Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/19/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich und teile Ihnen mit, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den gestern überwiesenen Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 16/13366 statt an den Rechtsausschuss an den In- nenausschuss zu überweisen. Sind Sie mit dieser Verein- barung einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann beginnen unsere Beratungen mit einem famosen einvernehmlichen Beschluss über das gerade vorgetra- gene Anliegen. Nun rufen wir die Tagesordnungspunkte 53 a bis 53 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen ({0}) - Drucksachen 16/12254, 16/12674 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Frank Schäffler, Carl-Ludwig Thiele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Korrektur der Unternehmensteuerreform - Drucksache 16/12525 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 16/13429 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach Carl-Ludwig Thiele - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/13440 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) Dr. Gesine Lötzsch b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiesteuergesetzes - Drucksache 16/12851 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4}) - Drucksache 16/13416 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Schindler Reinhard Schultz ({5}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/13441 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({7}) Dr. Gesine Lötzsch c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Agrardieselbesteuerung senken - Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirtschaft abbauen - Drucksachen 16/11670, 16/13416 Redetext

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Norbert Schindler Reinhard Schultz ({0}) Zu verschiedenen Gesetzentwürfen liegen Änderungs- und Entschließungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Gabriele Frechen für die SPD-Fraktion. ({1})

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beiträge zur Krankenund Pflegeversicherung müssen auf der Basis der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in voller Höhe steuerlich abziehbar sein, so ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Auch wenn die Entscheidung zu den Beiträgen einer privaten Krankenkasse erging, gilt es selbstverständlich auch für gesetzlich Versicherte, auch für die Beiträge von Kindern, Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern. Dem Struck’schen Gesetz folgend hat auch dieser Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren wesentliche Änderungen erfahren. Im Regierungsentwurf war vorgesehen, dass sonstige Versicherungsbeiträge wie Beiträge zur Unfall- und Haftpflichtversicherung künftig nicht mehr abziehbar sein sollen. Eine Günstigerprüfung sollte verhindern, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittleren und niederen Einkommen schlechtergestellt werden. Aber sie hätten durch das Gesetz auch keine zusätzliche Entlastung erfahren. Das haben wir geändert. Wir behalten die bisherige Höchstbetragsrechnung bei und erhöhen darüber hinaus den gemeinsamen Höchstbetrag für alle Vorsorgeaufwendungen, bis zu dem die Beiträge steuerlich geltend gemacht werden können, auf 1 900 Euro bzw. 2 800 Euro - bei Verheirateten das Doppelte. Das heißt, alle Versicherungsbeiträge, die bisher abzugsfähig waren, bleiben es auch in Zukunft, und dies sogar in höherem Umfang. Übersteigen allein die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge diesen Höchstbetrag, werden die tatsächlich geleisteten Beiträge für einen Basisschutz angesetzt. Der Bund der Steuerzahler krittelt, das entlaste nur Ledige mit einem Einkommen von bis zu 21 600 Euro und Verheiratete mit einem Einkommen von bis zu 44 400 Euro pro Jahr. Dazu kann ich nur sagen: Genau das war der Plan. ({0}) Die Menschen mit höheren Einkommen werden durch das Gesetz per se entlastet. Wir wollten aber gezielt auch Menschen mit niedrigen Einkommen von diesem Gesetz profitieren lassen. Ja, wir setzen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um. Und: Ja, die Idee war nicht eine Idee der Koalition. Es ist aber sehr wohl ein Verdienst dieser Koalition, insbesondere der SPD-Bundestagsfraktion, dass die Entlastungen nicht nur bei Gutverdienenden, sondern auch bei Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen ankommen. ({1}) Das war im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts keinesfalls vorgesehen. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Ausweitung des Schulbedarfspakets, also der Zahlung von 100 Euro zu jedem Schuljahresbeginn für Hefte, Stifte und Bücher, für alles, was so richtig ins Geld geht, bis zum 13. Schuljahr. Uns hat die Begrenzung bis zum 10. Schuljahr von Anfang an nicht so richtig eingeleuchtet. Darüber hinaus erweitern wir den Kreis der Anspruchsberechtigten um die sogenannten Aufstocker. Von dieser kleinen, aber feinen sozialdemokratischen - so sage ich das einmal - Änderung profitieren insgesamt 200 000 Kinder. Das ist ein weiteres Beispiel für die Familienfreundlichkeit unserer Politik. ({2}) Wir erhöhen die Einkommensgrenze für die Berücksichtigung von Kindern und beziehen den Freiwilligendienst in das Bundeskindergeldgesetz ein; beides Maßnahmen zur Stärkung der Familien. Mit diesem Gesetzentwurf stellen wir auch klar: Wer Riester-Förderung für Genossenschaftsanteile in Anspruch nimmt, muss auch in einer Genossenschaftswohnung wohnen. Günstigen Wohnraum für Mieter sollen die Genossenschaften zur Verfügung stellen. Doch immer wieder tauchen dubiose Anbieter auf, die es auf das Geld von ahnungslosen Kapitalanlegern abgesehen haben. Das ist nicht von mir, das stand so in der Welt. Geschäftemacher, die das hohe Vertrauen, das Genossenschaften berechtigterweise genießen, für dubiose Geschäfte nutzen wollen, wollen nun die Riester-Förderung als Verkaufsargument aufbauen. Ich kann dazu nur sagen: Es gibt Menschen, die den Gong bis heute nicht gehört haben. ({3}) Deshalb schützen wir mit diesem Gesetz Verbraucher, Mieter, Riester-Sparer und Wohnungsgenossenschaften gleichermaßen. In dieser Krisensituation muss jede Vorschrift und jedes Ansinnen auf die Fähigkeit überprüft werden, ob es krisenentschärfend wirken kann oder nicht. Reinhard Schultz wird darauf näher eingehen. Ich möchte nur einen Punkt herausgreifen, der diese Voraussetzung meines Erachtens voll erfüllt und deshalb umgesetzt wird: Wir verlängern die Möglichkeit der Istbesteuerung in den neuen Bundesländern und heben für die neuen Bundesländer die Umsatzgrenze ebenfalls auf 500 000 Euro an. Die Umsatzsteuer muss also erst gezahlt werden, wenn auch die Rechnung bezahlt ist. Gerade in wirtschaftlich nicht so guten Zeiten werden Rechnungen oft nicht so schnell bezahlt, wie sie sollen. Ich will das gar nicht mangelnde Zahlungsmoral nennen; denn oft mangelt es gar nicht an der Zahlungsmoral, sondern an der Zahlungsfähigkeit. Daher ist es richtig, den kleinen und mittleren Unternehmen die Umsatzsteuer so lange zu stunden, bis das Geld eingegangen ist. Diese Regelung bringt kleinen und mittleren Unternehmen ebenso wie Handwerksbetrieben einen Liquiditätsvorteil, der in der Krise hilft, Arbeitsplätze zu schützen. ({4}) Denen, die immer fordern, die Hinzurechnungen für Mieten und Pachten zu streichen, sage ich nur: Herr Middelhoff lässt schön grüßen. Nicht die Gewerbesteuer ist das Problem bei einer Innenstadtlage, sondern überzogene Mieten und unsinnige, teilweise unmoralische Verträge, die nur Gewinnverschiebungen in die vermeintlich richtige Tasche bringen sollen. ({5}) Das müsste mittlerweile auch der allerletzte Parlamentarier gemerkt haben. ({6}) „In trüben Fällen muss derjenige wirken und helfen, der am klarsten sieht“, sagt Goethe, und das sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, eindeutig wir. ({7}) Als Klarseher haben wir natürlich erkannt: Wenn wir Änderungen in einem von uns beschlossenen und gewünschten Gesetz vornehmen, müssen wir eine Befristung einführen. Wenn wir krisenentschärfend wirken wollen, müssen wir eine Befristung für die Dauer der Krise vorsehen und nicht alles über Bord werfen, was wir bis vor einem halben oder Dreivierteljahr als richtig erkannt haben. ({8}) Ich möchte mich bei meinem Mitberichterstatter Klaus-Peter Flosbach bedanken - es war eine sehr gute Zusammenarbeit -, und ich möchte mich, weil es zum Abschied ist, auch bei Otto Bernhardt für sieben Jahre guter Zusammenarbeit im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags ausdrücklich bedanken. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist erstaunlich, dass die Koalition erklärt, sie entlaste die Bürger, und dass sie sich dafür loben lassen will. Diese Entlastung erfolgt durch die Umsetzung eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes. ({0}) Die Bürger sind nämlich über Jahre auf verfassungswidrige Weise zu hoch besteuert worden. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht musste handeln, weil der Gesetzgeber von sich aus überhaupt nicht daran dachte, diese verfassungswidrige Besteuerungspraxis zu ändern. ({2}) Insofern ist diese Entlastung kein Gnadenakt und auch kein gewollter Beitrag der Großen Koalition zur Konjunkturbelebung, ({3}) sondern eine vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Entscheidung. Die FDP hat diese Entlastung in ihrem Steuerkonzept im Übrigen schon seit langem gefordert, nicht erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. ({4}) Ihre gesamte Argumentation - nicht nur Ihre, Frau Frechen; wir diskutieren ja schon länger über dieses Thema, und die Debatte hier im Plenum hat gerade erst begonnen - ist widersprüchlich. Zum einen erklärt die SPD, dass für Entlastungen der Bürger kein Geld da sei, und zum anderen erklärt sie, es sei ihr Verdienst, dass die Bürger gerade jetzt durch dieses Gesetz entlastet werden. Finanzminister Steinbrück hat noch vor kurzem deutlich gemacht, dass kein Spielraum für Entlastungen vorhanden sei, aber hier möchte sich die SPD für Entlastungen feiern lassen. Was gilt denn nun: das, was Herr Steinbrück sagt, das, was die SPD sagt, oder das, was die Große Koalition im vorliegenden Gesetzentwurf formuliert hat? Die Union ringt seit Monaten um ein Steuerkonzept. Eine klare Linie ist leider bis zum heutigen Tage nicht zu erkennen. Man hat nicht den Eindruck, dass hier eine geschlossene Partei agiert. Wenn man sich die Aussagen Ihrer Ministerpräsidenten zur Steuerpolitik anhört, stellt man fest: Die Union weiß bis heute nicht, was sie will. Auch an die Adresse Union sage ich: Diese Entlastung der Bürger ist weder ein Zeichen für den Steuerentlastungswillen der Union noch für eine neue Bescheidenheit des Staates. Ursprünglich hatte die Bundesregierung geplant, im Entwurf eines Gesetzes zur Bürgerentlastung die Absetzbarkeit der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und weiterer Vorsorgeaufwendungen zu streichen. Im Gesetzestext wurde dieses Vorhaben aber überhaupt nicht erwähnt. Davon war nur in wenigen Zeilen der Begründung am Ende des Gesetzespaketes die Rede. Die FDP hat diese geplante Steuererhöhung der Bundesregierung für vorsorgetreibende Menschen aufgedeckt und öffentlich gemacht. In der Anhörung wurde dieses Vorhaben der Koalition von vielen Sachverständigen kritisiert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Absetzbarkeit von Vorsorgeaufwendungen zwar in gewissem Umfang beibehalten. Die zu berücksichtigenden Beiträge sind aus unserer Sicht allerdings so niedrig, dass schon jetzt davon auszugehen ist, dass weitere Verfassungsklagen erhoben werden. ({5}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die FDP tritt dafür ein, dass die Menschen in unserem Land, die arbeiten, die für sich und ihre Familie die Existenz sichern und die mit ihren Steuern und Sozialabgaben die Grundlage dafür schaffen, dass unser Staat überhaupt funktioniert, nicht nur als Melkkühe der Nation angesehen werden. ({6}) Diese Menschen vertrauen zuerst auf sich selbst und ihre Leistungsfähigkeit. Viele von ihnen sorgen vor und zahlen zusätzliche Versicherungsbeiträge: Beiträge zu Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, zu Unfallversicherungen, zu Risikoversicherungen für den Todesfall, aber natürlich auch zu Haftpflichtversicherungen. Haftpflichtversicherungen sind wichtig; denn sie gewährleisten, dass ein Schaden, den man jemandem zufügt und der für den Einzelnen unbezahlbar hoch sein kann, von der Versicherung gedeckt ist. Auf der einen Seite wird den Bürgern vom Staat gesagt: Sorgt vor! Auf der anderen Seite wird ihnen gesagt: Wenn ihr vorsorgt, müsst ihr das aus versteuertem Einkommen tun. - Das kann nicht richtig sein. Dagegen werden wir uns auch in Zukunft wenden und dies auch im Wahlkampf zu einem unserer Themen machen. ({7}) Der vorgesehene Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ist wenig praktikabel und sehr bürokratisch, da auf die Tarifbezogenheit abgestellt wird. Einfacher wäre es, im Hinblick auf die Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Anlehnung an die bestehenden Regelungen des Sonderausgabenabzugs weitere Höchstbeträge auszuweisen, bis zu denen tatsächlich geleistete Beiträge als Sonderausgaben von der Besteuerung freigestellt werden. Die maximale Höhe des Abzugsbetrages soll sich dabei an den Höchstbeträgen orientieren, die in den jeweiligen gesetzlichen Versicherungen vorgesehen sind. Durch eine konsequente Anwendung der gleichen Höchstsätze sowohl für privat als auch für gesetzlich versicherte Steuerzahler wäre die erforderliche Gleichbehandlung gewährleistet. Bei Verabschiedung der Unternehmensteuerreform - das ist ein Teil, der zusätzlich in dieses Gesetz gekommen ist - wurden seitens der Großen Koalition sogenannte Gegenfinanzierungsmaßnahmen beschlossen. Diese Gegenfinanzierungsmaßnahmen müssen schnellstmöglich korrigiert werden. Es ist Irrsinn, Kosten steuerlich wie Gewinne zu behandeln und als Bemessungsgrundlage für die Steuerzahlung zu verwenden. In der derzeitigen konjunkturellen Situation wirken diese Maßnahmen wie eine Substanzbesteuerung. Sie wirken krisenverschärfend. Das ist das Letzte, was wir in der derzeitigen Situation gebrauchen können. ({8}) Deshalb hat die FDP einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der darauf angelegt ist, den steuerlichen Unfug der Großen Koalition schnellstmöglich zu korrigieren. Der Gesetzentwurf der FDP hat das Ziel, Arbeitsplätze zu sichern und zu erhalten. Das sollte im Vordergrund stehen! Insbesondere in Krisenzeiten wie heute ist dies dringend geboten. Insofern begrüßen wir, dass die Große Koalition einzelne Verbesserungen auf den Weg gebracht hat. Die Verbesserungen gehen allerdings nicht weit genug. Gerade die SPD hat weiter gehende Regelungen verhindert. Zudem sind die steuerlichen Maßnahmen befristet: Ein Teil gilt nur bis Ende dieses Jahres, ein anderer Teil nur bis Ende nächsten Jahres. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie denn wirklich, dass die Auswirkungen der Krise auf Betriebe mit dem Ende dieses Jahres aufhören? Glauben Sie wirklich, dass die von der FDP geforderte Erweiterung der Istbesteuerung, die gerade kleineren Unternehmen Liquidität verschafft, Ende 2011 beendet werden kann? Dadurch würde den kleineren Unternehmen wieder Liquidität entzogen. Das wäre doch Unfug und ließe sich niemandem erklären. ({9}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Große Koalition hat abgewirtschaftet. Sie ist nur noch zu kleinsten gemeinsamen Kompromissen bereit, aber nicht mehr in der Lage, die Weichenstellungen für eine gute Zukunft unseres Landes, die gerade in diesen schwierigen Zeiten notwendig sind, vorzunehmen. Einige Großkonzerne haben noch das Ohr der Kanzlerin und des Finanzministers; aber die Belange des Mittelstandes kommen unter die Räder. Der Unterschied zwischen Ihren Vorstellungen und den Vorstellungen der FDP besteht darin, dass wir zuerst auf die Kraft der Gesellschaft, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und insbesondere des deutschen Mittelstandes zählen und erst dann auf den Staat. Der Staat sollte aus unserer Sicht, indem er für alle Betriebe geltende steuerliche Verbesserungen vorsieht, die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Hierfür werden wir uns insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl einsetzen - damit Deutschland wieder eine Regierung bekommt, die sich für eine Verbesserung unserer sozialen Marktwirtschaft einsetzt. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eduard Oswald ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Thiele - ich nehme es ihm nicht übel - hat die Wahlreden für die nächsten Wochen geübt. Das ist verständlich; aber wir haben hier ein Gesetz zu verabschieden. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele reden über eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, wir machen sie. ({1}) Die heutigen Beschlussvorschläge sind kein heimliches drittes Konjunkturpaket, wie eine Zeitung kürzlich vermutet hat. Mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung befreien wir die Bürgerinnen und Bürger auf Dauer von Belastungen. Wir setzen damit - da haben Sie natürlich recht, Herr Kollege Thiele - die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um, wir schaffen damit aber auch mehr Gerechtigkeit in unserem Lande. ({2}) Mit diesem Gesetz werden die Bürgerinnen und Bürger um rund 10 Milliarden Euro im Jahr entlastet, ein großer Schritt für mehr Freiheit und privaten Handlungsspielraum, eine Entlastung, die allen Leistungsträgern - den Facharbeitern, überhaupt allen Steuerpflichtigen in unserer Gesellschaft - Motivation gibt, eine Entlastung, die den Menschen mehr Netto vom Brutto lässt. ({3}) Ein wichtiger Kern unserer Politik ist, Entlastungsspielräume bei Steuern und Abgaben konsequent zu nutzen. Ich nenne nur die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 2,8 Prozent; wir haben den Beitrag damit mehr als halbiert. Die weltweite Finanzmarktkrise und der durch sie ausgelöste konjunkturelle Abschwung sind die größten wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen der Nachkriegsgeschichte. ({4}) Jetzt sind Maßnahmen gefragt, mit denen die Auswirkungen der Krise abgefedert, aber zugleich auch die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt werden. Wir haben mit unseren Konjunkturpaketen und den Schutzschirmen für Wirtschaft und Arbeitsplätze unsere Handlungsfähigkeit als Große Koalition bewiesen. Mit dem nun zu behandelnden Entlastungspaket und den darin enthaltenen Maßnahmen knüpfen wir nahtlos an die bisherigen Entscheidungen an. 16,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger werden in einem Umfang von 10 Milliarden Euro entlastet. Steuerpflichtige, die ihre Krankenversicherung selbst bezahlen müssen, können sonstige Vorsorgeaufwendungen bis zu einer Höhe von 2 800 Euro steuerlich geltend machen, inklusive der Beiträge zu einer Basis-, Renten- und Pflegeversicherung. Für alle anderen Steuerzahler gilt eine Obergrenze von 1 900 Euro. Liegen die Aufwendungen für die Basiskranken- und Pflegeversicherung höher, sind sie in jedem Fall steuerlich voll absetzbar. Durch die unmittelbare Übertragung auf das Lohnsteuerverfahren mit Wirkung ab dem 1. Januar kommenden Jahres wird sichergestellt, dass die Entlastung sofort in den Taschen der Bürger zu spüren ist. ({5}) Neben den bereits verabschiedeten Maßnahmen wird auch die dadurch freigesetzte Kaufkraft dazu führen, dass unsere Wirtschaft stimuliert wird. Wir wollen, dass unser Land nach der Krise stärker ist als vorher. Deshalb haben wir auch die Unternehmen weiter entlastet, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich im Wettbewerb zu behaupten und Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Darum geht es uns im Kern. ({6}) Wir haben die Erwartungen der Wirtschaft unmittelbar aufgegriffen. Kleinere und mittlere Betriebe mit einem Umsatz von bis zu 500 000 Euro im Jahr sollen die Umsatzsteuer erst dann entrichten müssen, wenn ihre Rechnungen auch tatsächlich bezahlt sind; das ist also die sogenannte Istbesteuerung. Unternehmen können die Umsatzsteuer derzeit auf Antrag nach den eingenommenen Beträgen berechnen, wenn der Gesamtumsatz im Vorjahr nicht mehr als 250 000 Euro betrug. Für ostdeutsche Unternehmer gilt seit 1996 eine Grenze von 500 000 Euro. Diese Sonderregelung sollte bekanntlich nur bis zu diesem Jahr gelten. Sie gilt nun bis Ende 2011 und wird auf alle Bundesländer übertragen. ({7}) Dadurch wird in dieser schwierigen Phase die Liquidität geschont und gerade mittleren und kleineren Unternehmen geholfen. Mit der zeitlich auf die Jahre 2008 und 2009 befristeten Einführung einer Sanierungsklausel bei der Verlustabzugsbeschränkung und der ebenfalls auf diese beiden Jahre befristeten Anhebung der Freigrenze bei der Zinsschranke von 1 Million Euro auf 3 Millionen Euro wird den Unternehmen geholfen, mit den Konsequenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise umzugehen. Die Zinsschranke, die hier und bei uns im Finanzausschuss immer wieder leidenschaftlich diskutiert wurde, soll in Zukunft für weniger Betriebe belastend wirken. Bekanntlich trifft diese geltende Regelung nicht nur viele Konzerne, sondern auch etliche Mittelständler. Es zeigt sich, dass die Grenze einfach zu eng gefasst war. Unternehmen, die im Saldo einen höheren Zinsaufwand haben, laufen Gefahr, diese Kosten nicht komplett steuerlich geltend machen zu können. Mit der Korrektur könnten 600 von möglicherweise 1 600 Unternehmen nicht mehr unter die Zinsschranke fallen. Das ist eine enorme Verbesserung und Klarstellung, durch die wir zeigen, dass den Unternehmen in diesen Zeiten die Luft zum Atmen gelassen wird - eine wichtige Entscheidung der Koalition. ({8}) Die weltweite Krise trifft auch die landwirtschaftlichen Betriebe, gerade auf den weltweiten Lebensmittelmärkten. Wir werden in diesem Jahr den Landwirten helfen können. Alle Betriebe profitieren ohne Einschränkung von dem günstigeren Mineralölsteuersatz. Landwirte zahlen pro Liter Agrardiesel eine Steuer von 40 Cent. Davon bekommen sie 21,5 Cent pro Liter erstattet. Allerdings gab es bisher einen Selbstbehalt pro Betrieb von 350 Euro. Dieser wird auf zwei Jahre befristet entfallen. Auch die Deckelung auf 10 000 Liter vergünstigten Diesel pro Betrieb und Jahr wird für diesen Zeitraum gestrichen. Mit dieser Regelung helfen wir, die Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe zu sichern, die Pflege unserer Kulturlandschaft zu gewährleisten und die Versorgung unseres Landes mit gesunden Lebensmitteln zu ermöglichen und sicherzustellen. Das ist ein wichtiger und entscheidender Schritt. ({9}) Mit den heutigen Entscheidungen entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen um rund 13 Milliarden Euro. Damit werden die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger gestärkt und Impulse für wirtschaftliche Dynamik gegeben. Daneben verbessern wir die Liquiditäts- und Ertragssituation der Unternehmen und sichern und schaffen damit Arbeitsplätze. Man kann vieles kritisieren. Manches geht uns auch nicht weit genug. Dennoch sind die heutigen Entscheidungen sinnvolle und nötige Investitionen in unsere Zukunft. Ich möchte den beiden Berichterstattern der Koalitionsfraktionen, Frau Kollegin Gabi Frechen und Herrn Kollegen Klaus-Peter Flosbach, herzlich danken. Beide haben im Detail eine hervorragende Arbeit geleistet. Wer sich mit den gesetzlichen Feinheiten befasst, der sieht, welche Detailarbeit dafür notwendig war. Herzlichen Dank dafür. ({10}) Sie gestatten mir sicherlich auch, dass ich meiner Kollegin Gabi Frechen als stellvertretender Vorsitzender im Finanzausschuss für ihre Arbeit und die Unterstützung danke. Ich glaube, wir haben insgesamt im Finanzausschuss in allen Fraktionen eine sehr gute Arbeit geleistet. Herzlichen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Barbara Höll, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgangspunkt des Gesetzentwurfs war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar vergangenen Jahres. Sie bestärkte das Prinzip der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums. Dazu gehört alles, was die Menschen auch für ihre gesundheitliche Vorsorge brauchen. Das ist eigentlich logisch, aber dem Bundesfinanzminister musste dies erst vom Bundesverfassungsgericht verdeutlicht werden. Nun setzen Sie die Vorgaben des Verfassungsgerichts zwar um, aber an der grundsätzlichen Misere in der Gesundheitspolitik ändert sich rein gar nichts. ({0}) Zudem kostet das Ganze 9 Milliarden Euro. Finanzierungsvorschläge, die Sie von anderen gerne einfordern Fehlanzeige! Der Bundesfinanzminister hatte noch vor einem Jahr das Versprechen abgegeben, eine gerechte Finanzierung erreichen zu wollen. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Die Besserverdienenden sind wieder einmal die großen Gewinner. ({1}) Durch den Abzug der Versicherungsbeiträge vom zu versteuernden Einkommen werden obere Einkommensgruppen stark, mittlere Einkommensgruppen mittel und niedrigere Einkommensgruppen nur gering entlastet. Bereits die Beitragsbemessungsgrenze bei den Krankenversicherungsbeiträgen hat zur Folge, dass die Bezieher und Bezieherinnen hoher Einkommen nur auf einen Teil ihrer Einkünfte Versicherungsbeiträge zahlen. Durch die jetzige Regelung verschärfen Sie die Ungerechtigkeit noch. Die solidarische Finanzierung wird schlicht missachtet. Das lehnen wir ab. ({2}) Die Linke hat Vorschläge vorgelegt, wie man das Ganze sozial gerechter angehen kann. Lesen Sie das noch einmal nach! Es wäre durch die Anhebung der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums möglich gewesen. Das wäre sozial gerechter. Sie können die Bürgerinnen und Bürger nicht länger täuschen. Sie wissen, dass das dicke Ende erst nach dem 27. September kommen wird. Seit Jahren machen Sie eine Gesundheitspolitik, durch die die Kosten auf die Patienten verlagert werden, indem Sie die paritätische Finanzierung de facto schon heute aufgehoben haben, sodass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwa 65 Prozent der Kosten zu tragen haben, während sich die Arbeitgeberseite nur noch mit 35 Prozent beteiligt. Das lehnen wir ab. ({3}) Versicherte müssen heute einen Sonderbeitrag zahlen. Sie müssen die Praxisgebühr und Zusatzleistungen beDr. Barbara Höll zahlen und Zuzahlungen bei Medikamenten leisten. Das alles ist unsozial. Wir verlangen eine gesetzliche Krankenversicherung für alle, die von allen solidarisch entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit getragen wird ({4}) Warum sollte nicht auch ein Herr Ackermann auf sein gesamtes monatliches Einkommen einen ordentlichen Beitrag zur Krankenversicherung zahlen? ({5}) Was Sie hier machen, ist vor allem reines Wahlkampffeuer. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sich daran erinnert, dass Sie zum 1. Januar dieses Jahres die Beiträge für etwa 80 Prozent der Versicherten massiv angehoben haben. Ihnen nun zum 1. Juli eine Senkung in Höhe von gerade 0,6 Prozentpunkten im Rahmen des Konjunkturpaketes II zukommen zu lassen, ist nichts anderes als Wahlkampf, nicht mehr, und gleicht die Mehrbelastungen von Anfang des Jahres überhaupt nicht aus. Die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik wollen ein solches Krankenversicherungssystem nicht. Sie wollen ein solidarisches Krankenversicherungssystem. Sie lehnen die zur Diskussion stehende Einführung von Altersgrenzen zum Beispiel für Hüftgelenkoperationen ab. Sie lehnen es auch ab, ärztliche Leistungen und Medikamente vorzufinanzieren. Es gibt entsprechende Umfragen, die das belegen. Es gibt aber auch eindeutige Zeichen dafür, dass diese Gedankenspiele bei Verantwortungsträgern sowohl in der Politik als auch in anderen Bereichen massiv auf dem Vormarsch sind. Wir müssen nur warten, bis sie so dreist sind, dies umzusetzen. Wir wollen eine andere Medizin, keine Zweiklassenmedizin. Wir wollen ein solidarisches Krankenversicherungssystem, in dem Gutverdiener für Geringverdiener, Junge für Alte, Gesunde für Kranke eintreten. Das heißt, jeder und jede zahlt, vom Pförtner bis zum Millionär. ({6}) Als Sofortmaßnahme zur Entlastung der Krankenversicherung haben wir Ihnen nochmals vorgeschlagen, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung wenigstens auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung West anzuheben. Das bedeutet eine Anhebung von derzeit 3 675 auf 5 400 Euro. Warum denn nicht? Warum zahlen Abgeordnete, die wie ich in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, nicht auf ihre gesamte Entschädigung Beiträge, sondern nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze? ({7}) Wir selber sind aufgrund dieser Gesetzeslage aus der solidarischen Finanzierung raus. Dem ist endlich Einhalt zu gebieten. ({8}) Ihr Gesetzentwurf enthält allerdings auch Verbesserungen. Deshalb werden wir uns enthalten. ({9}) Es gibt eine Verbesserung, auf die wir stolz sind; denn die Linke hat wesentlich dazu beigetragen, dass es hier noch zu einer Veränderung kam. Sie sehen nämlich endlich ein, dass auch Kinder aus Familien, die kein allzu hohes Einkommen haben, Abitur machen. Es sind leider nicht so viele, weil das deutsche Bildungssystem in höchstem Maße sozial selektiv ist. Aber es gibt positive Beispiele. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass wir die Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Schulstarterpakets bis zum Ende der Schulausbildung, bis zum Abitur, ausweiten. ({10}) Wir haben Sie nämlich darauf hingewiesen, dass nicht nur Familien, die Hartz IV beziehen, unzureichende finanzielle Mittel zur Verfügung haben, sondern dies auch für Familien gilt, die das Recht haben, für ihre Kinder Kinderzuschlag zu beantragen. Auch diese werden nun einbezogen. Erst aufgrund unserer Anfragen sind Sie sich dieses Problems überhaupt bewusst geworden. ({11}) Ich weiß nicht, ob Sie wissen, worüber ich rede. Für ein Kind, das heute in Sachsen in die Schule kommt, müssen allein für die Arbeitsmaterialien - und das bei Schulbuchfreiheit - 50 Euro aufgebracht werden. Ein Taschenrechner, den man in der 11. Klasse benötigt, ist nicht für unter 100 Euro zu bekommen. Oft muss man 130 Euro hinlegen. Das ist die Realität. Deshalb ist die Ausweitung des Schulstarterpakets notwendig. Damit machen wir wenigstens einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Bei der Erhöhung der Einkünfte- und Bezügegrenze für das Kindergeld haben Sie schlicht und ergreifend gepfuscht. Darauf hat Sie der Bundesrat hingewiesen; darauf haben wir Sie hingewiesen. Es ist nämlich nicht erklärlich, warum die nun vorgesehene Anhebung der Freigrenze beim Einkommen der Kinder - damit der Kindergeldbezug aufrechterhalten werden kann - nicht gleichzeitig zur jetzt vorgesehenen zweistufigen Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages erfolgt. Das ist überhaupt nicht verständlich. In dem Gesetzentwurf begehen Sie aber eine weitere Dreistigkeit. Herr Oswald hat das eben als tolle Entlastung verkauft. ({12}) Sie haben eine Unternehmensteuerreform verabschiedet, durch die Unternehmen allein aufgrund der Senkung des Körperschaftsteuersatzes um 8 Milliarden bis 10 Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden. ({13}) - Stimmt, das ist eine Riesenentlastung. - Die Zinsschranke sollte einerseits die steuerlichen Umgehungsmöglichkeiten einschränken und andererseits Teil der Gegenfinanzierung sein. Jetzt wird sie einfach ein Stück weit aufgehoben. Die Argumente von damals interessieren nicht mehr. Das, was Sie zuvor groß versprochen haben, machen Sie bei der ersten Gelegenheit, bei der es möglich ist, wieder rückgängig. Das ist eine Politik, die unsolide ist ({14}) und die eindeutig zeigt, dass Sie nicht wirklich gegen Steuerhinterziehung vorgehen wollen. ({15}) Sie verabschieden in dem Gesetzespaket eine Änderung der Regelungen zum Agrardiesel. Wir stimmen dem Passus ausdrücklich zu; denn es freut uns, dass Sie unserer Argumentation folgen und nun endlich sowohl den Selbstbehalt in Höhe von 350 Euro als auch die Kappungsgrenze für die Dieselrückvergütung streichen, was insbesondere die großen Betriebe im Osten betrifft. Eine Kappungsgrenze hätte nämlich eine Diskriminierung der großen Genossenschaften, die wir noch in den neuen Bundesländern haben, gegenüber den kleinen oder mittleren Familienbetrieben bedeutet. Aber das prinzipielle Problem der Ungerechtigkeit, die in der unterschiedlichen Entwicklung zwischen den Produktionskosten und den Erzeugerpreisen der Bäuerinnen und Bauern liegt, ist damit natürlich nicht gelöst. Die Befristung für diese zwei Regelungen im Gesetz muss dazu führen, dass nach Auslaufen dieser Frist das Problem grundsätzlich angepackt wird. Dazu müssen Hausaufgaben gemacht werden: Ich nenne als Beispiele die Umstellung der Landmaschinenflotte auf Biokraftstoffe aus der regionalen Produktion, damit es nicht zur Zerstörung des Regenwaldes in anderen Erdteilen kommt. Dazu brauchen wir endlich Konzepte, die Sie mit den Betroffenen diskutieren müssen. Es kann nicht sein, dass Milchbäuerinnen und Milchbauern erst in den Hungerstreik treten müssen, damit die Politik überhaupt reagiert. Ihr Gesetzespaket führt insgesamt zu einer Entlastung; diese ist aber sozial ungerecht ausgestaltet. Sie haben einerseits eine völlig ungerechtfertigte Entlastung der Unternehmen vorgenommen. Beim Agrardiesel haben Sie andererseits eine richtige Regelung getroffen. Deshalb werden wir uns insgesamt enthalten und hoffen, dass Sie endlich einmal über soziale Gerechtigkeit nachdenken. Danke. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({0}) - Entschuldigung, ich war bei dem Bemühen um zügige Abwicklung der Tagesordnung den Ereignissen schon voraus. Aber es gibt ja, wie Sie sehen, überhaupt keinen Streit darüber, dass Sie, Frau Scheel, nun das Wort erhalten. - Bitte sehr. ({1}) - Selbst diese fröhliche Hoffnung der Kollegin ScheweGerigk findet nun ihren Weg ins Protokoll.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Um es klar zu sagen: Ich werde jetzt nicht für die Bundesregierung sprechen, sondern für meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen. ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir politisch Verantwortlichen müssen der Bevölkerung, den Beschäftigten und der Wirtschaft Perspektiven aufzeigen, wie es mit unserem Land weitergehen soll. In diesem Zusammenhang muss man klar sagen, dass die verschiedenen Entscheidungen, die in diesem Hause in dieser konjunkturell schwierigen Zeit in den letzten Monaten getroffen worden sind, zusammen gesehen werden müssen, aufeinander abgestimmt sein sollten und letztendlich den Menschen eine Orientierung geben und eine Perspektive aufzeigen müssen. ({1}) Dies ist leider wieder nicht geschehen. Klimaexperten haben gesagt, die Konjunkturpakete seien nicht grün genug. Das sagen auch Ökonomen. China investiert 4,8 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in grüne Konjunkturmaßnahmen, die USA immerhin noch 0,8 Prozent, Deutschland nur 0,4 Prozent. Das zeigt uns, dass die Union und auch die SPD finanzielle Ressourcen verprassen, wie das in den letzten Konjunkturpaketen zum Beispiel mit dieser unsäglichen Abwrackprämie geschehen ist, und die Chancen verpassen. ({2}) Das kritisieren wir auch an dem Paket, dass jetzt vorgelegt wird. Man muss ganz klar sagen: Es geht hier nicht um ein, zwei Gesetze, die verabschiedet werden, sondern innerhalb dieser Gesetze sind sehr viele verschiedene Regelungen getroffen worden, sodass man mit Berechtigung von einem Konjunkturpaket III sprechen kann. Es ist wieder nur Stückwerk, es gibt wieder keine strukturellen Verbesserungen, es findet sich wieder das Gießkannenprinzip statt gezielter Zukunftsinvestitionen. Daran sieht man, dass die Koalition mit viel Steuerzahlergeld die Probleme zukleistert, anstatt den Unternehmen wirklich zu helfen, den Wandel, den sie vollziehen müssen, zu bewältigen. ({3}) Dies zeigt sich auch am Beispiel Agrardiesel. Phase 1: Wegen abstürzender Milchpreise sind viele Inhaber von Milchviehbetrieben auf die Straße gegangen; die Bäuerinnen waren mehrere Tage und Nächte lang hier in Berlin. Phase 2: Der Bauernverband holt seine Uraltforderungen nach Steuererleichterungen beim Agrardiesel aus der Rumpelkammer. Phase 3: Die Koalition überreicht dem Bauernverband die geforderten Steuererleichterungen als Wahlgeschenk, ohne dass dies irgendeinen Sinn hinsichtlich der Zukunft unserer Landwirtschaft macht. ({4}) 350 Euro pro Betrieb werden zurückerstattet, sehr verehrte Damen und Herren. Das Problem ist aber doch die Abhängigkeit der Landwirte von den Milchpreisen und nicht, wie der Agrardiesel subventioniert werden soll. Es geht also darum, wie man den Landwirten hilft, zukünftig aus dieser Misere herauszukommen. ({5}) Es sind übrigens 600 Millionen Euro hierfür veranschlagt. Wenn man dann schaut, wie es weitergeht, dann sieht man, dass, obwohl der Staat in Schulden versinkt, die Union noch Steuersenkungen verspricht. ({6}) Die Vorschläge, die die Union jetzt auf den Tisch gelegt hat, ({7}) sind 51 Milliarden Euro teuer. ({8}) Die Vorschläge, die die FDP auf den Tisch gelegt hat, sind 75 Milliarden Euro teuer. ({9}) Ich möchte einmal wissen, wie, wenn man auf der einen Seite den Subventionsbereich ausweitet, anstatt, wie eigentlich notwendig, dort Kürzungen vorzunehmen, und auf der anderen Seite mehr in die Forschung und Bildung investieren will, was wir für notwendig und richtig halten, und damit auf eine Neuverschuldung in diesem Jahr von über 90 Milliarden Euro kommt, Steuersenkungen in einem solchen Ausmaß möglich werden sollen. Sehr verehrte Damen und Herren, das müssen Sie einmal erklären; das versteht kein Mensch mehr. ({10}) Wir halten nichts davon, eierlegende Wollmilchsäue durch die Dörfer und Städte zu treiben, um wahlkampforientiert vom Finanzdesaster abzulenken, sondern wir erwarten eine solide Politik, die in die Zukunft weist und die Maßnahmen trifft, die auch eine Relevanz für unsere Arbeitsplätze haben und es uns erlauben, im Wettbewerb zu bestehen. ({11}) Es ist grundsätzlich richtig, dass die Kranken- und Pflegebeiträge nicht mehr in der Größenordnung versteuert werden müssen, wie dies bisher in verfassungswidriger Weise gemacht worden ist. Aber dies ist - einige Kollegen haben es schon vor mir gesagt - eben kein Verdienst der Großen Koalition, sondern eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Wenn es eine solche Vorgabe gibt, muss man sich überlegen, wie man sie umsetzt. Die Koalition hat diese Vorgabe sehr kompliziert und sozial unausgewogen ausgestaltet. Steuervereinfachung? - Fehlanzeige! Eine deutliche Anhebung des Grundfreibetrages wäre die Lösung gewesen. Dies wäre einfacher und gerechter gewesen, und dies wäre auch verfassungsfest gewesen. Diesen Vorschlag haben wir von grüner Seite gemacht. ({12}) Positiv sind die Nachbesserungen beim Schulbedarfspaket, die höhere Einkommensgrenze für Volljährige beim Kindergeld und der ebenfalls auf 8 004 Euro erhöhte Unterhaltshöchstbetrag für die Unterstützung bedürftiger Angehöriger. Aber ich sage Ihnen an dieser Stelle auch: Die Nachbesserungen, die jetzt im laufenden Verfahren vorgenommen worden sind, waren längst überfällig. Hier hat sich gezeigt, wie schlampig die Koalition gearbeitet hat, weil einiges durchgerutscht ist. Damit hatte man eigentlich gar nicht gerechnet, sodass man nach der Verabschiedung der letzten Gesetze feststellen musste, dass sie lückenhaft ausgestaltet waren. Diese Lücken sollen jetzt im Sinne der Familien und der Kinder geschlossen werden. Es ist gut und richtig, dass Sie hier zur Vernunft gekommen sind. ({13}) Die Koalition sollte ihre Fehlleistungen freiwillig einsehen, bevor das Bundesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen Zwang ausübt. Wir müssen uns auch einmal die Frage stellen: Warum warten wir immer darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Politik zum Handeln auffordert? Angesichts ihres Standings, ihres Verantwortungsbewusstseins ist es für die Politik doch wesentlich sinnvoller, Probleme anzupacken, anstatt auf Gerichtsurteile zu warten. ({14}) - Wir haben Gerichtsentscheidungen umgesetzt, die Beschlüsse der schwarz-gelben Regierungszeit betrafen. Damals wurden die Familien nämlich verfassungsrechtlich unsauber besteuert, und die rot-grüne Koalition musste das korrigieren, was Sie über Jahre verbockt hatten. ({15}) Das sage ich insbesondere in Richtung der FDP: In Ihrer Regierungszeit haben Sie die Steuern immer weiter erhöht und die Familien immer mehr belastet. Von Steuersenkungen reden Sie immer nur, wenn Sie in der Opposition sind. ({16}) Ich finde es gut, dass kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe nur noch Umsatzsteuer auf bezahlte Rechnungen an den Fiskus abführen müssen. Sie leiden bedauerlicherweise an der schlechten Zahlungsmoral ihrer Kunden. Es ist richtig, dass man dieses Vorhaben endlich umsetzt; auch wir fordern das seit langem. Wofür wir aber überhaupt kein Verständnis haben, ist, dass die Liquiditätshilfe, die hier für die kleinen und mittleren Betriebe geschaffen wird, nur für zwei Jahre vorgesehen ist. Dieses Hü und Hott macht wirklich keinen Sinn. Es verunsichert die kleinen Firmen. Ich finde schon, dass die zeitliche Begrenzung auf zwei Jahre gestrichen werden sollte; es geht schließlich nur um eine Liquiditätshilfe. ({17}) Zur Zinsschranke: Wir haben immer gesagt, dass sie nicht krisentauglich ist. Dass sich das herausstellt, haben wir der Koalition schon damals prophezeit. Im Unterschied zur FDP wollen wir das Rad aber nicht zurückdrehen; vielmehr wollen wir die Unternehmensbesteuerung dahin gehend ausgestalten, dass Forschung und Entwicklung gefördert werden. Für die Zukunft soll dafür gesorgt werden, dass die innovativen Unternehmen in Deutschland die gleiche Entlastung wie in anderen Ländern bekommen. Man muss sich bei solchen Maßnahmen immer die Frage stellen: Handelt es sich um irgendwelche breit gestreuten Steuergeschenke an viele oder um von der Politik ergriffene Initiativen in Form einer Rahmengesetzgebung, die dazu führen, dass innovative Unternehmen, etwa im Forschungsbereich, mehr Unterstützung bekommen? Eine solche Unterstützung haben die Bundeskanzlerin und Frau Schavan immer wieder eingefordert; passiert ist an dieser Stelle aber gar nichts. Das bedauern wir sehr. Wir hätten uns gewünscht, dass wirksame Maßnahmen getroffen werden, dass für eine Unterstützung gesorgt wird. Jetzt erleben wir, dass getrickste Sonderkonditionen geschaffen werden. Wir brauchen im Steuerrecht aber keine Lex Opel und keine Lex Arcandor. Wir erwarten von Ihnen mehr Transparenz, sodass klar wird, auf welche Unternehmen Ihre Maßnahmen abzielen. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun kommt die Bundesregierung zu Wort. Es spricht der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gelegentlich stelle ich in öffentlichen Veranstaltungen dem Publikum die Frage: Wann war nach ihrer Wahrnehmung der bisher größte Wachstumseinbruch in den letzten 60 Jahren? Wann war die größte Wirtschaftskrise, die wir bisher zu bewältigen hatten? Das ist eine Quizfrage, für deren richtige Beantwortung man eine Belohnung bekommen kann. Die wenigsten erinnern sich, dass das 1975 gewesen ist. Damals gab es einen Einbruch von - halten Sie sich fest - minus 0,9 Prozent. Wenn ich dann hinzufüge, dass wir für dieses Jahr wahrscheinlich einen Konjunktureinbruch von minus 6 Prozent zu verzeichnen haben werden, dann dämmert auch denjenigen, die an den Veränderungen und an der Politik nicht so nah sind, dass wir es mit der tiefsten Wirtschafts- und Finanzkrise in den letzten 60 Jahren zu tun haben und dass diese Krise automatisch Auswirkungen auf das gesamte haushaltspolitische Gerüst hat. Deshalb ist nicht verwunderlich, dass wir hohe Schulden und geringe Steuereinnahmen haben. Noch viel weniger verwunderlich ist, dass die Politik dies nicht tatenlos hinnehmen kann, sondern gegensteuern muss. Dies hat die Große Koalition in den vergangenen Monaten, wie ich finde, angemessen getan. Wir haben diese Krise zwar nicht verhindern können, aber wir können sie etwas abfedern. Ich hoffe, wir können sie verkürzen. Wir haben dafür das Konjunkturpaket I gemacht. Wir haben dafür das Konjunkturpaket II gemacht. Wir haben einen Rettungsschirm für die Banken aufgespannt. Wir können schon belegen, dass wir die zur Verfügung gestellten Mittel nicht „verprassen“, wie Sie es genannt haben, Frau Scheel, sondern mit dem Geld Bürger und Wirtschaft gezielt entlastet haben, dass wir Investitionen, insbesondere kommunale Investitionen in die Infrastruktur, in einem Umfang gefördert haben, wie es ihn vorher nie gegeben hat. Wir waren dabei behilflich, die Liquidität, die Eigenkapitalbildung der Firmen zu stützen. Wir haben den Bankensektor stabilisiert, der den Wirtschaftskreislauf mit Kapital versorgen muss, will sagen, das gesamte Arteriensystem unserer Wirtschaft mit dem notwendigen Geld versorgen muss. Das ist über zwei Jahre ein konjunktureller Gesamtimpuls von 4,7 Prozent des BIP einschließlich der automatischen Stabilisatoren. Noch einmal: Die automatischen Stabilisatoren bringen mit sich, dass wir versuBundesminister Peer Steinbrück chen, konjunkturbedingte Mindereinnahmen und konjunkturbedingte Mehrausgaben nicht an anderen Stellen wieder auszugleichen. Mit diesem antizyklischen wirtschaftsfördernden Impuls von 4,7 Prozent des BIP stehen wir im internationalen Bereich sehr gut da. Ich weiß, dass bei manchen Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstanden ist: Nur die Banken - einige sagen: die Banker - haben 500 Milliarden Euro bekommen. Sehr häufig wird gesagt: Ja, an die Banken und auch an die Unternehmen werden Milliarden und Abermilliarden gezahlt. Dabei gerät aber in Vergessenheit, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen gibt, mit denen die Bürger direkt entlastet werden: über das Konjunkturpaket I, über das Konjunkturpaket II, über die Gesetze zum Familienleistungsausgleich und auch über andere Maßnahmen immerhin in jedem Jahr in der Größenordnung von vollumfänglich 21,4 Milliarden Euro. Der größte Batzen, der dazu beitragen wird, ist heute Gegenstand unserer Debatte, nämlich das Bürgerentlastungsgesetz, das eine Entlastung für 16 Millionen Bürgerinnen und Bürger mit sich bringt. 85 Prozent aller steuerbelasteten Bürgerinnen und Bürger in dieser Republik werden jährlich um 9,6 Milliarden Euro entlastet. Das heißt, in der nächsten Legislaturperiode um insgesamt 40 Milliarden Euro. Ich finde, diese Aussage darf mit einem Ausrufezeichen versehen werden; denn das ist nicht wenig Geld. ({0}) Dabei stellt niemand in Abrede - das wird gar nicht dementiert -, Herr Thiele, dass der Ausgangspunkt dieser Entlastungen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist. Das ändert aber nichts daran, dass es diesen Entlastungseffekt gibt und dass es diese Große Koalition gewesen ist, die die Ausgestaltung dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts so vorgenommen hat, dass 9,6 Milliarden Euro dabei herauskommen. Das hätte man auch anders machen können, wie Sie wissen. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass es viele Experten in meinem Hause gegeben hat - Nicolette Kressl lächelt dabei wissend -, die natürlich eine Gegenfinanzierung verlangt haben, sodass der Entlastungseffekt keineswegs 9,6 Milliarden Euro betragen hätte, sondern vielleicht nur 4 oder 5 Milliarden Euro. Sie, Frau Scheel, haben in Ihrer Rede verschwiegen, dass sich diese Große Koalition dazu durchgerungen hat, gerade in dieser Konjunktursituation dieses Urteil so auszulegen, dass niemand einen einzigen Nachteil hat, sondern die Bürgerinnen und Bürger vollumfänglich von einem Maximum an Entlastungen, das einigermaßen verträglich ist, profitieren können, und zwar in einer Größenordnung von 9,6 Milliarden Euro. ({1}) Ich will auch aufgrund meiner Redezeit auf Einzelheiten gar nicht eingehen. Das mag auch für diejenigen, die uns zuhören, langweilig sein. Aber ich will einige konkrete Beispiele liefern, damit anschaulich wird, was das für den einzelnen Bürger und die einzelne Bürgerin heißt. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind mit einem Bruttoarbeitslohn von 25 000 Euro wird ungefähr um 280 Euro entlastet. Ein lediger Arbeitnehmer ohne Kind mit einem Bruttojahreslohn von 50 000 Euro wird um etwa 1 150 Euro entlastet. ({2}) - Die Singles in Deutschland sind bei der Besteuerung im Vergleich zu den Familien die Gekniffenen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen Single ist. Aber dann wissen Sie sicherlich genau, dass der Staubsaugereffekt über Sozialversicherungsabgaben und Steuern eine sehr große progressive Wirkung hat. Verheiratete ohne Kind mit einem Bruttoeinkommen von 80 000 Euro werden immerhin um fast 620 Euro entlastet. Das heißt, es findet dort der Effekt statt, den wir uns gerade in dieser Konjunktursituation wünschen. Das ist nicht alleine Gegenstand dieses Gesetzentwurf, wie Sie wissen, sondern daneben treffen wir in der Tat befristet - da stimme ich Frau Frechen ausdrücklich zu: befristet wegen dieser konkreten Konjunktursituation eine ganze Reihe von entlastenden Maßnahmen für die Unternehmen in einer Größenordnung von insgesamt 3 Milliarden Euro. Sie kennen die Maßnahmen: erstens die Einführung einer Sanierungsklausel - das muss ich nicht länger ausführen -, zweitens die befristete Erhöhung der Freigrenze bei der Zinsschranke und drittens die Verdoppelung der Umsatzgrenze bei der Istversteuerung, was einen Liquiditätsschub von immerhin 1,9 Milliarden Euro für die mittelständischen Unternehmen bedeutet. Mit Blick auf die Zinsschranke und ähnliche Maßnahmen können Sie, Herr Thiele, nicht wiederholt von einer ach so dramatischen Substanzbesteuerung in Deutschland sprechen. Sie sind, wie ich glaube, im Kopf gut aufgeräumt und wissen genau, dass die Substanzbesteuerung in Deutschland im internationalen Vergleich denkbar gering ist. Wo ist da das Drama, das Sie in Ihren Reden in diesem Zusammenhang immer beschwören? ({3}) Im Übrigen darf ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen unseres Koalitionspartners, die das anders sehen, darauf hinweisen, dass gemäß mehreren Untersuchungen - unter anderem gibt es eine entsprechende bayerische Statistik ({4}) die Bedeutung und der Stellenwert dieser Zinsschranke sehr viel geringer sind, als gelegentlich propagandistisch in den Raum gestellt wird. ({5}) Die DIW-Untersuchung macht deutlich, dass in Deutschland im Wesentlichen 600 deutsche Unternehmen durch diese Zinsschranke konkret belastet sind. Die bayerische Statistik spricht von insgesamt 1 400 bis 1 500 betroffenen Unternehmen in Deutschland. Ich wäre daher dankbar, wenn der Impetus, mit dem dieser Sachverhalt zu einem großen Drama gemacht wird, etwas abgeschwächt werden könnte. Ich bin bereit gewesen, Nachjustierungen vorzunehmen. Das habe ich damals bei der Verabschiedung der Unternehmensteuerreform mit Blick auf die schwierigen Regelungstatbestände beim sogenannten Mantelkauf, der Zinsschranke und den Funktionsverlagerungen immer deutlich gemacht. Aber was mit mir nicht zu machen ist - das will ich deutlich sagen -, ist, die nach wie vor richtige und für den Standort Deutschland wie auch für die Steuerbasis wichtige Grundausrichtung der Unternehmensteuerreform mit dem argumentativen Rückenwind der Konjunkturlage jetzt total aushebeln zu wollen. ({6}) Dafür besteht weder eine sachliche Notwendigkeit, noch verkraftet es die Einnahmebasis der öffentlichen Haushalte. Gelegentlich geht nämlich die Einsicht verloren, dass es nicht nur um den Bundeshaushalt geht. Mit Blick auf alle diversen Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung - das gilt insbesondere für Maßnahmen, die von der FDP vorgeschlagen werden - sollte man betonen, dass die Kommunen einen Anteil von 15 Prozent und die Länder einen Anteil von 42,5 Prozent an der Einkommensteuer haben. Ihre Haushalte wären also von Entlastungsmaßnahmen bei der Einkommensteuer betroffen. Um es sehr deutlich zu machen: Es geht in dieser Krise um temporäre, also zeitlich befristete Entlastungen der Unternehmen. Es geht nicht um eine dauerhafte strukturelle Entlastung. Die Zinsschranke führt keineswegs zu den häufig dargestellten strukturellen Verwerfungen. Meine Damen und Herren, das vorliegende Bürgerentlastungsgesetz, das heute verabschiedet werden soll, macht seinem Namen alle Ehre. