Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich begrüße Sie herzlich.
Bevor wir in unsere umfangreiche Tagesordnung eintreten, habe ich einige Glückwünsche vorzutragen. Die
Kollegen Bernd Schmidbauer und Hans-Christian
Ströbele haben ihre 70. Geburtstage gefeiert.
({0})
Man will es kaum für möglich halten. Aber da unsere
Datenhandbücher im Allgemeinen sehr zuverlässig sind,
muss ich von der Glaubwürdigkeit dieser Angaben ausgehen.
Ihre 60. Geburtstage haben der Kollege Christoph
Strässer und die Bundesministerin Ulla Schmidt gefeiert;
({1})
ich höre, sie seien auch schön gefeiert worden, was wir
damit ausdrücklich im Protokoll vermerkt haben.
In die Glückwünsche einbeziehen möchte ich auch
den Kollegen Hans-Ulrich Klose, der die zuvor Genannten in den vergangenen Tagen altersmäßig überboten hat.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen
({2})
ZP 2 Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz
von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan ({3}) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({4})
und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1833 ({5}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
- Drucksache 16/13377 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
({7})
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({8})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Fünf Jahre Karenzzeit für Mitglieder der
Bundesregierung
- Drucksache 16/13366 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Volker Schneider ({9}), Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Arbeitslosengeld I in der Krise befristet auf
24 Monate verlängern
- Drucksache 16/13368 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Ahrendt, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbot des Vereins „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ prüfen
- Drucksache 16/13369 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({11})
Rechtsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, Dr. Dagmar
Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Unschuldsvermutung muss auch im Arbeitsrecht gelten - Verdachtskündigung gesetzlich
ausschließen
- Drucksache 16/13383 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({12})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({13}), Kai Gehring, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie
- Drucksache 16/13394 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({14})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Renate Künast, Hans-Christian Ströbele,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bahnanbindung für den Flughafen Berlin Brandenburg International optimieren und beschleunigen
- Drucksache 16/13397 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15})
Ausschuss für Tourismus
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kein Genmais-Anbau gegen den Willen der
Bürger in der EU
- Drucksache 16/13398 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Birgitt Bender, Christine Scheel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Grauen Kapitalmarkt durch einheitliches Anlegerschutzniveau überwinden
- Drucksache 16/13402 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({16})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE
Forderungen des bundesweiten Bildungsstreiks
ernst nehmen
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen
- Drucksachen 16/11131, 16/11641, 16/12465,
16/12466, 16/13080, 16/13362, 16/13389 ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Modernisierung von
Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften
- Drucksachen 16/11385, 16/12717, 16/13082,
16/13363, 16/13390 ZP 7 Beratung des Berichts des Rechtsausschusses
({17}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Jerzy
Montag, Volker Beck ({18}), Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines … Strafrechtsänderungsgesetzes - Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten ({19})
- Drucksachen 16/6726, 16/13436 Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Schmidt ({20})
ZP 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Internetversteigerung in der Zwangsvollstreckung
- Drucksache 16/12811 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({21})
- Drucksache 16/13444Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dirk Manzewski
Präsident Dr. Norbert Lammert
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({22}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden ({23})
({24})
({25})
KOM({26}) 780 endg.; Ratsdok. 15929/08
- Drucksachen 16/12188 Nr. A.26, 16/13412 Berichterstattung:
Abgeordneter Volkmar Uwe Vogel
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee
Bär, Wolfgang Börnsen ({27}), Peter Albach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Monika Griefahn,
Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Medien- und Onlinesucht als Suchtphänomen
erforschen, Prävention und Therapien fördern
- Drucksache 16/13382 ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({28})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Markus Kurth, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erwerbsminderungsrente gerechter gestalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Absicherung für das Erwerbsunfähigkeitsrisiko verbessern
- Drucksachen 16/12865, 16/10872, 16/13355 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß ({29})
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 23, 26, 37, 51, 56 und 59
werden abgesetzt. Das entlastet die Tagesordnung durchaus, führt aber - um zu einer realistischen Planung des
heutigen Tages und der anschließenden Nacht beizutragen - immer noch zu einem voraussichtlichen Ende des
Plenums weit nach Mitternacht. Ich werde gleich auch
noch etwas zu den anstehenden namentlichen Abstimmungen sagen.
Durch die Absetzung der gerade genannten Tagesordnungspunkte ergeben sich einige Änderungen in der
Reihenfolge: Der Tagesordnungspunkt 19 soll statt am
Donnerstag nun morgen, am Freitag, nach dem Tagesordnungspunkt 55 aufgerufen werden. Heute folgen der
Tagesordnungspunkt 21 auf den Tagesordnungspunkt 18,
25 auf 20, 27 auf 22, 29 auf 24, 31 auf 26, 33 auf 28 - es
schreibt offenkundig niemand mit -,
({30})
35 auf 30, 39 auf 32, 41 auf 34, 43 auf 36, 45 auf 38, 47
auf 40, 49 auf 42 sowie 52 auf 46. Morgen werden der
Tagesordnungspunkt 61 nach dem Tagesordnungspunkt 58
und die Tagesordnungspunkte 64 und 65 nach dem
Tagesordnungspunkt 60 aufgerufen.
Sie sehen, die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich richtig Mühe gegeben und zum Ende der Legislaturperiode alle Gestaltungsmöglichkeiten noch einmal
in vollem Umfang ausgeschöpft. Wer eine aktualisierte
Übersicht, vor allen Dingen für mögliche eigene Redebeiträge, braucht, kann diese sowohl hier wie bei den
Parlamentarischen Geschäftsführern einsehen.
Der bisherige Ohne-Debatte-Punkt 67 j soll zusammen mit dem Zusatzpunkt 10 aufgerufen werden und der
bislang zur sofortigen Beschlussfassung vorgesehene
Tagesordnungspunkt 67 y nunmehr ohne Debatte an den
Auswärtigen Ausschuss überwiesen werden.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir im Laufe
des heutigen Tages bis hin zum späteren Abend eine
Reihe von namentlichen Abstimmungen haben werden.
Die ersten im Zusammenhang mit den Gesetzentwürfen
zur Patientenverfügung werden voraussichtlich heute
Nachmittag gegen 16 Uhr stattfinden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister des Auswärtigen
zum Europäischen Rat am 18. und 19. Juni
2009 in Brüssel
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Auswärtigen, Frank-Walter
Steinmeier.
({31})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! „Europa in der Krise“ - manchmal mit Fragezeichen, häufig genug mit Ausrufezeichen -, das sind,
wenn man die europäischen Tageszeitungen der letzten
Tage liest, die Überschriften, unter denen der Europäische Rat heute und morgen in Brüssel zusammenkommt.
Diese Krise ist, wohlgemerkt, keine hausgemachte europäische Krise, sondern eine globale Krise - wir haben
aus anderem Anlass häufig genug in diesem Haus darüber gesprochen -, die keinen Bogen um Europa macht.
Schlimmer noch: Die Krise hat Europa natürlich längst
mit voller Wucht erfasst. Gerade das wird für Europa in
diesen Zeiten zu einer Bewährungsprobe, weil wir eine
solche Krise globalen Ausmaßes noch nie gemeinsam zu
durchstehen hatten, weil nie gekannte Fliehkräfte an diesem europäischen Integrationsprojekt ziehen und zerren
und weil manche versucht sein könnten - Anzeichen dafür gibt es -, in nationale Denkmuster zurückzufallen.
Deshalb sage ich: An der Reaktion auf diese Krise
wird sich Europas Zukunftsfähigkeit erweisen. Ich
füge hinzu: Wir als großes Land, wir als Teil der Gründergeneration dürfen nicht nur dabeistehen und zuschauen, sondern wir haben eine ganz besondere Verantwortung für Europa, für die Europäische Union.
({0})
Ich sage auch: Europa darf europäische Gemeinsamkeit nicht durch Kleinmut aufs Spiel setzen. Gerade jetzt
dürfen wir das große gemeinsame Ganze in Europa nicht
aufs Spiel setzen, sondern wir müssen gerade in dieser
Situation der Krise, gerade jetzt gemeinsam dafür arbeiten, dass die Europäische Union überzeugendere Antworten auf die globale Krise findet, als wir sie im nationalstaatlichen Rahmen jemals finden würden.
({1})
Das ist die Ausgangslage für den Europäischen Rat
heute und morgen. Ich könnte sogar sagen: Das ist die
Ausgangslage für die europäische Politik der nächsten
Monate und Jahre. Aber dieser Europäische Rat - Sie wissen es - steht natürlich jetzt, wenige Tage nach den Wahlen zum Europäischen Parlament, unter ganz besonderen Vorzeichen. Nicht alle, aber manche der europaweiten
Trends, die wir bei den Wahlresultaten gesehen haben,
müssen in der Tat zumindest jenem zu denken geben, dem
ein demokratisches Europa wirklich am Herzen liegt.
Zwei gesamteuropäische Aspekte sind es wohl, die uns
aufrütteln müssen: Eine Wahlbeteiligung von 43 Prozent
ist das eine. Dies ist die niedrigste Wahlbeteiligung seit
Einführung der Direktwahlen zum Europäischen Parlament. Es gab zum anderen besorgniserregende Stimmengewinne der populistischen und europafeindlichen Parteien. Das mag paradox sein; aber gerade hier hat ein
Zuwachs im Europäischen Parlament stattgefunden.
Das ist eine Herausforderung für alle diejenigen, denen an einem starken und geeinten Europa gelegen ist.
Wir alle müssen uns dem stellen, dass ganz offensichtlich viele Bürger an dem Mehrwert der Europäischen
Union entweder für ihr Land oder für sich selbst zweifeln. Auch Sie haben es in den Veranstaltungen gespürt:
Die Idee der europäischen Integration, der Verweis auf
die historischen Verdienste der Europäischen Union,
wenn wir über Frieden und Stabilität in Europa reden,
tragen allein noch nicht. Dieser Verweis reicht vor allen
Dingen nicht, wenn es darum geht, das Vertrauen der
Menschen in das Zukunftspotenzial dieser Europäischen
Union wiederzugewinnen. Worum es geht - das ist anspruchsvoller und tagesbezogener -, ist Folgendes: Wir
müssen in der europäischen Politik jeden Tag und bei jeder Materie nachweisen, dass Europa bessere Antworten
auf die Globalisierung bereithält als die, die wir nationalstaatlich geben können.
({2})
Deshalb stehen beim Europäischen Rat heute und
morgen ganz zentrale Zukunftsfragen auf der Tagesordnung, nämlich die Fragen, wie wir gemeinsam aus
der Wirtschafts- und Finanzkrise herausfinden können,
wie Europa seine Führungsrolle beim weltweiten Klimaschutz behalten kann und wie Europa zukünftig handlungsfähiger und demokratischer wird, aber vor allen
Dingen die Erkenntnis, dass kein Mitgliedstaat für sich
allein Wege aus dieser Wirtschafts- und Finanzkrise finden kann.
Wir haben im vergangenen Dezember - darüber ist hier
im Hause diskutiert worden - in Ergänzung der nationalen
Anstrengungen auf europäischer Ebene ein Konjunkturprogramm beschlossen. Das muss jetzt wirken, und
es wirkt. Diese Anstrengungen auf nationaler und europäischer Ebene haben natürlich Konsequenzen gehabt. Sie
haben Löcher in den Haushalten der EU-Mitgliedstaaten
hinterlassen. Europaweit ist die Neuverschuldung - Sie
wissen das - riesig. Wir dürfen nicht ignorieren, dass wir
auch für die zukünftigen Generationen Verantwortung
tragen, und wir dürfen nicht ignorieren, dass die Menschen angesichts dieser riesigen Neuverschuldung Angst
vor Inflation, vor den Gefahren für die Geldwertstabilität
haben. Deshalb ist es gut, richtig und aus meiner Sicht
auch notwendig, dass sich der Europäische Rat noch einmal mit der Rolle des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
befasst.
Vor allem dürfen wir aber nicht vergessen, wo diese
Krise ihren Ausgang genommen hat.
({3})
Deshalb nehmen wir uns auf diesem Europäischen Rat
ganz gezielt die Finanzmarktaufsicht vor. Wenn diese
Finanzkrise eines gezeigt hat, dann, dass wirtschaftliche
Freiheit ohne Grenzen und ohne Vernunft das Fundament unserer Gesellschaftsordnung gefährdet. Wir haben
gesehen und gelernt: Der Markt braucht Regeln, und wir
brauchen vor allen Dingen - der Finanzminister dieses
Landes hat in den letzten Wochen häufig darauf hingewiesen - eine internationale Finanzordnung ohne Grauzonen und schwarze Löcher.
({4})
Ich glaube, wir sind gemeinsam mit anderen europäischen Partnern ganz erfolgreich gewesen. Wir haben es
mit Frankreich auf dem G-20-Gipfel in London nicht nur
geschafft, über die Frage einer Neuregulierung, einer
neuen Überwachung der Finanzmärkte zu diskutieren,
sondern auch, sie an ganz prominenter Stelle auf die internationale Tagesordnung zu setzen. Wir wollen natürlich nicht nur, dass dieses Thema auf der Tagesordnung
bleibt, sondern auch, dass es von der Europäischen
Union in Gänze vorangetrieben wird, dass die Europäische Union an den vor uns liegenden Weichenstellungen
tatsächlich mitwirkt.
Jacques de Larosière, der frühere französische Zentralbankchef, hat, wie wir finden, sehr gute Vorschläge
zur Verbesserung der Finanzmarktaufsicht gemacht. Jetzt
geht es darum - darum wird es auch auf diesem Gipfel
gehen -, diese umzusetzen. Ich will nicht im Detail darauf eingehen. Ein wichtiges Element ist die Schaffung
eines sogenannten Systemrisikorates, eines Rates, eines
Gremiums, das sich ganz speziell mit der Entstehung systemischer Risiken auf dem Finanzmarkt beschäftigen
soll. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Europäische Zentralbank einem solchen Gremium, einem solchen Rat tatsächlich vorsitzen kann. Wir werden uns um
die Harmonisierung EU-weiter Aufsichtsmöglichkeiten
bemühen, die wir in Ergänzung der nationalen Aufsichtsmöglichkeiten, die weiterhin notwendig sind, brauchen,
um noch größere Effizienz zu erzielen.
({5})
Wir haben es nicht nur mit einer Krise auf den Wirtschafts- und Finanzmärkten zu tun, sondern auch - ich
habe es vorhin gesagt - mit einer Gefahr für das gesamte
europäische Gesellschaftsmodell. Die Antworten, die
wir nach der Krise formulieren, müssen europäische
Antworten sein, die auf der einen Seite natürlich in wirtschaftlicher und finanzpolitischer Hinsicht, auf der anderen Seite aber auch in sozialer Hinsicht überzeugen. Das
heißt, dass wir auch die Rahmenbedingungen für mehr
Beschäftigung in Europa verbessern müssen. Das ist vor
allem Aufgabe der Mitgliedstaaten der Europäischen
Union. Aber auch der Europäische Rat wird sich heute
und morgen damit befassen. Das ist auch gut so; denn
das ist notwendig.
({6})
Wenn es ein Thema gibt, an dem sich unsere Zukunft
mehr als an irgendeinem Thema entscheiden wird, dann
ist das die Klimapolitik. Deshalb steht die Klimapolitik
auch auf diesem Europäischen Rat ganz oben auf der Tagesordnung. Ich versichere Ihnen: Die Bundesregierung
kämpft dafür, dass es im Dezember dieses Jahres in Kopenhagen gelingt, eine Einigung über ein internationales
Klimaschutzabkommen zu erzielen. Wie Sie wissen, ist
die EU in Vorleistung getreten. Wir haben uns verpflichtet, den Umfang unserer CO2-Emissionen bis zum
Jahre 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Damals haben
wir auch gesagt: Wir sind sogar bereit, den Umfang der
Reduzierung zu erhöhen, wenn andere Industrieländer
und die Schwellenländer ebenfalls ihren Beitrag leisten.
Internationale Lastenteilung auf der Grundlage von
individueller Leistungsfähigkeit und Verursacherprinzip,
das ist das Dreieck, in dem bis zum Dezember dieses
Jahres in Kopenhagen ein Kompromiss, eine Lösung gefunden werden muss. Das ist anspruchsvoll und schwierig genug; das gebe ich zu. Aber bis zum Europäischen
Rat in Kopenhagen muss eine Lösung gefunden werden.
({7})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die großen
außenpolitischen Fragen, die anstehen, können wir natürlich nur gemeinsam in der Europäischen Union angehen: Welche strategische Antwort brauchen wir, um insbesondere auf die Lage in Afghanistan und Pakistan zu
reagieren? Welchen Beitrag kann die Europäische Union
nicht nur zur Stabilisierung der Situation im Nahen Osten leisten, sondern vielleicht auch bezüglich einer
neuen Anstrengung im Hinblick auf den dortigen Friedensprozess? Wie kann eine effektive Zusammenarbeit
mit der neuen Regierung in den Vereinigten Staaten aussehen, die nicht nur von den einzelnen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union bzw. nicht nur von deutscher
Seite ausgeht, sondern vor allen Dingen von der Europäischen Union? Wie kann man diese Zusammenarbeit
effizienter als in der Vergangenheit gestalten?
Wir leisten unseren Beitrag. Es kommt aber darauf an
- das möchte ich betonen -, dass die EU, die Europäische Union als Ganzes, an Handlungsfähigkeit und Bedeutung gewinnt. Wir alle wissen: Kein Mitgliedstaat
der Europäischen Union ist in der Lage, Fragen von globalem Ausmaß, wie ich sie gerade genannt habe, allein
zu beantworten. Nur zur Erinnerung, meine Damen und
Herren: Das war der Grund für den Lissabon-Vertrag.
Dahinter stand die Grunderkenntnis, dass die Nationalstaaten allein nicht genug sind, sondern dass wir eine
Europäische Union brauchen, die auf vielen Feldern und
insbesondere in der Außenpolitik effizienter und handlungsfähiger ist.
Was den Lissabon-Vertrag betrifft, so hoffe ich, ohne
zu weit vorgreifen zu wollen, dass wir uns auf der Zielgeraden befinden. Wir wollen, dass der Europäische Rat
heute und morgen geeignete Weichenstellungen vornimmt, damit dieser Vertrag noch im Laufe dieses Jahres
in Kraft treten kann. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingt. 26 der 27 zuständigen nationalen Parlamente haben ihm inzwischen zugestimmt. Ich hoffe, dass wir den
Ratifizierungsprozess in Deutschland erfolgreich abschließen können. Das Bundesverfassungsgericht wird
am 30. Juni 2009, also in wenigen Tagen, entscheiden.
Das größte Hindernis bleibt natürlich - ich sehe es an
Ihren Gesichtern und entnehme es einzelnen Zurufen ({8})
die ungelöste Situation in Irland. Sie wissen, dass sich
der Europäische Rat bereits im Dezember mit der Situation in Irland befasst hat. Er hat eine Reihe von Vereinbarungen getroffen, die Irland eine erneute Durchführung des Referendums erlauben. Sie kennen die irischen
Anliegen: im Wesentlichen ethische Fragen
({9})
sowie Fragen des Familienrechts, auch der Abtreibung,
des Steuerrechts und der Verteidigung. Dem soll durch
rechtliche Garantien Rechnung getragen werden. An
dieser Stelle geht es um rechtliche Klarstellungen; der
Vertrag selbst wird nicht wieder aufgemacht.
({10})
Meine Damen und Herren, Sicherung der europäischen Handlungsfähigkeit, Vorangehen auf dem Weg zur
Weltklimakonferenz, weltweite Finanzarchitektur - das
sind die Fragen, die anstehen.
Meines Erachtens spiegelt die Agenda dieses Europäischen Rates wider, was der Karlspreisträger und Europäer der ersten Stunde Hendrik Brugmans einmal prophezeit hat. Er hat gesagt:
Weltpolitik … werden wir als Europäer gemeinsam oder gar nicht mehr führen.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält
der Kollege Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, zunächst einmal ist Ihr
Hinweis richtig, dass dies die erste europäische Debatte
im Deutschen Bundestag seit der Wahl zum Europäischen Parlament ist. In diesem Zusammenhang sind
zwei Dinge bemerkenswert.
Erstens. Die Kräfteverhältnisse im Europäischen
Parlament haben sich verändert; aus unserer Sicht glücklicherweise. Diese Ansicht wird nicht jeder teilen. Aus
unserer Sicht ist vor allen Dingen erfreulich, dass diejenigen, die die Wirtschafts- und Finanzkrise als Vorwand
nutzen wollten, um die soziale Marktwirtschaft abzuwickeln, bei diesen Wahlen geschwächt wurden.
({0})
Das Zweite ist die Wahlbeteiligung selbst. Meines
Erachtens macht man es sich zu einfach, wenn man diejenigen, die an der Wahl nicht teilgenommen haben, automatisch als Skeptiker oder Gegner der Europäischen
Union einstuft. Ich habe eher den Eindruck, dass eine
sehr große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland sehr wohl weiß, welchen Wert die Europäische Union für Frieden, Wohlstand und Freiheit hat, dass
aber eine ebenso große Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger in Deutschland die Relevanz der Entscheidungen
des Europäischen Parlaments auf den ersten Blick nicht
erkennen kann.
({1})
Deswegen ist zweierlei unsere Aufgabe. Erstens müssen wir kenntlich machen, dass die im Europäischen Parlament getroffenen Entscheidungen auch für jede Bürgerin und jeden Bürger in Deutschland von großer
Bedeutung sind. Zweitens ist es notwendig, dass wir
endlich die demokratischen Institutionen demokratisieren, damit in Europa die demokratische Legitimation für
Entscheidungen wächst. Das ist unsere Aufgabe.
({2})
Vor diesem Hintergrund ist die Subsidiarität das
wichtigste Prinzip. Wir müssen wieder zu dem Prinzip
zurückfinden: Europa soll sich auf das beschränken, was
nur auf europäischer Ebene beschlossen werden kann.
Was Europa nicht regeln muss, das soll es auch nicht regeln dürfen.
Wir wollen Europa für einen gemeinsamen Markt.
Wir wollen es für Frieden. Wir wollen es für Stärke der
Außenpolitik in der Welt. Wir wollen aber kein Europa,
in dem sich eine nicht demokratisch legitimierte Behörde herausnimmt, den Bürgerinnen und Bürgern zu
Hause vorzuschreiben, welche Leuchtmittel sie einschrauben dürfen und welche Glühbirnen verboten sind,
meine sehr geehrten Damen und Herren.
({3})
Das ist nicht Aufgabe von Europa.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben zu Recht darauf
hingewiesen, dass wir infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise auch die europäischen Kontrollstrukturen, die
europäische Finanzmarktaufsicht verbessern müssen.
Sie haben auch auf die Rolle der Europäischen Zentralbank hingewiesen. Ich glaube, man muss der Regierung Kohl/Genscher heute dankbar dafür sein, dass sie
bei der Einführung des Euro eine so unabhängige Europäische Zentralbank konstituiert hat. Das war vorausschauende Politik.
({4})
Ohne Europa wäre diese Finanzkrise sehr schnell
auch zu einer wirklichen Währungskrise geworden. Die
Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank hat ihren
Wert. Dass wir gemeinsame Marktaufsichtsstrukturen
brauchen, ist wahr. Wir haben Vorschläge dazu gemacht.
Sie haben gesagt, Sie wollen bei der Finanzmarktaufsicht die Rolle der Europäischen Zentralbank stärken.
Das ist das, was Ihnen für Europa vorschwebt. Aber wie
wollen Sie in Europa eine vernünftige Bankenaufsicht
durchsetzen, wenn es Ihnen nicht einmal gelingt, hinsichtlich der nationalen Neuregelung der Bankenaufsicht
innerhalb der Regierungskoalition Einigkeit herzustellen?
({5})
Seit mehr als einem halben Jahr debattieren wir im Deutschen Bundestag über die Notwendigkeit, die zersplitterte deutsche Bankenaufsicht zusammenzufassen. Seit
mehr als einem halben Jahr gelingt es Ihnen nicht, die
Bankenaufsicht in Deutschland neu zu regeln. Wer in
Europa Autorität haben will bei der Regelung der Bankenaufsicht, muss zuvor zeigen, dass er zu Hause, in
Deutschland, seine Hausaufgaben machen kann.
({6})
Schließlich, Herr Bundesaußenminister, bleibt die
Frage, was in den letzten elf Jahren getan wurde. Sie
können hier keine Regierungserklärung abgeben, dass
wegen fehlender Regulierung Veränderungen bei der
Bankenaufsicht notwendig sind, und heute und morgen
beim Europäischen Rat so tun, also befänden Sie sich in
einem Stadium der Unschuld. Sie tragen als Sozialdemokraten seit elf Jahren im Finanzministerium die Verantwortung für die Finanz- und Bankenaufsicht. Warum haben Sie nicht gehandelt?
({7})
Es ist Ihr Versagen, was hier heute auf der Tagesordnung
steht.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass Europa auch in der Außenpolitik mit einer Stimme sprechen muss. Das sehen wir gerade in diesen Tagen bei der
Debatte über den Iran. Ich glaube, es ist richtig, dass
sich Europa hierzu äußert und sich einbringt. Es ist vernünftig, in der Außenpolitik wieder stärker mit einer
Stimme zu sprechen. Wir wünschen Ihnen dafür Erfolg.
Denn die junge Generation im Iran möchte Vertrauen in
den Rechtsstaat haben können, möchte durch ihre Regierung nicht ihrer Möglichkeiten beraubt werden.
Wir hoffen, dass auch von dem bevorstehenden Gipfel ein gemeinsames europäisches Signal an diejenigen
ausgeht, die im Augenblick unter Lebensgefahr auf der
Straße für ihre Bürgerrechte und für die Demokratie
streiten. Hoffentlich kann Europa es schaffen, mit einer
Stimme aufzutreten. Das ist auch keine Einmischung in
die inneren Angelegenheiten des Iran, das ist eine Angelegenheit der Menschenrechte, und es gibt eine Pflicht
zur Einmischung, wenn es um die Menschenrechte geht.
({8})
Wir unterstützen das Anliegen der Bundesregierung,
die Inkraftsetzung des Lissabon-Vertrages zu befördern. Dieses Anliegen ist richtig. Wir verstehen nicht
diejenigen, die - auch in Deutschland - den LissabonVertrag ablehnen. Auch wir wissen, dass der LissabonVertrag nicht das Gelbe vom Ei ist, nicht in allem perfekt
ist. Aber wir erkennen, dass er einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem Zustand, den wir haben, bringt.
Vieles von dem, was Europa vorgeworfen wird, wird
durch den Lissabon-Vertrag reformiert. Wenn man in
Europa das Beste nicht bekommen kann, dann soll man
das Zweitbeste nehmen.
({9})
Wir haben es geschafft, dass wir in Europa mittlerweile ein riesiger Binnenmarkt mit politischen Institutionen geworden sind. Das war ein Prozess für den Frieden. Eine wesentliche Voraussetzung dieses Prozesses
für den Frieden nach Jahrzehnten und Jahrhunderten des
Krieges auf unserem Kontinent ist die Tatsache, dass
sich kein Land über ein anderes erhebt.
In den letzten Jahren haben wir sorgenvoll beobachtet, dass sich die kleinen Länder mittlerweile oft genug
nicht mehr auf gleicher Augenhöhe respektvoll behandelt fühlen. Es gibt eine gute Lehre aus der Regierungszeit von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher,
nämlich die, dass in der Europapolitik Luxemburg eben
nicht kleiner als Frankreich ist und dass alle Staaten,
gleich welche geografische Größe oder welche Bevölkerungszahl sie haben, gemeinsam und respektvoll auf
gleicher Augenhöhe miteinander reden.
Herr Bundesaußenminister, deswegen wäre es richtig,
wenn Sie auch ein Wort an unsere kleineren Nachbarländer richten würden. Mit der Kavallerie droht man unseren Nachbarländern nicht. Das ist ein Thema der Außenpolitik und nicht nur der Finanzpolitik.
({10})
Das mag sich hier als Satire anhören, in diesen Ländern
ist das aber von großer Bedeutung. Das zu beachten, ist
auch notwendig; denn um unsere eigenen Interessen
durchsetzen zu können, müssen wir auch auf die kleineren Länder setzen.
Wie nötig das ist, werden wir bereits jetzt sehen,
wenn es um die Personalentscheidungen geht. Herr
Bundesaußenminister, dazu hätten wir in der Regierungserklärung gerne etwas gehört.
({11})
Wie kann es sein, dass zu einem der wichtigsten Anliegen in den nächsten beiden Tagen, nämlich zu der Frage,
wer in Europa wo was zu sagen hat, in der Regierungserklärung kein einziges Wort verloren wird? Was ist das
für eine Regierungserklärung?
({12})
Wir als Parlamentarier werden doch veräppelt, wenn Sie
zu der wichtigsten Frage hier nichts sagen.
Warum sagen Sie dazu nichts? Sie sagen dazu nichts,
weil Sie sich natürlich wieder nicht einig sind. Ich habe
gehört, dass die stellvertretende Chefin der SPD-Fraktion über den Präsidenten gesagt hat, dass Barroso kein
starker Kommissionspräsident war. Wörtlich sagte sie:
Deswegen sind wir in der SPD dagegen, dass
Barroso erneut Kommissionspräsident wird.
Ist das die Haltung der Bundesregierung?
({13})
Hat die Bundesregierung überhaupt eine Haltung?
({14})
- Es ist eine wirklich glückliche Stunde in diesem Parlament, dass wenigstens die Parlamentarier noch an diesen
Unfug glauben.
({15})
Es ist ein Treppenwitz, dass in einer Regierungserklärung nichts zu den künftigen Machtverhältnissen in Europa gesagt wird. Sie verhandeln längst und äußern sich
dazu öffentlich, aber das Parlament soll dazu nichts erfahren. Sie wollen, dass Europa in der Welt stark ist, indem wir mit einer Stimme sprechen - da haben Sie recht -,
aber Deutschland ist in Europa nur stark, wenn wir eine
Regierung haben, die mit einer Stimme spricht. Sie aber
sind ein vielstimmiger Chor. Dadurch werden die deutschen Interessen in Europa geschwächt.
({16})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
ist die letzte europapolitische Debatte in dieser Legislaturperiode, und damit haben wir Anlass, Bilanz zu ziehen, aber auch nach vorne zu schauen.
Durch die Themen, die beim EU-Gipfel heute und
morgen eine wichtige Rolle spielen werden - die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise oder auch die
Bekämpfung des Klimawandels -, werden wir in den
kommenden Jahren und nicht nur in der kommenden Legislaturperiode erheblich gefordert. Deswegen ist es
wichtig, dass wir uns dabei von einem klaren Kompass,
von einer überzeugenden Idee leiten lassen.
Wenn durch die Wirtschafts- und Finanzkrise eines
bestätigt wurde, dann ist es die Stärke und Attraktivität
des europäischen Modells der sozialen Marktwirtschaft.
Wir müssen den Erfolg unserer werte- und regelgebundenen Wirtschaftsordnung in der Welt herausstellen
und für die Umsetzung ihrer Prinzipien eintreten.
({0})
Das gilt sowohl gegenüber unregulierten Marktmechanismen als auch gegenüber Konzepten einer etatistischen
Planwirtschaft.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb
sehr, dass die Bundeskanzlerin immer wieder diesen
zentralen Leitgedanken europäischen Handelns für eine
globale, dem Menschen dienende Wirtschafts- und Finanzordnung hervorhebt und danach handelt. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war die
Aufgabe Europas vor allem die Herstellung einer Friedensordnung. Wir sind bei diesem Ziel weit vorangekommen.
Jetzt muss Europa zu seinem eigenen Schutz seine
Kräfte und seine Stärke noch mehr nach außen wenden.
Angesichts von Herausforderungen wie der Finanz- und
Wirtschaftskrise oder des Klimawandels ist es die Aufgabe der EU, die Stimme der sozialen Marktwirtschaft
für eine internationale Ordnung nachhaltigen Wirtschaftens zu sein. Denn es gibt keine Alternative zu einer
Wirtschaftsordnung, die auch auf den Grundsätzen beruht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, dass
Kinderarbeit und Raubbau an der Natur nicht hingenommen werden und dass wir soziale und ökologische Mindeststandards haben. Sonst werden wir in der Welt von
morgen nicht so leben können, wie wir es wollen. Das ist
der Gedanke, von dem wir uns leiten lassen und der unser Handeln bestimmt.
({1})
Aktuell geht es darum, eine echte europäische Regulierung des Finanzsektors sicherzustellen. Wir müssen
ein Finanzsystem schaffen, das unsere Sparer schützt, den
Unternehmen und Arbeitnehmern verpflichtet ist und mit
Blick auf Hedgefonds, Steueroasen oder Managergehälter im Finanzsektor das europäische Vorbild für eine verantwortungsbewusste internationale soziale Marktwirtschaft darstellt.
({2})
Wer dieses Ziel nach außen erreichen will, braucht
zunächst einmal größtmögliche Geschlossenheit innerhalb der EU und vor allem ein gutes Vertrauensverhältnis. Deshalb war es gut, dass die Bundeskanzlerin
unmittelbar nach ihrem Amtsantritt wieder für Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik, für ein Vertrauensverhältnis zu unseren Partnern
und darauf aufbauend auch für Geschlossenheit innerhalb der EU gesorgt hat. Beides war 2005 nicht der Fall.
Wenn man heute Bilanz zieht, dann muss noch einmal
darauf hingewiesen werden, dass die Regierung
Schröder Europa und die NATO gespalten hatte.
({3})
- Ich erinnere nur an die Pressekonferenz von Chirac,
Schröder und Putin, Herr Kollege, als eine neue Achse
Paris-Berlin-Moskau ausgerufen wurde. Das hat die
Geschlossenheit von NATO und EU nachhaltig zerstört.
({4})
Ich erinnere auch an die Verhandlungen über die Ostsee-Pipeline, die vor 2005 über die Köpfe unserer mitteleuropäischen Nachbarn hinweg vorangetrieben wurden.
Damit wir uns richtig verstehen: Das Projekt ist im Interesse der gesamten EU unverzichtbar, aber die Art und
Weise, wie es von der Regierung Schröder betrieben
wurde, hat die EU nicht geeint, sondern gespalten.
({5})
Sie, Herr Außenminister, waren damals Kanzleramtsminister und tragen damit eine entscheidende Mitverantwortung für diese Spaltungspolitik. Unsere Nachbarn
sind darüber bis heute verunsichert. Wenn Sie jetzt in Ihrer Budapester Rede - also in einem Nicht-Euroland eine, so wörtlich, „engere Abstimmung in der Eurozone
zu zentralen wirtschaftlichen Fragen, insbesondere zur
Lohn-, Sozial- und Steuerpolitik“ fordern, dann ist das
nicht nur unsensibel gegenüber dem Gastland, das nicht
der Eurozone angehört; es birgt vor allem die Gefahr einer neuen Spaltung. Zumindest ist es in seinen Konsequenzen nicht zu Ende gedacht, Herr Außenminister.
Wollen Sie wirklich, dass stabilitätsorientierte Länder
wie Schweden oder Dänemark oder auch unser Nachbarland Polen, das unter seinem Ministerpräsidenten Tusk
eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik betreibt, bei zentralen wirtschaftlichen Fragen außen vor bleiben, weil sie
nicht in der Eurogruppe sind? Was heißt eigentlich „engere Abstimmung“? Entweder geht es um Information
untereinander. Das braucht man nicht zu fordern; denn
es ist heute schon möglich. Man muss es nur tun, und
zwar ohne andere auszuschließen. Oder heißt „engere
Abstimmung“, Vorentscheidungen zu treffen, die wir im
Bundestag im Übrigen nur nachvollziehen könnten? Das
ist eine Beschneidung unseres Haushaltsrechts und
schon daher inakzeptabel.
Nein, Herr Außenminister, die Zuständigkeit für die
Haushalts-, Steuer- und Sozialpolitik liegt aus guten
Gründen nach wie vor bei den Mitgliedstaaten. Es ist der
einheitliche europäische Binnenmarkt, der die Grundlage der Union aller Mitgliedstaaten bildet, sowohl derer, die bereits zum Euroraum gehören, als auch der
Nicht-Eurostaaten. Die entscheidende Rolle bei der Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik muss der
Rat der 27 Wirtschafts- und Finanzminister spielen. Alles andere würde nur zu neuen Verwerfungen führen, die
wir uns nicht leisten können.
({6})
In diesem Zusammenhang begrüßen wir sehr, dass die
Bundeskanzlerin die kleinen und mittleren EU-Staaten
- Herr Westerwelle, Sie haben das soeben erwähnt - immer mitnimmt, wenn es um wichtige Entscheidungen
geht. Ich möchte daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin Estland und Polen bei der Pressekonferenz zum EURussland-Gipfel in Samara vor laufenden Kameras in
Schutz genommen hat. Das hat der Außenminister als
Schaufensterpolitik bezeichnet.
({7})
Es handelt sich aber um die Wahrnehmung deutscher Interessen. Wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt,
finden in der EU künftig häufiger Mehrheitsentscheidungen statt. Deutschland könnte dabei sehr schnell in eine
Minderheitenposition geraten.
({8})
Deswegen ist es gerade im deutschen Interesse, die kleinen und mittleren EU-Partner immer mitzunehmen, einen fairen Interessenausgleich zu suchen, zu vermitteln
und nicht zu spalten.
({9})
Die von der Bundeskanzlerin maßgeblich herbeigeführte Geschlossenheit in der EU und die neu geschaffene Vertrauensgrundlage waren die entscheidenden Voraussetzungen dafür, dass die Finanzierung der EU
Ende 2005 sichergestellt werden konnte, dass die Verhandlungen zum Lissabonner Vertrag während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich abgeschlossen
wurden und dass unter deutschem und französischem
EU-Vorsitz ein entschiedenes Bekenntnis zur Bekämpfung des Klimawandels abgelegt wurde.
Mit dem Klimapaket ist die Europäische Union die
erste und bisher einzige Region in der Welt, die ehrgeizige und rechtlich verbindliche Regeln verabschiedet
hat, um zu verhindern, dass ein weltweiter Temperaturanstieg von mehr als 2 Grad stattfindet. Es kommt jetzt
darauf an, dass sich die anderen großen Industriestaaten
genauso engagieren wie wir Europäer. Das gilt insbesondere für die USA. Den ermutigenden Worten von Präsident Obama müssen nun auch überzeugende Taten folgen.
Nur so werden wir erreichen, dass Schwellenländer
wie China oder Indien ihren Beitrag leisten und wir im
Dezember in Kopenhagen ein echtes weltweites Klimaabkommen beschließen können. Damit es dazu kommt,
müssen alle Staaten noch erhebliche Anstrengungen unternehmen. Wir können aber heute schon sagen: Wir
würden dieses Ziel nicht erreichen, wenn es nicht die
treibende Kraft der Bundeskanzlerin für die führende
Rolle der EU in der Klimapolitik gäbe.
({10})
Die Wahlen zum Europäischen Parlament haben in
vielen EU-Ländern - nicht nur hier in Deutschland wichtige Signale für die künftige Entwicklung gesetzt.
Wir haben mit besonderem Interesse auf das Ergebnis in
Irland geschaut. Aufgrund dieses Ergebnisses können
wir hoffen, dass das erneute Referendum im Herbst den
Weg für das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages frei
machen wird. Der EU-Gipfel wird den irischen Wünschen Rechnung tragen.
Mit dem Lissabonner Vertrag werden wir einen Präsidenten des Europäischen Rates bekommen. Ich bin
davon überzeugt, dass dieser Präsident nicht nur für
mehr Kontinuität und Effizienz der Arbeit des Europäischen Rates sorgen wird. Da er mindestens zweieinhalb
Jahre amtiert, wird er die herausragende EU-Persönlichkeit werden. Als der europäische Präsident wird er eine
halbe Milliarde EU-Bürger repräsentieren. Er wird daher
auf gleicher Augenhöhe mit dem amerikanischen, dem
chinesischen oder dem russischen Präsidenten stehen
und besondere Aufmerksamkeit erhalten.
Das wird aus meiner Sicht nicht nur mehr europäische
Identität stiften; das wird auch die Möglichkeit bieten,
bei künftigen europäischen Wahlen im Wahlkampf die
Aufmerksamkeit auf die Persönlichkeiten und die Kandidaten für die Spitze Europas zu konzentrieren. Dadurch wird die Wahl spannender, was vielleicht zu einer
höheren Wahlbeteiligung führen wird. Ich finde, die
Rolle des europäischen Präsidenten eröffnet eine
Chance, mehr Interesse für Europa zu wecken.
Die Regierung Merkel hat Vertrauen und Handlungsfähigkeit in der Europäischen Union zurückgewonnen.
Das ist die wichtigste Voraussetzung, um die enormen
Herausforderungen der kommenden Jahre geschlossen
und gemeinsam zu bewältigen.
Vielen Dank.
({11})
Dr. Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der EU-Gipfel wird sich mit drei Themen befassen: mit der Finanz- und Wirtschaftskrise, mit dem Lissabon-Vertrag und mit dem Klimaschutz.
Zum Klimaschutz: Man kann deshalb auf wirkliche
Veränderungen - und zwar in einem positiven Sinn hoffen, weil Obama diesbezüglich offensichtlich eine
gänzlich andere Politik macht als Bush. Ohne die USA
kann man das Klima nicht retten und den Klimawandel
nicht verhindern. Deshalb haben wir diesbezüglich Hoffnung.
Zur Finanz- und Wirtschaftskrise: Der Europäische
Rat hat die Absicht, vorzuschlagen, auf keinen Fall mehr
Konjunkturmaßnahmen durchzuführen. Ich muss Ihnen
sagen: Ich finde diese Empfehlung der EU abenteuerlich.
({0})
Wir haben die Talsohle der Krise noch gar nicht erreicht.
Wir wissen noch gar nicht, wie viele Arbeitslose es 2010
geben wird. Aber schon soll entschieden werden: Nichts
mehr investieren! Was heißt „nichts mehr investieren,
keine Konjunkturprogramme mehr“ überhaupt? Die Studenten sowie die Schülerinnen und Schüler gehen auf
die Straße und streiken, weil wir ein unterdurchschnittliches Bildungssystem in Europa haben. Wir sollen nun
aber im Europäischen Rat beschließen: Es gibt nicht
mehr Geld für Bildung. - Das ist doch abenteuerlich; das
geht nicht.
({1})
Nehmen wir als Beispiel die Binnenwirtschaft: Wir
brauchen endlich einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn. Wir brauchen höhere Sozialleistungen.
Wir brauchen höhere Renten, und zwar auch für die
Wirtschaft; denn sonst wird immer weniger gekauft und
werden immer weniger Dienstleistungen in Anspruch
genommen - mit dem Ergebnis, dass die Binnenwirtschaft weiter zusammenbricht. Ich kann diese Empfehlung bzw. - wenn es dazu kommt - diesen Beschluss
des Europäischen Rates überhaupt nicht nachvollziehen.
({2})
Sie haben dazu nichts gesagt, Herr Außenminister.
Im Übrigen will die Regierung selbst über 90 Milliarden Euro weitere Schulden für das Jahr 2009 aufnehmen. Sie verraten uns aber nicht, was Sie im Jahr 2010
vorhaben. Wir wissen zudem nicht, wie viele Schrottpapiere unsere privaten Banken in ihren Bilanzen eigentlich noch haben. Sind es nun über 800 Milliarden, über
900 Milliarden oder über 1 000 Milliarden Euro? Wir
bekommen keine Auskünfte. Wir alle sollen bis zum
27. September nur vor uns hinhecheln. Danach werden
wir Ihre Wahrheiten erfahren. Aber mir ist das zu spät,
muss ich Ihnen sagen, Herr Bundesaußenminister.
({3})
Union und FDP beschließen in dieser Phase der Entwicklung Deutschlands auch noch Steuersenkungen. Das
ist mehr als ein Zauberladen, den Sie da aufmachen wollen. Das ist völlig absurd.
({4})
Ich sage Ihnen, was nach dem 27. September passieren
wird. Ich befürchte, dass man zwei Dinge machen wird:
Man wird Sozialleistungen kürzen und natürlich Steuern
erhöhen. Ich beschreibe Ihnen nun einmal, wie der Zeitgeist dafür organisiert wird. Zuerst gibt es einen Arbeitgeberverband, der sagt: Per 1. Januar 2011 muss die
Mehrwertsteuer von 19 auf 25 Prozent erhöht werden.
Dann kommt noch ein satanisches Argument: Wenn man
das rechtzeitig beschließt und die Leute schon 2010 wissen, dass am 1. Januar 2011 alles teurer wird, dann kaufen sie 2010 mehr ein, und das belebt die Binnenwirtschaft. So die Theorie dieses Arbeitgeberverbandes.
Dann kommt ein Institut aus Hamburg und sagt, man
müsse doch zum 1. Januar 2011 die Mehrwertsteuer von
19 auf 25 Prozent erhöhen, und bringt dasselbe Argument. Dann kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und sagt, man müsse doch zum 1. Januar 2011 die Mehrwertsteuer von 19 auf 25 Prozent erhöhen, und macht denselben Vorschlag. Was machen
nun Union und SPD? Beide sagen: Das kommt gar nicht
in die Tüte.
({5})
Aber ehrlich, Herr Bundesaußenminister, ich fühle mich
sehr an die Plakate von 2005 „Keine Mehrwertsteuererhöhung“ erinnert. Aus null wurden dann 3 ProzentDr. Gregor Gysi
punkte. Ich befürchte, dass wir dasselbe nach dem
27. September erleben.
({6})
Nun komme ich zum nächsten Thema - auch das ist
sehr ernst -, zum Lissabon-Vertrag. Sie haben die geringe Wahlbeteiligung bei der Europawahl und eine gewisse EU-Skepsis kritisiert. Sie sagen aber nichts dazu,
dass die Regierung das mitorganisiert. Ich will Ihnen
dazu zwei Beispiele nennen.
Das eine Beispiel ist: Alle Regierungen der EU versuchen immer, Regelungen im Rahmen des Europarechts
dort zu schaffen, wo sie meinen, national nicht weiterzukommen. Dann erleben die Bürgerinnen und Bürger,
dass ihnen jeder zweite Bürgermeister jedes dritte Mal,
wenn sie berechtigte Anträge stellen, erklärt, das gehe
wegen des EU-Rechts leider nicht.
({7})
Wenn er das sagt, stimmt das in der Hälfte der Fälle, in
der anderen Hälfte stimmt es nicht. Das verbessert das
Image der EU im Sinn, im Denken und Fühlen der Menschen nicht gerade.
Das zweite Beispiel - das finde ich viel dramatischer ist: Der Entwurf einer europäischen Verfassung wird
vorgelegt. Dann sagen zwei Völker, nämlich Frankreich
und die Niederlande, Nein. Daraufhin überlegen Sie
nicht, eine bessere Verfassung zu entwickeln. Sie überlegen auch nicht, in allen Mitgliedsländern einen Volksentscheid durchzuführen und überall eine Mehrheit zu
erreichen, damit wir eine EU der Völker bekommen.
Vielmehr überlegen Sie, wie Sie diesen Vertrag kosmetisch leicht korrigieren, um zu verhindern, dass es in
Frankreich und Holland noch einmal einen Volksentscheid gibt. Das heißt, Sie überlegen, wie Sie eine EU
der Regierungen schaffen, nicht eine EU der Völker. Genau das haben wir kritisiert.
({8})
Eine Ausnahme hier ist Irland. In Irland muss es nun
mal zwingend einen Volksentscheid geben. Prompt sagt
die Bevölkerung Nein.
({9})
Nun überlegen Sie sich, was Sie machen. Herr Außenminister, Sie erklären: 26 Staaten haben diesen Vertrag ratifiziert bzw. die Parlamente haben zugestimmt, oder man
ist dabei, ihn zu ratifizieren. Die Bevölkerung wurde
nicht gefragt. Schön. Dann sagen Sie: Mit Irland müssen
wir ein Protokoll anfertigen und eine Regelung finden,
damit die Bevölkerung auch Ja sagt. Wissen Sie, dass
Sie damit alle 26 Ratifizierungsverhandlungen wieder
infrage stellen? Wenn Sie jetzt Irland etwas zubilligen,
müssen Sie bedenken, dass das von den anderen Ländern
während der Ratifizierung nicht genehmigt worden ist.
Jetzt müssten Sie, wenn Sie das rechtlich korrekt machen wollen, noch einmal 26 Ratifizierungsverfahren
einleiten. Das sollten Sie aber erst dann tun, wenn die
irische Bevölkerung Ja gesagt hat. Eines geht nicht,
nämlich dass Sie in Irland so lange abstimmen lassen,
bis es eine Mehrheit für den Vertrag gibt. Gehen Sie
doch einen anderen Weg! Schaffen Sie einen Vertrag, der
mit Sicherheit die Zustimmung aller Völker der Europäischen Union finden wird! Das wäre der richtige Weg.
({10})
Ich möchte nun zwei Punkte ansprechen, die Sie mir
einmal erklären müssten. Der erste Punkt ist: In Art. 42
des Lissabon-Vertrages steht:
Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.
Warum, Herr Außenminister, kann in diesem Artikel
nicht stehen: Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, abzurüsten? Warum muss in dem Vertrag stehen, dass sie
sich verpflichten, aufzurüsten? Weshalb muss man dazu
Ja sagen?
({11})
Der zweite Punkt - das ist das stärkste Stück, finde
ich -: Sie haben gesagt, Sie wollen eine internationale
Finanzzone ohne Grauzonen und ohne schwarze Löcher. Daraufhin wurde sehr intensiv geklatscht. Neue
Regulierungen und mehr Bankenaufsicht haben Sie gefordert. Was steht im Vertrag? In Kap. 4, nämlich in
Art. 63, steht - das sage ich auch der FDP -:
Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind
alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
Sie haben im Lissabon-Vertrag jede Regulierung ausgeschlossen und behaupten hier das Gegenteil.
({12})
Sie haben nicht einmal vor, das zu ändern, was dort geregelt ist.
({13})
- Sie können hier so viel herummaulen, wie Sie wollen.
Ich weiß, dass Sie alle dem Vertrag zugestimmt haben.
({14})
Aber das Bundesverfassungsgericht entscheidet erst am
30. Juni dieses Jahres. Danach unterhalten wir uns noch
einmal neu.
({15})
Vielleicht haben Sie doch das eine oder andere übersehen.
Ich komme zu einer weiteren Frage. Der Europäische
Gerichtshof hat immer wieder Einschränkungen des
Streikrechts bestätigt und erklärt, dass öffentliche Aufträge nicht an Tariflöhne gebunden werden dürfen. Warum? Im EU-Recht ist geregelt - keine Regelung im EURecht ist ohne Zustimmung der Bundesregierung entstanden, weil dort das Einstimmigkeitsprinzip gilt -,
dass die Kapitalfreiheit Vorrang vor sozialen Grundrechten hat. Deshalb gibt es jetzt gemeinsame Erklärungen des DGB mit der SPD, mit den Linken und mit den
Grünen, in denen gefordert wird, diese Regelung im Europarecht umzudrehen und dafür zu sorgen, dass die sozialen Grundrechte Vorrang vor der Kapitalfreiheit haben. Nichts davon steht im Lissabon-Vertrag! Er ist
nämlich noch unter dem neoliberalen Zeitgeist abgeschlossen worden. Das ist die Wahrheit. Deshalb müssen
wir das korrigieren.
