Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich darf Ihnen zu Beginn mitteilen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Tagesordnungspunkt 70 unmittelbar nach dem Tagesordnungspunkt 66
aufzurufen und die nachfolgenden Tagesordnungspunkte 67 und 68 zu tauschen. Sind Sie damit einverstanden? - Das sieht so aus. Dann ist es so beschlossen.
Im Übrigen hat der Ältestenrat sich in seiner gestrigen
Sitzung darauf verständigt, dass in den Plenarsitzungen
am 26. August und am 8. September keine Regierungsbefragungen, keine Fragestunden und keine Aktuellen
Stunden durchgeführt werden. Ich vermute, dass die
leichte Enttäuschung über diese Begrenzung der Tagesordnung durch die Freude ausgeglichen wird, dass wir
uns in der Sommerpause gleich zweimal zu Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages treffen werden.
({0})
- Ich bin sicher, dass die Zwischenrufe in das Protokoll
aufgenommen worden sind. Ich halte aber fest, dass sie
nicht als förmliche Anträge zu verstehen waren.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 64 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der
Steuerhinterziehung ({1})
- Drucksache 16/12852 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung
({2})
- Drucksache 16/13106 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 16/13666 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding ({4})
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir das so handhaben.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Fraktion.
({5})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss sagen, dass
wir heute Morgen noch nicht sehr viele sind.
({0})
Aber heute Nacht am Schluss der Sitzung um 1.08 Uhr
war der Saal noch relativ voll. Ich erwähne dies, um zu
verdeutlichen, wie lange Plenarsitzungen manchmal
dauern können. Die heutige Tagesordnung wird sicherlich nicht ganz so lange gehen.
({1})
- Das denke ich auch.
Es ist ein kleines Wunder, dass das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz so lange hat auf sich warten
lassen. Eigentlich hätten wir ein solches Gesetz schon
seit vielen Jahren gebraucht. Wir haben uns mit verschiedenen anderen Instrumenten, die auch gewirkt haRedetext
Lothar Binding ({2})
ben, sehr gut beholfen. Dennoch gibt es in der Bevölkerung - ich finde: zu Recht - einen gewissen Ärger.
Der Steuerhinterzieher fährt zum Beispiel auf unseren
Straßen. Er schickt seine Kinder auf unsere Schulen. Er
will in einem sicheren Land leben. Daran erkennt man
schon, wie die Denkrichtung ist: Bezahlen sollen dies
immer die anderen Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen und die sich in unserem Land engagieren. Manchmal
werden die Ehrlichen noch als die Dummen verhöhnt.
Damit möchten wir Schluss machen.
({3})
Der Steuerhinterzieher zwingt also alle anderen
Bürger dazu, höhere Steuern zu zahlen. Er fährt auf Kosten anderer in diesem Land auf unseren Straßen, und er
schickt seine Kinder auf Schulen, die der Nachbar finanziert hat. Ich glaube, das muss man deutlich machen, um
zu erkennen, was dieses Gesetz eigentlich will. In einem
Staat, der ziemlich gerecht und nach der Leistung besteuert und der im Vergleich zu anderen europäischen
Staaten relativ geringe Steuern erhebt, können wir erwarten, dass jeder seine Steuern zahlt.
({4})
Steuerhinterziehung ist eine Form von Diebstahl. Nun
ist das mit dem Diebstahl nicht ganz so einfach. Dabei
gibt es oft ein organisiertes Komplott zwischen Bürgern,
Kapitalfluchthelfern und bestimmten Staaten oder Steueroasen. Dieses Gesetz zielt darauf ab, dieses Komplott
zu beenden. Es nimmt nicht nur den Steuerbetrüger in
den Blick, sondern ebenso all jene, die ihm dabei helfen,
dass dieser Betrug funktioniert.
In diesem Haus beobachtet man manchmal einen
merkwürdigen Reflex. Wir alle kennen Sätze wie: Steuerhinterziehung ist zwar kein Kavaliersdelikt, aber es
gibt viel Schlimmeres. Es gibt doch viel Schlimmeres als
Steuerhinterziehung; warum stellt man sich da eigentlich
so an? - Diese Formeln machen aus Steuerhinterziehung
ein Kavaliersdelikt. Es ist ein Problem, dass wir solche
Sätze häufig in diesem Hause gehört haben.
Ich finde es besonders merkwürdig, wenn jemand in
Deutschland über Deutschland als Steuerwüste spricht.
Er erzeugt doch ein unendlich großes Verständnis für
jene, die diese Wüste verlassen wollen. Die Menschen
wollen natürlich nicht verdursten und verhungern, also
wollen sie die Wüste verlassen. Ich habe selbst gehört,
wie Herr Westerwelle in einem großen Bierzelt von
Deutschland als Steuerwüste sprach.
({5})
Wie kann man klarer Verständnis für Steuerhinterziehung formulieren als auf diese Weise, die den Menschen
ein Argument an die Hand gibt, das Land wegen der
Steuerpflichten zu verlassen.
({6})
Wir wissen, dass es bisher kaum möglich war, systematisch betriebenen Steuerbetrug grenzüberschreitend zu bekämpfen. Erst spektakuläre Entdeckungen von
Einzelfällen und die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise haben den Blick auf die Ursachen, auf das, was
wirklich geschieht, geschärft. Erst jetzt haben wir die
Möglichkeit, die Verharmlosung von Steuerhinterziehung anzugehen.
({7})
Im parlamentarischen Raum denken wir schon länger
nach über Aufträge an die Regierung, über internationale Vereinbarungen, über eine Verstärkung der Steuerfahndung und über eine Bundessteuerverwaltung, die
helfen soll, Steuerkriminalität zu bekämpfen. In dieser
Phase - das fanden wir sehr interessant - hat der Bundesminister für Finanzen Ende 2008 einen Referentenentwurf zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung eingebracht. Viele hat dieser Entwurf erschreckt. Der Grund
dafür ist ganz einfach: Dieser Vorschlag war so konkret,
wie ein Vorstoß in diese Richtung noch nie gewesen ist.
Er war so konkret, dass sich die Leute vorstellen konnten, was ihnen passieren würde, wenn sie künftig Steuerhinterziehung betreiben würden. Dieser Entwurf hat die
Zusammenarbeit mit Staaten in den Blick genommen,
deren Recht Steuerbetrug absichtsvoll ermöglicht. Dieser Gesetzentwurf hat Sanktionen gegen jene in den
Blick genommen, die sich dieser Steuerhinterziehungsmöglichkeiten bedienen.
Parallel dazu - ich glaube, das ist die besondere Leistung - war Peer Steinbrück international unterwegs, um
ganz ähnliche Regeln zu verabreden und diese Verabredung so vorzubereiten, dass sich niemand in der Welt
darüber wundern musste, was hier passiert. Dadurch
wurde Deutschland glaubhaft, und andere Länder haben
ähnliche Gesetze gemacht. Das hat viele - das muss man
schon sagen - sehr erschreckt.
({8})
Die Arbeit zwischen den Koalitionsfraktionen funktioniert auf Fachebene meistens sehr gut; das gilt für den
Finanzausschuss in besonderer Weise.
({9})
- Ich überlege alles ganz genau. - Ich erinnere mich
noch sehr genau an einen Brief des Kollegen Meister
- ich will aus ihm jetzt nicht wörtlich zitieren -, in dem
er uns wieder auf internationale Verabredungen vertrösten wollte. Erst wenn die internationalen Verabredungen
mit allen wichtigen Staaten der Welt abgeschlossen
seien, sollten wir in Deutschland in das Gesetzgebungsverfahren eintreten.
({10})
Dazu muss ich sagen: Das ist ein tausendjähriger Plan
gewesen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass es
uns gelungen ist, diese Idee zu überwinden, und dass Sie
konstruktiv mitgearbeitet haben, damit wir ein Gesetz
machen konnten, mit dem Ministerium und Regierung
ein Instrumentenkasten an die Hand gegeben wird, um
Steuerhinterziehung erfolgreich zu bekämpfen. Ich
glaube, dass das ein sehr gutes Verhandlungsergebnis
der Koalition ist, auch wenn das nicht allen - das gilt für
beide Seiten - leichtgefallen ist. Mehrere Regelungen
sind Einzelnen von CDU und CSU doch sehr schwer geLothar Binding ({11})
fallen. Es gibt auch einzelne Dinge, auf die wir verzichten mussten, was wiederum uns sehr schwer gefallen ist.
Der Kompromiss bietet eine sehr gute Basis dafür, dass
Steuergerechtigkeit künftig eine größere Bedeutung in
unserem Land hat.
({12})
Das Schöne an dem gesamten Prozess ist, dass das
Gesetz schon jetzt wirkt, obwohl es noch gar nicht in
Kraft ist.
({13})
Zwischendurch gab es so etwas wie eine Schwarze Liste.
Jeder versteht, dass man ungern auf einer Schwarzen
Liste steht.
({14})
- Das könnte man theoretisch machen. Sie haben wieder
exakt die Hälfte der Wahrheit begriffen; das muss ich zugeben.
({15})
Sie haben recht: Wir hätten uns niemals träumen lassen,
dass bestimmte Staaten etwas versprechen, was wir
schon immer wollten, nur weil es die Ankündigung gibt,
ein bestimmtes Gesetz zu erlassen. Das Dumme ist aber:
Diese Staaten haben bisher nur versprochen. Sie haben
gesagt, es sei keine schlechte Idee. Es ärgere sie, sie
machten aber mit, weil sie nicht auf die Schwarze Liste
wollten.
Wir müssen abwarten, ob die Länder, an die wir jetzt
gerade denken, ihr Versprechen wahrmachen. Sollten
diese Länder die internationalen Ideen und die Ideen, die
wir entwickelt haben, in ihre Rechtssysteme implementieren, wäre das Gesetz tatsächlich überflüssig. Allerdings gäbe es immer noch eine Ebene, auf der man operativ nachvollziehen können muss, ob Steuerehrlichkeit
grenzüberschreitend funktioniert. Deshalb könnten die
Länder, wenn sie gute Erfahrungen mit diesem Gesetz
machen, noch einen Schritt weiter gehen und den automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden erlauben. Leider ist dieser große Schritt noch
nicht möglich gewesen. Angesichts dessen habe ich gesagt: Herr Westerwelle, Sie haben die Hälfte der Wahrheit begriffen. Aber es ist noch Zeit genug, sich die
zweite Hälfte zu erschließen.
Die steuerrechtlichen Konsequenzen aus dem Gesetzentwurf hängen sehr stark davon ab, welche Mitwirkungspflichten der Steuerbürger einzugehen bereit ist.
Diese Mechanik finde ich besonders gelungen. Denn jeder Steuerbürger - sollte er sich über irgendeinen kleinen
Aspekt in diesem Gesetz ärgern - hat die Möglichkeit,
sich von diesem Aspekt freizustellen, indem er kooperiert und bestimmte Angaben macht, die er zuvor nicht
hat machen wollen.
({16})
Das bedeutet - im Gesetzentwurf ist es etwas sperriger
formuliert -: Wenn ein Steuerbürger seinen Nachweispflichten nachkommt, ist er von dem, was im Gesetz geregelt ist, eigentlich gar nicht betroffen. Ich glaube, dass
das für die allgemeine Gesetzgebung eine sehr kluge
Idee ist. Das Gesetz wird die Steuerbürger auf einen guten Weg führen.
Aber es gibt natürlich auch ganz konkrete Aspekte,
die dem einzelnen Betrüger zu denken geben sollten.
Wenn er nicht kooperiert, dann muss natürlich etwas
passieren. Anders als bisher, wo möglicherweise eine
Art Appell formuliert wurde, muss er jetzt darüber nachdenken, dass er Nachteile im Zusammenhang mit seinen
Werbungskosten- und Betriebskostenabzügen hat, dass
er bei ausländischen Gesellschaften Nachteile bei der
Versagung der Entlastung von der Kapitalertragsteuer
hat und dass er Nachteile bei der Versagung der Steuerbefreiung von Dividenden nach dem Körperschaftsteuergesetz hat. Ich wiederhole: Es gibt ganz konkrete Nachteile, die ein Steuerbürger hat, wenn er nicht kooperiert.
Aber - wie gesagt -: Wenn er kooperiert, wird er von all
den Nachteilen überhaupt nichts spüren.
({17})
Insofern ist das ein Instrumentenkasten, der sehr gut gelungen ist.
Ich glaube, steuersystematisch ist auch die Einordnung des Gesetzentwurfs sehr gut gelungen: Er ist verhältnismäßig und ausgewogen. Die Einbindung in die
bestehenden Gesetze - das ist keine ganz leichte Aufgabe: in das System der Einkommensteuer, in das System der Körperschaftsteuer und auch in das System der
Abgabenordnung - war eine große Aufgabe. Da müssen
wir den Mitarbeitern des Ministeriums, Herrn
Dr. Misera, Herrn Scheurle und Herrn Wichmann, und
dem Minister sehr danken, die das in einer minutiösen
Arbeit mit viel Feinsteuerung sehr gut formuliert haben.
({18})
Es gibt sogar gleichlautende Entwürfe der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. Das hat uns in
den Verhandlungen sehr geholfen; denn viele Probleme,
die strittig waren, konnten auf diese Weise kooperativ
gelöst werden. Mir gefällt auch gut, dass wir ein zweistufiges Verfahren haben: Es gibt eine Verordnungsermächtigung - das ist der Instrumentenkasten für die Regierung -, und es gibt die Möglichkeit, mit Zustimmung
des Bundesrates eine Rechtsverordnung zu erlassen. Wir
wollen deutlich machen: Der Gesamtstaat soll an der
grenzüberschreitenden Betrugsverfolgung beteiligt werden. Wir glauben, dass das ein sehr faires Angebot an die
beiden Häuser in unserem Staat ist und dass jeder die
Möglichkeit hat, sich in angemessener Weise einzubringen.
Wir glauben auch, dass die unkooperativen Staaten
inzwischen schon sehr viel dazugelernt haben: Sie denken neuerdings über Änderungen beim Bankgeheimnis
und über einen verbesserten Informationsaustausch
nach.
Lothar Binding ({19})
Um es zusammenfassend zu sagen: Sehr viele Staaten
sind inzwischen bereit, sich nach den OECD-Standards
zu verhalten. Wir sind gespannt, ob sie das wirklich tun.
Wenn sie es tun, dann hat das Gesetz sein Ziel zu
100 Prozent erreicht.
Schönen Dank.
({20})
Dr. Volker Wissing ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Besten Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In dem Ziel, Steuerhinterziehung entschlossen zu bekämpfen, sind wir uns alle einig;
({0})
darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Die
Frage ist nur: Was ist mit dem, was uns heute konkret
vorgelegt wurde? Lassen Sie uns den vorliegenden Gesetzentwurf einmal bewerten.
Ein wesentliches Kriterium für die Bewertung eines
Gesetzentwurfs ist, ob das Handeln der Bundesregierung
verhältnismäßig ist.
({1})
- Die Frage ist: Ist das verhältnismäßig? - Schaut man
sich den vorliegenden Gesetzentwurf an, stellt man fest:
Er ist nicht erforderlich - zur Begründung hat Herr
Binding schon einen wesentlichen Beitrag geleistet -; er
ist nicht geeignet, das formulierte Ziel zu erreichen, und
er ist erst recht nicht angemessen.
Ihr Gesetzentwurf ist ungeeignet, das Problem der
Steuerhinterziehung zu lösen. Sie wollen nämlich, dass
die Vorgaben aus Art. 26 des OECD-Musterabkommens
eingehalten werden; das ist auch vernünftig. Dafür belasten Sie die Steuerzahler allerdings mit Informationspflichten, und das, obwohl die Umsetzung von OECDAbkommen nun wirklich nicht in den Händen der Steuerzahler, sondern ausschließlich in den Händen ausländischer Regierungen liegt.
Ihr Gesetzentwurf ist auch nicht erforderlich. Sie haben es schon deutlich gesagt: Er zeigt schon Wirkungen,
obwohl er noch gar nicht umgesetzt ist.
({2})
Ich wiederhole: Er ist nicht erforderlich. Denn inzwischen haben die betreffenden Staaten die Ratifizierung
der OECD-Standards zugesagt. Es gibt keinen Staat
mehr, der auf der sogenannten Schwarzen Liste steht. Ihr
Gesetzentwurf geht damit ins Leere. Unnötige Gesetze
braucht in diesem Land kein Mensch.
({3})
Auch wenn man den Gesetzentwurf auf Angemessenheit überprüft, sehen Sie schlecht aus. Denn andere Staaten, etwa die USA, haben das Problem der Steuerhinterziehung ohne Belastung der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler lösen können, indem sie sich schlicht und
einfach mit den betroffenen Staaten verständigt haben.
Es ist doch unangemessen, wenn eine Regierung die eigenen Schwächen, die sie bei Verhandlungen mit anderen Staaten offenbart, zu einem Problem der Bürgerinnen und Bürger ihres Landes macht. Genau das tun Sie,
indem Sie von unbescholtenen Bürgern einen Nachweis
verlangen, dass sie nichts Verbotenes vorhaben, wenn sie
ihr Geld im Ausland investieren.
({4})
- Es wäre wirklich sinnvoll, wenn wir zumindest am
Ende dieser Legislaturperiode einmal sachlich über ein
Thema, das die Finanzpolitik betrifft, diskutieren könnten. Aber eine sachliche Debatte ist mit der SPD schon
lange nicht mehr möglich, lieber Herr Poß.
({5})
Sie wollen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in die
Pflicht nehmen, weil Sie fürchten, dass es Peer
Steinbrück nicht gelingen könnte, andere Staaten von der
Einhaltung der OECD-Standards zu überzeugen. Das
ist wirklich bemerkenswert. Vor dem Hintergrund, dass
er nicht gerade als Diplomat aufgetreten ist, kann man
das sicherlich nachvollziehen.
({6})
Seine einzigartigen Beschimpfungen anderer Staaten
muteten wirklich befremdlich an.
So wichtig die Bekämpfung der Steuerhinterziehung
als internationale Aufgabe auch ist: Die Sanierung der
Staatsfinanzen bleibt eine nationale Aufgabe. Die Ursachen der ruinierten deutschen Staatsfinanzen liegen nicht
in der Schweiz und nicht in Luxemburg.
({7})
Die Hauptursache ist - neben der jahrelang erfolglosen
Haushalts- und Finanzpolitik der Großen Koalition - Ihr
konfuses Krisenmanagement in dieser schwerwiegenden
Finanzmarktkrise.
({8})
Das dürfen wir, auch wenn wir heute über viele andere
wichtige Themen diskutieren, nicht vergessen.
Es heißt so schön: Der Zweck heiligt die Mittel. Aber
ein unstrittiges Anliegen wie die Bekämpfung der Steuerhinterziehung rechtfertigt nicht, unverhältnismäßige
Gesetzentwürfe zu verabschieden, mit denen der Staat
unnötigerweise in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Für Sie, Herr Steinbrück, ist ein Steuerhinterzieher jeder Bürger, solange er nicht das Gegenteil beweist. Das ist der Blick, den Sie auf unsere Gesellschaft
haben. Genau diese Sichtweise teilt die FDP nicht.
({9})
Unsere Verfassung schreibt vor, dass wir keine überflüssigen Gesetze auf den Weg bringen dürfen, durch die
die Bürgerinnen und Bürger belastet werden. Ausgerechnet in der Finanzpolitik gehen Sie aber gerne auf Konfrontationskurs zu unserer Verfassung. Wenn es um Geld
geht, sehen Sie in bürgerlichen Freiheiten einen Akt
der Großzügigkeit des Staates, aber längst keine Grundrechte mehr.
({10})
Bürgerliche Freiheiten sind allerdings kein Anhängsel
der Verfassung. Sie sind die Legitimation unseres demokratischen Gemeinwesens. Die Bürgerinnen und Bürger
zahlen nicht zuletzt deshalb exorbitant hohe Steuern und
Abgaben, weil der Staat ihnen ein Leben in Freiheit und
Wohlstand gewährleisten soll. Weil Sie die Freiheit aber
zunehmend einschränken und Ihre überbordende Staatsverschuldung den Wohlstand unserer Gesellschaft längst
gefährdet, haben Sie unser Land in eine unerträgliche
Schieflage gebracht.
({11})
Wenn Sie meinen, den Menschen in dieser Situation
weitere Steuererhöhungen zumuten zu können, dann
wird es Zeit, dass dieser Irrweg beendet wird. Es ist gut,
dass wir heute die letzte Sitzungswoche des Deutschen
Bundestages unter einer Großen Koalition erleben.
({12})
Herr Binding hat schon gesagt: Es ist erstaunlich, dass
das Thema Steuerhinterziehung so spät auf die Tagesordnung kommt. Das ist eine bemerkenswerte Selbstkritik, Herr Binding; denn die SPD stellt seit elf Jahren den
Bundesfinanzminister.
({13})
Oskar Lafontaine hat die Bekämpfung der Steuerhinterziehung nicht nach vorne gebracht, und auch Hans
Eichel hat sie nicht auf die Tagesordnung gesetzt.
({14})
Jetzt, kurz vor dem Wahlkampf, wollen Sie mit einem
Scheingesetz, mit einem Schaugesetz Punkte machen.
Substanziell haben Sie zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung in Deutschland aber nichts beigetragen.
({15})
Es ist vollkommen legitim, wenn der Staat die Einnahmeseite ausschöpfen möchte. Konsequent ist eine
Finanzpolitik aber nur dann, wenn man die Ausgabenseite mit dem gleichen Engagement angeht.
({16})
Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie, Herr Steinbrück,
im Kabinett jemals einem Kollegen oder einer Kollegin
mit der Peitsche oder mit der Kavallerie gedroht hätten.
Eine solche Drohung im Kabinett hätte, denke ich, mehr
Steuergelder gespart, als Ihre Verbalattacke gegenüber
der Schweiz gebracht hat.
({17})
Nach elf Jahren SPD-Finanzpolitik sind die Staatsfinanzen in einem desolateren Zustand als je zuvor. Dabei haben Sie - leider ohne Erfolg - viel versucht, um
Ihre Finanzprobleme in den Griff zu bekommen: Sie haben die größten Steuererhöhungen in der Geschichte
unseres Landes durchgeboxt. Sie haben bürgerliche Freiheitsrechte massiv beschnitten, ja, sie mit Füßen getreten. Sie haben die Verfassung bis an die Grenzen des Zulässigen gedehnt, ja, Sie haben sie sogar gebrochen; ich
erinnere an Ihre Gesetzgebung zur Pendlerpauschale.
Nur eines haben Sie nicht getan: Sie haben nicht gespart. Deshalb ist dieser Finanzminister in Wahrheit
grandios gescheitert. Neben einem desolaten Steuersystem mit exorbitanter Steuerlast
({18})
steht heute ein desolater Bundeshaushalt, nicht nur wegen mangelnder Einsparungen, sondern insbesondere
wegen einer desolaten Finanzaufsicht, die nicht verhindert hat, dass für Bankenspekulationen jetzt die Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen müssen. Gut, dass
die Ära sozialdemokratischer Finanzpolitik bald beendet
sein wird. Leider werden wir die Schulden, die Sie hinterlassen, noch Jahrzehnte tragen müssen.
({19})
Das Wort erhält nun der Kollege Eduard Oswald,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Volker Wissing, ich werde mich jetzt mit dem
Gesetz beschäftigen.
({0})
Sie haben versucht, einen Rundumschlag zu machen, um
die Zeit noch einmal für sich zu nützen.
Ich glaube, die Beratungen im Finanzausschuss haben
gezeigt, dass sich alle Fraktionen im Grundsatz einig
sind. Der Satz „Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt“ ist hier ja mittlerweile ins Allgemeingut eingegangen. Wer seine Steuerschuld nicht bezahlt oder sich
um die Steuer herumdrückt, beteiligt sich nicht an der
Finanzierung unserer Gemeinschaft. Wir alle wissen:
Ohne Steuern ist kein Staat zu machen.
Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in
unserem Land zahlt ihre Lohn- und Einkommensteuer
korrekt und beteiligt sich somit an der Solidargemeinschaft.
({1})
Menschen, die arbeiten, Steuern zahlen und sich an die
Gesetze halten, erarbeiten und schultern die staatlichen
Investitionen und Aufgaben.
({2})
Diese Leistungsträger sind es, die unseren Staat tragen.
({3})
Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die
Staaten durch Steuerhinterziehung zwischen 2 und
12 Billionen US-Dollar - diese Zahl muss man sich einmal vorstellen! - verlieren. Gemäß den Schätzungen für
Deutschland verlieren unsere öffentlichen Haushalte
durch Steuerhinterziehung und Steuerbetrug wahrscheinlich über 100 Milliarden Euro pro Jahr; die Zahl
können wir natürlich nicht im Einzelnen nachprüfen.
Angesichts dieser Größenordnung kann die Staatengemeinschaft, können wir über das Thema Steuerhinterziehung nicht hinweggehen. In Zeiten, in denen der Staat
viel Steuergeld in die Hand nimmt, um unsere Kreditwirtschaft und die Unternehmen durch die Krise zu führen, gilt das erst recht. Es kann nicht sein, dass die meisten mehr an Steuern zahlen müssen, weil sich einige
wenige ihrer Steuerlast entziehen.
({4})
Wir, meine Fraktion und ich, gehen aber immer vom
ehrlichen Steuerbürger aus. Steuerpflichtige irgendwie
unter einen Generalverdacht zu stellen, ist nicht unsere
Sache. Das ist auch keinesfalls berechtigt. Wir alle kennen das Zitat, das zum Sprichwort geworden ist: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Unser Menschenbild
ist dies aber nicht.
({5})
- Das ist bestens bekannt, Herr Kollege. Sie werden
doch nicht erwarten, dass ich hier auch noch seinen Namen nenne.
({6})
So weit geht es nicht. Aber lassen wir das, Herr Kollege
Poß.
Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf
werden wir die Mitwirkungspflichten für Steuerpflichtige ausweiten, die in Staaten Geschäfte machen,
die keine Auskünfte in Steuersachen erteilen. Beispielsweise kann der Abzug von Betriebsausgaben und Werbungskosten vom Mitwirken des Steuerpflichtigen abhängig gemacht werden. Die Akzeptanz der OECDStandards im Bereich des Steuervollzugs soll also gefördert werden.
Die Zweite Konferenz zum Kampf gegen internationalen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, zu der Peer
Steinbrück und sein französischer Kollege eingeladen
hatten, kann sehr wohl als erfolgreich bezeichnet werden.
({7})
Es wird gemeinsam betont - ich zitiere -,
dass Transparenz und Auskunftsaustausch für Steuerzwecke die Grundlage für einen fairen Wettbewerb in einer globalen Wirtschaft und für eine
gerechte Verteilung der Steuerlast ehrlicher Steuerzahler sind.
Dies ist ebenso ein Verhandlungserfolg wie die Tatsache,
dass die teilnehmenden Länder bestätigen, dass der
Kampf gegen jede Form von Steuervergehen eine gemeinsame Verantwortung aller Staaten und Gebiete ist.
Die Bundesregierung ist also auch auf diesem Gebiet erfolgreich.
({8})
Die Zielrichtung dieses Gesetzentwurfs, den Gedanken der Gerechtigkeit bei allen Steuerzahlern zu stärken, sollten wir unterstützen. Gerechtigkeit kann eben
nur bestehen, wenn alle Steuerzahler zum Tragen der
Steuerlast herangezogen werden. Wir können es nicht
dulden, dass sich ein Teil der Bevölkerung - wenn es
auch nur ein sehr kleiner Teil ist - vom Tragen der Steuerlast verabschiedet, weil er sich das, wie auch immer,
leisten kann.
Ich empfehle, in diesem sensiblen Bereich, der auch
das Persönliche stark berührt, immer mit Fingerspitzengefühl vorzugehen. Durch publikumswirksame Vorführeffekte werden zwar einige möglicherweise abgeschreckt, Steuern zu hinterziehen, das solidarische
Miteinander wird dadurch aber nicht unbedingt gefördert.
({9})
Dieses Thema ist meiner Meinung nach auch nicht für
klassenkämpferische Töne im Wahlkampf geeignet.
Wir müssen allen in unserer Gesellschaft immer wieder sagen: Wer alles vom Staat nimmt - Kollege Lothar
Binding hat das in anderen Worten formuliert - und
möglicherweise auch die eine oder andere Subvention
persönlich erhält, Steuern aber nicht zahlt, der beteiligt
sich nicht an der Solidargemeinschaft.
({10})
Mir persönlich geht es um die Solidarität in unserem
Land. Viele, die ihre Steuern ehrlich zahlen, fühlen sich
als die Dummen, wenn sich andere darum herumdrücken.
({11})
Es geht also nicht nur um Steuergerechtigkeit, sondern
es geht um Gerechtigkeit und unser Leben in unserer Gemeinschaft.
Wir müssen als Staat aber auch einiges dafür tun, die
Akzeptanz des Steuersystems als solches zu erhöhen:
Erstens. Wir müssen das Besteuerungsverfahren deutlich vereinfachen. Wir Deutsche können einmal zeigen,
dass wir durchaus etwas Einfaches machen können.
({12})
Außerdem müssen wir die Steuerverwaltung nachhaltig
entlasten. Von dem dadurch eingesparten Bürokratieaufwand profitieren alle: Bürgerinnen und Bürger sowie
Unternehmer gleichermaßen. Sie sparen Zeit, Geld und
Nerven. Diese Entlastung ist übrigens auch in Zeiten der
Krise möglich, wenn wir es richtig machen.
Zweitens. Wir wollen ein Steuerrecht nach dem Prinzip „Einfach, niedrig, gerecht“. Der Bürger ist der beste
Verwalter seines Einkommens, seines Geldes. Der Staat
soll, soweit es irgendwie geht, die Hände von seinem
Geldbeutel lassen.
Wir sehen ein, dass Verordnungen, die sich aus diesem Gesetz ableiten, Hilfestellung dabei geben müssen,
zielgenau und zeitnah auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können. Dass wir uns als Teil des Gesetzgebers die Verordnungen ganz genau anschauen wollen,
bevor sie in Kraft treten, ist doch mehr als selbstverständlich. Fingerspitzengefühl beim Vollzug ist also angesagt.
So wie Steuerzahler nicht unbegründet an den Pranger
gestellt werden dürfen, so funktioniert unsere Volkswirtschaft auch nicht ohne Steuereinnahmen. Die ehrlichen
Steuerbürger haben einen Anspruch darauf, dass die
Steuerunehrlichen zur Kasse gebeten werden. Diesem
Ziel dient das heute zu verabschiedende Gesetz.
({13})
Herr Finanzminister, ich nutze auch die Gelegenheit,
Ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres
Hauses Dank zu sagen für die Möglichkeit der Information im Finanzausschuss, dafür, dass Sie mit Ihren
Staatssekretären Rede und Antwort gestanden haben und
dass das Zusammenwirken, besonders im fachlichen
Teil, immer gut war. Ich glaube, wir haben auch insgesamt eine gute Arbeit für unser Land geleistet.
Herzlichen Dank.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Steuerhinterziehung kann neben fiskalischen Gründen auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit, d. h.
aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen
Gleichmäßigkeit der Besteuerung, nicht hingenommen werden.
So steht es in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum vorliegenden Gesetzentwurf.
Leider fällt es Union und SPD erst zum Ende dieser
Legislaturperiode ein, hier tätig werden zu müssen. Zugegeben, Ihr Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung geht in die richtige Richtung; aber er
kommt erstens zu spät, und zweitens ist er im Vergleich
zum Referentenentwurf von Anfang dieses Jahres deutlich abgeschwächt.
({0})
Da fragt man sich doch: Warum trauen Sie sich nicht
mehr?
In Ihrem Gesetzentwurf drohen Sie erstens den Steuerflüchtigen erstmals mit Strafsanktionen bei Geschäftsbeziehungen mit Steueroasen und damit indirekt auch
den Steueroasen selbst. Das wurde Zeit, und das unterstützen wir. Aber - auch hier ein großes Aber - diese
Strafandrohungen werden nur wirksam, wenn entsprechende Rechtsverordnungen erlassen werden, und beim
Erlassen der Rechtsverordnungen wird das Parlament
wieder einmal nicht mit einbezogen. Das lehnen wir ab.
({1})
Außerdem setzen Sie sich keine Zeitgrenzen mit Ihrem Gesetzentwurf. Das heißt, wir sind jetzt zwar in Verhandlungen; aber wie lange diese sich hinziehen können,
wie lange Ihre Geduld reicht, das sagen Sie einfach
nicht. Das halte ich wirklich für ein Zeichen der Schwäche, hier nicht konsequent zu sein.
({2})
Zudem muss man sagen, dass bisherige Abkommen
mit Steueroasen oftmals wirkungslos sind. So wurde ein
Abkommen mit der Steueroase Jersey abgeschlossen
und der Informationsaustausch nun entsprechend dem
OECD-Standard vereinbart. So weit, so gut. Damit verpflichtet sich Jersey, bei Verdacht auf Steuerhinterziehung Auskunft gegenüber den deutschen Steuerbehörden zu leisten. Aber in Jersey existieren weder Register
über Unternehmen und Stiftungen noch Daten über Steuerpflichtige. Damit muss jedes Auskunftsersuchen vonseiten deutscher Finanzbehörden trotz Abkommen bis
auf Weiteres einfach ins Leere laufen. Das Abkommen
bleibt wirkungslos.
({3})
Man muss klar festhalten: Der OECD-Standard ist ein
Anfang, aber nicht mehr; er muss auf alle Fälle weiterentwickelt werden.
Der Standard beinhaltet zum einen keinen automatischen Austausch über steuerrelevante Aktivitäten. Informationen werden nur weitergegeben, wenn ein Verdacht
auf Steuerhinterziehung gegen eine konkrete Person
existiert. Das heißt, für jeden Einzelfall muss ein Auskunftsersuchen gestellt werden. Das ist ineffektiv und
ungerecht.
({4})
Jede Arbeitnehmerin, jeder Arbeitnehmer muss automatisch sofort seine Lohnsteuer ans Finanzamt abgeben.
Jede Hartz-IV-Empfängerin, jeder Hartz-IV-Empfänger
muss sich bei der Antragstellung sprichwörtlich bis auf
die Unterhose ausziehen, aber Gutbetuchte und Unternehmen werden hier bevorzugt behandelt. Das akzeptieren wir nicht.
({5})
Zum anderen ist die Definition von Steueroasen unzureichend. Dazu zählen laut Gesetzentwurf - Herr
Binding hat es schon erklärt - nur die Staaten, die sich
nicht dem OECD-Standard zum Auskunftsaustausch anschließen. Dass eine Tochter der Hypo Real Estate nach
Irland verlegt wurde, um Steuervorteile zu nutzen, ist ein
klarer Fall von Steuervermeidung, auch wenn Irland
keine Steueroase ist. Wir müssen deshalb noch einmal
über die Definition des Begriffs Steueroase nachdenken.
({6})
Wir haben Ihnen bereits im Mai vergangenen Jahres
vorgeschlagen, sich dafür einzusetzen, dass auf internationaler Ebene eine automatische Informationsvermittlung zwischen den nationalen Steuerbehörden erfolgt. Auf nationaler Ebene fordern wir Linken als
Sofortmaßnahme eine Meldepflicht für Kapitalbewegungen ins Ausland ab 100 000 Euro jährlich.
Ich begrüße, Herr Steinbrück, dass Sie zweitens endlich auch Steuerpflichtige mit bedeutenden Einkünften,
wie es im Gesetzentwurf heißt, stärker unter die Lupe
nehmen wollen. Steuerpflichtige mit Überschusseinkünften von mehr als 500 000 Euro pro Jahr müssen
künftig ihre Unterlagen sechs Jahre aufbewahren. Die
Steuerverwaltung darf bei dieser Gruppe Außenprüfungen ohne Begründung vornehmen. Es erfolgt eine
Gleichstellung der Steuerprüfung mit der Praxis von Betriebsprüfungen bei Gewerbetreibenden. Als Koalition
haben Sie damit drei Jahre gewartet. Wir haben das bereits 2006 vorgeschlagen.
({7})
Warum verpflichten Sie die Finanzämter nicht gleich
zu regelmäßigen Kontrollen? Warum gibt es keine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung? Die verschärfte
Aufbewahrungspflicht ist zwar ein Fortschritt, aber ohne
eine erhöhte Prüfungsdichte bleibt sie wirkungslos.
({8})
Der Bundesrechnungshof hat Ihnen schon 2006 ins
Stammbuch geschrieben, dass die Prüfungsdichte bei
dieser Personengruppe gerade einmal 5 Prozent beträgt.
Deshalb muss man an dieser Stelle mehr tun.
Voraussetzung für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung in unserem Land ist, dass die Finanzverwaltung
ausreichend mit Personal und Ressourcen ausgestattet
ist. Das ist nicht realisiert worden. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie noch hehre Ziele formuliert:
Vorhandene Steuerquellen müssen besser ausgeschöpft und Besteuerungsrechte entschlossen
durchgesetzt werden. Wir werden uns gemeinsam
mit den Ländern um einen effektiveren und effizienteren Steuervollzug bemühen …
Glatt versagt, nichts verwirklicht!
({9})
Sie haben keine Bundessteuerverwaltung durchgesetzt. Das hätte laut Kienbaum-Studie mindestens
8 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen pro Jahr gebracht. Die Abstimmung zwischen den Ländern ist nicht
verbessert worden. Nein, der Standortwettbewerb zwischen den Bundesländern mittels laxem Steuervollzug
läuft unvermindert weiter. Leider bleiben alle Bundesländer um mindestens 10 Prozent unter der notwendigen
Personalausstattung.
Ich möchte Ihnen deshalb noch einige weitere Vorschläge nennen, die die Fraktion Die Linke in der laufenden Legislaturperiode eingebracht hat und die im Falle
ihrer Umsetzung alle wirksam wären. Wir haben Ihnen
vorgeschlagen, das Wohnsitzlandprinzip im Steuerrecht einzuführen. Für sehr wichtig halten wir ein konsequentes Eintreten der Bundesrepublik Deutschland auf
europäischer Ebene für die Harmonisierung der EUZinsrichtlinie, von der alle Kapitaleinkünfte - nicht nur
die Zinsen, sondern auch Dividenden, Veräußerungsgewinne usw. - erfasst werden müssen.
({10})
Besonders wichtig ist, dass diese Richtlinie nicht nur
für natürliche Personen, sondern auch für juristische Personen gilt. Denn nur so könnten auch die für die Steuerhinterziehung so beliebten Stiftungen in Luxemburg,
Liechtenstein und anderswo erfasst werden. Hier gibt es
noch sehr viel Handlungsbedarf, Herr Steinbrück. Sie
haben viel zu viel Zeit verstreichen lassen.
Die grundlegende Frage bleibt: Warum werden so
viele Steuern hinterzogen? Die Zahlen, die dazu veröffentlicht wurden, reichen von 10 Milliarden bis 100 Milliarden Euro pro Jahr. Sie haben eine Mitschuld daran.
Durch Ihre Ideologie des Steuersenkungswettbewerbs
tragen Sie dafür Mitverantwortung.
({11})
Sie meinen, Reiche, Vermögende und Konzerne müssen
hofiert und ständig entlastet werden. Seit Jahren betreiben Sie eine entsprechende Politik. Trotzdem hat ein
Mann wie Herr Zumwinkel, der bereits durch eine Erbschaft zum Millionär wurde und nicht am Hungertuch
genagt hat - allein 2006 hat er seine Gesamtbezüge auf
4,24 Millionen Euro gesteigert -, munter weiter Steuern
hinterzogen.
Ich erinnere auch an die Amnestie, die seinerzeit Herr
Eichel angeboten hat. Ihr Menschenbild in Ehren, aber
Sie entlasten gerade diejenigen, die schon viel haben und
überhaupt in der Lage sind, Steuern zu hinterziehen. Die
Steueramnestie hat nichts gebracht. Sie war völlig wirkungslos.
Welche Ansicht hat Herr Steinbrück im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer vertreten? Er hat gesagt:
Bevor die Reichen gar keine Steuern auf Zinserträge
zahlen, obwohl sie entsprechend ihrem persönlichen
Spitzensteuersatz versteuert werden müssten, und ich
null von Hundert bekomme, erhebe ich eine 25-prozentige Abgeltungsteuer, in der Hoffnung, dass dann wenigstens diese 25 Prozent gezahlt werden.
Sie haben dieser Ideologie des Steuersenkungswettbewerbs, der für die Finanzen des Bundes, der Länder und
der Kommunen desaströs ist, mit Ihrer Politik Vorschub
geleistet. Sie haben das umgesetzt und vor allem in
Europa zum Standard gemacht, indem Sie eine Vorreiterrolle eingenommen haben.
Reichen, Vermögenden und Konzernen werden wir
das nicht durchgehen lassen. Das bringt nichts, ist höchst
ungerecht und zerstört die Demokratie sowie die Staatsfinanzen auf allen Ebenen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Fall Zumwinkel liegt noch gar nicht so lange zurück.
Dieser Fall war für viele Menschen in diesem Land ein
ziemlicher Schock, eine Enttäuschung. Seitdem kommt
niemand mehr an der Tatsache vorbei, dass Steuerhinterziehung weit verbreitet ist
({0})
und bis in die Eliten unseres Landes hineinreicht. Das
Vertrauen in eine gleichmäßige Besteuerung ist erodiert.
Steuerhinterziehung bedroht den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
({1})
Es ist höchste Zeit, dass etwas geschieht und mit einer
Gesetzesvorlage als Ausgangsbasis das ergänzt wird,
was in den letzten Jahren punktuell angestoßen worden
ist. Ich erinnere an die EU-Zinssteuerrichtlinie. Es war
nicht einfach, mit anderen Ländern zu Vereinbarungen
und einer gleichmäßigen Besteuerung auf europäischer
Ebene zu kommen. Dafür hat übrigens Rot-Grün gesorgt.
({2})
Wir haben unsere Vorschläge vor über einem Jahr
vorgelegt. Die Regierung hat ziemlich lange für eigene
Vorschläge gebraucht. Es gab, bevor sich das Kabinett
damit befasst hat, große Ankündigungen, die in allen
Zeitungen nachzulesen waren. Nach dem Kabinettstermin konnten wir feststellen, dass dem Gesetzentwurf an
der einen oder anderen Stelle ziemlich die Zähne gezogen worden waren. Der vorliegende Gesetzentwurf ist
nichts anderes als ein Minimalkonsens und kann im
Grunde nicht abgelehnt werden.
({3})
Deswegen verstehe ich nicht, warum die FDP meint, dieser Gesetzentwurf gehe zu weit und stoße ins Leere. Wir
stellen doch fest, dass die Diskussion in Deutschland
und anderen Ländern Wirkung zeigt und die Androhung
von Maßnahmen bereits greift.
({4})
Das müssen wir auch aus Sicht der Opposition feststellen; denn auch wir nehmen selbstverständlich eine realistische Bewertung der Gesamtsituation vor.
Die FDP hat gesagt, die Leute würden ihr Geld in andere Länder bringen, weil das deutsche Steuersystem so
kompliziert sei. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen,
mit welch krimineller Energie Gelder ins Ausland gebracht werden, um sie der Besteuerung zu entziehen, und
dass man sich ausführlich beraten lässt, wie man das am
besten tut. Das ist anscheinend nicht zu kompliziert. Sie
stellen sich mit Ihrer Argumentation letztendlich vor diejenigen, die so etwas tun. Das finde ich verwerflich.
({5})
Durch die neue Gesetzeslage wird eine Drohkulisse
aufgebaut. Sie von der FDP haben gesagt, das Gesetz
stoße ins Leere, weil plötzlich alle Steueroasen den
OECD-Standard zum Informationsaustausch anerkennen
wollten. Das ist richtig. Es kommt aber auf die Rechtsverordnung an. Diese Rechtsverordnung - das ist unsere
Kritik an der Zweischichtigkeit - bekommt das Parlament jedoch nicht zu sehen. Es ist zwar richtig, dass der
Bundesrat darüber zu befinden hat; aber ich bin schon
der Meinung, dass wir, wenn es um Steuerhinterziehung
geht, auch eine Transparenz hinsichtlich der Verordnungen brauchen und dass der Deutsche Bundestag darüber
informiert werden sollte, was in diesen einzelnen Verordnungen steht.
({6})
Der vorliegende Gesetzentwurf führt dazu, dass der
Fiskus von Steuerpflichtigen, die Geschäfte in bestimmten Ländern betreiben, genauere Auskünfte verlangen
kann. Falls die Steuerpflichtigen das nicht wollen, können sie ihre Kosten steuerlich nicht geltend machen. Das
ist der prinzipiell richtige Weg. Auch Praktiker aus der
Steuererwaltung haben uns bestätigt, dass das ein richtiger Ansatz ist. Ein Gesetz muss aber auch angewendet
werden können. Selbst wenn es in einzelnen Fällen zu
Verordnungen kommt, sei es im Körperschaftsteuerrecht, im Einkommensteuerrecht oder im Umsatzsteuer26106
recht, brauchen wir eine vernünftige Personaldecke in
den einzelnen Ämtern, bei der Steuerfahndung und vor
allen Dingen bei den Gerichten und bei den Staatsanwaltschaften. Die gibt es bis heute, wenn es um Steuerbetrug und Steuerhinterziehung geht, nicht in ausreichendem Maße.
({7})
Das bedeutet, dass ohne zusätzliches Personal in diesem
Zusammenhang die Entdeckungsgefahr für Steuerflüchtlinge gering bleibt. Die Koalition hat leider keinen Weg
gefunden, diesen Mangel abzustellen.
Natürlich könnten die Länder in ihren Verwaltungen
für mehr Personal sorgen. Es gibt aber wirtschaftsstarke
Länder wie Bayern und Baden-Württemberg, die in den
vergangenen Jahren immer wieder gesagt haben: Wenn
wir Steuerprüfer in die Unternehmen schicken bzw. sie
nicht dahin schicken, dann wirkt sich das auf den Standort aus. Damit betreiben wir Wirtschaftsförderung. - Das
war ein völlig falsches Signal, denn das war eine regelrechte Einladung, nicht so genau hinzuschauen.
({8})
Das Problem ist, dass Personal, das zusätzlich eingestellt würde, von den Ländern finanziert werden müsste,
aber die zusätzlichen Einnahmen in den Länderfinanzausgleich fließen würden. Da die Personalkosten bei den
Ländern hängen bleiben, wäre es doch sinnvoll, wenn
wir möglichst schnell gemeinsam ein Gesetz auf den
Weg bringen würden - die Grünen haben das schon vor
Jahren vorgeschlagen; ich hatte sogar einmal die Unterstützung des hessischen Ministerpräsidenten Koch, der
gesagt hat, das sei ein richtiger Ansatz -, das regelt, dass
die Mehreinnahmen in den Länderkassen verbleiben
können, wenn mehr Personal eingestellt wird. Dann haben die Länder auch einen Anreiz, mehr Personal einzustellen.
({9})
Es wird berichtet - das Gesetz zeigt schon Wirkung;
das finde ich sehr interessant -, dass der Schweizer
Finanzminister Hans-Rudolf Merz sagte, ihn hätten
wichtige Schweizer Industrielle gebeten, seine Vorbehalte gegen den OECD-Standard aufzugeben. Angesichts dieser Aussage hätten Sie, Herr Minister
Steinbrück, sich vielleicht die eine oder andere Äußerung sparen können; denn ich glaube, dass sich nicht nur
die Schweizer Regierung auf die Füße getreten gefühlt
hat, sondern auch die Schweizer Bevölkerung. Das habe
ich schon als etwas schwierig empfunden; denn man
kann nicht der Bevölkerung eines anderen Landes unterstellen, dass sie Steuerhinterzieher anzieht.
({10})
Das empfinde ich als ziemlich übertrieben. Deswegen
wäre eine andere Wortwahl besser gewesen.
Die Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Luxemburg,
Belgien, Jersey, Bermuda - alle sind derzeit in Verhandlungen. Immer mehr Steueroasen erklären sich grundsätzlich bereit, stärker zu kooperieren und Daten auszutauschen, wenn die Behörden einen begründeten
Verdacht gegen einen Steuerpflichtigen vorbringen können. Das ist ein Fortschritt. Aber dieser Informationsaustausch ist bislang leider nur eine bloße Absichtserklärung. Wir müssen von deutscher Seite darauf drängen,
dass dieser Austausch möglichst schnell erfolgt und dass
in der Perspektive auch ein automatischer Informationsaustausch zu Kapitalerträgen eingerichtet wird.
Das bedeutet für uns, dass die Anerkennung des
OECD-Standards nicht der Endpunkt sein kann; denn
die deutschen Behörden erhalten nur dann Informationen
von Schweizer Banken oder auch von Banken anderer
Länder, wenn ein begründeter Verdacht besteht, der erst
einmal ermittelt werden muss. Dieses Problem sehen
wir. Deswegen wäre ein automatischer Informationsaustausch der bessere Weg, weil er mehr Transparenz und
mehr Klarheit schaffen würde.
({11})
Wenn nur zinsähnliche Erträge einbezogen werden
- dabei denke ich an die Zinsrichtlinie -, dann ist es leider so, dass geschickte Steuergestalter bei anderen Anlagen mit Dividenden und Veräußerungsgewinne, die noch
außen vor bleiben, dazu verführt werden, mit relativer
Leichtigkeit an der Besteuerung vorbeizukommen.
Frau Kollegin!
Herr Präsident, wir sind der Meinung, dass dies zwar
ein guter Ansatz, aber noch lange nicht das Ende des
Weges ist, der beschritten werden muss, um Steuerhinterziehungen zu bekämpfen und diejenigen, die das tun,
zur Verantwortung zu ziehen.
Danke schön.
({0})
Das Wort erhält nun der Bundesminister für Finanzen,
Peer Steinbrück.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für den
kolossalen Rundumschlag von Herrn Wissing bedanken.
Er ist ein Indiz dafür, wie ernst er mich nimmt. Darüber
hinaus ist er der lebendige Beweis dafür, dass die FDP
zum Thema Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ein
verniedlichendes und verharmlosendes Verhältnis hat.
({0})
Allein die deklamatorische Äußerung „Wir sind dagegen“ reicht nicht. Es müssen Taten folgen. Wenn es eine
Kraft innerhalb dieses Parlamentes gibt, die in den letzten drei Jahren zum Thema Steuerhinterziehung und
Steuerbetrug
({1})
nicht eine einzige Initiative und nicht eine einzige unterstützende Maßnahme ergriffen hat, dann ist es die FDP
gewesen.
({2})
Herr Wissing, ich sage Ihnen ganz freimütig: Sie sind
in Stilfragen für mich definitiv keine Instanz. Das gilt
auch für Ihren Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Solange ein Staatssekretär meines Hauses von Ihnen so behandelt und angegriffen wird, bevor Sie ihm überhaupt
die Möglichkeit gegeben haben, Gehör zu finden, können Sie mit mir über Stilfragen garantiert nicht reden.
({3})
Manche Debattenbeiträge können leider nur so gehalten werden, wie sie gehalten werden, weil es eine selbstverordnete Wahrnehmungsblockade gibt.
({4})
Das ist an vielen Ihrer Beiträge festzumachen. Sie werden natürlich diese Litanei und diese Parolen zum Zustand der deutschen Finanzaufsicht immer wiederholen.
Aber ich erinnere daran, dass dieses Hohe Haus gerade
gestern ein wichtiges Gesetz beschlossen hat, nämlich
das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht. Auch drei andere Gesetze, die die
Stellung der deutschen Finanzmarktaufsicht deutlich
verbessert haben, wurden alleine in den letzten Monaten
verabschiedet. Insofern geben Sie hier nur Parolen heraus.
Dasselbe gilt mit Blick auf das Thema der größten
Steuererhöhung. Denn Sie verschweigen dabei, dass
über die Gesamtheit aller Maßnahmen der Großen Koalition die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei
den Steuern und bei den Sozialversicherungsbeiträgen
innerhalb eines Jahres um 16 Milliarden Euro entlastet
werden. Sie können auch weiterhin gerne über die Haushaltskennziffern reden, Herr Wissing. Es wäre aber
schön, wenn Sie gelegentlich die Souveränität und die
intellektuelle Brillanz hätten, darauf hinzuweisen, dass
diese Republik gerade die schwerste Wirtschaftskrise
seit ihrer Gründung 1949 erfährt. Das wäre dann eine
vollständige Darstellung des Ganzen.
({5})
Es gibt gelegentlich gute Nachrichten. Ich finde, eine
gute Nachricht ist von der Konferenz ausgegangen, die
hier letzte Woche auf Einladung meines französischen
Kollegen Eric Woerth mit massiver Unterstützung der
OECD stattgefunden hat. Das, was in dem dort verabschiedeten Kommuniqué zusammengefasst worden ist,
ist der weitestgehende Versuch - mehr als das: der ehrgeizige Ansatz -, dem Thema Steuerhinterziehung und
Steuerbekämpfung denselben Stellenwert wie der Bekämpfung und Finanzierung von Terrorismus und der
Geldwäsche zu verschaffen.
Einen solchen Stand der internationalen Debatte haben wir bisher nicht gehabt. Dafür ist - auch das ist ein
Instrument, das von der FDP völlig ausgeblendet wird eine Liste mit verantwortlich, die die OECD seinerzeit
veröffentlicht hat. Nicht nur auf deklamatorischem Weg,
sondern faktisch auch über einen gewissen Druck - von
der internationalen Ebene bis hin zu nationalen gesetzlichen Maßnahmen - haben wir inzwischen erreicht, dass
sage und schreibe 84 Länder oder Jurisdiktionen Art. 26
des OECD-Kodex unterzeichnet haben.
Ich lasse gerne mit mir darüber reden, ob diese Liste
in allen Bestandteilen fair, vollständig ist, ob sich manche dort zu Unrecht wiederfinden oder ob noch andere
mit hätten aufgeführt werden müssen. Aber diese Liste
hat eine Dynamik, eine Wirkungskraft entfacht, ohne die
es nicht zu erklären wäre, dass innerhalb von drei Monaten und über den Finanzgipfel am 2. April dieses Jahres
in London 18 Staaten zusätzlich diesen OECD-Kodex
akzeptieren. Das ist ein Indiz dafür, dass es richtig gewesen ist.
({6})
Deshalb verfängt Ihre Kritik daran auch nicht.
Im Übrigen wird es diese Liste weiterhin geben müssen. Es ist geradezu die Aufgabe, auf die wir uns verabredet haben, dass die OECD in einer weiteren Konferenz, nämlich im September in Mexiko, diese Liste
weiter verfolgt, und zwar mit Blick auf die Frage: Wer
setzt denn nun die Erklärung in seine jeweilige Steuergesetzgebung bzw. in bilaterale Absprachen, maßgeblich
die Veränderung und Überarbeitung von Doppelbesteuerungsabkommen, faktisch um?
Selbstverständlich ist es richtig, dass heute der Deutsche Bundestag über einen solchen Gesetzentwurf beschließt, im Übrigen ein Gesetzentwurf, der Maßnahmen
enthält, die ein weiter Teil unserer europäischen Nachbarstaaten längst geregelt hat. Worüber regen Sie sich eigentlich auf? Warum kritisieren Sie nicht die Franzosen,
dass die längst ein Instrument im Kasten haben, das wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzes ist? Das kommt in
Ihren Reden nicht vor, die lediglich Parolen enthalten
oder nur agitatorischen oder propagandistischen Charakter haben.
Gerade in der jetzigen Situation ist es wichtig, dass
die Menschen den Eindruck haben, dass wir Steuerhinterziehung und Steuerbetrug nicht als Kavaliersdelikt behandeln. Es ist kriminell. Es ist ein Schaden für den
Steuerstandort Bundesrepublik Deutschland.
({7})
Der Druck, den wir ausüben, erstreckt sich nicht auf
souveräne andere Staaten, sondern er erstreckt sich auf
deutsche Steuerbürger, die von mir aus legal jedwede
Anlage haben können. Das stört mich nicht, sondern
mich stört, dass sie dieses Kapital entweder illegal an an26108
dere Standorte schieben, oder, wenn sie es legal verschieben möglicherweise ihrer Steuerpflicht auch in
Deutschland nicht Genüge tun. Das ist zum Schaden der
einzelnen Steuerbürger; denn wenn es diese Steuerverluste nicht gäbe, könnten wir in dem Ausmaß eventuell
Steuersätze senken, und uns stünde mehr Geld für die
zentralen Aufgaben, die für die Zukunft dieses Landes
wichtig sind, zur Verfügung. Alleine die Infrastruktur
des Bildungsbereichs könnte anders bedient werden.
({8})
Die Fahrlässigkeit, mit der Ihre Fraktion darüber hinweggeht, ist teilweise bekümmernd. Ich hätte gerne einen Hinweis, dass Sie gegenüber Bankensektoren in
südlichen Ländern, zu denen Sie Kontakt haben, jemals
zur Geltung gebracht haben, dass wir auf diesem Gebiet
weiterkommen müssen. Ich habe ein solches Indiz nicht.
Das ist auch eine Frage der Wahrnehmung von Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft. Gerade in einer Zeit, in der
sich viele Menschen mit der Frage beschäftigen, wer eigentlich die Zeche zahlt, ist es sehr wichtig, dass wir mit
Blick auf Phänomene wie Korruption, sittenwidrig niedrige Löhne, sittenwidrig hohe Abfindungen und Steuerhinterziehung deutlich machen, dass sich die Politik
diesen Phänomenen entgegenstellt. Das ist für die legitimatorische Grundlage dieser Gesellschaft von Bedeutung.
({9})
Das behandelt man nicht en passant oder weil die Gelegenheit günstig ist, in einer letzten Bundestagsrede dem
Finanzminister aufs Dach zu hauen, Herr Wissing.
({10})
Etwas mehr Grundsätzlichkeit und Geradlinigkeit hätte
ich mir von Ihnen gewünscht.
Dieser internationale Druck wird fortgesetzt werden.
Ich habe insbesondere gegenüber den französischen
Partnern Dank zu leisten. Ohne das Zusammenwirken
von Deutschland und Frankreich hätte dies nicht funktioniert. Diesen Dank erstrecke ich namentlich auch auf die
Bundeskanzlerin und den französischen Staatspräsidenten. Sie sind es gewesen, die bei dem Finanzgipfel in
London am 2. April dieses Jahres in einer vorgeschalteten Pressekonferenz darauf hingewirkt haben, dass es
zur Veröffentlichung solcher Listen kommt, dass die entsprechende Benennung stattfindet und der Druck auf die
Jurisdiktionen oder Nationalstaaten erhöht wird. Darüber hinaus muss ich ein großes Kompliment an die
amerikanische Regierung bzw. die amerikanische Steuerverwaltung machen, die, wie ich finde, mit einem hohen Druck in einer kritischen Betrachtung der einzelnen
Steuerbürger aus den USA die Steuerhinterziehung bekämpfen. Das hat zu einem maßgeblichen Durchbruch
gegenüber dem Land geführt, das sich diesem Thema
bisher weitestgehend verweigert hat.
({11})
Es ist doch auszusprechen, dass es Kreditinstitute außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gibt, die das
mindestens billigend in Kauf nehmen, vielleicht sogar
mehr als das, vielleicht sogar werbend auftreten - ist das
so unwahrscheinlich? -, um hochvermögende deutsche
Steuerbürger zu veranlassen, ihr Kapital zu verschieben.
Halten Sie diese Betrachtung für naiv? Ich fürchte, das
trifft weitestgehend zu. Was man an Informationen bekommt, ist allerdings nicht immer leicht verwertbar, weil
es nicht immer beweiskräftig ist.
Ich glaube, dass wir über die Entwicklung der letzten
Wochen einen großen Schritt weitergekommen sind in
der Frage, uns international zu verabreden, um das sehr
ernst zu nehmende Thema der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs weiter anzugehen
und dafür Sorge zu tragen, dass es zu mehr Steuergerechtigkeit kommt.
Ich will abschließend noch einmal sehr deutlich sagen: Wer Steuern hinterzieht, der schadet dem Gemeinwesen, der verhöhnt den Rechtsstaat in Deutschland und
schwächt den Staat in einer Zeit, wo dieser Staat mehr
denn je handlungsfähig sein muss.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({12})
Frank Schäffler ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Finanzminister, Sie haben in bewährter Weise dem Parlament wieder ein Ablenkungsmanöver geliefert. Sie
hätten in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als der Finanzminister eingehen können, der seit
vielen Jahrzehnten wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt hat. Jetzt gehen Sie in die Geschichte als
der Finanzminister ein, der die höchste Neuverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland zu verantworten hat.
({0})
Deshalb ist dieses Gesetz ein einfaches Ablenkungsmanöver, und das muss auch beim Namen genannt werden.
({1})
Sie haben mit diesem Gesetz Mitte und Maß verloren,
und Sie haben in zwei Bereichen eine doppelte Moral an
den Tag gelegt.
Erstens. International sagen Sie: Wir wollen keinen
Protektionismus. - Mit diesem Gesetz begründen Sie
aber einen steuerlichen Protektionismus.
({2})
Sie handeln so, dass die Menschen in ihrem Güter- und
Dienstleistungsverkehr eingeschränkt werden. Das ist
am Ende Protektionismus, und das muss auch klar beim
Namen genannt werden.
({3})
Zweitens. Sie behandeln die Menschen in diesem
Land so, wie Sie es anderen vorwerfen. Der Bundesfinanzhof hat Ihnen mitgeteilt, dass Sie in Deutschland in
dieser Legislaturperiode jede zehnte seiner Entscheidungen zum Nachteil der Finanzverwaltung nicht auf die
Allgemeinheit angewandt haben. Sie beklagen sich über
die Steuermoral der Bürger, setzen aber selbst
höchstrichterliche Urteile in Deutschland nicht allgemein um. Sie sind selbst der Brandstifter in diesem Verfahren. Deshalb hat Hoffmann von Fallersleben recht,
wenn er sagt:
Oh, sage mir, wie heißt das Tier, das vieles kann
vertragen, das wohl den größten Rachen hat und
auch den größten Magen? Es heißet Haifisch auf
dem Meer und Fiskus auf dem Lande.
({4})
Sie sind als Regierung nicht auf Augenhöhe mit dem
Bürger, und das beklagen wir. Wir wollen, dass Sie dem
Bürger auf Augenhöhe begegnen. Der Bürger ist nicht
Bittsteller, und Sie sind nicht der König dieses Landes.
({5})
Deshalb ist es wichtig, in Deutschland eine faire Steuergesetzgebung zu haben, bei der den Menschen auf Augenhöhe begegnet wird.
({6})
Die Rollenverteilung zwischen Staat und Bürger sollte
so sein, dass der Bürger am Ende als freier Mensch und
nicht als Knecht dasteht.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Kolbe für
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Koalition - damit auch die Union - setzt mit diesem Gesetz ein weiteres Zeichen im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Ich sage es für die Union noch einmal
ganz klar: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt,
und wer Steuern hinterzieht, schädigt die Gemeinschaft.
({0})
Lieber Kollege Lothar Binding, Du warst Mitberichterstatter und hast beklagt, dass das alles ein bisschen zu
spät gekommen ist. Dazu kann ich nur sagen, dass die
Union erst seit 2005 wieder mitregiert; sonst wäre das
vielleicht anders gewesen.
({1})
Außerdem stellen wir derzeit noch nicht den Bundesfinanzminister, aber auch das kann ja noch werden. Aber
jetzt zur Sache:
({2})
Die Große Koalition - da werden Sie mir zustimmen war im Kampf gegen die Steuerhinterziehung so erfolgreich wie nur wenige Regierungen zuvor. Wir haben in
vier Jahren deutlich mehr auf den Weg gebracht als etwa
die rot-grüne Vorgängerregierung in acht Jahren.
Ich möchte das noch einmal kurz zusammenfassen:
Wir haben das Strafrecht verfassungsfest gemacht. Wir
haben den sehr umstrittenen § 370 a Abgabenordnung
abgeschafft und den § 370 Abgabenordnung mit seinen
Qualifizierungen in Abs. 3 neu gefasst. Damit fällt die
bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern jetzt erstmals unter einen qualifizierten
Straftatbestand.
Wir haben mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung erstmals einen Steuerhinterziehungstatbestand, nämlich die bandenmäßige
Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern, in
den Katalog des § 100 a StPO aufgenommen und damit
die Telekommunikationsüberwachung auch bei schwersten Steuerhinterziehungsdelikten ermöglicht. Wir haben
mit dem Jahressteuergesetz 2009 die Verjährungsfrist
für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung auf
10 Jahre erhöht.
Zu begrüßen ist auch, dass der Bundesgerichtshof
grundlegende Ausführungen zur Strafzumessung bei
der Steuerhinterziehung gemacht hat. Denn das Problem
bei der Steuerhinterziehung ist nicht unbedingt die
Höchststrafe von 10 Jahren - diese halten wir für ausreichend -, aber bei dem einen oder anderen Urteil hatte
man den Eindruck, dass der Strafrahmen nicht ganz ausgeschöpft war. Hier hat der Bundesgerichtshof jetzt
Wegweisendes gesagt: Ab einem Steuerschaden von
50 000 Euro ist eine Freiheitsstrafe möglich, ab
100 000 Euro mehr oder weniger unerlässlich - sie kann
allerdings bei Ersttätern noch zur Bewährung ausgesetzt
werden -, und ab etwa 1 Million Euro ist eine Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann,
grundsätzlich unerlässlich. Wer Steuern in Millionenhöhe hinterzieht, wandert jetzt also tatsächlich ins Gefängnis, und das ist auch richtig so.
Schließlich haben wir im Mai dieses Jahres den Koalitionsantrag „Steuerhinterziehung bekämpfen“ beschlossen, der eine Vielzahl von weiteren zu ergreifenden Maßnahmen enthält. Insbesondere soll die EU26110
Zinsrichtlinie überarbeitet und ein verbesserter Informationsaustausch auf internationaler Ebene ermöglicht werden.
Besonders im internationalen Bereich sind wir deutlich weitergekommen. Wir streben einen Informationsaustausch mit allen Staaten dieser Welt nach Art. 26 des
OECD-Musterabkommens an. Wir sind diesbezüglich
weitergekommen, befinden uns in guten Verhandlungen
und haben die Hoffnung, dass der Informationsaustausch
bald umfassend möglich sein wird. Das ist ein Verdienst
der internationalen Gemeinschaft. Die eine oder andere
Bemerkung von deutscher Seite, die völlig Unschuldige
wie etwa die Indianer oder die Republik Burkina Faso
mit der Hauptstadt Ouagadougou beleidigt hat, war dabei eher kontraproduktiv.
Lassen Sie mich nun zu dem Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, das wir heute in zweiter und dritter
Lesung verabschieden, kommen.
({3})
Richtig ist der Ansatz dieses Gesetzes. Staaten, die sich
nicht am Informationsaustausch entsprechend den
OECD-Standards beteiligen und den Finanzbehörden in
berechtigten Fällen keine Auskunft erteilen, erleichtern
es Bürgern, Steuern zu hinterziehen.
({4})
Dieses Verhalten kann die internationale Gemeinschaft
nicht hinnehmen. Wir können solche Steueroasen nicht
dulden.
({5})
Es gibt zwei Wege, um das Verhalten dieser Steueroasen zu bekämpfen. Zum einen kann ich in Verhandlungen mit diesen Ländern treten und versuchen,
({6})
sie zur Einhaltung der OECD-Standards zu bringen. Dabei kann ich durchaus auch politischen und wirtschaftlichen Druck anwenden; da sind wir sicherlich einer Meinung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Der zweite Weg ist: Die Bundesrepublik Deutschland
geht im nationalen Alleingang gegen deutsche Steuerpflichtige vor, die in Geschäftsbeziehungen zu diesen
Staaten stehen,
({7})
und pönalisiert sie durch erhöhte Auskunftspflichten und
das Versagen von Abzugsmöglichkeiten usw.
Diese beiden Möglichkeiten gibt es. Wir als Union
bevorzugen ganz klar den ersten Weg.
({8})
Wir streben an, dass zunächst mit der internationalen
Gemeinschaft verhandelt wird. Wir möchten, dass überall auf der Welt ein Auskunftsaustausch gemäß den
OECD-Standards gewährt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf geht eher den zweiten Weg. Deshalb haben wir
im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt, dass zunächst
auf internationaler Ebene verhandelt wird. Wir sind da
auf gutem Wege. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben
es ja eben gesagt. Im Augenblick zeichnet sich ab, dass
alle wesentlichen Staaten dieser Welt den Auskunftsaustausch gemäß den OECD-Standards gewähren wollen.
({9})
Erst dann, wenn dies in dem einen oder anderen Einzelfall nicht möglich ist, kann die Bundesregierung als Ultima Ratio durch eine Rechtsverordnung beschließen,
dass das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz für
diesen Fall zur Anwendung kommt. Das ist unseres Erachtens der richtige Weg. Mit der Verabschiedung des
vorliegenden Gesetzentwurfs beschließen wir zugleich
auch, dass dieser Weg eingeschlagen wird.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal allgemein
etwas zum Thema Steuerhinterziehung sagen: Wie bei
jeglicher Kriminalitätsbekämpfung sind auch bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung sowohl Repression
- darüber reden wir ja heute - als auch Prävention gefordert. Dies gilt für jegliche Form von Kriminalität, ob
es nun Drogenkriminalität oder Steuerkriminalität ist. Es
ist nun aber so, dass Teile dieses Hauses nur die eine
Seite der Medaille betonen. Die FDP redet sehr viel von
der Prävention, und Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben in Ihrer Rede über Repressionen geredet; Ausführungen zur Prävention habe ich jedoch vermisst. Es gibt
eben zwei Wahrheiten bei der Steuerhinterziehung:
Die eine Wahrheit, Frau Kollegin Scheel, ist natürlich
- da teile ich ausdrücklich Ihre Auffassung -, dass jemand wie Herr Zumwinkel nicht wegen der Komplexität des deutschen Steuerrechts nach Liechtenstein
gegangen ist und dort eine Stiftung gegründet hat. Vielmehr gibt es Zeitgenossen, die Steuern hinterziehen wollen und dabei auch komplexe, teure rechtliche Wege gehen. Dieses Verhalten müssen wir repressiv bekämpfen.
Die andere Wahrheit, Herr Bundesfinanzminister und
Frau Scheel, ist aber auch, dass ein einfaches und leistungsgerechtes Steuerrecht natürlich die Anreize zur
Steuerhinterziehung senkt, während eine überhöhte
Belastung Anreize gibt, die zu einem Anstieg von Steuerflucht führen.
({10})
Ich glaube, diese Wahrheit, Herr Bundesfinanzminister,
darf man auch einmal aussprechen, und man sollte sie
auch zur Kenntnis nehmen.
Deshalb werden wir von der Union weiterhin die
Steuerehrlichkeit präventiv durch eine Steuergesetzgebung fördern, die einfach und leistungsgerecht ist. Wir
haben das teilweise in dieser Legislaturperiode schon getan. So haben wir eine einfache Abgeltungsteuer eingeführt und die Steuerlast auf thesaurierte Gewinne mit der
Unternehmensteuerreform reduziert.
({11})
Wir werden diese Anstrengungen fortsetzen. Das am
Montag vorgestellte „Regierungsprogramm 2009 - 2013“
von CDU und CSU ist auch im Hinblick auf diesen
Punkt richtungsweisend.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir als Union
werden weiterhin für ein einfaches und leistungsgerechtes Steuersystem kämpfen und damit einen ganz wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung
leisten. Heute bitte ich aber erst einmal um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf.
Danke schön.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat der finnische Parlamentspräsident, Herr
Sauli Niinistö, mit seiner Delegation Platz genommen.
({0})
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen begrüße ich
Sie herzlich hier im Deutschen Bundestag. Wir freuen
uns über Ihren Besuch und noch mehr darüber, dass wir,
wie wir ja gestern auch in unseren Gesprächen austauschen konnten, so enge und auch immer intensivere parlamentarische Beziehungen zwischen unseren beiden
Ländern haben.