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es angesichts einer Gesamtentlastung in Höhe von 40 Milliarden Euro in einer Legislaturperiode wahrscheinlich eines der größten Entlastungspakete in der Geschichte unseres Landes ist. Es kommt vor allen Dingen zur richtigen Zeit. Allen, die jetzt allerdings vollmundig weitere voluminöse Steuerentlastungen ins politische Schaufenster stellen, prophezeie ich, dass es dazu in absehbarer Zeit nicht kommen wird. Ich werde dem Bundeskabinett in der nächsten Woche den Haushaltsplanentwurf für 2010 vorstellen mit einer Neuverschuldung in einer Größenordnung von fast 90 Milliarden Euro. ({7}) - Historisch hoch. - Sie ist bedingt durch die derzeitige ökonomische Entwicklung, die Sie vielleicht in Ihrem Erklärungsmuster berücksichtigen sollten. Mich stört jetzt am meisten die Vorstellung - Sie wissen das -, dass man trotz dieser 90 Milliarden Euro Neuverschuldung weitere Perspektiven für Steuerentlastungen in Höhe von 110 bis 120 Milliarden Euro in den nächsten Jahren eröffnen könnte. Ihre Vorschläge, von denen auch die kommunalen und die Länderhaushalte betroffen wären, sind schlicht und einfach illusorisch. ({8}) Anders ausgedrückt: In der konkreten Situation, in der wir uns derzeit befinden, wird keine Bundesregierung, egal wie die Farbenlehre nach dem 27. September aussieht, Steuersenkungen auf Pump realisieren können. Das ist meine Prophezeiung. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Edmund Geisen für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Soeben haben Sie einen Minister gehört, der Entlastungen verspricht. Er hat in der Vergangenheit schon sehr viel versprochen. Ich stelle für die FDP-Fraktion fest: Elf Jahre Finanzminister in Rot haben zu folgendem Ergebnis geführt: ständige Steuererhöhungen und trotz ständiger Steuermehreinnahmen höchster Schuldenstand der Nation. ({0}) Gleichzeitig wurden wichtige Branchen vernachlässigt. Lassen Sie mich als Bewohner des ländlichen Raumes eine Branche aufgreifen. Eine scheinbar kleine, aber gesamtgesellschaftlich hochwertige Wirtschaftsbranche ist die deutsche Landwirtschaft. Fast jeder zehnte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt von ihr ab. Die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Agrarwirtschaft haben sich seit den letzten elf Jahren - seit Rot-Grün, Frau Scheel - durch staatliche Vorgaben deutlich verschlechtert. Frau Künast von den Grünen hat die Landwirtschaft stiefmütterlich behandelt. ({1}) Die Besteuerung der Betriebsmittel ist um ein Vielfaches höher als in den anderen EU-Mitgliedsländern. Der Agrardiesel wird in Deutschland bislang um das 80-Fache höher besteuert als im Nachbarland Frankreich und in fast allen anderen EU-Ländern. Seit drei Jahren kämpft die FDP-Fraktion gegen den Widerstand aller anderen Fraktionen inklusive der Großen Koalition für eine Harmonisierung der Agrardieselbesteuerung auf europäischer Ebene. Jetzt vor den Bundestagswahlen - auch schon vor den Europawahlen - beschließt die Bundesregierung, getragen von Teilen der Koalition, die Agrardieselbesteuerung zeitweilig zu senken. Aber auch durch diese neue Regelung wird die deutsche Landwirtschaft belastet, weil die BeDr. Edmund Peter Geisen steuerung trotzdem noch um das 40-Fache höher liegt als bei den französischen Kollegen. ({2}) Es ist klar, dass eine Beruhigungspille an die Landwirte verteilt werden soll. Das ist ein offensichtlicher Wahlkampftrick. Wie sich auf mein Nachfragen beim Bundesfinanzminister herausstellte, gilt die zweijährige Befristung rückwirkend, das heißt, schon drei Monate nach der Wahl, am 1. Januar nächsten Jahres, wird diese Steuersenkung wieder aufgehoben. Dann gilt für die deutsche Landwirtschaft wieder die 80-fache Besteuerung des Agrardiesels. ({3}) Die jetzige Regelung hat mit Planungssicherheit und Verlässlichkeit nichts zu tun. Mein Fazit lautet: Mit der Großen Koalition kann man keine vernünftige Agrarpolitik machen. Die Landwirte kommen vom Regen in die Traufe und wieder zurück. In der aktuellen Krise stehen die Milchbauern nicht nur mit dem Rücken zur Wand; sogar Betriebsaufgaben sind die Folge. Wer das nicht will, muss die Leistungsfähigkeit der Betriebe stärken und darf keine Sozialhilfe leisten. Die FDP will statt staatlicher Unterstützungsprogramme die Rahmenbedingungen für die heimische Landwirtschaft verbessern. ({4}) So kann die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Eine dauerhafte Kostenentlastung auch bei Agrardiesel ist notwendig. Die kostentreibende Politik der Regierungen der letzten elf Jahre hat der deutschen Landwirtschaft nachhaltig Schaden zugefügt. Das muss sich nach dem 27. September unbedingt ändern. Wir sind sehr motiviert. Wir werden bis aufs Letzte kämpfen, um Veränderungen herbeizuführen; denn wir können es besser. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden in den nächsten Monaten viele Gelegenheiten haben, um über Steuerkonzepte zu sprechen. Wenn es aber um Steuerentlastung geht, dann sind wir heute an der richtigen Stelle; denn heute werden die Bürger um 10 Milliarden Euro und die Unternehmen um 3 Milliarden Euro entlastet. Das sollten wir zunächst einmal festhalten. ({0}) Gerade in dieser Debatte wird viel über Steuererhöhungen gesprochen. Das hat schon einen Hang zum Absurden: Wir sprechen über Steuererhöhungen, während wir gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen entlasten wollen. Frau Kollegin Christine Scheel, Sie haben bereits darüber gesprochen, dass die Konjunktur unzureichend angekurbelt wurde. Die 10 Milliarden entsprechen den 0,4 Prozent, die Sie angesprochen haben. Beim Bürgerentlastungsgesetz - das haben die Vorredner bereits gesagt - geht es um eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass neben Nahrung, Kleidung und Wohnung auch die Beiträge zur Krankenversicherung zum steuerlichen Existenzminimum gehören. Das ist eine neue Situation. Das hatten wir in den letzten 60 Jahren - auch unter anderen Regierungen - nicht. Wir als Koalition haben darauf exakt reagiert und die richtigen Entscheidungen getroffen. Zukünftig können alle Beiträge für die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung abgesetzt werden. Das heißt, wer hohe Beiträge zahlt, Frau Höll, der kann natürlich auch viel absetzen. Es gibt auch eine Solidargemeinschaft in der gesetzlichen Krankenkasse, aber es ist deutlich gemacht worden, dass es um den ersten Punkt geht: Alle Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse können abgesetzt werden. Bei den Privatversicherten gibt es eine Sonderregelung. Auch hier wird ermittelt, wie hoch der gesetzliche Anteil, der abgesetzt werden kann, und wie hoch der private Anteil der Versicherung ist. ({1}) Eine Besonderheit ist, liebe Kolleginnen und Kollegen - das ist wichtig für die Beitragszahler -, dass zukünftig auch alle Beiträge für die Kinder abgesetzt werden können. Das ist meines Erachtens einer der wichtigsten Punkte. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Herr Kollege Spieth würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das kann er gerne machen.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Flosbach, ich kann nachvollziehen, dass Sie mit diesem Bürgerentlastungsgesetz die Vorgaben des Gerichtes erfüllen wollen. Aber Sie sprechen davon, dass alle Beitragszahler gleichermaßen durch Ihre Maßnahmen entlastet werden. Das ist nach meiner Auffassung falsch. Deshalb frage ich Sie: Wollen Sie wirklich behaupten, dass ein Arbeitnehmer - verheiratet, ohne Kinder, mit einem Einkommen in Höhe von 1 500 Euro durch Ihr Gesetz steuerlich entlastet wird? Nach meiner Berechnung - das kann man im offiziellen Rechner des Bundesfinanzministeriums nachrechnen - findet in diesem Bereich überhaupt keine Entlastung statt. ({0}) Können Sie bestätigen, dass ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen in Höhe von 3 675 Euro durch Ihre Maßnahmen um rund 85 Euro entlastet wird? Können Sie weiter bestätigen, dass ein Bundestagsabgeordneter mit einem Einkommen in Höhe von 7 665 Euro um rund 125 Euro monatlich entlastet wird? Ich kann nur feststellen: Wenn ich an mein eigenes Portemonnaie denken würde, dann müsste ich dem Gesetzentwurf eigentlich zustimmen. Aber bei dieser sozialen Schräglage muss man das Bürgerentlastungsgesetz ablehnen; denn es ist sozial nicht ausgeglichen. Können Sie das bestätigen, oder würden Sie dem widersprechen? ({1})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, anscheinend haben Sie das Steuersystem der Bundesrepublik Deutschland immer noch nicht verstanden. ({0}) Krankenversicherungsbeiträge sind Beiträge, für die man eine konkrete Gegenleistung erhält. Steuern sind Abgaben, bei denen Sie keinen Anspruch auf eine Gegenleistung haben. Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht, ({1}) dass etwa 85 Prozent aller derzeitigen Einkommen- und Lohnsteuerzahler entlastet werden. Sicherlich können diejenigen, die keine Steuern zahlen, auch nicht entlastet werden. Das ist ein relativ einfaches Rechenbeispiel. ({2}) Wir wollen - und das ist ein Kern des Gesetzentwurfs auch die Leistungsträger entlasten, diejenigen, die bisher hohe Beiträge gezahlt haben. ({3}) Meine Damen und Herren, im Gesetzentwurf ist geregelt worden, dass alle Beiträge abgesetzt werden können. Ich denke, Frau Frechen, die Verhandlungen haben gezeigt, dass wir einen guten Weg gefunden haben, um auch das komplizierte Problem bei den privaten Krankenversicherungen zu lösen. Es gab ja Überlegungen, für jeden Einzelnen exakt zu errechnen, wie hoch sein gesetzlicher Anteil und wie hoch sein privater Zusatzanteil ist. Wir haben eine Pauschalierung vereinbart, sodass für jeden Tarif exakt ausgerechnet werden kann, wie hoch der Abzugsbetrag ist. So wurde dieses Problem gelöst. Das war wichtig für uns; denn wir wollten bei diesem Gesetz zu viel Bürokratie vermeiden. Das ist uns als Koalition hervorragend gelungen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen das natürlich auch immer im Zusammenhang mit der vorherigen, aktuell noch gültigen Regelung sehen, die seit dem Jahr 2005 bzw. seit der Verabschiedung des Alterseinkünftegesetzes gilt. Bisher können Arbeitnehmer von allen Beiträgen, von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, aber auch Arbeitslosenversicherungsbeiträgen und Beiträgen zur Risikolebensversicherung, zur Unfallversicherung, zur Haftpflichtversicherung sowie zur Berufsunfähigkeitsversicherung - einen Teil davon zahlt ja der Arbeitgeber - nur 1 500 Euro absetzen. Bei einem Selbstständigen sind es bisher 2 400 Euro. Das ist natürlich viel zu wenig. Deshalb haben wir in einem ersten Schritt diese Grenze auf 1 900 Euro beziehungsweise 2 800 Euro angehoben. Sie hatten recht, Frau Frechen, damit werden natürlich die kleinen Einkommen bevorzugt. Jetzt wird uns vorgeworfen, wir hätten kein Gesetz geschaffen, mit dem auch anderen Möglichkeiten der Vorsorge gegeben werden. Aber ich bitte Sie, rufen Sie sich die Zeit dieser Legislaturperiode in Erinnerung; erinnern Sie sich an das Jahr, in dem das Alterseinkünftegesetz verabschiedet wurde: Wir haben neu geregelt, dass bis zu 20 000 Euro für die Altersvorsorge abgesetzt werden können. Wer eine Rürup-, also eine Basisrentenversicherung abschließt, der kann 50 Prozent seines Beitrags für eine Berufsunfähigkeitsversicherung ausgeben. Wer eine Direktversicherung zur betrieblichen Altersversorgung abschließt, kann seine Zahlung vollständig in die Berufsunfähigkeitsversicherung einfließen lassen. Bei einer Riester-Rente ist das ebenfalls teilweise möglich. Mit einer betrieblichen Gruppenunfallversicherung kann sehr kostengünstig und sowohl für den Betrieb absetzbar als auch für den Arbeitnehmer steuerfrei eine Unfallversicherung aufgebaut werden. Es war das Konzept der Bundesregierung und auch der Koalitionsfraktionen, mit Blick auf die Geringverdiener und die Leistungsträger der Gesellschaft eine Ausgewogenheit herbeizuführen. Das war uns besonders wichtig. ({5}) Insgesamt werden die Bürger um 10 Milliarden Euro entlastet. Dabei erhalten die Lohnsteuerzahler durch das Lohnsteuerabzugsverfahren direkt mit Beginn im Januar 2010 den entsprechenden Vorteil. Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht, dass es Unterschiede gibt. Manche werden um wenige 100 Euro jährlich entlastet; bei Einzelnen kann die Entlastung auch 1 000 Euro im Jahr betragen. Viele haben dies als heimliches Konjunkturpaket bezeichnet. Das ist richtig. Gerade in der jetzigen Phase können wir damit dafür sorgen, dass die Bürger mehr Geld in der Tasche haben. Für die Ankurbelung der Konjunktur ist das in der Tat sehr wichtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diesen Gesetzentwurf natürlich auch um Positionen erweitert, die dazu dienen, Unternehmen zu helfen, durch die Krise zu kommen. Nicht nur bei den Großen, sondern auch bei vielen Klein- und Mittelbetrieben erleben wir, dass sie in größten Liquiditätsschwierigkeiten stecken. Deshalb war es uns auch wichtig, die Umsatzsteuererhebung in den Betrieben zu verändern. Bisher gilt die sogenannte Sollbesteuerung. Damit muss ein Unternehmer die UmsatzKlaus-Peter Flosbach steuer schon in dem Moment abführen, in dem er die Rechnung stellt, obwohl er das Geld noch nicht auf dem Konto hat. Für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 500 000 Euro sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern wollen wir das Ganze deshalb umstellen. Sie müssen die Umsatzsteuer in Zukunft erst dann abführen, wenn der Rechnungsbetrag auf ihrem Konto eingegangen ist. Es gilt also die Istbesteuerung. Für 80 Prozent aller Klein- und Mittelbetriebe ist es die entscheidende Größe, dass sie in der jetzigen Phase Liquidität in die Tasche bekommen. ({6}) Auch die anderen Maßnahmen in diesem Gesetzentwurf sind genau auf die derzeitige Situation zugeschnitten. Selbstverständlich haben wir mit dem Koalitionspartner nicht in allen Punkten Übereinstimmung erzielt. In der jetzigen Situation ist allerdings besonders wichtig, dass wir die Zinsschranke gelockert haben. Bisher mussten viele Betriebe Steuern auf Gewinne zahlen, die sie gar nicht erwirtschaftet haben; denn sie konnten die Zinsen nicht als Kosten absetzen. Hier haben wir eine Erweiterung von 1 Million auf 3 Millionen Euro je Betrieb vorgenommen. Ein weiterer Punkt ist in der aktuellen Phase von großer Bedeutung. Nicht der Staat soll sanieren; vor allem sollen Betriebe saniert werden, indem andere Betriebe sie auch übernehmen können. Dazu war uns die Sanierungsklausel sehr wichtig. Insbesondere geht es an dieser Stelle um die Arbeitsplätze. Wenn Betriebsvereinbarungen getroffen werden, haben wir auch eine große Chance, zahlreiche Arbeitsplätze zu erhalten. Ich komme zum Schluss. Der von den Koalitionsfraktionen unterstützte Entwurf eines Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung der Bundesregierung hilft den Menschen und den Betrieben in der Krise. Uns ging es darum, in der jetzigen Phase allen mehr Liquidität zu geben, die Nachfrage anzukurbeln und uns vor allen Dingen so aufzustellen, dass wir stabil aus der derzeitigen Krise herauskommen. Die Betriebe und die Bürger sollen anschließend in der Lage sein, wieder Steuern zu zahlen, um unser stabiles Sozialsystem auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die SPD-Fraktion gebe ich dem Kollegen Reinhard Schultz das Wort.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teile der bislang geführten Debatte sind einigermaßen kurios. Die FDP zieht wieder ihre Oper der milliardenschweren Steuerentlastung ab - mit der festen Absicht, die öffentlichen Haushalte und die Finanzierung der Sozialsysteme nun endgültig zu ruinieren und nur eine Klientel zu bedienen, die von diesen Steuerentlastungen dann auch etwas hätte. ({0}) Die CDU/CSU ist dort Gott sei Dank deutlich vorsichtiger. Sie hat gesagt, was heute zu entscheiden sei, stehe hier zur Debatte. Außerhalb dessen diskutiert sie dann Steuerprogramme, bei denen sie zum einen versucht, auf die FDP zuzurobben. Zum anderen stellt sie das Ganze aber gleichzeitig unter den Inkraftsetzungsvorbehalt der besseren Zeiten. Auch das finde ich ganz interessant. Nach dem Motto „Denn das Himmelreich ist nah“ wird hier Wahlkampf vorbereitet; ich kann das alles auch gut verstehen. ({1}) Wer sich ernsthaft mit der steuerlichen Problematik, mit der Abgabensituation und mit der Lage der Wirtschaft befasst, der muss feststellen, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten wirklich Gigantisches leisten, um Schritt für Schritt da, wo es notwendig ist, Wirtschaft und Bürger durch Konjunkturprogramme, durch Kreditprogramme, durch steuerliche Maßnahmen und durch Direktinvestitionen zu entlasten. ({2}) - Das ist doch so, Eduard. - Wegen der Krise muss man dabei natürlich differenzieren. Das muss man befristen. Wir können uns nicht bis zum Jüngsten Gericht politisch völlig handlungsunfähig machen. Wo wollen wir dauerhafte Entlastung? Wir haben die Bürger bereits dauerhaft entlastet, auch im Rahmen von bestimmten Teilen des Konjunkturprogramms. Es ist ja nicht so, dass wir für die geringen Einkommen nichts getan hätten. Wir haben den Grundfreibetrag heraufgesetzt. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt. Das war in dieser Situation schon eine große Maßnahme. Auch das Bürgerentlastungsgesetz, das von uns natürlich nicht unter konjunkturpolitischen Aspekten entworfen wurde, passt gut in dieses Konzept - das ist überhaupt nicht zu bestreiten -; denn es wirkt ab 2010 in der Breite entlastend. Das muss man einmal sehen. ({3}) Herr Thiele, ich wende mich jetzt vor allen Dingen an Sie, weil Sie von der FDP immer rufen, wir hätten jetzt die höchste Verschuldung überhaupt. ({4}) Ich muss Sie fragen, wie es in dieser Situation aussähe, wenn wir nicht zu Beginn dieser Koalition einen strikten Konsolidierungskurs gefahren wären, was den Bundeshaushalt angeht, wenn wir bei der Unternehmensteuerreform nicht darauf geachtet hätten, dass - bei aller Wettbewerbsfähigkeit der Steuersätze - auch etwas für den Staat übrig bleibt. Wie sähe die Handlungsfähigkeit in diesem Jahr aus, wenn wir nicht vorher dafür gesorgt hätten, dass wir das Konsolidierungsziel, das wir ursprünglich im Auge gehabt haben, nahezu erreicht hätten? Wir wären in der Situation von Ländern wie Grie25448 Reinhard Schultz ({5}) chenland und anderen, die, ökonomisch gesehen, auf den Brustwarzen robben, überhaupt nicht mehr handlungsfähig sind und jetzt über den Umweg der EU versuchen, eine Art von Finanzausgleich zu unseren Lasten hinzubekommen. Wenn Steinbrück nicht vorher das Kreuz durchgedrückt hätte und auf Konsolidierung gesetzt hätte, wären wir nicht in der Lage, auf die Krise so zu reagieren, wie wir das jetzt getan haben. Das ist die ganze Wahrheit. ({6}) Natürlich machen wir dafür Schulden. Das wissen wir auch. Es ist nun einmal das Prinzip einer antizyklischen Konjunkturpolitik, dass man mitunter Geld in die Hand nehmen muss, um Wachstum zu generieren. Dann muss man sich aber strikt verpflichten - das ist im Zusammenhang mit der Schuldenbremse auch beschlossen worden -, diese Schulden in besseren Zeiten wieder zurückzuführen. Das ist im Zusammenhang zu sehen. Diese Änderung der Verfassung im Rahmen der Föderalismusreform II und die Staatsverschuldung, zu der wir jetzt gezwungen sind, haben doch etwas miteinander zu tun. In diesem Gesetzespaket geht es aber nicht nur um die Entlastung der Bürger, sondern auch um Elemente der Unternehmensteuerreform, die zur Gegenfinanzierung dienen. Diese Elemente - wir haben in bestimmten Punkten Neuland betreten - stehen natürlich unter einem Evaluierungsvorbehalt; Peer Steinbrück hat darauf hingewiesen, und wir haben das auch gesagt. Man muss genau schauen: Wie weit kann man die Schraube drehen, ohne sie zu überdrehen? Wo kann man Feinsteuerung machen? Wir haben dabei festgestellt: In dramatisch schwierigen Zeiten wie jetzt gibt es Effekte, die man aufheben muss, zumindest solange die Zeiten so schwierig sind. Da bin ich über etwas sehr froh. Wir führen ja spätestens seit dem SPD-Bundesparteitag die Diskussion darüber: Wer hat es erfunden? - Das finde ich auch gut. Bei der Frage der Istversteuerung ist es völlig eindeutig, das ist von uns. ({7}) - Das wäre überhaupt nicht in der Beschlussvorlage, liebe Freunde, wenn ich dieses Thema nicht in der Anhörung - zur Überraschung mancher, auch zur Überraschung des Koalitionspartners - auf die Tagesordnung gebracht hätte. Dann sind Gott sei Dank alle, die entscheiden können, dem gefolgt. Für zweieinhalb Jahre gilt die Istversteuerung, wie sie bislang nur in Ostdeutschland galt, im gesamten Bundesgebiet; die Umsatzgrenze beträgt 500 000 Euro. ({8}) - Das ist nicht meine letzte Rede, lieber Herr Finanzausschussvorsitzender. Ich glaube, dass ich hier bis zum Anschlag weitermache - das würde ich einmal vermuten -, wenn nicht etwas dazwischenkommt; aber auch das glaube ich nicht. Gerade den kleinen und mittleren Unternehmen haben wir in der Krise einen erheblichen Liquiditätsvorteil verschafft, weil es in der jetzigen Situation, wie auch Herr Flosbach dargestellt hat, nicht zumutbar ist, dass sie die Umsatzsteuer auf Rechnungsbeträge abführen müssen und nicht wissen, ob sie diese Rechnungsbeträge in den nächsten vier, sechs, acht oder zwölf Wochen überhaupt vereinnahmen können. Das ist der Effekt, um den es geht. Das passt in unser Gesamtprogramm zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Krise und zur Stabilisierung der kleinen und mittleren Unternehmen. Das gilt auch für die Sanierungsklausel, für die Mantelkaufregelung, die wir im Rahmen der Unternehmensteuerreform beschlossen haben. Natürlich wollen wir das willkürliche Umpflanzen von Verlusten, das Übertragen von Verlusten auf eine andere Gesellschaft, nur um diese dann steuerlich geltend machen zu können, weiterhin nicht. Wir wollen dies verhindern. Deswegen können wir uns jetzt nur darauf verständigen, diesen Teil im Sinne einer vernünftigen Sanierung und unter angemessenen Bedingungen für die Beschäftigten

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schultz!

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- außer Kraft zu setzen. Wenn die Beschäftigten mitmachen oder wenn der Wert des Unternehmens eindeutig erhalten oder sogar verbessert wird, dann besteht die Möglichkeit, diese Verluste auf einen neuen Eigentümer zu übertragen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schultz, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr vor sich! ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eben. - Das gilt nicht nur für Arcandor oder sonst wen. Das gilt insbesondere auch für viele mittelständische Unternehmen, die wegen der Krise vor Übernahmen und Eigentümerwechseln stehen. Deswegen ist es irrig, anzunehmen, wir würden dies nur für die Großen tun. Wir tun es auch für die Kleinen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schultz, ich muss Sie jetzt dringlich mahnen, dass Sie aufhören.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin jetzt auch fertig. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter Rzepka, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hat die Große Koalition die nominale Ertragsteuerbelastung für Kapitalgesellschaften von knapp 40 auf etwa 30 Prozent gesenkt. Für Personenunternehmen wurden vergleichbare Thesaurierungsbedingungen geschaffen. Deutschland ist damit im internationalen Vergleich der Tarife von einer Spitzenposition ins Mittelfeld gerückt. Das Ziel der Reform, deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken, ist gefördert worden. Bereits in der Koch-Steinbrück-Kommission hatten die Koalitionsparteien verabredet, die Nettoentlastung durch Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage auf etwa 5 Milliarden Euro zu begrenzen. Mit dieser Gegenfinanzierung sollte gleichzeitig der Verlagerung von Gewinnen ins Ausland entgegengewirkt und das deutsche Steuersubstrat gesichert werden. Schon in den Jahren zuvor waren allerdings die Regeln zur Gewinnermittlung zulasten der Unternehmen ständig verschlechtert worden. Mindestgewinnbesteuerung, Erschwerungen bei der Gesellschafterfremdfinanzierung und Einschränkungen bei der Bildung steuerwirksamer Rückstellungen hatten die tatsächliche Steuerlast für Unternehmen erhöht. Die nach dem KochSteinbrück-Konzept erforderliche Gegenfinanzierung konnte deshalb nicht mehr allein durch die Streichung von Ausnahmen und Steuervergünstigungen erbracht werden. Deshalb wurde die Ertragsbesteuerung durch Elemente der Substanzbesteuerung erweitert. ({0}) Bereits in der Anhörung zum Unternehmensteuerreformgesetz wurde Folgendes deutlich: Bei guter Konjunktur und entsprechender Ertragslage der Unternehmen wird die Senkung der Steuersätze die Gegenfinanzierung überkompensieren und die Unternehmen entlasten. Bei schlechter Konjunktur und Ertragsschwäche wirken die Gegenfinanzierungsmaßnahmen hingegen substanzverzehrend und verschärfen damit die Krise. ({1}) Trotzdem wurde der Regierungsentwurf in der konjunkturellen Schönwetterlage 2007 mit einigen Verbesserungen beschlossen. Zu weiteren Änderungen waren Finanzminister Steinbrück und die SPD-Fraktion nicht bereit. ({2}) In der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise mit der schärfsten Rezession der Nachkriegszeit wirken sich die Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Unternehmensteuerreform nun tatsächlich krisenverschärfend aus. Sie entziehen den Unternehmen dringend notwendiges Eigenkapital, erschweren die Sanierung einschließlich der Zuführung frischen Kapitals, tragen zur Verteuerung von Krediten bei und gefährden damit Arbeitsplätze. Die Arbeitsgruppe Finanzen der Unionsfraktion hatte bereits in den Beratungen zum Jahressteuergesetz 2009 im Oktober vorigen Jahres Änderungsbedarf bei der Unternehmensteuerreform angemeldet, ist aber am Widerstand der SPD-Fraktion gescheitert. Immerhin hat die Beharrlichkeit meiner Fraktion dazu geführt, dass wir uns mit unserem Koalitionspartner im Rahmen dieses Gesetzentwurfs auf folgende Änderungen bei der Unternehmensbesteuerung verständigt haben: Es ist bereits angesprochen worden, dass wir das Überschreiten der Zinsschranke erleichtern, dass die Verlustvorträge im Sanierungsfall in bestimmten Fällen erhalten bleiben und die Istbesteuerung ausgeweitet wird, insbesondere als Liquiditätshilfe für die kleinen Unternehmen. Die ersten beiden Maßnahmen entlasten die Unternehmen um circa 1 Milliarde Euro im Jahr. Die zeitlich begrenzte Ausweitung der Istbesteuerung stärkt die Liquidität der Unternehmen bis Ende 2011 um knapp 2 Milliarden Euro. Die Union hält ebenso wie viele Sachverständige weitere Maßnahmen für erforderlich, um Unternehmen in der Krise und im internationalen Wettbewerb zu stärken, zum Beispiel weitere Erleichterungen bei der Zinsschranke. Herr Minister Steinbrück, Sie haben im Gesetzgebungsverfahren vor zwei Jahren davon gesprochen, dass von der Zinsschranke, die dazu führt, dass Unternehmen auch ohne entsprechende Erträge Steuern zahlen müssen, nur 200 Unternehmen betroffen sein würden. Das war Ihr Standpunkt 2007 im Gesetzgebungsverfahren. In Ihrer heutigen Rede haben Sie eingeräumt, dass wesentlich mehr Unternehmen betroffen sind; Sie sprachen von 400 oder möglicherweise deutlich mehr Unternehmen. ({3}) Wo liegt da das Problem, Herr Steinbrück? Die Untersuchungen, auf die Sie sich berufen, beziehen sich auf die Jahre 2006 und früher. Darin konnten die gegenwärtige Krise und deren Auswirkungen überhaupt noch nicht berücksichtigt werden. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass nicht nur 1 400, sondern mehrere Tausend Unternehmen betroffen sind. ({4}) - Frau Kollegin Frechen, Sie sind in der Steuerberatung tätig. Wenn Sie mit Ihren Kollegen in der Steuerberatung sprechen, wissen Sie, dass bereits jetzt viel mehr Unternehmen betroffen sind, als ursprünglich angenommen worden ist. ({5}) Viele Steuerberater, die gar nicht glaubten, jemals mit dem Thema zu tun zu bekommen, weil sie nur kleine und mittlere Unternehmen betreuen, bestätigen uns: Die Betroffenheit ist da. Wir wollen deshalb weitere Änderungen bei der Zinsschranke, bessere Verlustverrechnungsmöglichkeiten, eine Reduzierung der ertragsunabhängigen Bestandteile der Gewerbesteuer und das alles ohne zeitliche Beschränkung. ({6}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich diesen Forderungen in einem eigenen Gesetzentwurf weitgehend angeschlossen. Die notwendige Reform der Reform muss vom nächsten Bundestag sehr bald beschlossen werden, um weitere Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste zu vermeiden. Nach meiner persönlichen Meinung hätten wir die Mittel aus der Abwrackprämie besser für eine Reform der Unternehmensbesteuerung schon in dieser Wahlperiode eingesetzt und damit für alle Unternehmen Erleichterungen geschaffen. ({7}) Da ich mit dem Ende der Legislaturperiode aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden werde, ({8}) gestatten Sie mir einige persönliche Anmerkungen: Ich habe in zwei Wahlperioden den Bundestag als ein arbeitsintensives Parlament kennengelernt. Die Ergebnisse unserer gesetzgeberischen Arbeit könnten aber besser sein, wenn wir insgesamt weniger Gesetze beschließen und dabei folglich unter einem geringeren Zeitdruck stehen würden. Der Sachverständigenrat hat in seinem Herbstgutachten 2008 unter Hinweis auf Regelungen zur Unternehmensteuerreform festgestellt, dass die Große Koalition mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen kann, „einen der größten Komplexitätsschübe in der jüngeren deutschen Steuergeschichte verursacht zu haben - und damit auch eines der umfangreichsten Arbeitsbeschaffungsprogramme für Steuerberater.“ Trotz der Komplexität der Gesetze werden diese im Eiltempo beschlossen. Auch in diesem Gesetzgebungsverfahren lag ein Teil der endgültigen Gesetzentwürfe erst am Tag vor der abschließenden Beratung im Finanzausschuss vor. Komplizierte und aufgrund des Zeitdrucks oft unverständliche Gesetzestexte werden von der Finanzverwaltung und der Finanzrechtsprechung rechtschöpfend auf den Einzelfall angewandt, zunehmend mit unterschiedlichen Ergebnissen. Die Finanzverwaltung reagiert auf Niederlagen bei den Gerichten oft mit sogenannten Nichtanwendungserlassen ({9}) und wendet höchstrichterliche Urteile über den entschiedenen Einzelfall nicht an. ({10}) Die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ist gefährdet. Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Steuerehrlichkeit nehmen ab. Ich wünsche dem nächsten Bundestag mehr Sensibilität für diese Gefahren. Des Weiteren wünsche ich mir größeren Einsatz und mehr Erfolg für systematische, einfache und eindeutige Steuergesetze, die den Steuerbürgern und Unternehmen bei ihren wirtschaftlichen Aktivitäten Planungssicherheit geben und mehr Akzeptanz finden. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsor- geaufwendungen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13429, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/12254 und 16/12674 in der Ausschuss- fassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/13477? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung des Bündnis- ses 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13478? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Der Änderungsantrag ist mit demselben Er- gebnis abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Bündnis- ses 90/Die Grünen und der FDP und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP und Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- nommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 16/13479? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP und Enthal- tung der Linken abgelehnt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/13482? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Ent- haltung des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstim- men der Fraktion Die Linke abgelehnt. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Korrektur der Unternehmensteuerreform. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Finanzausschuss, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12525 abzulehnen. Ich bitte die- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen des restlichen Hau- ses abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- nung die weitere Beratung. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiesteuergesetzes. Der Finanzaus- schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/13416, den Gesetzent- wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12851 in der Ausschussfassung anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Linken, der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenom- men. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit mit den Stimmen der Linken, der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und FDP angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Abstimmung über den Entschließungsan- trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13483. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist bei Gegenstimmen der Linken mit den Stim- men des restlichen Hauses abgelehnt. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13480. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grü- nen mit den Stimmen des restlichen Hauses abgelehnt. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Agrardieselbesteuerung senken - Wettbe- werbsnachteile der deutschen Landwirtschaft abbauen“. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13416 empfiehlt der Ausschuss, den An- trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11670 ab- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 54 a bis 54 e auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege - Drucksachen 16/12785, 16/13298 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege - Drucksache 16/12274 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - Drucksache 16/13430 Berichterstattung: Abgeordnete Josef Göppel Angelika Brunkhorst Undine Kurth ({1}) b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts - Drucksachen 16/12786, 16/13306 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts - Drucksache 16/12275 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) - Drucksache 16/13426 - Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Petzold Angelika Brunkhorst Nicole Maisch c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung - Drucksachen 16/12787, 16/13299 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einge25452 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung - Drucksache 16/12276 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) - Drucksache 16/13431 Berichterstattung: Abgeordnete Jens Koeppen Detlef Müller ({4}) Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl d) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) - Drucksachen 16/12788, 16/13301 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) - Drucksache 16/12277 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) - Drucksache 16/13443 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({8}) Michael Kauch Sylvia Kotting-Uhl e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Lage der Natur für die 16. Wahlperiode - Drucksache 16/12032 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Sportausschuss Ausschuss für Tourismus Zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung liegen mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch, SPDFraktion.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was lange währt, wird endlich gut“, ({0}) dieses Motto passt zu dem jetzt behandelten Tagesordnungspunkt. Das Vorhaben, um das es geht, bewegt die Bundesrepublik seit den 70er-Jahren. Sicherlich haben viele nicht mehr daran geglaubt, dass es doch noch gelingt, ein, wenigstens zu einem großen Teil, einheitliches Umweltrecht in Deutschland zu schaffen. Die Schaffung eines einheitlichen Umweltrechts in Deutschland ist ein ambitioniertes Ziel. ({1}) Wir kommen diesem Ziel heute einen großen Schritt näher. Man sollte vielleicht sagen: Was noch länger dauert, wird noch besser. Ich kann nämlich für die SPD-Fraktion ausdrücklich erklären, dass wir das Ziel, ein umfassendes Umweltgesetzbuch zu schaffen, weiterverfolgen werden. Es wird auf der Agenda eines neuen Koalitionsvertrages stehen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den Diskussionen, die in den letzten Wochen und Monaten geführt worden sind, muss man sich eigentlich die Frage stellen, warum wir es nicht geschafft haben, auch den letzten Schritt zu machen, nämlich das Buch I, in dem es um eine integrierte Vorhabengenehmigung als Kernstück einer neuen Genehmigungsform geht, zu realisieren. Es ist - das muss man an dieser Stelle noch einmal sagen - bedauerlich, dass wir uns aufgrund des Widerstandes eines einzigen Bundeslandes nicht haben durchsetzen können. Ich glaube dennoch, dass die Schritte, die wir heute tun, Motivation genug sein müssen und können, auch diesen letzten Schritt zu vollziehen. Wir haben in den letzten Wochen erlebt, dass eine Rechtsvereinheitlichung in Deutschland hohe Hürden überwinden muss. Es gibt, gerade was das Umweltrecht anbelangt, innerhalb des Bundestages - das werden auch die Redebeiträge der Opposition, von FDP und Grünen beispielsweise, deutlich machen -, aber auch innerhalb des Bundesrates völlig unterschiedliche Vorstellungen. Die Berichterstatter werden ihre Ordner noch lange aufheben können. Wir haben von den Verbänden massenhaft Zuschriften bekommen, die in völlig unterschiedliche Richtungen gehen. Insofern war die Quadratur des Kreises zu leisten. Ich glaube, sie ist uns gelungen. Daher bedanke ich mich ausdrücklich bei meinen Berichterstatterkollegen der CDU/CSU, Josef Göppel, Andreas Jung und Ulrich Petzold. Das war eine sehr konstruktive Zusammenarbeit, die vor allen Dingen vom gegenseitigen Respekt geprägt gewesen ist. Ich glaube, das ist eine tragfähige Basis dafür, einen solchen Gesetzentwurf zu schaffen. Ganz besonders will ich mich aber bei Ihnen, Herr Minister, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Sie alle sind da, zumindest die Spitzen; mein Dank gilt aber auch den Leuten, die dahinter stehen. Es war schon außergewöhnlich, wie viele Wochenenden, Nächte und Tage Sie aufgewendet haben, um uns immer wieder neue Formulierungshilfen zu geben. ({3}) Dem gilt unser herzlicher Dank. ({4}) Im Bereich des Naturschutzes und des Wasserrechts gibt es erstmals eine Vollregelung für den Bund. ({5}) All denjenigen, die Probleme bei der Föderalismusreform I sehen - ich teile diese Sicht im Übrigen -, muss man sagen, dass der Rechtszustand bzw. der Verfassungszustand davor auch nicht besser war, da der Bund keine Vollregelungs-, sondern nur die Rahmengesetzgebungskompetenz hatte. Wir haben in diesen wichtigen Rechtsbereichen jetzt erstmals Vollregelungen erlassen können, allerdings mussten wir sie auch erlassen, weil ansonsten eine völlige Rechtszersplitterung in Deutschland gedroht hätte. Angesichts der Abweichungskompetenz der Bundesländer in bestimmten Bereichen stehen wir vor der Herausforderung, hier bei der Beschlussfassung möglichst zu einem Konsens zu kommen. Diese Vollregelung ist eine große Innovation im Umweltrecht, und ich glaube, wir können mit Fug und Recht behaupten, dass die elementaren Grundsätze gewahrt werden konnten, auch wenn sie - das will ich nicht verschweigen - zur Disposition standen. Wir haben beispielsweise den Vorschlag abgewehrt, dass es einen Vorrang des Vertragsnaturschutzes geben soll. Wir haben auch Einschränkungen beim Artenschutz abgewehrt. Jeder, der die biologische Vielfalt ernst nimmt, muss für ein hohes Schutzniveau eintreten. Dies ist gelungen, und ich bin außerordentlich dankbar dafür. ({6}) Wir haben auch an dem Grundsatz der Eingriffsregelung „Vermeidung, Ausgleich und Ersatz“ festgehalten. Lediglich bei den Realkompensationen haben wir eine Flexibilisierung herbeigeführt. Es ist mir wichtig - auch in Hinsicht auf die Umweltverbände -, dies erreicht zu haben; denn es wurde hinterfragt und wird sicherlich auch weiter hinterfragt werden, ob man an diesem Dreiklang nicht eine Änderung vornehmen kann. Ich halte die Tatsache, dass wir den Dreiklang „Vermeidung, Ausgleich und Ersatz“ erhalten haben, für einen Riesenerfolg, und ich glaube, es ist gut, dass wir Umweltpolitiker in dieser Beziehung standhaft geblieben sind. Wir haben uns auch mit dem Verhältnis zwischen Klimaschutz, erneuerbaren Energien und Naturschutz befassen müssen. Bei der Wasserkraft haben wir einen solchen Ausgleich gefunden; denn wir haben zwar die Querverbauung in dem Gesetzentwurf nicht geregelt, aber wir haben den Schutz der Fischpopulation als obersten Grundsatz in die Norm aufgenommen und klare Bewirtschaftungsziele definiert, was aus meiner Sicht den Belangen beider Seiten - der Naturschützer und der Wasserkraftnutzer - Rechnung trägt. Insofern ist das aus meiner Sicht auch ein Erfolg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bereich des Wasserrechts war für die Erdöl- und Erdgasindustrie der Hinweis auf die Wasserrechtrahmenrichtlinie und die Aufnahme einer Geringfügigkeitsschwelle wichtig. Dies haben wir durch eine Formulierung, die wir unter Mithilfe des Bundesumweltministeriums gefunden haben, erreicht. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Bei einem der zentralen Punkte des Umweltrechts, zu dem es unterschiedliche Vorstellungen bei CDU/CSU und SPD gibt, haben wir als SPD-Fraktion unsere Position behaupten können. Es geht um die der Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir glauben, dass eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsstreitigkeiten vermeiden kann. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, hierin nicht dem Bundesrat zu folgen, sondern es bei der vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligung zu belassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, ich danke Ihnen, dass Sie das respektiert und akzeptiert haben. Das war für uns ein sehr wichtiger Punkt. ({7}) Den Gesetzentwurf zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung will ich nur am Rande streifen. Darin ist ein Solariumverbot für unter 18-Jährige vorgesehen. Das wurde aus dem Grunde notwendig, weil die Selbstverpflichtung der Industrie nicht eingehalten wurde. ({8}) Insofern ist es auch ein wichtiger Schritt des Gesetzgebers, hier eine deutliche Grenze zu ziehen. Wir begrüßen das ausdrücklich. Die Rechtsdogmatik der drei bzw. - wenn man das Rechtsbereinigungsgesetz mit einbezieht - vier Gesetzentwürfe macht deutlich, dass wir den notwendigen Instrumentenkasten für das Umweltgesetzbuch geschaffen haben. Wir haben Standards festgelegt, aber auch Öffnungsklauseln vorgesehen, die den Ländern die notwendige Flexibilität geben. Ich glaube, wenn wir das beherzigen, dann können wir auch den letzten Schritt in Richtung des Umweltgesetzbuches gehen. Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass es weitere Herausforderungen gibt, die wir im Rahmen dieser Kodifikation nicht klären können. Ich will sie für die SPD-Fraktion aber ausdrücklich ansprechen. Wir werden uns weiter mit der Frage des Flächenverbrauchs be25454 schäftigen müssen. Deswegen war der Dreiklang bei der Eingriffsregelung so wichtig. Wir werden uns ferner mit der Frage gentechnisch veränderter Organismen und deren Auswirkungen beschäftigen müssen. Wir waren einer Meinung, Josef Göppel, aber wir konnten uns an dieser Stelle nicht bei dem Koalitionspartner CDU durchsetzen. Ich biete das weiter an. Wir werden uns der Frage gentechnisch veränderter Organismen auch im Naturschutzrecht stellen müssen. Wir als SPD-Fraktion haben dazu klare Vorstellungen zugunsten der Natur. Insofern müssen wir dieses Arbeitsfeld weiter beackern. ({9}) Letztlich wird auch weiterhin das große Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und erneuerbaren Energien auf der Tagesordnung stehen müssen. Das ist ein Dialogprozess. Ich freue mich, dass wir heute den ersten wichtigen Schritt tun, der aber nicht der letzte sein darf. Deswegen ist meine Bitte an den Bundesrat, der angesichts der vielen Änderungsvorschläge in den letzten Wochen konstruktiv mit uns zusammengearbeitet hat, diese Gesetzentwürfe jetzt zu beschließen, um dann in der nächsten Wahlperiode zu überlegen, wo man an der einen oder anderen Stelle nachbessern kann. Dem Umweltgesetzbuch sind wir, glaube ich, heute einen deutlichen Schritt nähergekommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Angelika Brunkhorst, FDP. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Miersch, ich kann Ihnen nicht beipflichten. ({0}) Ich denke, die ach so große Koalition hat nicht den großen Wurf gelandet. Ich finde es äußerst bedauerlich, dass nach den intensiven Vorarbeiten seit Anfang der 90erJahre und trotz der Zustimmung von 15 der 16 Bundesländer kein UGB zustande gekommen ist. ({1}) Es grenzt schon fast an Realitätsverlust, wenn die Union Anfang März in einer Pressemitteilung schreibt: „Die erfolgte umfangreiche Kodifizierung ist ein Quantensprung in der Umweltgesetzgebung“. - Das ist mitnichten der Fall. ({2}) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass wir als FDP nach wie vor für die Erstellung eines UGB und die damit verbundenen Ziele stehen. Wir sind für die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Vollzugspraxis unter Gewährleistung der materiellen Umweltstandards. Daran wollen wir nicht rütteln. Die FDP steht weiterhin für Bürokratieabbau auch im Umweltrecht. ({3}) Insbesondere wollen wir die Europatauglichkeit des deutschen Umweltrechts verbessern. ({4}) Das Projekt UGB wird eine wichtige Aufgabe für die nächste Bundesregierung sein. So weit sind wir d’accord. Leider hat die Koalition ihre Gesetzentwürfe ziemlich spät eingebracht. Die Beratungen mussten unter extremem Druck stattfinden. Das fanden wir nicht besonders kollegial. ({5}) Wir brauchten allerdings bundeseinheitliche Vorschriften - das ist uns auch klar -, weil es sonst ab dem nächsten Jahr eine Rechtszersplitterung in 16 verschiedene Landesgesetze gäbe. Das wäre ein Desaster für die Umwelt, die Wirtschaft und auch für die Menschen. Im Naturschutz sind infolge der Föderalismusreform bundesrechtliche Vollregelungen möglich. Das bedeutet aus liberaler Sicht aber nicht, dass dort kein Raum für die Länder mehr bleiben darf, um flexible Regelungen umzusetzen. Wir haben dazu mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge eingebracht. Uns kommt es insbesondere auf das umweltpolitische Kooperationsprinzip an; denn wir denken, dass nur eine Umweltpolitik, die Akzeptanz bei den verschiedenen Akteuren findet, dass nur eine Umweltpolitik mit den Menschen letztlich eine erfolgreiche Umweltpolitik ist. Wir sind im Gegensatz zur Koalition dafür, die Eingriffsregelungen zu flexibilisieren. ({6}) Wir wollen die Option - nicht den Zwang - eröffnen, Ausgleich und Ersatz gleichzustellen. Wir wollen, dass die Ersatzgeldzahlung als Ersatzmaßnahme gilt. Wir sehen damit keine Verschlechterung der Standards einhergehen. Wir wollen, dass Einnahmen aus Ersatzgeldzahlungen zum Ausgleich von unvermeidbaren Eingriffen für qualitativ hochwertige Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben werden. ({7}) Damit kann insbesondere der Planungsaufwand minimiert werden. Statt eines Flickenteppichs aus Einzelfallmaßnahmen bekommen wir dann die Chance, ökoloAngelika Brunkhorst gisch sinnvolle und nachhaltige Gesamtkonzepte zu entwickeln. Nicht weniger, sondern mehr Qualität sehen wir damit verbunden. ({8}) Es wurde schon gesagt: Natürlich leisten aufgrund ihres steigenden Anteils die erneuerbaren Energien im Bereich der Klimapolitik einen großen Beitrag, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes zu gewährleisten. Deswegen gehört das in das Bundesnaturschutzgesetz. Ich komme zu einem weiteren Punkt. Uns war der Vertragsnaturschutz immer sehr wichtig. Das sieht die Koalition erfreulicherweise genauso. Wir möchten den durch den Vertragsnaturschutz verbesserten Zustand von Natur und Landschaft absichern, indem wir die Frist verlängern, binnen derer die Wiederaufnahme einer land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung nach Bewirtschaftungsbeschränkungen aufgrund des Vertragsnaturschutzes nicht als Eingriff gilt. Die fischereiwirtschaftlichen Flächen, also die gewerblich genutzten Fischteiche, sehen wir eher als Produktionsanlagen und nicht so sehr als Natur. Deswegen meinen wir - hier sind wir mit der Koalition leider nicht d’accord -, dass das vollständige Mähen von Röhrichtbeständen in Einzelfällen zuzulassen ist. Dann sind die fischereiwirtschaftlichen Interessen und die Interessen des Naturschutzes gleichermaßen berücksichtigt. Ein weiteres berechtigtes Anliegen des Naturschutzes ist, Pflanzen- und Tierarten in ihrer genetischen Vielfalt unter regionaltypischen Aspekten zu schützen. Wir wollen in Zeiten der Globalisierung und der kontinentübergreifenden Handelsströme präventive Kontrolle betreiben und Möglichkeiten haben, invasive Pflanzen- und Tierarten sinnvoll zu bekämpfen. Es darf allerdings nicht sein, dass unter dem Deckmantel des Naturschutzes Marktabschottungspolitik betrieben wird. Wir fordern daher die nächste Bundesregierung - wer auch immer das sein möge - auf, ({9}) sich dafür einzusetzen, dass die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Regelungen entsprechend den im Einzelfall bestehenden Problemen und Gefahren einheitlich umsetzt. Zum Wasserrecht. Besser dieses Gesetz als gar keines. Auch hier müssen wir eine Rechtszersplitterung verhindern. Gewässer machen nicht an Grenzen halt. Das gilt für Europa, wo man versucht, die Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen, und natürlich für die Bundesrepublik. Wir sind mit dem Wasserhaushaltsrecht nicht bis auf Punkt und Komma einverstanden; das machen wir in unserem Entschließungsantrag deutlich. Es war eine Zumutung, dass wir uns noch am Mittwoch mit 33 Änderungsanträgen befassen mussten. Einigkeit in der Großen Koalition kann ich hier nicht erkennen. Wir sind letztendlich froh, dass Sie sich bei den Geringfügigkeitsschwellen noch einmal besonnen und nachgebessert haben. Alles andere wäre für die Beurteilung der Grundwasserqualität nicht sachgerecht gewesen. Gewisse Änderungen betreffend die Regelungen zur Wasserkraft hätten Sie sich unserer Meinung nach sparen können. Hier haben Sie auf Kosten des Gewässerschutzes nicht standgehalten. Das ist bedauerlich. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Zeit, in der wir uns ernsthaft um ein UGB kümmern werden. