zu prüfende Abschaffung von Zulassungspapieren und Siegeln auf Kennzeichen, die von der Projektgruppe vor- geschlagen wurden, um in Zukunft eine gänzlich medien- bruchfreie Onlinezulassung zu ermöglichen, bedürfen aber noch vertiefter fachlicher Diskussionen, die mit der Verkehrs- und Innenseite bislang nicht geführt wurden. Dies betrifft in gleicher Weise Ansätze im Konzept zur Privatisierung. Klar ist ebenfalls, dass es bei der Ver- kehrssicherheit keine Abstriche geben darf. Der verstärkte Einsatz moderner Computertechnolo- gie im Zulassungswesen ist schon seit Jahren ein wichtiges Thema des BMVBS. Wir haben in diesem Be- reich schon erhebliche Beiträge und Vorleistungen erbracht. So ersetzt seit dem 1. März 2008 die elektroni- sche Versicherungsbestätigung auf Abruf, eVB, den bis dahin ausschließlich in Papierform erbrachten Nachweis über das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung. Anstelle einer Papierversicherungsbestätigung erhält der Kunde durch seine Versicherung nun eine siebenstel- lige Versicherungsbestätigungsnummer, VB-Nummer. Durch dieses Verfahren können die Warte- und Bearbei- tungszeiten in den Zulassungsstellen verkürzt werden. Gleichzeitig werden Missbräuche mit „Doppelkartenrei- terei“ zum Nachteil der Versicherungswirtschaft vermie- den. Noch in diesem Herbst wollen wir die Onlineanbin- dung der Zulassungsbehörden an das Zentrale Fahrzeug- register, ZFZR, starten. Die Zulassungsstellen können schon bald Mitteilungen über die Zulassung von Fahr- zeugen direkt in das ZFZR einstellen. Das ZFZR wird dann 100 Prozent aktuell. Außerdem werden so die Vo- raussetzungen dafür geschaffen, um künftig auf die örtli- chen Fahrzeugregister zu verzichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/13616, den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung auf Drucksache 16/13108 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, mögen das mit einem Handzeichen kundtun. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke; FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher. Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Straßenverkehrsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13617, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/ 13109 anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen das mit ihrer Hand anzei- gen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zuge- stimmt haben CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen; die Fraktion Die Linke hat sich enthalten; dagegen war niemand. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- stimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Punkte-Systematik des Verkehrszentralregis- ters in Flensburg einfacher und verständlicher gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13407, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12993 anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe Tagesordnungspunkte 75 a und b auf: a) - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität - Drucksachen 16/13123, 16/13185 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 1. Oktober 2008 über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität - Drucksachen 16/13124, 16/13186 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 16/13659 - Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Wolfgang Gunkel Jan Korte b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Christian Ahrendt, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität neu verhandeln - zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck ({2}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein uferloser Datenaustausch mit den USA - Drucksachen 16/9094, 16/9360, 16/13659 - Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Wolfgang Gunkel Jan Korte Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Um- setzung des Abkommens liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Ihre Reden zu Protokoll haben gegeben Clemens Binninger, Wolfgang Gunkel, Gisela Piltz, Jan Korte und Wolfgang Wieland.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ab- kommen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13659, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- sachen 17/13123 und 16/13185 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppositions- fraktionen sowie der Abgeordnete Tauss haben dagegen gestimmt. Unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13659 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die Koalitionsfraktionen haben zugestimmt, die Opposi- tionsfraktionen dagegen. Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung des Abkom- mens mit den Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/13659, den Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/13124 und 16/13186 anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13697 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer ist für diesen Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung durch die FDP-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt; Die Linke, SPD und CDU/CSU haben dagegen gestimmt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitions- fraktionen angenommen. Die Oppositionsfraktionen und der Abgeordnete Tauss sind dagegen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist, möge sich bitte erheben. - Die Gegenstimmen! - Enthal- 1) Anlage 13 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt tungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/13659 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9094 mit dem Titel „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität neu verhandeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9360 mit dem Titel „Kein uferloser Datenaustausch mit den USA“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch CDU/CSU und SPD angenommen. Dagegen haben FDP, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke gestimmt. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. August 2009, 13 Uhr, ein. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten! Genießen Sie den Sommer und all das, was Sie vorhaben! Die Sitzung ist geschlossen.