Für Ihren Aufenthalt hier in Deutschland, für die weiteren Gespräche und insbesondere für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist sicher auch
ein Beitrag zur Bekämpfung der internationalen Finanzkrise. Wir alle hier im Hause sind uns darüber im Klaren,
dass es in Zukunft keine unkontrollierten Finanzinstrumente mehr geben darf, keine Finanzprodukte, die nicht
kontrolliert werden, und auch keine regulierungsfreien
Bereiche. Das ist eine ganz wichtige Aussage, zumal
dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Steuerhinterziehung wichtig ist. Der Tatbestand, dass drei von vier
großen Hedgefonds in Steueroasen zu Hause sind, unterstreicht, dass von hier auch eine Gefährdung der Stabilität der internationalen Finanzmärkte ausgeht.
({0})
Nun gibt es bei diesem Thema - ich sage dies in aller
Deutlichkeit - international ein Stück Doppelmoral. Die
Vereinigten Staaten halten sich eine Steueroase im eigenen Land.
({1})
Großbritannien hat mehrere Inseln.
({2})
Es muss auch nachdenklich stimmen, dass fast alle großen deutschen Kreditinstitute und fast alle Landesbanken in diesen Ländern vertreten sind. Da in all diesen
Gremien auch Vertreter der Politik sitzen, kann ich mir
nicht vorstellen, dass wir all das nicht gewusst haben.
Dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist, ist,
wie gesagt, ein geflügeltes Wort geworden. Es ist auch
richtig, dass die Große Koalition in den letzten vier Jahren auf diesem Gebiet einiges erreicht hat; mein Kollege
Kolbe hat ausführlich darauf hingewiesen.
Alleine die Ankündigung, dass wir ein solches Gesetz
machen, hat dazu geführt, dass die betroffenen Länder,
die den viel zitierten OECD-Standard nicht erfüllen, bei
uns jetzt Schlange stehen und ein Doppelbesteuerungsabkommen abschließen möchten. Das ist ein gutes Zeichen.
Dennoch ist hier eine gewisse Parallelität zu dem Enteignungsgesetz gegeben: Wir haben es zwar nicht gebraucht, aber ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich
so gelaufen wäre, wenn wir es nicht verabschiedet hätten. Insofern stimme ich in dem Punkt nicht mit der FDP
darin überein, dass wir dieses Gesetz nicht brauchten. Es
ist nicht auszuschließen, dass wir keine einzige Verordnung brauchen - das wäre gut -, aber wenn wir jetzt auf
halber Strecke aufhören würden,
({3})
wäre es kontraproduktiv. Denn in der Tat haben viele der
interessanten Staaten bisher lediglich erklärt, dass sie
den OECD-Standard erfüllen möchten. Ich glaube, wenn
wir heute dieses Gesetz verabschieden, dann wissen sie,
dass wir es ernst meinen.
Ich bin allerdings ein bisschen anderer Meinung als
der Minister. Denn er möchte die Verordnungen meiner
Ansicht nach zu zügig einführen. Ich habe gelesen, dass
sie bereits im Sommer gelten sollen. Ich meine, dass
man ein bisschen mehr Zeit benötigt, und insofern würde
der Herbst ausreichen. Trotzdem ist dies ein richtiger
Schritt in die richtige Richtung, und ich betone das, was
mein Kollege Oswald gesagt hat: Unser Ansatzpunkt ist
- deshalb haben die Verhandlungen auch so lange gedauert -, dass wir zunächst einmal vom ehrlichen Steuerbürger ausgehen. Wir gehen nicht davon aus, dass jeder
nur das eine Ziel verfolgt, Steuerbetrüger zu sein. Unser
Ansatz ist insofern ein bisschen anders. Wir sind dann zu
einem vernünftigen Ergebnis gekommen, wie ich
glaube.
Alles spricht dafür, dass meine heutige Rede die letzte
vor dem Deutschen Bundestag sein wird. Ich werde zwar
noch an einigen Sondersitzungen teilnehmen, aber in
diesen geht es voraussichtlich nicht um Finanzen.
({4})
- Ich habe „voraussichtlich“ gesagt. - Deshalb will ich
in der mir eigenen Art vier abschließende Bemerkungen
machen.
Die erste Bemerkung: Bevor ich in den Deutschen
Bundestag kam, war ich 14 Jahre Leiter von Kreditinstituten in Norddeutschland. Das war zwar eine spannende
Tätigkeit, aber diese Tätigkeit im Deutschen Bundestag
ist viel spannender. Daher habe ich es nie bereut, von der
Wirtschaft in den Deutschen Bundestag zu gehen. Ich
kann dies Leuten in der Wirtschaft nur empfehlen. Hier
kann man mitgestalten, und es ist angenehmer, mitzugestalten, als vor der Tür zu stehen und zu kritisieren, wie
dies viele in der Wirtschaft ständig machen.
({5})
Die zweite Bemerkung: Die Arbeit der Großen
Koalition war aus meiner Sicht deutlich erfolgreicher,
als dies in der Mehrzahl der Medien dargestellt und bei
der Mehrzahl der Bevölkerung wahrgenommen wird. Ich
war nie ein Freund der Großen Koalition - die Sozialdemokraten auch nicht.
({6})
Wir hatten eine Situation, in der nichts anderes möglich
war. Nur, ich vermute, dass Historiker eines Tages
schreiben werden: Es war gut, dass zur Zeit der größten
Finanzkrise, die die Bundesrepublik Deutschland bisher
erleben musste, eine Große Koalition an der Regierung
war. Sie hat ihre Handlungsfähigkeit oft mit sehr schnellen Entscheidungen bewiesen.
({7})
Der dritte Punkt. Warum hast du dich entschieden, nicht
wieder anzutreten? - Jeder muss selbst bestimmen, wann
er aufhört. Wir haben uns einmal für die Rente mit 67 ausgesprochen. Ich habe das 67. Lebensjahr vollendet und
damit die Grenze, die wir schrittweise ab 2012 verwirklichen wollen, erreicht. Ich ergänze das mit dem Satz:
Man soll zu einem Zeitpunkt gehen, zu dem zumindest
einige sagen: Schade, und nicht alle sagen: Gott sei
Dank. Das „Schade“, das ich zurzeit höre, tut mir ganz
gut.
({8})
Die vierte und letzte Bemerkung. Ich habe Vielen
Dankeschön zu sagen, insbesondere meiner Fraktion und
den Finanzpolitikern dort. Es war eine tolle Mannschaft.
Aber ich sage sehr deutlich: Auch die Zusammenarbeit
mit den Finanzpolitikern der Koalition war prima und
viel besser, als es oft außerhalb geäußert wurde. Ich sage
ausdrücklich: Auch mit den drei Oppositionsfraktionen
habe ich persönlich gut zusammengearbeitet. Natürlich
schließe ich in das Dankeschön das Ministerium ein. Die
Zusammenarbeit war konstruktiv.
Ich möchte namentlich die beiden Referenten unserer
Arbeitsgruppe, Frau Dr. Deter und Herr Dr. Müller, nennen. Sie sind die Seelen der Arbeitsgruppe. Als Allerletztes möchte ich Undine Schöps ein herzliches Dankeschön sagen, die mich in meinem Büro zehn Jahre lang
gemanagt hat. Sie ist eine hervorragende Kraft. Ich sage
an dieser Stelle Dankeschön.
Ich verabschiede mich in der Hoffnung, viele von Ihnen auch in Zukunft zu sehen. Meine Frau und ich werden weiter zwischen meiner Heimatstadt Rendsburg,
meinem dann früheren Wahlkreis, und Berlin pendeln.
Berlin gefällt uns so gut, sodass ich Ihnen auch in Zukunft nicht erspart bleibe.
Herzlichen Dank.
({9})
Lieber Kollege Bernhardt, den vielen Danksagungen,
die Sie gerade an die unterschiedlichen Adressen gerichtet haben, möchte ich umgekehrt einen herzlichen Dank
des Präsidiums für die hier im Deutschen Bundestag von
Ihnen geleistete Arbeit hinzufügen. So wie sich Ihre letzten Sätze angehört haben, Herr Bernhardt, besteht ja die
begründete Aussicht, dass Sie uns in ähnlich guter Erinnerung behalten wie wir Sie.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13666, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12852 sowie
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/13106 als Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich
der Stimme? - Dann ist dieser Gesetzentwurf mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13693 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 65 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Achtung der Grundrechte
- Drucksachen 16/7271, 16/10469 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegen Gisela Piltz für die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
23. Mai haben wir den 60. Geburtstag unseres Grundgesetzes ausgiebig feiern dürfen. Heute, sechs Wochen
später, nach vielen Sonntagsreden, in denen sich alle in
diesem Hause selbstverständlich - wie könnte es auch
anders sein? - zu den Grundrechten bekannt haben, geht
es um die Achtung der Grundrechte im tatsächlichen
Handeln, in der Gesetzgebung ebenso wie im Verwaltungshandeln, in der Gesellschaft wie in der Wirtschaft.
Carlo Schmid hat in seiner Rede im Parlamentarischen Rat am 8. September 1948 gesagt, „daß eine Verfassung in einer demokratischen Welt etwas mehr sein
muß als ein bloßes Reglement, als ein bloßes Organisationsstatut.“ Das gilt aus unserer Sicht insbesondere für
das Herz der Verfassung, für die Grundrechte.
({0})
Es geht nicht einfach nur um Rechtsnormen. Es geht
um das Werteverständnis unserer Gesellschaft. Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte und Teilhaberechte, die in
unserer Verfassung niedergelegt sind, spiegeln nicht nur
das Staatsverständnis eines freiheitlich-demokratischen
Gemeinwesens wider, sie stehen vielmehr auch für ein
Menschenbild, für das Bild von mit unveräußerlichen
Rechten ausgestatteten Individuen.
Ich darf Carlo Schmid weiter zitieren:
Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist.
Vielleicht ist das eine Botschaft an die Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU. Wenn Sie bitte einmal zuhören
würden!
({1})
- Ja, Sie schon - ich bin darüber total begeistert -, aber
Ihre Kollegen verhandeln gerade.
Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade bequem ist, wenn er nur einen willfährigen
Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll
Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll verfügen können. Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren.
({2})
Das ist heute immer noch aktuell. Bei jedem Gesetzgebungsverfahren und bei allem staatlichen Handeln ist
dieser Satz aktuell. Die Grundrechte müssen nicht nur
das Grundgesetz regieren, sondern erst recht die einfachen Gesetze. Das sollten wir immer bedenken, wenn
wir welche machen.
Wenn die Grundrechte in ihrem Gehalt eingeschränkt werden, geht damit immer und unwiederbringlich ein Stück Freiheit und Gerechtigkeit verloren.
So haben wir es in der Einleitung zu unserer Großen Anfrage geschrieben. Das halten wir immer noch für aktuell, denn diese schwarz-rote Koalition hat leider ebenso
wie ihre Vorgängerin, die rot-grüne Regierung, allzu oft
von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Grundrechte einzuschränken, ohne dabei das nötige Augenmaß
zu wahren.
({3})
Bei einfachgesetzlichen Regelungen, aber auch beim
tatsächlichen Handeln des Staates werden Grundrechte
bis aufs Äußerte und leider oft auch darüber hinaus eingeschränkt. Wenn immer mehr und immer tiefer in die
Grundrechte eingegriffen wird, verlieren sie an Substanz. Das müssen wir uns immer klarmachen.
({4})
Diese zahllosen Eingriffe sind leider auch geeignet,
die Wahrnehmung der Grundrechte zu verändern.
Nicht mehr derjenige, der die Freiheit einschränken will,
soll das rechtfertigen, wie es dem Grundgedanken des
Grundgesetzes entspricht. Nein, langsam ist es genau
umgekehrt: Die Grundrechte werden durch eine solche
Politik zum Erlaubnistatbestand.
({5})
Jeder, der sagt: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch
nichts zu befürchten“, greift in Wahrheit die Grundrechte
selber an;
({6})
denn diese Haltung ist die geistige Grundlage dafür, die
Freiheit des Einzelnen nur noch unter Vorbehalt zu gewähren. Bei dieser Haltung geht man eben nicht davon
aus, dass das Individuum von sich aus - und eben nicht
von Staates Gnaden - mit unverbrüchlichen Rechten,
mit Grundrechten ausgestattet ist, sondern man geht davon aus, dass Rechte vom Staat geschenkt werden. Leider hat der Bundesinnenminister das allzu oft hier vorgetragen. Das hat dazu geführt, dass es für die Freiheit
mittlerweile einer Begründung bedarf und nicht länger
umgekehrt, für die Einschränkung der Freiheit. Das ist
eine fatale Entwicklung.
({7})
- Sie können das ja gleich korrigieren, Herr Dressel.
({8})
Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen oft genug eines
drübergegeben und in unserem Sinn entschieden.
({9})
Das sollten Sie bei dem, was Sie hier vortragen, immer
bedenken, Herr Kollege.
Besonders deutlich zeigt sich das in der Informationsgesellschaft. Die neue Technik ist doch eine
Chance für diese Gesellschaft.
({10})
Die Menschen geben ihrer Meinungsfreiheit im eigenen
Blog, ihrer Kunstfreiheit vielleicht in einem etwas skurrilen Film auf YouTube, ihrer Berufsfreiheit im E-Commerce und ihrer Kommunikationsfreiheit durch E-Mails,
Chats und Internettelefonie Ausdruck.
Von dieser großen Freiheit hält der Innenminister gar
nichts. Das Internet ist die „Basis des Verbrechens“, so
kann man ihn zitieren. Damit werden immer neue Einschränkungen der Grundrechte gerechtfertigt. Darin
offenbart sich aus unserer Sicht ein tiefes Misstrauen gegenüber den Menschen statt eines Grundvertrauens in
das Individuum. Zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung könnten Sie gar nicht machen, wenn es moderne
Technologien nicht gäbe. Sie könnten nicht jeden Brief
überwachen. Auf diesen Vorschlag warten wir noch; er
wäre aber nicht umsetzbar.
({11})
Vieles von dem, was Sie gemacht haben, schränkt die
Grundrechte ein, zum Beispiel auch - wir haben gerade
über ein Finanzthema debattiert - das Enteignungsgesetz, durch das der Weg zur Verstaatlichung der Hypo
Real Estate frei gemacht wurde. Auch da hätte es günstigere und mildere Mittel gegeben, die die Grundrechte
nicht so eingeschränkt hätten.
({12})
Das ist ein schlechtes Beispiel dafür, wie Sie hier Politik
machen.
({13})
Bei Ihrer Politik lassen Sie es an Achtung für die
Grundrechte fehlen.
({14})
Damit steigt die Gefahr, dass die Anerkennung der herausragenden Bedeutung der Grundrechte in der Gesellschaft verloren geht. Wenn tagtäglich berichtet wird,
dass die Grundrechte vor allen Dingen den Täter schützen, muss man sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung Grundrechte nicht mehr wahrnimmt und nicht mehr
ernst nimmt.
({15})
Dies gilt im Übrigen auch für andere Gesellschaftsgruppen.
({16})
- Herr Kauder, wenn Sie meinen, dass das Unsinn ist,
dann schauen Sie sich die letzten Rechtsprechungen des
Bundesverfassungsgerichtes an.
({17})
Danach wissen Sie, was Unsinn und was nicht Unsinn
ist. Ich glaube, die eine oder andere Ihrer Gesetzgebungen ist Unsinn und nicht etwa meine Rede. Sie sollten
sich gut überlegen, was Sie hier sagen.
({18})
Allen muss klar sein, wie wichtig Grundrechte sind.
Ehrlich gesagt: Sie von der CDU ({19})
- und CSU; wenn Sie darauf Wert legen, von mir aus; es
ist aber neu, dass Sie Wert darauf legen ({20})
- ich weiß; aber Sie sind von der CDU, und ich habe Sie
direkt angesprochen - verabschieden heute als letzten
Tagesordnungspunkt ein Abkommen zwischen Deutschland und den USA. Damit greifen Sie wieder in Grundrechte ein.
({21})
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Sie hier Politik machen und die Grundrechte nicht achten.
({22})
Es kann nicht sein, dass Sie hier erklären, was Unsinn
sei und was nicht. Schauen Sie sich einmal an, was Ihre
Fraktion mit denen da drüben, dem Koalitionspartner,
gemeinsam macht. Das ist Unsinn.
({23})
Wir als Bundestag müssen die Grundrechte wieder in
den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Wenn wir sie
nicht achten, wird es niemand tun.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Dr. Jürgen Gehb ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am letzten offiziellen Sitzungstag der zu Ende gehenden Legislaturperiode und auch noch zur besten Fernsehzeit
75 Minuten über den Tagesordnungspunkt „Achtung der
Grundrechte“ debattieren zu können, lässt das Herz eines Rechtspolitikers - jedenfalls mein Herz; Ihres offenbar auch, Herr Montag, Sie nicken zustimmend - höher
schlagen.
({0})
Selbst die 75 Minuten Debattenzeit, die für uns Rechtspolitiker üppig bemessen ist, gibt natürlich überhaupt
nicht ausreichend Gelegenheit, auf ein über 80-seitiges
Konvolut, das 167 Fragen der FDP und genauso viele
Antworten der Bundesregierung umfasst, auch nur annähernd erschöpfend einzugehen. Deswegen will ich mich
auf ein paar grundsätzliche Erwägungen beschränken.
Ich will mich zu dem für Sie alle vielleicht vollmundig - oder besser gesagt: euphorisch - anmutenden Satz
hinreißen lassen und sagen: Die Bundesrepublik
Deutschland hat nicht nur die beste geschriebene Verfassung, den besten Verfassungstext, sondern wir leben eine
Rechts-, Verfassungs- und Gesetzeskultur, die keinen
Vergleich auf dieser Welt scheuen muss.
({1})
Warum bemühe ich einen so staatstragenden Satz? Ich
will es Ihnen sagen: Ich gehöre zu den Politikern, die
nicht über den politischen Trampelpfad Penne-Partei-Parlament oder auch Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal
hierher gekommen sind. Die Gunst meiner beruflichen
Laufbahn hat es mir vielmehr ermöglicht, inzwischen
alle drei Gewalten einmal kennengelernt zu haben.
Zwölf Jahre in der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit in verschiedenen Instanzen und in verschiedenen
Funktionen, auch am Hessischen Staatsgerichtshof, dem
Landesverfassungsgericht des Bundeslandes Hessen, haben mich gelehrt und haben mir gezeigt, dass alle Entscheidungen, die wir im Namen des Volkes getroffen haben, immer Grundrechtsbezug hatten: Ob es um die
Rechtmäßigkeit des Sexualkundeunterrichts ging, um
die Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis oder um die
Rechtmäßigkeitsprüfung einer Genehmigung zum Bau
und zur Errichtung einer Anlage, in der das Produkt
Beta-Galactosidase-Präproinsulin-Fusionsprotein hergestellt werden sollte
({2})
- für die Protokollanten: schreiben Sie einfach, dass es
dabei um die gentechnische Herstellung von Humaninsulin geht -, immer waren wir mit Grundrechten konfrontiert. Bei allen rechtlichen Regeln, die wir überprüft
haben, und bei allen Akten der öffentlichen Gewalt
- man nennt sie Verwaltungsakte - haben wir prüfen
müssen: Ist die anzuwendende Norm für sich betrachtet
bereits verfassungsgemäß, verletzt sie gar Grundrechte,
oder ist die Anwendung durch die Verwaltung selber im
Einzelfall noch verfassungsgemäß?
Wenn ein Instanzgericht zu der Überzeugung gelangt
ist, dass schon die anzuwendende Norm nicht mit dem
Grundgesetz vereinbar ist, dann haben wir die entsprechende Frage im Wege der sogenannten konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, unseren Instanzprozess
ausgesetzt, gewartet, bis das Bundesverfassungsgericht
Ja oder Nein gesagt hat und haben dann entschieden.
({3})
Meine Damen und Herren, die stringente Prüfung von
Grundrechten ist mir auch begegnet, als ich vier Jahre
lang Bürgermeister der nordhessischen Metropole Kassel sein durfte. Auch dort hatte ich ein zugeschnittenes
Dezernat, bei dem es um Ordnungsrecht ging: um das
Ausländerwesen, die Erweiterung einer Müllverbrennungsanlage und die Ausweisung und Abschiebung von
sich illegal in Deutschland aufhaltenden Ausländern.
Auch dort musste ich, sozusagen als Chef der Verwaltung, immer auch die Grundrechte achten.
({4})
In beiden Gewalten, sowohl in der Judikative als auch
in der Exekutive, der ich früher angehört habe, konnte
ich bei der Achtung der Grundrechte ein signifikantes
Defizit - Sie haben in Ihrem Vorwort gesagt, dass es
dem Staat an der Achtung der Grundrechte mangelt beim besten Willen nicht erkennen.
Selbst wenn das einmal der Fall sein sollte, haben wir
oberhalb der Instanzgerichte, also der ersten Instanz, des
Berufungsgerichts und des Revisionsgerichts - ob das
der BGH, der Bundesfinanzhof, das Bundessozialgericht
oder das Bundesarbeitsgericht ist -, noch das Bundesverfassungsgericht. Es ist zwar keine Superrevisionsinstanz, aber eine auf der Welt in dieser Konstellation
nahezu einmalige Einrichtung, die im Zweifel den einen
oder anderen Fehler korrigiert. Zu derartigen Fehlern
kommt es in Deutschland allerdings nur in „homöopathischen“ Dosen. Man sollte nicht so tun, als würde das
Bundesverfassungsgericht jede zweite unserer Entscheidungen aufheben.
Es ist wie mit einem Flugzeug: Über ein Flugzeug,
das landet, wird nicht berichtet. Berichtet wird nur über
das Flugzeug, das abstürzt. Es wird auch nie über eine
gelungene Operation berichtet, wie ich sie gerade über
mich habe ergehen lassen müssen - wie Sie sehen, ist sie
gelungen -,
({5})
sondern nur über eine Operation, bei der der Chirurg einen Tampon in der Wunde vergessen hat. Das ist zwar
typisch, aber nicht repräsentativ.
Da ich gerade über Gerichtsentscheidungen spreche:
Frau Piltz, Sie haben sich auch heute wieder zu einer
völlig unrichtigen Bemerkung hinreißen lassen und behauptet, wir hätten viele Entscheidungen des Verfassungsgerichtes wieder vor die Nase gesetzt bekommen.
Ich will Ihnen sagen: Seit dem 19. Oktober 2005 - das
ist der Tag, an dem sich der 16. Deutsche Bundestag
konstituiert hat - gibt es nicht eine einzige - ich wiederhole: nicht eine einzige - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der ein Sicherheitsgesetz dieser
Koalition aufgehoben worden ist.
({6})
Bei all den Beispielen, die Sie gebetsmühlenhaft wiederholen und immer wieder wahrheitswidrig anführen
- hier kann ich es Ihnen nicht durchgehen lassen; wahrscheinlich tun Sie das aber auch auf vielen anderen Veranstaltungen -, handelt es sich um Gesetze, die von der
rot-grünen Koalition verabschiedet worden sind,
({7})
oder um Ländergesetze, bei denen die FDP federführend
beteiligt war. Das muss einmal gesagt werden.
({8})
Seit 1998 bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages, einer weiteren der drei Gewalten. Wir müssen uns
seit etwa 2001 pausenlos einen Vorwurf gefallen lassen,
der auch in Ihrem Vorwort zum Ausdruck kommt. Dort
haben Sie sich zu der, wie ich finde, unsäglichen Bemerkung hinreißen lassen, dass nicht mehr das Leitbild des
mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Menschen
Pate bei der Gesetzgebung stehe. Wer denn sonst, Frau
Piltz? Etwa das Buch Hiob?
({9})
Selbstverständlich steht dieses Leitbild für uns nach wie
vor Pate bei der Gesetzgebung.
Meine Damen und Herren an den Fernsehschirmen
und auf der Zuschauertribüne, alle Grundrechte, die es
gibt, kollidieren per se miteinander. Ein Beispiel: Darf
man die fette Villa im Grunewald, die der frühere Außenminister Joschka Fischer gekauft hat, fotografieren,
und darf man öffentlich danach fragen, woher er das
Geld dafür hat? Da kollidiert das Grundrecht der Informations-, Presse- und Meinungsfreiheit mit dem Persönlichkeitsrecht des grünen Außenministers.
Noch ein Beispiel: Darf ein muslimischer Metzger ein
Schaf ohne Betäubung schlachten, sprich: schächten? Da
kollidiert das Grundrecht auf Religionsfreiheit mit dem
Staatsziel Tierschutz.
Die Freiheitsrechte kollidieren naturgemäß mit der
grundrechtlich verbürgten Pflicht des Staates, seinen
Bürgern Fürsorge und Schutz zuteil werden zu lassen.
({10})
Das ist ein in der Natur der Sache liegender Antipode,
der, wie es das Bundesverfassungsgericht so schön sagt,
im Wege der praktischen Konkordanz immer wieder neu
abgewogen und ausgeglichen werden muss.
({11})
Meine Damen und Herren, darüber streiten wir im Deutschen Bundestag allenthalben.
Man sollte nicht nur die Grundrechte achten, Frau
Piltz, man muss bei allen Diskussionen aufpassen, dass
man den Grundkonsens der demokratischen Parteien
nicht aufgibt. Dem politischen Gegner, wie Sie es getan
haben, vorzuwerfen, er achte die Grundrechte nicht, mit
solchen Vorwürfen schärfen Sie Ränder, die wir alle
nicht schärfen wollen.
({12})
Deshalb appelliere ich an Sie: Rüsten Sie verbal ab!
Wenn man gelegentlich die Augen schließt und Ihnen
zuhört, Frau Piltz, weiß man - sowohl der Tonlage als
auch dem Inhalt nach - nicht, ob Herr Nešković oder
Frau Jelpke reden; das muss ich einmal in aller Deutlichkeit sagen.
({13})
Meine Damen und Herren, häufig hören wir: Der
Staat in seiner Allmacht, Big Brother is watching you.
Nicht Big Brother is watching you, wir müssen aufpassen, dass Little Brother uns nicht watcht.
({14})
Wir geben allzu leichtfertig, freiwillig Daten preis, zum
Beispiel im Zusammenhang mit der Nutzung von Kundenkarten und Prepaidkarten. Das heißt, es geht nicht
mehr nur um das Verhältnis Bürger/Staat.
Sie haben eben im Zusammenhang mit verdeckten
Ermittlungsmethoden die Telefonüberwachung angesprochen. Die organisierte Kriminalität und die Terroristen trommeln heute eben nicht mehr und geben auch
keine Rauchzeichen mehr, sie bedienen sich natürlich
moderner Technologien. Da muss es den Ermittlungsbehörden doch verdammt noch einmal möglich sein, sich,
um Verbrechen aufzuklären, ebenfalls dieser Technologien zu bedienen. Jedes kleine Kind auf der Straße
würde einem da zustimmen.
({15})
Im Übrigen wird das nicht aus Daffke und nicht bei jedem Ladendiebstahl gemacht, sondern nur zur Aufklärung schwerster, in einem Katalog aufgelisteter Straftaten, die es zu verhindern bzw. die es aufzuklären gilt,
und auch nur, wenn alle rechtsstaatlichen Kautelen vorangeschaltet sind, namentlich eine richterliche Anordnung. Ein Mehr an rechtsstaatlichen Voraussetzungen
können wir beim besten Willen nicht fordern.
({16})
Wenn wir schon bei der Achtung der Grundrechte
sind: Diejenigen, die mir hier schon öfters haben zuhören müssen - manche auch haben wollen -, werden sich
daran erinnern, dass ich immer wieder gesagt habe: Wir
nationalen Parlamentarier dürfen uns nicht zu Vollstreckungsgehilfen europäischer Vorgaben degradieren lassen. Wir sitzen sozusagen in der Ratifizierungsfalle.
Mein Kollege und Freund Siegfried Kauder hat das im
Zusammenhang mit dem europäischen Haftbefehl fast
ohnmächtig eingestehen müssen.
Deswegen freue ich mich, dass das Bundesverfassungsgericht die Beteiligungsrechte der Parlamentarier gestärkt hat. Wir müssen jetzt nicht mehr retrospektiv sagen: „Wir stehen hier und können nicht anders,
weil uns Europa in ein enges Korsett aus Vorgaben
zwingt“, wir können jetzt in statu nascendi, in der Geburtsstunde, an solchen Vorgaben mitarbeiten.
({17})
Wenn das so ist, dann können wir sagen: Wir, die Union,
wir achten die Grundrechte, wir setzen sie um, wir verteidigen sie,
({18})
und wenn es nötig ist, ergänzen wir sie auch.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({19})
Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Pau, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Große Anfrage der FDP hat schon einige Monate auf
dem Buckel. Sie ist dennoch höchst aktuell. Ich empfehle sie allen, die an Bürgerrechten interessiert sind, zur
Lektüre. Die Fragen zeigen, wie gefährdet Bürgerrechte
sind. Die Antworten zeigen, wie selbstgefällig die Bundesregierung damit umgeht.
({0})
Deshalb möchte ich eingangs festhalten: Es ist wohlfeil, aus Anlass von 60 Jahren Grundgesetz die Grundrechte in Festreden zu lobpreisen; aber es ist ein Spiel
mit dem Feuer, sie einerseits zu loben und andererseits
gleichzeitig verkommen zu lassen. Das ist leider politischer Alltag, und das lehnt die Linke ab.
({1})
Ich will Ihnen das gerne anhand der Großen Anfrage
der FDP illustrieren. Die FDP fragte: Wie bewertet die
Bundesregierung die Akzeptanz der Grundrechte in der
Bevölkerung? - Wohlgemerkt: Es geht um die Art. 1 bis
19 Grundgesetz, also um souveräne Rechte aller Bürgerinnen und Bürger. Die Antwort der Bundesregierung
lautet: Die Akzeptanz der Grundrechte in der Bevölkerung ist sehr hoch. Dafür spreche allein - ich zitiere „die große Anzahl der Verfassungsbeschwerden“. Mit
Verlaub: Auf eine solche regierungsamtliche Formulierung muss man erst einmal kommen.
({2})
Zur Erinnerung: Die Zahl der Verfassungsbeschwerden nimmt deshalb zu, weil die Regierungskoalition
wieder und wieder Gesetze beschließt, die mit dem
Grundgesetz auf Kriegsfuß stehen. Anstatt also Selbstkritik zu üben, verbreitet die Bundesregierung Selbstlob.
Das ist ein Trauerspiel.
({3})
In der Schröder/Fischer-Ära wurde ein Luftsicherheitsgesetz beschlossen, das vom Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht „kassiert“ wurde; denn SPD und
Grüne wollten Gott spielen und entführte Flugpassagiere
abschießen lassen - ein klarer Verstoß gegen Art. 1
Grundgesetz.
In der Merkel/Müntefering-Ära wurde verfügt, dass
Computer heimlich ausgespäht werden. Auch dieser Anschlag auf das Grundgesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht gestutzt, leider nur halbherzig, aber immerhin.
({4})
Die Einschläge per Gesetz kommen aber immer näher. Individuelle Freiheitsrechte werden relativiert und
staatliche Sicherheitsrechte statuiert. Das ist der Trend.
So wird das Grundgesetz in Geist und Buchstabe umgedeutet. Der Staat erhebt sich mehr und mehr über die
Bürgerinnen und Bürger, und genau das ist verfassungswidrig.
Eine weitere Frage der FDP zielte auf die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. Konkret ging es
um den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Die Regierungsantwort lautet: Art. 8 Grundgesetz sei wesentlich Ländersache, und Ländersachen kommentiere man nicht.
Mit Verlaub: Rund um den G-8-Gipfel war die Bundeswehr mit Personal und Gerät massiv im Einsatz. Ein
Camp von G-8-Kritikern wurde sogar aus der Luft per
Tiefflug attackiert. Es ist geradezu schäbig, dem Land
Mecklenburg-Vorpommern allein die Grundrechtsverstöße rund um den G-8-Gipfel in die Schuhe zu schieben.
({5})
Verstoßen wurde damit übrigens auch gegen Art. 35
Grundgesetz, weil er besagt, dass die Bundeswehr im Innern nur bei großen Katastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen Amtshilfe leisten darf. Für die Bundeswehr ist doch wohl noch immer die Bundesebene
zuständig. Deshalb umgekehrt gefragt: Wenn der G-8Gipfel offenbar als große Katastrophe oder besonders
schwerer Unglücksfall eingestuft wurde, sodass die Bundeswehr helfen musste, warum hat dann die Bundeskanzlerin Merkel so viel Gefahr überhaupt ins Land geholt?
({6})
Weiter zur Großen Anfrage der FDP. Mehrere Fragen
widmen sich dem Datenschutz. Auch er gilt spätestens
seit dem legendären Volkszählungsurteil des Verfassungsgerichtes als verbrieftes Grundrecht.
({7})
Es ist das Grundrecht, das inzwischen auch von Staats
wegen zu den bedrohten Arten zählt.
({8})
Ich möchte das an zwei Beispielen illustrieren:
Stichwort eins: Hartz IV. Wer arm dran ist, der muss
150 bis 180 ganz persönliche Daten über sich und seine
Umwelt preisgeben. Das würden die Ackermänner nie
tun. Kurzum: Wer arm dran ist, wird auch noch seiner
Bürgerrechte beraubt.
({9})
Stichwort zwei: Vorratsdatenspeicherung. Alles wird
registriert: Wer wann wo mit wem telefoniert hat, wer
wem eine SMS oder E-Mail geschickt hat und wer wann
im Internet welche Internetseite geöffnet hat.
({10})
All das hält die Linke für grundrechtswidrig.
Auch dagegen laufen übrigens Klagen beim Bundesverfassungsgericht.
Meines Wissens ist es das erste Mal in der Geschichte
der Bundesrepublik, dass gleich zwei Vizepräsidenten
des Bundestages gegen ein von der Mehrheit des Bundestages beschlossenes Gesetz beim Bundesverfassungsgericht klagen.
({11})
Durch die Praxis der Vorratsdatenspeicherung wird
allerdings noch ein viel weiter gehender Verstoß gegen
das Grundgesetz belegt. Laut Grundgesetz sind Grundrechte vor allem Schutz- und Trutzrechte der Bürgerinnen und Bürger gegen Begehrlichkeiten des Staates. Die
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen, also
aktuell die CDU/CSU und die SPD, stellen diesen
Grundsatz einfach auf den Kopf. Sie nehmen namens einer vermeintlichen Sicherheit alle Bürgerinnen und Bürger ausnahmslos unter Generalverdacht. Mit Blick auf
den Geist des Grundgesetzes ist das ein Ding aus dem
Tollhaus, und es zeigt: Die größten Gefahren gegen die
freiheitlich-demokratische Grundordnung drohen derzeit
nicht von Terroristen, auch nicht von Extremisten, sondern eher von Sicherheitsexperten.
({12})
- Herr Kauder, ich sage das sehr deutlich: Nicht alles,
was technisch machbar ist und was man sicherlich aus
dem beruflichen Blickfeld von Polizistinnen und Polizisten sowie Ermittlungsbehörden gern an Instrumenten in
der Hand hat, ist mit unseren Grundrechten und unserem
Grundgesetz vereinbar. Wir sind dazu da, genau dieses
Spannungsfeld sehr verantwortungsvoll auszuloten.
({13})
Das Ganze korrespondiert mit einer weiteren Entwicklung.
({14})
Substanzielle und verfassungsrechtliche Grenzen werden Stück für Stück aufgeweicht, zum Beispiel zwischen
Landesverteidigung und weltweiten Kampfeinsätzen,
zwischen Militär und Polizei, zwischen Polizei und Geheimdiensten. Das heißt, wir erleben seit Jahren den zielstrebigen Umbau der Gesellschaft weg vom Rechtsstaat
hin zum präventiven Sicherheitsstaat.
({15})
Andere sprechen auch vom Überwachungsstaat. Auch
diese Praxis widerspricht den wohlfeilen Antworten der
Bundesregierung.
({16})
- Kollege, ich wollte ja eigentlich noch auf die Fragen
und die Antworten an die FDP eingehen, aber Ihr ZwiPetra Pau
schenruf veranlasst mich, hier mal sehr deutlich Folgendes zu sagen:
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, ich bin in der DDR
geboren. Ich habe in der DDR Verantwortung getragen.
({18})
1990, die demokratische Wende, die ich nicht erzwungen habe - auch das gestehe ich hier -, hat mir nicht nur
sehr viel Stoff zum Nachdenken gegeben, sondern ich
persönlich habe aus dem Scheitern dessen, was sich Sozialismus nannte, auch aus dem Scheitern der Ideen, für
die ich dort gearbeitet habe, sehr schmerzhafte, aber für
mich auch nachhaltige Lehren gezogen. Als ich 1998 in
den Deutschen Bundestag gewählt wurde, habe ich es
mir zur Aufgabe gemacht, dass es eine linke, eine sozialistische Bürgerrechtspartei in der Bundesrepublik gibt.
Das heißt, aus den Lehren aus der Geschichte nehme ich
mir das Recht heraus, auf Gefahren für die Grundrechte
und für das Grundgesetz auch hier in dieser Bundesrepublik hinzuweisen. Dazu steht die Linke.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carl-Christian
Dressel für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon etwas Schweres, nach dieser seltsamen, aber
durchaus nicht seltenen Allianz von der Partei auf der
Rechten, der FDP, und der Partei auf der Linken dieses
Hauses das Wort zu ergreifen. Aber zur Sache sage ich
als Erstes, was uns, wie ich denke, hier im breiten Bogen
des Hauses verbindet: Die Grundrechte müssen das
Grundgesetz regieren. Das sage nicht nur ich, das
stammt von Carlo Schmid - 1949.
Diese Forderung, denke ich, betrifft uns alle, und
diese Forderung zeigt uns allen, dass der zentrale Grundstein unserer Verfassung das Bekenntnis zur Menschenwürde in Art. 1 ist und dass unser Staat ein Grundrechtsstaat ist, als solcher konzipiert wurde und als
solcher sich auch weiter fortentwickelt hat.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir hier aber anhören muss, dass wiederholt von Ihnen, Frau Piltz, ausgeführt wird, der Staat greife in Grundrechte ein, wenn
das Ganze dargestellt wird, als sei das eine Bösartigkeit
per se, dann kann ich Ihnen nur antworten: Ja, natürlich.
Ein jedes Gesetz ist ein Eingriff in mindestens ein
Grundrecht.
({0})
Ein jedes Gesetz greift zumindest in die allgemeine
Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz ein, es
sei denn - jetzt komme ich zu Ihrem Zwischenruf, Herr
Wieland -, es handelt sich um das Haushaltsgesetz oder
um ein Leistungsgesetz, sofern es nicht Art. 3 Grundgesetz betrifft. Wenn Sie mich hätten aussprechen lassen,
dann hätten Sie sich diesen Zwischenruf ersparen können.
Auf einen Zwischenruf der FDP wäre ich vorhin
gerne eingegangen, als es um die Aufhebung von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht wegen
Grundrechtsrelevanz ging. Hier stellen Sie sich vor allem zu Wahlkampfzeiten gerne als Bürgerrechtspartei
dar.
({1})
Ich frage Sie: Wo bleibt der Einsatz der FDP für Grundrechte in den Landesregierungen, an denen die FDP beteiligt ist?
({2})
Wo war der Einsatz der FDP im Rahmen der Verabschiedung des Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen, bei
dem es um die Onlinedurchsuchung ging
({3})
und das erst vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben
wurde? Wenn Sie mit einem Finger auf die Bundespolitik zeigen, dann zeigen mindestens zwei Finger in Ihre
Richtung.
({4})
In Ihrer Großen Anfrage muss ich lesen, dass es kein
Grundrecht auf Sicherheit gibt. In Ihrer Rede haben Sie
eben gesagt, Sicherheit habe mit Grundrechtsschutz
nichts zu tun
({5})
- lassen Sie mich doch ausreden; dann verstehen Sie es
auch - und Grundrechte seien in erster Linie Abwehrrechte gegen staatliches Handeln. Ich sage dazu: Ja, in
erster Linie, aber nicht nur.
({6})
Grundrechte bilden insgesamt - das ist die ständige
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - eine
objektive Wertordnung, die auch Schutzpflichten beinhaltet. Die Sicherheit für die Bürger ist uns ein wichtiges
Anliegen. Nach Maslow kommt das Bedürfnis nach Sicherheit bereits an zweiter Stelle nach den physiologischen Bedürfnissen. Darüber müssen wir uns im Klaren
sein. Wir sind verpflichtet, für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu sorgen, auch von
Verfassungs wegen, und zwar nicht nur dadurch, dass
wir als Gesetzgeber tätig werden und als „Nachtwächterstaat“ Abwehrrechte anerkennen, sondern auch, indem
wir dafür sorgen, dass die Sicherheit nicht nur für denjenigen gilt, der sich die Kosten für eine private Sicherheitstruppe leisten kann. Frei nach Goethe: Und das heilige Menschenrecht gilt dem Herren wie dem Knecht. Das sollte sich auch die FDP merken.
Dass die FDP mit dem Charakter als Rechtsstaatspartei im Gegensatz zu ihrer öffentlichen Darstellung seit
längerer Zeit hadert, zeigte schon ihr Verhalten beim
Thema großer Lauschangriff mit Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Frau LeutheusserSchnarrenberger ist damals zurückgetreten, aber viele
von Ihnen haben es mitgetragen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu eindeutig entschieden. Haben Sie
daraus gelernt? Nach dem, was Sie auf Länderebene machen, muss ich sagen: Nein, das haben Sie nicht.
({7})
- Ich weiß, wovon Sie sprechen. Ich kann handwerklich
gut arbeiten. Das sollten auch Sie endlich tun.
({8})
Herr Stadler, ich habe Ihnen schon in einem anderen
Zusammenhang empfohlen, sich die einschlägige Literatur vorzunehmen.
({9})
Sie schreiben zum Beispiel, dass der Grundsatz der
praktischen Konkordanz vom Bundesverfassungsgericht entwickelt worden sei. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz nur übernommen, entwickelt hat ihn aber der große deutsche Staatsrechtslehrer
Konrad Hesse.
({10})
Ich empfehle Ihnen als Lektüre sein großes Werk Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Es ist leider nicht als Neuauflage erhältlich.
Konrad Hesse ist leider vor einiger Zeit verstorben.
({11})
Bilden Sie sich weiter! Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen. Ich merke, Sie haben es nötig. Der Grundsatz der
praktischen Konkordanz ist von Konrad Hesse entwickelt worden und später vom Bundesverfassungsgericht
übernommen worden. Dafür können wir dankbar sein.
Wenn hier behauptet wird, Grundrechte würden durch
die öffentliche Gewalt in Deutschland verkommen - das
haben Sie wörtlich gesagt, Kollegin Pau - und es handele sich um Anschläge per Gesetz, halte ich das für eine
Unverschämtheit diesem Hohen Hause gegenüber, die
man gar nicht deutlich genug zurückweisen kann.
({12})
In den letzten 60 Jahren haben die Grundrechte im öffentlichen Bewusstsein eine deutliche Aufwertung erfahren. Sie haben eine positive Rolle gespielt. Nicht umsonst ist die klare Mehrheit der Deutschen stolz auf das
Grundgesetz und hat die Grundrechte gerne verinnerlicht; denn diese Garanten der Freiheit werden als solche
verstanden. Zur Freiheit gehört auch, dass der Staat jedem Sicherheit gewährleistet, und zwar in guter Zusammenarbeit.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Der Kollege Jerzy Montag ist der nächste Redner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Piltz, zu dem hohen Ross, von dem herab
Sie hier gesprochen haben, hat der Kollege Dressel
schon etwas gesagt. Dem schließe ich mich an. Sie, Herr
Kollege Dr. Gehb, haben hier zum wiederholten Mal erklärt, bisher habe das Bundesverfassungsgericht keine
Gelegenheit gehabt, eines Ihrer Sicherheitsgesetze zu
beanstanden. Das steht aber kurz bevor. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung mit einer einstweiligen Anordnung teilweise ausgesetzt.
({0})
Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Ihnen in
Zukunft das gleiche Schicksal blühen wird.
({1})
Als ich zur Vorbereitung auf die heutige Debatte die
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
FDP zur Hand genommen habe, war ich eigentlich voller
Erwartung auf eine differenzierte, sachlich fundierte
Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten politiJerzy Montag
schen Generalthemen. In welchem Zustand sind die
Grundlagen des Zusammenlebens in einem rechtsstaatlichen Gemeinwesen, wie es unser Land zweifelsohne ist?
Werden sie genügend geachtet? Welchen Stellenwert haben heute und im realen Leben die Individualrechte der
Menschen gegenüber den staatlichen Instanzen sowie in
der Wirtschaft und der Gesellschaft? Welche Veränderungen, Bedrohungen und Gefahren erfordern Korrekturen, Klarstellungen oder Weiterentwicklungen? Gibt es
Fälle von Verletzungen der Grundrechte, und wie reagieren wir, der Bundestag, darauf? Je mehr ich in den Text
der Antwort der Bundesregierung einstieg, desto ernüchterter war ich. Bei den Antworten der Bundesregierung
fallen mir drei Kategorien auf. Viele Fragen werden
schlicht nicht oder nur mit nichtssagenden Floskeln beantwortet. Viele Fragen werden ausschließlich über Seiten hinweg dadurch beantwortet, dass allseits bekannte
Passagen aus grundlegenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts wörtlich wiedergegeben werden. All das
kann man in jedem Grundrechtskommentar nachlesen.
Es wirkt im politischen Diskurs wie eine Verweigerung
der Debatte, wenn sich die Bundesregierung eigener Bewertungen und Präzisierungen enthält und lediglich
- um auf sicherem Boden zu bleiben - das Bundesverfassungsgericht für sich sprechen lässt.
Bei der Beantwortung einiger weniger Fragen wurde
die Bundesregierung erstaunlich deutlich. Aber uns
Grüne können diese Antworten nicht befriedigen. Ich
komme auf einige dieser Punkte noch zu sprechen. Generell aber sind die Antworten von der selbstgefälligen
Grundhaltung getragen, als ob es bei der Achtung der
Grundrechte in unserem Staat, in unserem Gemeinwesen
überhaupt keinen Anlass zur Kritik gebe. Bei aller Ablehnung pauschaler Diffamierungen unseres demokratischen Rechtsstaates: Es gibt doch wahrhaft Grund genug, sich in Einzelfällen auch kritisch mit der Frage der
Achtung der Grundrechte der Menschen zu beschäftigen.
({2})
Die Enttäuschung, die sich bei mir eingestellt hat, resultiert aber - ich muss das in Richtung der FDP sagen auch aus der Art Ihrer Fragen. Wer so unkonkret fragt
und mit drei Zeilen die Entwicklung der Grundrechte in
Jahrzehnten in der größtmöglichen Allgemeinheit, die
überhaupt nur denkbar ist, erfragen will, der wird keine
inhaltsreichen Antworten bekommen. Ich will einige
wenige Beispiele aufzeigen. Sie fragen zum Beispiel in
Frage 3:
Wo liegen aus Sicht der Bundesregierung heute aus
welchen Gründen und aufgrund welcher Entwicklungen welche Gefahren für die Grundrechte?
Allgemeiner geht es gar nicht. Die Bundesregierung
sagt schlicht und einfach, konkrete Gefahren für die
Grundrechte bestehen nicht. Die Frage und die Antwort
hätten Sie sich sparen können. Oder nehmen wir zum
Beispiel die Frage 18:
Durch welche Gesetze wurde...
- seit 2005 in welche Grundrechte eingegriffen ... ({3})?
({4})
Diese Frage zu stellen, heißt natürlich, die Antwort zu
provozieren. Die Bundesregierung schreibt, nahezu alle
Gesetze enthalten Eingriffe in Grundrechte. Das sei in
einem Rechtsstaat geradezu ihre Funktion.
({5})
Jetzt kann man gern darüber streiten, ob dem so ist, aber
es handelt sich um eine inhaltsleere Frage und deswegen
auch um eine inhaltsleere Antwort.
({6})
Zu einem anderen Problem bei Ihren Fragen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der FDP.
({7})
- Unter den 170? - Es ist schon erstaunlich, wie Sie es
schaffen, in einer solchen Großen Anfrage auch zu erkennen zu geben, wie Sie Ihre Klientel bedienen. Ich
fand es zum Beispiel seltsam, dass Sie betreffend den
Art. 2 Grundgesetz
({8})
hinsichtlich der informationellen Selbstbestimmung, bei
der man wirklich viel Konkretes zu fragen hätte, folgende Frage stellten:
Welche Maßnahmen zur Stärkung und Bewahrung
des Bankgeheimnisses in Deutschland plant die
Bundesregierung?
({9})
Die Antwort der Bundesregierung ist frappant und
richtig: Es gibt in Deutschland überhaupt kein Bankgeheimnis gegenüber dem Staat.
({10})
Ganz im Gegenteil sagt die Bundesregierung völlig richtig, die Auskunftspflichten der Banken gegenüber dem
Staat, die in diversen Gesetzen geregelt seien, seien geradezu eine Verpflichtung aus Art. 3 Grundgesetz, nämlich aus der Steuergerechtigkeit heraus.
({11})
Da haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, etwas gelernt.
Ich kürze ab: Betreffend Art. 3 Grundgesetz - Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz - beginnen Sie mit
welchem Thema? Ich hätte wetten können: mit dem allgemeinen Gleichstellungsgesetz. Dass Ihnen das Antidiskriminierungsgesetz, obwohl Sie eine Bürgerrechtspartei sein wollen, nicht schmeckt, ist mir klar. Die
Antworten der Bundesregierung waren knapp und klar:
Es gibt keinen Aufruhr in der Wirtschaft, es gibt kein
Chaos bei den Gerichten, das Antidiskriminierungsgesetz hat sich bewährt.
({12})
Neues Grundrecht auf Datenschutz und das Computergrundrecht: In Frage 46 wird gefragt, ob das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als eigenständiges Grundrecht in den Grundrechtskatalog des
Grundgesetzes aufgenommen werden soll. Jetzt komme
ich zu meiner Kritik an der Bundesregierung.
({13})
Sie beantwortet sowohl diese Frage als auch die Frage
nach dem Computergrundrecht und argumentiert wie
folgt: Bei dem Datenschutzgrundrecht seien der Inhalt,
die Grenzen und die Beschränkungen durch das Bundesverfassungsgericht schon so weit geklärt, dass es einer
Aufnahme in das Grundgesetz nicht bedürfe.
({14})
In Bezug auf das Computergrundrecht sagt die Bundesregierung, der Inhalt, die Grenzen und die möglichen
Beschränkungen seien durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts noch nicht geklärt, weswegen sich eine Aufnahme ins Grundgesetz nicht empfehle.
So viel Inhaltsleere und tautologische Begründung
wie in diesem Punkt habe ich selten gehört.
({15})
Ganz im Gegenteil: Die Aufnahme des Grundrechts auf
Datenschutz, die Aufnahme des Grundrechts auf Information, die Aufnahme des Computergrundrechts und
auch die Aufnahme der Erklärung des Bundesverfassungsgerichts, dass es einen Kernbereich privater Lebensgestaltung gibt, der unantastbar ist, ist notwendig,
sie gehören in das Grundgesetz.
({16})
Das haben wir Grünen längst vorgetragen und konkrete
Vorschläge unterbreitet.
({17})
Ich komme zum Schluss. Mir ist aufgefallen, dass weder in der Fragestellung noch in der Antwort eine Bezugnahme oder ein Zitat dazu vorgetragen wird, dass es
auch in der Zivilgesellschaft eine Debatte über die Achtung der Grundrechte gibt. Es gibt viele Bürgerrechtsorganisationen, die sich mit diesem Thema kritisch beschäftigen. Ich will sie hier nicht alle namentlich
aufführen, aber ich will Ihnen raten: Nehmen Sie nur
einmal den Grundrechte-Report zur Hand,
({18})
der jedes Jahr erscheint. In diesem Grundrechte-Report
können Sie viel über die Achtung der Grundrechte und
ihren Zustand nachlesen,
({19})
meiner Meinung nach mehr, als in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage zu finden ist.
Danke schön.
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren über das höchstrangige Recht, das
die Bundesrepublik Deutschland kennt. Ich wäre froh
gewesen, wenn das mit der entsprechenden Würde möglich gewesen wäre. Frau Vizepräsidentin Pau, Sie haben
das nicht geschafft.
({0})
Frau Kollegin Piltz, für Sie gilt nichts anderes.
({1})
Man kann leicht über Freiheitsrechte räsonieren, wenn
man keine konkreten Fälle zu entscheiden hat.
({2})
Uns von der Union geht es nicht um die Frage Freiheit oder innere Sicherheit?, sondern Freiheit in Sicherheit.
({3})
Jetzt kann man lange darüber streiten, ob Isensee recht
hatte, der schon 1983 das Grundrecht auf innere Sicherheit kreierte, oder ob man sich dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Papier, anschließt. Ich
empfehle den Kritikern, hierzu in der Deutschen Richterzeitung 2009, Seite 130, nachzulesen.
Siegfried Kauder ({4})
Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber den Bürgern. Damit ergeben sich Abgrenzungsprobleme bei den
Freiheitsrechten gegenüber der inneren Sicherheit, die
der Staat zu gewährleisten hat. Innere Sicherheit ist ein
hohes Gut, wie man sehr schnell an Einzelfällen feststellt.
({5})
Es gibt eben nicht nur das Freiheitsrecht eines Täters. Es
gibt auch die Menschenwürde eines möglichen Opfers.
Der stärkste Eingriff, den der Staat sich vorstellen
kann, ist der in das Leben. Schauen Sie einmal in den
Landespolizeigesetzen nach: Gibt es dort nicht den finalen Rettungsschuss? Der Staat entscheidet darüber, ob
ein Mensch lebt oder ob er zu Tode kommt. Das ist eine
Abgrenzungsfrage, die sich nach dem Paragrafen über
die Nothilfe entscheidet. Der Gesetzgeber hat aus gutem
Grund gesagt: Da geht die Menschenwürde des vermeintlichen Opfers, dem der Staat zu helfen hat, vor.
Nehmen Sie sich einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 49. Band, Seite 202 ff., vor.
Schleyer wurde entführt. Die Terroristen verlangten vom
Staat, dass für die Freilassung dieses Menschen elf Topterroristen aus dem Gefängnis entlassen werden sollten.
Entscheiden Sie bitte einmal diese Frage. Da müssen Sie
Menschenleben gegen Menschenleben abwägen; eine
andere Möglichkeit haben Sie nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat klug entschieden
und erklärt: Der Staat hat eine Fürsorgepflicht für das
Opfer. Aber es bleibt doch ein Spielraum, um im Einzelfall anders zu entscheiden. Deswegen - das ist aus Sicht
der Hinterbliebenen, der Familie Schleyer, außerordentlich schmerzhaft - hat der Staat die beantragte einstweilige Anordnung, auf die Forderungen der Terroristen
einzugehen, abgelehnt.
Sie sehen also: Die Frage der Abgrenzung ist weit
schwieriger, als Sie sich das vorstellen. Man könnte die
Beispiele endlos fortsetzen.
Es ist nicht so, dass Freiheitsrechte uneingeschränkt
gelten, dass Grundrechte absolut sind. Es gibt einen Gesetzesvorbehalt, nach dem Eingriffe in Grundrechte
denkbar sind. Wer innere Sicherheit will, muss nun einmal Eingriffe in Freiheitsrechte zulassen. Der Staat tut
das nicht aus eigenen Zwecken, sondern um die Bürger
und die Bürgerinnen zu schützen. Als das Grundgesetz
verabschiedet wurde, gab es noch keinen Computer. Als
das Grundgesetz verabschiedet wurde, gab es noch keinen Terrorismus.
({6})
Das Bundesverfassungsgericht weist zu Recht darauf
hin, dass dann, wenn sich die Formen der Kriminalität
wandeln, der Gesetzgeber und die Ermittlungsbehörden
die Möglichkeit haben müssen, auf diese gewandelten
Formen der Kriminalität angemessen zu reagieren. Deswegen wird es nichts daran ändern, dass der Gesetzgeber
immer wieder an die Grenzen dessen gehen muss, was
die Verfassung hergibt.
({7})
Der Staat muss Sicherheit gewährleisten, weil er das Gewaltmonopol hat. Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat mit diesen Rechten angemessen umgeht.
({8})
Wir Juristen wissen, dass die Eingriffe des Staates in
Grundrechte maßvoll ausgestaltet sind. Da gibt es den
Richtervorbehalt. Es ist nicht so, dass die Polizei aus
eigener Machtvollkommenheit eine Telefonüberwachung oder eine Vorratsdatenspeicherung verordnen
kann.
({9})
Es muss ein hoher Tatverdacht vorliegen. Das alles wird
vom Gesetzgeber entsprechend ausformuliert und von
den Ermittlungsbehörden angemessen kontrolliert. Wir
sollten hier nicht den Eindruck vermitteln, dass es Bundestagsabgeordnete gibt, die die Freiheitsrechte wahren,
und andere Abgeordnete, die aus Jux und Tollerei in
diese eingreifen.
({10})
- Herr Kollege Montag, auch der Gesetzgeber ist an das
Grundgesetz gebunden. Deswegen sollte man niemanden in die Ecke stellen und sagen, er halte sich nicht an
diese grundgesetzliche Vorgabe. Natürlich stehen alle
Gesetze unter dem Vorbehalt einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts. Aber es soll sich bitte niemand etwas vormachen: Wir sind der Gesetzgeber und
kein Gericht und können nicht über die eigenen Gesetze
entscheiden. Es wird immer wieder vorkommen, dass
ein Jurist - dazu zählen auch Verfassungsrichter - eine
andere rechtliche Auffassung vertritt als der Gesetzgeber.
({11})
Dieser Diskussion müssen wir uns stellen, aber in einer
würdevollen, angemessenen Art und Weise, die nicht nur
das Grundrecht der Freiheit mit einem Tunnelblick betrachtet, sondern das Problem praktische Konkordanz
einbezieht. Da lässt sich manches lösen. Grundgesetz bedeutet auch, dass Grundrechte im Spannungsverhältnis
zueinander stehen. Da hat nicht immer nur der eine oder
der andere Recht, sondern wir müssen uns Mühe geben,
dass wir der Würde des Grundgesetzes gerecht werden.
Dazu lade ich Sie recht herzlich ein.
Wir dürfen an die Bevölkerung nicht die Botschaft
aussenden, dass das Parlament über Grundrechte streitet,
sondern dass das Parlament über Grundrechte sachlich
diskutiert, auch im Einzelfall, wenn es um Gesetze geht,
sachlich bleibt. Darum bitte ich Sie. Aus dem Rechtsausschuss bin ich das gewohnt. Deswegen sollten wir auch
Siegfried Kauder ({12})
bei Schaufensterreden nicht anders handeln als in den
Ausschüssen. Dazu lade ich Sie ein.
({13})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Max
Stadler das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Am 8. März hat Bundesinnenminister Schäuble
in einem Interview das Bundesverfassungsgericht kritisiert, weil es sich mit der einstweiligen Anordnung gegen die Vorratsdatenspeicherung angeblich zu sehr in
die Politik einmische. Wir teilen diese Auffassung ganz
und gar nicht. Ganz im Gegenteil! Wenn der Bundestag
Gesetze verabschiedet, die unzulässig in die Grundrechte eingreifen, dann ist es die Pflicht der Karlsruher
Richter, sich einzumischen. Und das hat das Bundesverfassungsgericht getan.
({0})
Herr Gehb, Sie wissen genau: Andere Gesetze, über die
wir hier streitig verhandelt haben, stehen dort noch zur
Prüfung an. Sie können sich nicht darauf berufen, dass
alles, was Sie hier gemacht haben, problemlos gewesen
sei.
({1})
Ich komme jetzt zu dem entscheidenden Punkt, den
Herr Kauder angesprochen hat. Unser Eindruck aus der
Gesetzgebung der letzten Jahre nicht nur der Großen Koalition, sondern auch der rot-grünen Vorgängerregierung
ist in der Tat, dass hier das praktiziert wird, was Sie beschrieben haben, nämlich dass man an die Grenzen der
Verfassung geht.
({2})
Wenn man an die Grenzen der Verfassung geht, läuft
man aber Gefahr, dass man diese Grenzen überschreitet.
({3})
Sie können doch nicht bestreiten, dass das Bundesverfassungsgericht in einer Fülle grundlegender Entscheidungen der letzten Jahre die Gesetzgebung korrigiert
hat, und zwar - das gebe ich zu - nicht nur des Bundestags, sondern auch von Landesparlamenten. Das sollte
Anlass sein, darüber nachzudenken, ob es die richtige
Politik sein kann, bei Eingriffen in die Bürgerrechte immer sozusagen den äußersten Spielraum auszunutzen.
Wir meinen, der Bundestag selber, die Parlamente selber
müssen eine grundrechtsorientierte Gesetzgebung betreiben.
({4})
Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel für das, was ich
meine, das bisher nicht im Mittelpunkt der Reden gestanden hat, mir aber unvergesslich bleiben wird. Sie haben als Große Koalition Einschränkungen beim Ehegattennachzug von Ausländern beschlossen. Das ist
aufgrund unserer Kritik und der Kritik der anderen Oppositionsfraktionen hier streitig verhandelt worden. Der
Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, der Kollege Edathy, hat im Plenum gesagt, er
stimme dem Gesetz zwar zu, aber er sei sicher, dass es
vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werde.
({5})
- Er hoffe sogar darauf.
Das heißt, Teile des Gesetzgebers beschließen hier
Gesetze, von denen sie selber der Meinung sind, sie
seien verfassungswidrig.
({6})
Das können wir als Opposition doch nicht unkommentiert einfach nur zur Kenntnis nehmen; darauf muss man
hinweisen dürfen.
({7})
- Einen Moment! Ich komme gerade zu Ihnen. - Ich will
später das Protokoll lesen, aber wenn ich es richtig im
Ohr habe, haben Sie vorhin gesagt, Herr Gehb, dass wir
Freien Demokraten, wir Liberalen, mit unserer Kritik daran, dass der Gesetzgeber Grundrechte nicht genügend
beachtet, Extremisten stark machen würden. Das ist ein
so ungeheuerlicher Vorwurf,
({8})
dass Sie gut daran täten, sich jetzt und hier zu entschuldigen, Herr Kollege Gehb; darauf warten wir noch.
({9})
Ich komme zum Ende und will einen vielleicht versöhnlichen Abschluss finden. - Manchmal kommen Vorlagen, die im Bundestag gescheitert sind - ich denke
etwa an die Vorratsdatenspeicherung; da haben wir einmal einstimmig gesagt: das wollen wir nicht -, über Europa zurück, natürlich deshalb, weil die Bundesregierung sie dort gebilligt hat.
({10})
Deswegen ist es sehr begrüßenswert - das sage ich als
überzeugter Europäer -, dass das Bundesverfassungsgericht in den Randnummern 240 und 241 der LissabonEntscheidung sich eine Prüfungskompetenz bezüglich
grundrechtseinschränkender Rechtsakte der Europäischen Union vorbehalten hat.
({11})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich schließe mit folgendem Ausblick: Das Verfassungsgericht hat uns den Hinweis gegeben, für diese
wichtige Grundrechtsüberprüfung doch einen eigenen
Rechtsweg vorzusehen. Wir schlagen vor, dem jetzt
gleich im August und im September im Begleitgesetz
nachzukommen.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei der Vorbereitung auf die Debatte heute habe ich mir
überlegt, muss ich gestehen, auch einige kritische Anmerkungen zum Stand der Umsetzung des Grundgesetzes und der Grundrechte in unserer Gesellschaft zu machen. Nach dem Stand der Debatte, wie ich ihn jetzt
sehe, lasse ich das lieber. Ich möchte nicht zu denjenigen
gehören, die ein Bild von dem Zustand dieses Landes
vermitteln, das dem entspricht, das die Kollegin Pau
oder die Kollegin Piltz hier dargestellt haben.
({0})
Wenn andere von außen auf unser Land schauen und
diese Debatte hören,
({1})
verstehen sie nicht, worüber wir in diesem Land reden.
({2})
Eine zweite Bemerkung. Damit wende ich mich noch
einmal an die Kollegin Piltz, aber auch an den Kollegen
Dr. Stadler. - Ich bin nun mal - ich bekenne mich ausdrücklich dazu - 13 Jahre Mitglied der FDP gewesen.
Ich kann Ihnen aus dieser Erfahrung sagen: Jawohl, es
hat eine Zeit gegeben, in der die FDP eine Bürgerrechtspartei par excellence war.
({3})
Eines sollten wir an dieser Stelle bitte nicht tun - ich versuche, das auch ganz ruhig und ganz cool zu machen -:
sich hier aufzuspielen - Sie haben dem Kollegen Kauder
und dem Kollegen Dressel das vorgeworfen - als Oberlehrer in Sachen Bürgerrechte. Das steht Ihnen nicht an,
das steht uns nicht an; wir sollten hier in aller Ruhe und
mit aller Fairness diskutieren. Das wäre der angemessene Rahmen für diese Debatte heute gewesen.
({4})
Das Thema „Großer Lauschangriff“ ist angesprochen worden. Sie können doch nicht sagen: Was das
Bundesverfassungsgericht in den letzten acht Jahren entschieden hat, ist ein Beleg dafür, dass Rot-Grün und dass
die Große Koalition permanent die Verfassung gebrochen haben. Das ist der Eindruck, den Sie hier vermitteln.
Bei aller Kritik an der einen oder anderen Vorlage
- auch ich habe nicht alles mitgetragen, was wir in dieser
Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben -: Der
Eindruck, dass die rot-grüne Koalition und dass die
Große Koalition Koalitionen der Verfassungsbrecher gewesen sind, ist wirklich das Letzte, was man in diesem
Lande vermitteln darf. Das geht überhaupt nicht.
({5})
Sie, Frau Piltz, und auch Sie, Frau Pau, haben gesagt,
anlässlich des 60. Jahrestages des Grundgesetzes seien
Fensterreden gehalten worden, auch anlässlich des
60. Jahrestages der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ich habe zahllose Veranstaltungen dieser Art miterlebt. Es gab eine großartige
offizielle Veranstaltung der evangelischen Kirche gemeinsam mit der Frau Justizministerin am Gendarmenmarkt. Jeder, der die ernsthaften Debatten zum Beispiel
im Hinblick auf die Zuwanderung, das Zuwanderungsrecht und die noch immer nicht erfolgte Rücknahme des
Vorbehalts zur Kinderrechtskonvention verfolgt hat,
wird Ihnen sagen, dass Sie hier Fensterreden für Ihre politische Partei halten.
({6})
Das ist zwar nicht generell verkehrt, aber auf jeden Fall
bei diesem Thema.
Das finde ich sehr schade, weil die von Ihnen gestellte
Anfrage aus meiner Sicht wichtig ist; der Kollege
Montag hat schon das eine oder andere Manko bei der
Fragestellung und der Formulierung angesprochen.
({7})
Ich teile auch nicht jedes Detail der Antwort der Bundesregierung. Aber wir hätten die Anfrage zum Anlass nehmen sollen, eine ehrliche Bilanz zu ziehen.
Die ehrliche Bilanz ist nicht, dass das Grundgesetz
und damit die politische und gesellschaftliche Verfassung dieses Landes in einem schlechten Zustand sind.
Das ist definitiv nicht der Fall.
({8})
- Das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe überhaupt
kein Problem damit, über all das in der Sache zu diskutieren, was streitig ist.
Ich will noch etwas zur Vorratsdatenspeicherung
sagen, weil ich den Eindruck habe, dass angesichts der
einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts diesbezüglich etwas Falsches kolportiert wird.
Meine größten Bedenken bezogen sich nicht auf die
Zeugnisverweigerungs- und Zeugenschutzrechte. Meine
größte Sorge war, dass die Vorratsdatenspeicherung ein
Paradigmenwechsel hin zur verdachtslosen und anlasslosen Aufnahme von persönlichen Daten ist; das haben Sie
schon angesprochen, Herr Stadler.
({9})
Aber Sie müssten der Ehrlichkeit halber dazusagen, dass
gerade dies vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht
beanstandet worden ist.
({10})
- Herr Kollege Stadler, ich kenne mich auch ein bisschen in der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung
aus, und wir wissen doch, dass das Bundesverfassungsgericht in aller Regel bei der Linie bleibt, die es im einstweiligen Anordnungsverfahren festgelegt hat. Da gerade
der Paradigmenwechsel, den auch ich als gefährlich angesehen habe, in der einstweiligen Anordnung nicht beanstandet wurde, spricht - jedenfalls nach meiner Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nichts dafür, dass dies im Hauptsacheverfahren aufgehoben wird.
Ich persönlich bedaure das. Aber verkünden Sie hier
bitte nicht in vorauseilendem Gehorsam, dass das Verfassungsgericht das Gesetz aufheben wird.
({11})
Wir sollten bei der Sache bleiben. Ich bitte darum, die
Diskussion über die Grundrechte und die Verfassungsrechte ernsthaft und nach vorne schauend zu führen. Die
Bundesregierung hat - das ist noch gar nicht angesprochen worden - in den letzten fünf Jahren - Rot-Grün hat
damit begonnen - internationale Vereinbarungen umgesetzt, zum Beispiel das Zusatzprotokoll zum AntiFolter-Abkommen. Das sollte man einmal lobend erwähnen; denn das hat keine Regierung vor uns hinbekommen.
Eine größere Gefahr als von diesem Parlament oder
anderen Bewegungen geht von Kommentierungen wie
der von Matthias Herdegen aus, der sagt, die Leitlinie
unserer Verfassung, die Menschenwürde, ist nicht unantastbar, sie ist relativierbar. Solchen Tendenzen sollten
wir gemeinsam entgegentreten. Dann wäre es ein guter
Tag für die Grundrechte.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss.
Frau Präsidentin, es hat etwas gedauert: Der Weg vom
Piratenstühlchen bis zum Rednerpult ist ein bisschen
weit.
Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Karlsruhe ist die Residenz des Rechts. Das ist auch die Region, aus der ich komme. Dort geschehen in letzter Zeit
merkwürdige Dinge. Die CDU, lieber Herr Kollege
Kauder, hat eine Computerspieleveranstaltung und eine
Elterninformation unter Beteiligung der Bundeszentrale
für politische Bildung, die dort vorgesehen war, massiv
mit öffentlichem Druck verhindert. Sie hat die Stadtverwaltung gezwungen, rechtsverbindliche Verträge mit
dem Veranstalter zu brechen. In Karlsdorf-Neuth, auch
in meiner Region, musste eine LAN-Party aufgrund des
Drucks der CDU abgesagt werden. Junge Leute, die einen Verein gegründet haben, sitzen auf Tausenden von
Euro an Schulden.
Jugendliche Gamer werden als Killerspieler verunglimpft. Zu Recht sind bei mir in der Region Hunderte
von Jugendlichen auf die Straße gegangen. Auf Anhieb
hat deren Interessenvertreterin, die Piratenpartei, bei der
Europawahl in Karlsruhe über 2 Prozent der Stimmen
geholt. Das ist ein gutes und ermutigendes Zeichen.
Am Dienstag wurde auf dem Karlsruher Marktplatz
ein Bundestagskandidat der Grünen unter Androhung
von Haft von zwei Polizisten gepackt, durchsucht und
des Platzes verwiesen, nur weil er nach der Berechtigung
einer martialischen und in sich ungerechtfertigten Polizeiaktion gegen friedliche junge Leute gefragt hat. Das
ist im Gegensatz zu allen salbungsvollen Reden der Zustand in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass noch nicht einmal Bundestagskandidaten ohne Bedrohung durch staatliche Gewalt friedlich auf einem
Platz auftreten können. Unter diesem Gesichtspunkt ist
die Videoüberwachung von Plätzen vielleicht ganz anders zu bewerten und insofern als sinnvoll anzusehen,
weil dadurch so etwas festgehalten werden kann.
Diese drei kleinen Beispiele aus Karlsruhe zeigen,
wie sehr sich die Wirklichkeit von dem salbungsvollen
Geschwätz der Union abhebt. Karlsruhe musste in Bürgerrechtsfragen mehrfach mehrheitlich gefällte Parlamentsentscheidungen korrigieren. Karlsruhe, lieber Kollege Gehb, wurde von Minister Schäuble, der ja
eigentlich auch Verfassungsminister sein sollte, dafür
auch noch beschimpft.