({16})
Ich bin relativ sicher, dass wir in der Europäischen
Union vorankommen, aber nicht auf der Basis der Konservativen und auch nicht auf der Basis des Neoliberalismus. Wir werden nur dann vorwärtskommen, wenn den
Menschen soziale Sicherheit gewährt wird. Das heißt,
die sozialen Grundrechte müssen endlich im Vordergrund des Europarechts stehen, damit der Europäische
Gerichtshof nicht mehr so abenteuerliche Entscheidungen treffen kann, wie er das in der Vergangenheit getan
hat.
Danke schön.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Kurt Bodewig für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe leider häufig das Vergnügen, nach einem Redner
der Linkspartei zu sprechen. Das zwingt mich dann immer zu Korrekturen:
Der Art. 63 - eine sachliche Korrektur - verhindert
nur, dass ein Land im Finanzsystem der EU ausgegrenzt
wird. Es ist also völliger Unsinn, was der Kollege Gysi
hier gesagt hat.
({0})
Der zweite Punkt, der mich etwas mehr berührt, betrifft die Frage des Umgangs der Partei Die Linke mit
dem Vertrag von Lissabon. Ich will Ihnen eines sagen:
Sie machen nichts anderes, als auf einer antieuropäischen Welle zu surfen. Sie müssen aufpassen, dass Sie
nicht in einer Schmuddelumgebung im Europäischen
Parlament landen, wo eine ganze Reihe von nationalistischen Antieuropäern mit Ihren Argumenten Politik
macht. Diese Ähnlichkeit sollten Sie einmal überdenken.
Ich glaube, das hat etwas mit politischer Kultur zu tun.
({1})
Deswegen werde ich noch eines sagen: Sie werden am
30. Juni eine Watsche vom Bundesverfassungsgericht
bekommen, die sich wirklich sehen lassen kann.
({2})
Ich glaube und hoffe, dass zumindest das zu Vernunftansätzen führt.
({3})
Ich will aber auch auf die anderen Debattenredner
ganz kurz eingehen, bevor ich meine eigenen Anliegen
einbringe. Zur FDP: Ich glaube, jeder hier ist für Subsidiarität. Subsidiarität steht im Lissabon-Vertrag, und sie
wird von keinem infrage gestellt. Ich will aber sehr deutlich machen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union bewusst Themen, die vorher nicht Gemeinschaftsrecht waren, zum Gemeinschaftsrecht gemacht
haben, weil sie gesagt haben: Die einzige politische Lösung, die machbar ist, ist eine europäische Lösung. - Ich
glaube, das ist ein guter Ansatz. Das ist unser Umgang
mit Subsidiarität, und der ist vernünftig.
({4})
Zu Herrn Kollegen Schockenhoff: Ich sagte noch zu
meiner Kollegin: Das ist doch ein vernünftiger Kollege. Als dann Ihre Rede begann, Herr Schockenhoff, war ich
anderer Ansicht und wusste nicht mehr, in welcher Koalition wir sind.
({5})
Ich will nur auf einen Punkt eingehen. Erklären Sie mir
doch einmal, warum Ihre damalige Position der Unterstützung des Irak-Kriegs, der von der Koalition der Willigen geführt wurde, richtig war.
({6})
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Was Bundeskanzler
Gerhard Schröder damals gemacht hat, war ein Zeichen
der Vernunft; denn dieser Irak-Krieg war ein einziges
Desaster, und er führte dazu, dass der Nahe Osten dauerhaft destabilisiert wurde.
({7})
Über diese Verantwortung müssen wir alle miteinander
reden. Ich glaube, das war eine Fehlentscheidung, und
man darf historisch auch einmal etwas korrigieren; das
sage ich allen.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt kommen.
Ich glaube, dass der Europäische Rat jetzt eine ganz
wichtige Rolle spielt. Es gibt wirklich wichtige Themen.
Ich erinnere daran, dass der Außenminister zu Beginn
des Jahres ein Neun-Punkte-Programm über die Grundzüge des zweiten Konjunkturpakets und die Finanzmarktgrundzüge vorgelegt hat. Das wurde im
Steinbrück/Steinmeier-Papier präzisiert. Es wurde
dann von der G 20 fast eins zu eins übernommen. Ich
finde, das ist ein guter Schritt, der sich sehen lassen kann
und auf den man stolz sein kann.
({8})
Es wurde das Thema Steuerentlastung angesprochen. Ich glaube, es ist nicht die Zeit für Steuerentlastungen, es sei denn, alle diejenigen, die diese fordern, erklären, wo sie Einsparungen vornehmen wollen. Wollen sie
an die Sozialsysteme, wollen sie an die Rente, oder in
welcher Form wollen sie agieren? Denn Steuerentlastungen werden nicht zusätzlich möglich sein. Ich freue mich
auf Antworten; denn diese führen zu neuen Auseinandersetzungen.
Ich glaube, dass der Rat richtig liegt, wenn er sich für
eine europäische Finanzaufsicht ausspricht. So müssen
die nationalen Finanzaufsichten koordiniert werden, es
muss aber auch eine Risikoanalyse auf der Makroebene
durch den geplanten Europäischen Ausschuss für Systemrisiken erfolgen. Wir brauchen das. Dies war ein Bereich, der in der Vergangenheit vernachlässigt wurde,
was dazu führte, dass die Finanzkrise in eine Wirtschaftskrise mündete. Ich glaube, dass wir mit dem Konjunkturprogramm der Krise weiter entgegenwirken können und wir irgendwann Licht am Ende des Tunnels
sehen. Ich hoffe nicht, dass im Tunnel uns andere Züge
entgegenkommen.
Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt eingehen: Klima und Energie. Das Thema Klima und Energie wird ein ganz zentrales Thema dieses Rates sein. Ich
glaube, wir haben nur ein ganz kleines Zeitfenster. Der
Klimawandel schreitet bedrohlich fort. Wir müssen dieses Zeitfenster nutzen. Eine der ganz großen Aufgaben
wird das sein, was der Außenminister beschrieben hat.
Es muss uns nämlich gelingen, mit diesem Rat die Konferenz von Kopenhagen vorzubereiten. Wir sollten nicht
nur unsere eigenen Anstrengungen noch einmal beschreiben, sondern darauf abzielen, die CO2-Emissionen
um 30 Prozent zu reduzieren, wenn es gelingt, andere Industrie- und Schwellenländer in diesen Prozess mit einzubeziehen. Das ist der richtige Weg.
({9})
Ich kann Ihnen sagen, es ist jetzt auch die richtige Zeit.
Der Wechsel in den USA war ein wichtiger Meilenstein
auf dem Weg, ein Nachfolgeprogramm für das KiotoProtokoll aufzustellen. Kopenhagen wird wichtig sein.
Es wird übrigens nicht einfach sein, 192 Länder auf
eine gemeinsame Position festzulegen. Ich warne davor,
sich jetzt innerhalb der EU bei der Frage zu verhakeln,
wie der regionale Lastenausgleich erfolgen soll; ich bitte
Sie, auch beim Rat darauf zu achten. Das wäre in diesem
Moment nämlich ein falsches Signal. Erst muss es gelingen, sich auf ein globales Ziel zu verständigen und dieses zu verankern. Wenn dies nicht gelingt, dann wird
diese Welt in weitere neue konkurrierende Blöcke zerfallen, die nicht mehr den alten Blockkonfrontationen entsprechen. Es wird Ressourcenkonflikte in einem Ausmaß geben, das uns alle die Zukunft wirklich fürchten
lässt. Einher damit gehen nicht nur Flüchtlingsbewegungen oder eine Ausdehnung der Sahelzone, vielmehr werden die Grundfesten der Gesellschaften in der Welt erschüttert werden. Deswegen halte ich es für so wichtig,
dieses Thema gut vorzubereiten und zum eigentlichen
Schwerpunkt des Rates zu machen.
({10})
Wir brauchen auch eine globale Technologierevolution. Deutschland hat vor zehn Jahren angefangen, erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu einem
Schwerpunktthema zu machen. Bei diesen Themen sind
wir jetzt sozusagen Weltmarktführer. Meiner Meinung
nach hat jedes Land dieser Welt Anspruch auf eine preiswerte Form der Energiegewinnung. Hierbei voranzukommen, ist unsere große Aufgabe.
Ich nenne ein nächstes Ziel, das auf dem Rat behandelt wird: die Ostsee-Strategie. Sie ist ein großes Anliegen der schwedischen Ratspräsidentschaft. Ich selber bin
ehrenamtlich Chairman des internationalen Baltic Sea
Forums; das Thema ist auch mir also ein großes Anliegen. Es hat aber auch etwas mit der Integration in Europa zu tun. Der Ostsee-Raum bietet eigentlich nach
1989 das beste Beispiel für die Integration von Staaten:
Diese waren bedroht, konnten sich dann aus dem sowjetischen System befreien und schaffen es jetzt in einer
stabilen europäischen Gemeinschaft, sich ökonomisch
zu entwickeln. Hier weiter voranzukommen, ist eine der
großen Aufgaben. Ich halte diese Ostsee-Kooperation
für eine Erfolgsgeschichte; sie kann ein Modell für andere Meeresregionen in dieser Welt sein.
({11})
Diese Region stellt einen großen Block innerhalb der EU
dar, und wir sollten dies wirklich ernst nehmen. Wir sollten sagen: Die Ostsee-Strategie ist etwas, das uns hilft,
auch die Kooperation in anderen Regionen zu bestärken,
etwa im Schwarzmeer-Raum. Wenn sich auch Deutschland als maritimer Standort noch etwas weiterentwickelt,
dann ist das eigentlich kein schlechtes Aushängeschild.
({12})
Lassen Sie es mich auch an dieser Stelle noch einmal
sagen: Meines Erachtens gibt es immer noch eine Spaltung der Energieversorgung zwischen Ost und West.
Es gibt wenig durchgehende Leitungsnetze, etwa in die
baltischen Staaten. Hier müssen wir etwas tun. Entsprechende Programme sowohl europäisch zu verankern wie
auch anzureizen, ist eine große Aufgabe und wird die Integration Europas weiter voranbringen.
({13})
Dazu gehört auch das Pipelineprojekt, das ich für sehr
wichtig halte, denn es dient nicht nur unserem Land,
sondern auch der Versorgung Westeuropas, also einer
Solidarität, die das Zusammenwachsen der beiden großen Teile Europas fördert.
Mir ist wichtig, dass auch Folgendes klar ist: Wir sollten selbstbewusst sagen, es gibt Interessen, auch deutsche Interessen, aber bei allem steht im Mittelpunkt das
Interesse an der Sicherheit der Energieversorgung in
Europa. Wenn wir auf diesem Gebiet vorankommen,
dann sind wir auch ein Vorbild für andere Konfliktbereiche in dieser Welt und zeigen, dass es Lösungsmöglichkeiten gibt, deren Verwirklichung zwar Zeit braucht, die
aber dann auch nachhaltig sind.
({14})
Da ich meine letzte Rede im deutschen Parlament
halte, möchte ich noch einiges über die Zusammenarbeit
in der vergangenen Zeit sagen. Meines Erachtens war es
immer wichtig, dass in außen- und europapolitischen
Fragen ein Konsens erreicht wurde, der so weit wie nur
möglich ging. Antieuropäer einzubinden ist natürlich
schwierig, aber der Rest konnte sich in sehr vielen wichtigen Punkten zusammenfinden. Das war keine Selbstverständlichkeit. Ich sehe darin einen guten Hinweis darauf, dass Deutschland aus der Kontinuität seiner
Außenpolitik die eigentliche Kraft schöpft.
({15})
Diese Kontinuität war nie durchbrochen. Deswegen ist
es wichtig, dies auch einmal festzustellen, und ich
möchte dies auch mit einem Dank an den Außenminister
verbinden.
Lieber Herr Außenminister, lieber Frank, ich glaube,
es war eine gute Zusammenarbeit. Gerade im Europaausschuss haben wir wirklich gut kooperiert. Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundestag ist ein
sichtbares Zeichen dafür. Die Kollegen in vielen anderen
europäischen Ländern schauen immer auf Deutschland
und sagen, so etwas hätten wir auch gern. Insofern kann
man sagen: Wir haben damit ein Stück europäischer Geschichte geschrieben. Herzlichen Dank!
({16})
Ich möchte Ihnen auch für Ihre klare Stellungnahme
nach den Ereignissen im Iran danken. Die vielen Toten
dort sind schon erschütternd. Wahrscheinlich hat ein
massiver Wahlbetrug stattgefunden. Ich fand es richtig,
dass Sie den Botschafter einbestellt haben. Ich fand es
richtig, dass die deutsche Bundesregierung nachgefragt
und nachgehakt hat. Wir werden das Geschehen im Iran
nicht von Europa aus verändern. Wenn sich jetzt Hunderttausende Menschen treffen und sagen: „Gebt uns unsere Stimme zurück“, dann kann ein verantwortliches
Europa dazu beitragen, diesen Stimmen Gewicht zu verschaffen. Ich glaube, das ist die Position des ganzen
Hauses. Es tut gut, dass wir alle gemeinsam an dieser
Stelle Flagge zeigen.
({17})
Ich möchte schließen mit einem Satz des wunderbaren Satirikers Karl Valentin, der vor etwa 100 Jahren gesagt hat: „Kunst ist schön, macht aber Arbeit.“ Ich
glaube, das gilt auch für Europa. Europa ist schön, Europa ist wichtig, Europa macht Sinn; aber es macht auch
eine Menge Arbeit. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten.
Vielen Dank.
({18})
Lieber Kollege Bodewig, zu der von Ihnen gerade
hervorgehobenen Zusammenarbeit im Hause, auch über
Fraktionsgrenzen hinweg, und der Bereitschaft zum
Kompromiss als Voraussetzung für gemeinsame Entscheidungsbildung haben Sie selber in Ihrer parlamentarischen Arbeit ganz wesentlich beigetragen. Dazu
möchte ich Ihnen heute auch im Namen des Hauses
herzlich danken und Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute
wünschen.
({0})
Nun erhält der Kollege Jürgen Trittin das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte
Europawahl hat erstaunliche Erkenntnisse offenbart. Um
18.15 Uhr am Wahlabend verkündete Horst Seehofer:
„Die CSU ist wieder da!“ Dabei müssen Herrn Seehofer
wirklich alle Maßstäbe verrutscht sein: Sie hatte gerade
8 Prozent Verlust eingefahren.
({0})
Man denke einmal daran zurück, was der Maßstab von
Franz Josef Strauß war: 50 Prozent plus X für die CSU.
Dennoch freut sich Herr Seehofer heute, dass sie in Europa nicht zur außerparlamentarischen Opposition geworden ist. Ich sage Ihnen von der CSU: Sie hätten es
verdient; denn Sie haben einen Wahlkampf geführt, der
mit Europa gar nichts zu tun hatte; er hat sich nämlich
nur darauf beschränkt, antitürkische Vorurteile zu schüren. Das ist die Wahrheit.
({1})
Was Ihre europäische Haltung angeht, sind Ihre Äußerungen, Herr Ramsauer, in meinen Augen nicht besser
als manches, was da von Oskar Lafontaine kommt.
Wo wir schon über den Europawahlkampf sprechen,
ist auch festzuhalten: Die CDU war nicht besser als die
CSU. Ich habe mit großem Interesse gesehen, dass die
CDU in diesem Europawahlkampf vor allen Dingen die
Bundeskanzlerin plakatiert hat. Ich habe dann auf dem
Wahlzettel nachgeschaut: Sie stand da gar nicht drauf;
sie stand nicht zur Wahl.
({2})
- Es freut mich, dass Sie das so aufregt. Wissen Sie, warum? Eine Tätigkeit im Europaparlament wäre für die
Bundeskanzlerin im Herbst ja eine schöne Anschlussbeschäftigung gewesen.
({3})
Was jedoch nicht geht, ist, sich nach der Wahl darüber
zu ereifern, dass wir eine schlechte Wahlbeteiligung hatten, nachdem man ausschließlich mit nationalen Themen, mit nationalen Politikern Wahlkampf betrieben
hatte und das, was man für Europa vorhat, nicht offenbart hat.
({4})
Wenn Sie in diesem Wahlkampf ehrlich gewesen wären,
dann hätten Sie Friedrich Merz plakatieren müssen.
Wenn Sie das jedoch getan hätten, dann hätten CDU und
CSU - das garantiere ich Ihnen - nicht 6,7 Prozent, sondern mehr als 10 Prozent verloren; denn niemand in Europa will nach dieser Finanzkrise, wie Herr Merz fordert,
mehr Kapitalismus.
({5})
Das, was CDU/CSU und auch die SPD gemacht haben - ({6})
- Herr Kauder, ich schicke alle Ihre Zwischenrufe an unsere Agentur. Ich fürchte nur, dass sie dann mehr Geld
verlangen wird, weil „WUMS!“ wirkt - zumindest bei
der CDU/CSU.
({7})
Aber eine Politik, bei der man europäisch blinkt, aber
in Wirklichkeit national abbiegt, also von Europa redet,
aber im Kern nationale Politik macht, ist die falsche Antwort auf die europäische Situation. Wir brauchen ein
starkes Europa. Entgegen Ihren Ausführungen, Herr
Westerwelle, muss man klar sagen: Ein starkes Europa
ist mehr als nur ein Binnenmarkt mit politischen Institutionen.
({8})
Es ist ein handlungsfähiges Europa, ein Europa, das europäisch gestalten kann. Gerade Europa ist die Antwort
auf die Herausforderung durch die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise.
Lieber Frank-Walter Steinmeier, normalerweise liegt
eine Regierungserklärung am Abend vorher vor. Sie
hat mich dieses Mal nicht erreicht, weil ich unterwegs
war.
({9})
Ehrlich gesagt, war es aber nicht weiter schlimm, dass
ich sie nicht bekommen habe. Ich habe nichts vermisst.
Ich habe mich fast danach gesehnt, dass die Bundeskanzlerin diese Regierungserklärung abgibt, obwohl
auch sie - zumindest was Regierungserklärungen betrifft keine begnadete Rednerin ist.
({10})
Von einer Regierungserklärung hätte ich mir eine
Antwort auf die Frage erhofft, wie wir mit der Finanzkrise umgehen.
({11})
Wie ist der Stand der Debatte über die Schließung von
Steueroasen, lieber Frank-Walter Steinmeier? Werden
sie geschlossen, oder stemmt sich Gordon Brown immer
noch dagegen und hält seine Hand über diesen rechtsfreien Raum? Wie verhält es sich mit den Bürgschaften?
Hat Herr Steinbrück endlich die Vergabe von Bürgschaften an Banken daran geknüpft, dass sie keine Geschäftsmodelle mehr in Steueroasen pflegen? Warum haben Sie
an dieser Stelle immer noch nichts unternommen, indem
Sie zum Beispiel Bürgschaften oder Kapitalbeteiligungen an deutschen Banken daran binden, dass diese aufhören, zur Steuerhinterziehung und zur Nutzung von
Steueroasen anzustiften? Hier ist noch nichts passiert.
({12})
Sie haben den Aspekt, ob es eine europäische Finanzaufsicht geben wird, vorsichtig angesprochen. In
einer Situation, in der Barack Obama in den USA den
härtesten Gesetzentwurf zur Regulierung der Finanzmärkte vorlegt, lautet die offizielle Position der deutschen Bundesregierung: Sie will eine dreigeteilte europäische Finanzaufsicht,
({13})
sie will jedoch auf keinen Fall, dass die Zuständigkeit
für die Großbanken auf die europäische Ebene verlagert
wird. Dieser Bereich soll weiterhin in die Zuständigkeit
der nationalen Aufsichten fallen. Sie machen nichts anderes, als das System zu verfestigen, das uns in die Katas-trophe, in das Desaster mit der Hypo Real Estate oder
der DEPFA geführt hat. Das ist falsch. Das ist nicht europäisch. Das ist national borniert.
({14})
So blockiert der Finanzminister eine Richtlinie über
internationale bzw. europäische Stresstests für europäische Großbanken. Man muss sich an dieser Stelle einmal die Dimensionen klarmachen. Die Mitgliedstaaten
der Europäischen Union haben mittlerweile Risiken in
Höhe von 3 700 Milliarden Euro verbürgt. Diese Summe
entspricht 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der
Europäischen Union. In einer solchen Situation spricht
sich nun die Bundesregierung gegen Stresstests für europäische Banken aus. Das ist verantwortungslos; das ist
das Letzte. Man hätte mehr aus dieser Krise lernen sollen.
({15})
Herr Kollege Trittin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?
({0})
Herr Kollege Trittin, ich stimme Ihnen zu, dass wir
eine Finanzmarktaufsicht brauchen. Die Koalition ist
deshalb auch dabei, zu prüfen, welche Möglichkeit die
beste ist.
Sie haben jetzt in besonderer Weise den Vorschlag
von Präsident Obama gelobt. Auch wir von der Unionsfraktion wollen, dass die Bundesbank stärker in die Aufsicht eingebunden wird. Aber es gibt da einen Unterschied: Wollen Sie wirklich das von Obama
vorgeschlagene System, nämlich die Aufsicht durch eine
von der Regierung kontrollierte Bank, oder sind Sie mit
uns der Meinung, dass eine unabhängige Bank für die
Kontrolle besser geeignet wäre? Ich warne jedenfalls davor, den Vorschlag von Obama auf unser Land zu übertragen und so zu tun, als ob wir dieses Modell nachbilden sollten.
({0})
Lieber Herr Kollege Kauder, zunächst einmal muss
man feststellen: Der Vorschlag von Barack Obama läuft
darauf hinaus, den gesamten amerikanischen Bankensektor zu regulieren. Jetzt kann man darüber streiten, wie
groß die Unabhängigkeit der Zentralbank sein soll. Dazu
gibt es in Ihrer Fraktion - ich erinnere an die letzte
Rede von Frau Merkel zu diesem Thema - interessante
Positionen, die nicht widerspruchsfrei sind. Entscheidend ist, dass es für diesen Markt eine Regulierung aus
einer Hand gibt.
Ich habe davon gesprochen, dass es die Position der
Bundesregierung ist, auf dem europäischen Binnenmarkt
eine Regulierung zu implementieren, die zwischen Banken, Finanzdienstleistern und Versicherungen unterscheidet. Dabei sollen europäische Unternehmen nicht der europäischen Aufsicht, sondern der jeweiligen nationalen
Aufsicht unterstellt werden. Das ist der Unterschied zu
dem Vorschlag aus den USA. Es geht nicht darum, welches Maß an Unabhängigkeit die Zentralbank hat, sondern darum, dass wir eine Regulierung für einen Markt
aus einer Hand haben.
({0})
Genau das blockieren Sie. Das ist nicht im Interesse der
Steuerzahler und nicht im Interesse Europas.
({1})
Wenn wir schon bei den Unterschieden zu den USA
sind, Herr Kauder, will ich noch weitere Unterschiede an
dieser Stelle anführen. Wir brauchen eine koordinierte
europäische Wirtschaftspolitik. Diese Koordination
wird zurzeit ausgerechnet von der größten Wirtschaftsmacht Europas, der Bundesrepublik Deutschland, blockiert. Sie haben sich allen Ansätzen, eine europäische
Antwort auf die Krise zu geben, hier im Hause und im
Europäischen Rat systematisch widersetzt.
Ich kann Ihnen das an vielen Beispielen erläutern.
Vielleicht wird das am Beispiel Klimaschutz, der schon
angesprochen wurde, am deutlichsten. Frau Merkel, Sie
haben gesagt: Mit mir wird es keine Klimaschutzbeschlüsse geben, die in Deutschland Arbeitsplätze oder
Investitionen gefährden. - Liebe Frau Bundeskanzlerin,
gefährden niedrigere Verbrauchsstandards für Autos Arbeitsplätze oder verbessern sie nicht vielmehr die Wettbewerbsfähigkeit unserer Automobilindustrie auf den
Märkten von morgen? Wer gefährdet denn Arbeitsplätze Sie oder diejenigen, die für moderne Fahrzeuge eintreten?
({2})
Sie, Frau Merkel und Herr Gabriel, haben beim Emissionshandel fast die gesamte Industrie mit Ausnahme des
Kraftwerksbereichs vom Klimaschutz ausgenommen.
Was haben Sie damit erreicht? Sie haben damit den Republikanern im US-Senat eine Entschuldigung geliefert;
denn diese versuchen heute mit Verweis auf dieses Beispiel, die Klimapläne von Barack Obama zu blockieren.
Das ist keine Vorreiterpolitik. Sie haben aus Deutschland
einen Bremser beim Klimaschutz gemacht. Das ist die
Wahrheit.
({3})
Schauen Sie sich einmal an, wie die Antwort auf die
Krise in anderen Ländern aussieht: China investiert in
den Ausbau des Schienenverkehrs Beträge in einer
Größenordnung, die exakt dem Volumen des dritten
Konjunkturprogramms der Bundesregierung entsprechen. Sie haben deutschen Kommunen verboten, im
Rahmen des Konjunkturprogramms auch nur einen Euro
in den schienengebundenen Nahverkehr zu stecken. Das
ist der Unterschied.
({4})
Andere Länder haben von uns gelernt. Sie aber gehen
jetzt einen Schritt zurück, was Investitionen in diesem
Bereich angeht.
({5})
Ich kann die Reihe der Beispiele fortsetzen. Gehen
wir einmal von China weg und schauen in die USA, lieber Herr Kollege Westerwelle.
({6})
Die USA investieren zehnmal so viel gegen die Krise
wie die Bundesrepublik Deutschland. Die USA wollen
in den nächsten Jahren 5 Millionen neue grüne Jobs
schaffen, so die amerikanische Regierung. Sie wollen bis
zum Jahre 2020 1 Million Elektrofahrzeuge auf den
Markt bringen. Aber was passiert in Deutschland? Wir
organisieren den Ausverkauf von veralteter Technologie
über eine Abwrackprämie.
({7})
Das Problem ist, dass Sie nicht vernünftig aufgestellt
sind, um gegen die Krise anzugehen. Sie konzentrieren
sich vielmehr darauf - wenn auch mit einem kleinen
Schlenker; erst gestern haben Sie die Kurve bekommen -,
Herrn Barroso durchzusetzen.
Herr Kollege Trittin, auch Sie müssten jetzt die Kurve
bekommen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich will
Ihnen noch eines sagen: Ich halte José Manuel Barroso
für dieses Amt nicht für geeignet. Er hat bisher nicht nur
alle Initiativen zur Regulierung von Hedgefonds und zur
Regulierung des europäischen Finanzmarktes massiv
blockiert; er hat auch jahrelang selbst bescheidenste
Fortschritte im Klimaschutz blockiert. Wenn CDU/CSU
und SPD nun versuchen, diesen Kandidaten, wenn auch
über einen Umweg, noch einmal durchzubringen, dann
kündige ich an, dass wir Ihnen das nicht durchgehen lassen. Es kann doch nicht sein, dass eine in Insolvenz befindliche Koalition auf den letzten Metern noch Tatsachen schafft.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Stübgen,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
befinden uns am Beginn eines wichtigen Europäischen
Rates, von dessen Entscheidungen viel für die Zukunft
Europas abhängen wird.
({0})
Zudem - das ist in dieser Debatte schon mehrfach aufgetaucht - befinden wir uns wenige Tage nach der Neuwahl des Europäischen Parlamentes. Nach solch einer
Wahl, Herr Kollege Trittin, kann man sicherlich unterschiedliche Auffassungen über die Wahlkampagnen der
einzelnen Parteien haben.
({1})
Ihre „WUMS!“-Kampagne war ja wenigstens noch witzig. Ob sie der Bedeutung Europas angemessen war, das
würde ich allerdings in Zweifel ziehen. Hinzufügen
möchte ich, dass ich die Kampagne der SPD nicht einmal für witzig hielt; aber das Wahlergebnis zeigt ja auch,
dass Sie wohl noch lernen müssen, es in Zukunft anders
und besser zu machen.
({2})
Entscheidend ist aber das Ergebnis der Europawahl.
Ein Eingehen darauf habe ich auch bei den Aussagen des
Bundesaußenministers vermisst.
({3})
Deswegen will ich noch einmal darauf zu sprechen kommen. Das Ergebnis der Europawahl ist, dass die Europäische Volkspartei diese Wahl gewonnen hat, und
zwar eindeutig. Die Europäische Volkspartei stellt
264 Abgeordnete im Europäischen Parlament, über
100 Abgeordnete mehr als die sozialistische Fraktion.
Sie dürfen mir nicht übel nehmen, dass ich mich über
dieses Ergebnis freue.
({4})
Im Übrigen hat es solch einen großen Abstand seit der
ersten Direktwahl 1979 noch nicht gegeben, und das ist
schon ein Weilchen her.
Wenn mit diesem Wahlergebnis die Bürger Europas
entschieden haben, dass die Konservativen - also die Europäische Volkspartei - die Mehrheit im Europäischen
Parlament bilden, ist es doch völlig selbstverständlich,
dass die EVP einen konservativen Kommissionspräsidenten fordert und sagt, sie will Manuel Barroso unterstützen.
({5})
Ob Ihnen das gefällt oder nicht, Herr Trittin: Die Menschen in Europa haben das entschieden. Wir haben
nichts heimlich gemacht. Die EVP hat schon vor einem
halben Jahr Herrn Barroso als Kommissionspräsidentenanwärter für den Fall nominiert, dass sie die Wahl gewinnt. Deswegen denke ich, dass die Zielrichtung der
Europäischen Volkspartei richtig ist.
({6})
Wir müssen aber Folgendes bedenken: Das Europäische Parlament hat sich noch nicht konstituiert; das wird
erst am 14. Juli geschehen. Die Wahl des Kommissionspräsidenten sollte in engem Schulterschluss mit dem Europäischen Parlament erfolgen. Die Mehrheitsfindung
wird schwierig sein; deshalb brauchen wir Zeit. Außerdem müssen wir bedenken, dass wir uns nicht zwischen
nichts und nirgends, sondern zwischen Nizza und Lissabon befinden. Der Nizza-Vertrag sieht andere Regelungen für die Inthronisierung der neuen Kommission vor
als der Lissabon-Vertrag. Deshalb sind drei Dinge zu bedenken; ich glaube, wir und der Europäische Rat sind da
auf dem richtigen Weg.
Erstens. Ich halte es für richtig, dass der Europäische
Rat plant, morgen ein klares politisches Signal für Barroso
als Kommissionspräsidenten abzugeben. Herr Kollege
Westerwelle, ich kann auch Ihrer Unwissenheit abhelfen:
Die Bundesregierung unterstützt einmütig Herrn Barroso
als Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten.
({7})
- Nein, aber ich kann Ihnen das sagen, weil ich das weiß.
Auch Sie werden das in den nächsten Stunden erfahren,
wenn der Europäische Rat votiert.
({8})
Zweitens. Wir müssen dem Europäischen Parlament
Zeit geben, sich mit den Plänen von Herrn Barroso als
Kommissionspräsidenten auseinanderzusetzen.
Drittens müssen wir es schaffen, dass die neue Kommission, wenn unser Plan aufgeht und im Oktober bzw.
spätestens im November der Lissabon-Vertrag in Kraft
treten kann, nach den besseren, demokratischeren Maßregeln des Lissabon-Vertrags eingesetzt wird.
Ich denke, die Vorarbeiten, die der Europäische Rat
heute und morgen hierfür leisten will, sind richtig. Für
den Rest brauchen wir einfach noch Zeit. Zudem müssen
zuvor noch ein paar wichtige Entscheidungen getroffen
werden.
Es ist schon viel über die Notwendigkeit der
Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise gesagt
worden. Das, was für den Europäischen Rat vorbereitet
wurde, ist grundsätzlich richtig. Ich will in der mir verbleibenden Zeit auf das eingehen, wovon ich meine, dass
es für Europa nicht notwendig ist.
Es geht um Folgendes: Die Europäische Kommission
unter Barroso wollte schon auf dem letzten Europäischen Rat im Dezember ein eigenes Konjunkturprogramm in Höhe von 5 Milliarden Euro auflegen. Man
stelle sich vor: 5 Milliarden Euro für 27 EU-Mitgliedstaaten, für fast 500 Millionen Menschen. Da ist schon
der Name ein Etikettenschwindel. Nun soll es ein neues
Konjunkturprogramm in Höhe von 19 Milliarden Euro
geben, wie aus einer Mitteilung der Europäischen Kommission vom 3. Juni dieses Jahres hervorgeht. Was in
dieser Mitteilung steht, klingt zunächst alles sehr gut: Es
soll Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, geholfen
werden, sie in Qualifizierungsmaßnahmen einzugliedern. Es soll eine neue EU-Kreditfazilität eingeführt
werden usw.
Der Gipfel ist nun aber: Herr Spidla hat noch vor zwei
Tagen auf einer Pressekonferenz erklärt, dies alles solle
keinen zusätzlichen Cent kosten. Solche Märchenstunden sollte uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische Kommission eigentlich für immer ersparen.
Natürlich stimmt es nicht, wenn man es sich genau anschaut, dass dieses Programm nichts kostet. Ziel ist im
Kern, dass die Auszahlung der Mittel für den Europäischen Sozialfonds, die für die nächsten sieben bis acht
Jahre vorgesehen war, in den nächsten zwei Jahren
durchgeführt werden soll. Dafür soll die wichtige disziplinierende Wirkung der Kofinanzierung aufgehoben
werden. Das alles mag noch gehen; man muss jedoch sehen: Im Ergebnis wird es in Europa eine Förderung nach
dem Gießkannenprinzip geben. Meine Frage ist aber:
Was machen wir, wenn wir alle ESF-Mittel, deren Auszahlung für die nächsten sieben bzw. acht Jahre vorgesehen war, in den nächsten zwei Jahren ausgeben, nach
2011? Es kann sich doch keiner ernsthaft vorstellen, dass
es ab 2011 keinen Europäischen Sozialfonds mehr gibt
und dass es nach 2011 die Notwendigkeit einer europäischen Sozialpolitik und entsprechender Fördermaßnahmen nicht mehr gibt.
Deshalb begrüße ich, dass die Bundesregierung diesen Plan der Europäischen Kommission auf dem letzten
Sozialministerrat abgelehnt hat und Bundeskanzlerin
Angela Merkel angekündigt hat, auf dem Europäischen
Rat Widerstand gegen dieses Programm vorzutragen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Der Kollege Michael Roth ist der nächste Redner für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
dramatisch niedrige Wahlbeteiligung bei den Europawahlen muss jede engagierte Europäerin und jeden engagierten Europäer entsetzen. Wir sollten deshalb nicht
einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich begrüße es
deshalb, dass einige Kolleginnen und Kollegen heute
Morgen darauf Bezug genommen haben. Wir müssen uns
im Deutschen Bundestag schon fragen: Was hat das möglicherweise mit unserer politischen Arbeit in Berlin, im
Bundestag zu tun? Wie können wir dazu beitragen - das
lässt sich in keiner Wahlkampagne, die fünf Wochen
währt, erledigen -, dass mehr Bürgerinnen und Bürger
Michael Roth ({0})
bereit sind, sich an den wichtigen Wahlen zum Europäischen Parlament zu beteiligen, um damit die demokratische Legitimation des europäischen Integrationsprojektes zu erhöhen?
({1})
Herr Kollege Roth, der Kollege Trittin würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Jetzt schon? - Gut, bitte.
Lieber Kollege Roth, können Sie die Aussagen von
Herrn Stübgen bestätigen, dass auch mit der Fraktion der
Sozialdemokraten abgestimmt worden ist, dass Sie die
neue Präsidentschaft von José Manuel Barroso unterstützen, und wie vereinbaren Sie, wenn es zutrifft, was Herr
Stübgen sagt, dies mit den noch heute Morgen getätigten
Äußerungen Ihres Spitzenkandidaten für die Europawahl, Herrn Schulz, in denen er Herrn Barroso nachdrücklich abgelehnt hat? Warum unterstützen deutsche
Sozialdemokraten im Bundestag über die Koalition
Herrn Barroso, während deutsche Sozialdemokraten im
Europäischen Parlament gegen ihn sind?
Lieber Herr Kollege Trittin, ich werde nicht den Fehler einiger Kolleginnen und Kollegen machen, hier das
Amt des Regierungssprechers zu übernehmen. Ich kann
Ihnen gerne sagen, was meine Fraktion und ich für richtig halten. Herr Kollege, ich nehme Ihre Frage gerne
zum Anlass, dazu etwas zu sagen, weil die vorbereitenden Aspekte der „Kreation“ des Kommissionspräsidenten etwas damit zu tun haben könnten, warum Bürgerinnen und Bürger nicht in notwendigem Maße bereit
waren, sich an den Wahlen zum Europäischen Parlament
zu beteiligen. Dazu gehört für mich, dass wir endlich
einmal für eine stärkere Übereinstimmung zwischen den
Sonntagsreden und unserem konkreten Handeln von
Montag bis Freitag sorgen.
({0})
- Ich werde Ihnen gleich sagen, was das heißt, Herr
Westerwelle.
({1})
Ich möchte das ein wenig einleiten. Das heißt für mich,
dass der Geist des Vertrages von Lissabon schon jetzt
gilt, auch wenn der Vertrag von Lissabon noch nicht in
Kraft getreten ist.
({2})
Deshalb kritisiert meine Fraktion es, dass sich Regierungschefs, Staatschefs, offensichtlich auch einige Mandatsträgerinnen und Mandatsträger
({3})
vor den Wahlen zum Europäischen Parlament auf Herrn
Barroso verständigt haben. Im Vertrag von Lissabon
steht, dass die Nominierung des Kommissionspräsidenten im Lichte der Wahlen zum Europäischen Parlament erfolgt. Deswegen verdient diese Wahl Respekt.
Deswegen wäre es besser gewesen, wenn sich alle vor
den Wahlen zum Europäischen Parlament zurückgehalten hätten.
({4})
Meine Fraktion ist der Auffassung, dass wir jetzt eine
kraftvolle, dynamische Persönlichkeit an der Spitze der
Kommission brauchen. Deswegen können wir den Vorschlag, der immer wieder gemacht wurde, nicht unterstützen. Darüber entscheidet aber nicht die SPD-Bundestagsfraktion, auch nicht die Fraktion der CDU/CSU,
sondern andere. Darüber entscheidet vor allem das Europäische Parlament und nicht wir.
({5})
Das Europäische Parlament bestätigt den Kommissionspräsidenten. Mein Vertrauen in die Kolleginnen und
Kollegen der meisten Fraktionen im Europäischen Parlament ist so groß, dass ich davon überzeugt bin, dass sie
die Wahl sicher etwas schwerer und ambitionierter machen werden, als dies jetzt schon den Anschein hat.
Nun möchte Ihnen auch der Kollege Westerwelle eine
Zwischenfrage stellen. Erfahrungsgemäß ist der Redner
für die Verlängerung der Redezeit immer dankbar. Ich
möchte nur daran erinnern, dass wir mit Blick auf die
heutige, sehr ehrgeizige Tagesordnung auch eine Vereinbarung über die Gesamtdauer dieser Debatte getroffen
haben, an der wir uns gelegentlich orientieren sollten.
Gut. - Bitte schön.
Aber, Herr Präsident, es geht doch um Europa.
Drum!
({0})
Das war eine - es fällt mir wirklich schwer, das zu sagen - sehr kluge Frage von Herrn Trittin; das ist mir
richtig unangenehm.
({0})
Sie haben minutenlang darauf geantwortet.
Das war doch nicht schlecht, was ich gesagt habe.
Wenn Sie selbst davon überzeugt sind, so ist es wenigstens einer in diesem Hause.
({0})
Zu Ihnen komme ich gleich noch!
Ja, natürlich. Wir fürchten uns auch schon.
Herr Kollege, ich hätte die Frage von Ihnen gerne beantwortet bekommen. Herr Trittin hat doch eine sehr einfache Frage gestellt:
({0})
Unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion die Wiederwahl
von Herrn Barroso zum Präsidenten, ja oder nein, und
hat der Bundesaußenminister die Unterstützung der
SPD-Bundestagsfraktion, wenn er in den nächsten beiden Tagen gemeinsam mit der Bundesregierung für die
Wiederwahl von Herrn Barroso eintritt? Ich darf darauf
aufmerksam machen, dass wir keine lyrische Europadebatte abhalten, sondern auf eine Regierungserklärung
antworten, in der uns berichtet wurde, was in den nächsten beiden Tagen entschieden wird.
Im Hinblick auf die mahnenden Worte des Bundestagspräsidenten sage ich: Ja, die SPD-Bundestagsfraktion lehnt diesen Vorschlag ab. Ansonsten loben, ehren
und preisen wir unseren Außenminister, weil er eine exzellente Arbeit leistet.
({0})
Ich weiß nicht, was das für ein Verständnis von Parlamentarismus ist, wenn Abgeordnete einen Abgeordneten
fragen, was die Bundeskanzlerin, die auf dem Europäischen Rat offensichtlich das entscheidende Wort hat,
dort sagen und tun wird. Das finde ich etwas merkwürdig. Nicht nur ich, sondern auch andere Kolleginnen und
Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion haben in den vergangenen Stunden und Tagen das Entsprechende dazu
gesagt.
Lieber Herr Kollege Westerwelle, da Sie den Bundestagspräsidenten heute ermahnt und darauf hingewiesen
haben, dass es sich um eine wichtige Europadebatte handelt, muss ich Ihnen sagen: Diese Aussage passt nicht zu
dem inhaltsleeren Beitrag, den Sie vorher in der Debatte
geleistet haben. Wenn die einzigen mahnenden Worte,
die Ihnen zu Europa einfallen, das Thema Glühbirnen
betreffen, dann ist das ein sehr kleines Karo. Zu den
wegweisenden Entscheidungen, die die Europäische
Union zu treffen hat, passt das überhaupt nicht.
({1})
Ihre Rede war der Beitrag eines Wünsch-dir-was-Außenministers und nicht besonders ambitioniert. Aber das
müssen Sie und Ihre Fraktion natürlich selbst entscheiden.
({2})
Das gebietet der Respekt.
Ich erlaube mir noch einige Bemerkungen zu dem,
was ich gerade unter dem Stichwort „Sonntagsreden“
beschrieben habe: Wie ich bereits deutlich gemacht
habe, hielt ich es für falsch, dass sich einige Staats- und
Regierungschefs schon vor der Europawahl auf Herrn
Barroso festgelegt haben. Ich finde es auch problematisch, dass manche Staats- und Regierungschefs meinen,
sie könnten bei irgendwelchen Kaffeegesprächen oder
Abendessen über Ressortzuschnitte und die Zuständigkeiten der Europäischen Kommission verhandeln.
Im Vertrag von Lissabon heißt es ganz eindeutig: Für die
Ressortzuschnitte und die Verteilung der Zuständigkeiten ist der Kommissionspräsident zuständig.
Darauf mache ich deshalb aufmerksam, weil wir alle
mit Ausnahme der Linken engagiert für den Vertrag von
Lissabon gestritten haben und für ihn eintreten. Ich
hoffe, dass es uns gelingt, diese Regelung zu respektieren und das, was wir in unseren Reden immer wieder bekundet haben, mit konkreten Inhalten zu füllen. Der Vertrag von Lissabon bringt uns voran. Allerdings dürfen
wir uns nicht nur ein paar Punkte, die uns im Tagesgeschehen passen, heraussuchen. Vielmehr müssen wir dafür eintreten, dass das Europäische Parlament im Hinblick auf die Zusammensetzung und Bestellung der
Europäischen Kommission gestärkt wird und dass der
Kommissionspräsident über die Ressortzuständigkeiten
entscheidet.
Zur Europawahl. Im Zusammenhang mit der Wahlbeteiligung und dem Wahlergebnis besorgt mich der Zuwachs, den extremistische, nationalistische und populistische Kräfte und Parteien in der Europäischen Union
erzielt haben. Das sollte jeden Demokraten und jeden
engagierten Europäer beunruhigen,
({3})
weil es um zentrale Grundwerte der Europäischen Union
geht: um Toleranz, Freiheit, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit.
Blicken wir einmal zurück: Es gab schon einmal eine
Phase, in der junge Demokratien dem vereinten Europa
beigetreten sind, nämlich Spanien, Griechenland und
Portugal. Diese Länder sind durch ihren Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft stabilisiert worden,
ihre Demokratien wurden gefestigt, und die Rechtsstaatlichkeit konnte ausgebaut werden. Mich beunruhigen
aber nicht nur die Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, sondern auch die Wahlergebnisse in den NiederlanMichael Roth ({4})
den, wo rechtsextremistische und populistische Kräfte
massive Zuwächse erzielt haben.
Offen antisemitische Kräfte - nicht nur in Ungarn,
sondern auch in anderen Staaten - und offen rechtsextremistische Kräfte haben Zuwächse erzielt und sind in Zukunft mit mehreren Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Dazu dürfen wir nicht schweigen.
Vielmehr müssen wir deutlich machen: Das ist mit den
Grundwerten der Europäischen Union nie und nimmer in
Übereinstimmung zu bringen. An dieser Stelle brauchen
wir die Solidarität aller Demokraten in Europa.
({5})
Vor diesem Hintergrund frage ich den ansonsten von
mir geschätzten Kollegen Michael Stübgen, wie er zu
den Zahlen, die er genannt hat, gekommen ist. Ich weiß
nicht, ob Sie stolz darauf sind, die Fini- und BerlusconiTruppe zur EVP-Fraktion zu zählen. Wenn ich Ihre Zählweise richtig verstanden habe, haben Sie diese populistischen Kräfte aber zu Ihrer Fraktion im Europäischen
Parlament gezählt.
({6})
Nur so konnten Sie zu dem Ergebnis kommen, auf das
Sie gerade sehr stolz hingewiesen haben.
({7})
Jeder sollte erst einmal vor der eigenen Haustür kehren.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Aspekt erwähnen, den ich im Hinblick auf den Weg, den die Europäische Union zukünftig einschlagen sollte, für wesentlich erachte. Wir brauchen in der Europäischen Union
neue kraftvolle Projekte, die diesem Integrationswerk
Dynamik und Richtung weisen. Die Kolleginnen und
Kollegen, die heute Morgen auf die USA hingewiesen
haben, haben recht. Die USA sind inzwischen sowohl
beim Klimaschutz als auch bei der Regulierung der
Finanzmärkte offensichtlich viel ambitionierter, als wir
es noch vor zwei oder drei Jahren für möglich gehalten
hätten.
Was die wirtschaftliche Dynamik anbelangt, muss
man feststellen: Es gibt auf der Welt manche Regionen
und Länder, zum Beispiel China - ich will China allerdings nicht als Vorbild anführen -, die ein Tempo vorlegen, bei dem wir uns fragen müssen: Sind wir noch die
dynamischste, wettbewerbsfähigste, ambitionierteste
und kreativste Region der Welt? Oder müssen wir nicht
möglicherweise neue Projekte auf den Weg bringen oder
darüber nachdenken, die Projekte, die wir unter der deutschen Ratspräsidentschaft dankenswerterweise - das ist
auch Frank-Walter Steinmeier zu verdanken - auf den
Weg gebracht haben, zum Beispiel im Klimaschutz, weiterhin mit großer Ernsthaftigkeit zu verfolgen?
({8})
Diejenigen in diesem Hohen Hause, die argumentieren, Europa sei mitunter sehr beschwerlich und koste
auch Geld, sollten sich bei jeder nationalen Option, die
man ins Spiel bringt, fragen lassen müssen, ob eine rein
nationale Option langfristig gesehen für Deutschland
besser, kostengünstiger, demokratischer und erfolgreicher ist. Ich bin mir hundertprozentig sicher: Wenn wir
diese kritische Prüfung vornehmen, werden wir feststellen, dass jeder finanzielle und politische Aufwand lohnt,
die europäische Karte und nicht die nationale Karte zu
spielen. Das liegt im deutschen und im europäischen Interesse.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eduard Lintner,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich meine vermutlich letzte
Rede im Deutschen Bundestag zum Thema Europäische
Union halten kann.
Diese Freude resultiert aus der gerade in letzter Zeit
immer wieder gemachten Erfahrung, dass die Europäische Union in vielen Teilen der Welt, vor allem bei den
Völkern in unserer engeren und weiteren Nachbarschaft
- praktisch von Island bis Zentralasien - als ein überaus
attraktives Gebilde wahrgenommen wird. Sie steht für
breit verteilten Wohlstand, überdurchschnittliche soziale
Sicherheit, echte Demokratie, verlässliche Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit und die Geltung der Menschenrechte. Das Beispiel der EU lässt die Menschen in
diesen Ländern auf persönliche Entfaltungsfreiheit
und faire Chancenverteilung hoffen.
Nicht immer - das wissen wir - entsprechen diese Erwartungen der Realität bei uns. Außerdem sind sie diffus. Sie mobilisieren aber ungeheuer stark Sympathie
und Dynamik in Richtung demokratisches Europa und
mobilisieren so viele Menschen für das Ziel, Anschluss
an dieses Europa zu finden.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns dieser
Wirkung bewusst sein und bei unserem Tun in der EU
und in Deutschland bedenken, dass wir solche Hoffnungen nicht enttäuschen dürfen, weil dann die Reaktionen
Frustration und brüske Abwendung wären.
Das bedeutet aber auch, dass mit jedem europäischen
Gipfel - so auch mit dem jetzt bevorstehenden - von
vielen Völkern große Erwartungen und Hoffnungen verbunden werden, denen unsere Politik im Rahmen des
Möglichen gerecht werden muss. Das ist eine gewaltige
Verantwortung, die auf den Schultern der beteiligten Regierungschefs ruht.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei der Bundesregierung, allen voran bei der Bundeskanzlerin, dafür
bedanken, dass sie stets eine führende Rolle bei der Gestaltung dieses Europas gespielt hat und das in Zukunft
sicher weiter tun wird.
({0})
Solcher Verantwortung und Erwartungshaltung kann
man nur gerecht werden, wenn die EU sich selbst in einer Verfassung befindet, die es ihr erlaubt, sich auf diese
Ziele zu konzentrieren, und man nicht gezwungen ist,
sich mit aller Kraft dem Innenleben der EU zu widmen.
In einer solchen Situation befinden wir uns derzeit.
Der Vertrag von Lissabon hängt seit langer Zeit in der
Schwebe. Der Ratifikationsprozess muss alsbald erfolgreich zu Ende gebracht werden,
({1})
weil die mit dem Vertragswerk verbundenen Reformen
Voraussetzung dafür sind, dass die notwendige Arbeitsund Entscheidungsfähigkeit gegeben ist, und die ganz in
unserem Sinne liegende substanzielle Mitsprache des
Europäischen Parlaments stärken.
Meine Damen und Herren, es ist daher zu wünschen,
dass es beim bevorstehenden Gipfel gelingt, den Vertrag
von Lissabon voranzubringen, die richtigen personellen
Weichenstellungen vorzunehmen, Vorreiter für den Klimaschutz und die Neuordnung der Finanzmärkte zu sein,
die eingegangenen strategischen Partnerschaften und
Nachbarschaftspolitiken dynamisch und erfolgreich zu
gestalten, die Visumsregelungen entgegenkommend anzuwenden,
({2})
den Demokratisierungsprozess in Gang zu halten und
voranzubringen sowie die wirtschaftliche Kooperation
eng und für alle Beteiligten vorteilhaft zu gestalten.