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Josef Göppel, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir können heute vier Umweltgesetze verabschieden, mit denen Deutschland international glaubwürdig bleibt, auch wenn sie nicht formal von dem Mantel eines Umweltgesetzbuches umgeben sind. Wer von tropischen Ländern den Schutz der Regenwälder verlangt, der muss energisch für den Schutz der Natur im eigenen Land eintreten. ({0}) Aus christlicher Sicht bedeutet der Auftrag, die Erde zu bebauen, sie so zu bebauen, dass sie auch bewahrt wird. Der Artenbestand der Schöpfung ist nicht in unser Belieben gestellt. Deshalb haben die Mitgeschöpfe des Menschen, die wild lebenden Pflanzen und Tiere, eine Lebensberechtigung inmitten der menschlichen Zivilisation. Dahinter stehen keine Zweckmäßigkeitsgründe, sondern eine ethische Grundhaltung, die sich aus der christlichen Sicht ergibt und somit den Auftrag an die Christen umreißt. ({1}) Das gilt in gleicher Weise für die natürlichen Lebensgrundlagen Luft, Wasser und Boden. Sie sind trotz der Nutzung rein zu erhalten. Dafür schafft nun insbesondere das neue Naturschutz- und Wasserrecht einen Rahmen. Ich erwähne Beispiele. Erstens. Erstmals bekommen wir bundesweit Grundsätze des Naturschutzes, von denen kein Land nach unten abweichen kann. Zweitens. Es bleibt dabei: Alle Eingriffe in die Natur müssen ausgeglichen werden. Dabei besteht eine strenge Rangfolge. Zunächst ist immer zu prüfen, ob der Eingriff nicht doch vermieden werden kann. Vermeidbar sind Eingriffe, wenn zumutbare Alternativen bestehen. Zulässige Eingriffe sind zunächst am Ort des Eingriffes oder im selben Naturraum auszugleichen, und zwar hinsicht25456 lich der Fläche und hinsichtlich der ökologischen Funktionen. Erst wenn all dies nicht möglich ist, kann ein Eingriff mit Geld ausgeglichen werden. Drittens. Wir verankern im neuen Naturschutzgesetz einen Vorrang der Innenentwicklung beim Bauwesen. Viertens. Wir wollen und werden in Zukunft das freiwillige Miteinander bei der Durchführung des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördern. Die Behörden sollen möglichst Organisationen damit beauftragen, in denen Landwirte, Naturschützer und Kommunalpolitiker freiwillig und gleichberechtigt zusammenwirken. Dazu gehören zum Beispiel die deutschen Landschaftspflegeverbände und vergleichbare Organisationen, die eine hohe Akzeptanz gefunden haben und täglich ein hohes naturschutzfachliches Können unter Beweis stellen. Fünftens. Wir haben in den Zielkatalog des Gesetzes die erneuerbaren Energien mit aufgenommen, wenngleich in jedem Einzelfall eine Abwägung nötig ist. Gut abgewogen und ausbalanciert ist das neue Gesetz auch hinsichtlich der Interessen der Grundeigentümer. Ich nenne auch dafür zwei Beispiele: Die Frist für die Rückholung zeitlich geförderter Biotope erweitern wir von fünf auf zehn Jahre. Das stärkt die Position der Landwirte, weckt ihre Bereitschaft zu einem freiwilligen Miteinander auch in dieser Hinsicht und erhält mehr naturnahe Flächen in der Feldflur. Für besonders wichtig halte ich auch die Klarstellung, dass die Erholungsnutzung von Grundstücken keine zusätzlichen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten für den Grundeigentümer begründet. Wir brauchen die Grundeigentümer für einen guten Naturschutz. ({2}) Ein Wermutstropfen aus Sicht der CSU ist allerdings die Ablehnung eines bayerischen Antrags hinsichtlich der Auswirkungen Grüner Gentechnik. Der Gesetzestext sieht eine Prüfung der Verträglichkeit vor dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nur innerhalb der Natura-2000-Gebiete vor, obwohl die europäische Richtlinie auch die von außen einwirkenden Beeinträchtigungen erfasst. ({3}) Insgesamt wird die Frage, ob das neue Gesetz zu einem nachhaltigeren Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen führt, in den nächsten Jahren in der Praxis beantwortet werden müssen. Der Gradmesser dafür ist die Eindämmung des Landverbrauches. Der offene, atmende Boden ist ein wertvolles Zukunftskapital in einem dicht besiedelten Land. 96 Hektar Flächenversiegelung pro Tag sind für ein Land mit sinkender Einwohnerzahl einfach zu viel. ({4}) Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen ist der neue Bericht zur Lage der Natur in Deutschland erschienen. Er zeigt auf, dass es uns gelungen ist, den Rückgang der Artenvielfalt zu stoppen, allerdings auf einem deutlich, nämlich um ein Viertel niedrigeren Niveau als 1970. Dies zeigt einerseits, dass wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen, und andererseits, dass Naturschutz wirkt. Naturschutz lohnt sich auch für uns Menschen: In der freien Natur atmen wir durch; Lasten fallen beim Gang über Wiesen oder durch den Wald von uns ab. Ganz besonders für die Kinder brauchen wir neben der technischen Welt und der virtuellen Welt den offenen Blick in die natürliche Lebenswelt, damit sie ihren Blick an den Maßstäben des Natürlichen schulen können. Nicht zuletzt für sie verabschieden wir die heutigen Gesetze. Ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die Linke gebe ich das Wort dem Kollegen Lutz Heilmann. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Frau Brunkhorst, Sie müssen mir eine Bemerkung erlauben. Als wir die vorliegenden Gesetzentwürfe in den Ausschuss bekommen haben, haben wir uns als Linke - auch die Grünen, soweit ich weiß - darum bemüht, dass wir hier eine Anhörung durchführen können. Wir hätten Ihre Stimme gebraucht; mit der Stimme der FDP hätten wir als Opposition gemeinsam diese Anhörung erzwingen können. ({0}) Sie wollten das nicht, weil Sie wahrscheinlich schon zu Ihrem Nachbarn schielen und der CDU/CSU im Hinblick auf künftige Koalitionen im Bundestag oder sonst wo nicht wehtun wollen. Ich wollte noch einmal ganz klar und deutlich herausstellen, welche Rolle Sie hier in dem Gesetzgebungsverfahren gespielt haben. Herr Gabriel, somit komme ich gleich zu Ihnen. Ihre Bilanz als Umweltminister ist, mit einem Wort ausgedrückt, katastrophal: ({1}) katastrophal, weil Sie für die Abschwächung der CO2Grenzwerte bei Pkws verantwortlich sind, katastrophal, weil Sie mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz von 2007 gegen den Geist der Århus-Konvention verstoßen haben, und katastrophal, weil Sie mit dem Scheitern des UGB dem Ganzen noch die Krone aufsetzen. Herr Gabriel, Sie sind da nicht an der CSU aus Bayern gescheitert; das ist vielmehr Ihr ganz persönliches Unvermögen. ({2}) Sie konnten sich nicht bei Ihrer Kanzlerin durchsetzen, die übrigens einmal Umweltministerin war und der der Naturschutz und der Klimaschutz offenbar für Sonntagsreden auf großen Konferenzen gut sind; wenn es aber ans Eingemachte geht, ist nichts. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute abschließend die Überbleibsel - ich sage: die ÜberbleibLutz Heilmann sel, Kollege Miersch - des Umweltgesetzbuches, sozusagen den Rest, darunter die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. Sie sagen: Es ist ein gutes Gesetz. Na ja, man muss seine Niederlagen immer irgendwie ein bisschen schönreden, nicht wahr?! Ich entgegne Ihnen: Es ist ein schlechtes Gesetz. Ich würde es nicht Naturschutzgesetz nennen, sondern Naturzerstörungsgesetz. ({3}) Ihrer Meinung nach muss dieses Gesetz jetzt ganz schnell verabschiedet werden, weil die Länder ab dem 1. Januar 2010 abweichende Regelungen erlassen könnten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD, Sie waren doch diejenigen, die in der Verfassung die Möglichkeit abweichender Regelungen in den Ländern verankert haben. Dafür sind nicht wir, sondern Sie verantwortlich; schließlich ist das ein Ergebnis der Föderalismusreform. ({4}) Ich möchte jetzt darauf verzichten, eine juristische Auseinandersetzung darüber zu führen, ob es am 1. Januar 2010 wirklich dazu kommt, dass die Länder flächendeckend abweichende Regelungen erlassen. Wir haben ein Bundesnaturschutzgesetz mit Mängeln, das über den 1. Januar 2010 hinaus Gültigkeit hat. Eine Debatte darüber will ich jetzt aber nicht beginnen. Mit dem Bundesnaturschutzgesetz, das Sie hier heute verabschieden wollen, ist das Ziel verbunden, vernünftige, abweichungsfeste, allgemeine Grundsätze festzuschreiben. Von allen anderen Regelungen können die Länder ganz einfach abweichen. Das ist doch richtig so, Herr Kollege Miersch, oder? ({5}) Es ist doch Fakt - so steht es in der Verfassung -: Von dem, was nicht abweichungsfest geregelt ist, können die Bundesländer ganz einfach abweichen. ({6}) Der vorliegende Gesetzentwurf enthält 8 allgemeine Grundsätze des Naturschutzes. Im noch geltenden Bundesnaturschutzgesetz sind 15 Grundsätze formuliert. Ich stelle gegenüber: 8 Grundsätze im Gesetzentwurf, 15 Grundsätze im geltenden Gesetz. ({7}) - Ich höre das Wort „Qualität“. Schauen wir uns das Ganze einmal anhand eines Beispiels an. Die Eingriffsregelung ist das Kernstück des Naturschutzrechts. Es geht dabei um den Umgang mit Beeinträchtigungen der Natur. § 13 dieses Gesetzentwurfs enthält in einem Satz den allgemeinen Grundsatz; ich verzichte darauf, ihn hier vorzulesen. Ist das von der Qualität her ausreichend? Ich sage: Nein! Es ist notwendig, die Legaldefinitionen, die Abwägungssituation als allgemeinen Grundsatz zu verankern. All das hätte viel umfassender geregelt werden müssen. Wie gesagt, enthält § 13 Ihres Gesetzentwurfes in einem Satz den allgemeinen Grundsatz. Der Rest, also das, was in § 14 ff. Ihres Gesetzentwurfes geregelt ist, ist nicht abweichungsfest. Mit anderen Worten: Die Länder können diesbezüglich abweichende Regelungen treffen. Das wollen Sie hier beschließen. Das ist nicht hinnehmbar. Die von Ihnen geplante Eingriffsregelung beweist, wie ich aufgezeigt habe, dass dieser Gesetzentwurf nichts taugt. Es ist nicht ausreichend definiert, welche Grundsätze abweichungsfest sind. Deshalb fordert die Linke - Ihnen liegt ein Entschließungsantrag von uns vor -, qualitativ hochwertige abweichungsfeste Grundsätze. ({8}) - Kollege Miersch, Sie sprechen von Öffentlichkeitsbeteiligung. Wie haben Sie denn die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie umgesetzt? Stichwort „UmweltRechtsbehelfsgesetz“! Ich verweise auf sämtliche Beschleunigungsgesetze. Damit haben Sie die Öffentlichkeitsbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger ad absurdum geführt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Heilmann, denken Sie bitte an Ihre Zeit.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Linke fordert eine präzise und vollständig abweichungsfeste Eingriffsregelung. Ich möchte zum Schluss kommen. Wenn Sie diesen Gesetzentwurf heute verabschieden, tun Sie dem Naturschutz in Deutschland keinen Gefallen. Ich bitte Sie, darauf zu verzichten, unseren Entschließungsantrag anzunehmen und dementsprechend Ihren Gesetzentwurf zu überarbeiten. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/ Die Grünen.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Es wird Sie sicherlich nicht wundern, dass nach den Debatten der letzten Woche wir, die Bündnisgrünen, den heutigen Tag mit der Beschlussfassung über das jetzt vorliegende Gesetz als einen mehr als ernüchternden Schlusspunkt unter der umweltpolitischen Bilanz sowohl der Großen Koalition als auch des Ministers ansehen. Wir erleben das Ende eines politischen Tau25458 Undine Kurth ({0}) ziehens, an dessen Anfang einmal das erklärte Ziel stand, ein modernes Umweltgesetzbuch zu schaffen. Das war ein sehr wichtiges, sehr begrüßenswertes Vorhaben, dessen Verwirklichung wir alle uns wünschen. Ich finde es mehr als erschreckend, dass ein so wichtiges Politikfeld wie die Naturschutzpolitik zum Spielball im Machtpoker wird, um sich gegenseitig Fesseln anzulegen, und dass ein Land tief im Süden unserer Republik, in dem, wie wir jüngst gelernt haben, die Stammeszugehörigkeit noch eine große Rolle spielt, das Naturschutzrecht als machtpolitisches Instrument missbraucht. ({1}) Es ist sicher anerkennenswert, dass der Umweltminister dafür gekämpft hat, dass wenigstens einige Teile des Umweltgesetzbuches abgeschlossen werden können. Wenn man sich aber das vorliegende Ergebnis ansieht, dann fragt man sich, ob sich die Mühe gelohnt hat. Lieber Matthias Miersch, nicht alles, was lange währt, wird automatisch gut. Da bin ich anderer Meinung als Sie. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie haben nicht einmal die selbstgesteckten Ziele in der nationalen Biodiversitätsstrategie berücksichtigt. Sie haben es auch nicht für ausreichend wichtig gehalten, Klimaschutzziele im Programm zu verankern, obwohl wir in dieser Debatte ständig und mit Recht darüber reden, dass ein intakter Naturhaushalt wichtigste Voraussetzung ist, um den klimapolitischen Herausforderungen zu begegnen. ({2}) Um Ihnen zu zeigen, dass wir nicht aus Prinzip meckern, weil wir Opposition sind, möchte ich an vier Beispielen klarmachen, warum wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können und was unsere Kritikpunkte sind. Erster Punkt: Eingriffsregelung. Lieber Josef Göppel, auch wenn es viel schlimmer hätte kommen können - das stimmt -, ist das, was jetzt vorliegt, trotzdem kein Erfolg. Bislang galt in Deutschland, dass derjenige den Schaden, den er in der Natur anrichtet, bitte schön auszugleichen hat. In diesem Gesetzentwurf sind hierzu gravierende Änderungen vorgesehen. Bisher war es so, dass ein Eingriff zunächst daraufhin geprüft werden musste, ob er nicht an einem anderen, weniger sensiblen Standort möglich ist. ({3}) Genau diese Prüfung eines alternativen Standortes soll es nun nicht mehr geben. ({4}) Bisher galt die Regelung, dass Ausgleich und Ersatz nacheinander erfolgten. Jetzt sollen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gleichgesetzt und zugleich geprüft werden. Sie nennen das Flexibilisierung. Wir sagen: Das ist eine Schwächung des Naturschutzes. ({5}) Am Schluss der Prüfkaskade soll als letztes Mittel der finanzielle Ausgleich stehen. Da wundert es natürlich niemanden, dass die Kollegen von der FDP diesen Schlusspunkt lieber an den Anfang genommen hätten und eigentlich sowieso dafür gewesen wären, sich von Anfang an freikaufen zu können. Dem sind Sie Gott sei Dank nicht gefolgt; das begrüßen wir. Der zweite Punkt: die Privilegierung der Landwirtschaft. Alle, die sich damit befassen, wissen, dass die Landwirtschaft einer der größten Verursacher des Artenrückganges ist. Wie kann man da die Privilegierung der Landwirtschaft aufrechterhalten wollen, ohne dafür zu sorgen, dass die „gute fachliche Praxis“ der Landwirtschaft besser definiert wird? Es wäre ganz einfach gewesen, etwa den Umbruch von Grünland zu unterlassen. Auch das fehlt. ({6}) Dritter Punkt - daran sieht man, was ein Detail ausmacht, auch wenn das andere als einen marginalen Punkt ansehen -: Ich finde es bemerkenswert, dass sich die Große Koalition nicht zu schade dafür war, einen vom Bundesministerium wenigstens vorgeschlagenen Neststandortschutz aufzuweichen. Allein das Ersetzen des Wortes „Neststandort“ durch „Horststandort“ bedeutet nämlich, dass der Schutzgedanke eben nur noch auf Greif- und Stelzvögel angewandt wird. ({7}) Das ist sicherlich gut für Störche, Habichte und Falken. Für Spechte, Gänse, Amseln und andere schutzbedürftige Vögel ist es aber nicht gut. Das sind zwar Details, aber sie zeigen, was hier passiert. Vierter Punkt: Sie haben weiterhin versäumt, die Regelungen zum Klagerecht und zur Öffentlichkeitsbeteiligung den EU-Standards anzupassen. Sie wissen, dass hier eine Regelung vorliegt, die gegen geltendes EURecht verstößt. Trotzdem unternehmen Sie nichts. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD, Sie hatten die Chance, ein Regelwerk vorzulegen, das einen modernen Naturschutz verankert, das die Natur effektiv schützt, einen besseren Vollzug ermöglicht, die biologische Vielfalt erhalten hilft und zum Klimaschutz beiträgt. Sie sind leider vor den Begehrlichkeiten großer Lobbygruppen eingeknickt. ({8}) Wenn Sie sagen, es hätte alles noch viel schlimmer kommen können, dann mag das für Sie ein Trostpflaster sein. Es ist aber kein Grund, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Deshalb werden wir das auch nicht tun. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir heute beschließen, ist weder das Paradies noch ist es zu verdammen nach dem Motto: Nichts hat sich bewegt. Ich finde, es ist ein sehr großer Schritt nach vorne, was ich im Folgenden an praktischen Beispielen belegen werde. Besser, als es der Kollege Göppel am Ende seiner Rede ausgedrückt hat, kann man die Notwendigkeit der neuen Regelungen nicht schildern. Das will ich ausdrücklich sagen. ({0}) Wir führen oftmals Debatten über die Frage, wie ein Gesetz gestaltet werden soll. Aber hier geht es doch um Folgendes: Wenn wir die Augen schließen und uns fragen würden, wo wir uns in diesem Moment am wohlsten fühlen, dann würden die meisten von uns - da bin ich ganz sicher - eine Naturlandschaft vor ihrem geistigen Auge sehen. Es geht also darum, dass wir die Natur erhalten und nicht zerstören. Was wir verabschieden, ist das dafür notwendige Gesetzeswerk. Aber das eigentliche Ziel ist, Naturlandschaften zu erhalten und unseren Kindern und Enkelkindern zu vererben. Die vorliegenden Gesetze sind ein Riesenschritt nach vorne, obwohl nicht das geschafft worden ist, was wir uns vorgenommen hatten und was seit 20 Jahren überfällig ist, nämlich ein einheitliches Umweltgesetzbuch, wozu insbesondere die integrierte Vorhabengenehmigung gehört. Ich will ganz klar sagen: Ich verstehe die Widerstände bei der integrierten Vorhabengenehmigung deshalb nicht, weil es darum ging, vor allen Dingen für mittelständische Unternehmen die komplizierten Antragsverfahren zu erleichtern. Das Umweltrecht ist eher anarchisch entstanden. Es ist nicht strukturiert in der Verfassung und in den Gesetzen angelegt. Das führt dazu, dass mittelständische Unternehmen einen Aktenberg zu bewältigen haben, um am Ende eine Genehmigung zu erhalten. Parallelverfahren und Parallelgenehmigungen, das alles sollte die integrierte Vorhabengenehmigung beseitigen. Der Normenkontrollrat, der für die Abschaffung überflüssiger Bürokratie in Deutschland zuständig ist, sagt, das UGB sei eine sehr gute Idee gewesen und wir hätten damit einen Impuls für Wirtschaft und Beschäftigung gegeben. Das Vorhaben ist nicht nur an einem Bundesland, nämlich Bayern, gescheitert. Frau Kollegin Brunkhorst, in diesem Zusammenhang habe ich eine Frage an Sie. Sind Sie nur Teil der Staatsregierung in Bayern oder regieren Sie auch wirklich mit? Wenn Sie mitregierten, dann hätten Sie die Möglichkeit gehabt, dafür zu sorgen, dass die Bayern das Vorhaben nicht scheitern lassen, wo Sie doch eine solch glühende Befürworterin der integrierten Vorhabengenehmigung im UGB sind. ({1}) Mein Eindruck ist, dass Sie nur ein Teil der Staatsregierung sind. Das Umweltgesetzbuch ist aber auch an dem massiven Widersand des BDI gescheitert, der seine Vorstellungen in der CDU/CSU-Fraktion erfolgreich durchsetzen konnte. Die großen Konzerne, die Stabsabteilungen voller Juristen haben, haben sich durchgesetzt. Ihnen bereitet es keine Probleme, komplizierte Verfahren zu bewältigen. Ich sage es ganz deutlich: Die Damen und Herren waren zu faul, sich auf ein neues Recht umzustellen. Um nichts anderes ging es doch. ({2}) Die Mittelständler leiden darunter. Sie müssen nämlich mit einem komplizierten Recht weiterleben. Der BDI mit seinem Jurassic Park an Funktionären hat sich durchgesetzt. Das - und nichts anderes - ist passiert. ({3}) Trotzdem versuchen wir jetzt, einen großen Schritt nach vorne zu gehen, indem wir die Zersplitterung des Umweltrechtes in Deutschland verhindern. Wenn wir nicht handeln würden, wäre das nämlich der Fall. Denn das Moratorium läuft nach Art. 125 b des Grundgesetzes Ende dieses Jahres aus. Dann hätten wir 16 verschiedene Naturschutzrechte und 16 verschiedene Wasserschutzrechte in den Ländern gehabt, was die Bürokratie noch potenziert hätte. Das verhindern wir nun. Wir haben auch in verschiedenen Bereichen ganz entscheidende Fortschritte erzielt. Ich glaube, darauf sollte man hinweisen. Nachdem wir nun Jahre miteinander verhandelt hatten und die Länder an Bord waren, war es ein bisschen überraschend, dass die Länder im Bundesratsverfahren mehr als 150 Änderungsanträge gestellt haben. Es ist ein Hinweis darauf, was solche Verabredungen am Ende wert sind. Aber ich sage auch ganz deutlich: Es ist dem Engagement von Länderumweltministern zu verdanken, dass wir es am Ende geschafft haben. Ich sage das deshalb, weil immer der Eindruck entsteht, dass die Natur in Gefahr ist, wenn ein Land vom Bundesgesetz abweicht. Herr Heilmann erzählt solche Geschichten gern. Die Nationalparks müssen von den Ländern eingerichtet werden; dies macht nicht der Bund. Sie gibt es nur, weil die Länder entsprechend gehandelt haben. Es waren also, wie gesagt, Länderumweltminister, die am Ende ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass wir hier zu einem Ergebnis gekommen sind. Ich nenne nur die Kolleginnen Margit Conrad aus Rheinland-Pfalz und Tanja Gönner aus Baden-Württemberg. Sie haben sich tapfer für einen wirklichen Fortschritt im Umweltrecht engagiert. ({4}) - Auch Christian von Boetticher. Ich will zwar niemanden vergessen. Aber mir geht es schon um die beiden eben zuerst Genannten, die sehr engagiert an diesen Themen mitgearbeitet haben. Es gab einige Vorschläge der Länder, die wir nicht umsetzen. Man darf nicht alles machen, was die Länder wollen. Zum Beispiel hat der Kollege Sander aus Niedersachsen erklärt, er wolle gerne die Gleichstellung von Geldzahlungen und Ersatz- oder Ausgleichsmaßnah25460 men im Naturschutz, wenn es um Eingriffe in die Natur und Landschaft geht. Für Nichtexperten - ich möchte bei dieser Gelegenheit Frau Kollegin Kurth korrigieren, die den Gesetzentwurf etwas frei interpretiert hat -: Erstens. Es bleibt dabei, dass erst einmal geprüft werden muss, ob ein Eingriff in Natur und Landschaft vermieden werden kann. Erst dann kommt es zu einer Gleichstellung von Ausgleich oder Ersatz. Früher hatte der Ausgleich Vorrang vor dem Ersatz, und wir wissen alle, wozu das geführt hat. Es hat dazu geführt, dass unmittelbar in der Nähe von Eingriffen Ausgleichsmaßnahmen stattgefunden haben, auch wenn sie hochgradig fragwürdig gewesen sind. Es geht um die Frage, ob man die besten Böden zum Naturschutzgebiet macht oder Bäume pflanzt, nur weil nebenan gebaut wurde, anstatt zu überlegen, ob es im weiteren Umkreis ein Gebiet gibt, das sich besser eignet, damit wir die Böden, die wir entweder für Nahrungsmittel oder für Energiepflanzen brauchen, nicht zerstören. Frau Kurth, das ist doch eine vernünftige Sache. ({5}) Sie tun so, als ob man machen könnte, was man wollte. Als ortsnah gilt eine Fläche in der Größenordnung von drei Landkreisen. Ich kann Ihnen nach der neuen Regelung Landkreise aus Niedersachsen nennen, in denen so viele Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchgeführt wurden, dass sie gar nicht wissen, wo sie mit weiteren hingehen sollen. Darum geht es doch und nicht darum, Geld zu zahlen. Das wollte der Kollege Sander. Die FDP wollte, dass wir uns vom Naturschutz freikaufen können. ({6}) Das war der Vorschlag des Kollegen von der FDP, den wir abgewehrt haben; das ist auch gut so. Dazu kommt es also nicht. Zweitens. Bei der Öffentlichkeitsbeteiligung bei komplexen Großvorhaben, bei denen aufgrund ihrer Umweltrelevanz eine UVP, eine Umweltverträglichkeitsprüfung, durchzuführen ist, muss es beim obligatorischen Erörterungstermin bleiben. Er sollte zwar gestrichen werden, aber das haben wir abwehren können. Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was hier gesagt wurde. Zu Ihnen, Herr Heilmann: Wissen Sie, wie ich die Linke kennenlerne? Im Bundestag fordert die Linke die Reduzierung von CO2 in der Autoindustrie; bei diesem Thema sind Sie immer vorne mit dabei. Bei Ford, wo Sie zu meinem großen Bedauern gelegentlich Betriebsräte stellen, machen Sie das genaue Gegenteil. Oder: Im Bundesrat sprechen Sie sich gegen jegliche Ausnahmen für die energieintensive Industrie aus, aber dort, wo Mitglieder Ihrer Partei Arbeitnehmervertreter oder Mitglieder bei der IG Metall sind, verlangen Sie von uns, dass wir der Stahlindustrie möglichst gar keine Auflagen machen. Und: Im Bundestag sprechen Sie sich für einen Ausstieg aus der Braunkohle aus. Vor Ort kommen Ihre Abgeordneten jedoch zu mir und bitten mich um eine Genehmigung für ein Braunkohlekraftwerk. Das ist die Politik der Linken. Sie blinken links und biegen rechts ab. So machen Sie das! ({7}) Mich wundert, dass Sie den alten Spruch „Atomkraft und Erfolgskontrolle strahlen noch lange nicht so dolle“ noch nicht gebracht haben. Das war doch Ihr früheres Motto. In Morsleben müssen wir uns doch um Ihre Altlasten kümmern. Ich finde, Sie sollten etwas weniger heldenhaft auftreten. ({8}) Auf das Thema Eingriffsregelung bin ich bereits eingegangen. Jetzt komme ich zum Thema Privilegierung der Landwirtschaft, Frau Kollegin Kurth. Es geht um den Fall, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb kurzfristig nicht fortgeführt wurde und es dann aber zur Wiederaufnahme des landwirtschaftlichen Betriebes kommt. Sie haben so getan, als würden wir die Landwirtschaft prinzipiell privilegieren. Jemand, der sich mit dem Thema nicht auskennt, hätte Ihre Rede so verstehen können, auch wenn sie nicht so gemeint war. Ich will darauf hinweisen, dass es um jenen Fall geht, bei dem ein Landwirt seine landwirtschaftliche Produktion kurzfristig nicht fortgeführt hat. Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zum Bericht zur Lage der Natur machen, weil das in der letzten Debatte untergegangen ist. Ich finde, dass sich das, was die Große Koalition erreicht hat, sehen lassen kann. ({9}) Erstens. Seit Jahren wird in Deutschland über die Unterschutzstellung des nationalen Naturerbes diskutiert. 125 000 Hektar nationales Naturerbe - darunter auch das Grüne Band - haben wir vor Veräußerung und Zerstörung bewahrt. 80 000 Hektar davon sind bereits gesichert. ({10}) Der Rest kommt sicherlich noch hinzu. Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland hat ein Drittel der Außenwirtschaftszone an den deutschen Küsten als Schutzgebiete zum Meeresnaturschutz an Brüssel gemeldet. Inzwischen wurde es unter Schutz gestellt. Kein Land Europas hat für den Meeresnaturschutz so viel getan wie Deutschland. ({11}) Drittens. Letztes Jahr haben wir von der Naturschutzorganisation WWF den Baltic Sea Award für unsere gute Politik für die Ostsee erhalten. Ich will dazu kurz etwas anmerken - das geht manchmal in den Bundestagsdebatten verloren; es sieht dann so aus, als sei in diesem Bereich nichts passiert -: Das naturschutzrechtliche Instrumentarium wird mit der Verabschiedung des heutigen Gesetzes auf die AWZ und auf den Meeresnaturschutz übertragen. Ich kenne einige, die sich in der Vergangenheit noch nicht einmal getraut haben, das zu fordern, geschweige denn, ihre Gesetzesnovellen entsprechend zu formulieren. Wir machen das heute. ({12}) Viertens. Wir haben die Natura-2000-Gebietskulisse abgeschlossen. Es gibt keine streitigen Rechtsverfahren mehr. Wir sind das Land, das 500 Millionen Euro zusätzlich in den Regenwaldschutz steckt - ab 2013 sind es 500 Millionen Euro jährlich. Suchen Sie bitte ein Land auf der Welt, das zu so viel Engagement für Naturschutz und Regenwaldschutz in anderen Ländern der Welt bereit ist. Sie werden kaum eines finden. ({13}) Meine Damen und Herren, auf eines will ich noch hinweisen: Wir mussten eine kleine Novelle vorziehen. Das lag daran, dass das alte Bundesnaturschutzgesetz vom EuGH für europarechtswidrig erklärt wurde. Das ist der Grund, warum wir damals die kleine Novelle eingebracht haben. ({14}) - Frau Höhn, ich würde antworten, aber vielleicht wurde Ihre Meldung noch nicht gesehen. Ich glaube, dass der Naturschutz der Gewinner dieser Gesetzesdebatte ist. Wir haben die Gleichstellung von national bedrohten Arten mit EU-weit bedrohten Arten ermöglicht. Und - anders, als das eben behauptet wurde wir haben die Öffnung zum Ersatzgeld abgewehrt und eine vernünftige Regelung gefunden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, ich möchte Sie jetzt fragen, ob die Kollegin Höhn eine Zwischenfrage stellen darf.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Selbstverständlich, Frau Präsidentin.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Minister, für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Sie haben eben noch einmal deutlich gemacht, dass Sie viel für den Schutz des Regenwaldes tun, und haben auf das Versprechen der Kanzlerin und von Ihnen im Rahmen der COP 9 letztes Jahr in Bonn hingewiesen, dass Sie 500 Millionen Euro für den Regenwald in den Haushalt einstellen wollen. Können Sie uns sagen, was Sie in diesem einen vergangenen Jahr getan haben, um dieses Versprechen konkret einzulösen, und wie viele Mittel von diesen 500 Millionen Euro schon ausgegeben worden sind?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Das kann ich machen. Seit der letzten Biodiversitätskonferenz sind im Rahmen der Life-Web-Initiative 41 Millionen Euro zum Schutz tropischer Regenwälder abgeflossen. Diese Mittel sind bis jetzt im Rahmen der Initiative zwischen Deutschland und anderen Ländern abgeflossen. ({0}) - Frau Kollegin Höhn, Sie müssen bedenken, dass das on top zu dem kommt, was wir ohnehin tun. Das sind 500 Millionen Euro zusätzlich für den Zeitraum von 2009 bis 2012. ({1}) Ab 2013 fließen jährlich zusätzlich 500 Millionen Euro. 41 Millionen Euro fließen in konkrete Projekte, und zwar sind diese Mittelabflüsse so gestaltet, Frau Kollegin Höhn, dass wir sicher sind, dass die Mittel nicht in den Staatshaushalten dieser Länder verschwinden, sondern wirklich dem Schutz des tropischen Regenwaldes zugutekommen. Dafür sind 41 Millionen Euro eine Menge. ({2}) Es nützt doch nichts, nur Geld zu überweisen, sondern man muss sicher sein - zum Beispiel in bestimmten Gebieten in Afrika -, dass das Geld beim Naturschutz bzw. beim Regenwaldschutz ankommt. Deswegen arbeiten wir zum Beispiel mit Kooperationspartnern aus dort beheimateten Umweltverbänden oder internationalen Umweltorganisationen zusammen. Man darf es nicht nur beim Geldüberweisen belassen, sondern man muss auch sicherstellen, dass die Qualität stimmt. ({3}) - Ich kann mir vorstellen, dass Sie das einem deutschen Sozialdemokraten nicht zutrauen. Aber wie so häufig: Sie irren sich. ({4}) Aber es hindert Sie ja niemand daran, dazuzulernen. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben in dieser Legislaturperiode insgesamt und auch mit den jetzt vorliegenden Gesetzentwürfen große Fortschritte gemacht. Das Haushaltsvolumen des Bundesumweltministeriums belief sich früher übrigens auf 750 Millionen Euro. Jetzt sind es mehr als 1,5 Milliarden Euro. Wenn man der Auffassung ist, dass Haushalte in Zahlen gegossene Politik sind, dann kann man am Haushalt des Bundesumweltministeriums, wie ich finde, feststellen, welche Bedeutung die Umweltpolitik in dieser Legislaturperiode hatte. Weil Sie so gerne über Klimaschutz reden - abgesehen davon, dass die Ziele und Grundsätze des Klima25462 schutzes und der erneuerbaren Energien natürlich in den Gesetzen erwähnt werden; der Hinweis darauf, das sei nicht der Fall, ist schlicht falsch -: In früheren Bundeshaushalten - in 2005 - waren 875 Millionen Euro für den Klimaschutz eingestellt. Im heutigen Bundeshaushalt sind es über 3,4 Milliarden Euro. Auch daran sehen Sie, was sich in den letzten Jahren getan hat. Ich glaube, das ist den Schweiß der Edlen wert gewesen. Ich danke ausdrücklich denen, die sich nicht haben entmutigen lassen. Dafür gab es zwischendurch gelegentlich Anlass. Diesen Dank richte ich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses, die die Nachtschichten gemacht haben, sowie an Matthias Miersch, Josef Göppel und Andreas Jung, die mitgeholfen haben, das Ganze durchzusetzen. Die Länder habe ich schon erwähnt. Das war ein gutes Stück Arbeit. Egal, wer die kommende Bundestagswahl gewinnt, das Umweltgesetzbuch I mit der integrierten Vorhabensgenehmigung dürfte eines der ersten Gesetzgebungsverfahren sein, das den nächsten Deutschen Bundestag mit Erfolg durchläuft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die FDP-Fraktion gebe ich dem Kollegen Michael Kauch das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es bleibt festzustellen: Das Umweltgesetzbuch hat diese Koalition aus CDU/CSU und SPD nicht auf die Reihe bekommen. An dieser Stelle sind alle Beschönigungsversuche der Koalition völlig vergeblich. ({0}) Sie können auch nicht behaupten, das Land Bayern sei schuld gewesen. Wie man der Verfassung entnehmen kann, hat das Land Bayern nicht so viele Stimmen, dass es dieses Gesetz hätte verhindern können. Sagen wir doch einmal, wer es war! Es war die CSU in der Bundestagsfraktion der Union, die dieses Gesetzgebungsvorhaben blockiert hat. Es waren die Abgeordneten der CSU hier im Deutschen Bundestag und nicht irgendjemand in München. Deshalb bleibt für die nächste Wahlperiode die Aufgabe bestehen, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen. Für die FDP ist dabei klar: Es darf keine Standardveränderungen geben, nicht nach oben, aber ausdrücklich auch nicht nach unten. Ansonsten ist ein solches Gesetzgebungsvorhaben von Anfang an zum Scheitern verurteilt. ({1}) Deshalb finde ich die Verbesserungsgenehmigung beim Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt ausgesprochen fragwürdig. Das zeigt, dass die FDP anders als Sie nicht jedem Vorschlag des BDI hinterherläuft. Diese Verbesserungsgenehmigung ist ein Beispiel für eine Standardabsenkung. Hier werden Genehmigungen für Projekte erteilt, die nicht dem Stand der Technik entsprechen. So etwas ist aus meiner Sicht kein ambitionierter Umweltschutz. ({2}) Vor allen Dingen hat es auch nichts mit Rechtsbereinigung zu tun. Das ist ein Etikettenschwindel. Im Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt gibt es aber durchaus noch Rechtsbereinigungsmöglichkeiten. Mir leuchtet beispielsweise nicht ein, warum ein Unternehmen, das nach dem europäischen Umweltmanagementsystem zertifiziert ist, bestimmte Unterlagen nicht mehr einreichen muss, während das gleiche Unternehmen das tun muss, wenn es nach dem internationalen ISO-System zertifiziert ist. Hier hätte man eine Gleichstellung schaffen können und dadurch Bürokratie abbauen können. ({3}) Schauen wir uns jetzt einmal den ebenfalls auf der heutigen Tagesordnung stehenden Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung an. Die FDP-Bundestagsfraktion trägt das Mindestalter von 18 Jahren für den Besuch von Sonnenbänken ausdrücklich mit. Wir hätten uns gewünscht, dass die Dienstleister ihre freiwillige Selbstverpflichtung umgesetzt hätten. Klar muss aber sein: Wenn wir auf eine freiwillige Selbstverpflichtung setzen - und das tun wir als FDP nachdrücklich -, muss sie auch geliefert werden. Wenn das nicht geschieht, muss der Gesetzgeber handeln. ({4}) Handeln muss der Gesetzgeber aber nicht bei den Medizinprodukten. Ich habe das Glück, dass ich als Mitglied des Gesundheitsausschusses weiß, dass es ein Medizinproduktegesetz gibt, das gerade novelliert wurde. Man fragt sich schon, warum beispielsweise zahnmedizinische Härtungsinstrumente in beiden Gesetzen reguliert werden müssen, sowohl im Medizinproduktegesetz als auch im Gesetz zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung. Auf diese Doppelregulierung hätte man verzichten können. Deshalb werden wir den vorliegenden Entwurf ablehnen. ({5}) Gestatten Sie mir noch einige Worte zum Thema Ersatzgeld, das Sie hier sehr schön als „Freikaufen“ bezeichnet haben, Herr Minister. Zwei Sätze vorher haben Sie allerdings gesagt, viele Landkreise in Niedersachsen wüssten gar nicht mehr, wohin mit den Ersatzflächen. Das ist doch ein Widerspruch. Wenn Sie sich gegen einen Flickenteppich aussprechen, müssen Sie auch sagen: Wir brauchen große ökologische Projekte, in denen Naturschutz ambitioniert durchgeführt und finanziert wird. Wenn das Ersatzgeld dazu beitragen kann, dann wird damit genauso viel Umweltschutz erreicht, als wenn ortsnah solche Flickenteppiche entstehen. ({6}) Wir haben nicht beantragt, dass immer Ersatzgeld gezahlt werden soll. Wir haben nicht einmal Gleichstellung im Bundesgesetz beantragt. Wir haben lediglich beantragt, festzulegen, dass die Länder das nach ihren örtlichen Gegebenheiten entscheiden können. Sie von der Großen Koalition haben im Rahmen der Föderalismusreform weite Teile des Naturschutzrechts in das Belieben der Länder gestellt. Jetzt rudern Sie zurück. Es ist nicht redlich, wie Sie an dieser Stelle argumentieren. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Petzold, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mit Kritik leben, aber was Sie, Herr Heilmann, als ehemaliger Mitarbeiter eines Staatsapparats, der für die Industriewüste Bitterfeld zuständig war, geboten haben, ging etwas unter die Gürtellinie. ({0}) Wir werden von Ihnen nachher sicherlich noch etwas zum Wasserrecht hören. Ich kann Ihnen nur sagen: Das Gras, das an der Muldeaue wächst, müssen wir noch heute als Sondermüll entsorgen. Angesichts dessen sollten Sie uns nicht erzählen, was Sie alles besser machen würden. ({1}) Ein bisschen mehr Realitätsbezug sollte man haben. Es wird immer wieder behauptet, wir hätten für die Erarbeitung dieses Gesetzespakets zu wenig Zeit gehabt. Herr Miersch, wir haben schon vor Jahren in Veranstaltungen zusammengesessen und über den Entwurf eines UGB II debattiert. Wenn Sie sich das jetzt genau anschauen, werden Sie feststellen, dass das UGB II fast wörtlich in das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes übernommen wird. Die Diskussionen damals waren also nicht vergebens. Ich möchte mich bei allen, insbesondere natürlich bei unseren beiden Hauptberichterstattern Andreas Jung und Dr. Miersch sowie den Mitarbeitern der Abteilung WA des Umweltministeriums, ganz herzlich für die Zusammenarbeit bedanken, die wir gerade in den letzten Jahren erfahren haben. Herzlichen Dank! ({2}) Nachdem gerade die Bundesländer intensiv in die Erarbeitung des UGB eingebunden waren, waren wir selbstverständlich nicht davon erbaut, dass zur Vorlage der Bundesregierung zum Wasserrecht vom Bundesrat 89 Anträge gestellt wurden. Es hat sich aber gelohnt, noch einmal eine eingehende Diskussion über den vorliegenden Gesetzestext zu führen. Von den Bundesratsanträgen wurden 23 unmittelbar übernommen und weitere 13 einer Prüfung unterzogen. In unserem weiteren Verfahren haben wir im WHG-Entwurf mit Änderung des § 38 zu den Gewässerrandstreifen, des § 41 zur Gewässerunterhaltung, des § 49 zu Erdaufschlüssen und des § 60 zur Errichtung von Abwasseranlagen Landesrecht gestärkt. Wie am Beispiel des § 38 - Gewässerrandstreifen zu erkennen ist - Dr. Miersch hat es schon erwähnt -, haben wir als Bundesgesetzgeber nicht einfach das Feld geräumt, sondern sind klar bei unseren Festlegungen zu den Gewässerrandstreifen geblieben. Um jedoch landesspezifischen Festlegungen Raum zu geben, verschaffen wir mit den von uns beschlossenen Änderungen den Ländern die Möglichkeit, die Anforderungen in Bezug auf Gewässerrandstreifen auszuweiten. Das wäre eine positive Abweichung. Die Bundeseinheitlichkeit bei den Gewässerrandstreifen - aber nicht nur dort - bleibt damit gewahrt. Wir sind den Ländern so entgegengekommen, dass unsere Gesprächspartner in den Ländern in den letzten Verhandlungen Zustimmung im Bundesratsverfahren signalisiert haben. Ich hoffe, dass das dann auch so eintritt. ({3}) An weiteren Stellen haben wir Klarstellungen und kleine Veränderungen vorgenommen. So wurde zu § 32 WHG-Entwurf im Ausschuss festgehalten, dass der verwendete Begriff „Sediment“ in der Gesetzesbegründung dahin gehend erläutert wird, dass sowohl die schlammigen als auch die festen Bestandteile und damit die organischen und die anorganischen Bestandteile umfasst sind. Ebenfalls wurden im Wasserhaushaltsgesetz in § 54 bei der Regelung der Verwendung des Schlamms aus Kleinkläranlagen, in den §§ 76 und 78 bei den Festlegungen zu Überschwemmungsgebieten, in § 82 bei der Sonderbestimmung für Einleitungen im Bergbau oder auch in den §§ 101 und 103 bei den Bußgeldbestimmungen Korrekturen vorgenommen, wodurch in Zukunft auf der einen Seite die Handhabbarkeit des Gesetzes verbessert wird und auf der anderen Seite die europäischen Regelungen sicher umgesetzt werden können. Hauptdiskussionspunkt der letzten Wochen waren jedoch die §§ 33 bis 35 - Mindestwasserführung, Durchgängigkeit und Wasserkraftnutzung -, aber auch § 48, Grundwasserreinhaltung. Bei der Frage der Nutzung der Wasserkraft geht durch die Umweltpolitiker ein großer Riss. Auf der einen Seite sind wir dem Naturschutz verpflichtet und wissen, was jede Turbine und jeder Querverbau in Gewässern anrichten können. Auf der anderen Seite ist uns die nachhaltige Energieerzeugung durch Wasserkraft ein Anliegen. Hier musste ein Kompromiss gefunden werden, der nach unserer Auffassung jetzt gelungen ist. Wasserkraft ist möglich, ja wird sogar gefordert; aber der Schutz der gefährdeten Fischpopulation und die Durchgängigkeit bleiben gewährleistet, sodass ich der Meinung bin: Wir können damit leben. ({4}) Wenn ich in meinen Ausführungen mit § 48 das Thema der Reinhaltung des Grundwassers ausdrücklich anspreche, ist das dem Umstand geschuldet, dass die Brisanz dieses Themas erst in den letzten Monaten von uns allen erkannt wurde. In Verbindung mit § 9 - Einbringen in das Grundwasser - bekam § 48 - Reinhaltung des Grundwassers - durch die Einführung des Geringfügigkeitsschwellenwertkonzeptes eine besondere Bedeutung. Die ursprüngliche Formulierung, dass „die Schwellen der Geringfügigkeit vor Eintritt in das Grundwasser nicht überschritten“ werden dürfen, brachte drei bedenkliche Festlegungen mit sich: Erstens. Das international noch immer umstrittene Geringfügigkeitsschwellenwertkonzept würde so in das deutsche Recht eingeführt. Zweitens. Es gab die Geringfügigkeitsschwellenwerte als Schutzziel vor, ohne auf Bewirtschaftungsziele einzugehen. Drittens legte es den Ort der Beurteilung entgegen der europäischen Rechtsauffassung auf einen Punkt außerhalb des Grundwasserkörpers fest. Schon am letzten Punkt ist ersichtlich, wie problematisch diese Formulierung des BMU damals war. Der Grundwasserkörper ist kein statisches Gebilde. Er ist in ständiger Bewegung, und das Wasser kann fast jeden Punkt im Boden erreichen. Deswegen wäre der Beurteilungspunkt immer streitbefangen gewesen. Zu Recht titelte ein großes deutsches Nachrichtenmagazin „Sondermüll Waldboden“ und wies darauf hin, dass der reinste Waldboden die Geringfügigkeitsschwellenwerte nicht einhält und damit, sollte er einmal aufgenommen werden, nach der Gesetzesfassung, die wir damals hatten, nicht wieder hätte eingebracht werden dürfen. Ersatzbaustoffe und Fundamente hätten immer einer wasserrechtlichen Genehmigung bedurft. In sachlichen und fairen Gesprächen, für die ich mich wirklich bedanke, konnten diese Probleme ausgeräumt werden. Überzogene Wünsche und Vorstellungen wurden korrigiert, sodass jetzt die begründete Hoffnung besteht, dass der Gesetzentwurf die legislativen Hürden im Bundesrat ohne Vermittlungsverfahren übersteht. Uns ist sehr wohl bewusst, dass die Ziele mit der Anforderung, ein Gesetz ohne Standardverschärfungen, aber auch ohne Standardabsenkungen zu schaffen, durchaus erreicht worden sind. 16 verschiedene Landeswassergesetzgebungen mit 16 verschiedenen Eigenheiten unter einen bundeseinheitlichen Hut zu bringen, war nicht einfach. Wir haben es, glaube ich, geschafft. Herzlichen Dank noch einmal an alle. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich habe genau gehört, was Sie hier gesagt haben: Der BDI habe Druck ausgeübt. Sie haben vergessen, zu sagen, dass der BDI-Chef, der frühere Umweltminister Schnappauf aus Bayern, Mitglied der CSU ist; das ist doch auch einmal interessant. Ich sage: Druck erzeugt Gegendruck. Diesen Gegendruck vermisse ich bei Ihnen. ({0}) Ich habe Ihre Aussagen zur Linken gehört. Das ist ja nicht das erste Mal, dass wir hier denunziert werden. Dazu möchte ich erstens sagen - Stichwort „Klimawandel“ -: In Berlin wurde unter Rot-Rot ein Kohlekraftwerk verhindert. ({1}) Ich denke, die anderen Länder sollten sich das einmal anschauen. Der zweite Punkt - Autoindustrie und Klimawandel -: Ich halte es für legitim, dass die Kolleginnen und Kollegen um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Das tun wir alle gemeinsam. Ich möchte aber eine Ökologisierung der Autoindustrie, und da muss noch vieles getan werden. Im Übrigen denke ich, dass die Mehrheit der Betriebsräte nicht meiner Partei, sondern Ihrer Partei angehört. Deswegen sollten Sie mit denen einmal reden. ({2}) Zum Thema AKWs: Wir sind ganz klar für den Atomausstieg. Natürlich sollten wir einmal über Bitterfeld reden - dazu gab es schon eine Enquete-Kommission, als Sie noch gar nicht im Bundestag waren; ich kann mich gut erinnern, was dort alles dazu gesagt wurde -, wir sollten aber auch über die anderen Standorte und die Zwischenlager reden, und die sind im Westen. Ich würde nicht immer nur auf die neuen Bundesländer schauen. Schauen Sie einmal zu uns, schauen Sie auf Bayern, auf das Land, aus dem ich komme, und sehen Sie, was dort alles passiert ist. ({3}) Jetzt reden wir über das Wasserrecht. Der vorliegende Entwurf bringt leider nur wenige Fortschritte im Bereich des Gewässerschutzes. Darüber bin ich ein bisschen traurig. Der Entwurf des Umweltgesetzbuchs war - das haben Sie im Umweltausschuss selbst zugegeben - besser. Einige Dinge sind jetzt schlechter geregelt. Leider ist der Gesetzentwurf bei den Beratungen im Ausschuss nicht besser geworden. Schade. Ich spreche die Gewässerrandstreifen noch einmal an. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Größe wurde von den ursprünglich angedachten zehn Metern auf fünf Meter verringert. Im Entwurf des Umweltgesetzbuchs war der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Pestiziden in Schutzstreifen noch verboten. Im neuen Wassergesetz soll er wieder erlaubt sein. Schade. Nehmen wir die für Wanderfische wichtige Durchlässigkeit der Gewässer. Nach dem neuen Wasserrecht sollen Stauanlagen durchgängig sein. Das ist richtig. Nach dem Entwurf des Umweltgesetzbuchs war diese Durchgängigkeit erst dann gegeben, wenn erstens Gewässerorganismen schadlos stromauf oder stromab passieren können und zweitens der Transport von Geschiebe im Gewässer gewährleistet ist. Das Ganze fehlt im vorliegenden Gesetzentwurf. Wir glauben weiterhin allein an Fischtreppen. Doch diese nutzen den Schuppentieren nur beim Aufstieg. Beim Abstieg haben Lachs oder Aal große Probleme. Da muss wesentlich mehr passieren. Im Ausschuss wurde zudem der fortschrittliche Passus gestrichen, nach dem neue Wasserkraftanlagen lediglich an bestehenden Querverbauungen errichtet werden dürfen. Es wird also wahrscheinlich neue geben, was ein weiterer Schlag gegen die Durchlässigkeit unserer Flüsse und Bäche ist. Ein Fortschritt könnte vielleicht sein, dass es nunmehr eine Mindestwasserführung geben soll. Wir halten es für positiv, dass auf diesem Gebiet etwas passiert ist. Allerdings ist der ursprünglich vorgesehene Verweis auf den Stand der Technik für die Nutzung von Wasserkraftanlagen gestrichen worden. Wie viel Fischschutz installiert wird, bleibt also dem Gusto des Investors überlassen. Auch beim Grundwasser gibt es Alarmierendes. Bis heute haben wir hier den Besorgnisgrundsatz. Das heißt, nach menschlichem Ermessen darf überhaupt nichts ins Grundwasser eindringen. Dieser in Recht gegossene Vorsorgegedanke soll nun über den Verordnungsweg durch das sogenannte Geringfügigkeitsschwellenwertkonzept fallen. Ich bin gespannt, was die Verordnung bringt. Wir werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Andreas Jung, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst voranstellen, dass ich meine, dass die Gesetze, die wir heute beraten und nachher beschließen werden, in der Tat wichtige Schritte im Bereich der Umweltgesetzgebung in Deutschland und in der Tat wichtige Fortschritte auf dem Weg zu einem einheitlichen Umweltgesetzbuch sind. ({0}) Auch ich will mich herzlich bedanken. Ich will mich beim Kollegen Matthias Miersch, dem Berichterstatter der SPD, bedanken, mit dem uns drei, die wir dieses Vorhaben aufseiten der Union begleitet haben - Josef Göppel, Uli Petzold und ich -, eine sehr gute, konstruktive und, wie sich heute zeigt, auch fruchtbare Zusammenarbeit verbunden hat. ({1}) Ich möchte mich außerdem bei den Mitarbeitern der Bundesministerien, aber auch bei den Mitarbeitern der Länderministerien bedanken. In den letzten Tagen, Wochen und sogar Monaten haben wir nicht nur versucht, zwischen den Koalitionsfraktionen hier in Berlin Einvernehmen über die vorliegenden Gesetzentwürfe zu erzielen, sondern wir haben auch versucht, möglichst viele der Vorschläge, die von Länderseite, namentlich vom Bundesrat, vorgetragen wurden, frühzeitig aufzugreifen, damit wir heute ein Ergebnis vorlegen können, das kein Vermittlungsverfahren mehr durchlaufen muss. Sonst hätte es möglicherweise zur Folge, dass der gefundene Kompromiss dann aufgrund des Zeitablaufes insgesamt infrage gestellt wird. ({2}) Wir glauben, dass wir heute ein Ergebnis vorlegen, mit dem die Länder leben können müssten. An dieser Stelle will ich unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es bei dieser gemeinsam mit allen Beteiligten gefundenen Lösung bleibt und kein Vermittlungsverfahren mehr notwendig ist. ({3}) Jetzt komme ich zu den Inhalten. Ich finde, dass die Gesetzentwürfe, die wir auf Grundlage dessen, was im Rahmen der Föderalismusreform im Umweltbereich vereinbart wurde, heute verabschieden, deutlich machen, dass die Föderalismusreform besser ist als ihr Ruf. Was den Umweltbereich betrifft, waren wir in der Föderalismuskommission einer Meinung. Wir hätten uns gewünscht, dass der Bund im Bereich von Umwelt, Naturschutz und Wasserrecht mehr Regelungskompetenzen erhält. Das war damals beim Kompromiss mit den Ländern nicht erreichbar. Heute stellen wir fest, dass dieser Wunsch teilweise doch Realität wurde, und zwar aufgrund des Wegfalls der Rahmengesetzgebung bzw. dadurch, dass Naturschutz und Wasserrecht zum ersten Mal in die konkurrierende Gesetzgebung überführt wurden. Nun können auf Bundesebene Grundsätze für den Naturschutz formuliert und Vereinheitlichungen im Wasserrecht vorgenommen werden. Das ist ein Fortschritt im Interesse eines einheitlichen Naturschutz- und Wassergesetzes. Ich bin sicher, dass dadurch auch die zweite Forderung, die wir immer erhoben haben, nämlich die Verbesserung der Europafähigkeit, vorankommt. Denn in Zukunft können die zahlreichen europäischen Vorhaben Andreas Jung ({4}) und Vorgaben, mit denen wir es in diesen Bereichen zu tun haben, effizienter und, wie ich denke, auch zeitnäher umgesetzt werden. ({5}) Wir haben es mit einem neuen Instrument zu tun: mit der Abweichungsgesetzgebung. Dieses neue Instrument wurde von vielen, auch in unseren Reihen, zunächst kritisch beäugt und wird dies teilweise noch immer. Uns hat das gemeinsame Ziel verbunden, solche Regelungen zu treffen, die nach Möglichkeit einvernehmlich und mit Zustimmung aller Länder postuliert werden können, damit es nicht zu der von manchen befürchteten Zersplitterung des Umweltrechts kommt. Ich will nur ein Beispiel nennen, das schon angesprochen wurde und an dem man erkennen kann, dass uns dies gut gelungen ist: die Frage der Notwendigkeit einer standortbezogenen Vorprüfung bei der Grundwasserentnahme. Sieht man sich die Länderregelungen an, so stellt man fest: In dem einen Land gibt es überhaupt keinen Schwellenwert, sodass bei jeder Grundwasserentnahme eine solche Prüfung durchgeführt werden muss. In einer Vielzahl von Ländern gelten Schwellenwerte von 2 000, 3 000 oder 5 000 Kubikmetern. Es gibt aber auch den einen oder anderen Ausreißer, Schwellenwerte von 20 000 oder sogar 27 000 Kubikmetern. Man stellt insgesamt eine große Zersplitterung fest. Schon heute ist die gesamte Republik in dieser Hinsicht ein Flickenteppich. Wir haben uns auf einen Schwellenwert von 5 000 Kubikmetern geeinigt. Das ist ein Kompromiss, den die Mehrheit der Länder auch im Bundesrat mitgetragen hat. Mit dieser Einigung verbinden wir die Hoffnung, dass es zu einer Befriedung und damit zu einer Vereinheitlichung kommt. ({6}) Ich finde, dass es uns in den Diskussionen der letzten Wochen gelungen ist, für einen guten Ausgleich zu sorgen: zwischen der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für Naturschutz und Gewässer - dieser Aspekt steht für uns alle im Mittelpunkt - und den anderen Interessen, die es in diesem Bereich gibt. Ich will namentlich die Landwirtschaft nennen. Mehrere Redner haben die Eingriffsregelung angesprochen. Ich finde, wir haben hier einen guten Kompromiss gefunden zwischen denen, für die die jetzige Regelung sakrosankt war und die keinen Deut ändern wollten, und denen, die alles öffnen wollten und zum Beispiel finanzielle Kompensation mit Ausgleich und Ersatz auf eine Stufe stellen wollten. Wir haben uns für einen Mittelweg entschieden: Verzicht muss an erster Stelle stehen, an zweiter Stelle Ausgleich und Ersatz gleichberechtigt nebeneinander. Damit haben wir eine Regelung, die für die Landwirtschaft gut ist und bei der die Belange des Naturschutzes angemessen berücksichtigt werden. Das ist eine Regelung, hinter der sich alle versammeln könnten. Ich will einen zweiten Bereich ansprechen: den sehr kontrovers diskutierten Bereich der Wasserkraft. Ich finde, die Union kann stolz darauf sein, dass wir eine Regelung gefunden haben, die ein Bekenntnis zur Wasserkraft darstellt. Wir haben hier nämlich einen Konflikt zwischen Naturschutz und Klimaschutz. Das ist nur ein einzelnes Beispiel; man könnte leicht mehrere aufführen. Das zeigt, Herr Minister Gabriel, dass man es sich, wenn es Kritikpunkte gibt, nicht so einfach machen kann, zu sagen: Das ist der BDI gewesen. Wir sehen bei der Landwirtschaft und bei der Wasserkraft, dass hier auch ganz andere Interessen zum Ausgleich gebracht werden müssen. Ich finde, das ist uns gut gelungen. Ich will eine letzte Bemerkung machen, zum Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt, und hier zwei Punkte ansprechen. Die Frage der Beteiligung der Öffentlichkeit ist angesprochen worden. Selbstverständlich sind auch wir in der Union für eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit. Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle Erörterungstermine dazu dienen müssen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um Streitpunkte frühzeitig auszuräumen. Wir hätten uns an dieser Stelle allerdings mehr Flexibilität für die Behörden gewünscht, die diese Erörterungstermine in aller Regel machen. Es gibt, wenn auch wenige, so doch einige Fälle, in denen Erörterungstermine überflüssig sind. Wir hätten uns deshalb gewünscht, dass der Erörterungstermin fakultativ ist. Das war in dem Gesamtpaket aber nicht durchsetzbar. In etlichen Punkten haben wir unsere Anliegen, gerade unser Anliegen, Verfahrenserleichterungen zu erreichen, durchsetzen können. Unter dem Strich können wir zufrieden sein. Dazu gehört im Übrigen auch die vom Kollegen Kauch angesprochene Verbesserungsgenehmigung. Sie bringt für die Umwelt einen Fortschritt und stellt nicht etwa eine Standardabsenkung dar. Alles in allem können wir sagen: Das ist ein gutes Ergebnis. Wir wollen und werden in der nächsten Legislaturperiode auf diesem Grundstein mit den Verfahrensregelungen, die im UGB I vorgesehen waren, aufbauen. Wir wollen ein einheitliches Umweltgesetzbuch. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Nicole Maisch, Bündnis 90/Die Grünen.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am Anfang der Rede des Kollegen Matthias Miersch gehört: Was lange währt, wird endlich gut. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen sind der Meinung, dass es eher heißen muss: Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. ({0}) Sie loben sich hier gegenseitig und bedanken sich wechselseitig dafür, dass Sie in einer Hauruckaktion gewissermaßen fünf Minuten vor Schluss der Legislaturperiode eine weitere Zersplitterung des Umweltrechtes verhindern wollen. Diese Zersplitterung haben Sie durch die Föderalismusreform I selbst herbeigeführt. Deshalb ist die Föderalismusreform I von den profiliertesten Naturschutzpolitikern in der Koalitionsfraktion abgelehnt worden. Sie haben sich den Schlamassel selbst eingebrockt. Und jetzt hätten Sie gerne Dank und Lob von der Opposition dafür, dass Sie die schlimmsten Auswirkungen im letzten Moment verhindern wollen. ({1}) Sie scheitern an dem, was Sie im Koalitionsvertrag festgehalten und damit den Menschen in diesem Land versprochen haben, nämlich das Umweltrecht in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch zusammenzufassen. Dazu ist es nicht gekommen. Sie haben versprochen, es gibt keine Standardabsenkung. Die Kollegin Undine Kurth hat Ihnen bei der Eingriffsregelung - bei den Regelungen zu wassergefährdenden Stoffen ist es ähnlich - nachgewiesen, dass es durchaus so ist, dass materielle Standards abgesenkt werden. ({2}) Wir finden, dass der, der verspricht, dass an den materiellen Standards nichts gedreht wird, das auch halten muss. ({3}) Sie haben versprochen, dass Bürokratie abgebaut wird. Durch die integrierte Vorhabengenehmigung hätte die Wirtschaft Bürokratiekosten in Millionenhöhe sparen können. Wir finden es sehr verwunderlich, dass jemand, der heute in der Bundesregierung Verantwortung für die Wirtschaftspolitik trägt, als bayerischer CSU-Generalsekretär diese integrierte Vorhabengenehmigung bekämpft hat. Ich finde, das ist für die Wirtschaftskompetenz der CSU kein gutes Zeugnis. ({4}) Ich möchte noch einige kurze Sätze zum Verfahren sagen, weil meine Redezeit begrenzt ist. Wir als Opposition haben in den letzten Tagen unglaublich viele Änderungsanträge noch sehr spät in der Nacht bearbeiten müssen. Wir wissen, dass Sie sich untereinander seit vielen Monaten mit diesem Thema beschäftigen - wir auch -, aber Podiumsdiskussionen bei Verbänden, beim BDI und beim BUND - wie immer sie auch heißen -, ersetzen kein geordnetes parlamentarisches Verfahren. ({5}) Die Hauruckaktion, mit der Sie diesen Gesetzentwurf jetzt durchpeitschen wollen, zeigt, dass die Umweltpolitik in Ihrer Koalition einen geringen Stellenwert genießt. ({6}) Lassen Sie mich noch einige Sätze zur Neuregelung des Wasserrechts sagen. Wir kritisieren sehr scharf, dass Sie den Schutz der Gewässerrandstreifen nicht in der Form, wie wir es vorgeschlagen haben, verbessern wollen. Der Umgang mit Düngemitteln und Pestiziden ist nicht so geregelt, wie es nach den Anforderungen an einen modernen Biodiversitätsschutz erforderlich ist. Wir sind davon überzeugt, dass Sie nicht europakonform gehandelt haben. Durch die Wasserrahmenrichtlinie wird von uns mehr Schutz der Gewässer gefordert, als Sie hier vorschlagen. ({7}) Was der Kollege Göppel zur Bewahrung der Schöpfung gesagt hat, hat mir sehr gut gefallen. ({8}) Das meiste davon kann man inhaltlich unterschreiben. ({9}) Wenn man in den Gesetzentwurf schaut, sieht man aber, dass bei den Regelungen zur Wasserkraft leider gerade das Gegenteil getan wird. Wir haben die Verantwortung, die Natur für unsere Kinder zu erhalten. Das gilt natürlich auch für die Gewässer, die Flüsse und die Bäche in unserem Land. Dem wird leider nicht Rechnung getragen. Hinsichtlich der Wasserkraft kann man wirklich sagen: Der Naturschutz ist den wirtschaftlichen Interessen geopfert worden. - Das finde ich ziemlich traurig. ({10}) Wir lehnen die Gesetzentwürfe zum Wasser- und Naturschutzrecht ab. Wir hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode jemand Umweltministerin oder Umweltminister sein wird, die oder der härter dafür kämpft, dass es mehr und nicht weniger Naturschutz in diesem Land gibt. Danke. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 54 a. Wir kommen zur Abstim- mung über die von der Bundesregierung und von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Hierzu liegen einige Erklärungen von Kolleginnen und Kollegen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13430, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12785, 16/13298 und 16/12274 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst ab- stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/13489? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Dafür haben gestimmt die einbringende Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, und die Linke; alle anderen Fraktionen waren dagegen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/13490? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt mit demselben Stimmenverhältnis wie bei der vorherigen Abstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da- gegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der CDU/CSU und der SPD angenommen. Dagegen haben gestimmt Bünd- nis 90/Die Grünen und die Linke; die Fraktion der FDP hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetz- entwurf in dritter Beratung mit demselben Stimmenver- hältnis wie vorher angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13485? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs- antrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die FDP-Fraktion, alle übrigen Fraktionen waren dagegen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/13484? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/ Die Grünen und die einbringende Fraktion Die Linke. CDU/CSU, SPD und FDP waren dagegen. Tagesordnungspunkt 54 b. Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwürfe eines Ge- setzes zur Neuregelung des Wasserrechts. Der Aus- schuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/13426, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12786, 16/13306 und 16/12275 zusam- menzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. 1) Anlagen 2 bis 4 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13491? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Dafür haben gestimmt Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Die übrigen Fraktionen waren dagegen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die FDP hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit demselben Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13486. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Bei Zustimmung durch die FDP-Fraktion haben sich die übrigen Fraktionen dagegen verhalten. Tagesordnungspunkt 54 c. Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13431, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12787, 16/13299 und 16/12276 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die FDP hat dagegen gestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dafür stimmt, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit demselben Stimmverhältnis wie vorher. Tagesordnungspunkt 54 d. Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13443, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12788, 16/13301 und 16/12277 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der AusVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Bitte stehen Sie auf, wenn Sie zustimmen mögen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit demselben Stimmenverhältnis wie vorher. Jetzt wird noch interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12032 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 55 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto ({0}), Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - Drucksache 16/387 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 16/12843 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković Jerzy Montag Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, eine Stunde über dieses Thema zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem das Wort dem Kollegen Siegmund Ehrmann für die SPDFraktion. ({3})

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte stellt einen Schlusspunkt eines recht mühsamen Klärungsprozesses in den letzten zwei Legislaturperioden dar, mit einem mutmaßlichen Ergebnis, das mich persönlich nicht zufriedenstellt. ({0}) Aber der Prozess entspricht den parlamentarischen Beratungsregeln. Ich möchte zuerst einen kurzen Blick auf die Historie dessen werfen, womit wir uns befasst haben, nämlich die Kultur als Staatsziel in unserer Verfassung zu verankern und damit ausdrücklich hervorzuheben, dass der Staat eine besondere Verantwortung hat, die Kultur zu schützen und zu fördern. Bereits in den frühen 90er-Jahren, nach der deutschen Einheit, gab es in der Verfassungskommission eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema. Meine Fraktion, damals in der Opposition, konnte sich nicht mit dem Begehren durchsetzen, die Kultur als Staatsziel in der Verfassung zu etablieren. Gleichwohl haben wir das damals massiv vorangebracht. Wir haben die damaligen Impulse in den Beratungen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in der letzten Legislaturperiode aufgegriffen. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass es unter den Kulturpolitikern, die seinerzeit die Arbeit der Enquete-Kommission geprägt haben, unstreitig war, sich für dieses Ziel massiv einzusetzen. Mitte 2005, unmittelbar vor der Auflösung des letzten Bundestages, haben wir in diesem Haus eine Debatte über dieses Thema geführt und uns als Kulturpolitiker in die Hand versprochen: Wir bleiben dran und versuchen, dieses Ziel zu erreichen. Innerhalb meiner Partei ist die Debatte fortgeführt worden. Wir haben auf unserem Hamburger Parteitag hervorgehoben: Die Kultur als Staatsziel stellt einen wichtigen Impuls dar. Wir haben herausgestellt, dass Kultur nicht ein lästiges Beiwerk oder ein Accessoire, sondern ein öffentliches Gut und eine politische Pflichtaufgabe ist. ({1}) Das, was aus dieser Debatte innerhalb meiner Partei an die Fraktion, wiederum gespeist aus der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, weitergereicht wurde, wurde dann von der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Staatszieldebatten über Kultur, Sport, Kinderrechte und Generationengerechtigkeit überlagert. Ich weise ausdrücklich den Verdacht zurück, dass wir in meiner Fraktion taktische Bündnisse geschlossen hätten. Vielmehr ist jede dieser Forderungen durchaus gerechtfertigt. So haben wir uns letztendlich in meiner Fraktion auf drei Staatszielforderungen verständigt: Kultur, Kinderrechte und Sport. Ich bedauere außerordentlich, dass eine differenzierte Debatte innerhalb der Koalition nicht möglich war, und zwar im Sinne dessen, was Wolfgang Börnsen in einem Beitrag für Das Parlament einfordert, nämlich sich auf Prioritäten zu verständigen. Wenn wir eine differenzierte Debatte geführt hätten, hätten wir möglicherweise schon den Beschluss mit großer Mehrheit im Parlament gefasst, die Kultur als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Ein Blumenstrauß an die FDP: Herr Otto, ich habe einen wichtigen Impuls vermisst, den Sie auf einer anderen parlamentarischen Ebene hätten setzen können. Vor nicht allzu langer Zeit gab es eine Initiative der sozialdemokratischen Landesregierungen im Bundesrat. Sie haben aber Ihre Kollegen in den Ländern nicht aufgefordert, diese Initiative aufzugreifen und zu unterstützen. ({2}) Wie dem auch sei, eine Grundregel in der Koalition lautet - sie ist manchmal schwer zu ertragen; aber so ist es nun einmal in der politischen Praxis -: Nur was gemeinsam verabredet wird, geht. - Wir sind bei dem zentralen Thema, die Kultur als Staatsziel in der Verfassung zu verankern, leider nicht zu gemeinsamen Ergebnissen gekommen. Gleichwohl hat das Staatsziel Kultur eine materielle Substanz. Ich möchte deutlich machen, dass es sich bei der in der letzten Legislaturperiode betriebenen Kulturpolitik nicht um einen Abgesang gehandelt hat. Im Gegenteil: Wir haben innerhalb der Koalition - das nehme ich insbesondere für meine Fraktion in Anspruch - wichtige Bausteine geschaffen und wichtige Impulse gesetzt, und zwar auch im Interesse der Künstlerinnen und Künstler. Ich erinnere an die Debatte über das Urheberrecht, den zweiten Korb, den wir verabschiedet haben. Dieser enthielt gute Elemente. Ich ermahne uns alle, dass noch sehr viel zu tun bleibt, wenn ich alleine an den Schutz des geistigen Eigentums in der digitalisierten Welt denke. Wir haben im Rahmen unseres Regierungsprogramms ein Angebot für die Zukunft formuliert und gesagt, dass ein Lösungsmodell die Kulturflatrate sein könnte. Das ist eine Einladung, die Debatte unter dem Stichwort Kreativpakt zu führen. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir den Schutz des geistigen Eigentums im Interesse der Künstlerinnen und Künstler weiterentwickeln und kodifizieren. Der zweite Bereich, in dem wir wichtige Grundlagen geschaffen haben, betrifft die Stärkung des ehrenamtlichen Engagements. Wir wissen, dass ohne die Zivilgesellschaft im Bereich der Kultur wenig läuft. Ich will nicht sagen, dass nichts läuft, aber es ist wenig. Das ehrenamtliche Engagement ist eine starke Stütze der Kultur und trägt zur kulturellen Vielfalt unseres Gemeinwesens bei. Wir haben mit der Weiterentwicklung des Gemeinnützigkeitsrechts und des Stiftungsrechts gute Impulse gesetzt, um Bürger zu zivilgesellschaftlichem und ehrenamtlichem Engagement zu motivieren und damit die Kulturarbeit in unserem Land weiter zu stärken. Der dritte Bereich betrifft die staatliche Kulturförderung. Der Bund hat in dieser Hinsicht mit Sicherheit seine Hausaufgaben gemacht. Schaut man sich die Entwicklung der staatlichen Kulturförderung an, dann sieht man, dass wir Zuwächse zu verzeichnen haben. ({3}) Bei den Ländern und Kommunen sieht dies anders aus. Ich nenne Ihnen dazu zwei Zahlen: Die öffentliche Kulturförderung beträgt 8 Milliarden Euro. Im Kontext der Wirtschaftskrise, mit der wir uns im Moment auseinandersetzen, und der sicherlich nicht geringen Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Krise irgendwann auf die öffentlichen Haushalte auswirken wird, stelle ich fest, dass das private Engagement wichtig, richtig und notwendig ist, es aber mit einem Volumen von etwa 500 Millionen bis 600 Millionen Euro weniger als 10 Prozent der öffentlichen Kulturförderung ausmacht. Das heißt, der Staat ist nach unserem Verfassungsverständnis und nach unserem kulturpolitischen Verständnis der wichtigste Stabilisator der Kulturarbeit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ehrmann!

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Um dies in der Verfassung zu unterstreichen, wäre es gut, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hans-Joachim Otto hat jetzt für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Ehrmann hat in gewohnt seriöser und korrekter Weise die Argumente und die Geschichte zusammengefasst. Nur ist mir nach Ihrer Rede, Herr Ehrmann, noch unklarer als vorher, warum Sie und Ihre Fraktion unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({0}) Ziemlich genau vor vier Jahren hat die Enquete-Kommission die Aufnahme der Kultur als Staatsziel in die Verfassung vorgeschlagen. Das geschah nach sorgfältiger Beratung und nach Anhörung der bedeutendsten Verfassungsrechtler Deutschlands einstimmig. Welche Argumente gab es damals? Gelten sie noch heute? Alle Fraktionen haben hier gemeinsam die Ergänzung des Grundgesetzes um das Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ beschlossen. Das war auch richtig so. Aber wenn wir in unserer Verfassung den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, der Umwelt, als Staatsziel haben, dann müssen wir konsequenterweise auch den Schutz der geistigen Lebensgrundlagen, der Kultur, als Staatsziel haben. ({1}) Wenn wir nur die eine Seite, die natürlichen Lebensgrundlagen, schützen, dann gibt es Wertungswidersprüche. Darauf weisen uns Verfassungsrechtler immer wieder hin. Dann gibt es eine Schieflage in der Verfassung, und diese Schieflage muss dringend beseitigt werden. Halten wir uns vor Augen: Die Kulturförderung ist eine freiwillige kommunale Aufgabe, sie ist keine Pflichtaufgabe. Das hat zur Folge, dass die Mittel zur Erfüllung dieser freiwilligen Aufgabe immer dann, wenn Kürzungen anstehen, zuerst gekürzt werden. Wir haben in den letzten Jahren, wenn wir Bund, Länder und Gemeinden zusammennehmen, dramatische Kürzungen gehabt. Die Kulturförderung in Deutschland insgesamt ist Hans-Joachim Otto ({2}) in den Jahren 2002 bis 2007 von 8,5 Milliarden Euro auf rund 8 Milliarden Euro zurückgegangen. Das sind nominal nur 6 Prozent Rückgang. Nehmen Sie aber die Geldentwertung hinzu, beträgt der Rückgang nahezu 20 Prozent. Wenn Sie sich dann noch vor Augen halten, dass der Anteil der Kulturförderung am Bruttosozialprodukt in Deutschland im gleichen Zeitraum von 0,41 Prozent auf 0,34 Prozent zurückgegangen ist, wird deutlich, dass es hier um eine Verschiebung von Prioritäten geht. Hier geht es nicht um eine Einsparung, die wir natürlich überall zu erbringen haben, sondern hier geht es um einen überproportionalen Rückgang, der mit großer Skepsis zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund halte ich es wirklich nicht für gut, lieber Herr Staatsminister, dass wir heute in der Presse lesen müssen, dass der Kulturfinanzbericht von Bund und Ländern ab dem Jahre 2010 eingestellt werden wird. Man hat ja geradezu den Eindruck, dass hier diese schlechte Situation verschleiert werden soll. ({3}) Die Finanzkrise, die hoffentlich keine dauerhafte Erscheinung ist, verstärkt das Dilemma natürlich und vergrößert noch das Problem für die Kultur. Deswegen ist es in diesem Umfeld wichtiger denn je, ein Zeichen, ein Signal für Kultur zu setzen. Ich weise daher - für die Kulturpolitiker ist das nichts Neues - auch diejenigen, die heute ihre Zustimmung versagen, darauf hin, dass es bei der Kultur nicht um Luxus, um ein Sahnehäubchen oder ein schönes Freizeitvergnügen einer kleinen gebildeten Schicht geht, sondern um den Kern der Gesellschaft. ({4}) Ohne Kunst und Kultur wäre die Gesellschaft nicht kreativ, wäre die Wirtschaft nicht innovativ, wäre Bildung technokratisch. Dies müssen wir uns vor Augen halten, wenn wir heute über das Staatsziel Kultur reden. Ich möchte nun aber auf die Gründe - Kollege Gehb wird sie sicherlich gleich mit der ihm eigenen Wortgewalt anführen - oder die Gegenargumente eingehen, die genannt werden. Da gibt es zum einen das Gegenargument - Herr Kollege Ehrmann hat eben schon darüber gesprochen - „Inflation der Staatsziele“. Dieses Argument überzeugt mich gar nicht. ({5}) - Das wird jetzt vom Kollegen Gehb kommen; ich kenne ihn doch. ({6}) Wer den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zum Staatsziel erklärt hat und später auch noch den Tierschutz draufgesetzt hat, der möge mir bitte nicht sagen, dass der Schutz der geistigen Lebensgrundlagen weniger schützenswert sei. ({7}) Wer mir dann sagt, hier gehe es auch um Sport, Generationengerechtigkeit usw., den beruhige ich: Heute geht es nur um den Schutz der Kultur. Sie können heute Ihre Zustimmung erteilen und alle anderen Staatsziele ablehnen; das ist gar kein Problem. ({8}) Meine Damen und Herren, es wird eingewandt, in den meisten Landesverfassungen sei die Kultur schon verankert. ({9}) - Moment, Herr Grosse-Brömer, Sie sind nachher dran. Sie können sich aber auch zu einer Zwischenfrage melden; dann habe ich mehr Redezeit. Ich will Ihnen eines sagen: Sogar in der europäischen Verfassung, in Art. 151 des EG-Vertrages, ist der Schutz der Kultur verankert. Jetzt möge mir einer erklären, warum uns auf der einen Seite niemand davon abgehalten hat, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, der auch in den Landesverfassungen steht, in die Verfassung des Bundes aufzunehmen, und warum Sie auf der anderen Seite damit kommen, dass das Staatsziel Kultur schon in den Landesverfassungen stehe, weshalb es im Grundgesetz überflüssig sei. Lieber Herr Grosse-Brömer, mir fällt auf, dass in Ihrer Fraktion die tüchtigen und sympathischen Kulturpolitiker heute nicht das Wort bekommen. ({10}) Die mögen Ihnen sagen, wie wichtig es ist, dass wir hier auch ein politisches Signal setzen. Es geht nicht nur um Geld, es geht auch um eine politische Wertschätzung für die Kultur und die Kulturförderung. Dies kommt mir bei diesen Argumenten zu kurz. ({11}) Der sehr geschätzte Kollege Börnsen, der heute hier leider nicht reden darf, ({12}) hat sich vorher dazu geäußert und erklärt, wir brauchten dieses Staatsziel wegen Art. 35 des Einigungsvertrages nicht. ({13}) Lieber Kollege Börnsen, der Einigungsvertrag - ein wichtiges Dokument - soll die Folgen der deutschen Teilung beseitigen und die Einigung herbeiführen. Wir reden aber nicht nur über teilungsbedingte Folgen, Hans-Joachim Otto ({14}) ({15}) sondern wir gehen viel weiter: Wir wollen für das gesamte deutsche Land, egal ob Ost oder West - ({16}) - Es ist nicht die Funktion des Einigungsvertrages, hier Staatsziele aufzustellen. Das Bundesverfassungsgericht ist auch nicht in der Lage, bei der Abwägung zwischen den Staatszielen Kultur und „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ den Einigungsvertrag heranzuziehen. ({17}) Der Deutsche Kulturrat hat gestern in einer Presseerklärung an uns appelliert und gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich möchte den Appell des Deutschen Kulturrates, übrigens auch den Appell der Enquete-Kommission an Sie weitertragen, indem ich Sie bitte, diesem Gesetz die Zustimmung zu erteilen. Ich kann den Deutschen Kulturrat und Millionen von Kulturbeflissene und Künstler allerdings beruhigen: Lassen Sie die Hoffnung nicht fahren! Egal wie die heutige Abstimmung ausgeht, kann ich Ihnen als FDP-Politiker versprechen: Wir werden nicht lockerlassen. Wir werden diesen Antrag auch in der nächsten Legislaturperiode einbringen. Mein Fraktions- und Parteivorsitzender, der an der heutigen Debatte teilnimmt, wird sich dafür einsetzen. Er gibt sein Wort: Die FDP steht zu dem Staatsziel Kultur. Richten Sie sich darauf ein: Wir werden in der nächsten Legislaturperiode wieder angreifen - versprochen! ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Otto, auch wenn Sie schon den Inhalt meiner Rede kennen, möchte ich von meiner Redezeit Gebrauch machen. ({0}) Als Sie von meiner „Redegewalt“ sprachen, haben Sie das hoffentlich mehr auf Rede und weniger auf Gewalt bezogen. Ich werde ganz moderat sagen, worum es uns geht. Gerade in den letzten Tagen haben wir auf vielfältige Art und Weise und allüberall „60 Jahre Grundgesetz“ gefeiert. Ich kenne keine Veranstaltung, auf der nicht immer wieder gesagt worden ist: Wir sind stolz auf unser Grundgesetz; wir sind stolz auf unsere Verfassung. Das will ich an dieser Stelle noch einmal betonen. ({1}) Wir sind aber auch stolz auf die kulturellen Leistungen, die in unserem Lande erbracht werden. ({2}) Kultur ist mehr als ein Werbeaufkleber, der auf irgendeiner Deutschlandbroschüre prangt. Kultur wird täglich in der Realität gelebt, und zwar nicht nur in Großstädten wie in Berlin, wo es schon fast unübersichtlich wird, sondern überall in Deutschland. ({3}) - „Auch in Kassel“ höre ich gerade vom Staatssekretär Alfred Hartenbach. Kassel ist die Kunst- und Kulturstadt, nicht nur, aber ganz besonders wegen der Documenta. Wer von Kassel mehr als den ICE-Bahnhof erleben möchte, der kann das Sepulkralkultur-Museum besuchen. Ich möchte an dieser Stelle all denjenigen, die tagtäglich Musik machen, Theater spielen und all das machen, was unter dem Begriff Kultur zu subsumieren ist, meinen herzlichen Dank aussprechen. Das gilt für den berühmten deutschen Tenor Jonas Kaufmann, der unter anderem an der Deutschen Oper Berlin gastiert, genauso wie für das Funkenmariechen eines Karnevalvereins, das im Saal in der Dorfgaststätte seinen Spagat aufführt. ({4}) Das alles ist Kunst und Kultur, und das schätzen wir außerordentlich hoch. Auch hier gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. ({5}) Das Handeln ist also viel besser als das symbolische Aufnehmen von bestimmten Formulierungen. Wenn ich meinen Blick auf die Regierungsbank richte, dann sehe ich unter anderem Bernd Neumann. ({6}) Er ist der lebendige Beweis dafür, dass die nachhaltige Handlung sehr viel mehr wert ist als alles andere. Ihm ist es gelungen, den Kulturetat des Bundes stetig zu steigern, obwohl die Kultur nicht als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist. ({7}) Dagegen wird der Kulturetat der Bundesländer, in deren Verfassungen man wohlklingende semantische Formulierungen zur Kultur findet, eher kleiner. Quintessenz ist: Es scheint nicht darauf anzukommen, ob die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist. Weil das so ist, werbe ich dafür, dass wir die Kultur primär fördern. Schenken Sie mir noch einige Minuten Ihre Aufmerksamkeit. Damit meine ich namentlich die Rechtspolitiker, Herr Otto; denn wir führen heute eine rechtspolitische Debatte. Es geht um die Änderung des Grundgesetzes. ({8}) - Ja, es ist auch eine kulturpolitische. Aber Sie waren gerade etwas herablassend und haben von den gutaussehenden Kulturpolitikern gesprochen. ({9}) Ich kann nichts dafür, dass ich nicht so gut aussehe wie Wolfgang Börnsen oder Gitta Connemann. Der Einzige, der mir in diesem Zusammenhang leidtut, ist Michael Grosse-Brömer. Das ist eigentlich ein hübscher Kerl. Er wird heute auch noch reden. ({10}) Deswegen will ich Ihnen sagen, dass ich großes Verständnis dafür habe, dass der Kulturausschuss des Bundesrates seinerzeit die Aufnahme des Staatsziels Kultur ins Grundgesetz bejaht hat. Genauso habe ich auch Verständnis dafür - da sehen Sie ein bisschen die Antipoden -, dass der Rechtsausschuss des Bundesrates die Aufnahme verneint hat. Schließlich hat dieser Vorschlag im Plenum des Bundesrates keine Mehrheit gefunden. Was mich ein bisschen betrübt, wenn wir über die Aufnahme von Staatszielen im Allgemeinen, aber auch im Besonderen hinsichtlich der Kultur reden, ist, dass ich den Eindruck nicht loswerde, dass nicht nur der Rechtsunkundige - Sie sind ja rechtskundig, Herr Otto -, ({11}) sondern auch der Rechtskundige den Eindruck vermittelt: Alles, was nicht im Grundgesetz steht, sondern „nur“ in einfachgesetzlichen Regeln, ist nichts mehr wert. Das heißt also, einfache Gesetze, die wir hier verabschieden, taugen nichts. Alles muss ins Grundgesetz; denn nur dort ist es an der richtigen Stelle. Davor kann ich nur warnen. ({12}) Ich erinnere an den unsäglichen Spruch des Präsidenten des Kinderschutzbundes, er wolle nicht mehr in einem Land leben, in dem zwar der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert sei, nicht aber der Schutz der Kinder. Das zeigt mir, wie gefährlich diese Diskussion ist. Ich will etwas zum Tierschutz sagen. Die eigentliche Intention, die Beweggründe und die Erwartung, warum man den Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen hat, war die Verpönung des Schächtens von Tieren. Das war der eigentliche Grund. Man hat gesehen, dass diese Maßnahme gar nichts genutzt hat - das war mir schon klar -, weil es jetzt zwei widerstreitende Verfassungsbestimmungen gibt: einmal Art. 4 des Grundgesetzes, in dem es um die Glaubensfreiheit geht, und das Staatsziel Tierschutz, das, wie es das Bundesverfassungsgericht immer sagt, im Wege der praktischen Konkordanz auszulegen ist. Die Gerichte haben als Reaktion auf Klagen entschieden, dass sehr wohl weiterhin geschächtet werden kann. Damit bin ich beim nächsten kritischen Punkt. Wenn wir also glauben, durch Aufnahme von wohlklingenden Formulierungen mehr zu erreichen, wecken wir Begehrlichkeiten, die wir am Ende möglicherweise gar nicht erfüllen können. Das führt zu einer erneuten Enttäuschung und einem Ansehensverlust unserer Verfassung. Es wird - unausgesprochen oder ausgesprochen - darüber hinaus erwartet, dass mit der Aufnahme von Staatszielen im Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht diesen Regelungen Odem einhaucht und ihnen somit Leben einflößt. Das ist doch ganz klar. Einer der Sachverständigen - das habe ich noch gut im Ohr -, der seinerzeit angehört worden ist, hat gesagt: Wer neues Verfassungsrecht sät, wird neue Verfassungsrechtsprechung ernten. Wir sind doch sowieso oft genug nur noch die Gehilfen zur Vollstreckung von europäischen Vorgaben. Wir sitzen hier in einer Ratifizierungsfalle und sagen, wir können nicht anders, das ist eben eine Richtlinie. Wollen wir jetzt noch mehr Kompetenzen nicht nur nach Brüssel abgeben, sondern auch nach Karlsruhe? Diese Zuständigkeitsverschiebung wird hier doch allenthalben bedauert. Ich habe das Grundgesetz schon immer wegen seiner puristischen, schlichten und geradezu einfachen Ausformung besonders geschätzt. ({13}) - Ja, jetzt komme ich dazu, Herr Otto. - Es gibt hier einen Ausreißer. Aber dieser ist nicht erst im Grundgesetz aufgetreten, sondern er fand sich schon in der Weimarer Reichsverfassung und auch in allen anderen Verfassungen vorher. Die Finanzverfassung hat mit Schlichtheit nichts mehr zu tun. Offensichtlich - das sieht man an den einfachen Regelungen bei Steuergesetzen - wird eine Finanzverfassungsregelung erst dann interessant, wenn sie länger als sechs Seiten ist. Das kann man jetzt mit dem Staatsziel nicht vergleichen; denn die Formulierung, die Sie vorschlagen, ist eher schlicht. ({14}) Sie ist keineswegs sprachlich aufgebläht. ({15}) Dennoch kann ich nur warnen - Sie haben es eben selber gesagt -: Die Begehrlichkeiten nehmen immer weiter zu. Sie haben zwar gesagt, wir reden heute nur über Kultur. Aber nicht nur die Aufnahme der Kultur, des Sports, der Kinderrechte und der Generationengerechtigkeit als Staatsziel ins Grundgesetz wird gefordert. Inzwischen gibt es ein gutes Dutzend von Forderungen. Jede für sich betrachtet hat sicherlich hehre Beweggründe; das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber ich habe ein einfaches Prinzip: Finger weg vom Grundgesetz, jedenfalls dann, wenn es nicht zwingend erforderlich ist. Ich will jetzt nicht allzu sehr in die Tiefe gehen. Montesquieu hat einmal gesagt: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es nötig, kein Gesetz zu machen.“ Das gilt erst recht - argumentum a maiore ad minus -, wenn es nicht nötig ist, das Grundgesetz zu ändern. Dann ist es geradezu verboten, es zu ändern. Das ist meine feste Überzeugung. Genauso wie Sie immer dafür kämpfen, dass Schutzgüter ins Grundgesetz aufgenommen werden, werde ich immer dafür kämpfen, dass dies nicht passiert. Das ist ein fruchtbarer Prozess der demokratischen Auseinandersetzung. Nur in der Auseinandersetzung kann man die besten Lösungen finden. An dieser Stelle möchte ich an diejenigen appellieren, die meinen, mit der Aufnahme von Schutzgütern in das Grundgesetz mehr Schutz zu gewährleisten. Ich habe das bei den Kinderrechten mit einem vielleicht populistischen und naiv anmutenden Spruch illustriert: Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, gaukelt so viel Schutz vor wie ein Zebrastreifen auf einer Formel-1Piste. Die Aufnahme des Staatsziels Kultur ins Grundgesetz würde auch nicht viel mehr bewirken. Deswegen kann ich sagen: Viel wichtiger als die Aufnahme blumiger Formulierungen ins Grundgesetz ({16}) wäre eine bessere Förderung von Kindern, Sport und Kultur. Es ist wie so häufig ein exekutives Defizit im Handeln und kein materiell-rechtliches Defizit bei der Aufstellung von Normen. Das gilt für die einfachen Gesetze und erst recht für das Grundgesetz. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Gehb, unser Gesetzentwurf hat eine verfassungsrechtliche und eine materielle Komponente. Ich will mich kurz zu der verfassungsrechtlichen Komponente, die auch Sie angesprochen haben, äußern und dann eine Anmerkung zur Kultur selbst machen. Verfassungsrechtlich machen Sie es sich zu einfach, wenn Sie sagen, dass die Aufnahme von Schutzgütern und Staatszielen ins Grundgesetz nicht nötig sei, da sie teilweise schon in Länderverfassungen Berücksichtigung fänden, und dass es bis jetzt noch nicht geschadet habe, dass das Grundgesetz entsprechende Bestimmungen nicht enthalte. Gleich zu Beginn unseres Grundgesetzes heißt es in Art. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist ein einfaches Postulat. Es hat aber die gesamte Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland geprägt wie vermutlich nichts anderes, was in unserer Verfassung steht. ({0}) Es ist vernünftig, dass es dort steht. Wir sollten allerdings nicht den Eindruck erwecken, als sei ein Problem gelöst, nur weil es in der Verfassung behandelt wird. In der Verfassung ist auch enthalten, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Wir alle wissen, dass dies ein wichtiges Ziel ist. Gleichzeitig fällt uns aber jeden Tag ein Missstand ein - insbesondere in der freien Wirtschaft -, der zeigt, dass Frauen unverändert diskriminiert werden. Wir müssen immer und immer wieder daran arbeiten, diesen Missstand zu beheben. Genauso verhält es sich mit dem Staatsziel Kultur. Wenn ich das, was heute von den Freien Demokraten beantragt wird, nämlich den einfachen und schlichten Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ ins Grundgesetz aufzunehmen, mit dem vergleiche, was Sie im Rahmen der Föderalismusreform II an verkorksten, seitenlangen Formulierungen in die Verfassung hineingeschrieben haben, dann ist es in meinen Augen einfach unangemessen, eine einfache Aussage, mit der ein klares inhaltliches Postulat vertreten wird, so in Zweifel zu ziehen. ({1}) Gerade weil es eine knappe und klare Ansage ist, ist sie geeignet, in die Verfassung aufgenommen zu werden. Wäre es seitenlange Lyrik, dann müsste man sich in der Tat um die Verfassung Sorgen machen. Schließlich möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es um die Abwägung von Rechtsgütern geht. Das ist doch unser eigentliches Anliegen. Auch wir wissen, dass nach einer Verfassungsänderung plötzlich nicht alles perfekt in der Kulturpolitik ist. Aber da die Kultur in Deutschland in Konkurrenz steht zu anderen wichtigen Rechtsgütern, müssen wir dafür sorgen, dass die Kultur nicht den Kürzeren zieht, nur weil sie keinen Verfassungsrang hat. Das ist der entscheidende verfassungsrechtliche Unterschied zu Ihrer Argumentation. ({2}) Das war die mehrheitliche Forderung dieses Hauses in der Enquete-Kommission. Auch die Sozialdemokraten haben dieses Ziel, so habe ich gelesen, in ihr Wahlprogramm aufgenommen. - Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD nicken. Daher muss ich fragen: Warum stimmen Sie heute nicht zu? ({3}) Tun Sie mal nicht so, als wäre es auf den letzten Metern dieser Koalition die alles entscheidende Frage! ({4}) Sie könnten, wenn Sie wollten. Aber Sie wollen nicht. Das zeigt, dass es Ihnen nach meiner Einschätzung nicht ernst genug ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Westerwelle, die Zeit für eine Kurzintervention ist jetzt überschritten.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke Ihnen für den Hinweis und will mit folgender Bemerkung schließen: In Wahrheit geht es darum, dass Deutschland eine Kulturnation ist. Wir sind stolz auf unsere kulturelle Vielfalt. Eine Kulturnation sollte sich in ihrer eigenen Verfassung dazu bekennen, dass sie es ist. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Gehb, möchten Sie antworten? - Bitte schön.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da ich Herrn Westerwelle nicht angesprochen habe, möchte ich ihm auch nicht antworten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt die Kollegin Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Man fragt sich wirklich, warum wir uns in unserem Land so schwer damit tun, neben den natürlichen auch die kulturellen Grundlagen in die Verfassung aufzunehmen. Es geht nicht, wie Sie gesagt haben, um ein paar mutige Formulierungen oder um Lyrik. Andere europäische Länder mit ihren Verfassungen könnten uns ein gutes Vorbild sein. Das wurde im Schlussbericht der Enquete-Kommission auch sehr aufschlussreich herausgearbeitet und müsste meiner Meinung nach die Mehrheit im Parlament überzeugen. Zumindest die Mehrheit der Enquete-Kommission ist überzeugt. Wie mein Vorredner Westerwelle ausgeführt hat, wäre es ein Einfaches, mehrheitlich für den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zu stimmen, ({0}) wenn die Sozialdemokraten nicht so janusköpfig wären, diesen Punkt einerseits ins Wahlprogramm aufzunehmen und sich andererseits heute zu verweigern. ({1}) Schauen wir uns die Verfassungen anderer europäischer Länder an. Spanien, Polen und die Schweiz haben sich in den letzten drei Jahrzehnten aus ganz unterschiedlichen Gründen neue Verfassungen gegeben und in diese Verfassungen das Staatsziel Kultur in weitreichender Weise aufgenommen. Erstes Beispiel: das Königreich Spanien 1978 nach dem Ende der Franco-Diktatur. In der Präambel wird dem Staat die Pflicht auferlegt, die Teilnahme aller Bürger am kulturellen Leben zu fördern. Was das im Einzelnen heißt, legen sechs Verfassungsartikel fest. In Art. 44 werden der Schutz und der Zugang zur Kultur für jedermann gefordert. Das ist das, was heute zur Diskussion steht. Nach Art. 46 gewährleistet die öffentliche Gewalt die Erhaltung des kulturellen Erbes und fördert seine Bereicherung. Jeder Verstoß gegen das Kulturerbe wird durch das Strafgesetzbuch geahndet. Auch hat die öffentliche Gewalt die Voraussetzungen für eine freie und wirksame Beteiligung der Jugend unter anderem an der kulturellen Entwicklung zu fördern. Darüber hinaus - das finde ich sehr interessant - ist der Staat verpflichtet, ein System sozialer Leistungen zu fördern, durch das die kulturellen Belange des Bürgers im Ruhestand berücksichtigt werden. Also: Kultur für jedermann, für Kinder und Jugendliche, aber explizit auch für die Bürger im Ruhestand. In diesem Zusammenhang fällt mir der Begriff der kulturellen Gerechtigkeit als Gesamtaufgabe der Gesellschaft ein, die so wie die soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten wäre, unter anderem auch deswegen, weil das eine die Voraussetzung für das andere ist. ({2}) Zweites Beispiel: die Republik Polen 1997 nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Diktatur. ({3}) In der Präambel beschließt das polnische Volk, sich auch „für die Kultur, die im christlichen Erbe und in allgemeinen menschlichen Werten verwurzelt ist“, diese Verfassung zu geben. Wie in der spanischen Verfassung nimmt in der polnischen Verfassung die Kultur einen herausragenden Platz in der Präambel ein. Der Staat bekennt sich ausdrücklich zu seiner kulturellen Verantwortung. In Art. 6 werden die Voraussetzungen für die Verbreitung und den gleichen Zugang zur Kultur definiert. In Art. 35 gewährleistet der Staat den polnischen Staatsangehörigen, die nationalen oder ethnischen Minderheiten angehören, die Freiheit der Erhaltung und Entwicklung der eigenen Kultur. Drittes Beispiel: die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1999. ({4}) Unmittelbar nach der Präambel wird unter den Grundrechten festgehalten, dass die Eidgenossenschaft „die kulturelle Vielfalt des Landes zu fördern hat“. Interessanterweise wird im Kapitel Sozialziele dem Bund und den Kantonen gleichermaßen der Auftrag erteilt, die kul25476 turelle Integration von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen, indem sich der Staat in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür einzusetzen hat; Stichwort Föderalismus. Natürlich sind in der Schweiz die Kantone für den Bereich Kultur zuständig. Aber der Bund kann, ja, er ist verpflichtet, kulturelle Bestrebungen gesamtschweizerischen Interesses zu unterstützen sowie die Kunst und die Musik insbesondere im Bereich der Ausbildung zu fördern. Das waren drei Beispiele aus Europa dafür, wie im Fall von Neufassungen von Verfassungen mit dem Staatsziel Kultur umgegangen wurde. Nun folgt ein Beispiel für die Einfügung des Staatsziels Kultur in eine bestehende Verfassung. Verfassung des Königreichs Schweden, 1974: In Kapitel 1 - Grundlagen der Staatsform - wurde durch Verfassungsänderung § 2 Abs. 2 eingefügt: Die persönliche, finanzielle und kulturelle Wohlfahrt des einzelnen hat das primäre Ziel der öffentlichen Tätigkeit zu sein. Hier wird klar definiert, wo eine zentrale Aufgabe des Staates liegt, nämlich im Dreiklang der persönlichen, finanziellen und kulturellen Wohlfahrt. Welch eine bemerkenswerte Verpflichtung! Herr Kollege, so kann man das über die Verfassung regeln, wenn man will. ({5}) Das hat nichts mit Verweisen darauf zu tun, dass wir den Tierschutz wegen des Schächtens in die Verfassung aufgenommen haben. ({6}) Ich höre immer nur „Wir haben es nicht gemacht“ oder „Wir brauchen es nicht“. Man kann es aber machen, wenn man es will. ({7}) In der Demokratie braucht man dafür Mehrheiten. Heute könnten wir eigentlich eine Mehrheit finden. Die Linke spricht sich ohne Wenn und Aber für eine Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz aus. Wir haben übrigens in den Landesparlamenten von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin mit rot-roter Mehrheit diese Position erreicht. ({8}) So viel zur kulturpolitischen Arbeit in rot-rot-regierten Ländern. ({9}) Ich finde, wir könnten in Krisenzeiten etwas Besonderes lernen: Es kommt auf Wertewandel an, auf ein wertebezogenes Bewusstsein der ganzen Gesellschaft. Mit dem Staatsziel Kultur würde ein solcher existenzieller Wertewandel manifest. Da geht es nicht um das Aufnehmen von mutigen Formulierungen. Es geht auch nicht um das Festhalten an einer janusköpfigen Politik: Einerseits sagen wir Ja dazu, aber andererseits verweigern wir im Parlament die Zustimmung. ({10}) Vielmehr geht es darum, Farbe zu bekennen und mutig zu sein, nicht nur in den Formulierungen, sondern auch bei der Durchsetzung dessen, von dem man sagt, man sei davon überzeugt. Wenn es heute nicht klappt - das wäre traurig und eigentlich schmählich -, verschwindet das Thema trotzdem nicht von der Tagesordnung. ({11}) Wir werden es weiterverfolgen. Ich kann nur hoffen, dass eines Tages die Mehrheit, die eigentlich vorhanden ist, so mutig ist, sich zum Staatsziel Kultur zu bekennen. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Undine Kurth spricht jetzt für Bündnis 90/ Die Grünen.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Zuvörderst möchte ich die Mitglieder meiner Fraktion entschuldigen. Wir veranstalten heute eine seit langem geplante Kulturkonferenz, die alle Kulturpolitiker der Fraktion bindet, sodass wir hier heute in stark reduzierter Zahl anwesend sind. Das soll der Erklärung dienen. ({0}) Zum Zweiten möchte ich sagen, dass ich mich sehr konzentriert an mein Redemanuskript halten werde, weil ich mit meiner Rede in dieser kultur- und rechtspolitischen Debatte eine durchaus zweischichtige Darstellung des Problems vornehmen möchte. Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat sich, wie wir wissen, umfassend mit dem Zustand, der Zukunftsfähigkeit und der Wehrhaftigkeit von Kunst und Kultur in unserem Land befasst. Wir haben in einem umfangreichen Bericht die hohe Bedeutung von Kunst, Kultur und Kreativität für unsere Gesellschaft hervorgehoben und mit vielen Empfehlungen aufgezeigt, wo politischer Handlungsbedarf besteht. Einige dieser Handlungsempfehlungen wurden bereits aufgegriffen, über andere wird diskutiert. Insgesamt können wir saUndine Kurth ({1}) gen, dass wir die kulturpolitische Debatte deutlich befruchtet haben. Herr Gehb, wenn man auch nicht dazu kommt, den gesamten Bericht zu lesen - das verstehe ich -, sollte man sich doch zwei der Handlungsempfehlungen deutlich vor Augen führen: Erstens. Kultur muss eine verpflichtende Aufgabe des Staates auf allen seinen Ebenen sein. Der Staat kann aus dieser Verantwortung nicht entlassen werden. Zweitens. Kulturpolitik muss als allen anderen Politikfeldern gleichgestellter Bereich behandelt werden. Das heißt, die Vertreter von Kultur und Kulturpolitik müssen selbstbewusst auftreten und nicht als Bittsteller. Kulturpolitik heißt eben nicht, dass man nur dann handeln kann, wenn alle anderen Aufgaben ordentlich ausfinanziert sind. ({2}) Der Kulturauftrag des Staates umfasst die Verantwortung dafür, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu schützen, zu pflegen und weiterzuentwickeln sowie Kulturschaffen in der Gegenwart zu ermöglichen. Die Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, die Kultur als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen, unterstreicht diese Verantwortung. Die Debatte um dieses Staatsziel ist allerdings vielschichtig, wie wir eben auch wieder erlebt haben. Kulturschaffende, Kulturpolitiker und zum Teil auch Verfassungsrechtler begrüßen sie. Andere dagegen lehnen ein Staatsziel Kultur mit dem Verweis auf den Charakter unserer Verfassung ab. Die Kulturpolitikerinnen meiner Fraktion haben einem Staatsziel Kultur sowohl in der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ als auch im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages zugestimmt. ({3}) Gleichwohl wird sich meine Fraktion bei der heutigen Schlussabstimmung im Plenum des Bundestages der Stimme enthalten. ({4}) - Lassen Sie mich erst einmal weiterreden. - Ich bedauere dieses Abstimmungsverhalten. Es hat sich aber gezeigt, dass die Debatte zu einem Staatsziel Kultur in unserer Fraktion nicht abgeschlossen ist - auch wenn für mich kein Zweifel daran besteht, dass wir ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz brauchen, Herr Otto. Die vielen juristischen Argumentationsfiguren - gerade sind uns wieder einige genannt worden - unserer Rechtspolitikerinnen gegen ein Staatsziel Kultur haben wir mit Interesse und Respekt gelesen - das betone ich und uns an den ebenso scharfsinnigen wie brillant formulierten Begründungen mehr oder manchmal auch minder erfreut. Überzeugt haben sie uns nicht. Sie überzeugen - davon bin ich wiederum überzeugt - auch die Kunst- und Kulturschaffenden in diesem Lande nicht; denn es geht nicht um das bessere Argument für oder gegen ein Staatsziel, sondern um ein klares Bekenntnis zur Kultur. Wer heute erlebt, wie Theater um ihre Existenz kämpfen, Bibliotheken geschlossen werden und soziokulturelle Zentren am Rande der Selbstausbeutung arbeiten, wer weiß, dass das Durchschnittseinkommen von Künstlerinnen und Künstlern in diesem Land bei 12 500 Euro im Jahr liegt, der sieht, dass dringender politischer Handlungsbedarf besteht. Ich bedauere sehr, dass die Initiative der EnqueteKommission heute keine Mehrheit in diesem Hause finden wird; das ist ja absehbar. Damit wird meiner Ansicht nach eine Chance vertan. ({5}) Aus meiner Sicht sprechen nämlich Gründe für ein Staatsziel Kultur. Gegenargumente sind bereits viele genannt worden. Ich möchte noch einmal die positiven Aspekte aufzeigen. Erstens. Mit dem Staatsziel Kultur wird der Verfassungsrang der Kultur ausdrücklich anerkannt. Damit würde Kultur gleichgewichtig neben die Staatszielbestimmungen für den Sozialstaat und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen gestellt. Zweitens. Die Kulturförderung des Bundes würde auf diese Weise gestärkt. Drittens. Die Stellung der Kultur in juristischen und haushaltspolitischen Entscheidungsprozessen würde dadurch verbessert. Das ist ein erheblicher Punkt. Viertens. Ein Staatsziel Kultur wäre eine verfassungsrechtliche Werteentscheidung. ({6}) Gerade Werteentscheidungen sind in dieser Zeit vermutlich doch gefragt. ({7}) Die Rechtspolitiker meiner Fraktion betonen demgegenüber - das muss ebenso erwähnt werden -, dass sie sich vorsichtig und zurückhaltend gegenüber der Benennung neuer Staatsziele verhalten wollen. Die Bundesrepublik sei auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Grundgesetz als Kulturstaat zu bezeichnen. Auch diese Argumentation, die die Mehrheit meiner Fraktion gefunden hat, muss man akzeptieren. Folgendes ist ja richtig: Aus einem Staatsziel Kultur lassen sich keine Aussagen ableiten, wie Kulturpolitik im Einzelnen zu gestalten ist. Ein Staatsziel Kultur ändert nichts am bestehenden Kompetenzgefüge von Bund, Ländern und Kommunen. Durch ein Staatsziel Kultur wird das Verhältnis von freiwilligen und Pflichtaufgaben nicht verändert. Es lässt sich auch kein individueller Anspruch auf „kulturelle Grundversorgung“ ableiten. Undine Kurth ({8}) ({9}) Trotzdem spricht etwas ganz entscheidend für ein Staatsziel Kultur: Es würde als wichtige Werteorientierung für die politische Arbeit auf allen staatlichen Ebenen dienen. ({10}) Herr Kollege Westerwelle hat ja vorhin im Zusammenhang mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes deutlich betont, was eine solche grundsätzliche Werteorientierung bedeutet. Es geht nicht darum, Herr Börnsen - Sie haben das ja heute der Welt mitgeteilt -, dass die Welt ohne ein Staatsziel Kultur untergehen würde und dass der Verzicht auf dessen Aufnahme in das Grundgesetz kein Beinbruch wäre. Davon redet überhaupt niemand. Vielmehr geht es darum, dass wir ein deutliches Bekenntnis für die Kultur abgeben. ({11}) Ich bin mir sicher: Die Debatte über das Staatsziel Kultur ist wichtig. Sie wird weitergehen. Ich hoffe, dass die Kulturpolitik aus dieser Debatte gestärkt hervorgehen wird. Zum Schluss möchte ich noch sagen: Meine Fraktion wird sich enthalten. Ich habe eine persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben. Ich werde zustimmen, weil ich es für richtig halte, dieses Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen, ({12}) betone aber noch einmal, dass es sicher für beide Argumentationen Gründe gibt. Vielen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Monika Griefahn hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich arbeite seit Jahren dafür, dass wir das Staatsziel Kultur ins Grundgesetz aufnehmen. Leider können wir als SPD-Fraktion dem inhaltlich richtigen Gesetzentwurf der FDP heute nicht zustimmen. Herr Westerwelle und Herr Otto, ein bisschen bigott finde ich Ihre Argumentation schon. Das Land Berlin mit einer SPD-geführten Regierung hat einen Antrag im Bundesrat eingebracht, dem ausschließlich die SPD-geführten Länder zugestimmt haben. ({0}) Alle Länder, in denen Sie an der Regierung beteiligt sind, haben nicht zugestimmt. ({1}) Wenn Sie hier wortgewaltig darüber sprechen, dass wir zustimmen könnten, dann könnten Sie in den Ländern entsprechend handeln. Der Öffentlichkeit muss man einmal deutlich sagen, wie widersprüchlich Sie auftreten. ({2}) - Sie sind doch so stolz darauf, dass Sie jetzt in vielen Ländern mitregieren. Für den Fall, dass wir nicht an die Regierung kommen, würde ich mir wünschen, dass Sie, wenn Sie mit der CDU/CSU einen Koalitionsvertrag aushandeln, dieses Ziel aufnehmen. ({3}) Wir würden Sie dann unterstützen. Ich hoffe, dass Sie gegebenenfalls auch uns unterstützen würden. Mein Kollege Grosse-Brömer und ich sind jetzt im Wahlkreis unterwegs; es gibt viele Diskussionen. Dabei geht es auch um das Thema Staatsziel Kultur. Er vertritt die Position der CDU/CSU-Fraktion, dass das Grundgesetz nicht überfrachtet werden soll. ({4}) - Sie vertreten Ihre und die der Fraktion. - Ich finde dieses Argument jedenfalls fadenscheinig. Man muss sich vor Augen führen, wie viele Grundgesetzänderungen wir allein in dieser Legislaturperiode beschlossen haben. Mir ist jedes Mal schlecht geworden, als ich erlebt habe, wie schnell man das Grundgesetz ändert. Sie haben dafür gestimmt, auch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere im Grundgesetz zu verankern. Das ist doch gleichwertig. Die biologische Vielfalt ist ebenso wichtig wie die geistige, die kulturelle Vielfalt. Da erledigt sich eben nicht alles von selbst. Sehr geehrter Herr Grosse-Brömer, Sie haben auf Ihrem letzten Parteitag beschlossen, Deutsch in die Verfassung aufzunehmen. Auch das wäre eine Ergänzung des Grundgesetzes. Nach Ihrer Theorie der Überfrachtung dürften Sie nicht fordern, das ins Grundgesetz aufzunehmen. ({5}) Vor diesem Hintergrund haben wir Ihnen den Vorschlag gemacht: Lassen Sie uns doch für Kultur und für Deutsch stimmen! Dann hätten wir das heute gemeinsam beschließen können. ({6}) Das hätte ich sehr begrüßt. Das ist uns leider nicht vergönnt gewesen. Da muss man aber fragen: Was sind Ihre Parteitagsbeschlüsse wert, wenn Sie eine solche Möglichkeit nicht ergreifen? Das wäre doch konsequent gewesen. Es gibt also klare Unterschiede zwischen den Fraktionen und den Parteien in dieser Frage. Es ist sinnvoll, dass wir die Debatte heute noch einmal führen, sodass sich die Bürgerinnen und Bürger bei der Wahl - die Bundestagswahl steht ja an - für eine Partei entscheiden können. Unsere Position ist klar. Wir haben die Forderung in unserem Hamburger Programm - Herr Ehrmann hat es gesagt -; wir haben sie auch in unserem Regierungsprogramm. Das heißt, mit wem auch immer wir Koalitionsverhandlungen führen, wir werden das auf die Tagesordnung bringen. ({7}) - Dazu habe ich doch schon etwas gesagt. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung - darauf berufen Sie sich doch auch -, und die halten wir durch. Wenn es keine Gemeinsamkeit gibt, dann - so ist das festgelegt - können wir nicht zustimmen. Wir haben uns darauf verständigt, bis zum Ende der Legislaturperiode zusammen zu regieren. Das machen wir. Deswegen können wir hier nicht zustimmen, so traurig ich persönlich darüber bin. Ich hätte es gern anders gemacht. Ich möchte noch einige Punkte erwähnen, die bei der Staatszielbestimmung Kultur von Bedeutung sind. Wir müssen uns noch einmal die Ziele klarmachen und uns auch daran messen lassen. Schauen wir uns an, was wir in dieser Legislaturperiode erreicht haben! Erstens. Wir haben dafür gekämpft, dass Investitionen für Kultureinrichtungen im Konjunkturpaket II berücksichtigt werden können. Museen, Theater, Stadtteilbibliotheken können jetzt im Rahmen von Investitionen in die kommunale Infrastruktur Gelder bekommen. Zweitens. Ganz intensiv diskutiert haben wir über die soziale Lage von kurz befristet Beschäftigten. Wegen der verkürzten Rahmenfrist waren gerade viele Beschäftigte im Kultur- und Medienbereich, vor allen Dingen beim Film, vom Bezug des Arbeitslosengeldes I ausgeschlossen. Wir haben jetzt eine Lösung; wir werden sie nachher verabschieden. Besonders unser Arbeitsminister, unser Außenminister und die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag insgesamt haben mit großem Engagement versucht, die Situation zu klären und eine Gesetzesnovelle zu beschließen. Jetzt werden Sie fragen: Was haben die Kultur im Konjunkturprogramm und die soziale Lage mit dem Staatsziel Kultur zu tun? Dazu kann man nur sagen: Durch die Festlegung von Kultur als Staatsziel würde in jeden Abwägungsprozess der kulturelle Aspekt mit einbezogen, so wie wir den Aspekt der Umwelt immer mit einbeziehen, Beispiele sind die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Emissionsschutzgesetze. So wie es geholfen hat, den Aspekt der Umwelt ins Grundgesetz aufzunehmen, so würde es bei den Abwägungen helfen, auch den Aspekt der Kultur mit aufzunehmen. Dann wäre dieser Aspekt automatisch Bestandteil eines jeden Abwägungsprozesses, Herr Kollege Gehb. In Bezug auf die Umwelt haben wir gekämpft; da hat es geklappt. Eine Aufnahme des Staatsziels Kultur würde dazu führen, dass es auf jeder Ebene beachtet würde. Wenn dieses Staatsziel im Grundgesetz verankert würde, würden wir wirklich von der Kulturnation Deutschland reden können. Denn Kultur ist ein Lebensmittel; da stimme ich dem Kollegen Otto ausdrücklich zu. Wir haben immer betont: Kultur ist eine wichtige Grundlage. Wir wollen keine McDonaldisierung, die zur Folge hätte, dass sich nur kommerziell erfolgreiche Dinge durchsetzen könnten, sondern wir meinen, Kultur muss auf jeder Ebene durchgesetzt werden. Das sieht man zum Beispiel bei der Diskussion: Kann man eine Musikschule, eine Bibliothek erhalten, oder muss man stattdessen die Straße verbessern? Diese Diskussion gibt es immer wieder vor Ort. In den Abwägungsprozess sollte der Aspekt der Kultur mit einbezogen werden. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Sache. Noch einmal sehr deutlich: Der Abwägungsprozess ist wichtig. Die Gleichrangigkeit ist wichtig. Wir würden gerne zustimmen. Wir sind allerdings ein verlässlicher Partner in der Koalition. ({8}) Deswegen machen wir dies, so richtig wir den Gesetzwurf auch finden, nicht, so wie auch Sie das in den Ländern getan haben, Herr Otto. Insofern bitte ich Herrn Westerwelle, dass er seine Leute in den Ländern dazu anregt, im Bundesrat entsprechend vorzugehen. Dann erreichen wir vielleicht auch hier die Mehrheit. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Grosse-Brömer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man hat es als Rechtspolitiker nicht leicht. Es beginnt damit, dass über unser Aussehen diskutiert wird, dass manche sympathischer sind; das verstehe ich auch. In der Tat hätten wir genügend Beispiele für Kulturpolitikerinnen, die besser ausgesehen hätten als ich. ({0}) Wie wir an der Wortmeldung des Kollegen Westerwelle gesehen haben, muss zwischendurch aber auch einmal ein Rechtspolitiker reden. Es muss ja noch erlaubt sein, darauf hinzuweisen - ich fürchte sogar, als Volljurist wissen Sie das; ich glaube, das wissen Sie noch vom Studium -, dass man die Wirkung von Grundrechten nicht mit der von Staatszielen gleichsetzen kann und dass man Verfahrensordnungen - sie stehen nicht unter den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes, sondern sind erst ab den 70er-Artikeln enthalten; sie müssen ganz andere Inhalte regeln - etwas weiter fassen muss als ein knapp formuliertes Staatsziel. Sie haben nach meiner Auffassung - wie gesagt, ich glaube, das war vielleicht sogar gewollt - Äpfel mit Birnen verglichen, um Ihrem Gesetzentwurf ein bisschen mehr Leben einzuhauchen. ({1}) Theodor Heuss hat gesagt - ich habe es mir extra heraussuchen lassen, weil es um einen FDP-Gesetzentwurf geht -: Politik kann nie Kultur, Kultur wohl aber Politik bestimmen. Vielleicht sollte so ein Schuh daraus werden. Ich halte Ihre Argumentation für nicht schlüssig, ebenso wenig wie die von Frau Kollegin Jochimsen. Sie haben schön dargelegt, in welchen anderen Verfassungen Kultur welchen Stellenwert hat. Aber Sie haben bei Ihrem letzten Beispiel, bei Mecklenburg-Vorpommern, exemplarisch dargelegt, warum die Regelung in einer Verfassung nicht das Maßgebende ist. Denn da, wo dies gut wäre, nämlich auf Bundesebene, haben wir keine Staatszielbestimmung. Sie sollten einmal den Kulturetat von Mecklenburg-Vorpommern mit anderen vergleichen. Dann müssten Sie sich zwangsläufig die Frage stellen: Was hat es denn gebracht, dass der Aspekt der Kultur in der Landesverfassung verankert wurde? Das jetzige Ergebnis ist aus unserer Sicht zu wenig. Ganz im Gegenteil: Man läuft Gefahr, dass man etwas in die Verfassung schreibt, weil einem das besonders am Herzen liegt und man das vielleicht schon immer wollte, aber nicht deshalb, weil es eine effiziente Kulturpolitik bewirkt. Vielmehr läuft man damit eher Gefahr, einen Placeboeffekt zu erzeugen. Dem wollen wir vorbeugen. Es macht keinen Sinn, irgendetwas in die Verfassung zu schreiben, was keine konkreten Auswirkungen hat. Das weiß sogar Herr Otto, mit dem ich schon häufiger diskutiert habe.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Grosse-Brömer, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Jochimsen zulassen?

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von Frau Jochimsen gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, ich glaube, es handelt sich um ein Missverständnis. Solange es eine rot-rote Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern gab, war das Landesparlament mehrheitlich dafür, dass das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert wird. Was die Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns angeht, ist das eine andere Sache. Dort ist die Kultur ebenso wie in allen anderen Landesverfassungen mit Ausnahme der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg verankert. In der Debatte heißt es ja immer wieder - auch die Kollegin Griefahn hat das sehr vehement vertreten -: Kümmert euch um die Bundesländer, kümmert euch um den Bundesrat, kümmert euch darum, dass es in den Bundesländern eine Mehrheit dafür gibt, das Staatsziel Kultur in die Verfassung aufzunehmen. Die Bundesländer Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind bisher aber die beiden einzigen, die - unter einer rot-roten Regierung - eine Mehrheit dafür gefunden haben, das Staatsziel Kultur in die Bundesverfassung aufzunehmen. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Okay. Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass die Aufnahme der Kultur als Staatsziel in die Landesverfassung nicht dazu geführt hat, dass die Kulturpolitik besser wurde. Das war mein Vorhalt, und der bleibt richtig. ({0}) Wir haben schon gesagt, dass die Effizienz fehlt. Ich will aber auf einen noch viel wichtigeren Aspekt hinweisen, den auch Herr Otto nicht erwähnt hat: Hier wird immer suggeriert, die Verfassung würde überhaupt keinen Schutz der Kultur vorsehen. In diesem Zusammenhang muss ich darauf hinweisen dürfen, dass in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes der zugegebenermaßen relativ kurze Satz steht: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Man kann sagen, dass einem das nicht weit genug geht. Es wird aber keiner behaupten wollen, die Bundesrepublik Deutschland sei kein Kulturstaat, weil es in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes nur diesen einfachen Satz gibt. Ich kann es auch umgekehrt sagen. Ich habe einmal nachgeschaut, was das höchste deutsche Gericht 1989 zu Art. 5 des Grundgesetzes ausgeführt hat - ich zitiere -: Diese Grundrechtsnorm enthält ein Freiheitsrecht für alle in den Bereichen der Kunst und der Wissenschaft schöpferisch tätigen Personen, das sie vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt schützt. Achtung: Als objektive Grundsatzentscheidung für die Freiheit von Kunst und Wissenschaft stellt sie aber zugleich dem Staat, der sich - im Sinne einer Staatszielbestimmung - auch als Kulturstaat versteht, die Aufgabe, ein freiheitliches Kunst- und Wissenschaftsleben zu erhalten und zu fördern. All das ist schon jetzt verfassungsrechtlich geschützt. Daran würde eine Aufnahme des Staatsziels Kultur in die Verfassung nichts ändern. Das würde aus meiner Sicht übrigens auch nichts verbessern. Das ist ausreichend. Das ist gut. Das reicht. ({1}) - Ja, ich weiß. Es wird nicht einfacher, wenn man die anerkannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Wichtig ist, dass solche objektiven Wertentscheidungen vom höchsten deutschen Gericht mittlerweile in die Verfassung hineininterpretiert werden, ohne dass wir das als Staatsziel formuliert haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Grosse-Brömer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jederzeit.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Kollege Grosse-Brömer, Sie haben versucht, mir klarzumachen, dass ein Staatsziel entbehrlich ist, weil die Grundentscheidungen des Verfassungsgerichts ganz offensichtlich auch ohne Staatsziel funktionieren. Mir ist angesichts dessen aber unerklärlich - vielleicht können Sie mir da helfen -, warum Ihre Fraktion ebenso wie meine Fraktion seinerzeit der Aufnahme des Staatsziels „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ in die Verfassung zugestimmt hat. Die Argumentation, die Sie eben vorgebracht haben, lässt sich in gleicher Weise hinsichtlich des Staatsziels „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ führen. Ich verstehe es überhaupt nicht, dass man dem einen zustimmt, aber beim anderen sagt: Das wollen wir nicht haben. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will Ihnen gerne meine persönliche Auffassung dazu nennen. Ich war damals noch nicht Teil der Fraktion und habe dementsprechend gar nicht mitgestimmt. Ich bin in der Tat der Auffassung, dass das entbehrlich gewesen wäre; ganz einfach. ({0}) Ich finde es auch heute entbehrlich, ein weiteres Staatsziel hinzuzufügen, weil das genauso ineffektiv ist und genauso wenig Regelungsgehalt beinhaltet. Wir haben mehrfach gesagt: Dadurch, dass der Tierschutz als Staatsziel bestimmt wurde, ist nicht ein Tier weniger gestorben oder geschächtet worden als zuvor ({1}) - dazu gibt es eine höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; ich hoffe, sie ist Ihnen bekannt -, ({2}) und dadurch, dass der Umweltschutz zum Staatsziel erhoben wurde, wurde die Umwelt nicht besser geschützt als zuvor. Es gibt sicherlich viele einfachgesetzliche Regelungen, die diesen Zweck erfüllen. Nach meiner festen Überzeugung hat die Staatszielbestimmung in diesen Fällen aber nicht geholfen. ({3}) Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass jedem Vorschlag, ein bestimmtes Staatsziel zu bestimmen, ehrenwerte Motive zugrunde liegen; darüber besteht gar kein Zweifel. Denn wer ist schon gegen Kultur, gegen den Schutz der Tiere oder gegen den Schutz der Kinder? Die verfassungsrechtliche Frage, die sich stellt, lautet aber: Brauchen wir ineffektive Staatszielbestimmungen? Wir sagen aus großer Überzeugung, auch wenn das nicht populär ist: In verfassungsrechtlicher Hinsicht brauchen wir sie nicht. ({4}) Staatsziele schaffen keine Denkmäler, Staatsziele schaffen keine Filmförderung, und Staatsziele fördern weder Malerei noch Literatur. All das tut Bernd Neumann. ({5}) Deswegen sind wir der Auffassung: Wir brauchen einen effizienten Staatsminister. ({6}) - Ja, genau. Das ist die richtige Überzeugung. - Richtig ist: Wir brauchen einen effizient arbeitenden Kulturstaatsminister und keine ineffizienten Kulturstaatsziele; das ist der Punkt. ({7}) Es muss erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass dieser Kulturstaatsminister, der in der gesamten Kulturszene ein extrem hohes Ansehen genießt, ({8}) der lebende Beweis dafür ist, dass Kulturpolitik, auch wenn sie nicht als Staatsziel bestimmt ist, funktioniert, und zwar exzellent funktioniert. ({9}) Stellen Sie sich einmal vor, wie schlimm es wäre, wenn es irgendwann einmal eine Regierung in Deutschland gäbe - dass dies bei der nächsten Regierung der Fall ist, kann ich mir allerdings nicht vorstellen -, die einen schlechteren Kulturstaatsminister hätte, die aber das Staatsziel Kultur ins Grundgesetz aufnehmen würde. Diese Regierung müsste feststellen: Die Kulturpolitik ist schlechter geworden. Wir haben nur die Verfassung ein wenig erweitert. ({10}) Das kann aber nicht unser Ziel und, wie ich denke, auch nicht Ihre Intention sein. Ich glaube, wir haben gute Aussichten, weiterhin mit Bernd Neumann eine vernünftige Kulturpolitik machen zu können. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, beweist im Übrigen auch der jährlich steigende Kulturetat in Deutschland. ({11}) Wir sollten uns darauf konzentrieren, eine sinnvolle und effiziente Kulturpolitik zu betreiben, statt Diskussionen über Staatszielbestimmungen zu führen, die eher deklaratorischen Charakter haben, aber keine konkreten Leistungsansprüche begründen und die Verfassung insofern eher belasten, als sie auf irgendeine Art und Weise zu stärken. In diesem Sinne sage ich: Unterstützen Sie auch weiterhin die Kulturpolitik von Bernd Neumann, anstatt zu versuchen, im Rahmen der Verfassungspolitik kulturpolitische Akzente zu setzen. Das ist der falsche Weg. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Carl-Christian Dressel für die SPD-Fraktion.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich den Kollegen Otto von der FDP beruhigen. Anders als es bei der von ihm kritisierten Union der Fall war, durfte er aufseiten der SPD-Fraktion, bevor jetzt der böse Rechtspolitiker kommt, zunächst einmal zwei sympathische und attraktive Kulturpolitiker sehen und hören. ({0}) Ich hoffe, wir haben Sie damit glücklich gemacht. ({1}) Wir beschäftigen uns im Deutschen Bundestag zu Recht seit Jahrzehnten mit der Frage, ob das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert werden sollte. Ich sage: Kultur ist mehr als Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre im Sinne des Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes. ({2}) Kultur schafft Zugehörigkeit und Beheimatung, repräsentiert Normen und Werte und gehört zu den grundlegenden Elementen, die für Bindekraft in der Gesellschaft und für Verständigung untereinander sorgen. Wenn man darüber diskutiert, kann man das auf verschiedene Art und Weise tun: auf fachliche oder auf polemische. Die PDS-Fraktion wirft meiner Fraktion Janusköpfigkeit vor. Wenn man anhand des Berichts des Rechtsausschusses, Drucksache 16/12843, Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse nachvollzieht, fällt einem auf, dass Argumente von Rechtspolitikern Ihrer Fraktion nicht aufgeführt sind. Das liegt daran, dass sich Ihre Fraktion an den Beratungen im Rechtsausschuss argumentativ nicht beteiligt hat. Ich frage Sie: Wenn Sie uns Janusköpfigkeit vorwerfen, wie muss man dann Ihr Verhalten nennen? Doppelzüngigkeit? Sie befassen sich mit der Sache überhaupt nicht und halten hier nur Schaufensterreden. ({3}) Die Chance, unter anderem Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, war in dieser Legislaturperiode vorhanden. Wir hätten diese Chance gerne genutzt. Diese Chance wurde in der Welt vom 24. April 2009 mit den folgenden Worten beschrieben: Die Union ist sich nicht ganz einig, doch der von ihr gestellte Kulturstaatsminister ist entschieden dafür. Herr Staatsminister, ich kann nur sagen: Mit dieser Einstellung haben Sie voll und ganz recht. ({4}) Eine weitere Ergänzung des Grundgesetzes - nach den 55 Änderungen, die seit 1949 vorgenommen worden sind - ist mit den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion leider nicht zu machen. Wir halten das für widersprüchlich. Ich selbst halte es für in höchstem Maße bedauerlich. Herr Westerwelle - er hat den Plenarsaal mittlerweile leider verlassen ({5}) hat vorhin aufgenommen, dass in unserem Wahlprogramm steht, dass wir nach wie vor Kultur als Staatsziel in der Verfassung verankern wollen, zusammen mit einer Aufnahme des Sports und zusammen mit einer Aufnahme von Kinderrechten. Wir wollen diese Ziele nicht nur deswegen als Staatsziele verankern, weil der Gesetzgeber dann auch diese Interessen berücksichtigen müsste, und auch nicht deswegen, weil es, wie Herr Otto vorhin behauptet hat, unmittelbare Auswirkungen auf Haushalt und Finanzen hätte. Das hat es nämlich nicht; diese Annahme ist schlichtweg falsch. Wir wollen diese Ziele aus dem im Folgenden dargestellten Grund als Staatsziele verankern. Wenn man mit Vertretern der Kinderschützer, mit Vertretern der Sportverbände, mit Vertretern der Kulturverbände redet, merkt man, dass das Problem nicht die Entscheidungen des Gesetzgebers sind. Das Problem sind die Entscheidungen, die vor Ort in Verwaltung und Gerichtsbarkeit getroffen werden. Wenn in Konkurrenz zu einer Sportveranstaltung ein Gut mit Verfassungsrang steht, wenn in Konkurrenz zu einer Kulturveranstaltung ein Gut mit Verfassungsrang steht, wenn in Konkurrenz zum Kinderschutz ein Recht mit Verfassungsrang steht, dann haben Kultur, Sport und Kinder, weil sie keinen Verfassungsrang haben, verloren. Dem möchten wir Sozialdemokraten durch eine Verfassungsreform aus einem Guss, mit der Kultur, Sport und Kinderrechte als Staatsziele in die Verfassung aufgenommen werden, abhelfen. ({6}) Kultur ist eine geistige Lebensgrundlage und ein öffentliches Gut, das sich in der Verfassung ausdrücken muss. Die Kinder brauchen eine stärkere Stimme in der Gesellschaft. Es muss verhindert werden, dass gerichtliche Entscheidungen zwar das verfassungsrechtlich gesicherte Elternrecht berücksichtigen, das Recht der Kinder aber nicht. Das Gleiche gilt für den Sport: Lärmschutz, Umweltschutz und andere Belange werden dem Sport, solange er nicht mit Verfassungsrang ausgestattet ist, immer überlegen sein. Das ist die Position meiner Fraktion. Würde jetzt nur Kultur als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen, würde - darin sind wir Rechtspolitiker uns einig - das eine Aufnahme der beiden anderen Ziele - Sportförderung und Kindergrundrechte -, deren Aufnahme als Staatsziel ebenfalls wünschenswert ist, verhindern. Wir können einen solchen Schritt nicht gehen; denn er wäre ein Schritt in die falsche Richtung, würde Schritt zwei und Schritt drei verhindern. Daher werden wir Sozialdemokraten den Antrag der FDP ablehnen. ({7}) In der Sache hoffen wir, dass wir spätestens im nächsten Deutschen Bundestag mit der dafür nötigen Zweidrittelmehrheit diese drei Änderungen als die 56. Änderung des Grundgesetzes durchführen können. ({8}) Wir hoffen dann auf Unterstützung quer durch alle Fraktionen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Es liegen mir Erklärungen gemäß § 31 unserer Ge- schäftsordnung der Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/ Die Grünen, und der Kolleginnen Professor Monika Grütters und Gitta Connemann aus der Unionsfraktion vor. Entsprechend unserer Geschäftsordnung nehmen wir sie ins Amtliche Protokoll auf.1) Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Grundgesetzes. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12843, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/387 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und einer Kollegin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der übrigen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 ({0}) - Drucksachen 16/13000, 16/13386 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die sich an dieser sicherlich auch spannenden Beratung nicht beteiligen können, ihre Gespräche draußen fortzusetzen, sodass wir der Debatte folgen können. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller. ({1})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass ich 1) Anlage 5 mich in meiner letzten haushaltspolitischen Rede im Deutschen Bundestag mit der Einbringung eines zweiten Nachtragshaushaltes befassen werde. Durch die von den USA ausgegangene Finanzkrise und der daraus folgenden weltweiten Wirtschaftskrise wurden der Aufschwung unserer Wirtschaft nachhaltig beschädigt und auch der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt abgebrochen. Das Ziel, am Ende der von uns erfolgreich betriebenen Rückführung der Nettokreditaufnahme eine Nettokreditaufnahme von Null zu erreichen, ist dadurch in weite Ferne gerückt. Wäre es nicht zu dieser Krise gekommen, dann könnten wir Ihnen heute die Perspektive vorstellen, dass wir in 2011, nachdem wir in 2005 mit einer Nettokreditaufnahme von 31,2 Milliarden Euro gestartet sind, eine Nullverschuldung erreichen. ({0}) Das Ziel, einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung aufzustellen, werden wir aber weiter verfolgen. Es ist nur in weite Ferne gerückt. Die deutsche Wirtschaft - der Exportweltmeister steckt durch den Einbruch auf den Weltmärkten in der schärfsten Rezession der Nachkriegszeit. Damit steht die Finanzpolitik vor nicht gekannten Herausforderungen. Wir müssen davon ausgehen, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 6 Prozent schrumpfen wird. Für 2010 rechnen wir zwar wieder mit einem Wachstum, das aber voraussichtlich mit einem halben Prozentpunkt sehr gering ausfallen wird. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung erfasst inzwischen auch den Arbeitsmarkt. Wir müssen für dieses Jahr trotz unserer massiven Anstrengungen zur Förderung der Kurzarbeit mit dem Anstieg der Zahl der Arbeitslosen von knapp 3,3 Millionen auf 3,7 Millionen rechnen. ({1}) Schon im letzten Herbst mehrten sich die Zeichen, dass infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise der Ausstieg aus der Neuverschuldung in weite Ferne rückt. Der Zusammenbruch von Lehman Brothers stellte den Wendepunkt dar. Der Regierungsentwurf vom Juli sah noch 10,5 Milliarden Euro Neuverschuldung vor. Wegen geringerer Steuereinnahmen und geringerer Privatisierungserlöse und des von uns bewusst angeschobenen ersten Konjunkturpaketes musste man im Rahmen der parlamentarischen Beratungen die Neuverschuldung auf 18,5 Milliarden Euro erhöhen. Um die Jahreswende zeigte sich dann, dass die Rezession Deutschland schwerer trifft als noch im Herbst erwartet. ({2}) Eine zwangsläufige, konjunkturell bedingte Mehrbelastung bei den Steuereinnahmen und am Arbeitsmarkt sowie unser bewusst in Angriff genommenes zweites Konjunkturpaket für mehr Beschäftigung und Stabilität in Deutschland machten eine nochmalige Erhöhung der geplanten Neuverschuldung unumgänglich. Das Ende Februar in Kraft getretene erste Nachtragshaushaltsgesetz weist deshalb für dieses Jahr eine Nettoneuverschuldung von 36,9 Milliarden Euro aus. Im ersten Quartal dieses Jahres beschleunigte sich aber der Konjunkturabschwung nochmals. Das Ergebnis der Mai-Steuerschätzung und die konjunkturbedingten zusätzlichen Ausgaben für den Bereich der sozialen Sicherung machen jetzt einen zweiten Nachtragshaushalt mit einer Neuverschuldung von 47,6 Milliarden Euro notwendig. Dazu kommen noch die in den letzten Tagen beschlossenen Vergünstigungen im Rahmen des Bürgerentlastungsgesetzes und des Agrardiesels, die noch zusätzlich eingearbeitet werden müssen und eine weitere Neuverschuldung bedeuten. ({3}) Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass zu der Nettokreditaufnahme noch die Neuverschuldung im Rahmen der beiden Sonderfonds - der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung und der Investitions- und Tilgungsfonds hinzukommt. Für die beiden Fonds besteht eine überjährige Ermächtigung für die Kreditaufnahme, weshalb sich nicht beziffern lässt, in welcher Höhe sie im laufenden und im nächsten Jahr tatsächlich zum Tragen kommen. Eines ist aber sicher: Die gesamte Neuverschuldung des Bundes wird sich in diesem Jahr in jedem Fall auf weit über 50 Milliarden Euro belaufen. ({4}) Das Bundeskabinett wird nächste Woche den Regierungsentwurf für 2010 und den Finanzplan bis 2013 beschließen. Ich möchte und kann dem Kabinettsbeschluss nicht vorgreifen. Aber schon aufgrund der prognostizierten Steuermindereinnahmen aus der Mai-Steuerschätzung für die nächsten Jahre, der hohen zusätzlichen Ausgaben für den Arbeitsmarkt sowie der von uns bewusst beschlossenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur wird die Neuverschuldung im nächsten Jahr das diesjährige Niveau noch einmal sehr deutlich übertreffen. Die schärfste Rezession der Nachkriegszeit wird die öffentlichen Finanzen auch in den folgenden Jahren nachhaltig prägen. Die Defizite werden die bisherigen Höchststände bei weitem übertreffen. Ein Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung rückt, wie gesagt, leider in weite Ferne. Denn in dieser historisch einzigartigen Krise kann nur der Staat durch eine antizyklische Finanz- und Wirtschaftspolitik helfen. Der Bund darf in dieser Situation nicht der wirtschaftlichen Entwicklung hinterhersparen, weil er die Krise dann nur verschärfen würde. In der gegenwärtigen Situation ist es ökonomisch notwendig und richtig, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen und zusätzlich eine ganz bewusste expansive Fiskalpolitik zu betreiben. Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen würden die extreme Rezession nur verstärken und die Inlandsnachfrage und die Investitionstätigkeit nachhaltig schwächen. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir mit den Konjunkturpaketen I und II erheblich zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage beitragen und damit weit höhere gesamtgesellschaftliche Folgekosten der Krise vermeiden. Defizite in schlechten Zeiten müssen und können aber in guten Zeiten wieder ausgeglichen werden. ({5}) Nach der Überwindung der Krise muss der Staat wieder auf einen nachhaltigen finanziellen Kurs zurückkehren. ({6}) Ein wesentlicher Baustein hierzu ist die von uns präsentierte und vom Bundestag und dann am 12. Juni vom Bundesrat mit großer Mehrheit beschlossene neue Schuldenregel. Im Rahmen einer Übergangsregelung wird damit der Bund verpflichtet, seine strukturelle Neuverschuldung ab dem Jahre 2011 - somit, wie wir alle gemeinsam hoffen, nach der Krise - stufenweise zurückzuführen. Gleichzeitig trägt die sogenannte Schuldenbremse konjunkturellen Effekten besser Rechung. Eine konjunkturbedingte Erhöhung der Kreditaufnahme in Phasen des Abschwungs muss in Aufschwungphasen wieder ausgeglichen werden. Auch wenn die neue Schuldenregel für den Bund erstmalig im Jahre 2011 greifen wird, ist eines schon klar: Wir werden unsere Konsolidierungsanstrengungen nach der Überwindung der konjunkturellen Talsohle nachhaltig verstärken müssen. Spielräume für zusätzliche Steuersenkungen wird es im Bundeshaushalt nicht geben; ({7}) denn die jetzt beschlossenen Steuersenkungen werden schon im Jahr 2010 zu einem sehr beachtlichen Volumen steuerlicher Entlastung führen. Ich erinnere an die Anhebung des Kinderfreibetrags, die Erhöhung des Kindergeldes, die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten in privaten Haushalten, die höhere Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen, die Anhebung des Grundfreibetrags, die Absenkung des Eingangssteuersatzes, die Wiedereinführung der Pendlerpauschale und - ganz massiv entlastend wirkend - die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. All diese in jüngster Zeit beschlossenen Maßnahmen werden zu einer sehr beachtlichen finanziellen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger in Höhe von 21,4 Milliarden Euro jährlich ab 2010 führen, eine Leistung, auf die wir stolz sein können. ({8}) Bei einer Familie mit zwei Kindern und einem Durchschnittseinkommen wird diese Entlastung ab 2010 dazu führen, dass sie im Jahr 500 bis 1 000 Euro mehr im Portemonnaie haben wird. ({9}) Ein Haushalt ohne neue Schulden bleibt aber unser hervorgehobenes haushaltspolitisches Ziel. ({10}) Allerdings werden die haushaltspolitischen Spielräume, die im Bundeshaushalt selbst unter der neuen Schuldenregelung bestehen, auch in Zukunft dazu genutzt werden, um wichtige Politikbereiche strukturell voranzubringen. Genau dies entspricht dem Geist der neuen Schuldenregelung. Ich möchte zum Schluss allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich in den mehr als 22 Jahren, die ich dem Deutschen Bundestag angehöre - davon elf Jahre als Mitglied des Haushaltsausschusses, ({11}) eine ganze Wahlperiode als haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und zehneinhalb Jahre in der Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen -, ({12}) vertrauensvoll und kollegial zusammengearbeitet habe, herzlich danken, insbesondere den Kollegen und Kolleginnen aus dem Haushaltsausschuss, namentlich dem Kollegen Vorsitzenden, Herrn Otto Fricke, den beiden Obleuten der Koalitionsfraktionen, Steffen Kampeter und Carsten Schneider, sowie den Obleuten der übrigen Fraktionen, Herrn Koppelin, Herrn Bonde und Frau Dr. Lötzsch. Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit! Es waren politisch spannende Jahre in außerordentlich ereignisreicher Zeit. Wir durften das Glück der deutschen Wiedervereinigung erleben und waren vor die Herausforderung gestellt, die deutsche Wiedervereinigung politisch zu gestalten, damit zusammenwachsen kann, was zusammengehört. Das ist uns, glaube ich, schon zu wesentlichen Teilen gelungen. Wir müssen weiter daran arbeiten. Ein besonders schöner Moment für mich war, wieder im Herzen der Hauptstadt arbeiten zu dürfen. Die Wüste in der Mitte Berlins konnten wir ja in den letzten beiden Jahrzehnten gestalten. Daran mitzuwirken, war eine gute Sache. Dem neuen Deutschen Bundestag und den Kolleginnen und Kollegen, die ihm angehören, wünsche ich angesichts der von mir geschilderten Perspektivezahlen die Kraft, die bevorstehenden Herausforderungen anzunehmen und sie im Sinne sozialer Gerechtigkeit und der Sicherung der Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu gestalten. Glück auf in diesem Sinne! Herzlichen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Diller, der Beifall des ganzen Hauses unterstreicht es: Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles erdenklich Gute, Gesundheit und die Erfüllung des einen oder anderen Wunsches, den Sie sich vielleicht während Ihrer politischen Tätigkeit im Deutschen Bundestag nicht erfüllen konnten. Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Bundestagsabgeordneten Karl Diller wünsche ich auch im Namen unserer Fraktion alles Gute für die Zukunft, vor allem immer Gesundheit, und ich sage auch von unserer Seite aus: Glück auf! Das sage ich allerdings in Richtung des Bundestagsabgeordneten Karl Diller, dem Staatssekretär Karl Diller weine ich natürlich keine Träne nach. Dafür bitte ich um Verständnis. ({0}) Wir als Opposition fragen uns schon, warum bei einem so wichtigen Nachtragshaushalt, mit dem neue Schulden in Milliardenhöhe aufgenommen werden, die Regierungsbank mit so wenigen Vertretern des Kabinetts besetzt ist. Das ist eine einzige Katastrophe, das ist eine Zumutung. ({1}) - Das ist peinlich. - Wir hätten in anderen Zeiten bestimmt Sondersitzungen in der Sommerpause zu diesem Thema gehabt, aber jetzt haben wir die dürftigste Besetzung. Nicht einmal ein Bundesminister ist hier. ({2}) Nicht einmal der Bundesminister selber trägt den Nachtragshaushalt vor. Dazu kann ich nur sagen: Es ist ein starkes Stück, wie Sie mit dem Parlament umgehen, aber das machen Sie schon seit längerem. ({3}) Vielleicht haben wir nicht das Niveau des Bundesfinanzministers, der sowieso immer der Auffassung ist, dass wir alle gar keine Ahnung haben, sondern nur er. ({4}) Darauf will ich gleich zurückkommen. Als wir den Bundeshaushalt für 2009 verabschiedet haben, hat uns der Bundesfinanzminister, als wir uns vorsichtig kritisch geäußert und gefragt haben, was mit der Wirtschaft los sei, vorgeworfen, Kassandrarufe zu verbreiten und Sadomasogebaren an den Tag zu legen usw. Dabei waren die Prognosen doch schon eindeutig. Sie wussten da doch schon, dass der Bundeshaushalt 2009 Makulatur ist. Anfang des Jahres mussten Sie den ersten Nachtragshaushalt einbringen, und jetzt müssen Sie noch einmal nachbessern. Es ist nun nicht so - das würden wir Ihnen zubilligen -, dass Sie wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise nachbessern müssten. Das ist ein Teil der Geschichte. Der andere Teil der Geschichte ist, dass die Einnahmen eingebrochen sind und Sie sich nie die Ausgabenseite angeschaut haben. Ihr größtes Problem ist doch gewesen, dass Sie nie bereit waren, sich die Ausgabenseite anzuschauen und zu fragen, wo man Einsparungen vornehmen kann. Wir als FDP-Fraktion haben Vorschläge für Einsparungen im Haushalt 2009 gemacht. ({5}) Man mag sich über den einen oder anderen Titel streiten, aber wir hatten Sparvorschläge in Höhe von 12 Milliarden Euro unterbreitet. Die Vorschläge wurden vom Tisch gewischt. Die Ausgabenseite hat Sie überhaupt nicht interessiert. Jetzt müssen Sie einen Nachtragshaushalt mit einer ganz hohen Neuverschuldung - noch einmal 30 Milliarden Euro zusätzlich - vorlegen. Wir haben Ihnen gesagt - das wiederhole ich -: Als die Große Koalition den Haushalt 2009 vorlegte, war er bereits Makulatur. Es ist nicht nur das. Sie, Herr Staatssekretär, haben verschwiegen, was Sie uns und dem deutschen Steuerzahler noch eingebrockt haben, nämlich mindestens zwei Schattenhaushalte. Das wollten Sie doch nicht. Wir wollten doch keine Schattenhaushalte mehr. Wir haben den Finanzmarktstabilisierungsfonds, für den 100 Milliarden Euro vorgesehen sind. Etwa 20 Milliarden Euro sind bisher verbraucht. Ein anderer Schattenhaushalt - der ist sehr interessant - nennt sich Sondervermögen „Investitions- und Tilgungsfonds“. Der umfasst 25 Milliarden Euro Schulden. Ich habe nie gewusst, dass Schulden ein Sondervermögen sind, aber so verkauft es diese Bundesregierung. ({6}) Es geht noch weiter. Im Kölner Stadtanzeiger war zu lesen, dass der Unionsfraktionsvorsitzende Kauder gesagt hat: Wir haben den Haushalt konsolidiert. ({7}) Wie denn? Dann sagt er weiter, der Einsatz öffentlicher Mittel gegen die Krise müsse vorsichtig und sparsam sein. Ich kann das alles unterschreiben. Aber warum reden Sie draußen so und machen hier etwas ganz anderes? Und warum sind die Herrschaften, die dieses sagen, hier nicht anwesend? ({8}) Nein, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist - das war im Handelsblatt am 17. Juni als Überschrift zu lesen -: „Der Staat versinkt in Schulden“. Der dafür verantwortliche Minister Steinbrück kneift aber heute bei unserer Debatte. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen festhalten, wie man mit den Bürgern unseres Landes umgegangen ist. Man hat gesagt, man wolle den Haushalt ausgleichen - ein erstrebenswertes Ziel. Dann aber haben Sie die Mehrwertsteuer kräftig angehoben - das war die größte Steuererhöhung, die wir je in dieser Republik hatten -, Sie haben weitere Steuererhöhungen vorgenommen und Steuervergünstigungen gestrichen. ({10}) Der Bürger hat zahlen und noch einmal zahlen müssen für Ihren „ausgeglichenen“ Haushalt, den der Bürger doch nicht bekommt. Stattdessen haben Sie Milliarden über Milliarden mehr an Schulden gemacht. Außerdem wussten Sie ganz genau, dass Sie noch große Haushaltslöcher aufreißen würden. Wie wollten Sie denn diese verkorkste Gesundheitsreform finanzieren? Sie haben doch nichts dafür getan, Sie haben alles offengelassen. Man hat bei Ihnen den Eindruck, Herr Staatssekretär Diller, dass Sie im Zahlenrausch der Milliardensummen sind. Da die Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl sowieso nicht mehr drankommen werden, gehen Sie nun nach dem Motto vor: nach uns die Sintflut, immer noch mehr und noch mehr mit der Gießkanne drauf. Dies haben wir auch in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses erlebt. Wir als FDP haben immer wieder Sparvorschläge gemacht. Ich nenne Ihnen wenige Punkte, damit man auch einmal sieht, wie man auf der Ausgabenseite sparen kann. Da ging es um den Digitalfunk beim Innenminister. Es wäre möglich gewesen, die Ausrüstung für 1,6 bis 1,7 Milliarden Euro zu beschaffen. Es ist alles vorrätig; man kann es erwerben. Aber was machen Sie? Sie wollen etwas Neues produzieren. Im Augenblick sind wir bei 3,7 Milliarden Euro, ohne dass es schon Ausrüstungsgegenstände gibt, und werden wahrscheinlich noch einmal mindestens 2 Milliarden Euro drauflegen, damit das funktionieren kann. So gehen Sie mit den Haushaltsgeldern um. Die Sozialdemokraten erinnere ich an etwas anderes, was wir im Haushaltsausschuss erlebt haben: Wir durften nur noch zur Kenntnis nehmen, dass Sie mal wieder für 2,7 Milliarden Euro neue Eurofighter bestellen. Aber das wollten Sie eigentlich doch nicht. Wir jedenfalls wollen es nicht; das ist nämlich eine zu hohe Stückzahl. Aber nein, das ist Ihnen völlig egal. Das Geld ging bei Ihnen nur so raus. ({11}) - Nein, Mensch noch mal. Kollege Poß, ich habe Sie für intelligenter gehalten und nicht geglaubt, dass Sie einen solchen Zuruf machen. Sie wissen ganz genau, dass wir dies nicht beschließen mussten. Wir hätten auch Nein sagen und mit EADS verhandeln können. Das wäre machbar gewesen. Das kennen Sie ganz genau. Wie Sie mit dem Haushaltsausschuss in dieser Frage umgegangen sind, war schon sträflich. ({12}) Das war unmöglich: Am Parlament vorbei haben Sie der Regierung eine Pauschalvollmacht gegeben, so zu handeln. Ferner erinnere ich an den Selbstbedienungsladen für sozialdemokratische Abgeordnete, aus dem über zwölf Abgeordnete der SPD ganz speziell für ihre Wahlkreise Vergünstigungen erhalten haben. ({13}) Nein, meine Damen und Herren, Sie sind in der Schuldenfalle und kommen aus dieser Schuldenfalle nicht heraus. Sie haben etwas gemacht, was unverantwortlich ist. Sie haben kommende Generationen mit Milliardenschulden belastet, die diese werden abtragen müssen. Leider werden Sie nichts mehr abtragen können. Wir hoffen aber auf eine Beratung, in der Sie doch noch die Kraft aufbringen werden, auf der Ausgabenseite des Bundeshaushaltes Einsparungen vorzunehmen. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Norbert Barthle das Wort.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir lesen heute den zweiten Nachtragshaushalt zum Haushalt 2009, eine Übung, die wir ganz bestimmt nicht mit großer Freude bestreiten. Das ist gar keine Frage. Dennoch danke ich dem scheidenden Staatssekretär, dem Kollegen Karl Diller, für seine wohltuend sachliche Rede. Ihre Rede, Herr Koppelin, war vermutlich nicht die letzte; dies kann man allerdings auch mit Bedauern zur Kenntnis nehmen. ({0}) Eines ist doch unbestritten: Nachtragshaushalte sind immer dann notwendig, wenn die Entwicklung der Einnahmen und der Ausgaben im Bundeshaushalt die in den regulären Haushalten vorgesehenen Flexibilitäten überschreitet und sich nicht mehr abbilden lässt. Das heißt, ein Nachtragshaushalt ist in aller Regel Ausweis einer besonderen Situation. ({1}) In solch einer besonderen Situation stecken wir tatsächlich. Die gemeinsame Diagnose der Wirtschaftsfor25488 schungsinstitute hat uns, wie zu Recht angemerkt wurde, vor Augen geführt, dass wir in der tiefsten Rezession stecken, die dieses Land jemals erlebt hat. Minus 6 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt ist eine Zahl, die wir noch nie hatten. Das geht seit dem letzten Quartal 2008 so und verschärfte sich schrittweise immer noch weiter. Kein Mensch weiß, wie die Entwicklung weiter verlaufen wird; denn wir haben für diese Situation keine Blaupause. Auch die Experten können es uns nicht sagen; sie sprechen von „U“ oder „W“ oder „V“ oder Talsohle; aber niemand weiß, wann sich die Entwicklung umkehren wird. Es gibt zwar erste positive, optimistische Anzeichen; aber belastbare Aussagen bekommen wir auch von den Experten nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Barthle, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Barthle, Sie sagten gerade, das alles sei ein Ergebnis dessen, dass man auf neue Dinge reagieren musste. Gleichzeitig haben Sie gesagt - wir werden das im Protokoll nachlesen können -: Das geht seit dem letzten Quartal 2008 so. Können Sie mir erklären, warum die Bundesregierung den ursprünglichen Haushalt Ende November 2008 - das war im letzten Quartal des vergangenen Jahres - auf Basis eines Wirtschaftswachstums von 0,2 Prozent beschlossen hat? Können Sie mir außerdem erklären, warum die Bundesregierung, getragen von den Koalitionsfraktionen, beim ersten Nachtragshaushalt gesagt hat, man gehe von ungefähr minus 2,25 Prozent aus? Können Sie mir weiterhin erklären, an welcher Stelle die Bundesregierung zu der Einsicht gekommen ist, dass es auch schlechter kommen könnte? Kann ich schließlich, nachdem Sie gerade gesagt haben, man mache nun alles richtig, davon ausgehen, dass ein weiterer Nachtragshaushalt in diesem Jahr nicht mehr notwendig sein wird? ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fricke, als Vorsitzender des Haushaltsausschusses wissen Sie sehr genau, wie kompliziert und umfangreich ein Verfahren zur Aufstellung eines regulären Haushaltes ist. Der Haushalt muss in verschiedenen Instanzen vorbereitet werden. Dann muss er innerhalb der Ministerien abgestimmt werden. Dann wird er dem Kabinett zugeleitet. Erst danach wird er uns zugeleitet. Wir debattieren ihn dann ausführlich, bevor wir ihn beschließen. Das ist also ein monatelanger Prozess, und in diesem monatelangen Prozess kann man nicht, je nach der aktuellen Entwicklung, alle naselang die Annahmen verändern; ({0}) vielmehr muss man sich auf solche Dinge berufen, die nachprüfbar sind. So ist unser Verfahren gestaltet. Wenn sich, wie bei dieser Krise, unvorhergesehen und unvorhersehbar die Voraussetzungen ändern, dann ist die Bundesregierung immer noch gut beraten, ihre Prognosen sehr vorsichtig zu formulieren; ({1}) denn jede Prognose der Bundesregierung hat auch psychologische Wirkungen. ({2}) Man muss sich das immer vor Augen führen, wenn man sich auf Prognosen der Bundesregierung beruft. Deshalb war es richtig, den Haushalt so zu beschließen, wie wir es getan haben, und mit dem ersten und dem zweiten Nachtragshaushalt schnell, aber sukzessive zu reagieren; damit werden wir der Entwicklung am ehesten gerecht. Ich sage an dieser Stelle ganz bewusst: Das Fahren auf Sicht ist genau richtig, um einer solchen krisenhaften Entwicklung gerecht zu werden. Das ist das, was wir jetzt tun müssen und richtigerweise auch tun. Staatssekretär Diller hat von daher zu Recht gesagt: Es könnte durchaus sein, dass die im zweiten Nachtragshaushalt vorgesehene Nettokreditaufnahme nicht ausreicht und dass wir nochmals entsprechend reagieren müssen. Ich kann nicht erkennen, woran Sie Ihre Kritik festmachen wollen. ({3}) Das, was wir machen, ist nämlich sachgerecht. ({4}) Stichwort „Fahren auf Sicht“: Erlauben Sie mir einen kleinen Seitenhieb auf den Kanzlerkandidaten der SPD. Er hat das Fahren auf Sicht mit Blick auf die Bundeskanzlerin als Ausdruck von Orientierungslosigkeit kritisiert. Ich frage mich manchmal, woher der geschätzte Herr Außenminister seine höhere Erkenntnis bezieht. Vielleicht war er bei einer jener älteren Damen mit einer Glaskugel. Das kann er uns bei Gelegenheit einmal erzählen. ({5}) Dass wir dieser Entwicklung innerhalb unserer Haushalte gerecht werden müssen, ist unbestritten. Wir lassen die automatischen Stabilisatoren wirken. Das ist richtig und gut. Aber es genügt eben nicht: Die Maisteuerschätzung hat uns ja vorausgesagt, dass wir mit Steuermindereinnahmen von über 20 Milliarden Euro zu rechnen haben. Deshalb kamen, wie gesagt, diese beiden Nachtragshaushalte mit der entsprechenden Erhöhung der Nettokreditaufnahme zustande. Eine Nettokreditaufnahme in Höhe von annähernd 50 Milliarden Euro, das ist ein Rekordwert, mit dem sich der Finanzminister sicherlich ungern schmückt. Aber - auch das wollen wir ihm attestieren - es führt kein Weg daran vorbei. Richtigerweise wurde ja schon gesagt: Jede andere Maßnahme - Steuererhöhungen oder Ausgabekürzungen - würde die Krise noch verschärfen, wäre in dieser Situation also kontraproduktiv. Deshalb gibt es keine Alternative zu dieser uns alle schmerzenden hohen Nettokreditaufnahme. Wichtig ist mir aber, an dieser Stelle zu betonen: Wir haben die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Das ist ein klares Signal dieser Großen Koalition an die Menschen draußen im Lande: Wir wollen auf den Pfad der Tugend zurückkehren. Wir wollen wieder zu konsolidierten Haushalten zurückkehren. Wir begeben uns zwar jetzt auf einen Umweg, aber wir werden dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren und nicht aufgeben, auch wenn wir es um einige wenige Jahre nach hinten schieben müssen. Lassen Sie mich daran erinnern, wie die Situation vor einem Jahr aussah. Da gab es einen Disput zwischen dem damaligen Wirtschaftsminister Glos und dem Finanzminister Steinbrück um die Frage, wie denn die zu erwartenden Steuermehreinnahmen - damals standen über 80 Milliarden Euro im Raum - verwendet werden sollen, ob damit Steuersenkungen vorgenommen werden sollten oder ob man sparen sollte. Wir wären heute froh, uns darüber noch streiten zu dürfen. ({6}) Heute erleben wir in der aktuellen Situation ebenfalls wieder eine Diskussion um Steuersenkungen. Gerade heute früh hat der Finanzminister Steinbrück von diesem Pult aus nochmals betont, dass Steuersenkungen „auf Pump“ nicht möglich seien. ({7}) Ich möchte an den Herrn Finanzminister appellieren, mit dieser diffamierenden Formulierung „auf Pump“ nicht nur die Steuersenkungen, sondern, wenn schon, alle Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeverzichte zu bezeichnen. ({8}) Ich darf daran erinnern, dass die SPD vorschlägt, das BAföG zu erhöhen und die Studiengebühren abzuschaffen. Von Wohngelderhöhungen und Ähnlichem will ich gar nicht reden. Fairerweise müsste man schließlich auch bei den Sozialausgaben „auf Pump“ hinzufügen. Das wünsche ich mir. ({9}) Im Übrigen erleben wir jetzt einen eher anderen Disput zwischen dem Bundesaußenminister, Herrn Steinmeier, der sich als Inlandshilfswirtschaftsminister betätigt, und dem sehr guten und tatkräftigen Wirtschaftsminister, Herrn zu Guttenberg, den wir Gott sei Dank haben. ({10}) Bei all diesen Auseinandersetzungen - das lassen Sie mich betonen - geht es aber immer um eines: Es geht um den verantwortlichen und sorgsamen Umgang mit Steuergeldern. Eines scheint nämlich häufig vergessen zu werden: Steuergelder sind nicht das Eigentum der Regierung, nicht unser Eigentum. Sie sind uns nur übergeben, damit wir sie sorgsam verwalten. ({11}) Wir können sie nicht nach Gutdünken ausgeben, sondern wir können sie nur für die Aufgaben ausgeben, für die sie vorgesehen sind und die notwendig sind. ({12}) Deshalb ist die Union ein Garant für den sorgsamen und verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern. Das wird auch in Zukunft so bleiben. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Da Sie sich jetzt zweimal auf den Bundesaußenminister bezogen und kritische Anmerkungen gemacht haben, frage ich Sie: Können Sie der deutschen Öffentlichkeit erklären, warum die CDU/CSUFraktion im Haushaltsausschuss dem Bundesaußenminister einen dritten beamteten Staatssekretär zugebilligt hat, was es bis dato im Auswärtigen Amt nicht gab? ({0}) Finden Sie, dass Ihre Entscheidung im Nachhinein richtig war?