Ich war immer gerne Bundestagsabgeordneter. Als
deprimierend empfand ich es - der Kollege Stadler hat
darauf hingewiesen -, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier, also nicht nur eine oder einer, gesagt haben: Ich
stimme dem einen oder anderen Gesetz zu, die Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe werden dieses hoffentJörg Tauss
lich wieder korrigieren. - Das stellt in der Tat eine Gefährdung der parlamentarischen Demokratie in diesem
Lande dar, weil sich so der Vorwurf: „Was machen die
da eigentlich?“, immer mehr aufdrängt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, derzeit finden unter
dem Schlagwort, das Internet dürfe kein rechtsfreier
Raum sein - diese Formulierung findet sich auch im
Programm der Union wieder -, massive Anschläge auf
die Bürgerrechte statt. Dieses dumme Geschwätz vom
rechtsfreien Raum Internet -
Lieber Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Der Kollege Kauder würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Aber bitte schön, lieber Kollege Kauder.
Herr Kollege Tauss, Sie haben gerade behauptet, es
gäbe Kollegen und Kolleginnen, die wider besseres Wissen Gesetzen zustimmen würden, weil sie davon ausgingen, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das
entsprechende Gesetz aufhebe. Nennen Sie bitte Ross
und Reiter!
Lieber Kollege, ein Name ist gefallen. Ich denke aber,
es gehört der Fairness halber dazu, dass ich Kolleginnen
und Kollegen, die mir dieses in persönlichen Gesprächen
gesagt haben, hier nicht in dieser Form oute.
({0})
Ich bin aber gerne bereit, Ihnen in einem persönlichen
Gespräch die Namen zu nennen.
({1})
Es ging insbesondere um die Frage der Vorratsdatenspeicherung. Viele haben mir gesagt, dass das, was hier passiert, zu weit geht, lieber Kollege Kauder.
({2})
Derzeit findet, wie gesagt, von deutschen Christdemokraten und chinesischen Zensoren, vom russischen
Putin und von iranischen Mullahs in froher Eintracht
eine Debatte über das Internet statt. Allen ist aus unterschiedlichen Gründen - das billige ich ihnen zu - eines
gemein: Ihnen ist freie Kommunikation und Netzneutralität ein Dorn im Auge. Das gefährdet in der Tat auch
in Deutschland Freiheitsrechte, lieber Kollege Kauder.
Es ist überhaupt kein Zufall, dass der innenpolitische
Sprecher Ihrer Fraktion - ich nenne hier einen Namen,
weil er es öffentlich getan hat -, der Kollege Uhl, in aller
Deutlichkeit gesagt hat, in Sachen Überwachung müsse
man von China lernen. Ich überlege mir, was in diesem
Lande geschehen und was in der Presse losgewesen
wäre, wenn von der linken Seite des Hauses irgendjemand gesagt hätte, wir müssten in der Innenpolitik von
China lernen.
({3})
Herr Uhl kann das ungestraft tun. Das ist der eigentliche
Skandal, gerade in einer Situation, in der wir über
Grundrechte diskutieren.
Es findet sich erfreulicherweise eine immer größere
Zahl von Menschen, auch aus dem konservativen Bereich, denen die Entwicklung des Rechtsstaates und der
Umgang mit den Grundrechten in Deutschland Sorge bereitet. Kollege Strässer, wir marschieren entgegen Ihrer
Auffassung in Rankings, in denen es um die Beschneidung der Pressefreiheit geht, immer schneller in die
Nähe von Staaten, mit denen wir nicht verglichen werden wollen. Es gibt bei uns das Monstrum der Vorratsdatenspeicherung, den Biometriewahn, die Onlinedurchsuchung. Erst wurde die Strafprozessordnung geändert
- darüber habe ich viele Auseinandersetzungen mit dem
Kollegen Stünker gehabt -, dann die Telekommunikationsüberwachung eingeführt. Dann wurde umgekehrt
vorgegangen: Internetfirmen müssen ohne nennenswerte
Entschädigung für den Staat Überwachungsstrukturen
aufbauen. Das sind Dinge, die in Österreich bereits als
verfassungswidrig erkannt wurden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie soll ich Zehntausenden jungen Menschen, die hier eine Petition einbringen, erklären, dass sie dies hätten bleiben lassen
können, weil alte graue Herren mit Kugelschreibern
keine Argumente hören wollen?
({4})
Darauf folgt zurzeit eine große Politisierung mit dem
Schlagwort: Fürchtet euch davor, dass wir nicht mehr
politikverdrossen sind. - In der Tat: Von der Union, die
von Paintball bis hin zu Computerspielen alles verbieten
will, was Jugendkultur ausmacht, erwarten sie ohnehin
nichts mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist allerdings bitter: Wenn man auf Google das Stichwort „Verräterpartei“ eingibt - das tut mir nach 38 Jahren immer noch
weh -, dann erscheint als Suchergebnis „SPD“.
Die Demonstranten in Berlin haben gerufen: Wir sind
hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut! - Das
ist zwar nicht gerade originell, aber treffend. Dies spiegelt die Stimmung in weiten Teilen der jungen Generation wider, und aus diesem Grunde danke ich der FDP
für diese Debatte. Eine Frage müssen Sie uns aber bitte
beantworten, Frau Piltz, Kollege Stadler und alle anderen, und zwar vor der Bundestagswahl, weil Sie und
auch viele Grüne liebend gerne mit der CDU ins Regierungsbett wollen:
({5})
Wie halten Sie es mit dem Wahlprogramm der CDU,
diesem Programm der Bevormundung, diesem Programm des Ganges in den Überwachungsstaat? - Diese
Frage müssen Sie nicht nur uns Piraten, sondern allen
Bürgerinnen und Bürgern im Land beantworten.
({6})
Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Tauss, jeder blamiert sich selbst so gut er
kann. Sie haben heute die volle Punktzahl erreicht. Herzlichen Glückwunsch.
({0})
Mehr möchte ich zu Ihrer Rede auch gar nicht sagen.
Denn das würde diese nur unnatürlich aufwerten.
Es ist schon viel über die Qualität der Fragen und
auch über die Qualität der Antworten gesagt worden.
Dazu sage ich: Eines bedingt das andere. Jeder kann für
sich selbst entscheiden, ob er es gut findet oder nicht. Ich
bin dem Kollegen Strässer an der Stelle sehr dankbar für
seine Rede.
Frau Piltz fing an, und dann schaukelte sich die Debatte über ein Thema, bei dem ich davon ausgehe, dass
wir es alle sehr ernst nehmen und mit dem wir auch sehr
sensibel umgehen wollen, förmlich hoch. Ich hatte fast
den Eindruck, dass ich in einem ganz anderen Staat als
der eine oder andere Kollege hier lebe.
({1})
Ab und an führen wir hier Phantomdiskussionen. Davor möchte ich nur warnen, und hier kann ich mich dem
Kollegen Strässer nur anschließen: Lassen Sie uns ernsthaft, seriös und sensibel mit dem Thema Wahrung der
Grundrechte umgehen. In gleicher Form müssen wir allerdings auch mit dem Thema umgehen, wie wir die
Grundrechte als Freiheits- und Abwehrrechte - diese
sind sie schließlich - damit in Einklang bringen, dass
sich die Zeiten, in denen wir leben, verändern und dass
wir plötzlich mit neuen Gegebenheiten umzugehen haben.
Ich plädiere nicht dafür, dass wir unser Grundgesetz
sofort aufweichen und anpassen. Ganz im Gegenteil: Ich
gehöre eher zu der Fraktion, die davor warnt, einen Neckermann-Katalog aus dem Grundgesetz zu machen.
Vielmehr geht es darum, die Qualität dieses Werkes als
solche zu respektieren. Allerdings sind wir im täglichen
Gesetzgebungsverfahren mit diesem Werk betraut. Ich
glaube, der Kollege Gehb und auch der Kollege
Siegfried Kauder haben es gut formuliert: Wir müssen
abwägen. Denn wir haben es immer mit einem Bedürfnis
zu tun, das einem anderen gegenübersteht.
({2})
- Liebe Frau Piltz, das versuchen wir doch täglich, und
ich lasse mir von Ihnen jetzt weder dazwischenreden
noch permanenten Verfassungsbruch unterstellen. Merken Sie eigentlich nicht, wie lächerlich das ist, was Sie
hier aufführen?
Wenn ich hier von veränderten Gegebenheiten spreche, dann meine ich zum Beispiel, dass wir jetzt mit einem Terrorismus - Terrorismus gab es schon immer von ganz anderer Qualität zu kämpfen haben. Sie sagen,
dass es kein Grundrecht auf Sicherheit gebe. Das mag
zwar formell richtig sein, aber materiell gibt es zumindest ein Grundbedürfnis auf Sicherheit, und dieses
Grundbedürfnis habe ich gegen die vielfältigsten Freiheitsrechte in diesem Lande abzuwägen. Ich glaube, dass
wir es in dieser Großen Koalition durchaus vernünftig
geschafft haben, diese Abwägung vorzunehmen.
Man ist nicht immer mit allem hundertprozentig und
sofort zufrieden. Und es gibt Dinge, die wir als Union
durchaus anders gemacht hätten, und diese Dinge hätte
vielleicht auch unser Koalitionspartner ohne uns anders
gemacht. Das liegt einfach in der Natur der Sache.
Aber ich muss natürlich auch sagen - an dieser Stelle
bin ich wieder beim Kollegen Kauder -: Man kann nicht
innere und äußere Sicherheit in Sonntagsreden fordern,
ohne sich dafür im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren einzusetzen. Da nützt das ständige Schielen auf die
Freiheitsrechte nichts. Es muss vielmehr abgewogen
werden. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann würden unsere Strafverfolgungsbehörden, mit denen Sie
hoffentlich auch ab und an einmal sprechen, immer nur
im VW-Käfer Verbrecher, die in einem Porsche flüchten,
verfolgen und sich mithilfe eines unhandlichen WalkieTalkies mit der Zentrale verständigen, während die Täter
technisch aufgerüstet haben. So läuft es bei Ihnen doch.
({3})
Wir werden auch mit Ihnen in Bayern noch den einen
oder anderen Strauß auszufechten haben.
Freiheit geht nicht ohne innere und äußere Sicherheit.
({4})
- Ich lasse keine Zwischenfragen zu. ({5})
Wir müssen das Vertrauen in unsere Polizei, in unsere
Staatsanwaltschaften und in unsere Gerichte haben, dass
sie mit Mitteln der Strafverfolgung, die wir ihnen sowieso nur für die äußerst schweren Fälle zur Verfügung
stellen, vernünftig umgehen. Ich lasse mir daher von Ihnen nicht permanent vorwerfen, dass durch unsere Maßnahmen unser Grundgesetz und damit unser Rechtsstaat
untergehen. So viel Vertrauen sollten wir in unsere staatlichen Institutionen haben.
Beim Schutz personenbezogener Daten bin ich mit
Ihnen einig. Der Staat muss aufpassen, dass er nicht
mehr Daten abgreift, als uns guttut. Aber ich sage auch:
Die Eigenverantwortung des Einzelnen und des Verbrauchers darf der Staat nicht aus den Augen verlieren. Denn
jeder hat es selbst in der Hand, welche Daten er herausgibt und welche er nicht herausgibt. Wer den Vorteil von
Rabattkarten mitnehmen und die Chancen von Gewinnspielen nutzen will, der muss sich im Prinzip dafür „verhaften“ lassen, wenn er Daten freiwillig preisgibt. Die
Verantwortung für die eigenen Daten kann der Staat niemandem abnehmen. Wir können nur dann einschreiten,
wenn Missbrauch stattfindet. Wir müssen uns allerdings
fragen, wie viele Daten wir wirklich erheben müssen. In
diesem Punkt liegen wir nah beieinander. Aber vergessen Sie bitte nicht die Eigenverantwortung des Einzelnen
für seine eigenen Daten.
Lieber Kollege Strässer, Sie haben die UN-Kinderrechtskonvention angesprochen. An meiner Fraktion
scheitert eine Umsetzung nicht. Es gibt zwar das Lindauer Abkommen. Aber nicht wenige Länder, in denen
zum Teil Ihre Parteifreunde und zum Teil meine Parteifreunde in der Regierung sind, sperren sich. Unsere
beiden Fraktionen und vermutlich alle Fraktionen des
Bundestages haben mehrfach versucht, hier voranzukommen. Von dieser Seite gibt es keinen Widerstand.
Wir arbeiten weiter an einer Umsetzung.
Wir sind auf keinem schlechten Weg. Wenn wir weiterhin sensibel und seriös mit den Grundrechten umgehen, dann ist mir eigentlich nicht bange. Ich bin sicher,
dass wir nicht nur jetzt den 60. Geburtstag des Grundgesetzes mit Stolz feiern können, sondern auch in Zukunft
mit Stolz auf das Grundgesetz in seiner jetzigen Form
blicken können.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Dr. Max Stadler.
Frau Kollegin Raab, nachdem Sie einen unzutreffenden Vorwurf gegen die FDP erhoben hatten, haben Sie
leider eine Zwischenfrage von mir nicht zugelassen.
Deswegen muss ich den Weg der Kurzintervention wählen, um Folgendes klarzustellen:
Wenn Sie sagen, man müsse bei der Gesetzgebung
abwägen, und wenn Sie betonen, die Union würde mehr
in Richtung Sicherheit und die FDP mehr in Richtung
Freiheit gehen, dann kann man darüber vernünftig und
seriös debattieren. Sie haben aber gemeint, uns auch deswegen kritisieren zu können, weil Sie glauben - so habe
ich Ihre Worte im Ohr -, dass die Ausstattung der Polizei und der Sicherheitsbehörden nicht konkurrenzfähig wäre, wenn es nach dem Willen der FDP ginge. So
ungefähr haben Sie es formuliert.
Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass es unsere ständige Leitlinie ist, zu sagen: Mehr Sicherheit
schafft man nicht durch mehr und unnötige Gesetze,
sondern mehr Sicherheit schafft man durch eine bessere
personelle, technische und finanzielle Ausstattung der
Sicherheitsbehörden.
({0})
- Herr Gehb, bevor Sie sich nicht wegen Ihrer unsäglichen Äußerung, wir würden mit unserer Kritik, dass in
der Gesetzgebung die Grundrechte nicht genügend geachtet werden, Extremismus fördern, entschuldigt haben, höre ich Ihnen nicht mehr zu. Das sage ich Ihnen
ganz deutlich.
({1})
Frau Kollegin Raab, ich komme noch einmal zu dem
entscheidenden Punkt. Sie meinen, wir hätten für innere
Sicherheit nichts übrig und die Ausstattung wäre ungenügend, wenn die FDP etwas zu sagen hätte. Ich habe Ihnen unseren Grundsatz genannt: Mehr Sicherheit gibt es
durch eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden.
Das sagen wir nicht nur, sondern so handeln wir auch.
Wir haben in der bayerischen Koalitionsvereinbarung,
die die FDP mit der CSU getroffen hat, durchgesetzt,
dass der Personalfehlbestand bei der Polizei in Bayern
bald der Vergangenheit angehören wird.
({2})
Wir haben durchgesetzt, dass dort 1 000 neue Planstellen
für Polizisten geschaffen wurden, weil wir davon überzeugt sind, dass die Sicherheitsbehörden Personal brauchen und keine unnötigen und tief in die Bürgerrechte
eingreifenden Gesetze. Dies wollte ich Ihnen gesagt haben, weil Sie hier den gegenteiligen Eindruck erweckt
haben.
({3})
Frau Kollegin Raab, bitte.
Lieber Kollege Stadler, ich bin Ihnen für diese Kurzintervention durchaus dankbar. Ich habe das Beispiel
„VW-Käfer gegen Porsche“ bewusst gewählt. Sie wissen, dass wir hier keine Rechtsvorlesung halten, sondern
das eine oder andere etwas plastischer rüberbringen wollen.
Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Klarstellung. Das finde
ich ganz wundervoll. Ich teile allerdings auch den Zwischenruf des Kollegen Gehb. Wir sind uns doch einig:
Eine gute personelle und materielle Ausstattung der
Polizei- und Sicherheitsbehörden ist das A und O. Das
ist sehr wichtig. Anders ist Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nicht denkbar. Ich erwarte aber auch, dass wir
da, wo es notwendig und im Rahmen unseres Grundge26130
setzes möglich ist, der Polizei die Möglichkeit geben,
mit potenziellen Kriminellen auf Augenhöhe zu verhandeln und diese auch zu verfolgen. Ich sage ganz bewusst:
Im Rahmen des Grundgesetzes.
Ich habe vom Porsche, der vorweggaloppiert, und
vom Käfer, der hinterherfährt, gesprochen, um deutlich
zu machen, dass die Polizeien vor Ort manchmal andere
Voraussetzungen haben. Manche kommen beim technischen Fortschritt nicht hinterher, und zwar nicht nur,
weil sie technisch nicht ausreichend gut ausgestattet
sind, sondern auch, weil sie die Befugnisnorm, um einzugreifen, gar nicht haben. Darum geht es mir. Das sage
ich an in dieser Stelle ganz deutlich.
Wenn wir hier einen kleinen Widerspruch aufgeklärt
haben, bin ich froh darüber. Ich denke aber, dass wir uns
an der einen oder anderen Stelle, insbesondere bei den
Befugnisnormen, nicht so ganz einig sind. Wir versuchen aber, eine Einigung zu finden. Mir ging es nicht nur
um die sachliche und personelle Ausstattung, sondern
auch um die Befugnisnormen, die sich selbstverständlich
immer im Rahmen des Grundgesetzes zu bewegen haben.
Vielen Dank.
Für die Bundesregierung hat nun das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe lange nicht mehr als letzter Redner
geredet. Jetzt kann ich nachvollziehen, welche Bauchschmerzen der letzte Redner manchmal hat, wenn er auf
seinen Einsatz warten muss. Aber ganz davon abgesehen, war es spannend.
Als wir die heutige Tagesordnung erstellten, nahmen
wir an, dies würde der letzte Sitzungstag dieser
16. Wahlperiode sein. Wir dachten, die FDP hätte praktisch in letzter Minute noch einmal zu einer Debatte über
die Grundrechte aufgerufen. Ich sage: Dass Sie das gemacht haben, das war gut so.
({0})
- Das ist schön, nicht? Der Pfeffer kommt noch. Nur ruhig Blut!
Das Grundgesetz ist der große Wurf der deutschen
Verfassungsgeschichte,
({1})
und dies vor allem wegen der Grundrechte. Sie sind das
A und O unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Sie sind der Anfang unserer Verfassung. Die Einhaltung der Grundrechte ist aber auch das Ziel, das wir
bei jedem unserer Gesetze zu bedenken und zu erreichen
haben. Von daher lohnt es sich durchaus, am Ende dieser
Wahlperiode innezuhalten und Bilanz zu ziehen, wie es
- so haben Sie es formuliert - um die Achtung der
Grundrechte in unserem Staat, aber auch in unserer Gesellschaft bestellt ist.
Freilich wünscht man sich dabei etwas mehr Seriosität als diese Große Anfrage aufweist. 167 Fragen sind
zwar eine Masse, aber haben sie auch Klasse? Dahinter
setze ich drei Fragezeichen.
({2})
- Frau Piltz, die Antworten sind genauso wie die Fragen.
Manche Fragen haben eben keine anderen Antworten
verdient.
({3})
- Jetzt hören Sie einfach einmal zu.
Sie beschwören Gefahren, sogar Bedrohungen herauf,
die sich nach Ihrer Meinung in den letzten Jahren offenbar verschärft haben. Doch wie hat man sich - so wäre
zurückzufragen - die Bedrohung eines Grundrechts in
unserem Land vorzustellen? Wo ist denn der Zustand
eingetreten, dass irgendeines unserer Grundrechte seinen
Zweck, die Bürgerinnen und Bürger gegen Übergriffe
der öffentlichen Gewalt zu schützen, nicht mehr erfüllt?
Ganz im Gegenteil: Wir erleben täglich, dass die Grundrechte ein enorm starker Faktor unseres gesellschaftlichen Lebens und Bewusstseins sind. Dabei denke ich zuallererst an unsere eigene Arbeit hier im Deutschen
Bundestag. Der Einwand, diese oder jene geplante Regelung sei verfassungswidrig, ist allgegenwärtiger Begleiter vieler Gesetzesvorhaben, die wir zu beraten haben. Er
gehört zum Standardrepertoire jeder betroffenen Lobby.
Natürlich nehmen wir jeden ernst und prüfen alle Vorbehalte genau.
Dass jeder, der sich durch die öffentliche Gewalt in
seinen Grundrechten verletzt sieht, die Möglichkeit zur
Verfassungsbeschwerde hat, ist eine tragende Säule des
Grundrechtsschutzes und kein Fehler, wie es oft dargestellt wird.
({4})
Im Jahr 2008 sind beim Bundesverfassungsgericht
6 245 Verfassungsbeschwerden eingereicht worden, allerdings in der Regel gegen behördliche oder gerichtliche Einzelentscheidungen. 111 davon waren erfolgreich;
das ist keine sehr große Zahl. So gesehen: Haben die
Kassandrarufe der FDP, Grundrechte in Deutschland
seien gefährdet oder gar bedroht, nicht etwas Irreales
oder von mir aus auch Virtuelles?
Manch einer meint, eine Gefährdung oder Bedrohung
der Grundrechte daraus ableiten zu können, dass das
Bundesverfassungsgericht in der Tat gesetzliche Regelungen für grundrechtswidrig erklärt. Aber wie oft geschieht das wirklich? Im Jahr 2008 waren es 14 Vorschriften, sieben aus dem Bundesrecht und sieben aus
dem Landesrecht. Sicherlich ist jedes Mal, wenn sich
eine Vorschrift als verfassungswidrig erweist, ein Mal zu
viel; aber sieben einzelne Gesetzesvorschriften sind angesichts der Vielzahl der im Bundesgesetzblatt verzeichParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
neten Gesetze eine geringe Fehlerquote; sie liegt unterhalb von 0,1 Promille.
({5})
Ich möchte das nicht bagatellisieren; aber ich möchte
dieses Verhältnis auf jeden Fall einmal deutlich machen.
({6})
Ein anderer untauglicher Versuch, eine Gefährdung
oder gar Bedrohung der Grundrechte zu suggerieren, besteht darin, zählen zu wollen, wann welche Gesetze in
welche Grundrechte eingegriffen haben. Soweit auch
dies Gegenstand der Großen Anfrage war, hätten nahezu
alle Gesetze angeführt werden müssen, die wir hier beraten und verabschiedet haben. Die große Zahl wäre aber
Beleg für die Achtung der Grundrechte und nicht für
eine Gering- oder Missachtung gewesen. Denn die
Funktion eines Gesetzes besteht gerade darin, allein die
gewählte Volksvertretung - ich bedauere, dass Peter
Danckert nicht anwesend ist; er legt immer großen Wert
darauf - entscheiden zu lassen, ob, wo und wie der Staat
in Grundrechte eingreifen darf.
Ich erinnere die FDP gerne - Herr Dressel hat es
schon einmal getan - an ihren Part beim großen
Lauschangriff in der 13. Legislaturperiode. Ich bitte,
dass Sie, Herr Stadler und Frau Piltz, sich einmal die
Frage stellen, ob Ihr Einknicken damals nicht der eigentliche Sündenfall gewesen ist.
({7})
- Unserer auch; ich behaupte nichts anderes. Aber Ihrer
war es mit Sicherheit.
Im Übrigen bemerkt man bei Frage 24 Ihrer Großen
Anfrage eine gewisse Regierungsentfremdung der FDP.
({8})
Seit 1949 werden alle Gesetze einer verfassungsrechtlichen Vorkontrolle unterzogen: einmal durch das Bundesministerium der Justiz und ein weiteres Mal durch
das ebenfalls hier vertretene Bundesministerium des Innern. Was soll da noch eine sogenannte verpflichtende
Vorabprüfung? Bringt sie zusätzlich etwas, ohne einen
bürokratischen Popanz aufzubauen? Unsere Grundrechte
sind also in einer guten Verfassung, was indes nicht ausschließt, dass wir alles ständig zu hegen, zu pflegen und
zu entwickeln haben. Das ist auch in der jetzt zu Ende
gehenden Wahlperiode an vielen Stellen geschehen.
Einige Baustellen, die in der Großen Anfrage zu
Recht angesprochen wurden, möchte ich ausdrücklich
erwähnen. So war es durchaus ein offener Punkt unserer
Rechtsordnung, wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht am Lebensende geschützt und verwirklicht werden soll, Stichwort: Patientenverfügung. Hier haben wir
alle mit großem Ernst um eine Lösung gerungen. Wir haben uns auch die dafür erforderliche Zeit gelassen. Ohne
Empfehlungen der Fraktionen oder Ausschüsse und
ohne Regierungseinfluss konnten wir am 18. Juni dieses
Jahres unsere persönliche Wahl zwischen mehreren vorgeschlagenen Regelungsmodellen treffen. Wenn das
nicht eine Sternstunde des Parlaments und eine Bestätigung der verfassungsmäßigen Ordnung in diesem Parlament war, dann weiß ich nicht, was sonst.
({9})
Mit berechtigter Sorge wurden in der Großen Anfrage
auch Probleme angesprochen: der Datenschutz, das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, im
nichtöffentlichen Bereich durchzusetzen, die Überwachung von Beschäftigten, Adresshandel, Scoring und
Datenschutzaudit. All diese Themen haben die Gesetzgebung in der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode beschäftigt. Ich denke, wir werden heute Nachmittag ein
Gesetz auf den Weg bringen, das zumindest aus meiner
Sicht ein vernünftiges Gesetz ist.
Beachtliches haben wir alle - ich betone ausdrücklich: wir alle -, wie ich finde, auch bei der Förderung
von Kindern und Familien geleistet. Die Große Anfrage macht es zum Problem des Art. 6 Grundgesetz,
dass es noch immer zu wenige Kinderbetreuungsplätze
gebe. Das wird sich ändern. Mit dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz vom Dezember 2007 und dem Kinderförderungsgesetz vom Dezember 2008 wird eine
neue Betreuungsquote von 35 Prozent festgelegt, und
gleichzeitig wird damit die Finanzierung dieses Ziels sichergestellt. Im Übrigen ist die Kinderbetreuung zumindest zum Teil auch eine kommunale Aufgabe; das sollten
wir nicht vergessen.
Ich will nicht verhehlen, dass manche Gesetzesvorhaben dieser Wahlperiode auch schwierig waren, insbesondere im Hinblick auf die rechte Ausgewogenheit
zwischen dem Schutz der Grundrechte und der Notwendigkeit, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vor
Gefahren zu schützen. So haben wir Ende 2007 im schon
vielfach angesprochenen Gesetz zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung die Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, Verkehrsdaten
für Strafverfolgungsmaßnahmen zu speichern. Hiergegen wurden einige Verfassungsbeschwerden eingereicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer einstweiligen
Verfügung die Auskunft, nicht aber die Speicherung eingeschränkt. Ich bin, wie auch der Kollege Strässer, der
Meinung, dass sich die Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht letztlich treffen wird, daran in etwa
abzeichnet.
Ähnlich mühevoll war es, das Gesetz zur Abwehr von
Gefahren des internationalen Terrorismus durch das
Bundeskriminalamt so zu gestalten, dass unser Staat
einerseits terroristischen Bedrohungen wirksam begegnen kann und andererseits die neuen Befugnisse des
Bundeskriminalamtes rechtsstaatlich beherrschbar bleiben. Auch gegen dieses Gesetz wurde öffentlichkeitswirksam Verfassungsbeschwerde erhoben. Wir brauchen
uns deshalb aber nicht zu verstecken. Denn gerade die
Überprüfung des Gesetzgebers macht die Stärke des
Rechtsstaates aus. Deswegen fürchten wir das Bundesverfassungsgericht auch nicht, wie manche meinen.
Es mag sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es
andere Verfassungen gibt, in denen mehr versprochen
wird und die blumiger abgefasst sind als unsere. Aber
ich glaube, mit Fug und Recht sagen zu dürfen, dass es
nur wenige Verfassungen auf der Welt gibt, die die
Grundrechte der Bürger so sehr schützen und vor allen
Dingen ihre Durchsetzbarkeit so sehr gewährleisten wie
unsere. Ich glaube, ohne unbescheiden zu sein, dass Sie
alle darauf stolz sein können.
({10})
Zum Schluss bleiben die Fragen: Wie halten wir es
mit den Grundrechten selbst? Wäre es an der Zeit, den
Grundrechtsteil unserer Verfassung an neuere Entwicklungen anzupassen? Die in Ihrer Großen Anfrage gestellte Frage, ob die Bundesregierung Grundrechtsänderungen plane, war zu verneinen. Die heutige Debatte
- auf den letzten 25 Metern dieser Legislaturperiode
möchte ich mir erlauben, auch einmal meine persönliche
Meinung zu sagen - bietet allerdings die Chance zu einem Ausblick auf die vor uns liegende Wahlperiode. Ich
will nicht alle derzeit diskutierten Vorschläge ansprechen, sondern beschränke mich auf drei Bereiche, in denen mir eine behutsame Weiterentwicklung möglich und
auch mehrheitsfähig erscheint.
An erster Stelle nenne ich die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz.
({11})
Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes bringt
ein Eltern-Kind-Verständnis zum Ausdruck, das längst
nicht mehr unseren Vorstellungen entspricht. Für sinnvoll halte ich eine Regelung, die jedem Kind ein Recht
auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit,
vor allem auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen
Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung
zuspricht. Die Rechte des Kindes zu achten, zu schützen,
zu fördern und für kindgerechte Lebensbedingungen zu
sorgen, erfordert keinen revolutionären Mut; denn entsprechende Regelungen sind mittlerweile in fast allen
Landesverfassungen vorhanden.
Herr Staatssekretär, ich muss Sie schon ein bisschen
auf die Redezeit hinweisen.
Ich bin gleich am Ende meiner Rede.
Sonst ist die Geduld der Kollegen überstrapaziert.
Ich glaube, die hören mir alle gespannt zu, oder?
({0})
- Gut. Trotzdem muss ich noch zwei Dinge ganz kurz
ansprechen; dann komme ich in der Tat zum Schluss,
Frau Präsidentin.
Ich bitte herzlich darum.
Wir müssen darüber nachdenken, das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz um das Merkmal der sexuellen Identität zu ergänzen. Wir sollten uns auch darum
bemühen, in Art. 6 die Lebenspartnerschaft der Ehe
gleichzustellen.
({0})
Ich weiß, das findet nicht überall Zustimmung. Ich
möchte mit diesen drei Denkanstößen schließen. Ich bin
sicher, dass sich der nächste Bundestag damit beschäftigen wird. Das müssen Sie dann allerdings ohne mich in
Angriff nehmen.
({1})
Ich bin gespannt, wie sich die FDP verhalten wird.
Es ist meine letzte Rede im Deutschen Bundestag,
und ich möchte mit ein paar Dankesworten schließen.
Ein Dank geht an meine Ministerin - ich sage das klar
und deutlich -, die mich sieben Jahre erduldet hat, mit
der ich sieben Jahre hervorragend zusammengearbeitet
habe und die mir heute die eigentlich ihr eingeräumte
Redezeit zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank, Frau
Ministerin! Ich habe auch noch ein Geschenk für dich:
ein Feuerzeug.
Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:
meinen persönlichen Mitarbeitern im Bundestag, im
Wahlkreis und im Ministerium sowie den Mitarbeitern
des Hohen Hauses und der Fraktionen.
Mein besonderer Dank gilt Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen. Wir haben viel bewegt, vor allem im
Rechtsausschuss. Das war eine gute Zeit; das sage ich
klar und deutlich. Wir haben unsere Debatten mit viel
Sachverstand und viel fachlichem Wissen geführt.
({2})
- Jürgen, dich mag ich ja besonders. - Wir haben einander respektiert, auch in den Schwächen, die wir sicherlich haben. Ich habe im Deutschen Bundestag - das
möchte ich einmal deutlich machen - ein hohes Maß an
persönlichem und politischem Anstand und vor allen
Dingen an Zuverlässigkeit erlebt.
Ich habe mich in meinen Reden und in meinem Auftreten manchmal wie ein Theologieschüler an zwei Prämissen der Bergpredigt gehalten. Das eine war: Selig
sind die Sanftmütigen.
({3})
Das andere war: Geben ist seliger denn Nehmen. Ich
hoffe, dass Sie mir das heute ein bisschen verzeihen.
Allen, die noch einmal antreten, wünsche ich von
Herzen alles Gute. Ich bin gerne bei Ihnen gewesen. Ich
hoffe, dass alle, die noch einmal antreten, wiederkommen und eine gute Rechtspolitik machen. - Frau Präsidentin, Sie müssen mir noch eine Minute geben.
({4})
Aber wirklich nur wenige Sätze!
Ich will nicht mit leeren Händen scheiden. Als ich
1994 in den Deutschen Bundestag kam, hat mir ein liebes altes Ehepaar aus meinem Wahlkreis - ich nenne den
Namen, damit sie ins Protokoll kommen: Roswith und
Horst Rothauge - einen Kürschner von 1928 geschenkt.
Ich mache jetzt den berühmten Gummiring ab. Kürschners Handbuch des Deutschen Reichstages von 1928
enthält ein paar bemerkenswerte Hinweise - keine
Sorge, ich nenne nicht alles -: Es gab damals 2 Gastwirte, 7 Hausfrauen und 7 Geistliche, 18 Anwälte - heute
haben wir, glaube ich, das Zehnfache an Anwälten -,
63 Landwirte - das sind heute ein paar weniger -,
76 Schriftsteller
({0})
und 80 Berufsbeamte. Es finden sich hier so tolle Namen
wie Stresemann, Scheidemann und Thälmann. Es finden
sich auch Namen von Personen, die heute im Deutschen
Bundestag aktiv sind.
({1})
- Nein, Stünker leider nicht. - Einer hieß Leutheußer Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist heute leider nicht
hier -, einer hieß Zapf, und, Herr Dautzenberg, einer
hieß Dautzenberg. Er war aber in der KPD; das wissen
Sie, oder?
Herr Staatssekretär, ich darf Sie wirklich auf die Redezeit hinweisen.
Ja, ich gebe auch einen aus. - Ich möchte dieses Buch
dem Präsidium überreichen und bitten, dass es einen guten Aufbewahrungsort findet.
({0})
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen erstens im Namen des Präsidiums für das Geschenk. Ich werde es
gerne weitergeben.
Zweitens will auch ich mich Ihren Dankesworten anschließen. Das ganze Haus dankt Ihnen sehr herzlich für
Ihr großes Engagement und Ihre Parlamentstätigkeit in
vier Legislaturperioden, aber auch für Ihre Tätigkeit in
der Bundesregierung, die Sie fast die Hälfte der Zeit Ihrer Parlamentstätigkeit zusätzlich ausgeübt haben.
Wir wünschen Ihnen für die weiteren Lebensjahre alles erdenklich Gute und auch ein bisschen Freizeit, damit Sie all das nachholen können, wozu Sie bislang
keine Zeit hatten.
({0})
Alles Gute!
({1})
Dass ich jetzt etwas großzügiger bei der Redezeitbe-
messung war, bitte ich, mir nachzusehen. Das ist kein
Präzedenzfall für künftige Reden.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 66 a bis 66 c und
Zusatzpunkt 11 auf:
66 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung
- Drucksache 16/13156 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung
- Drucksachen 16/13297, 16/13384 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
- Drucksachen 16/13590, 16/13591 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({3})
Roland Claus
Alexander Bonde
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Frank Schäffler, Jens
Ackermann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von Maßnahmen zur Stabilisierung
des Finanzmarktes
- Drucksache 16/12996 26134
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
- Drucksache 16/13683 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({5})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Dr. h. c. Jürgen Koppelin,
Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung
- Drucksache 16/12885 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
- Drucksache 16/13679 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({7})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Silberhorn, Leo Dautzenberg, Otto Bernhardt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger,
Ingrid Arndt-Brauer, Lothar Binding ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Schadensersatzansprüche gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Real Estate
Holding AG
- Drucksache 16/13619 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD - es geht um Zusatzpunkt 11 - liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
({9})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren nunmehr über den Entwurf eines Gesetzes zur
Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung. Das ursprüngliche Gesetz hatten wir hier im Oktober beschlossen. Nach der Insolvenz bzw. dem Konkurs von Lehman
Brothers in den USA hatten sich die Friktionen und Störungen am Bankenmarkt verfestigt, und wir hatten dieses erste Gesetz mit einem Garantierrahmen von
480 Milliarden Euro aufgelegt.
Dieses Gesetz hat gewirkt. Wir haben den Finanzmarkt stabilisiert und dafür gesorgt, dass die Spareinlagen sicher sind, dass noch Kredite vergeben werden und
dass keine systemrelevante Bank - so lautet eine Verabredung auf internationaler Ebene - in die Insolvenz geht.
Nun befinden wir uns am letzten offiziellen Tag der
letzten Sitzungswoche des Bundestages in dieser Legislaturperiode, und wir ändern dieses Gesetz noch einmal.
Dies ist die Folge einer langen Diskussion über das
Thema Bad Banks. Das Ziel lautet, die vielen Maßnahmen, die wir in den vergangenen Monaten zur Stützung
der Konjunktur durchgeführt haben, zu verstärken.
Warum ist das notwendig? Entscheidend für die Kreditvergabemöglichkeiten der Banken ist ihre Eigenkapitalausstattung. Diese hat in den letzten Monaten gelitten,
zum einen durch Abschreibungen und Verluste bei den
strukturierten Wertpapieren - diese Papiere sind jetzt
nicht mehr allzu viel wert - und zum anderen durch die
sich verschlechternde Konjunktur. Die schlechtere konjunkturelle Lage führt zu Auftragseinbrüchen bei den
Unternehmen, zu schlechterer Bonität, zu schlechteren
Ratings. Letztlich wird dies dazu führen, dass die Banken vorhandene Kredite mit mehr Eigenkapital unterlegen müssen. Es ist ganz logisch, dass dann natürlich weniger Mittel für neue Kreditvergaben zur Verfügung
stehen.
Von daher haben wir uns zum einen dazu entschlossen, die Bankbilanzen im Bereich der strukturierten
Wertpapiere - manche sagen auch „Giftmüll“; ich
meine, das ist eine Übertreibung - zu entlasten, und zum
anderen, ganze Geschäftsbereiche, die abzuwickeln sind,
in eine Bundesanstalt auszulagern. Diese Operation wird
in den nächsten Monaten - das Gesetz ist befristet durchgeführt und erfolgreich sein; davon bin ich überzeugt.
Der Druck auf die Bilanzen der Banken ist extrem.
Ich habe überlegt, ob man deshalb nicht eine verpflichtende Teilnahme festschreibt. Die Änderungen am Gesetzentwurf, die wir am Mittwoch in den Beratungen des
Haushaltsausschusses vorgenommen haben, führen zum
einen dazu, dass wir den Interessen der Steuerzahler gerecht werden. Zum anderen besteht für die Vorstände
und Aufsichtsräte der Banken eine gute Möglichkeit,
sich von den derzeitigen Belastungen zu befreien.
Warum machen wir das? Weil dies der Schlüssel für
konjunkturelles Wachstum ist. Wir sind in einer sehr kritischen Phase. Die Kreditvergabe - ich bin darauf eingegangen - ist der Schlüssel schlechthin. Wenn es bei einer
Spirale nach unten bliebe, hieße das, dass die KonjunkCarsten Schneider ({0})
turpakete, die wir zu Beginn des Jahres beschlossen haben, ihre Wirkung verfehlen würden. Dies kann nicht
das Ziel sein, und deswegen haben wir uns entschlossen,
diesen Weg zu gehen und dem Vorschlag des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung zu folgen.
In den nächsten Monaten wird es bei den Unternehmen wahrscheinlich einen Refinanzierungsbedarf von
bis zu 600 Milliarden Euro geben. Es gibt keine ausreichende Bereitschaft der Banken, sich im Groß- und Konsortialkreditbereich zu engagieren. Wir sehen auch einen
Rückzug internationaler Banken vom deutschen Markt.
Dies müssen wir stoppen.
Wir haben deswegen im Sinne von Geben und Nehmen - wer etwas bekommt, muss auch etwas geben - im
Gesetzentwurf festgelegt, dass für die Vorstände, die die
vorgesehenen Maßnahmen in Anspruch nehmen, eine
Deckelung der Managervergütungen gilt, und dass die
Banken zwingend Stresstests machen müssen, die dazu
führen sollen, zu erkennen, ob sie denn tatsächlich überlebensfähig sind. Sind sie es nicht, dann müssen sie mit
mehr Eigenkapital ausgestattet werden. Das ist für mich
eine zwingende Voraussetzung dafür, dass dieses Modell
in Deutschland - hier geht es auch um Europa; denn wir
sind die wirtschaftliche Leitnation - tatsächlich funktioniert.
Des Weiteren haben wir festgelegt, dass mit diesen
Stresstests auch eine Aufgabenerfüllung zu verbinden
ist, dass Banken, die von uns gestützt werden, ihren Aufgaben nachkommen und das Geld nicht bei anderen Banken anlegen, sondern die Kreditvergabe an mittelständische Unternehmen tatsächlich gewährleisten.
({1})
Ich bin damit, wie Sie, Herr Ströbele, bisher noch
nicht zufrieden; um das klar zu sagen. Der Bundesbankpräsident hat dazu in den vergangenen Tagen wichtige
Hinweise gegeben, nämlich dass man, sollten die Banken die derzeit bestehenden Möglichkeiten - ich nenne
das Stichwort „billige Liquidität“ - nicht tatsächlich an
die Unternehmen weitergeben, zu anderen Mitteln greifen muss. Der Bundesfinanzminister bzw. der SoFFin ist
letztlich dazu in der Lage. Denn wir bieten nur dann
Leistung, wenn auch eine Gegenleistung erfolgt. Es ist
aber auch klar, dass für den Vorstand einer Bank immer
noch das Kreditwesengesetz gilt. Selbstverständlich
muss darauf geachtet werden, dass das Unternehmen
überlebensfähig ist. Das will ich nicht in Abrede stellen.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der uns beschäftigt hat,
sind die Landesbanken. In den vergangenen eineinhalb
Jahren habe ich aus der Perspektive des Bundestages
wahrgenommen, dass sich insbesondere bei den Ministerpräsidenten zunehmend das Prinzip der drei Affen
durchgesetzt hat: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
bzw. nicht in die Bilanzen blicken, nicht ihre Geschäftsmodelle überprüfen und die Risiken verschweigen.
({2})
Die Risiken sind nicht zu unterschätzen. Wenn es uns
heute nicht gelingt, den Gesetzentwurf durch den Bundestag zu bringen, stehen meines Erachtens die wirtschaftliche Existenz und Leistungsfähigkeit nicht nur der
Sparkassen, sondern auch einzelner Bundesländer infrage. Unser Modell sieht vor, dass sich die Landesbanken konsolidieren müssen. Wir als SPD hätten uns - das
ist der Pferdefuß des Ganzen - eine größere Stringenz
und Durchsetzungskraft des Bundes gegenüber den Ländern bzw. den Ministerpräsidenten gewünscht. Das war
mit der Unionsfraktion leider nicht zu machen.
Wir brauchen aber - dieser Verantwortung müssen
sich die Damen und Herren in den Ländern bewusst sein hier schleunigst eine Bereinigung und Konsolidierung.
Denn dass die Landesbanken, statt sich auf ihre eigentlichen Aufgaben in ihrem jeweiligen Bundesland zu konzentrieren und die Sparkassen zu unterstützen, in Übersee Geschäfte gemacht haben, die sie nicht richtig
verstanden haben, hat zu der sehr prekären Schieflage
geführt, in der wir uns derzeit befinden.
Die Sparkassen haben sich - sicherlich sind auch
viele Kollegen angesprochen worden - zu Recht sehr intensiv in die Debatte eingeschaltet. Sie sind Miteigentümer der Landesbanken und haften dementsprechend
im Rahmen der Gewährträgerhaftung für ihr Eigentum.
Sie haben in den vergangenen Jahren gut von den Überschüssen profitiert und stehen in der Verantwortung für
die Landesbanken.
Nichtsdestotrotz besteht die reale Gefahr, dass mit
den weitergehenden Verlusten der Landesbanken eine
existenzgefährdende Situation für die Sparkassen eintritt. Ohne unseren Gesetzentwurf würde die Lage der
Sparkassen viel prekärer. Sie wären in ihrer Existenz gefährdet.
({3})
- Richtig, Herr Schäffler. Das sehen die Sparkassen anders. Ich glaube, sie haben das nicht richtig verstanden.
Das gilt gerade für die Verbände. Ich finde diese Art von
Lobbyarbeit teilweise schon dreist. Ich bin für einen öffentlich-rechtlichen Bankensektor, und ich bin der Auffassung, dass wir die Sparkassen brauchen, aber sie müssen nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten
zu ihrer Verantwortung stehen. Es kann nicht sein, dass
wir als Bund in diese Verantwortung treten.
({4})
Deswegen haben wir an dieser Stelle die Haftung der
Sparkassen auf die Gewährträgerhaftung begrenzt.
({5})
Wir haben durch eine Überforderungsklausel dafür gesorgt, dass keine Sparkasse in ihrer Existenz bedroht ist.
Mit Sicherheit wird es aber in den nächsten Jahren Belastungen geben. Sie resultieren jedoch aus Geschäften
der vergangenen Jahre, die sie selbst mitzuverantworten
haben.
Von daher hoffe ich, dass auch die Sparkassen dazugelernt haben und ihre Schlüsse daraus ziehen werden.
Carsten Schneider ({6})
Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf nicht nur den Bundestag und den Bundesrat passiert, sondern auch möglichst
schnell umgesetzt wird, weil das für die wirtschaftliche
Situation in Deutschland entscheidend ist.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf soll einen
Schlussstein in einer langen Kette von Gesetzen zur
Finanzmarktstabilisierung bilden. Finanzmarktstabilisierung ist - ich denke, das kann man an dieser Stelle festhalten - ein Ziel, das unmittelbar oder mittelbar allen
Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland hilft. Es ist ein
öffentliches Ziel, für das wir uns gemeinsam einsetzen
müssen.
Ich stimme dem Kollegen Schneider in einem Punkt
zu: Im letzten Oktober war es noch alles andere als
selbstverständlich, dass das Finanzmarktstabilisierungsgesetz zumindest in gewissem Maße eine Stabilisierung
ermöglichen würde. Das wusste man in der damaligen
Situation nicht. Man kann aber nun sagen: Dieses Gesetz
vom vergangenen Oktober hat sich im Wesentlichen bewährt. Die FDP legt Wert darauf, dass sie in einem
schwierigen Moment Verantwortung übernommen hat
und nicht einfach Nein zu diesem Gesetz gesagt hat.
({0})
Es folgte aber bald die Erkenntnis, dass Finanzmarktstabilisierung nicht erfolgreich sein kann, wenn man einfach nur Bank für Bank und Einzelfall für Einzelfall, so
schwierig er auch sein mag, durchgeht und löst, sondern
dass es strukturelle Probleme gibt, die angegangen werden müssen, wenn man nachhaltig stabilisieren möchte.
Ein strukturelles Problem ist die Unsicherheit darüber,
wie viele Risiken es in den Bankbilanzen gibt. Das führt
dazu, dass Institute Eigenkapital vorhalten müssen und
es nicht für die Vergabe neuer Kredite einsetzen können.
Damit verringert sich der Spielraum, den Unternehmen,
die irgendwann in der Krise wieder Mut fassen und investieren wollen, Geld zur Verfügung zu stellen. Von
diesem Problem sind leider oft mittelständische Unternehmen betroffen, die in der Regel auf eine Finanzierung durch eine Bank angewiesen sind.
({1})
Deswegen ist eine Lösung des Problems, das in den Bilanzen der Banken liegt, überfällig. Es muss gelingen,
die Risiken aus den Bilanzen herauszubekommen.
({2})
Die Bundesregierung hat unseres Erachtens die Dimension dieser Problematik lange unterschätzt. Es
wurde erst spät begonnen, einen solchen Gesetzentwurf
zu erarbeiten. - Da manche in der Unionsfraktion irritiert schauen: Ich habe übrigens öffentliche Äußerungen
aus der Unionsfraktion im Frühjahr vernommen, als der
Bundesfinanzminister gerade dazu aufgefordert wurde.
Man kann festhalten, dass hier viel Zeit - auch durch die
Fehleinschätzung innerhalb der Bundesregierung - verloren gegangen ist.
({3})
Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine ziemliche
Enttäuschung. Es hat offenbar nicht an Willen gefehlt.
Aber die Ausgestaltung ist so, dass nicht zu erwarten ist,
dass die Probleme, insbesondere die Bewertungsprobleme und die Eigenkapitalbelastung der Banken, substanziell gelöst werden. Ihr Modell wird uns nicht weiterhelfen.
({4})
Es ist für eine Bank nicht möglich, rechtssicher zu kalkulieren, ob es wirtschaftlich tragbar ist, sich an diesem
Modell zu beteiligen. Den Banken fehlen entscheidende
Parameter. Das fängt bei der Verzinsung der Garantien
an. Die Höhe der Verzinsung ist ein ganz entscheidender
Parameter; denn anhand dieses Parameters kann man errechnen, ob es sich überhaupt lohnt, mitzumachen oder
nicht. Auch die Regeln betreffend den Bewertungsabschlag, der bei Wertpapieren vorzunehmen ist, sind so
gestaltet, dass man nicht sehen kann, nach welchem Verfahren bzw. nach welcher Formel das geschieht. Es ist
sehr schwierig, das vorherzusehen. Ich sage voraus, dass
die Banken, die es können, erst einmal abwarten werden,
was passiert und ob eine andere Bank voranschreitet und
das ganze Verfahren mit dem SoFFin, dem Bundesfinanzministerium und der EU-Kommission durchficht,
um zu schauen, wie die Konditionen letztendlich aussehen werden. So werden wir mindestens weitere Monate
verlieren; denn es herrscht noch keine Rechtssicherheit.
({5})
Das Gesetz führt unnötigerweise zu Wettbewerbsverzerrungen. Es ist sicherlich richtig, dass die EU-Kommission verlangt, den Bewertungsabschlag bei Instituten, die sehr wenig Eigenkapital haben, die also
tendenziell schwach kapitalisiert sind, zunächst nicht
vorzunehmen. Das heißt konkret, diese Institute können
ihre Papiere zu einem günstigeren Preis übertragen und
bekommen dafür mehr als Institute, die besser dastehen.
Das ist aber eine eindeutige Benachteiligung derjenigen,
die ihre Hausaufgaben gemacht haben und vor einigen
Monaten erkannt haben: Wir kommen mit einer niedrigen Eigenkapitalquote nicht klar und müssen uns deshalb neues Kapital besorgen. - Diejenigen, die das
gemacht haben, müssen nun einen höheren Bewertungsabschlag verkraften und stehen am Ende schlechter da.
({6})
Das hätte man vermeiden müssen und auch vermeiden
können; denn es ist völlig unproblematisch, den Instituten aufzugeben, für eine angemessene Eigenkapitalquote
in Höhe von über 7 Prozent zu sorgen, bevor sie die Instrumente des SoFFin nutzen. Das passiert heute schon,
wenn ein Institut Garantien haben möchte. Es ist klar,
dass dann zuerst der Eigentümer gefragt ist. Das hat in
Einzelfällen auch geklappt. Ansonsten stehen die Instrumente des SoFFin zur Verfügung. Es kann aber nicht
sein, dass wir in der jetzigen Situation diejenigen bestrafen, die das getan haben, was nötig ist, nämlich die
Kernkapitalquote zu erhöhen.
({7})
Wir, die FDP-Fraktion, befassen uns in unserem vorliegenden Gesetzentwurf, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht, mit Wettbewerbsverzerrungen; denn wir
finden, dass Wettbewerb nicht nur ein Thema für diejenigen sein sollte, die ordnungspolitische Fantasie haben
oder ordnungspolitische Grundsätze vertreten. Wenn die
Unternehmen, die vernünftig gewirtschaftet haben, das
Gefühl haben, dass sie schlechter dastehen als die Unternehmen, die Staatshilfe bekommen, dann ist das auch
schlecht für die Stabilität des Finanzsektors. Unternehmen werden dann möglicherweise sagen: „Wir verlassen
uns darauf, dass uns im Notfall geholfen wird“, und werden sich falsch verhalten, während diejenigen, die es
besser gemacht haben, am Ende bestraft werden. Deswegen ist Wettbewerbsgerechtigkeit ein ganz wichtiges
Thema.
({8})
Es gibt natürlich auch das große Problem der Landesbanken. Die machen viele Dinge, die gar nicht in den
Aufgabenbereich öffentlicher Banken fallen. Für die
FDP ist entscheidend, dass dieser Sektor konsolidiert
wird und dass sich das ändert. Im Ergebnis sind sicherlich Fusionen, Zusammenlegungen, notwendig.
Was mir aber in der Diskussion fehlt, ist, dass man
auch einmal über die Aufgaben von Landesbanken
spricht. Es reicht nun einmal nicht, nur größere Einheiten zu schaffen und Landesbanken zusammenzulegen,
sondern man muss sich systematisch fragen, was eigentlich die Aufgabe einer öffentlichen Bank ist. Für mich ist
die Aufgabe einer Landesbank, das anzubieten, wofür
eine einzelne Sparkasse zu klein ist; das heißt, eine Landesbank muss ein ergänzender Dienstleister für den
Sparkassensektor sein. Das ist eine öffentliche Aufgabe.
Alles andere ist eine nichtöffentliche Aufgabe. Diese
Aufgaben müssen getrennt werden. Dann kann man fusionieren. Auch in dieser Hinsicht hat der Gesetzentwurf
leider eine Chance verpasst.
({9})
Einige Punkte werden kaum diskutiert, obwohl sie
folgenschwer sind. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird
die Dauer der Anwendung aller Instrumente und Hilfsmaßnahmen, die der SoFFin ergreifen kann - dies betrifft nicht nur das Instrument der sogenannten Bad
Banks -, um ein ganzes Jahr verlängert. Das heißt, der
Staat beteiligt sich massiv ein weiteres Jahr lang mit dem
Geld der Steuerzahler an der Stabilisierung des Finanzmarktes, was auch weiterhin ein Risiko für den Steuerzahler bedeutet. Ich finde, dass diese Verlängerung um
ein Jahr eigentlich eine gründlichere Diskussion als die
erfordert hätte, die tatsächlich stattgefunden hat.
({10})
Man kann als Ergebnis festhalten, dass dieser Gesetzentwurf zu einem noch stärkeren Einfluss des Staates auf
den Bankensektor führt und eher mehr Risiken für den
Steuerzahler begründet. Ich kann auch jenseits des Themas, wie man diese Risikopapiere entschärfen kann,
nicht erkennen, dass es eine Strategie gibt, wie man irgendwann einmal zur Normalität zurückkehren und den
Steuerzahler aus der Haftung entlassen kann.
({11})
Wir haben mit dem heutigen Gesetzentwurf auch die
Gewissheit, dass der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung - dieses Sondervermögen, dieser Nebenhaushalt mindestens weitere 20 Jahre bestehen wird. Im letzten
Oktober bestand die Erwartung, dass zunächst einmal
bis Ende 2009 stabilisiert wird, keine neuen Maßnahmen
mehr ergriffen werden und dann abgewickelt wird. So
steht es im Übrigen im Gesetz. Jetzt wissen wir, dass es
mindestens 20 Jahre so weitergeht. Ich finde, wenn ein
Provisorium zu einer Dauereinrichtung wird und wir uns
darauf einstellen können, dass das noch für etliche Legislaturperioden so bleiben wird, dann müssen wir auch
darüber sprechen, wie wir die parlamentarische Kontrolle dieses Instruments verbessern können.
({12})
Es ist ein Unterschied, ob etwas befristet wird oder zur
Dauereinrichtung wird.
Wir Liberale haben als einzige Fraktion in diesem
Haus einen Entwurf dazu vorgelegt und werben nachdrücklich um Zustimmung; denn das sollte im Interesse
all derjenigen sein, die hier sitzen. Viele wissen noch
nicht, in welcher Rolle sie sich im Herbst möglicherweise hier wiederfinden.
({13})
Es sollte aber auch im Bereich der Finanzmarktstabilisierung eine starke Kontrolle geben.
({14})
Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin noch etwas
zu dem Antrag zur Hypo Real Estate sagen. Wir unterstützen das Ansinnen, Schadensersatzforderungen zu
prüfen und geltend zu machen. Wir wollen aber auch
- das beantragen wir nachher -, dass selbstverständlich
aufgearbeitet wird, welche Versäumnisse es seitens des
Bundes beim Krisenmanagement im Fall der Hypo Real
Estate im Zusammenhang mit den ersten Rettungsmaßnahmen gab. Auch dort muss man genau hinschauen,
auch dort fordern wir Verantwortung ein. Es muss eine
vollständige Aufarbeitung geben.
Der Gesetzentwurf als solches wird sicherlich nachbesserungsbedürftig sein und wahrscheinlich nicht den
gewollten Erfolg bringen. Wir werden ihn deshalb ablehnen.
({15})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Steffen
Kampeter das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten jetzt eine Fortentwicklung unserer
nationalen Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung.
Das bedeutet nicht, dass die bisherigen Maßnahmen
nicht richtig waren; wir sind vielmehr die Probleme, die
wir im vergangenen Jahr erkannt haben und die wir nach
Meinung der Experten lösen sollten, offensiv angegangen.
({0})
Das, was wir gemacht haben, war erfolgreich.
Wir sind im Übrigen im Rahmen der Finanzmarktstabilisierung verantwortungsvoll mit den Steuergeldern
umgegangen. Wir haben verhindert, dass in Deutschland
reihenweise Banken umgekippt sind. Wir haben insbesondere den Bürgerinnen und Bürgern - angefangen
vom Besitzer eines Sparbuchs bis hin zu den gewerblichen Unternehmern, die Kredite nötig hatten - das deutliche Signal gegeben, dass der Staat bereit, willens und
in der Lage ist, den Finanzmarkt in der Bundesrepublik
Deutschland zu stabilisieren. Dies ist ein gutes Signal;
das sollten wir klar bekennen.
({1})
Wenn sich die Lage verändert, muss sich gegebenenfalls auch die Gesetzgebung verändern. Wir haben ein
neues Problem, das mit komplizierten Begriffen wie
„Ratingmigration“ oder „Giftmüll“ oder anderen beschrieben wird. Gestern haben die Bundesbank und der
SoFFin als unabhängige Experten noch einmal erklärt,
dass das, was wir in den letzten Wochen im Haushaltsausschuss beraten haben, richtig, notwendig und unverzichtbar ist, um die Stabilität im deutschen Finanzmarkt
weiterhin aufrechtzuerhalten.
Wir machen Finanzmarktstabilisierung nicht, weil wir
für Geschäftsführer oder Vorstände ein besonderes Interesse hätten. Vielmehr ist die Finanzmarktstabilisierung
aktive Solidarität in der sozialen Marktwirtschaft. Die
Menschen in Deutschland sind an funktionsfähigen Banken sehr interessiert.
({2})
Wenn es neue Fragestellungen gibt, dann sollten wir
klarmachen, anhand welcher Prinzipien wir Antworten
geben. Das erste Prinzip unserer Bankenrettung - das
verfolgen wir im Übrigen schon seit dem vergangenen
Jahr - ist Freiwilligkeit. Die USA setzen auf Zwang. Das
ist zum einen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
teuer und führt zum anderen offenkundig nicht zu dem
Ergebnis, das man sich wünscht.
({3})
Heute ist die 48. Bank in den Vereinigten Staaten über
die Wupper gegangen. In Deutschland haben wir Stabilität auf dem Finanzmarkt. Zwangsmaßnahmen führen
also nicht zu einem besseren Ergebnis. Sie entsprechen
auch nicht der marktwirtschaftlichen Ordnung in der
Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidung der
Banken, sich unter den staatlichen Schirm zu begeben,
wird nach wirtschaftlichen und nicht nach ideologischen
Kriterien getroffen. Bankenrettung ist kein Spielplatz für
Ideologen. Bankenrettung ist verantwortliche Politik.
({4})
Das zweite Prinzip, das wir bei der Finanzmarktstabilisierung verfolgen, ist das der Eigentümerverantwortung. Ich mache dies deutlich: Zuerst und in vorderster
Front sind die Eigentümer von Finanzmarktakteuren gefordert.
({5})
Eigentümer sind die Aktionäre; das sind teilweise die
Länder; das sind auch Sparkassen. Wir können es keinem Steuerzahler des Landes, des Bundes oder einer anderen Gebietskörperschaft zumuten, selbst einzuspringen und somit die Eigentümer zu entlasten. Unserer
Prinzip ist: Erst die Eigentümer, dann die Solidargemeinschaft. Das ist ein weiteres Basisprinzip unserer Politik.
({6})
Das dritte Prinzip ist der Schutz des Steuerzahlers.
Wir wollen keine Zwangsbeglückung. Wir wollen in diesem Bereich deutlich machen: Wir sind keine Organisation, die Geld im Land verteilt. Wir haben festgelegt:
Wir stellen 470 Milliarden Euro Garantien und Kapitalisierungsmaßnahmen für diesen Bereich zur Verfügung.
Wir haben bei unseren Maßnahmen klargemacht: Ein
politisches Ziel ist, dass der Steuerzahler durch diese
Fortentwicklung der Gesetzgebung nicht zusätzlich in
Regress genommen wird. Ich finde, dass wir mit diesen
Maßnahmen den ausdrücklichen Wunsch des Bundesfinanzministers umsetzen. Den Steuerzahler zu schützen,
ist richtig.
Das vierte Prinzip, das wir verfolgen, ist das der Subsidiarität. Der Bund kann auch bei der Finanzmarktstabilisierung nicht alles leisten. „Subsidiär“ heißt zweierlei:
ein differenziertes Angebot für die unterschiedlichen
Problemlagen der Bankenwelt, aber auch die Möglichkeit, dass Länder, die dazu bereit sind, Verantwortung
übernehmen.
({7})
Wir haben deswegen in diesem Gesetz Öffnungsklauseln
für Länderaktivitäten verankert, sodass die Länder in eigener wirtschaftlicher Verantwortung nach dem Subsidiaritätsprinzip handeln können. Wer vor Ort handeln
möchte, kann dies tun.
Wir als Bund haben nationale Verantwortung. Wir
stehen zu unserer Verantwortung. Wenn allerdings Länder meinen, sie könnten es besser als der Bund, dann ist
es ein wohlverstandenes Prinzip, dass man diejenigen,
die eigenverantwortlich etwas in die Hand nehmen wollen, nicht abhält. Deshalb ist das vierte Prinzip Differenzierung und Subsidiarität. Dieses Prinzip steht der Finanzmarktstabilisierung gut an.
({8})
Fünftes Prinzip: keine Leistung ohne Gegenleistung.
Man muss den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland
sagen: Bankenrettung - oder wie das pathetisch auch anders bezeichnet werden mag - ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wenn uns als Staat ein Institut um Hilfe
bittet, dann sagen wir nicht: „Hoppla, was kost’ die
Welt? Wir helfen euch!“, sondern wir wollen folgende
Auskünfte:
Erstens. In welcher wirtschaftlichen Situation befindet sich das Institut? Welche Überlebensperspektive hat
es? Das nennen wir Stresstest. Das wird jetzt nicht mehr
vom SoFFin, sondern von der Bankenaufsicht durchgeführt. Es dient auch dem Schutz des Steuerzahlers, keine
Leistung ohne Gegenleistung zu gewähren. Jeder, der im
Rahmen unseres Angebotes Hilfe vom Staat in Anspruch
nimmt, muss offenlegen, wie seine Situation ist.
Zweitens. Das Institut muss bestimmte Auflagen akzeptieren, beispielsweise zur Struktur des Institutes. Die
Landesbankenkonsolidierung ist unverzichtbar. Die Landesbanken sind das zentrale systemische Risiko in der
deutschen Finanzwirtschaft. Wir lassen uns nicht davon
abbringen, von keinem, jeden politischen Beitrag zur
Unterstützung dazu zu leisten, dass der Landesbankensektor konsolidiert und stabilisiert wird. Wir werden
auch Auflagen im Bereich von Leistung und Gegenleistung vorsehen - wie wir es beispielsweise bei der Vergütung für die Garantie gemacht haben -, sodass diejenigen, die staatliches Geld erhalten, keine übermäßigen
Vergütungssysteme haben dürfen. Das halte ich für vernünftig. Das haben wir in diesem Gesetz festgelegt.
Keine Leistung ohne Gegenleistung - so lautet das ist
das fünfte Prinzip.
({9})
Ein Thema - wie konnte es anders sein? - hat die Gemüter mehr bewegt als andere, nämlich die Frage: Wie
halten wir es mit den Sparkassen? Ich will dazu einiges
sagen. Wenn wir heute und der Bundesrat am 10. Juli
nicht dieses Gesetz beschließen würden, dann wären die
Sparkassen in ihrer wirtschaftlichen Existenz dauerhaft
und existenziell gefährdet, weil dann das passieren
würde, was wir vermeiden wollen, nämlich dass das finanzielle Risiko aus dem Landesbankensektor die Sparkassen infiziert und mit in den Abgrund reißt. Dieses
Gesetz ist zuvorderst ein Rettungsgesetz für die deutschen Sparkassen in ihrer Differenziertheit. Das muss an
allererster Stelle festgehalten werden.
({10})
Die Sparkassen hätten sich gewünscht, dass wir als
Staat alle Risiken ihrer Aktivitäten übernehmen. Das
kann nicht sein. Ich habe vorhin gesagt: Eigentümerverantwortung geht vor Staatsverantwortung. Selbst wenn
diese Eigentümer Sparkassen sind, werden wir sie aus
ihrer Eigentümerverantwortung nicht entlassen. Eigentümer sind in Deutschland, egal, wer sie sind, in die Pflicht
zu nehmen, auch bei diesen Sanierungsmaßnahmen. Das
ist ein ganz wichtiger Grundsatz. Wir können bestimmte
Eigentümergruppen nicht in einer besonderen Art privilegieren.
Kollege Kampeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Fuchtel?
Aber selbstverständlich.
({0})
Herr Kollege Kampeter, in Bezug auf die Sparkassen
konzentriert sich ja die Diskussion auf § 8 a Abs 4 Nr. 1
dieses Gesetzentwurfs und konkret darauf, dass durch
Veränderungen bei der Rückgewährhaftung möglicherweise eine Ausdehnung des Haftungsumfangs stattfindet, die die Eigentümerfunktion sehr strapaziert. Mich
interessiert, welche Möglichkeit Sie sehen, dass diese
Problematik durch eine entsprechende Geschäftspolitik
überwunden werden kann.
Herr Kollege Fuchtel, ich bedanke mich für die Frage,
weil sie mir die Möglichkeit gibt, im Detail noch einmal
darzulegen, wie differenziert die Haftungsfolgen sind.
Die Finanzmarktstabilisierung dient der Stabilisierung des Finanzmarktes. Die Behauptung, wir wollten
einzelne Institutsgruppen oder einzelne Institute knebeln
oder gar in den wirtschaftlichen Exitus führen, ist angesichts der Zielsetzung des Gesetzes - das muss ich ganz
ehrlich sagen - ziemlich abstrus.
({0})
Die Behauptung, es würde hier irgendjemand über Gebühr belastet, kann ich nicht nachvollziehen, zumal das
Gesetz auch auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht.
An Ihrem Beispiel der Sparkassen will ich gerne erläutern, was das Gesetz beinhaltet.
Erstens. Die Sparkassen und Landesbanken haben offensichtlich ein existenzielles Problem. Wir machen ein
Angebot zur Lösung dieses existenziellen Problems mit
unserem sogenannten AIDA-Modell. Dafür haften
selbstverständlich die Sparkassen zuvorderst in ihrer
Eigentümerverantwortung, soweit sie Eigentümer dieser
Landesbanken sind. Beispielsweise halten die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen 50 Prozent der Anteile an
der Westdeutschen Landesbank. Da kann der Bund nicht
sagen: Jetzt übernehmen wir mal die Eigentümerverantwortung.
Zweitens. Im Gesetz ist festgeschrieben, egal ob es
sich nun um eine Sparkasse handelt oder nicht: Kein Eigentümer wird über seine wirtschaftlichen Möglichkeiten hinaus in Anspruch genommen; wir haben eine
Überforderungsklausel im Gesetz vorgesehen. Wir halten zwar an der Eigentümerfunktion der Sparkassen fest;
allerdings gibt es keine wirtschaftliche Überforderung.
Drittens. Im Gegensatz zum ursprünglichen Formulierungsvorschlag, der eine gesamtschuldnerische Haftung vorsah - einer für alle -, haben wir jetzt eine quotale Haftung eingeführt. Das heißt, jeder Eigentümer
einer Landesbank haftet nicht für den anderen mit, sondern nur entsprechend seiner quotalen Beteiligung.
Schließlich haben wir die Kappung der Haftung der
Sparkassen in Höhe der am 30. Juni 2008 existierenden
Gewährträgerhaftung vorgesehen, um deutlich zu machen, dass wir bereit sind, das Risiko der Papiere, die sie
zum 30. Juni aus ihren Landesbanken übertragen, gemeinsam mit den Sparkassen - meinetwegen in den
nächsten 15, 20 Jahren - zu tragen.
Allerdings wären wir nicht in der Lage gewesen, auch
noch die Gewährträgerhaftung mit einem Volumen von
etwas über 500 Milliarden Euro auf den Bund zu ziehen.
Wir handeln in solidarischer Partnerschaft mit den
Eigentümern der Sparkassen, mit den Landesbanken, mit
den Ländern. Niemand wird überfordert, aber jeder muss
seinen Beitrag leisten. Dies ist gelebte soziale Marktwirtschaft. Dies ist eine Garantieoption für das wirtschaftliche Überleben des Sparkassenwesens in
Deutschland. Wer etwas anderes behauptet, hat den Gesetzentwurf in seinen Details noch nicht hinreichend zur
Kenntnis genommen.
({1})
Kollege Kampeter, der Kollege Fuchtel hat mir signalisiert, dass er eine zweite Zwischenfrage hat. Ich würde
sie auch noch zulassen, möchte aber an alle Kolleginnen
und Kollegen - damit auch an Sie - appellieren, an die
Verabredungen zu denken, die zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern zum heutigen Ablauf getroffen worden sind.
Aber Sie müssen zunächst einmal sagen, ob Sie die
Frage noch beantworten möchten.
({0})
Das ist ein wichtiges Thema. Ich lasse die Frage gern
zu.
Ich stelle in dieser Woche dann keine Zwischenfrage
mehr.
({0})
Ich möchte noch ein Beispiel anführen. Ich gehe einmal von Folgendem aus: Es besteht eine Gewährträgerhaftung von 5 Millionen Euro.
({1})
- Ich breche das auf eine einzelne Sparkasse herunter. Durch diesen Transfer von Papieren kommt es zu Verpflichtungen von 20 Millionen Euro. Damit ergibt sich
eine Differenz von 15 Millionen Euro. Es soll dann wohl
so sein, dass dafür in verstärktem Maß seitens der einzelnen Sparkasse gehaftet wird. Wie wird begründet, dass
man das in diesem Gesetz so regeln will?
Gegenüber dem geltenden Recht führen wir Haftungsbeschränkungen für den Sparkassenbereich ein,
Herr Kollege Fuchtel.
({0})
Würden wir nicht handeln, würde das aller Voraussicht
nach das wirtschaftliche Ende der Sparkassen bedeuten;
denn sie würden mit ihrem Eigentümeranteil und wahrscheinlich auch mit ihrem vollen Gewährträgerhaftungsanteil sofort und unmittelbar zur Kasse gebeten. Das
würde viele Sparkassen in den Abgrund stürzen.
Es ist richtig: Wir würden keine systemrelevante
Bank über die Wupper gehen lassen. Aber es kann doch
niemand vom Bund erwarten, dass wir diejenigen, die
haften müssen, nicht in Regress nehmen.
({1})
Weil wir die schwierigen Papiere, die zu einem wesentlichen Teil mit Gewährträgerhaftung belastet sind, in
die Garantieverantwortung des Bundes übernehmen, erwarten wir von demjenigen, der uns diese Papiere überlässt, dass er den Anteil an Haftung übernimmt, den er
heute in der Bilanz aufführen kann. Das überfordert niemanden, weil auch heute im Rahmen der Gewährträgerhaftung eine Belastung besteht. Es entsteht aber kein zusätzlicher Haftungsanspruch.