Die Fähigkeit dazu hat die EU, wie die Erfolge bei der
Integration der neuen Mitgliedstaaten zeigen. Im Interesse unserer eigenen Zukunft wünsche ich, dass die
Verantwortlichen in der EU auch beim kommenden Gipfel und darüber hinaus die Fähigkeit haben, weiterhin
der Motor zu sein und die richtigen Wege zu finden.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort erhält nun der Kollege Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Wenn ich darf, möchte ich heute gerne
Glückwünsche überbringen an Jürgen Habermas, der
heute seinen 80. Geburtstag feiert. Ich hoffe, dass alle in
diesem Hause erkennen, welche große, historische Rolle
dieser Philosoph nicht nur in Deutschland als Inspirator
europäischen Denkens gespielt hat und noch spielt.
Der kanadische Philosoph Charles Taylor hat, wie
man heute in der Süddeutschen Zeitung lesen kann, eine
wunderbare Laudatio auf Jürgen Habermas geschrieben:
Er ist eine Inspiration für uns alle.
In den 50 Jahren seiner wissenschaftlichen Arbeit hat
Habermas für das gestanden und gelebt, was Thomas
Mann gesagt hat, als er zurückkam aus dem Land, in das
er vor Nazideutschland, vor Hitler hat fliehen müssen.
Thomas Mann hat sich gewünscht, dass Deutschland
nicht, wie die Nazis es wollten, versucht, Europa zu
überwältigen, sondern dass Deutschland in Europa eine
aktive Rolle übernimmt. Es geht nicht darum, ein deutsches Europa zu schaffen, sondern ein europäisches
Deutschland. Das hat Thomas Mann gesagt.
Jürgen Habermas lebt das.
({0})
In seinem wunderbaren Buch „Ach, Europa“, das letztes
Jahr erschienen ist, hat Habermas genau beschrieben,
was den inneren Kern des europäischen Projekts ausmacht, nämlich die internationalen Beziehungen in
rechtliche Beziehungen zu verwandeln. Nicht mehr das
Recht des Stärkeren soll sich durchsetzen, sondern die
Stärke des Rechts. Dabei nimmt Habermas - wie kann es
in diesem Zusammenhang anders sein? - den Grundgedanken von Immanuel Kant neu auf - und er führt ihn
weiter aus -, dass aus einem Recht des Staates ein Weltbürgerrecht werden muss, das allen Menschen als Weltbürgern zusteht.
Mein lieber Kollege Kampeter, wenn Sie den Lissabon-Vertrag lesen, finden Sie genau diesen Grundgedanken, der von Immanuel Kant schon vor mehr als
200 Jahren formuliert worden ist, im europäischen
Staatsbürgerbegriff wieder. Was hier im Lissabon-Vertrag niedergelegt worden ist, ist ein qualitativer Sprung.
Hier wird die Bilanz einer langjährigen europäischen
Denktradition gezogen.
Wir dürfen die Schwierigkeiten, die wir in der Europäischen Union jeden Tag erkennen und über die wir uns
häufig genug erregen können, nicht in kleiner Münze
messen. Wir müssen - auch aus der Sicht eines Liberalen, Herr Westerwelle - den großen Sprung nach vorne,
den dieser Vertrag darstellt, verteidigen und dafür sorgen, dass der Lissabon-Vertrag überall durchgesetzt
wird.
({1})
Meine Sorge, Herr Außenminister, ist nicht Island.
Island mag jetzt aus ökonomischen Interessen, ja, fast
aus einem nationalen Egoismus heraus Mitglied der Europäischen Union werden wollen. Es ist kein schlechter
Zug, dass man aus eigenen Interessen Mitglied der Europäischen Union wird.
Meine wirkliche Sorge ist, dass die Probleme und
Konflikte, die wir in Großbritannien gegenwärtig erkennen, dazu führen könnten, dass das Inkrafttreten des
Lissabon-Vertrags auf die lange Bank geschoben werden
kann. Ich wünschte mir, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Mutter des Parlamentarismus, in Westminster,
allen möglichen Versuchungen widerstehen, diesen großen qualitativen Schwung, den wir nach einer langen
Debatte gemeinsam erlebt haben, jetzt wieder zu verlieren. Das ist eine große Gefahr.
Gerade die Bildung von Nationalstaaten zeige, sagt
Jürgen Habermas - ich darf noch einmal an ihn anknüpGert Weisskirchen ({2})
fen -, wie rechtliche Begriffe „erst mit Anschauung,
Emotion und Gesinnung“ erfüllt wurden. Er fragt:
Warum sollte sich die Hülse der längst eingeführten
europäischen Staatsbürgerschaft nicht auf ähnliche
Weise mit dem Bewusstsein füllen, dass alle europäischen Bürger inzwischen dasselbe politische
Schicksal teilen?
Das ist der innere Zusammenhang: Die sozialen Bindekräfte müssen neu entwickelt werden, damit - das ist
vielleicht der wirkliche Indikator dafür, warum die
Wahlbeteiligung am 7. Juni 2009 so dramatisch zurückgegangen ist - das soziale Europa als ein neues gemeinsames Projekt der Europäer erfunden werden kann.
Denn die Sorgen und Ängste der Menschen, die wir in
der ökonomische Krise gegenwärtig erkennen müssen,
können dazu führen, dass die politische Beteiligung der
Menschen - gerade in Wahlakten zeigt sich das - zurückgeht.
Die Vision der Europäischen Union muss auch die soziale Gerechtigkeit mit einbeziehen; denn - durch Solidarnosc wurde uns das gezeigt - es gibt keine Freiheit
ohne Solidarität. Auch das ist ein europäischer Auftrag.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Die letzten beiden Redner dieser Europadebatte haben heute voraussichtlich zum letzten Mal von dieser
Stelle aus das Wort ergriffen. Sie werden am Ende dieser
Legislaturperiode nach einer außergewöhnlich langen
Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag ihre Arbeit an
anderer Stelle hoffentlich fortsetzen.
Weil es in diesem Hause außergewöhnlich selten vorkommt, dass jemand mehr als 30 Jahre lang ein solches
Mandat wahrnimmt, möchte ich den beiden Kollegen
Eduard Lintner und Gert Weisskirchen
({0})
ganz besonders herzlich für dieses außergewöhnlich
lange und außergewöhnlich fruchtbare Engagement danken und alle guten Wünsche für die Zukunft damit verbinden.
({1})
Herr Kollege Weisskirchen, im Übrigen wird es Sie
hoffentlich beruhigen, dass ich die Glückwünsche an
Herrn Professor Habermas auch im Namen des ganzen
Hauses pünktlich übermittelt habe.
({2})
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 16/13367? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser
Entschließungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache
16/13391? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Auch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Staatsgarantie für die Sozialversicherungen Schutzschirm für Menschen
- Drucksache 16/12857 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({3})
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre hierzu keinen Widerspruch. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die
Linke.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wieder einmal beschäftigen wir uns mit der
Wirtschaftskrise in unserem Land. Allmählich werden
die wahren Ausmaße dessen bekannt, was sich in unserem Land abspielt, und die wahren Zahlen werden offenkundig. Dem Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute zufolge haben wir im ersten Halbjahr
2009 mit einem negativen Wachstum - also mit dem Abbau der Wirtschaftsleistung - von 7,2 Prozent und im
zweiten Halbjahr mit einem Minus von 4,8 Prozent zu
rechnen.
Was macht die Bundesregierung, und was macht die
Kanzlerin? Im Fernsehen wurde uns eine Garantie für
die Spareinlagen verkündet. Wir haben einen Schutzschirm für die Banken mit einem Volumen von
480 Milliarden Euro beschlossen. Wir erleben gleichzeitig die Konzeptionslosigkeit bei dem Versuch, einzelne
Unternehmen zu retten. Einerseits wird eine Bank wie
die Commerzbank mit staatlicher Unterstützung am Leben erhalten, um die Einlagen der Aktionäre zu sichern.
Andererseits haben wir die Streiterei der Bundesregierung über die Frage, wie mit Opel zu verfahren ist, und
eine absolute Konzeptionslosigkeit und Handlungsunfähigkeit gegenüber Arcandor erlebt. Wir haben ein Konjunkturprogramm von circa 25 Milliarden Euro bezogen
auf das Jahr, während sich das Bruttoinlandsprodukt um
voraussichtlich 6 Prozent verringern wird.
All das wird nicht einmal ansatzweise reichen, um die
Probleme in unserem Lande zu lösen.
({0})
Die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch. Gegenwärtig
wird das alles noch überdeckt. Es wird nicht offensichtlich, weil richtigerweise die Kurzarbeiterregelungen ausgedehnt wurden. Das befürworten wir ausdrücklich.
Aber wie lange kann das Instrument der Kurzarbeit Ihrer
Meinung nach noch helfen? Wir müssen davon ausgehen, dass sich in den nächsten Monaten und insbesondere nach der Bundestagswahl die Arbeitsmarktsituation
dramatisch verändern und es in unserem Land zu einer
steigenden Zahl von Arbeitslosen kommen wird, die die
Situation in den letzten Jahren in den Schatten stellt.
Wir wissen auch, wie der Anstieg der Arbeitslosenzahlen zustande kommen wird. Die ersten, die in der
Krise ihren Job verloren haben und nicht mehr durch irgendeine Form von Kurzarbeit vor Hartz IV geschützt
sind, sind die Leiharbeiter. Bei Opel droht trotz aller
Rettungsversuche der Abbau von Arbeitsplätzen. Auch
beim Unternehmen Schäffler ist mit einem Arbeitsplatzabbau zu rechnen. Bei meinem Besuch in Schweinfurt
gestern wurde deutlich, dass auch in der EDV-Industrie
inzwischen ein dramatischer Abbau von Arbeitsplätzen
angedacht wird, dem nicht durch irgendeine Form von
Kurzarbeit begegnet werden soll.
Die Zahl der Pleiten steigt. Das daraus entstehende
Problem müsste jedem zu denken geben. Wir werden erleben, dass die Sozialversicherungen dramatische Finanzierungsprobleme bekommen werden. Die Einnahmen
werden sinken, weil es weniger Beitragszahler gibt,
während die Ausgaben zum Beispiel der Bundesagentur
für Arbeit steigen werden, weil sie die arbeitslosen Menschen finanzieren muss.
({1})
- Ich weiß nicht, warum Sie den Kopf schütteln, Herr
Weiß. Glauben Sie, die kriegen ihr Geld vom Weihnachtsmann?
({2})
Selbstverständlich werden die Einnahmen sinken und
die Ausgaben steigen. Das ist die Realität. Man muss
schon auf einem anderen Stern leben, wenn man das
nicht zur Kenntnis nimmt.
Ich frage Sie alle, wie Sie dem Problem begegnen
wollen. Was haben Sie vor? Was wollen Sie in der Situation sinkender Einnahmen und steigender Ausgaben machen, um den Menschen die Sicherheit zu geben, dass
ihre Existenz nicht bedroht wird, wenn die Arbeitslosigkeit zunimmt? Was haben Sie dazu für Vorschläge?
Der einzige Vorschlag, der zurzeit durch die Welt
geistert, ist die Sicherung der Renten. Das ist gut und
schön. Sie sollen nicht sinken. Ehrlicherweise müssten
Sie aber dazusagen, dass die Renten in den nächsten vier
oder fünf Jahren nicht mehr steigen werden. Das ist die
Wahrheit.
({3})
Damit ist Ihr Konzept offengelegt, wie Sie die Krise
bewältigen wollen. Nach Ihrer Vorstellung sollen die
Menschen, die nichts mit den Ursachen der Krise zu tun
haben - nämlich die Beschäftigten, die Rentner und die
Arbeitslosen -, für die Krise zahlen und sie bewältigen.
Das ist eigentlich Ihr Konzept. Das macht die Konzeptionslosigkeit, in der Sie sich befinden, deutlich.
Das Handelsblatt schreibt am 27. April 2009:
Allein bei der Arbeitslosen- und bei der Krankenversicherung addieren sich Fehlbeträge von bis zu
50 Mrd. Euro bis Ende kommenden Jahres.
1,1 Millionen Kurzarbeiter kosten circa 9 Milliarden
Euro. Wer soll das bezahlen?
Jetzt will die Kanzlerin Mehrwertsteuererhöhungen
ausschließen. Das ist ja klasse. Das hatten wir doch
schon einmal, auch vonseiten der Sozialdemokraten. Ich
habe die alten Flugblätter dabei, auf denen stand:
Merkel-Steuer, das wird teuer. Oder: Ich kann mir
Angela Merkel nicht leisten. Oder: Ich koste 2 Prozent
mehr. - Das war vor der Wahl. Nach der Wahl waren es
dann aber 3 Prozent.
Vor der letzten Wahl haben die Sozialdemokraten gesagt: Es wird keine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters geben. - Jetzt liegen wir bei einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren. Glauben Sie denn, dass das, was Sie
in Ihre Wahlprogramme schreiben, von der Bevölkerung
wirklich ernst genommen wird?
({4})
Dagegen sind die Münchhausen-Geschichten eine Ausgeburt an Wahrheit. Glauben Sie tatsächlich, dass Sie
noch jemand ernst nimmt, wenn Sie sagen, dass Sie eine
Mehrwertsteuererhöhung ausschließen? Glauben Sie
wirklich, dass Ihnen das jemand in dieser Republik, angesichts dessen, wie Sie mit den Bürgern in den letzten
vier Jahren umgegangen sind, abnimmt? Wenn sich Herr
Müntefering hinstellt und sagt, er findet es unfair, dass er
an das erinnert wird, was er vor der Wahl gesagt hat,
dann weiß doch der Bürger, dass er den Politikern überhaupt nicht trauen kann.
({5})
- Ich weiß nicht, warum Sie sich so echauffieren. Es war
doch letztendlich auch Ihre Partei, die sich an das, was
sie vor der Wahl gesagt hat, nicht mehr erinnert. Inzwischen schreiben Sie sogar bei den Linken ab, was Sie
vorher als populistisch bezeichnet haben, zum Beispiel
bei der Kilometerpauschale.
({6})
Sie müssten an dieser Stelle ganz ruhig sein; das wollte
ich Ihnen einmal sagen.
({7})
Weil Ihnen die Bürger nicht mehr trauen können, haben wir einen Antrag vorgelegt, der ganz einfache Sätze
enthält, die eigentlich jeder hier verstehen müsste.
({8})
- Ich weiß, dass Sie es mit dem Einfachen nicht so haben. Ich möchte es Ihnen aber einmal vorlesen, vielleicht
macht es dann für Sie Sinn:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, … Kürzungen der sozialen Leistungen für
die nächsten vier Jahre verbindlich auszuschließen; …
({9})
- und für die aufgrund der Wirtschaftskrise entstehenden
Defizite der Sozialversicherungen mit einer Staatsgarantie zu bürgen.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sich alle Parteien
hier im Bundestag verpflichten,
({10})
eines in dieser Krise nicht zu machen: dass wir, wenn die
Rechnung nach der Bundestagswahl präsentiert wird, die
Bürger zur Kasse bitten, dass wir die zur Kasse bitten,
die von Sozialleistungen leben müssen, dass wir die
Rentner zur Kasse bitten
({11})
und dass wir schließlich die Arbeitslosenversicherungsleistungen kürzen. - Das ist eine klare Ansage,
({12})
die bewirken würde, dass die Menschen in unserem
Land das, was wir sagen, ansatzweise ernst nehmen.
({13})
Ich gehe davon aus, dass Sie unseren Antrag ablehnen
werden. Sie werden sagen: Das ist purer Populismus. Das sagen Sie aber zu allem. Hinterher schreiben Sie es
dann aber ab. Das beeindruckt mich nicht mehr.
({14})
Ich kann Ihnen sagen: Die Bürger dieses Landes werden
ernst nehmen, ob Sie tatsächlich bereit sind, eine Sozialstaatsgarantie abzugeben, und ob Sie bereit sind, vor
der Wahl zu erklären: Nein, es gibt keine Sozialkürzungen.
({15})
Wenn Sie das nicht tun, wissen die Bürger, dass Sie nach
der Bundestagswahl im September die Rechnung für das
präsentieren werden, was Sie jetzt noch verschleiern.
Das ist die Wahrheit.
Ich danke fürs Zuhören.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Kampeter für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die soeben vorgetragene Rede und der Antrag
der Linken haben gezeigt, dass wir eigentlich eine
Grundsatzdebatte über Reformfähigkeit und Reformwilligkeit in Bezug auf unsere Sozialversicherungssysteme
führen müssten. Es geht darüber hinaus auch um die
grundsätzliche Regierungsfähigkeit bzw. Regierungsunfähigkeit linker Parteien angesichts der enormen Herausforderungen, die wir in den nächsten Jahren zu
bewältigen haben. Durch die globale Wirtschafts- und
Finanzkrise sind die Aufgaben nicht kleiner, sondern
größer geworden. Die vor uns liegende demografische
Entwicklung und unser Anspruch an eine humane, das
Leben schützende und soziale Belange respektierende
Gesellschaft - dies bleibt Aufgabe.
Wenn ich die Rede von Herrn Ernst Revue passieren
lasse und den Antrag der Linken lese, dann stelle ich
fest: Unter dem Begriff „Schutzschirm“ wird der völlige
Stillstand aller Reformbemühungen in der Renten-,
Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung verlangt.
({0})
Die Linke fordert die Politik tatsächlich auf, quasi
eine Selbstblockade des Staates und der Sozialversicherung zu verfügen. Dies ist nichts anderes als ein Frontalangriff auf die nachfolgenden Generationen. Die Sozialisierung der Reformnotwendigkeiten in den sozialen
Sicherungssystemen, wie sie die Linke fordert, wird von
einer breiten Mehrheit in diesem Haus abgelehnt.
({1})
Der Vorschlag der Linken ist nicht nur populistisch, sondern auch brandgefährlich und liegt nicht im Interesse
der Bürgerinnen und Bürger. Diese erwarten - anders als
hier vorgeschlagen - von der Politik Lernfähigkeit. Aus
dem Schaden, der durch die Finanz- und Wirtschaftskrise entstanden ist, müssen wir klug werden. Wir müssen eine intelligente Reform anstoßen.
({2})
Die Sozialisierung der Reformnotwendigkeiten ist
nichts anderes als ein Verrat an den nachfolgenden Generationen; den lehnen wir ab.
({3})
Wir müssen die vorhandenen Potenziale erkennen und
nutzen sowie die Zukunft gestalten. Das, was Sie, meine
Damen und Herren von der Linken, in Ihrem Antrag vortragen, ist ein politisches Versagen, eine Bankrotterklärung. Sie versagen vor den Herausforderungen, vor die
uns die Krise stellt.
({4})
Wenn ich davon spreche, dass wir die Generationengerechtigkeit zum Maßstab der Reformen machen, dann
bedeutet das: Wir stehen bei der langfristigen Finanzierung der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung
und der Rentenversicherung vor großen Herausforderungen. Die demografische Entwicklung und eine bessere
medizinische Versorgung sind Punkte, mit denen wir uns
befassen müssen. Ein langes, erfülltes Leben bei guter
Gesundheit ist das, was wir uns alle wünschen. Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger an den medizinischen Fortschritten teilhaben und bestmöglich versorgt
werden. Aber die Finanzierung der Systeme wird eine
zunehmend schwierigere Aufgabe. Einen gesellschaftlichen Kampf Alt gegen Jung kann nur derjenige verhindern, der sowohl die Generationengerechtigkeit als auch
die Sensibilität bei der Nachjustierung der Systeme zur
Grundlage seiner Entscheidungen macht. Dies kann nur
eine politische Kraft aus der Mitte der Gesellschaft; dies
können nur Volksparteien. Dies darf man nicht linken
Populisten überlassen.
({5})
Dabei ist eines ganz klar: Wir haben auch in der zu
Ende gehenden Legislaturperiode diese Aufgaben in
großer Solidarität aller Interessengruppen bewältigt. Mit
großer Zuverlässigkeit haben wir dort, wo es anstand,
die sozialen Sicherungssysteme auch mit Steuermitteln
stabilisiert. Dabei gehen wir aktuell so weit, Rentenkürzungen per Gesetz auszuschließen, selbst wenn die Einkommen der Erwerbstätigen sinken sollten. Wir sollten
an dieser Stelle auch würdigen, dass die junge Generation dieses große Maß an Solidarität in dieser Krise aufbringt.
({6})
Was Sie von der Linken betreiben, ist ein übles Spiel
mit der Angst, ein übles Spiel auf Kosten derer, die heute
Leistungen beziehen und durch Ihre Panikmache verunsichert werden. Es ist ein übles Spiel auf Kosten derer,
die heute in die Kassen einzahlen und zu Recht erwarten,
dass wir, die Politik, die Systeme zukunftssicher machen. Ich will es in einem Satz zusammenfassen: Die eigentlichen politischen Spekulanten in der Krise sitzen
auf der linken Seite dieses Hauses.
({7})
Wir brauchen eine umfassende Reformdebatte über
die Zukunftsfähigkeit unserer sozialen Sicherungssysteme und keine Schutzschirmillusionen. Die Bürgerinnen und Bürger fragen: Welche Rezepte habt ihr zu
bieten, um unsere soziale Absicherung langfristig zu gewährleisten? Dabei gilt es,
Herr Kollege!
- Fehler in den Strukturen zu beheben.
Darf ich Sie unterbrechen?
Das tun Sie bereits, Frau Präsidentin.
Es tut mir leid, aber Sie waren so im Redefluss. Ich
habe gedacht, der Satz sei schon beendet gewesen. - Der
Kollege Ernst hätte gerne eine Zwischenfrage gestellt.
Der Kollege Ernst kann gerne meine Redezeit durch
eine Zwischenfrage verlängern.
Bitte, Herr Kollege.
({0})
Ich verlängere Ihre Redezeit sehr gerne. - Sie haben
über die prinzipielle Reformfähigkeit gesprochen. Haben Sie denn Verständnis dafür, dass die Bürger, wenn
sie das Wort „Reform“ hören, nicht mehr nur positiv gestimmt sind, weil sie in den letzten Jahren die Erfahrung
gemacht haben, dass die Reformen letztendlich immer
zu ihren Lasten gingen und dass es hinterher nicht besser
war als zuvor? Haben Sie Verständnis dafür, dass die
Bürger, wenn sie das Wort „Reform“ hören, inzwischen
ihre Geldbörse festhalten, weil sie wissen, dass man ihnen dort hineingreifen will?
({0})
Herr Kollege Ernst, wenn Sie die vergangenen Jahre
bis zum Eintritt der Wirtschafts- und Finanzkrise in der
Bundesrepublik Deutschland unter sozialen Gesichtspunkten betrachten, dann werden Sie feststellen: Es hat
noch nie ein so dichtes Netz der sozialen Sicherungssysteme wie in dieser Legislaturperiode gegeben.
({0})
Wir haben in den sozialen Sicherungssystemen eine
so umfassende Reformpolitik durchgesetzt, dass wir sogar einen Nachkriegsrekord bei der Beschäftigung hatten.
({1})
Es ist uns gelungen, in den vergangenen Jahren durch
diese soziale Reformpolitik eine Integration von Problemgruppen in den Arbeitsmarkt durchzuführen - beiSteffen Kampeter
spielsweise der Jüngeren, der Älteren und der wenig
Qualifizierten -, was dazu geführt hat, dass weit über
40 Millionen Menschen in Deutschland eine Beschäftigung gefunden haben. Die Reformpolitik der sozialen
Sicherungssysteme, des Steuersystems und auch anderer
Bereiche hat zentral dazu beigetragen, dass wir jetzt in
der Lage sind, dieser Krise zu begegnen und die Herausforderungen, die sich nicht nur in der Krise stellen, von
einem starken Stück Deutschland aus anzugehen.
Die Menschen, die dazu beigetragen haben, sitzen
nicht nur in diesem Haus. Vielmehr sind das die Menschen, die durch ihren Fleiß und ihre Arbeit diese starke
wirtschaftliche Position unseres Landes geschaffen haben. Diese sollten Sie nicht in der Art und Weise denunzieren,
({2})
wie Sie das in Ihren Reden und Fragen dauernd tun.
Vielmehr sollten Sie anerkennen: Wir Deutsche sind gemeinsam bereit, diese Herausforderungen anzunehmen.
Dieses Haus, dieser Deutsche Bundestag, wird alles Erdenkliche dafür tun, dass die Herausforderungen der
Krise sozialverträglich gemeistert werden können. - Das
ist meine Antwort auf Ihre Frage.
({3})
Horst Köhler hat in seiner Berliner Rede eine sehr beachtliche Analyse über die Fehler in der Finanzwirtschaft erstellt. Er hat uns ins Stammbuch geschrieben,
dass die Misere, die wir an den Finanzmärkten erleben,
das Ergebnis von mangelnder Transparenz, Laxheit, unzureichender Aufsicht und von Risikoentscheidungen
ohne persönliche Haftung ist. Er hat zu Recht gesagt,
dass das, was wir jetzt erleben, das Ergebnis von Freiheit
ohne Verantwortung ist.
An dieser Stelle möchte ich eine Lanze für mehr
Transparenz und persönliche Verantwortung auch in den
Verwaltungsapparaten der Behörden und der Sozialversicherungen brechen. Erhebliche Leistungssteigerungen
sind möglich, wenn wir moderne Managementmethoden, wie beispielsweise das Benchmarking, auch im öffentlichen Sektor konsequent nutzen. Nur mit mehr
Transparenz kann man Vertrauen stärken.
Vor gut einem Jahr hat sich Bundesinnenminister
Schäuble für das Benchmarking als entscheidenden
Schritt in der Verwaltungsmodernisierung eingesetzt.
In den Verwaltungen, so Schäuble, mangele es an der
Bereitschaft, sich öffentlich dem Wettbewerb zu stellen
und eine Diskussion über Kosten und Leistungen zu führen. Effizienzgewinne in Milliardenhöhe seien durch
Leistungsvergleiche und eine Bereitschaft, vom Besten
zu lernen, möglich. - Dies zeigt, dass Reformen in den
sozialen Sicherungssystemen nicht den Abbau von
sozialen Leistungen bedeuten. Sie bedeuten im Kern
mehr soziale Absicherung für entsprechend weniger
Geld oder - umgekehrt - zusätzliche Spielräume, um
diese Reformdividende zu nutzen.
Qualitätsprüfungen und Qualitätsvergleiche brauchen
wir für alle sozialen Sicherungssysteme. Krankenhäuser
werden geprüft und verglichen. In den letzten Tagen
wurde von den Kassen ein Ärzte-TÜV gefordert. Wir haben einen Pflege-TÜV vereinbart. Pflegebedürftige
Menschen und ihre Angehörigen wollen wissen, was in
Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten geleistet
wird. Die Bürgerinnen und Bürger - das muss klar gesagt werden - sehen nicht ein, warum die Qualität sozialer Dienstleistungen einer Geheimniskrämerei unterliegen soll. Kundenfreundlichkeit und Wettbewerbsdenken
müssen in die Einrichtungen und Amtsstuben einziehen.
Ich will ein anderes Beispiel anführen. Wir haben
über die Bundesagentur für Arbeit keinen Schutzschirm gespannt. Vielmehr haben wir die Bundesagentur
für Arbeit einem schweren und herausfordernden Reformprozess unterworfen. Wir haben bei der Bundesagentur für Arbeit gesehen, dass mehr Wettbewerb mehr
Leistung bringt. Nach dem Vermittlungsskandal wurde
die Bundesagentur grundlegend umgebaut. In der Arbeitslosenversicherung haben mit der Führung durch
Frank-Jürgen Weise betriebswirtschaftliche Grundsätze
Einzug gehalten. Controlling und Benchmarking haben
dazu geführt, dass jede Führungskraft für die Leistung
seines Teams persönliche Verantwortung übernimmt.
Transparenz führt zu Reformdruck und Innovation aus
der Organisation heraus.
Der Nutzen für Versicherte und für die Beschäftigungsuchenden war enorm. Seit 2004 wurden die Beiträge gesenkt und die Vermittlungsleistungen zugleich
deutlich gesteigert. Die Dauer der faktischen Arbeitslosigkeit wurde in den Agenturen für Arbeit um rund
40 Prozent reduziert. Damit wird das Hauptinteresse arbeitsloser Menschen bedient: eine professionelle und
schnelle Vermittlung in einen neuen Job.
Dieses Beispiel zeigt, dass durch Reformoptionen in
den sozialen Sicherungssystemen, nicht aber durch
Schutzschirme die Qualität der sozialen Dienstleistungen verbessert und unser soziales Netz ausgebaut wird.
Das ist zukunftsweisende und verantwortliche Politik,
die die Union vertritt.
Es gibt im Übrigen einen ganz bemerkenswerten Vorgang: In den Jobcentern, die die Langzeitarbeitslosen
betreuen, gibt es nach wie vor große Defizite bei der
Transparenz und der Zuordnung der Verantwortungsbereiche. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch
die Meinung der verantwortlichen Leistungsträger. In
den vergangenen Wochen haben sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch die kommunalen Spitzenverbände deshalb Brandbriefe an alle Haushälter der Fraktionen geschrieben: Die Jobcenter könnten besser
geführt werden, wenn der faire Wettbewerb gefördert
würde. Aber diesbezüglich warten wir noch auf die Initiative des Bundesarbeitsministeriums. Die Qualität
könnte für die Betroffenen verbessert werden. Wir können uns den jetzigen Zustand definitiv nicht leisten. Ich
wünsche mir, dass der Bundesarbeitsminister diese Vorschläge zum Benchmarking der Jobcenter aufgreift. In
der freien Wirtschaft ist das ein ganz banaler Vorgang.
Über Qualität und Leistung der Wettbewerber wird öf25052
fentlich berichtet. Das ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit im Verbraucherschutz. Ich glaube, dass wir das
auch im Bereich der Langzeitarbeitslosenverwaltung
durchsetzen können.
Auch dieses Beispiel zeigt: Wir haben noch einiges
vor. Ich will nicht behaupten, dass die Reformbemühungen in den sozialen Sicherungssystemen durch die Große
Koalition ans Ende gekommen sind. Vor mehr als einem
Jahr hat Olaf Scholz noch angekündigt, die beste Arbeitsvermittlung der Welt schaffen zu wollen. Heute
scheint er schon mit der Durchführung einfacher Leistungsvergleiche überfordert zu sein.
({4})
Mit dieser Laxheit wird man eine Reform der sozialen
Sicherungssysteme nicht erreichen können.
({5})
Ich glaube, wir brauchen auch einen Jobcenter-TÜV. Die
Kommunen und die Bundesagentur haben zu Recht angemahnt, dass die Qualität der Jobcenter ein öffentliches
Thema sein muss. Dies sind wir allen Steuerzahlern und
Beitragszahlern schuldig. Sie geben uns Geld, damit wir
eine anständige Leistung erbringen. Darin besteht der
Vertrag, den wir mit den Bürgerinnen und Bürgern geschlossen haben. Deswegen finde ich es unerträglich und
unverantwortlich, wenn hier von den Linken diese Leistungen nicht ausreichend gewürdigt werden und der Eindruck erweckt wird, wenn man einfach einen Regenschirm in die Hand nähme und ihn über den sozialen
Sicherungssystemen aufspannte, wäre irgendein Problem der deutschen Politik gelöst.
({6})
Sie, die Krisenspekulanten, haben keine Alternative. Wir
in der Großen Koalition stellen uns den Aufgaben in großer Verantwortung für die Menschen. Wir als Union
werden dies auch weiterhin tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Linke hat in dieser Legislaturperiode eine Reihe von
Anträgen eingebracht, die in der Regel eines gemeinsam
hatten: Sie erhoben teure Forderungen, hielten sich aber
nicht lange mit der Frage auf, wie denn die Finanzierung
dieser Wunschlisten erfolgen solle.
({0})
Der heutige Antrag „Staatsgarantie für die Sozialversicherungen - Schutzschirm für Menschen“ stellt sozusagen die Krönung dieser Bemühungen dar; denn mitten
in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise in der
Geschichte der Bundesrepublik geht es um nicht mehr
und nicht weniger, als dass der Staat, egal was passiert,
auf jeden Fall seine Leistungen für die Bürger auch in
den nächsten Jahren uneingeschränkt und ungeschmälert
fortführen soll. Herr Kollege Ernst, schöner als mit diesem Antrag kann man eigentlich nicht verdeutlichen,
wes einfachen Geistes Kind die Linken sind.
({1})
Für mich wirft der Antrag einige Fragen auf: Wer ist
eigentlich der Staat, an den sich diese Erwartungen richten? Wer finanziert den Staat?
({2})
Wo ist die Grenze der Belastbarkeit unseres Gemeinwesens?
({3})
Kann man sich wirklich - Baron von Münchhausen, das
ist nicht der Wirtschaftsminister, lässt grüßen - an den
eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen?
Meine Damen und Herren von den Linken, wenn ich
mir einmal Ihren Kopf zerbreche, dann muss ich fragen:
Greift Ihr Antrag am Ende nicht zu kurz? Kann es eine
Leistungsgarantie geben, wenn es keine Beitragsgarantie
gibt? Müsste man denen, die mit ihren Beiträgen das Sozialsystem finanzieren, nicht konsequenterweise auch
das Einkommen garantieren? Muss man dann nicht allen
Unternehmen den Bestand garantieren, damit diese Einkommen von den Arbeitnehmern auch tatsächlich erzielt
werden können und sich nicht ein Einziger aufgrund der
Krise schlechter stellt?
({4})
Das sind Fragen, die deutlich machen, wie unausgegoren
und wie wenig durchdacht dieser Antrag ist. Ich frage
mich auch: Wie würde eigentlich ein Einzelner oder eine
Familie in einer vergleichbaren Situation handeln? Jedenfalls nicht nach dem Motto: Wenn wir schon das
Dach reparieren müssen, dann sollen die Kinder auch
neue Computer bekommen. Der Einzelne und die Familie schränken sich ein, wenn eine unvorhergesehene
Ausgabe das Familienbudget belastet und den finanziellen Spielraum einengt. Das, Frau Kollegin Lehn, müsste
Ihnen eigentlich auch Ihre Tante Käthe und Ihr Onkel
Otto als Maxime des finanziellen Handelns mitgegeben
haben.
({5})
Ich bin gespannt, was Sie nachher sagen werden.
({6})
Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben wir
eigentlich, dass der Staat sich anders verhalten könnte
oder dürfte als der Einzelne oder eine Familie? Nur deshalb, weil der Staat scheinbar unbegrenzt Schulden machen kann, während dem Einzelnen die Bank früher oder
später den Geldhahn zudreht? Kreditfähig ist der Staat
nur deswegen, weil die Erwartung an künftige Generationen ist, das Erbe werde schon nicht ausgeschlagen
werden, auch wenn es hoch verschuldet ist, weil die Erwartung ist, dass die kommenden Generationen schon
treu und brav den heutigen Konsum mit ihrer künftigen
Leistung nachträglich noch erarbeiten werden.
Genau das, Herr Kollege Ernst, ist der Punkt: Ihre Politik, die Politik der Linken, gibt vor, sozial zu sein, ist in
Wahrheit aber unsozial, weil sie den Grundsatz der Generationengerechtigkeit grob außer Acht lässt, weil sie
den Konsum von heute bedingungslos mit der Staatsverschuldung von morgen finanziert.
({7})
Nein, meine Damen und Herren, solche Schutzschirme
taugen nichts. Es gilt das Wort von Milton Friedman:
„There ain’t no such thing as a free lunch“; es gibt kein
kostenloses Mittagessen, irgendeiner zahlt immer die
Zeche.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen
Koalition, sollten auch Sie sich hinter die Ohren schreiben;
({8})
denn auch Sie planen, Herr Kollege Kampeter, in dieser
Woche noch zwei Schutzschirme, die sich als teurer Bumerang erweisen können. Ich spreche von der ewigen
Rentengarantie und der nochmaligen Erweiterung der
Erstattungsregelung für Sozialversicherungsbeiträge für
alle Arbeitnehmer eines Arbeitgebers ab dem siebten
Monat Kurzarbeit.
Herr Kampeter, ich empfehle Ihnen - das müssen Sie
sich wirklich einmal anschauen - die Lektüre des Gutachtens von Professor Raffelhüschen für die Initiative
„Neue Soziale Marktwirtschaft“.
({9})
Ich sage Ihnen voraus, dass wir in der Rentenversicherung auf ein riesiges Desaster zusteuern. Der Beitragssatz in der Rentenversicherung wird nicht nur nicht sinken - er sollte ja auf dem Weg in das Jahr 2020 von
19,9 auf 19,1 Prozent zurückgehen -, sondern wird in
naher Zukunft deutlich ansteigen. Das scheint mir unvermeidbar, und dazu hat der Kollege Peter Weiß eine
Frage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?
Selbstverständlich; ich freue mich.
Herr Kollege Weiß, bitte.
Herr Kollege Dr. Kolb, würden Sie, da Sie soeben das
Gutachten von Herrn Professor Raffelhüschen, Freiburg,
erwähnt haben, erstens zur Kenntnis nehmen, dass das
Gutachten nicht für die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ geschrieben wurde und auch von dieser nicht
in Auftrag gegeben wurde, wiewohl Herr Professor
Raffelhüschen Mitvorsitzender dieser Initiative ist?
({0})
Würden Sie zweitens dem Hohen Haus und der Öffentlichkeit mitteilen, dass im Gutachten von Herrn Professor Raffelhüschen ein Absinken der Löhne im Jahr
2009, also in diesem Jahr, um 2,5 bis 3,5 Prozent unterstellt wird? Ist dies auch die Hoffnung und Intention der
FDP, dass es dieses Jahr tatsächlich zu einer Senkung der
Löhne um 2,5 bis 3,5 Prozent kommt? Worauf gründen
Sie diese Aussage, da doch die Bundesregierung in ihrem Gutachten festhält, dass mit einem sinkenden Lohnniveau in 2009 nicht zu rechnen ist?
Herr Kollege Peter Weiß, es trifft sich gut, dass ich
zufälligerweise das Gutachten von Herrn Professor
Raffelhüschen dabei habe.
({0})
Nachdem ich jetzt durch Ihre Frage etwas mehr Zeit
habe, will ich gern noch den Titel dieses Gutachtens verlesen: „Tricksen an der Rentenformel - Rentenpolitik zu
Lasten der Beitrags- und Steuerzahler“. Es ist sehr wohl
für die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ geschrieben; es steht hier: Kurzexpertise des Forschungszentrums Generationenverträge im Auftrag der Initiative
„Neue Soziale Marktwirtschaft“. - Damit ist der erste
Punkt abgehakt: Sie haben leider nicht recht.
Zweiter Punkt. Natürlich hat Herr Professor Raffelhüschen
Annahmen getroffen; sie finden sich auf Seite 3 dieses
Gutachtens. Genau das haben wir auch am Montag in
der Anhörung des Ausschusses am Ende diskutiert. Sie
waren leider noch nicht da, weil Ihr Flugzeug Verspätung hatte. Es war sehr schön, zu sehen, wie Herr Rische
von der Deutschen Rentenversicherung Bund sich gewunden hat. Auf die Frage, ob denn das alles noch zusammenpasse, antwortete er: Wenn die Annahmen der
Bundesregierung zutreffen, ja; wenn die Annahmen der
Wissenschaft zutreffen, nein. Nun ist leider die Erfahrung - das muss ich sagen -,
({1})
dass die Annahmen der Bundesregierung in den letzten
zehn Jahren selten zugetroffen haben.
({2})
Deswegen muss ich sagen: Es ist leider davon auszugehen, dass das stimmt, was Professor Raffelhüschen äußert. Übrigens meint nicht nur er - auch Professor
Börsch-Supan aus Mannheim kommt zu dem gleichen
Ergebnis -, dass die Rentenbeiträge in der nächsten Zeit
deutlich ansteigen werden. Gleichzeitig - darin gebe ich
dem Kollegen Ernst sogar recht - werden die Rentner in
den nächsten Jahren - ({3})
- Das kann ich Ihnen sagen: Nein! - Danke für den Hinweis; ich nehme damit die Beantwortung der Frage wieder auf, Frau Präsidentin.
({4})
Nein, wir finden das nicht gut. Wir wollen keine Rentenkürzung. Wir haben ein großes Interesse daran, dass
die Rentnerinnen und Rentner ein ausreichendes Einkommen haben. Nur, den Menschen ist nicht gedient,
wenn man - wie Sie - Garantien für die nominale Höhe
von Renten gibt, aber gleichzeitig das verfügbare Einkommen der Rentnerhaushalte durch eine Vielzahl von
Maßnahmen - durch eine drastische Anhebung der Einkommensteuer, durch die Einführung der Verbeitragung
von Direktversicherungen, Zusatzversorgungen und was
auch immer - kürzt. Am Ende zählt, was ins Portemonnaie kommt, und da haben Sie in den letzten Jahren gnadenlos zugeschlagen.
({5})
An die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der
SPD gerichtet, will ich hier noch sagen: Sie haben den
Weg von Walter Riester - er wollte Nachhaltigkeit in der
Rentenversicherung schaffen und die Lasten der demografischen Alterung gerecht verteilen - längst verlassen.
Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie das „Projekt 18“ weiter, von oben kommend, verfolgen, werden Sie hemmungslos die Rente mit 67 kippen und damit das letzte
Relikt der Agenda 2010 im Bereich der Sozialpolitik
zum Verschwinden bringen.
({6})
Ich empfehle wirklich jedem, den Beitrag von Franz
Müntefering in der heutigen Ausgabe der Welt zu lesen.
Franz Müntefering ist im Moment alles zuzutrauen und
am Ende auch dieses.
({7})
Ein Weiteres ist - das sei hier noch kurz erwähnt - die
in letzter Minute noch einmal deutlich ausgeweitete Erstattungsregelung ab dem siebten Monat bei der Kurzarbeiterregelung. Lange haben Sie sich, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Großen Koalition, in einer positiven Arbeitsmarktentwicklung gesonnt - ich habe Ihre
Reden noch im Ohr -; aber diese Entwicklung war nicht
das Ergebnis Ihrer Politik; vielmehr haben Sie WindfallProfits einer guten Weltkonjunktur mitgenommen. Jetzt,
da Sie erkennen, dass Sie Ihre Hausaufgaben bei der Reform des Arbeitsmarktes nicht gemacht haben, dass Sie
nicht vorbereitet sind, dass Sie auch die Reform der sozialen Sicherungssysteme nicht in Angriff genommen
haben, versuchen Sie, sich über den Wahltag zu retten,
indem Sie viel, viel Geld in die Hand nehmen. Diese
Milliarden sind aber nicht Ihr Geld, sondern es ist das
Geld der Beitragszahler und, wenn die Kasse in Nürnberg leer ist, auch das Geld der Steuerzahler. Was Sie
morgen beschließen wollen, ist die Lizenz für die Großunternehmen, die Kasse der Arbeitslosenversicherung
auszuplündern; das sage ich hier in dieser Deutlichkeit.
({8})
Man hat in den Sitzungen des Ausschusses für Arbeit
und Sozialordnung, insbesondere in der Anhörung am
Montag, sehr deutlich beobachten können: Die Große
Koalition ist am Ende. Es wird Zeit, dass diese Vorstellung, die die Beitrags- und Steuerzahler viel Geld kostet,
endlich beendet wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Lehn für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Linken weckt in der Tat Erinnerungen an einen
meiner zahlreichen Verwandten; aber diesmal ist es
Onkel Theo.
({0})
Onkel Theo war klein, etwa so klein wie ich, und sein
ganzes Leben wollte er größer sein, als er tatsächlich
war.
({1})
Also hat er getrickst: Er trug ständig - bis hin zu den
Hausschuhen - Plateausohlen. Onkel Theo sah die Welt
sehr einseitig, und er war beseelt davon, diese Sicht allen
zu verkünden. Im Brustton der Überzeugung konnte er,
berauscht von sich selbst, vor allem Halbwahrheiten vertreten - immer ein bisschen etwas Richtiges, aber immer
auch ein bisschen etwas Falsches.
Als ihm in der Praxis eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes
eröffnet wurde, dass seine Mandeln entfernt werden sollten, bekam Onkel Theo einen Riesenschreck und fragte:
Mein Gott, machen Sie das jetzt nicht mehr in einem
Krankenhaus? - Fortan sammelte er Unterschriften für
den Erhalt der Krankenhäuser, und er verunsicherte damit die Menschen in der Stadt. Sie wussten ja nicht, wie
schräg seine Überlegungen waren. Denn richtig war:
Seine Mandeln mussten raus. Richtig war: Die Operation sollte ambulant erfolgen. Falsch war, dass irgendein
Krankenhaus bedroht war.
So ist es mit dem Antrag der Linken.
({2})
Sie tricksen und sind selbstverliebt in ihre meist einseitige Sicht der Dinge. Allerdings so harmlos wie Onkel
Theo sind sie nicht; denn sie wollen verunsichern, sie
wollen aufwiegeln, koste es, was es wolle, also um jeden
Preis.
({3})
Richtig ist, dass wir uns in einer schweren Krise befinden. Richtig ist auch, dass wir einen wirksamen
Schutzschirm für Menschen spannen müssen; was wir
im Übrigen - ich komme gleich darauf zu sprechen auch tun. Die Vorschläge im Antrag der Linken sind jedoch falsch.
({4})
Wir haben schon lange vor den Folgen eines ungezügelten Turbokapitalismus gewarnt. Ich erinnere nur an
Franz Müntefering und die Heuschreckendebatte.
({5})
Immer mehr Menschen verzweifeln an einem Finanzmarkt, der nur noch auf schnellste und höchste Rendite
setzt und in dem niemand mehr Verantwortung übernimmt. Die Aussage der Linken, dass wir für diesen Finanzmarkt und die Banker 480 Milliarden Euro zahlen,
ist grottenfalsch!
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Dr. Lötzsch?
Immer.
Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Lehn,
Sie sprachen Franz Müntefering und die Heuschrecken
an. Erinnern Sie sich daran, wann in Deutschland die
Hedgefonds, die Franz Müntefering liebevoll als Heuschrecken bezeichnet hat, zugelassen wurden? Falls
nicht, darf ich Sie daran erinnern, dass das im Jahr 2004
war. Damals war Franz Müntefering Vorsitzender der
SPD-Fraktion, und es regierte Rot-Grün in diesem Land.
({0})
Auf Ihre Frage würde ich gerne zweifach antworten.
Erstens. Heuschrecken als liebevoll zu bezeichnen, kann
man - mit Verlaub - so nicht stehen lassen. Sie fressen
nämlich eine Menge kahl. Ich glaube, dass Franz
Müntefering nicht die grüne Farbe gemeint hat, sondern
die Tatsache, dass Heuschrecken alles abgrasen.
Zweitens. Ja, ich glaube, dass wir in der Vergangenheit auch Fehler gemacht haben. Das ist so.
({0})
Derjenige, der nicht nur motzt und herumschreit, aufwiegelt und zerstören will, der wird in seinem Leben auch
Fehler machen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass
wir dabei sind, unsere Fehler an den entsprechenden
Stellen zu korrigieren.
({1})
Die Entfesselung, wie sie stattgefunden hat, haben ich
und auch viele andere nicht erwartet; das gebe ich gerne
zu. Wir sind nicht davon ausgegangen, dass Probleme in
der Dimension entstehen würden, wie sie tatsächlich entstanden sind. Wir sind eindeutig aufgefordert, zu handeln. Ich finde, dass alle Minister, die wir stellen, ihre
Arbeit sehr gut machen.
Die Behauptung der Linken - ich sage das noch einmal -, dass wir für den Finanzmarkt und die Banker
480 Milliarden Euro zahlen, ist falsch. Diese 480 Milliarden Euro, von denen die Linke spricht, stellen vor allem Garantieleistungen dar. Der Haushalt wird durch
sie nicht automatisch belastet. Es wird mit dem guten
Namen der Bundesrepublik Deutschland gebürgt. Bei all
dem gilt: Die Märkte haben den Menschen zu dienen
und nicht umgekehrt.
({2})
Wir helfen nicht den Bankern, sondern wir sorgen dafür,
dass Geld zum Beispiel an Unternehmen fließt, damit Investitionen getätigt werden können. Das ist notwendig,
damit Arbeitsplätze geschaffen bzw. erhalten werden
können.
Frau Kollegin, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Herr Kollege Ernst hat eine Zwischenfrage.
Er darf die Zwischenfrage gleich stellen. Ich möchte
meinen Gedankengang noch in zwei Sätzen abschließen.
Unsere Hilfen sichern - auch das wird nicht erkannt die Rücklagen von zum Beispiel Krankenkassen oder
Vereinen, die den Banken gutgläubig ihr Geld zur Verwendung anvertraut haben. Deshalb noch einmal: Das,
was wir tun, tun wir für die Menschen in Deutschland.
({0})
Jetzt kann der Kollege seine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Ernst, bitte sehr.
Werte Kollegin, ich habe gerade gelernt, dass die
480 Milliarden Euro, die wir beschlossen und denen Sie
auch zugestimmt haben, den Haushalt nicht belasten,
weil sie lediglich eine Garantie darstellen. Auch in unserem Antrag steht, dass wir keine Ausgaben beschließen
sollten. Vielmehr sollen Defizite in der Sozialversicherung durch Bürgschaften in Form von Staatsgarantien
ausgeglichen werden. Wir wollen also dasselbe, nämlich
eine Garantie, wie Sie sie für Banken beschlossen haben.
({0})
Kann ich davon ausgehen, dass Sie zumindest dem zweiten Teil unseres Antrags ebenso freudig zustimmen, wie
Sie für die Unterstützung der Banken gestimmt haben?
({1})
Hätten Sie noch ein bisschen abgewartet, hätten Sie
gemerkt, dass ich darauf noch eingehen wollte. Durch
die Beantwortung Ihrer Frage kann ich diesen Punkt
schon jetzt erläutern.
Die Banken brauchen einen Schutzschirm, damit
Geld zur Verfügung gestellt wird. Ich sage sehr deutlich:
Wenn die Banken den Unternehmen kein Geld mehr leihen, sie deswegen pleitegehen und Arbeitsplätze verloren gehen, dann ist das eine sehr ernstzunehmende Bedrohung für unseren Arbeitsmarkt, der zurzeit ohnehin
in einer schwierigen Lage ist. Wenn Sie das nicht erkennen, dann sind Sie - mit Verlaub gesagt - in einer Art
und Weise fehlgesteuert, die kaum zu beschreiben ist.
({0})
- Ich komme noch darauf.
Selbstverständlich ist eine gesicherte Rente wichtig.
Selbstverständlich ist es wichtig, die Erwerbslosen in der
ohnehin schweren Zeit der Arbeitslosigkeit zu unterstützen. Selbstverständlich muss es eine funktionierende
Pflege- und Krankenversicherung geben. Aber wir haben sie doch! Wir müssen sie nicht erst schaffen.
({1})
Was soll dieses Gerede? Mit Ihrer Demagogie hetzen Sie
die Menschen auf. Es ist Ihre Absicht, damit die Menschen zu verunsichern. Sie tun das wider besseres Wissen. Darauf komme ich später in meiner Rede noch zurück.