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Koppelin, als Koalitionspartner muss man Entscheidungen dieser Koalition mittragen, die man nicht immer für ausgesprochen glücklich hält, die aber der Koalitionsdisziplin geschuldet sind. ({0}) Deshalb gebe ich Ihnen an dieser Stelle zur Antwort: Ich hätte mir auch andere Lösungen vorstellen können. Aber als Koalitionspartner ist man in die Disziplin eingebunden und trägt auch solche Entscheidungen mit. ({1}) Lassen Sie mich auf die Situation des Bundeshaushalts zurückkommen. Eines muss man noch einmal betonen: Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel von der Union diese Regierung führt, haben wir einen konsequenten Konsolidierungskurs eingeschlagen. ({2}) In den Jahren 2005 bis 2008 haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass wir jetzt so agieren können, wie wir jetzt agieren. Hätte es diese anstrengende, aber konsequente Politik nicht gegeben, würden wir derzeit wesentlich schlechter dastehen. ({3}) Dass wir momentan auf diese so tiefgreifende Krise reagieren können, hat etwas mit dieser Linie zu tun. Diese Krise hat dazu geführt, dass wir sehr schnell handeln mussten. Nun sagt der Volksmund: Wer schnell handelt, handelt doppelt gut. - Deshalb war es gut und richtig, dass wir das Finanzmarktstabilisierungsgesetz sehr schnell verabschiedet haben. ({4}) Wir alle im Haushaltsausschuss haben wahrscheinlich noch nie ein Gesetz so schnell durchgezogen wie dieses. Aber das war notwendig, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und um auf den Kapitalmärkten wieder Vertrauen entstehen zu lassen. Wir haben dann die Konjunkturpakete I und II verabschiedet, die ebenfalls zur Stabilisierung der Wirtschaft und zur Entlastung der Bürger beitragen, die aber vor allem auch dem Erhalt von Arbeitsplätzen dienen. Es ist nach wie vor unser großes Ziel, in dieser Situation Arbeitsplätze zu erhalten. ({5}) Im Unterschied zur SPD, Herr Kollege Poß, fragen wir danach, ob es nicht zunächst andere Möglichkeiten gibt, beispielsweise die Möglichkeit, Banken, Eigentümer, Gläubiger und private Investoren in die Pflicht zu nehmen. ({6}) Erst wenn das nicht hilft, kann man über staatliche Hilfen nachdenken. Aber auch dann müssen die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sein, um staatliche Gelder in einem Bereich einzusetzen, in dem eigentlich die Wirtschaft gefragt ist. Nach dieser Devise handeln wir und unser Kollege zu Guttenberg; das ist der richtige Weg. Ich bin froh, dass er als Wirtschaftsminister im Kabinett sitzt, wo er eine deutliche ordnungspolitische Orientierung in dieser schwierigen Zeit gibt. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Karl Diller hat es vorhin beschrieben: Im September 2008 war die Welt für Minister Steinbrück noch in Ordnung. Eine Krise gab es irgendwo im bösen Amerika. Die Linke wurde für ihre guten Vorschläge als populistisch beschimpft. Und nun? Herr Diller, auch wenn es heute Ihre letzte Rede ist und auch ich Ihnen für die Zukunft selbstverständlich alles Gute wünsche, so wären ein paar Überlegungen zu dem Beitrag, den die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union zu dieser Krise geleistet haben, angemessen gewesen. ({0}) Es wäre heute an der Zeit gewesen, in ein paar Worten die Zulassung von zerstörerischen Finanzmarktprodukten, die Zulassung von Hedgefonds und die mangelnde Bankenaufsicht selbstkritisch anzusprechen. Mit der Auffassung, dass alles aus dem bösen Amerika kommt, macht man es sich zu einfach. ({1}) - Gleich komme ich zu Ihnen, Herr Koppelin. CDU und FDP liefern sich trotz dieser beispiellosen Finanzkrise einen verantwortungslosen Wettbewerb um die größten Steuergeschenke an Banken, Unternehmen und Besserverdienende. Die FDP fordert eine Steuerentlastung von über 30 Milliarden Euro und die CDU von etwa 15 Milliarden Euro. Damit haben sich diese beiden Parteien endgültig von einer seriösen Haushaltspolitik verabschiedet. ({2}) Das Schlimme ist, dass Sie, Herr Kollege Kampeter, es als haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU besser wissen. Sie wissen nämlich, dass es so nicht geht. Ihre Finanzpolitik wird auch nicht dadurch seriöser, dass Sie jetzt den fatalen Beschluss für eine Schuldenbremse gefasst haben. Man würde bei jeder Fahrschulprüfung durchfallen, wenn man die Bremse ziehen und gleichzeitig Gas geben würde. Aber der Finanzminister muss Gas geben, ob er will oder nicht. In diesem Jahr muss er insgesamt rund 50 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Hinzu kommen die Schattenhaushalte wie Bankenrettungsfonds und kommunales Investitionsprogramm. Insgesamt sind es ungefähr 80 Milliarden Euro neue Schulden. Im nächsten Jahr, im Jahr 2010, werden es 90 Milliarden Euro Schulden sein, die dann die neue Regierung aufnehmen muss. In Anbetracht dieser unglaublichen Schuldenberge hätte ich gern von CDU/CSU und FDP gewusst, wie sie eigentlich die weiteren Steuersenkungen finanzieren wollen. ({3}) Weder Frau Merkel noch Herr Westerwelle haben auf diese entscheidende Frage öffentlich eine Antwort gegeben. Aber darauf haben die Bürger einen Anspruch. ({4}) Ich kann nur an das Jahr 2005 erinnern. Ich befürchte - das sollten sich alle Bürger vor Augen führen -, dass hier wieder mit gezinkten Karten gespielt wird. Im Jahr 2005 hat die SPD im Wahlkampf gegen die sogenannte Merkelsteuer gewettert. Die CDU forderte nämlich 2 Prozent mehr Mehrwertsteuer. Die SPD wollte aber gar keine Mehrwertsteuererhöhung. Herausgekommen, Sie erinnern sich, sind 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung. Das war ein klarer Wahlbetrug. ({5}) Herr Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung forderte bereits einen Mehrwertsteuersatz von 25 Prozent. Ich sage Ihnen voraus: Wenn es dazu kommen sollte, was wir alle nicht hoffen, dass CDU/CSU und FDP in diesem Haus die Mehrheit bilden, dann wird es weitere Steuersenkungen für Unternehmen und Besserverdienende geben und die Mehrwertsteuer wird auf unsoziale 25 Prozent erhöht. Darauf muss sich jeder einstellen, der meint, bei der Bundestagswahl seine Stimme Schwarz oder Gelb zu geben. Das wäre die falsche Wahl. ({6}) Auch die Linke fordert Steuersenkungen, ({7}) aber für kleine und mittlere Einkommen. Wir sagen aber auch, an welcher Stelle wir die Steuern anheben wollen. Diejenigen, die sich in den letzten 20 Jahren eine goldene Nase verdient haben, müssen mit höheren Steuern rechnen. Das ist nicht nur eine Forderung der Linken, sondern auch eine Forderung des Bundesverfassungsgerichts. Das hat nämlich den Gesetzgeber verpflichtet, die Vermögensteuer spätestens bis zum 31. Dezember 1996 neu zu regeln. Jetzt haben wir das Jahr 2009. Dieser Termin ist also fast 13 Jahre verstrichen. Das ist nicht hinnehmbar. ({8}) Wir Linke fordern eine gerechte Vermögensbesteuerung in unserem Land. Hätten wir eine Vermögensteuer wie in Großbritannien, dann hätten wir im Jahr 90 Milliarden Euro mehr im Staatssäckel. ({9}) Hätten wir eine Börsenumsatzsteuer wie in Großbritannien, hätten wir zusätzlich 70 Milliarden Euro mehr im Staatssäckel. ({10}) Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, dass Großbritannien, unser Verbündeter, herumspinnt und eine Macke hat. So kann man nicht argumentieren, und so kann man mit Verbündeten nicht umgehen. ({11}) Ich kann nur eines sagen: Wer bei der Wahl SchwarzGelb eine Mehrheit verschafft, wird einige Tage später dafür zahlen müssen. Wir als Linke werden diesen Nachtragshaushalt ablehnen, ({12}) weil wir deutlich machen möchten, wer die gigantischen Schulden zu bezahlen hat. Wir wollen verantwortungslose Bankmanager und Politiker, die uns diese Krise eingebrockt haben, zur Kasse bitten und nicht die Bürgerinnen und Bürger. Das ist der falsche Weg. Wir stehen für eine soziale Politik. Vielen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Alexander Bonde das Wort.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Uhrzeit, zu der dieser Tagesordnungspunkt diskutiert wird, legt es zwar nicht nahe, dennoch erleben wir einen historischen Moment, an den sich zukünftige Generationen noch lange erinnern werden. Die Bundesregierung offenbart uns mit diesem Nachtragshaushalt, dass 2009 eine Neuverschuldung in Höhe von 47,6 Milliarden Euro entstehen wird. Das ist eine historische Rekordzahl, wie sie diese Republik noch nie erlebt hat. Selbst den Schuldenrekord von Herrn Waigel - ich weiß nicht, Herr Kollege Diller, ob die Formulierung „der Herr aller Löcher“ aus Ihrer Zeit als haushaltspolitischer Sprecher der SPD stammt; ich vermute, sie ist Ihnen zuzuschreiben - haben Sie gemeinsam mit dem Finanzminister übertroffen. Das Einzige, was ähnlich leer ist wie die Kasse des Bundes, ist der Stuhl des Finanzministers. Es ist an Brüskierung des Parlamentes nicht zu überbieten, dass der Finanzminister nicht den Schneid hat, vor das Parlament zu treten und sich zu verantworten. ({0}) Sie bringen zum zweiten Mal einen Nachtragshaushalt ein und haben 10 Milliarden Euro neue Schulden im Gepäck. Das, was Sie eben beschrieben haben, stimmt nicht. Wir haben keine wahre und transparente Entwicklung bei der Offenlegung des Haushaltes erlebt. Schon im Kabinettsentwurf für 2009 - also im Juli letzten Jahres - wussten alle, dass Sie Schönrechnerei betreiben. Wir haben Sie davor gewarnt. Es war schon damals klar, dass Sie mit den von Ihnen vorgesehenen milliardenschweren Einsparungen - beispielsweise bei den Hartz-IV-Ausgaben - Luftbuchungen betreiben. Auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der Konjunktur war bereits im Herbst im Haushaltsausschuss klar, dass die Träumerzahlen, mit denen Sie gebucht haben, nicht stimmen können. Wirtschaftsminister Glos, den man für vieles schelten kann, hat bereits damals, als Sie uns im Plenum und auch im Haushaltsausschuss etwas von der Weiterführung von Wachstum erzählt haben, im Haushaltsausschuss mit erstaunlicher Ehrlichkeit von einem Minuswachstum gesprochen. Das ist die Wahrheit zum heutigen Nachtragshaushalt. Jeder wusste, dass es so kommt. Nur Sie wollten es nicht wahrhaben. ({1}) Die Rekordverschuldung von 47,6 Milliarden Euro ist nur die offizielle Zahl. Die gleiche Summe verstecken Sie in Schattenhaushalten. Für den Finanzmarktstabilisierungsfonds, also für die Bankenrettung, ist in diesem Nachtragshaushalt kein Cent vorgesehen. Jeder weiß, dass Sie für dieses Jahr zweistellige Milliardenbeträge an Neuverschuldung eingeplant haben. Auch der Investitions- und Tilgungsfonds, die Konjunkturpakete, steht außerhalb des Haushalts. Eigentlich müssten Sie alles zusammenrechnen, sich hier hinstellen und zugeben: Die Abschlussbilanz der Großen Koalition ist ein Minus von 93 Milliarden Euro. Da kann man nur sagen: Für die Finanzen dieses Landes gab es noch nichts Schlimmeres als diese Koalition. ({2}) In der Wirtschaft nennt man so etwas Insolvenzverschleppung. Spätestens dann ist der Rücktritt der Vorstandsvorsitzenden und des Finanzvorstandes angebracht. Hier sind die beiden heute wieder abwesend. Wenn man weiterschaut, dann erkennt man, wo sich überall noch Verschuldung und Vermögensaufzehr verstecken. Schauen wir uns die Bundesagentur für Arbeit an: 17 Milliarden Euro Reserve wurden innerhalb dieses Jahres aufgebraucht. Man muss davon ausgehen, dass alleine dort im nächsten Jahr ein Minus von 20 Milliarden Euro entstehen wird. Das liegt auch daran, dass Sie eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vorgenommen haben, um Ihr Versagen beim Gesundheitsfonds zu kaschieren: Die Leute sollten nicht merken, was für einen teuren Murks Sie produziert haben. In der nächsten Woche werden Sie für das nächste Jahr ein Rekordminus von 90 Milliarden Euro ankündigen. Nach den Erfahrungen mit den bisherigen Abläufen muss man leider damit rechnen, dass man auch diese Zahl verdoppeln muss, um auf einen ehrlichen Wert zu kommen. Um es in der Terminologie der Ratingagenturen zu sagen: Wenn man diese Bundesregierung als Benchmark nimmt, muss man bei Baron Münchhausen wahrscheinlich von Triple A reden. ({3}) Die Kanzlerin steht dem Finanzminister in nichts nach. Wenn man sich diese Zahlen anschaut, muss man sich wirklich fragen, wie man da noch etwas von Steuersenkungen erzählen kann. Wenn man sonst nichts zu bieten hat, muss man wahrscheinlich Steuersenkungen ins Programm schreiben. Ich glaube aber, das wird der Dramatik der Situation nicht gerecht: 93 Milliarden Euro neue Schulden im Bund. Laut Finanzplanung für den Zeitraum bis 2013 werden die Schulden auf rund 2 Billionen Euro, also 2 000 Milliarden Euro steigen; das sind 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes eines Jahres. All das sind Rekordzahlen, die diese Große Koalition als Abschlussbilanz vorlegt. Dieser Nachtragshaushalt ist ein Insolvenzantrag dieser Bundesregierung. ({4}) Es wird Zeit, dass endlich wieder eine solide Haushaltspolitik einkehrt. Mit Verlaub, diese Koalition hat auch in diesem Feld wirklich brachial versagt. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Steffen Kampeter das Wort.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Karl Diller, zum Schluss dieser Debatte kann ich persönlich, auch stellvertretend für fast alle Fraktionen, Respekt vor deiner politischen Lebensleistung zollen, die du vor allem im Deutschen Bundestag erbracht hast. ({0}) Ehrlicherweise will ich sagen: Ich könnte nicht behaupten, dass ich mich jeden Tag gefreut hätte, dich zu sehen. ({1}) Die Erfahrungen waren oft so intensiv, dass man mir das nachsehen muss. Ich möchte in aller Form sagen: Du warst ein herausragender Parlamentarier und ein toller Haushälter. Dass wir mit dir als Staatssekretär nicht in allen Fragen einer Meinung sein konnten, liegt in der Natur der Dinge; das gehört zur Arbeitsteilung zwischen Regierung und Parlament. Ich wünsche dir, stellvertretend für viele, alles Gute für die Zukunft. ({2}) Alle Fraktionen sind gut vertreten, aber deine eigene Fraktion hat offensichtlich nicht wahrgenommen, dass die Debatte von gestern Abend auf heute Vormittag verschoben worden ist. Wahrscheinlich sind sie schon bei einer Klausurtagung der Arbeitsgruppe Haushalt. ({3}) Der zweite Nachtragshaushalt schraubt die Neuverschuldung auf knapp 50 Milliarden Euro hoch. Das ist eine zu hohe Zahl. Allerdings versuchen die Vertreterinnen und Vertreter der Opposition, den Eindruck zu erwecken, dies sei das Ergebnis einer verfehlten Finanzpolitik. ({4}) Mir scheint, Ihnen in der Opposition ist entgangen, dass wir uns im Augenblick in einer globalen Finanzkrise befinden, die alle Haushalte in dieser Welt unter erheblichen Stress stellt. ({5}) In den vergangenen Jahren konnten wir in der Großen Koalition den Haushalt so gestalten, dass 2008 alle öffentlichen Haushalte zusammen unter dem Strich ausgeglichen waren. ({6}) Das haben andere Staaten nicht erreicht. Deswegen will ich an dieser Stelle erstens darauf hinweisen, dass beispielsweise die Anregung der Kollegin Lötzsch, man solle es wie die Engländer machen, ein wenig in die Irre führt. Frau Kollegin Lötzsch, die Engländer haben nicht eine so konsequente Haushaltskonsolidierungsstrategie gefahren wie die Große Koalition. ({7}) Jetzt beträgt die Neuverschuldung in England mehr als 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Hätten wir in den vergangenen Jahren die Zügel so locker gelassen, stünden wir jetzt nicht am Abgrund, sondern wären schon hineingefallen. Wir wollen aber nicht hineinfallen. Wir wollen sofort nach dieser Krise eine konsequente Politik der umfassenden fiskalischen Konsolidierung aufnehmen. Trotz krisenhafter Veränderungen in dieser Situation ist das unser Ziel. ({8}) Zweitens möchte ich auf Folgendes hinweisen: Von den Rezepten der Opposition bin ich ein bisschen enttäuscht. Wir müssen jetzt eine nationale Kraftanstrengung in Angriff nehmen und eine „Agenda Wachstum“ entwickeln. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, in allen Politikbereichen auch über die Krise hinaus nach vorne zu schauen. Was aber bietet uns die Opposition an? Auf der einen Seite einen Teil intellektuell verbrämte Besserwisserei und auf der anderen Seite Steuererhöhungen! ({9}) In dieser Situation dürften Steuererhöhungen die ohnehin schon mageren Wachstumsperspektiven nicht positiver erscheinen lassen. Sie sind das falsche Rezept in der Krise. Lassen Sie mich Ihren Verweis auf die Steuerpolitik im Vereinigten Königreich noch einmal aufgreifen. Wegen der verfehlten Steuerpolitik im Vereinigten Königreich in den vergangenen Jahren sind die Wachstumsraten wahrscheinlich auch nicht mehr so hoch gewesen. Wir in Deutschland waren die Wachstumslokomotive. ({10}) Mit unserer Steuer- und Wachstumspolitik waren wir erfolgreicher als die von der zweimal umbenannten SEDOrganisation hier vorgeschlagene Vorgehensweise. In der Krise darf man nicht noch das falsche Rezept bringen. Gestatten Sie mir einen dritten Hinweis. In diesen Tagen liegen uns erste Zahlen für den Haushalt des Jahres 2010 vor. Die Zahlen werden im nächsten Jahr nicht gut sein. Die Berichte, die wir heute in den Zeitungen lesen, machen deutlich, wie groß die finanzielle Herausforderung in den nächsten Jahren sein wird. Ich stimme vollumfänglich mit Karl-Theodor zu Guttenberg überein, der darauf hingewiesen hat, dass wir jetzt nicht in eine Spirale der Versprechungen abgleiten dürfen. Wir alle müssen unsere Wahlprogramme und Zusagen für die nächste Legislaturperiode auch mit dem abgleichen, was am kommenden Mittwoch im Kabinett beschlossen werden wird. Meine Schlussfolgerung lautet allerdings: Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken. Unser Land ist stark. In den vergangenen Jahren sind wir ziemlich erfolgreich gewesen. Unsere Aufgabe wird es sein, diese Stärken jetzt zur Krisenbewältigung einzusetzen. Pessimismus ist nicht angesagt. Die Menschen in diesem Land erwarten von uns politische Führung und nicht nur Miesmacherei. Die Aufgabe, die es zu schultern gilt, wird bei diesem Nachtragshaushalt aber nur in Teilen deutlich. Die Finanzpolitik der nächsten Jahre wird die eigentliche Herausforderung sein. Von ihrer Gestaltung wird abhängen, ob Politik wieder Handlungsfähigkeit gewinnen kann. ({11}) Wir wollen diese Handlungsfähigkeit gewinnen. Wir werden einen konsequenten Kurs vertreten. In diesem Sinne werden wir den Nachtragshaushalt im Haushaltsausschuss des Bundestages rasch und zügig beraten. Die eigentliche finanzpolitische Aufgabe liegt aber - das will ich in aller Klarheit sagen - in den nächsten vier Jahren vor uns. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 16/13000 und 16/13386 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 57 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Drucksache 16/12596 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/13424 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Grotthaus - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/13442 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Alexander Bonde Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Andrea Nahles für die SPD-Fraktion. ({2}) - Diese Änderung ist mir leider nicht mehr zugegangen. - Das Wort hat Herr Bundesminister Olaf Scholz. ({3})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich komme gerade von einer Sitzung mit den am Ausbildungspakt Beteiligten, die sich mit der Situation der jungen Leute in Deutschland beschäftigt hat. Das ist, wie ich finde, eines der wichtigsten Themen für die Zukunft unseres Landes. Bei allem, worüber wir diskutieren, bei allem, was wir sagen, etwa dass wir mehr Akademiker in Deutschland brauchen, muss klar sein: Auch in Zukunft ist die Lehre, ist die Berufsausbildung die wichtigste Ausbildung in Deutschland. ({0}) Wir müssen erreichen, dass jeder junge Mensch mit Anfang 20 entweder das Abitur oder eine Lehre abgeschlossen hat. Darauf sollte sich unser ganzer Ehrgeiz richten. Deshalb darf die Zahl der Ausbildungsverträge in Deutschland nicht weiter zurückgehen. ({1}) Nachdem die Zahl der Ausbildungsverträge im letzten Jahr ein bisschen zurückgegangen ist, habe ich mich dafür eingesetzt - Sie wissen das -, dass es in diesem Jahr jedenfalls nicht weniger als 600 000 Ausbildungsverträge gibt. Nur wenn wir das erreichen, besteht die Chance, dass auch diejenigen, die schon lange nach einem Ausbildungsplatz suchen und bisher verzweifelt feststellen mussten, dass sie keinen finden, eine Berufsausbildung erhalten. Dieses Ziel von 600 000 Ausbildungsplätzen ist im Pakt nicht konsentiert gewesen, allerdings will man sich bemühen. Ich bin froh, dass trotz des Dissenses, auf dem ich auch bestehen muss, weil ich mich für die jungen Leute und dafür einsetzen will, dass es genügend Ausbildungsverträge gibt, die Bereitschaft entwickelt worden ist, jetzt doch noch einmal darüber zu diskutieren, ob der Pakt nicht neue Ziele bekommen muss: neue Ziele, die auch diejenigen, die lange außen vor gestanden haben, einbeziehen, neue Ziele, die sicherstellen, dass wir die Zeit der zurückgehenden Schülerzahlen nutzen, aber nicht um die Zahl der Ausbildungsverträge zu reduzieren, sondern dazu, um auch denjenigen eine Chance zu geben, die bisher außen vor geblieben sind. ({2}) Wir leisten mit dem Gesetzentwurf, der heute zur Beratung steht, einen Beitrag dazu. Das war schon beim Ausbildungsbonus der Fall, den wir im letzten Jahr beschlossen haben und der bereits über 14 000 jungen Leuten einen Ausbildungsvertrag verschafft hat, den sie sonst nicht bekommen hätten. Wir leisten hier und heute noch einen Beitrag, indem wir eine Sonderregelung für diejenigen schaffen, die ihren Ausbildungsplatz wegen der Insolvenz des ausbildenden Unternehmens verlieren. Sie dürfen nicht alleingelassen werden. Wir helfen ihnen jetzt mit dem Bonus als Rechtsanspruch. ({3}) Dieser Gesetzentwurf enthält viele Materien, über die diskutiert werden muss, große und kleine Sachen. Vieles hat mit der Zukunft derjenigen zu tun, die sich bemühen, die sich anstrengen, die arbeiten; aber es geht eben auch darum, wie das, was man in einem langen Arbeitsleben durch Beiträge an Ansprüchen gegen die Rentenversicherung erworben hat, garantiert werden kann. Wir alle wissen: Die Rentenversicherung hat in den letzten Jahren viele Reformen erlebt, Reformen, die richtigerweise dazu beigetragen haben, dass Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung wieder ausbalanciert sind, dass die finanzielle Stabilität dieser Versicherung für die Zukunft gewährleistet ist. Als eines der wenigen Länder in Europa begegnen wir der demografischen Herausforderung. Wir haben auch im nächsten und übernächsten Jahrzehnt eine vernünftig finanzierte Rentenversicherung, ({4}) obwohl es immer weniger jüngere Leute und immer mehr ältere Leute gibt. Es besteht natürlich Unsicherheit. Das kann nach den vielen Reformen der letzten Jahre auch gar nicht anders sein. Deshalb erhält jeder Gehör, der eine neue Rechnung aufmacht und sagt, danach komme etwas ganz anderes heraus. ({5}) Jeden Tag gibt es eine neue Schlagzeile darüber. Es darf aber nicht sein, dass jeder die Rentnerinnen und Rentner, die auf ein langes Arbeitsleben zurückblicken können, mit immer wieder neuen Zahlen verwirren kann. Deshalb garantieren wir mit dieser Gesetzesänderung, dass die Rente weiterhin, wie es in der Rentenformel steht, die wir nicht ändern, der Wirtschaftsentwicklung und der Lohnentwicklung folgt. Aber wir stellen sicher, dass es nicht abwärts geht. Das haben die älteren Mitbürger unseres Landes verdient. ({6}) Der Einwand der einen ist: Eigentlich wäre das gar nicht nötig, weil es eh nicht dazu kommt. ({7}) So sind auch unsere Zahlen. Der Einwand der anderen ist: Das wird sehr viel kosten. - Manchmal sind es die Gleichen, die sagen, es wäre nicht nötig, und es würde sehr viel kosten. Man muss sich schon für eines der beiden falschen Argumente entscheiden, wenn man einigermaßen stringent bleiben will. Aber beide sind falsch. Das will ich ausdrücklich dazusagen. ({8}) Wir verbessern die Möglichkeiten der Förderung der Kurzarbeit mit diesem Gesetzentwurf noch einmal. Das verdient schon noch einmal eine kurze Besinnung. Mit der schnellen Entscheidung vom Dezember letzten Jahres, die Kurzarbeit nicht nur sechs Monate, sondern 18 Monate zu fördern, mit der weiteren Entscheidung, sie jetzt 24 Monate zu fördern, und mit der Entscheidung im Rahmen des Konjunkturpakets „Wir übernehmen für die ausgefallene Arbeitszeit - nur für die! - die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge, die die Arbeitgeber zu tragen haben“ haben wir dazu beigetragen, dass Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland gesichert geblieben sind. Das kann man allein daran sehen, dass im März über 1 Million Menschen in Kurzarbeit gewesen sind. Wer sich ein bisschen umschaut, wer sich ein bisschen umhört, der stellt fest, dass unsere Regelung schon sehr zielgerichtet und sehr zielgenau ist; denn sie hat dazu beigetragen, dass europaweit agierende Konzerne anderswo entlassen und in Deutschland auf Kurzarbeit setzen, manchmal obwohl es dort ähnliche Förderinstrumente gibt, sie aber nicht weit genug gehen und nicht solche geschaffen wurden, auf die auch zugegriffen wird. Deshalb können wir schon sagen: Bei diesem Förderinstrument, bei dem wir darauf achten, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben und nicht wegen einer Konjunkturkrise in 2009 und 2010 verloren gehen, können wir gerne einmal einen Zentimeter zu weit gehen. Aber wir dürfen nicht einen Millimeter zu kurz springen; sonst gefährden wir Arbeitsplätze. ({9}) Das ist auch der Sinn der Regelung, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben. Sie sichert Jobs, und das ist gut. Wenn wir jetzt sagen: „Ab dem siebten Monat übernehmen wir die Sozialversicherungsbeiträge voll“, dann geht es übrigens um mittelständische Unternehmen. Jemand, der in einem Ort 80 Leute beschäftigt und in einem anderen 120, der kann jetzt ab dem siebten Monat davon Gebrauch machen. Im Übrigen empfehle ich dem einen oder anderen, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was ein Unternehmen, was ein Arbeitgeber, was ein Konzern ist. Ein Konzern ist hier nicht gemeint. Das ist nur für die Polemik gut, nicht für die Sachdebatte; denn hier geht es um einen Arbeitgeber, der zwei solche Betriebsstätten hat, über die ich geredet habe, und nichts anderes. Alles andere ist Polemik. ({10}) Meine Damen und Herren, noch kurz ein weiterer Aspekt. Ich bin sehr froh darüber, dass wir für eine engagierte Gruppe unserer Bevölkerung, für Leute, die es schwer haben und die ein sehr unsicheres, wechselhaftes Leben zu führen haben, ein Stück mehr soziale Sicherheit geschaffen haben, nämlich für die Künstlerinnen und Künstler, die als Arbeitnehmer beschäftigt sind. Sie haben immer damit zu kämpfen gehabt, dass sie über Jahre Beiträge gezahlt haben, sie aber dann, wenn sie die Leistung gebraucht haben, oft nicht in Anspruch nehmen konnten, weil ihre Gesamtbeitragszeiten nicht ausgereicht haben. Wir ändern das jetzt. Ich glaube, das ist ein Beitrag zur sozialen Sicherheit von Menschen, die ein schweres Leben führen, die manchmal kompliziert um jeden einzelnen Auftrag kämpfen müssen. Aber es ist - das soll an dieser Stelle auch gesagt werden - ein Beitrag zur Freiheit; denn die Kunst gehört zur Freiheit dazu. Sie zu sichern, ist immer eine verdienstvolle Aufgabe. Schönen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf eines Dritten SGB-IV-Änderungsgesetzes ist ein Omnibus, der ursprünglich im Wesentlichen mit Regelungen zur Änderung der Generalunternehmerhaftung besetzt war. Jetzt ist der Bus voll besetzt mit mehr oder weniger prominenten Fahrgästen. ({0}) Ich will mich auf drei davon konzentrieren und mit dem anfangen, womit Sie, Herr Minister, geendet haben, nämlich mit der Veränderung der Rahmenfrist für Kulturschaffende. Die Anwartschaftszeit soll jetzt von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden, wenn mehr als die Hälfte der Beschäftigungstage im Rahmen kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse von bis zu sechs Wochen absolviert wurde. Begünstigt sind nur diejenigen, deren Jahresentgelt die Bezugsgröße in der Sozialversicherung nicht überschreitet. Die Regelung ist auf drei Jahre befristet und soll anschließend evaluiert werden. Ich will Ihnen für die FDP-Fraktion sagen, dass diese Regelungen nach unserer Auffassung die besonderen Bedingungen der Kulturschaffenden, insbesondere auch der Film- und Fernsehschaffenden, gut berücksichtigen. Der hiermit gefundene Kompromiss zwischen dem Beauftragten für Kultur und Medien, dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Bundesfinanzministerium und dem federführenden Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt für die Kulturschaffenden auch aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion eine gute Lösung dar. ({1}) Hätte die Gesetzesvorlage, Herr Minister, nur solche Regelungen zum Gegenstand, ({2}) dann würden wir uns mit unserem Abstimmungsverhalten weniger schwertun. Aber leider enthält die Vorlage zwei richtige Klopse, die schwer verdaubar sind. Das sind zum einen die ewige Rentengarantie und zum anderen die massive Ausweitung der Erstattungsregelungen für Sozialversicherungsbeiträge bei der Kurzarbeit. Ich will mit dem zweiten Punkt beginnen. Auch die FDP hält Kurzarbeit für eine gute Maßnahme, um bei vorübergehenden Auftragsschwankungen Entlassungen zu vermeiden. Die FDP ist auch bereit, eine vernünftige und maßvolle Erstattungsregelung für die Sozialversicherungsbeiträge mitzutragen. Aber die Ausweitung der Erstattungsregelung bei Kurzarbeit auf alle Arbeitnehmer eines Arbeitgebers - auch wenn nur ein Teil der Beschäftigten zuvor sechs Monate in Kurzarbeit war - geht eindeutig zu weit, Herr Minister. Das ist für Großunternehmen - ich wiederhole meine Einschätzung, die ich übrigens mit dem Kollegen Peter Rauen von der CDU teile - die Lizenz zum Ausplündern der Sozialversicherung, um genauer zu sein: der Arbeitslosenversicherung. ({3}) Ich scheue mich auch nicht, Ross und Reiter zu benennen: Auf höchster Koalitionsebene ist zusammen mit Herrn Hundt und wohl auch mit Herrn Sommer vom DGB eine Regelung beschlossen worden, die nur zum Ziel hat, irgendwie über den 27. September 2009, den Tag der Bundestagswahl, hinauszukommen, koste es, was es wolle. Die Fachebene der Koalition wurde offensichtlich gar nicht erst gefragt. Die Tatsache, dass diese Regelung als Änderungsantrag zum Änderungsantrag mit Aufruf des Tagesordnungspunktes im Ausschuss als Sichtvorlage verteilt wurde, kann man nur als ein skandalöses Verfahren und als Missachtung des Parlaments bezeichnen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, sollten sich sehr gut überlegen, ob Sie dieses abgekartete Spiel wirklich mitmachen wollen. ({4}) Ich habe mit großer Hochachtung und sehr viel Respekt zur Kenntnis genommen, dass der Kollege Peter Rauen, der Berichterstatter der CDU/CSU zu diesem Gesetzentwurf, den Kopf nicht in den Sand gesteckt hat, sondern den Mut hatte, zu stehen. Er hat seine Berichterstattung niedergelegt, gegen den Gesetzentwurf gestimmt und verzichtet heute darauf, seine Abschiedsrede im Deutschen Bundestag zu halten. Herr Kollege Rauen, diese Haltung ehrt Sie. Kollegen wie Sie werden selten in der Union. Das muss ich hier leider feststellen. Vielleicht ist es das Problem der Union, dass gestandene Mittelständler wie Sie, Herr Rauen, mit ihren Positionen in der Union nicht mehr mehrheitsfähig sind und sich nicht mehr durchsetzen können. ({5}) Im Namen der FDP und auch ganz persönlich will ich Ihnen, Herr Rauen, Dank sagen für Ihr langjähriges Engagement, für Ihre geradlinige Art und für den großen Sachverstand, den Sie an vielen Stellen und in vielen Beratungen hier, im Deutschen Bundestag, eingebracht haben. Sie werden fehlen. ({6}) Ich komme noch einmal zurück zur Erstattungsregelung. Dass insbesondere Herr Hundt für seine großen Mitgliedsunternehmen das großzügige Geschenk der Beitragserstattung gerne mitnimmt, kann nicht wirklich verwundern. Ich bin selbst mittelständischer Unternehmer im Maschinenbaubereich und kenne meinen Pappenheimer. Wenn gesagt wird, diese Regelung helfe dem Mittelstand, dann muss ich Ihnen sagen, dass wir ein anderes Verständnis von Mittelstand haben, Herr Minister. Mittelstand, das sind für uns Unternehmen mit einem, zwei, fünf oder zehn Beschäftigten. Mehr als 75 Prozent der 4,4 Millionen Unternehmen in Deutschland haben weniger als fünf Beschäftigte. 98 Prozent der Unternehmen haben weniger als 20 Beschäftigte, und gerade einmal 6 000 haben mehr als 500 Beschäftigte. Die kleinen Unternehmen werden - das ist offenkundig - von dieser ausgeweiteten Regelung nicht profitieren, weil jemand, der zehn Beschäftigte hat, nicht jeweils fünf Mitarbeiter an zwei Standorten hat. Profitieren werden die großen Unternehmen, aber bezahlen werden das wieder einmal die kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten mit ihren Beiträgen, wie sie es schon in der Vergangenheit bei der beitragsfinanzierten Frühverrentung tun mussten. Wir heben für eine solche Regelung nicht die Hand. ({7}) Das gilt auch für den zweiten Klops, den ich ansprechen will, für die ewige Rentengarantie. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sind sich noch völlig uneins, ob die Gefahr einer Rentenkürzung im nächsten Jahr überhaupt droht. Nach den Zahlen der Bundesregierung ist eine solche Kürzung nicht zu erwarten. Trotzdem wollen Sie heute ohne Not, allein aus wahltaktischen Überlegungen, eine ewige Rentengarantie in das SGB VI aufnehmen und damit den Grundgedanken der dynamischen Rente, die Lohnbezogenheit, aufgeben. ({8}) Zugegeben, die Rente ist in den letzten 52 Jahren niemals negativ angepasst worden. Das machen Sie, Herr Scholz, viel raffinierter. Gerade in den letzten zehn Jahren Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren von der SPD, ist die Kaufkraft der Rentner massiv beschnitten worden: durch die Belegung der Betriebsrente mit der vollen Kranken- und Pflegeversicherungspflicht, durch den vollen Beitrag zur Pflegeversicherung, den die Rentner seit 2004 zu tragen haben, durch eine Reihe von nominalen Nullrunden bei deutlichen Preissteigerungen, durch den Zuschlag zur Pflegeversicherung für kinderlose Rentner, durch den Sonderbeitrag für Arbeitnehmer und Rentner zur GKV, der am Ende zu einer Mehrbelastung der Rentner von 0,45 Prozent führt, durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 um 3 Prozentpunkte usw. Es ist doch fadenscheinig, wenn Sie vorgeben, die Renten nominal sichern zu wollen, da Sie den Rentnern andererseits fortgesetzt in die Tasche greifen. Herr Scholz, wer soll Ihnen denn glauben, dass es Ihnen um die Kaufkraft der Rentner geht? Ihr Staatssekretär hat im Ausschuss gesagt, all diese Belastungen seien keine Rentenkürzungen, sondern nur Einkommenskürzungen. Man beachte den feinen Unterschied. Aber, Herr Scholz, den Rentnern ist es vollkommen egal, wie das Kind heißt. Am Ende ist entscheidend, was im Portemonnaie ankommt. Und da haben sich zehn Jahre Regierungszeit der SPD als ein wahres Fiasko für die Renterinnen und Rentner in Deutschland erwiesen. ({9}) Um es noch einmal deutlich zu sagen: Niemand will Rentenkürzungen. Das gilt ausdrücklich auch für die FDP. Wir wollen, dass die Menschen im Alter ein ausreichendes Einkommen haben. Wer das will, muss aber eine entsprechende Politik machen und darf nicht ständig Steuern und Beitragssätze erhöhen. Eine Rentengarantie auf ein Blatt Papier zu schreiben, genügt nicht. ({10}) Im Übrigen, Herr Minister: Eine Garantie, die nichts kostet, ist auch nichts wert. Eine solche Garantie muss gelebt und in allen Bereichen der Politik beherzigt werden. Aber genau das tun Sie nicht. Das eigentlich Problematische ist das Signal, das von der Rentengarantie ausgeht. Ihr Vorgänger Walter Riester hat noch versucht, die Lasten der demografischen Entwicklung zwischen Jungen und Alten, zwischen Beitragszahlern und Rentnern gleichmäßig zu verteilen. Das geben Sie heute auf. Damit verabschiedet sich die SPD auch in der Rentenpolitik von der Agenda 2010. Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit, das war gestern. Ihr Motto von heute lautet: Es lebe der Wahlkampf! ({11}) Die Folgen dieser Politik werden sich schon sehr bald zeigen. Die finanziellen Folgen der Rentengarantie sollen durch künftige Dämpfungen wieder ausgeglichen werden. Aber die Bugwelle unterlassener Dämpfungen aus den letzten Jahren ist mittlerweile so hoch, dass dies nur noch bei einer außergewöhnlich guten Lohnentwicklung - davon ist in den nächsten Jahren aufgrund der gegenwärtigen Krise aber wohl eher nicht auszugehen möglich wäre. Die Rentenfinanzen unter Kontrolle zu halten, wird zunehmend schwieriger. Angesichts dessen sollten Sie sich die Ergebnisse des Gutachtens, das Professor Raffelhüschen für die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ verfasst hat, einmal sehr genau ansehen. Sie, Herr Minister Scholz - das richtet sich ausdrücklich auch an die Adresse der SPD -, stehen auch in der Rentenpolitik vor einem Scherbenhaufen. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung wird wohl schon kurzfristig und dann absehbar prozyklisch erhöht werden müssen. An die eigentlich vorgesehene Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung von heute 19,9 Prozent auf 19,1 Prozent ist ohnehin nicht mehr zu denken. Ich hätte gerne noch mehr gesagt. Meine Redezeit ist aber leider zu Ende. ({12}) Ich will zusammenfassend sagen: Der vorliegende Gesetzentwurf ist in weiten Teilen ein Beleg dafür, dass die sozialpolitische Vernunft dem Wahlkampf geopfert wird. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, tragen wir nicht mit. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe das Wort. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfes zur Änderung des SGB IV stand ursprünglich die Neuregelung der Generalunternehmerhaftung in der Bauwirtschaft. Die Generalunternehmerhaftung ist und bleibt ein zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung richtiges und wichtiges Instrument. Deshalb sind wir dankbar, dass die Sozialpartner in der Bauwirtschaft einen einvernehmlichen Vorschlag für eine gesetzliche Neuregelung, die wir jetzt parlamentarisch umsetzen, vorgelegt haben. Ich bin Peter Rauen dankbar, dass er daran mitgewirkt hat. Herr Kollege Kolb, Sie können ganz sicher sein, dass Peter Rauen in der nächsten Sitzungswoche seine Abschiedsrede zu Ihrem Antrag zur Alterssicherung der Selbstständigen halten wird. ({0}) Hoffentlich haben Sie auch dann, wenn er Ihnen begründet, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen - weil er nämlich inhaltlich falsch und schlecht ist -, noch so viel Respekt. Ich hoffe, dann greifen Sie Ihr Lob von heute auf. ({1}) Von verschiedenen Seiten ist bereits angesprochen worden, dass wir in diesem Gesetzentwurf in der Tat viele Maßnahmen, die richtig und notwendig sind, vorgesehen haben. Ich erinnere nur an die Regelung zu den sogenannten Insolvenzlehrlingen. Es wird ein Ausbildungsbonus für Auszubildende, deren Betrieb in die Insolvenz geht, gezahlt, wenn ein anderer Betrieb sie übernimmt. Das ist ein wichtiges Anliegen, das Bildungsministerin Schavan seit langem verfolgt. Da sie uns überzeugt hat, setzen wir diese Maßnahmen gerne um. Ich will meine Erleichterung darüber zum Ausdruck bringen, dass wir für Verbesserungen für Kulturschaffende sorgen, was ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld angeht. Die Briefe des Bundesarbeitsministeriums, in denen mitgeteilt wurde, man sehe bei diesem Thema überhaupt keinen Handlungsbedarf, sind noch gar nicht so alt. Hier hätten wir uns mehr Bewegung gewünscht. Aber ich bin froh, dass zumindest die grundsätzlich ablehnende Haltung des Bundesarbeitsministeriums an dieser Stelle, wenn auch mit viel Mühe, aufgebrochen werden konnte. ({2}) Ich habe gehört, dass in einer anderen Debatte des heutigen Tages die Rede davon war, diese Neuregelung sei auch Herrn Steinmeier zu verdanken. Dazu möchte ich nur sagen: Er hat in den entsprechenden Debatten zumindest nicht nachhaltig gestört. Er hatte damit nämlich gar nichts zu tun und war abwesend. Vielleicht hat auch das ein bisschen geholfen. Daher möchte ich ihm keinen Tadel aussprechen. Ich will aber deutlich machen: Derjenige, der der Motor dieses Vorhabens war und es viele Jahre lang in der Bundesregierung und innerhalb der CDU/CSU-Fraktion befördert hat, ist unser Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Dir, lieber Bernd Neumann, möchte ich ganz herzlich für deinen Einsatz danken. Die Künstler wissen ohnehin, dass du der Vater dieser Regelungen bist, und sind dafür dankbar. ({3}) Auch wir sind dankbar dafür, dass diese Regelung durch deine Anstrengungen möglich geworden ist. ({4}) Wir haben uns in der Tat darauf verständigt - der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen -, durch die Rentenschutzklausel der zum Teil gezielt geschürten Verunsicherung der Rentner ein Ende zu setzen. Wir tun dies nicht deswegen, weil wir wirklich glaubten, dass es nach der Rentenformel zu Rentenkürzungen kommen müsste. Die Wahrheit ist doch: All diejenigen, die uns jetzt vorwerfen: „Wieso macht ihr ein Gesetz, von dem ihr selbst sagt, das sei nicht nötig?“, würden uns sonst vor sich hertreiben mit dem Argument: Sind Sie etwa für Rentenkürzungen? Wenn nicht, warum unternehmen Sie dann als Gesetzgeber nichts dagegen? ({5}) Wir führen diese Schutzklausel ein, um den Rentnern in dieser Situation zu sagen: Es gibt keinen Grund für Konsumzurückhaltung. Einkommenskürzungen wird es nicht geben; dafür sorgen wir als Große Koalition. - Wegen all denen, die durchs Land laufen und den Menschen Angst machen, ist die Einführung dieser Schutzklausel richtig. ({6}) Es ist schon erstaunlich, dass die Linkspartei heute einen Entschließungsantrag vorlegt, in dem sie fordert, dass, sollten die Löhne einmal sinken, auch die Renten sinken müssen. Wir glauben nicht, dass es zu Lohnsenkungen kommen wird. Wir tun alles, um das zu verhindern. Das ist der Unterschied zwischen uns: Sie sind für Rentenkürzungen, ({7}) wir sind dafür, Rentenkürzungen auszuschließen. Das machen wir mit diesem Gesetz. ({8}) Wir werden heute auch die Regelungen für das Kurzarbeitergeld noch einmal deutlich verbessern, ({9}) weil wir wissen, dass wir in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation Gelder, die vorhanden sind ({10}) und die wir der erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre verdanken, in die Hand nehmen müssen, um all die Arbeitgeber und ihre Beschäftigten, die sich vorgenommen haben, diese wirtschaftliche Krise gemeinsam durchzustehen, zu unterstützen. Deswegen machen wir zusätzliche Angebote wie das Angebot, dass wir die Sozialversicherungsbeiträge vollständig übernehmen. Wir wissen, dass die Kurzarbeit ein Instrument ist, das wir in dieser Phase brauchen. Wir haben heute rund 1 Million Kurzarbeiter mehr als vor einem Jahr. Es wäre wünschenswert, wenn alle möglichst schnell wieder voll beschäftigt würden. Aber es ist gut, dass in diesen 1 Million Fällen Arbeitslosigkeit vermieden worden ist. Deswegen muss man sagen: Die Kurzarbeit ist ein erfolgreiches Instrument. Wir bauen dieses Instrument aus, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam durch diese wirtschaftliche Krise gehen können. Das ist richtig und auch im internationalen Vergleich vorbildlich. ({11}) Die Entscheidung, hier weitere Erleichterungen einzuführen, ändert nichts daran, dass Weiterbildung aller Beschäftigten notwendig ist. Insbesondere in Phasen der Kurzarbeit ist Weiterbildung sinnvoll. Deswegen bleibt es dabei, dass, wenn keine Weiterbildung stattfindet, die Sozialversicherungsbeiträge erst nach einer Karenzzeit von sechs Monaten vollständig übernommen werden. ({12}) Wer als Arbeitgeber von den Sozialabgaben befreit werden will, muss Weiterbildung organisieren. Weiterbildung liegt im Interesse der Beschäftigten wie der Arbeitgeber; auch dieses klare Signal geht von diesen gesetzgeberischen Maßnahmen aus. Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns mit diesen weiter gehenden Maßnahmen gelingen wird, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die wirtschaftliche Krise nicht zu stark auf den Arbeitsmarkt durchschlägt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist das letzte gesetzgeberische Vorhaben der Großen Koalition im Bereich Arbeit und Soziales. ({13}) Ich denke, man darf an dieser Stelle einmal darauf hinweisen, dass in der Zeit der Großen Koalition auf dem Arbeitsmarkt trotz der Krise, in der wir uns jetzt befinden, beachtliche Erfolge erzielt worden sind. Heute sind zwar mehr Menschen arbeitslos als vor einem Jahr, aber immer noch 350 000 weniger als im wirtschaftlichen Boomjahr 2007. ({14}) Die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht nach wie vor zurück. Wir haben heute weniger Langzeitarbeitslose als noch vor einem Jahr, vor der Krise. ({15}) Wir haben heute mehr Erwerbstätige als vor einem Jahr. Wir haben heute mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als vor einem Jahr. Wir haben heute mehr als 1 Million Arbeitslose weniger und eine Dreiviertelmillion sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr als an dem Tag, an dem Angela Merkel Bundeskanzlerin geworden ist. ({16}) Auch das muss man bei diesem Gesetzgebungsvorhaben noch einmal sagen dürfen. Wir knüpfen an eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik an, die sich nicht nur in Zahlen, sondern in einer konkreten Verbesserung der Lebenssituation vieler ehemals arbeitsloser Menschen und ihrer Familien niederschlägt. Darauf können wir am Ende der Großen Koalition gemeinsam stolz sein. Herzlichen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Volker Schneider für die Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es gehört: Wir beraten heute ein Omnibusgesetz. Auf der Fahrt befindet sich das SGB. Die Fahrgäste, die sich zwischenzeitlich in diesem Omnibus eingefunden haben, haben zum Teil sehr wenig miteinander zu tun. Es ist wie in jedem echten Omnibus im wahren Leben: Es gibt Fahrgäste, die uns vielleicht sympathisch sind, andere Fahrgäste schauen wir mit einem etwas anderen Auge an. ({0}) Manchmal kommt es auch vor - vielleicht ist Ihnen das ja auch schon so ergangen -, dass ein Fahrgast zusteigt und einem fast die Lust vergeht, weiterzufahren. So ist es auch den Kolleginnen und Kollegen ergangen, als am Mittwoch noch ein Änderungsantrag im Ausschuss präsentiert worden ist, mit dem den Grünen und der FDP die Lust am gemeinsamen Mitfahren gänzlich vergällt wurde. Um das schon jetzt anzukündigen: Wir werden uns bei diesem Antrag enthalten. Ich will aber noch einmal davor warnen, dies bereits als einen Erfolg der Politik der Großen Koalition zu werten, wie die Sozialdemokraten das im Ausschuss ja getan haben; denn dass die Linke nicht gegen einen Gesetzentwurf stimmen wird, in dem wichtige Forderungen aus früheren Anträgen der eigenen Fraktion aufgegriffen werden, sollten Sie nicht als Ihren Erfolg werten. Nein, es ist zunächst einmal und vor allen Dingen ein Erfolg meiner Fraktion, dass Sie unsere Anträge zwar reflexartig ablehnen, aber an unseren Forderungen letztlich nicht vorbeikommen und sie schließlich als eigene Anträge einbringen. ({1}) Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, die von uns im Rahmen unseres Konjunkturprogramms gefordert und von Ihnen abgelehnt wurde, ist heute Inhalt Ihres Gesetzesantrages. Gestern haben Sie unsere Forderung, dass eine Garantie dafür abgegeben wird, dass Leistungen der Sozialversicherung nicht gekürzt werden, noch in Bausch und Bogen abgelehnt. Heute beschließen Sie genau dieses für einen Zweig der Sozialversicherung, nämlich für die Rentenversicherung. Ihre gestern so heftig erhobenen Populismusvorwürfe fallen heute auf Sie selbst zurück. ({2}) Die Verbesserung für die Film- und Fernsehschaffenden haben wir bereits 2007 in einem ganz ähnlichen Antrag gefordert. Heute legen Sie einen ähnlichen vor, wobei ich allerdings sagen muss: Die Änderungen, die Sie dort vorgenommen haben, sind schon eine Verschlimmbesserung. Ein kleiner Fortschritt ist aber besser als gar keiner. Kurz zu einigen konkreten Inhalten des Gesetzes und vor allen Dingen zu dem, was der Kollege Brauksiepe in unsere Richtung angesprochen hat. Herr Brauksiepe, Ende April hat das Handelsblatt in einem eindeutig von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lancierten Bericht behauptet, dass die Löhne im Jahre 2010 um 2,3 Prozent sinken könnten, womit nach der aktuellen Gesetzeslage zwangsläufig auch die Renten sinken würden. In aller Deutlichkeit - ich habe das für meine Fraktion schon mehrfach gesagt -: Dadurch, dass ohne eine ausreichende Datenbasis eine derartige Spekulation in die Welt hinausposaunt wird, spielt man in völlig unverantwortlicher Art und Weise mit den Ängsten von Millionen Rentnerinnen und Rentnern. Das ist mit meiner Fraktion nicht zu machen. ({3}) Außerdem kann eine solche Panikmache zu dem führen, was man gemeinhin als Angstsparen bezeichnet; denn wenn Millionen Rentnerinnen und Rentner Angst haben, in der Zukunft noch ausreichend Geld zur Verfügung zu haben, dann werden sie das Vorhandene auf die hohe Kante legen und nicht mehr für den Konsum zur Verfügung stellen. Das führt zu einer Drosselung der Binnenkonjunktur, wodurch die Krise wiederum verschärft wird. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass diese Rentenschutzklausel heute hier beschlossen wird, um den Rentnerinnen und Rentnern in der Krise eine ausreichende Sicherheit zu geben. Ich sage allerdings auch ganz deutlich dazu: Diese Maßnahme ist hinreichend, aber auf gar keinen Fall ausreichend. Es wäre auch auf gar keinen Fall notwendig gewesen, diese Klausel sozusagen für die Ewigkeit zu beschließen, zumal ich gespannt darauf bin, lieber Herr Kollege Brauksiepe, wie viel diese Rentenschutzklausel nach dem 27. September 2009 noch wert sein wird. Das werden wir dann ja sehen. ({4}) Es hilft nicht weiter, nur eine Schutzklausel einzuführen, zumal - das ist ja ein interessanter Punkt - die Rentnerinnen und Rentner durch die Klausel nicht wirklich vor einer Kürzung geschützt werden; denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der Betrag, der jetzt nicht gekürzt wird, kommt auf ein - ich nenne es einmal so - Schuldkonto, das der Rentner oder die Rentnerin in Zukunft mit den Rentenerhöhungen in der Form abtragen muss, dass die Hälfte der Erhöhung mit diesen Schulden der Vergangenheit verrechnet wird. Im Westen haben wir auf diesem Schuldkonto bereits einen Kürzungsbedarf von 3 Prozent zu verzeichnen. Wenn Sie, Herr Scholz, und Ihr Vorgänger, Herr Müntefering, völlig zu Recht einräumen, dass in der nächsten Zeit mit Nullrunden zu rechnen ist, dann frage ich Sie, wann und wie Sie irgendwas wieder mit Erhöhungen verrechnen wollen, oder anders gefragt: Wie lange sollen die Rentnerinnen und Rentner in DeutschVolker Schneider ({5}) land diese Schulden vor sich herschieben, ohne die Chance zu haben, dass sie abgetragen werden? Was meinen Sie, wann es dazu kommt? 2015, 2018, am SanktNimmerleins-Tag oder wann auch immer? Insoweit ist eine Rentenschutzklausel, wie Sie sie praktizieren, in erster Linie ganz viel weiße Salbe zur Beruhigung der Rentnerinnen und Rentner und löst darüber hinaus kein einziges der damit verbundenen Probleme. Wenigstens die verzerrenden Wirkungen der Kurzarbeit auf die Berechnung der Löhne hätten Sie beseitigen können. In der Anhörung ist uns bestätigt worden, dass dies ein gangbarer Weg ist. Überraschenderweise hat die Deutsche Rentenversicherung Bund sogar festgestellt, dass darüber hinausgehende Schritte notwendig wären und das System zur Berechnung der Löhne an der Stelle vereinfacht werden müsste. Mit unserem Vorschlag hätte schon die Gefahr, dass die Löhne ins Minus sinken könnten, deutlich gesenkt werden können. Aber Sie lehnen den Antrag ab, und zwar trotz ausdrücklicher Nachfrage ohne ein einziges Wort der Begründung. Ich prophezeie Ihnen, dass Sie ähnlich wie damals, als Sie die von uns geforderte Herausnahme der 1-Euro-Jobs aus der Berechnung abgelehnt haben, um das drei Monate später als eigenen Antrag in den Deutschen Bundestag einzubringen, auch wieder auf die Frage der Berechnung der Löhne für die Rentenversicherung zurückkommen werden. Sie werden sich damit befassen müssen, wie man den Berechnungsmodus ändert. ({6}) Weiter haben wir in unserem Antrag gefordert, die beiden ausgesetzten Stufen drei und vier des RiesterFaktors endgültig aus der Berechnung herauszunehmen. Das hätte das Schuldkonto der Rentnerinnen und Rentner wenigstens um 1,27 Prozent entlastet. Damit hätte sich wenigstens ansatzweise eine realistische Perspektive eröffnet, auch wieder zu ungekürzten Rentenerhöhungen zu kommen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Sachverständige Professor Dr. Horn und selbst die Deutsche Rentenversicherung haben diesen Vorschlag als einen gangbaren Weg angesehen. Ihre Reaktion: Sie haben das abgelehnt. Begründung: null. Glauben Sie nicht, dass wir unter diesen Voraussetzungen Ihrem Antrag zustimmen können. Wirkungslose Placebos dürfen Sie gerne allein verteilen. Zu der Frage der Kürzung der Anrechnung des Kurzarbeitergeldes hat Herr Kolb das Notwendige gesagt. ({7}) Ich kann mich dem uneingeschränkt anschließen. Es ist eine Dreistigkeit und Unverschämtheit sondergleichen, wie Sie das durchgezogen haben. Sie haben sich an dieser Stelle dem Druck von Herrn Hundt unterworfen, Herr Scholz, und Ihre Fraktion hat die Faust in der Tasche geballt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schneider, achten Sie bitte auf das Signal.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, sofort. - Sie wissen alle genau, was Sie an dieser Stelle beschließen, aber Sie wollen Ihren Minister nicht im Regen stehen lassen. Die CDU/CSU ist in die Fraktionsdisziplin eingebunden. Nur der Kollege Rauen, dem ich ebenfalls meinen Respekt bekunde, hat sich getraut, das offen anzusprechen. Vor diesem Hintergrund können Sie froh sein, dass wir uns bei der Abstimmung nur enthalten werden. Selbst das machen wir noch zähneknirschend. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute diskutieren wir über einen Gesetzentwurf, von dem die Bundesregierung selbst sagt, das Gesetz werde eigentlich nicht gebraucht. Herr Scholz hat es mir schriftlich gegeben. Auslöser war eine Schlagzeile, dass es durch die Wirtschaftskrise zu Lohneinbußen und damit in den kommenden Jahren auch zu Rentenkürzungen kommen könnte. Die Reaktion des Arbeitsministers darauf erinnert mich ehrlich gesagt ein bisschen an Norbert Blüm: Die Rente ist sicher. ({0}) Denn kaum war diese schlechte Nachricht im Handelsblatt veröffentlicht, setzte Minister Olaf Scholz die Aussage Blüms in praktische Politik um. Noch am gleichen Tag verkündete er, er werde Rentenkürzungen per Gesetz ausschließen, auch wenn die Löhne sinken, und das für alle Ewigkeit. Die CDU/CSU wollte mit Blick auf ihre Wählerschaft nicht nachstehen, und so wurde in seltener Einmütigkeit eine Woche später im Kabinett ein Eilgesetz zur Rentengarantie beschlossen. ({1}) Einer der tragenden Grundsätze im deutschen Rentenrecht wurde außer Kraft gesetzt. Das inzwischen fast jährliche Herumdoktern an der Rentenformel ist nun das Ergebnis. Was darauf folgte, war eine kabarettreife Glanznummer der Großen Koalition. Minister Scholz beeilte sich, zu betonen, Beitragssteigerungen infolge der generellen Rentengarantie könnten ausgeschlossen werden. Dass zuvor Senkungen beantragt oder festgelegt waren, verschweigt er natürlich. Die Vertreter der Koalition beteuerten mehrfach, dieses Gesetz diene ausschließlich der Beruhigung der älteren Wählerschaft. Eigentlich sei eine solche Maßnahme nicht erforderlich, weil die Bundesregierung bei der Lohnentwicklung mit einem Plus von 1 Prozent rechne. Wenn die Löhne nun doch sinken wür25502 den, würden die nicht erfolgten Kürzungen ab 2011 nachgeholt. Glauben die Rentnerinnen und Rentner das, was ihnen die Regierung hier verkaufen will? ({2}) Wie bewerten die jüngeren Beschäftigten, die noch mehr als 20 Jahre einzahlen müssen, das Wahlgeschenk an die Rentnerinnen und Rentner? ({3}) Ist es nicht erstaunlich, dass ausgerechnet im Jahr der größten Wirtschaftskrise die Renten zunächst überdimensional steigen und das Grundprinzip der Rentenpolitik „Die Rente folgt den Löhnen“ plötzlich für immer außer Kraft gesetzt werden kann? Die Bevölkerung würde sich wirklich nicht wundern, wenn dieses Gesetz ganz offiziell den Titel „Rentnerberuhigungsgesetz“ tragen würde. ({4}) Aber was die meisten Rentner und Rentnerinnen nicht wissen, ist: Sie müssen für die Rentengarantie selbst zahlen. Sie erhalten nämlich eine Garantie auf Pump. Zusammen mit den bereits unterbliebenen Kürzungen müssen ab 2011 Rentenkürzungen in Höhe von unglaublichen 7 Prozent als Altlasten nachgeholt werden. So lautet die Auskunft der Deutschen Rentenversicherung in der Anhörung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass Sie den anderen Weg beschreiten werden und die höheren Ausgaben über Beitragssteigerungen kompensieren werden. Die Rentenversicherung hat einen Beitragsbedarf von 20,3 Prozent im kommenden Jahr errechnet, wenn die Lohnbezogenheit der Rente aufgegeben wird und die Bruttolöhne tatsächlich um 2,3 Prozent sinken. Das bedeutet eine Umverteilung von Jung auf Alt. Die Nachhaltigkeitslücke wird wieder vergrößert. Ich finde, Herr Minister Scholz, gerade in Zeiten der Krise ist Ehrlichkeit angesagt. ({5}) Die ehrliche Botschaft lautet doch: Den Rentnern kann in den nächsten Jahren keine Rentensteigerung garantiert werden, und auf die Beitragszahlenden wird eine steigende finanzielle Belastung zukommen. Alles andere ist nichts anderes als Wahlkampfmanöver. Ich finde, vertrauensbildend ist eine solche Politik nicht. Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, setzen die mühsamen Rentenreformen der letzten Jahre, die zum Teil schmerzhaft waren, aufs Spiel. Diese werden durch die Hintertür ad absurdum geführt. Aus Sorge - das ist Ihre Argumentation -, dass Ihnen die Opposition ein Wahlkampfthema aufzwingt, machen Sie ein Gesetz mit weitreichenden Konsequenzen für die Rentnerinnen und Rentner sowie die Beitragszahlenden. Sie zeigen sich spendabel, geben aber fremdes Geld aus. Wir Bündnisgrüne bleiben dabei: Niemand kann heute seriös einschätzen, wie stark die Wirtschaftskrise auf die Bruttolöhne durchschlägt. Deshalb wäre es viel klüger gewesen, im kommenden Frühjahr korrigierend einzugreifen, wenn die Entwicklung der Bruttolöhne tatsächlich schwarz auf weiß vorliegt. Besondere Zeiten verlangen nach besonderen Maßnahmen; das ist klar. Natürlich darf man nicht Schutzschirme über Banken aufspannen und die Rentner im Regen stehen lassen. Aber das kann man befristet für die Krise tun. Auch das hat der Chef der Deutschen Rentenversicherung in der Anhörung gesagt. ({6}) Dann hätte man nämlich in Kenntnis der genauen Zahlen im Frühjahr, falls überhaupt erforderlich, eine Korrektur vornehmen können. Dabei könnte man - ähnlich wie bei den 1-Euro-Jobs - die Wirkung der Kurzarbeit herausrechnen. Aber Ihre Vorgehensweise, ein vorbeugendes Versprechen für alle Zeiten abzugeben, ist unseriös. ({7}) Ich finde, mit diesem Versprechen streuen Sie Sand in die Augen der Beitragszahlenden sowie der Rentner und Rentnerinnen. ({8}) Ich komme zu einem anderen Thema, zur Verbesserung der Anwartschaften beim Arbeitslosengeld für Kulturschaffende, die bekannterweise oft nur für eine kurze Zeit geltende Arbeitsverträge haben. Es ist gut, dass Sie endlich das Problem erkannt haben, auf das wir Sie schon mit unserem Antrag im Jahre 2007 gestoßen haben. Die Umsetzung ist aber mehr als mangelhaft. 80 bis 90 Prozent der Betroffenen werden durch Ihre Lösung nicht erreicht, so der Sachverständige in der Anhörung. Wir Grüne wollen alle Beitragszeiten berücksichtigen, und zwar für alle Formen befristeter Beschäftigung und nicht nur auf Künstler beschränkt; denn in steigendem Maße sehen wir, dass viele Arbeitsverhältnisse ähnlich sind. Diese muss man gleich behandeln. ({9}) Ich komme nun zu den Änderungen beim Kurzarbeitergeld. Die Ausweitung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes in der jetzigen Krise begrüßen wir Grüne ausdrücklich. Doch auch hier werfen Sie ohne Not sinnvolle Ziele über Bord. Die vollständige Befreiung der Betriebe von den Sozialversicherungsbeiträgen war bisher an die richtige Bedingung der Weiterqualifizierung geknüpft. ({10}) Dass diese Bedingung künftig ab dem siebten Monat des Bezugs von Kurzarbeitergeld entfällt, ist ein falsches Signal. ({11}) - Der weiß, dass ich so wenig Redezeit habe. Deshalb spreche ich auch etwas schneller. ({12}) Es ist zu erwarten, dass viele Betriebe ihre Planung zur Qualifizierung der Beschäftigten einstellen werden. Das wird sich nach der Krise bitter rächen; denn dann fehlen die Fachkräfte. ({13}) - Ruhe! ({14}) Aber es gibt einen noch viel größeren Skandal. ({15}) Über Nacht hat die Große Koalition einen Änderungsantrag in den Ausschuss eingebracht, der vorsieht, dass ein Arbeitgeber, der in einem Teilbetrieb Kurzarbeit angemeldet hat, für seine gesamte Belegschaft eine hundertprozentige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge erhält - und das sogar rückwirkend. Hier kann ich mich ausdrücklich der Bewertung unseres geschätzten Kollegen Rauen anschließen, der gesagt hat: Das ist eine Ausplünderung der Sozialkassen zugunsten der Konzerne und zulasten der meisten mittelständischen Betriebe. Eine solche Politik ist mit uns Grünen nicht zu machen. Daher lehnen wir Ihren Antrag mit aller Entschiedenheit ab. Ich danke Ihnen. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Grotthaus für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will gleich am Anfang sagen: Es ist ein gutes Gesetz, aber über gute Dinge wird hier nicht gesprochen, zumindest nicht von der Opposition. ({0}) Vielmehr werden zwei Punkte herausgegriffen, die permanent als sehr problematisch dargestellt werden. Da Sie als Opposition uns aber zwingen, Stellung zu beziehen, will ich dazu etwas sagen. Dieses Gesetz beinhaltet mehrere Punkte, die sich auf die Arbeitsplätze, auf die Ausbildung und auf die Situation junger Menschen, die Lernschwächen haben, positiv auswirken. Wir haben die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Generalunternehmerhaftung für die Bauwirtschaft - eine positive Sache. Wir haben den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des freiwilligen Dienstes „weltwärts“, also für engagierte junge Leute, die ehrenamtlich tätig sind, eingeführt eine positive Sache. Wir haben die Nachzahlung bei anzurechnenden Kindererziehungszeiten - eine positive Sache. Wir haben Übergangsregelungen für Personalräte von fusionierenden Berufsgenossenschaften in der Unfallversicherung. Da kann keiner widersprechen. ({1}) Wir haben die Erhöhung der Flexibilität bei der Festlegung der Maßstäbe für die Verteilung der Mittel für Leistungen zur Beschäftigungsförderung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. All das wird hier nicht angesprochen. 34 Punkte haben wir, aber Sie als Opposition sprechen nur 2 Punkte an. ({2}) Das ist natürlich Ihr gutes Recht. ({3}) Wenn Sie aber kritisieren, dass wir mit diesem Gesetz Wahlkampf machen, dann stelle ich fest: Wenn dem so wäre, hätten wir Ihnen eine gute Vorlage gegeben. Denn das, was ich hier von Ihnen höre, ist ausschließlich Wahlkampf. ({4}) Wir haben den älteren Menschen gesagt, sie brauchten sich nicht verunsichern zu lassen und ihre Renten seien durch den Passus gesichert, den wir in dieses Gesetz hineingenommen haben. ({5}) Jetzt kommt die Umkehrung. Heute Morgen habe ich so einen Experten im Fernsehen gehört. Er sagte, wenn es so bleibt, dann werden die Beiträge steigen. - Jetzt werden die jüngeren Leute verunsichert. Das nenne ich ein Schüren des Generationenkonflikts. Das machen wir nicht mit. Das sei in aller Deutlichkeit gesagt. ({6}) Wir sehen das nicht als Ewigkeitsklausel an, wenn wir das so formulieren. ({7}) Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie und auch die Linke mehrere Male von der Ewigkeitsklausel gesprochen haben. Das zeugt davon, dass Sie uns zubilligen, bis in alle Ewigkeit in der Regierung zu sein. ({8}) Aber nach den demokratischen Gepflogenheiten hat jedes Parlament das Recht, Gesetze zu ändern oder sie zu belassen, wie sie sind. ({9}) Das müssen Sie wissen. Deswegen sage ich wiederum: Ihr Petitum läuft darauf hinaus, die Menschen zu verunsichern, Unruhe in der Bevölkerung zu schaffen; die Menschen sollen über etwas diskutieren, was angeblich Unsicherheit schafft und auf diese Weise tatsächlich zu Unsicherheit führt. Als zweiten Punkt haben Sie die Kurzarbeit angesprochen; auch sie ist hier strittig behandelt worden. Was Sie da machen, ist eigentlich, den Sozialpartnern in dieser Republik, die mit den Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Kasse der Arbeitslosenversicherung befüllen, zu unterstellen, sie plünderten selber diese Kasse. ({10}) Sagen Sie bitte Herrn Hundt, dass Sie unterstellen, dass es in dieser Republik verantwortungslose Unternehmer gibt, ({11}) die praktisch bereit sind, das eigene Geld, das sie eingezahlt haben, in unverantwortlicher Weise wieder herauszuholen. Ich kann Ihnen versichern: Die Gewerkschafter sind nicht so. Beide Sozialpartner haben in den letzten Monaten bewiesen, dass sie mit dem Kurzarbeitergeld sehr vorsichtig umgehen. ({12}) Wir gehen davon aus, dass dies so bleiben wird. ({13}) Ich bin dem Minister dankbar, dass er noch einmal auf die Probleme hingewiesen hat, die sich einstellen können, wenn junge Menschen in einem Betrieb arbeiten, der in die Insolvenz geht. Ich bin auch den IHKs und den Arbeitgebern dankbar, dass sie sich darum kümmern, dass junge Menschen dann nicht in die Arbeitslosigkeit gehen müssen, sondern einen Ausbildungsplatz haben. Dies zeigt - vielleicht passt Ihnen das nicht -, dass wir Sozialdemokraten sehr gute Kontakte zu den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern haben und zumindest ab und zu auf ihren Rat hören. Ein letzter Hinweis, Kollege Brauksiepe - ich komme gleich dazu, weshalb ich jetzt einen Rundumschlag mache -: ({14}) Sie haben gerade gesagt, Außenminister Steinmeier habe Gesetze Gott sei Dank deswegen nicht behindert, weil er nicht dabei gewesen sei. Ich sage Ihnen: Die Kanzlerin hat Gesetze verhindert. Die Arbeit der Jobcenter hätte nach Auffassung vieler Arbeitsmarktexperten vor dem 27. September geregelt werden müssen und geregelt werden können. ({15}) Dies ist auf Initiative der Kanzlerin nicht passiert. ({16}) Auch der Mindestlohn für Leiharbeitnehmer hätte umgesetzt werden können. Von wem, meine Damen und Herren, ist der flächendeckende Mindestlohn verhindert worden? Wir waren koalitionstreu. Aber ich sage Ihnen sehr deutlich, da wir schon ein bisschen Wahlkampf machen: Wir werden dies in den nächsten drei Monaten ansprechen und den Menschen in dieser Republik sagen, wie es aussehen wird, wenn es andere Mehrheiten geben sollte. ({17}) - Das glaube ich Ihnen; deswegen sitzen Sie da auch und trauen sich nicht, aufzustehen. Lassen Sie mich jetzt zum Abschluss kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie hören schon, der Ton wird versöhnlicher. ({18}) Dies war meine letzte Rede in diesem Hohen Haus. Ich werde für die neue Wahlperiode nicht mehr kandidieren. ({19}) Ich bin nicht traurig - ich sage das ganz offen -, ich bin auch nicht wehmütig; denn ich habe gehört - nur gehört -, dass es auch ein Leben nach der Politik geben soll. Ich bin gespannt, wie dieses Leben aussehen wird; denn ich habe 35 Jahre lang Politik in der Kommune und während drei Wahlperioden hier im Bundestag gemacht. Ich möchte allen Dank sagen für die tolle kollegiale Zusammenarbeit. An erster Stelle möchte ich natürlich meiner Fraktion und meiner Arbeitsgruppe danken, aber auch allen anderen Fraktionen, Kollege Schneider, quer herüber jetzt; im Wesentlichen war diese Zusammenarbeit sehr sachlich. Ferner möchte ich - ich bitte den Minister Scholz, das auszurichten - den Kolleginnen und Kollegen im Ministerium ein Dankeschön sagen. Ohne deren Hilfe wären wir an vielen Stellen - ich glaube, das gilt für alle hier im Haus - nicht ausgekommen. Weil hier nicht nur Juristen sitzen, hätten wir bei dem einen und anderen Punkt nicht verstanden, was tatsächlich dahintersteckt. Sie haben sehr oft darauf aufmerksam gemacht, um welche Punkte wir uns sehr intensiv kümmern sollten, und das war positiv. ({20}) Sollte sich in den drei Wahlperioden eine oder einer von Ihnen durch mich persönlich verletzt gefühlt haben, sage ich: Das war nicht gewollt; das würde mir auch leidtun. ({21}) Dank sagen möchte ich den Menschen, die mir in meinem Wahlkreis drei Wahlperioden lang ihr Vertrauen gegeben haben. Ein Kollege hat in seiner letzten Rede hier gesagt: Ich werde euch vermissen. Er meinte euch alle. Glaubt mir, dass das bei mir nicht der Fall ist; ich werde euch nicht vermissen. Aber ich werde demnächst gerne an die Zeit zurückdenken, in der ich mit euch gemeinsam hier sitzen durfte, um einen kleinen Beitrag zur Ausgestaltung von Gesetzen zu leisten, die im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Republik nötig waren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Ein herzliches Glückauf! ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Grotthaus, nicht nur der Beifall des gesamten Hauses, sondern auch die guten Wünsche aller Kolleginnen und Kollegen sollen Sie in dieses Leben nach der Politik begleiten. Vielleicht bekommen wir an der einen oder anderen Stelle Nachricht, wie sich das anfühlt. Das Wort hat nun der Kollege Gerald Weiß für die Unionsfraktion. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf aus der Debatte um dieses Gesetzesbündel einige Aspekte aufnehmen: Es ist gut, dass wir Künstlerinnen und Künstlern - typischerweise eher projektgebunden und zeitlich kurzfristig beschäftigt - mehr soziale Sicherheit geben können. Wer in diesem Zusammenhang - endlich haben wir eine Lösung gefunden - mit Recht Bernd Neumann nennt, der sollte den Namen Gitta Connemann hinzufügen; sie hat sich hier sehr eingesetzt. ({0}) Wir geben den Kulturschaffenden ein Stück mehr Gerechtigkeit beim Bezug des Arbeitslosengeldes während temporärer Arbeitslosigkeit. Das ist allseits gelobt worden. So viel zum konsensualen Teil dieser Debatte. Es ist gut, dass wir die Beschäftigungsbrücke Kurzarbeit weiterbauen und dass wir sie noch tragfähiger machen. Die Losung heißt: Kurzarbeit ist besser als Arbeitslosigkeit. ({1}) Wir haben Zug um Zug - mit dem Konjunkturpaket I, dem Konjunkturpaket II und dem Gesetzesbündel, das wir heute verabschieden - die Rahmenbedingungen für Kurzarbeit verbessert. Das, was Minister Scholz eingangs sagte, lässt sich mit Zahlen belegen: Die Kurzarbeit ist von 71 000 im Oktober 2008 auf 1,2 Millionen im März 2009 angestiegen. Man kann sagen: Das ist eigentlich keine gute Nachricht; das ist nicht schön. Kurzarbeit ist aber schöner und besser als Kündigung. Dass unsere Strategie aufgegangen ist, beweisen die Zahlen: Die gesamte volkswirtschaftliche Produktion ist um 6 Prozent gesunken; die Zahl der Erwerbstätigen ist hingegen um nur 0,5 Prozent gesunken. Allen Schlaumeiern, die in diese Diskussion eingreifen, muss man sagen: Wenn wir die Brücke der Kurzarbeit zur Überwindung der Krise nicht ausgebaut hätten, hätten wir heute 400 000 oder 500 000 Arbeitslose mehr. Das wäre schlechter und teurer als die Kurzarbeit. ({2}) Deshalb ist diese strategische Entscheidung richtig gewesen. Insgesamt trägt die Antikrisenpolitik dieser Koalition und dieser Bundesregierung Früchte; sie ist erfolgreich. Ich verweise auf die Einlagengarantie, auf die Finanzmarktstabilisierung, auf das Konjunkturpaket I und auf das Konjunkturpaket II. Allein aus den beiden Konjunkturpaketen resultierten Impulse für die Nachfrageseite und die Angebotsseite unserer Volkswirtschaft in einem Umfang von 80 Milliarden Euro. Das macht sich in der Wirtschaftsszenerie - das alles ist auch international abgestimmt - bemerkbar. Wir können heute sagen, dass diese scharfe Rezession - noch nie hat es einen Konjunkturrückgang in einem solchen Umfang gegeben; das Sozialprodukt geht um 6 Prozent zurück - umschlagen wird. Nach aller Zuversicht, die wir jetzt gewinnen können, können wir feststellen: Infolge dieser Politik wird es keine langjährige Depression in Deutschland geben. Darüber sind wir froh, und darauf sind wir auch stolz. ({3}) Ich will die Rentengarantie ansprechen. Es ist gut, dass wir diese Garantie geben. Es ist nicht klar, ob es zu einem Minus bei den Löhnen kommen wird. Die Regierung erwartet, dass es ein kleines Plus geben wird, sodass nach geltendem Recht an sich keine negative Rentenentwicklung zu besorgen wäre. Es kann aber auch ein kleines Minus geben, aber dann ausschließlich deshalb, weil wir die Kurzarbeit ausgeweitet haben. Es wäre doch grotesk, dass wegen der ganz bewusst getroffenen Entscheidung, die Kurzarbeit als eine Brücke in Krisenzeiten auszubauen, die Renten im Ergebnis gekürzt würden. Das wäre systemwidrig. Nicht diese Rentengarantie ist systemwidrig. Sie ist systemkonform. Es ist wichtig, den Menschen Sicherheit zu geben und diese Sicherheit zu gewährleisten. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spieth?

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Weiß, ich nehme Ihre Aussage sehr ernst, dass Ihnen diese Rentenschutzklausel wichtig ist. Erlauben Sie, dass man an dieser Aussage erhebliche Zweifel haben kann und man den Eindruck haben muss, dass dies möglicherweise am Ende doch wieder nur ein Wahlkampfmanöver ist. Frau Präsidentin, Sie gestatten, dass ich einen Abgeordneten der CDU, den „jugendpolitischen Rentensprecher“, Herrn Spahn, anführe, der heute Morgen im Morgenmagazin auf die Frage, warum seine Parteichefin, die Kanzlerin, bei der Einführung der Rentenschutzklausel mitmachen wolle, Folgendes geantwortet hat - ich zitiere wörtlich -: Gut. Es gibt offensichtlich verschiedene Erwägungen, die in solche Prozesse einführen. Sicherlich ist eine Sorge, dass insbesondere auch die Linkspartei, Lafontaine und Co., schon angekündigt haben, Rentner verunsichern zu wollen, im nächsten Jahr eine Kampagne fahren zu wollen mit dem Hinweis, dass Rentenkürzungen drohen könnten, was übrigens falsch wäre. Man will ebendiese Kampagnenfähigkeit der Linken sozusagen nicht möglich machen. Herr Spahn äußerte sich in den letzten Wochen ständig zu diesem Thema. Deshalb die Frage an Sie: Gilt für die Union die Rentengarantie bis zum 27. September, oder gilt diese Rentenschutzklausel auch nach dem 27. September? ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ob wir so großsprecherisch sein können und von einer ewigen Rentengarantie im Kolb’schen Sinne sprechen dürfen, weiß ich nicht. Aber wir nehmen diese Gesetzesänderung vor, um den Menschen dauerhaft Sicherheit zu geben, ({0}) Sicherheit auch gegen all die Gerüchte von Panikmachern und denjenigen, die den Menschen mit schnell produzierten Nachrichten Angst machen wollen. Das hat selbstverständlich einen politischen Bezug. Wir sind schließlich nicht im politikfreien Raum. Deshalb hat der Herr Kollege Spahn recht. ({1}) Wer so etwas in die Welt setzt, ist zweitrangig. Jedenfalls war es nicht nur in allen Zeitungen, sondern in allen Medien. Man hat begonnen, den Menschen zu suggerieren, ihre Renten seien nicht sicher und es sei eine negative Rentenentwicklung zu befürchten, und ihnen damit Angst gemacht. Das ist in der Sache nicht begründet und auch im Ergebnis nicht zu erwarten. Dass wir uns in dieser Situation entschlossen haben, zu handeln und Sicherheit zu geben, und zwar Sicherheit auf Dauer, halte ich für die richtige Konsequenz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. ({2}) Ein bisschen wehmütig, Kollege Grotthaus, bin ich schon. Aber auf der anderen Seite bin ich auch voller Vorfreude auf mehr Freiheit und mehr Familie und auch auf die neue schöne Aufgabe als Beauftragter des Bundes für die Sozialversicherungswahlen. ({3}) Da ich eben von der Rente gesprochen habe, will ich Ihnen eine Sache ans Herz legen: Sichern Sie dieses Rentensystem! Es ist das Herzstück des Sozialstaates. Ich bin davon überzeugt, dass es die umlagefinanzierte Rente auch morgen und übermorgen noch geben wird. In ihrer Anlage als beitragsbezogene Rente - das ist die Lebensleistung - und als lohngekoppelte Rente - das ist die Teilhabe - muss sie auch in der Zukunft gesichert und erhalten werden. Hinzu kommt: Die Rente muss auch in Zukunft armutsfest sein, so wie sie es in der Vergangenheit war; das ist eine ganz große Erfolgsstory. Sie muss aber auch demografiefest sein. Sie können mit Selbstbewusstsein den Panikern entgegentreten; denn das umlagefinanzierte Rentensystem hat Zukunft und wird auch zukünftig stabil sein. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich in diesem Sinne weiter für die Rente einsetzen würden. ({4}) Wie mein Kollege und - das sage ich trotz dieser kleinen Entgleisung - Freund Wolfgang Grotthaus möchte ich allen Bundestagskolleginnen und -kollegen herzlich danken, mit denen ich in diesen elf Jahren zusammenarbeiten und im Streit und im Konsens um Lösungen ringen durfte. Das hat es mir ermöglicht, zur Politik und zur Gesetzgebung dieses Landes einen kleinen Beitrag zu leisten. In diesen Dank schließe ich natürlich meine Freunde von der CDU/CSU-Fraktion und insbesondere die Mitglieder der Arbeitnehmergruppe meiner Fraktion ein, deren Vorsitzender ich seit mehr als neun Jahren sein durfte. Ich will besonders die Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales nennen. Ich sage der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin Dank, die sich trotz aller schwierigen Entscheidungen als eine Kanzlerin auch und gerade der kleinen Leute und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwiesen hat. Ich bedanke mich beim Bundesarbeitsminister und bei all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Zusammenarbeit in diesen Jahren. Gerald Weiß ({5}) Ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Ich hatte eine gute Zeit als Vorsitzender dieses Ausschusses. Ich bedanke mich bei meiner Stellvertreterin, Frau Krüger-Leißner, für die ganz hervorragende Zusammenarbeit. Meinen Dank erstrecke ich auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meinem Abgeordnetenbüro, in der Arbeitnehmergruppe und im Ausschusssekretariat. Ich beziehe in diesen Dank auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutschen Bundestages, unserer Fraktion und aller anderen Fraktionen mit ein. Der Dienst am Ganzen ist ein wunderbarer Auftrag. Ich wünsche Ihnen, dass Sie auch in Zukunft diesen Dienst am Ganzen mit Leidenschaft und Sachkompetenz - beides findet man reichlich bei den Sozialpolitikern weiter ausüben. Ich wünsche Ihnen dafür alles Gute und Gottes Segen. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weiß, Sie hören es: Auch Sie begleiten die guten Wünsche des gesamten Hauses in diesem neuen und sicherlich sehr spannenden Lebensabschnitt. Das Wort hat die Kollegin Andrea Nahles für die SPD-Fraktion.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Die Hoffnung kann ich Ihnen nicht machen, Herr Kollege. Ich stehe auf dem Listenplatz eins. Wir werden uns also auch weiterhin gemeinsam um den Sozialstaat kümmern. An die Adresse von Herrn Weiß und von meinem lieben Kollegen Wolfgang Grotthaus möchte ich sagen: Solange es solch engagierte und leidenschaftliche Streiter für diesen Sozialstaat, für die Arbeitsmarktpolitik und auch für die Rente gibt, wie Sie es über viele Jahrzehnte waren, mache ich mir keine Sorgen, dass die Sozialpolitik auf einem guten Weg ist. Auch von meiner Fraktion herzlichen Dank! ({1}) Wir werden heute das letzte Mal in dieser Legislaturperiode ausführlich über das breite Spektrum der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik reden. Es ist also gut, dass wir Bilanz ziehen. Die wesentliche Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen sollte, ist, dass unser Sozialstaat leistungsfähig ist. Er ist es! Mit Blick auf die Krise stellen wir fest, dass besonders Deutschland als Exportnation von einem Minus des BIP von 6 Prozent betroffen ist. Die Arbeitslosenzahlen zeigen jedoch eine gegenteilige Entwicklung. Im Unterschied zum Vorjahr können wir sogar einen leichten Anstieg der Erwerbstätigenquote verzeichnen. Das bedeutet, dass wir es - allen voran Arbeitsminister Olaf Scholz durch die Arbeitsmarktpolitik, insbesondere durch das rechtzeitige Aufsetzen der Kurzarbeit, geschafft haben, trotz dieser Krise die Arbeitsplätze der Menschen in den Betrieben zu stabilisieren und den Unternehmen die Möglichkeit an die Hand zu geben, Menschen weiterzubeschäftigen. Wir haben bewiesen, dass dieses Land mit seiner Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik leistungsfähig ist, sogar leistungsfähiger als andere vergleichbare Staaten auf europäischer bzw. internationaler Ebene. Das ist zum Ende der Legislaturperiode eine gute Nachricht. Das heißt nicht, dass wir uns zur Ruhe setzen. Im Gegenteil: Heute beschließen wir weitere Verbesserungen bei der Kurzarbeit. Die Anzahl der Bezugsmonate wird erhöht, die volle Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge ab dem siebten Monat wird gewährleistet. Wir arbeiten also weiter, und wir wollen weiterhin dafür sorgen, dass Betriebe in der Lage sind, die Menschen zu beschäftigen. Die gute Nachricht des Tages: Wir wollen, dass unser Sozialstaat Sicherheit in unsicheren Zeiten bietet. Es gibt einen schönen Satz von Kluge, der da lautet: Die Katastrophe ist nah, aber die Apokalypse ist von langer Dauer. Stellen Sie sich vor, wenn tatsächlich das eintreten würde, was manche von Ihnen von sich geben, dann hätten wir morgen kein Brot mehr. Wir müssten einpacken. Herr Raffelhüschen ist für mich ein gutes Beispiel. Wir bleiben dabei: Es ist wichtig, in unsicheren Zeiten für Sicherheit zu sorgen. Deswegen haben wir eine Rentenkürzung ausgeschlossen. ({2}) Wir schaffen mit unserem Arbeitsmarkt- und Sozialsystem auch Perspektiven. Ich möchte nicht, dass junge Menschen die ersten Opfer der Krise werden. Diese Gefahr besteht leider. Die Übernahme junger Auszubildender funktioniert leider nicht mehr automatisch, weil junge Leute bei der Sozialauswahl die schlechteren Karten haben, da sie keine Familie zu ernähren haben. Deswegen bedanke ich mich bei Olaf Scholz dafür, dass er klar definiert hat, dass wir gerade den jungen Menschen eine Chance geben müssen. Es kann nicht sein, dass wir im Jahr der Krise die Ausbildungszahlen herunterschrauben. 600 000 Auszubildende müssten es sein, weil wir die jungen Menschen im nächsten Aufschwung dringend brauchen werden. Das ist gewiss. Deshalb mein Dank an Olaf Scholz und seine Bemühungen! ({3}) Ich weise darauf hin, dass im Vergleich zu den 90erJahren, als wir eine Ausbildungs- und Arbeitsmarktkrise hatten, viele Unternehmen diesen Umstand erkannt haben. Es hat ein Umdenken stattgefunden. Die Unternehmen sind nicht mehr so schnell dabei, Leute freizusetzen, wie es oft euphemistisch heißt. Auch dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Man kann zu Recht behaupten, dass die Sozialpartnerschaft in unserem Land funktioniert. Sie ist ein hohes Gut. Bisher war es so, dass die Deutschen für ihren „Mitbestimmungsspleen“ belächelt wurden. Nun zeigt sich, dass wir in Deutschland mit der Sozialpartnerschaft, die seit Jahrzehnten aufrechterhalten wird, in der Lage sind, Konflikte besser zu regeln als andere Länder, die viel Kraft darauf verwenden, überhaupt zusammenzufinden. Bei uns ist das eine gut geölte, funktionierende Partnerschaft, auf die wir in dieser Krise setzen können. Das ist auch eine gute Nachricht. ({4}) Wir wollen den Wandel gestalten. Deswegen bin ich froh, dass es gelungen ist, für Künstler und alle, die typischerweise nur kurz beschäftigt sind, eine neue Wegstrecke aufzuzeigen. Ich sage ausdrücklich: Ich halte das für einen ersten richtigen Schritt. Es ist zwar keine Weichenstellung, die schon ausreicht; aber wir haben es geschafft, dass auch denen, die meist nur kurz beschäftigt sind, Arbeitslosengeld-I-Ansprüche gewährleistet werden können; was besonders bei Künstlerinnen und Künstlern der Fall ist. Darüber bin ich sehr froh. Auch das ist eine gute Nachricht. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Nahles, ich möchte Ihnen gerne zwei Fragen stellen. Ich habe mich darüber gefreut, dass unser Arbeitsminister heute diese Gesetzesinitiative für den Bereich der Künstler und Filmschaffenden eingebracht und vertreten hat, dass das ein richtiger Schritt ist. Herr Brauksiepe, Herr Weiß, Sie alle haben das begrüßt, darüber freue ich mich auch. Wir haben es geschafft, die strukturelle Benachteiligung dieses Personenkreises endlich zu beenden. Das ist ein Anfang. ({0}) Aber bis dahin war es ein sehr langer Weg. Ich möchte zwei Fragen stellen. Meine erste Frage ist: Warum hat das eigentlich so lange gedauert? Eine Enquete-Kommission hat darüber beraten, wir haben schon im letzten Jahr einen Vorschlag dazu eingebracht, und jetzt liegt ein Kompromissvorschlag vor. ({1}) Wir haben mit vielen Verbänden und Betroffenen gesprochen und versucht, ihre Forderungen aufzunehmen. Aber wir wissen auch: Es sind noch ein paar Wünsche und Forderungen - auch der kurzfristig Beschäftigten in unserem Land - offen. ({2}) Meine zweite Frage ist: Warum sprechen wir von einem ersten Schritt? Was bedeutet das? Können die Arbeitnehmer Vertrauen in diesen Bereich haben, wenn wir von einem ersten Schritt sprechen? Was haben wir vor?