Eines wollen wir allerdings nicht, Kollege Fuchtel,
nämlich Haftungstatbestände, die die Sparkassen nicht
mehr bereit sind zu übernehmen, auf den Bund ziehen.
Alle Beispiele, die uns von den Sparkassen zugeleitet
werden, zielen im Kern darauf ab, dass die Sparkassen
Haftungsrisiken auf den Bund übertragen wollen. Das
kann angesichts der Leistungsfähigkeit des Sparkassensystems aber nicht unser Ziel sein. Deswegen bitte ich da
um Verständnis.
Es kommt nicht zu einer vollständigen Umsetzung
der Wünsche der Sparkassen, aber es ist eine vertretbare
Lösung, die die wirtschaftliche Existenz des Sparkassenwesens, den Schutz des Steuerzahlers und den Interessenausgleich zwischen Bund, Ländern sowie Sparkassen- und Landesbankeigentümern ermöglicht. Ich finde
das vertretbar.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung auch in diesem Bereich.
({2})
Kollege Kampeter, zwar stellt der Kollege Fuchtel in
dieser Woche keine Zwischenfrage mehr, aber der Kollege Schäffler möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage
stellen. Lassen Sie die zu?
Ja.
Herr Kollege Kampeter, Sie haben es sehr stark auf
den Bereich der Gewährträgerhaftung reduziert. Die
Sparkassen haben aber nur noch einen gewissen Anteil
ihrer Assets unter Gewährträgerhaftung. Für einen großen Anteil dieser Papiere, die sie in ihren Bilanzen haben, gilt die Gewährträgerhaftung nicht mehr. Es war nur
ein gewisser Bereich, für den historisch die Gewährträgerhaftung galt.
Die Sparkassen wollen auch Bereiche auslagern, für
die wohl keine Gewährträgerhaftung besteht. Wie ist da
die Rechtslage? Haften die Sparkassen abschließend dafür? Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der Vorwurf der Sparkassenorganisation ja, dass ihr Haftungsregime, die Gewährträgerhaftung, die sie historisch
hatten, dadurch erweitert wird. Sind Sie auch meiner
Auffassung, dass das der Fall ist?
Herr Kollege Schäffler, ich bedanke mich für die
Frage und halte fest, dass die Gewährträgerhaftung sich
reduziert; daran werden wir mit diesem Gesetz überhaupt nichts ändern. Das gilt für diejenigen, die freiwillig Risiken in eine AIDA ausgliedern, für die alle Steuerzahler haften, wenn da etwas schiefgeht. Das wünschen
wir uns nicht, das ist nicht das Ziel, und deshalb muss
das gemanagt werden. Aber auch bei den vielen Garantieübernahmen ist heute nur ein prozentual sehr geringer
Anteil kassenwirksam geworden.
Ich finde, wenn nun im Vergleich zu dem jetzigen
Rechtszustand eine Haftungsbegrenzung eingeführt
wird, ist das eine erhebliche, allerdings noch vertretbare
wirtschaftliche Privilegierung des Sparkassenbereichs.
Ich kann keinem der kursierenden Rechenbeispiele folgen, wonach eine zusätzliche Haftung der Sparkassen
entsteht.
Die Fiktion ist, dass die Sparkassen morgen in wirtschaftlichen Regress genommen werden können, wenn
wir nicht handeln. Das verhindern wir, und dafür wollen
wir die wirtschaftliche Risikomitverantwortung des
Sparkassen- und Landesbankenwesens. Das ist ein gerechter und vernünftiger Interessenausgleich, der im Übrigen auch widerspiegelt, dass es in den 16 Bundesländern besondere Privilegierungen des Sparkassenwesens
gibt, die in Teilen auf einen Schutz vor Wettbewerb hinauslaufen. Man kann nicht auf der einen Seite Sparkassengesetze und eine Privilegierung der Sparkassen fordern, auf der anderen Seite aber in allen Fragen wie der
private Sektor behandelt werden wollen. Das empfinde
ich als nicht sachgerecht.
Sie sehen: Bankenrettung ist kompliziert, aber trotzdem richtig. Sie ist im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes notwendig. Wir waren und sind in
der sozialen Marktwirtschaft - auch in einer schwierigen
Koalition - handlungsfähig. Am letzten Sitzungstag der
regulären Sitzungszeit dieses Parlaments bringen wir
eine sehr umfassende Fortentwicklung auf den Weg.
Das zeigt, dass wir uns der Probleme der Bürgerinnen
und Bürger - seien sie Bankmanager, Mittelständler, Sozialhilfeempfänger, die auf Bankdienstleistungen angewiesen sind, oder Menschen, die einfach einen Konsumentenkredit aufnehmen wollen - annehmen. Das zeigt,
dass diese Koalition und diese Regierung bereit sind,
auch in schwierigen Situationen Verantwortung zu übernehmen. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposition dazu bereit wäre - zumindest bei diesem Gesetz.
({0})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Trotz der wortreichen Beschwörungen meines
Vorredners muss klar festgestellt werden, dass dieses
Gesetz nicht nur von schlechten Banken, von Bad
Banks, handelt, sondern auch ein schlechtes Gesetz ist.
({0})
Ebenso wie meine Fraktion das erste Finanzmarktstabilisierungsgesetz zur Einrichtung des Sonderfonds und
das zweite zur Schaffung der Möglichkeit von Verstaatlichungen abgelehnt hat, wird sie nun auch dieses dritte,
das die staatliche Hilfe bei der Entsorgung von Bankenschrott regeln will, klar ablehnen.
Ich will dafür einige Gründe nennen, die durchaus mit
dem Begriff „Verantwortung“ in Verbindung stehen. Der
Hauptgrund ist, dass alle Risiken, die mit dem Gesetz
verteilt werden, bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern von heute und morgen abgeladen werden. Die
Koalition rühmt sich für ihren Begriff der Eigentümerhaftung. Aber was stellen wir denn dieser Tage fest?
Vorstände und Aufsichtsräte treten scharenweise ab; keiner will es mehr gewesen sein. Banken werden umstrukturiert und umbenannt.
Ein Vorgang, der mich diese Woche sehr verblüfft hat,
war, dass sich die Hypo Real Estate in Deutsche
Pfandbriefbank AG umbenannt hat. Man muss sich im
Hinblick darauf einmal vorstellen, was in diesem Land
innerhalb von wenigen Jahren vorgegangen ist. Können
Sie sich vorstellen, dass sich vor drei Jahren eine Bank,
die den Namen Hypo Real Estate trägt, in Deutsche
Pfandbriefbank umbenannt hätte? Es muss doch etwas in
Bewegung gekommen sein.
({1})
Zuweilen wird der Regierung vorgeworfen, ihr Handeln sei sozialistisch. Dann wird aus dem zweiten Gesetz
der wunderschöne Satz zitiert: Enteignungsbehörde ist
das Bundesfinanzministerium. - Wir müssen dem entgegenhalten, dass nicht etwa werthaltige Substanz verstaatlicht wird, sondern in erster Linie Schulden. Wir sind
dagegen, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.
({2})
Das ist nicht Sozialismus, sondern Kasinokapitalismus.
Nötig wäre an dieser Stelle eine radikale Umkehr, ein
Ausstieg aus dem Kasinokapitalismus. Was Sie aber politisch betreiben, ist die Vorbereitung des nächsten Kasinos. Die Politik ist doch mitverantwortlich für das, was
hier geschehen ist. Sie haben der Krise doch 2004 mit
der Zulassung von Hedgefonds und Verbriefungen den
Weg bereitet. Dann kommen Sie immer mit dem Zauberwort „alternativlos“. Wir sagen Ihnen, Politik ist immer
Menschenwerk, und was Menschenwerk ist, geht immer
auch anders. Genau das ist unsere Forderung. Insofern
war es jedoch nahezu folgerichtig, dass eine Finanzblase
entstand. Ein System, in dem Renditeversprechungen
von 20 Prozent und mehr gemacht werden, während es
nur ein Wirtschaftswachstum von 2 bis 3 Prozent gibt,
kann nur funktionieren, wenn in Kauf genommen wird,
dass rund herum alles zusammenbricht.
Vor kurzem hat mir ein erfahrener Unternehmer die
ganze Situation einmal in kurzen Worten geschildert. Er
hat gesagt: Wissen Sie, früher war es so, dass sich ein
gutes Unternehmen nach einer guten Bank umgeschaut
hat, um seine Finanzgeschäfte dort zu tätigen. Heute sind
Hedgefonds auf der Suche nach Unternehmen, um diese
auszunehmen. - Man muss doch jetzt endlich darangehen, diese Entwicklung umzukehren, statt nur an ihr herumzudoktern.
({3})
Unterdessen ist mir in dieser Woche bekannt geworden, dass die Vertreter der Bundesregierung vor kurzem
ein neues Bonussystem für Banker gebilligt haben. Mithilfe dieses neuen Bonussystems soll alles transparenter
werden. Wir sagen Ihnen dazu: Solange man Boni an
überhöhte Renditeerwartungen knüpft - das ist auch bei
diesem sogenannten neuen Bonussystem der Fall -, wird
sich die Lage nicht wirklich bessern. Deshalb ist auch
dies der falsche Weg. Man kann hier keinesfalls von etwas Neuem sprechen.
({4})
Sie wollen in den Bad Banks die wertlosen Verbriefungen parken. Aber wer hier kann die Frage beantworten, was werthaltig ist und was nicht. Es ist etwa so, als
wenn man Wasser und Wein in einem Glas zusammenschüttet und sich danach die Aufgabe stellt, das Wasser
wieder herauszunehmen.
({5})
Wer soll das alles bewerten? Wahrscheinlich werden es
wieder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sein, die
noch vor kurzem maroden Banken ihr Prüfsiegel verliehen haben und denen bestätigt haben, dass alles paletti
sei. Wie wollen wir denn garantieren, dass da, wo künftig „Good Bank“ draufsteht, auch wirklich eine „Good
Bank“ drin ist?
Die Regelung, alles in einer Frist von 20 Jahren zurückzuzahlen, kann, wenn überhaupt - wir nehmen es
aber einmal gutwillig an -, nur dann funktionieren, wenn
jetzt 20 gute Jahre folgen. Dass das so sein wird, sehe
ich aber nicht.
({6})
Auch ein Wort zu den Sparkassen. Wir sind in der Tat
der Meinung, dass die Sparkassen über Gebühr in Haftung genommen werden.
({7})
Was Sie hier einführen wollen, ist sozusagen eine erweiterte doppelte Gewährträgerhaftung; denn die Sparkassen haften bereits für die Landesbanken. Das ist doch
nicht unbekannt. Insofern sehen wir in der Tat eine Ungleichbehandlung von Sparkassen und Geschäftsbanken.
Man muss es in aller Deutlichkeit sagen: Sie spielen mit
der Stabilität der Sparkassen und damit mit der jener Finanzinstitute, die als einzige in den Finanzmarkt eine gewisse Sicherheit bringen. Natürlich haben auch die Sparkassen Fehler gemacht; aber ihnen jetzt solche Lasten
aufzubürden, geht nicht in Ordnung.
Nun hat der Sparkassen- und Giroverband uns, den
Mitgliedern des Haushalts- und des Finanzausschusses,
dieser Tage einen Lösungsvorschlag zukommen lassen,
wie man dieses Problem beheben kann. Ich rufe Sie auf
- der Vorschlag liegt vor -: Übernehmen Sie als Koalitionsfraktionen diesen Vorschlag zu § 8! Dann könnten
wir dieses Problem noch heilen.
({8})
Meine Fraktion bringt außerdem in Form eines Entschließungsantrags den Vorschlag ein, eine staatliche
Ratingagentur zu schaffen, um zu verhindern, dass private Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Ratingagenturen noch einmal ein solches Unheil, zu dem sie jetzt in
Gestalt der Finanzmarktkrise maßgeblich beigetragen
haben, anrichten. Mit diesem Vorschlag stehen wir nicht
allein. Er ist unlängst auch vom Bundespräsidenten
Horst Köhler unterbreitet worden. Deshalb wollen wir
Ihnen hier die Möglichkeit geben, einen solchen VorRoland Claus
schlag, der auf so viel Sympathie in der Gesellschaft
trifft, umzusetzen.
({9})
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist ein
schlechtes Gesetz, ebenso wie seine Vorgänger. Sie setzen die unsoziale Regierungspolitik fort: Banken werden
beschirmt, die Bürgerinnen und Bürger werden im Regen stehen gelassen. Dazu sagen wir: So nicht! Das Gesetz lehnen wir ab.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich erst einmal eine Anmerkung zum Verfahren machen: Wir haben im letzten Herbst in großer
Eile ein Gesetz zur Bankenrettung verabschiedet. Auch
wir waren damals der Ansicht, dass man schnell agieren
musste.
Bei dem Thema, wie wir mit toxischen Wertpapieren
umgehen, muss man allerdings hinterfragen, warum dieses am letzten Tag der letzten regulären Sitzungswoche
behandelt werden soll. Schließlich war das Thema im
letzten Oktober auf dem Tisch. Das Thema ist schon im
Januar und Februar diskutiert worden, und nun war es
noch nicht einmal auf den letzten Metern möglich, dass
wir in der regulären Sitzung des Finanzausschusses Ihre
Änderungsvorschläge bekamen. Vielmehr mussten wir
das Thema in einer kurzfristig einberufenen zusätzlichen
Sitzung durchpeitschen.
Das sage ich vor dem Hintergrund, dass es sich um
ein Gesetz handelt - das muss man sich einmal klarmachen -, das - das wissen wir - über 20 Jahre Wirkung
entfalten wird. Das sind fünf Legislaturperioden; da sind
die meisten von uns gar nicht mehr dabei.
Dieses Gesetz in dieser Form durchzupeitschen, zeugt
nicht von Handlungsfähigkeit, Herr Kampeter. Diese
Vorgehensweise zeugt vielmehr von mangelnder Handlungsfähigkeit. In dem Verhandlungsmarathon zwischen
den verschiedenen Akteuren auf Bundes- und Landesebene, von SPD und Union hin und her ist es einfach
nicht gelungen, dieses Thema, das seit Monaten auf dem
Tisch ist, in einem geordneten Verfahren sauber zu behandeln. - Auch dieser Aspekt muss hier einmal beleuchtet werden.
({0})
Wenn man in dieser Weise nun zum dritten Mal ein
Gesetz zur Finanzmarktstabilisierung macht - es gibt ja
schon das Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz und Ähnliches -, dann gehen einem langsam die
Bezeichnungen aus. Ich bin mir allerdings nach dem,
was Sie heute vorlegen, sicher, dass die nächste Bundesregierung gar nicht darum herumkommen wird, ein weiteres Gesetz zu machen.
({1})
Nach einigen Monaten muss man sich fragen, ob es
nicht an der Zeit ist, einen Blick auf die Strategie zu werfen. Was machen Sie? Sie verharren in einer falschen
Strategie und schnüren ein weiteres Milliardenpaket in
Form des Bad-Bank-Auslagerungsmodells - ich müsste
eigentlich im Plural sprechen, weil Sie sich nicht auf
eine einheitliche Lösung verständigen konnten -, um
hier noch einmal etwas draufzulegen.
({2})
Jetzt wäre es an der Zeit, einen Strategiewechsel vorzunehmen, und das ist die Position von Bündnis 90/Die
Grünen.
({3})
Denn ohne einen Strategiewechsel kann es unserer Meinung nach nicht einfach ein Bad-Bank-Gesetz geben.
({4})
Was wäre Teil dieses Strategiewechsels? Der erste Punkt
ist die Freiwilligkeit.
({5})
Das ist angesprochen und auch von der SPD thematisiert
worden. Wie weit es geführt hat, haben wir gesehen.
Und dann zu sagen, in den USA würden die Regionalbanken aufgrund des Zwangs pleitegehen, Herr
Kampeter, war unterirdisch. Es ist doch vielmehr so,
dass gerade diese Banken nicht in die Rettungsmaßnahmen mit einbezogen werden, weil man dort zwischen
den systemrelevanten und kleineren Banken differenziert. Insofern ist dies überhaupt kein Beispiel dafür,
dass Freiwilligkeit notwendig wäre. Im Gegenteil: Wir
stellen fest, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, darauf
zu warten, dass die Institute sagen, wann sie etwas haben
möchten. Wir selber sollten über den Tag hinaus
schauen, was die Institute brauchen. Wir müssten realistische Szenarien entwerfen, die in der nächsten Zeit auf
uns zukommen könnten, und dann müssten wir schauen,
was die Banken aushalten würden. Daraus resultierend
müssten wir mit einer Strategie der Rekapitalisierung die
Banken so aufstellen, dass bei einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage kein neues Gesetz notwendig wäre.
({6})
Genau das ist der Fehler: Sie agieren so, als wäre alles
schon passiert.
({7})
Sie reagieren immer aus der Sicht des Ist-Zustands, obwohl wir wissen, dass es noch eine weitere Verschärfung
geben wird.
({8})
Dies sind die kurzfristigen Aktionen, mit denen die
Große Koalition reagiert. Es ist eben keine längerfristige
Perspektive, und damit stabilisieren Sie gerade nicht,
sondern Sie schaffen immer neue Unsicherheiten,
({9})
weil immer nachkorrigiert werden muss.
({10})
Das ist der Fehler, und daher müsste jetzt ein Strategiewechsel her.
({11})
Zu den Sparkassen. Diese haben ja zwei Rollen. Zum
einen sind es Institute, die in die Lage versetzt werden
sollen, Kredite auszugeben. Zum anderen wissen wir,
dass sie Teil derer sind, die wir jetzt stabilisieren müssen. Denn es wird in nächster Zeit nicht allen Sparkassen
gut gehen.
({12})
Sie, Herr Kampeter, haben hier nur die Eigentümerrolle angesprochen. Man muss aber beide Punkte gegeneinander abwägen, und aus dieser Abwägung heraus
hätte man zu einer anderen Lösung kommen müssen, die
die Sparkassen in die Lage versetzen würde, in Zukunft
das zu tun, was wir von ihnen erwarten, nämlich in der
Region über eine gute Kreditvergabe Arbeitsplätze zu sichern. Das haben Sie nicht so abgewogen, wie es notwendig gewesen wäre.
({13})
Ich will noch ein Wort zu dem Entschließungsantrag
sagen, in dem Sie fordern, dass untersucht wird, ob gegen die Hypo Real Estate Schadenersatzansprüche bestehen.
({14})
Was Sie da machen, finde ich drollig. Wir haben vorgeschlagen, dass die Kandidaten - damals waren es noch
Kandidaten - für den Aufsichtsrat der Commerzbank im
Finanzausschuss gehört werden. Wir waren nämlich der
Meinung: Wenn der Bund Eigentumsanteile hat, dann
muss er auch wenigstens seine Vorstellungen äußern
können. Sie haben aber argumentiert, dass das nicht gehe
und dass man keine entsprechende Anhörung durchführen könne, weil man keinen Einfluss auf Aufsichtsräte
ausüben könne. Jetzt plötzlich fordern Sie die Aufsichtsräte, die im Namen des Bundes dort tätig sind, in einem
Antrag auf, entsprechend zu handeln. Wie passt das eigentlich zusammen?
Es ist richtig, dass geprüft wird, ob Schadenersatzansprüche bestehen. Aber Sie müssen endlich einmal die
Strategie verlassen, dass der Bund zwar Geld herüberschiebt, aber keinen Einfluss ausüben will. Auch das ist
Teil eines Strategiewechsels, der jetzt notwendig ist. Sie
versuchen es mit Ihrem Antrag auf die populistische
Art. Sie müssten sich aber grundsätzlich einmal die
Frage stellen, was aus der Tatsache folgt, dass der Bund
Eigentumsanteile besitzt. Auch an dieser Stelle ist ein
Strategiewechsel dringend notwendig.
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, setzen nicht auf das
Bad-Bank-Konzept, sondern auf ein Good-Bank-Konzept. Es lagen dazu gute Vorschläge, unter anderem der
Bundesbank, vor. Es ist schade, dass diese Vorschläge in
Ihrer Diskussion keine Rolle gespielt haben. Das Entscheidende ist jetzt nicht, auf die Altlasten zu schauen,
sondern, die Banken so aufzustellen, dass sie in Zukunft
das leisten können, was wir von ihnen erwarten, nämlich
die notwendige Kreditversorgung des Mittelstandes, und
zwar nicht nur kurzfristig, sondern für die nächsten
Monate und Jahre, die leider noch schwierig werden.
Meine Prognose ist, dass es genauso kommt, wie wir
schon im Frühjahr vorausgesehen haben, nämlich dass
es ein weiteres Rettungsgesetz gibt. Eine Regel gilt weiterhin - ich habe sie schon im Frühjahr genannt -: Immer dann, wenn der Bundesfinanzminister mit großer
Überzeugung einen Standpunkt vertritt, tritt genau das
Gegenteil ein. Im Frühjahr haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, gesagt, es werde keine Bad Bank geben.
Jetzt haben wir sie. Sie haben weiterhin gesagt, das
Bad-Bank-Gesetz werde der große Hebel für die Konsolidierung der Landesbanken. Wieder trifft die Regel zu,
dass das Gegenteil von dem eintritt, was der Bundesfinanzminister mit großer Überzeugung vertritt. Ich
glaube, hier brauchen wir einmal eine Korrektur.
({15})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer
Steinbrück.
({0})
Frau Präsidentin! Ich müsste eine Redezeit von
60 Minuten haben, um auf die vielen Irrtümer, Verdrehungen und Überzeichnungen von Herrn Schick einzugehen.
({0})
Da ich aber lediglich 9 Minuten habe, will ich nur sagen:
Der Bundesfinanzminister hat nie in irgendeiner Form
den Standpunkt vertreten, dass er ein großes Bad-BankModell zentralisierter Art in Deutschland für richtig hält.
Sie wissen, dass ich das nie getan habe.
({1})
Ich habe immer davon gesprochen, dass es institutsspezifische Lösungen geben muss. Eine solche Lösung leBundesminister Peer Steinbrück
gen wir heute vor. Ich will mich an diesem Punkt aber
nicht lange aufhalten, sondern versuchen, etwas grundsätzlicher zu werden.
Wir haben damals im Finanzmarktstabilisierungsgesetz, wie Sie sich erinnern können, drei Maßnahmen vorgesehen: Garantien, Kapitalinjektionen und auch die
Möglichkeit, sogenannte Problemaktiva - ich sage es
einmal umgangssprachlich - aufzukaufen. Von zwei dieser Instrumente ist Gebrauch gemacht worden. Wir haben dann festgestellt, dass das dritte Instrument immer
mehr an Bedeutung gewinnt, weil sich die Zeiten ändern.
({2})
Man muss gegebenenfalls nachjustieren. Die Welt um
uns herum verändert sich, insbesondere unter dem Druck
der Finanzmarktkrise, in einer rasanten Geschwindigkeit. Die Politik kann da nicht stehen bleiben, sondern
sie wird sich auf neue und sich verändernde Verhältnisse
einzustellen haben.
Über diesen dritten Instrumentenkasten reden wir
jetzt. Wir haben uns auch nicht fahrlässig viel Zeit gelassen, wie Herr Toncar und andere behaupten. Wir haben
aber festgestellt, dass es die komplizierteste Materie ist,
die es gibt. Wenn Sie nämlich zu einer Bereinigung der
Bilanzen beitragen und die Banken entlasten wollen, indem Sie die belastenden Papieren aus den Bilanzen sozusagen wegfegen, dann müssen Sie die Frage beantworten: Wer ist der Dumme, der die damit verbundenen
Risiken übernehmen soll?
({3})
Daran haben andere Länder lange gearbeitet. Je effektiver die Bilanzbereinigung ist, desto drängender steht
die Frage im Raum, wer die Haftung und die Risiken für
das übernimmt, was aus den Bilanzen weggefegt worden
ist. Darauf keine Antwort gefunden zu haben, daran sind
andere Länder weitestgehend gescheitert.
({4})
Sie vergessen zum Beispiel, dass die Amerikaner ihr
Modell drei- bis viermal unter dem Druck der Veränderungen bzw. aufgrund der Notwendigkeit, nachzujustieren, modifiziert haben. Übrigens sind die Risiken weitgehend bei den Steuerzahlern verblieben. Deshalb sind
Ihre Annahme und die von Herrn Claus absolut falsch.
Herr Claus sagt, alle Risiken seien beim Steuerzahler geblieben, um alle Menschen, die um uns herum sind und
uns zuhören, zu erschrecken. Pustekuchen! Das stimmt
gar nicht! Sie sagen, dass ein neues Milliardenpaket auf
den Bundeshaushalt und damit auf den Steuerzahler abgewälzt wird. Warum ist Ihnen denn dann kein Gesetzentwurf mit weiteren Forderungen vorgelegt worden?
Weil es eben keine neuen Belastungen in Milliardenhöhe
sind, die über den 500-Milliarden-Euro-Schirm, den wir
haben, hinausgehen. Das, was Sie da sagen, ist falsch.
({5})
Sie bringen eine Dramatik in die Debatte hinein, wollen ein paar Blinklichter setzen und Parolen ausgeben,
nach dem Motto: Da muss jetzt nachgelegt werden. Das
ist nicht der Kern dieses Gesetzes. Als derjenige, der Ihnen mit Unterstützung des Kabinetts einen Formulierungsvorschlag unterbreitet hat, verlange ich Ihnen vor
der Sommerpause keine weiteren Milliarden ab - weder
mit Blick auf Kapitalinjektionen noch mit Blick auf
Garantien noch über das 500-Milliarden-Euro-Gesetz hinaus -, um der Problemaktiva in den Bilanzen Herr zu
werden. Insofern frage ich mich, ob Sie diese Stichworte
wider besseres Wissen geben oder ob Sie das nicht begriffen haben. Beides ist für die Politik gleich gefährlich
und beunruhigt die breite Öffentlichkeit.
Warum haben wir Probleme in den Bilanzen? Wir haben das Problem, dass eine ganze Reihe von Banken
unabhängig von ihrer Rechtsform Wertpapier- und Kreditportfolios hat, die einer immer weiter gehenden Abwertung unterworfen sind. Man muss versuchen, das
denjenigen Menschen zu erklären, die mit diesen fachlichen Zusammenhängen nicht täglich zu tun haben. Warum ist das so gefährlich? Diese Portfolios unterliegen
dem, was wir in der Schule erlebt haben, als die Bewertung unserer Leistungen von Drei auf Drei minus und
dann auf Vier herunterging - eine Art Ratingmigration -;
das heißt, man wurde immer weiter abgestuft. Mit jeder
Abstufung verfressen, verfrühstücken die Banken immer
mehr Eigenkapital. Das ist aus zwei Gründen hochgefährlich:
Möglicherweise haben diese Banken eines Tages so
wenig Eigenkapital, dass sie kurz vor der Insolvenz stehen. Dann muss die Bankenaufsicht eingreifen, dann
muss sie tätig werden. Das bedeutet, dass eine solche
Bank plötzlich pleite ist und buchstäblich verschwindet.
Dann haben wir ein Problem.
Ein noch viel größeres Problem ist aber, dass dieses
Eigenkapital, das dadurch verfressen bzw. verfrühstückt
wird, dass Aktiva dieser Banken immer weiter abgewertet werden, nicht mehr denjenigen zur Verfügung steht,
die es in Deutschland aus konjunkturellen Gründen dringend brauchen: die Marktneulinge, der Mittelstand und
die großen Unternehmen.
({6})
Sie lesen doch gelegentlich, dass große Unternehmen
einen Refinanzierungsbedarf von 2, 3, 4 oder 5 Milliarden Euro haben. Dieses Geld bekommen sie aber
nicht mehr. Das bekommen sie auch deswegen nicht
mehr, weil sich andere europäische Banken in dieser
Krise an der Konsortialfinanzierung in Deutschland
nicht mehr beteiligen. Das ist der Grund, warum wir
dazu beitragen müssen, dass die Bilanzen der Sparkassen, der Landesbanken, der privaten Geschäftsbanken
und, wenn es sein muss, der Genossenschaftsbanken entlastet werden. Das ist der Grund.
({7})
Herr Schick, ich will gar nicht ausschließen, dass die
Lage in einem halben Jahr so ist, dass wir noch einmal
darüber beraten müssen. Was ich aber ausschließen
möchte, ist, dass wir alle in die Sommerpause gehen,
ohne einen Instrumentenkasten für den Fall zu haben,
dass etwas passiert. Das ist der Grund für unser Handeln.
Das müssen Sie doch allen Beteiligten sagen. Es ist kein
großes Geheimnis, dass vor vier Wochen eine Landesbank in einer Situation war, in der die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, fast aufsichtsrechtlich hätte tätig werden müssen. Ich möchte ausschließen, dass die Exekutive es in der Sommerpause
mit einem ähnlichen Fall zu tun hat, ohne dass ein Instrumentenkasten zur Bewältigung einer solchen Krise
zur Verfügung steht. Deshalb bitte ich dringend darum,
dass der Gesetzgeber in Ergänzung zu den bisherigen
Beratungen diesen Handwerkskasten bereitstellt. Sonst
haben wir ein großes Problem.
({8})
Mit Überraschungselementen - von hinten durch die
Brust ins Auge - hat das überhaupt nichts zu tun.
Was würde passieren, wenn wir im August einen solchen Fall hätten? Das frage ich auch mit einem kritischen Blick auf die Sparkassen. Der jetzige Zustand der
Sparkassen ist hoch risikobehaftet.
({9})
Wenn eine Landesbank aufsichtsrechtlich jetzt ins Moratorium, in die Insolvenz gebracht würde, was würde das
für die beteiligten Sparkassen bedeuten? Das würde bedeuten, dass sie ihre jeweiligen quotalen Anteile sofort
abzuschreiben hätte. Ich will das nicht herbeirufen; aber
ich habe einen Fall im norddeutschen Raum vor meinem
geistigen Auge und sehe, was dort mit Blick auf die beteiligten Sparkassen allein in einem Bundesland alles
passieren könnte. Diese Sparkassen sind schon jetzt in
einer weiß Gott nicht komfortablen Position. Es ist unverantwortlich, es dabei zu belassen.
Demgegenüber ist all das richtig, was der Kollege
Kampeter beschrieben hat, und zwar auch hinsichtlich
der Entlastung der Sparkassen. Zu dieser Einsicht kamen
wir nicht zuletzt durch die Beratungen innerhalb der Koalition.
Ich gebe zu: In meinem Formulierungsvorschlag waren die Haftungsbedingungen für die Sparkassen noch
weitreichender. Jetzt werden sie begrenzt; sie unterliegen einer Kappung, und zwar nach der Gewährträgerhaftung, die sie am 30. Juni 2008 gehabt haben. Niemand
von den Sparkassen wird darüber hinaus an weiter gehenden Verlusten quotal beteiligt. Dies ist bei den Ländern anders: Die Länder werden quotal auch über ihre
jetzige Gewährträgerhaftung hinaus herangezogen,
wenn etwas passiert - was hoffentlich nicht der Fall sein
wird.
Im Übrigen sagen einige, das sei ihnen zu wenig. Dies
steht auch in einigen der jüngsten Briefe, die wir bekommen. Ich weiß, dass Sie als Abgeordnete unter massivem
Druck sind durch die verschiedenen Bekannten und
Freunde, die in den jeweiligen Aufsichtsräten oder Verwaltungsräten sind. Sie müssen nur wissen: Wenn diese
Gewährträgerhaftung noch weiter relativiert werden
sollte, müssen Sie die Frage beantworten, wer denn dann
eintreten soll. Wissen Sie, wer für die Bereitstellung von
weiterem Kapital oder die weitere Übernahme von entsprechenden Risiken ausgeguckt ist? Sie, der Deutsche
Bundestag. Das ist doch völlig klar. Das ist wie eine
Bettdecke, die hin- und hergezogen wird. Wenn andere
gerne wollen, dass Ihre Füße, Ihre Knie und Ihre Oberschenkel durch die Bettdecke gut geschützt werden und
sagen, sie müsse heruntergezogen werden, dann wird unser Kopf kalt; dann müssen wir zahlen. Die Bettdecke
kann nur in die eine oder in die andere Richtung gezogen
werden. Ich glaube, dass diese Lösung, auch bei Ergänzung einer sogenannten Überforderungsklausel für die
Sparkassen, absolut verantwortlich ist.
Ich will in der verbleibenden Redezeit noch einige
Dinge kursorisch andeuten.
Ja, wir haben, dem Beratungs- und Abstimmungsprozess der Koalition folgend, etwas getan, was ich nicht
vorgesehen hatte: Wir haben auch die Möglichkeit von
Landesanstalten begründet. Ich gebe zu, dass das für
mich ein schwieriger Punkt ist. Warum? Weil ich die
Vermutung habe, dass einige Länder die Vorstellung haben, alles so belassen zu können, wie es bisher ist.
Ich hätte es lieber gehabt, wenn es bei der AIDALösung geblieben wäre, weil wir dann mit Blick auf die
entsprechenden Genehmigungsschritte dahin gehend
hätten Druck ausüben können, dass die zwingend notwendige Konsolidierung des Landesbankensektors in
Deutschland vorangeht. Ich habe diesen Hebel nur für
den Fall, dass die Landesbanken von den Bundesangeboten Gebrauch machen, aber nicht für den Fall, dass sie
eine Landesanstalt unter dem jetzt geänderten Bundesrecht einrichten. Ich füge allerdings hinzu: Der Problemdruck und die Europäische Kommission werden die Länder dahin bringen.
({10})
Das heißt, wenn diese Bank, die im Augenblick nur sehr
spärlich besetzt ist, die Vorstellung hätte, es bleibe auch
in drei oder vier Jahren bei dem jetzigen Konstrukt der
Landesbanken - die meisten von denen haben kein tragfähiges Geschäftsmodell -, dann wäre das der größte Irrtum, mit dem man sich über die jetzige Situation hinwegtäuschen würde.
({11})
Niemand kann ausschließen, dass wir im Laufe der
nächsten Monate in dem einen oder anderen Fall im
Bankensektor weitere Probleme bekommen. Ich glaube,
dass der Deutsche Bundestag mit diesem Thema mehrheitlich bisher sehr verantwortungsbewusst umgegangen
ist. Ich wünsche mir gelegentlich, Herr Toncar, dass Sie
nicht abschließend sagen: Dieses Gesetz wird nicht zum
Erfolg beitragen. Wäre es nicht verantwortungsbewusster, wenn Sie sagen würden: „Wir wollen im Interesse
des Landes alles versuchen, damit sich der Erfolg einstellt“?
({12})
Diese Tendenz - es gibt sie oft in Oppositionsreden -,
eher am Scheitern orientiert zu sein, führt am Ende,
wenn es schiefläuft, dazu, dass man so reagiert wie die
Eltern eines Kindes, das auf eine heiße Herdplatte gefasst hat, indem man nämlich sagt: Ich habe dich doch
gleich gewarnt, dass das heiß ist; es ist gut, dass du dich
verbrannt hast.
({13})
Diese Haltung kommt gelegentlich zum Ausdruck.
Stattdessen sollten wir bei einer solchen Frage alle
motivieren, gemeinsam zum Gelingen beizutragen, weil
das im Interesse dieses Landes ist. Diese Tonlage würde
ich mir bei einer solchen Beratung gelegentlich wünschen.
({14})
Ich will mich abschließend namentlich insbesondere
bei Herrn Schneider und bei Herrn Kampeter für sehr intensive und lange Beratungen bedanken. Es war ein
schwieriger und unter Stress geführter Prozess. Ich
glaube, dass dabei etwas sehr Konstruktives herausgekommen ist. Ich weiß, dass Sie einige Überzeugungen
über Bord werfen mussten. Auch ich habe mich an der
einen oder anderen Stelle auf Ihre Beratung einlassen
wollen und müssen. Ich war sehr angenehm überrascht,
dass das dann so gut gelaufen ist. Noch einmal: Ich bedanke mich ausdrücklich.
({15})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege
Bartholomäus Kalb das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister Steinbrück, wir alle sind sehr
am Gelingen interessiert und wollen konstruktiv daran
mitwirken. Deswegen haben wir mit diesem Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz, wie es etwas kompliziert heißt, im Wesentlichen zwei zusätzliche
Instrumente geschaffen, die jetzt genutzt werden können.
Erstens. Mit dem sogenannten Beibootmodell haben
wir dafür gesorgt, dass die strukturierten Papiere - sie
werden auch toxische oder giftige Papiere genannt - in
Zweckgesellschaften ausgelagert werden können, und
zwar zur Entlastung der Bilanzen, damit die Kernbanken
wieder ihrem eigentlichen Kerngeschäft nachgehen können und damit ihre Handlungsfähigkeit wiederhergestellt
wird. Vor allen Dingen müssen sie - das ist der Sinn der
ganzen Übung - wieder in vollem Umfang in das für sie
unverzichtbare Kreditgeschäft einsteigen können. Jetzt
geben wir ihnen die Möglichkeit, eventuell auftretende
Verluste über 20 Jahre abzuschreiben. Diese Regelung
dient auch der Schonung des Steuerzahlers.
Zweitens - hier hatten wir in besonderer Weise die
Landesbanken im Blick - schaffen wir die Möglichkeit,
Risikopositionen und möglicherweise auch strategisch
nicht notwendige Geschäftsfelder in eine Anstalt auszugliedern, und zwar ohne Bewertungsabschlag; auch darauf muss einmal hingewiesen werden. Denn hier besteht - das hat der Kollege Kampeter vorhin dargelegt ein Zusammenhang zur vorgesehenen Haftungsregelung.
Ich glaube, es ist nicht zu unterschätzen, dass die Ausgliederungen ohne Bewertungsabschlag vorgenommen
werden können; denn dadurch werden die Institute entlastet. Danach haben sie die Möglichkeit, über einen langen Zeitraum hinweg eine Neuausrichtung vorzunehmen
und ihre Bilanzen zu entlasten.
Drittens. Auch wenn Minister Steinbrück bei diesem
Thema zu einer etwas anderen Bewertung kommt,
möchte ich sagen: Ich bin sehr froh darüber, dass es uns
gelungen ist, dafür zu sorgen, dass auch landesspezifische Lösungen vorgesehen werden können. Wir haben
die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass individuelle Lösungen möglich sein werden. Dies hat zum einen zur Folge, dass der Bund nicht zur Verantwortung
gezogen wird, und zum anderen, dass die Länder die
Möglichkeit haben, für sich strategisch bessere Lösungen zu finden.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Länder in die
Vorbereitung und in die Vorgespräche sehr intensiv eingebunden waren. Es ist nicht so, dass wir - sozusagen
hermetisch abgeriegelt - dieses Gesetz erarbeitet hätten,
ohne die Länder in die Vorbesprechungen und die vorbereitenden Beratungen einzubeziehen.
Andere haben schon deutlich gemacht: All die Aktivitäten, die wir seit dem vergangenen Herbst zur Stabilisierung des Finanzmarktes unternommen haben, haben
wir unternommen, um den Bankensektor zu stabilisieren
und die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger zu sichern; sonst wären viele schlimme Entwicklungen möglich gewesen. Vor allen Dingen ging es uns darum, die
Kreditversorgung der Wirtschaft sicherzustellen. Der
Deutsche Bundestag handelt immer mit einem Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein. Vieles von dem,
was wir tun, ist nicht populär und kommt nicht gut an,
und Vorurteilen ist Tür und Tor geöffnet. Manche Themen sind allerdings nicht gerade einfach zu vermitteln.
Vor diesem Hintergrund ist unsere Forderung - viele
andere erheben sie auch - verständlich, dass auch diejenigen, die in den Banken unmittelbar Verantwortung getragen haben und immer noch tragen, zur Verantwortung
gezogen werden müssen. Natürlich gibt es in einem
Rechtsstaat keine Willkür. Die Instrumente, die in einem
Rechtsstaat vorhanden sind, müssen allerdings genutzt
werden. Auch das gebietet die Situation.
Wir erwarten, dass die von uns ergriffenen Maßnahmen nicht nur zur Stabilisierung des Bankensystems dienen, sondern vor allem auch zur Verbesserung des Kreditflusses und zur Kreditversorgung der Wirtschaft; das
gilt insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand, aber
natürlich auch im Hinblick auf den Privatkunden. Unsere Maßnahmen werden durch die Maßnahmen, die die
Zentralbank zur Liquiditätsversorgung ergreift, ergänzt.
Ich bin der Meinung, es ist einmalig, dass für 1 Prozent
Refinanzierungskosten ein Jahr Liquidität ausgereicht
wird. Wir erwarten, dass diese Möglichkeiten nicht für
irgendwelche attraktiven Handelsgeschäfte genutzt werden, sondern dass sie genutzt werden, um die Kreditversorgung in noch höherem Maße als bisher sicherzustellen.
({0})
1 Prozent, ein Jahr - ich glaube, das ist gut.
Kollege Kalb, achten Sie bitte auf das Signal.
Ich bin sofort am Ende, Frau Präsidentin.
({0})
Ich will nochmals darauf hinweisen, dass wir all dies
nicht tun, weil wir besondere Sympathie für Banken
oder für Bankmanager haben, sondern weil es im Interesse der Wirtschaft, im Interesse der sozialen Sicherheit
und letztlich im Interesse der Menschen ist.
Ich möchte zum Abschluss den amerikanischen Präsidenten, Barack Obama, zitieren, der bereits in seiner ersten Rede gesagt hat: Es geht nicht darum, Banken zu helfen; es geht darum, den Menschen zu helfen. - Das
wollen wir tun.
({1})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz legen wir
eine weitere Ergänzung zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilität vor.
Einige Redner haben uns vorgeworfen, dass wir immer neue Gesetze vorlegen. Das ist nicht so. Schon das,
was wir im Herbst letzten Jahres im Rahmen des ersten
Finanzmarktstabilisierungsgesetzes entwickelt haben, hatte
als Grundstruktur die drei Bereiche Garantien, Rekapitalisierung und Risikoübernahme. Es war damals der
erklärte Wille der Politik, die ersten beiden Instrumentarien stärker zu fahren und die Frage der Risikoübernahme, weil hier die größte Gefahr einer zusätzlichen
Belastung des Steuerzahlers besteht, zurückhaltend zu
behandeln.
Nichtsdestotrotz hat die Union rechtzeitig daran erinnert, dass wir auch einen Teil brauchen, der die Bilanzen
der Banken entlastet. Neben dem Modell der sogenannten
Zweckgesellschaft sollte eine Möglichkeit geschaffen
werden, dass sich Banken - auch im öffentlich-rechtlichen Bereich; Stichwort „Landesbanken“ - konsolidieren und aus der Konsolidierung heraus neu strukturieren.
Von daher ist diese Gesetzesergänzung - nicht umsonst
heißt es: Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung - ein wichtiger Beitrag, diesen Weg zu gehen. Es ist wichtig, dass wir hiermit ein Angebot unterbreiten, das auf freiwilliger Basis angenommen werden
kann.
Wenn wir bei den Verhandlungen über die Konsolidierungsbank, über das Konsolidierungsmodell einigen
Vorstellungen unseres Koalitionspartners bzw. Herrn
Schneiders gefolgt wären - es ging um die Frage einer
größeren Kapitalbeteiligung des Bundes an diesen Maßnahmen -, hätten Sie, Herr Minister Steinbrück, es wieder mit einer Landesbank - für eine Landesbank haben
Sie schon einmal vorübergehend Verantwortung getragen - zu tun bekommen. Davor wollten wir Sie bewahren. Wir wollten die Bereiche stärken, die sich von der
Effizienz her als zukunftsweisend herausgestellt haben.
Es ist kein Geheimnis, dass es bei unserem Koalitionspartner - aber auch beim Minister - Vorbehalte gab,
den Weg, den wir jetzt beschreiten, zu eröffnen. Das ist
auch Modellen vom Bankenverband geschuldet. All die
Modelle, wie man strukturierte Papiere bankentlastend
in andere Bereiche einführen kann, waren dadurch gekennzeichnet, dass dies einseitig zulasten des Steuerzahlers gegangen wäre. Von daher ist hier ein guter Weg gefunden worden.
Die Union hat ihren Beitrag zu diesem Gesetz geleistet. Im ersten Gesetzentwurf war ausschließlich der erste
Teil vorgesehen: die Zweckgesellschaften, in die strukturierte Produkte ausgelagert und in denen diese Produkte
mit Garantien versehen werden können. Wir als Union
haben darauf gedrängt, diesen Weg nur zu gehen, wenn
auch der zweite Teil, die Konsolidierungsbanken, vorgesehen wird.
({0})
Wir haben diesen Weg eröffnet.
Vom Kollegen Kampeter ist schon sehr vieles zur Situation der Sparkassen gesagt worden.
({1})
Ich möchte noch einmal betonen: Die Argumentation,
wonach die Sparkassen durch dieses Gesetz zusätzlich
belastet werden, ist schon grenzwertig. Durch dieses Gesetz werden sie nicht zusätzlich belastet. Am Status der
Sparkassen und des öffentlichen Bereichs in Bezug auf
die Gewährträgerhaftung, den Umfang der GewährträLeo Dautzenberg
gerhaftung und die Risikobereiche wird sich durch dieses Gesetz nichts ändern. Durch diese Neustrukturierung
ermöglichen wir Erleichterungen. Wenn wir nichts getan
hätten - das ist betont worden -, dann wäre das den
Sparkassen in kürzester Zeit im übertragenen Sinne auf
die Füße gefallen, und dann wäre es unter Umständen in
der Tat zu einer Kettenreaktion in diesem Bereich gekommen.
Wir leisten daher einen wesentlichen Beitrag. Die Opposition hat die Möglichkeit, dem in Verantwortung beizutreten. Wir können nur empfehlen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13590, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/13156 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion,
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 66 a.
Wir stimmen nun über die Entschließungsanträge ab.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13709? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13694? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13695? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13590 empfiehlt der Haushaltsausschuss,
den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung auf den Drucksachen 16/13297 und 16/13384
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 66 b. Abstimmung über den von
der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von
Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes. Der
Haushaltsauschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13683, den Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12996 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 66 c. Abstimmung über den von
der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle
von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung. Der
Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13679, den Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12885 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung wiederum die weitere Beratung.
Zusatzpunkt 11: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 16/13619 mit dem Titel „Schadensersatzansprüche
gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo
Real Estate Holding AG“.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/13620 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD auf Drucksache 16/13619? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 70 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({0}), Monika Lazar, Jerzy
Montag, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 16/11885 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 16/13658 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Vizepräsidentin Petra Pau
Gisela Piltz
Wolfgang Wieland
Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Günter Krings für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Kurz vor Toresschluss, am Ende der
letzten Sitzungswoche des 16. Deutschen Bundestags,
debattieren wir eine grundlegende Frage für unsere Demokratie, das Wahlrecht.
({0})
- Diejenigen, die das als eine wichtige Materie empfinden, sollten vielleicht besser zuhören, der Debatte Aufmerksamkeit widmen und nicht schon mit polemischen
Zwischenrufen beginnen.
({1})
Nicht umsonst haben die Staatsrechtslehrer seit Jahrzehnten das Bundeswahlgesetz als einen der besonderen
Fälle angesehen, in denen der Gesetzgeber materielles
Verfassungsrecht setzt. Umso überraschender war, auch
für alle Experten, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr, mit dem ein seit Jahrzehnten bekanntes Sonderphänomen unseres Wahlgesetzes, nämlich das negative Stimmgewicht, das vom selben Gericht
wenige Jahre zuvor noch ausdrücklich akzeptiert worden
ist, nun doch für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurde.
Wenn das die Verfassungsexperten schon im letzten
Jahr überrascht hat, so ist es ja wohl unvermeidlich, dass
in den politischen Äußerungen bei manchen in den letzten Wochen so einiges drunter und drüber ging.
({2})
Ich möchte deshalb meine Redezeit dazu nutzen, mit einigen Legendenbildungen bzw. Fehlinformationen
- fünf an der Zahl - aufzuräumen, um in diese etwas
überhitzte Debatte mehr Sachlichkeit hineinzubekommen.
Die erste Legende, die in den letzten Wochen vielleicht
am prominentesten vertreten worden ist, bis hin zu Spitzen der SPD-Fraktion, aber vor allem von den Grünen
schon seit langem, lautet, das Bundesverfassungsgericht
habe Überhangmandate für verfassungswidrig erklärt.
Richtig ist exakt das Gegenteil. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil Überhangmandate ausdrücklich akzeptiert. Vermieden werden muss nach diesem Urteil eben nur das Sonderphänomen des negativen
Stimmgewichts. Richtig ist, dass es oft zusammen mit
Überhangmandaten auftritt. Aber es gibt Lösungen, die
Überhangmandate ermöglichen, ohne zu negativem
Stimmgewicht zu führen. Andererseits gibt es auch ein
negatives Stimmgewicht in Konstellationen, in denen gar
kein Überhangmandat auftritt.
Ein Regelungsversuch, wie er von den Grünen vorgeschlagen wird, der schon das Problem nicht richtig erkennt, kann natürlich unmöglich einen guten Lösungsansatz für das Bundeswahlgesetz darstellen. Schon allein
aus diesem Grund können wir diesem Vorschlag nicht
zustimmen.
({3})
- Sie sollten zuhören, sonst kriegen Sie nachher von mir
keinen Hörerschein.
({4})
Kommen wir zur zweiten Legende. Die Grünen behaupten von ihrem eigenen Vorschlag, durch diesen
könnten die Überhangmandate und damit auch das negative Stimmgewicht beseitigt werden. Richtig ist: Auch
der Entwurf der Grünen kann nicht garantieren, dass
kein Überhangmandat mehr entsteht. Denn nach Ihrem
Gesetzentwurf besteht keine Pflicht, die Listen zu verbinden. Sie können nach wie vor getrennt werden. An
der Stelle hätten Sie besser arbeiten sollen.
({5})
Selbst wenn wir die Verbindung der Listen zur Pflicht
machen würden, wäre es immer noch möglich, dass sich
eine Partei nach dem Erfolgsmodell der CSU in Regionalparteien aufgliedert und damit ihre Überhangmandate
dauerhaft sichert.
({6})
Auch insoweit ist der Vorschlag leider eine Mogelpackung.
({7})
Kommen wir zur dritten Legende. Es wird behauptet,
das negative Stimmgewicht würde im Regelfall einem
taktischen Wahlverhalten Tür und Tor öffnen. Es ist richtig, dass es vor der letzten Bundestagswahl in Dresden
zu einem solchen Fall gekommen ist. Das war aber ein
absoluter Sonderfall. Dass die Möglichkeit genutzt
wurde, das Wahlverhalten durch die Nachwahl taktisch
zu beeinflussen, kam in den letzten Jahrzehnten nur ein
einziges Mal in einem einzigen Wahlkreis vor. Das ist
beim negativen Stimmgewicht keinesfalls der Regelfall.
Wenn man das negative Stimmgewicht manipulativ
oder taktisch einsetzen wollte, hieße das, dass sich Hunderttausende von Wählern bei jeder Wahl im Vorfeld genau über ihr Stimmverhalten absprechen müssten, und
zwar unter Aufhebung des Wahlgeheimnisses. Dass das
ein abstruses Szenario ist, sehen sicherlich alle Fraktionen dieses Hauses ein. Auch aus diesem Grunde taugt
der Vorschlag nichts.
({8})
Wir kommen zu einer vierten Legende. Ebenso abstrus ist wohl die Behauptung, das Bundesverfassungsgericht selbst lege uns eine schnelle Wahlrechtsreform
nahe. Es ist immer wieder gesagt worden, dass wir nach
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt schnell
handeln müssten. Auch hier ist das Gegenteil richtig.
Hilfreich ist ein simpler Blick auf die Randziffern 143
und 144 des Urteils. Ich darf das Bundesverfassungsgericht zitieren:
Andererseits fordert der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen zustehende Gestaltungsspielraum
ausreichend Zeit, um die verschiedenen Regelungsalternativen und deren Auswirkungen auf das
Wahlrecht angemessen zu berücksichtigen und zu
gewichten.
Kurz danach heißt es:
Das Gesetzgebungsverfahren muss zudem so rechtzeitig abgeschlossen sein, dass sich die Parteien bei
der Aufstellung ihrer Kandidaten auf die neue
Rechtslage einstellen können.
({9})
Wem das noch zu abstrakt ist, der sollte weiterlesen.
Noch konkreter heißt es im nächsten Absatz:
Das reguläre Gesetzgebungsverfahren müsste in
diesem Fall spätestens im April 2009 abgeschlossen
sein, damit das neue Recht bei den Vorbereitungen
zur Wahl zum 17. Deutschen Bundestag berücksichtigt werden könnte.
Wenn Sie schon keine Lust haben, das Urteil zu lesen,
dann sollten Sie zumindest einen Blick in den Kalender
werfen. Heute ist der 3. Juli. Die Frist des Gerichts ist
seit zwei Monaten abgelaufen.
({10})
Eine überhastete Gesetzesänderung scheidet aber
auch deshalb aus, weil das Verfassungsgericht dieses Urteil zum Anlass nehmen will - ich zitiere noch einmal -,
das für den Wähler kaum noch nachzuvollziehende
Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzzuteilung im Deutschen Bundestag auf eine neue, normenklare und verständliche Grundlage zu stellen.
Lesen Sie dagegen noch einmal Ihren eigenen Entwurf!
Noch komplizierter als Sie kann man es eigentlich nicht
formulieren.
({11})
Im Januar dieses Jahres hat uns das Gericht noch etwas ins Stammbuch geschrieben. Und Sie sollten möglichst alle Urteile zur Kenntnis nehmen. Seinerzeit hat
das Gericht nämlich festgestellt, dass auch das Problem
des doppelten Erfolgswertes von Stimmen, der in Berlin
aufgrund der Erststimmenerfolge der PDS 2002 eine
Rolle gespielt hat, unverzüglich gelöst werden muss.
({12})
Auch dazu halten Sie keine Lösung vor. Sie ignorieren
dieses Judikat des Bundesverfassungsgerichts aus dem
Januar dieses Jahres.
({13})
Wir als Union werden einem solchen juristischen und
politischen Husarenritt heute nicht die Hand reichen.
({14})
Kommen wir zur fünften Legende. Es wird behauptet,
der untaugliche Versuch der Grünen zur Änderung des
Wahlrechts sei ein möglichst minimaler Eingriff ins
Bundeswahlgesetz. Richtig ist: Sie würden das Wahlsystem grundlegend umkrempeln.
({15})
Nach Ihrem Vorschlag würde es Listenkandidaten geben,
denen ein Mandat, das sie schon bekommen haben, wieder entzogen würde, um Überhangmandate in anderen
Bundesländern auszugleichen. Das wäre eine Bestrafung
von Landesverbänden mit guten Zweitstimmenergebnissen, und es würde die Listenkandidaten benachteiligen.
({16})
In der Anhörung haben Experten deutlich gesagt - Sie
waren nicht anwesend, Frau Künast, sonst hätten Sie es
vielleicht auch gehört -, dass Ihr Vorschlag aus diesem
Grunde sogar verfassungswidrig, mit dem Grundgesetz
nicht vereinbar, sei.
({17})
Zumindest wäre nach Ihrem Gesetzesvorschlag die Anfechtung der nächsten Wahl schon vorprogrammiert.
Es gibt durchaus Alternativen, die wir auch schon diskutiert haben; Sie erinnern sich sicherlich daran, Herr
Benneter. Ich habe beispielsweise die vom Bundesverfassungsgericht genannte Alternative der Trennung der
Landeslisten aufgegriffen. Niemand in diesem Hause,
außer unserer Fraktion, hat sich bisher ernsthaft mit diesem Vorschlag beschäftigt. Es ist eine taugliche Alternative mit einem geringeren Eingriff ins Bundeswahlgesetz, die - um mehr geht es mir gar nicht - ernsthaft
diskutiert werden muss.
Wir als Union haben erhebliche Bedenken, wenn ein
Vorschlag wie der der Grünen eine regionale Ungleichheit und Ungerechtigkeit herbeiführt, wenn er dazu
führt, dass einzelne Bundesländer für andere bluten müssen. Wir halten schließlich die Grünen in dieser Frage
für nicht besonders glaubwürdig. Sie haben das Problem
des negativen Stimmgewichts nie thematisiert, als Sie
noch mit der SPD regiert haben.
({18})
Es gab damals für Sie offenbar weder ein Problem noch
einen entsprechenden Antrag. Herr Kollege Benneter,
Sie haben übrigens vor zwei Jahren vorgeschlagen, das
Nachrücken bei Überhangmandaten zu ermöglichen. Sie
wollten damals die Überhangmandate noch stärken. Ich
habe Sie zusammen mit anderen Kollegen meiner Fraktion davon abgehalten. Ich bin froh, dass uns das damals
gelungen ist.
Wir sind heute nicht nur wenige Monate vor einer
Bundestagswahl, sondern schon mitten im Wahlverfahren. Alle Kandidaten sind aufgestellt. Wer jetzt in dieses
Verfahren eingreift, setzt sich dem Geruch von Manipulation aus.
Ich darf abschließend die Süddeutsche Zeitung zitieren, die Anfang der Woche zu Recht schrieb:
Es riecht nach Bananenrepublik, wenn in der letzten Sitzungswoche vor der Wahl eine Regierungspartei das Wahlrecht ändern möchte.
({19})
Kollege Krings, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Weil wir als CDU/CSUFraktion für eine seriöse Politik stehen, machen wir keinen Wahlkampf mit dem Wahlrecht. Sie mögen das tun;
wir tun es nicht.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion.
({0})
Aber eines ist klar: Meine Waden sind schöner als
deine.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns alle heute einig:
Das Wahlrecht muss reformiert werden. Das ist uns allen
klar.
({1})
Aber diese zwingend notwendige Reform zu einem
Thema im Bundestagswahlkampf zu machen, ist nicht
angemessen. Das ist aus meiner Sicht unanständig und
hilft der Sache nicht im Geringsten.
({2})
Der Kollege Krings hat es schon erklärt; aber ich tue
es gerne noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat
nicht die Überhangmandate für verfassungswidrig erklärt, sondern das sogenannte negative Stimmgewicht.
Wenn das Bundesverfassungsgericht der Ansicht wäre,
dass das geltende Gesetz so schlimm ist, wie Sie behaupten, dann hätte es andere Regelungen getroffen. Ich empfehle Ihnen, sich genau anzuschauen, was am Dienstag
mit dem Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag passiert ist.
Es wurde gekippt. Hier gibt es eine Frist. Das ist ein Riesenunterschied, den Sie zur Kenntnis nehmen sollten.
({3})
Zwei Prinzipien hat der Deutsche Bundestag bei Änderungen des Wahlrechtes immer beachtet. Das erste
Prinzip ist: keine Änderung im laufenden Verfahren.
Günter Krings hat zu Recht darauf hingewiesen: Fast
alle Parteien haben ihre Kandidaten aufgestellt und ihre
Listen teilweise schon eingereicht. Das Verfahren läuft.
Es ist nicht redlich und entspricht zumindest nicht unserem Anspruch an Rechtssicherheit, in das laufende Verfahren einzugreifen.
({4})
Das zweite Prinzip ist: In diesem Parlament war es
bislang gang und gäbe, Änderungen des Wahlrechts gemeinsam zu beraten und zu beschließen. Das ist hier
nicht der Fall gewesen.
({5})
Ich kann mich an keine Einladung zu einem Berichterstattergespräch über diesen konkreten Gesetzentwurf erinnern, Herr Wieland. Es ist eine Sache, wenn Rot und
Schwarz das nicht auf die Reihe bekommen. Aber Sie
haben uns auch nicht eingeladen. Es hat keine Berichterstattergespräche gegeben. Das ist schlechter Stil und
nicht in Ordnung.
({6})
Klar ist natürlich auch, dass die sogenannte Große
Koalition einen Reformvorschlag hätte vorlegen können.
Das hat sie nicht getan. Weil dieses Versäumnis letztendlich beide Regierungsfraktionen betrifft, ist es doppelzüngig, dass die SPD jetzt die Welle macht.
({7})
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie glauben
doch nicht ernsthaft, dass wir nur deshalb einem Gesetzentwurf zustimmen, damit Sie uns nicht mehr irgendwelcher Motivationen verdächtigen können. Dass wir aus
falschen Gründen einem taktischen Gesetz zustimmen,
können Sie nicht verlangen. Das ist nicht Politik, sondern nur Wahlkampf.
({8})
Nach unserer Ansicht wäre es falsch, dem jetzigen
verfassungswidrigen Zustand mit einem möglicherweise
verfassungswidrigen Gesetz, wie es Ihres aus unserer
Sicht ist,
({9})
zu begegnen. Ihr Gesetz löst erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel aus, die auch in der öffentlichen Anhörung nicht ausgeräumt werden konnten. So wird nach
unserer festen Überzeugung der Gesetzentwurf der Grünen den Anforderungen an eine im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Überarbeitung
des Wahlrechts nicht gerecht.
Zwei Kernprobleme lösen Sie nach wie vor nicht.
Zum einen käme es nach Ihrem Gesetzentwurf zu einer
materiellen Verbindung zwischen Direkt- und Verhältnismandat, noch bevor es zu einer Sitzzuteilung an die
Länder käme. Die in den Ländern erzielten Direktmandate würden bereits auf Bundesebene vom Gesamtkontingent einer Partei abgezogen und nicht, wie es bislang
der Fall ist, auf Länderebene. Das erscheint auf den ersten Blick durchaus logisch. Bei genauerem Hinsehen
wird aber deutlich, dass hierdurch besonders gute Landesergebnisse mit besonders vielen Direktmandaten benachteiligt würden. Das ist nach unserer Auffassung mit
dem föderalen System nicht zu vereinbaren.
({10})
Auch das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt,
dass föderale Belange eine angemessene Differenzierung der Wählerstimmen rechtfertigen. Ehrlich gesagt:
So täuschen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf die Wähler,
und der Vorwurf, den Sie uns machen, fällt auf Sie zurück. Das ist von Ihrer Seite nicht redlich.
({11})
Als zweites Problemfeld - die Kollegen von der CSU
mögen es mir nicht übel nehmen, wenn ich sie im Zusammenhang mit einem Problemfeld anspreche - sehen
wir die Sonderstellung der CSU. Eine Kompensation auf
Bundesebene kann es nämlich für die CSU nicht geben,
weil sie sich bekanntlich nur in Bayern zur Wahl stellt.
Das ist das eigentlich Inkonsequente in Ihrem Gesetzentwurf.
({12})
Auf der einen Seite wollen die Grünen Überhangmandate zulasten guter Landesergebnisse ersatzlos streichen,
auf der anderen Seite wollen Sie Bayern außen vor lassen. Das ist doch wirklich inkonsequent, und das müssen
Sie mir erklären.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, um
hier und heute das geltende Wahlrecht zu ändern, hätte
es eines Gesetzentwurfes bedurft, der alle Abgeordneten
des Hauses gleichermaßen überzeugt hätte.
({14})
Das kann Ihr Gesetzentwurf leider nicht leisten. Ich habe
vorhin schon einmal gesagt: Das gilt nicht nur für das
Ergebnis, sondern Sie haben sich aus unserer Sicht noch
nicht einmal ausreichend bemüht. Wir bedauern es außerordentlich, dass es uns als Parlament nicht mehr gelungen ist, vor der Wahl eine Reform hinzubekommen.
Das sage ich hier ganz deutlich.
({15})
Wir hätten die Reform gerne unterstützt.
({16})
- Herr Benneter, ich kann mich an keinen Anruf von Ihnen erinnern, in dem Sie mit mir diese Wahlrechtsreform
hätten besprechen wollen.
({17})
Sie haben gepennt, nicht wir. Das muss man hier einfach
einmal ganz klar sagen.
({18})
Für die Bürgerinnen und Bürger wäre es besser, Sie hätten nicht geschlafen. Sie haben es aber getan.
Der Gesetzentwurf der Grünen ist aus unserer Sicht
nicht verfassungsgemäß. Deshalb können wir ihm leider
nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({19})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Klaus Uwe
Benneter das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Wahlrecht, bei dem
die Zweitstimme eines Wählers für seine Partei dazu
führen kann, dass die von ihm gewählte Partei ein Mandat verliert. Wir haben seit genau heute vor einem Jahr
ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns zur
Korrektur dieses Wahlrechts verpflichtet.
({0})
Wir haben einen Gesetzentwurf der Grünen, der diese
Korrektur einfach, ohne revolutionäre Eingriffe in unser
Wahlrecht, ermöglicht. Überhangmandate gäbe es dann
praktisch keine mehr.
({1})
Und wir haben einen Koalitionspartner, der diese Korrektur nicht will, weil er glaubt, die Überhangmandate
würden ihm nützen. Das ist die ganze einfache Wahrheit.
({2})
Sie haben gehört, was der Kollege Krings hier zum Besten gegeben hat. Er sagte, das Wahlrecht sei sensibel,
man müsse die Diskussion ernsthaft führen, man müsse
gründlich abwägen, alle Möglichkeiten prüfen, Respekt
vor dem Wahlrecht bezeugen und dürfe nicht Hals über
Kopf agieren. Das alles ist Blubber, glauben Sie mir das.
({3})
Wir haben uns unmittelbar nach dem Urteil, noch im
Juli 2008, in der Sommerpause, mit dem Berichterstatter
der Union und den Fachleuten des Innenministeriums
zusammengesetzt. Wir wollten sofort klären, wie wir das
Urteil noch in dieser Wahlperiode umsetzen können. Wir
haben damals vereinbart, dass uns das Ministerium zu
verschiedenen Problembereichen gutachterlich berät,
was uns auch vom Ministerium selbst zugesagt worden
war, und dass wir uns noch vor dem Beginn der Sitzungswochen Anfang September erneut treffen.
Dieser bereits vereinbarte Termin wurde dann abgesagt - Herr Kollege Mayer, Sie erinnern sich -; „interner
Abstimmungsbedarf“ wurde als Begründung angegeben.
({4})
Neue Termine konnten nicht vereinbart werden. Schließlich habe ich den Kollegen Mayer schriftlich gebeten,
endlich Terminvorschläge zu übermitteln.
({5})
Ich habe nie eine Antwort oder einen Terminvorschlag
bekommen.
({6})
Wir haben daraufhin intern selbst einen gut durchdachten Gesetzentwurf erarbeitet und ihn der Fraktionsführung der Union vorgelegt. Der Inhalt: parteiinterner Ausgleich und damit Abschaffung von Überhangmandaten.
Am 4. März hat sich dann der Koalitionsausschuss mit
diesem Thema beschäftigen müssen. Daraufhin kam es
auf unser Drängen hin endlich zu einer Koalitionsarbeitsgruppe auf Führungsebene, die dann mehrfach über
diesen Entwurf beraten hat.
Wir sind auf die Union zugegangen. Wir hätten sogar
die bayerische Sonderlösung mitgetragen. Danach hätte
die CSU als Regionalpartei als einzige der Parteien noch
Überhangmandate erzielen können. Wir haben sogar
- sehr ungern - eine Lösung für die sogenannten Berliner Zweitstimmen vorgeschlagen, ein Herzensanliegen
Ihrer Partei. Wie gesagt, wir haben alles getan, um zügig
zu einer verfassungsgerechten Lösung zu kommen.
Heute wissen wir: Alle diese Gespräche mit CDU und
CSU waren Scheingespräche.
({7})
CDU und CSU haben keine Sekunde daran gedacht, das
Wahlrecht schon für die Wahl im September verfassungsgemäß zu gestalten. Sie haben für diese Haltung
keine Argumente, sondern Sie sehen nur Ihren Eigennutz.
({8})
Ich weiß, wir alle sind keine Engel. Natürlich überlegt
jeder von uns, wo die Vorteile für die eigene Partei liegen. Das ist logisch und bis zu einem gewissen Grade legitim. Dass Grüne und FDP kein Mehrheitswahlrecht
wollen, kann jeder verstehen. Natürlich überlegt auch
die SPD, was uns eher nützen und was uns eher schaden
könnte.
Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Krings?
Bitte, Herr Kollege Krings.
({0})
Herr Kollege Benneter, da Sie gerade von Vorteilen
und Nachteilen solcher Regelungen gesprochen haben:
Sind Sie denn bereit, auf vergangene Wahlen zurückzublicken, um festzustellen, dass die SPD seit der deutschen Einheit bis hin zu diesem aktuellen Deutschen
Bundestag bei Wahlen mit Abstand mehr Überhangmandate als unsere Fraktion bekommen hat und dass das für
Sie bis dahin nie ein Problem gewesen ist?
({0})
Gerade davon habe ich eben gesprochen. Natürlich ist
es legitim, wenn Parteien darauf achten, wo sie Vorteile
haben und wo nicht. Aber das geht eben nur bis zu einem
bestimmten Grade.
({0})
Bei den Überhangmandaten ist es so - darauf komme ich
jetzt -, dass sie schon lange in der Diskussion sind. Dass
sie immer nur den großen Parteien nützen, wissen wir
schon lange. Aber dass sie verfassungswidrig sind, wissen wir auf den Tag genau erst seit einem Jahr.
({1})
Deshalb möchte ich hier ganz deutlich sagen: Es gibt
ganz klare Grenzen für solche egoistischen Überlegungen. Die Grenze der zulässigen Berücksichtigung eigensüchtiger Interessen wird auf jeden Fall dann überschritten, wenn wir eindeutig wissen, dass das Wahlrecht
verfassungswidrig ist. Das wissen wir aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts seit einem Jahr.
Die Union sagt nun, der Entwurf der Grünen sei beileibe nicht alternativlos. Man könne auch eine Reihe
anderer Maßnahmen treffen, um das negative Stimmgewicht auszuschalten. Sicher gibt es theoretisch Alternativen zum Entwurf der Grünen: reines Mehrheitswahlrecht, reines Verhältniswahlrecht, Grabensystem, Wahl
nach Bundesländern getrennt oder Bundeslisten. Aber
alle diese Varianten sind doch chancenlos. Das wissen
Sie von der Union ganz genau. Hier werden nur Nebelkerzen geworfen.
({2})
Aber das mit den Nebelkerzen funktioniert nicht. Es ist
zu durchsichtig und zu fadenscheinig.
Nun komme ich zu Ihrer Behauptung, jetzt sei es zu
spät; 80 Tage vor der Wahl könne man das Wahlrecht
nicht mehr seriös ändern. Auch das stimmt nicht. Man
kann das Wahlrecht durchaus ändern; denn die Änderungen betreffen in keiner Weise, Frau Piltz, die Kandidatenaufstellung, sondern ausschließlich die Berechnungsmethode nach der stattgefundenen Wahl.
({3})
Die neuen Berechnungen sind auch mathematisch nicht
schwer. Das können sogar Juristen nachvollziehen, Herr
Kollege Krings. Und die Software beim Bundeswahlleiter kann dazu auch noch schnell geschrieben werden.
Das schaffen wir in Deutschland.
Nun zu der Frage der Union, warum diese Eile erforderlich sei; das Bundesverfassungsgericht habe uns doch
Zeit bis 2011 gelassen. Das stimmt, das hat das Bundesverfassungsgericht getan. Ursache ist vielleicht ein
schlechtes Gewissen des Gerichts, das besser schon vor
zwölf Jahren Gerhard Schröder hätte recht geben sollen.
Schröder ist als Ministerpräsident von Niedersachsen
1996 mit sehr guten Gründen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, weil er schon vor über zehn Jahren die Überhangmandate im Bundeswahlrecht für verfassungswidrig hielt. In einer knappen Vier-zu-vierEntscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die
Überhangmandate für zulässig erklärt. Jetzt hat sich herausgestellt, dass Gerhard Schröder von Anfang an recht
hatte.
({4})
Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Königshaus?
Ja, bitte, Herr Kollege Königshaus.
Herr Kollege Benneter, verstehe ich Sie richtig, dass
Sie sehenden Auges einen verfassungswidrigen Zustand
beibehalten wollen? Sie reden zu einem Antrag der Grünen, der nach Ihren Ausführungen geeignet ist, einen
Verfassungsbruch zu verhindern, beabsichtigen aber offenkundig, ihm nicht zuzustimmen. Könnten Sie uns das
erklären?