({2})
Wir haben noch viel vor. Es ist richtig, dass wir noch
längst nicht alles erreicht haben. Wir wollen flexible
Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente ermöglichen.
Wir wollen die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln. Wir wollen die
Weiterbildung verstärkt fördern, was der Sicherung der
Arbeitsplätze dient. Wir setzen uns für einen allgemein
verbindlichen gesetzlichen Mindestlohn ein.
({3})
Auf unseren Sozialstaat ist Verlass, und zwar auch in
Krisenzeiten. Ich sage es noch einmal: Das gilt ganz besonders für die Rente. Die Renten steigen zum 1. Juli
2009 - das wissen Sie doch - in Westdeutschland um
2,41 Prozent und im Osten sogar um 3,38 Prozent. Das
ist ein höherer Zuwachs, als die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesem Jahr haben werden. Ich sage
es sehr klar: Die Renten steigen. Wem wollen Sie eigentlich hier etwas in die Tasche lügen?
({4})
Aus den USA - vielleicht meinen Sie, wir hätten Verhältnisse wie dort - erreichen uns ganz andere Nachrichten. Dort sind Milliarden aus den Pensionsfonds verloren
gegangen. Dort ist es keine Seltenheit mehr, dass 80-Jährige in Coffeeshops arbeiten müssen. Wir hingegen können unseren Rentnerinnen und Rentnern sagen: Die Renten werden nicht nur nicht gekürzt, sondern sogar erhöht.
Vertrauen in unser System schafft auch fair entlohnte
Arbeit. Es darf natürlich nicht sein, dass manchem Bürger die Millionen ins Portemonnaie sprudeln, während
anderswo für 3,50 oder 4 Euro die Stunde gearbeitet
werden muss. Deswegen sind Mindestlöhne ein zentrales Anliegen der SPD.
({5})
Da sind wir ein gutes Stück weitergekommen. Aber natürlich sind wir noch nicht am Ende. Deswegen ist es
notwendig, dass wir wieder mitregieren. Denn nur dann
können Mindestlöhne eingeführt werden.
({6})
Der Schutz der Menschen in der Arbeitslosenversicherung ist verlässlich. Sie, Herr Ernst, und auch Sie,
Herr Kolb, haben über die Rücklage der Bundesagentur
gesprochen. Diese Rücklage von 17 Milliarden Euro
({7})
wurde für den Fall einer Krise angespart. Jetzt ist die
Krise da, jetzt wird dieses Geld ausgegeben. Das muss
niemand bedauern. Das ist genau der Sinn und Zweck
dieser Rücklage gewesen.
({8})
Horrorszenarien, so wie die Linke sie prophezeit, helfen
nicht. Ich wiederhole: Sie haben nur einen Zweck, nämlich die demagogische Verunsicherung eines funktionierenden Sozialstaates.
Schauen wir uns die Zahlen einmal sehr genau an.
Dieses Jahr geben wir 155 Milliarden Euro für die soziale Sicherung aus. Diese Mittel wurden aktuell im ersten und zweiten Nachtragshaushalt aufgestockt. Vielleicht hilft Ihnen von der Linken diese Information: Von
100 Euro Steuern, die wir einnehmen in diesem Land,
geben wir 70 Euro für soziale Leistungen aus,
({9})
mehr als 35 Euro für die Rentnerinnen und Rentner,
30 Euro für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.
Frau Kollegin, auch Frau Dr. Höll würde gern eine
Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie diese?
({0})
Ich glaube, jetzt ist es genug. Ich will Ihnen kein Forum für Ihre demagogischen Reden bieten. Ich finde,
was Sie sagen wollten, konnten Sie sagen. Jetzt muss
auch mal gut sein.
({0})
Ich sage Ihnen noch einmal: Mehr als 35 Euro davon
fließen in die Rentenversicherung, 30 Euro in die Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitslosenhilfe. Ist das
kein Schutzschirm? In welchem Land der Welt wollen
Sie so einen Schutzschirm noch einmal finden?
({1})
Den Schutzschirm, den Sie für die Menschen fordern,
gibt es längst. Er ist uns über 70 Prozent der Steuereinnahmen wert.
Eigentlich weiß ich ja, was Frau Höll fragen wollte.
({2})
Die Linken sagen immer: Nehmt es doch von den Millionären! Dazu will ich klar sagen: Ihre Forderungen belaufen sich auf insgesamt 255 Milliarden Euro. Das kann
jeder bei mir erfragen; das kann man öffentlich machen.
({3})
Wissen Sie, was das bedeutet? Von 100 Euro Steuern,
die eingenommen werden, wollen die Linken 113 Euro
ausgeben. Na bravo!
({4})
Augenwischerei wie das Gerede von Steuererhöhungen
für Besserverdienende können Sie dabei getrost weglassen. So viele Millionäre gibt es in ganz Deutschland
nicht, die diese Luftschlösser bezahlen könnten.
({5})
Manchmal frage ich mich tatsächlich, was die Raupe
Nimmersatt gegen meine Kollegen ist. Die Linke will
das Vertrauen der Bürger in unsere Sozialsysteme ähnlich schnell vernichten wie die Raupe die Blätter.
({6})
Die Zeit ist denkbar ungünstig, um solche Verunsicherung zu schüren. Umso trauriger ist es, dass sich die Anträge der Linken nicht ähnlich schnell auf und davon
machen wie der Schmetterling, in den die Raupe Nimmersatt sich schließlich verwandelt.
Herzlichen Dank.
({7})
Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin
Dr. Höll das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin Lehn, anscheinend haben Sie unseren Antrag, der so knapp und
verständlich gefasst ist, nicht verstanden. Erstens ist festzuhalten, dass die Bundesagentur für Arbeit ihre Leistungen aus den Versicherungsbeiträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeberseite
erbringt. Das sind also keine Steuergelder.
({0})
Zweitens möchte ich wissen - diese Frage haben Sie
nicht beantwortet -, warum wir für die Banken 480 Milliarden Euro zur Verfügung stellen können, für Garantieübernahmen, aber auch für direkte Zahlungen. Wir alle
wissen, dass das Geld - das zeigt sich schon jetzt bei
konkreten Maßnahmen - der Bundesagentur nicht ausreicht. Das Einzige, was Sie in Bezug darauf im Konjunkturpaket vorschlagen, ist, dass die Bundesagentur einen Kredit aufnehmen darf, der gestundet wird und
abgezahlt werden muss. Also werden durch Kürzungen
der Leistungen wieder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sein. Damit genau das nicht eintritt, fordern wir hier einen Schutzschirm. Dazu verlangen wir eine Stellungnahme.
Ihr wiederholt vorgetragenes Argument, dass wir unsere Vorschläge nicht finanzieren könnten, ist einfach
Blödsinn. Sie sollten nicht wider besseres Wissen reden.
Sie haben in Ihrem Bundestagswahlprogramm meines
Erachtens eine Börsenumsatzsteuer verabschiedet. Diese
haben wir 2007 hier eingebracht. Ich möchte sehen, wie
Sie sie verwirklichen wollen, wenn nicht mit uns. Eigentlich müssten Sie da ehrlich sein. Oder wollen Sie
das mit der Union oder mit der FDP machen? Das möchten wir mal sehen.
({1})
Sie haben eine Erbschaftsteuer verabschiedet, bei der
es nur darum ging, nicht mehr Geld einzunehmen und
die wirklich Vermögenden im Endeffekt zu entlasten,
statt sie in der jetzigen Krise heranzuziehen, zum Beispiel in Form einer Millionärssteuer. Sie müssen einmal
sagen, warum Sie ablehnen, dass die Leute, die sich vorher dumm und dämlich verdient haben, jetzt einen Beitrag leisten.
Wir bleiben dabei: Vermögensteuer, Börsenumsatzsteuer, Erbschaftsteuerreform müssen sein. Da hätten
wir schon Vorschläge. Wenn man eine Reform der Einkommensteuer angeht, dann sozial gerecht. Das heißt, es
muss eine Entlastung unten und eine Belastung oben geben. Wir verlangen einen Schutzschirm. Die Menschen
sollen die Sicherheit haben, dass ihre sozialen Leistungen nicht weiter gekürzt werden, obwohl sie Versicherungsbeiträge eingezahlt haben.
({2})
Frau Kollegin Lehn, bitte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie
haben eben gesagt, dass ich Sie für blöd halte. Sie sind
nicht blöd. Dann wäre es einfach. Bedauerlicherweise
sind Sie aber hetzerisch und demagogisch, und das ist
unendlich schlimmer. Deswegen muss man sich leider
mit Ihnen auseinandersetzen, was wir, wenn Sie nur blöd
wären, nicht tun müssten. - Das ist das Erste, was ich sagen will.
Das Zweite, was ich sagen will, ist - ich wiederhole
mich jetzt -: Wenn wir von 100 Euro Steuereinnahmen
70 Euro für den Sozialstaat und das soziale System zur
Verfügung stellen,
({0})
dann bedeutet das, dass wir sehr viel für die Menschen in
diesem Land tun, und zwar verantwortungsbewusst und
nach dem Prinzip, dass dem Schwächsten dabei zuerst
geholfen werden muss. Die Arbeitslosenversicherung ist
hier nicht eingerechnet. Ich weiß nicht, was Sie da miteinander vermengen. Wenn von 225 Milliarden Euro
Steuereinnahmen 155 Milliarden Euro für soziale Zwecke ausgegeben werden, dann ist das, was aus der Rentenkasse und der Arbeitslosenversicherung finanziert
wird, darin nicht eingerechnet,
({1})
sondern dies ist Euro für Euro Geld, das aus dem Bundeshaushalt kommt.
Es ist bezeichnend, dass jemand wie Sie, Frau Höll,
der im Finanzausschuss sitzt, das nicht weiß.
({2})
Vielleicht sollte Ihnen zu denken geben, was ich Ihnen
zu Ihrem permanenten Röhrenblick gesagt habe, den Sie
sich ständig selbst einreden und den Sie aufrechterhalten. Lernen Sie doch einfach einmal die Breite kennen
und versteifen Sie sich nicht auf einzelne Dinge, mit denen Sie - mit Verlaub - nichts anderes vorhaben, als sie
demagogisch einzusetzen.
({3})
Nun hat das Wort die Kollegin Birgitt Bender für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Schwesternstreit zwischen Linkspartei und SPD hat ja
etwas Rührendes; aber darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen.
({0})
Herr Kollege Ernst, Sie haben gesagt, Sie wollten
nichts von purem Populismus hören. Ich will Ihnen einen Gefallen tun und Ihnen erklären, was der pure Populismus Ihres Antrages real bedeutet. Wenn man sich
diesen durchliest, dann fragt man sich, welches Gesellschaftsbild die Linkspartei eigentlich hat.
({1})
Das ist recht einfach zu verstehen: Da gibt es ein paar
Superreiche - das ist eine kleine Clique von Profiteuren
dieser Krise -, und da gibt es eine große Masse von Sozialleistungsempfängern, die jetzt vor diesen Profiteuren
beschützt und beschirmt werden müssen.
Sie scheinen aber etwas vergessen zu haben, Herr
Ernst - ich glaube nicht, dass Sie es nicht wissen; einem
Gewerkschaftsfunktionär darf man dieses Wissen zutrauen -: Unsere Sozialversicherungssysteme sind beitragsfinanziert. Die Rentenbeiträge - Sie wollen ja die
Rentner schützen - werden von denjenigen aufgebracht,
die jetzt arbeiten. Diese Beiträge müssen gezahlt werden. Auch die Aldi-Verkäuferin an der Kasse zahlt Rentenbeiträge.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und
was kriegt sie am Ende dafür?
Auch der Kurzarbeiter zahlt Rentenbeiträge. Wenn Sie
wollen, dass es niemals Rentenkürzungen gibt, dann
müssen Sie sagen, mit wie viel mehr diejenigen belastet
werden sollen, die die Beiträge aufbringen. Dieser Mehrbelastung müssen Sie sich stellen.
({2})
Schauen Sie sich die anderen Systeme an: Für die Gesundheitsversorgung, für die Arbeitslosenversicherung
zahlt man Beiträge, wobei man hofft, dass man niemals
krank oder arbeitslos wird. Dieses Risiko wird von allen
Erwerbstätigen abgedeckt. Das heißt, es sind die potenziell Betroffenen, die zahlen; es sind letztendlich dieselben Menschen, die zahlen und die Leistungen bekommen. Deswegen kann man nicht so tun, als würde man
die Menschen auf der einen Seite schützen und auf der
anderen nicht belasten können. Das funktioniert nicht.
({3})
Ich glaube, wenn man das doch tut, dann ist man nicht
ehrlich.
({4})
Sie schwätzen von einer Staatsgarantie. Die drohenden Beitragserhöhungen sollen offenbar - ich weiß
nicht, ob ganz oder teilweise - aus dem Steuersäckel gegenfinanziert werden. Sie tun so, als würde eine solche
Staatsgarantie von ein paar Reichen finanziert. Sie tun
so, als würden Sie die Rechnung an die Familien Porsche, Schaeffler und wie sie alle heißen schicken, die das
dann schon zahlen würden.
({5})
Aber wer zahlt denn Steuern? Man muss sich schon
auch darüber unterhalten, dass es hier im Hause welche
gibt, die meinen, man könne die Steuern senken. Herr
Kolb, ich schaue in Richtung FDP. Das ist angesichts der
größten Staatsverschuldung aller Zeiten aber fernab jeder politischen Realität.
({6})
- Herr Kampeter, die Tatsache, dass die Kanzlerin dieses
Konzept jetzt entdeckt hat, macht es auch nicht besser.
Wir Grünen wollen in bestimmten Bereichen die
Steuern erhöhen, weil wir nachhaltige Investitionen wollen, zum Beispiel in Bildung, um dieses Land zukunftsfähig zu machen. Dazu stehen wir.
({7})
Aber so zu tun, als würden Steuern nicht von Leuten gezahlt, die Beiträge zahlen, das ist doch völlig irrwitzig.
({8})
Ein großer Teil derjenigen, die die Beiträge zu den Sozialversicherungen aufbringen, zahlt auch Steuern. Natürlich möchte jeder möglichst wenig Beiträge und möglichst wenig Steuern zahlen. Aber die Rechnung dafür
kommt immer an. Wenn man so tut, als gäbe es diese
Rechnung nicht, und wenn man sich diesem Interessenkonflikt nicht stellt, Herr Ernst, dann ist man entweder
dumm oder man betreibt Volksverdummung. Das Letztere ist der Vorwurf, den ich hier erhebe.
({9})
Es ist ja nicht so, dass die Garantien und die Nichtkürzungen, die Sie hier fordern, schon alles sind, was man
bei Ihnen finden kann. Sie haben uns in der letzten Sitzungswoche mit 17 Anträgen zum Thema Rente beschäftigt. In 17 Fällen sollten die Renten von Menschen
im Osten dieser Republik erhöht werden. Gegenfinanzierung? Keine. Sie sind dafür, dass bei der Rente alle
Dämpfungsfaktoren wieder herausgenommen werden.
Gegenfinanzierung? Keine. Nachdem alles erhöht
wurde, soll natürlich niemals gekürzt werden. Wie hoch
soll der Rentenversicherungsbeitrag denn werden?
22 Prozent? 25 Prozent?
({10})
28 Prozent, so hoch würde er wohl sein. Sagt das die
Linkspartei den Leuten? Ich glaube kaum.
Bereits jetzt wird ein Drittel der Rentenausgaben über
Steuern finanziert.
Aus unserer Sicht gibt es durchaus einen Grund für
zusätzliche Steuermittel, aber wir verbinden damit eine
Reformvorstellung: Es droht nämlich Altersarmut bei
denen, die jetzt lange arbeitslos oder Geringverdiener
sind. Um diese Altersarmut zu verhindern, wollen wir,
unterstützt durch Steuermittel, eine Garantierente für
diejenigen, die langjährig wenig verdient haben. Das
wäre Zielgenauigkeit von Sozialleistungen und Bekämpfung von Armut. Dazu würde ich gerne etwas von Ihnen
hören.
({11})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Nein, die haben jetzt genug gefragt.
({0})
Jetzt erzähle ich einmal etwas.
Es gibt weiteren Reformbedarf, zum Beispiel im Bereich der Gesundheitsversorgung. Auch Sie tragen das
Wort „Bürgerversicherung“ vor sich her. Dabei geht es
darum - so stellen zumindest Grüne sich das vor -, dass
alle Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden und alle
Einkommensarten zur Finanzierung beitragen. Aber die
Belastungen dafür - da muss man einmal ehrlich sein kommen nicht nur bei Herrn Ackermann an; das zahlen
vielmehr alle Menschen, die Kapitaleinkünfte oder Mieteinkünfte haben, alle, die Einkünfte oberhalb der jetzigen Beitragsbemessungsgrenze erzielen. Sie werden sich
wundern, wer alles dazugehört. Rentner mit Kapitaleinkünften zum Beispiel gehören durchaus auch dazu. Sie
aber tun so, als sei die Bürgerversicherung eine allge25060
meine Geldsammelstelle. Sie haben uns neulich einen
Antrag vorgelegt, in dem Sie via Bürgerversicherung unter anderem den Ärzten und Apothekern höhere Einkommen versprechen. So funktioniert das nicht.
({1})
Die Bürgerversicherung ist ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit bei der Finanzierung und ein Beitrag zu mehr
Nachhaltigkeit, aber sie ist nicht das Füllhorn, mit dem
man alle Interessenkonflikte, die es bei der Versorgung
gibt, einfach so wegbügeln kann. So, wie Sie sich das
vorstellen, sichert man nicht die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungssysteme. So verhindert man nicht Armut. Politik braucht Konzepte, nicht nur Versprechungen. Was Sie uns mit Ihren Anträgen hier liefern, ist das
Wolkenkuckucksheim einer Partei, die beschlossen hat,
nicht zu regieren. Selbst Monika Knoche, Mitglied Ihrer
Fraktion, hat kürzlich darauf hingewiesen, dass der
Linkspartei die Vision einer ökologisch-sozialen Erneuerung fehlt. Das ist sehr präzise ausgedrückt.
({2})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ernst das
Wort.
Liebe Kollegin Bender, zwei Bemerkungen.
Erstens. Sie sprachen von einem Beitragssatz zur
Rentenversicherung in Höhe von 28 Prozent.
({0})
Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass diese
28 Beitragssatzpunkte schon heute zu zahlen sind. Zählt
man die private Versicherung, die jeder Einzelne abschließen muss, um seinen Lebensstandard einigermaßen zu sichern, hinzu, liegt der Beitragssatz eines Arbeitnehmers gegenwärtig nicht bei unter 10 Prozent, sondern
bei ungefähr 16 Prozent. Berücksichtigt man dann noch
den Arbeitgeberbeitrag, ist man sehr schnell bei einem
Beitragssatz von 28 Prozent. Im Jahre 2030 werden wir
einen Beitragssatz in dieser Größenordnung erreichen.
Insofern bitte ich Sie, sich, bevor Sie Zahlen anführen,
mit der Frage zu befassen, wie hoch die Belastung der
Arbeitnehmer bereits heute ist. Dann würden Sie nämlich zu anderen Ergebnissen kommen.
Zweitens. Sie haben gesagt, unser Weltbild sei sehr
einfach. Ich nehme zur Kenntnis, dass durch die Politik
Ihrer Regierung, die auch Sie zu verantworten haben, die
Spaltung unserer Gesellschaft größer geworden ist, die
Armut in diesem Lande zugenommen hat und die Sozialsysteme heutzutage nicht mehr die Rolle spielen können,
die sie in der Vergangenheit gespielt haben. Sie haben
sie nämlich geschliffen, insbesondere im Rahmen der
auch von Ihnen zu verantwortenden Hartz-Gesetze.
Ich sage Ihnen: Mein Weltbild ist - da haben Sie recht in der Tat sehr einfach:
({1})
In einem Land, das eines der reichsten Länder der Welt
ist, muss es allen Menschen gut gehen. In einem solchen
Land darf es nicht nur denjenigen gut gehen, die Einkünfte aus Unternehmertätigkeit, Vermögen und Aktienbesitz beziehen.
({2})
Die Grünen haben sich von ihren ursprünglichen Positionen verabschiedet. Es ist sehr bemerkenswert, dass gerade Sie zum Schluss Ihres Redebeitrags eine Aussage
von Frau Knoche angeführt haben, da Frau Knoche die
Grünen aus genau diesem Grunde verlassen hat.
({3})
Frau Kollegin Bender.
Das war wieder einmal ein schönes Beispiel für die
Unseriosität Ihrer Argumentation.
({0})
Es stimmt nicht, dass für den Beitragssatz zur Rentenversicherung einschließlich der Riester-Rente schon
heute 28 Prozent fällig sind. Würden Ihre Vorschläge
umgesetzt, würde sich die Belastung der Beitragszahler
maßgeblich erhöhen. Das sagen Sie den Bürgern aber
nicht. Das, was Sie im Hinblick auf die Sozialversicherung vorschlagen, ist das Gegenteil von Armutsbekämpfung.
Wir wollen, dass eine Garantierente eingeführt wird,
um die Entstehung von Armut zu verhindern. Wir wollen
darüber hinaus, dass eine Grundsicherung eingeführt
wird, die diesen Namen verdient und deren Sätze weit
über den jetzigen Hartz-IV-Sätzen liegen. Außerdem
wollen wir, dass anders mit den Menschen, die solche
Leistungen beziehen, umgegangen wird.
Man muss feststellen, dass bei einigen Reformen, die
wir, als wir an der Regierung beteiligt waren, mitgetragen haben - dazu stehen wir -, Nachbesserungsbedarf
besteht.
({1})
Sie hingegen schlagen immer nur vor, eine Rolle rückwärts zu machen. Sie sagen nicht, wie viel die Umsetzung Ihrer Vorschläge kosten würde und wer diese Kosten zu tragen hätte, sondern tun so, als könne die
Rechnung immer an Dritte, die böse Kapitalisten sind,
weitergeleitet werden. So kann man dieses Land nicht fit
für die Zukunft machen.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Das Thema, über das wir heute diskutieren, ist es in der Tat wert, diese Debatte zu führen. Der
Antrag der Linken hingegen - das war, wie immer, zu erwarten - ist es natürlich nicht wert, behandelt zu werden.
Denn wer, wie wir es heute Morgen beim Kollegen Ernst
erlebt haben, nicht mit Fakten und nicht ehrlich debattiert, sondern nur das Ziel verfolgt, demagogisch zu
agieren - so hat es die Kollegin Lehn beschrieben -,
({0})
der wird der Bedeutung dieser Thematik nicht gerecht
({1})
und der wird, lieber Kollege Ernst, vor allem auch den
Menschen in unserem Lande nicht gerecht. Um die Menschen muss es uns aber gehen. Denn von ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, wurden wir gewählt,
({2})
um ehrlich und verantwortungsbewusst und nicht etwa
volksverdummend für sie und zum Wohl unseres Landes
tätig zu werden.
({3})
Wer dies verneint, weiß entweder nicht, wovon er
spricht, oder er weiß sehr genau, wovon er spricht, und
will ausschließlich als Demagoge aktiv sein.
({4})
Aus der Krise, in der wir uns im Moment befinden
und die durch die internationale Finanzkrise ausgelöst
wurde, ist inzwischen eine Wirtschaftskrise entstanden.
Dass diese Wirtschaftskrise auch Auswirkungen auf unsere Sozialversicherungssysteme hat, steht außer Frage.
Ich kann hier Franz Müntefering zitieren, der zu einer
anderen Thematik gesagt hat: Man muss nicht mehrere
Studien abgeschlossen haben, sondern es genügt die
Grundschule, egal ob im Sauerland, im Allgäu oder wo
auch sonst, um dies zu erkennen.
({5})
- Die Grundschulen im Allgäu sind hervorragend. Deshalb sind die Leistungen der Allgäuer so gut.
Wir haben, wenn man es so nennen will, einen Schirm
gespannt. Sie sagen, wir wollten nur bei der Rente etwas
bewegen. Der Bund haftet aber auch bei der Krankenversicherung mit einem zinslosen Darlehen. Morgen
wird der Nachtragshaushalt mit einem Umfang von insgesamt 4 Milliarden Euro in erster Lesung eingebracht,
um das Defizit, das in diesem Jahr bereits 2,9 Milliarden
Euro beträgt, auszugleichen. Wir haben schon längst einen Schirm - man kann es so nennen - für die Sozialversicherungszweige gespannt; aber wir müssen im Auge
behalten, dass die Sozialversicherungssysteme nach der
Krise - wir alle sollten uns daran orientieren, die Krise
so schnell wie möglich zu überwinden - ohne Liquiditätshilfen auskommen. Diese Systeme müssen sich selber tragen; das ist unser Bestreben, wir alle sollten unser
Handeln danach ausrichten.
Heute Morgen haben wir mit der deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe sowie dem Vizeaußenminister und dem Botschafter Brasiliens gesprochen. Eines
der wesentlichen Themen war die internationale Krise:
Wie ergeht es Brasilien und dem lateinamerikanischen
Kontinent? Sie haben gesagt, sie seien natürlich davon
betroffen, nur komme das Wort „Krise“ bei ihnen nicht
vor; man müsse aus der aktuellen Situation das Beste
machen und schauen, wie man dieses Tal schnellstens
verlassen könne.
({6})
Man müsse - beide nannten diesen wesentlichen Punkt den Menschen Mut machen.
Wir haben von der Bevölkerung Verantwortung übertragen bekommen. Viele von uns streben an, am 27. September von den Bürgerinnen und Bürgern Verantwortung für die nächsten vier Jahre übertragen zu bekommen. Wenn wir nur von der Krise reden und keine Antworten wissen, wenn wir nicht Zuversicht geben und
sagen, dass wir alles tun, damit wir aus dem Tal herauskommen, wer soll dann Mut machen?
({7})
Das ist in diesem Zusammenhang ein wesentlicher
Punkt.
Es ist wichtig, die Kosten der Sozialsysteme so gering
wie möglich zu halten. Wir haben es in der Großen Koalition seit 2005 geschafft, die Lohnzusatzkosten unter
40 Prozent zu senken. Wir müssen dafür Sorge tragen,
dass es so bleibt. Deshalb sind Anträge wie jene, die Sie
von der Fraktion der Linken stellen, in denen gesagt
wird, irgendjemand werde es schon bezahlen, mehr als
nur Effekthascherei; manch einer könnte sie als böswillig bezeichnen, weil sie auf die niederen Instinkte der
Menschen abzielen. Ich muss Ihnen aber sagen: Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande fallen auf Ihre
Versprechungen nicht herein. Die Menschen in unserem
Land sind sehr intelligent und wissen ganz genau, wer
was tut, wer ehrliche Arbeit, einen Beitrag zur Überwindung dieser schwierigen Situation leistet. Einen solchen
Beitrag leisten Sie mit Sicherheit nicht.
Morgen werden wir, was die Rentenversicherung anbelangt, Änderungen am Sozialgesetzbuch IV beschließen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die
Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande in wenigen
Tagen, am 1. Juli, höhere Rentenleistungen erhalten werden: In den alten Bundesländern steigt die Rente um
2,41 Prozent, in den neuen Bundesländern um 3,38 Pro25062
zent. Das ist die höchste Rentensteigerung seit über
zehn Jahren.
({8})
Das Einkommen, das den Rentnerinnen und Rentnern
zur Verfügung steht, wird durch diese Erhöhung um
5,6 Milliarden Euro steigen.
({9})
Wir müssen bei dieser Diskussion - das wurde heute
nur kurz gestreift, vom Kollegen Kolb und von der Kollegin Lehn - bedenken: Zu bezahlen haben das die Menschen in diesem Lande, die arbeiten.
({10})
Das Steueraufkommen fällt nicht wie Manna vom
Himmel, die Steuern wollen gezahlt werden. Die Frau
Kollegin Bender hat dargestellt, wer alles Steuern zu
zahlen hat. Dafür tragen wir Verantwortung.
Versprechungen in Hülle und Fülle abzugeben, ist
leicht. Doch wer politische Verantwortung trägt, weiß:
Es geht darum, verantwortungsvoll mit der Schaffenskraft, mit der Leistung der Bürgerinnen und Bürger umzugehen, damit unser Land aus der Situation, in der wir
uns im Moment befinden, herauskommt. Gemeinsam
müssen wir diese Krise überwinden, wir, die Politik, und
ihr, liebe Bürgerinnen und Bürger, mit eurem Fleiß und
eurer Leistungsbereitschaft, aber auch mit Mut und Zuversicht. So sollte es auch in Zukunft sein.
Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich bedanke mich auch bei denjenigen - es sind ja nicht
mehr allzu viele -, die mich in diesem Parlament
29 Jahre ertragen haben; denn ich gehe davon aus, dass
dies heute meine letzte Rede sein wird.
({11})
- Der Politik, lieber Heinz Kolb, werde ich verbunden
bleiben.
({12})
Ich werde dem einen oder der anderen, wenn gewünscht,
Ratschläge geben. Ein bisschen Berlin, dieses Zigeunerleben zwischen Bayern und Berlin
({13})
werde ich weiter in Kauf nehmen.
Herzlichen Dank, und Ihnen alles Gute und Gottes
Segen!
({14})
Herr Kollege Rossmanith, Sie gehören diesem Haus
nun fast 30 Jahre an und haben in diesen fast 30 Jahren
im Parlament ganz unterschiedliche Funktionen wahrgenommen, auch an führender Stelle, viele Jahre davon im
Haushaltsausschuss, mit einer enormen Arbeitsbelastung. Ich möchte Ihnen dafür sehr herzlich danken und
Ihnen für das weitere Arbeiten - in Berlin oder wo auch
immer - alles Gute wünschen.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Heinz-Peter Haustein
für die FDP-Fraktion.
({1})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken trägt den Titel
„Staatsgarantie für die Sozialversicherungen - Schutzschirm für Menschen“. Das ist pure Polemik; denn im
ersten Moment könnte man meinen, dieser Antrag sei
nichts Schlechtes.
({0})
Gestern war der 17. Juni, sodass wir hier der Opfer
des Volksaufstandes in der DDR gedacht haben. Damals
ging es mit Panzern gegen Demonstranten, eiskalt. Ich
habe gestern das Stasigefängnis Hohenschönhausen besucht und mir mit Herrn Kürschner angeschaut, was dort
abgegangen ist. Da wurden Leute dafür, dass sie zwei
Spiegel-Artikel bei sich hatten, zu fünf Jahren Gefängnis
verurteilt.
Dabei habe ich an die Linke gedacht. Die Linke ist die
Nachfolgepartei der SED. Sie hat nach wie vor das
gleiche geistige Element wie damals diese Leute: Marx,
Engels, Lenin,
({1})
Klassenkampf pur, Verstaatlichung, Gleichschaltung,
Maulkorb. Sie sitzen heute hier im Bundestag, dank unserer Demokratie.
({2})
Und da reden Sie von Schutzschirmen! Von Schutzschirmen verstehen Sie nichts, von Schutzwällen, von Mauern und Stacheldraht - Sie haben die Mauer ja als „antifaschistischen Schutzwall“ bezeichnet - dagegen schon.
({3})
Das muss man sich einmal durch den Kopf gehen lassen.
Deshalb ist Ihr Antrag untauglich und einfach nur
schlimm.
Sie behaupten in Ihrem Antrag, die Bankenrettung
habe lediglich der Sicherung der Rendite von vermögenden Menschen gedient. Das ist falsch. Es ging um den
Schutz der Spareinlagen, der kleinen Sparer und der
Leute insgesamt und nicht um einen Schutz für vermögende Anleger, was hier immer wieder behauptet wird.
Sie betreiben hier Demagogie, und das lässt sich auch
nicht mehr ändern.
Von einem funktionierenden Bankensystem profitieren wir alle.
({4})
Wir als FDP
({5})
haben dem zugestimmt, weil wir etwas für unser Land
übrig haben, weil wir Patrioten sind und unser Land lieben. Es war richtig, diesem Bankenrettungspaket, das
ein Rettungspaket für die Spareinlagen der Menschen
war, zuzustimmen.
({6})
Ihre Idee funktioniert nicht; das wurde ja weltweit
durch diesen Feldversuch des Sozialismus gezeigt. Irgendwann haben die Menschen Freiheit verlangt, und
durch die Pleite des Staates - auch rein wirtschaftlich
zum Ende der DDR-Zeit - wurde einfach bewiesen: Das
funktioniert nicht.
({7})
Wir als FDP fordern, dass die Lohnnebenkosten im
Rahmen bleiben. Besser wäre es, wenn man sie senken
würde; denn wer bringt die Steuern letztlich auf?
({8})
Das sind die Menschen, aber vor allem der Mittelstand.
Gerade dieser Mittelstand wird bei uns hier im Lande
stiefmütterlich behandelt.
({9})
Die Lohnnebenkosten, durch die er immens belastet
wird, sind nicht so sehr gesenkt worden, wie immer behauptet wird; denn bei diesen unter 40 Prozent wird von
unseren Kollegen der Großen Koalition ja einiges vergessen.
Wir setzen genau bei der Mitte, beim Mittelstand,
({10})
an und sagen: Das Sozialste überhaupt und das beste Sozialsystem ist die Schaffung von Arbeitsplätzen. Dafür
stehen und kämpfen wir.
({11})
Wenn jemand kränkelt, dann braucht er Arzneien und
Vitamine. Das beste Vitamin für einen kränkelnden
Menschen und für diese Wirtschaft ist ein einfaches,
niedriges und gerechtes Steuersystem. Das Wort „einfach“ muss einmal unterstrichen werden. Solange noch
90 Prozent aller Steuergesetze hier in Deutschland gelten, ist doch etwas falsch.
({12})
Schon durch eine Vereinfachung des Steuersystems
würde mehr Geld in die Kasse gespült werden. Wenn wir
unser Steuerkonzept durchbringen werden, dann bedeutet das ja nicht, dass es insgesamt weniger Steuereinnahmen gibt. Man muss die Leute nur motivieren und ihnen
wieder Lust auf Arbeit machen, und man muss den Unternehmen wieder Lust machen, etwas zu unternehmen,
und darf sie nicht gängeln.
({13})
Liebe Freunde, in 101 Tagen haben Sie die Möglichkeit, darüber abzustimmen. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({14})
Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
was ist es denn anderes als eine Staatsgarantie, wenn wir
jährlich Steuergelder in Höhe von 80 Milliarden Euro in
die Rentenkasse einzahlen, damit die Renten, die Rentenleistungen und all das, was damit verbunden ist,
monatlich an die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt
werden können? Was ist es denn anderes als eine Staatsgarantie, wenn man diese 80 Milliarden Euro nicht über
Beiträge, sondern als Sozialstaat über Steuern finanziert?
Es ist natürlich eine Staatsgarantie, dass die Renten und
die Leistungen, die damit verbunden sind, jeden Monat
garantiert werden. Was ist das denn sonst?
Was ist es denn anderes als eine Staatsgarantie, wenn
zur Finanzierung des Gesundheitsfonds steigende Steuergelder zur Verfügung stehen, damit es für die Menschen bezahlbar bleibt? Was ist es denn anderes als eine
Staatsgarantie, wenn man so etwas tut?
Was ist es denn anderes als ein gesetzlich verbriefter
Leistungsanspruch, der sich aus den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen ergibt? Der Anspruch, der darin
steht, ist gesetzlich verbrieft. Ich brauche das im Deut25064
schen Bundestag schlichtweg nicht noch einmal zusätzlich zu beschließen.
({0})
Was ist denn mit den Leistungen nach dem SGB II?
Selbstverständlich sind sie gesetzlich geregelt und für jeden beanspruchbar. Sie sind nicht infrage gestellt. Ich
habe hier im Deutschen Bundestag keinen Antrag gesehen, mit dem die Leistungen nach dem SGB II oder andere infrage gestellt werden. Was soll also dieser Antrag,
wenn der Staat seinen sozialen Verpflichtungen sowieso
nachkommt?
({1})
Von daher hat der eine oder andere Vorredner hier an
dieser Stelle wirklich absolut Recht. Sie machen hier
ohne jeden Zweifel etwas ganz Eindeutiges.
({2})
- Nein, Herr Ernst, ich lasse keine Zwischenfrage mehr
zu. Die Kollegin Bender hat nämlich völlig recht: Sie haben einen plakativen, nichtssagenden und überflüssigen
Antrag zu diesem Thema gestellt und schon viel zu viel
Redezeit über Ihre Fragen in Anspruch genommen. Von
daher beschränke ich mich hier auf das, was ich zu sagen
habe.
({3})
Dazu möchte ich kurz Herrn Kampeter ansprechen.
Herr Kampeter, wenn Sie sagen, dass der Arbeitsminister in der Frage, wie das Benchmarking bei der BA
noch verbessert werden kann - in der Tat ist noch einiges
zu tun, weil es um enorme Umstrukturierungsprozesse
geht, die ihre Zeit brauchen -, seiner Aufgabe nicht
nachgekommen ist, dann muss ich darauf hinweisen,
dass alle Vorschläge, die der Arbeitsminister gemacht
hat, zurzeit von der CDU/CSU blockiert werden.
({4})
Das muss man in aller Deutlichkeit sagen.
Ich habe heute Morgen schon wahrgenommen, wie
versucht wurde, den Bundesaußenminister zu kritisieren.
({5})
Das wird wohl bis zum Ende der Legislaturperiode, die
nur noch eine Sitzungswoche umfasst, zum üblichen Stil
werden.
({6})
Dann will ich aber etwas dazu sagen. Die sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister in der Bundesregierung haben in der Frage, wie man diese Krise bewältigt - wofür es keine Blaupausen gibt -, ihre Arbeit
gemacht, zum Beispiel der Arbeitsminister mit dem Vorschlag zum Kurzarbeitergeld. Das war doch niemand
anders als der sozialdemokratische Arbeitsminister.
({7})
Das Kurzarbeitergeld ist eine Erfolgsgeschichte gerade
dieser Republik. Weltweit wird abgefragt, wie wir Deutschen das mit dem Kurzarbeitergeld machen.
({8})
Ich sage in aller Deutlichkeit: Ich bin der festen Überzeugung - darin sind wir uns wahrscheinlich beide einig,
Herr Kampeter -, dass wir ohne unsere Regelungen zum
Kurzarbeitergeld über ganz andere Arbeitslosenzahlen
reden müssten als jetzt. Das ist doch wohl unbestritten
wahr.
({9})
Weil es mir wichtig ist, will ich etwas zu dem Schutzschirm sagen, der hier auch gefordert wird.
({10})
Man kann plakativ sagen: Wir brauchen einen Schutzschirm für die Menschen. Was aber heißt das konkret?
Ich meine, die erste und vornehmste Aufgabe ist der Versuch, zu verhindern, dass in dieser Krise massenhaft
Menschen arbeitslos werden. Arbeit zu sichern ist der
beste Schutzschirm, den wir den Menschen zurzeit bieten können. Das ist für mich der zentrale Punkt.
({11})
Sie sind nämlich diejenigen, die die Beiträge aufbringen
und unsere sozialen Sicherungssysteme leistungsfähig
erhalten. Je mehr Arbeit es gibt und je mehr Menschen
eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben, desto sicherer sind unsere sozialen Sicherungssysteme. Sie werden nicht durch plakative Anträge sicherer,
mit denen Sie Sozialleistungen ohne Ende versprechen,
sondern nur dadurch, dass es in diesem Land Arbeit gibt.
({12})
Dazu leisten Sie in keiner Weise einen Beitrag. Das haben andere getan, nämlich diese Regierung und die sie
tragende Koalition mit der Abwrackprämie, die ökologisch in der Tat beanstandet werden kann, aber arbeitsmarktpolitisch mit Sicherheit nicht.
Es waren sozialdemokratische Minister, die ein Konjunkturprogramm für die Kommunen aufgelegt haben, für das der Bund 10 Milliarden Euro investiert.
Wem nutzt dieses Konjunkturprogramm? Es nutzt den
kleinen und mittelständischen Unternehmen vor Ort und
sichert dort Arbeitsplätze. Das ist der Hintergrund. Das
ist der Schutzschirm für die Menschen in diesem Lande.
({13})
Deswegen brauchen wir Ihre Vorschläge dazu mit Sicherheit nicht.
Ob das alles letzten Endes ausreicht, kann in einer Art
Kaffeesatzleserei durchaus erst einmal bezweifelt werden. Aber das eine oder andere hat schon gut gewirkt,
zum Beispiel die Kurzarbeit oder die Abwrackprämie.
Das kommunale Investitionsprogramm beginnt langsam
zu wirken und wird sicherlich auch noch seine nötigen
Erfolge zeitigen. Davon bin ich fest überzeugt.
Sie haben wieder einmal plakativ die 480 Milliarden
Euro für den Bankenrettungsschirm angesprochen. Dann
sollten Sie den Menschen auch sagen, dass der Schutzschirm für die Banken nicht nur irgendwelche Einlagen
der Aktionäre sichert - das ist nämlich in der Regel gar
nicht der Fall; da, wo wir unmittelbar helfen, gibt es
strenge Auflagen für die Hilfen -, sondern auch der öffentlichen Hand, zum Beispiel der Kommunen oder der
Deutschen Rentenversicherung Bund. Hätten wir das alles vor die Wand fahren lassen, dann hätte das mit Sicherheit einen größeren volkswirtschaftlichen Schaden
zur Folge gehabt als den, den wir unter Umständen
- wenn man Kaffeesatzleserei betreibt - durch die
480 Milliarden Euro für Schutzmaßnahmen zu konstatieren haben.
({14})
Aus meiner Sicht ist es der Sache nicht angemessen, so
plakativ damit umzugehen.
Was die Hedgefonds angeht - auch das bringen Sie
immer wieder vor -, ist festzustellen, dass in diesem
Land einige wenige Hedgefonds ansässig sind: In der Tat
haben wir sie damals geöffnet. Das ist richtig. Der Druck
war enorm. Er ist übrigens nicht nur durch internationale
Finanzhaie oder Ähnliches auf Deutschland entstanden,
sondern auch von politischer Seite im Inland,
({15})
und zwar durch die damalige Opposition.
({16})
Die Regeln, die wir damit verbunden haben, sind aber so
stringent, dass es in Deutschland nur einige wenige
Hedgefonds gibt; in der City of London dagegen sind es
2 000. Das ist der zentrale Unterschied. Sie siedeln sich
bei uns weniger an. Man kann aber die internationalen
Finanzströme weniger kontrollieren; denn die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wurde damals in
Gleneagles durch Regelungen von beispielsweise den
Amerikanern und den Briten ausgebremst. Dass man das
nicht alleine machen kann, stellen wir jetzt fest.
Lassen Sie mich noch zwei Sachen ansprechen, die
mir wichtiger sind. In Bezug auf Arcandor liegt seit
Montag ein Ergebnis vor, das der ein oder andere politisch gewollt hat. Ich sage denen, die das Modell Insolvenz präferiert haben und es mit der Aussage, dass Insolvenz auch Chancen bedeutet, verbunden haben: Aus
meiner Sicht haben die jetzt eine herausragende und besondere Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer bei Arcandor. Ich fordere Sie auf, diese
wahrzunehmen.
({17})
Ich weiß nicht, ob heute das Thema Bildung im Laufe
des Tages noch eine Rolle spielen wird. Deshalb möchte
ich einen kurzen Satz dazu sagen.
({18})
- Ich möchte es trotzdem ansprechen; denn in der Aktuellen Stunde rede ich nicht. - Gestern haben weit über
200 000 junge Menschen für bessere Bildungschancen
und damit verbunden für bessere Zukunftschancen demonstriert.
({19})
Man sollte das ernster nehmen, als das die eine oder andere Ministerin gestern in der Kommentierung getan hat.
Wir nehmen die jungen Menschen ernst.
({20})
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit. Sie ist
bereits überschritten.
({0})
Ich bin beim letzten Satz, Frau Präsidentin. - Lieber
Kollege Ernst, ich möchte noch etwas ansprechen, das
mich in letzter Zeit bewegt hat, obwohl ich mich mit
dem Innenleben der Linken eigentlich weniger auseinandersetze.
({0})
Sie haben sich in den letzten Jahren hier bei fast jeder
Debatte als die Hüter der Arbeitnehmerschaft generiert.
Herr Kollege Schaaf, achten Sie bitte auf die Redezeit. Ein Satz ist vorbei.
Was ich zu meinem Bedauern feststelle, ist, dass die
Linke auf ihrer Landesliste alle Gewerkschafter abgesemmelt hat und wir demnächst nur noch in der SPD Gewerkschafter haben werden.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Hans-Joachim Fuchtel
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
diese Diskussion nicht in der Öffentlichkeit stattfinden
würde, würde ich nicht noch einmal auf die Linke eingehen. Nachdem Sie aber versuchen, dieses Forum zu nutzen, will ich Ihnen jedoch sagen: Sie kommen mir so vor
wie manche Leute auf dem Fußballfeld.
({0})
Manche Exemplare stehen dort am Strafraum und warten, bis irgendwann der Ball kommt. Mit möglichst wenig Aufwand spielen sie dann den Ball ins Tor.
({1})
Genau so verhalten Sie sich. Sie sind politische Abstauber von der übelsten Sorte,
({2})
und zwar deswegen, weil Sie die Leute mit Wissen und
Wollen verunsichern. Das tun Sie aber nicht aus Sorge
um die Leute, sondern um Ihr politisches Süppchen zu
kochen. Das ist das Motiv Ihres Handelns am heutigen
Tag.
({3})
Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen nur sagen:
Dieses politische Süppchen ist versalzen. Die Koalition
braucht sich mit Sicherheit von Ihnen nicht sagen zu lassen, was im sozialen Bereich zu tun ist. Es wurde nämlich sehr viel getan.
({4})
Als Haushälter sage ich: Die Zahlen sprechen für sich.
Es stehen 303 Milliarden Euro zur Verfügung, von denen
annähernd die Hälfte für Soziales vorgesehen ist.
({5})
- Wie soll denn das gehen? Ist ein Staat erst ein Sozialstaat, wenn 100 Prozent oder sogar 150 Prozent des gesamten Geldes ausgegeben werden?
({6})
- Herr Ernst, Sie reden nicht ernst; das muss ich Ihnen
sagen. Sie sollten lieber ruhig sein.
({7})
Viele Rentnerinnen und Rentner sind durch das Geschwätz, das wir gerade gehört haben, wahrscheinlich
verunsichert.
({8})
Ich möchte daher nun zur Sache kommen. In § 214
Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI steht:
Reichen in der allgemeinen Rentenversicherung die
liquiden Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage nicht
aus, die Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, leistet
der Bund den Trägern der Rentenversicherung der
Arbeiter und der Angestellten eine Liquiditätshilfe
in Höhe der fehlenden Mittel ({9}).
({10})
Hier ist die Garantie im Gesetz gesichert. Als Ihre
Vorgänger, deren Geld Sie gerne genommen haben, um
dann im politischen Raum so aufzutreten wie heute,
noch nicht einmal an der Macht waren, gab es bereits
diese Regelung. Das stand schon in der Reichsversicherungsordnung von 1911 und wurde dann übernommen.
Diese Regelung hat alles überlebt - zum Beispiel die
Währungsreform und die Rentenreform von 1957 - und
hat auch in der heutigen Zeit Bestand. Das ist die Wahrheit. Darauf können sich die Renterinnen und Rentner in
Deutschland verlassen.
({11})
Das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung, § 364
Abs. 1 des SGB III, oder die Krankenversicherung,
§ 271 Abs. 3 Satz 1 des SGB V. Überall gibt es die gleiche Grundlage und herrscht Klarheit, dass dieser Staat
den Sozialstaat schützt, und zwar mit voller Macht, und
dafür sorgt, dass die Schwächeren in der Gesellschaft
auf jeden Fall unter dem Schutzschirm sind, der hier angemahnt wird. Das ist das Wichtigste, das wir herausstellen müssen.
({12})
Wenn Sie eine ordnungspolitische Diskussion wollen,
kann ich nur sagen: Solange auf dem etwas erhöhten Sitz
eine Bundeskanzlerin Merkel sitzt, so lange werden wir
dem Sozialismus eine Absage erteilen, die Prinzipien der
sozialen Marktwirtschaft würdigen und sie auch nutzen,
um in der aktuellen Krise wieder zu Festigkeit zu kommen und für die Zukunft zu sorgen.
({13})
Herr Kollege Fuchtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kolb?
Ich bin es gewohnt, dass der Kollege versucht, - ({0})
Bitte, Herr Kollege Dr. Kolb.
Ich darf den Satz vervollständigen: Sie sind es gewohnt, dass der Kollege Kolb versucht, Licht in das
Dunkel zu bringen. - Stimmen Sie mir zu, dass die von
Ihnen beschriebenen Staatsgarantien so funktionieren,
dass in der Regel das Darlehen im Laufe des Jahres gewährt wird, dass es aber schon im nächsten Jahr zurückgezahlt werden muss - in der Krankenversicherung erst
ab 2011 - und dass dafür die Sozialversicherungsbeiträge angepasst werden müssen, dass diese Garantien
also nicht kostenlos sind, sondern nur eine vorübergehende Liquiditätshilfe darstellen?
Lieber Herr Kollege Kolb, wir waren schon zusammen in einer Koalition. Damals haben Sie das alles wunderbar gefunden und mitgetragen. Sie wollen doch nicht
behaupten, dass Sie das künftig nicht mehr mittragen
würden, wenn Sie wieder einmal in der Regierung sein
sollten.
({0})
- Mehr braucht man dazu vielleicht nicht zu sagen.
({1})
Opportunismus muss man auf allen Seiten etwas Einhalt
gebieten, auch aufseiten der FDP, die ansonsten heute
schon sehr Richtiges gesagt hat.
Ich möchte die letzte Minute, die mir verbleibt, nutzen, um der Kollegin Lehn für ihre Arbeit zu danken.
Sie war in den letzten Jahren mein Kontrapart in dieser
Koalition. Sie scheidet nun nach 15 Jahren aus dem Bundestag aus. Soweit ich mit ihr zusammenarbeiten durfte,
hat sie immer gezeigt, dass sie eine Sozialpolitikerin mit
Augenmaß ist - sie hat zehn Geschwister -, die das
Handwerkszeug von der Pike auf gelernt hat. Wir haben
gespürt, dass ihr soziales Engagement von Herzen kam.
Alles Gute, liebe Waltraud!
Vielen Dank.
({2})
Frau Kollegin Lehn, wie ich gerade höre, kandidieren
Sie nicht mehr. Ich möchte Ihnen ganz herzlich für Ihr
Engagement in vier Legislaturperioden danken. In diesen Jahren haben Sie engagiert in den Ausschüssen und
im Plenum mitgearbeitet. Herzlichen Dank! Alle unsere
guten Wünsche begleiten Sie.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Peter Friedrich für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann leider mit keinem Onkel Otto und keiner Tante
Käthe dienen. Insofern werden wir noch eine Weile auf
einen Ersatz für Waltraud Lehn warten müssen.
({0})
Ich will nur zu dem Fußballvergleich eines anmerken,
Herr Fuchtel. Auch mit meinen eingeschränkten fußballerischen Fähigkeiten bin ich mir bewusst, dass Abstaubertore auch zählen. Deswegen ist es notwendig, sich in
der Sache mit dem auseinanderzusetzen, was von der
Linken eben vorgetragen wurde.