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. Ich kann das ganz knapp beantworten. Erstens hat es so lange gedauert, weil einige - unter anderem die Enquete-Kommission - einen Vorschlag erarbeitet haben - das sogenannte Schweizer Modell -, der in Deutschland bedauerlicherweise verfassungsrechtlich so nicht umsetzbar ist. Trotzdem wurden die Hoffnungen, dass man dieses Modell umsetzen kann, immer wieder genährt. Wir haben viel Zeit in den Dialog mit den Künstlerinnen und Künstlern investiert, um deutlich herauszuarbeiten, dass das nicht möglich ist, es aber eine Alternative gibt, nämlich - das hatten wir vorgeschlagen - die Verlängerung der Rahmenfrist für alle auf drei Jahre. Das konnte aber wiederum mit unserem Koalitionspartner nicht umgesetzt werden. Ich bin trotzdem froh, dass wir heute einen ersten Schritt gehen können. Sie fragen als Zweites, warum das nur ein erster Schritt ist. Das kann ich auch ganz klar beantworten: weil wir der Auffassung sind, dass die Beschäftigungsform der typischerweise kurzfristig Beschäftigten wahrscheinlich in Zukunft noch zunehmen wird und wir darauf noch keine adäquaten Antworten in der Sozialversicherung haben, da sie auf langfristige Beschäftigungsverhältnisse angelegt ist. Deswegen freue ich mich, dass der Haushaltsausschuss ein Monitoring verabredet und uns auferlegt hat, die weiteren Schritte zu begleiten. Ich denke, Frau Kollegin, dass wir in der nächsten Legislaturperiode an dieser Stelle ganz gewiss weiterarbeiten werden. In diesem Sinne will ich zum Abschluss meiner Rede kommen: Es ist viel geschafft, aber wir haben noch nicht alles erreicht, was wir für notwendig halten, insbesondere einen flächendeckenden Mindestlohn, eine gute Lösung für die Jobcenter, so wie sie zwischen Bund und Ländern entwickelt worden ist, und nicht zuletzt mehr Initiativen für junge Menschen. Wir jedenfalls freuen uns schon auf die nächste Regierungszeit. Das ewige Licht leuchte uns dabei. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die Unionsfraktion.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute werden wir zum Ende dieser Legislaturperiode hin noch ein entscheidendes Gesetz für die soziale SiMax Straubinger cherung der Menschen in unserem Land verabschieden. Ich glaube, man sollte dabei richtigerweise daran erinnern, dass wir in diesen vier Jahren in gemeinsamer Arbeit eine gute Grundlage geschaffen haben, um unseren Sozialstaat zu sichern. Vor allen Dingen haben wir eine finanzielle Grundlage erarbeitet, mit der wir in dem aktuell wirtschaftlich sicherlich schwierigen Umfeld den Menschen weiterhin soziale Sicherheit gewährleisten und neuen Herausforderungen begegnen können. Ich möchte daran erinnern, dass diese Regierung unter Angela Merkel in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik hervorragende Ergebnisse vorzuweisen hat. Wir können trotz der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen weit mehr Beschäftigungen aufweisen. Damit ist die Grundlage für die soziale Sicherung der Menschen geschaffen. Wir haben aber auch mit sehr vielen Reformen, zum Beispiel der Organisationsreform der gesetzlichen Unfallversicherung, für die Zukunft ein besseres Gerüst geschaffen. Wir haben in gemeinsamer Arbeit unter tariflichen Gesichtspunkten für Branchen Mindestlöhne vereinbart, die aufgrund freier Vereinbarungen der Tarifpartner entstanden sind. Damit setzen wir die Politik fort, die unter Minister Blüm und dem seinerzeitigen Staatssekretär Heinrich Kolb begründet worden ist. Natürlich haben wir auch die finanziellen Grundlagen unserer sozialen Sicherungssysteme verbessert. Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, ist sicherlich auch ein Ausdruck der Stärke unseres Sozialstaates unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen. Es muss dann allerdings auch neuen Herausforderungen standhalten. Heute ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass man sich in der Politik natürlich mit den Duftmarken auseinanderzusetzen hat, die tagtäglich gesetzt werden, ob sie nun richtig oder falsch sind. In der Regel belegt jeder seine Annahmen letztendlich mit Rechnungen. Professoren wollen damit natürlich auch in die Schlagzeilen kommen. Dies muss die Politik in der Diskussion mit aufnehmen. Den dadurch entstehenden Verunsicherungen der Menschen muss man natürlich entgegenwirken. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Rentensicherungsklausel, die wir heute verabschieden, ein richtiges Instrument; ({0}) denn damit stärken wir die Sicherheit in unserer Gesellschaft und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Sozialstaat. Damit komme ich zu dem zweiten Beispiel dafür, dass wir auf die Herausforderungen reagiert haben, die Finanzkrise und die mit ihr einhergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzufedern. Wir können sie zwar nicht verhindern. Als Bundesregierung und als Parlamentarier sind wir aber natürlich gehalten, Antworten darauf zu geben. Dies haben wir mit der Ausweitung des Kurzarbeitergeldbezuges getan. Das war richtig und wird auch von allen anwesenden Fraktionen unterstützt. Heute streiten wir uns darüber, welche Folgen diese Ausweitung haben wird. Manche befürchten, dass der erleichterte Bezug von Kurzarbeitergeld, und zwar in vollem Umfang - entsprechend der betrieblichen Regelung, wie sie jetzt geschaffen und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden wird -, schamlos ausgenutzt wird. Nicht nur der Kollege Kolb, sondern auch andere haben darauf hingewiesen. Im Übrigen verstehe ich nicht, dass auch die frühere Kollegin Buntenbach sich negativ dahin gehend geäußert hat, dass dies möglich sei. Natürlich kann man über diese Maßnahme in der Sache durchaus streiten. Die Alternative dazu ist aber, dass es mehr Arbeitslosigkeit geben könnte. ({1}) Herr Kollege Kolb, diese Arbeitslosigkeit müssten alle Betriebe, ob Klein-, Mittel- oder Großbetriebe, genauso mitfinanzieren, wie sie letztendlich diese Ausweitung des Bezugs von Kurzarbeitergeld zu bezahlen haben. ({2}) Somit ist es meines Erachtens auch gerechtfertigt, wenn wir dies heute verabschieden. Ein letzter Punkt zur Rente: Ich bin stolz darauf, dass wir jetzt eine Gleichstellung von Versicherten in berufsständischen Versorgungswerken erreichen, bei denen in der Vergangenheit die Kindererziehungszeit nicht angerechnet wurde, obwohl das in der gesetzlichen Rentenversicherung möglicherweise schon der Fall war. Jetzt werden Kindererziehungszeiten unabhängig von -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Straubinger, das ist erkennbar nicht Ihre letzte Rede im Hohen Hause. Ich bitte Sie also, zum Schluss zu kommen.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Frau Präsidentin. Ich komme auch gleich zum Schluss. Im Übrigen freue ich mich darauf, im neuen Deutschen Bundestag wieder hier stehen zu dürfen. ({0}) Es ist auch wichtig, hier darzulegen, dass damit alle Frauen - oder auch Männer, denen solche Zeiten zugeordnet werden - die gleiche Kindererziehungszeit angerechnet bekommen wie im gesetzlichen Sicherungssystem. Darauf können wir stolz sein. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserer Gesetzesvorlage. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Mir liegen drei Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von dem Kollegen Karl Schiewerling, dem Kollegen Wolfgang Meckelburg und der Kollegin Maria Michalk, alle aus der Unionsfraktion. Entsprechend unseren Regeln neh- men wir diese Erklärungen zu Protokoll.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13424, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12596 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13487. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 58 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zur Verantwortung des Bundes für die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung - Drucksache 16/12892 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Innenausschuss Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Antje 1) Anlage 6 Tillmann für die Unionsfraktion, Bernd Scheelen für die SPD-Fraktion, Frank Schäffler für die FDP-Fraktion, Katrin Kunert für die Fraktion Die Linke und Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12892 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 61 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus - Drucksache 16/12855 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({1}) - Drucksache 16/13417 - Berichterstattung: Abgeordneter Willi Zylajew Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Willi Zylajew für die Unionsfraktion, Hilde Mattheis und Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion, Dr. Erwin Lotter für die FDP-Fraktion, Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke und Elisabeth Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.3) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in der Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13417, den Gesetzentwurf der Fraktio- nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12855 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da- gegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unions- fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Uni- onsfraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 60 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Jerzy Montag, Kai Gehring, Dr. Uschi Eid, weite- 2) Anlage 7 3) Anlage 8 Vizepräsidentin Petra Pau rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Jugendstrafrecht im 21. Jahrhundert - Drucksachen 16/8146, 16/13142 - Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Siegfried Kauder für die Unionsfraktion, Jörg van Essen für die FDP-Fraktion, Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke, Jerzy Montag für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.1) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 64 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes, des Europol-Auslegungsprotokollgesetzes und des Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. November 2003 zur Änderung des Europol-Übereinkommens und zur Änderung des Europol-Gesetzes - Drucksachen 16/12924, 16/13114 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 16/13381 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Frank Hofmann ({3}) Ulla Jelpke Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Clemens Binninger für die Unionsfraktion, Frank Hofmann für die SPD-Fraktion, Christian Ahrendt für die FDP-Fraktion, Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke und Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Europäische Polizeiamt Europol ist seit seiner Gründung im Jahr 1995 ein Beispiel für die immer engere europäische Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen. Euro- pol ist eine der zentralen Säulen der Verbrechensbekämp- fung im europäischen Rahmen. Europol hat die Aufgabe, die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den Mitglied- staaten bei der Bekämpfung schwerwiegender Formen internationaler Kriminalität zu verbessern. Europol spei- chert und analysiert Informationen zur grenzüberschrei- tenden organisierten Kriminalität, stellt Informationen zur Verfügung und unterstützt mit seiner Analysekompe- tenz Ermittlungen in den EU-Staaten. 1) Anlage 9 Wenn wir die Terroranschläge und Anschlagsvorbereitungen der letzten Jahre in Europa, OK-Prozesse, Schleuserei und Menschenhandel, betrachten, wird deutlich, warum europaweiter Polizeiarbeit eine immer größere Bedeutung zukommt. Kriminalität und Terrorismus sind in einer globalisierten Welt zunehmend international und machen keinen Halt an Landesgrenzen und nationalen Zuständigkeiten. Wegfallende Grenzkontrollen im vereinten Europa führen auch zu größerer Bewegungsfreiheit terroristischer und krimineller Gruppierungen. Wenn aber die Vernetzung immer mehr zunimmt, ist der einzelne Staat nicht mehr in dem Maße in der Lage, Sicherheit zu garantieren, wie in früheren Jahrzehnten. Eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ist daher unverzichtbar. Das stellt uns vor neue Herausforderungen, vor gemeinsame Herausforderungen bei der Kooperation auf europäischer Ebene. Europol ist seit den 90er-Jahren eine Antwort der EU auf diese Herausforderungen. Mit dem Gesetzentwurf zu Europol, den wir heute beschließen, bringen wir eine Entscheidung zu Ende, die eigentlich schon 1992 im Vertrag von Maastricht angelegt war. Europol ist im Vertrag über die Europäische Union eigentlich als primärrechtliche Institution der EU vorgesehen. Trotzdem wurde 1995 eine sekundärrechtliche Lösung in Form eines völkerrechtlichen Vertrags für die Gründung von Europol gewählt. Mit dem vorliegenden Gesetz setzen wir einen Ratsbeschluss aus dem April 2009 um und überführen Europol vollständig in den Rechtsrahmen der Europäischen Union. Der Europol-Beschluss orientiert sich dabei eng am Europol-Übereinkommen von 1998. An den Kernkompetenzen werden keine Änderungen vorgenommen. Weiterhin wird Europol für den Informationsaustausch, für das Sammeln und Analysieren von Erkenntnissen, die Unterstützung der Mitgliedstaaten, Fortbildungen und technische Unterstützung zuständig sein. Außerdem wird Europol die zentrale Kontaktstelle zur Bekämpfung von EuroFälschungen sein. Neu wird sein, dass Europol zukünftig nicht mehr unmittelbar durch Mitgliedstaaten, sondern durch einen eigenen Zuschuss aus dem EU-Haushalt finanziert wird. Mit dem Beschluss wird außerdem für die Beamten von Europol das Dienstrecht der Europäischen Gemeinschaften gelten. Die wichtigste Änderung, die wir vornehmen, ist die Erweiterung des Mandatsbereichs. Bisher kann das Europäische Polizeiamt nach dem Europol-Übereinkommen nur dann bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität aktiv werden, wenn erstens eine kriminelle Organisationsstruktur und zweitens mindestens zwei Mitgliedstaaten erheblich betroffen sind, sodass ein gemeinsames Vorgehen notwendig ist. Mit dem Europol-Beschluss, den wir heute umsetzen, entfällt das Erfordernis des Vorliegens einer kriminellen Organisationsstruktur. Damit kann Europol in Zukunft bei allen Formen internationaler Kriminalität tätig werden. Mit dem Europol-Beschluss setzen wir die Rahmenbedingungen dafür, dass das Europäische Polizeiamt auch zukünftig erfolgreich arbeiten kann und zu mehr Sicherheit in Europa beiträgt.

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die europäische Polizeibehörde soll ab dem 1. Januar 2010 vollständig in den Rechtsrahmen der Europäischen Union überführt werden, denn mit dem Europol-Beschluss, der ab dem 1. Januar 2010 gilt, wird das bislang geltende Europol-Übereinkommen ersetzt. Europol wurde 1992 im Vertrag von Maastricht festgeschrieben, war seit 1999 voll arbeitsfähig und als unabhängige Einrichtung der Europäischen Union institutionalisiert, die zum Bereich der polizeilichen und institutionellen Zusammenarbeit in Strafsachen gehörte. Die Folge: Die Finanzierung von Europol erfolgt nicht mehr unmittelbar durch die EU-Mitgliedstaaten, sondern durch einen Zuschuss aus dem Haushaltsplan der EU direkt. In diesem Zusammenhang wird nun auch der Mandatsbereich dieser europäischen Polizeibehörde erweitert, zu dessen Umsetzung dieser Gesetzentwurf dient. Hatte bislang Europol seine Aufgaben bei der Bekämpfung schwerwiegender internationaler Kriminalität nur dann wahrzunehmen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine kriminelle Organisationsstruktur vorlagen, kann Europol künftig bei allen schwerwiegenden Folgen der internationalen Kriminalität aktiv werden. Das ist vernünftig. Denn oftmals ist erst beim Abschluss der Ermittlungen und nicht bereits im Anfangsstadium der Ermittlungen überhaupt erkennbar, ob eine kriminelle Organisationsstruktur vorliegt oder nicht. Weiterhin müssen künftig die Behörden von Bundespolizei, Zollfahndungsdienst und Länderpolizeien nicht wie bisher über die Landeskriminalämter den Datenaustausch mit den deutschen Verbindungsbeamten betreiben, sondern können direkt mit den Verbindungsbeamten bei Europol kommunizieren, soweit ein nationaler Koordinierungsbedarf nicht erkennbar ist und damit der Geschäftsgang beschleunigt wird. Klar ist, dass damit das Bundeskriminalamt als Zentralstelle für den Verkehr mit ausländischen Polizeibehörden keine besondere Stellung einnimmt. Die Umsetzung dieses Europol-Beschlusses ist kein großer Schritt. Ich hätte mir vorstellen können, dass man in diesen Zusammenhängen sich auch hätte dafür entscheiden können, die Euro-Falschgeldkriminalität zentral von Europol bearbeiten zu lassen. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass die EU-Subventionskriminalität zentral von Europol aus bekämpft wird. Und ich hätte mir zum Dritten vorstellen können, dass Teile des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, OLAF, in Europol integriert werden. Nichts davon ist in diesem Europol-Beschluss enthalten. Es bleibt im Großen und Ganzen bei den jetzt eingeschliffenen Formen der Zusammenarbeit, ohne dass zur weiteren Zukunft von Europol grundlegend neue Schritte gemacht werden. Ob das genügt und in den nächsten Jahren als Grundlage trägt? Ich bin damit nicht zufrieden. Aber diesem Gesetz kann man trotzdem getrost zustimmen. Es bringt keine wesentlichen Verschlechterungen, aber auch keine wesentlichen Änderungen. Nur die Finanzierung erfolgt aus einem anderen Topf.

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Heute beraten wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Europol-Gesetzes. Durch diesen Entwurf soll der sogenannte Europol-Beschluss in deutsches Recht umgesetzt werden. Europol ist ein zentraler Baustein der europaweiten Kriminalitätsbekämpfung, denn die Kriminalität macht an nationalen Grenzen nicht halt. In einem gemeinsamen Raum der Freiheit und der Sicherheit ist daher die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden unerlässlich. Die Effizienz des europäischen Polizeiamtes zu steigern, ist damit ein wichtiges und richtiges Anliegen. Es steht außer Frage, dass die Arbeit von Europol von enorm großer Bedeutung ist. Dennoch lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den Entwurf zur Änderung des Europol-Gesetzes ab. Gerne möchte ich Ihnen die Gründe für unsere Haltung erläutern. Durch den Europol-Beschluss entfällt das Erfordernis des Vorliegens einer kriminellen Organisationsstruktur, sodass Europol nun bei allen schwerwiegenden Formen der internationalen Kriminalität tätig werden kann. Diese Erweiterung des Mandats von Europol mag geringfügig erscheinen, dennoch erschließt sich mir nicht die Notwendigkeit. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass in kleinen, aber sicheren Schritten eine „echte“ Polizei auf europäischer Ebene eingerichtet werden soll. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt schon die Schaffung einer echten Polizei auf Bundesebene beim BKA ab, das gilt erst recht für eine derartige Polizei auf europäischer Ebene. Ich gebe zu, die Erweiterungen finden in einem kleinem Maße statt, doch hier gilt der Satz: Wehret den Anfängen. Vorliegend ist es von besonderer Bedeutung, da hier nicht die gleichen Rechtsstaatsvorschriften wie auf nationaler Ebene gelten. Daran knüpft ein weiteres Problem an, das aus den Folgen der Kompetenzerweiterung resultiert. Dort, wo Befugnisse ausgedehnt werden, muss adäquat dazu die rechtsstaatliche Kontrolle verbessert werden. Bereits bei der Verabschiedung des Vertrages von Lissabon hatte die FDP-Bundestagsfraktion betont, dass bei Schaffung von neuen Maßnahmen vor allem darauf zu achten ist, dass eine ausreichend parlamentarische Kontrolle sichergestellt wird sowie rechtsstaatliche Schutzmechanismen für Bürgerinnen und Bürger gegeben sein müssen. Mehr Befugnisse ohne mehr Kontrolle sind mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Daher muss zunächst geklärt werden, wie die gerichtlichen und parlamentarischen Kontrollen verbessert werden können, bevor Europol einen Kompetenzzuwachs erfährt. Ein anderes Problem, weshalb die FDP-Bundestagsfraktion den Gesetzentwurf ablehnen muss, ergibt sich aus der Ausdehnung des Datenaustausches. Nunmehr erhalten die Behörden der Bundespolizei und des Zollfahndungsdienstes sowie die Polizeien der Länder anstatt der bisher allein berechtigten Landeskriminalämter die Möglichkeit, unmittelbar mit den deutschen Verbindungsbeamten bei Europol Daten auszutauschen. Eine Einschränkung gibt es dahin gehend, dass der Datenaustausch zur Bescheinigung des Geschäftsganges erforderlich und ein nationaler Koordinierungsbedarf nicht erkennbar ist. Zu Protokoll gegebene Reden Auch diesbezüglich ist die Notwendigkeit nicht ersichtlich. Die Begründung beschränkt sich ausschließlich darauf, dass aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen der Behörden auch Überschneidungen mit Europol vorhanden seien und deshalb ein Datenabgleich auch für die neu hinzugekommenen Behörden unerlässlich sei. Zudem würden durch die Unmittelbarkeit des Datenaustausches Reibungsverluste und zeitliche Verluste vermieden. Zeitliche Beschleunigung kann aber eine erweiterte Datenübermittlungsmöglichkeit nicht rechtfertigen. So hat auch diesbezüglich die FDP-Bundestagsfraktion in ihrem Entschließungsantrag zum Vertrag von Lissabon gefordert, im Rahmen der Arbeit von Europol den Datenschutz strikt zu beachten. Europol darf nicht zum Ausweichhafen für eine Umgehung des Datenschutzes werden. Ich bezweifle stark, ob diese Problematik von unserer Regierung überhaupt erkannt wird. Dies basiert auf der Erkenntnis, dass demjenigen, der schon hierzulande ständig versucht, die Datensammlungen verschiedener Behörden auszuweiten, die erforderliche Sensibilität fehlt. Und auch auf Ebene der EU-Kommission fehlen leider das Bewusstsein und die Achtung vor dem angemessenen Umgang mit personenbezogenen Daten. Wer beispielsweise eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung beschließt, dem darf man nicht im blinden Vertrauen alles abnehmen. Die Zukunft von Europol ist ein sehr wichtiges Thema, mit dem wir mit Bedacht und Sorgfalt umgehen müssen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Heute liegt uns ein Gesetzentwurf zur Abstimmung vor, der zunächst einmal formal die geänderte Verfasstheit von Europol in die deutsche Gesetzeslage überführen will. Bislang beruhte das Europäische Polizeiamt auf einem Übereinkommen, das per Ratifikationsgesetz für Deutschland in Kraft trat. Dieses Übereinkommen ist nun durch einen Beschluss des EU-Rates ersetzt worden, das deutsche Europolgesetz wird redaktionell angepasst. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Die ganze Richtung der Konzeption des Europäischen Polizeiamtes passt uns nicht. Der Ausbau der repressiven Strukturen der EU geht weiter, ohne dass es einen entsprechenden Grundrechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger gäbe. Zentralisierungstendenzen, wie wir sie aus Deutschland kennen, setzen sich auf EU-Ebene fort - nicht zuletzt auf Betreiben des deutschen Innenministeriums. Und wir lehnen es ab, dass die Datenübermittlungsbefugnisse für Polizeibehörden im Gesetzentwurf noch über das hinausgehen sollen, was der Ratsbeschluss fordert. Der Kreis der Behörden, der nun unmittelbar befugt ist, mit Europol Daten auszutauschen, wird deutlich ausgeweitet. Bisher war dies allein den Landeskriminalämtern vorbehalten. Nun werden alle Polizeibehörden der Länder, die Bundespolizei, der Zollfahndungsdienst und das Zollkriminalamt zu Eingabe und Abruf von Daten in bzw. aus dem Europol-Informationssystem befugt. Dabei müssen sie nicht mehr den technischen „Umweg“ über das Bundeskriminalamt gehen, sondern können auch unmittelbar mit den deutschen Verbindungsbeamten bei Europol in Kontakt treten. Positiv zu vermerken ist lediglich, dass nun die Sonderregelungen für die Europol-Bediensteten, die einer teilweisen Immunität gleichkamen, damit ebenfalls Geschichte sind und die Europol-Bediensteten nun allen anderen EU-Bediensteten gleichgestellt sind. Das ändert aber nichts an unseren wesentlichen Kritikpunkten. Ich will hier drei nennen. Erstens: Europol fungiert wie eine fast unkontrollierbare suprastaatliche Polizeibehörde. Sie wird nicht durch eine europäische Staatsanwaltschaft kontrolliert und geleitet, alle dort eingesetzten Beamten unterliegen in erster Linie der juristischen Kontrolle durch die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden der Entsendestaaten. Die nationalen Einschränkungen von Grundrechtseingriffen können umgangen werden, indem der Eingriff zumindest formal in ein anderes Land verlegt wird. Zum Beispiel: Wenn in einem Staat die Voraussetzungen für einen Lauschangriff nicht vorliegen, liegen sie vielleicht in dem anderen vor. Erkenntnisse aus Ermittlungen in einem anderen EU-Staat können in hiesige Ermittlungsverfahren einfließen, ohne dass für die Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung nachvollziehbar ist, ob der Lauschangriff auch hier rechtsmäßig gewesen wäre. Der Grundrechtsschutz hinkt wie immer hinterher. Zweitens: Durch den Europol-Beschluss erfährt die Politik des freien Datenverkehrs in der EU eine weitere Eskalation. Es ist immer weniger nachvollziehbar, was mit den Daten von Bürgerinnen und Bürgern geschieht, die einmal ins Fadenkreuz der Polizeibehörden geraten sind. Betroffen davon können zum Beispiel Bürgerinnen und Bürger aus den 2005 beigetretenen Staaten in der EU sein, denen weiterhin die Arbeitnehmerfreizügigkeit verwehrt wird und die daher auf Schwarzarbeit verwiesen sind, wenn sie ein Einkommen in den alten Mitgliedstaaten haben wollen. So geraten sie ins Visier des Zollkriminalamtes - und ihre Daten werden im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit an Europol und andere Mitgliedstaaten weitergegeben. Wie lange sie dann dort gespeichert werden, wer sie wie verarbeitet, all das bleibt für die Betroffenen im Unklaren. Drittens: Der Ratsbeschluss ist gleichbedeutend mit einer Ausweitung der Zuständigkeit von Europol. Bislang bezog sich das Mandat von Europol auf die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Im Fokus stehen Schmuggel von Waffen, Drogen und Menschen im erheblichen Umfang. Dieses Mandat wird nun auf die grenzüberschreitende schwere Kriminalität ausgedehnt, in den Fokus gerät nun beispielsweise auch die Schwarzarbeit. Und es müssen bei einem Verdachtsfall nicht mehr drei Staaten betroffen sein, sondern nur noch zwei Staaten. Dann kann Europol eingeschaltet werden. Es stellt sich allerdings die Frage, warum zwei Staaten nicht auch unmittelbar miteinander kooperieren können, sondern dafür eine weitere Institution fernab in Brüssel brauchen. Darauf geht der Gesetzentwurf mit keiner Silbe ein. Man gewinnt fast den Eindruck, dass eine EU-Institution sich neue Aufgabengebiete schafft, um sich selbst zu legitimieren. Zu Protokoll gegebene Reden

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben einiges an Kritik an Europol. Wir wissen aber auch: Einen fahrenden Zug kann man nicht mehr aufhalten. Man muss sich noch mal ins Gedächtnis rufen, worum es hier eigentlich geht. Wir verhandeln ein Umsetzungsgesetz. Das wird in Brüssel verhandelt. Und für die Verhandlungen im Rat der Innen- und Justizminister darf man die Bundesregierung am Anfang loben. Ja, das darf auch einmal sein, nämlich dann, wenn sie etwas Vernünftiges getan hat. Dass sie auch schlecht verhandeln kann, das wird im Anschluss noch beim Vertrag von Prüm zu erörtern sein. Hier bei Europol hat sie zumindest erreicht, dass die Vorschriften zur Immunität von Europol-Beamten geschleift worden sind. Das zu beseitigen war allerdings auch lange überfällig. Aber besser spät als nie. In Zeiten, in denen Europol-Beamte im Rahmen von EuroErmittlungsgruppen nicht mehr nur als Datensammler, sondern als echte Ermittler handeln, ist die Immunität ein unerträgliches Privileg. Gegen grenzüberschreitende Ermittlungen und polizeiliche Zusammenarbeit in Europa haben wir im Grunde nichts einzuwenden. Es kann ja nicht vernünftig geleugnet werden, dass Kriminalität und Kriminelle vor Grenzen nicht haltmachen. Wer das direkt oder indirekt tut, ist entweder politisch naiv oder handelt fahrlässig. Wenn aber grenzüberschreitend ermittelt werden darf, dann dürfen die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger auch nicht an den grünen Grenzen stoppen. Leider ist das bisher so und der Ratsbeschluss ändert daran nichts. Die Sicherheitsbehörden werden vergemeinschaftet, die rechtsstaatlichen Standards aber bleiben national und bleiben damit im Zweifel vor der Tür. Das ist die Art von Politik, die Europa den Menschen nicht näherbringt. Europol, das ist bislang immerhin kein europäisches FBI. Aber den Traum von einer allmächtigen europäischen Bundespolizei träumen die europäischen Innenminister schon seit seiner Gründung. Und wir müssen achtgeben, dass es beim Träumen bleibt. Beim BKA-Gesetz haben wir gesehen, wie schnell aus solchen Albträumen bittere Wirklichkeit wird. Und im Europol-Beschluss gibt es Ansätze, die gehen schon vorsichtig in diese Richtung und die gefallen mir gar nicht. Zum einen dürfen mehr Polizeidienststellen als früher Daten in Europol einpflegen. Zum anderen kann Europol früher tätig werden, weil nicht mehr das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten für schwere kriminelle Organisationsstruktur abgefragt wird. Beim Europol-Beschluss geht es also immer noch zu viel um den Ausbau der Sicherheitsarchitektur und zu wenig um die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13381, den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 16/12924 und 16/13114, in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung von der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 65 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Beschlusses des Rates 2008/615/JI vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität - Drucksache 16/12585 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 16/13380 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Gisela Piltz Wolfgang Wieland Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Clemens Binninger für die Unionsfraktion, Wolfgang Gunkel für die SPD-Fraktion, Gisela Piltz für die FDP-Fraktion, Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke und Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem Prüm-Beschluss, den wir mit dem vorliegenden Gesetz umsetzen, fügen wir der grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit in Europa ein neues Kapitel hinzu. Deutschland pflegt mit seinen Nachbarländern seit langem eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Kriminalität und illegaler Migration. Seit Jahrzehnten machen wir hier gute Erfahrungen mit bilateralen Justiz- und Polizeiverträgen. Diese Erfahrungen waren Basis für den Vertrag von Prüm, der 2005 auf deutsch-luxemburgische Initiative geschlossen wurde. Ziel des Vertrages war es, die grenzüberschreitende operative Polizeizusammenarbeit und insbesondere den Informationsaustausch zwischen den Nachbarstaaten zu vereinfachen und zu intensivieren. Auf Basis des PrümVertrags, dem mittlerweile 13 Vertragsstaaten angehören, wird seither regelmäßig im operativen Bereich wie auch beim Datenaustausch zusammengearbeitet. Eine Reihe von schweren Verbrechen konnte in den vergangenen Jahren durch den Austausch von Fingerabdruck- und DNA-Daten aufgeklärt werden. Und auch in der operativen Polizeizusammenarbeit gehört die Kooperation der Prüm-Partner mittlerweile zum Alltagsgeschäft. Zwei Beispiele hierzu: Im Rahmen des NATO-Gipfels 2009 haben die deutsche und die französische Polizei eng zusammengearbeitet. Unter anderem unterstützte die Bundespolizei die französische Präfektur in Straßburg mit 420 Beamten und technischem Gerät. Ein weiteres Beispiel sind deutsch-französische Streifen. Seit 29. April 2009 führt die Bundespolizei zusammen mit dem französischen Bahnpolizeidienst SNPF regelmäßig gemeinsame Kontrollen auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Kaiserslautern durch. Der Vertrag von Prüm ermöglicht eine erfolgreiche und effektive Polizeizusammenarbeit - das hat sich in den letzten Jahren gezeigt. Er hat großen Zuspruch erfahren. Davon zeugt auch die Tatsache, dass seit 2005 bereits sechs Staaten dem Vertrag neu beigetreten sind. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 ist es vor dem Hintergrund dieser positiven Erfahrungen dann auf Initiative des Bundesinnenministers gelungen, die Polizeizusammenarbeit in der EU auf eine neue Stufe zu heben und wesentliche Inhalte des Prüm-Vertrags in das Gemeinschaftsrecht zu überführen. Deshalb können wir heute über diesen Beschluss diskutieren. In Zukunft werden damit alle 27 EU-Staaten von den Prüm-Regelungen profitieren. Kernstück des Prüm-Informationsverbunds ist der gegenseitige Austausch von Daten. Relevante Informationen aus einem EU-Land müssen für die Polizeibehörden in anderen EU-Ländern bei Bedarf schnell und einfach verfügbar sein. Nur so kann angesichts von Globalisierung, technologischem Fortschritt und zunehmender Mobilität von Straftätern internationales Verbrechen effektiv bekämpft werden. Mit dem Abgleich von DNA-Datenbanken, dem Austausch von Fingerabdruckdaten, dem Informationsaustausch über Gewalttäter im Bereich Sport und dem grenzüberschreitenden Zugriff auf Kraftfahrzeugregister stehen damit allen EU-Partnern wichtige Instrumente bei der Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung. Auch die Übermittlung von Daten zur Verhinderung terroristischer Straftaten und auch im Fall der terroristischen Ausbildung eröffnen neue Handlungsräume für Polizeibehörden. Nicht zuletzt schafft der Prüm-Beschluss die Basis für die operative Zusammenarbeit von Polizeibehörden vor Ort - etwa gemeinsame Streifen, polizeiliche Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder Unterstützung bei Großereignissen. Mit dem Beschluss übernehmen wir zudem umfangreiche Bestimmungen zum Datenschutz, die insbesondere für die sensiblen Fingerabdruck- und DNA-Daten maßgeschneidert sind. Ein Beispiel: Während im Falle der Kfz-Registerdaten der volle lesende Onlinezugriff ermöglicht wird, erfolgt bei DNA- und Fingerabdruckdaten der Zugriff auf anonymisierte Indexdatenbanken im sogenannten Hit-/No-Hit-Verfahren. Im Trefferfall wird dann eine Kennziffer für weitere Anfragen übermittelt, die im Wege der Rechtshilfe zu stellen sind. Lassen Sie mich auch noch mit Blick auf die Entwicklung der EU einen Punkt ansprechen, der mir wichtig ist: Die Entscheidung, den Prümer Vertrag als einen multilateralen Vertrag zu schließen, stieß 2005 und in den Jahren danach auf einige Skepsis und Kritik. Man befürchtete, dass diese Initiative einzelner EU-Mitgliedstaaten, die sozusagen losgelöst von der EU eigenständige Absprachen in der Sicherheitspolitik treffen, zu einer Fragmentierung der EU beitragen könnte. Es wurde kritisiert, dass damit eine Verwerfung in der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik entstehen könnte. Heute sehen wir genau das Gegenteil: Wir setzen einen EU-Beschluss um, der in allen 27 Staaten einheitlich gilt und letztlich die gemeinsame Innen- und Justizpolitik als Ganze voranbringt. Der Beschluss sieht vor, dass bis Oktober 2009 alle EU-Staaten den Prüm-Beschluss in nationales Recht umgesetzt haben. Bis Ende 2011 soll dann ein automatisierter Datenaustausch auf der Grundlage des Prüm-Beschlusses realisiert werden. Der Prüm-Beschluss wird die Klammer schaffen, die Erkenntnisse und Wissen über Straftäter grenzüberschreitend zusammenfasst. Er schafft ein funktionierendes Gesamtpaket für eine europaweite polizeiliche Zusammenarbeit. Er sorgt für eine erhebliche Beschleunigung und mehr Effektivität beim grenzüberschreitenden Datenaustausch. Er ist verbunden mit einem Datenschutzsystem, das für ein ausgewogenes Verhältnis von Sicherheitsinteressen und Grundrechtsschutz sorgt. Die Europäische Union wächst auch hier ein Stück weiter zusammen und zeigt, wie die europäische Zusammenarbeit einen Beitrag zu mehr Sicherheit in unserem Land und bei unseren Partnern leistet.

Wolfgang Gunkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heute beraten wir einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu europaweiten Zusammenarbeit im Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität. Der Entwurf formuliert die Umsetzung des Ratsbeschlusses Prüm vom Juni vergangenen Jahres in nationales Recht. Bei diesem Ratsbeschluss wiederum handelte es sich um die Überführung des 2005 geschlossenen Prümer Vertrages in EU-Recht. Insofern ist die politische Auseinandersetzung um den Inhalt des Abkommens bereits weitgehend erfolgt. Die Umsetzung in nationales Recht stellt in erster Linie eine Formsache dar. Überwiegend enthält er redaktionelle Anpassungen, die sich aus der Überführung des Prümer Vertrages in einen europäischen Rechtsakt ergeben. Das Gesetz haben wir in der ersten Lesung bereits am 23. April debattiert. Zentraler Kritikpunkt in dem Umsetzungsgesetz war die Tatsache, dass es den Einsatz von Schusswaffen durch ausländische Einsatzkräfte auch außerhalb von Notwehrund Nothilfesituationen erlauben sollte. Für diesen Fall war nicht geklärt, welche Instanz dafür zuständig und verantwortlich gewesen wäre, diesen Schusswaffengebrauch zu erlauben. Darüber hinaus hätte diese Regelung dazu führen können, dass in Deutschland nicht polizeitypische Waffen durch ausländische ({0})Polizeikräfte eingesetzt werden können. Für diese Regelung im Umsetzungsgesetz gab das Abkommen selbst keinen Zu Protokoll gegebene Reden ersichtlichen Anlass. Im koalitionären Verhältnis bestand schnell Einigkeit darüber, dass dieser Punkt aus dem Umsetzungsgesetz ersatzlos gestrichen werden sollte. Nachdem dies geschehen ist, kann dem Gesetz meines Erachtens zugestimmt werden: Es steht außer Zweifel, dass die nationalen Strafverfolgungsbehörden mit einer engeren Koordination und einem intensiveren Informationsaustausch auf die Bedrohung durch global agierende terroristische Netzwerke und weltweit organisierte Kriminalität reagieren müssen. Der Vertrag ermöglicht einen einfacheren Datenaustausch der Polizei- und Strafverfolgungsbehörden untereinander. So kann auf Datenbanken mit DNA-Daten und Fingerabdrücken oder elektronische Register mit KFZ-Daten der Behörden anderer Staaten zugegriffen werden. Darüber hinaus wurden unterschiedliche andere Formen der Zusammenarbeit geregelt, unter anderem bei Großereignissen, Katastrophen, zur Verhinderung terroristischer Straftaten oder der Bekämpfung der illegalen Migration. Der Prümer Vertrag beziehungsweise der Ratsbeschluss von Prüm stellen so einen großen Fortschritt für eine effektive grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung dar: Der Prümer Vertrag wurde am 27. Mai 2005 von Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich beschlossen. Im Februar 2007 beschlossen die Justiz- und Innenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die Regelungen des Prümer Vertrags in das EU-Recht zu überführen. Auf der Tagung des Rates am 12./13. Juni 2007 einigten sie sich auf einen Beschluss zur Überführung der wesentlichen Vertragsregeln des Prümer Vertrages in den Rechtsrahmen der EU. Vor allem die für die polizeiliche Zusammenarbeit bedeutsamen Inhalte wurden so in den Rechtsrahmen der EU überführt und werden nun in nationales Recht umgesetzt. Das Abkommen von Prüm hat die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Behörden maßgeblich effektiviert und schon zahlreiche Erfolge gezeitigt: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden bis Ende September 2008 bereits rund 4 170 Treffer in DNA-Datenbanken anderer Vertragsstaaten erzielt. Noch größer ist der Vorteil für kleinere Mitgliedstaaten, die nun auf die Datensätze ihrer „großen Nachbarn“ zugreifen können. Das Abkommen garantiert darüber hinaus einen hohen datenschutzrechtlichen Standard, der ihm auch von Datenschutzexperten bescheinigt wird. Anders als beim Abkommen vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität, das inhaltliche Parallelen zum vorliegenden Gesetz aufweist, gelten für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union die allgemeinen Grundsätze des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008. Für die europaweite Zusammenarbeit besteht also ein gemeinsamer datenschutzrechtlicher Standard. Eine solche Grundlage gibt es für die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika nicht. 14 Jahre, nachdem in Großbritannien die erste nationale DNA-Datenbank eingerichtet wurde, sind mittlerweile die genetischen Fingerabdrücke von mehr als 5,5 Millionen Menschen in der EU erfasst. Diese Zahl ist ein großes Potenzial in der effektiven Verbrechensbekämpfung. Andererseits erfordern diese Daten aber einen verantwortungsvollen Umgang. Dieser wird in dem vorliegenden Abkommen meines Erachtens aber gewährleistet! So erfolgt der Datenabgleich beispielsweise der DNA-Datenbanken nach dem sogenannten Hit/No-HitVerfahren: Die abfragende Polizeidienststelle erhält nur die Mitteilung, ob zu dem gesuchten Profil ein Eintrag in einem anderen Vertragsstaat vorliegt oder nicht. In einem zweiten Schritt müssen die Dienststellen in Kontakt treten bzw. ein Rechtshilfegesuch einleiten, um Informationen zur Identität der gesuchten Person zu erhalten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bescheinigte dem Abkommen einen hohen datenschutzrechtlichen Standard. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass dies auch so bleibt und die Datenschutzgrundsätze der Mitgliedsländer endlich harmonisiert werden. Mit der Überführung des Prümer Vertrages in den Rechtsrahmen der Europäischen Union wird eine erhebliche Beschleunigung und Effektivitätssteigerung beim europaweiten Datenaustausch einhergehen. Nach Abwägung von allem Für und Wider komme ich zu dem Ergebnis, dass die SPD-Fraktion diesem Gesetz zustimmen soll.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von herausragender Bedeutung. Es ist daher notwendig, innerhalb Europas die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zu verbessern. Dabei darf aber keiner der drei Aspekte ins Hintertreffen geraten. Eine Zusammenarbeit, die sich nur an der Sicherheit orientiert, dabei aber die Freiheit über Gebühr einschränkt und dem Recht durch mangelnde rechtsstaatliche Sicherungen nicht ausreichend Rechnung trägt, genügt den Anforderungen an eine vernünftige Politik in der dritten Säule nicht. Es ist aus europapolitischer Sicht richtig, dass der Vertrag von Prüm in den EU-Acquis überführt wurde. Damit wurde dem Gedanken eines einheitlichen EU-weiten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gefolgt. Allerdings fehlt zur Absicherung insbesondere der Aspekte Freiheit und Recht noch immer ein gestärktes Europäisches Parlament, das eine parlamentarische Kontrolle der Sicherheitspolitik gewährleistet. Zudem ist der Rechtsschutz gegen Handeln der EU nach wie vor verbesserungsbedürftig. Dieses Manko wird gerade bei dem hier umgesetzten Beschluss des Rates zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zum Zwecke der Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden KriminaZu Protokoll gegebene Reden lität augenscheinlich. Denn die rechtsstaatlichen Anforderungen an den Datenaustausch nach dem zugrunde liegenden Vertrag von Prüm, insbesondere im Hinblick auf DNA-Daten, sind unzureichend. Notwendig wäre es hier - wie die FDP-Fraktion bereits mehrfach angemahnt hat -, mindestens die gleichen Anforderungen an die Schwere der Straftat zu stellen wie bei der Erstellung des Europäischen Haftbefehls. Es darf nicht sein, dass höchst sensible Daten ohne ausreichende Hürden übermittelt werden dürfen. Es ist unverhältnismäßig, wenn genetische Daten zur Verfolgung eines einfachen Diebstahls verwendet werden dürfen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, dass in der Übermittlung von Daten ein erneuter Grundrechtseingriff zu sehen ist, der dem Eingriff bei der Erhebung gleichzustellen ist. Gerade bei DNA-Daten ist besondere Sensibilität geboten. Wenngleich mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf im Wesentlichen nur Anpassungen nationaler Rechtsvorschriften, die sich auf den Vertrag von Prüm beziehen, vorgenommen werden, können hierbei die zugrunde liegenden Probleme nicht verdrängt werden. Daher ist für die FDP-Fraktion eine Zustimmung nicht möglich, obwohl die Liberalen ausdrücklich die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus anerkennen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mit dem hier zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf soll ein EU-Ratsbeschluss ins deutsche Recht umgesetzt werden, der den Datenaustausch von Sicherheitsbehörden in Europa zur Bekämpfung von Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität regeln soll. Grundlage dafür ist der Vertrag von Prüm, den sieben EU-Staaten 2006 geschlossen haben. Vom EU-Rat ist er 2008 für die ganze Europäische Union für verbindlich erklärt worden. Bereits der Prümer Vertrag verletzt elementare Menschenrechte. Das erklärte ich hier im Plenum schon, als die Große Koalition dieses weitreichende Vertragswerk im Eiltempo und weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit durchs Parlament jagte. Der auf dem Prümer Vertrag basierende EU-Ratsbeschluss schafft ein datenschutzrechtliches Monstrum, durch das das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung glatt zermalmt wird. Nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit wird der automatische Abgleich von DNA-Profilen, Fingerabdrücken und Fahrzeugregisterdaten geregelt. Schickt also ein EUStaat ein DNA-Identifizierungsmuster an einen anderen, bekommt er automatisch die dazu möglicherweise gespeicherten Daten. Die Sicherheitsbehörden jedes EU-Staates können so auf die zentralen Datenbanken der anderen Partner zugreifen und bei einem Treffer die dazugehörigen Daten anfordern. Die Stelle, die diese Daten ursprünglich erhoben hat, prüft dabei nicht, was mit diesen Daten anschließend passiert. Und die Betroffenen dieses Datentransfers sind erst recht von jeglicher Kontrollmöglichkeit ausgeschlossen. Die Problematik ist deutlich: Denn es gibt weder EUeinheitliche Datenschutzstandards noch einheitliche Regeln, wann beispielsweise überhaupt die DNA oder Fingerabdrücke in Dateien gespeichert werden dürfen. Hier droht eine Nivellierung auf dem niedrigsten datenschutzrechtlichen Niveau der Mitgliedsländer. Nationaler Datenschutz wird schlicht ausgehebelt. Dazu kommt ein unterschiedlicher Aufbau der Sicherheitsbehörden in den einzelnen Ländern. Geheimdienste haben in manchen anderen EU-Staaten mehr polizeiliche Vollmachten als in Deutschland. Das bedeutet, dass ausländische Geheimdienste unter Umständen aus Deutschland Daten aus Polizeibeständen erhalten, und umgekehrt, dass die deutsche Polizei Geheimdienstinformationen erhält. Das Gleiche gilt für die paramilitärischen Gendarmerieverbände, die es in manchen EUStaaten gibt. Das in der Bundesrepublik als Lehre aus dem Faschismus geltende Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten wird so über die EU kurzerhand noch weiter ausgehebelt, als es bislang schon durch Antiterrordateien, Antiterrorzentrale und BKA-Gesetz der Fall ist. Ich möchte auch auf die Möglichkeit der spontanen Datenübermittlung bei Großereignissen mit grenzüberschreitender Bedeutung wie NATO-, EU- und G-8-Gipfeln verweisen. Diese Möglichkeiten, bisher auf Kerneuropa beschränkt, werden nun auf die gesamte EU übertragen und dazu führen, dass noch mehr Daten etwa über kritische Journalisten oder Demonstranten ausgetauscht werden. Auf dieser Grundlage können dann Einreiseverbote oder andere Repressivmaßnahmen verhängt werden. Gegen diese Personen muss wohlgemerkt nichts vorliegen, sie müssen keine Gewalttaten begangen haben. Denn in entsprechende Dateien geraten nicht nur in Deutschland schon politisch missliebige Bürger, die etwa nach der Teilnahme an einer Demonstration im Verdacht stehen, sie könnten die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Ich halte schon die Speicherung dieser Daten in Deutschland für grundrechtswidrig. Aber was passiert erst, wenn solche Daten beispielsweise jetzt zum G-8-Gipfel in L´Aquila an italienische Behörden weitergegeben werden? An Sicherheitsbehörden eines Landes, wo unter Regierungschef Silvio Berlusconi gerade faschistische Bürgerwehren aufgestellt werden und Soldaten bereits weitreichende Polizeibefugnisse erhalten haben. Ein weiterer Aspekt des Prümer Vertrages und damit des hier zur Abstimmung stehenden Gesetzes wurde bislang in der öffentlichen Diskussion fast völlig ausgeblendet. Beamte von Polizei- und Sicherheitsdiensten eines Staates können mit Einwilligung eines anderen EU-Staates auch auf dessen Territorium tätig werden. Auch diese Möglichkeit, bisher auf die sieben ursprünglichen EUStaaten beschränkt, wird nun auf die ganze EU ausgeweitet. Schon bei der gemeinsamen Strafverfolgung durch Beamte verschiedener Staaten kollidieren oft die unterschiedlichen Polizeirechte und Befugnisse miteinander. Noch problematischer wird dies bei Großereignissen wie den schon genannten NATO- und G-8-Gipfeln. So waren Zu Protokoll gegebene Reden deutsche Wasserwerfer während des NATO-Gipfels im April in Frankreich im Einsatz. Wenn deutsche Polizisten dort Straftaten begehen, beispielsweise angereiste deutsche Demonstranten misshandeln, wird dies in dem Land verfolgt, das Einsatzort war. Rechtliche Standards, die beispielsweise in Deutschland gelten, gelten dort nicht unbedingt. Der Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger wird so schlicht ausgehöhlt und die politische Verantwortung vertuscht. Die Linke tritt für ein Europa der Freizügigkeit ein, in dem die Menschen und nicht nur ihre Daten sich frei bewegen können. Den weiteren Aufbau eines grenzüberschreitenden Repressionsapparates, mit dem sich die Herrschenden in der EU gegen ihre Kritiker absichern, werden wir nicht mittragen. Viel abzustimmen gibt es ja leider nicht mehr, weil wir hier ja schon längst vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Heute geht es ja nur noch um redaktionelle Änderungen im deutschen Recht. Aber so, wie die Linke gegen den Prümer Vertrag gestimmt hat, stimmt sie heute auch gegen dieses Umsetzungsgesetz.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eben bei der Abstimmung über Europol habe ich es schon gesagt und hier kann ich es wiederholen: Wir stimmen lediglich über ein Umsetzungsgesetz ab. Die Würfel sind also schon in Brüssel gefallen. Aber wie die Bundesregierung dort auf dem Justiz- und Innenministerrat agiert, das verletzt demokratische Spielregeln, um es ganz deutlich zu sagen. Kommen wir zu den Inhalten. Als Überführung des Vertrags von Prüm haben Sie uns ein Sicherheitsgesetz vorgelegt, das wir in dieser Form nicht unterstützen. Es enthält viele datenschutzrechtlich sehr problematische Regelungen. Dabei war die Konstruktion des Prümer Vertrages in seiner Anlage besser als anderes, was wir hier gesehen haben: Keine planlose Herausgabe von Daten, sondern eine Abfrage, ob Daten vorliegen, und auch dann sollte über das Gesuch einer ausländischen Stelle einzeln entschieden werden. Was in der Theorie gut klingt, hat sich in der Praxis leider nicht bewährt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar musste ebenso wie der Europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx feststellen, dass die datenschutzrechtlichen Vorgaben des Vertrages von Prüm in der täglichen Anwendung bei der Polizei nicht viel wert sind. Die Sicherheitsbehörden tauschen Daten munter und ungestört aus. Das Gesetz enthält für dieses Problem ebenso wenig wie der Ratsbeschluss Mittel zur Abhilfe. Es darf also mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger weiterhin schlampig umgegangen werden. Das können wir nicht tolerieren. Dann zum Verfahren, also zu den Spielregeln. Wir teilen die Kritik, die sagt, staatliche Eingriffe in Grundrechte müssen vom Parlament verabschiedet werden. Was hier an Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden möglich ist, das greift zweifelsohne tief in Bürgerrechte ein. Und wem kommt die Souveränität zu, über einen solchen Eingriff zu entscheiden? Das kann bei Fragen von europaweiten Fahndungen nicht in erster Linie der Bundestag sein. Das darf aber auch nicht nur der Rat der Innen- und Justizminister sein. Souverän, eine solche Entscheidung zu treffen, ist vor allem das vor knapp zwei Wochen gewählte Europäische Parlament. Das Parlament haben Sie aber bewusst außen vor gelassen, indem Sie den Beschluss in der Dritten Säule des EUVertrages verankert haben. Nun steht der Beschluss nicht zur Abstimmung, sondern ein Gesetz, das an der geltenden Rechtslage auch nicht mehr viel verschlimmert. Aber wenn Sie keine Verbesserungen an der unbefriedigenden Situation planen, können wir die Umsetzung selbstverständlich auch nicht mittragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13380, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12585 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 62 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Volkmar Uwe Vogel, Dirk Fischer ({1}), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ernst Kranz, Petra Weis, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Programm „Stadtumbau Ost“ - Fortsetzung eines Erfolgsprogramms - Drucksachen 16/12284, 16/13408 Berichterstattung: Abgeordneter Joachim Günther ({2}) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Es han- delt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kol- legen: Volkmar Vogel für die Unionsfraktion, Ernst Kranz für die SPD-Fraktion, Joachim Günther für die FDP-Fraktion, Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Vizepräsidentin Petra Pau Linke und Peter Hettlich für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13408, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12284 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 63 a bis 63 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Transsexuellengesetzes ({3}) - Drucksache 16/13157 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({4}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ({5}) - Drucksache 16/13154 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({6}), Kai Gehring und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen ({7}) - Drucksache 16/4148 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({8}) - Drucksache 16/13410 - Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Brandt Gabriele Fograscher Ulla Jelpke Silke Stokar von Neuforn b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({9}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({10}), Monika 1) Anlage 10 Lazar, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Selbstbestimmtes Leben in Würde ermögli- chen - Transsexuellenrecht umfassend re- formieren - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Transsexuellengesetz aufheben - Rechtli- che Gestaltungsmöglichkeiten für Transse- xuelle, Transgender und Intersexuelle schaffen - Drucksachen 16/947, 16/12893, 16/13410 - Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Brandt Gabriele Fograscher Ulla Jelpke Silke Stokar von Neuforn c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Reform des Transsexuellengesetzes für ein freies und selbstbestimmtes Leben - Drucksache 16/9335 - Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Helmut Brandt für die Unionsfraktion, Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion, Gisela Piltz für die FDP-Fraktion, Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke und Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.2) Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Transsexuellen- gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13410, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/13157 anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Ent- haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom- men. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der 2) Anlage 11 Vizepräsidentin Petra Pau Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir sind noch immer beim Tagesordnungspunkt 63 a: Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13410 empfiehlt der Innenausschuss die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/13154. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Beschlussempfehlung zu dem Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13410, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4148 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 63 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/13410 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13410, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/947 mit dem Titel „Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen - Transsexuellenrecht umfassend reformieren“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13410 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12893 mit dem Titel „Transsexuellengesetz aufheben - Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9335 mit dem Titel „Reform des Transsexuellengesetzes für ein freies und selbstbestimmtes Leben“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich recht herzlich für Ihren Beistand auch beim letzten Tagesordnungspunkt. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 1. Juli 2009, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.