({0})
Herr Kollege Königshaus, ich bin gerade dabei, Ihnen
klarzumachen, dass gerade Ihre Partei heute die Chance
hätte, nicht nur in einer Großen Anfrage die Grundrechte
aufzurufen und zu sagen, dass Sie die Bürgerrechtspartei
sind. Hier könnten Sie zeigen, dass es Ihnen wirklich um
die Rechte der Bürger geht.
({0})
Wie gesagt, jetzt hat sich herausgestellt, dass Gerhard
Schröder von Anfang an recht hatte. Es scheint ja offensichtlich sein ganz besonderes Problem zu sein, dass sich
immer erst hinterher, erst sehr spät herausstellt, wie gut
er war und wie recht er hatte.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls die Frist
bis 2011 mit der Komplexität des Regelungsauftrags und
der Schwierigkeit, die Berechnung der Sitzzuteilung auf
eine verständliche Grundlage zu stellen, begründet. Wir
wissen aber inzwischen, dass wir mit einer kleinen Gesetzesänderung das negative Stimmgewicht ausschalten
und die Berechnung der Sitzzuteilung klar und für jedermann nachvollziehbar regeln können.
Es gibt also in der Sache kein ernsthaftes Argument
gegen die Abschaffung der Überhangmandate. Es gibt
keine ernsthaften Alternativen dazu, und die Zeit für
eine Änderung würde bei einem gemeinsamen Vorgehen
auch noch reichen.
Es ist gute Tradition dieses Hauses - die Kollegin
Piltz hat bereits davon gesprochen -, dass Wahlrechtsänderungen gemeinsam besprochen und von allen mitgetragen werden. Dass die Union solche Gespräche ernsthaft nie geführt hat, ist nicht in Ordnung. Das ist ja auch
in ihren eigenen Reihen aufgefallen. Der Bundestagspräsident hat offen erklärt, er würde eine Wahlrechtsänderung noch in dieser Legislaturperiode begrüßen. Und der
Bundesinnenminister - heute Herr Altmaier ({2})
hat erklärt, er würde das Parlament fachlich dabei gerne
unterstützen.
Übrigens, auch die FDP verweigert sich jetzt.
({3})
Sie möchte gerne Arm in Arm mit der Union in eine
neue schwarz-gelbe Zukunft spazieren, auch wenn diese
dann auf verfassungswidrigen Füßen stehen sollte.
({4})
Das ist schon ganz schön sonderbar. Ich kenne die FDP
als eine Partei, die die Bürgerrechte immer gerne hochhalten will.
({5})
Dass sie hier beim Wahlrecht, einem ganz grundlegenden Recht der Bürger, nicht darauf drängt, dass die Verfassung schnellstmöglich eingehalten wird, verträgt sich
nicht mit dem Bild einer Bürgerrechtspartei.
({6})
Herr Stadler, gerade Sie haben heute Morgen andere beschimpft, weil sie angeblich sehenden Auges verfassungswidrige Gesetze beschließen würden.
({7})
- Es ist Ihre Auffassung, dass es verfassungswidrige Gesetze seien. - Von dem, was wir hier machen, wissen wir,
dass es verfassungswidrig ist,
({8})
und Sie verweigern sich. Das ist doch bigott. Scheinheiliger als so, wie sich die FDP hier verhält, geht es doch
überhaupt nicht mehr.
({9})
Die Grünen sagen nun: Liebe SPD, ihr könnt das verhindern. Ihr braucht nur unserem Gesetzentwurf zuzustimmen,
({10})
dann ist alles paletti. - Wir wissen: Dann ist nichts paletti. - Das wissen auch Sie. Wenn wir so verfahren,
wird der Bundesrat - über die Landesregierungen, an denen Union und FDP beteiligt sind - den Vermittlungsausschuss anrufen und dann das Verfahren über Vertagungsanträge lahmlegen. Eine Wahlrechtsänderung ist in
dieser Situation nur mit der Union möglich. Das müssen
wir leider zur Kenntnis nehmen; das ist nun mal so. Wir
sind der Koalition nicht mehr verpflichtet als der Verfassung - das Gegenteil wird uns ja vorgehalten -, aber wir
sehen die realen Machtverhältnisse, und um die geht es.
({11})
CDU und CSU verweigern sich hier der notwendigen
Korrektur aus ganz egoistischen Motiven. Dieses Verhalten - das will ich Ihnen einmal sagen - ist einer demokratischen Partei unwürdig.
({12})
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, sagt das Grundgesetz, und das Wahlrecht stellt sicher - dazu ist es da -,
dass das Parlament mit dieser Legitimation arbeiten
kann. Nur die demokratische Wahl gibt uns das Recht,
eine Regierung zu bestimmen und Gesetze zu beschließen, die für alle gelten. Dass diese Legitimation zweifelsfrei besteht, muss das gemeinsame Anliegen aller
Demokraten und jedes einzelnen Parlamentariers hier im
Hause sein.
Das nächste Parlament wird nach einem in der Sache
verfassungswidrigen Wahlrecht gewählt werden. Das
macht auf die Bürgerinnen und Bürger zu Recht einen
verheerenden Eindruck. Schuld daran haben allein CDU,
CSU und FDP.
({13})
Sie versündigen sich mit Ihrer Haltung „Erst die Partei
und dann das Land“ an einem ganz grundlegenden Demokratieprinzip. Das wird Ihnen noch ganz schön lange
nachhängen.
({14})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Krings, zu Ihren Bemerkungen,
was die Ungerechtigkeit des Wahlausgangs 2002 anbetrifft, will ich Ihnen eines sagen: Die Kolleginnen Petra
Pau und Gesine Lötzsch hatten so viele Stimmen, wie
dies sehr viele in diesem Plenum nicht hatten.
({0})
Insofern war es sehr gerecht, dass die beiden hier gesessen haben. Sie haben tapfer gekämpft.
Richtig ist: Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli
2008 entschieden. Darauf ist schon hingewiesen worden.
Wir begehen heute den ersten Jahrestag. Richtig ist auch:
Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bis 2011
Zeit gelassen. Aber bei gutem politischen Willen wäre es
möglich gewesen, zu einer Neuregelung noch in dieser
Wahlperiode zu kommen. Diesen guten politischen Willen spreche ich einer Mehrheit in diesem Hohen Hause
ab.
Kollege Benneter, was Sie hier machen, ist scheinheilig.
({1})
Sie halten eine Rede für die Änderung des Wahlrechts.
Sie halten de facto eine Rede für diesen Gesetzentwurf.
Wir wissen aber ganz genau: Sie werden gegen diesen
Gesetzentwurf stimmen. - Das ist scheinheilig hoch drei.
Sie wollten die Änderung nicht.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass das negative Stimmgewicht, das dort entsteht, den Wählerwillen tatsächlich deutlich verfälschen
kann. Ich finde, das ist ein eindeutiges Warnsignal an die
Politik. Aber die Koalition hat keinen Bedarf für eine
Änderung gesehen. Die internen Gespräche, die Sie angeblich geführt haben, helfen auch nicht darüber hinweg.
Der Bedarf ist nicht erkannt worden. Hier ist nicht gehandelt worden.
Die Linke hat eine gesetzliche Neuregelung noch in
dieser Wahlperiode gefordert. Die Grünen haben einen
Entwurf eingebracht. Wir unterstützen ihn. Natürlich
wissen auch wir, dass es noch offene Fragen gibt. Ein
Problem ist die CSU, wenn es um Ausgleichsmandate
geht; das ist angesprochen worden.
({3})
- Die CSU ist so und so ein Problem; da haben Sie vollkommen recht.
({4})
In dieser Frage ist sie es natürlich auch. Wir hatten die
Zeit, darüber zu reden, und es gab auch Vorschläge, wie
man das Problem im Hinblick auf die CSU lösen kann.
Das wäre also durchaus möglich gewesen.
Wenige Wochen vor der Wahl ist die SPD aufgewacht
oder - anders gesagt - aufgeschreckt. Professor Behnke
von der Universität Friedrichshafen hat eine Modellrechnung aufgemacht. Er hat auf Grundlage der Umfragewerte einmal ausgerechnet, was an Direktmandaten und
an Überhangmandaten entstehen würde. Das Ergebnis
war zumindest für die SPD erschreckend oder - wie man
heute erkennen kann - aufschreckend. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein schlechtes Wahlergebnis der SPD
zustande kommt, was zu deutlich weniger Direktmandaten für die SPD, mehr Direktmandaten für die CDU und
damit auch zu mehr Überhangmandaten für die CDU als
bisher führt. Damit ist eine Mehrheit für Schwarz-Gelb
allein durch Überhangmandate möglich.
Die CDU lacht sich ins Fäustchen, und die FDP hält,
wie wir heute mitbekommen haben, aus gutem Grunde
still, denn sie will in die Regierung. Ob das nur mit
Überhangmandaten geht oder anders, ist ihr egal.
({5})
- Ich nicht, aber es gibt Leute, die das sehr genau berechnet haben. - Jetzt gibt es eine öffentliche Debatte,
und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es künftig so etwas wie ein taktisches Wahlverhalten gibt, worauf
Schwarz und Gelb durchaus setzen könnten.
Die SPD hat heute viel Lärm um nichts gemacht. Sie
lehnen den Gesetzentwurf ab, und es war ein unwürdiges
Schauspiel, was Sie in den letzten Wochen aufgeführt
haben. Erst wollten Sie das Wahlrecht ändern, dann haben Sie den Schwanz eingekniffen, und heute werden
Sie dagegen stimmen. Das ist unwürdig und hat mit Demokratie überhaupt nichts zu tun.
({6})
Wir hatten die Zeit, das Wahlrecht gemeinsam zu ändern, aber das war nicht gewollt. Jetzt müssen Sie mit
den Folgen leben.
Ich danke Ihnen.
({7})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Stephan
Mayer das Wort.
Lieber Herr Kollege Benneter, erlauben Sie mir, nachdem Sie mich persönlich angesprochen haben, zu Ihrem
Vorwurf Stellung zu beziehen, wir als CDU/CSU-Fraktion und insbesondere ich als Berichterstatter für das
Wahlrecht hätten uns Ihrem Gesprächsangebot entzogen.
Ich finde Ihre Einlassung insbesondere vor dem Hintergrund bedauerlich, dass wir das Bundeswahlgesetz in
dieser Wahlperiode konstruktiv und größtenteils einvernehmlich gemeinsam novelliert haben. Ich warte aber
nach wie vor auf Ihre konkreten Vorschläge und konzeptionellen Überlegungen hinsichtlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes von vor einem Jahr. Sie haben
kein einziges Mal das Gespräch mit mir gesucht, obwohl
Stephan Mayer ({0})
es dazu am Rande jeder Innenausschusssitzung in jeder
Sitzungswoche genügend Gelegenheiten gab, um mir
Ihre ganz konkreten Überlegungen an die Hand zu geben, wie wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
umsetzen sollten. Ihrerseits kam kein einziger konkreter
Vorschlag.
Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode haben Sie
sich jetzt einfach an den Rockzipfel der Grünen-Fraktion
gehängt und sich ihrem Gesetzentwurf angeschlossen.
({1})
Herr Kollege Benneter, ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, dass es einfach nicht zutrifft, dass wir die
Bundestagswahl am 27. September 2009 unter verfassungswidrigen Umständen durchführen. Das Gegenteil
ist der Fall. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom letzten Jahr besagt ganz klar, dass wir einen Umsetzungsspielraum bis zum 30. Juni 2011 haben. Wir wissen jetzt also so sicher wie bei keiner Bundestagswahl
zuvor, dass die Bundestagswahl unter vollkommen verfassungsgemäßen Rahmenbedingungen stattfinden wird.
Ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.
({2})
Sie haben das Wort, Kollege Benneter.
Herr Kollege Mayer, das Einzige, was wir wissen, ist,
dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des Bundeswahlgesetzes, unter dem gewählt
werden soll, nicht beanstanden wird. Aber dass das Gesetz in der Sache verfassungswidrig bleibt, habe ich in
meinem Beitrag klar genug gemacht.
Angesichts dessen, was Sie zu den Abläufen sagten,
frage ich mich schon, wie Sie mit der Wahrheit umgehen.
({0})
Wir haben Ihnen einen ausformulierten Gesetzentwurf
vorgelegt, und zwar schon vor geraumer Zeit,
({1})
in dem wir dargelegt haben, wie man mit dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vernünftig umgehen kann.
Ich hatte hier ja schon die Abläufe dargestellt. Sie waren
doch derjenige, der mit mir noch in der Sommerpause
des letzten Jahres einen Termin ausgemacht hatte, dann
aber diesen Termin mit ganz fadenscheinigen Ausflüchten hat platzen lassen. So sagten Sie, es gebe noch internen Gesprächsbedarf. Natürlich haben wir das erst einmal akzeptiert. Den ganzen Winter über habe ich dann
aber darauf gedrängt, dass ein Gespräch stattfindet. Erst
im März ist es dazu gekommen, als sich der Koalitionsausschuss damit befasst hat. Ihre Partei musste dazu gedrängt werden, dass wenigstens eine Arbeitsgruppe auf
der Ebene der Parlamentarischen Geschäftsführer eingerichtet wird.
({2})
Das ist die Situation. Sie haben eine Novellierung
verhindert. Wir hätten längst gemeinsam etwas machen
können. Wir könnten auch heute noch gemeinsam etwas
machen. Das geht aber nur zusammen. Wenn die CDU/
CSU nicht mitmacht, dann ist das verlorene Liebesmüh.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Wolfgang Wieland das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Benneter, Ihre Rede hat mir richtig gut gefallen.
({0})
Sie sagten, Sie wurden hingehalten. Kollege Hartmann
hat etwas süffisant gesagt, die SPD habe dabei mitgemacht, weil ihr etwas in Aussicht gestellt worden sei; in
Wirklichkeit habe es sich um Scheinverhandlungen gehandelt. Sie haben zu Recht gesagt, das Ganze ist vom
Bundesverfassungsgericht eindeutig als verfassungswidrig beurteilt worden.
Nun sagen Sie als Begründung dafür, warum Sie dem
Antrag der Grünen nicht zustimmen wollen, nachdem
das Ihr Kollege Müntefering und Ihr Kollege Struck
noch vor wenigen Wochen angekündigt hatten und
Thomas Oppermann das sogar noch am Montag dieser
Woche mit den Worten: „Wir werden zustimmen“, bestätigte,
({1})
dass sich auf einmal eine andere Mehrheit im Bundesrat
ergeben habe und dass das deswegen nicht mehr ginge.
Das ist nicht überzeugend. Sie haben gut gebrüllt - es
war alles richtig, was Sie hier gesagt haben -, nun müssen Sie auch zubeißen. Das erwarten wir von Ihnen.
({2})
Natürlich hat jeder hier im Saal beim Wahlrecht Interessen. Das ist gar keine Frage. Auch wir haben Interessen.
({3})
Aber darum geht es nicht.
({4})
Wir sind eine kleine Partei
({5})
- alles ist relativ, auch das -, die in absehbarer Zeit nicht
allzu viele Überhangmandate erringen wird. Der FDP
geht es genauso. Aber sie nimmt ja sogar Rücksicht auf
die Überhangmandate des potenziellen Koalitionspartners. Das muss man sich einmal vorstellen.
({6})
Diese selbst ernannte Rechtsstaatspartei erklärt durch
Frau Piltz: Man habe auf einen Telefonanruf gewartet.
Wir haben Ihnen sogar einen Antrag geschickt, Frau
Piltz. Es kam aber überhaupt keine konstruktive Kritik,
es kam gar nichts.
Der Kollege Burgbacher hat am Tag der Urteilsverkündung gesagt, das Parlament müsse schnell beraten.
Da frage ich mich: Wo waren denn die FDP-Beiträge bei
den Beratungen im Innenausschuss und in den Anhörungen? Sie haben mit fadenscheinigen Argumenten versucht, unseren Antrag madig zu machen, aber Eigenes
haben Sie nicht geleistet. Ihr Fraktionsvorsitzender
Westerwelle hat das auch erklärt. Er hat wörtlich gesagt:
So eine hochkomplizierte Reform könne man nicht übers
Knie brechen. - Es ist völlig eindeutig: In dieser Frage
geht Ihnen Macht vor Verfassungstreue. Das halten wir
fest.
({7})
Sehenden Auges mit einem verfassungswidrigen
Wahlrecht in eine Wahl zu gehen, ist eines Rechtsstaates
unwürdig. Das ist auch respektlos vor den Wählerinnen
und Wählern.
({8})
Professor Meyer, der frühere Präsident der HumboldtUniversität, hat in der Anhörung - ich gebe zu: sehr zornig; aber da kann man auch sehr zornig sein - Folgendes
gesagt:
Alle diese Dinge wie Kinderwahlrecht und Sonstiges kann man machen, aber es geht nicht darum,
was man machen kann, sondern dass man verhindern muss, dass nach einem Wahlrecht gewählt
wird, das so katastrophal ist, dass es kein Wahlrecht
mehr ist.
Wörtlich sagte er weiter:
Da sitzen Sie ein ganzes Jahr herum und tun nichts, …
Auch heute wollen Sie herumsitzen und nichts tun. Das
lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({9})
Ich bin nicht der Erste, der in dieser Debatte redet.
Niemand hat bisher das Urteil zitiert. Deswegen trage
ich es noch nach in dieser Debatte. Zitat aus der Entscheidung:
Der Effekt des negativen Stimmgewichts beeinträchtigt die Stimmengleichheit bei der Wahl zum
Deutschen Bundestag in eklatanter Weise. … Ein
Wahlsystem, das … in typischen Konstellationen
zulässt, dass ein Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führt oder dass für den Wahlvorschlag einer Partei insgesamt mehr Mandate erzielt werden,
wenn auf ihn selbst weniger oder auf einen konkurrierenden Vorschlag mehr Stimmen entfallen, führt
zu willkürlichen Ergebnissen und lässt den demokratischen Wettbewerb um Zustimmung bei den
Wahlberechtigten widersinnig erscheinen.
Der von Ihnen benannte Sachverständige Mahrenholz,
der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, hat zu Recht gesagt, „willkürlich“ sei das
schärfste Verwerfungsprädikat, das dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung stehe. Er hat gesagt:
Zusammengefasst: Die Art. 38 und 39 GG sind im
Sinne zwingenden Rechts dahin auszulegen, dass
nach dem gegenwärtigen Wahlrecht im September
nicht gewählt werden darf.
Setzen Sie sich doch bitte mit diesen Ausführungen
auseinander und lassen Sie Ihren richtigen Worten hier
auch Taten folgen.
({10})
Jetzt noch zu den Einwänden, die hier gerade absurderweise von Frau Piltz kamen und auch im Innenausschuss von Frau Köhler vertreten wurden. Sie sagten,
wir hätten das Problem der CSU nicht gelöst.
({11})
- Ja, wir haben es nicht gelöst. Was Sie als CDU in
60 Jahren nicht geschafft haben, haben wir in sechs Monaten nicht geschafft. Das geben wir zu. Aber werfen Sie
es doch nicht uns vor.
({12})
Nun zum Stimmensplitting. Dass nun auf einmal das
Problem des Splittens der Stimmen an den Stimmen der
Linkspartei festgemacht wird, ist doch völlig absurd.
Keine Wählerschaft wählt so konstant ihre Partei wie die
Partei, deren Vorsitzender Walter Ulbricht hieß. Wenn
man ihnen sagt, wie ihre Partei gerade heißt, dann wählen sie sie auch.
({13})
Hier nun zu sagen, die Wähler der Linken würden besonders viel splitten und dies stelle ein Problem dar, ist
doch absurd. Das ist doch aberwitzig!
({14})
Eine abschließende Bemerkung.
Es ist unbedingt erwünscht und bei gutem Willen
auch möglich, die Regelung des Wahlrechts noch
rechtzeitig zu korrigieren …
Deswegen fordern wir Sie ernsthaft auf: Zeigen Sie
diesen guten Willen. Belasten Sie die Wahl am
27. September nicht mit einem - so wörtlich - dezidiert
willkürlichen und widersinnigen Wahlrecht. Stimmen
Sie unserem Gesetzestext zu.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege
Dr. Wolfgang Götzer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon erstaunlich, welch hohe Wellen dieses
Thema in den letzten Wochen und gerade auch in den
letzten Tagen schlägt. Es wird geradezu ein Horrorszenario an die Wand gemalt und von verfassungswidrigen Wahlen gesprochen. So kann man ein Thema natürlich hochziehen.
Dabei geht es darum, ein Problem zu lösen, mit dem
unsere Demokratie weit über 50 Jahre verfassungsrechtlich und politisch problemlos gelebt hat. Niemand kann
doch seriöserweise behaupten, dass bisherige Parlamentsmehrheiten und Regierungen in der Geschichte unseres Landes unter mangelnder Verfassungslegitimität
gelitten hätten oder gar undemokratisch zustande gekommen wären und die Wählerschaft nicht korrekt widergespiegelt hätten. Insofern meine ich, dass man die
Kirche im Dorf lassen sollte.
Zudem möchte ich anmerken, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2008
nicht etwa die Überhangmandate an sich für verfassungswidrig erklärt hat.
({0})
Vielmehr hat es nur
({1})
einen Verstoß gegen Art. 38 Grundgesetz angenommen,
soweit durch einzelne Vorschriften des Bundeswahlgesetzes ein negatives Stimmgewicht ermöglicht wird.
Man kann dies augenscheinlich nicht oft genug sagen.
Lieber Herr Kollege Benneter, ich bin fast schon ein bisschen traurig darüber, dass Sie das Urteil offensichtlich
bis heute nicht verstanden haben.
({2})
Auch Sie haben die meiste Zeit von Überhangmandaten,
die verfassungswidrig seien, gesprochen.
({3})
Aber genau das ist nicht Inhalt des Urteils von Karlsruhe.
({4})
Es ist im Übrigen gar nicht klar, ob ein solches negatives
Stimmgewicht bei der nächsten Wahl überhaupt eintritt.
Ich denke also, wir sollten in dieser angeheizten Debatte
einen kühlen Kopf bewahren.
Karlsruhe hat sogar sein ausdrückliches Plazet dafür
gegeben, dass die bevorstehende Bundestagswahl noch
nach geltendem Recht durchgeführt wird. Eine größere
Legitimierung für das Prozedere bei der Bundestagswahl
am 27. September hat es noch nie gegeben.
({5})
Selbstverständlich werden wir den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllen. Hierzu gibt es aber verschiedene Möglichkeiten, die wir erst gründlich und ausführlich diskutieren müssen. Eines dieser Denkmodelle
ist, Überhangmandate vor der endgültigen Unterzuteilung zu verrechnen, wovon offensichtlich der Gesetzentwurf der Grünen ausgeht. Allerdings ist er so schwer
lesbar, in sich widersprüchlich und wohl auch verfassungswidrig, dass er einfach nicht brauchbar ist.
Ein anderes Modell wäre die Trennung der Listen.
Das hätte den Charme einer nur geringfügigen Gesetzesänderung mit nahezu unverändertem Wahlrecht. Es gibt
noch weitere Modelle, weshalb ja auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung am Ende davon
spricht, dass die Alternativen vom Parlament in der gebotenen Weise bedacht und erörtert werden sollten.
Die Abwägung von Alternativen ist ein Grund dafür,
warum das Bundesverfassungsgericht uns eine Nachbesserungsfrist bis über die kommende Wahl hinaus, nämlich bis zum Jahr 2011, also bis zur Mitte der nächsten
Wahlperiode, gewährt hat. Allein das ist ein eindeutiger
Hinweis darauf, dass wir nichts überstürzen sollten. Der
Hauptgrund für diese großzügige Nachbesserungsfrist ist
die „hohe Komplexität des Regelungsauftrages“, die es
nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „unangemessen“ erscheinen lässt, „dem Gesetzgeber aufzugeben, das Wahlrecht rechtzeitig vor Ablauf der gegenwärtigen Wahlperiode zu ändern“.
({6})
Das Gericht selbst sagt, es sei unangemessen, dieses Verfahren im Schweinsgalopp durchzuziehen. Die Änderung des Wahlrechts ist eben nicht so einfach, wie es
manche uns glauben machen wollen.
Die lange Übergangsfrist hat das Gericht allerdings
mit der Auflage verbunden, das für den Wähler kaum
noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht - man kann
schon sagen: Dickicht - der Berechnung der Sitzzuteilung auf eine neue, normenklare und verständliche
Grundlage zu stellen. Das heißt im Klartext: Wir sind
aufgefordert, vom Bürokratendeutsch Abstand zu nehmen und lesbare und verstehbare Vorschriften zu erlassen. Beim Gesetzentwurf der Grünen, über den wir heute
abstimmen, ist das, mit Verlaub gesagt, ganz sicher nicht
der Fall.
Ich nenne einen weiteren sehr wichtigen Gesichtspunkt für eine parlamentarische Beratung ohne Zeitdruck. Das Wahlrecht ist für unseren Staat, für unsere
Demokratie und die Menschen, die über die Zusammensetzung dieses Parlaments entscheiden, von so elementarer Bedeutung, dass es nicht nur auf die Lesbarkeit und
Verständlichkeit der einzelnen Vorschriften ankommt. Es
ist von sehr großer Wichtigkeit - auch das ist heute
schon angesprochen worden -, dass jede Änderung des
Wahlrechts von einer großen Zustimmung im Parlament
getragen wird.
Kollege Götzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schneider?
Nein. Herr Kollege, Sie sollten zuhören, wenn es um
Demokratie und Wahlrecht geht. Das schadet Ihnen ganz
bestimmt nicht.
({0})
Es war bisher in diesem Hause guter Brauch, Wahlrechtsänderungen in möglichst breitem Konsens zu beschließen. Deshalb verwundert es doch sehr, dass sich
die Grünen von dieser guten und wichtigen Tradition
- warum auch immer - abwenden wollen.
Es gibt noch einen Grund - auch der ist schon angesprochen worden -, warum eine Wahlrechtsänderung
zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll ist. Die Zeit für
eine Umsetzung reicht einfach nicht mehr. Das Bundesverfassungsgericht selbst hielt die hierfür nötige Deadline bereits mit dem 30. April für überschritten.
Lassen Sie mich summa summarum sagen: Eine so
kurzfristige, nach erfolgter Aufstellung der Kandidaten
und mitten im Wahlkampf über das Knie gebrochene
Wahlrechtsänderung wird dieser höchst sensiblen Materie nicht gerecht und trägt den Makel eines Manipulationsversuchs auf der Stirn.
({1})
Einem solchen Vorwurf sollten wir uns gar nicht erst
aussetzen. Wir werden uns deshalb nach der Konstituierung des 17. Deutschen Bundestages zügig zusammensetzen und anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts das Wahlrecht anpassen. Hierzu gehört im
Übrigen auch die Einbeziehung einer weiteren Karlsruher Entscheidung, nämlich der vom Januar dieses Jahres
über die sogenannten Berliner Zweitstimmen. Das können wir alles in der 17. Wahlperiode ohne Druck und
ohne Wahlkampf zum Wohle des Parlaments und zum
Wohle unserer Demokratie machen.
Vielen Dank.
({2})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Volker
Schneider das Wort.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe Ihre
Aufregung nicht. Ich komme nur dem Wunsch des Kollegen Dr. Götzer nach. Ich bin in meiner Wissbegierde
hinsichtlich Demokratie kaum noch zu befriedigen. Da
Sie mir leider keine Zwischenfrage gestattet haben, muss
ich zur Möglichkeit einer Kurzintervention greifen.
Sie haben davon gesprochen, dass das vorliegende
Gesetz im Schweinsgalopp durchgepeitscht werden soll.
Man solle das Ganze lieber nach der Wahl am
27. September in Ruhe machen. Zunächst einmal habe
ich ein rechnerisches Problem damit, festzustellen, was
der Unterschied ist zwischen dem Zeitraum, den Sie vor
der Wahl zur Verfügung hatten, in dem Sie das ja hätten
machen können, und dem Zeitraum nach der Wahl. Das
ist kein so großer Unterschied, dass ich das eine Verfahren als Schweinsgalopp bezeichnen würde. Das eine ist
ein solcher Schweinsgalopp wie das andere.
({0})
Das Zweite, was mich wirklich brennend interessiert,
ist Folgendes: Ihnen ist das Ganze jetzt zu kompliziert.
Sie müssen mir einmal ganz genau erklären, wie sich das
damit vereinbaren lässt, dass Sie in einem ungleich kürzeren Zeitraum das ungleich kompliziertere Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag auf den Weg bringen wollen,
und zwar wirklich im Schweinsgalopp.
({1})
Kollege Götzer, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, ich brauche zur Antwort nur auf den
Text des Urteils zu verweisen. Daraus geht klipp und
klar hervor, dass selbst das höchste deutsche Verfassungsgericht diesen Zeitraum für unangemessen gehalten hat. Es hat uns genügend Zeit eingeräumt, damit wir
diese Sache nach der Wahl angehen können. Das habe
ich gesagt. Ich wiederhole das gerne für Sie. Vielleicht
lesen Sie das Urteil einmal in einer ruhigen Stunde
durch. Das hilft weiter.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Mir liegen zahlreiche Erklärungen aus der SPD-Frak-
tion und eine Erklärung aus der Unionsfraktion nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor.1)
({0})
Wir nehmen sie entsprechend unserer Geschäftsordnung
zu Protokoll.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung
des Bundeswahlgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13658,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/11885 abzulehnen. Wir stimmen nun
über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen, und ich bitte Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, zu überprüfen, ob Ihr Name auf der Ab-
stimmungskarte steht. - Sind alle Schriftführerinnen und
Schriftführer an ihrem Platz? - Ich eröffne die Abstim-
mung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, dass seine
Stimme noch nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der
Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Beratungen fort, sobald alle Kolleginnen
und Kollegen den Beratungen folgen können. Ich bitte Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 68 a bis 68 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Klaus Ernst, Volker Schneider ({2}),
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Altersrente - Erhöhung der Regelaltersgrenze
auf 67 Jahre zurücknehmen
- Drucksachen 16/12295, 16/12737 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Volker Schneider ({4}), Klaus Ernst,
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Die gesetzliche Rentenversicherung zur solida-
rischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen
- Drucksachen 16/6440, 16/11445 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf
1) Anlagen 2 und 3
2) Ergebnis 26164 D
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Volker Schneider ({6}), Klaus Ernst,
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Solidarausgleich in der Rente für Versicherte
mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und
geringen Einkommen stärken
- Drucksachen 16/7038, 16/10335 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß ({7})
Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Altersrente - Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen“ werden wir
später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Gregor Amann für die SPD-Fraktion.
({8})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In der - zumindest vorläufig - letzten Plenarsitzung des Bundestags sprechen wir noch einmal über das
Thema Rente und Altersvorsorge. Das ist auch gut so.
Das ist ein wichtiges Thema, nicht nur, weil 20 Millionen Menschen in diesem Land eine Rente beziehen,
sondern auch, weil es 35 Millionen Versicherte gibt, die
einzahlen. Wie wir mit Menschen umgehen, die im Alter
über kein eigenes Einkommen mehr verfügen, ist ein
Gradmesser dafür, wie sozial und solidarisch eine Gesellschaft ist.
Ich sage Ihnen auch: Als Sozialdemokrat bin ich
durchaus dankbar, drei Monate vor der Bundestagswahl
noch einmal über dieses Thema diskutieren zu können.
Denn Rentenpolitik ist bei Sozialdemokraten in den letzten zehn Jahren in guten Händen gewesen,
({0})
bei sozialdemokratischen Arbeitsministern von Walter
Riester bis Olaf Scholz.
Was ist eine gute Rentenpolitik? Man kann sie an drei
Kriterien messen. Das erste Kriterium ist das Versorgungsniveau der Ruheständler, also die Rentenhöhe und
die Einkommenssituation.
({1})
- Ich gehe gleich darauf ein, Herr Schneider. - Das zweite
Kriterium ist die Belastung für die arbeitende Bevölkerung, also die Beitragshöhe. Das dritte Kriterium ist die
langfristige finanzielle Stabilität des Rentensystems.
({2})
Alle drei Kriterien, die sich zum Teil widersprechen,
müssen gemeinsam betrachtet werden. Nur in einer Balance aller drei Kriterien lässt sich eine gute Rentenpolitik beurteilen.
Manche Parteien betreiben Klientelpolitik und versuchen, einem einzigen dieser Kriterien gerecht zu werden;
ich denke gerade an die Anträge der Linken, könnte aber
auch in die andere Richtung dieses Hauses schauen. Das
reicht nicht, um eine gute Rentenpolitik zu machen.
({3})
Die sozialdemokratische Rentenpolitik der letzten zehn
Jahre hat eine gute Balance gefunden. Das zeigt auch das
internationale Lob. Ich erinnere nur an die Aussagen
vonseiten der OECD.
({4})
Lassen Sie mich auf die drei Kriterien im Einzelnen
eingehen.
Erstens: zum Versorgungsniveau. Sowohl im historischen als auch im geografischen Vergleich steht
Deutschland sehr gut da.
({5})
Die Altersarmut ist in den letzten Jahrzehnten in
Deutschland weitgehend verschwunden. „Weitgehend“
heißt nicht, dass es nicht auch in Deutschland ältere
Menschen gibt, die in Armut leben. Aber insgesamt sind
nur 2,4 Prozent der Menschen in diesem Land auf die
Grundsicherung angewiesen.
({6})
Das ist ein großer Erfolg unseres Sozialstaates.
({7})
Natürlich wird häufig eingewandt, dass das Rentenniveau in den letzten Jahren gesunken ist. Dieser Schritt
war völlig richtig und politisch gewollt.
({8})
- Vor der demografischen Entwicklung können auch Sie
nicht die Augen verschließen. - Wir haben allerdings
Folgendes getan: Wir haben die Senkung des Rentenniveaus durch die Einführung und Stärkung der zweiten
und dritten Säule der Altersvorsorge, der Riester-Rente
und der betrieblichen Altersvorsorge, kompensiert.
({9})
Zum 1. Juli 2009 sind die Renten im Westen um
2,41 Prozent und im Osten um 3,38 Prozent gestiegen.
Diese Rentenerhöhung ist für den Westen die größte seit
1994, also seit 15 Jahren, und für den Osten seit 1997.
Wenn man die Senkung des Beitragssatzes zur Krankenversicherung, die wir im Rahmen des Konjunkturprogramms beschlossen haben und von der ebenfalls zum
1. Juli dieses Jahres auch die Rentner betroffen sind,
mitberücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis, dass
die Rentner in Deutschland ab Juli dieses Jahres insgesamt 5,6 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben.
({10})
All das haben wir getan, während in den USA viele Millionen Rentner ihre Altersvorsorge, die in Pensionsfonds
angelegt war, verloren haben.
({11})
Jetzt will ich noch etwas zum Nachhaltigkeitsfaktor
sagen - wenn es um das Rentenniveau geht, spielt er
nämlich eine Rolle -: Sie von den Linken fordern in
einem Ihrer Anträge, den Nachhaltigkeitsfaktor abzuschaffen. Durch den Nachhaltigkeitsfaktor werden Rentenerhöhungen sinnvollerweise mit dem Zahlenverhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern
verknüpft; das sind nämlich zwei Seiten derselben Medaille. Das hat sich in den letzten Jahren, in denen aufgrund der guten Wirtschaftsentwicklung die Zahl der
Beitragszahler stärker als die Zahl der Rentenbezieher
gestiegen ist, rentensteigernd ausgewirkt. Wenn Sie also
ausführen, dass Sie den Nachhaltigkeitsfaktor abschaffen wollen, müssen Sie den Menschen auch sagen, dass
dies dazu geführt hätte, dass die Rentensteigerungen der
letzten zwei Jahre geringer ausgefallen wären.
({12})
Auch Sie wissen, dass der Umfang von Rentenerhöhungen sowie die Sätze der Sozialhilfe und des
Arbeitslosengeldes II miteinander verknüpft sind. Beides wird immer parallel erhöht. Wenn das, was Sie fordern, gemacht worden wäre, und wenn die Rentensteigerungen in den letzten zwei Jahren demzufolge geringer
ausgefallen wären, dann wären in den letzten zwei Jahren auch die ALG-II-Sätze weniger stark gestiegen.
({13})
Das sind die Folgen der Politik der Linken, die Sie aber
nicht erwähnen. Faktisch hätte Ihre Politik allerdings
diese Folgen.
({14})
Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung die
Rentner in den nächsten Jahren vor Kürzungen schützt.
Genauso wie es richtig ist, beim Lohn eine Untergrenze
einzuziehen, also einen Mindestlohn einzuführen, ist es
auch richtig, für die Rentner eine Untergrenze einzuziehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland in den nächsten Jahren zu Rentenkürzungen
kommt. Ich finde es, ehrlich gesagt, auch unerträglich
- das sage ich an die Adresse der Union -, wenn Jungpolitiker wie der Kollege Spahn versuchen, Alt gegen Jung
auszuspielen. Die Rente ist kein Almosen.
({15})
Vielmehr haben die Menschen aufgrund ihrer Arbeitsleistung, mit der sie dieses Land aufgebaut haben, einen
Anspruch auf Rente.
Das zweite Kriterium ist der Rentenbeitrag - da mir
die Zeit davonläuft, muss ich mich etwas kürzer fassen -:
1982, als die Kohl-Regierung ins Amt kam, lag der Beitragssatz zur Rentenversicherung bei 18 Prozent. In den
Folgejahren bis 1998 ist er kontinuierlich auf 20,3 Prozent gestiegen. Seit die SPD an der Regierung ist, seit
1998, ist der Beitragssatz zur Rentenversicherung wieder auf unter 20 Prozent gesunken. In den letzten zehn
Jahren ist er sogar stabil unter 20 Prozent geblieben.
({16})
Das dritte Kriterium ist die langfristige finanzielle
Stabilität der Rentenversicherung. An dieser Stelle will
ich nur erwähnen, dass sich die Rücklage der Rentenversicherung inzwischen wieder auf einen Monatsbeitrag
erhöht hat. Das hat natürlich mit den Reformen der letzten Jahre zu tun. Zu diesen Reformen gehört auch die
Rente mit 67.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Bemerkung zu einem Antrag der Linken machen. Ich finde
es absolut unseriös, wenn Sie die derzeitige Wirtschaftskrise mit der Anhebung des Renteneintrittsalters auf
67 Jahre verknüpfen, wenn Sie also so tun, als habe das
eine etwas mit dem anderen zu tun.
({17})
Das eine kommt im Jahr 2029, die Wirtschaftskrise ist
jetzt.
({18})
Wer die Wirtschaftskrise so krass wahrheitswidrig mit
der Rente mit 67 verknüpft, der zeigt, dass es ihm weder
um die Wirtschaftskrise noch um eine seriöse Rentenpolitik geht,
({19})
sondern ausschließlich darum, die Ängste und Sorgen
der Menschen zu benutzen, um sein eigenes politisches
Süppchen zu kochen. Ich finde das schäbig.
({20})
Ich bin am Ende meiner Redezeit. Ich darf abschließend nur darauf hinweisen: Gute Rentenpolitik hat eine
Vielzahl verschiedener Aspekte. Ein paar konnte ich aufzählen. Rentenpolitik ist bei den Sozialdemokraten in
guten Händen.
({21})
Das war in der Vergangenheit so, und das wird auch in
Zukunft so bleiben.
({22})
Bevor wir die Debatte fortsetzen, komme ich zurück
zum Tagesordnungspunkt 70 und gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes bekannt:
abgegebene Stimmen 493. Mit Ja haben gestimmt 97
Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt
391 Kolleginnen und Kollegen, und 5 Kolleginnen und
Kollegen haben sich enthalten. Der Gesetzentwurf ist
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 493;
davon
ja: 97
nein: 391
enthalten: 5
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Otto Schily
Dr. Wolfgang Wodarg
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({0})
({1})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({2})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({3})
Vizepräsidentin Petra Pau
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({4})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({5})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({6})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionslose
Abgeordnete
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({7})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({8})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({9})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({10})
Dirk Fischer ({11})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({12})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen-Esser
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({13})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({14})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({15})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({16})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({17})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({18})
Stefan Müller ({19})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({20})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({21})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({22})
Hermann-Josef Scharf
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Andreas Schmidt ({23})
Ingo Schmitt ({24})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({25})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({26})
Gerald Weiß ({27})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({28})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({29})
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Vizepräsidentin Petra Pau
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({30})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({31})
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({32})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({33})
Frank Hofmann ({34})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({35})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({36})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel ({37})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({38})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({39})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Ortwin Runde
({40})
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Silvia Schmidt ({42})
Heinz Schmitt ({43})
Carsten Schneider ({44})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({46})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({47})
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({49})
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({50})
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Dirk Becker
Ernst Kranz
Nun hat für die FDP-Fraktion der Kollege
Dr. Heinrich Kolb das Wort.
({51})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir wollen heute eigentlich Anträge der Linken beraten.
Ihre Ausführungen, Herr Amann, zwingen mich aber
- trotz aller persönlichen Sympathie -, einige Anmerkungen zu machen; denn so kann man das nicht stehen
lassen: Dass zehn Jahre SPD-Regierung eine Erfolgsstory für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland
gewesen seien, das kann man beim besten Willen nicht
sagen.
({0})
Bei allen drei Kriterien, die Sie genannt haben - Versorgung, Beitragshöhe, langfristige Stabilität -, stellen sich
am Ende Ihrer Regierungsbeteiligung mehr Fragen als
zu Beginn.
Ich will ein Beispiel nennen. Sie sagen, Sie hätten den
Beitragssatz, der einmal bei 19,8 Prozent lag, fast stabil
gehalten. Ich muss daran erinnern, dass Sie zwischenzeitlich die Ökosteuer eingeführt haben. Das Ziel bei der
Einführung der Ökosteuer war die Absenkung des Beitragssatzes auf 18,1 Prozent. Das hat nie stattgefunden.
Nach dem aktuellen Rentenversicherungsbericht soll
der Rentenbeitragssatz eigentlich auf 19,1 Prozent abgesenkt werden, weil nur durch diese Absenkung gewährleistet werden kann, dass 2020 ein Beitragssatz von
20 Prozent ausreicht. Das ist aufgrund der ewigen Rentengarantie von Herrn Scholz gestrichen worden.
({1})
Eine Erfolgsgeschichte für die Beitragszahler ist das
wirklich nicht.
Was die Versorgung der Menschen anbelangt, stimme
ich Ihnen zu: Im Moment ist Altersarmut in Deutschland
kein Problem. 2,5 Prozent, 2,7 Prozent der Menschen in
Deutschland beantragen Grundsicherung. Das ist im
Einzelfall bedauerlich und für den Einzelnen schwer zu
ertragen - das räume ich ein -; aber die Herausforderungen stehen uns erst noch bevor.
Ich will für die FDP-Fraktion in diesem Hause in allem Selbstbewusstsein sagen: Wir sind bislang die einzige Fraktion, die Bausteine zur Vermeidung von Altersarmut vorgelegt hat.
({2})
- Das können Sie anhand von Bundestagsdrucksachen
konkret nachvollziehen. - Wir machen uns Gedanken.
Ich will beispielsweise unseren Vorschlag nennen, private und betriebliche Vorsorge auf die Grundsicherung
im Alter nicht anzurechnen.
({3})
Damit schließen wir eine wesentliche Lücke und verringern das Risiko von Armut im Alter. Das ist ein entscheidender Punkt.
Herr Amann, mit der Rentengarantie, die Sie zuletzt
abgegeben haben, haben Sie die noch von Walter Riester
eingeleitete Stabilisierung der Rentenfinanzen wieder zu
einem großen Teil infrage gestellt. Die Nachhaltigkeit
der Rentenfinanzen ist nicht mehr in dem Maße gewährleistet, wie sie es im Zusammenhang mit dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz schien. Deswegen
sind viele Fragen offen.
Ein Allerletztes. Ich finde es putzig, wenn man eine
nominale Rentengarantie gibt - also garantiert, dass der
Zahlbetrag der Renten nicht gekürzt wird -, gleichzeitig
aber der Staatssekretär des BMAS im Ausschuss formuliert, dass Einkommensverluste der Rentner, zum Beispiel durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um
3 Prozentpunkte, in Kauf genommen werden.
({4})
Diese Erhöhung hat die Rentnerinnen und Rentner besonders belastet, weil sie von der mit dieser Erhöhung
verbundenen Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages nicht profitiert haben. Das sind Wahrheiten, die
einfach dazugehören.
Herr Amann, ich habe meine Redezeit jetzt fast für
die Antwort auf Ihre Rede verbraucht - die Kollegen von
den Linken müssen mir das nachsehen -, das musste
dann doch einmal gesagt werden.
({5})
Auch Sie von den Linken sind rückwärtsgewandt; das
muss man sagen. Sie wollen die Erhöhung der Regelaltersgrenze ersatzlos - ich betone: ersatzlos - zurücknehmen. Ihr Antrag erschöpft sich darin, den Status quo ante
von 2007 wiederherzustellen. Dazu muss man sagen:
Das ist zu wenig. Das enthält keinerlei Ansatz dafür, wie
in Zukunft eine leistungsfähige Rentenversicherung gewährleistet werden soll und wie das Rentensystem attraktiv gestaltet werden kann.
Deswegen will ich die verbleibenden zwei Minuten
dazu nutzen, Sie noch einmal für einen Vorschlag zu
sensibilisieren, den die FDP-Fraktion hier in den Deutschen Bundestag eingebracht hat, nämlich den Vorschlag, das System starrer Regelaltersgrenzen durch
einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand auf der Basis einer eigenen freien Entscheidung
zu ersetzen.
({6})
Wir verbinden diesen Vorschlag mit dem Wegfall aller Zuverdienstgrenzen.
({7})
Es gibt keinen Grund dafür, dass der Staat jemandem,
der grundsicherungsfrei ist, noch länger vorschreibt, ob
und in welchem Umfang jemand tätig ist. Das kann jeder
Mensch für sich sehr gut selbst entscheiden. Diese Entscheidung sollten wir ihnen auch überlassen.
({8})
Ich finde, das ist wirklich ein zukunftsweisender Vorschlag, und in Podiumsdiskussionen landauf, landab
höre ich schon einmal Zustimmung von Ihren Kollegen.
Sie sagen: Mehr Flexibilität ist eigentlich die Richtung,
in die wir auch marschieren wollen.
({9})
Ich weiß, dass jetzt Wahlkampf ist und dass Sie uns jetzt
noch nicht vorbehaltlos zustimmen können. Nach dem
27. September 2009 sollten Sie aber einmal ganz nüchtern auf das schauen, was die FDP Ihnen präsentiert. Sie
werden dann feststellen, dass das ein Vorschlag ist, der
den Menschen gerecht wird und der im Ergebnis dazu
führt, dass die Erwerbsteilhabe älterer Menschen deutlich gesteigert wird, was wir alle ja wollen. Das ist jedenfalls die Beobachtung, die wir in den skandinavischen Ländern gemacht haben.
({10})
Eine allerletzte Anmerkung zur Erwerbstätigenversicherung. Das fordern Sie; damit sind Sie aber nicht alleine. Auch in anderen Fraktionen gibt es Sympathisanten. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung
({11})
oder auch eine Milchjungenrechnung, um der Kollegin
Schewe-Gerigk gleich zuvorzukommen. Hier muss man
deutlich sagen: Es gilt das Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung. Es werden Renten in
dem Umfang zu zahlen sein, in dem zuvor Beiträge gezahlt wurden. Das heißt, mit einer Erwerbstätigenversicherung können Sie allenfalls ein kurzfristiges Strohfeuer, einen Liquiditätseffekt, erreichen. Auf Dauer
verschärfen Sie damit aber die strukturellen Probleme
der Rentenversicherung.
({12})
Diese Zeche wird genau dann zu zahlen sein, wenn
wir erleben müssen, dass die junge Generation von heute
für die heute höchsten Beiträge die dann niedrigsten
Renten erhält. Deswegen kann ich nur dringend ermahnen, von diesem Experiment der Erwerbstätigenversicherung abzulassen.
Ich hätte Ihnen gerne noch mehr ins Stammbuch geschrieben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, aber meine Redezeit ist leider schon überschritten,
und die Kollegen wollen nach Hause. Ich bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf eine Fortsetzung
unserer interessanten rentenpolitischen Diskussionen in
der nächsten Legislaturperiode.
Danke schön.
({13})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich fand es zu Beginn meiner parlamentarischen Tätigkeit durchaus gewöhnungsbedürftig, wenn bei Gesetzentwürfen unter Punkt C - Alternativen - immer stand:
Keine.
Natürlich gibt es in den meisten Fällen durchaus diskussionswürdige politische Alternativen, aber nicht dafür, die Rente mit 67 einzuführen und damit die durchschnittliche Rentenbezugsdauer innerhalb von 20 Jahren
ab heute von jetzt 17 Jahre auf 18 Jahre und nicht auf
20 Jahre zu erhöhen sowie gleichzeitig die Lebensarbeitszeit für diejenigen, die es können, um zwei Jahre
zu verlängern, damit diejenigen, die nicht so lange arbeiten können, weiter solidarisch abgesichert werden. Wenn
es in den letzten Jahren irgendetwas gab, wozu es keine
seriöse Alternativ gab, dann war es dieses Gesetz für die
Rente mit 67.
({0})
Es ist - auch das sei zum Ende dieser Legislaturperiode noch einmal rückblickend gesagt - natürlich ein
bleibendes Verdienst dieser Bundesregierung und des
damaligen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering,
dies auch in den eigenen Wirkungskreisen durchgesetzt
zu haben. Wir haben hier eine gute Entscheidung gemeinsam getroffen.
({1})
Es ist eine Entscheidung, die gerade auch im Hinblick
auf die Erwerbstätigkeit Älterer wichtig ist.
Meine Damen und Herren, es ist doch kein Zufall,
dass, seit die Diskussion über diese Themen läuft und
seit die Beschäftigung insgesamt gestiegen ist, gerade
bei den Älteren die Erwerbsbeteiligung deutlich zugenommen hat. Das sogenannte Lissabon-Ziel, bis zum
Jahre 2010 50 Prozent der über 55-Jährigen in Beschäftigung zu bringen, haben wir schon überschritten. Wir
sind schon bei 54 Prozent.
Klar ist doch auch, selbst wenn es jetzt durch die
Wirtschaftskrise hier Probleme geben sollte, muss man
doch immer fragen, was die Alternative wäre. Wenn wir
mit der Erwerbsbeteiligung Älterer nicht zufrieden wären, müssten wir doch klar sehen: Höhere Lohnzusatzkosten, die eine Rücknahme dieses Gesetzes bedeuten
würden, und das damit verbundene politische Signal:
„Die Älteren kann man eher aussortieren, die brauchen
sich mit 50 nicht mehr weiterzubilden, das lohnt sich
nicht mehr, die arbeiten ja eh nicht mehr lange“, das
kann doch niemals die Alternative sein. Mit der Rücknahme dieser Maßnahme würde in jedem Fall die Erwerbsbeteiligung Älterer sinken, die Arbeitslosigkeit Älterer steigen. Genau das wollen wir nicht, liebe
Kolleginnen und Kollegen. Deswegen bleibt es bei dieser Maßnahme.
({2})
Im Übrigen will ich Legenden vorbeugen, die in diesem Zusammenhang gelegentlich auftauchen, als würde
das alles unter Vorbehalt stehen und wäre unter Vorbehalt beschlossen. Es wird im Jahr 2010 einen Bericht der
Bundesregierung geben, wie auch immer sie aussieht.
Die Bundesregierung hat die Pflicht, darüber zu berichten, wie sich die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer
entwickelt hat. Damit ist selbstverständlich kein Automatismus verbunden im Hinblick auf irgendeine gesetzliche Regelung. Es wird dabei bleiben, egal wie die Beschäftigung Älterer aussieht. Es macht Sinn, sie zu
steigern. Eine Notwendigkeit in diesem Zusammenhang
sind möglichst bezahlbare Beiträge und klare Signale,
dass die Älteren in unserer Gesellschaft gebraucht werden.
Wir haben natürlich - das wird ja auch immer eingewandt - nur begrenzte Beitragssenkungsspielräume. Das
war auch politisch gewollt. Wir haben eben ganz bewusst gesagt: Wir setzen bei den rund ein Dutzend Rentenarten, die es gibt, nicht bei jeder Rentenart die Grenze
einfach um zwei Jahre herauf, sondern wir machen Ausnahmen, zum Beispiel bei den ErwerbsminderungsrenDr. Ralf Brauksiepe
ten. - Wir haben großzügige Übergangsregelungen für
diejenigen gefunden, die nicht mehr arbeiten können und
deswegen in Erwerbsminderungsrente gehen müssen.
Wir haben insbesondere auch gesagt: Diejenigen, die
45 Beitragsjahre haben, können weiterhin abschlagsfrei
mit 65 Jahren in Rente gehen. - Auch das ist ein ganz
wichtiges Ziel, das wir im Interesse der langjährigen
Beitragszahler durchgesetzt haben.
Ich sehe die Kollegin Schewe-Gerigk. Wir haben uns
ja im Wahlkreis eineinhalb Jahrzehnte lang auseinandergesetzt; sie hat hier ihre letzte Rede gehalten. Aber es
war eben eine falsche Ankündigung, zu sagen: Der Bundespräsident wird es nicht unterschreiben, das Bundesverfassungsgericht wird es nicht akzeptieren. - Nein,
alle haben es akzeptiert.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Es ist berechtigt, wenn man diejenigen, die durch besonders viele
Beitragsjahre diesen Sozialstaat mit aufgebaut und finanziert haben, mit 65 in eine abschlagsfreie Rente gehen lässt. Genau das ist bestätigt worden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Ich will heute zur FDP nichts sagen. Bei uns Westfalen ist Schweigen bekanntlich die höchste Form der Zustimmung. Ich bitte, dies daher als Zeichen guten Willens zu sehen, dass ich zur Rentenpolitik der FDP sonst
weiter nichts sage.
({5})
Zu den Grünen habe ich etwas gesagt.
({6})
Zu den Antragstellern will ich noch sagen: Papier ist
ja geduldig. Ich habe die Sächsische Zeitung vom
13. Dezember 1989 gefunden - sehr interessante Zeitung -,
kurz nach dem Fall der Mauer. Sozialistische Tageszeitung für den Bezirk Dresden. Darin stehen interessante
Sachen. Oben drüber steht: „Proletarier aller Länder vereinigt euch“.
({7})
Eine Überschrift ist: „Gysi für Eigenständigkeit und
Souveränität der DDR“ - noch nicht allzu lange her.
Dann gibt es eine Meldung der Nachrichtenagentur
ADN unter „Lafontaine fordert neue Zuzugsregelungen“:
Lafontaine sprach auch von „guten Argumenten“,
Rentnern aus der DDR bei einer Übersiedlung in
die Bundesrepublik aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit keine Rente mehr zu zahlen.
({8})
Es sei geltendes Recht in der Bundesrepublik, dass
jemand, der keine Beiträge eingezahlt habe, keine
Rente bekomme.
So weit die sozialistische Sächsische Zeitung seinerzeit.
({9})
Sie wollen uns hier erzählen, wir müssten mit der Angleichung des Rentenniveaus vorankommen. Das wollen
wir ja politisch. Aber das sagen Sie, nachdem Sie
40 Jahre lang die DDR in den Ruin getrieben haben.
Jetzt erzählen Sie uns, wir zahlten zu wenig Rente.
({10})
Selber wollte Ihr Vorsitzender gar keine Rente für die
Menschen in der DDR. Das ist die Wahrheit.
({11})
Wir werden das nicht vergessen, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Wir werden Sie daran erinnern, auch wenn die
Herren, die für Eigenständigkeit, Souveränität der DDR
und gegen Rentenzahlungen an DDR-Rentner sind, dieser Debatte heute wahrscheinlich aus Scham lieber fernbleiben.
Meine Damen und Herren, es liegen noch diverse
qualitativ ähnlich indiskutable Anträge der Linkspartei
vor.
Zum Thema Erwerbstätigenversicherung will ich dem
Kollegen Kolb ausdrücklich recht geben. Was er dazu
gesagt hat, ist richtig. Ein System der gesetzlichen Rentenversicherung, das sich für 20 Millionen Rentner nicht
rechnen würde, würde sich auch dann nicht rechnen,
wenn man ein paar Millionen Menschen zusätzlich zu
den gleichen Bedingungen in das System aufnehmen
würde. Wir müssen stattdessen dafür sorgen, dass die gesetzliche Rentenversicherung insgesamt so ausgestattet
ist, dass sie in Verbindung mit betrieblicher und privater
Vorsorge auskömmliche Renten garantiert. Das ist der
Grund, warum wir über den Bundeshaushalt fast
100 Milliarden Euro jährlich einsetzen, um die Alterssicherung generell zu stabilisieren.
Ein Vorschlag der Linkspartei bezieht sich darauf, etwas für die Geringverdiener unter den Rentnern zu tun.
Wir sind in der Tat dafür, dass diejenigen, die lange bei
geringen Einkommen Vollzeit gearbeitet haben, eine
Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus bekommen.
Aber alles andere, was Sie in Ihren Anträgen vorschlagen, würde im Grunde bedeuten, zu dem völlig anderen demografischen Zustand vor 1992 zurückzukehren
und all das zurückzunehmen, was seitdem gemacht worden ist. Das würde - wie das Prognos-Institut schon vor
langem errechnet hat - dazu führen, dass die Beitragssätze auf 40 Prozent steigen müssten. Das ist völlig illusorisch. Deswegen machen wir das nicht mit.
Wir können uns als Große Koalition und auch gerade
als CDU/CSU mit dem sehen lassen, was in dieser Legislaturperiode in der Rentenpolitik erreicht worden ist.
In der Rentenpolitik gibt es eben keine Kontinuität über
zehn oder elf Jahre. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, haben wir in der Rentenversicherung wieder Reserven. Im November 2005 brauchte die Rentenkasse
noch ein Darlehen. Seit Angela Merkel Kanzlerin ist,
gibt es wieder Rentensteigerungen, in diesem Jahr um
2,41 Prozent in den alten und 3,38 Prozent in den neuen
Ländern.
Wir haben die Rentenfinanzen auf eine solide Basis
gestellt. Wir haben wieder für höhere Renten gesorgt,
und wir haben mit der Rente mit 67 dafür gesorgt, dass
der Fortschritt nachhaltig und generationengerecht ist.
Die Menschen können sich sicher sein, dass wir in der
nächsten Legislaturperiode an diese Erfolge anknüpfen
werden.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Herr Amann hat gesagt: Die Rentenpolitik ist bei der SPD in guten Händen. - Die Altersarmut nimmt zu, das Rentenniveau sinkt, das Renteneintrittsalter steigt, und Sie sagen: Die Rente ist bei der SPD
in guten Händen. Genauso gut kann man spielenden
Kindern sagen, sie sollen im Heuschober mit Streichhölzern spielen. Dann sind die Streichhölzer auch in guten
Händen.
Sie haben die Rente ruiniert und weichgeschossen.
Das ist die Wahrheit.
({0})
Herr Brauksiepe, Sie haben von einem höheren Rentenniveau gesprochen und gesagt, es gäbe keine Alternative zur Rente mit 67. - Er hört gerade nicht zu, weil er
sich wohl über seine Rede unterhält.
({1})
Sie wissen genau, dass der Beitragssatz nur 0,3 Prozentpunkte höher sein müsste.
({2})
- Es können auch 0,5 Prozentpunkte sein. Das sind
0,25 Prozentpunkte für die Arbeitnehmer. Das wäre die
Alternative, die Sie aber nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Das ist ein Problem, auch wenn Sie sagen, dass es
keine Probleme gibt.
({3})
Das Thema Rente mit 67 ist für die SPD langsam lebenswichtig. Ich weiß nicht, ob Ihnen allen bekannt ist,
dass Sie, wenn am nächsten Sonntag gewählt würde, nur
noch 23 Prozent erreichen würden.
({4})
Ich freue mich, dass das auch in der SPD zur Kenntnis
genommen wird. Ich zitiere Herrn Florian Pronold aus
der Bild vom 22. Juni:
Ich gehe davon aus, dass die Rente mit 67 wegen
steigender Arbeitslosenzahlen in der Wirtschaftskrise nicht in Kraft treten kann.
Herr Andreas Steppuhn, Abgeordneter der SPD, hat
am 23. Juni festgestellt:
Korrigieren kann ein Ausdruck von Größe sein.
Beim Europawahlkampf ist für die SPD sichtbar
geworden, dass viele Menschen, gerade auch ältere,
Angst um ihren Arbeitsplatz haben.
Ganz zart hat den einen oder anderen von Ihnen die Erkenntnis geküsst.
({5})
Ihr Vorsitzender ist von einem solchen Kuss noch verschont geblieben. Das ist das Problem. Wenn Herr
Müntefering daraufhin ein Machtwort gesprochen hat
und die sozialdemokratische Führung eine vernünftige
Haltung verhindert, dann muss ich feststellen: Es ist Ihr
Vorsitzender, der momentan dazu beiträgt, dass eine vernünftige Rentenpolitik in der SPD nicht mehr möglich
ist. Es ist richtig: Auch wir wollen, dass die Menschen
länger arbeiten können. Aber bei dem einen oder anderen ist das nicht mehr sinnvoll. Ich glaube, dazu gehört
auch Ihr Vorsitzender - um es deutlich zu sagen.
({6})
Der Starrsinn Ihres Vorsitzenden ruiniert die SPD. Wann
wollen Sie sich eigentlich von dieser Fessel befreien?
({7})
Wo sind denn eigentlich die Linken in der SPD? Wo
sind denn eigentlich die Gewerkschafter in der SPD?
({8})
Wo sind denn eigentlich die Standfesten in der SPD? Ich
kann sie nicht mehr finden und erkennen.
({9})
Bei der namentlichen Abstimmung, die wir gleich haben, werden wir sehen, wer von Ihnen noch einen aufrechten Gang hat und wer nicht.
Reden wir über die Realität. Das Netzwerk für eine
gerechte Rente, in dem sich der DGB, der Paritätische
Wohlfahrtsverband und andere Sozialverbände zusammengeschlossen haben, hat festgestellt, dass Sie die Statistiken schönen, und zwar bis hin zur Fälschung. Wenn
Sie sagen, es gebe kein Problem mit der Arbeitslosigkeit
der Älteren, dann nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass
seit Dezember 2007 - das ist das Ergebnis Ihrer Politik die Zahl der Arbeitslosen im Alter zwischen 60 und
65 Jahren konstant gestiegen ist. Sie hat sich seit ihrem
Tiefststand verdreifacht. Nur 22,64 Prozent der Arbeitslosen zwischen 60 und 65 Jahren weisen Sie in der Statistik tatsächlich aus. Aber aus dem Bericht des Netzwerks geht die Realität deutlich hervor. Dort heißt es:
Die Beschäftigungsquote fällt ab dem 50. Lebensjahr
dramatisch ab. Nur 20 Prozent der Männer und nur circa
10 Prozent der Frauen sind mit 64 Jahren noch in einer
Beschäftigung. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet?
Glauben Sie wirklich, dass die Menschen, die mit 64 keinen Job mehr haben, mit 65 wieder eingestellt werden,
wenn Sie das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen?
Auf welchem Stern leben Sie denn eigentlich?
({10})
Für die übergroße Mehrheit bedeutet die Rente mit 67
nichts anderes als eine Rentenkürzung um 7,2 Prozent.
Schauen wir uns die Regelungen in anderen europäischen Ländern an. Es gibt nur zwei Länder in der EU,
die die Rente mit 67 haben. Das sind Island und Norwegen.
({11})
In Frankreich gilt nach wie vor die Rente mit 60. Selbst
in Albanien dürfen Frauen ab dem 60. Lebensjahr nach
Hause gehen. Dabei ist dieses Land wirtschaftlich
schwächer als die Bundesrepublik.
({12})
Vielleicht denken Sie darüber nach, ob Sie sich hier
nicht auf dem Holzweg befinden. Sie haben heute die
letzte Chance, diese Regelung zurückzunehmen. Wir
werden sonst die Bundestagswahl zur Volksabstimmung
über die Rente mit 67 machen. Darauf können Sie Gift
nehmen.
({13})
Das Wort hat nun Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man gerade Herrn Ernst zugehört hat, fällt einem
auf, dass es wirklich nicht leicht ist, sich heute, mitten in
der Talsohle der Wirtschaftskrise, eine Situation vorzustellen, die sich erst in 20 Jahren auswirkt. Das fällt der
Linken ganz besonders schwer.
({0})
Wer von uns kann sich den Arbeitsmarkt im Jahre 2029
vorstellen? Glauben Sie, dass die Krise bis 2029 anhält?
Denn erst dann wird die Rente mit 67 greifen, die Sie gerade abschaffen wollen.
({1})
Das Renteneintrittsalter wird in sehr kleinen Schritten
ab dem Jahre 2012 erhöht. Erst die heute 45-Jährigen
- nicht etwa ältere Menschen - werden 2029 davon betroffen sein. Bis dahin werden die Menschen - das wissen Sie selbst, Herr Ernst - im Durchschnitt drei Jahre
länger leben. Die nächste Zahl: Sie werden dann fast
20 Jahre Rente beziehen. Noch eine Zahl, die Ihnen zu
denken geben sollte: Sie reden immer von der Arbeitslosigkeit im Jahre 2029. Im Jahre 2029 wird es 8 Millionen
weniger Menschen im erwerbstätigen Alter geben. Das
heißt, den Betrieben werden Menschen fehlen. Eine solche Herausforderung kleinzureden, nur weil Wahlkampf
ist, finde ich fahrlässig.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Volker Schneider?
Bitte schön.
Liebe Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, es ist zunächst einmal reine Kaffeesatzleserei, wenn man sich
Gedanken darüber macht, wie es im Jahr 2029 aussehen
wird.
({0})
- Entweder man nimmt die Wahrheit zur Kenntnis, oder
man verleugnet sie. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte wird zurückgehen, aber kein Mensch
weiß, ob sich vor dem Hintergrund zurückgehender Bevölkerungszahlen und einer zurückgehenden Binnenkonjunktur der Arbeitskräftebedarf reduzieren wird.
Tatsache ist: Wir können einigermaßen präzise voraussagen, was im Jahr 2012 sein wird. Dann, liebe Kollegin
Schewe-Gerigk, beginnt die Rente mit 67. Würden Sie
mir zustimmen, dass vor dem Hintergrund der Aussage
des Kollegen Ernst, dass 80 Prozent der Männer und
90 Prozent der Frauen im Alter von 64 überhaupt nicht
erwerbstätig sind, die Rente mit 67 im Jahr 2012 nichts
anderes als die Kürzung der Rente für mehr als
80 Prozent der Menschen um 0,3 Prozent bedeutet, und
das lebenslang, und dass in den folgenden Jahren zunächst jeweils weitere 0,3 Prozent hinzukommen? In diesem Zusammenhang muss ich den Kollegen Braucksiepe
korrigieren. Er betreibt selber Legendenbildung.
({1})
Volker Schneider ({2})
Die Prüfklausel sagt, dass auf diesem Hintergrund geprüft werden muss - ({3})
Fragen Sie jetzt mich oder Herrn Brauksiepe?
Würden nicht auch Sie unter Anwendung der Prüfklausel zu dem Ergebnis kommen, dass vor dem Hintergrund der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren das
Projekt „Rente mit 67“ zumindest verschoben werden
müsste?
Das ist jetzt eine neue Frage, die Sie angehängt haben. Ich fange mit der ersten an. Wie im Jahr 2029 der
Arbeitsmarkt aussieht und wie groß das Arbeitskräftepotenzial ist, wissen wir. Die Kinder sind entweder geboren oder auch nicht geboren.
({0})
Deshalb wissen wir, dass 8 Millionen Menschen weniger
erwerbstätig sein können. Wir hatten die Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“, die sehr deutlich gemacht hat - dieser Meinung waren alle Fraktionen außer
der damaligen PDS -, dass das Renteneintrittsalter erhöht werden müsste. Wir haben gesagt, dass für uns die
Rente mit 67 Voraussetzungen und Bedingungen hat:
Die Arbeitsplätze müssen vorhanden sein, und die Menschen müssen gesund sein, damit sie die Arbeit ausführen können. Aber die Maßnahmen, die Sie vorschlagen,
insbesondere der Kollege Ernst von der IG Metall, zielen
doch darauf ab, die Älteren aus dem Arbeitsmarkt herauszuholen.
({1})
Die Altersteilzeit und die Verkürzung der Arbeitszeit,
die Sie vorschlagen, tragen doch dazu bei, dass die Menschen nicht länger arbeiten, sondern vorzeitig aus dem
Arbeitsprozess ausscheiden. Sie beklagen das, wozu Sie
die Grundlagen gelegt haben.
({2})
Wir Grünen schleichen uns nicht aus der Verantwortung. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe da so meine Erfahrungen in den letzten Monaten gemacht. Obwohl von der
Großen Koalition eingeführt, bin ich bei vielen Wahlkampfgroßveranstaltungen häufig die Einzige, die die
Rente mit 67 verteidigt. Die SPD schickt ihre Lauterbachs
und Schreiners, die CDU kommt überhaupt nicht,
({3})
zum Beispiel zum Seniorentag in Leipzig oder zu der
Veranstaltung der IG BAU in Nordrhein-Westfalen, wo
Hunderte von Leuten teilnehmen. Auch ich weiß, dass
die Verlängerung der Lebensarbeitszeit keine populäre
Entscheidung ist.
({4})
Aber gerade deshalb muss man mit den Menschen darüber reden.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Ernst?
Nein, ich möchte jetzt zu Ende reden. - Den Deutschen ist über Jahrzehnte gesagt worden, dass sie Arbeitsplätze für Junge frei machen, wenn sie möglichst
früh aus dem Betrieb ausscheiden. Das war ein Trugschluss. Das haben wir doch gesehen. Jeder, der ehrlich
mit dem Thema umgeht, muss doch zugeben, dass sich
Arbeitgeber und Betriebsräte oft schnell darauf einigen,
bevorzugt Ältere zu entlassen, weil sie in Altersteilzeit
gehen können oder einen längeren Anspruch auf
Arbeitslosengeld I als Jüngere haben. Herr Ernst, ich
habe es Ihnen gerade schon gesagt, und als IG-MetallFunktionär wissen Sie, wie so etwas funktioniert. Ihnen
nehme ich Ihre Krokodilstränen am wenigsten ab, wenn
Sie einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei den Älteren in
diesem Jahr beklagen. Der ist da, aber er ist durch künstliche politische Maßnahmen entstanden. Wer dafür Anreize schafft, braucht sich nicht darüber zu wundern,
wenn davon Gebrauch gemacht wird.
Wer die Rente mit 67 so bekämpft wie die Linke,
muss sich auch die Frage gefallen lassen, wie viel
Engagement er eigentlich daransetzt, um eine längere
Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
({0})
Die Unterbeschäftigung von Älteren darf und wird nicht
bleiben. Die Betriebe müssen sich auf eine ältere Belegschaft einstellen, auch weil nicht genügend Junge nachkommen. Es wird also jeder und jede gebraucht. Den
Fachkräftemangel spüren wir schon heute. Die Alterung
der Gesellschaft ist eine große Herausforderung. Ich
würde mich freuen, wenn auch die Linke das endlich
einmal zur Kenntnis nimmt.
({1})
Wir Grüne stehen zu einer schrittweisen Erhöhung
des Rentenalters. Aber wir sagen auch: Die Anhebung
des Rentenalters darf nicht zu Rentenkürzungen führen.
Damit es dazu nicht kommt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden.
Erstens. Es müssen genügend Arbeitsplätze für Ältere
zur Verfügung stehen. Deshalb fordern wir regelmäßige
Berichte, welche Fortschritte die Erwerbsintegration Älterer macht. Daran sollte sich das Tempo der Anhebung
orientieren. Hier hat sich in den letzten zehn Jahren erfreulicherweise viel getan. Die Beschäftigungsquote Älterer ist in den letzten zehn Jahren von 38 Prozent auf
fast 54 Prozent gestiegen. Herr Ernst, auch das ist ein Ergebnis der Debatte über die Rentenzeitverlängerung.