Der wesentliche soziale Schutz für die Menschen in
Deutschland ist, dass Menschen füreinander einstehen,
dass Menschen für Menschen da sind, dass es organisierte Solidarität gibt. Es geht eben nicht um abstrakte
Gruppen, sondern darum, dass Menschen füreinander
einstehen.
({1})
Dieses Grundprinzip hilft uns jetzt. Schauen wir uns die
Auswirkungen der Krise in anderen Ländern an. Herr
Kolb, Sie sollten hier in Ihrer Argumentation der Redlichkeit halber hinzufügen, wozu Ihre Vorstellungen von
Sozialstaatlichkeit in der Krise führen. Das können wir
in den Ländern beobachten, die auf eine reine Kapitaldeckung umgestellt haben. Daran sieht man, dass der
Schutz durch die sozialen Sicherungssysteme, auf den
etwa Rentner, Kranke und Arbeitslose angewiesen sind,
nur durch die unmittelbare Solidarität von Menschen
füreinander gewährleistet werden kann.
({2})
Wenn man sich mit dem Antrag der Linksfraktion
auseinandersetzt, stellt sich die Frage: Was meinen Sie
eigentlich mit Staatsgarantie? Ist das irgendetwas Abstraktes? Sind denn die Menschen, die sich Leistungsansprüche selber erarbeitet haben, mit Bürgschaften zufrieden? Sicherlich nicht. Schauen wir uns doch die einzelnen sozialen Sicherungssysteme an. Faktisch gibt es
diese Staatsgarantie dadurch, dass die Menschen verbriefte Ansprüche gegenüber den Sozialversicherungen
haben und dass wir hier im Plenum, in den Sozialversicherungen und in der Selbstverwaltung dafür verantwortlich sind, eine ausreichende Finanzierung zu gewährleisten. Das ist ein permanenter Prozess politischer
Gestaltung, nicht eine abstrakte Regelung in Form eines
Briefes, der über die Theke geschoben wird.
({3})
In Ihrer Begründung greifen Sie ausgerechnet das
Thema Gesundheit auf. Man kann der Konstruktion des
Gesundheitsfonds einiges vorwerfen.
({4})
Aber was man dem Fonds sicher nicht vorwerfen kann,
ist eine fehlende Garantie für die Einnahmen der Krankenkassen. Ich möchte gerne wissen: Wie wäre denn die
Situation der großen Versorgerkassen ohne die garantierten Einnahmen des Fonds? Das Spektrum der Beitragssätze ginge munter auseinander, und es käme zu Wande25068
rungsbewegungen. Ob die Steigerungen der Ausgaben
bei Krankenhäusern, Ärzten und Arzneimitteln zu verkraften wären und ob die Versorgung gewährleistet wäre,
scheint mir äußerst fraglich. Deswegen halte ich es für
völlig falsch, als Begründung gerade den Gesundheitsfonds anzuführen.
Ihnen geht es im Kern gar nicht um Staatsgarantien.
Sie möchten vielmehr den Schutzschirm, den wir über
dem Finanzmarkt aufgespannt haben, gegen die Frage
der sozialen Sicherung ausspielen. Darum geht es Ihnen
tatsächlich. Ich habe versucht, mitzuzählen: Mindestens
zwölfmal ist aus Ihren Reihen „480 Milliarden für die
Banken!“ gerufen worden.
({5})
Sie spielen die Anleger und Arbeitnehmer gegen die
Leistungsempfänger aus, die auf Leistungen angewiesen
sind. Genau das machen Sie: Sie spielen die Menschen
gegeneinander aus.
({6})
Die Rentnerin, die ihren Notgroschen bei einer Bank
angelegt hat und jetzt auf dieses Geld angewiesen ist ist das kein Mensch? Der Schüler, für den die Tanten und
Onkel eine Ausbildungsversicherung abgeschlossen haben, die wir mit absichern - ist das etwa kein Mensch?
Der Handelsvertreter, der eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen hat, weil er bei Wind und Wetter und
auch nachts durch die Landschaft fahren muss - ist das
etwa kein Mensch? Die Krankenschwester, die eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat und deren Versicherung das Geld auch bei Hypo Real Estate
angelegt hat - ist das etwa kein Mensch? So kann man
nicht miteinander umgehen. Hören Sie auf, so zu tun, als
würden die einen in Plüsch gebettet und hätten die anderen die Lasten alleine zu tragen.
({7})
Sie gehen aber noch weiter und beziehen sich auch
auf das Konjunkturprogramm. Ich frage Sie: Der Stuckateurgeselle, der jetzt durch die Gebäudesanierungsprogramme einen Auftrag hat - ist das nicht jemand, um
dessen Arbeitsplatz wir uns bemühen sollten? Die
473 mittelständischen Betriebe, die jetzt einen Kredit
von der KfW als Absicherung erhalten haben - sind das
nicht Arbeitsplätze, um die man kämpfen sollte? Der Arbeiter beim Automobilzulieferer, der von der Abwrackprämie profitiert, weil er jetzt aus der Kurzarbeit herauskommt - ist das kein Mensch, für den es sich zu
kämpfen lohnt? Sie stellen das in Ihrem Antrag ganz bewusst gegeneinander. Das ist zynisch.
({8})
Es ist genau der gleiche Zynismus, wenn die ArcandorPleite im CDU-Vorstand als politischer Erfolg gefeiert
wird. Beides ist zynisch.
Es geht darum, dass wir um jeden Arbeitsplatz kämpfen, sei es mit einem Bankenrettungsschirm, sei es mit
einem Fonds für notleidende Unternehmen, die von der
Krise betroffen sind, sei es durch Steuerzuschüsse, mit
denen wir dafür sorgen, dass die Sozialversicherungssysteme sicher sind. Es wurde schon mehrfach erwähnt:
Wenn Sie sehen, wie viel Geld wir aus dem Bundeshaushalt in die sozialen Sicherungssysteme hineinpumpen
und auch noch hineinpumpen werden, dann macht das
deutlich, dass es ein Rettungssystem auf Steuerbasis
längst gibt. Es funktioniert jeden Tag, und zwar schon
seit vielen Jahren.
Wir werden weiter daran arbeiten müssen, die Steuerfinanzierung auszuweiten. Bei der Krankenversicherung
machen wir es bereits. Wir werden auch weiterhin die
Renten mittels einer Steuerfinanzierung vernünftig absichern. Deswegen ist der Steuersenkungswettlauf, der
zwischen CDU/CSU und FDP ausgebrochen ist, wirklich eine Gefahr für die soziale Sicherheit in diesem
Land.
({9})
Wenn man auf der einen Seite beschließt - wir haben
mitgestimmt, und auch ich bin dafür -, die Schulden zu
begrenzen, dann kann man auf der anderen Seite nicht
das bewusste Ausbluten des Staates in Kauf nehmen und
gleichzeitig den Menschen soziale Sicherheit versprechen. Das passt nicht zueinander.
({10})
Eine der wesentlichen sozialen Fragen - darauf wurde
schon hingewiesen - haben Sie in Ihrem Papier überhaupt nicht erwähnt. Die wesentliche soziale Frage ist
doch, wie es mit dem Bildungsland Deutschland weitergeht. Das ist die zentrale Frage, wenn es darum geht, wie
wir jedem Menschen eine Chance eröffnen können, dass
er eigenständig für sich selbst sorgen kann. Ich bin für
einen Sozialstaat, der die Menschen gegen die großen
Risiken des Lebens absichert, aber dieser Sozialstaat
muss die Menschen dazu befähigen, wieder eigenständig
werden zu können. Sie haben ein Verständnis von Sozialstaat, der ausschließlich aus Opfern besteht. Für diese
sind Sie zuständig - darin besteht die Arbeitsteilung -,
bei allem anderen, zum Beispiel wie das Sozialprodukt
erwirtschaftet werden soll, halten Sie sich fein heraus.
Wir brauchen Investitionen in Bildung, um die Wirtschaftskraft in Deutschland überhaupt zu erhalten und
das Niveau der sozialen Sicherung auf Dauer zu gewährleisten. Wir brauchen eine soziale Sicherung, die alle
einschließt. Deshalb geht es um Bürgerversicherung, um
Bildung und um die Rettung von Arbeitsplätzen da, wo
es uns möglich ist.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12857 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Strittig ist jedoch die
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Federführung. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen Federführung beim Haushaltsausschuss,
die Fraktion Die Linke wünscht die Federführung beim
Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wir stimmen zu-
nächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion
Die Linke ab, das heißt Federführung beim Ausschuss
für Arbeit und Soziales. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? -
Dann ist der Überweisungsvorschlag mit großer Mehr-
heit abgelehnt.
Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ab, das heißt
Federführung beim Haushaltsausschuss. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? -
Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit gro-
ßer Mehrheit angenommen.
Nun kommen wir zu einer Reihe von Abstimmungen,
bei denen ich Sie um Konzentration bitte.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 66 a bis 66 g und
67 y sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 h auf:
66 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz ({0}), Kerstin Andreae, Christine
Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Innovationskraft von kleinen und mittleren
Unternehmen durch steuerliche Förderung gezielt stärken
- Drucksache 16/12894 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer ({3}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine Sonderstellung der Bundeswehr an
Schulen
- Drucksache 16/13060 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verhindern
- Drucksache 16/13180 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Peter Hettlich, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Standards für die Abgasuntersuchung
einführen
- Drucksache 16/13181 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Auch Verletztenrenten früherer NVA-Angehöriger der DDR anrechnungsfrei auf die
Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen
- Drucksache 16/13182 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag, Swen
Schulz ({10}), Dr. Peter Danckert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Max
Stadler, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Unterstützung der Bewerbung der Landeshauptstadt München zur Ausrichtung der
XXIII. Olympischen und XII. Paralympischen
Winterspiele 2018
- Drucksache 16/13481 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({11})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stadtentwicklungsbericht 2008
- Drucksache 16/13130 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
67 y) Beratung des Antrags der Fraktionen FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verfahren gegen Michail Chodorkowski be-
gleiten, Rechtsstaatlichkeit in Russland stär-
ken
- Drucksache 16/13371 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Fünf Jahre Karenzzeit für Mitglieder der
Bundesregierung
- Drucksache 16/13366 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Volker Schneider ({13}),
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Arbeitslosengeld I in der Krise befristet auf
24 Monate verlängern
- Drucksache 16/13368 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({14})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Ahrendt, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbot des Vereins „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ prüfen
- Drucksache 16/13369 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({15})
Rechtsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, Dr. Dagmar
Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Unschuldsvermutung muss auch im Arbeitsrecht gelten - Verdachtskündigung gesetzlich
ausschließen
- Drucksache 16/13383 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({16})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({17}), Kai Gehring, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie
- Drucksache 16/13394 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({18})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Renate Künast, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bahnanbindung für den Flughafen Berlin
Brandenburg International optimieren und
beschleunigen
- Drucksache 16/13397 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({19})
Ausschuss für Tourismus
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kein Genmais-Anbau gegen den Willen der
Bürger in der EU
- Drucksache 16/13398 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Birgitt Bender, Christine
Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grauen Kapitalmarkt durch einheitliches Anlegerschutzniveau überwinden
- Drucksache 16/13402 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({20})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Zunächst kommen wir zu
einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist.
Tagesordnungspunkt 66 a. Interfraktionell wird die
Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen betreffend die steuerliche Förderung von kleinen
und mittleren Unternehmen auf Drucksache 16/12894 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Auch hier stimmen wir zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab,
das heißt Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Nun stimmen wir über den Überweisungsvorschlag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ab, das heißt
Federführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zu den unstrittigen Überweisungen, und zwar betreffend die Tagesordnungspunkte 66 b
bis 66 g und 67 y sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 h. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 67 a bis 67 i, k
bis x sowie z bis ii auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 67 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte im Grundbuchverfahren sowie zur Änderung weiterer
grundbuch-, register- und kostenrechtlicher
Vorschriften ({21})
- Drucksache 16/12319 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({22})
- Drucksache 16/13437 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Carl-Christian Dressel
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13437, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12319 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ist
jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Geschmacksmustergesetzes
- Drucksache 16/12586 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({23})
- Drucksache 16/13435 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Wolfgang Nešković
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13435, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12586 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in dritter Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu der Genfer Fassung vom 2. Juli 1999 ({24}) des Haager Abkommens vom 6. November 1925 über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle
- Drucksache 16/12591 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({25})
- Drucksache 16/13434 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Wolfgang Nešković
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13434, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12591 an25072
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der
zweiten Lesung auch in dritter Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu den Beschlüssen vom 24. September 2004
zur Änderung des Rotterdamer Übereinkommens vom 10. September 1998 über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche
Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und
Schädlingsbekämpfungsmittel im internationalen Handel
- Drucksache 16/13110 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({26})
- Drucksache 16/13413 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Heinz Schmitt ({27})
Eva Bulling-Schröter
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13413, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/13110 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist auch in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes
- Drucksache 16/13112 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({28})
- Drucksache 16/13374 Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13374, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/13112 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Ist jemand dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ist
jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 f:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu der Änderung des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang
zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten
({29})
- Drucksache 16/13115 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({30})
- Drucksache 16/13401 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Gustav Herzog
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13401, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/13115 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig
angenommen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 67 g:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung
des Weingesetzes
- Drucksache 16/13158 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({31})
- Drucksache 16/13420 Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Gustav Herzog
Dr. Volker Wissing
Dr. Kirsten Tackmann
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13420, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/13158 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 h:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen
- Drucksache 16/13159 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Sicherung der Bauforderungen
- Drucksachen 16/13345, 16/13376 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({32})
- Drucksache 16/13415 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13415, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/13159 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der zweiten Lesung.
Nun kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen. Es
handelt sich um den gleichen Gesetzentwurf, allerdings
von der Bundesregierung eingebracht. Der Ausschuss
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13415, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/13345 und 16/13376 für erledigt zu erklären. Gleichwohl müssen wir über diese Beschlussempfehlung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte
ich um das Handzeichen. - Ist jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({33}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Privatisierung öffentlicher Aufgaben zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft
- Drucksachen 16/7735, 16/10504 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10504, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/7735 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
der Linken und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 k:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({34})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Lutz
Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Wirksame Begrenzung des CO2-Ausstoßes
neuer Personenkraftwagen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried
Hermann, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ambitionierte europäische Emissionsnormen für mehr Klimaschutz im Straßenverkehr
- Drucksachen 16/9307, 16/9105, 16/12728 Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Koeppen
Detlef Müller ({35})
Lutz Heilmann
Hans-Josef Fell
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12728 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9307 mit dem Titel „Wirksame Begrenzung des
CO2-Ausstoßes neuer Personenkraftwagen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9105 mit
dem Titel „Ambitionierte europäische Emissionsnormen für mehr Klimaschutz im Straßenverkehr“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 l:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({36}) zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Grietje
Staffelt, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Medienkompetenz Älterer stärken - Die digitale Kluft schließen
- Drucksachen 16/11365, 16/13070 Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Jürgen Kucharczyk
Diana Golze
Ekin Deligöz
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13070, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11365 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und Enthaltung der Fraktion der FDP und der Fraktion
Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 m:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({37}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Markus Löning,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Wettbewerbspolitik als Fundament der Sozialen Marktwirtschaft stärken
- Drucksachen 16/7522, 16/13147 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13147, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/7522 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei
Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 n:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({38}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck
({39}), Monika Lazar, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zivilgesellschaftliches Engagement gegen
Rechtsextremismus gesetzlich schützen Rechtsprechung zur Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
auswerten
- Drucksachen 16/3202, 16/13467 Berichterstattung:
Abgeordnete Daniela Raab
Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13467, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3202 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ist jemand dagegen? - Enthält sich jemand? Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Tagesordnungspunkt 67 o:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({40}) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K.
Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kompetenzen des Bundeskartellamts weiterentwickeln
- Drucksachen 16/8078, 16/13361 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Schultz ({41})
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13361, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/8078 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthält sich jemand? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 p:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({42})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wissenschaftsfreiheitsgesetz einführen Mehr Freiheit und Verantwortung für das
deutsche Wissenschaftssystem
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz
({43}), Kai Gehring, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wissenschaftssystem öffnen - Mehr Qualität
durch mehr verantwortliche Selbststeuerung und Kooperation
- Drucksachen 16/7858, 16/8221, 16/13356 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Kretschmer
Cornelia Pieper
Volker Schneider ({44})
Priska Hinz ({45})
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13356 die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/7858 mit dem Titel „Wissenschaftsfreiheitsgesetz
einführen - Mehr Freiheit und Verantwortung für das
deutsche Wissenschaftssystem“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthält sich
jemand? - Die Beschlussempfehlung ist damit bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen aller
anderen Fraktionen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8221 mit
dem Titel „Wissenschaftssystem öffnen - Mehr Qualität
durch mehr verantwortliche Selbststeuerung und Kooperation“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 q:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({46}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen,
Michael Kauch, Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern in Deutschland
und weltweit schützen
- Drucksachen 16/12886, 16/13414 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Angelika Graf ({47})
Burkhardt Müller-Sönksen
Josef Philip Winkler
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13414, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/12886 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie
der FDP-Fraktion und bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 r:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({48}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine
Kurth ({49}), Bettina Herlitzius, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bundeswildwegeplan als Ergänzung zum Bundesverkehrswegeplan
- Drucksachen 16/7145, 16/9529 Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg Vogelsänger
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9529, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7145 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
bei Enthaltung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 s:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({50}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell,
Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einheitliches Stromnetz schaffen - Unabhängige Netzgesellschaft gründen
- Drucksachen 16/9798, 16/11843 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11843, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9798 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 t:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({51}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern,
Laserfax- und Kopiergeräten
- Drucksachen 16/5776, 16/12468 Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Koeppen
Detlef Müller ({52})
Lutz Heilmann
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12468, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5776 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen sowie der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung
der Fraktion der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 u:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({53}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute
Koczy, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Korruptionsbekämpfung bei Hermesbürgschaften
- Drucksachen 16/11211, 16/13153 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Herbert Schui
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13153, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11211 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 67 v:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({54}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth
({55}), Cornelia Behm, Ulrike Höfken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einführung einer Positivliste zur Haltung von
Tieren im Zirkus
- Drucksachen 16/12864, 16/13206 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Nicole Maisch
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13206, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12864 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP sowie bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 67 w:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({56}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Undine Kurth ({57}), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die gewerbliche Haltung von Mast- und
Zuchtkaninchen in Deutschland und der Europäischen Union deutlich verbessern
- Drucksachen 16/12307, 16/13208 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13208, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12307 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 67 x:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({58}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Sylvia Kotting-Uhl,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Umweltberichterstattung in die Gemeinschaftsdiagnose und Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aufnehmen
- Drucksachen 16/11649, 16/13250 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Axel Berg
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13250, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11649 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 67 z:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Abstufung nicht mehr fernverkehrsrelevanter
Bundesfernstraßen
- Drucksache 16/13387 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 67 aa bis
67 ii; das sind die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 67 aa:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({59})
Sammelübersicht 576 zu Petitionen
- Drucksache 16/13191 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 576 ist damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 bb:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({60})
Sammelübersicht 577 zu Petitionen
- Drucksache 16/13192 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 577 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 67 cc:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({61})
Sammelübersicht 578 zu Petitionen
- Drucksache 16/13193 Wer stimmt dafür? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 578 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 67 dd:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({62})
Sammelübersicht 579 zu Petitionen
- Drucksache 16/13194 Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Die
Sammelübersicht 579 ist angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der
Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 67 ee:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({63})
Sammelübersicht 580 zu Petitionen
- Drucksache 16/13195 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 580 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Tagesordnungspunkt 67 ff:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({64})
Sammelübersicht 581 zu Petitionen
- Drucksache 16/13196 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 581 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 67 gg:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({65})
Sammelübersicht 582 zu Petitionen
- Drucksache 16/13197 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthält sich
jemand? - Die Sammelübersicht 582 ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 67 hh:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({66})
Sammelübersicht 583 zu Petitionen
- Drucksache 16/13198 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Sammelübersicht 583 ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke.
Nun haben wir noch Tagesordnungspunkt 67 ii:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({67})
Sammelübersicht 584 zu Petitionen
- Drucksache 16/13199 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthält sich
jemand? - Die Sammelübersicht 584 ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich bedanke mich herzlich für die Konzentration und
die gute Begleitung bei diesen Abstimmungen.
({68})
Ich komme nun zum Zusatzpunkt 4:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Forderungen des bundesweiten Bildungsstreiks ernst nehmen
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort die Kollegin Cornelia Hirsch für die Fraktion
Die Linke.
({69})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den letzten Tagen waren weit über 200 000 Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende auf der
Straße. Sie fordern mehr Geld für Bildung, selbstbestimmtes Lernen, bessere Schulen und Hochschulen.
({0})
Die Linke sagt: Diese Bildungsstreikwoche ist schon
jetzt ein Erfolg; denn den Studierenden, den Schülerinnen und Schülern und den Auszubildenden ist das gelungen, was die Placebo- und Sonntagsredenpolitik der Regierung mit Bildungsreisen und Bildungsgipfeln nicht
vermocht hat, nämlich endlich Bewegung in die bildungspolitische Debatte zu bringen.
({1})
Das ist längst überfällig. Wir brauchen eine grundlegende Bildungsreform.
({2})
Die Linke hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil es
uns wichtig ist, dass die berechtigten Forderungen der
Jugendlichen nicht einfach verpuffen und nur zu neuen
Sonntagsreden führen, sondern ernst genommen werden.
Wenn wir uns die bisherigen Reaktionen anschauen,
so scheint dies leider wieder einmal nicht der Fall zu
sein. Ich beginne einmal mit den Reaktionen aus der
Union und allen voran der Bundesbildungsministerin
Annette Schavan, die bei dieser Debatte leider nicht anwesend ist. Sie sagt, diese Proteste seien zum Teil gestrig. Sie wirft den Studierenden vor, dass sie mit ihrer
Kritik am Bachelor- und Mastersystem den kompletten
europäischen Hochschulraum infrage stellen, was diese
doch nicht allen Ernstes tun könnten.
Liebe Regierung, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, aus unserer Sicht ist das, was die Ministerin tut, gestrig.
({3})
Offensichtlich kennt sie die wahren Zustände an den
Hochschulen nicht. Sie sollte mehr vor Ort sein. Dann
würde sie sehen, dass alle zentralen Versprechungen des
Bologna-Prozesses gebrochen wurden.
Sie haben gesagt, es solle mehr Mobilität geben. Sie
haben gesagt, es solle eine bessere Lehre geben. Die Studierenden stellen nun ganz konkret fest, dass ihre Studiengänge unstudierbar werden, dass sie nach dem Bachelor
die Hochschule verlassen sollen und kein Masterstudium
mehr aufnehmen können, dass es weniger Qualität statt
mehr Qualität gibt und nicht einmal mehr ein Wechsel innerhalb Deutschlands möglich ist. Das zeigt doch, dass
die Kritik berechtigt und notwendig ist. An dieser Situation muss sich etwas ändern. Die Regierung könnte etwas
mehr tun, als nur zu sagen, es handele sich um „gestrige“
Proteste.
({4})
In eine ganz andere Richtung gehen die Reaktionen
aus der SPD.
({5})
Dort spricht man von Solidarität und Unterstützung für
diese Forderungen. An dieser Stelle müssen wir sagen:
Das ist zu einem großen Teil unglaubwürdig.
({6})
Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen, an
der Forderung „Mehr Geld für Bildung!“, was eine der
zentralen Forderungen der Streikenden ist. Mehr Geld
für Bildung - Sie sagen, dass Sie diese Forderung unterstützen. In der letzten Sitzungswoche haben wir hier
über die Föderalismusreform II abgestimmt. Die Schuldenbremse ist auch mit den Stimmen Ihrer Fraktion im
Grundgesetz verankert worden.
({7})
Diese Schuldenbremse bedeutet weniger Geld für Bildung. Das haben sämtliche Sachverständigen in den Anhörungen deutlich gemacht. Wir halten es für grundverkehrt, dass Sie sich hinstellen und sagen: „Schön, dass
ihr euch engagiert, wir unterstützen das, und ihr habt unsere Solidarität“, da Sie im konkreten politischen Handeln das Gegenteil machen.
({8})
Wenn es Ihnen wirklich darum geht, mehr Geld für
die Bildung bereitzustellen, dann wären Forderungen
wie die, die die Linke aufgestellt hat, angebracht: eine
Gemeinschaftsaufgabe Bildungsfinanzierung, ein Nationaler Bildungspakt, mindestens 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung bereitstellen. Das wären Forderungen gewesen, denen Sie hätten zustimmen müssen,
anstatt eine weitere Runde bildungspolitischer Sonntagsreden einzuleiten.
({9})
Ein letztes Beispiel - darüber habe ich mich fast am
meisten amüsiert -: Stefan Müller, der nach mir sprechen wird, hat sich darüber mokiert, dass die Studierenden, die Auszubildenden, die Schülerinnen und Schüler
einfach nur im Park sitzen und vor den Karren linker Organisationen gespannt würden.
({10})
Lieber Kollege, ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen,
sich so ein Bildungsprotestcamp einmal vor Ort anzuschauen. Dann würden Sie vielleicht erfahren, um was es
bei diesen Protesten auch geht, nämlich um eine emanzipatorischere Bildung, um ein selbstbestimmteres Lernen.
({11})
Ich glaube, dass wir den Jugendlichen das durchaus zutrauen sollten und nicht nur davon ausgehen sollten, dass
Bildung nur dann erfolgreich ist, wenn man den Jugendlichen Wissensinhalte eintrichtert.
Die Linke findet es richtig, dass mit diesem Bildungsprotest der Aufschlag gemacht wurde und dieser hier
ernst genommen wird. Wir wollen uns ernsthaft einen
Kopf darüber machen und nicht nur den Jugendlichen
auf die Schulter klopfen. Wir wollen ein Recht auf Bildung für wirklich alle durchsetzen.
Besten Dank.
({12})
Stefan Müller hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Hirsch, Sie haben uns vorgetragen, was
wir alle schon gewusst haben, nämlich das, was wir in
den letzten Tagen zu dem sogenannten Bildungsstreik
gesagt haben. Was Sie wollen, haben Sie uns leider vorenthalten.
({0})
Sie hätten lieber mehr zu Ihren Vorschlägen sagen sollen, als sich hier hinzustellen und etwas zu kritisieren,
was Sie selber mit angestiftet haben.
Ich finde es schon spannend, dass Sie und Ihre Jugendorganisation Mitinitiatoren dieses sogenannten Bildungsstreiks sind. Dann sagen Sie auch noch: Wenn
schon gestreikt wird, dann muss es besonders schlimm
sein, dann muss sich auch das Parlament damit beschäftigen. Das finde ich wirklich sehr bemerkenswert.
({1})
Das Thema dieser Aktuellen Stunde heißt: Forderungen des bundesweiten Bildungsstreiks ernst nehmen. Ich
kann für die CDU/CSU-Fraktion sagen, dass wir alle
Anliegen ernst nehmen und wir es insbesondere ernst
nehmen, wenn Menschen für politische Anliegen kämpfen; ausdrücklich ja.
({2})
Natürlich sind die Anliegen, die vorgetragen werden,
sehr vielschichtig. Man kann einzelne Punkte ja durchaus einmal durchgehen. Wenn es darum geht, kleinere
Klassen einzurichten und mehr Lehrer einzustellen, besteht volle Zustimmung. Natürlich muss an den Schulen
Stefan Müller ({3})
diesbezüglich noch viel passieren. Natürlich gibt es noch
Hausaufgaben, die die Bundesländer zu erledigen haben.
Sie sprachen Fehlentwicklungen im Bologna-Prozess
an. Ich glaube, wir können heute noch gar nicht abschließend sagen, ob es Fehlentwicklungen gibt.
({4})
Wenn sich nach zwei oder drei Jahren Fehlentwicklungen herausstellen würden, würde doch niemand von uns
sagen, dass man diese nicht abstellen muss. Deswegen
muss man aber nicht das ganze System infrage stellen.
Das darf man nicht. Es geht nämlich in die richtige Richtung. Wir brauchen auf europäischer und internationaler
Ebene eine Vergleichbarkeit. Das ist alternativlos.
({5})
Zu den Studiengebühren. Ich respektiere, dass es zum
Thema Studiengebühren unterschiedliche Auffassungen
gibt. Eines glaube ich aber nicht: dass Studiengebühren
allein über Chancengerechtigkeit entscheiden. Wie es
um die Chancengerechtigkeit bestellt ist, entscheidet
sich viel früher, zum Beispiel im vorschulischen Bereich, und nicht erst bei der Aufnahme eines Studiums.
({6})
Im Übrigen macht es keinen Sinn, in Ländern, in denen
es gar keine Studiengebühren gibt, dagegen zu demonstrieren.
Teilweise führen wir wieder einmal Debatten von vorgestern, auch in diesem Fall. All die Strukturdebatten,
die wir uns immer noch leisten, bringen uns überhaupt
nicht weiter, erst recht nicht in Ländern und Regionen, in
denen uns allein die demografische Entwicklung zwingt,
andere und neue Wege zu beschreiten. Wenn wir aber
immer nur Diskussionen über die Strukturen führen,
bringt uns das nicht weiter.
Jetzt komme ich auf die Forderung nach mehr Mitbestimmung der Studierenden zu sprechen. Ich habe mit
mehr Beteiligung der Studierenden kein Problem. Aber
vielleicht sollten wir uns, bevor wir über noch mehr Mitbestimmung diskutieren, erst einmal näher mit der Frage
befassen: Warum ist die Beteiligung an Wahlen zu Studentenparlamenten in den meisten Fällen nicht höher als
30 Prozent?
Ich sage noch einmal: Wir, die CDU/CSU, nehmen
die Forderungen, die erhoben werden, ernst. Wir nehmen
auch ernst, dass auf Missstände aufmerksam gemacht
wird und gegen diese Missstände protestiert wird. Wer
konsequent ist, müsste aber auch auf einen ganz anderen
Missstand aufmerksam machen, der uns in diesen Tagen
ebenfalls beschäftigt. Ich zumindest frage mich: Warum
wird nicht kritisiert, dass Plätze an Berliner Gymnasien
künftig per Losentscheid vergeben werden?
({7})
Auch mit diesem Thema sollten wir uns auseinandersetzen. Diese Regelung führt nämlich in die völlig falsche
Richtung. Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die
jetzt Bildungsstreiks initiieren, sich auch einmal zu diesem Thema äußern. Aber hier ist leider Fehlanzeige. Daran wird deutlich, dass es Ihnen eher um politische Stimmungsmache und weniger um die Sache geht. Ich finde
das nicht in Ordnung. Im Gegenteil, ich finde, das ist unverantwortlich.
Frau Hirsch, Sie haben einige wesentliche Punkte angesprochen. Dass das, was ich gerade gesagt habe - dass
es Ihnen nicht in erster Linie um die Sache geht -, richtig
ist, beweist ein Artikel in einer Streikzeitung, den Sie
verfasst haben. Darin heißt es - ich zitiere -, „dass die
Hochschulen einen erheblichen Beitrag für die Militarisierungspolitik der Bundesregierung und der NATO leisten.“
({8})
Was das mit Bildungspolitik zu tun haben soll, kann ich
nicht nachvollziehen.
({9})
In einem anderen Artikel heißt es - ich zitiere nochmals -, „dass es nur einen Weg gibt, diese Übel“, gemeint ist der Kapitalismus, „loszuwerden, nämlich den,
ein sozialistisches Wirtschaftssystem zu etablieren …“.
Auch daran wird deutlich: Es geht Ihnen in erster Linie
um Klassenkampf, wobei allerdings keine Schulklassen
gemeint sind, sondern etwas ganz anderes. Das, was Sie
hier machen, ist ausschließlich politische Agitation. Das
wird der Sache nicht gerecht.
({10})
Es gibt einige Begleiterscheinungen, die zu hinterfragen sind. So heißt es in einem Aufruf zum Bildungsstreik in Berlin in einem Veranstaltungshinweis - ich zitiere noch einmal -:
Im Sommer sind Parks irgendwie tausendmal attraktiver als Schulen. Darum setzen wir uns lieber
in den Mauerpark. … Bringt alles mit, was für einen netten Streik-Tag im Park von Nutzen sein
kann.
Dass es in einem Park bei schönem Wetter schöner ist als
in der Schule, kann ich nachvollziehen. Dass es schöner
ist, bei schönem Wetter in einem Park zu sitzen als hier
in einer Aktuellen Stunde, die Sie beantragt haben, zu reden, kann ich auch nachvollziehen. Hier tut allerdings jeder von uns seine Pflicht. Allerdings fällt es mir schwer,
nachzuvollziehen, was das mit der Vertretung von Bildungsinteressen zu tun haben soll.
({11})
Die Liste solcher Beispiele ließe sich fortsetzen. So
ist zum Beispiel von geplanten Banküberfällen die Rede.
({12})
Man sollte einmal darüber nachdenken, ob das vielleicht
sogar Straftaten oder schwere Eingriffe in die Rechte
Dritter sind.
Stefan Müller ({13})
({14})
Ich wiederhole: Wir nehmen die Anliegen der Studierenden ernst. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass gerade diese Bundesregierung, diese Große Koalition, in
den letzten vier Jahren mehr für die Bildungspolitik getan hat als manch eine Regierung zuvor. Das wird im
Übrigen auch daran deutlich, dass wir alle die Fortsetzung der Bund-Länder-Programme unterstützt haben.
Wir sollten sachorientiert darüber diskutieren, was sich
in der Bildungspolitik verändern muss, anstatt hier irgendwelchen Zirkus zu veranstalten.
({15})
Jetzt spricht Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ich glaube, wir sollten erst einmal festhalten, dass es beeindruckend ist, dass die Mehrheit der Schülerinnen und
Schüler und der Studierenden, die gestern auf die Straße
gegangen sind, in einer friedlichen Demonstration für
bessere Bildungsbedingungen in Deutschland eingetreten sind.
({0})
Ich finde, das ist in einer demokratischen Gesellschaft
grundsätzlich anerkennenswert.
Natürlich haben wir in Deutschland immense Bildungsmängel. Das wird uns immer wieder, nicht nur in
internationalen Studien, aufgezeigt. Natürlich gibt es
Schwierigkeiten - wir alle wissen das - bei der Umstellung auf die neuen Studiengänge Bachelor und Master.
Wir müssen einfach feststellen, dass diese Debatte für
unser Land unverzichtbar ist. Ich halte es einfach für
wichtig, dass wir in den Parlamenten nicht nur Worte
machen, sondern endlich auch Taten folgen lassen, wenn
es um mehr Bildungsinvestitionen und um Entscheidungen für mehr Freiheit der Hochschulen und Schulen in
diesem Lande geht.
Ich vermisse in diesem Hause das leidenschaftliche
Plädoyer der Bundesregierung.
({1})
Heute haben wir, wenngleich auf Antrag der Linken - ich
komme noch auf Sie zu sprechen -, eine Aktuelle Stunde
zum Bildungsstreik. Ich erwarte einfach, dass sich die
Bildungsministerin dazu äußert, erst recht hier im Hohen
Hause, wenn fast 200 000 junge Menschen draußen auf
der Straße stehen. Ich bedauere sehr, dass die Bildungsministerin heute nicht da ist.
({2})
Frau Hirsch, Sie wettern hier gegen zu geringe Bildungsinvestitionen. Die Linkspartei regiert in Berlin mit
und ist daher für den Bildungsabbau im Land Berlin mitverantwortlich. Wo waren Vertreter der Linkspartei aus
dem Berliner Senat gestern bei den Demonstrationen,
bei denen es um den Berliner Bildungshaushalt ging?
Die Opposition war da; Sie waren nicht dabei. Man
sollte nicht mit Steinen werfen, wenn man selbst im
Glashaus sitzt.
({3})
Ich glaube, dass sich dieses Thema nicht für ideologische Grabenkämpfe eignet. Wir sollten endlich damit
aufhören! Wir müssen dieses schablonenhafte Denken
überwinden. Ich halte aber auch nichts davon, dass diese
friedlichen Streiks für mehr Bildungsinvestitionen von
einigen linksradikalen Gruppen in Deutschland zur
Durchsetzung ihrer politischen Interessen missbraucht
werden.
({4})
Das darf auch nicht sein.
Ich halte es für ein Zeichen mangelnden Geschichtsverständnisses, wenn radikale Gruppen während der
Ausstellung zum Arbeiteraufstand des 17. Juni den
Landtag in Mainz stürmen, wenn die FU in Berlin besetzt wird, es dabei letztendlich zu Vandalismus kommt
und Gelder zur Verfügung gestellt werden müssen, um
die Schäden zu beheben, die dann für Investitionen in
Bildung und Forschung fehlen. Das ist nicht die Demonstration für eine bessere Bildungspolitik in Deutschland, die ich mir vorstelle. Wir sollten uns, was die Ideologisierung anbelangt, sehr in Acht nehmen.
Wir brauchen starke Botschafter für mehr Bildungsinvestitionen. Gute Bildung kostet viel, schlechte noch viel
mehr;
({5})
das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen. Die
Große Koalition lobt sich zwar an dieser Stelle. Eine
namhafte Zeitung aus Berlin hat diese Woche aber zehn
Bildungssünden benannt. Darunter fiel nicht nur der Bildungsmangel an Schulen und Hochschulen - ich will die
Bildungssünden nicht alle aufzählen -, sondern auch der
Bildungsmangel in Kindertagesstätten oder in der Weiterbildung. Ich will daran erinnern, dass die Ausgaben
der öffentlichen Haushalte für Weiterbildung zwischen
1999 und 2005 um 20 Prozent reduziert worden sind,
und das, obwohl wir in diesem Hause des Öfteren über
einen Paradigmenwechsel zur Wissensgesellschaft, zum
lebenslangen Lernen sprechen.
({6})
Da stelle ich mir einfach eine andere Prioritätensetzung
vor.
Um bei der Prioritätensetzung zu bleiben: Die Menschen draußen und die Zuschauer hier im Hohen Hause,
im Bundestag, sollten wissen, dass der Bundeshaushalt
lediglich 3 Prozent für Bildung und Forschung vorsieht
und fast die Hälfte des Bundeshaushaltes für Sozialausgaben reserviert ist. Das ist die falsche Prioritätensetzung.
({7})
- Herr Rossmann, ich glaube, wir müssen endlich umdenken. Für mich ist bessere Bildungspolitik die eigentliche, präventive Sozialpolitik. Je früher wir in die Köpfe
investieren, je besser die Ausbildung von jungen Menschen in diesem Land ist, desto besser ist das für unsere
Sozialsysteme, deren Kosten heute explodieren.
({8})
Die Sozialkosten explodieren auch deshalb, weil wir
zu wenig in die Bildung sozialer Randgruppen investieren.
Das Thema Bildung ist für mich ein Thema der sozialen Gerechtigkeit und der Zukunftsinvestitionen in
Deutschland. Es gehört ganz oben auf die Prioritätenliste.
({9})
- Sozialabbau für Bildung ist nicht unsere Linie, Herr
Rossmann.
({10})
Aber durch Ihre Bildungspolitik, auch in den Ländern,
hat Sozialabbau stattgefunden.
({11})
Es sind nämlich zu wenig Bildungsinvestitionen auf den
Weg gebracht worden.
Ich sage noch einmal: Wenn wir etwas bewegen wollen, meine Damen und Herren hier im Hohen Haus, dann
müssen wir Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und mehr tun. Bildung ist nicht nur eine
Aufgabe des Bundes, sondern auch der Länder, die ja
insbesondere für die Schulen und Hochschulen Verantwortung tragen.
Vielen Dank.
({12})
Christel Humme hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wenn 240 000 Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten auf die Straße gehen, eine Aktionswoche ausrufen und uns zu Recht fragen: „Was wird aus
mir? Was wird aus unseren Bildungschancen?“, dann haben sie ein Recht darauf, konkrete Antworten zu bekommen, Frau Pieper und Herr Müller.
Sie von der Linkspartei betreiben die übliche
Schwarz-Weiß-Malerei, tun so, als ob nur Sie wüssten,
in welche Richtung es gehen muss. Das ist unglaubwürdig, und das nehmen Ihnen die jungen Leute auch nicht
ab, ebenso wenig wie die Überschrift, die Sie für die
heutige Aktuelle Stunde gewählt haben.
({0})
- Herr Müller, Sie behaupten, Sie nähmen die Studentinnen und Schülerinnen, die Studenten und Schüler ernst.
Wie können Sie dann behaupten, da wird Stimmung gemacht?
({1})
Wie können Sie behaupten, dass es den Schülerinnen
und Schülern und den Studentinnen und Studenten nicht
um Bildung geht, sondern um Party? Damit sprechen Sie
ihnen die Ernsthaftigkeit ab, nehmen sie nicht ernst.
({2})
Das sollte man auf keinen Fall tun.
Frau Hirsch, ich weiß nicht, wo Sie die letzten Jahre
waren. Ich sage für die SPD-Bundestagsfraktion ganz
stolz: Ohne die SPD hätte es in der bildungspolitischen
Landschaft in den letzten Jahren keinen frischen Wind
gegeben,
({3})
keine Ganztagsschulen, keinen Kitaausbau, nicht mehr
Studienplätze, keine Sanierung von Kitas, Schulen und
Hochschulen und keine Fortsetzung der Hochschul- und
Wissenschaftsinitiative, vor allen Dingen aber keine
zweimalige Erhöhung des BAföGs. Das hat die SPD
durchgesetzt. Das waren keine Sonntagsreden, das waren unsere konkreten Antworten auf notwendige Verbesserungen in der Bildungslandschaft.
({4})
Klar ist, Frau Pieper - andere haben das auch gesagt -:
Wir stehen vor großen Herausforderungen. Unser Bildungssystem ist nach wie vor unterfinanziert. Wir brauchen mehr Geld. Wir haben nach wie vor ein BildungsChristel Humme
system, das ausgrenzt, höchst selektiv ist, viel zu
undurchlässig ist und wenn, dann nur von oben nach unten, nicht aber von unten nach oben.
Schauen wir uns die Forderungen der Protestbewegung konkret an! Ich möchte gerne fünf Punkte aufgreifen, die zu diesen Forderungen gehören.
Erstens. Die jungen Leute warnen davor, Bildung nur
noch unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. - Ja, Bildung ist mehr als ein ökonomisches Gut.
Wir sagen: Bildung ist ein Menschenrecht, ein Wert an
sich. Es geht dabei um Lebenschancen und Teilhabe. Insofern teilen wir die Auffassung der jungen Menschen
voll und ganz.
Zweitens. Die jungen Menschen warnen vor einer zunehmenden Privatisierung der Bildung. - Sie haben
recht damit. Die Verkürzung der Schulzeit an den Gymnasien - schauen wir uns das einmal an! - führt dazu,
dass die Eltern immer mehr Geld für Nachhilfeunterricht
ausgeben. Eine Studie belegt, dass bis zu 3 Milliarden
Euro pro Jahr für Nachhilfe ausgegeben werden. Wenn
das der Fall ist, dann ist mit unserem Bildungssystem etwas nicht in Ordnung.
({5})
Drittens. Die jungen Leute fordern, dass Bildung eine
öffentliche Aufgabe bleibt. - Auch dem stimmen wir zu.
Es ist die Aufgabe des Staates, für ausreichende Kitaplätze, gute Schulen und offene Hochschulen zu sorgen.
({6})
Das gilt - keine Frage - auch für die Ausgestaltung von
Bachelor und Master. Da müssen wir gegenüber der Kultusministerkonferenz den Anspruch haben, dass kontrolliert wird, was gut ist und was schlecht ist, und dass die
Hausaufgaben gemacht werden.
Es bleibt natürlich die Aufgabe des Staates, für den
sozialen Ausgleich zu sorgen. Darum denke ich, dass der
vierte Punkt sehr wichtig ist. Die jungen Leute fordern,
keine Studiengebühren zu erheben.
({7})
Es gibt kein unsozialeres Ausschlusskriterium als Studiengebühren.
({8})
Darum gibt es in keinem SPD-regierten Land allgemeine
Studiengebühren.
({9})
Der fünfte und letzte Punkt, den ich erwähnen
möchte, ist die finanzielle Ausstattung, die Sie ja auch
schon angesprochen haben, Frau Pieper. Die jungen
Leute sagen: Wir brauchen mehr Geld und mehr Bildungsinvestitionen. - Dem können wir voll zustimmen.
Wir haben das 10-Prozent-Ziel. 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wollen wir zukünftig für Bildung und Forschung ausgeben.
({10})
Das ist eine Riesenkraftanstrengung, vor allen Dingen
unter den gegebenen Bedingungen der Krise; das ist
überhaupt keine Frage.
({11})
Deshalb kann ich es überhaupt nicht verstehen - das
sage ich in Richtung der rechten Seite des Hauses -, dass
man die Forderung stellt, die Steuern stärker zu senken.
Das ist für mich an dieser Stelle völlig unverständlich.
({12})
Ich glaube, wir haben ein viel besseres Konzept. Wir
sagen: Wenn mehr Geld zur Verfügung gestellt wird,
dann muss dies mit einem Bildungssoli auch gerecht finanziert werden. - Das ist unsere Antwort auf die Forderung, mehr Geld in die Bildung zu investieren.
({13})
Ich komme zum Schluss. - Ich denke, wir sollten die
Jugendlichen, die auf der Straße sind und viele Fragen
haben, tatsächlich ernst nehmen. Wir sollten ihnen Antworten geben. Unsere Antworten heißen: mehr Bildungsinvestitionen, die gerecht finanziert sind, keine
Studiengebühren, weniger Privatisierung und mehr staatliche Verantwortung. - Ich denke, das sind richtige und
konkrete sozialdemokratische Antworten.
Schönen Dank.
({14})
Jetzt hat Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin froh darüber, dass Schülerinnen und Schüler sowie Studierende ihren Unmut über die Bildungsmisere in
unserem Land in diesen Tagen mit kreativen und bunten
Aktionen auf die Straße tragen. Das ist erst einmal eine
positive Meldung, zumal sonst an vielen anderen Stellen
über die Politikferne von Jugendlichen lamentiert wird.
({0})
Für den bundesweiten Bildungsstreik gibt es in der
Tat sehr gute Gründe: Durch die vielerorts schlechten
Lernbedingungen an unseren Schulen, Universitäten und
Fachhochschulen sind viele junge Menschen bedrückt
und empört; denn sie sind die Leidtragenden von
schlechten und falsch gemachten Bildungsreformen.
Deshalb ist der laute Ruf nach einer neuen Bildungsoffensive überfällig. Deshalb ist es so wichtig, einen Kurswechsel einzuleiten.
Unser Bildungssystem ist heute ungerecht, demotivierend und noch immer chronisch unterfinanziert. Pro Jahr
fehlen zum OECD-Durchschnitt bis zu 20 Milliarden
Euro. Unser Bildungssystem darf deshalb nicht länger
Spitzenreiter in sozialer Auslese bleiben, sondern es
müssen eine individuelle Förderung ermöglicht und gleiche Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten für alle gewährleistet werden.
({1})
Die Tendenz, vor allem seitens der FDP und der
Union, die Bildung rein marktwirtschaftlichen Kriterien
zu unterwerfen, führt in die Sackgasse.
({2})
Sie sagen in Nordrhein-Westfalen: Privat vor Staat. Das ist das falsche Rezept für Bildungsreformen, und
das muss man hier auch klar festhalten.
({3})
Wir Grüne wollen dagegen eine gute öffentliche Finanzierung unseres Bildungs- und Hochschulsystems sicherstellen. Dafür schlagen wir unter anderem einen Bildungssoli vor.
Auch ein vielgliedriges Schulsystem wie in Nordrhein-Westfalen ist nicht mehr zukunftsfähig. Wir wollen eine Schule für alle Kinder und alle Jugendlichen in
unserem Land, weil so individuelle Förderung besser gelingen kann und soziale Selektivität verringert wird.
({4})
- Schauen Sie sich die Gewinnerländer bei der PISAStudie und die schlechten Ergebnisse in NordrheinWestfalen unter der jetzigen schwarz-gelben Landesregierung an!
({5})
Wichtig ist auch, dass Studiengebühren kritisch hinterfragt werden; denn sie schrecken vom Studium ab.
Deshalb wollen wir sie abschaffen bzw. verhindern.
Auch durch Studienplatzmangel und Zugangshürden
werden die Wege auf den Campus verbaut. Deshalb fordern wir 500 000 zusätzliche Studienplätze in den nächsten fünf Jahren und eine gerechtere Studienfinanzierung
mit einem Zwei-Säulen-Modell.
Kurzum: Wir Grüne wollen mehr Geld, wir wollen
aber auch bessere Strukturen und eine höhere Qualität in
unserem Bildungssystem insgesamt erreichen: von der
Kita über die duale Ausbildung bis hin zur Weiterbildung.
Die derzeitige Protestkultur und -bereitschaft sind
eine Chance auf eine neue gesellschaftliche Bewegung
und eine breitere Bildungsdebatte in unserem Land, was
wir uns als Bildungspolitiker geradezu wünschen. Deshalb sage ich insbesondere in Richtung der Union: Die
junge Generation braucht Aufmerksamkeit und Respekt
für ihre Forderungen statt Häme und Ignoranz.
Herr Müller, auch ich habe Ihre Pressemitteilung mit
Freude gelesen. Sie stellen fest, dass man durch die Proteste von der Ausbildung abgehalten wird. Zu Bildung
gehört aber auch Freiheit, und zwar nicht zuletzt die
Freiheit, in einer Aktionswoche darüber nachzudenken
und zu diskutieren, wie unser Bildungssystem besser gestaltet werden kann.
({6})
Solche Freiräume für Engagement und kritische Reflexion sind wertvoll und wichtig. Genau diese Zeitfenster und Freiräume werden durch die Schul- und Studienzeitverkürzung immer enger. Das ist ein wichtiger Punkt.
Wir sind nicht gegen eine Schulzeit- oder Studienzeitverkürzung. Die Bologna-Reform oder das Abitur nach
zwölf Jahren sind aber in vielen Ländern handwerklich
schlecht umgesetzt worden.
({7})
Die Verkürzungen gingen eben nicht mit einer Entfrachtung der Curricula oder der Studienordnung einher.
Sie brachten nicht mehr Qualität, sondern oftmals mehr
Druck und eine höhere Arbeitsbelastung. Genau dieser
zentrale Konstruktionsfehler muss behoben werden.
Schule und Studium brauchen mehr zeitliche Flexibilität, zum Beispiel sieben- oder achtsemestrige BachelorStudiengänge.
Auch ich möchte an Frau Schavan gerichtet feststellen, dass die Forderungen der Demonstrierenden nicht
gestrig sind. Die junge Generation ist nicht gegen die
Vision eines europäischen Hochschulraums; sie lebt das
längst. Keine Generation zuvor war so mobil, flexibel
und offen fürs Ausland. Sie beklagt aber die schlechten
Studienbedingungen und die teils miserable Umsetzung
der Bologna-Reform nach dem Motto „Verschulen, Verdichten, Umbenennen“. Darauf kann man nicht einfach
antworten: Wir haben alles richtig gemacht. - Diese Studienstrukturreform braucht dringend eine Reform.