Zweitens. Die Beschäftigten müssen gesundheitlich
in der Lage sein, tatsächlich noch arbeiten zu können.
Anderenfalls haben wir die Erwerbsminderungsrente.
Ich nenne ein paar Stichpunkte: Gesundheitsförderung,
Anpassung des Arbeitsplatzes an den Menschen und
nicht Anpassung des Menschen an den Arbeitsplatz, Humanisierung der Arbeitswelt, Qualifizierung und Weiterbildung. Diese Stichpunkte spielen eine große Rolle, damit wir das spätere Renteneintrittsalter tatsächlich
umsetzen können.
({2})
Langfristig werden wir den Anteil Älterer am Arbeitsmarkt nur dann erhöhen können, wenn damit die Erhaltung der Gesundheit, lebenslanges Lernen und die Teilhabe am Erwerbsleben einhergehen.
Für uns Grüne gilt aber auch: Wer ein Leben lang in
die Rentenversicherung eingezahlt hat, darf im Alter
nicht auf die Grundsicherung angewiesen sein. Darum
muss die gesetzliche Rente armutssicher gemacht werden. Wir Grünen wollen kurzfristig eine Garantierente
für Bürgerinnen und Bürger einführen, die wegen niedriger Verdienste oder Unterbrechung der Erwerbsarbeit
nur mit einer geringen Rente rechnen können. Langfristig brauchen wir eine Alterssicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen. Wir hoffen, dass es nach
der nächsten Wahl hier im Bundestag endlich eine Mehrheit für ein solches Modell gibt.
Ich danke Ihnen.
({3})
Liebe Kollegin Schewe-Gerigk, dies war Ihre letzte
Rede. Ich bedanke mich im Namen des Hauses herzlich
für Ihre langjährige Arbeit in diesem Parlament. Wir alle
miteinander wünschen Ihnen - wir reden ja heute über
Alterssicherung -, dass Sie noch mindestens 30 gute
Jahre vor sich haben.
Herr Präsident, ich darf die Glückwünsche erwidern.
Ich bin vor 35 Jahren in die Politik gegangen, weil ich
spürte: In dieser Gesellschaft stimmt etwas nicht.
({0})
- Damals war ich bei den Liberalen. Da waren sie sozialliberal. Die Bürgerrechte waren bei ihnen beheimatet.
({1})
Die habe ich mit zu den Grünen genommen; das wissen
Sie.
({2})
Ich habe gespürt: Die Rechte von Frauen und Männern sind in dieser Gesellschaft nicht gleich verteilt. In
den letzten 15 Jahren, in denen ich hier im Bundestag tätig sein konnte, habe ich wirklich das große Glück gehabt - das ist eine Herausforderung und ein toller Job,
den wir hier machen können -, an dieser Situation etwas
zu ändern.
In den sieben Jahren rot-grüner Politik haben wir die
Gesellschaft verändert. Wir haben viele Gesetze gemacht. Ich danke insbesondere den Kolleginnen von der
SPD sehr. Aber wir haben auch in der Oppositionszeit
viel erreicht. Da sehe ich die Solidarität der Frauen aus
allen Fraktionen.
Wir, die Frauen aller Fraktionen, haben nämlich dafür
gesorgt, dass entgegen der Mehrheit der damals
schwarz-gelben Koalition, die etwas ganz anderes
wollte, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde.
({3})
Das ist mit den Namen Rita Süssmuth, Irmgard
Karwatzki, Ulla Schmidt, die hier als Ministerin leider
nicht anwesend ist, und Sabine LeutheusserSchnarrenberger verbunden. Sie hatten es in ihrer Fraktion ungleich schwerer als ich bei den Grünen. Recht
herzlichen Dank dafür.
({4})
Bevor ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen
des Hauses und auch der Bundestagsverwaltung bedanke, möchte ich noch ein Wort - Herr Präsident, ich
bin gleich am Ende - an meine Fraktionskollegen von
den Grünen richten. Ich finde, liebe Grüne, wir können
schon ein bisschen stolz darauf sein, dass wir in
Deutschland den Boden dafür geschaffen haben, dass es
möglich ist, eine Kanzlerin zu wählen. Sie hat zwar das
falsche Parteibuch, aber das bekommen wir auch noch
hin.
Recht herzlichen Dank.
({5})
Frau Kollegin, Sie müssen noch einen Moment lang
zuhören, denn das Wort zu einer Kurzintervention hat
der Kollege Ernst.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
({0})
Kolleginnen und Kollegen, das müsst ihr schon ertragen. Ich bin mehrmals namentlich angesprochen worden. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen da so ginge.
Erstens. Ich habe festgestellt, dass wir genau wissen,
was im Jahr 2030 los ist. Angesichts der exakten Prognosen wundere ich mich über diese Wirtschaftskrise,
die ein halbes Jahr vorher noch niemand voraussagen
konnte. Auch die Konsequenzen konnte man nicht sehen.
Zweitens. Sie haben mehrmals die Demografie angesprochen, Frau Schewe-Gerigk. Eigentlich ist es ganz
einfach: Wir wissen, dass - das ist einigermaßen gesichert - im Jahre 2030 die Zahl der Bevölkerung in der
Bundesrepublik geringer sein wird als jetzt. Wir wissen
auch einigermaßen gesichert, dass die Krise vorbeigehen
wird und im Jahre 2030 das Bruttoinlandsprodukt größer
sein wird als jetzt. Wir haben also einen größeren Kuchen, aber eine kleinere Zahl von Menschen, die sich
diesen Kuchen teilen kann. Würden Sie mir zustimmen,
dass unter dieser Voraussetzung das einzelne Kuchenstück nicht zwangsläufig kleiner ist, sondern durchaus
größer sein kann, und dass die Rentner deshalb nach wie
vor eine vernünftige Rente bekommen können, auch
wenn sie nur bis 65 Jahren arbeiten?
({0})
Frau Kollegin, Sie können jetzt ein bisschen weiterreden. Bitte schön.
Ich rede eigentlich immer nur dann, wenn es sich
wirklich lohnt.
({0})
Ich glaube, der Kollege Ernst wollte gerne noch einmal
das sagen, was er vorher schon gesagt hat. Es ist auch
nicht besser geworden. Insofern verzichte ich darauf.
({1})
Das Wort hat nun Kollege Anton Schaaf für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Irmingard Schewe-Gerigk, an einer Stelle möchte ich
deine Rede ein wenig korrigieren. Die IG-Metall ist eine
große und herausragend gute Gewerkschaft. Zwar nicht
alle Mitglieder sind große und herausragende Gewerkschaftler, aber die IG-Metall ist es sehr wohl.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat ist der eine oder andere Kollege aus unserer
Fraktion gefragt worden: Wie ist es mit der Einführung
der Rente mit 67 Jahren und der Wirtschaftskrise? Dann
haben die Kolleginnen und Kollegen korrekterweise auf
das Gesetz verwiesen, nämlich auf die Vorbehaltsklausel. Entsprechend sind sie auch zitiert worden. Aber das
Ziel, die Rente mit 67 Jahren bis 2029, hat niemand infrage gestellt und stellt die SPD-Bundestagsfraktion
auch nicht infrage.
({1})
Den Weg dahin gestalten wir, und zwar gemeinsam. Das
haben wir im Gesetz festgelegt. Das ist der entscheidende Unterschied. Warum machen wir das nicht? - Es
geht nicht so sehr, Herr Ernst, um die Finanzierbarkeit
des Rentenversicherungssystems. Sie beantworten diese
Umverteilungsfragen ja immer relativ einfach: Nehmt
den Reichen Geld weg, dann können wir allen anderen
etwas mehr geben. So einfach ist es im Rentensystem
natürlich nicht. Der entscheidende Punkt ist die demografische Entwicklung, die Altersentwicklung in der
Gesellschaft. In Baden-Württemberg und anderen
Landesteilen sucht man händeringend qualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter, die Menschen, die unseren Wohlstand erarbeiten, weil sie nicht mehr in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Dem müssen wir
Rechnung tragen. Sie sagen nicht ein einziges Wort
dazu, wie man in Zukunft mit diesen Tatsachen umgehen
soll.
({2})
Dann bringen Sie Beispiele, die ich immer wieder sehr
bezeichnend finde. Ein Beispiel ist die jetzt 64-jährige
Frau, die aufgrund der Rente mit 67 Abschläge hinnehmen muss. Wenn die Frau jetzt 64 Jahre alt ist, kann sie
im nächsten Jahr ohne Abschläge in Rente gehen. Das ist
dummes Zeug, was Sie erzählen. Sie wollen die Menschen nur verunsichern. Das ist das, was Sie machen.
({3})
Der Kollege Amann hat völlig recht: Sie nutzen die
jetzige Wirtschaftskrise dazu, den Menschen Angst davor zu machen, dass sie im Jahre 2029 erst mit 67 Jahren
in Rente gehen dürfen. Wir haben als SPD klar gesagt,
was wir uns für den Zeitraum dazwischen vorstellen.
Wir haben gesagt, dass wir zum Beispiel die geförderte
Altersteilzeit beibehalten wollen, damit man, wenn man
nicht mehr so gut kann, vorzeitig gehen kann. Wir haben
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente vorgesehen. Nicht alles war mit der Union als Koalitionspartner zu machen, aber es ist auch nicht so, dass wir unsere
Ziele aufgegeben hätten. Da muss man einmal genau
hinschauen. Wir wollen die Lebenssituation und die Arbeitssituation der Menschen verbessern.
Was Sie hier sagen, finde ich heuchlerisch. Sie sagen:
Die Menschen können nicht bis 67 arbeiten. Bei einigen
stimmt das. Das sind aber dieselben, die auch nicht bis
65 arbeiten können. Was machen wir denn jetzt mit denen? Lassen wir die etwa ins Bodenlose fallen? Nein,
das tun wir nicht, und das werden wir auch mit den Menschen nicht tun, die bis 67 arbeiten müssen, es aber nicht
können. Auch die werden wir nicht ins Bodenlose fallen
lassen, und darauf kommt es an.
({4})
Sie sagen: Dann sind die Menschen aus Arbeit kaputt
und können gar nicht bis 67 arbeiten. Wenn das so ist, ist
es die erste Pflicht für einen Gewerkschafter, dafür zu
sorgen, dass die Menschen aus Arbeit möglichst nicht
kaputt werden, und dieser Pflicht kommen Sie in keiner
Weise nach.
({5})
Das war eben schön: Sie beschimpfen uns und sagen,
wir wären gewerkschaftsfeindlich oder nicht arbeitnehmerfreundlich. Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas: Es gibt
auch in Ihrer Fraktion den einen oder anderen wirklich
guten Kollegen oder die eine oder andere wirklich gute
Kollegin; das kann man überhaupt nicht bestreiten.
({6})
Aber Ihre Landesverbände im Westen radikalisieren sich
und schmeißen die Gewerkschafter von den Listen; ich
bedauere das übrigens.
({7})
Das ist der Punkt: Die Gewerkschafter werden gar nicht
mehr im Bundestag sein - außer dem Linksradikalen
Klaus Ernst; sonst sind sie alle weg.
({8})
Wenn man hier schon eine rentenpolitische Debatte
führt, hätte ich mir gewünscht, dass jemand aus Ihrer
Fraktion dazu spricht, der wirklich Ahnung hat. Aber der
Kollege wird dem nächsten Bundestag aller Wahrscheinlichkeit nach leider nicht mehr angehören. Das muss
man einmal klipp und klar festhalten: So gehen Sie mit
Sachkompetenz, mit Fachverstand und mit Gewerkschaftern in Ihren Reihen um.
({9})
- Herr Kolb, ich wollte ohnehin das, was Sie vorhin gesagt haben, aufnehmen, weil es recht typisch war.
({10})
Ich lasse im Übrigen keine weiteren Zwischenfragen
zu. Wir haben seitens der Linken genug Wahlkampfklamauk gehabt.
Herr Kolb, Sie haben gestern bei der Beratung eines
Antrages zum Thema Altersvorsorge dargestellt, was Sie
rentenpolitisch wirklich wollen.
({11})
- Nein, es war Ihr Kollege Lotter - das stimmt schon -,
aber er hat die Position der FDP dargestellt. - Sie wollen
die Altersvorsorge individualisieren und privatisieren.
Ihr Vorschlag, dass die Menschen in Rente gehen können, wann sie wollen, ist ein Frühverrentungssystem für
Gutverdiener,
({12})
die sich damit aber definitiv aus der Solidargemeinschaft
verabschieden, was ihre Beiträge angeht - sie zahlen ja
nicht mehr in die Rentenversicherung ein - und was vor
allen Dingen den solidarischen Ausgleich für die Erwerbsminderungsrente angeht. Das ist das, was Sie wollen. Sie wollen für Ihre ureigene Klientel privatisieren.
({13})
Herr Ahrendt, es war schon sehr richtig, was der Kollege Amann gesagt hat: Rentenpolitik ist bei der SPD
nach wie vor gut aufgehoben. Sie fängt da an, wo man
vor allen Dingen dafür Sorge trägt, dass die Menschen
über ihre Arbeit überhaupt Ansprüche an die Rentenversicherung aufbauen.
({14})
Dazu haben wir in den letzten Wochen und Monaten,
aber auch schon in den letzten Jahren eine Menge beigetragen. Die Arbeitslosenzahl - das muss man einmal
feststellen - ist deutlich nach unten gegangen - bis zu
dieser Wirtschaftskrise. Wir dürfen feststellen, dass die
Beschäftigungsquote Älterer tatsächlich deutlich gestiegen ist. Wir dürfen feststellen: Was wir zum Konjunkturprogramm beschlossen haben, schützt tatsächlich Arbeitsplätze. 10 Milliarden Euro für die Kommunen
wirken unmittelbar vor Ort.
Das war schon immer klare Position der SPD: Der
beste Schutz vor Altersarmut ist, Arbeit zu haben. Wir
kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz in diesem
Land. Das ist unsere Politik.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({15})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem
Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Dass heute der Kollege Ernst in einer Sachdebatte gesprochen hat, an der der Kollege Ernst gar nicht teilnehmen kann, spricht Bände. Das hat sich in seinem Beitrag
auch gezeigt. Letztendlich geht es nur um Wahlkampf
und darum, die notwendigen Reformen madigzumachen,
die wir in der Großen Koalition im Interesse eines guten
sozialen Sicherungssystems durchgeführt haben, damit
die Menschen sich auf die gesetzliche Rente verlassen
können. Sie können sich darauf verlassen, Herr Kollege
Ernst; das möchte ich hier voranstellen.
({0})
Die linke Fraktion ist heute mit zwei Anträgen vertreten. Mit dem einen will sie die gesetzliche Rentenversicherung in eine sogenannte Erwerbstätigenversicherung
umbauen,
({1})
mit dem anderen lehnt sie zum wiederholten Male die
Rente mit 67 ab. Das zeigt sehr deutlich, dass die Linke
sich gegenüber den zukünftigen demografischen Herausforderungen blind stellt, und natürlich hat sie auch keine
Lösungsansätze. Insgesamt ist Ihr Antrag von sozialistischen Träumen geprägt.
({2})
Die Rentenversicherung umzubauen und die Beitragsbemessungsgrenze wegzuwischen, das Gehalt in
voller Höhe mit dem Beitrag zu belasten, aber dem keine
entsprechende Leistung gegenüberzustellen, bedeutet
letztendlich, sich vom sogenannten Äquivalenzprinzip
zu verabschieden.
({3})
Wir stehen für die Beitragsbezogenheit der Rente. Der
Beitragszahler, der viel eingezahlt hat, soll eine höhere
Rente bekommen als derjenige, der eine niedrigere Beitragszahlung geleistet hat.
({4})
Das zeigt sehr deutlich, dass sozialistische Gleichmacherei die Hand geführt hat. Das wird uns sicherlich nicht
weiterführen.
Im Hinblick auf die Erwerbstätigenversicherung
wurde heute bereits ausgeführt, dass, wenn man alle gesellschaftlichen Gruppen - Beamte, Selbstständige, Politiker - in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen
würde, auch entsprechende Ansprüche zu bedienen wären. Das ist letztlich ein Nullsummenspiel, das niemandem nützt und keine verlässliche Grundversorgung bedeuten würde. Damit würde die gesetzliche
Rentenversicherung zur Sozialfürsorge umgestaltet werden. Das kann nicht im Sinne unseres Rentensystems
sein.
({5})
Es wurde heute bereits sehr ausführlich dargelegt, wie
unsere Entscheidung unter Bundesminister Müntefering
und der Bundesregierung für die Rente mit 67 zustande
gekommen ist. 2030 wird es eine um drei Jahre längere
Lebenserwartung geben; die Kollegin Schewe-Gerigk
hat das dargestellt. Die Rente mit 67 bedeutet also keine
Rentenkürzung. Vielmehr wird die Rentenbezugsdauer
weiter steigen, nämlich von 17,2 Jahren auf knapp
19 Jahre.
Das bedeutet letztlich, wir haben keine Rentenkürzung, sondern wir haben einen Ausgleich zwischen den
Ansprüchen der jüngeren Generation der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und der gestiegenen Lebenserwartung für die Rentnerinnen und Rentner geschaffen.
Das ist ein notwendiger gesellschaftlicher Ausgleich, der
die Grundlage dafür schafft, dass unsere Gesellschaft im
Rahmen des Generationenvertrags weiterhin zusammenhält. Darauf sollten wir uns konzentrieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Enkelmann?
Nein, Herr Präsident,
({0})
weil ich den Eindruck habe, dass es hier nur noch um
Wahlkampf geht. Außerdem gibt es verschiedene Kollegen, die möglicherweise zum Beispiel einen Zug erreichen müssen.
Im Hinblick auf die längere Lebensarbeitszeit müssen
in den Betrieben auch entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden. Ich gebe dem Kollegen Schaaf ausdrücklich recht: Die Gewerkschaften, die Arbeitgeber
und viele andere sind aufgefordert, in der Gesellschaft
dafür zu sorgen, dass bessere Arbeitsbedingungen für
die ältere Generation in den Betrieben organisiert werden.
Wir sind dabei auf einem guten Weg. Die Teilnahme
älterer Menschen am Erwerbsleben ist gestiegen, und
zwar insbesondere seit die Regierung Angela Merkel angetreten ist. Das lässt sich auch statistisch belegen.
Ich darf ganz kurz die Statistik der Bundesagentur für
Arbeit, die mir vorliegt, darstellen: Im Jahr 2005 waren
im Dezember in der Gruppe der 50- bis 54-Jährigen
2 922 800 sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im
Dezember 2008 war die Zahl der Beschäftigten in der
gleichen Altersgruppe auf 3 270 000 gestiegen, also eine
klare Steigerung der Zahl der Erwerbstätigen aus der
älteren Generation. Dies wird sich fortsetzen. Noch etwas ist sehr bemerkenswert: In der Kategorie der 60- bis
64-Jährigen waren im Dezember 2005 noch 751 000
Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im
Jahr 2008, ebenfalls im Dezember, waren es 936 000.
Das zeigt sehr deutlich: Wir haben es geschafft, dass
die ältere Generation weiterhin am Erwerbsleben teilnehmen kann. Das sollten wir als Chance begreifen, statt
dazu beizutragen, dass die ältere Generation aus dem Erwerbsleben herausgedrängt wird, wie es letztendlich die
Folge Ihrer Anträge wäre, werte Damen und Herren von
der Linken.
({1})
Einer solchen Politik werden wir nicht die Hand reichen.
Wir werden deshalb Ihre Anträge ablehnen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Altersrente - Erhö-
hung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurückneh-
men“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/12737, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12295 abzuleh-
nen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Es lie-
gen zwei Erklärungen zur Abstimmung vor.1)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ist das erfolgt? -
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen
ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Abstimmungen fort.
Tagesordnungspunkt 68 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-
ziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Die gesetzliche Rentenversicherung zur solidari-
schen Erwerbstätigenversicherung ausbauen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/11445, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/6440 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Soli-
darausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbro-
chenen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen
stärken“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/10335, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/7038 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit derselben Mehrheit wie zuvor angenommen.
1) Anlagen 4 und 5
2) Ergebnis Seite 26179 C
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 67 auf:
Beratung des Bericht des Petitionsausschusses
({0})
Bitten und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2008
- Drucksache 16/13200 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Kersten Naumann für die Fraktion Die Linke das Wort.
({1})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Meine Damen und Herren! Als Erstes
möchte ich korrigieren, dass ich als Ausschussvorsitzende und nicht als Vertreterin der Linken spreche. Ich
möchte direkt anschließend meine Verärgerung über das
mangelnde Interesse für diesen Tagesordnungspunkt
zum Ausdruck bringen.
({0})
- Schön, dass Sie da sind, Herr Wieland. Ich freue mich,
dass Sie da sind.
Bei aller Wichtigkeit des Bundeswahlgesetzes bin ich
davon überzeugt, dass die Arbeit des Petitionsausschusses Respekt und mehr Beachtung verdient hat und nicht
weniger bedeutend ist. - Dies nur einleitend.
({1})
Die Vorstellung des Jahresberichts möchte ich mit
zwei Fragen beginnen: Was versteht man bei der Arbeit
des Petitionsausschusses unter einem guten Jahr? War
2008 ein gutes Jahr? - Im eigentlichen Sinne war es das
nicht. Denn die Anzahl der Zuschriften, die uns erreichten, ist im Vergleich zum Vorjahr wieder angestiegen.
Dies ist ein Indiz dafür, dass es immer noch zu viele Probleme gibt, für die der Petitionsausschuss oft der letzte
Rettungsanker ist. Somit gehört der Petitionsausschuss
zu den wenigen, die sich nicht über steigende, sondern
über eher sinkende Zahlen freuen würden.
Damit bin ich auch schon bei den Zahlen aus dem
Jahr 2008. Insgesamt gingen 2008 18 096 Eingaben
beim Petitionsausschuss ein; das waren etwa 72 Zuschriften pro Arbeitstag.
Trotz der hohen Anzahl von Petitionen gibt es einen
Grund zur Freude: Im vergangenen Jahr wurde das Provisorium der öffentlichen Petition in den Regelbetrieb
übernommen. Ziel der öffentlichen Petition ist es, ausgewählte Themen, die von den Petenten vorgegeben wer26178
den und die von allgemeinem Interesse sind, im Internet
auf der Seite des Petitionsausschusses vorzustellen und
zur Diskussion anzubieten. Diese öffentlichen Petitionen
erfuhren bereits in der Probephase einen stetig wachsenden Zuspruch seitens der Internetnutzer.
So wurden in dem dreijährigen Modellversuch von
2006 bis 2008 667 Petitionen im Netz mitgezeichnet
und diskutiert. Nach einer zwischenzeitlichen intensiven
Vorarbeit sowohl des Ausschussdienstes als auch der
Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus, die für das Internet und den IT-Bereich zuständig sind, konnte im Oktober 2008 der Startschuss für den regulären Betrieb der
Onlinepetition gegeben werden.
Aufgrund der publikumswirksamen Vorbereitungen
und positiver medialer Begleitung stieg die Zahl der Diskussionsbeiträge von etwa 900 pro Monat auf 2 500 am
Ende des Jahres 2008.
Im November 2008 wurde die Arbeit des Petitionsausschusses mit dem „Politik-Award“ gewürdigt. Das
war eine große Auszeichnung für uns, auf die wir auch
stolz sind.
({2})
Doch nicht nur die Anzahl der öffentlichen Petitionen, sondern auch die Anzahl der Zugriffe auf die Internetseiten des Petitionsausschusses mit derzeit fast
800 000 pro Jahr ist ein beeindruckender Beweis des
steigenden Interesses der Bürgerinnen und Bürger.
Hier ein Beispiel von vielen: So verzeichnete eine
Petition, bei der die Reduzierung der Besteuerung von
Diesel und Benzin gefordert wurde, über 128 000 Mitzeichnungen bei insgesamt 1 130 Diskussionsbeiträgen.
Kommen wir zu einem anderen Thema, den Sammelund Massenpetitionen. Bei den Sammel- und Massenpetitionen gab es auch im Berichtszeitraum wieder Themen, die einige Tausend Unterstützer fanden. So gingen
bei den Massenpetitionen bezüglich der Forderung nach
Änderung des Luftsicherheitsgesetzes allein 22 339 Zuschriften ein. Bei den Sammelpetitionen führte eine Petition zur vorgesehenen Änderung des Steuerberatergesetzes mit über 37 000 Unterschriften die Liste an.
Größtes übergreifendes Thema bei den Massen- und
Sammelpetitionen war jedoch 2008 die Rentenproblematik. Allein 7 930 Massenpetitionen und zusätzlich an
die 30 000 Unterschriften zur Rentenerhöhung bzw. -anpassung Ost/West, zur Altersarmut und zum Renteneintrittsalter wurden eingereicht.
Ausgewählte Themen, denen nicht nur bezüglich der
Anzahl der Mitzeichner ein großes Interesse zuteil wird,
sondern die auch in den Medien einen hohen Stellenwert
finden, werden vom Ausschuss in öffentlichen Beratungen behandelt. Dazu werden die Petenten nicht nur eingeladen, sondern sie erhalten auch Rederecht, um ihre
jeweiligen Positionen darzustellen. Außerdem können
sie sich an der Diskussion beteiligen.
So wurden zum Beispiel Themen aus dem Verkehrswesen, aus der Gesundheitspolitik, der Umweltpolitik,
dem Wirtschafts- und Steuerrecht sowie über die Situation der Heimkinder in der Bundesrepublik zwischen
1949 und 1975 behandelt. Bei diesem letzten Thema war
das Interesse der Öffentlichkeit besonders groß, sodass
als Ergebnis ein runder Tisch ins Leben gerufen wurde,
der unter Leitung der früheren Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Antje Vollmer, diese Zeit
aufarbeiten wird.
Die eigentliche Erfolgszahl für den Ausschuss ist jedoch die Zahl der Petitionen, bei denen den Bürgerinnen
und Bürgern wirklich geholfen werden konnte. Circa
38 Prozent aller Eingaben konnten mit einem positiven
Ergebnis für die Petenten abgeschlossen werden.
({3})
Welche Bereiche waren es im Jahr 2008, zu denen die
meisten Zuschriften eingingen? Hier steht nach wie vor
beharrlich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit insgesamt 4 096 Eingaben auf Platz eins. Das
sind 22,6 Prozent aller Eingaben. Ganz vorn standen die
Petitionen zur Sozialversicherung sowie zur Höhe der
Leistungen. Auch die Frage der Angleichung der Renten
in den neuen und alten Bundesländern spiegelte sich in
vielen Zuschriften wider. Das Thema Rente ist seit Jahren ein Dauerbrenner. Allein 1 940 Petitionen bezogen
sich darauf. Das war sogar eine Steigerung im Vergleich
zum Vorjahr.
Den größten Zuwachs mit 2 462 Eingaben verzeichnete jedoch das Finanzministerium, welches damit auf
die zweite Stelle vorgerückt ist. Ein Schwerpunktthema
war die Einkommensteuer mit sehr vielen Eingaben zur
Entfernungspauschale. Kritik gab es an der Erhöhung
der Mehrwertsteuer, und es wurde die Reduzierung der
Mineralölsteuer gefordert.
Das Justizministerium nahm mit 12 Prozent der Eingaben die dritte Stelle ein, wobei es - wie in den vergangenen Jahren - in einem hohen Maße um Beschwerden
über Gerichte und Staatsanwaltschaften ging. Hier sind
dem Petitionsausschuss jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen die Hände gebunden, da Art. 97 des
Grundgesetzes die richterliche Unabhängigkeit gewährt.
Sehr stark stiegen auch die Eingaben im Bereich des
Innenministeriums von 1 278 im Vorjahr auf 1 811 in
2008. Schwerpunkte waren das öffentliche Dienstrecht
sowie die im Berichtszeitraum erfolgte Verabschiedung
der Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechtes. Einige Petenten wandten sich auch gegen die
Erfassung biometrischer Daten für Reisepässe und Personalausweise. Weitere Themen waren das Waffenrecht
sowie das Ausländer- und Asylrecht.
Einen Zuwachs verzeichnete auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit
1 570 Eingaben im Vergleich zu 1 070 im Vorjahr. Dabei
spannte sich der Bogen von der Forderung nach ausreichenden Parkplätzen für Lkws an Autobahnen über die
Einführung einer Pkw-Maut für Autobahnen und Bundesstraßen, einer Helmpflicht für Fahrradfahrer bis hin
zu einem barrierefreien Zugang zu Bahnsteigen. Ein imKersten Naumann
mer wiederkehrendes Thema ist der Lärmschutz, was sowohl die Straßen und die Schienen als auch den Luftverkehr betrifft. In diesem Zusammenhang führte der
Ausschuss im Berichtszeitraum zwei Ortsbesichtigungen
durch.
Interessant ist auch die Frage nach dem Anteil der Zuschriften aus den einzelnen Bundesländern. Relativiert
man auf 1 Million Einwohner, um einen realistischen
Vergleich zu gestatten, dann liegen alle fünf neuen Bundesländer an der Spitze, gefolgt von Hessen und Niedersachsen. Baden-Württemberg bildet hier das Schlusslicht.
Berlin ist mit 450 Eingaben je 1 Million Einwohner am
eingabefreudigsten.
Bei vielen Eingaben wird immer wieder deutlich,
welche Verzweiflung oft hinter den Hilferufen an den
Petitionsausschuss steht, welche persönlichen, familiären und finanziellen Situationen die Betroffenen dazu
veranlassen, ihr ganzes Vertrauen in diesen - unseren Ausschuss zu investieren. Um für den Petenten die bestmögliche Lösung zu finden - das darf ich hier mit Bestimmtheit von allen sagen -, knien sich die Mitglieder
des Ausschusses bei vielen Fällen regelrecht hinein. Dafür meinen herzlichen Dank.
Es gab aber auch immer wieder Fälle, bei denen bereits bestehende Gesetze aufgrund von Petitionen überarbeitet werden mussten, da mögliche Härtefälle im Vorfeld nicht bedacht wurden. Leider kann ich auch nicht
verschweigen, dass es uns traurig stimmt, wenn wir feststellen müssen, dass uns öfters die Hände gebunden sind.
Manchmal gelingt der große Durchbruch, und manchmal
muss man einsehen, dass die ersehnte Hilfe nicht versprochen werden kann oder nur kleine Erfolge möglich
sind.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch etwas zum Selbstbewusstsein des Petitionsausschusses sagen. Die Art. 17 und 45 c des Grundgesetzes sind nicht
irgendwelche Artikel, sondern bilden die Rechtsgrundlage unserer Arbeit. Das ist der Auftrag. Um diesen erfüllen zu können, benötigen wir die uneingeschränkte
Kooperation der von uns angerufenen Stellen. Ich
möchte darauf hinweisen, dass wir sehr hartnäckig sind,
wenn es um die Petentinnen und Petenten geht, die sich
voller Vertrauen an uns wenden.
({4})
Nicht vergessen möchte ich, einen besonderen Dank
an die Mitarbeiter und Sachbearbeiter des Petitionsausschussdienstes zu richten. Nur durch ihren unermüdlichen Einsatz und eine stets kollegiale Zusammenarbeit
mit den Ausschussmitgliedern konnte die große Zahl der
Anfragen, Bitten und Beschwerden bearbeitet werden,
und dies bei gleichbleibender bzw. zeitweilig verminderter Arbeitskapazität. Herzlichen Dank!
({5})
Als Vorsitzende möchte ich mich aber auch bei meinen Ausschusskolleginnen und -kollegen aus allen Fraktionen bedanken. Die vergangenen dreieinhalb Jahre waren für mich lehrreich, spannend und in jeder Hinsicht
reich an Erfahrungen. Ich wünsche dem neuen Petitionsausschuss weiterhin eine bürgernahe, konstruktive und
sachliche Zusammenarbeit im Sinne der Petentinnen und
Petenten. Dem neuen Ausschuss möchte ich folgenden
Spruch von Indira Gandhi mit auf den Weg geben - ich
zitiere -:
Mein Großvater sagte mir einst, dass es zwei Sorten
von Menschen gäbe. Die, die arbeiten, und die, die
sich die Lorbeeren für diese Arbeit einheimsen. Er
sagte mir, ich solle versuchen, in der ersten Gruppe
zu sein; es gäbe dort viel weniger Konkurrenz.
Herzlichen Dank und alles Gute!
({6})
Ich komme auf den Tagesordnungspunkt 68 a zurück
und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 466. Mit Ja haben
gestimmt 412, mit Nein haben gestimmt 52, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 466;
davon
ja: 412
nein: 52
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen-Esser
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({5})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({6})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({7})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({8})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({9})
Stefan Müller ({10})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({11})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({12})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({13})
Hermann-Josef Scharf
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Andreas Schmidt ({14})
Ingo Schmitt ({15})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({16})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({17})
Gerald Weiß ({18})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({19})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({20})
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({21})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({22})
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({23})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({24})
Frank Hofmann ({25})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({26})
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({27})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel ({28})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({29})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Ortwin Runde
({30})
Axel Schäfer ({31})
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({32})
Heinz Schmitt ({33})
Carsten Schneider ({34})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({35})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Petra Weis
Gert Weisskirchen
({36})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({37})
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({38})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Horst Friedrich ({39})
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({40})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({41})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({42})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({43})
Markus Kurth
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({44})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({45})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Nein
SPD
Wolfgang Gunkel
Detlef Müller ({46})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({47})
({48})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bettina Herlitzius
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthalten
SPD
Dr. Wolfgang Wodarg
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Thilo Hoppe
Wir fahren mit Tagesordnungspunkt 67 fort. Ich erteile dem Kollegen Gero Storjohann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({49})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der jährliche Bericht des Petitionsausschusses
ist ein Highlight. - Es wäre schön, wenn das so wäre.
Dieser Bericht ist aber eine Möglichkeit, wie wir als
Ausschuss auf unsere Arbeit aufmerksam machen können. Deswegen ist es gut, dass wir über ihn diskutieren.
Diese Diskussion wird nicht unbedingt kontrovers geführt, aber wir weisen auf Teilaspekte hin, die uns wichtig sind.
In die heutige Debatte wird sicherlich auch einfließen,
was wir in den letzten vier Jahren geleistet haben; denn
die Arbeit im Petitionsausschuss war unter einer Großen
Koalition zu leisten. Ich muss zugeben: Das war durchaus spannend; denn es gab Voten der Mitglieder vor der
Großen Koalition, während der Großen Koalition und in
Erwartung von anderen Koalitionen.
({0})
Das waren sicherlich keine einfachen Entscheidungsfindungen.
Unser Hauptthema war das Onlinepetitionswesen, das
wir gemeinsam in Schottland entdeckt haben, das wir
gemeinsam entwickelt haben und von dem wir gemeinsam der Überzeugung sind, dass es etwas Gutes ist. Das
Internet als solches eröffnet uns neue Kunden, neue
Möglichkeiten, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Kritik an
den Bundestag zu richten. Das, was als Experiment begann, ist inzwischen ein Aushängeschild geworden. Wir
freuen uns natürlich, dass wir inzwischen, wenn ich von
den Klicks im Internet ausgehe, der berühmteste Ausschuss geworden sind.
({1})
Es ist möglich, Petitionen im Internet zur Diskussion
zu stellen, es ist möglich, sie zu unterstützen, und es ist
möglich, andere Petitionen mitzuzeichnen, und das alles
schnell vom Arbeitsplatz oder von zu Hause aus. Die
Nutzerzahlen steigen enorm. Wir erleben, wie sich somit
eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern aktiv an
der Bundespolitik beteiligt - vielleicht auch aus einer gewissen Verärgerung heraus; aber auch das ist eine Beteiligung - und mit großer Leidenschaft mit dem Parlament
in Kontakt tritt.
({2})
Onlinepetitionen sind für viele Menschen ein interessantes Mittel zur unmittelbaren Teilnahme an der Politik.
Wenn darüber hinaus ein politischer Prozess entsteht, bei
dem viele mitmachen, dann sind wir noch begeisterter.
Wir in der CDU/CSU-Fraktion sind stolz auf diese Entwicklung. Wir haben sie mitgetragen; denn das Onlinepetitionswesen bereichert unsere Arbeit. Es ist zeitgemäß und hilft uns, auch jüngere Generationen für unsere
Arbeit zu interessieren.
({3})
Wir als Ausschuss stellen fest, dass wir im Ausland eine
Vorreiterrolle haben. Wir werden aufgefordert, unsere
Erfahrungen mit den Onlinepetitionen woanders vorzutragen. In anderen Ländern, auch in einigen Bundesländern, wird die Onlinepetition jetzt möglich gemacht.
Trotz aller Euphorie bleiben wir als Union aber dabei,
stets zu betonen: Eine Petition wird nicht dadurch gewichtiger, dass sie ein großes Medieninteresse hervorruft
und eine hohe Unterstützerzahl hat.
({4})
Wir wissen, dass dies oft von großem Interesse ist. Aber
das Einzelschicksal, die kleine Ungerechtigkeit in einem
Gesetz, interessiert uns sehr wohl, und wir versuchen
immer, hier ein Sprachrohr zu sein. Egal, ob eine Petition von einem oder 50 000 Unterzeichnern die Unterstützung erfahren hat, für uns verdient jede Eingabe die
gleiche Sorgfalt; sie erfährt auch die gleiche Sorgfalt. Es
zählen Inhalt und Argument und nicht die mediale
Wucht. Das, glaube ich, wird von allen Mitgliedern des
Ausschusses so gesehen, besonders bei der Union.
Oftmals geht es um ganz individuelle Lebensgeschichten. Die Petentinnen und Petenten, die sich an uns
wenden, reichen uns sinnbildlich ein Vergrößerungsglas
und zeigen, wie sich die allgemeinen Gesetze und Vorschriften im Einzelfall individuell auswirken. Deswegen
gibt es den Petitionsausschuss; er ist hier Anwalt für die
Sache.
({5})
Bitte verzeihen Sie mir, dass ich einen Fall aus dem
Ausschussbericht herauspicke, der natürlich aus Schleswig-Holstein kommt und den wir zu einem guten Ende
führen konnten. Es geht um den berühmten Leuchtturm
Bülk an der Kieler Förde. Er ist ein beliebtes Ausflugsziel. Die Existenz der Kioskbetreiberin war bedroht, da
am Leuchtturm Bülk Ausbaumaßnahmen seitens der
Wasser- und Schifffahrtsdirektion anstanden. Der Petitionsausschuss wurde eingeschaltet. Es gelang uns innerhalb von zwei Monaten - das ist nicht üblich; es war also
ein sehr schnelles Verfahren -, eine einvernehmliche Regelung herbeizuführen, die vorsieht, dass die Kioskbetreiberin an einem anderen Platz, auf der anderen Seite
des Leuchtturms, ihr Geschäft weiterbetreiben kann.
Darüber sind wir froh.
({6})
- Dies ist ein echtes Leuchtturmprojekt - den Ausspruch
vom Kollegen Winkler nehme ich gern auf -, um das wir
uns kümmern konnten.
({7})
Da ärgert man sich, dass man nicht selber auf dieses
Wortspiel gekommen ist.
({8})
Sie sehen, wie wir hier zusammenarbeiten. Man muss
damit rechnen, dass Vorschläge, die gemacht werden,
von der Opposition oder den Koalitionsfraktionen übernommen werden. Deswegen muss man vorsichtig sein
mit dem, was man sagt.
Hier haben wir also eine gute Lösung herbeigeführt.
Verkehrstechnisch wurde alles umgesetzt. Die Kioskbetreiberin hat sich sehr positiv über die Arbeit des Petitionsausschusses geäußert.
Zum Schluss: Mein Dank gilt allen Mitarbeitern des
Hauses, des Ausschussdienstes, an der Spitze Herrn
Haase. Mein Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen
im Ausschuss. Mein besonderer Dank gilt den Vertretern
der kleinen Fraktionen, die doppelt so viel arbeiten müssen wie die der großen Fraktionen. Das liegt allein in der
Natur der Sache. Sie haben trotzdem alles geschafft.
Ich persönlich empfand es als Bereicherung meiner
parlamentarischen Arbeit, im Petitionsausschuss mitzuwirken. Ich bin sehr gerne weiterhin Mitglied des Petitionsausschusses.
({9})
Das Wort hat nun Jens Ackermann für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedermann hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden. Wir hatten
im Jahr 2008 mehr Bitten und Beschwerden zu bearbeiten als in den Jahren zuvor; 18 096 waren es ganz genau.
Die Petenten, die sich an uns gewandt haben, müssen wir
ernst nehmen. Wenn man sich anschaut, wo die meisten
Petitionen eingegangen sind, stellt man fest: Das war im
Ministerium unseres Staatssekretärs Franz Thönnes der
Fall. Im Ministerium für Arbeit und Soziales gab es
4 100 Petitionen, im Finanzministerium 2 100, und im
Gesundheitsministerium waren 1 500 Zuschriften zu
verzeichnen. Diese Zahlen machen deutlich: Die Unzufriedenheit der Menschen wächst.
Ich möchte einige Beispiele aus dem Bericht des Petitionsausschusses herausgreifen, die verdeutlichen, in
welchen Bereichen die Menschen besonders unzufrieden
sind. Unzufrieden sind sie zum Beispiel mit der Reform
der Erbschaftsteuer.
({0})
Wie soll ein kleiner Familienbetrieb, der an die nächste
Generation weitergegeben wird, überleben, wenn das Finanzamt gnadenlos abkassiert?
({1})
Ich fordere die Bundesregierung auf: Kümmern Sie sich
um die kleineren Betriebe und die Familienbetriebe!
Denn sie sind diejenigen, die in unserem Land Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
({2})
Auch mit unserer Gesundheitspolitik sind die Menschen unzufrieden. Der Beitragssatz ist hoch,
({3})
der Steuerzuschuss ist sehr hoch, und die Versorgung hat
sich nicht verbessert. Im Gesundheitswesen sind Warteschlangen und Rationierungen zu beobachten. Krankenschwestern und Ärzte sind von der zunehmenden Bürokratie genervt. Hier fordere ich die Bundesregierung auf:
Machen Sie Schluss mit der Staatsmedizin und mit dem
Einheitsbrei bei den Krankenkassen!
({4})
Auch andere Berufsgruppen wenden sich an uns. Die
Einsatzkräfte im Rettungsdienst beispielsweise sind mit
ihrer Situation sehr unzufrieden. Sie fordern, dass in einer Situation, in der sie vor Ort einem Notfallpatienten
helfen, Rechtssicherheit bestehen muss. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Rettungsassistenten ihr Wissen
und Können nicht voll einsetzen dürfen. Hier fordere ich
die Bundesregierung auf: Erneuern Sie das Rettungsassistentengesetz, auch im Sinne der Notfallpatienten!
({5})
Die vielen Petitionen machen deutlich, wo der Schuh
drückt. Die Menschen wenden sich an uns und bringen
sich ein; das ist das Gute an unserem Petitionswesen. Es
ist ein Beispiel für gelebte Demokratie, dass sich die
Bürgerinnen und Bürger einmischen. Wir dürfen sie jedoch nicht enttäuschen. Sonst werden sie sich von uns
abwenden.
Nun möchte ich auf eine Erfolgsgeschichte eingehen,
die im Bericht ebenfalls beschrieben wurde: auf die Onlinepetitionen. Dieser Weg ist einfach, dank der neuen
Medien unkompliziert, und jeder hat die Möglichkeit,
sich mit einem Klick zu beteiligen. Pro Monat gehen
circa 2 500 Beiträge ein. Das heißt, dass insgesamt
1,1 Millionen Menschen sozusagen mittendrin statt nur
dabei sind.
Auch im Hinblick auf die Onlinepetitionen nenne ich
einige Zahlen: 130 000 Petenten haben gesagt, dass die
Steuern auf Diesel und Benzin viel zu hoch sind. In
Grenzgebieten kommt es zu einem regelrechten Tanktourismus.
({6})
Mittlerweile macht es gar keinen Sinn mehr,
30 Kilometer von einer Grenze entfernt eine Tankstelle
zu betreiben. Hier fordere ich die Bundesregierung auf:
Senken Sie die Steuern auf Diesel und Benzin!
({7})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Vorratsdatenspeicherung. 13 000 Menschen haben gefordert: Schluss mit
der Vorratsdatenspeicherung! Warum werden Telefonate
und E-Mails von gesetzestreuen und unbescholtenen
Bürgern gespeichert? Damit muss Schluss sein.
130 000 Menschen haben sich dagegen gewandt, Internetsperren einzuführen. Meine sehr geehrten Kollegen, vor einem Verbrechen ein Stoppschild einzurichten,
das hilft überhaupt nichts. Man muss das Übel an der
Wurzel packen, darf aber nicht das Internet zensieren.
({8})
Jeder hat die Möglichkeit, sich schnell an den Bundestag zu wenden. Ich fordere auch die Besucher auf der
Zuschauertribüne auf: Besuchen Sie doch, wenn Sie
heute nach Hause kommen, unsere schöne Homepage.
Dort können Sie sich auch prima einbringen.
({9})
Unsere Ausschussvorsitzende hat schon erwähnt, dass
ein runder Tisch eingerichtet worden ist. Alle Mitglieder
des Ausschusses haben sich geehrt gefühlt, als Bundestagspräsident Norbert Lammert bei uns zu Gast war. Das
war für unseren Ausschuss eine große Ehre und eine
Auszeichnung. Ich hoffe, dass die Situation der Heimkinder der 50er- und 60er-Jahre dort näher beleuchtet
werden kann. Ich fordere von hier aus dazu auf, die
Streitigkeiten am runden Tisch zu beenden und wieder
zur Sacharbeit zurückzukommen; daran sind wir sehr interessiert.
({10})
Das Wohl der Bürger steht im Mittelpunkt. Ich
möchte, auch im Namen meiner Fraktion, einen Dank an
das Ausschusssekretariat richten; es ist hier vertreten.
Ohne Sie wäre es nicht möglich gewesen, die Fülle der
Petitionen zu bearbeiten. Ich möchte mich auch bei den
Mitarbeitern in unseren Büros für die Zuarbeit in Einzelfällen bedanken. Recht herzlichen Dank dafür!
Aus dem Bundesland, aus dem ich komme - SachsenAnhalt -, haben uns 650 Petitionen erreicht. Ein großes
Thema war die Forderung nach einer Angleichung der
Rentenwerte Ost und West. Für einen Abgeordneten ist
es wichtig, Zuschriften aus der Bevölkerung zu bekommen: Man kann sie in die politische Arbeit einfließen
lassen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen Antrag
vorgelegt, wie man das Rentenrecht Ost und West
20 Jahre nach der Wiedervereinigung auf ein Niveau
bringen kann. Aus Sachsen-Anhalt haben uns auch viele
Petitionen zum Thema Lärmschutz erreicht. Lärm an der
Autobahn A 14 ist ein großes Problem. Ich freue mich,
dass wir zusammen mit dem Land Sachsen-Anhalt zu einer Lösung kommen können.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir auf unsere Stellvertreter angewiesen sind. Der Kollege Gero
Storjohann hat gesagt, die kleineren Fraktionen seien
doppelt so stark mit Arbeit belastet, weil alle Petitionen
begutachtet werden müssten. Unsere Stellvertreter Otto
Fricke, Erwin Lotter, Volker Wissing und Ina Lenke sind
voll in das Petitionswesen eingebunden. Das macht deutlich, dass die FDP-Fraktion die Menschen ernst nimmt.
Wir hören auf die Menschen. Die Kollegen, die heute
nicht da sind, Herr Lehrieder, sitzen schon wieder über
Petitionen
({11})
und arbeiten an einer Beantwortung. Wir nehmen die
Menschen ernst, wir hören auf sie. Bei der Bundesregierung bin ich mir nicht ganz so sicher, ob sie die Anliegen
der Bürger ernst nimmt. Ich fordere die Bundesregierung
auf: Hören Sie auf die Menschen! Gehen Sie auf die
Menschen zu! Ansonsten werden Sie abgewählt.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Kollegin Lydia Westrich für die
SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Eine junge Frau hat sich voller Zuversicht
in ihr Studium gestürzt. Sie hat BAföG erhalten. Sie
stand kurz vor dem Abschluss. Dann kam eine Krankheit. Nun ist sie erwerbsunfähig. Ein Leben voller Hoffnungen - jetzt in Trümmern. Noch bevor sie sich in ihrer
neuen, schweren Zukunft einrichten konnte, kam der
BAföG-Bescheid mit der Forderung nach Rückzahlung
der während des Studiums erhaltenen Unterstützung, obwohl sie sich jetzt mit ihrer Krankheit einrichten muss
und keinen lukrativen Job hat. Die junge Frau hat sich an
den Petitionsausschuss gewandt mit der Bitte, ihr die
Rückzahlung des Darlehens zu erlassen. Sie wird damit
erfolgreich sein, Herr Müller. Wenigstens diese Sorge
soll sie los sein.
Berücksichtigung des Anliegens unserer Petenten ist
das höchste Votum, das der Petitionsausschuss vergeben
kann. Er verlangt damit die Erfüllung der Petition, ohne
Wenn und Aber. Es ist nicht sehr häufig, dass dieses unbedingte Votum von uns getroffen wird, da wir viele Aspekte zu berücksichtigen haben: Gibt es einen Präzedenzfall? Welche Kosten werden für die Allgemeinheit
entstehen? Wir müssen ja bedenken, dass das, was wir
einem gewähren, eventuell auch vielen anderen nicht
verschlossen bleiben darf. Dann wird es meist sehr teuer.
Wir müssen auch bedenken: Was für den einen eine Ungerechtigkeit bedeuten kann, kann für andere sehr hilfreich sein. Das heißt, wir müssen genau abwägen.
Wir können als Regierungsfraktionen nicht so bedenkenlos votieren wie manche Oppositionsfraktionen. So
können wir einer Forderung nach Erhöhung des Kindergeldes auf 400 Euro nicht leichtfertig stattgeben, weil
wir wissen, dass bereits eine Erhöhung des Kindergeldes
um 10 Euro mehr als 1 Milliarde Euro kostet. Eine Verdopplung des Kindergeldes mag wünschenswert sein,
lässt sich aber nicht seriös finanzieren.
Petitionsarbeit muss meiner Ansicht nach wahrhaftig
und realitätsnah sein, wenn das Vertrauen der Bürger erhalten werden soll.
({0})
Jedem wohl und niemandem weh - so sehe ich die Aufgaben unseres Ausschusses nicht. Wir müssen aber die
Anliegen mit offenem Herzen und Sinn aufnehmen und
prüfen, und wir müssen nach Lösungen suchen. Ich
denke, das ist unsere Aufgabe.
Die Frau Vorsitzende hat schon erwähnt, dass wir
Ausschussmitglieder eine große Portion Hartnäckigkeit
aufbringen müssen. Wir müssen wieder und wieder
nachfragen und Berichterstattergespräche führen. Die
Ministerien haben ihre eingefahrenen Gleise, und Einzelschicksale sind nicht ihr Spezialgebiet - aber unseres.
Wir Petitionsleute lassen nicht locker, und siehe da: Häufig gibt es doch Lösungen.
Ein Zollbeamter hatte in einer für ihn schwierigen Lebensphase dem Alkohol etwas zu sehr zugesprochen und
wurde vom Dienst suspendiert. Er legte Widerspruch ein
und arbeitete in seiner Behörde untadelig weiter. Acht
Jahre dauerte die Erledigung seines Widerspruchs.
({1})
Die Entfernung aus dem Dienst wurde leider gerichtlich
bestätigt. Acht Jahre lang leistete er gute Arbeit und
machte sich Hoffnungen, seinen Fehler von damals wiedergutgemacht zu haben, und dann kam doch das Aus.
Da er Beamter war, floss noch nicht einmal Arbeitslosengeld.
Gerichtsurteile können wir als Petitionsausschuss
nicht aufheben, aber gemeinsam mit den anderen Berichterstattern konnte ich das Finanzministerium davon
überzeugen, dass in diesem Fall auch eine soziale Verantwortung des Arbeitgebers gegeben ist. Ich bin glücklich, dass ihm das Finanzministerium eine Arbeitsstelle
auf Probe angeboten hat.
Ein anderer schlimmer Fall war das Verhalten einer
Krankenkasse einer Petentin gegenüber, deren schwerstkrankes Kind stationär in einem Berliner Krankenhaus
lag. Sie wohnte 200 Kilometer entfernt, und sie fuhr zu
ihrem Kind, sooft sie konnte, bis es starb. Die Krankenkasse lehnte die Übernahme der Fahrkosten ab, da sie es
verabsäumt hatte, eine schriftliche Bestätigung des Arztes anzufordern, dass ihre Anwesenheit für die erhoffte
Heilung des Kindes notwendig war.
Es ist klar, dass Besuche im Krankenhaus zur privaten
Lebensführung gehören. Das wollen wir auch nicht ändern. Aber auch hier waren wir der Meinung, dass jeder
Fall einzeln betrachtet werden muss. So hat sich die
Krankenkasse mit der Petentin auf unser Drängen hin
letztlich doch auf eine hälftige Übernahme der Fahrkosten geeinigt.
Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als alle Kraft,
die wir haben, in das Finden einer Lösung zu investieren,
wenn wir vor den Briefen sitzen, in denen teilweise tragische und ziemlich schwere Schicksale geschildert werden. Häufig sind wir nach langen Gerichtswegen die
letzte Station, die verzweifelte und verbitterte Menschen
anlaufen, und häufig können wir nichts tun, weil alle
Möglichkeiten bereits ausgeschöpft wurden.
Ich denke aber, es lohnt sich, in jeden Fall neu einzusteigen. Die Aufgabe besteht darin, aus den teilweise
verbitterten Briefen, die nicht angenehm zu lesen sind,
das Anliegen herauszufiltern und genau zu prüfen, ob es
nicht doch Erleichterung und Hilfe geben kann. Immer
wieder erleben wir, dass es sie gibt.
Nach meiner 15 Jahre langen Arbeit im Petitionsausschuss kann ich den Bürgerinnen und Bürgern nur versichern, dass ihre Wünsche und Forderungen von uns
sehr ernst genommen werden. Das gilt für alle Kolleginnen und Kollegen, die sich dieser Arbeit, wie Herr
Storjohann es deutlich gemacht hat, verschrieben haben - ganz zu schweigen von den hervorragenden Mitarbeitern unseres Ausschussreferates und auch unseren
eigenen Mitarbeitern, denen wir viel zu verdanken haben.
Ich bin davon überzeugt, dass der Petitionsausschuss
auch in Zukunft Auge, Ohr und Sensor der Bürgerinnen
und Bürger sein wird. Alles Gute für die Zukunft!
Vielen Dank.
({2})
Liebe Kollegin Westrich, liebe Lydia, das war Ihre
letzte Rede. 15 Jahre im Petitionsausschuss - das verdient wahrlich Respekt und ein großes Dankeschön.
({0})
Wir wünschen Ihnen bzw. dir alles Gute für die nächsten
Jahrzehnte deines Lebens.
({1})
Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die
Linke.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
möchte ich mich ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die für uns im Ausschuss die vielen Tausend Petitionsakten vorbereitet und vorbearbeitet haben und damit eigentlich die Hauptlast dieser Arbeit getragen
haben, also bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des Ausschussdienstes. Sie haben täglich damit zu
kämpfen und zu ringen, eine sachgerechte Behandlung
der Anliegen der Petentinnen und Petenten zu erreichen
- und dies in einer schwierigen Gemengelage zwischen
Bitten und Forderungen der Menschen einerseits und
den höchst unterschiedlichen Auffassungen der Ausschussmitglieder andererseits. Dies ist eine häufig nicht
ganz dankbare Aufgabe. Aber dass sie diese Aufgabe
wahrnehmen und sie bewältigen, dafür möchte ich ihnen
meine Anerkennung und meinen herzlichen Dank aussprechen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Politikerinnen
und Politiker sind wir bei unserer Arbeit gut beraten,
dem Volk aufs Maul zu schauen. Früher vollzogen sich
solche Beobachtungen nicht selten am Stammtisch in der
Kneipe.
({1})
Worüber sich die Menschen Gedanken machen und welche Wünsche sie an die Politik haben, wird heute oft von
Meinungsforschungsinstituten ermittelt. Ich bin aber der
Überzeugung, die Petitionen sind ein sehr geeignetes
Mittel, um auch außerhalb von Gastronomiebetrieben
dem Volk aufs Maul zu schauen.
Die Befassung mit den Anliegen von Bürgerinnen
und Bürgern ist ein Gewinn für das Parlament, ein Erkenntnisgewinn. Durch Petitionen wird uns Politikerinnen und Politikern deutlich gemacht, wie die Bürgerinnen und Bürger die Anwendung der Gesetze erfahren
und die Rechtslage erleben. Im Petitionsausschuss können wir dazu beitragen, dass Missverständnisse aufgeklärt, Behördenfehler erkannt, Konflikte bereinigt und
Rechte der Bürgerinnen und Bürger durchgesetzt werden. Wir lassen die Rechtssituation prüfen und sollten
dann dazu beitragen, eventuell festgestellte Gesetzeslücken zu schließen.
In diesem Sinne war der für 2008 zu verzeichnende
Anstieg der Zahl der Petitionen ein Mehrwert, ein Zugewinn an Erkenntnis für uns. Förderlich waren dabei
die Zugangserleichterungen durch die Einführung der
Onlinepetition und der öffentlichen Petition.
Dabei darf jedoch eines nicht übersehen werden: Um
eine Onlinepetition einzureichen, um eine öffentliche
Petition mitzuzeichnen oder sich am Diskussionsforum
zu beteiligen, braucht man einen PC und einen Internetzugang. Viele Menschen jedoch besitzen keinen Computer und haben nicht die finanziellen Mittel für einen Internetanschluss.
({2})
Hier stelle ich nun den Zusammenhang her zwischen der
Wahrnehmung von Rechten der Bürgerinnen und Bürger, ihrer sozialen Situation und der regionalen Infrastruktur. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob die Menschen im Land die Möglichkeit haben,
sich zu beteiligen und ihre Rechte wahrzunehmen, oder
ob es Hürden und Hindernisse gibt, die wir ausräumen
müssen.
({3})
Die angesprochenen Themen sind vielfältig; dazu
wurde bereits einiges gesagt. Es fällt aber auch im Bericht von 2008 auf, dass die meisten Petitionen den Bereich Arbeit und Soziales betreffen - über 4 000 Petitionen. Der Ausschuss muss diese Tatsache kritisch
hinterfragen und auch thematisieren. Über 800 Petitionen, also etwa 20 Prozent, betrafen die Grundsicherung. Warum gab es dann aber in dieser Wahlperiode
nicht eine öffentliche Ausschusssitzung zum Thema
Hartz IV und den damit zusammenhängenden Problemen?
({4})
Der Jahresbericht hält uns einen weiteren Spiegel vor.
Schlüsselt man die Petitionen danach auf, wie viele Petitionen auf 1 Million Einwohner in den jeweiligen Bundesländern kommen, ergibt sich folgendes Bild: Nach
Berlin folgen Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Das sind also
die fünf neuen Bundesländer. Gemessen an der Zahl der
Menschen in diesen Ländern kamen aus diesen Bundesländern die meisten Petitionen.
Das ist kein Wunder. Von der Angleichung der Lebensverhältnisse Ost und West sind wir auch nach
20 Jahren Einheit noch weit entfernt. Offenbar hat sich
die Bundesregierung mit dem unlängst vorgelegten Bericht zum Stand der deutschen Einheit auch vom Ziel,
gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu
schaffen, verabschiedet, spricht sie doch nur noch davon, die ostdeutschen Bundesländer bis 2019 an das
Niveau strukturschwacher Regionen im Westen heranführen zu wollen.
Dem Volk aufs Maul zu schauen, heißt deshalb für
mich auch, nicht nur zuzuhören, sondern die Erkenntnisse, die gewonnen wurden, in die parlamentarische Arbeit einzubeziehen. Kritisch sehe ich dabei Folgendes:
Viele Petitionen wurden ohne direkte Beteiligung der
Parlamentarierinnen und Parlamentarier erledigt. Den
17 091 im Jahr 2008 abgeschlossenen Eingaben stehen
nur 7 317 Petitionen gegenüber, die der Ausschuss dem
Plenum zur Abstimmung vorgelegt hat. Das bedeutet,
dass eine große Zahl von Petitionen erledigt wurde, ohne
dass das Parlament die Gelegenheit genutzt hat, sich
selbst mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger zu
beschäftigen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass der
Ausschuss vergrößert und sein Verwaltungsapparat
strukturell erweitert würde. Damit würden aber auch
sein Gewicht und seine Bedeutung gestärkt. Die Bürgerinnen und Bürger gehen meiner Auffassung nach mit
Recht davon aus, dass ihre Petitionen die Abgeordneten
erreichen.
Die Bilanz der Erledigungen ist ernüchternd. Von
17 091 abgeschlossenen Petitionen wurden 2008 lediglich 43 Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung bzw. Erwägung überwiesen. Das heißt, in nur
2,5 Promille der Fälle hat der Petitionsausschuss mit seinem Votum zum Ausdruck gebracht, dass er eine Abhilfe im Sinne der Petenten für geboten hält.
({5})
Ich denke, es wäre wichtig, zu wissen, was davon von
der Bundesregierung aufgenommen und umgesetzt
wurde.
({6})
Die CDU/CSU-Fraktion gibt sich in einer schriftlichen Stellungnahme zum Jahresbericht gegenüber einer
Fortentwicklung des Petitionsrechts durchaus aufgeschlossen. Sie meint jedoch, dass vor einer Erweiterung
der Befugnisse des Ausschusses eine klare Analyse stehen müsse, ob der Petitionsausschuss mit den im Grundgesetz sowie im Befugnisgesetz angelegten Grundsätzen
tatsächlich nicht auskommt.
Ich schlage vor, liebe Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU, sich zunächst einmal mit zwei Punkten zu
beschäftigen: mit der Transparenz des Petitionsverfahrens und dem einklagbaren Anspruch auf inhaltliche Befassung. Die Ausgestaltung des Petitionsrechts im Sinne
dieser Punkte ist auch ohne die Erweiterung von Ausschussbefugnissen möglich.
Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung hat erst im
April eine Studie zur Bekanntheit und zum Ansehen des
Petitionsausschusses mit vielen nützlichen Anregungen
für die Verbesserung des Petitionswesens vorgelegt. Ich
hoffe, dass unsere heutige Debatte und der vorliegende
Jahresbericht einen Beitrag dazu leisten, diese Verbesserungswünsche aufzugreifen.
Ich wünsche mir, dass das Petitionsrecht in weiteren
Kreisen der Bevölkerung bekannt wird. Es ist nämlich
eine Möglichkeit der Bürgerbeteiligung und könnte damit auch seinen Teil dazu beitragen, die Politikverdrossenheit abzubauen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat Kollege Josef Winkler für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege Wieland
möchte ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz hören, aber ich
werde in den sieben Minuten, die mir zur Verfügung stehen, auf das große Ganze eingehen. Sie können selber
nachlesen, welche Fälle besonders interessant waren.
Auch ich möchte mich zunächst im Namen meiner
Fraktion bei der Frau Vorsitzenden, den Kolleginnen und
Kollegen aus dem ganzen Hause, aber vor allem auch
bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen, den Abgeordnetenbüros und der Verwaltung des
Deutschen Bundestages für die gute und faire Zusammenarbeit bedanken. Wir haben vor, die Zusammenarbeit auch in Zukunft überwiegend freundlich und kollegial zu gestalten. Daran werde ich mich jetzt auch in
meiner Rede halten, auch wenn Frau Kollegin Binder
mich ein bisschen gereizt hat.
({0})
Bürgernah, innovativ und erfolgreich: Das ist das Modell Petitionsausschuss. Der Jahresbericht 2008 ist ein
Dokument des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger
in die Handlungsfähigkeit des Deutschen Bundestages.
Erlauben Sie mir eine Bemerkung an die Linksfraktion: Wenn es weniger Petitionen gibt, dann loben Sie
die Bundesregierung auch nicht dafür, dass sie die Probleme aller Bürgerinnen und Bürger gelöst hätte, sondern beschweren sich, dass zu wenig für das Petitionsrecht geworben worden wäre. Gibt es aber mehr
Petitionen, dann heißt es, Staatssekretär Thönnes komme
seinem Job nicht richtig nach. Irgendetwas gibt es immer
zu meckern.
({1})
Der Jahresbericht ist zugleich Ausweis für unsere
Problemlösungskompetenz und die Bereitschaft zum
Dialog. Wir zeigen mit unserer Arbeit, dass man als normaler Bürger Hindernisse überwinden und Ziele - auch
im politischen Bereich - erreichen kann. Uns gelingt es,
benachteiligte Menschen in den politischen Prozess einzubeziehen. Wir haben zudem neue Zugänge zum Petitionsrecht und neue Formen der Partizipation gemeinsam geschaffen. Meine Damen und Herren von der
Linken, Sie haben Ihre Vorschläge, über die wir erstmalig debattiert haben, nicht auf die Tagesordnung des
Ausschusses setzen lassen. Wenn Sie das beantragt hätten, hätten wir uns nicht verweigert. Wir haben mehrfach
nachgefragt. Sie selber haben aber keinen akuten Bedarf
gesehen. Insofern weiß ich nicht, an wen sich die Beschwerde von Frau Binder, die sie am Ende ihrer Rede
formuliert hat, richtet.
Wir haben feststellen müssen: Oft reimt sich E-Petition, also elektronische Petition, auf Opposition. Es gibt
auf jeden Fall - der Kollege Hagemann hat das eben
eingeworfen - öffentlich zugängliche Internetcafés, in
denen man relativ preiswert surfen kann. Um keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen: Niemand ist
gezwungen, per E-Mail eine Petition einzureichen. Wir
haben das bestehende Grundrecht auf das Einreichen einer Petition nur ergänzt; denn es gibt inzwischen Leute,
die kaum noch wissen, wie man ohne eine Tastatur
schreiben kann. Für viele junge Leute stellt das Postkarten- und Briefeschreiben von Hand eine Herausforderung dar. Aber auch ihnen wollen wir die Möglichkeit
geben, eine Petition an den Bundestag zu richten. Sie
sollen nicht erst zur Oma gehen müssen, um es sich aufschreiben zu lassen.
({2})
Wichtig ist uns: Egal ob die Petition von einer Person
eingereicht wird, ob Petitionen von Dritten für andere
eingereicht werden, ob es ein Kind oder ein Erwachsener
ist, der schreibt, oder ob es 100, 1 000 oder 100 000
sind, die eine Petition unterzeichnen, der Bundestag
nimmt alle Petitionen gleichermaßen ernst,
({3})
- sofern sie ernst gemeint sind; sagen wir es einmal so -;
denn das Anliegen des Einzelnen ist unser Kerngeschäft.
Gerade bei den ganz leisen, verzweifelten und einsamen
Petitionen hören wir genau hin. Das hat die Kollegin
Westrich gerade deutlich gemacht, indem sie einige besonders krasse Beispiele genannt hat.
Es gibt trotz alledem keinen Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Das sieht man an den Petitionen im
Bereich der sozialen Sicherung. Wenn die Bundesregierung noch einmal in den Rückspiegel des Jahresberich26188
tes 2008 des Petitionsausschusses schaute, sähe sie, dass
die Politik noch einiges nachzuholen hat. Ein Musterbeispiel dafür ist - es ist ein bisschen dem Ende der Wahlperiode und der Blockadesituation in der Großen Koalition geschuldet - die Petition zur Generation Praktikum.
Diese Petition wurde bereits 2006 eingereicht und wurde
von über 100 000 Menschen unterschrieben. Wir waren
uns über die Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass hier
Abhilfe geschaffen werden muss, dass sich nicht ein
Praktikum an das andere reihen darf, womöglich noch
unbezahlt, obwohl die Betroffenen schon einen akademischen Abschluss haben. Hier gab es leider gar keine
Fortschritte. Ich bin froh, dass wir uns im Ausschuss immer einig waren: Wir lassen die Regierung mit diesem
Problem nicht allein. - Wir haben mehrfach Staatssekretäre aus mehreren Häusern frühmorgens, um 7 Uhr oder
7.30 Uhr, in den Ausschuss bestellt, damit es für alle Beteiligten unterhaltsam ist, und haben sie gegrillt. Das hat
leider nichts gebracht. Da hier nicht das Prinzip der Diskontinuität gilt, wird die nächste Wahlperiode Abhilfe
bringen müssen. Vielleicht lassen wir dann die Sitzungen um 6 Uhr morgens beginnen, Herr Staatssekretär
Thönnes.
({4})
- Das ist für uns kein Problem. Um diese Uhrzeit endet
manchmal erst das Plenum.
Zur Petition, in der es um Heimkinder geht, wurde
schon einiges gesagt. Ich habe dazu nur ein, zwei Anmerkungen zu machen. Die in den Medien aufgebauschten Konflikte decken sich nicht ganz mit dem Verfahrensstand, den ich kenne. Vor kurzem endete die dritte
Sitzung des runden Tischs „Heimerziehung“. Dort
wurde sehr konstruktiv gearbeitet. Da die Kollegin, die
an den Sitzungen teilgenommen hat, gleich noch etwas
dazu sagen wird, nur so viel: Es ist schon ein Problem,
dass der ehemalige Staranwalt Witti - seinen Namen
kann ich nennen, weil er selber ihn so gerne in der Zeitung liest -, der die Anwaltszulassung verloren hat, weil
er Entschädigungsgelder, die er für jüdische Mandanten
erstritten hatte, veruntreut hat, der Hauptberater des Vereins ehemaliger Heimkinder ist. Die Betroffenen sollten
sich überlegen, ob sie sich damit wirklich einen Gefallen
tun.
({5})
Ein letzter Gedanke am Ende. Wir haben in diesem
Jahr den 60. Geburtstag unseres Grundgesetzes begangen. Ich möchte aus diesem Anlass an den ersten mündlichen Bericht des Petitionsausschusses vor dem Deutschen Bundestag am 20. März 1952 erinnern; denn dort
findet sich eine Lehre für uns alle. In jener ersten Debatte zu einem Jahresbericht sprach die berichterstattende Abgeordnete Albertz von der SPD-Fraktion von
jenen Petenten - ich zitiere -, „die etwas merkwürdige
Wünsche an den Bundestag haben“, und sie brachte das
Beispiel einer - Zitat - „Junggesellin, die auch für die
Gasthäuser Raucher- und Nichtraucherabteile vorgesehen wissen möchte, weil sie sich durch die qualmenden
Männer belästigt fühlt“.
({6})
Der Stenografische Bericht des Bundestages verzeichnete an dieser Stelle: „Hört! Hört! und Heiterkeit“; ich
nehme an, Ähnliches tut er auch heute. Damals aber
wurde diese Petition mit einem Schenkelklopfen einfach
abgetan. Nach über 50 Jahren haben sich der damaligen
Junggesellin - ich weiß nicht, wie sie sich weiterentwickelt hat ({7})
auch die verheirateten Frauen und Männer und im letzten Jahr sogar die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages angeschlossen, und die Petentin hat
sich letztendlich durchgesetzt. Das heißt, auch Petitionen, die uns auf den ersten Blick etwas abenteuerlich anmuten, können doch zum Erfolg führen. In diesem
Sinne: Wir nehmen auch solche Anliegen, die auf den
ersten Blick Heiterkeit hervorrufen, ernst.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich hatte mir ähnlich wie die anderen Kollegen vorgenommen, heute, am offiziell letzten
Sitzungstag, eigentlich nur nett zu sein. Aber Sie, Frau
Kollegin Binder, machen mir das ein bisschen schwer.
Wenn Sie ihre negative Bilanz davon herleiten, dass wir
nur einen geringen Prozentsatz an Petitionen an die Regierung zur Berücksichtigung überweisen konnten, so
ignorieren Sie - die Linke ignoriert in diesem Hohen
Hause leider immer öfter das Zahlenmaterial - die Vielzahl der Petitionen, die abgeschlossen werden konnten,
weil sich das Anliegen durch eine Gesetzesinitiative erledigt hat. Denken Sie an die Vielzahl der Petitionen zur
Pendlerpauschale, die sich in der Zwischenzeit durch die
Gesetzesänderung aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erledigt haben. Denken Sie daran, dass wir in der Großen Koalition mit den Konjunkturpaketen in vielen Bereichen Bürgeranliegen
entsprochen haben. All das ignorieren Sie, und Sie tun
so, als ob der Petitionsausschuss ein stumpfes Schwert
sei. Man muss schon ehrlich mit den Leuten umgehen.