({8})
„Wäre die Bildung eine Bank, hättet ihr sie längst gerettet“, wurde auf den Demonstrationen skandiert. Das
mögen Sie populistisch finden; es zeigt aber das Problembewusstsein der Schüler und Studierenden. Einerseits
wird immer gesagt, dass das Geld für dringende Bildungsreformen fehlt. Andererseits bewirkt die Große Koalition für Banken- und Unternehmensrettungsschirme
sowie für unausgegorene Konjunkturpakete - zum Beispiel mal eben 5 Milliarden Euro für eine aberwitzige
Abwrackprämie ({9})
eine beispiellose Rekordneuverschuldung. Die junge
Generation merkt doch, dass die Prioritäten offensichtlich falsch gesetzt und die Generationengerechtigkeit
massiv verletzt werden.
({10})
Wenn man darüber hinaus noch Steuersenkungen à la
FDP und CDU/CSU vornehmen will, dann frage ich
mich, wie Sie die Forderung nach höheren Bildungsinvestitionen umsetzen wollen. Dann fährt doch der Bundeshaushalt völlig vor die Wand.
Auch Union und SPD haben zulasten künftiger Generationen verbockt, dass der Bund in der Bildungspolitik
wirkungsvolle Impulse setzen kann. Die Föderalismusreform war bildungspolitisch absoluter Murks. Daher
muss das weitreichende Kooperationsverbot zwischen
Bund und Ländern im Bildungsbereich fallen.
({11})
Wir sind der Auffassung, dass nur gemeinsam der Kraftakt gelingen kann, einen Kurswechsel für einen gesamtstaatlichen Bildungsaufbruch einzuleiten.
Wenn wir die genannten Schritte in der nächsten Legislaturperiode angehen und umsetzen, dann war der
bundesweite Bildungsstreik ein Erfolg.
Herr Kollege.
Ja. - Diesen Erfolg wünsche ich sowohl den Protestierenden als auch uns.
Vielen Dank.
({0})
Michael Kretschmer spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
keinen Politikbereich, der mit so viel Ideologie aufgeladen ist wie die Bildung. Das wird auch heute wieder
deutlich. Man muss sich über die Wortbeiträge vor allen
Dingen vonseiten der Linken wundern. Wenn ich höre
„Ökonomisierung der Bildung“ oder „Bildung als öffentliches Gut“ oder „sozialer Ausgleich“,
({0})
dann muss ich darauf hinweisen, dass all das in diesem
Land Realität ist.
({1})
- Ich weiß nicht, in welchem Land der Welt, wenn nicht
in Deutschland, das Realität sein soll.
({2})
Diese Debatte ist richtig und notwendig. Wenn sie tatsächlich geführt wird, um nachzudenken und um neue
Ideen hervorzubringen, ist sie auch hilfreich. Was hier
gemacht wird, geht aber komplett am Thema Bildung in
diesem Land vorbei. Die Herausforderungen können mit
Begriffen wie „demografische Entwicklung“ oder „Globalisierung“ oder „Wissensgesellschaft“ beschrieben
werden. Die Frage lautet aber: Was müssen wir tun, damit Junge und Ältere diesen Herausforderungen gerecht
werden? Wie können wir sicherstellen, dass sie in einer
sich verändernden Welt bestehen können? Dafür müssen
wir die Voraussetzungen schaffen.
({3})
Wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren
viel Gutes erreicht. Natürlich muss das Bildungssystem,
insbesondere das Hochschulsystem, stets weiterentwickelt werden. Deswegen muss man immer Fragen stellen. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass Gutes und Richtiges passiert ist. Es ist aber bösartig und
geht an der Sache vorbei, wenn die Leute, die vor Monaten und Jahren - im Übrigen zu Recht - bemängelt haben, dass die Schulgebäude nicht in Ordnung sind, dass
es zu wenige Kindergärten gibt und dass die Turnhallen
nicht in Ordnung sind, uns vorwerfen, dass dieses gewaltige Konjunkturpaket, welches den Fokus ganz klar auf
Bildung legt, am Bedarf vorbeigeht. Im Gegenteil: Das
Konjunkturpaket ist ein gewaltiger Kraftakt und wird dafür sorgen, gerade im Bereich der Bildung vernünftige
Bedingungen zu schaffen. Es ist gut, dass wir das gemacht haben.
({4})
Ein weiterer Punkt geht völlig an der Sache vorbei. Es
gibt drei Pakte: die Exzellenzinitiative, den Hochschulpakt und den Pakt für Forschung und Innovationen; sie
haben einen Umfang von 18 Milliarden Euro. Das ist
eine gewaltige Leistung von Bund und Ländern.
({5})
Es ist ein Beweis dafür, dass der Föderalismus funktioniert und dass dieses Land auf Zukunft setzt. Dann kommen aber manche und sagen: Das ist völlig an der Sache
vorbei. Wir wollen das nicht. Das ist nur für die Elite. Es handelt sich aber um eine großartige Sache. Es ist
toll, das Deutschland so etwas macht und wir es hinbekommen haben.
Es geht noch weiter. Ich höre immer wieder von einzelnen Debatten, zum Beispiel von der Debatte in Berlin.
Dort soll das Abitur bzw. der Zugang zum Gymnasium
verlost werden. Das kann doch nicht wahr sein! Das ist
doch nicht Ihr Ernst!
({6})
Dieselben Leute kommen dann und machen uns Vorwürfe. Das gibt es in keinem anderen Land auf der Welt.
Die Leute fragen sich, ob wir noch ganz dicht sind.
Diese Leute sagen uns dann, wie Bildung organisiert
wird. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Bildung ist eine Sache der Länder. Ich als Sachse bin froh darüber, dass ich
mit dem Bildungssystem von Berlin nichts zu tun habe.
Wir wollen das nicht haben.
({7})
Wir wollen ein vernünftiges Bildungssystem. Wir
wollen den Föderalismus, gerade im Bildungsbereich.
Mit denjenigen, die willig sind, gemeinsam etwas zu tun,
schaffen wir mehr Qualität im Bildungsbereich. Qualität
setzt sich durch. Länder wie Berlin werden aber ganz
schnell zurückfallen. Hoffentlich werden die Verantwortlichen wegen der Experimente, die mit jungen Leuten gemacht werden, abgewählt. Denn das ist nicht in
Ordnung.
({8})
Ich möchte noch auf einige Punkte eingehen, die immer wieder angesprochen werden. Wir haben zu Recht
gesagt, dass wir die Abiturquote erhöhen wollen. Wir
müssen aber gleichzeitig die Frage stellen, was ein Abiturient am Ende seiner Schulzeit können muss. Wir wollen mehr Studenten der Natur- und Ingenieurwissenschaften haben. Wir müssen aber die Frage beantworten,
was ein junger Mann oder eine junge Frau können muss,
um dieses Studium zu absolvieren. Deshalb müssen wir
über die Ziele und Inhalte des Bildungssystems reden.
Bevor wir über Strukturen reden, müssen wir über Leistungen reden. Die jetzt geführte Debatte hat etwas Destruktives, weil sie sich nicht mit den eigentlichen Inhalten beschäftigt, sondern nur an der Oberfläche
entlangschrammt.
Von Bundesland zu Bundesland gibt es große Unterschiede. Manche Länder sind im PISA-Vergleich ganz
vorn gelandet und somit auf dem Niveau Finnlands. Andere Länder bewegen sich auf dem Bildungsniveau von
Mexiko. Ich wünsche mir eine Debatte, die sich damit
ernsthaft auseinandersetzt. Erschreckenderweise stellt
man fest, dass die jungen Leute dort, wo linke Ideologien am Werk sind und wo es nicht um Leistung geht,
schlechtere Chancen haben.
({9})
Das ist eine Wahrheit, die angesprochen werden muss.
Über eines bin ich wirklich froh: Alle Versuche, im
Rahmen des Bildungsstreiks die jungen Leute aufzuputschen und zu instrumentalisieren, haben nicht gefruchtet.
In aller Regel waren es friedliche Diskussionen. Man
kann sich auf die deutsche Jugend verlassen, und das ist
gut so.
({10})
Volker Schneider hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kretschmer, was Sie hier erzählen, ist das eine. Was
Sie aber im Vorfeld verbreitet haben, ist etwas ganz anderes. Ein Beispiel: Dass so viele an den Demonstrationen teilgenommen haben, ist doch bestimmt nicht Ihr
Verdienst. In Baden-Württemberg beispielsweise sind
Schülerinnen und Schüler massiv mit Repressionen für
den Fall bedroht worden, dass sie an den Demonstrationen
teilnehmen. Schuld daran ist ein Kultusminister Ihrer
Partei, nämlich Helmut Rau. Das ist die Politik, die Sie
hier betreiben.
({0})
Die Resonanz auf diesen Bildungsstreik quer durch
die Bevölkerung ist nicht nur im linken Lager, wie die
Union das nennt, mehr als positiv. Selbst die Präsidentin
der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel,
hat gesagt, sie könne gut nachvollziehen, dass viele Studierende ihre Situation nicht akzeptieren könnten und für
eine Verbesserung der Studienbedingungen auf die
Straße gingen. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft sagt, dass die Protestaktionen wichtig seien und
die bildungspolitischen Anstrengungen insbesondere im
Hinblick auf die sogenannten bildungsfernen Schichten
und Migranten zu verstärken seien:
Mehr Bildung insbesondere bei diesen Gruppen verbessert deren soziale Lage und schafft mehr Wachstumspotenziale für die gesamte Volkswirtschaft.
({1})
Der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Rolf
Dobischat, hat gesagt:
Unterfinanzierte Hochschulen und Studentenwerke;
Studiengebühren, aber viel zu wenige Stipendien;
eines der sozial selektivsten Hochschulsysteme
weltweit, Studierende, die sich als „Kunden“ ihrer
Hochschule und nicht als Mitgestalter begreifen sollen; Stress und Leistungsdruck in überfrachteten
Bachelor-Studiengängen: Es gibt viele gute Gründe,
um zu protestieren.
Dem haben wir als Linke kaum noch etwas hinzuzufügen.
({2})
Frauke Hass kommt in einem Kommentar der Frankfurter Rundschau sogar zu dem Ergebnis:
Es werden sich selbst bei intensiver Suche in den
politischen Zirkeln der Republik nur wenige finden,
die diese Kritik rundweg zurückweisen würden.
Weit gefehlt, Frau Hass! Die Union scheint, abgesehen von
dem, was sie hier erzählt, gegen derlei Einsichtsfähigkeit
einigermaßen resistent zu sein. Der Bildungsministerin
Volker Schneider ({3})
muss man fast das Kompliment machen, dass sie immerhin die Argumente der Studierenden aufgegriffen hat.
Allerdings komme ich nach der Lektüre ihres Interviews
im Deutschlandfunk zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die
gestrig sind, auf der anderen Seite des Mikrofons saßen.
({4})
Was ist denn sonst aus der Union zu hören? Man muss
wirklich genau hinschauen. Die Schüler-Union äußert
sich, im Zweifelsfall auch ohne irgendwelche Informationen zu haben. Ich frage, wie ich denn sonst Folgendes
verstehen darf:
Bald haben wir Zustände wie Ende der 60er-Jahre.
Linksradikale Ideologen stellen unseren Rechtsstaat
infrage. Wann auch bundesweit die ersten Autos wie
in Frankreich oder in Berlin brennen, ist mittlerweile
nur noch eine Frage der Zeit. … Linke Gewalt darf
kein Forum finden. Wir fordern daher ein hartes
Einschreiten der Polizei!
Woher hat denn die Schüler-Union diese Information:
etwa aus der Abteilung „Panik und Propaganda“ des
Hauses Schäuble? Das Einzige, was ich aus den 60erJahren wieder zu entdecken vermag, ist der Stil der
Hetze, wie er seinerzeit von der Springer-Presse betrieben wurde.
({5})
Da wollen natürlich auch die christdemokratischen
Studenten nicht zurückstehen. Sie schreiben in ihrer
Presseerklärung, Bildungsstreiks seien nur etwas für
Dumme. Ich frage mich nur, auf welcher Seite die Dummen tatsächlich zu finden sind, insbesondere wenn der
RCDS behauptet, die Forderung „Bildung für alle“ habe
am Ende zum Ergebnis gehabt, dass Deutschland eines
der sozial undurchlässigsten Bildungssysteme weltweit
habe. Das erweckt bei mir den Eindruck, dass Intelligenz
in Deutschland allein nicht zwingend ausreicht, um studieren zu können, insbesondere wenn man auf der Schattenseite der Gesellschaft geboren ist; das habe ich schon
gewusst. Aber bei dieser Erklärung des RCDS fällt mir
auf, dass man, wenn man auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurde, durchaus studieren kann, wenn es
an jeglicher Intelligenz fehlt.
({6})
- Das darf ich Ihnen sagen: Ich bin auf der Schattenseite
dieser Gesellschaft geboren. Wenn Sie das interessiert,
können wir uns einmal privat unterhalten.
Könnte man diese beiden Beispiele noch mit Naivität
oder einem Mangel an politischer Erfahrung entschuldigen,
billige ich Ihnen, Herr Kollege Müller, das nicht zu.
Wenn Sie behaupten, linke Gruppen und Gewerkschaften
wollten mit Musikfestivals, Partys und vorgetäuschten
Banküberfällen Studierende von der Ausbildung fernhalten, sind Sie offensichtlich völlig uninformiert darüber,
auf welche vielfältige und fantasievolle Art und Weise
die Protestierenden ihre Aktionen gestalten. Gehen Sie
zur Humboldt-Universität, und sehen Sie, was dort gemacht wird, um sich von einer verschulten Bildung in
Bachelor-Studiengängen zu verabschieden und endlich
wieder etwas selbstbestimmt zu machen.
({7})
Ich komme zum Schluss. Wir Linke unterstützen die
Forderung dieses Bildungsstreiks, wobei wir zusätzlich
auch den Bereich der Weiterbildung in die Kritik einbeziehen. Wir Linke sind der Auffassung, dass es höchste
Zeit wurde, der Kritik einer verfehlten Bildungspolitik in
einer sichtbaren Form des Protests Ausdruck zu verleihen.
Wir Linke haben genug von einer Politik folgenloser
bildungspolitischer Sonntagsreden aus der Abteilung:
Reden ist Silber, Handeln ist Blech. Wir Linke hoffen,
dass dieser Bildungsstreik kein einmaliges Ereignis
bleibt, sondern daraus eine dauerhafte Bewegung wird,
die die Politik zum Handeln zwingt.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ulla Burchardt spricht für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich finde manches ganz richtig, was der Kollege
Schneider angeführt hat. Ich muss Ihnen aber sagen: So,
wie Sie und Ihre Kollegin Hirsch geredet haben, müssen
Sie sehr aufpassen, um nicht in einen Verdacht zu geraten:
Man nimmt die jungen Leute nicht ernst, wenn man sie
als Staffage für die eigene Profilierung gebraucht.
({0})
Ich habe im Vorfeld - diejenigen, die die Agenturmeldungen verfolgen, werden das mitbekommen haben - auch
für meine gesamte Fraktion die Initiative zum Bildungsstreik begrüßt. Nachdem wir jetzt gesehen haben, welch
riesengroße Bewegung auf die Beine gestellt worden ist,
muss ich ganz persönlich sagen: All denen, die dafür
verantwortlich sind, zolle ich großen Respekt. Da haben
junge Menschen ehrenamtlich und ohne Einschaltung
teurer Agenturen, wie manche Protestierende vor diesem
Haus das machen, eine riesengroße Sache auf die Beine
gestellt und sich so bundesweit Gehör verschafft. Das ist
wirklich eine tolle Leistung. Diese möchte ich an dieser
Stelle auch für meine gesamte Fraktion ausdrücklich anerkennen.
({1})
Ich habe es ausdrücklich begrüßt, dass junge Menschen
ihr Grundrecht wahrnehmen und sich für ihre eigenen Belange einsetzen. Das passiert viel zu selten. Ich kann nur
alle ermuntern, das weiter zu tun. Wenn sie sich für mehr
und bessere Bildung einsetzen, dann tun sie das nicht nur
im eigenen Interesse und zum eigenen Nutzen, sondern
für die gesamte Gesellschaft. Deswegen haben sie wirklich jeglichen Respekt, jegliche Würdigung und, wie ich
denke, auch Dank verdient.
Ich will an dieser Stelle aber auch ausdrücklich die
Übergriffe und den Vandalismus gestern im Dortmunder
Rathaus kritisieren. Es war schlimm, was dort passiert
ist: 200 Chaoten haben das Rathaus verwüstet, die Mitarbeiter haben sich in ihre Räume geflüchtet, weil sie
Angst hatten, bedroht zu werden. Alle anderen Gruppen
vom Bündnis haben sich eindeutig davon distanziert und
waren sehr erschrocken. Aber, meine Kolleginnen und
Kollegen, insbesondere Cornelia Pieper: Man darf solche Ausfälle nun wirklich nicht dafür missbrauchen,
um das ernsthafte Anliegen der Initiatoren und der über
200 000 friedlich Protestierenden zu diskreditieren.
({2})
Das ist nicht legitim. Genauso wenig können Sie einem
Fußballverein vorwerfen, dass nach Fußballspielen Chaoten randalieren.
({3})
Die jungen Leute befinden sich mit ihrer Kritik und
ihren Forderungen in bester Gesellschaft: Wir haben
noch am Dienstag mit dem Vorsitzenden der Expertenkommission „Forschung und Innovation“ in einer kleinen
Runde des Ausschusses gesprochen. Das jüngste Gutachten liegt vor. Darin wird abermals nachdrücklich darauf
hingewiesen, was das Problem ist - auch die Demonstranten legen ihren Finger in diese Wunde -: Das deutsche
Bildungssystem ist chronisch unterfinanziert und hochgradig selektiv. - Auf diese Expertise haben sich auch
andere schon mehrfach bezogen, und sie ist bereits
mehrfach bestätigt worden. Es ist Zeit, die Probleme
ernsthaft anzugehen.
Vor diesem Hintergrund muss ich sagen, dass die Kritik
aus der Union - dazu ist heute schon mehrfach etwas gesagt worden - bemerkenswert gewesen ist. Ich fand die
Wortwahl, liebe Kollegen - das ist alles in Ihren Pressemitteilungen nachzulesen -, nämlich „dumm“, „faul“,
„ewig gestrig“, völlig daneben.
({4})
Man hat den Eindruck, dass dies eine Verweigerung ist;
man will sich nicht mit den Sachargumenten auseinandersetzen. Das ist das klassische rhetorische Muster:
Wenn man sich mit der Sache nicht auseinandersetzen
will, dann schlägt man mit allen rhetorischen Mitteln auf
den anderen ein.
({5})
Herr Kretschmer, Sie haben den anderen Ideologie
vorgeworfen. Da muss ich Ihnen allerdings sagen: Sie
sitzen im Glashaus, und das hat schon sehr viele Sprünge
bekommen. Was Sie als Union machen, ist die Zementierung von Ideologie. Sie sind doch dafür verantwortlich,
dass immer noch junge Menschen durch das dreigliedrige
Schulsystem aussortiert werden und dass durch Studiengebühren verhindert wird, dass junge Menschen aus
finanzschwachen Familien studieren können.
({6})
Daran halten Sie doch fest. Das aber ist nicht mehr rational, das ist nur noch ideologisch.
({7})
Bei uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
laufen die jungen Leute mit vielen ihrer Forderungen
offene Türen ein. Natürlich muss man im Detail über
manches reden. Natürlich wollen wir die Bologna-Beschlüsse nicht über Bord werfen, aber Fakt ist genauso,
dass überhastete und falsch eingeführte Reformen wie
auch G 8 das Bildungswesen nicht unbedingt fitter machen, sondern junge Leute krank. Auch das können Sie
beim DSW nachlesen.
Für uns ist ganz klar: Bildung ist Menschenrecht,
Bildung ist öffentliches Gut, Bildung darf nicht den
Zwängen des Marktes unterworfen und nicht zur Ware
werden. Wir wollen dafür sorgen, dass Herkunft, Geldbeutel und Stadtviertel keine Sperrriegel mehr für die
Realisierung des Rechts auf Bildung sind. Das ist nicht
für alle so realisierbar, Herr Kretschmer. Die Realität
und die Lebenserfahrung zeigen etwas ganz anderes. Wir
fördern die Freiheit des Zugangs zu allen Stufen des
Bildungssystems, nicht abstrakt, sondern sehr konkret.
Überall da, wo wir regieren und Einfluss nehmen,
({8})
in der Vergangenheit und in der Gegenwart, machen wir
dies auch ganz praktisch.
({9})
Ich nenne als Stichworte die Gebührenfreiheit von der
Kita bis zur Hochschule. In keinem SPD-regierten Land
gibt es Studiengebühren. In Rheinland-Pfalz und Berlin
ist in einem ersten Schritt das letzte Kita-Jahr beitragsfrei gemacht worden. Wir wollen mehr Geld für Bildung
und mehr Qualität. Im Rahmen der Föderalismusreform I
haben wir möglich gemacht, dass es die Hochschulpakte I
und II gibt. Die Union ist in Deckung gegangen und
kommt wie immer erst dann wieder hervor, wenn man
die Flagge schwingen und sagen kann: Wir haben etwas
Tolles erreicht. - Wir haben das als Koalition dann tatsächlich zusammen hinbekommen. Wir haben das Konjunkturprogramm mit dem Schwerpunkt Bildung von
der Kita bis zur Hochschule initiiert und die Detailarbeit
gemacht. Sie hingegen haben sich auf das Fahneschwingen beschränkt. Ich finde es aber schön, dass wir es hinbekommen haben, deshalb sei es Ihnen gegönnt. Wir haben
in der rot-grünen Koalition 4 Milliarden Euro für die
Ganztagsschule und jetzt 4 Milliarden Euro für die frühkindliche Bildung in den nächsten Jahren mobilisiert.
Wir haben das sowohl in der rot-grünen als auch in der
rot-schwarzen Koalition hinbekommen. Das zeigt die
Kontinuität und die Ernsthaftigkeit. Frau Kollegin
Hirsch, manchmal muss man Kompromisse machen.
Das kann man anderen zum Vorwurf machen, aber das
ist, wenn man so will, nun mal das Dilemma, aber auch
das Gute daran, wenn man regiert. Wenn man nur auf der
Barrikade sitzt, kann man nichts im Interesse der Menschen verändern.
({10})
Natürlich wollen wir mehr Geld mobilisieren. Wir
wollen den Bildungssoli statt Steuersenkungen und Sozialabbau. Wir haben dafür gesorgt, dass es das Schulstarterpaket gibt: 100 Euro zum Schuljahresbeginn. Das
haben wir gegen den anfänglichen Widerstand der Union
erreicht, die das Schulstarterpaket erst nur bis zum zehnten
Schuljahr zahlen wollte. Was das alles bedeutet, muss
ich hier nicht weiter ausführen. Wir haben durchgesetzt,
dass das Geld bis zum Abi gezahlt wird. Wir stehen für
den Erhalt und den Ausbau des BAföG. Das wurde in
zwei Koalitionen sichtbar, der rot-grünen und der
schwarz-roten. Wir wollen das BAföG weiterentwickeln.
Wir wollen das Schüler-BAföG und die Anhebung der
Altersgrenzen, und wir wollen das Master-BAföG wie
das Meister-BAföG im Rahmen eines Erwachsenenbildungsförderungsgesetzes. Wir haben nachweisbar konkrete
Schritte gemacht. Wir haben mit unserem Regierungsprogramm die Blaupause für den weiteren Ausbau der
Bildungsrepublik gelegt.
Nun kommt es wirklich darauf an,
Frau Kollegin, es wird jetzt auch darauf ankommen,
dass Sie zum Ende kommen.
- einen neuen Bildungskonsens in unserem Land zu
begründen. Dafür brauchen wir die Schüler und die Studierenden als Experten in eigener Sache. Ich habe sie in
meinem Wahlkreis Dortmund eingeladen. Auch viele
meiner Kollegen haben das in ihrem Wahlkreis getan.
Ich kann Sie nur alle ermuntern, das auch zu tun und den
Dialog konkret vor Ort zu führen.
Danke.
({0})
Marcus Weinberg hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich möchte gerne zu Beginn auf Frau Hirsch
und die sogenannten Sonntagsreden eingehen. Ich erwarte
von Ihnen keine objektive Wahrnehmung der Dinge, die
wir in den letzten vier Jahren verändert haben. Ich finde
das, was Sie sagen, schon etwas despektierlich. Wenn in
den nächsten Monaten junge Menschen, die bisher keinen
Schulabschluss haben, eine Qualifizierungsmaßnahme
bekommen, dann war das für diese Menschen keine
Sonntagsrede; das ist das Ergebnis der Qualifizierungsoffensive. Wenn im Herbst mehr junge Menschen einen
Ausbildungsvertrag bekommen, dann war das keine
Sonntagsrede für die jungen Menschen; das ist das Ergebnis des Ausbildungspaktes. Wenn in wenigen Jahren
mehr Menschen studieren können, dann ist das das Ergebnis des Hochschulpaktes und keine Sonntagsrede.
({0})
Wenn in wenigen Monaten begonnen wird, Schulen und
Kitas mit Mitteln des Bundes zu sanieren, dann war das
für die betroffenen Einrichtungen keine Sonntagsrede;
das ist das Ergebnis der Handlungen der letzten vier
Jahre der Großen Koalition.
Es werden - Kollege Kretschmer hat es deutlich gemacht -, 18 Milliarden Euro bis 2015 zusätzlich ausgegeben. So viel wurde noch nie vonseiten des Bundes in
den Bereich von Bildung und Forschung investiert.
({1})
Man sollte wenigstens versuchen, objektiv zu sein und
anzuerkennen, was geleistet wurde.
Ich möchte zu den Schulstrukturen kommen. Das ist
eine ewige Diskussion. Frau Kollegin Burchardt, ich
frage mich: Gibt es eigentlich eine schlimmere Maßnahme als das Los, um Menschen auszusortieren?
({2})
Das aber ist das Berliner Beispiel.
Nun kann man darüber nachdenken, wie man dazu
kommt, den weiteren Schulwerdegang eines Kindes über
einen Losentscheid zu bestimmen.
({3})
Das macht natürlich nur dann Sinn, wenn alle Schulen
gleichgemacht werden, wenn Sie kein Gymnasium,
keine Gesamtschulen, keine Haupt- und keine Realschulen mehr haben.
({4})
Weil Kollege Barth nach der Hamburger Situation
fragte, werde ich gleich etwas dazu sagen, wie wir dort
versuchen, einen gesellschaftlichen und politischen
Kompromiss hinzubekommen, der auch inhaltlich begründbar ist.
Aber die Fortführung des Projektes einer Schule für
alle wird dazu führen - Sie haben ja auf den Begriff Mitbestimmung Wert gelegt -, dass es keine Mitbestimmung mehr gibt, denn dann werden die Eltern gar nicht
mehr die Möglichkeit haben, über den Weg der Mitbestimmung aus einer Bildungsvielfalt auszusuchen.
({5})
Ihr Projekt einer Schule für alle verkennt, dass wir in
Deutschland eine gewachsene Tradition von verschiedenen Schulformen und einzelnen Schulen haben.
({6})
Goethe-Gesamtschule oder Lessing-Gymnasium sind
nicht nur Beispiele für verschiedene Schulformen, sondern auch für eine gewachsene Tradition und eine gewachsene Vielfalt. Die Eltern haben heute die Möglichkeit, zu entscheiden, welche Profile und welche
Schwerpunkte sie für ihre Kinder auswählen wollen.
({7})
Das werden Sie mit Ihrer Schule für alle zerstören.
Diesen gesellschaftlichen Dissens versuchen wir gesellschaftlich zu lösen, und zwar in Form des Hamburger
Modells, Kollege Barth, das von Herrn Gehring auch angesprochen wurde. Das in Hamburg praktizierte Modell
ist meines Erachtens das richtige Modell. Wir müssen
doch nach 30 Jahren endlich aufhören, darüber zu diskutieren, welche Schulstruktur nun die richtige ist.
({8})
Lassen Sie uns doch versuchen, über Qualität und Inhalte zu reden, und lassen Sie uns dann möglicherweise
ein Modell entwickeln, bei dem beide Seiten aufeinander
zugehen.
Ich mache keinen Hehl daraus: Das Modell der jetzigen sogenannten Primarschule war für uns von der CDU
sehr problematisch. Aber wir haben klargemacht: Wir
wollen die individuelle Förderung des Kindes in den
Vordergrund stellen. Ebenso haben wir als CDU klargemacht, dass die Tradition und die Profile, also das, was
sich im System an Schulen entwickelt hat, erhalten bleiben müssen. Ich bin überzeugt, damit erreichen wir einen gesellschaftlichen und, wie ich glaube, guten Konsens. Das ist möglicherweise auch ein Modell, das uns
helfen kann, die Diskussion über die Schulstruktur endlich zu beenden.
Als weiteren Punkt möchte ich den Bildungsgipfel
ansprechen, weil es in diesem Zusammenhang meines
Erachtens immer wieder falsche Darstellungen gibt. Natürlich kann man die Erwartungshaltung haben, dass bei
einem Bildungsgipfel bis zur Fußnote hinein dekliniert
wird, was denn nun passieren soll. Diese Erwartungshaltung ist nach meinem Dafürhalten in einem Konstrukt
aus 16 verschiedenen Ländern und dem Bund falsch. Allerdings meine ich, dass der Bildungsgipfel klare und
richtige Signale gesetzt hat. In welche Richtung wird es
nun gehen?
Der erste Punkt wurde bereits angesprochen. Da haben alle ein Alleinstellungsmerkmal. Es geht um die Erhöhung der Bildungsausgaben auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2015. Ich halte es für richtig, dies
zu definieren, um nicht sozusagen einem Wettbewerb
Tür und Tor zu öffnen, wer denn Erster war bzw. wer als
Erster geschrien hat.
Zweiter Punkt: Dieser Bildungsgipfel hat von der
frühkindlichen Bildung in der Vorschule bis hin zur Weiterbildung einen klaren Katalog definiert.
Das Besondere an diesem Bildungsgipfel ist, dass
durch ihn - gerade, weil er von der Bundeskanzlerin organisiert wurde - ein deutliches politisches Zeichen gesetzt wurde. So wird jetzt darüber diskutiert, die Anzahl
der Schulabgänger ohne Abschluss zu halbieren, oder
darüber, die Quote derer, die ihre Ausbildung abbrechen,
zu halbieren. Das sind sehr klare und richtige Ziele. Deren Umsetzung wird in den nächsten Monaten und Jahren von uns begutachtet werden, um herauszufinden,
was tatsächlich passiert.
Ich bin überzeugt, dass man dann im Rückblick festhalten kann, dass wir in den vier Jahren gerade hinsichtlich der Bildung, der Innovation und der Forschung sehr
viel erreicht haben. Ebenso wird festzustellen sein, dass
wir jetzt den Aufschlag dafür gegeben haben, dass neue
Wege gegangen werden und möglicherweise gewisse
Modelle, die man regional entwickelt hat und die inhaltlich, gesellschaftlich und politisch begründbar sind, in
diese Bildungsdiskussion aufgenommen werden. In wenigen Jahren wird dann zu analysieren sein, welche
Wege wir insgesamt gehen wollen.
Meines Erachtens waren die letzten vier Jahre erfolgreich. Trotzdem - Kollege Müller hat ja nichts anderes
gesagt - nehmen wir selbstverständlich die Forderungen
derjenigen, die sich jetzt auf der Straße für Bildung einsetzen, ernst.
({9})
Ich glaube, dies trifft auf jeden hier im Haus zu; dies ist
wohl unbestritten. Das werden wir auch in Zukunft tun.
Allerdings erwarten wir auch eine konstruktive Herangehensweise derjenigen, die betroffen sind. Dabei mag es
hier und da noch Defizite geben.
Herzlichen Dank.
({10})
Jetzt spricht der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine polemische Sequenz muss ich mir zu Anfang gönnen:
({0})
Mit Blick auf die Demonstrationen sprach der RCDS
von einem „dummen Mob“, Kollege Müller sprach von
„einem schönen Tag im Park“, und Frau Schavan benutzte das Wort „gestrig“. Dergleichen muss nicht sein.
Ich freue mich, dass wir in der heutigen Debatte eine
ernsthafte Wende vollzogen haben. Auffällig ist, dass
man - FDP, CDU, quer durch alle Reihen - offensichtDr. Ernst Dieter Rossmann
lich aufgrund der großen Zahl der Demonstranten sowie
der Ernsthaftigkeit und der Friedlichkeit, mit der sie ihre
Forderungen vortragen, jetzt vernünftig debattiert - das
ist gut -, weshalb die Situation so ist und welche
Schlussfolgerungen wir zu ziehen haben.
In Bezug auf die Ernsthaftigkeit möchte ich das noch
etwas verständlicher machen: Professor Gruss von der
Max-Planck-Gesellschaft hat in die Debatte den Gedanken eingebracht, dass dieser Protest eigentlich zur Unzeit komme; schließlich habe die Große Koalition zusammen mit den Ländern erst am 4. Juni beschlossen,
zusätzlich 18 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung zu stellen. Es sei dahingestellt, ob
der Begriff „Unzeit“ wirklich zutreffend ist. Ich meine,
passender ist der Begriff „Ungleichzeitigkeit“. Die Ungleichzeitigkeit hat nämlich viele junge Menschen,
Schüler, Studenten, Lehrer und Eltern, dazu bewogen,
bei dieser bildungspolitischen Protestwoche mitzumachen. Mit Ungleichzeitigkeit ist hier gemeint, dass zur
Aufrechterhaltung des Finanzsystems ganz schnell etwas
geschieht, während es ganz lange dauert, bis mehr Geld
für das Bildungssystem zur Verfügung gestellt wird, und
das, obwohl wir sagen, das Bildungssystem sei das
Wichtigste.
({1})
Man merkt zwar, dass es in Deutschland Menschen
gibt, die aus ökonomischen und auch aus humanistischen Gründen wollen, dass jeder eine Chance hat, dass
es keine soziale Selektion und keine Unterschiedlichkeit
in den Bildungszugängen mehr gibt - Stichwort „Bildungsland Deutschland“ -, stellt aber fest, wenn man
sich die Praxis anschaut, dass immer noch die einen
leichter als die anderen an die Hochschule gehen können, dass die einen bessere Schulen als die anderen besuchen, dass es immer noch viele Widerstände dagegen
gibt, wirklich eine Schule für alle zu schaffen. Diese Ungleichzeitigkeit - oben wird das eine verkündet, und in
der Praxis erlebt man etwas ganz anderes - treibt so viele
Menschen in den Protest.
({2})
Es wird immer wieder gesagt: Es muss ganz schnell
gehen, damit wir den Anschluss nicht verlieren. In Wirklichkeit reden wir über Dinge, die 2013 und 2014 passieren sollen. So sagt der Wissenschaftsrat: Initiativen für
eine bessere Lehre an den Hochschulen, etwa durch
mehr fachdidaktische Zentren, würden bestimmt nicht so
schnell ergriffen werden; angefangen werden soll erst
2014 in ganz kleinen Schritten. Aber dann haben viele
schon fertig studiert! Sowohl an der Schule als auch an
der Hochschule möchte man schon jetzt bessere Bedingungen und eine gute Lehre. Es liegt also an dieser Widersprüchlichkeit, dass es diese Proteste gibt.
Kollege Kretschmer, es nützt nichts, auf die Zielvorgaben von 7 Prozent und 3 Prozent zu rekurrieren und zu
bekunden, dass man gemeinsam die öffentliche Bildung
stärken wolle, wenn eine ganz andere Entwicklung in
der Realität wahrgenommen wird. So merken die Eltern:
Die Kosten für Krippen und Kindertagesstätten sind
hoch. So merken die Familien, wie teuer Nachhilfe ist
und dass der Besuch von Privatschulen immer mehr
Geld kostet, dass überall Studiengebühren eingeführt
werden und dass zahlreiche weitere Kosten zu decken
sind. Ich verweise darauf, dass der private Anteil an der
Weiterbildung erstmals größer ist als der öffentliche Anteil. Die Menschen hoffen zwar darauf, dass der öffentliche Sektor gestärkt wird; sie fürchten aber, dass die Entwicklung in eine andere Richtung verläuft.
Beispielsweise könnte die Entwicklung darauf hinauslaufen, dass Sozialausgaben gekürzt und Bildungsinvestitionen gefördert werden - das ist ja zum Beispiel
das Anliegen der FDP.
({3})
Dieser Weg ist auf Selektion ausgerichtet.
Auch redet man gerne von öffentlichen Finanzen,
möchte aber in Wirklichkeit privates Geld in die öffentliche Finanzierung hineinfließen lassen, um so das Ziel
des 10-Prozent-Anteils zu erreichen.
Um all dem vorzubeugen, finden diese Proteste statt.
Deshalb ist damit auch eine ganz klare politische Ansage
verbunden: Glaubwürdigkeit lässt sich nicht daran messen, ob wir uns nun auf 16 Milliarden Euro oder
18 Milliarden Euro festlegen. Glaubwürdigkeit gewinnt
man vielmehr, wenn man - ich will keinen Adressaten
nennen, weil meine Äußerungen dann gleich als Wahlkampf denunziert würden - zum Beispiel auf einem Unternehmertag sagt
({4})
- darf ich meinen Gedanken zu Ende bringen? -: Ihr
wollt doch etwas für Bildung und Forschung tun; deshalb erwarten wir von euch, dass ihr dafür eintretet, dass
diejenigen, die ganz viel Geld haben, einen Solidarbeitrag von in Höhe von 1,5 Prozent leisten. Wer da dafür
wirbt, wo es am schmerzhaftesten ist und wo er am wenigsten auf Zustimmung stößt, dass Großes nicht nur
versprochen, sondern auch materiell unterlegt wird,
schafft Glaubwürdigkeit. Das ist das, was die Menschen
einfordern, die jetzt demonstrieren.
({5})
Diese Menschen erwarten zugleich, dass die Wirtschaft keine zusätzlichen Forderungen stellt; vielmehr
kann die Wirtschaft zum Beispiel dadurch einen ganz
konkreten Beitrag leisten, dass sie sich dazu verpflichtet,
600 000 zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen.
Nicht alle, die davon profitieren, demonstrieren mit; aber
auch für deren Interessen wird demonstriert, und sie sind
uns mindestens so wichtig wie Schüler, Studenten und
andere. Auch diejenigen, die in beruflicher Bildung sind,
dürfen nicht alleingelassen werden.
({6})
Das sind die wichtigsten Punkte.
Ich komme zum Schluss. Diese Bewegung ist offen,
diffus. Manche beklagen, dass es gar keine Ansprechpartner gibt. Gut wäre es, wenn wir Parlamentarier oder
auch jede Fraktion für sich sagen würden: Wir bieten uns
zum direkten Gespräch an. Wir haben keine Angst davor, „in den Park zu gehen“. Wir haben keine Angst vor
dem „dummen Mob“. Wir haben keine Angst vor sehr
kritischen Hochschullehrern. Nein, wir als Fraktionen
bieten uns für Gespräche an, jeder vor Ort an Schulen
oder Hochschulen. Das bringt Bindung und drückt die
Ernsthaftigkeit unserer Vorhaben aus. Herr Kollege
Müller, ich sehe, dass Sie nicken. Es könnte also etwas
Gemeinsames werden.
Danke schön.
({7})
Monika Grütters hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es
vorweg zu sagen: Ich habe Verständnis für den Frust, der
sich bei den jungen Leuten über die, wie auch ich finde,
oft zu miesen Bedingungen an den Hochschulen in
Deutschland angestaut hat. Ich habe auch Verständnis
für den einen oder anderen cleveren Protest, für einen
demonstrativ artikulierten Willen, etwas zu verbessern.
Das kennen wir ja alle aus unserer eigenen Studienzeit;
({0})
denn damals war die Situation nicht besser, aber auch
nicht schlimmer, als sie heute ist. Ich habe aber kein Verständnis für manche Aktionen, die hier genannt wurden,
und ich habe erst recht kein Verständnis für einen Streik;
denn ich finde es absurd, etwas zu bestreiken, was man
gerne haben möchte.
An anderer Stelle - das kommt nicht häufig vor -, bin
ich mit Ihnen einer Meinung, Herr Rossmann. Sie haben
den Begriff der Ungleichzeitigkeit genannt. Ich sage:
Wir haben es hier mit einem Ritual zu tun, das sich in der
Bundesrepublik seit Jahrzehnten regelmäßig wiederholt.
({1})
- Wenn Sie den Vorwurf auf sich beziehen, dann ist das
Ihre Sache. Ich habe das nicht so gemeint. Ich stelle lediglich fest, dass es kaum ein Thema gibt, bei dem Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderliegen wie
beim Thema Bildung. Das ist seit Jahrzehnten so. Über
dieses Phänomen müssen wir uns Gedanken machen. Es
geht immer wieder um Bildung, Bildung, Bildung. Darauf verweisen wir alle seit Jahrzehnten, nicht nur in
Sonntagsreden, sondern auch bei jeder anderen Gelegenheit. Wir alle sind uns im Übrigen einig, dass wir in einer
globalen Wirtschaftskrise in Bildung investieren wollen.
({2})
Auf der anderen Seite - das müssen Sie sich alle anhören, weil Sie alle, bis auf die Grünen, in den Ländern
mitregieren - stehen Schüler, Lehrer, Eltern und Professoren und beklagen sich seit 30 Jahren über dieselben
Phänomene: überforderte Lehrer, schlechte Ausstattung,
überfüllte Hörsäle, zu wenig Förderung, zu wenig Forderung, blödsinnige Losverfahren bei der Aufnahme zum
Gymnasium oder einfach zu wenig Geld. Wir reformieren immer weiter.
({3})
Aber wir müssen uns nach 30 Jahren - auch Sie, Frau
Hirsch, die Sie vielleicht noch nicht dabei waren - auch
fragen, wo wir heute, viele Bildungsoffensiven später,
stehen: eben da, wo die Proteste schon in den 70er-Jahren angefangen haben - zumindest, was die Unzufriedenheit der Betroffenen angeht.
Vielleicht sind es ja gar nicht die Reformen, die am
Ende wirklich etwas verbessern; auf dem Feld der Bildung wird ja häufig nur noch ideologisch diskutiert.
Vielleicht fehlt es an etwas anderem, nämlich an Kontinuität, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Beständigkeit.
Die Debatte, die gestern zum Thema Bachelor geführt
worden ist - Stichwort Bologna-Prozess -, ist ein besonders signifikantes Beispiel für meine These. Obwohl die
Studiengänge noch nicht vollständig umgewandelt sind
- es sind gerade einmal 75 Prozent -, wird schon dagegen protestiert. Wenn man nicht wenigstens im Bereich
der Bildung einen etwas längeren Atem hat, dann werden wir dieses Ritual nicht abschütteln können.
Ich finde es toll, dass auf der Zuschauertribüne relativ
viele junge Leute sitzen und auf diese Weise Interesse an
der Debatte zeigen. Zu Ihrer Information möchte ich sagen: Die Bundesregierung, die für Bildung nicht zuständig ist - Bildung ist nach wie vor Sache der Länder -,
hat in den letzten Jahren mehr, als sie eigentlich dürfte,
getan. Die Ausgaben für Bildung und Forschung wurden
um ein Viertel auf fast 10 Milliarden Euro gesteigert.
({4})
Ich finde, dass das dazugehört, gerade auch, weil Frau
Pieper sich bei den Leistungen der Großen Koalition etwas vertan hat. Entgegen ihren Aussagen ist somit festzuhalten: Es wurde mehr abgebaut als aufgebaut.
So haben wir auch im Zuge der BAföG-Reform, die
häufig genug von Finanzminister Steinbrück torpediert
worden ist, die Bedarfssätze um mehr als 10 Prozent erhöht. Die Zahl der Geförderten ist heute um 75 000 Studierende gestiegen.
({5})
- Herr Rossmann, wir hatten mehr Probleme mit Herrn
Steinbrück als mit den Forderungen von Frau Schavan.
Das zu sagen, gehört zur Wahrheit dazu.
({6})
Wir geben derzeit jährlich fast 2,2 Milliarden Euro für
Ausbildungsförderung aus sozialen Gründen aus. Den
einkommensunabhängigen Studienkredit, um den gestern gerungen wurde, gibt es längst.
Übrigens steht in unserem Wahlprogramm, dass
10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgegeben werden soll, laut Ihrem sollen es gerade einmal
7 Prozent sein. Das muss in aller Deutlichkeit gesagt
werden.
({7})
- Das steht in Ihrem Programm. Da ist von 7 Prozent die
Rede. Ich kann Ihnen sogar die entsprechende Seitenzahl
nennen.
({8})
- Es ist unter Ihrem Niveau, so etwas in das Wahlprogramm zu schreiben. Ich kann Ihnen das genau nachweisen.
({9})
Auf den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und
den Pakt für Forschung und Innovation will ich jetzt
nicht weiter eingehen und komme noch zu einem anderen Punkt. Viele haben Probleme mit dem Begriff Elite.
In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung nach
Abschaffung von Bachelor und Master zu sehen. Zur
Angst vor der Elite will ich Folgendes sagen:
Den 87 Millionen Euro, die von den Stiftungen an talentierte Studenten in Form von Stipendien ausgereicht
werden, stehen 2,2 Milliarden Euro Ausgaben für
BAföG gegenüber. Hier kann man also kaum von Eliteförderung sprechen. Es wäre allerdings gut, wenn man
den Anteil der Stipendiaten erhöhen würde.
40 Prozent eines Jahrgangs - da sind wir weiter als
vor 30 Jahren - gehen heute auf eine Universität. Das
heißt, die Unis sind für die Bildung eines großen Teils
der deutschen Bevölkerung zuständig. Man kann angesichts dieser Zahl vielleicht nicht von Elite, aber von einer Gruppe mit gehobenem Bildungsstandard sprechen.
Das ist ein Erfolg der Bildungspolitik der letzten
30 Jahre.
Erlauben Sie mir zum Schluss, den protestierenden
Studenten einen Rat zu geben, die unter anderem eine
Demokratisierung und Stärkung der Mit- und Selbstverwaltung fordern: Sie sollten zur Wahl gehen, wenn es
um ihr eigenes Studentenparlament geht!
({10})
An der letzten Wahl der Humboldt-Universität, die gestern bestreikt wurde, haben nur 6,1 Prozent der Studenten teilgenommen. Ich kann den Studenten nur sagen:
Wir tun hier das Unsrige, tun Sie das Ihre!
Ich danke Ihnen.
({11})
Jetzt hat Katja Mast das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Grütters, Lesen hilft. Aber ZuEnde-Lesen ist auch wichtig. In unserem Wahlprogramm
steht: 7 Prozent für Bildung und 3 Prozent für Forschung. Addieren wir das zusammen, ergeben sich
10 Prozent. Deshalb ist das, was Sie gerade gesagt haben, so nicht richtig. Um uns richtig zitieren zu können,
müssen Sie schon unser gesamtes Wahlprogramm lesen.
Aber dafür haben Sie ja noch bis zur Stimmabgabe am
27. September Zeit.
In der Aktuellen Stunde zum Bildungsstreik reden zu
dürfen, ist für mich eine besondere Ehre. Bildung ist
Menschenrecht. Das steht so im SPD-Regierungsprogramm, und zwar aus gutem Grund. Denn wer am Rand
steht und von dort weg will, schafft das zuallererst durch
Bildung. Bildung ist der Schlüssel für gesellschaftlichen
Aufstieg, für einen Job und für die eigene Zukunft. Das
habe ich persönlich erfahren, da meine eigene Bildungskarriere nur durch sozialdemokratische Politik möglich
war.
({0})
Hauptschule, Gymnasium, Berufsausbildung, Studium und Weiterbildung: So war das bei mir. Das war
nicht von Anfang an so angelegt; keines meiner drei Geschwister hat studiert. Meine Mutter hat uns vier Kinder
alleine durchgebracht. Ich habe früh erfahren, dass Bildungstüren immer wieder neu geöffnet werden müssen.
Das ist der Grund, warum ich heute für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hier stehe und für Chancengerechtigkeit im Bildungssystem kämpfe. Denn der
Aufstieg durch Bildung ist nicht eine Floskel, sondern
politisches Programm der SPD, und das nicht erst seit
gestern, sondern schon seit über 140 Jahren.
({1})
Es ist deshalb gut, dass junge Menschen heute auf der
Straße für Bildung streiken. Denn sie wissen: Es ist Bildung, die ihnen Zukunftschancen ermöglicht. Das ist der
Grund, weshalb die SPD mit Leidenschaft die Bildungserrungenschaften wie die Studienförderung BAföG verteidigt und ausbaut - es gab zwei Erhöhungen - und erreichen will, dass Bildung gebührenfrei für alle ist, und
zwar von der Kindertagesstätte bis zur Hochschule. Das
steckt hinter unserer Wertvorstellung: Bildung ist Menschenrecht.
Lassen Sie uns die Situation in den Ländern anschauen, wo Sozialdemokraten mit in der Regierung
sind: keine Studiengebühren in Berlin, MecklenburgVorpommern, Brandenburg und Bremen.
({2})
- Auch Schleswig-Holstein. - Lassen Sie uns jetzt noch
anschauen, wie es beim sozialdemokratischen Bildungschampion Rheinland-Pfalz aussieht, wo die SPD alleine
regiert: keine Studiengebühren und noch in diesem Jahr
für Kinder ab drei Jahre überhaupt keine Kita-Gebühren
mehr
({3})
und für Kinder ab zwei Jahre ab nächstem Jahr keine
Kita-Gebühren mehr. Das ist konkrete Bildungs- und
Aufstiegspolitik.
Aber das Thema Bildung betrifft nicht nur Kindergarten, Schule und Hochschule, sondern auch die Berufsausbildung. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir brauchen gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise
mindestens 600 000 neue Ausbildungsverträge.
({4})
Das erwarten wir von der Wirtschaft; denn die Ausbildung der Fachkräfte ist zuallererst ihre Aufgabe. Aber
ganz so einfach machen wir uns das nicht. Wir helfen,
wo es geht - ab morgen hoffentlich unbürokratisch auch
den sogenannten Insolvenzauszubildenden; denn morgen beschließen wir das entsprechende Gesetz. Die Auszubildenden können nichts dafür, wenn ihre Ausbildung
nicht weitergeführt werden kann, weil die Firma insolvent geht. Wir helfen ihnen über die Bundesagentur für
Arbeit, die ihnen einen Ausbildungsbonus geben kann.
Das hilft in der Krise, das hilft den jungen Menschen,
und das hilft, eine Zukunft im Betrieb zu haben.
Jetzt denkt sicher jeder: Was hat das mit dem Menschenrecht auf Bildung, wie es bei der SPD heißt, zu tun?
Sehr viel; denn Rechte werden in konkreten Taten gemessen und nicht auf dem Papier. Hier eröffnet die Große Koalition auf sozialdemokratische Initiative hin neue Hilfen, um einen Schutzschirm für Ausbildungsplätze zu
spannen. Das wurde in dieser Legislaturperiode oft deutlich, und zwar besonders im Verantwortungsbereich unseres sozialdemokratischen Bundesministers Olaf
Scholz, der sich für die Bildung sehr einsetzt.
({5})
Zum Beispiel haben wir für jeden das lebenslange Recht
auf Nachholen des Hauptschulabschlusses eingeführt,
zum Beispiel den Ausbildungsbonus für Altbewerber geschaffen und zum Beispiel das Schulbedarfspaket für
Kinder in Arbeitslosengeld-II-Empfänger-Haushalten in
Höhe von jährlich 100 Euro beschlossen.