Das ist insbesondere für unsere Zuschauer auf der Tribüne und an den Fernsehgeräten wichtig.
Jeder Bürger unseres Staates kann sich mit Bitten
oder Beschwerden an die Volksvertretungen des Bundes
und auch der Länder wenden. So ist es in Art. 17 des
Grundgesetzes festgeschrieben. Zudem ist der Petitionsausschuss einer der wenigen Ausschüsse, dessen Einrichtung das Grundgesetz in Art. 45 c zwingend vorschreibt.
Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Immer mehr
Bürger werden sich dieses grundlegenden Rechts bewusst. Oft sind sie mit ihren Anliegen auf anderen Wegen gescheitert und versprechen sich von uns Hilfe; die
Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Für alle BePaul Lehrieder
teiligten bietet deshalb der Petitionsausschuss große
Chancen: Der Bürger bekommt für ein konkretes Anliegen Unterstützung, Behörden und Gesetzgeber bekommen ein Feedback aus dem täglichen Leben über
Schwachstellen im Praxistest der Vorschriften, und
schließlich bekommen wir als Abgeordnete die Rückkopplung über das Wirken der Gesetzgebung in Fällen,
wie sie jedem von uns auch in unserer Wahlkreisarbeit
begegnen - neben den Stammtischen, Frau Kollegin
Binder.
Es ist eine Vielzahl von Problemen, die uns begegnen.
Wir haben uns in den letzten Jahren Gedanken über die
Legalisierung von Haschisch und - ich schaue in eine
bestimmte Richtung - über die Bagatellisierung von
Schwarzfahrern in öffentlichen Verkehrsmitteln gemacht, diese Petitionen aber mit großer Mehrheit abgelehnt.
Allerdings sollte die Arbeit des Petitionsausschusses
nicht missverstanden werden. Er kann weder einen Verwaltungsakt noch einen Gerichtsbeschluss verändern
oder aufheben. Die Bürger können auch keine Gesetzesinitiativen einbringen. Der Petitionsausschuss ist vor allem ein Untersuchungsorgan. Die Beschlüsse des Plenums über Petitionen sind zunächst einmal rechtlich
unverbindlich. Die Bundesregierung ist leider nicht einmal an das Votum des Parlaments gebunden. Damit ist
der Petitionsausschuss aber kein stumpfes Schwert in der
Hand des Bürgers. Im Gegenteil: Sobald sich ein Petent
an den Petitionsausschuss wendet, wird seine Beschwerde oder Bitte von einer privaten Angelegenheit zu
einem öffentlichen Anliegen. Der Bürger hat durch Petitionen die Möglichkeit, seine Interessen gegenüber seinen Vertretern unmittelbar zu artikulieren. So werden die
stark repräsentativ geprägten Verfahren der parlamentarischen Willensbildung durch ein gewisses plebiszitäres
Element ergänzt. Kurzum: Der Petitionsausschuss ist
nahe bei den Menschen. Deshalb bin ich froh, in diesem
Ausschuss mitarbeiten zu dürfen, gerade auch, wenn ich
ganz persönlich Erfolge in dieser Arbeit sehe.
Fünf der von mir bearbeiteten Petitionen sind in den
vorliegenden Tätigkeitsbericht aufgenommen worden.
Eine davon möchte ich Ihnen kurz als Beispiel dafür vorstellen, wie viel der einzelne Abgeordnete, wie viel wir
gemeinsam im Sinne des Bürgers bewegen können.
In einem Fall beklagte sich eine Petentin darüber,
dass das Bundes-Immissionsschutzgesetz lediglich auf
durchschnittlich lärmempfindliche Menschen abstellt.
Der besonderen Empfindlichkeit von Kindern, alten,
kranken oder behinderten Menschen gegenüber den von
Windkraftanlagen ausgehenden Schallemissionen trage
es jedoch nicht Rechnung. Ihr Sohn sei Epileptiker und
daher in dieser Hinsicht besonders empfindlich. Eine
Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg gegen den Betrieb der in der Nachbarschaft befindlichen Windkraftanlagen ist unter anderem mit der Begründung abgewiesen worden, dass das Baurecht auf
eine lediglich durchschnittliche Empfindlichkeit abstelle. Vor diesem Hintergrund forderte die Petentin den
Gesetzgeber auf, in der Formulierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes deutlich zu machen, dass diese
Vorschrift lediglich auf durchschnittlich empfindliche
Menschen abstellt, Kinder, alte, kranke und behinderte
Menschen dagegen nicht besonders berücksichtigt. Insbesondere sollte der Begriff „Menschen“ durch die Wörter „durchschnittlich empfindliche Menschen“ ersetzt
werden.
Der Petitionsausschuss ist hier zur Auffassung gekommen, dass das Bundes-Immissionsschutzgesetz hinreichend Schutz vor entsprechenden Lärmemissionen
bietet, und hat daher nicht der Forderung der Petentin
nach einer begrifflichen Ergänzung des Gesetzes entsprochen. Zugleich unterstrich der Petitionsausschuss jedoch die Notwendigkeit, die Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung zur Wirkung der von Windkraftanlagen
ausgehenden Infraschallemissionen auf den menschlichen
Organismus insbesondere im Hinblick auf lärmempfindliche Personengruppen weiterhin genau zu verfolgen,
um erforderlichenfalls eine rasche Gesetzesanpassung
vornehmen zu können. Daher empfahl der Ausschuss,
die Petition dem Bundesumweltministerium als Material
zu überweisen und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben.
In konkreten Fällen Probleme lösen zu helfen, für
Klarheit zu sorgen, ist eine dankbare Aufgabe für einen
Volksvertreter und hat eine Bedeutung darüber hinaus.
Für den Petenten ist der Staat nicht anonym. Für den Abgeordneten, den er ins Parlament entsandt hat, ist er
Wähler, aber auch Bürger mit oft berechtigten Anliegen.
Deshalb darf ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive, sachliche, gelegentlich, Herr
Winkler, auch sehr humorvolle Arbeit im Petitionsausschuss bedanken. Ich wünsche mir weiterhin dieses konstruktive kollegiale Miteinander und Ihnen ein paar ruhige und erholsame Wochen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun Kollegin Marlene Rupprecht für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Wissen Sie,
was das Tolle an der Arbeit im Petitionsausschuss ist,
außer dass er viel Arbeit macht, mehr Arbeit als jeder
andere Ausschuss? Das Tolle ist, dass man ganz nah an
den Anliegen und Problemen von Menschen arbeitet und
parteipolitische Hahnenkämpfe und Schauanträge relativ
selten vorkommen. Man versucht, sehr nahe dranzubleiben. Man sucht Lösungen. Das wird leider in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, macht aber die Arbeit so
befriedigend.
Der Petitionsausschuss ist garantiert nicht dazu da,
agitatorische Eingaben entgegenzunehmen, um Beteiligung sicherzustellen. Da wären wir 25 überfordert. Wir
haben uns mit den Wünschen, Anliegen, Beschwerden
von Menschen auseinanderzusetzen. Dahinter stehen
zum Teil massive Probleme, die die Menschen belasten,
weil sie keine Lösung finden. Ich möchte drei Beispiele
anführen, wo konkrete Eingaben zu Gesetzen geführt haben. Es war nicht immer sehr angenehm für den Staatssekretär, mit mir zu reden, weil ich manchmal wie ein
Bullterrier sein kann. Wenn ich mich in etwas verbissen
habe, dann lasse ich es nicht mehr los, bis ich eine Lösung habe. Er hat mir versprochen, dass er die beiden
Gesetzentwürfe erarbeitet. Wir haben sie in der letzten
Sitzungswoche verabschiedet. Ich will das kurz darstellen.
Erstens ging es um behinderte Kinder in Pflegefamilien. Sie leiden unter der Schnittstellenproblematik von
Sozialgesetzbuch XII - Sozialhilfe - und Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -; sie werden permanent hin- und hergeschoben.
Die Pflegeeltern eines behinderten Pflegekindes haben
dann eine Eingabe gemacht. Niemand war bereit, für
diese Familie genauso zu handeln, als wenn das Pflegekind nicht behindert wäre. Man kann es sich manchmal
wirklich nicht vorstellen, aber es war so.
Wir haben eine Lösung gefunden. Jetzt werden die
Kinder gleichgestellt. Ich hoffe, dass wir langfristig,
nach 2013, eine noch bessere Lösung haben werden.
({0})
Zweitens. Für contergangeschädigte Menschen haben wir die Gesetzeslage verändert. Kurzfristig ging uns
eine Eingabe zu. Das Thema mag für manche nebensächlich sein, für die Betroffenen ist es aber ganz wichtig. Da ist jemand ohne Arme, aber nicht blind, und er
hat einen Behindertenbegleithund. Wenn er mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, muss er entweder
für den Hund oder für die Begleitperson eine Fahrkarte
lösen. Wäre der Betreffende blind, müsste er für beide
keine Fahrkarte lösen. Da haben wir gesagt: Das kann ja
nicht wahr sein. Da ist ein Bruch in der Logik.
Wir haben also die Hunde, die Blindenführhunde und
die Behindertenbegleithunde, gleichgestellt. Wir haben
ein Gleichstellungsgesetz für Hunde gemacht. Ich finde
es ganz toll, dass uns das gelungen ist. Es sind wirklich
oft Kleinigkeiten, bei denen wir helfen.
({1})
Wir haben drei Jahre lang intensiv mit Menschen und
über Menschen beraten, die vor Jahrzehnten in der Bundesrepublik in Heimen waren; der Herr Winkler und die
Frau Vorsitzende haben es schon angesprochen. Wir hätten rechtlich keine Handhabe gehabt, irgendeine Lösung
anzubieten. Wir haben aber sehr ernsthaft beraten. Ich
danke allen sehr herzlich dafür, dass sie nicht gesagt haben: Es gibt kein Gesetz. Weg damit! Beschluss: Es kann
nicht geholfen werden.
Wir haben es zu einer Aufgabe des Parlaments gemacht. Wir haben einen Runden Tisch eingerichtet. Wir
haben klare zeitliche Vorgaben formuliert, etwa dazu,
wann wir eine Lösung erwarten. An diesem Tisch sitzen
jetzt Fachleute, Betroffene, Menschen, die Einrichtungen betrieben haben, oder deren Nachfolger. Wir wollen
bis Ende 2010 einen Bericht mit Lösungsvorschlägen
bekommen. Wir lassen uns auch nicht, durch wen auch
immer, davon abbringen. Ich sitze mit am Runden Tisch.
Wer mich kennt, weiß: Da muss einer schon ganz kräftig
Anlauf nehmen, um mich ins Stolpern zu bringen, wenn
ich mir ein Ziel vorgenommen habe. Hier habe ich mir
das Ziel vorgenommen: 2010 findet das Parlament eine
gemeinsame Lösung, wie wir dem Unrecht abhelfen
können, das diesen Menschen angetan wurde.
In diesem Sinne hoffe ich eigentlich wieder auf gute - Nein, ich habe meinen Mitarbeitern versprochen, dass
ich nicht noch einmal in den Petitionsausschuss gehe.
Nach elf Jahren ist auch eigentlich genug. Aber ich stehe
garantiert zur Verfügung, wenn Menschen in meiner
Fraktion sagen: Mach wenigstens Stellvertretung bei der
Petitionsbearbeitung! - Das ist wirklich die beste Lehrwerkstätte für alle im Parlament. Man erfährt, wenn man
bei einem Gesetz nicht gut gearbeitet hat, und man erfährt, wenn man bei einem Gesetz gut gearbeitet hat. Etwaige Mängel gemeinsam auszubügeln, finde ich schön.
Hervorzuheben ist vor allem auch die immer konstruktive Arbeit mit allen Kolleginnen und Kollegen. Ich
würde mir wünschen, die Medien würden dort einmal
hereinschauen, um festzustellen, wie wirklich gearbeitet
wird.
Herzlichen Dank, vor allem auch dem Ausschussdienst, der mein manchmal unkonventionelles Vorgehen
immer mitgetragen hat.
({2})
Das Wort hat nun Kollege Karl Schiewerling für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Es gibt wohl kaum einen
Ausschuss oder kaum ein Gremium, dem von den Bürgerinnen und Bürgern so viel Vertrauen entgegengebracht wird wie dem Petitionsausschuss. Das ist erfreulich, ermutigend, aber manchmal auch belastend; denn
die Vielfalt der Lebensverhältnisse wird hier deutlich,
aber auch die Erwartung, dass in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft dem jeweiligen individuellen
Anliegen tatsächlich Rechnung getragen wird. Das ist
nicht immer einfach, und das stößt an Grenzen - an
Grenzen des Parlaments, an Grenzen des Rechtsstaates
und an Grenzen der Akzeptanz von denjenigen, die möglicherweise negativ von Regelungen betroffen werden.
Die Anregungen, Hinweise und Bedenken, die der
Petitionsausschuss an die Regierung, die Fraktionen und
die Bundesministerien leitet, fließen nicht selten in Initiativen und Gesetzesvorhaben ein. Das Recht, insbesondere das Sozialrecht, wird immer ausdifferenzierter und
immer undurchschaubarer - für Bürgerinnen und Bürger,
aber auch für Abgeordnete. Man hat manchmal den Eindruck, dass man kaum noch den Überblick über das Sozialrecht behalten kann.
Ich halte es für notwendig, die Sozialgesetzbücher
- das ist ein Ergebnis der vielen Petitionen, die sich damit beschäftigen - darauf durchzusehen, wo welche
Sachverhalte aufeinander abgestimmt werden können.
Wenn zum Beispiel bei einer Rehabilitationsmaßnahme
Lohnersatzleistung gezahlt wird und die im Haushalt des
Rehabilitanden lebenden Stiefkinder bei der Berechnung
der Leistung nicht berücksichtigt werden, in demselben
Haushalt aber bei Leistungen nach der Grundsicherung
für Arbeitsuchende Stiefkinder sehr wohl mit einbezogen werden, so ist das nur schwer erklärbar und nicht
mehr darstellbar. Wir müssen auch in den Sozialgesetzbüchern Gleiches gleich behandeln. Diesbezüglich sehe
ich dringenden Handlungsbedarf.
({0})
Ohne Zweifel hat mich und uns in dieser Legislaturperiode die Petition der ehemaligen Heimkinder am
meisten bewegt. Vieles kam da zusammen: Lebensschicksale der Kriegs- und Nachkriegszeit mit psychologisch belastenden Problemen für Eltern und Erzieher
und vielleicht daraus resultierender Machtmissbrauch
und Übergriffe auf Schutzbefohlene. Das ist ein hochkomplexes Thema.
Der Petitionsausschuss hat es sich - wie Frau
Rupprecht das schon dargestellt hat - mit dieser Petition
nicht einfach gemacht. So entstand in einem Beratungszeitraum von mehr als drei Jahren ein ungewöhnliches
Verfahren im Petitionsausschuss mit einem für den Petitionsausschuss ungewöhnlichen Ergebnis, das der Situation der Betroffenen Rechnung trägt. Ja, ich war und bin
wie die übrigen Mitglieder des Petitionsausschusses
auch von dem individuell erlebten Unrecht, von dem uns
ehemalige Heimkinder in nichtöffentlichen Sitzungen
berichtet haben, tief bewegt und betroffen.
Dennoch - Frau Rupprecht hat es gesagt - hätten wir
es uns auch einfach machen können. Wir hätten die Petition einfach an die Landesparlamente weitergeben können. Denn der Bund war damals nicht der Handelnde, er
hatte keine Aufsicht und keine Zuständigkeit. Wir waren
uns aber einig, dass wir diesen Menschen, die in diesem
Abschnitt der deutschen Geschichte gelebt haben, so
nicht gerecht geworden wären.
In der Petition der ehemaligen Heimkinder ging es
um eine sehr zentrale Frage. Es ging darum - das wurde
übrigens in allen Gesprächen deutlich -, dass die nun ins
Alter gekommenen ehemaligen Heimkinder ein Anrecht
darauf haben, dass das in ihrer Kinder- und Jugendzeit
Erlebte in Worte gefasst, bekannt und so durch Gesellschaft und Staat wahrgenommen wird.
Die Erfahrungen waren damals durchaus unterschiedlich. Bei weitem nicht jeder, der in einem Heim war, ist
misshandelt worden. Die genaue Zahl ist übrigens auch
nicht bekannt. Aber diejenigen, die das erlebt haben, haben ein Anrecht darauf, dass gesehen wird, wovon ihr
Leben geprägt und geformt war. Das muss aufgearbeitet
werden. Die Kirchen sind im Übrigen dabei. Sie haben
ein Projekt zur Erforschung der konfessionellen Heimerziehung in der früheren Bundesrepublik an der RuhrUniversität Bochum in Auftrag gegeben. Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die Bodelschwinghschen
Anstalten und viele andere haben an diesem Thema gearbeitet.
Ich freue mich sehr, dass wir nach vielen Gesprächen
mit Vertretern der Heimkinder, der Träger und der Wissenschaft fraktionsübergreifend beschlossen haben, einen Runden Tisch einzurichten. Ich bin sicher, dass
Dr. Antje Vollmer diesen Runden Tisch kompetent, umsichtig und zielstrebig leitet. Dafür gebührt ihr unser aller Dank.
({1})
Dank gilt auch dem Bundesfamilienministerium, das
im Auftrag der Länder die begleitende Koordination
übernommen hat.
Große Sorgen - das will ich hier nicht verheimlichen bereitet mir in diesem Zusammenhang die aktuelle Entwicklung. Wie man einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Juni 2009 entnehmen konnte,
nutzen einige Rechtsanwälte die schwierige Situation
des Vereins ehemaliger Heimkinder und die Situation
von ehemaligen Heimkindern aus, um die Konflikte auf
dem Buckel der ohnehin schon Betroffenen in ihrem
Sinne noch einmal neu auszutragen.
({2})
Finanzielle Forderungen standen im Übrigen bei der Petition nicht im Mittelpunkt; vielmehr standen die Lebensschicksale im Mittelpunkt.
Noch mehr irritiert mich die in dem FAZ-Artikel enthaltene Information, dass die Giordano-Bruno-Stiftung,
eine, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb,
„neuatheistische Stiftung“, die sich offensichtlich dem
Kampf gegen Kirche und Religion widmet, nun die Situation ehemaliger Heimkinder ebenfalls für ihre Interessen nutzt.
Ich wünsche sehr, dass der Runde Tisch in Ruhe arbeiten kann. Das entspricht auch dem Wunsch des Petitionsausschusses. Ich kann nur warnend darauf hinweisen, dass sich Außenstehende das Schicksal ehemaliger
Heimkinder zunutze machen und auf deren Rücken nun
ihre eigenen Interessen verfolgen. Ich bin sicher, dass
die Anliegen ehemaliger Heimkinder beim Runden
Tisch gut aufgehoben sind und dass dort sehr geordnet
und sehr geplant daran gearbeitet wird, dass ihren Interessen und den Interessen aller anderen Rechnung getragen wird.
Meine Damen und Herren, für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit auch in dieser Frage danke ich
den Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich. Das war
nicht einfach, es war aber, wie ich meine, eine Sternstunde guter Zusammenarbeit über alle Fraktionsgrenzen
hinweg. Ich danke sehr herzlich den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Ausschussdienstes, die sich mit
dieser Frage ebenso schwergetan haben wie wir, sowie
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen
und in den Abgeordnetenbüros.
({3})
Das Wort hat nun Clemens Bollen für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Petitionsausschuss bestimmen die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ganz direkt und unmittelbar unsere
Tagesordnung. Das wurde hier in allen Berichten der
Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss
schon deutlich. Unser Bemühen, über die Fraktionsgrenzen hinweg nah bei den Menschen zu sein, ihre Sorgen
und Nöte ernst zu nehmen, kann auch das Bild der Politik und der Politiker in ein besseres Licht rücken. Insofern arbeiten wir erfolgreich.
Wichtig ist insbesondere, dass wir im Dialog mit den
Menschen stehen. 18 000 Eingaben, 600 000 Unterschriften und Tausende Diskussionsbeiträge im Internet zeigen
einerseits, dass von Politikverdrossenheit in unserem
Bereich keine Rede sein kann. Andererseits zeigt all das
aber auch, wie viel Handlungsbedarf besteht. Man kann
das Ganze von daher auch als gelebte Demokratie bezeichnen. Die Kritik an bestehenden Gesetzen und Verhältnissen oder an ungerecht empfundenen Entscheidungen ist auch eine Art von Motor, der die Politik antreibt.
Deshalb dürfen wir diese Arbeit niemals als Bürde ansehen, sondern als Ansporn dazu, Fortschritte und Verbesserungen für die Menschen zu erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele unserer Arbeitsschwerpunkte wurden hier schon angesprochen. Ich
erinnere an das Schicksal von Heimkindern, das uns besonders betroffen gemacht hat. Das, was wir hier auf den
Weg gebracht haben, ist ein Erfolg für die gemeinsame
Arbeit im Petitionsausschuss. Die Berichte zeigten aber
auch, dass im Bereich Arbeit und Soziales ein weiterer
Schwerpunkt liegt. Ich erinnere nur an die 4 000 Petitionen, die zu diesem Bereich eingereicht wurden. Kritik
an Abläufen der Arbeitsverwaltung oder Fragen zur
Rente machen deutlich, welche Verantwortung wir haben. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der sich
im Moment rasant verändernden Bedingungen aufgrund
der Finanz- und Wirtschaftskrise. Darauf müssen wir generell schnell reagieren. Damit können wir auch deutlich
machen - es ist, wie ich glaube, ganz wichtig, sich das
bewusst zu machen -, dass nicht jedes Gesetz in Stein
gemeißelt ist. Gerade bei Themen wie Kurzarbeit, Arbeitslosengeld und Rentenübergang müssen wir uns deshalb einbringen. Ich glaube, das haben wir auch sehr engagiert getan.
Nun ein paar konkrete Fälle aus dem Bereich Arbeitsund Rentenrecht, den ich bearbeite.
Ein deutscher Bergbaukumpel, der in Polen und
Deutschland gearbeitet hatte, sollte, nachdem er sich die
Bergmannskrankheit zugezogen hatte, von der Berufsgenossenschaft nur einen geringen Betrag erhalten. Die
Berufsgenossenschaft stellte sich auf den Standpunkt,
den Differenzbetrag solle er sich von der polnischen
Seite holen. Angesichts der Europamüdigkeit in der Bevölkerung können wir gerade an diesem Beispiel deutlich machen, dass wir nicht nur ein Europa der freien
Märkte, sondern auch ein soziales Europa anstreben.
Hier konnte ein klarer Rentenbescheid erreicht werden,
der auch weitere Auswirkungen hat. Insofern ist dies ein
konkretes Beispiel dafür, wie wir auch das Rentenrecht
sozial mitgestalten können.
({0})
Daher war es gut, dass dieser Mann eine Petition eingereicht hatte. Denn gerade bei den Renten der Berufsgenossenschaften steht noch eine ganze Menge Arbeit an,
damit wir die sich verändernden Bedingungen stärker
mit einbeziehen können.
Ein weiterer Bereich, der von uns oftmals unterschätzt wird, sind die Formulare. Ich meine die Amtssprache, die für die Menschen doch komplizierter ist, als
wir uns das als Parlamentarier vorstellen können. Hier
konnten wir die oftmals komplizierte Sprache der Formulare bei der Bundesagentur für Arbeit - dies betrifft
gut Hunderttausende oder gar Millionen Menschen - mit
verändern. Dieser Erfolg wird zwar nicht groß mit der
Pauke verkündet, aber das hat trotzdem eine Verbesserung gebracht. Dies gilt auch für das Einbringen von vielen Novellierungen.
Die fraktionsübergreifende Arbeit ist - das wurde hier
deutlich - sehr effektiv, auch wenn man bei dem einen
oder anderen Thema anderer Meinung ist. Beispielsweise mussten wir bei der Anrechnung der Abwrackprämie auf Einkommen von Arbeitslosengeld-II-Empfängern Kompromisse machen, aber wir haben hier eine
Lösung gefunden.
Vieles steht allerdings noch an. Beispielhaft nenne ich
das Gutachterwesen bei Klageverfahren gegen Berufsgenossenschaften oder die Massenpetitionen im Zusammenhang mit dem VW-Gesetz. Hier müssen sicherlich
noch viele Diskussionen geführt werden.
Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen
für die gute Zusammenarbeit bedanken. Obwohl ich
mich zukünftig nicht mehr selbst darum kümmern kann
- ich verabschiede mich nämlich mit dieser Rede aus
dem Hohen Hause, weil ich auf eigenen Wunsch hin ausscheide -, bin ich mir doch dessen gewiss, dass alle Themen, also auch die noch anstehenden, bei Ihnen in besten
Händen sind.
Insbesondere möchte ich mich bei der Vorsitzenden,
der Kollegin Naumann, für die engagierte Leitung des
Ausschusses bedanken. Natürlich bedanke ich mich
auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und bei
Ihnen, Herr Winkler, für Ihre Einwürfe und engagierten
Diskussionen und bei Ihnen, Herr Baumann. Mein Dank
gilt auch meiner Sprecherin, Frau Gabriele LösekrugMöller, für die konstruktive Unterstützung. Ich wünsche
Ihnen allen zum Wohle der Menschen in diesem Land alles Gute und viel Erfolg.
Herzlichen Dank.
({1})
Lieber Kollege Bollen, das war Ihre letzte Rede im
Deutschen Bundestag. Herzlichen Dank für Ihre jahrelange Arbeit, auch im Petitionsausschuss. Wir alle wünschen Ihnen noch viele schöne, heitere und erfolgreiche
Jahrzehnte in Ihrem Leben. Alles Gute!
({0})
Das letzte Wort in dieser Debatte hat Kollege Klaus
Hagemann für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr
Präsident hat gesagt, dass ich in dieser Debatte das letzte
Wort habe. Das ist immer angenehm, weil man das eine
oder andere aufgreifen und vielleicht auch richtigstellen
kann.
Die Reform des Petitionswesens hat sehr viel Lob und
Anerkennung gefunden, und es war gut, dass wir die modernen Medien hier mit einbezogen haben. Lieber Kollege Storjohann und lieber Kollege Josef Winkler, dies
hat bei einer gemeinsamen Dienstreise, die wir nach
Schottland unternommen haben - Dienstreisen sind
manchmal auch sinnvoll -, seinen Anfang genommen.
({0})
- Immer? Gut. Sie sind sinnvoll.
Jetzt möchte ich mich an den Kollegen Winkler und
die Grünen wenden: Wir haben es dann auch in Entwürfen umgesetzt, und da fiel mir das Zitat ein, Frau Kollegin Naumann, das Sie eben gebracht haben: Die einen
arbeiten, so hat Indira Gandhi gesagt, und die anderen
kassieren die Lorbeeren.
Das ist hier nicht so. Vielen Dank, Kollege Storjohann,
dass Sie uns so gelobt haben. Schließlich hattet ihr am
Anfang Bedenken, und es hat eine lange Zeit gedauert,
bis wir es gemeinsam einbringen konnten. Die Anstöße
sind aber gekommen. Ähnliches gilt beim Ganztagsschulprogramm oder bei der Integrationsarbeit: Spät ist
gut, aber nie ist schlecht. Deswegen sind wir froh, dass
wir es jetzt so hinbekommen haben.
Den Erfolg können wir bei der Massenpetition „Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ sehen. Den Gesetzentwurf haben wir beschlossen. 140 000 haben mitgezeichnet und viele Bedenken
geäußert.
({1})
Leider konnten wir diese Massenpetition nicht mehr so
behandeln, wie es sich gehört. Ich gehe allerdings davon
aus und fordere dies schon heute, dass wir dies in der
nächsten Legislaturperiode tun. Denn es gibt eine ganze
Menge Anregungen - Frau Vorsitzende, ich schaue in
Ihre Richtung -, und sie sind teilweise auch schon mit in
den Gesetzentwurf eingeflossen, sodass dieser uns von
Frau von der Leyen vorgelegte Gesetzentwurf, der am
Anfang ein bisschen schwach war, durch die gemachten
Vorschläge ein bisschen aufgepeppt worden ist. Nun soll
nach drei Jahren eine Evaluation stattfinden. Wir sagen
auch: Erst löschen, dann stoppen. Darüber hinaus soll es
Gremien geben, die die Kontrolle ausüben. Das alles
sind Anregungen, die in Gesprächen zwischen unserer
Fraktion und der Petentin aufgegriffen worden und in
den Gesetzentwurf eingeflossen sind.
Ich bitte diejenigen, die mitgezeichnet haben, jetzt
nicht zu resignieren. Denn das Ganze - ich sage es noch
einmal - fällt nicht der Diskontinuität zum Opfer. Im Petitionswesen kennen wir die Diskontinuität nämlich
nicht. Wir werden dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode behandeln und entsprechende Evaluationen
durchführen. Wir bitten die Betroffenen darum, dass sie
ihre Bedenken und ihre Äußerungen einbringen, sodass
wir darüber beraten können.
({2})
Ein weiteres Kapitel, das schon vom Kollegen
Winkler angesprochen worden ist, ist das Thema „Generation Praktikum“. Wir sind am Anfang der Legislaturperiode als Tiger gestartet und am Ende, jedenfalls inhaltlich gesehen, als Bettvorleger gelandet. Denn es ist
ruhig um dieses Thema geworden. Aber das Problem ist
immer noch vorhanden, dass viele Praktikantinnen und
Praktikanten ausgenutzt werden und ihre Karriere nicht
voranbringen können, obwohl wir in der Wirtschaft
Fachkräfte brauchen. Deswegen müssen wir, Herr Kollege Schulz, dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode wieder auf die Tagesordnung setzen.
Herr Staatssekretär, vielen Dank, dass Sie als einziges
Mitglied der Bundesregierung die gesamte Zeit bei der
Beratung anwesend sind. Wir hoffen, dass Sie die Vorschläge aus Ihrem Hause umsetzen können, damit die
Praktikanten nicht weiter ausgenutzt werden. Ich bin guter Hoffnung, dass das gelingen wird.
Zwischenzeitlich beschäftigen sich auch wissenschaftliche Organisationen - ich nenne die FraunhoferGesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft - mit der
Frage, wie man vorhandene Kräfte nutzen kann, sodass
sie unserer Wirtschaft nicht verloren gehen. Ich sage es
noch einmal: Der Fachkräftemangel ist auch in Zeiten
der Wirtschaftskrise spürbar. Deswegen muss hier gehandelt werden.
Ich habe davon gehört, dass es in den Niederlanden
ein sehr interessantes Projekt gibt, das dafür sorgt, dass
auf der einen Seite die jungen Menschen weder ausgegrenzt noch ausgenutzt werden und dass sie auf der anderen Seite ihre wissenschaftlichen Kenntnisse einbringen können. Wir sollten uns dieses Modell zusammen
mit der Wissenschaft und dem Bundesverband der Deutschen Industrie näher anschauen - denn auch der BDI ist
der Meinung, es sei ein interessantes Modell -, sodass
wir in der Lage sind, entsprechende Vorschläge zu machen.
Ein weiteres Beispiel. Ich gehe nur kurz darauf ein,
weil meine Redezeit fast zu Ende ist. Wir hatten viele
Petitionen zum Thema BAföG, Herr Kollege Müller.
Diese haben wir zum großen Teil aufgegriffen. Hier
müssen auch die Behörden, die für den Vollzug verantwortlich sind, näher hinschauen. Auch das haben wir
festgestellt. Dafür sind die Länder zuständig. Insbesondere eine Forderung haben wir in die Gesetzgebung einfließen lassen, nämlich die Forderung, das BAföG deutlich zu erhöhen. Ich bin froh und stolz darauf, dass uns
das gelungen ist.
({3})
Mit Unterstützung des Petitionsausschusses konnten im
letzten Oktober eine Erhöhung des BAföG um 10 Prozent und eine Erhöhung der Freibeträge um 8 Prozent erreicht werden. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Auf diesem richtigen Weg müssen wir weitergehen.
Frau Binder, Sie hatten die personelle Erweiterung
des Ausschussdienstes angesprochen. Still und heimlich
haben Frau Kollegin Lösekrug-Möller und ich zusammen mit den Damen und Herren des Ausschussdienstes
- in diesem Zusammenhang einen herzlichen Dank an
sie - bei den Haushaltsberatungen mit dafür gesorgt,
dass hier mehr Stellen zur Verfügung gestellt werden. So
steht für die Arbeit mit den modernen Medien, die in die
Arbeit des Petitionsausschusses Einzug gehalten haben,
mehr Personal zur Verfügung. Auch da ist gehandelt
worden.
Meine letzte Anregung. Dieses Jahr feiern wir
60 Jahre Petitionsausschuss. Es gibt den Verein „Freunde des Petitionswesens“ in Bremen. Herr Bockhofer ist
hier besonders zu nennen. Er hat eine Ausstellung vorbereitet, die im Moment noch bei ihm zu Hause steht.
Wenn es uns gelingt, 10 000 bis 15 000 Euro aufzutreiben, dann können wir diese Ausstellung möglichst noch
dieses Jahr oder spätestens nächstes Jahr im Deutschen
Bundestag zeigen. Ich glaube, Herr Bockhofer sowie
seine Freundinnen und Freunde haben es verdient.
Herzlichen Dank an alle, die hier zum Erfolg der Arbeit des Petitionsausschusses im Interesse der Menschen
beigetragen haben.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 69 a bis 69 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung des Datenschutzaudits und zur
Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/12011 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 16/13657 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gisela Piltz
Silke Stokar von Neuforn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,
Hans-Michael Goldmann, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich
verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,
Ernst Burgbacher, Jens Ackermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Datenschutz-Audit-Verfahren und Datenschutz-Gütesiegel einheitlich regeln
- zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Kai Gehring, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Datenschutzaudit umsetzen - Gütesiegel
stärkt Bürgerrechte und schafft Akzeptanz
für wirtschaftliche Innovationen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Volker Beck ({2}), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Datenschutz stärken - Bewusstsein schaffen -
Datenmissbrauch vorbeugen
- Drucksachen 16/9452, 16/1169, 16/1499,
16/10216, 16/13657 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gisela Piltz
Silke Stokar von Neuforn
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Dr. Thea Dückert, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte der Beschäftigten von Discountern
verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Kerstin Andreae, Volker Beck
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter sichern - Datenschutz am Arbeitsplatz
stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte,
Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Datenschutz für Beschäftigte stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente und praxisgerechte Regelungen gesetzlich absichern
- Drucksachen 16/9101, 16/9311, 16/11376,
16/12670, 16/13364 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Beatrix Philipp für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzten Plenartage einer auslaufenden Legislaturperiode erzeugen bei vielen Kolleginnen und Kollegen eine merkwürdige Stimmung. Je nachdem, was sie besonders
bewegt, erbringen die einen philosophische Glanzleistungen im Angesicht des Abschieds aus diesem Hohen
Hause, die anderen hinterlassen eine Art Vermächtnis für
nachfolgende Generationen. Sogar Wehmut wird spürbar. Oft hatte ich den Eindruck, dass das Gefühl vorherrschte, nach bestem Wissen und Gewissen für die
Menschen in diesem Land gewirkt zu haben. Diese Gedanken haben mich in den letzten Tagen häufiger berührt
und machten - das gebe ich ehrlich zu - den Einstieg in
das heutige Thema nicht einfacher, zumal bis in die letzten Tage hinein in den Medien zum Teil falsch berichtet
wurde.
Zur Sache. Ich habe den Auftrag, Sie mit dem Ergebnis ausgesprochen schwieriger Koalitionsverhandlungen bekannt zu machen, mit einem Ergebnis, von dem
jeder, aber auch wirklich jeder an einer anderen Stelle
sagen könnte: Das hätte ich viel lieber anders gehabt.
Aber jeder weiß, dass wir nicht alle zufriedenstellen
konnten.
Ich will so ehrlich sein, Ihnen zu sagen: Wir wissen
auch, dass es Gruppierungen gab, die nach dem Motto
„Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“ bis in die
letzten Tage hinein nicht geglaubt haben, dass es noch zu
einer Einigung innerhalb der Koalition kommen werde.
Wir wären unserer Verantwortung aber nicht gerecht geworden - davon bin ich fest überzeugt -, wenn wir dem
nachgegeben hätten. Deswegen freue ich mich wirklich
darüber, dass wir nach diesen langwierigen und intensiven Verhandlungen das Ziel der Verabschiedung der
Datenschutznovelle II erreichen werden.
({0})
Natürlich ist niemandem verborgen geblieben, was
Kundige immer schon wussten: dass Datenschutz stets
auch eine Frage der Abwägung ist. In dem jetzt hinter
uns liegenden Gesetzgebungsverfahren wurde das so
deutlich wie selten zuvor. Kein Wunder, die Menschen
erwarteten nach den Datenschutzskandalen bei der Telekom, bei Lidl, bei der Deutschen Bahn und bei anderen,
dass die Politik und, ganz konkret, der für den Datenschutz zuständige Innenminister Dr. Schäuble darauf reagieren und auch agieren würde; das hat der Innenminister auch getan: Auf dem sogenannten Datenschutzgipfel
wurden Eckpunkte formuliert, die, was Kundige ebenfalls wissen, erst in und durch die parlamentarischen Beratungen rund wurden.
An dieser Stelle muss es einmal gesagt werden - wir
haben im Innenausschuss eine intensive Debatte darüber
geführt -: Es zeugt von einem merkwürdigen Demokratieverständnis und einem merkwürdigen Selbstverständnis von Abgeordneten der Opposition, wenn sie das nun
vorliegende Ergebnis, das massive und deutliche Veränderungen beinhaltet, benutzen, dummes Zeug zu behaupten, etwa, wir hätten den Innenminister im Regen
stehen lassen. Ich sage ganz ausdrücklich: Meine Fraktion und ich empfinden es - im Gegenteil - als besten
Beweis für Demokratie, wenn ein gewähltes Parlament
nicht nur nickt, sondern sich mit Gesetzentwürfen intensiv auseinandersetzt und sie eben auch verändert.
({1})
Interessant ist, dass ein solches Verhalten bei den
Grünen völlig unüblich zu sein schien. Die SPD hat gelernt, weil sie sich früher mit „Basta!“ hat auseinandersetzen müssen. Wir haben jedenfalls diskutiert. Ich
denke, wir können mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Wie gesagt: Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein
Beispiel für die Handlungsfähigkeit der Großen Koalition bis zum letzten Tag. Man merkt dem Entwurf aber
auch den Verlauf der Verhandlungen an - auch das will
ich deutlich sagen -: Er ist nur sehr schwer lesbar, wie
man immer wieder merken kann. Das trägt sicherlich
dazu bei, dass hier und da noch immer Irritationen bezüglich des Inhalts bestehen; das will ich gar nicht bestreiten. Es wurden immer wieder - in einem intensiven
Diskussionsprozess ist das eben so - Verhandlungsergebnisse eingebaut. Immer wieder haben die vier beteiligten Ministerien, die vier Arbeitsgruppen und schließlich auch die Ausschüsse und nicht zuletzt die beiden
Fraktionen ihre Schwerpunkte und unterschiedlichen
Sichtweisen in die Gesprächs- und Koalitionsrunden eingebracht. Das wurde dann eingearbeitet.
Beim Datenschutzgipfel im September 2008 wurde
von den beteiligten Ministerien die Abschaffung des sogenannten Listenprivilegs als wirksames Mittel zur Verhinderung weiterer Datenskandale in Aussicht gestellt.
Außerdem sollte ein verpflichtendes Opt-in eingeführt
werden, das heißt die ausdrückliche Zustimmung zur
Weiterverwendung der Daten. Meine Fraktion und ich
haben sehr schnell erkannt, dass ein uneingeschränktes
Opt-in für die Wirtschaft unzumutbar wäre.
({2})
- Herr Korte, man muss sich natürlich mit denen auseinandersetzen, die Kritik üben. Das haben wir gemacht.
Die Argumente der Kritiker waren sehr glaubwürdig und
überzeugend. Deswegen haben wir einen Teil der Argumente aufgenommen. Darauf komme ich gleich noch zu
sprechen.
Es stellte sich auch heraus, dass ein generelles Verbot
des Handels mit persönlichen Daten die Verbraucher vor
kriminellen Machenschaften nicht schützen würde. So
haben die Fachgespräche mit Vertretern von Handwerk
und Mittelstand, mit dem Versandhandel, mit Spendenorganisationen, mit Markt- und Meinungsforschung, mit
der Werbewirtschaft, mit den Verlegern, mit potenziellen
Existenzgründern, mit unzähligen Interessenvertretern
und mit Datenschützern dazu geführt, dass diese massiven Bedenken gehört wurden und zum Teil Berücksichtigung gefunden haben.
Alle haben ungewöhnlich heftig reagiert, aber auch
sehr differenziert, Herr Korte, und glaubwürdig, das
heißt, überzeugend in ihren Argumenten. Vielleicht ist
der Zeitpunkt ein besonders ungünstiger gewesen. Auf
das Experiment, eine solche völlige Umkehr zu vollziehen zu einem Zeitpunkt, zu dem es Existenzprobleme
gibt - wir stecken in einer schwerwiegenden Krise -,
wollten wir uns in keinem Fall einlassen.
({3})
Wie gesagt: Die Argumente waren glaubwürdig und
überzeugend. Deswegen trägt das Ergebnis, das die Koalition jetzt vorlegt, den Bedenken der Wirtschaft, der
Verbraucher und nicht zuletzt der Datenschützer weitestgehend Rechnung. Die ernst zu nehmenden Bedenken
haben uns bewogen, den Grundsatz des Opt-in zwar beizubehalten, aber Ausnahmen zuzulassen. Als Beispiel
nenne ich die berechtigten Interessen der Spendenorganisationen und der für sie Tätigen, die nicht nur um ihre
eigene Existenz fürchteten, sondern um das gesamte
Spendenwesen im sozialen Bereich.
Mit der Beipack- und Empfehlungswerbung wollen
wir das Bewerben eigener Kunden durch die Unternehmen
weiterhin zulassen. Zu Recht wurde zunächst bemängelt,
dass es sich nur um eine sehr eng gefasste Ausnahmeregelung handelt. Es wurden weder Konzernstrukturen
berücksichtigt noch Wirtschaftszweige, die auf direkte
Werbeansprachen dringend angewiesen sind, zum Beispiel der Versandhandel und die Presse. Auch hier haben
wir Abhilfe geschaffen: Künftig werden die Weitergabe
und Nutzung von personenbezogenen Daten möglich
sein, und zwar genau dann, wenn derjenige, der diese
Daten zum Beispiel zu Werbezwecken nutzt, die Quelle
der Daten angibt. So wird dem Verbraucher die Möglichkeit gegeben, den Gang seiner Daten zu verfolgen und
genau dann zu stoppen, wenn er es nicht mehr will.
({4})
Diese Angaben von Quellen sind für die Wirtschaft absolut zumutbar.
Meine Damen und Herren, natürlich sind auch Wünsche an uns herangetragen worden - das möchte ich
ebenfalls ehrlicherweise sagen -, von denen ich behaupte, ihre Erfüllung hätte zwar dem eigenen Vorteil
gedient, aber nicht der Sache. Deshalb ist ihnen nicht
Rechnung getragen worden.
Meine Redezeit erlaubt es leider nicht, intensiver und
vollständiger auf Details einzugehen. Aber ich nutze die
verbleibende Zeit gerne, um dankzusagen, zunächst den
Damen und Herren in den Ministerien. Mit einer ungeheuren Geduld sind die jeweils vorgetragenen Wünsche
der Koalitionäre nach jedem Gespräch an erster Stelle im
Innenministerium, aber auch im Justiz-, Verbraucherschutz- und Wirtschaftsministerium oft fast rund um die
Uhr umgesetzt worden.
Ich habe dem Kollegen Dr. Bürsch dankzusagen. Ich
werde ihn nach so vielen Jahren als Kopiloten im Datenschutz vermissen; ich denke, das darf man hier deutlich
sagen.
({5})
- Ja, aber Sie sind nur ein Ersatz, Herr Wiefelspütz; auch
das darf ich heute sagen.
({6})
Alle, die beteiligt waren, einte stets der Wunsch, den
Datenschutz nach vorn zu bringen; sonst wäre dieses Ergebnis nicht denkbar gewesen. Selbst der Datenschutzbeauftragte, der auf der Besuchertribüne sitzt, ist weitestgehend zufriedengestellt.
Meine Damen und Herren, auch die Berichterstatterin
der Grünen, Frau Stokar von Neuforn, hatte in den letzten Jahren den Wunsch, den Datenschutz nach vorne zu
bringen. Sie setzte zwar immer andere Schwerpunkte als
wir, aber immerhin. Liebe Frau Stokar, auch wenn Sie
aus verständlichen Gründen nicht als Berichterstatterin
Ihrer Fraktion in dieses Gesetzgebungsverfahren eingebunden waren,
({7})
waren Sie bei den vielen gemeinsamen Gesprächen über
das Thema Datenschutz und bei anderen Gelegenheiten
in den vergangenen Jahren stets eine faire Kollegin.
({8})
Dafür möchte ich mich bei Ihnen ausdrücklich bedanken.
({9})
Abgesehen von den gesetzlichen Regelungen bleibt
es eine ständige Verpflichtung, den Menschen nahezubringen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit der Pflicht, verantwortungsbewusst und
sparsam mit den eigenen persönlichen Daten umzugehen, einhergeht. Daran müssen wir alle arbeiten, auch in
der nächsten Legislaturperiode.
Ich danke Ihnen.
({10})
Ich begrüße den Datenschutzbeauftragten. Ich nehme
an, dass es zu seiner Arbeit gehört, hier zu sein und diese
Debatte zu verfolgen.
Ich gebe der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der soeben begrüßte Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hat in einer der letzten Sitzungen des Innenausschusses darauf hingewiesen,
dass es in den letzten Legislaturperioden immer in der
letzten Sitzungswoche zu Verbesserungen beim Datenschutz gekommen ist. Herr Schaar, Sie haben recht behalten. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit! Geben Sie diesen Dank bitte an Ihre Mitarbeiter weiter. Sie haben uns
in der zu Ende gehenden Legislaturperiode immer sehr
geholfen.
({0})
Ich glaube, ich kann für alle, die sich in den letzten
Monaten mit dieser Materie beschäftigt haben, festhalten
- das gilt unabhängig von der jeweiligen Fraktion -: Mit
diesem Thema haben wir uns so umfassend beschäftigt
wie mit kaum einem anderen Thema. Wir haben - Frau
Philipp hat schon darauf hingewiesen - so viele Gespräche mit Vertretern von Verbänden und Firmen geführt,
wie es, jedenfalls für mich, bei bisher keiner anderen Gesetzesnovelle der Fall gewesen ist.
Bedauernd muss ich feststellen: Nicht alle Gespräche
verliefen in einem angemessenen Rahmen. Nicht selten
mussten wir uns vorwerfen lassen, wir hätten eigentlich
gar keine Ahnung, wovon wir sprechen, und man müsse
uns erst einmal erklären, worum es geht. Vor diesem
Hintergrund muss ich sagen: Ich finde es klug und richtig, dass wir den teilweise durchaus polemischen Forderungen nicht gefolgt sind und überzogene Weltuntergangsszenarien nicht ernst genommen haben, sondern
wenigstens einen Schritt in die richtige Richtung machen.
Allerdings, liebe Kollegin Philipp, ist eines richtig: In
dieser Legislaturperiode ist kein Gesetz aus dem Hause
des Bundesinnenministers so sehr verändert worden wie
dieses, kein einziges.
({1})
Ich hätte mir gewünscht, dass sich die sogenannte Große
Koalition, die sich im Innenausschuss dafür gefeiert hat,
den Parlamentarismus entdeckt zu haben, auch bei dem
einen oder anderen Gesetzgebungsverfahren entsprechend verhalten hätte. Das muss einmal gesagt werden.
({2})
Unsere Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf haben
wir in unserem Entschließungsantrag zusammengefasst.
Zwei Punkte möchte ich betonen:
Erstens bedauern wir sehr, dass es wieder einmal
nicht für ein Gesetz zum Datenschutzaudit gereicht hat,
sodass § 9 a Bundesdatenschutzgesetz auch nach acht
Jahren immer noch ins Leere läuft. Hält man sich vor
Augen, dass wir diesen Punkt aus unserem gemeinsamen
Antrag zum Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten
gestrichen haben, weil alle Beteiligten der Meinung waren, dass er jetzt aufgegriffen wird, erscheint das umso
skurriler. Wir hätten uns, auch um den Datenschutz zu
stärken, gewünscht, dass dieses Vorhaben jetzt umgesetzt wird.
Zweitens stand für uns, die FDP-Bundestagsfraktion,
von Anfang an fest, dass das zentrale Anliegen sein
müsste, jeden Bürger zum Herrn über seine Daten zu
machen, und zwar in verfassungsgemäßer Weise.
({3})
Dass dies gelungen ist, wage ich zu bezweifeln. Aus unserer Sicht ging es darum, jedem Einzelnen das Recht
einzuräumen, darüber zu entscheiden, ob jemand anderes mit seinen Daten Geld verdienen darf. Darum ging
es, um nichts anderes.
Wenn wir über Datenschutz reden, reden wir auch
über informationelle Selbstbestimmung. Wir sprechen
also über ein Grundrecht mit Verfassungsrang. Es galt,
die durchaus berechtigten Interessen der Branche gegen
dieses Recht abzuwägen. Auch wir wägen nämlich ab,
auch wenn uns das in der Debatte heute Morgen abgesprochen wurde. Auch wir haben diese Interessen zur
Kenntnis genommen, und wir haben in der Anhörung ei26198
nen Kompromissvorschlag gemacht, den Sie jetzt, zumindest teilweise, umgesetzt haben.
Ob die nun gefundenen Veränderungen und Übergangsregelungen auf fruchtbaren Boden fallen und damit
künftig insbesondere das Umhervagabundieren von Millionen Datensätzen unterbunden werden kann, bleibt abzuwarten. Wir hätten eine Formulierungshilfe für die
Einwilligungsregeln, auch im Sinne der Wirtschaft, für
klug gehalten.
Zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz hätte ich mir
heute eine eigene Debatte gewünscht.
({4})
Die ermattete Koalition hielt es aber nicht für nötig, sich
darum weiter zu kümmern. Dass ich mich darüber ärgere, ist das eine. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland haben jedenfalls allen Grund,
sich zu ärgern.
({5})
Ich frage mich - das habe ich schon beim letzten Mal
gesagt -, ob die SPD als selbsternannte Arbeiterpartei
({6})
sich selbst überhaupt noch ernst nehmen kann. Seit elf
Jahren stellen Sie den Arbeitsminister, seit elf Jahren haben Sie nichts getan.
({7})
Noch in der letzten Debatte hat die Kollegin Kramme
hier groß angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode
werde ein Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz
kommen. Wie lange sollen die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer darauf noch warten? Wie lange wollen Sie
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch im Regen stehen lassen?
Im Kölner Stadt-Anzeiger war die folgende spannende Aussage des Arbeitsministers zu lesen:
Wichtig ist, dass wir immer schneller sind als die
Probleme. … Wir handeln schnell, wenn und wie es
die Situation erfordert.
({8})
Offensichtlich hat er sich da selber nicht richtig verstanden. Wir bedauern das sehr. Die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer hätten einen besseren Arbeitnehmerdatenschutz verdient.
Wir werden abwarten, ob die heute zu beschließenden
Regelungen tatsächlich klare und praktizierbare Rahmenbedingungen für alle Beteiligten bieten. Wir werden
uns das genau anschauen.
Zum Schluss muss ich - nicht dass Sie Sorgen haben;
denn ich werde dem Hohen Haus ja weiter angehören noch eines sagen - Beatrix Philipp, du hast es schon zum
Ausdruck gebracht -: Mein Dank gilt insbesondere
Michael Bürsch und Silke Stokar.
({9})
Wir haben hier vieles verhandelt für den Datenschutz.
Ich finde, dadurch, dass wir uns gemeinsam so bemüht
haben, auch in gemeinsamen Beschlüssen, ist der Datenschutz sicherlich vorangekommen. Für meinen Teil: Ich
werde euch vermissen. Viel Erfolg, was immer ihr auch
tut!
({10})
Der Kollege Michael Bürsch hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Dank. Auch ich betrachte
die Arbeit an dieser Datenschutznovelle als die sorgfältigste Arbeit, die ich in zwölf Jahren Bundestag vollbringen konnte und durfte. Nach den Datenschutzskandalen
vom letzten Sommer haben wir ein Jahr lang intensiv an
diesem Werkstück gearbeitet, haben darum gestritten
und sind am Ende zu einem, wie ich meine, respektablen
Ergebnis gekommen, zu einem Ergebnis, das, wie ich im
Ausschuss schon gesagt habe, die Tür zum Datenschutz
des 21. Jahrhunderts öffnet. Das ist der erste Schritt. Wir
haben Pflöcke eingeschlagen. Wir sind beileibe noch
nicht fertig; aber wir haben angefangen, das Datenschutzrecht, das aus den 70er-Jahren stammt, an die
technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte anzupassen. Darauf bin ich mit Ihnen zusammen, Kolleginnen und Kollegen, schon ein bisschen stolz.
Ich danke für die kräftige Mitwirkung Dieter
Wiefelspütz, meinem engagierten Sprecher.
Ich danke Hans Peter Bull, dem ersten Bundesbeauftragten für den Datenschutz, der uns, was uns sehr zugutegekommen ist, über die ganze Strecke begleitet und
beraten hat.
Ich danke auf der Arbeitsebene Till Rothfuß, der uns
manches erleichtert hat und uns manchen Fehler erspart
hat.
Frau Kollegin Philipp, ich gebe das gerne zurück: Wir
waren zusammen Kopiloten, auch in manchem Schleudersitz saßen wir zusammen; aber es hat Spaß gemacht,
und es hat uns vorangebracht.
Herrn Uhl gilt besonderer Dank. Es ist schon angedeutet worden: Dieses Gesetz stand tatsächlich auf der
Kippe, weil bei diesem Thema verschiedene Interessen
betroffen sind, die nicht einfach unter einen Hut zu bringen sind. Aus meiner Sicht haben Sie das Ganze in letzter Minute gerettet. Ich finde, das Gesetz ist es wert.
Herzlichen Dank, Herr Uhl!
({0})
Auch die Zusammenarbeit mit dem Ministerium, mit
Minister Schäuble, mit Herrn Beus, hat durchaus Freude
gemacht und das Projekt vorangebracht.
Ich danke natürlich auch dem hier auf der Tribüne anwesenden Bundesbeauftragten für den Datenschutz,
Herrn Schaar, der für uns auch sonnabends und sonntags
erreichbar war.
({1})
Er ist in der Tat ständig im Dienst; denn die Datenschutzverstöße finden auch am Sonnabend und Sonntag
statt. Noch einmal: Vielen Dank! Sie haben unauffällig,
unaufdringlich und ohne die Öffentlichkeit zu suchen
sehr viel dazu beigetragen, dass dies ein vernünftiges
Gesetz wird. Ich kann Ihnen eines zurückgeben - wir haben darüber gesprochen -: Ihre Behörde ist zur Bewältigung der Aufgaben, die Sie jetzt zusätzlich bekommt,
personell unterbesetzt. Da muss etwas passieren.
({2})
Ich habe beim Minister und beim Staatssekretär angefragt. Die Antwort lautete - so würden wir SchleswigHolsteiner sagen -: Ik warr mi dorüm kümmern. Das
heißt - konstruktiv gesagt -: Da passiert etwas. Sie können davon ausgehen: Das wird in den nächsten Wochen
verhandelt.
Ein Dank geht natürlich auch an die Berichterstatter,
die durch ihre wunderbar kritischen Anmerkungen das
ganze Projekt vorangetrieben haben. Silke Stokar ist unersetzbar, egal in welchem Ausschuss sie arbeitet. Sie
hat viel Zeit damit verbracht, immer die formale Anrede
zu wählen. Sie hat immer „Herr Vorsitzender! Meine
Damen und Herren!“ gesagt. Dadurch hat sie stets ein
Stück ihrer Redezeit vergeudet. Silke, wenn du noch einmal im Bundestag bist, dann lass das einfach weg.
Auch Jan Korte und Gisela Piltz haben uns nach Kräften unterstützt. Durch die Kritik, die wir erfahren haben,
ist der Gesetzentwurf ein Stück besser geworden.
Ich sage zum einen ein paar Worte zum Inhalt der Novelle und zum anderen zu der Verantwortung der Verbände, die ich im Zusammenhang mit der Arbeit an diesem Gesetzentwurf durchaus kritisieren möchte; das ist
bei Frau Piltz schon angeklungen.
Der Inhalt dieses Gesetzes ist, um das auf einen Nenner zu bringen, ein vernünftiger Interessenausgleich zwischen den Interessen des Datenschutzes einerseits, der
Wirtschaft - sie dürfen wir dabei nicht vergessen - andererseits und darüber hinaus des Verbraucherschutzes, der
hier durchaus seinen Platz gefunden hat. Wir haben den
Interessenausgleich wirklich hart erarbeitet. Wir haben
den Gesetzentwurf sorgfältig begleitet, und wir haben
am Ende ein Ergebnis erreicht, durch das die Sicherheit
der Daten, was Nutzung und Weitergabe angeht, erheblich vergrößert wird.
Wir haben den Arbeitnehmerdatenschutz, jedenfalls in
einer ersten Tranche, berücksichtigt: Persönliche Daten,
die für das Beschäftigungsverhältnis erhoben werden,
dürfen grundsätzlich nicht anderen Zwecken dienen. Wir
haben die Auftragsdatenverarbeitung verbessert, und wir
haben den Datenschutzaufsichtsbehörden zum ersten
Mal ein umfängliches und umfassendes Eingriffsrecht
gegeben, das sie vorher nicht hatten. Diese Lücke gab es
seit den 70er-Jahren, was nicht verständlich ist. Wir haben die Sanktionen verschärft und Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung geschaffen. Auch im Bereich des Verbraucherschutzes haben wir durchaus einiges getan. Die
Einwilligung zur Einzelgewinnung der Daten von Personen ist natürlich erforderlich, und sie muss deutlich hervorgehoben werden.
Wir brauchen jetzt - das ist neu; dies hat der Datenschutzbeauftragte in der Öffentlichkeit schon deutlich
gemacht - die Herkunftsbezeichnung, damit den Verbrauchern, den Bürgerinnen und Bürgern bei jeder Verwendung von Daten - ob das über Listen oder auf anderen Wegen geschieht - deutlich gemacht wird, woher
diese Daten kommen, sodass sie wissen, bei wem sie sich
beschweren müssen, um zu verhindern, dass persönliche
Daten weiterhin verwendet werden.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf ist durch die Gesetzgebungsarbeit in der Tat maßgeblich verbessert worden. Diese Auffassung vertritt auch der Innenminister; er
hat mir das gestern gesagt. Er kann bei dieser Debatte
leider nicht anwesend sein kann, weil er einen zwingenden Termin in Bayern hat.
Um es deutlich zu sagen: Durch das Gesetz wird es
keine Nachteile geben, sondern in jedem Falle nur Vorteile. Wir können meinethalben darüber streiten, ob ihr
Anteil bei 50 Prozent oder 75 Prozent liegt; das ist egal.
Es wird Vorteile für den gesamten Bereich des Datenschutzes geben. Für die Wirtschaft ist dabei ein erträgliches und umsetzbares Konzept herausgekommen.
Mit dem Gesetzespaket wurden Schritte unternommen, die in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich
weiterverfolgt werden müssen. Beim Arbeitnehmerdatenschutz haben wir einen ersten Schritt getan, indem
wir die bestehende Gesetzeslage kodifiziert haben; wir
haben festgehalten, was in den Urteilen steht. Wir müssen noch erheblich mehr für die Sicherheit im Umgang
mit Daten tun, um dem gesamten Bereich Datenschutz
gerecht zu werden.
Ich möchte an dieser Stelle gerne einmal die Verantwortung der Lobbyisten, der Verbände und insbesondere
der gemeinnützigen Organisationen ansprechen. Ich habe
Verständnis dafür, dass zugespitzt und mit dem Blick eines Verbraucherschützers - mit dem Tunnelblick - manches auch übertrieben wird; das ist völlig in Ordnung.
Ich akzeptiere gern auch etwas Polemik von Verbänden. Aber von gemeinnützigen Verbänden, also von Verbänden, die am Gemeinwohl orientiert sind, erwarte ich
wenigstens einen ordnungsgemäßen Umgang mit der
Wahrheit. Leider lese ich in Presseerklärungen und leider
höre ich in Kampagnen immer wieder Aussagen - zum
Beispiel über diesen Gesetzentwurf -, die nicht mit der
Wahrheit übereinstimmen; irgendetwas läuft da also
falsch.
Transparency International etwa schreibt:
Auf keinen Fall kann aber akzeptiert werden, dass
jetzt in einem Parforceritt eine unausgegorene Regelung durchgepeitscht wird, die die Unsicherheit
bei Beschäftigten und Unternehmen weiter erhöht,
anstatt Klarheit zu schaffen.
Angesicht dessen kann ich der geneigten und wirklich
auch angesehenen Organisation Transparency International nur sagen: Liebe Leute, das kann nicht wahr sein. Es
ist altes Recht; es ist nicht neu geschaffen; es ist in Urteilen festgelegter Arbeitnehmerschutz. - In diesem Falle
geht es darum, dass kein Screening, keine Untersuchung
von Daten und kein Datenvergleich stattfinden dürfen,
ohne dass es einen anfänglichen Verdacht gibt. Das ist
für mich ein Rechtsstaatsprinzip, das wir immer hochhalten wollen. Ich verstehe nicht, dass an dieser Stelle
eine Kampagne losgetreten wird. Leider es gibt genügend Medien, die dabei mitmachen.
({3})
Ich habe, wie wahrscheinlich alle anderen, genügend
Anrufe auf diese Presseerklärung hin bekommen.
Das Gleiche gilt für den Verbraucherschutz. Der oberste
Verbraucherschützer hat wirklich in großem Stil eine
Kampagne losgetreten - ich denke, zur eigenen Profilierung -, indem er sagte: Alles, was in dem Gesetzentwurf
anfangs stand, um die Verbraucher besser zu schützen, ist
zusammengedampft, herausverhandelt, gestrichen worden; das ist nur noch eine Nullnummer; es ist ein PlaceboGesetz. - Das gibt nicht das wieder, was in dem Gesetz
wirklich enthalten ist.
({4})
Wenn an der einen oder anderen Stelle etwas verändert
worden ist - gut und schön. Aber auch ein solcher Verband muss am Ende bei der Wahrheit bleiben. Ich finde,
dass auf der anderen Seite ein Wort des Bedauerns angebracht ist.
Dies ist mein letzter Versuch, eine gute Rede zu halten. Ich möchte damit enden, meinen Dank für die zwölf
Jahre, die ich hier Abgeordneter war - diese Jahre haben
mir große Freude gemacht -, zum Ausdruck zu bringen.
Ich habe die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag als
ständige Fortbildungsveranstaltung empfunden: Ich durfte
Dinge lernen, die ich sonst gar nicht so intensiv hätte lernen können, und ich konnte an der einen oder anderen
Stelle Einfluss nehmen.
Ich möchte denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Anerkennung aussprechen, die mich über zwölf
Jahre getragen haben und mir das ermöglicht haben, was
ich in diesem Bundestag sein konnte. Die Namen dieser
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standen bisher nicht im
Protokoll. Es sind aus Berlin: Serge Embacher, Ruth
Herzog und Sebastian Wehrsig. Herzlichen Dank! Es
sind aus meinem Wahlkreis: Tatjana Zahnow, Anne
Wagner und Hans-Ulrich Christiani. Ihre Arbeit war
mein Gerüst, mein Flugzeug, das mich hat fliegen lassen. Mein Dank gilt diesen Personen. Das geht wahrscheinlich Ihnen allen so: Die Mitarbeiter verhelfen uns
letztlich zu dem, was wir hier - hoffentlich erfolgreich vollziehen können.
Vielen Dank.
({5})
Lieber Herr Bürsch, Ihnen gebührt der Dank des ganzen Hauses für Ihre sachliche Arbeit und für Ihre guten
Reden hier. Die Zusammenarbeit mit Ihnen war ganz offensichtlich eine sehr fruchtbare. Dafür danke ich Ihnen
im Namen aller und wünsche alles Gute für Ihren weiteren Weg.
({0})
Jetzt gebe ich das Wort dem Abgeordneten Jörg
Tauss.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Statt einer umfassenden Modernisierung des Datenschutzes nach den größten Datenschutzskandalen in der Bundesrepublik Deutschland sollen
heute Nachmittag nebenbei noch ein paar neue datenschutzrechtliche Regelungen beschlossen werden. Als
Abgeordneter der Piratenpartei sollte ich auf Wunsch
des Herrn Präsidenten an den Sitzungen des Innenausschusses nicht mit Rederecht teilnehmen. Jetzt weiß ich
auch, warum: Die Beratungen im Innenausschuss waren
außerordentlich interessant. Wie heute Nachmittag
dankte man gegenseitig dafür, dass der Datenschutz nun
etwas besser und wenigstens nicht schlechter geworden
ist. Kollege Bürsch hat dies gerade in den wunderbaren
Satz gekleidet: Das Gesetz bringt keine Nachteile.
({0})
Nach den größten Datenschutzskandalen der Republik
bringen wir heute wieder etwas auf den Weg, was keine
Nachteile bringt.
Dass Herrn Uhl, der den chinesischen Datenschutz
prima findet, in dieser umfassenden Form dafür gedankt
wurde, dass er den Gesetzentwurf nicht in letzter Minute
verhindert hat, ist etwas bizarr. Liebe Kolleginnen und
Kollegen meiner früheren Fraktion, dieser Dank der
SPD an die CDU/CSU erinnert mich an den Dank einer
Frau an ihren gewalttätigen Ehemann, dass er sie künftig
nur noch einmal statt wie bisher zweimal pro Woche verprügelt. Ich glaube, das ist ein bisschen zu wenig.
Was sind die Gründe dafür? Die Union ist an dem
Thema völlig desinteressiert. Frau Kollegin Philipp ist
das lebende Symbol dafür. Wenn man die Begriffe Datenschutz und CDU googelt, findet man nicht viel. Die
CDU/CSU-Fraktion hat den Datenschutz blockiert.
Frau Kollegin Philipp, was Sie heute zu Herrn
Schäuble gesagt haben, ist schlicht falsch. Sie vergessen
immer, dass das Netz nichts vergisst. Ausgerechnet Sie
haben dem armen Herrn Minister Schäuble noch vor
kurzem vorgeworfen, er schieße beim Datenschutz über
das Ziel hinaus. Dass Sie das ausgerechnet Herrn
Schäuble vorwerfen, ist großes Kino.
Die SPD-Fraktion ist heute des Lobes voll. Ich war
früher bei der IG Metall für Tarifverhandlungen zuständig. Ich stelle mir einmal vor, ich hätte damals als Verhandlungsführer in einer Tarifkommission zu einem Tarifvertrag verkündet: Ich habe erreicht, dass wir eine
geringere Lohnerhöhung bekommen, als die Arbeitgeber
- im übertragenen Sinne Herr Schäuble und Herr Glos uns ursprünglich angeboten hatten. - Man hätte mich
zum Teufel gejagt. Zu diesen tollen Verhandlungen kann
ich Ihnen nur gratulieren. Es wurde nicht einmal das erreicht, was Herr Schäuble und Herr Glos in ihren
Showveranstaltungen angekündigt hatten. Aber es bringt
wenigstens keine Nachteile.
Ein wesentlich innovativerer Ansatz wäre ein Datenschutzaudit gewesen. Der Staatssekretär hat mich noch
im letzten Jahr aufgefordert, nachzuweisen, dass die
Wirtschaft ein solches Audit will. Das ist so ähnlich, als
würde man von Schafen erwarten, lieber von Wölfen als
vom Schäfer bewacht zu werden.
({1})
Das alles wundert einen aber nicht, wenn man weiß,
wie die Union mit den Daten von Menschen umgeht, die
sich beispielsweise auf ihre Homepage verirren. Dazu
gab es gestern interessante Informationen beim Nachrichtendienst heise online. Die Daten derer, die auf
CDU-Seiten surfen, werden extern bearbeitet, ohne dass
der Nutzer dies weiß. Bei der CSU ist es noch doller. Die
liefern ohne ein entsprechendes Abkommen mit den
USA gleich ihre Daten zur Auswertung über den großen
Teich.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen, bitte.
Sie haben recht, Frau Präsidentin. Aber da ich heute
voraussichtlich meine letzte Rede halte und Staatssekretäre zehn Minuten überziehen konnten, will ich mit einigen Schlusssätzen zum Ende kommen.
Wer bei der Union im Internet surft, ist in einem
rechtsfreien Raum. Die Antwort dieser Koalition auf die
Herausforderungen des Datenschutzes als ein zentrales
Bürgerrecht ist ein klägliches Versagen. Das Versprechen, es in der nächsten Legislaturperiode besser zu machen, ist nach dem, was wir ein Jahr lang an Verhinderung und Blockaden erlebt haben, reine Show.
Herr Kollege.
Es ist Zeit, das zu ändern: Piraten wählen!
Ich danke Ihnen.
Jan Korte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten,
ist eine Reaktion auf zwei Vorgänge in unserer Gesellschaft, zum einen auf die unfassbaren Datenschutzskandale der letzten Jahre. Ich denke, wir sind einer Meinung
darüber, dass es unfassbar ist, wie mit persönlichen Daten gezockt und gehandelt wurde.
Zum anderen ist es - das halte ich für eine gute Nachricht - auch eine Reaktion der Politik auf ein neues Bewusstsein für den Datenschutz in der Bevölkerung. Das
sollten wir anerkennen. Die Politik ist gezwungen, sich
mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.
Ich will zugestehen, dass es bei dem, was Sie als Koalition heute vorlegen, durchaus einige Verbesserungen
gibt, etwa im Bereich der Transparenz oder - das finde
ich in der Tat wichtig - bei der Nachvollziehbarkeit der
Datenherkunft. Das ist ein richtiger Schritt, und das
muss man anerkennen.
Ich kann Ihnen allerdings auch am letzten Tag der regulären Sitzungswochen in dieser Legislaturperiode ein
Aber nicht ersparen.
({0})
Das tut mir sehr leid. Ich hätte es Ihnen gerne erspart.
Aber wenn man Ihren Gesetzentwurf dem auf Schäubles
Datenschutzgipfel angekündigten Paradigmenwechsel
gegenüberstellt, dann stellt man fest, dass davon nicht
viel übrig geblieben ist, so schade das ist.
({1})
Die Kernfrage, um die es in unserer Diskussion geht,
ist: Erhalten die Bürger und Verbraucher ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre Souveränität über ihre Daten
zurück, die sie zwar ursprünglich hatten, die ihnen aber
inzwischen verloren gegangen sind? Das ist die entscheidende Frage. Wir müssen das Gesetz daran messen, ob
es das erfüllt. Ich bin aber mit den Verbraucherschutzzentralen einer Meinung, dass das Gesetz dieser Notwendigkeit nicht Rechnung trägt, obwohl es einige Verbesserungen gibt. In der Summe kann man sagen: als
Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet.
({2})
Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz wurde schon angesprochen. Es ist gut, dass in § 32 des Bundesdatenschutzgesetzes nun unmissverständlich klargestellt ist,
dass die Daten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundsätzlich nicht mehr für andere Zwecke verwendet werden dürfen; das ist gut, gar keine Frage.
Trotzdem ist es nicht das, was wir brauchen. Wir brauchen ein eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Das wäre nach den Skandalen bei Lidl, der Telekom und der Deutschen Bahn, bei der sogar
Gewerkschafter ausgespitzelt worden sind,
({3})
wirklich angemessen gewesen. Ich verstehe nicht, warum wir das nicht hinbekommen haben, obwohl alle
Fraktionen schon vor mehreren Jahren der Meinung waren, dass wir ein solches Gesetz brauchen. Warum ist das
nicht möglich? Das ist schlicht unfassbar. Dafür hatten
wir über vier Jahre Zeit.