Bildung für alle statt Privilegien für wenige - das ist
die Richtschnur unseres Handelns. Wir wollen aber
mehr. Wir wollen eine Stärkung der Schulsozialarbeit
und Berufsorientierung an jeder Schule und für alle über
20 Jahre eine garantierte Berufsausbildung.
Um in Bildung investieren zu können, wollen wir etwas mehr von den Steuern derjenigen, die sich das leisten können.
({6})
Dafür fehlt heute noch die Mehrheit. Aber das ist Bildungspolitik, die den jungen Menschen, die heute streiken und ihr Zukunftsrecht einfordern, die Chancengerechtigkeit gibt, die sie brauchen, damit sie den
Generationenvertrag erfüllen können. Jedem streikenden
Jugendlichen rufe ich zu: Denkt am 27. September auch
daran, wenn ihr zur Wahl geht! Bildungspolitik braucht
jede Stimme.
Glück auf!
({7})
Damit schließe ich die Aussprache und beende die
Aktuelle Stunde.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 c sowie 6 a
und b auf:
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubert
Hüppe, Beatrix Philipp, Dr. Norbert Lammert
und weiterer Abgeordneter
Gesetzliche Überregulierung der Patienten-
verfügung vermeiden
- Drucksache 16/13262 -
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Michael Kauch,
Dr. Lukrezia Jochimsen und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts
- Drucksache 16/8442 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, René Röspel,
Katrin Göring-Eckardt und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht ({0})
- Drucksache 16/11360 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Zöller, Dr. Hans Georg
Faust, Dr. Herta Däubler-Gmelin und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen
({1})
- Drucksache 16/11493 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 16/13314 -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Berichterstattung:
Abgeordneter Ute Granold
Christoph Strässer
Wolfgang Nešković
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Michael Kauch,
Dr. Max Stadler, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Patientenverfügungen neu regeln - Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken
- Drucksachen 16/397, 16/13314 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christoph Strässer
Wolfgang Nešković
Dazu werden wir später mehrere namentliche Abstimmungen durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll eineinviertel Stunden debattiert werden. Diese Zeit soll
nach dem Stärkeverhältnis der Unterstützer der vier
Gruppeninitiativen verteilt werden. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Christoph Strässer für die Gruppe Stünker und
andere.
({4})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tag könnte ein guter
Tag werden, nicht nur für den Deutschen Bundestag
- das wäre schon sehr schön -, sondern auch für Millionen von Menschen, von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land, die darauf warten, dass wir - ich sage es einmal etwas platt - endlich zu Potte kommen in diesem
Hohen Hause.
({0})
Ich sage ganz klar, dass ich für viele der Debatten
großes Verständnis habe; denn wir reden wirklich über
ziemlich fundamentale Fragen. Kein Verständnis mehr
habe ich hingegen dafür, dass es nach einer Debattendauer von vielen Jahren in diesem Land noch relevante
Gruppen gibt - in diesem Hause, aber zum Beispiel auch
in Gestalt der Bundesärztekammer -, die sagen, wir
bräuchten keine Regelung, weil alles klar sei und weil
durch eine Regelung nur überreguliert werde. Wie das
zusammenpassen soll, ist ein Aspekt. Der andere aber
ist: Wer noch heute, nachdem wir mindestens seit 2003,
seit einem berühmten Urteil des Bundesgerichtshofs,
ernsthaft über die Frage der Reichweite und der Wirkung
von Patientenverfügungen streiten, sagt: „Wir brauchen
kein Gesetz, wir brauchen keine Regulierung“, der hat
mindestens die Diskussion der letzten sechs Jahre verschlafen und sollte sich angesichts dessen einmal besinnen.
({1})
Ich möchte in aller Kürze auf den sogenannten
Stünker-Entwurf - aufgrund der Debatten, die wir hier
geführt haben, sind noch einige Veränderungen vorgenommen worden - eingehen. Ich glaube - das ist meine
feste Überzeugung und auch die der Kolleginnen und
Kollegen, die diesen Entwurf unterstützen -, dass er dem
Ziel, das in vielen Debatten geäußert worden ist, zuletzt
in der Sachverständigenanhörung vor wenigen Wochen
in diesem Hause, und das die meisten in diesem Hohen
Hause erreichen wollen, nämlich ein selbstbestimmtes
Sterben, Selbstbestimmung und Menschenwürde am
Ende eines Lebens zu ermöglichen, am nächsten kommt
und die beste Form der Umsetzung darstellt.
Die wichtigste und zentrale Botschaft - ich lasse die
Punkte, in denen es Übereinstimmung gibt, wie Formvorschriften und Regelungen im Betreuungsrecht, außen
vor -, die von diesem Gesetzentwurf ausgeht, ist nach
meiner Überzeugung: Wir nehmen den Willen von Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt im Zustand
der vollen Entscheidungsfähigkeit eine Entscheidung für
die Zukunft getroffen haben, ernst, auch wenn sie aktuell
in einer Situation sind, in der sie nicht mehr selber entscheiden können. Das ist die Kernbotschaft unseres Gesetzentwurfes. Er entspricht dem Grundsatz der Selbstbestimmung und der Beachtung der Menschenwürde
auch am Ende eines Lebens am meisten. Das ist meine
Überzeugung.
({2})
Ich möchte den Kernunterschied, den es aus meiner
Sicht zum sogenannten Bosbach/Röspel-Entwurf gibt,
darstellen, weil ich glaube, dieser Punkt ist maßgeblich
dafür, zu welcher Entscheidung man sich in diesem Hohen Hause auch unter Einbeziehung Ihres Entwurfes,
Herr Kollege Zöller, durchringen wird. Der Kernpunkt
unseres Entwurfs ist, dass die Patientenverfügung, der
entweder schriftlich oder durch Auslegung eines mutmaßlichen Willens festgestellte Wille, auch dann gelten
muss, wenn die Krankheit, um die es geht, und der
Krankheitszustand, um den es geht, nicht irreversibel
zum Tode führen. Das ist die klare Botschaft. Ich betone:
Ich will keine Zweiklassenwillenserklärung, keine Zweiklassenselbstbestimmung. Es soll gelten, was jemand
aufgeschrieben hat.
({3})
Ferner möchte ich einen Punkt anführen, der vielleicht für Klarheit sorgen kann. Dem Stünker-Entwurf
wurde im Rahmen der Debatte vorgehalten, es gebe zwischen der Abfassung einer Patientenverfügung und der
letztendlichen Inkraftsetzung und Durchführung dieser
Patientenverfügung einen Automatismus. Ich habe es
schon damals für falsch gehalten, als dies gesagt wurde.
Nach der Sachverständigenanhörung - ich darf Sie bitten, sich das einmal anzuschauen - haben wir einen
neuen § 1901 b BGB vorgesehen, in dem sehr klar ausgeführt wird, dass es diesen Automatismus definitiv
nicht gibt. Vielmehr wird vorgeschrieben, dass es ein
Gespräch zwischen Arzt und Betreuer geben muss und
dass infolge dieses Gespräches die Frage gestellt werden
wird: Setzen wir die Patientenverfügung um, oder setzen
wir sie nicht um? Ich glaube, das ist das Gegenteil von
Automatismus. Ich hoffe, dass es Ihnen mit dieser neuen
Formulierung in unserem Gesetzentwurf möglich wird,
diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({4})
Letzter Punkt. Ich weiß, eine Patientenverfügung ist
nicht alles. Wir brauchen - ich bin sehr froh darüber,
dass es jetzt auch bei der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung Fortschritte gibt und die Kassen da einen Sprung gemacht haben - eine Verbesserung der
Schmerztherapie und eine bessere Förderung der Hospizbewegung. In diesem Kontext spielt die Patientenverfügung eine wichtige Rolle.
Ich bitte Sie ganz herzlich darum, am Ende dieser Debatte unserem Entwurf zuzustimmen. Das erwarten sehr
viele Menschen in diesem Land. Wir in diesem Hohen
Hause tun ihnen einen großen Gefallen.
Herzlichen Dank.
({5})
Der Kollege René Röspel hat jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zwei Jahre nach dem Tod meiner Großmutter
frage ich mich noch heute, ob wir alles richtig gemacht
haben. Sie war eine Frau, die nie in ein Pflegeheim
wollte, eine Frau, die nie in den Rollstuhl wollte, weil sie
dies für entwürdigend und beschämend hielt.
Kurz vor ihrem 90. Geburtstag musste sie ins Pflegeheim, und es kam der Tag, an dem sie ihren Besuch am
Teich mit ihren geliebten Urenkeln nur noch im Rollstuhl schaffte. Ja, wir haben gegen den Willen verstoßen,
den meine gesunde Großmutter ausgedrückt hat, aber
nicht gegen den Willen der Erkrankten gehandelt. Sicher
bin ich, dass wir zu ihrem Wohl gehandelt haben. Vermutlich haben wir das Selbstbestimmungsrecht der gesunden Frau verletzt, nicht aber das der erkrankten.
Wäre es andersherum besser gewesen?
Das ist nicht der einzige Fall, aber der mir nächste,
bei dem ich erlebt habe, dass scheinbar unverrückbare
und feststehende Positionen eines Menschen sich im
Laufe einer Krankheit veränderten und neue, andere Lebensperspektiven hinzukamen.
Solche Konflikte gibt es sicherlich nicht in den Fällen, in denen die Krankheitsverläufe tödlich sind, Heilung nicht mehr möglich ist und medizinische Behandlung das Sterben nur verlängern würde. Eine solche oder
ähnlich lautende Formulierung findet sich in vielen Patientenverfügungen, sowohl in der Christlichen Patientenverfügung - der bin ich auf Veranstaltungen am
häufigsten begegnet - als auch in der des Bundesministeriums der Justiz. Die Formulierung „tödlich verlaufende Krankheit“ ist eine Selbstbeschränkung, die von
vielen Menschen gewählt wird, um vor Fehlinterpretationen sicher zu sein. Diese Formulierung entspricht
auch der Reichweitenbeschränkung, die im Entwurf von
Bosbach, Röspel und anderen für die einfache Patientenverfügung vorgesehen ist. Die Patientenverfügung wird
verbindlich. Diese Reichweitenbeschränkung wird sehr
häufig kritisiert.
Die Frage ist allerdings, wie sich ein Patient entscheiden würde, wenn die Krankheit heilbar wäre und er wieder gesund werden könnte. Wenn es darum geht, so zu
entscheiden, wie der Patient jetzt in dieser Situation entscheiden würde, wenn er es denn könnte, wenn das die
zentrale Aufgabe ist, dann ist die entscheidende Frage,
wie wir sicherstellen, dass einerseits nicht diejenigen
verlieren, die sich in der konkreten Situation anders entscheiden würden, als sie es als gesunder Mensch in ihrer
Patientenverfügung aufgeschrieben haben, weil ihre Patientenverfügung umgesetzt wird, und wie wir andererseits sicherstellen, dass der Wille derjenigen durchgesetzt wird, die sich in der aktuellen Situation trotz
Heilungschancen und anderer möglicherweise lebensbejahender Bewertungen des Betreuers einen Handlungsabbruch wünschen würden. Aus meiner Sicht lassen die
anderen Gesetzentwürfe dieses Problem letztlich offen
und interpretationsfähig und werden zu mehr Unsicherheit führen.
Der Gesetzentwurf der Gruppe Bosbach, Röspel,
Göring-Eckardt und andere sieht als Lösung die qualifizierte Patientenverfügung vor. Als Reaktion auf die Anhörung, in der das kritisiert wurde, haben wir die notarielle Beurkundung gestrichen. Wir sehen die qualifizierte
Patientenverfügung vor. Wer sich ärztlich beraten lässt,
der kann unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung - diesbezüglich unterscheidet sich unser Entwurf
nicht vom Stünker-Entwurf - die medizinische Behandlung beenden lassen.
({0})
Ich sehe darin keine bürokratische Hürde, was uns
häufig vorgeworfen wird, sondern einen Sicherungs- und
Erklärungsmechanismus. Wer nach ärztlicher Beratung
sagt: „Ja, ich weiß, was meine Patientenverfügung bedeutet, und ja, ich will, dass das so umgesetzt wird“, erhält mit dem Entwurf Bosbach und Röspel mehr Sicherheit, dass sein Wille erkannt und umgesetzt wird.
Ich bitte Sie, Ihre parlamentarische Verantwortung
heute wahrzunehmen und für einen der Gesetzentwürfe
zu stimmen. Ich glaube, wir sind es den Menschen im
Lande schuldig, dass es eine Entscheidung gibt. Ich bitte
Sie abschließend, für den Gesetzentwurf Bosbach und
Röspel zu stimmen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat Wolfgang Zöller.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Diskussion, die in der letzten Zeit über die Patientenverfügung geführt wurde, hat eine positive Auswirkung: Noch nie zuvor wurde so viel und so intensiv über
Patientenverfügungen geredet und diskutiert. Das hat logischerweise große Erwartungen geweckt. Außerdem
hat diese Diskussion bei sehr vielen Betroffenen, die bereits eine Patientenverfügung haben, zu einer großen
Verunsicherung geführt: Gilt sie noch, oder gilt sie nicht
mehr?
Vielen Menschen flößt die Vorstellung, am Lebensende Objekt einer hochtechnisierten Medizin zu sein,
nach wie vor Angst ein. Hinzu kommt, dass es viele
Menschen gibt, die der Auffassung sind, man brauche
überhaupt keine gesetzliche Regelung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus all diesen Gründen haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der nur
das regelt, was unbedingt notwendig ist, um die derzeitige gute Praxis rechtssicher zu gestalten. Die zentralen
Punkte unseres Gesetzentwurfes sind:
Erstens. Die in der Praxis bestehende Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Verbindlichkeit der Patientenverfügung wird beseitigt.
Zweitens. Der Wille des Patienten ist zu respektieren.
Die Patientenverfügung ist grundsätzlich verbindlich.
Sowohl der ausdrücklich erklärte als auch der zu ermittelnde mutmaßliche Wille des Patienten wirken nach
Verlust der Einwilligungsfähigkeit fort.
Drittens. Die Patientenverfügung soll in der Regel
dem Erfordernis der Schriftform nachkommen. Dies ist
unserem Gesetzentwurf zufolge jedoch nicht zwingend
erforderlich. Die Wirksamkeit der Patientenverfügung
ist auch bei mündlicher Ausdrucksweise gegeben.
Viertens. Vor der Erstellung einer Patientenverfügung
soll eine ärztliche Beratung über Krankheitsbilder, Möglichkeiten der medizinischen Behandlung und die Folgen
des Abbruchs oder der Nichtvornahme von Behandlungsmaßnahmen erfolgen. Damit nicht aus Kostengründen auf eine Beratung verzichtet wird, werden ihre Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen.
Fünftens. Auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung erfolgt immer eine individuelle Ermittlung des aktuellen Patientenwillens. Diese Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass sich aufgrund des medizinischen
Fortschritts neue Behandlungsmöglichkeiten ergeben
können, von denen der Patient zu dem Zeitpunkt, als er
seine Patientenverfügung verfasst hat, noch nichts wissen konnte.
Sechstens. Wir wollen keinen Automatismus, sondern
eine individuelle Betrachtung. Die Vielfalt der denkbaren Situationen am Lebensende entzieht sich nämlich einer pauschalen Betrachtung und lässt sich deshalb auch
nicht bis ins Details regeln. Das Sterben ist nun einmal
nicht normierbar. Eine gesetzliche Regelung darf deshalb keinen Automatismus, der auf eine buchstabengerechte Umsetzung und Ausführung gerichtet ist, in Gang
setzen.
Siebtens. Es muss ein Dialog der Beteiligten stattfinden. Die Umsetzung des Patientenwillens in der konkret
eingetretenen Behandlungssituation soll ein dialogischer
Prozess zwischen Arzt und rechtlichem Vertreter sein. In
diesen dialogischen Prozess können nahestehende Personen, Pflegekräfte oder Mitglieder von Behandlungsteams
beratend einbezogen werden. Wir sind fest davon überzeugt: Durch diesen dialogischen Prozess zwischen den
Beteiligten zur Ermittlung des Patientenwillens wird der
Patientenautonomie und dem Lebensschutz gleichermaßen Rechnung getragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich an dieser Stelle insbesondere den Kolleginnen
Dr. Däubler-Gmelin und Knoche sowie dem Kollegen
Dr. Faust Dank sagen, die mit uns gemeinsam versucht
haben, über die Parteigrenzen hinweg eine tragfähige
Lösung zu finden.
Unser Vorschlag war von Anfang an als Mittelweg
angelegt. Im Anschluss an die Anhörung sind wir den
Initiatoren der beiden anderen Gesetzentwürfe an zwei
Stellen, auf die sie in der Anhörung Wert gelegt haben,
entgegengekommen. Wir haben die Hoffnung, eine sinnvolle gesetzliche Regelung im Sinne der Betroffenen zu
treffen, nicht aufgegeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch eine persönliche Bitte anschließen. Ich bitte
uns alle: Unterlassen wir gegenseitige Schuldzuweisungen nach dem Motto, die einen seien ausschließlich für
den Lebensschutz, die anderen ausschließlich für die
Selbstbestimmung zuständig. Diese Frage ist als Gewissensfrage angelegt, daher sollten wir gegensätzliche
Auffassungen respektieren.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Hubert Hüppe spricht als Nächster.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor fünf Jahren hat die Enquete-Kommission „Recht
und Ethik der modernen Medizin“ einen Zwischenbericht zum Thema Patientenverfügung vorgelegt. Damals
habe ich als stellvertretender Vorsitzender der EnqueteKommission dem Vorschlag, eine umfassende gesetzliche Regelung zu schaffen, zugestimmt. Seitdem gab es
viele Beratungen hier im Parlament, in den Ausschüssen
und auf vielen öffentlichen Veranstaltungen. Ich habe
meine Meinung geändert.
Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigte, umso
mehr kamen mir Zweifel, dass ein Gesetz die Situation
besser machen würde, als sie jetzt ist. Viele von denen,
die meinen Antrag, auf eine rechtliche Regelung zu verzichten, unterzeichnet haben, hatten vorher bei anderen
Anträgen unterschrieben; aber auch sie haben in den Gesprächen mit Praktikern erfahren, dass man den Versuch,
etwas zu regeln, das man nicht regeln kann, nicht unternehmen sollte.
({0})
Je mehr man mit den Menschen spricht, die nah am
Patienten sind, umso mehr kommen die Zweifel. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass uns die Bundesärztekammer warnt, eine rechtliche Regelung zu treffen. Inzwischen hat auch der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband davor gewarnt, ein Gesetz zu beschließen. Die
Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie
hat gesagt, wir sollten kein Gesetz schaffen. Vor allem
Patienten- und Angehörigengruppen wie die Deutsche
Alzheimer-Gesellschaft haben gesagt - das ist für mich
am wichtigsten -, dass man kein Gesetz schaffen solle,
weil die Situation dadurch eher schlechter als besser
werde. Inzwischen haben auch die Kirchen vor einer gesetzlichen Regelung gewarnt. Ich erwähne das, weil
viele dieser Gruppen in der Vergangenheit eine gesetzliche Regelung gefordert haben.
Ich bitte die Kollegen Strässer und Röspel, Folgendes
zu akzeptieren: Man kann seiner parlamentarischen Verantwortung auch dadurch gerecht werden, dass man zu
dem Schluss kommt, eine rechtliche Regelung sei nicht
so gut ist wie eine nichtrechtliche. Zumindest das sollten
Sie verstehen.
({1})
Ich finde es sehr seltsam, wenn in der Öffentlichkeit
- nicht von Parlamentariern, aber von anderen - gesagt
wird, es sei ein Armutszeugnis, wenn dieses Parlament
heute kein Gesetz verabschieden würde, wenn man
nichts zustande bekäme. Es kann nicht sein, dass Menschen sagen: Besser ein schlechtes Gesetz als kein Gesetz! Wer in diesem Fall, bei einer Frage, bei der es um
Leben oder Tod geht, lieber ein schlechtes Gesetz als gar
kein Gesetz wünscht, hat die Dimension der Frage nicht
verstanden.
Herr Kollege Hüppe, der Kollege Stöckel würde
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich möchte im Zusammenhang weitersprechen.
Die Änderungen an den Gesetzentwürfen, die in den
letzten Jahren immer wieder vorgenommen wurden - sogar jetzt, quasi in letzter Minute, werden Änderungen
vorgenommen -, zeigen, dass die Befürworter einer gesetzlichen Regelung im Zweifel sind, ob man für das Lebensende, das vielleicht nicht zu regeln ist, wirklich Regelungen treffen sollte.
Die Überdehnung des Konzeptes der Patientenverfügung bleibt ein großes Problem. Es ist problematisch, zu
glauben, man könne im Vorhinein, möglicherweise Jahre
vorher, tausend verschiedene Situationen, die eintreten
können, die vielen Dimensionen einer Erkrankung bestimmen. Ich glaube, man kann nicht voraussehen, in
welcher Lebenssituation man sich befinden wird, wie
man - Herr Röspel hat es dargestellt - als Kranker darüber denken wird, welche Perspektiven es gibt.
Patientenverfügungen sind ein wichtiges Instrument,
um ein Indiz zu erhalten. Ich halte es aber für falsch, zu
glauben, man könne Jahre im Voraus für eine spätere Situation bestimmen: Wenn A und B eintreten, ist C richtig; ohne weitere Überprüfung kann man auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten.
Ich will - das ist mir sehr wichtig - noch etwas zum
Gesetzentwurf Stünker und andere sagen. Im Gesetzentwurf Stünker und andere ist für Patientenverfügungen
keine Reichweitenbegrenzung vorgesehen. Das ist gefährlich genug. Was ich aber für noch gefährlicher halte,
ist, dass mit ihm auch viele andere Fälle geregelt werden
sollen, nämlich die 90 Prozent der Fälle, dass keine Patientenverfügung vorhanden ist, und ein großer Teil der
restlichen 10 Prozent der Fälle, dass zwar eine Patientenverfügung vorhanden ist, zur Situation aber nicht passt.
Es heißt in diesem Gesetzentwurf: Wenn sich Betreuer und Arzt einig sind, kann selbst dann ohne Reichweitenbegrenzung der mutmaßliche Wille genommen
und auf eine lebensverlängernde Maßnahme verzichtet
werden, und das ohne gerichtliche Überprüfung. Meine
Damen und Herren, das ist eine gefährliche Regelung. In
§ 1904 BGB - den Sie nicht verändern wollen - steht:
Wenn der Betreuer der Meinung ist, dass eine lebenserhaltende Operation durchgeführt werden sollte, diese
aber Gefahr für Leben und Gesundheit des Patienten
birgt - wohlgemerkt: diese Maßnahme soll das Leben
retten -, ist die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich. Dann ist es geradezu abstrus, wenn
dann, wenn auf die Maßnahme verzichtet wird - der Patient also stirbt -, Arzt und Betreuer das Recht haben,
über Leben oder Tod zu entscheiden. Das halte ich nicht
für richtig, ich halte es sogar für gefährlich.
({0})
Ich bin in Hospizen gewesen - wir haben bei uns ein
Wachkomazentrum -, ich habe mir das vor Ort angeschaut. Man muss mit den Menschen sprechen, um zu
erfahren, wie die Realität ist. Stellen Sie sich vor, eine
verwitwete, demente Frau, schlecht versichert, schlechtes Einkommen, kommt ins Heim. Dann wird ein Berufsbetreuer eingesetzt. Wenn er keine Vorbildung hat,
bekommt er pro Stunde 23 Euro. Im Monat kann er zwei
Stunden ansetzen. Und dieser Betreuer soll mit dem neu
behandelnden Arzt eine Entscheidung über Leben oder
Tod der Patientin treffen? Das kann nicht richtig sein.
Hier muss zumindest eine gerichtliche Überprüfung
stattfinden.
Meine Damen und Herren, die jahrelange Debatte hat
gezeigt: Das Sterben kann man nicht bis in die letzte Minute regeln, schon gar nicht mit Gesetzen. Ich appelliere
an Sie: Seien wir mutig als Parlament und geben wir zu,
dass wir uns übernommen haben, dass das Sterben nicht
zu regeln ist! Versuchen wir, dass Liebe und Angenommenheit dazu führen, dass sich Menschen nicht unnötig
lange quälen müssen! Das schafft man aber nicht per Gesetz, da hilft nur Zuwendung.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits
2004 und 2006 haben die Liberalen im Deutschen Bundestag Anträge für eine Stärkung von Patientenverfügungen eingebracht. Sechs Jahre lang geht die Diskussion inzwischen, sechs Jahre lang warten die Menschen
darauf, dass dieses Hohe Haus endlich eine Entscheidung trifft. Ich bin froh, dass wir heute zu einer Abstimmung kommen.
({0})
Es stimmt nicht, dass eine gesetzliche Klarstellung
der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung das Sterben verrechtlichen würde. Der Arzt darf schon heute
nicht machen, was er will. Lieber Herr Hüppe, nicht wer
die Macht am Krankenbett hat, darf entscheiden, es gibt
bereits heute Richterrecht. Was Sie kritisieren, ist zum
Teil geltende Rechtslage.
({1})
Doch dieses Richterrecht ist widersprüchlich, Ärzte und
Patienten sind verunsichert. Deshalb brauchen wir eine
Klarstellung im Gesetz: im Interesse der Patienten, aber
auch im Interesse der Ärzte, die für ihre Tätigkeit
Sicherheit brauchen.
({2})
- Es sind nicht alle Ärzte dagegen; da können Sie noch
so viele einzelne Personen hervorheben.
Meine Damen und Herren, Patientenverfügungen sind
ein wichtiger Baustein für Selbstbestimmung am Lebensende, sie sind aber nur ein Baustein. Genauso gehören medizinische Versorgung und mehr menschliche Zuwendung dazu. Fürsorge und Selbstbestimmung dürfen
nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen
Fürsorge und Selbstbestimmung für die Patientinnen und
Patienten.
({3})
Durch die moderne Medizin wurden Möglichkeiten
geschaffen, die man sich vor 50 Jahren noch nicht vorstellen konnte. Ob das für jemanden ein Geschenk oder
eine Qual ist, kann wirklich nur jeder Einzelne für sich
selbst entscheiden.
Wir haben auch keine naive Vorstellung von Selbstbestimmung. Mit einer Patientenverfügung verfüge ich natürlich etwas für die Zukunft. Das geschieht immer unter
Unsicherheit. Was ist aber die Alternative zu dieser Entscheidung oder Verfügung unter Unsicherheit, wenn ich
das nicht anerkenne? Die Alternative ist, dass jemand
Drittes entscheidet. Dies tut er, auch wenn er wohlmeinend ist, möglicherweise gegen den Willen des Patienten. Die Fremdbestimmung des Menschen ist also die
Alternative.
Mit dem vorliegenden Entwurf, den ich gemeinsam
mit Joachim Stünker und anderen Kollegen erarbeitet
habe, wollen wir eben keine Beschränkung der Reichweite. Wir wollen das Vormundschaftsgericht nur in den
Konfliktfällen einschalten, und wir wollen vor allem
eine Bürokratisierung des Sterbens verhindern, wie dies
durch den Bosbach-Entwurf zu befürchten ist.
Was passiert denn, wenn man Ihre Formvorschriften
nicht einhält? Die Menschen werden dann zwangsbehandelt.
({4})
Was bedeutet das? Dann wird wiederbelebt, beatmet,
Blut übertragen, und es werden Magensonden gelegt,
und zwar gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten, nur weil Sie Formvorschriften vorgeben, die möglicherweise nicht eingehalten werden. Das ist gegen die
Lebensrealität älterer Menschen in diesem Land gerichtet.
({5})
Wir wollen auch keine Hintertüren im Gesetz. Bei Ihnen gibt es ja noch die Klausel, dass der Mensch vielleicht anders entschieden hätte, wenn er gewusst hätte,
dass sich die Medizin weiterentwickelt hat. Deshalb soll
die Patientenverfügung nicht beachtet werden.
({6})
An dieser Stelle kann ich nur sagen: Es gibt noch Menschen in diesem Land, die nicht Professoren in der medizinischen Forschung sind. Auch diese haben ein Anrecht
auf Selbstbestimmung. Wer gibt Ihnen denn die Garantie, dass der Arzt weiß, dass sich der Mensch dann wirklich anders entschieden hätte?
({7})
Lassen Sie mich hinzufügen: Es gibt bei unserem Entwurf keinen Automatismus. Der aktuelle Wille ist entscheidend. Passt die Lebenssituation, haben sich die
Umstände tatsächlich erkennbar geändert? All das muss
einbezogen werden.
Niemand muss eine Patientenverfügung abfassen;
wer sich aber dafür entscheidet, festzulegen, was ihm
wichtig ist, der hat auch den Anspruch darauf, dass dieses Parlament seinen Willen achtet. Werden Sie diesem
Anspruch bei der späteren Abstimmung bitte gerecht.
Vielen Dank.
({8})
Ich gebe der Kollegin Katrin Göring-Eckardt das
Wort.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr verehrte
Frau Präsidentin! Es scheint mir, dass wir heute so erschöpft und zum Teil auch angefasst über die Patientenverfügung diskutieren wie noch nie in diesem Haus.
Die einen haben überlegt, verhandelt, Gruppen gebildet und Kompromisse geschlossen, die von manchen
auch wieder aufgekündigt wurden, die anderen haben
diskutiert und gefragt: sich selbst, die jeweils anderen
und vor allem und ganz oft auch diejenigen, um die es
geht. Wenn man sich heute die Nachrichtenlage anschaut, dann scheint es am Ende nur noch um die Abstimmungsreihenfolge und darum zu gehen, ob überhaupt abgestimmt werden muss.
Gibt es nicht Momente, in denen kein Beschluss besser ist als einer, der irgendwie halbherzig ist, der nicht
ganz meiner Position entspricht oder den ich vielleicht
für gefährlich halte, wie das Herr Hüppe sagt? Zum
Letzten: Ja, das kann sein.
Wir müssen heute nicht beschließen, weil wir sechs
Jahre lang verhandelt haben,
({0})
wir müssen heute auch nicht beschließen, weil das Ende
der Legislaturperiode naht, und wir müssen auch nicht
beschließen, weil so viele so intensiv daran gearbeitet
haben.
({1})
Das ist lebendiger Parlamentarismus.
Warum sollten wir das aber doch tun? Eines wissen
wir eigentlich alle: Es gibt extrem viel Unsicherheit darüber, wie die Gesetzeslage ist. Es gibt eine Unsicherheit
bei Ärztinnen und Ärzten - auch das muss man hier
deutlich sagen -, zum Teil auch darüber, was heute tatsächlich schon möglich ist. Unsicherheit gibt es auch bei
Freunden und Verwandten von Schwerkranken, ehrenamtlichen Hospizhelfern und Hospizhelferinnen und bei
denen, die selbst eine Patientenverfügung in Erwägung
ziehen oder schon angefertigt haben und sich absichern
wollen.
Ich denke, die Debatte lohnt sich vor allem deswegen.
Ich plädiere noch einmal für den Entwurf, der versucht,
zu bedenken, was bedacht werden muss, zu regeln, was
geregelt werden muss, anderes aber nicht regelt und es
der individuellen Situation überlässt. Ich bin froh, dass
wir in unserem Entwurf von einer notariellen Regelung
Abstand genommen haben. Auch das gehört zu dem Anliegen, nicht zu regeln, was nicht unbedingt geregelt
werden muss.
Zur Entlastung in der entsprechenden Situation gehört
aber auf jeden Fall, dass Abläufe und Verfahrensweisen
klar sind. Wer redet, wer wird gefragt, und wer entscheidet am Ende? Uns ist es wichtig, dass das Verfahren als
Dialog begriffen wird. Es ist ein Dialog zwischen Betreuer, Arzt und Angehörigen und auch den Pflegekräften. Denn oft erleben sie den Patienten oder die Patientin
am intensivsten.
Als Ergebnis dieses Prozesses ist aber klar, wer entscheidet, wenn der Patient oder die Patientin das nicht
mehr können, nämlich der Bevollmächtigte oder der Betreuer, und zwar auf Augenhöhe mit dem Arzt als dessen
Gegenüber. Denn es ist gerade nicht der Arzt, der allein
entscheiden sollte.
Wir regeln deswegen die Instrumente von Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung eigenständig im
Gesetzentwurf und stärken - das ist sehr wichtig - die
Position der Vertrauensperson. Um Unsicherheiten abzubauen, muss deutlich werden, dass die Vertrauensperson
nicht für sich und nicht nach ihrer Intention entscheidet,
sondern die Aufgabe hat, dem Willen des Patienten oder
der Patientin Gehör zu verschaffen, ihnen eine Stimme
zu geben und ihrer Selbstbestimmung Ausdruck zu verleihen. Genau darum geht es.
({2})
Klar ist aber auch, dass Automatismus das Letzte ist,
was der individuellen Situation eines Schwerstkranken
gerecht wird. Jeder endgültigen Entscheidung gehen
Fragen und die Suche nach Anhaltspunkten voraus, ob
die beschriebene Situation nun eingetreten ist und ob
das, was in der Patientenverfügung festgehalten wurde,
wirklich dem aktuellen Willen entspricht. Dabei kann es
nicht nur um den Blick aufs Papier gehen, sondern es
muss nach dem Menschen in der Situation gehen, in der
er oder sie gerade ist. Genau dafür - um das zu erkennen ist es notwendig, dass wir die Möglichkeit berücksichtigen, dass sich der aktuelle Wille geändert haben kann.
Wir müssen aber auch respektieren, dass jemand, der
sich beraten lassen hat - wir wollen, dass diese Leistung
von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen
wird -, die Möglichkeit hat, seinen Willen zu bestätigen.
Das muss akzeptiert werden. Übrigens glaube ich, dass
die Beratung als GKV-Leistung entscheidend und wichtig ist.
Frau Kollegin.
Denn sie gewährleistet, dass wir uns sehr viel stärker
mit Tod und Sterben auseinandersetzen.
Wenn wir heute zu einem Beschluss kommen, dann
sind wir nicht am Ende der Diskussion, sondern am Anfang dessen, was wir zu den Fragen von Tod und Sterben
regeln müssen.
Frau Kollegin.
Letzten Endes geht es um die Würde. Dafür werden
wir als Menschen in der Gesellschaft noch viel tun müssen und auch noch das eine oder andere Gesetz zu beschließen haben.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lukrezia
Jochimsen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Unser Lebensende hat
sich völlig verändert. Den natürlichen Tod gibt es nicht
mehr, hat Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe festgestellt. Viel häufiger sei der Tod nach langwieriger Behandlung. Weil das so ist, müssen wir für diese Lebensphase Rechtssicherheit schaffen, und zwar für jene
Millionen Menschen, die diese Rechtssicherheit dringend wollen.
({0})
Schätzungen zufolge werden jedes Jahr in den Krankenhäusern in 400 000 bis 600 000 Fällen medizinische
Entscheidungen am Sterbebett notwendig. Wer da das
Selbstbestimmungsrecht ernst nimmt, muss dem Patienten für jede Krankheitsphase das Recht zugestehen, über
Einleitung oder Abbruch einer lebenserhaltenden oder
das Sterben verlängernden Maßnahme selbst zu entscheiden. Diese Rechtssicherheit gibt der Stünker-Entwurf, für den ich hier im Namen von über
30 Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion spreche.
In diesem Entwurf wird genau und ganz bewusst nach
Art und Stadium der Erkrankung differenziert.
Viele Menschen haben die Befürchtung, am Ende ihres Lebens der Intensivmedizin hilflos ausgeliefert zu
sein, die die physische Lebenserhaltung in den Vordergrund stellt. Millionen von ihnen haben deshalb Patientenverfügungen verfasst. Rechtsverbindlich sind diese
aber nicht. Ob Ärzte oder Betreuer sie umsetzen, ist offen. Insofern kann ich - bei allem Respekt - die Ansicht
derjenigen Abgeordneten nicht teilen, die meinen, man
solle am besten alles so lassen, wie es ist.
Wissen Sie, wie es ist? 140 000 Ernährungssonden
werden jedes Jahr in Deutschland gelegt, zwei Drittel
davon bei Bewohnern von Pflegeheimen. Diesem Patientenkreis gehören nach Schätzungen 400 000 bis
500 000 Menschen an. Die Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung hat in einem Dossier vom Juni 2008
festgestellt, dass die Zwangsernährung Sterbender in
Deutschland zum medizinischen Standard wird. Das ist
die Realität. Sie steht im scharfen Kontrast zu dem, was
die Menschen wollen. Der Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, hat öffentlich erklärt:
Wir erleben in der Praxis täglich, dass die Menschen, die bei uns Rat einholen, künstliche Ernährung kategorisch ablehnen. Dahinter steht die Angst
vor einem jahrelangen Dahinvegetieren, vor einem
Leben ohne Lebensqualität, das nur durch die Magensonde aufrechterhalten wird. Dieser Angst gilt
es zu begegnen.
({1})
Diese Angst müsste für uns Verpflichtung sein, die Verhältnisse, so wie sie sind, zu verändern und endlich
Rechtssicherheit zu schaffen, damit Menschen selbstbestimmt sterben können, wenn sie es wollen; wohlgemerkt: wenn Sie es wollen. Niemand muss oder soll eine
Patientenverfügung verfassen. Wer findet, dass es gut ist,
wie es ist, dem wird nichts aufgedrängt.
({2})
Aber den anderen, die selbstbestimmt über ihren
Körper verfügen möchten, auch wenn sie dies nicht
mehr artikulieren können, muss der Gesetzgeber dies ermöglichen. Jede Person, die eine Patientenverfügung
verfasst hat, muss sicher sein, dass diese geachtet und
umgesetzt wird. Dabei geht unser Gesetzentwurf von einem Dialog zwischen Arzt und Betreuer aus. Der Arzt
muss zunächst prüfen, welche Maßnahmen mit Blick auf
den Zustand und die Prognose des Patienten indiziert
sind. Dann müssen diese Maßnahmen unter Berücksichtigung des verbindlichen Patientenwillens erörtert werden. Der Patientenwille ist also ausschlaggebend.
Wichtig ist, dass die Anwendbarkeit der Verfügung
daraufhin überprüft wird, ob sie dem aktuellen Willen
entspricht. Es gibt also keinen Automatismus im
Stünker-Entwurf. Ich bitte Sie, das einmal zur Kenntnis
zu nehmen.
({3})
Dadurch, dass man immer von „Automatismus“ redet, wird es doch nicht wahrer. Ganz wichtig ist schließlich: Das Vormundschaftsgericht muss nur bei Zweifeln
am Patientenwillen oder bei Missbrauchsverdacht eingeschaltet werden.
„Die Politik versagt vor dem Sterben“ - diesen Vorwurf hat uns Parlamentariern der Palliativmediziner Professor Borasio kürzlich in einem FAZ-Artikel gemacht,
weil trotz jahrelanger Arbeit bisher keine gesetzliche Regelung für Patientenverfügungen geschaffen wurde.
Ärzte, Betreuer und viele Kranke, aber auch Gesunde
warten darauf. „Die Politik versagt vor dem Sterben“ meine ganze Hoffnung richtet sich darauf, dass sich das
mit dem heutigen Tag ändert und Selbstbestimmung und
Fürsorge am Ende des Lebens ermöglicht werden.
Ich danke Ihnen.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Jochimsen, wenn es einen Beweis
dafür gibt, dass das Parlament vor dem Sterben nicht
versagt, dann ist es, unabhängig davon, wie die heutige
Abstimmung ausgeht, diese Debatte, wie sie bisher geführt wird. Das muss das Parlament auch einmal nach
draußen deutlich machen.
({0})
Heute ist mit Lord Dahrendorf jemand gestorben, der
für ein FDP-Mitglied sehr große Bedeutung hat.
({1})
Zu seinem 80. Geburtstag ist in der FAZ ein Artikel erschienen, der die schöne Überschrift „Die Freiheit, sich
anders zu entscheiden“ trägt. Das ist der Kern, um den es
geht, nämlich die Angst, sich falsch entschieden zu haben und es nicht mehr rückgängig machen zu können.
({2})
Das ist die Angst der Menschen, Herr Kollege Stünker.
Ich rede nicht von den juristischen Kategorien wie Sie,
sondern von der Angst, die mir in Gesprächen begegnet.
Wenn ich mich entscheide, dann will ich, dass das gilt.
Aber ich will immer die Hoffnung haben, mich nicht
falsch zu entscheiden.
({3})
In einem immerwährenden Dialog muss sich jeder damit
auseinandersetzen.
Vor diesem Hintergrund sage ich an die Adresse von
Herrn Hüppe und des Ärztepräsidenten: Es gibt schon
rechtliche Regelungen. Es geht nicht um die Frage: kein
Gesetz oder ein schlechtes Gesetz. Es gelten bereits Gesetze. Neben der Menschenrechtskonvention gibt es das
Grundgesetz, das auch aufgrund der Drittwirkung von
Grundrechten für das Verhältnis des Patienten zum Arzt
gilt.
({4})
- Das Betreuungsrecht auch. - Mir geht es darum, das
ganz hoch anzusetzen. Deshalb verweise ich auf die Verfassung. Nun müssen wir uns fragen, ob wir es präzisieren können. Wir können auf keinen Fall ganz präzise
sein. Wir können nicht den Einzelfall regeln. Das sollten
wir als Gesetzgeber erst gar nicht versuchen. Aber können wir es besser machen, oder sollten wir es bei dem
belassen, was ist? Ich glaube, die weit überwiegende
Mehrheit ist genauso wie ich der Meinung: Wir haben
eine Verpflichtung, es zu regeln, um den Bürgern größere Sicherheit zu geben.
({5})
- Nichts im Leben ist vollständig sicher, Kollege Hüppe.
So ist das nun einmal. Man kann im nächsten Moment
die Treppe herunterfallen und sich verletzen. Das müssen wir hinnehmen. Das ist Teil der Begrenztheit der
Kontrolle unserer eigenen Existenz. Wir als Gesetzgeber
haben aber die Aufgabe, den Bürgern gegenüber dafür
zu sorgen, dass es in möglichst wenigen Fällen passiert
und dass sie möglichst viele Leitplanken haben, die sie
dabei stützen, das Leben verantwortungsvoll zu führen.
Der Unterschied - deswegen setze ich mich für den
Bosbach-Entwurf ein - wird für mich in der Frage der
Abstufung deutlich. Kann man sagen, dass es sich bei
der Freiheit der Selbstbestimmung im Bereich der Patientenverfügung immer um die gleiche Freiheit handelt?
Ich sage Ihnen: Nein, denn sie ist von unterschiedlichen
Verantwortungen geprägt. Wenn es sich um den Einzelnen mit Blick auf sich selber handelt, dann ist es vielleicht die gleiche Verantwortung. Aber was ist, wenn die
Krankheit nicht tödlich verläuft? Dann ist das größte
Problem für die Angehörigen und die Umwelt, die Frage
zu beantworten: Kann ich bei diesem Menschen, der nun
ohne Bewusstsein ist - um diesen Fall geht es -, loslassen? Wir als Gesetzgeber müssen Hilfen geben und dies
ermöglichen. Aber es darf sich nicht einfach nur um eine
selbstentschiedene, sondern muss sich um eine selbstbestimmte Beantwortung der Frage handeln, die sich der
Patient in seiner Patientenverfügung gestellt hat.
({6})
Selbstbestimmt bedeutet, möglichst genau zu wissen,
was man macht. Deswegen haben wir immer wieder
festgestellt - ich erinnere an die Debatte über Spätabtreibungen, ohne einen Vergleich zu ziehen -: Es bedarf einer Abstufung. Je schwerwiegender und stärker der EinOtto Fricke
griff in die Grundrechte und das Leben ist - es macht
nun einmal einen Unterschied aus, ob es sich um einen
tödlichen Verlauf handelt oder nicht -, desto mehr ist der
einzelne Bürger als Grundrechtsträger und verantwortungsvoller Mensch auch anderen gegenüber verpflichtet, sich damit auseinanderzusetzen. Deswegen glaube
ich, dass man bei der Frage unterscheiden muss, wie
man verantwortungsvoll mit einer Patientenverfügung,
die gelten soll, umgehen muss.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marlies
Volkmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jahrelang gab es Debatten und Anhörungen. Wir haben
uns durch Berge von Papier mit juristischen, medizinischen und ethischen Argumentationen durchgearbeitet.
Heute müssen wir Verantwortung übernehmen. Heute
müssen wir entscheiden.
Wir brauchen eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung. Das hat nicht zuletzt die Anhörung am
4. März dieses Jahres im Deutschen Bundestag sehr
deutlich gemacht. Eine gesetzliche Regelung liegt im Interesse von Patientinnen und Patienten; denn sie wollen
sicher sein, dass ihr verfügter Wille tatsächlich umgesetzt wird.
Als Ärztin sage ich Ihnen: Eine gesetzliche Regelung
liegt auch im Interesse der Pflegenden und der Ärztinnen
und Ärzte.
({0})
Auch sie wollen die Sicherheit, dass sie nicht mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen müssen, wenn sie zum
Beispiel die künstliche Ernährung oder die Flüssigkeitszufuhr bei einem Menschen abbrechen, der das verfügt
hat. Deshalb finde ich Ihren Antrag, Herr Hüppe, geradezu vermessen und auch unverantwortlich,
({1})
nach dieser Diskussion auf eine gesetzliche Regelung zu
verzichten.
({2})
Natürlich geht es nicht nur um eine gesetzliche Regelung. Es geht darum, dem Selbstbestimmungsrecht der
Menschen Geltung zu verschaffen, unabhängig vom
Krankheitsstadium. Das ist eine eindeutige Position gegenüber dem paternalistischen Prinzip: Der Arzt wird
schon wissen, was für mich das Richtige ist.
({3})
Ich werde heute dem sogenannten Stünker-Entwurf
zustimmen, obgleich ich zunächst Bedenken geäußert
und einen Änderungsantrag initiiert habe, der auch Gegenstand der Anhörung war. Hintergrund für meine Zustimmung sind die vorgeschlagenen Änderungen im jetzt
vorliegenden Entwurf. Sie tragen meinen Einwendungen
zum großen Teil Rechnung. Im jetzigen Entwurf ist die
Rolle des Arztes bei der Entscheidungsfindung gemeinsam mit dem Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten
klar herausgearbeitet worden. Dieser dialogische Prozess gewährleistet, dass eine automatische Umsetzung
der schriftlichen Verfügung durch den Betreuer ausgeschlossen ist.
({4})
Es ist schade, dass keine Formulierung im Gesetzestext gefunden werden konnte, die die Bedeutung der Beratung vor der Abfassung der Patientenverfügung zum
Ausdruck bringt. Aber immerhin gibt es jetzt in der Begründung einen ausführlichen Hinweis auf die Bedeutung der Beratung vor Abfassung einer Patientenverfügung, damit ebendiese Patientenverfügung wirklich
hinreichend konkret ist. Ich bin froh darüber, dass dies
im Entwurf enthalten ist. Ich möchte jedem raten, vor
Abfassung einer Patientenverfügung eine qualifizierte
Beratung wahrzunehmen.
({5})
Ich bin gefragt worden, warum ich nicht dem
Bosbach/Röspel-Entwurf meine Stimme gebe, der eine
ärztliche Beratungspflicht enthält und mittlerweile auch
nicht mehr die Beglaubigung durch einen Notar vorsieht.
Das Problem des Bosbach/Röspel-Entwurfs ist es, dass
die Selbstbestimmung des Patienten unzulässig eingeschränkt wird.
({6})
Werden die Kriterien einer qualifizierten Verfügung
nicht erfüllt, dann ist die Verfügung nur bei zum Tode
führenden Erkrankungen gültig. Wenn dieser Gesetzentwurf angenommen würde, würde sich die Situation für
alle Beteiligten schlechter darstellen als heute.
({7})
Der Zöller/Faust-Entwurf misst dem Arzt einen zu
großen Entscheidungsspielraum zu. Es werden denkbare
Behandlungsmöglichkeiten nur „unter Berücksichtigung“ des Patientenwillens geprüft. Das Grundrecht der
Selbstbestimmung verlangt, dass eine verbindliche Patientenverfügung strikt zu beachten ist. Der Zöller-Ent25104
wurf öffnet der freien Auslegung Tür und Tor. Davon abgesehen, muss eine Patientenverfügung dem ZöllerEntwurf zufolge nicht schriftlich vorliegen. Patienten
müssen aber vor Fremdbestimmung und Umdeutungen
ihrer Patientenverfügung geschützt werden.
({8})
Deshalb ist die Schriftform keine überflüssige Formalie,
sondern eine Wirksamkeitsvoraussetzung.
Ziel muss eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung sein, die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit
schafft und das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen
und Patienten stärkt. Deswegen stimmen Sie bitte dem
Stünker-Entwurf zu.
({9})
Das Wort hat der Kollege Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Strässer hat bereits dargelegt, dass
die Patientenverfügung für zwei Phasen Geltung haben
soll, nämlich die Phase der zum Tod führenden Krankheit - man könnte vielleicht, wenn man es enger sieht,
„Sterbephase“ sagen - und die Phase der schweren
Erkrankung, die aber noch nicht zum Tod führt, sondern
in der der Mensch weiterleben kann. Das sind die zwei
Elemente, über die wir nachdenken müssen, wenn es um
die Patientenverfügung geht.
Für die erste Phase und für die zweite Phase geht es
um die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts. Herr
Kollege Fricke hat eben eine sehr feine Unterscheidung
zwischen Selbstbestimmung und Selbstentscheidung
getroffen. Sind wir immer so selbstbestimmt, wie wir
glauben?
({0})
Lieber Herr Stünker, wir sind von unseren kulturellen
Vorstellungen, von unserer Erziehung und von unseren
Eltern abhängig; wir sind abhängig von unseren Lehrern
und von den Menschen, die uns umgeben und deren
Erwartungen wir erfüllen wollen; wir sind abhängig von
den Einflüssen der Medien und von allen möglichen
Dingen. Von diesen Faktoren wird unsere Entscheidung
bestimmt. Wir sind nicht so selbstbestimmt, wie wir zu
sein glauben. Ich meine, dass dieser Gedanke hier einmal Erwähnung finden muss.
({1})
Der zweite Punkt ist, dass alle drei Entwürfe im Hinblick auf die Phase der zum Tode führenden Krankheit in
etwa übereinstimmen. Alle drei Entwürfe besagen, dass
es in dieser Phase darauf ankommt, dass der Wille des
Menschen, der nicht an Schläuchen hängen will, der
nicht will, dass sein Sterben unnötig hinausgezögert wird,
der nicht so behandelt werden will, dass das Sterben noch
länger dauert, als es ohnehin schon andauert, respektiert
wird. Alle drei Entwürfe wollen übereinstimmend nicht,
dass ein Mensch nur noch das Objekt der ärztlichen
Behandlung ist, wenn dadurch keine Besserung mehr
eintritt. Aber wir unterscheiden uns hinsichtlich der
zweiten Phase bei der Frage, ob der Patientenwille, der
einmal in gesunden Tagen verfügt worden ist, auch noch
gilt, wenn der Patient in eine Phase eintritt, in der er
schwer krank ist und in der er seine Entscheidungsfähigkeit verloren hat, in der er aber noch leben kann. Hier
kommt der Bosbach-Entwurf, wenn ich es richtig sehe,
dem Grundsatz des Lebensschutzes und dem Grundsatz
der Selbstbestimmung und einem vernünftigen Ausgleich zwischen beiden am nächsten. Warum?