({4})
Es wurde schon darauf hingewiesen: Das ist insbesondere dem Versagen der SPD geschuldet; das muss
man deutlich sagen. Wenn ich in der Süddeutschen Zeitung lese und auf Gewerkschaftstagen höre - das sind
durchaus bemerkenswerte Reden -, dass man endlich ein
Arbeitnehmerdatenschutzgesetz braucht, und man gemeinsam mit den Gewerkschaften Seite an Seite schreitet, kann ich nicht verstehen, warum man sich in der
letzten Legislaturperiode nicht bemüht hat, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Das
ist sehr schade. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Legislaturperiode ein solches Gesetz im Sinne der Beschäftigten endlich auf den Weg bringen und dass Sie sich in Zukunft nicht mehr von einer penetranten Lobbyarbeit, wie
ich sie noch nie erlebt habe, in die Knie zwingen lassen,
wenn es um den Datenschutz geht.
({5})
Wir tun das nicht. Aber Sie haben das leider getan. Das
ist zu kritisieren.
Um noch etwas Versöhnliches zum Schluss zu sagen:
Es gibt einige Verbesserungen. Ich fand es ganz klasse,
mich in den letzten vier Jahren mit Herrn Bürsch und
Silke Stokar öfter zu streiten.
({6})
Das hat durchaus Erkenntnisgewinn gebracht und das
Florett weiter geschärft. Mit Beatrix Philipp war es eigentlich auch ganz cool, obwohl wir nicht oft einer Meinung waren. Aber das war ganz in Ordnung.
({7})
In diesem Sinne: Es ist leider ein schlechtes Gesetz,
aber es war eine gute Zeit. So sollte es jetzt weitergehen.
Besten Dank, auch an dich, Gisela.
Tschüss.
({8})
Jetzt hat Silke Stokar das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Philipp, ich möchte Ihnen die Sache mit dem
Parlament und der Regierung noch einmal erläutern. Ich
glaube, dass Sie meine Kritik falsch verstanden haben.
Es ist richtig: Ich habe in Berlin an Demonstrationen des
Arbeitskreises „Vorratsdatenspeicherung“ teilgenommen. Dort gab es große Plakate, auf denen stand: „Stoppt
Schäuble!“
({0})
Sie haben das aber völlig falsch umgesetzt. Ich habe das
immer so verstanden - so war das auch gemeint -, dass
wir die Datensammelwut des Bundesinnenministers
Schäuble im Bereich der Vorratsdatenspeicherung oder
bei der Onlinedurchsuchung stoppen sollen.
({1})
Aber Sie, das Parlament, haben Schäuble gestoppt, als er
versucht hat, ein paar kleine Regeln für den Datenschutz
in der Privatwirtschaft aufzustellen. Meine Kritik zielt
nicht darauf, dass eine Regierungsfraktion ein Gesetz
der Bundesregierung verändert. Aber ich habe zum ersten Mal erleben müssen, dass wir Datenschützer nicht
treiben, die Gesetze der Bundesregierung zu verbessern.
Sie haben es geschafft - das verkaufen Sie auch noch als
Erfolg -, ein Gesetz von Herrn Schäuble noch zu verschärfen. Sie wollen weniger Datenschutz als der Bundesinnenminister.
({2})
Das hat es bisher nicht gegeben. Mein Ansatz ist immer:
Die engagierten Datenschützer treiben zusammen mit
dem Parlament die Innenminister dazu, den Datenschutz
ernst zu nehmen. Das ist der Unterschied. Ich hoffe, dass
das jetzt deutlich geworden ist.
({3})
Zu den Punkten, in denen das Gesetz meiner Meinung
nach nicht ausreichend ist. Es reicht nicht, darauf hinzuweisen, dass ein Jahr lang intensiv beraten wurde. Denn
Sie haben nach den Skandalen mit dem Adressenhandel
zugesagt - nicht nur Bundesinnenminister Schäuble
nach dem Datenschutzgipfel, sondern auch Bundeskanzlerin Merkel und auch Herr Seehofer, als er noch Verbraucherminister war -, dass Adressen in Zukunft nur
noch mit der Einwilligung der Bürgerinnen und Bürger
weitergegeben werden. Dieses Versprechen stand im
Raum, und dieses Versprechen lösen Sie heute nicht ein.
({4})
Wir bekommen weder eine Opt-in-Regelung,
({5})
noch wird das Listenprivileg aufgehoben. Dies wird
dazu führen, dass die Datenschutzskandale, die wir alle
hier beklagt haben, sich wiederholen, weil Sie unter dem
Druck der Wirtschaftslobby eingeknickt sind
({6})
und weil Sie der Meinung sind, dass es wirtschaftsfreundlich ist, der Wirtschaft im 21. Jahrhundert keinen
Datenschutz zumuten zu müssen.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen.
Das Thema ist in dieser Woche in einem anderen Zusammenhang im Parlament behandelt worden. Die Bundesregierung hat den Druck des Quelle-Katalogs sichergestellt.
({7})
Was Sie machen müssten, Herr Kollege Grindel, damit
Quelle eine Chance hat, wäre, den Datenschutz so zu
modernisieren, dass es Zuwächse im Onlineshopping
gibt, dass E-Business in Deutschland wachsen kann und
dass E-Government eine Chance hat. Sie begreifen einfach nicht, dass uns in der Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts nicht Datenschutzverweigerung weiterbringt,
({8})
sondern moderner Datenschutz, Datenschutzsicherheit
und Datenschutzverlässlichkeit. Mich erinnert das fatal
an die Automobilindustrie, die zehn Jahre lang Lobbyarbeit gegen Ökoautos gemacht hat. Erst als sie in die Knie
gegangen ist, hat sie begriffen, dass das der Wirtschaft
überhaupt nichts genützt hat. Ihre Politik ist nicht modern, Ihre Politik ist nicht nachhaltig; Datenschutzverweigerung kann keine Politik des 21. Jahrhunderts sein.
({9})
Zum Arbeitnehmerdatenschutz wurde in der letzten
Debatte Ähnliches gesagt. Eine Generalklausel allein
kann doch nicht die Antwort auf die Skandale von Lidl,
der Deutschen Bahn und der Telekom sein. Wir brauchen ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Heute bekam
ich eine Anfrage, ob der persönliche elektronische Kalender am PC vom Chef eingesehen werden darf. Das ist
nicht geklärt. Dafür haben wir keine Regeln.
({10})
Weder die private Internetnutzung noch die Nutzung des
E-Mail-Verkehrs ist geregelt.
Meine Redezeit ist beendet. In der nächsten Legislaturperiode gibt es noch verdammt viel zu tun. Ich werde
als Abgeordnete nicht mehr dabei sein. Ich kann Ihnen
versichern, dass es eine engagierte grüne Nachfolge im
Bereich des Datenschutzes geben wird. Ich möchte nicht
damit enden, dass ich mich für die kollegiale Zusammenarbeit bedanke. Ich bin von den Wählerinnen und
Wählern - so habe ich das immer verstanden - hierhin
geschickt worden, um die Position der Grünen deutlich
zu machen.
({11})
Ich habe Demokratie nicht so verstanden, dass wir unsere inhaltlichen Gegensätze verkleistern sollen. Wir sollen sie vielmehr aushalten, uns gegenseitig antreiben und
uns dennoch, Herr Kollege Bürsch,
({12})
nach dem inhaltlichen Streit weiterhin die Hand geben
und nett miteinander umgehen.
({13})
Die inhaltliche Auseinandersetzung gehört in das Parlament. Ich reklamiere für mich, dass ich mich zivilisiert
und erfolgreich mit Ihnen gestritten habe. Ich wünsche
mir, dass wir ein modernes Datenschutzgesetz in der
nächsten Legislaturperiode bekommen.
Ich bedanke mich bei Peter Schaar und seinem Haus
für die engagierte Arbeit. Sie haben es geschafft, dass
Datenschutz in Deutschland wieder ein Thema geworden ist. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und
Kollegen aus dem Datenschutzbereich, bei Frau Kollegin Philipp, bei Herrn Bürsch und bei Gisela Piltz. Ich
denke, wir alle haben gemeinsam engagiert gekämpft.
({14})
Es gab unterschiedliche Inhalte und unterschiedliche Ergebnisse. Es hat Spaß gemacht. Ich freue mich jetzt auf
meine persönliche Freiheit. Zu Jan Korte möchte ich sagen: Er ist ein cooler Junge; er ist grün sozialisiert. Ich
habe bedauert, dass du uns verlassen hast. Es gibt einen
Weg zurück, Jan!
({15})
Danke schön.
({16})
Liebe Silke Stokar, auch Ihnen ist im Namen des gesamten Hauses für Ihre sachliche und zugleich sehr leidenschaftliche Arbeit sehr herzlich zu danken. Jemand
hat vorhin gesagt, dass Sie gerne die Innenminister angetrieben haben. In Ihrer letzten Rede haben Sie die Kolleginnen und Kollegen angetrieben, und Sie haben ihnen
gleich Arbeitsaufträge gegeben. Für Sie selbst alles
Gute!
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Regelung des Datenschutz-
audits und zur Änderung datenschutzrechtlicher Vor-
schriften. Dazu liegen Erklärungen nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vor.1)
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13657, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/
12011 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak-
tionen. Dagegen haben gestimmt die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen, die Fraktion Die Linke und der Abge-
ordnete Tauss. Die Fraktion der FDP hat sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis
wie vorher angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13696 ab. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
damit abgelehnt, bei Zustimmung durch die einbrin-
gende Fraktion; die Koalition hat dagegen gestimmt; die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die
Linke haben sich enthalten.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses auf Drucksache 16/13657. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfeh-
lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/9452 mit dem Titel „Datenschutz im
nicht öffentlichen Bereich verbessern“. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Dafür hat die Koalition gestimmt; dagegen haben die
FDP und der Abgeordnete Tauss gestimmt; die Fraktio-
nen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben sich
enthalten.
Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1169
mit dem Titel „Datenschutz-Audit-Verfahren und Daten-
schutz-Gütesiegel einheitlich regeln“. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthal-
tungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-
men bei Zustimmung durch die Koalition; dagegen ha-
ben FDP und Die Linke gestimmt; die Fraktion Bündnis
90/Die Grünen hat sich enthalten.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/1499 mit dem Titel „Datenschutzaudit
umsetzen - Gütesiegel stärkt Bürgerrechte und schafft
1) Anlagen 6 bis 8
Akzeptanz für wirtschaftliche Innovationen“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Dafür haben die Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD gestimmt; das übrige Haus hat dage-
gen gestimmt.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/
10216 mit dem Titel „Datenschutz stärken - Bewusst-
sein schaffen - Datenmissbrauch vorbeugen“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfeh-
lung angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktio-
nen gestimmt; dagegen haben die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, die Fraktion Die Linke und der Abgeord-
nete Tauss gestimmt; enthalten hat sich die FDP-Frak-
tion.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/
13364. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9101
mit dem Titel „Rechte der Beschäftigen von Discountern
verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfeh-
lung? - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Be-
schlussempfehlung angenommen. Dafür haben die Ko-
alition und die FDP gestimmt, dagegen Bündnis 90/
Die Grünen. Die Linke hat sich enthalten.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/9311 mit dem Titel „Persönlichkeits-
rechte abhängig Beschäftigter sichern - Datenschutz am
Arbeitsplatz stärken“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit
ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dafür haben
die Koalitionsfraktionen gestimmt, dagegen Bündnis 90/
Die Grünen und die Linke; die FDP hat sich enthalten.
Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/
11376 mit dem Titel „Datenschutz für Beschäftigte stär-
ken“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU,
SPD und FDP; dagegen hat die Fraktion Die Linke ge-
stimmt; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12670 mit dem
Titel „Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente
und praxisgerechte Regelungen gesetzlich absichern“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen bei Zustimmung durch SPD und CDU/
CSU; dagegen hat die FDP gestimmt; Bündnis 90/
Die Grünen und die Linke haben sich enthalten.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 71 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei
Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit
von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung
- Drucksache 16/12814 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 16/13672 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Bleser, Julia Klöckner, Klaus Hofbauer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Marianne Schieder,
Ortwin Runde, Ulrich Kelber, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD
Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistun-
gen erweitern und durchsetzen
- Drucksache 16/13612 -
Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Marco
Wanderwitz, Peter Jahr, Klaus Uwe Benneter, Marianne
Schieder, Mechthild Dyckmans, Sevim Dağdelen, Nicole
Maisch, die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula
Heinen-Esser und der Parlamentarische Staatssekretär
Alfred Hartenbach.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen
aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetz-
barkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschbera-
tung.
Es gibt Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsord-
nung, und zwar der Kollegen Albert Rupprecht und Leo
Dautzenberg.2)
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13672, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12814 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf angenom-
men bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP;
dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen gestimmt; die
Linke hat sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
1) Anlage 10
2) Anlage 9
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung bei dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/13612 mit dem Titel „Verbraucherschutz
bei Finanzdienstleistungen erweitern und durchsetzen“.
Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke; Bündnis 90/Die Grünen sind dagegen;
die FDP hat sich enthalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Kai Gehring, Ulrike Höfken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene einführen
- Drucksachen 16/12303, 16/13281 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Nina Hauer
Hierzu haben ihre Reden zu Protokoll gegeben die
Kolleginnen und Kollegen Albert Rupprecht, Florian
Pronold, Frank Schäffler, Dr. Axel Troost und
Dr. Gerhard Schick.3)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13281, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12303 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür haben gestimmt
CDU/CSU, SPD und FDP, dagegen Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 73 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätzegesetzes ({3})
- Drucksachen 16/12060, 16/12105 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
- Drucksache 16/13687 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({5})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
3) Anlage 11
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Zu Protokoll gegeben wurden die Reden von
Jochen-Konrad Fromme, Bernhard Brinkmann, Otto
Fricke, Roland Claus und Alexander Bonde.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13687, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/12060 und Drucksache 16/12105
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Zugestimmt haben SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/
Die Grünen und FDP; dagegen hat die Fraktion
Die Linke gestimmt.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, aufzustehen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung
angenommen mit dem gleichen Stimmverhältnis wie
vorher.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 74 a bis c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 16/13108 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({6})
- Drucksache 16/13616 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 16/13109 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({7})
- Drucksache 16/13617 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({8}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Gero Storjohann, Volkmar
Uwe Vogel, Dr. Andreas Scheuer, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Heidi Wright, Klaas
1) Anlage 12
Hübner, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Punkte-Systematik des Verkehrszentralregisters in Flensburg einfacher und verständlicher
gestalten
- Drucksachen 16/12993, 16/13407 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({9})
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolleginnen und Kollegen Gero Storjohann, Heidi Wright,
Patrick Döring, Dorothée Menzner, Peter Hettlich und
der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.
Verkehrspolitik ist spannend. Heute werden wir gleich
drei Bereiche im Verkehrsrecht voranbringen: den
„Feuerwehrführerschein“, das Onlinemeldewesen für
Kraftfahrzeuge und das Punktesystem des Flensburger
Zentralregisters.
Seit Einführung der Zweiten EU-Führerscheinrichtlinie im Jahr 1999 können Besitzer eines Pkw-Führerscheins der Klasse B nur noch Fahrzeuge mit einem
Gewicht von maximal 3,5 Tonnen fahren. Früher, mit der
alten Pkw-Führerscheinklasse 3, lag die Grenze bei
7,5 Tonnen. Zwar hat ein vor der Umstellung erworbener
Führerschein Bestandsschutz. Für solche Führerscheininhaber ist das Führen von Kraftfahrzeugen bis zu
7,5 Tonnen auch weiterhin erlaubt. Aber um es auf den
Punkt zu bringen: Den freiwilligen Feuerwehren, den
technischen Hilfsdiensten und den Rettungsdiensten gehen langsam aber sicher die Fahrer aus. Denn junge
Leute machen in aller Regel nicht „mal eben so“ einen
zweiten Führerschein der Klasse C 1, also für Fahrzeuge
zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen. Aber weil selbst kleinere
Einsatzfahrzeuge in der Regel über 3,5 Tonnen wiegen,
besteht großer Handlungsbedarf.
Der Bundesrat hat nun angeregt, den Geltungsbereich
des Führerscheins der Klasse B für Einsatzkräfte automatisch auf Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen auszuweiten. Für
Fahrzeuge bis 7 Tonnen wiederum sollte die Fahrerlaubnis nach einer praktischen Unterweisung erteilt
werden. Die Bundesregierung wiederum hat einen
Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Prüfungsanforderungen zwar immer noch einfacher und kostengünstiger
als beim regulären C-1-Führerschein gestaltet werden
sollten. Aber beim Vorschlag des Bundesrates wären die
Rettungskräfte weit besser „gefahren“ - „gefahren“ hier
im wahrsten Sinne des Wortes. Umso erfreulicher, dass
wir am vergangenen Mittwoch im Verkehrsausschuss den
Gordischen Knoten durchtrennen konnten.
Wir haben uns auf einen guten Kompromiss geeinigt:
Für Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen wird nun eine verbandsinterne Schulung und Prüfung ausreichen. Die
Länder erhalten hier einen weiten Gestaltungsspielraum.
Für Einsatzfahrzeuge bis 7,5 Tonnen wird es eine Fahrberechtigung zu wesentlich erleichterten Bedingungen
geben. Die theoretische Ausbildung und Prüfung entfällt.
Ich will nicht verhehlen, dass viele von uns den freiwilligen Feuerwehren, technischen Hilfsdiensten und
den Rettungsdiensten gerne eine Sonderfahrerlaubnis
nach altem Recht, also bis 7,5 Tonnen, ermöglicht hätten.
Aber entscheidend ist: Wir haben eine gute Lösung
gefunden. Die Mobilität der freiwilligen Feuerwehren,
der technischen Hilfsdienste und der Rettungsdienste ist
gesichert.
Weniger dramatisch, aber im Grunde ebenso zukunftsweisend ist der Startschuss für ein Onlineverfahren für
das Kfz-Meldewesen. Im Jahr 2006 haben Bund und
Länder gemeinsam den Aktionsplan „Deutschland-Online“ verabschiedet. Ziel ist die Modernisierung der Verwaltung durch E-Governance, also die Bereitstellung
von Leistungen mithilfe moderner Informations- und
Kommunikationstechniken.
Was sich trocken anhört, ist ein großer Fortschritt,
nämlich die schrittweise Erweiterung der Amtsstube
durch neue Zugangsmöglichkeiten, Öffnungszeiten rund
um die Uhr und insgesamt mehr Bürgerfreundlichkeit.
Innovative Neuerungen der letzten Jahre werden aufgegriffen, genutzt und verbreitet. Deutschland ist ein innovatives Land, ein Land der Ideen, wie es zu Recht heißt.
Dieser Innovations- und Modernisierungsprozess betrifft
auch die öffentliche Verwaltung. Der Aktionsplan
„Deutschland-Online“ leistet auch hierzu einen
wichtigen Beitrag.
Ein bedeutender Teil dieser Initiative betrifft das KfzWesen. Das An-, Um- und Abmelden von Kraftfahrzeugen soll auch online möglich sein. Für die administrative Umsetzung sind das Bundesministerium des
Innern sowie die Finanzbehörde Hamburg federführend.
Wir wiederum schaffen für dieses Vorhaben die rechtlichen Grundlagen. Wir passen das Straßenverkehrsgesetz an und ermöglichen so dem Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ausnahmen zu den
bisher geltenden Regelungen bei der Fahrzeugregistrierung zu erlassen. Auf dieser Grundlage wiederum
können dann die Länder ermächtigt werden, für drei
Jahre Erfahrungen mit dem Onlinemeldewesen für Kraftfahrzeuge zu sammeln.
Dies dient in erster Linie der Rechtskonformität. Denn
das geltende Zulassungsrecht geht - kulturell-historisch
bedingt - wie selbstverständlich davon aus, dass Zulassungsverfahren über das Medium Papier abgewickelt
werden. Ohne eine entsprechende Anpassung des Straßenverkehrsgesetzes ist zu erwarten, dass die geplanten
Onlinezulassungsverfahren mit einzelnen Vorschriften
des Zulassungsrechts kollidieren.
Der erste Umsetzungsschritt ist dann die Einführung
von Pilotprojekten in einzelnen Ländern. Die Teilnahme
als Pilot ist freiwillig. Bis jetzt wollen Hamburg, BadenWürttemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen
daran teilnehmen. Bis Ende 2009 oder im Laufe des Jahres 2010 wird die neue Leistung in den Pilotländern
verfügbar sein.
Um es nochmals zu betonen: Die Möglichkeit des Onlinemeldewesens dient den Bürgerinnen und Bürgern.
Nach Informationen der Stadt Hamburg wurde im Vorfeld des Vorhabens wiederholt deutlich, dass vonseiten
der Bürger und Unternehmen großes Interesse besteht.
Denn so kann man sich Fahrzeugdokumente und
Schilder an einen Ort seiner Wahl liefern lassen. Das
spart Weg-, Warte- und Fahrtzeiten inklusive der dabei
entstehenden Kosten. Aber ebenso wichtig ist, dass das
onlinebasierte Kfz-Meldewesen als zusätzliche Option
zum herkömmlichen Meldewesen eingeführt wird. Menschen, die sich - aus welchen Gründen auch immer beim Umgang mit dem PC unwohl fühlen, können wie
bisher persönlich mit der örtlichen Meldebehörde in
Kontakt treten.
Der Datenschutz ist ebenfalls berücksichtigt: An der
Planung des Vorhabens ist das „Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein“ unmittelbar beteiligt. Wesentliche Punkte und Handlungsempfehlungen werden in einer Checkliste
zusammengefasst und den Pilotländen zur Verfügung gestellt. Auf dieser Grundlage kann dann jedes Pilotland
ein den eigenen Strukturen angepasstes Datenschutzkonzept erstellen, in der Regel mit Beteiligung des
jeweiligen Landesbeauftragten für Datenschutz.
Ein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung und mehr
Bürgerfreundlichkeit ist auch die Vereinfachung des Systems, mit dem im Verkehrszentralregister des Flensburger Kraftfahrtbundesamtes verkehrsrelevante Verfehlungen gespeichert werden. Je nach Art und Schwere eines Verstoßes entstehen - entsprechend der Bußgeldverordnung - ein bis sieben Punkte. Bei acht Punkten erfolgt
eine Meldung an die zuständigen Fahrerlaubnisbehörden und eine Verwarnung des Betroffenen, ab 14 Punkten
wird eine Nachschulung angeordnet und ab 18 Punkten
- als letzte Konsequenz - die Fahrerlaubnis entzogen.
Gleichzeitig erhält ein Betroffener eine Rückmeldung,
also eine Hilfestellung, um vorhandene Defizite zu erkennen und zu beheben. Damit dient das Punktesystem dem
Schutz vor Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern bzw. -haltern ausgehen. Es ist also ein Instrument zur Verbesserung der Verkehrsicherheit.
Allerdings kann das gegenwärtige Punktesystem diesem Anspruch nur bedingt gerecht werden. Denn insbesondere die komplizierten Berechnungen der verschiedenen Tilgungsfristen sind für die Verkehrsteilnehmer kaum
nachvollziehbar. So verfallen Punkte für Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich nach zwei Jahren, spätestens
nach fünf Jahren. Bei einfachen Straftaten wiederum beträgt die Verfallsfrist generell fünf Jahre, bei schweren
Straftaten im Straßenverkehr, wie etwa Alkoholstraftaten,
wiederum zehn Jahre. Gleichzeitig unterbleibt die Löschung von an sich tilgungsreifen Punkten, solange weitere, noch nicht tilgungsreife Eintragungen vorhanden
sind, wobei Punkte für Ordnungswidrigkeiten nur die Löschung von Ordnungswidrigkeiteneinträgen verhindern
können, während Straftatpunkte bis zu ihrer eigenen
Tilgungsreife die Tilgung aller anderen Punkteintragungen hindern können. Dies gilt zumindest so lange, bis
die besagte 5-Jahres-Grenze für Bußgeldpunkte erreicht
ist. Spätestens dann verfallen diese Punkte kraft Gesetzes
automatisch.
Zu Protokoll gegebene Reden
Spätestens hier ist der normale Verkehrsteilnehmer
nicht mehr informiert, sondern nur noch verwirrt. Aber
auch bei Behörden und Gerichten entstehen erheblicher
Verwaltungsaufwand und Auslegungsschwierigkeiten.
Selbst vom Kraftfahrtbundesamt wurde dies bei einem
gemeinsamen Besuch von Kollegen Volkmar Vogel und
mir in Flensburg klar bestätigt. Deutlich wurde auch der
47. Deutsche Verkehrsgerichtstag, der Anfang des Jahres
eine ganze Reihe von Verbesserungs- und Vereinfachungsmaßnahmen angeregt hat.
All dies zeigt: Eine Reform des Punktesystems ist dringend geboten. Darum ist es gut, dass der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig einem von
uns initiierten Antrag zugestimmt hat. Dies war ein entscheidender Anstoß zur Vereinfachung des Punktesystems. Das Bundesverkehrsministerium wird beauftragt,
einen Reformvorschlag auszuarbeiten. Die inhaltlichen
Leitlinien sollen sich weiterhin an einer je nach Schwere
eines Verstoßes gestaffelten Punktevergabe orientieren,
allerdings mit klaren Verfallsdaten für jede einzelne Tat.
Das übergreifende, positive Votum des Verkehrsausschusses war ein wunderbarer Auftakt. Und das heutige
Votum des Plenums ist ein hervorragender Startschuss
für mehr Transparenz des Punktesystems und eine höhere
Akzeptanz des Verfahrens.
Heute stehen zwei Gesetzentwürfe und ein Antrag zur
Abstimmung, die viele Bürgerinnen und Bürger in ihrem
Alltag und im Straßenverkehr direkt betreffen. Wir wollen
Pilotprojekte für die Onlineregistrierung von Kfz weiterentwickeln, die Punktesystematik des Verkehrszentralregisters in Flensburg vereinfachen und den freiwilligen
Feuerwehren, den technischen Hilfsdiensten und den
Rettungsdiensten vereinfachte Fahrberechtigungen für
ihre Einsatzfahrzeuge ermöglichen.
Zunächst zur Onlineregistrierung von Kfz. 2006 haben wir im Bund gemeinsam mit den Ländern den
„Aktionsplan Deutschland-Online“ beschlossen. Ziel ist
die Modernisierung und Beschleunigung von Verwaltungsvorgängen durch den Einsatz von Onlineverfahren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen zukünftig
bei der Fahrzeugzulassung Zeit, Kosten und Aufwand
sparen. Etwa 20 Millionen Vorgänge pro Jahr könnten
online angemeldet, umgemeldet und abgemeldet werden.
Um dies zu ermöglichen, sind rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen anzupassen. Unter Federführung der Freien und Hansestadt Hamburg hat eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit Unterstützung des Bundesministeriums des Innern entsprechende Konzepte erarbeitet.
In einem zweistufigen Verfahren soll den Bürgern ab
2010 eine Alternative zum bisherigen Behördengang angeboten werden. Diese basiert auf den bekannten Fahrzeugdokumenten und Kennzeichen und beruht im
Wesentlichen auf den bereits bekannten Geschäftsprozessen der Zulassungsbehörden. Die Erweiterung
besteht in der Kombination von internetbasierter Beantragung, dem optimalen Einsatz des elektronischen
Personalausweises und einer optimierten Logistikkette
für die Lieferung vom und zum Bürger. In der geplanten
zweiten Stufe sollen ab 2013 herkömmliche Fahrzeugdokumente durch elektronische Medien ersetzt werden.
Damit wird der Ausbau der Informationstechnologie aus
der ersten Stufe effektiv fortgeführt und der Dokumententransport mittelfristig auf elektronisch lesbare
Medien umgestellt.
Pilotprojekte gibt es in Hamburg, Baden Württemberg
und Nordrhein-Westfalen sowie in Bayern, und zwar in
meinem Wahlkreis Main-Spessart, das jedoch mangels
gesetzlicher Regelung nur sehr begrenzte Erleichterungen und Vereinfachungen bringt. Deshalb ist es notwendig, per Gesetz eine Ausnahmeregelung zu erlassen, die
es den Ländern erlaubt, zunächst befristet auf drei Jahre
die E-Government verfahren für die Zulassung anzuwenden.
Zur Vereinfachung des Punkteregisters in Flensburg.
Das Punktesystem des Verkehrszentralregisters in Flensburg ist uns allen wohl-, manchen übel bekannt. Bei
Verstößen im Straßenverkehr werden Strafpunkte vergeben, die im Verkehrszentralregister gespeichert werden.
Wird eine bestimmte Punktzahl erreicht, erhält der Fahrer eine Verwarnung oder muss an Maßnahmen wie
beispielsweise Aufbauseminaren teilnehmen. Als letzte
Konsequenz muss ein Fahrer seine Fahrerlaubnis - bei
Erreichen von 18 Punkten - abgeben.
Für die Betroffenen ist es aber nicht einfach, ihre Eintragungen selbst zu verfolgen, um sich über den Punktestand zu informieren. Zudem verlängern erneute Verstöße im Straßenverkehr den Ablauf und die Tilgung von
bereits registrierten Strafpunkten. Dabei spielt es keine
Rolle, um welche Art von Verstößen es sich handelt. Auch
bestehen Auslegungsschwierigkeiten bei den Gerichten
und Behörden. Hier ist es sinnvoll, Erleichterungen zu
erreichen. Wir folgen damit auch einer Empfehlung des
Verkehrsgerichtstages. So sollten die Tilgungsfristen
dahin gehend verändert werden, dass neue Verstöße
nicht mehr automatisch zu einer Verlängerung der
Tilgungsfristen von Verstößen aus der Vergangenheit führen.
Bei der Reform muss jedoch berücksichtigt werden,
dass das bestehende hohe Niveau der Verkehrssicherheit
erhalten bleibt. Das Punktesystem ist ein wesentliches Instrument zur Gewährleistung eines hohen Niveaus der
Verkehrssicherheit. Dies ist ausdrücklich mein Anliegen,
somit stehe ich nicht ein für eine Lockerung von Sanktionen für Verkehrsvergehen, wohl aber für mehr Transparenz des Verfahrens und für die Aufhebung der Ablaufhemmung wegen unterschiedlicher Tilgungsfristen. Die
Reform des Punktesystems wird meines Erachtens auch
schnell vorangehen, denn bereits im Herbst 2008 hat das
Verkehrsministerium Vorschläge zum Mehrfachtäterpunktesystem aufgegriffen.
Zum Führerschein für die freiwilligen Feuerwehren
und technischen Hilfsdienste. Es klappt, der „Feuerwehrführerschein“ kann kommen, und zwar in einer einfachen, aber verantwortlichen Weise, preisgünstig und
anwendungsorientiert. Das wollen wir mit dem Fünften
Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und
unserem Änderungsantrag sicherstellen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Kurz zur Historie: Am 1. Januar 1999 trat die 2. EGFührerscheinrichtlinie in Kraft, nach der ein Führerschein der Klasse B nur noch zum Führen von Fahrzeugen bis 3,5 Tonnen berechtigt. Die meisten Fahrzeuge
der Feuerwehren, der technischen Hilfsdienste und der
Rettungsdienste sind aber durch Aufbauten und Ausstattung immer schwerer geworden und überschreiten die
3,5-Tonnen-Grenze. Damit die Einsatzfähigkeit weiterhin
gewährleistet ist, war es notwendig, über eine Lösung
nachzudenken.
Zunächst setzte uns ein Antrag aus Bayern im Bundesrat, eine Sonderregelung für Fahrzeuge bis zu 4,25 Tonnen herbeizuführen, auf eine falsche Fährte. In intensiven Runden mit den Hilfsorganisationen wurde dann
schnell die Gewichtsklasse 4,75 Tonnen definiert, die
eine Vielzahl von Einsatzfahrzeugen abdeckt, aber auch
die Notwendigkeit der Fahrerlaubnis der Klasse C1 für
größere Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen.
Bundesweit sind im Brand- und Katastrophenschutz
mindestens 16 000 Fahrzeuge im Einsatz, die in diese
Kategorie fallen. Um deren Einsatzfähigkeit 24 Stunden
zu gewährleisten, werden für jedes Fahrzeug fünf oder
mehr Fahrer benötigt. Wir brauchen also insgesamt
einen Pool von 80 000 ehrenamtlichen Helfern, die in der
Lage sind, diese Fahrzeuge zu fahren und zu beherrschen. Das stellt die Verbände jetzt vor große Probleme,
zum einen geht es um die Ausbildung, zum anderen um
die Kosten.
Jedem ist klar: Wir sind in der Bundesrepublik im
Brandfall, bei Unfällen und Naturereignissen auf die
Einsatzfähigkeit der Feuerwehren, der technischen Hilfsdienste und der Rettungsdienste als Element unseres Katastrophenschutzes angewiesen. Der Einsatz der Menschen im Ehrenamt ist gar nicht hoch genug zu schätzen
und zu bewerten. Unsere besondere Anerkennung gebührt den Feuerwehren, dem Roten Kreuz, dem THW,
ASB, Johanniter, der DLRG, also den Hilfs- und Rettungsdiensten, die es schaffen, immer wieder junge Menschen für den Dienst am Nächsten und für die Allgemeinheit zu gewinnen.
Noch verfügen wir in Deutschland über eine große
Zahl von Nachwuchskräften im Ehrenamt, nicht zuletzt
dank der vorbildlichen Jugendarbeit der Vereine und
Verbände. Ich denke, wenn wir junge Menschen weiterhin für ehrenamtliche Aufgaben begeistern und gewinnen
wollen trotz der hohen Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt, der heutzutage erforderlichen Mobilität und der
veränderten Gewohnheiten der Freizeitgestaltung, müssen wir Anreize im Ehrenamt setzen. Auch dies war mir
ein wichtiger Aspekt bei der Regelung um den sogenannten Feuerwehrführerschein.
Vier Aspekte haben uns in der SPD-Fraktion dabei geleitet: Einsatzfähigkeit der Rettungs- und Hilfsdienste
erhalten, Verkehrssicherheit für die Helfer gewährleisten, Kostengünstigkeit wahren, Aufwertung des Ehrenamtes. Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes, dem Änderungsantrag der
Koalitionsfraktionen, der Verordnung zur Änderung der
Fahrerlaubnis-Verordnung und den Länderregelungen
wird es gelingen, eine praktikable und verantwortliche
Lösung zu entwickeln, die für die Kommunen als Aufgabenträger in einem finanzierbaren Rahmen bleibt.
Es wird eine Doppellösung geben: Mit dem jetzt vorliegenden Änderungsantrag von SPD und CDU/CSU eröffnen wir den Ehrenamtlichen die Möglichkeit, nach
einer internen Einweisung und Prüfung eine Fahrberechtigung zum Führen von Fahrzeugen bis 4,75 Tonnen
zu erhalten, also einfach und praktikabel. Die konkrete
Ausgestaltung wird den Ländern übertragen, die dem
Gesetzentwurf jetzt zügig zustimmen - der Bundesrat
stimmt am 10. Juli darüber ab - und ihn dann ebenso zügig in die Praxis umsetzen müssen.
Der große Wurf ist die neue Fahrberechtigung, die
zum Fahren von Einsatzfahrzeugen bis 7,5 Tonnen berechtigt. Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs
ermöglichen wir eine vereinfachte und anwendungsorientierte, aber externe fachliche Ausbildung und Prüfung, die dann das Führen von Fahrzeugen bis 7,5 Tonnen ermöglicht. Die Ausbildung und Prüfung wird
kostengünstig angeboten werden. Dies wurde zwischen
dem Bundesverkehrsministerium und den Einsatz- und
Fahrlehrerverbänden fest vereinbart. Nach zwei Jahren
kann die in der Feuerwehr bzw. in den Hilfsdiensten
abgelegte und bis dahin nur im Einsatz geltende Fahrberechtigung umgeschrieben werden. Dann erlangt die
Fahrerlaubnis allgemeine Gültigkeit und kann auch im
zivilen Verkehr genutzt werden.
Dies ist ein klares Signal pro Ehrenamt. Das sage ich
mit großer Überzeugung zu allen Kameradinnen und Kameraden in den Einsatz- und Hilfsorganisationen.
Es ist gelungen, eine unbürokratische Lösung zu finden, die allen Erfordernissen der Praxis entspricht.
Wenig nachvollziehen kann ich die Störmanöver aus
der bayerischen Landespolitik und von Kollegen der
CSU, die glaubten, sich aus der Verantwortung ziehen
und dem Bundesverkehrsminister den Schwarzen Peter
zuschieben zu können. Wiederholte Polemik von dieser
Seite wurde immer wieder in die Organisationen hineingetragen, was gelinde gesagt wenig hilfreich war. Sachgerechte Politik ist mit blankem Populismus nicht vereinbar. Mit vollkommen irrealen Vorschlägen wurden
Prozesslösungen gefährdet. So sollte die Fahrberechtigung ohne jede Art von Überprüfung der Fahrkenntnisse ausgegeben werden, sozusagen per Hand auflegen.
Dies widerspricht massiv allen verantwortlichen
Vorgaben der Verkehrssicherheit. Zudem wurde sehenden Auges ein Vertragsverletzungsverfahren mit der EU
provoziert; vermeintlich in Bayern als Heldenstück
aufführbar. Das ist unverantwortliche Politik und nützt
niemandem.
Tatsache ist, dass an runden Tischen, in den Fraktionen und mit dem Verkehrsminister konsequent eine
praktikable und unbürokratische Lösung erarbeitet
wurde, die wir heute auf den Weg bringen. Allen, die
positiv mitgewirkt haben - so auch der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Dr. Hans-Peter
Friedrich - und die diese Lösung nun positiv vertreten,
danke ich herzlich.
Zu Protokoll gegebene Reden
Eine Schlussbemerkung in meiner letzten Rede im
Deutschen Bundestag sei mir erlaubt. Die Verkehrssicherheit war mein Fachgebiet. Ich habe, nicht immer zur
Begeisterung aller, die Verbesserung der Verkehrssicherheit als immerwährende Aufgabe verstanden und zu einem ständigen Thema gemacht. Ein wichtiger Aspekt der
Verkehrssicherheit ist der Einsatz der Rettungs- und
Hilfsdienste nach einem Unfallgeschehen. Somit fügt es
sich heute für mich , dass wir deren Einsatz in besonderer
Weise hervorheben können. Mit dem Einsatzführerschein
für Menschen, die ihren Dienst für die Allgemeinheit
erfüllen, und der Möglichkeit, diesen Einsatzführerschein nach zwei Jahren auch für den Allgemeingebrauch zur Verfügung zu haben, können wir eine werthaltige Anerkennung gewähren.
Diese Große Koalition ist ausgebrannt, und deshalb
ist es gut, dass sie mit Ablauf dieses Sitzungstages endet
und nicht weiter die wichtigen Entscheidungen, auf die
die Bürgerinnen und Bürger warten, über Monate mit
Streitereien blockiert. Sankt Florian muss schockiert
sein, wenn er das Treiben der Koalitionsfraktionen beim
sogenannten Feuerwehrführerschein beobachtet hat.
Es ist weit mehr als ein halbes Jahr her, dass die Forderung nach Erleichterungen der Führerscheinbedingungen für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren
erhoben wurde. Die FDP-Fraktion hat als erste Fraktion
im Deutschen Bundestag für ausgewogene Veränderungen geworben. Nun liegt nach monatelangem
Koalitionsgezänk ein Gesetzentwurf vor, der den Belangen der Feuerwehren und der Straßenverkehrssicherheit
gerecht wird und die europarechtlichen Anforderungen
erfüllt.
Wichtig ist mir dabei besonders, dass wir eine unbürokratische Regelung für die kleineren Einsatzfahrzeuge
bis zu 4,75 Tonnen bekommen, wie wir das auch gefordert haben. Im Gewichtsbereich bis zu 7,5 Tonnen bleibt
aber eine professionelle Führerscheinausbildung bestehen, die sich stärker an den Bedingungen der Einsatzfahrzeuge und -fahrten orientiert. Das ist zum einen
wegen der europarechtlichen Vorgaben erforderlich.
Zum anderen wäre es nicht richtig, die straßenverkehrsrechtliche Verantwortung auf den „Ausbildungsfahrten“
im Rahmen einer Laienausbildung auf die erfahreneren
Ehrenamtlichen zu verlagern.
Dass Sie, meine Damen und Herren von der Großen
Koalition, für das Aufschreiben dieses Vorschlags so
lange gebraucht haben, ist für mich nur schwer verständlich. Die Art und Weise, in der Sie sich in dieser Diskussion über Wochen gestritten haben, ist allerdings symptomatisch für den Zustand dieser Koalition.
Auch wenn die nun gefundene Lösung in materieller
Hinsicht auch die Unterstützung der Liberalen findet,
teilen wir nicht ihre Art der Umsetzung. Wir hätten uns
eine bundesweit einheitliche Lösung gewünscht. Stattdessen hat sich der Bundesverkehrsminister in die
Schmollecke zurückgezogen, weil er offenbar nicht bereit
war, mehr als gerade nötig auf eine Forderung des Bundesrates einzugehen.
Eine Umsetzung der Regelung in den Ländern hat
keine ersichtlichen Vorteile, bringt aber Probleme mit
sich. Es gibt noch viele offene Fragen, damit sich die ehrenamtlichen Einsatzkräfte nicht während eines Einsatzes in einem Zustand der straßenverkehrsrechtlichen
Rechtsunsicherheit wiederfinden, wenn 16 Landesverordnungen zum sogenannten Feuerwehrführerschein erlassen werden. Unklarheiten gibt es zum Beispiel, wenn
ein Einsatzfahrzeug in einem Einsatz die Landesgrenze
überquert und das Zielland keine Regelung erlassen hat
oder Umzüge in ein anderes Bundesland anstehen. Wie
wird dann mit dem Feuerwehrführerschein verfahren?
Nun will ich zum Thema Punkte kommen. Die Koalition beabsichtigt dieses Mal ausnahmsweise nicht, die
Punktetatbestände auszuweiten. Das beruhigt mich
schon. Wir sind anderes gewöhnt. Wenn es für verfehlte
Straßenverkehrspolitik Punkte gäbe, hätten Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition,
schon das eine oder andere Aufbauseminar absolvieren
müssen. Da bin ich mir sicher. Nein, dieses Mal findet Ihr
Anliegen die Unterstützung der Liberalen. Der Deutsche
Verkehrsgerichtstag hat in diesem Jahr die Anregung zur
Reform des Punktesystems gegeben. Es ist richtig, für
mehr Transparenz zu sorgen und das System überschaubarer zu machen. Wir begrüßen das ausdrücklich.
Ich will aber nicht verschweigen, dass sich die Liberalen einen weitergehenden Ansatz gewünscht hätten. Besonders in den letzten Jahren haben wir erlebt, dass neue
Verkehrsvorschriften - meistens Verbote, denn hiervon
ist die Verkehrspolitik der rot-grünen und auch der
schwarz-roten Bundesregierungen geprägt gewesen mit Punkteintragungen versehen worden sind. Das hat
inzwischen dazu geführt, dass der Punktekatalog in sich
nicht mehr stimmig ist. Ich will Ihnen ein Beispiel
nennen: Wenn kein einziges Einfahrtverbot in eine Straße
mit einem Punkt bewehrt ist, die unerlaubte Einfahrt in
eine Umweltzone aber selbst dann mit einer Punkteintragung geahndet wird, wenn das Fahrzeug gar keinen
Dieselruß ausstößt, dann stimmt etwas nicht bei der
Administration der Umweltzonen. Dann muss man feststellen, dass wir die Stringenz des Punktesystems insgesamt überprüfen müssen.
Eine Neubewertung der Verkehrsverstöße anhand ihrer straßenverkehrsrechtlichen Gefährlichkeit für andere
Verkehrsteilnehmer wäre aus Sicht der FDP-Fraktion
daher dringend erforderlich. Dabei muss man auch darüber nachdenken, ob wiederholte schwere Verkehrsverstöße nicht stärker als bisher zu Buche schlagen sollten.
Außerdem plädiere ich dafür, im Rahmen der Umstellung
des Systems alle Einträge mit nur einem und zwei
Punkten zu löschen, weil diese auf geringfügigen Verstößen beruhen, die zum Teil nach der Neubewertung der
Verkehrsverstöße nicht mehr mit einem Punkteintrag geahndet würden.
Auch beim freiwilligen Punkteabbau muss sich etwas
verändern. Bislang besteht die einzige Möglichkeit zum
Punkteabbau in der Teilnahme an einem Aufbauseminar.
Das überzeugt mich nicht. Der Grund für die Eintragung
des Punktes liegt in einer Gefährdung der Verkehrssicherheit durch den begangenen Verkehrsverstoß. Wenn
Zu Protokoll gegebene Reden
der Fahrer einen anderen Beitrag zur Steigerung der
Verkehrssicherheit leistet, muss auch dann eine vorzeitige freiwillige Tilgung von Punkten in Betracht kommen.
Es ist allgemein anerkannt, dass zum Beispiel Fahrsicherheitstrainings einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Eine simulierte Alkoholfahrt
trägt zur Vermeidung von Alkoholfahrten bei, weil den
Fahrern die Unfallgefahr bei Alkoholfahrten vor Augen
geführt wird.
Eines muss aber auch klar sein: Der Abbau durch die
Teilnahme an Sicherheitstrainings muss stark begrenzt
sein, damit diese nicht zum Freifahrtschein für Verkehrsverstöße wird. Aber es können auf diese Weise Anreize
für die Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining
gesetzt werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir
die Abbaumöglichkeiten ausweiten sollten, weil wir damit die Verkehrssicherheit erhöhen können.
Der neue Führerschein der Klasse B hat einen Haken.
Nur Autos bis 3,5 Tonnen dürfen damit bewegt werden anders als mit dem alten Führerschein Klasse 3. Da
hagelte es Proteste der freiwilligen Helfer, der Feuerwehrleute, der Retter beim Katastrophenschutz und bei
den technischen Diensten. Dort gibt es nämlich viele
Autos mit weit höherem Gewicht. Insofern war es gut,
dass die Oppositionskollegen der FDP Abhilfe gefordert
haben. Leider aber sind Sie mit ihrem Antrag zu kurz gesprungen: Ausnahmen lediglich für Autos bis 4,25 Tonnen reichen nicht. Deshalb wurde hinter den Kulissen gearbeitet, und jetzt steht im Regierungsentwurf sogar eine
Gewichtsgrenze von 7,5 Tonnen. Damit können alle freiwilligen Helfer gut leben. Die Linke ist dafür.
Zustimmung vonseiten der Linken auch für mehr
Transparenz in der Punktekartei. Flensburg, das heißt
für manche drohendes Fahrverbot, für andere vorbeugende Sicherheit. Diesem Gegensatz hat sich auch der
Verkehrsgerichtstag in Goslar gestellt. Und dessen Empfehlungen umzusetzen, wird mit dem Antrag der Koalition gefordert. Für Betroffene, Anwälte und Behörden
soll der Kontakt zum Flensburger Register künftig
einfacher werden. Außerdem soll geprüft werden, ob
jeder Neueintrag weiterhin bedeutet, dass die Fristen zur
Tilgung der schon vorhandenen Eintragungen gestreckt
werden. Begründet wird das mit Floskeln wie Verwaltungsvereinfachung und Bürokratieabbau. Da ist für
Linke zunächst immer Wachsamkeit geboten. Trotzdem
kann die rote Warnlampe hier gleich wieder ausgeschaltet werden. Die Koalition bezieht sich explizit auf
die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages. Ansonsten
bleibt sie so vage, dass sogar die Linke zustimmen kann.
Dass der Punktekatalog nicht gerade übersichtlich ist,
ist nicht zu bestreiten. Und dass Auskünfte nur auf dem
Postweg erteilt werden, dazu Formular und Kopie des
Personalausweises einzusenden sind, ist sicher nicht der
einfachste Weg. Andererseits hätten sicherlich viele
etwas dagegen, wenn die Punkte im Internet frei für alle
zu zählen wären. Gewisse Sicherheiten sollten sein.
Eine Schwachstelle aber weist der Antrag auf, und
darauf möchten wir hinweisen. Derzeit gibt es für die
Tilgungsfrist der Punkte drei Stufen. Diese will die Koalition nun dahin gehend prüfen, ob die Fristen je nach
Verkehrsverstoß gesondert festgelegt werden. Im Gegenzug könnte die Verlängerung bei Neueinträgen entfallen.
Das kann zwar gemacht werden, könnte aber „Vergrößerung der Transparenz des Punktesystems“ oder „Verwaltungsvereinfachung“ konterkarieren. Da muss die Linke
fragen, ob die Koalition nicht etwa beabsichtigt, Flensburger Punkte schneller abzubauen und so das System zu
schwächen. Da würden wir nicht mitgehen. So weit aber
gehen Sie noch nicht. Jetzt soll geprüft werden. Da gehen
wir mit. Beim dritten Straßenverkehrsthema, das hier beraten wird, geht es nicht um Registrierung von Fahrern,
sondern um Registrierung von Fahrzeugen: um Onlinetechniken und deren Erprobung. Dazu soll das Bundesverkehrsministerium die Landesregierungen ermächtigen, Ausnahmeregelungen zuzulassen. Und hier enthält
sich die Linke. Wir teilen die Bedenken des Bundesrats:
Durch Pilotprojekte dürfen:
keine Auswirkungen auf das Zulassungsverfahren
außerhalb der Länder eintreten, in denen Pilotprojekte durchgeführt werden, sei es dadurch, dass
dort Daten zeitaufwendig von Hand in das entsprechende System eingepflegt werden müssen, oder
aber über Ausnahmeregelungen hinsichtlich der
Zuständigkeit die finanziellen und personellen Planungen von Zulassungsbehörden ad absurdum geführt werden.
So die Bundesratsdrucksache 329/1/09.
Zudem gibt es offenbar schon ein Feinkonzept für das
E-Government in der Autozulassung. Darauf bezieht sich
die Bundesratsempfehlung. Die Initiatoren des Gesetzes
aber hielten es nicht für nötig, das Feinkonzept mit darzulegen. Das ist nicht redlich. Deshalb kann sich die
Linke zu diesem Gesetz nur der Stimme enthalten.
Doch auch wenn die Katze im Sack bleibt: Bei den
Pilotprojekten dürfen Dritte keinerlei Zugriff auf Daten
haben. Die Bahnspitzelaffäre hat gezeigt: Detekteien
kommen an solche Daten. Ich frage mich: Wird das künftig leichter? Und die Betrugssicherheit? Bei der Abwrackprämie wurde von krimineller Energie gesprochen,
sodass die Regierung nachgebessert hat und jetzt
Originalfahrzeugpapiere einzusenden sind. Dem wäre
bei Onlineregistrierungen wohl nicht so. Wird dem Betrug dann wieder Tür und Tor geöffnet?
Wie haben heute über drei relativ unterschiedliche
Vorlagen zu entscheiden: einen Antrag und zwei Gesetzentwürfe zum gleichen Gesetz, nämlich dem Straßenverkehrsgesetz, zu entscheiden. Ich möchte zunächst auf den
Antrag bezüglich der Punktesystematik des Verkehrszentralregisters und dann auf das Sechste Gesetz zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes eingehen, um
meinen Beitrag mit dem Fünften Gesetz zur Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes zu beenden.
Die Punktesystematik des Verkehrszentralregisters in
Flensburg hat sich als Instrument zur Gewährleistung
der Verkehrssicherheit bewährt. Das heißt aber nicht und das gilt für die Verkehrssicherheit in Deutschland
insgesamt -, dass das System nicht noch verbessert werZu Protokoll gegebene Reden
den kann. Denn viele Autofahrerinnen und Autofahrer
verstehen nicht, für welche Vergehen sie wie viele Punkte
bekommen und - vor allem - wie lange diese erhalten
bleiben. Das gilt erst recht für die Autofahrerinnen und
Autofahrer, die wegen ihres guten Fahrverhaltens noch
keine Erfahrung mit Punkten gemacht haben. Daher begrüße ich diesen Prüfauftrag, und ich bin gespannt,
welche Änderungen uns von der Bundesregierung vorgeschlagen werden. Ob wir diesen zustimmen können, wird
sich erst dann zeigen.
Es ist schon erstaunlich wie experimentierfreudig eine
Regierungskoalition sein kann, wenn das Ende der
Legislaturperiode naht. Ich wünschte mir, dass das in anderen Bereichen der Verkehrspolitik in den vergangenen
Jahren ebenso gewesen wäre. Einer Erprobung neuer
Verfahrensweisen mit Hilfe von Onlineprozessen für die
Registrierung von Fahrzeugen auf dem Wege einer Experimentierklausel wird die grüne Bundestagfraktion
ganz bestimmt nicht im Wege stehen.
Beim fünften Änderungsgesetz zum Straßenverkehrsgesetz hat die Bundesregierung wie so oft bis zur letzten
Minute gewartet. Das Problem mit den Fahrerlaubnissen
besteht doch schon seit 1999. Heute schreiben wir das
Jahr 2009. Warum ist da nichts geschehen, obwohl es
doch um die Fahrerinnen und Fahrer geht, die tagtäglich
für unser aller Sicherheit im Einsatz sind?
Die vielfach ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer
des Katastrophenschutzes, der Feuerwehren und des Rettungswesens benötigen für ihre Einsätze Fahrzeuge, die
schwerer als 3,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht und
zum Teil sogar schwerer als 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht sind. Nach neuem Recht brauchen sie die
Fahrerlaubnis der Klasse C1 oder C, wenn sie ihre Fahrerlaubnis erst nach dem 1. Januar 1999 erhalten haben
und daher nicht aus dem Bestandschutz Nutzen ziehen
können. Jeder von uns will aber, dass sich unsere Retterinnen und Retter sicher bei ihren Alarmeinsätzen mit
ihren Fahrzeugen auf unseren Straßen bewegen; denn
ein verunfalltes Rettungsfahrzeug erreicht sein Ziel nicht
und bindet zudem andere Rettungskräfte, die am eigentlichen Einsatzort dann nicht zur Verfügung stünden. Ich
gehe jedoch davon aus, dass die Akteure vor Ort die Erfahrungen haben und am besten wissen, wie sie sicher
zum Einsatzort kommen und wie sie das auch vermitteln
können. Wichtig ist für mich, dass der Fahrer eines Rettungsdienstes wie jeder andere, der ein Fahrzeug steuern
will, eine praktische Fahrprüfung mit dem Prüfungsfahrzeug der jeweiligen Klasse erfolgreich absolvieren muss.
Da das mit dieser Gesetzesänderung gewährleistet ist,
stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wollte ich
diese meine letzte Rede noch im Plenum halten. Angesichts der langen Tagesordnung und einer Folgeveranstaltung ist mir dieser letzte Schlussstein wohl nicht mehr
vergönnt. Aber ich trage es mit Fassung, denn ich hatte
ja schon mehrfach Gelegenheit, mich bei euch und Ihnen
zu bedanken und zu verabschieden. Ich danke bei dieser
Gelegenheit Toni Hofreiter, der mir seine Redezeit abgetreten hat; es war auf jeden Fall einen Versuch wert.
Schließlich habe ich 2002 mit Verkehrsthemen begonnen.
Da ist es schlüssig, wenn ich 2009 mit einem Verkehrsthema aufhöre.
Für mich waren es sieben spannende, aufregende,
aber auch anstrengende Jahre, die ich nicht vergessen
werde, und in denen ich viele Kolleginnen und Kollegen
aus den anderen Fraktionen schätzen gelernt habe. Wenn
uns auch manchmal inhaltliche Differenzen trennten, im
Umgang miteinander war der Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung immer menschlich und
anständig, einfach eine tolle Truppe. Zu einigen von euch
werde ich sicherlich engeren Kontakt halten können,
andere werde ich bei anderen Gelegenheiten sicherlich
wiedersehen, wiederum andere werde ich vielleicht ganz
aus den Augen verlieren, ganz wie im richtigen Leben.
Ich wünsche mir besonders, dass auch in der kommenden Legislaturperiode dieser Ausschuss federführend für
die Belange der ostdeutschen Bundesländer bleibt; denn
er war viel besser als sein Ruf. Die zahlreichen Debatten
in unserem Ausschuss - dafür leider zu wenige im
Plenum und die noch dazu zu schlechten Tageszeiten waren von einer hoher Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit
geprägt. Es ging oft um ganz andere Themen als Verkehrsinfrastruktur oder Stadtumbau Ost. Es gelang uns
immer wieder, auch die westdeutschen Kollegen für unsere Themen zu interessieren. Wir brauchen daher auch
in Zukunft die Zuständigkeit dieses Ausschusses, damit er
sich auch weiterhin dieser wichtigen Querschnittsaufgabe annimmt. Das Thema ist zu wichtig, um es bloß der
Exekutive überlassen zu dürfen.
Den vielen Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses, die dem 17. Deutschen Bundestag nicht mehr angehören werden, wünsche ich einen reibungslosen Übergang in ihr neues Leben, viel Glück, Gesundheit und
mehr Zeit für sich selbst und ihre Liebsten. Denjenigen,
die weitermachen, wünsche ich viel Kraft und Freude für
diese wichtige Aufgabe und viele nette neue Kolleginnen
und Kollegen im 17. Deutschen Bundestag.
Der Ihnen vorliegende Entwurf eines 5. Gesetzes zur
Änderung des StVG wird die Nachwuchsprobleme der
Freiwilligen Feuerwehren und Rettungsdienste schnell
und pragmatisch lösen können. Derzeit können nur ältere
Fahrerlaubnisinhaber, die vor dem 1. Januar 1999 ihre
Fahrerlaubnis erworben haben, auch heute noch schwerere Fahrzeuge mit dem bisherigen Führerschein der
- alten - Klasse 3 fahren. Nunmehr müssen jüngere Fahrer nachrücken, die aber nicht mehr über die benötigte
Fahrerlaubnis verfügen.
Grund für diese Entwicklung ist die 2. EG-Führerscheinrichtlinie, mit der die Fahrerlaubnisklassen zum
1. Januar 1999 europaweit harmonisiert wurden. Seither
dürfen mit einer Pkw-Fahrerlaubnis der Klasse B nur
noch Kraftfahrzeuge bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 3,5 Tonnen gefahren werden. Für Kraftfahrzeuge zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen ist seitdem eine Fahrerlaubnis der Klasse C1 und für
Kraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen eine Fahrerlaubnis der
Klasse C erforderlich. Aus diesem Grund ist auch die
Zu Protokoll gegebene Reden
Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick:
ursprünglich vom Bundesrat in seiner Entschließung
vom 7. November 2008 geforderte Lösung nicht EGrechtskonform. Das Fahren von Einsatzfahrzeugen bis zu
einer Gesamtmasse von 4,25 Tonnen ohne weitere Ausbildung und Prüfung entspricht nicht den strengen
Vorgaben aus Brüssel.
Die Bundesregierung hat deshalb mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf die notwendigen Vorschriften
für die Aufnahme einer speziellen Fahrberechtigung für
Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren, der Rettungsdienste und der technischen Hilfsdienste eingebracht.
Die neue Fahrberechtigung macht es möglich, Einsatzfahrzeuge bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von
7,5 Tonnen auf der Grundlage einer EG-rechtlich vorgeschriebenen, spezifischen Ausbildung und Prüfung zu
fahren. Damit gehen wir sogar deutlich über die vom
Bundesrat geforderten 4,75 Tonnen hinaus.
Die neuen Regelungen, die in das Straßenverkehrsgesetz, StVG, und die entsprechende Ausführungsverordnung, die Fahrerlaubnis-Verordnung, aufgenommen werden sollen, enthalten folgende Neuerungen: die
Einführung einer „einfachen“ Fahrberechtigung bis
4,75 Tonnen, die im Rahmen einer organisationsinternen
({0})Ausbildung mit anschließender interner
praktischer Prüfung erworben werden kann, - die Befug-
nis zur Regelung der Ausbildung und Prüfung wird un-
mittelbar auf die Länder übertragen -; zudem die Ein-
führung einer „qualifizierten“ Fahrberechtigung bis
7,5 Tonnen mit einer verkürzten praktischen Ausbildung
in den Fahrschulen und einer praktischen Prüfung bei
den Prüforganisationen. Durch die Verringerung des
Umfangs der theoretischen Ausbildung und Prüfung so-
wie wenige vorgeschriebene Sonderfahrten kommt es zu
einer spürbaren Reduzierung der Kosten und des zeit-
lichen Aufwandes. Je nach Stundenzahl soll ein solcher
„Feuerwehrführerschein“ zwischen circa 300 Euro und
600 Euro kosten. Hinzu kommt eine Prüfungsgebühr von
rund 120 Euro.
Damit liegen wir deutlich unter den 1 000 Euro, mit
denen wir vor drei Monaten als Zielvorgabe gestartet
sind. Dabei möchte ich hervorheben, dass diese „qualifi-
zierte“ Fahrberechtigung nach zwei Jahren in eine allge-
meine Fahrberechtigung der Klasse C1 prüfungsfrei
umgetauscht werden kann, die dann auch privat und vor
allem beruflich genutzt werden kann.
Über diese Eckpfeiler der neuen Fahrberechtigung ist
in den vergangenen Wochen auch bei dem von BM
Tiefensee ins Leben gerufenen Runden Tisch intensiv und
durchaus kontrovers diskutiert worden. An diesem
Runden Tisch haben neben den Fachleuten meines
Hauses auch das zuständige Innenministerium, alle be-
troffenen Verbände, die Prüforganisationen TÜV und
DEKRA, die Fahrlehrerschaft und die Bundesländer teil-
genommen. Dort konnten wir auch die zuletzt aufgekom-
mene Frage einer „Anhängerregelung“ bis 1,5 Tonnen
ohne rechtliche Änderungen für die sogenannten weißen
Verbände wie die DLRG, das DRK und die Johanniter
pragmatisch lösen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird einerseits
der schmale, EG-rechtlich zulässige Grat ausgeschöpft
und andererseits den Belangen der ehrenamtlich tätigen
Angehörigen der freiwilligen Feuerwehren, der Ret-
tungsdienste und der technischen Hilfsdienste schnell
und pragmatisch Rechnung getragen. Im Interesse unse-
rer ehrenamtlich tätigen Mitbürgerinnen und Mitbürger
bitte ich Sie daher, dem 5. Gesetz zur Änderung des Stra-
ßenverkehrsgesetzes zuzustimmen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die dringend erfor-
derliche Reform des Punktesystems. Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, ich bin Ih-
nen dankbar, dass Sie gemeinsam mit meiner Fraktion
diesen wegweisenden Entschließungsantrag auf den Weg
bringen. Kaum ein Thema bewegt die Verkehrsteilneh-
mer im Alltag so sehr, wie die sogenannte Verkehrssün-
derkartei in Flensburg. So wichtig wie das seit 1999
geregelte Verkehrszentralregister auch ist, so unüber-
sichtlich sind zwischenzeitlich die rechtlichen Folgen.
Komplizierte Fristenberechnungen, die nicht nur von der
Schwere des Verkehrsverstoßes abhängen, sondern auch
von dem Umstand, ob es in einem bestimmten Zeitraum
zu weiteren Eintragungen in das Register gekommen ist,
erschweren das Verfahren für alle Beteiligten. Weder die
Bürgerinnen und Bürger, noch die Verwaltungsbehörden
und sogar die Gerichte können die teilweise hochkompli-
zierten Fristenberechnungen nachvollziehen und bewer-
ten, sodass eine Vereinfachung des gesamten Punktesys-
tems dringend geboten ist. Auch der Verkehrsgerichtstag
in Goslar hat sich ja in diesem Jahr der Thematik ange-
nommen und entsprechende Gesetzesänderungen emp-
fohlen.
Klar ist dabei aber auch, dass ein reformiertes Punk-
tesystem als Instrument zum Erhalt des hohen Niveaus
der Sicherheit im Straßenverkehr dienen muss und Mehr-
fachtäter nicht bessergestellt werden dürfen. Was wir
nicht wollen, ist ein Verkehrssünderrabatt. Es gibt keine
Abstriche bei den Tilgungsfristen. Ich bitte Sie daher, im
Interesse aller Verkehrsteilnehmer dem vorliegenden
Entschließungsantrag zuzustimmen.
Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben
2006 den Aktionsplan „Deutschland-Online“ beschlos-
sen. Ziel ist die Modernisierung der Verwaltung unter
Nutzung von E-Government. Das Vorhaben Kfz-Wesen ist
ein wichtiger Bestandteil dieses Aktionsplans: Die Regis-
trierungsprozesse von Fahrzeugen sollen danach unter
Nutzung der Möglichkeiten von E-Government neu
ausgerichtet werden.
Da es insoweit in erster Linie um Verwaltungsver-
fahrensfragen geht, wird das Projekt unter der Feder-
führung des BMI und der Freien und Hansestadt
Hamburg durch die Finanzbehörde Hamburg betrieben.
Die Vorstellungen Hamburgs haben jedoch auch unmit-
telbare Auswirkungen auf das Zulassungsrecht, sodass
das BMVBS und die Verkehrsministerkonferenz um Un-
terstützung des Deutschland-Online-Projekts „Kfz-We-
sen“ gebeten wurden. Diese wurde zuletzt Ende April an-
lässlich der VMK zugesagt.
Dabei ist klar: Erfolgreich kann das Projekt nur sein,
wenn eine enge fachliche Einbindung der Verkehrsseite
gelingt. Ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis für den
Bürger und die Verwaltung ist eine der maßgeblichen
Zu Protokoll gegebene Reden
Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick:
Voraussetzungen. Gleichzeitig dürfen Verkehrssicher-
heits-, Steuer- und Versicherungsfragen nicht außer Acht
gelassen werden. Dies alles unter einen Hut zu bekom-
men, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.
Als wichtigem Schritt zur Verwirklichung wurde bei
der letzten VMK Ende April dem sogenannten Fein-
konzept Hamburgs zugestimmt. Durch Pilotprojekte in
Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-
Westfalen soll danach die möglichst weitgehende
Nutzung von Onlineprozessen für die Fahrzeug-
registrierung erreicht werden. Um das vorgesehene
Pilotprojekt in Hamburg durchzuführen, sind nach Auf-
fassung der Finanzbehörde Hamburg jedoch dort
Abweichungen von den Vorschriften zur Fahrzeug-
zulassung erforderlich. Dazu haben wir, das BMVBS,
zugesagt, eine befristete Experimentierklausel in das
StVG einzubringen und unseren konstruktiven Beitrag zu
leisten: § 6 StVG wird um einen neuen Abs. 6 ergänzt.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung wird ermächtigt, eine Ausnahmeregelung zu
erlassen, die es den Ländern auf drei Jahre befristet
gestattet, zur Anwendung von E-Government ihrerseits
Ausnahmen von Regelungen für die Zulassung von Fahr-
zeugen zu treffen. Ich bitte Sie, diesem Gesetz zuzustim-
men.
Weitere Details und auch mögliche Grenzen müssen
dann anschließend in einer Verordnung festlegt werden.
Dies kann dann folgen, wenn die Einzelheiten der Pilot-
projekte feststehen. Wir erwarten hierzu insbesondere
aus Hamburg eine konkrete und mehrheitsfähige Zuar-
beit.
Unser rasch erarbeiteter Gesetzesvorschlag belegt:
Das Projekt D-Online wird vom BVMBS aktiv unter-
stützt. Einzelne Zielsetzungen im Feinkonzept, etwa die
zu prüfende Abschaffung von Zulassungspapieren und
Siegeln auf Kennzeichen, die von der Projektgruppe vor-
geschlagen wurden, um in Zukunft eine gänzlich medien-
bruchfreie Onlinezulassung zu ermöglichen, bedürfen
aber noch vertiefter fachlicher Diskussionen, die mit der
Verkehrs- und Innenseite bislang nicht geführt wurden.
Dies betrifft in gleicher Weise Ansätze im Konzept zur
Privatisierung. Klar ist ebenfalls, dass es bei der Ver-
kehrssicherheit keine Abstriche geben darf.
Der verstärkte Einsatz moderner Computertechnolo-
gie im Zulassungswesen ist schon seit Jahren ein
wichtiges Thema des BMVBS. Wir haben in diesem Be-
reich schon erhebliche Beiträge und Vorleistungen
erbracht. So ersetzt seit dem 1. März 2008 die elektroni-
sche Versicherungsbestätigung auf Abruf, eVB, den bis
dahin ausschließlich in Papierform erbrachten Nachweis
über das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung.
Anstelle einer Papierversicherungsbestätigung erhält
der Kunde durch seine Versicherung nun eine siebenstel-
lige Versicherungsbestätigungsnummer, VB-Nummer.
Durch dieses Verfahren können die Warte- und Bearbei-
tungszeiten in den Zulassungsstellen verkürzt werden.
Gleichzeitig werden Missbräuche mit „Doppelkartenrei-
terei“ zum Nachteil der Versicherungswirtschaft vermie-
den.
Noch in diesem Herbst wollen wir die Onlineanbin-
dung der Zulassungsbehörden an das Zentrale Fahrzeug-
register, ZFZR, starten. Die Zulassungsstellen können
schon bald Mitteilungen über die Zulassung von Fahr-
zeugen direkt in das ZFZR einstellen. Das ZFZR wird
dann 100 Prozent aktuell. Außerdem werden so die Vo-
raussetzungen dafür geschaffen, um künftig auf die örtli-
chen Fahrzeugregister zu verzichten.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/13616, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 16/13108 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, mögen das mit einem Handzeichen
kundtun. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei
Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die
Fraktion Die Linke; FDP und Bündnis 90/Die Grünen
haben sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen
mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher.
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Ände-
rung des Straßenverkehrsgesetzes. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13617, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/
13109 anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, mögen das mit ihrer Hand anzei-
gen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zuge-
stimmt haben CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen; die Fraktion Die Linke hat sich enthalten;
dagegen war niemand.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter
Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher
angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit
dem Titel „Punkte-Systematik des Verkehrszentralregis-
ters in Flensburg einfacher und verständlicher gestalten“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13407, den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12993
anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe Tagesordnungspunkte 75 a und b auf:
a) - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität
- Drucksachen 16/13123, 16/13185 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung des Abkommens
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika vom
1. Oktober 2008 über die Vertiefung der
Zusammenarbeit bei der Verhinderung und
Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität
- Drucksachen 16/13124, 16/13186 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 16/13659 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Wolfgang Gunkel
Jan Korte
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,
Christian Ahrendt, Ernst Burgbacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Staaten
von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und
Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität
neu verhandeln
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck ({2}), Alexander
Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein uferloser Datenaustausch mit den USA
- Drucksachen 16/9094, 16/9360, 16/13659 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Wolfgang Gunkel
Jan Korte
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Um-
setzung des Abkommens liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP vor.
Ihre Reden zu Protokoll haben gegeben Clemens
Binninger, Wolfgang Gunkel, Gisela Piltz, Jan Korte und
Wolfgang Wieland.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ab-
kommen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei
der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender
Kriminalität.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13659,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 17/13123 und 16/13185 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppositions-
fraktionen sowie der Abgeordnete Tauss haben dagegen
gestimmt.
Unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13659 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Die Koalitionsfraktionen haben zugestimmt, die Opposi-
tionsfraktionen dagegen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung des Abkom-
mens mit den Vereinigten Staaten von Amerika über die
Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung
und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13659, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
16/13124 und 16/13186 anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/13697 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer ist für diesen Änderungsantrag? - Wer
ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag
ist bei Zustimmung durch die FDP-Fraktion und
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt; Die Linke, SPD und
CDU/CSU haben dagegen gestimmt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitions-
fraktionen angenommen. Die Oppositionsfraktionen und
der Abgeordnete Tauss sind dagegen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist,
möge sich bitte erheben. - Die Gegenstimmen! - Enthal-
1) Anlage 13
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
tungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit
dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen.
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/13659
fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/9094 mit dem Titel „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der
Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung
schwerwiegender Kriminalität neu verhandeln“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei
Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/9360 mit dem Titel „Kein uferloser Datenaustausch mit den USA“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung
durch CDU/CSU und SPD angenommen. Dagegen haben FDP, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die
Linke gestimmt.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. August 2009, 13 Uhr, ein.
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten! Genießen
Sie den Sommer und all das, was Sie vorhaben!
Die Sitzung ist geschlossen.