Der Stünker-Entwurf, aber auch der Zöller-Entwurf
sehen vor, dass auch in dieser Phase unbedingt an der
einmal verfügten Entscheidung festgehalten werden
muss. Die Entscheidung wurde aber oft in einer Lebensphase getroffen, in der der Mensch noch volle Teilhabe
hatte und voll ins gesellschaftliche Leben integriert war,
in der er noch sportlich und aktiv sein konnte, in der er
nach der Ideologie des Erfolgs und des Wohlbefindens
lebte. In dieser Phase trifft er die Entscheidung, weil er
nicht will, dass er am Ende, wenn er nicht mehr entscheidungsfähig ist, aber noch leben kann, den Ärzten,
den Apparaten und vielleicht auch der Verwandtschaft
ausgesetzt ist. Wir sind der Auffassung - dabei stützen wir
uns auf die Erfahrung der Palliativmedizin -, dass ein
Mensch, der eine Entscheidung in der Phase des vollen
Lebens, die ich beschrieben habe, für die Phase getroffen
hat, in der er noch weiterleben kann, aber schwer beeinträchtigt ist, trotzdem an seinem Leben festhalten will,
wenn er in diese Phase hineingerät. Das soll die Regel
sein, sagen uns die Ärzte. Er will weiterleben, selbst
wenn die Voraussetzungen vorliegen, die er vorher in der
Patientenverfügung niedergelegt hat. Sie, Herr Stünker,
sagen in Ihrem Entwurf in Übereinstimmung mit dem
Bosbach- wie auch dem Zöller-Entwurf: Wenn er sich so
gegen seine eigene Entscheidung von damals richtet,
dann muss das berücksichtigt werden.
Aber mit welchem Recht sagen wir dann, dass das keine
Geltung für denjenigen haben soll, der entscheidungsunfähig ist und in eine solche Situation gerät? Wie ist denn
das möglich? Ist es ausgeschlossen, dass er seinen Willen
geändert und lediglich nicht mehr die Fähigkeit hat, dies
zu kommunizieren? Wir wissen, dass es in dieser Phase
an der mangelnden Kommunikationsfähigkeit liegt. Die
Leute haben ein Innenleben, kommen damit aber nicht
mehr nach außen, und wir kommen nicht hinein, sagen
uns die Ärzte.
Das müssen wir meiner Meinung nach berücksichtigen,
im Interesse des Lebens und im Interesse des Patienten.
Es geht nicht um Bevormundung, es geht nicht darum,
dass wir, dem Gesetz der Kirchen folgend, sagen, niemand
dürfe sein Leben aus der Hand geben, nur vom Schöpfer
dürfe es ihm genommen werden. Nicht darum geht es,
sondern um die Achtung des Selbstbestimmungsrechts,
Herr Kollege!
- um die Beachtung der Möglichkeit, dass er es sich
doch noch anders überlegt hat. Der Forderung, dies zu
beachten, kommt der Bosbach-Entwurf am nächsten.
Deshalb bitte ich Sie, diesen Entwurf zu unterstützen.
Danke schön.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Jerzy Montag.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Schicksal zweier Frauen lässt mich seit Monaten
nicht los und beschäftigt mich immer wieder, wenn es
um die Patientenverfügung geht.
Die erste hieß Martha Crawford von Bülow; sie nannte
sich immer Sunny von Bülow. Sie ist im Dezember 1980
ins Koma gefallen und starb 28 Jahre später, vor sieben
Monaten, am 6. Dezember 2008, ohne je wieder das
Bewusstsein erlangt zu haben. Ihr Fall ist weltberühmt
geworden, weil ihr Ehemann zweimal wegen angeblich
versuchten Mordes vor Gericht stand. Darüber sind Bücher
geschrieben und Filme gedreht worden.
Die zweite Frau hieß Eluana Englaro und war Italienerin. Sie war 21 Jahre alt, als sie am 18. Januar 1992
bei Glatteis mit einem Auto von der Straße abkam und
frontal gegen eine Mauer prallte. Nach dem Unfall fiel
sie ins Koma. Zwei Jahre später erklärten die Ärzte, ihr
Zustand sei irreversibel. Sie verstarb vor fünf Monaten,
am 9. Februar 2009, nach 17 Jahren im Koma.
Jahrelang hat ihr Vater für das Sterberecht der Tochter
gekämpft, weil diese, so der Vater, niemals in einem solchen Zustand hätte am Leben gehalten werden wollen.
Die Gerichte in Mailand haben dem Vater recht gegeben,
ebenso das Verfassungsgericht in Rom. In einer Nachtund-Nebel-Aktion hat Berlusconi versucht, mit einer Notverordnung dem italienischen Verfassungsgericht in den
Arm zu fallen. Dies ist zum Glück misslungen. Daraufhin
haben die Ärzte die künstliche Ernährung erst reduziert
und dann beendet.
Meine Damen und Herren, ich bin heute sicherer denn
je, dass wir den Gesetzentwurf von Kollegen Stünker und
anderen brauchen. Denn er würde bewirkt haben, dass
diese beiden Frauen, wenn sie eine Patientenverfügung
geschrieben hätten, dieses Leid nicht über 17 oder 28 Jahre
hätten erleiden müssen.
({0})
Wie viele von uns habe ich in den letzten Monaten an
vielen Veranstaltungen teilgenommen, an Gesprächsrunden
über Patientenverfügungen. Die letzte fand vor zwei Wochen bei der Arbeiterwohlfahrt in München statt. Dort
waren 40 bis 50 ältere Menschen, und meine Erfahrung
ist: Kein einziger hatte Angst davor, dass er sich, wenn er
eine Patientenverfügung schreibt und man diese beachtet,
vielleicht doch in einem entscheidungsunfähigen Zustand
anders entschließen würde. Alle, mit denen ich gesprochen habe, hegten vielmehr die Befürchtung: Um Gottes
willen, wenn es mit mir einmal zu Ende geht, will ich
nicht, dass ihr mich an Schläuche hängt. Ich will das
nicht! - Das haben die Menschen uns gesagt, und deswegen
brauchen wir jetzt eine gesetzliche Regelung.
({1})
Hans Küng hat im Februar 2009 einen erschütternden
Bericht über seine Beobachtungen bei seinem Freund
und Nachbarn Walter Jens veröffentlicht.
({2})
- Er lebt noch, ja, natürlich. - Der Bericht von Hans
Küng endet mit einem Appell an die Juristen und vor allem
an die Politik, also an uns Abgeordnete: Bringen Sie bitte
zügig gesetzliche Regelungen einer streng verbindlichen
Patientenverfügung auf den Weg, die von allen Instanzen
unbedingt respektiert werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine feste Überzeugung ist: Nach jahrelangen
quälenden, aber notwendigen Debatten ist jetzt eine Entscheidung notwendig. Wir müssen sie fällen.
({3})
Wir sind uns im Grundsatz über die Achtung der
selbstverantworteten Entscheidung einig - ich will da
keine falschen Fronten aufbauen -; aber die Unterschiede
liegen im Kleingedruckten, und das Kleingedruckte ist
nicht in unserem Gesetzentwurf, dem Stünker-Gesetzentwurf, enthalten, sondern im Bosbach-Gesetzentwurf.
Im vorderen Teil dieses Entwurfs wird zwar die Achtung
vor der Entscheidung beschrieben, aber durch die im
hinteren Teil aufgeführten Ausnahmen kann alles rückgängig gemacht werden.
({4})
Ich sage Ihnen: Wenn wir den Bosbach-Gesetzentwurf
verabschiedeten, wäre das die allerschlechteste Lösung,
die wir den Menschen anbieten können. Wir würden so
den jetzigen Zustand verschlechtern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns
jetzt entscheiden. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung
zu unserem Vorschlag. Er achtet die Selbstbestimmung.
Er enthält keinerlei Automatismus. Er fördert und verhindert nicht das Gespräch mit dem Arzt und den Angehörigen. Nach unserem Gesetzentwurf werden Gerichte nur
dann eingeschaltet, wenn es unbedingt nötig ist. An Sie,
Herr Zöller, gerichtet: Durch die Schriftform, die wir im
Gegensatz zu Ihnen verlangen, schützt unser Vorschlag
tatsächlich vor Unklarheiten und übereilten Entscheidungen.
Danke schön.
({5})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Markus Grübel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Welche Ziele verfolgen die vorliegenden Entwürfe? Die Verrechtlichung oder Bürokratisierung des
Sterbens auf jeden Fall nicht, Herr Kollege Kauch. So
einzigartig wie das Leben ist auch das Sterben. Wer
wollte das in diesem Hause ernsthaft bestreiten? In dieser
schwierigen ethischen und rechtlichen Frage schuldet
der Gesetzgeber den Beteiligten ein Höchstmaß an
Rechtssicherheit, vor allem den Schwerstkranken, aber
auch den Angehörigen, den Ärzten, den Pflegekräften,
den Betreuern und den Bevollmächtigten. Für sie müssen
wir Klarheit schaffen über Wirksamkeit und Reichweite
von Patientenverfügungen, über Form und Verfahrensfragen.
Wir haben seit langem eine Rechtsprechung des BGH
in Straf- und Zivilsachen. Diese Rechtsprechung wird
entweder heftig kritisiert oder ganz unterschiedlich interpretiert. Ich möchte ein Beispiel aus diesem Hohen
Hause geben. Kollege Stünker schrieb im April 2005 in
seine Begründung, dass er entgegen der Auffassung des
BGH in seiner Entscheidung vom 17. März 2003 keine
Reichweitenbeschränkung will. Er wollte also ein Gesetz,
um die falsche Rechtsprechung des BGH abzuändern. In
der Orientierungsdebatte am 29. März 2007 sagte Kollege
Stünker dann:
Deshalb postuliert die heutige Rechtsprechung …
keine Reichweitenbeschränkung …
Er ist also für ein Gesetz, das im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH steht. Wenn schon der rechtspolitische
Sprecher einer großen Volkspartei die gleiche Rechtsprechung verschieden interpretiert, wie soll dann ein Arzt
oder Betreuer wissen, was eigentlich gilt?
Viele setzen auf die richterliche Rechtsfortbildung.
Aber die Gerichte haben uns doch eindeutig gesagt, dass
sie an die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
gekommen sind, dass es eben nicht die Aufgabe der
Gerichte ist, die Rechtsprechung dort fortzuentwickeln,
wo der Gesetzgeber, also wir in diesem Hohen Hause,
bewusst keine Regelung trifft. Die Gerichte haben uns
mehrfach aufgefordert, endlich Klarheit zu schaffen. Daher müssen wir uns der Verantwortung stellen, auch
wenn die Materie ebenso umstritten wie kompliziert ist.
Für die Regelungen stehen uns gemäß unserer Verfassung zwei absolute Werte zur Verfügung: auf der einen
Seite das Selbstbestimmungsrecht, auf der anderen Seite
der Lebensschutz. Keiner dieser Werte hat Vorrang vor
dem anderen. Darum sind wir aufgefordert, einen schonenden Ausgleich zwischen diesen beiden Werten herbeizuführen. Dieser schonende Ausgleich ist im Entwurf
von Bosbach, Röspel, Fricke und Göring-Eckardt am
besten gelungen.
Wir wollen erstens das Selbstbestimmungsrecht stärken, zweitens sicherstellen, dass das Wohl des Patienten
gerade dann Beachtung findet, wenn er in seinen
schwersten Stunden in ganz besonderer Weise auf die
Fürsorge anderer angewiesen ist, und drittens den Lebensschutz in angemessener Weise berücksichtigen.
Dies erscheint zwar selbstverständlich, ist aber hoch umstritten.
Im Grunde müssen wir uns zwei Fragen stellen: Erstens. Sind der aktuelle Wille und der vorausverfügte
Wille das Gleiche? Ist es das Gleiche, ob ich ein Gespräch mit einem Arzt führe oder ob ich auf dem Tisch
ein Papier liegen habe, auf dem ich ein Kreuz machen
und unterschreiben muss?
({0})
Jeder weiß, dass das ein Unterschied ist. Darum brauchen wir eine Regelung, die diesem Unterschied Rechnung trägt.
Zweitens muss man sich die Frage stellen: Ist es in
der ethischen und damit in der rechtlichen Bewertung
ein Unterschied, ob es sich bei einem Behandlungsabbruch oder einem Behandlungsverzicht, der zum Tode
führt, um einen Menschen mit einer unheilbaren Krankheit handelt, die unaufhaltsam zum Tode führt, bzw. um
einen Menschen, der sein Bewusstsein verloren hat ohne
jede Aussicht, das Bewusstsein wiederzuerlangen, oder
ob es sich um einen Menschen handelt, der eine heilbare
Krankheit hat, die nicht zum Tode führt, bzw. um einen
Menschen, der sein Bewusstsein verloren hat, bei dem
aber Aussicht darauf besteht, dass er sein Bewusstsein
wiedererlangt? Wer behauptet, dass hier ein ethischer
Unterschied besteht, muss zu dem Ergebnis kommen,
dass es rechtlich unterschiedlicher Regelungen bedarf.
Das kommt im Gesetzentwurf des Kollegen Bosbach
und anderer zum Ausdruck.
({1})
Der Entwurf des Kollegen Stünker differenziert nicht,
Frau Kollegin Jochimsen, sondern er regelt im Grunde
genommen beides gleich. Darum haben wir für die
Masse der Fälle eine einfache Patientenverfügung vorgesehen, ohne Hürden, und für die sehr geringe Zahl der
anderen Fälle die qualifizierte Patientenverfügung. Der
Gesetzentwurf verlangt, dass in diesen Fällen, also bei
einer heilbarer Krankheit, bei einer Krankheit, die nicht
zum Tode führt, oder bei Wachkoma mit Hoffnung auf
Bewusstseinswiedererlangung, ein beratendes Gespräch
mit dem Arzt stattfindet. Das dient der Selbstbestimmung des Patienten. Es dient der Sicherstellung, dass der
Patient sich bei der Formulierung seiner Patientenverfügung nicht getäuscht hat. Es dient dem Lebensschutz. In
anderen Bereichen würden wir sagen, dass es dem Verbraucherschutz dient.
({2})
Herr Kollege.
Auch das beratende Konzil ist keine Bürokratisierung. Vielmehr dient es der Selbstbestimmung, weil dadurch besser deutlich wird, was der Patient wollte. Man
muss die nahen Angehörigen sowie die Alten- und Krankenpfleger - die mitunter eine nähere Beziehung zum
Patienten haben als der Arzt - fragen, ob der Patient an
der Patientenverfügung festhalten will, wie der Patient
sie gemeint hat oder ob er möglicherweise seine Patientenverfügung widerrufen hat, ohne dass sie aus der Patientenakte gestrichen wurde.
Herr Kollege.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gehen Sie den Weg
der Rechtssicherheit mit, der den Lebensschutz und die
Selbstbestimmung miteinander verbindet, ohne große
Hürden aufzubauen. Stimmen Sie für den Gesetzentwurf
des Kollegen Bosbach.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich gebe das Wort der Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ungefähr 9 Millionen Menschen haben eine Patientenverfügung verfasst. Das ist die Einschätzung des
Hospizvereins. Das heißt, sie haben eine Patientenverfügung formuliert, weil sie Angst haben, dass sie in einer
schwierigen gesundheitlichen Situation so behandelt
werden, wie das vielleicht ein Dritter für gut befindet.
Vielmehr wollen die Menschen selbst vorgeben, wie sie
behandelt werden, was mit ihnen passiert oder was eben
nicht mit ihnen passieren soll.
Unsere Beratung und Abstimmung heute Nachmittag
müssen dazu führen, dass für diese 9 Millionen Menschen Rechtssicherheit einkehrt.
({0})
Das bedeutet, dass dem Willen dieser Menschen, den sie
mit oder ohne Beratung und unter Einbeziehung von
Freunden, Verwandten, Pflegekräften, Ärzten und Pfarrern niedergelegt haben, entsprochen wird. Dieser Wille
muss aber auch dann respektiert werden, wenn sie sich
allein überlegt haben, was mit ihnen für den Fall passieren soll, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.
Wir müssen diese Rechtssicherheit herstellen und vielen Menschen Mut machen, sich schon im gesunden Zustand darüber Gedanken zu machen, was mit ihnen passieren kann. Wir müssen diese Menschen in die Lage
versetzen, ihre Selbstbestimmung auszuüben und ihren
Willen niederzulegen. Auch dieses Signal geht von dieser Debatte aus. Die Entscheidung, die nachher vom
Deutschen Bundestag getroffen wird, muss dies gewährleisten.
({1})
Ich werbe für den Entwurf von Herrn Stünker und
Kollegen. Denn dieser Entwurf - das haben viele Redner
bereits gesagt - enthält die klare Aussage, dass der formulierte Wille oder das, was aus der Verfügung heraus
als Wille zu verstehen ist, auch dann durchgesetzt werden muss, wenn sich der betreffende Mensch im Zustand
der Einwilligungsunfähigkeit befindet. Es darf nicht
sein, dass ein Dritter Überlegungen darüber anstellt, was
hätte sein können. Wer seinen Willen formuliert hat, will
die Sicherheit haben, dass dieser Wille nachher von den
von ihm beauftragten Personen auch durchgesetzt wird.
({2})
Ich möchte nicht, dass ein Dritter beispielsweise mit
einer anderen religiösen Überzeugung, mit einem anderen kulturellen Hintergrund oder mit anderen ethischen
Vorstellungen sagt, was aus seiner Sicht das Beste für
mich wäre. Niemand weiß nämlich, wie sich ein anderer
entscheiden würde; niemand kann einem anderen einen
Willen bzw. eine Willensänderung unterstellen.
({3})
Wir wollen mit unserem Entwurf dazu beitragen, dass
diejenigen, die sich für eine Patientenverfügung entscheiden - jeder hat das Recht, es nicht zu tun -, Rat in
Anspruch nehmen können, wenn sie es möchten. Vielleicht führt das dazu, dass in einer Verfügung manches
verständlicher formuliert würde. Aber das Verfassen einer solchen Verfügung darf nicht davon abhängen, ob
der Betreffende die Zeit hat, sich von einem Arzt beraten
zu lassen. Dies kann sich nämlich unter Umständen über
Monate hinziehen. Vielleicht möchte sich der Betreffende auch mit jemandem beraten, der zwar kein Arzt
ist, der aber entsprechende Kenntnisse bzw. Erfahrungen
hat, weil er intensiv Pflege betreibt, sei es ehrenamtlich
oder hauptamtlich.
({4})
Es muss doch auch möglich sein, mit Vertretern von
Hospizvereinen zu sprechen. Wir können keine Zwangsberatung vorschreiben. Deswegen haben wir, ausgehend
von der Anhörung, Wert darauf gelegt - das war für die
Unterstützer des Vorschlags des Kollegen Stünker ganz
wichtig -, diesen dialogischen Prozess im Gesetzentwurf
zu verankern. Das kann vielleicht dazu beitragen, dass
manche Bedenken von einigen Kollegen, denen dieser
Punkt ganz wichtig ist, überwunden werden.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wir
alle haben viele Eingaben und Briefe erhalten; darunter
waren auch Briefe von Ärzten. Es gibt keinen formellen
Beschluss der Bundesärztekammer. Der Präsident der
Bundesärztekammer hat seine Auffassung vertreten. Es
ist sein gutes Recht, uns diese mitzuteilen. Aber wie
viele Ärzte gibt es, die tagtäglich Dramen erleben!
({5})
Diese fordern uns auf: Bitte entscheidet euch und schafft
eine gesetzliche Grundlage! Das empfinde ich als einen
wichtigen Auftrag.
Vielen Dank.
({6})
Ich gebe das Wort der Kollegin Herta DäublerGmelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, die langen Diskussionen, die hier zum Teil
beklagt wurden, haben sich insgesamt positiv auf unsere
Debattenkultur und auch auf den Umgang mit Patientenverfügungen ausgewirkt. Man konnte es sehen: Viele
Redner haben anderen ein bisschen mehr zugehört als
sonst; das finde ich gut. Bei manchem Redner hat man
das Zuhören auch etwas vermisst; aber insgesamt gesehen haben sich die langen Debatten gelohnt.
Lassen Sie mich als Schirmherrin der deutschen Hospizbewegung eine Vorbemerkung machen. Ich finde es
großartig, wie viel unterstützende Worte bezüglich Hospizversorgung, Palliativmedizin, Hilfe beim Leiden und
Sterben aus diesem Haus nach außen gedrungen sind.
Wir haben eine Menge erreicht. Aber ich glaube, wir
müssen noch sehr viel mehr tun,
({0})
übrigens nicht nur in gesetzlicher Hinsicht. Vielmehr
müssen wir denjenigen danken, die heute schon als
Ärzte, Schwestern oder ehrenamtliche Sterbebegleiterinnen und Sterbebegleiter tagtäglich mit Leidenden und
Sterbenden menschlich umgehen, und sie ermutigen, das
weiter zu tun. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass
diejenigen, die das noch nicht tun, endlich die nötigen
Informationen erhalten. Denn wir wissen doch genau,
dass die Schwierigkeiten, die Kollegin Jochimsen dargestellt hat, weniger auf das Fehlen von Gesetzen als vielmehr auf das Fehlen von Informationen und das Nichtumsetzen der vorhandenen rechtlichen Verpflichtungen
zurückzuführen sind. Hier wird ungeachtet der gesetzlichen Regelung, die dieses Haus heute beschließen wird,
noch eine Menge zu tun sein. Meine Bitte ist: Lassen Sie
uns das gemeinsam nicht aus dem Auge verlieren!
Ich finde es sehr gut, dass man an vielen Reden in diesem Hause spürte, dass die Redner selber in schweren
Krankheiten, auf Intensivstationen oder in Grenzerfahrungen anderer Art erlebt haben, was dann wirklich
zählt: menschliche Zuwendung, Vertrauen und Hilfe.
Flotte Reden, pauschalierte Gesetzentwürfe oder gut
klingende Sprüche wie „Die Politik versagt vor dem
Sterben“ hingegen werden hier völlig bedeutungslos. Es
muss darum gehen, den Menschen - den Betroffenen,
den Angehörigen, aber auch den Ärztinnen und Ärzten,
Schwestern und Pflegern - zu helfen. Dabei dürfen wir
allerdings nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir
durch ein Gesetz jegliche Unsicherheit abschaffen; das
ist nur sehr begrenzt möglich.
Wir müssen auch deutlich sagen, dass Patientenverfügungen bereits heute rechtsverbindlich sind. Sie gelten
bereits heute. Die Probleme liegen nicht in der fehlenden
Rechtsverbindlichkeit, sondern darin, dass viele Menschen die nötigen Informationen noch nicht erhalten
oder noch nicht verarbeitet haben.
Aber wenn wir über ein neues Gesetz reden wollen,
muss es einige Anforderungen erfüllen. Dazu gehört erstens, dass nur das geregelt wird, was sinnvollerweise geregelt werden kann, und nicht mehr. Das tut der Entwurf,
den ich mit unterschrieben habe und für den ich werbe.
Dieser Gesetzentwurf lässt jede Patientenverfügung gelten. Die Kollegin Volkmer hat verlangt, eine Patientenverfügung müsse auf jeden Fall in schriftlicher Form
vorliegen, weil alles andere Fremdbestimmung bedeute.
Dazu sage ich: Natürlich ist es besser, wenn die Patientenverfügungen in schriftlicher Form vorliegen, wie das
heute schon bei Millionen der Fall ist. Aber warum sollte
eine klare, nachweisbare Patientenverfügung nur deshalb nicht gelten, weil sie nicht schriftlich vorliegt?
({1})
Wer für die Selbstbestimmung des Patienten eintritt,
muss sich das doch fragen lassen.
Zweitens ist wichtig, dass in jedem Einzelfall geprüft
wird, ob die Patientenverfügung mit der Lage, in der sich
der Patient befindet und die entschieden werden muss, in
Einklang steht. Lassen Sie mich unterstreichen: Ich bin
sehr froh, dass das jetzt auch im Stünker-Entwurf klargestellt wurde. Der Grund, warum wir auf die Klarstellung
gedrängt haben, ist nicht, dass wir Ärzten oder Pflegern
misstrauten; das tun wir in keiner Weise. Aber wir wissen ganz genau, dass in einer älter werdenden Gesellschaft die ökonomischen Zwänge schon heute in eine bestimmte Richtung drängen. In diese Richtung wollen wir
nicht. Wir wollen auch nicht - um das sehr deutlich zu
sagen -, dass dieser Gesetzentwurf am Ende des Lebens
gegen das Leben missbraucht werden kann.
({2})
Frau Kollegin, ich will Sie nicht unterbrechen. Ich
möchte die Kolleginnen und Kollegen nur bitten, die
Ernsthaftigkeit dieses Themas zu würdigen und die
Plätze einzunehmen.
({0})
Wenn wir einen Gesetzentwurf machen, dann - dies
ist mein dritter Punkt - will ich einen, der Vertrauen zwischen den Betroffenen und den Angehörigen sowie den
Ärzten fördert. Das ist einer der wichtigsten Punkte. Ich
habe schon erwähnt, dass sich Leiden und Sterben einer
pauschalierenden Regelung entziehen. Was bleibt dann
aber? Dann bleibt nur dieses Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Pflegepersonal auf der einen und Leidenden und ihren Angehörigen auf der anderen Seite.
Das müssen wir stärken. Das tut unser Gesetzentwurf.
Wenn ich dies alles zusammennehme - jede Patientenverfügung gilt; es gibt keinen Automatismus, nicht
mehr Regeln, als man sinnvollerweise regeln kann, und
vor allen Dingen eine Förderung des Vertrauensverhältnisses -, dann entspricht unser Gesetzentwurf diesen
Anforderungen. Und er hält, was er verspricht.
Herzlichen Dank.
({0})
Bevor ich das Wort dem Kollegen Stünker gebe,
möchte ich Sie bitten, Ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen und hier im Plenarsaal wirklich zuzuhören.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zum Ende der heute sehr sorgfältig geführten Debatte auf den Kern unserer Diskussion
zurückkommen. Es geht bei unserer Entscheidung letztendlich um das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen.
({0})
Art. 2 unserer Verfassung sagt:
Jeder hat das Recht auf … körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
Ich füge hinzu: Die Menschen haben einen Anspruch
darauf, dass dieses Selbstbestimmungsrecht nicht nur in
der Verfassung steht, sondern auch im Alltag eingehalten
wird.
({1})
Ausschließlich darum geht es bei unserer Entscheidung.
Es geht nicht darum - wie der Kollege Hüppe formuliert
hat -, wie ein schmerzfreies Sterben gesichert werden
kann. Nein, darum geht es nicht. Jeder Patient hat das
Recht, sich für oder gegen eine medizinische Behandlung zu entscheiden und gegebenenfalls deren Umfang
zu bestimmen. Jeder Patient hat aber auch das Recht, seiner Krankheit den natürlichen Verlauf zu lassen und die
Möglichkeiten der modernen Medizin und der Apparatemedizin nicht für sich in Anspruch zu nehmen. Denn unser Grundgesetz postuliert gerade keine Pflicht, das eigene Leben unter Ausnutzung aller Mittel so lange wie
möglich zu erhalten.
({2})
Das ist das Selbstbestimmungsrecht und das Menschenbild unseres Grundgesetzes. Dieses Selbstbestimmungsrecht wäre entwertet, wenn es nur so lange uneingeschränkt gelten sollte, wie ich mich als Patient klar
und deutlich selber äußern kann. Wenn ich mich selber
äußern kann, kommt keiner auf die Idee, mir zu sagen:
Du hast dich möglicherweise falsch entschieden. - Es
muss deshalb Gültigkeit auch für die Lebenssituation haben, in der ich mich nicht mehr äußern kann, für die ich
aber deshalb vorsorglich in einer Patientenverfügung
meine Willensbestimmung niedergelegt habe.
Diese Diskussion führt der Gesetzgeber im Grunde
seit 20 Jahren, nämlich seitdem wir im Jahre 1992 mit
dem Betreuungsrecht das alte Vormundschaftsrecht abgelöst haben,
({3})
wonach die Menschen entmündigt wurden, weil sie nicht
mehr in der Lage waren, ihre persönlichen Angelegenheiten zu regeln. Heute gibt es das Betreuungsrecht. Ein
Betreuer wird bestellt. Dieser entscheidet nicht danach,
was er für richtig hält, sondern danach, was der Wille
des Betreuten ist. Das ist heute ausdrücklich geltendes
Recht.
Herr Kollege Hüppe, Sie malen in Ihren Reden und
Interviews die Gefahr an die Wand, dass nach dem
Stünker-Entwurf der Arzt und der Betreuer zukünftig bei
der Feststellung des mutmaßlichen Willens entscheiden
könnten, ob ein Mensch - wie Sie sagen - sterben
müsse. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das ist heute geltende Rechtslage unseres Betreuungsrechts. Im Grunde
treffen der Betreuer und der Arzt diese Entscheidung.
Die Patientenverfügung schafft hier ein Korrektiv und ist
das Gegenteil von dem, was Sie überall in Deutschland
erzählen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen, die
eine Entscheidung selbstbestimmt getroffen haben, haben einen Anspruch auf Rechtssicherheit. Die Menschen
haben in einem Rechtsstaat Anspruch darauf, dass der
Staat ihnen Rechtssicherheit gewährt. Diese haben sie
heute nicht. Trotz mehrerer Urteile des Bundesgerichtshofes, in denen es heißt: „Dem Patientenwillen ist Geltung zu verschaffen“, trotz der Richtlinien der Bundesärztekammer, dass die Patientenautonomie zu achten ist,
haben wir keine Rechtssicherheit, wie die Diskussion
der letzten Jahre deutlich gezeigt hat.
Wir brauchen nicht mehr darüber zu diskutieren, woran das liegt. Es ist ganz einfach so, weil im Betreuungsrecht damals nicht geregelt wurde, wie es bei Entscheidungen am Ende des Lebens ist. Wer sich einmal die
Mühe macht, die Materialien durchzulesen, wird feststellen, dass die Kolleginnen und Kollegen damals über
genau die Fragen diskutiert haben, über die auch wir seit
sechs Jahren diskutieren. Da sie sich damals nicht entscheiden konnten, haben sie keine Regelung in das Gesetz hineingeschrieben. Die Entwicklung hat uns aber
gezeigt, dass es notwendig ist, dass wir jetzt endlich eine
klare Regelung ins Gesetz schreiben. Wir brauchen kein
Richterrecht, sondern wir - der Gesetzgeber, dieses
Hohe Haus - müssen die Voraussetzungen schaffen, die
erfüllt sein müssen, damit eine Patientenverfügung verpflichtend und gültig ist.
({5})
Darum müssen wir heute hier die Kraft aufbringen
- ich bitte darum -, zu einer Entscheidung zu kommen.
Es darf nicht dazu kommen, dass es wieder keine Entscheidung gibt, weil keiner der vorliegenden Entwürfe
eine Mehrheit findet;
({6})
denn die Menschen draußen im Land warten auf die
Rechtssicherheit, von der ich gesprochen habe.
({7})
Wenn ich von Rechtssicherheit spreche, dann meine ich
damit auch, dass wir keine Regelung schaffen dürfen,
die neue Rechtsunsicherheiten und nur vermeintlich
Rechtssicherheit schafft.
Ich will auf den Entwurf der Kollegen Bosbach,
Röspel und anderer im Einzelnen nicht eingehen; das ist
schon getan worden. Ich will nur eine Fallgestaltung
nennen, um zu verdeutlichen, wie genau man hinschauen
muss bei dem, was da ins BGB, Betreuungsrecht, geschrieben werden soll. Was bedeutet es, wenn eine qualifizierte Patientenverfügung, die ärztlich dokumentiert ist
- die notarielle Beurkundung ist ja nicht mehr vorgesehen -, einer vormundschaftlichen Genehmigung bedarf,
damit der Patientenwille umgesetzt werden kann? Was
macht der Arzt, bis die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vorliegt? Wie lange dauert die Genehmigung? Auf welcher Grundlage soll das Gericht entscheiden? Auf der Grundlage eines Stücks Papier, der
Patientenverfügung? Das Gericht entscheidet, obwohl es
den Menschen, um den es geht, nicht kennt.
Nein, entscheiden müssen diejenigen, die mit dem
Menschen zu tun haben, um den es geht und der die Patientenverfügung geschrieben hat: der Arzt und der Betreuer oder der Bevollmächtigte.
({8})
Wenn diese zu dem Ergebnis kommen, dass das, was
aufgeschrieben wurde, auch der aktuelle Wille ist, dass
die gegenwärtige Lebens- und Behandlungssituation
derjenigen entspricht, für die damals Vorsorge getroffen
wurde, dann entscheiden sie, ob die Patientenverfügung
umzusetzen ist. Das allein ist praktisch und lebensnah.
({9})
Ich will auf die vielen Haftungsprobleme nicht eingehen, die, wenn der Bosbach-Entwurf Gesetz würde, wie
eine Flut auf die Menschen und die Gerichte zukommen
würden. Ich kann nur sagen: Allein zum Schutz der
Ärzte, damit sie nicht in neue Haftungsprobleme kommen - darum wollen sie das nicht, darum lehnen sie diesen Gesetzentwurf ab -, darf dieser Entwurf kein Gesetz
werden.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem
Entwurf des Kollegen Zöller und der Kollegin DäublerGmelin machen. Ursprünglich waren wir uns sehr nahe.
Positiv ist, dass dieser Entwurf genauso wie unserer
keine Reichweitenbegrenzung vorsieht und von daher
die ganzen Probleme, die ich kurz anzureißen versucht
habe, nicht entstehen können. Leider fehlt in Ihrem Entwurf aber die Schriftform, und leider haben Sie, was ich
überhaupt nicht verstanden habe, nach der Anhörung
zwei Änderungen vorgenommen, die neue Rechtsunsicherheiten produzieren würden. Ich will sie Ihnen nennen. In der entsprechenden Vorschrift steht heute jetzt
neu:
Soweit dies erforderlich ist, willigt der Betreuer in
die vorgeschlagene medizinische Behandlungsmaßnahme ein …
Das wäre eine erneute Erforderlichkeitsklausel. Diese
haben wir vor gut zwei Jahren aus Art. 72 der Verfassung herausgenommen haben. Erforderlich vom Grundsatz her und für jede einzelne Maßnahme, oder was soll
das heißen? Wann ist die Einwilligung nicht erforderlich? Was geschieht, wenn die Einwilligung nicht erforderlich ist? Behandelt der Arzt dann ohne Einwilligung
des Betreuers oder des Bevollmächtigten? Wo bleibt im
Ergebnis die Patientenautonomie? Diese Fragen werden
in Ihrem Gesetzentwurf nicht beantwortet. Die Gerichte
müssten darüber entscheiden.
Die zweite Regelung, die sich zunächst einmal gut anhört, lautet:
Vor der Errichtung
- gemeint ist die Errichtung einer Patientenverfügung soll eine ärztliche Beratung … erfolgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss wissen,
was in der Sprache des Gesetzes „soll“ heißt. In der
Sprache des Gesetzes heißt „soll“: Du musst, wenn du
kannst, und nur dann, wenn du nicht kannst, musst du
nicht. - Das heißt, die Ausnahmefälle, in denen es darum
geht, wann man rechtzeitig vorher eine ärztliche Beratung in Anspruch nehmen kann, werden eine Fülle von
Unsicherheiten mit sich bringen und eine Fülle neuer
Fragen aufwerfen, über die letzten Endes wieder Gerichte entscheiden müssen. Die Menschen haben wiederum nicht die Sicherheit, dass ihr in einer Patientenverfügung bestimmter Wille auch gelten wird.
({10})
Diese Sicherheit sowohl für den Arzt als auch für den
Patienten bietet unser Gesetzentwurf. Er trägt meinen
Namen, aber viele Kolleginnen und Kollegen aus vier
Fraktionen dieses Hauses haben daran mitgewirkt. Bei
diesen Kolleginnen und Kollegen möchte ich mich für
ihre Unterstützung recht herzlich bedanken.
Zum Schluss, Frau Präsidentin, möchte ich noch zwei
Anmerkungen machen.
Erstens. Auch die Kollegen Bosbach und Zöller haben ihre Gesetzentwürfe aus ehrenwerten Motiven so
verfasst, wie sie sie verfasst haben. Herr Kollege Grübel,
Sie begründen Ihre Auffassung immer, indem Sie auf die
Lebensschutzpflicht des Staates verweisen. Aber ich
sage Ihnen: In verfassungsrechtlicher Hinsicht begehen
Sie einen gravierenden Denkfehler. Die Begründung,
hier müsse ein Ausgleich vorgenommen werden, trägt
verfassungsrechtlich nicht. Denn eine Abwägung zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz ist nach geltender Rechtsprechung dann, wenn es sich um den gleichen Grundrechtsträger handelt, nicht möglich.
({11})
Hier handelt es sich um den Grundrechtsträger Patient,
der von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht hat. Der Staat hat in diesem Fall kein Recht, ihm
im Interesse des Lebensschutzes vorzuschreiben, seine
Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Meine zweite und letzte Anmerkung. Vor zwei Jahren
haben viele deutsche Ärzte den sogenannten Lahrer Kodex verfasst. Im Rahmen eines Kongresses haben viele
führende Mediziner, vor allen Dingen Palliativmediziner, aber auch Ärzte, die jeden Tag am Operationstisch
stehen, eine Art Selbstverpflichtung unterschrieben. Der
Lahrer Kodex lautet wie folgt:
Falls ein Patient entscheidungsunfähig ist, werde
ich eine vorher … vorgelegte Patientenverfügung
respektieren, sofern diese aktuell und auf die gegebene Situation anwendbar ist.
Nichts anderes besagt auch der Stünker-Gesetzentwurf, der Ihnen heute zur Abstimmung vorliegt. Die
Menschen wollen diese Regelung. Auch die breite
Mehrheit der Ärzte will diese Regelung. Ich bitte Sie daher um Zustimmung.
Danke schön.
({12})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Bosbach.
Herr Kollege Stünker, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, haben Sie gerade gesagt, der Gesetzentwurf des
Kollegen Zöller und der Gesetzentwurf, der von mir unterstützt wird, würden zwar ehrenwerte Motive widerspiegeln, seien aber leider verfassungswidrig, da in meinem Gesetzentwurf differenziert wird zwischen
unheilbaren Erkrankungen, also zwischen Krankheiten,
die irreversibel sind und einen tödlichen Verlauf haben,
und Krankheitssituationen, in denen man nach einem
ärztlichen Heileingriff wieder ein bewusstes, gesundes
und erfülltes Leben führen kann. Außerdem haben Sie
ausgeführt, der Staat dürfe dann, wenn derselbe Grundrechtsträger betroffen sei, keine Hürden zum Schutz des
Lebens und der Gesundheit, die das Selbstbestimmungsrecht einschränken würden, auferlegen. Das war Ihre
These.
In der Transplantationsmedizin beurteilt der Deutsche
Bundestag dies fundamental anders. Bei einer Organspende unter Lebenden müssen insgesamt acht Bedingungen erfüllt sein; unter anderem muss eine ärztliche
Beratung stattgefunden haben. Außerdem hat der Bundestag, haben wir alle sieben weitere Hürden errichtet.
Wir waren nämlich der Auffassung: Eine Organspende
ist mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden,
und darüber müssen wir den Spender zu seinem Schutz
aufklären. Nie hat bei diesem Thema auch nur eine Kollegin
oder ein Kollege im Deutschen Bundestag behauptet,
dass die Pflicht zur ärztlichen Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken einer Organspende verfassungsrechtlich problematisch sei.
Hier sprechen wir nicht über die ärztliche Beratung
bei einem irreversiblen tödlichen Krankheitsverlauf,
sondern darüber - und das empfinden viele als Zumutung -, dass jemand über sein Leben verfügt. Für den
Fall des Falles, dass die Betroffenen doch nicht unheilbar erkrankt sind, wollen wir allerdings festlegen, dass
sie sich vor dieser Verfügung bitte ärztlich beraten lassen.
Wir können doch nicht ernsthaft die Verfügung über
ein Organ, beispielsweise eine Niere, für so risikoreich
halten, dass wir eine Zwangsberatung vorschreiben,
während wir in dem Fall, in dem jemand über sein Leben
verfügt, sagen: Ja, so ist es eben; wer schreibt, der
bleibt. - Das nennen wir dann Selbstbestimmung. Ich
halte dies für einen Widerspruch.
({0})
Es geht nicht um eine verfassungswidrige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts. Von dem Selbstbestimmungsrecht kann der Mensch dann Gebrauch
machen, wenn er ärztlichen Rat eingeholt hat, aufgeklärt
ist, seine Situation kennt und weiß, für welche Situation
er welche Verfügung trifft. Das ist keine Einschränkung
des Selbstbestimmungsrechts, sondern Schutz zum
Wohle des Patienten. Auch für diesen Schutz muss dieser Gesetzgeber Sorge tragen.
Danke schön.
({1})
Herr Kollege Stünker.
Herr Kollege Bosbach, es ist schon gut, dass Sie zum
Schluss noch einmal in die Diskussion eingreifen. Ich
habe nicht davon gesprochen, dass Ihr Entwurf verfassungswidrig sei - dazu würde ich mich nicht hergeben -,
sondern meine Bedenken geäußert. Was verfassungswidrig ist - das haben wir neulich bei der Anhörung wieder
gehört -, entscheidet letztendlich das Bundesverfassungsgericht, wenn es angerufen wird. Wir haben hier
unsere Abwägungen zu treffen. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass ich Zweifelsfälle sehe, die zu neuer
Rechtsunsicherheit und gerade nicht zu Rechtssicherheit
führen.
Nun komme ich zu Ihrem Beispiel mit der Organtransplantation und meiner Aussage, dass eine Abwägung hier nicht möglich sei. Das ist überhaupt kein
Widerspruch. Der Unterschied ist folgender: Bei der Patientenverfügung geht es um einen einzigen Rechtsträger
- allein um mich, Stünker, der ich sie verfasst habe -,
während bei der Organspende mindestens zwei Personen
beteiligt sind,
({0})
nämlich derjenige, der ein Organ hergibt, und derjenige,
dem dieses Organ eingepflanzt werden soll.
({1})
- Darf ich meinen Gedanken zu Ende führen? - Das Organ wird doch entnommen, um es einem anderen Menschen einzusetzen. Also ist ein Dritter daran beteiligt.
({2})
- Sie können so viel schreien, wie Sie wollen, Herr Kollege Kauder. - Das ist verfassungsrechtlich nicht das
Gleiche.
({3})
- Dann schreien Sie doch nicht dazwischen. - Das ist
verfassungsrechtlich nicht das Gleiche. Verfassungsrechtlich besteht ein elementarer Unterschied,
({4})
den Sie in vielen Kommentaren nachlesen können. Mit
dieser Frage haben wir uns im Vorfeld ja sehr lange beschäftigt. Immer dann, wenn ein Dritter ins Spiel
kommt, kann der Staat nämlich selbstverständlich entsprechende Voraussetzungen und Einschränkungen verlangen.
({5})
- Entschuldigen Sie; das gilt genauso bei der Frage des
Schwangerschaftsabbruchs. Natürlich kann der Staat
beim Schwangerschaftsabbruch diese Grenzen einziehen, weil es im Ergebnis auch um das werdende Leben
und nicht nur um die Schwangere geht. Das ist der verfassungsrechtliche Unterschied.
Von daher sehe ich den Widerspruch, den Sie erkennen, nicht und bitte nach wie vor um Zustimmung.
Danke schön.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir mit den Abstimmungen beginnen, bitte ich
um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ab-
stimmungsverfahren.
Zur Abstimmung stehen fünf Vorlagen zur Regelung
der Patientenverfügungen. Es handelt sich um die
Gesetzentwürfe: der Abgeordneten Stünker, Kauch,
Dr. Jochimsen und weiterer Abgeordneter auf Druck-
sache 16/8442; der Abgeordneten Bosbach, Röspel,
Göring-Eckardt und weiterer Abgeordneter auf Druck-
sache 16/11360; der Abgeordneten Zöller, Dr. Faust,
Dr. Däubler-Gmelin, Knoche und weiterer Abgeordneter
auf Drucksache 16/11493; sowie um die Anträge der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/397 und der Abge-
ordneten Hüppe, Philipp, Dr. Lammert und weiterer Ab-
geordneter auf Drucksache 16/13262.
Ich weise darauf hin, dass zu diesen Abstimmungen
mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsord-
nung vorliegen.1)
Der Rechtsausschuss hat in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13314 empfohlen, über die ge-
nannten Gesetzentwürfe in der Ausschussfassung sowie
über den Antrag der Fraktion der FDP einen Beschluss
herbeizuführen. Eine darüber hinausgehende Beschluss-
empfehlung hat der Ausschuss dazu nicht abgegeben.
1) Anlage 2
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Es ist vereinbart, zunächst über den Antrag der
Gruppe Hüppe in einer einfachen Abstimmung zu entscheiden. Sollte dieser Antrag eine Mehrheit finden,
wird über die anderen Vorlagen nicht mehr abgestimmt.
Findet der Antrag der Gruppe Hüppe keine Mehrheit,
müssen wir zunächst über die Reihenfolge der Abstimmungen über die Gesetzentwürfe entscheiden. Zur Abstimmungsreihenfolge liegen zwei Geschäftsordnungsanträge vor: ein Vorschlag der Gruppe Stünker, Kauch,
Dr. Jochimsen, Montag sowie ein Vorschlag der Gruppe
Bosbach, Röspel, Göring-Eckardt, Fricke und der
Gruppe Zöller, Dr. Faust, Dr. Däubler-Gmelin, Knoche.
Die Abstimmung über diese beiden Vorschläge
erfolgt im Stimmzettelverfahren, bei dem Sie die Möglichkeit haben, sich für eine der beiden Reihenfolgealternativen zu entscheiden. Weiterhin haben Sie die Möglichkeit, sich zu enthalten. Insgesamt können Sie auf
dem Stimmzettel nur ein Kreuz machen. Es handelt sich
dabei um eine namentliche Abstimmung mit all ihren
Konsequenzen.
({0})
Es ist vereinbart, nach dem Vorschlag, der die meisten
Stimmen erhält, zu verfahren. - Ich sehe, Sie sind mit
der Verfahrensweise einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Die Abstimmung über die Gesetzentwürfe erfolgt namentlich in zweiter und gegebenenfalls auch in dritter
Beratung. Wird ein Gesetzentwurf angenommen, wird
über die verbleibenden Vorlagen nicht mehr abgestimmt.
Nach jeder namentlichen Abstimmung wird die Sitzung
bis zur Vorlage des Abstimmungsergebnisses unterbrochen.
Über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/397 wird nur dann - in einfacher Abstimmung abgestimmt, wenn vorher keine Vorlage angenommen
wurde.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
der Abgeordneten Hubert Hüppe, Beatrix Philipp,
Dr. Norbert Lammert und weiterer Abgeordneter auf
Drucksache 16/13262 mit dem Titel „Gesetzliche Überregulierung der Patientenverfügung vermeiden“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit des Hauses abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die beiden
Geschäftsordnungsanträge zur Reihenfolge der Abstimmung über die drei Gesetzentwürfe. Die Abstimmung
erfolgt per Stimmzettelverfahren. Es besteht die Möglichkeit, einen der beiden Vorschläge oder Enthaltung
gegenüber beiden Vorschlägen auf dem Stimmzettel anzukreuzen.
Denken Sie bitte daran, Ihren Namen mit eventuellem
Ortszusatz sowie Ihre Fraktion in gut lesbaren Druckbuchstaben auf den Stimmzettel zu schreiben. Stimmzettel ohne Namen, mit mehr als einem Kreuz oder anderen
Zusätzen sind ungültig. Die Stimmzettel wurden bereits
im Saal verteilt. Sollten Sie noch keinen Stimmzettel haben, können Sie diesen von den Plenarassistenten erhalten.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich
die Sitzung.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Bitte, Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie Ihre
Plätze ein.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Geschäftsordnungsanträge zur Abstimmungsreihenfolge bei den Entwürfen der Gesetze zur
Regelung der Patientenverfügung bekannt: abgegebenen
Stimmen 573. Auf den Vorschlag A, die Reihenfolge
Zöller/Bosbach/Stünker, entfielen 309 Stimmen. Auf
den Vorschlag B, die Reihenfolge Stünker/Bosbach/
Zöller, entfielen 258 Stimmen, ungültige Stimmen 6,
Enthaltungen keine. Es soll nach dem Vorschlag, der die
meisten Stimmen erhalten hat, verfahren werden. Dies
ist Vorschlag A, die Reihenfolge Zöller/Bosbach/
Stünker.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon
Vorschlag A: 309
Vorschlag B: 258
enthalten: 0
ungültig: 5
Vorschlag A
SPD
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({0})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({1})
Kurt Bodewig
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
({2})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({3})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({4})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({5})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({6})
Frank Hofmann ({7})
Dr. Eva Högl
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Kastner
Johannes Jung ({8})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({9})
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Markus Meckel
Petra Merkel ({10})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({11})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({12})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Karin Roth ({13})
Ortwin Runde
({14})
Axel Schäfer ({15})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({16})
Silvia Schmidt ({17})
Heinz Schmitt ({18})
Carsten Schneider ({19})
Olaf Scholz
({20})
Swen Schulz ({21})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({22})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({23})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({24})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({25})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({26})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({27})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({28})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Katja Kipping
Jan Korte
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
({29})
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Marieluise Beck ({30})
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({31})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Undine Kurth ({32})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({33})
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({34})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Grietje Staffelt
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Vorschlag B
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({35})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({36})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Kastner
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({37})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({38})
Dirk Fischer ({39})
Axel E. Fischer ({40})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({41})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({42})
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({43})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({44})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({45})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({46})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({47})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({48})
Stefan Müller ({49})
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({50})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({51})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({52})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({53})
Andreas Schmidt ({54})
Ingo Schmitt ({55})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({56})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({57})
Gerald Weiß ({58})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({59})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Willi Brase
Eike Hovermann
Karin Kortmann
Ernst Kranz
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Sönke Rix
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Michael Roth ({60})
Ottmar Schreiner
Jörg-Otto Spiller
Andreas Weigel
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
FDP
Heinz-Peter Haustein
Kastner
Heinz Lanfermann
Michael Link ({61})
Patrick Meinhardt
DIE LINKE
Klaus Ernst
Heike Hänsel
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Oskar Lafontaine
Elke Reinke
Paul Schäfer ({62})
Dr. Ilja Seifert
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Cornelia Behm
Hans-Josef Fell
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Omid Nouripour
Christine Scheel
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
({63})
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Wolfgang Zöller, Dr. Hans Georg Faust,
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Monika Knoche und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen in der Ausschussfassung, Drucksachen 16/11493
und 16/13314. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({64})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Wolfgang
Zöller, Dr. Hans Georg Faust, Dr. Herta Däubler-Gmelin
und weiterer Abgeordneter - Entwurf eines Gesetzes zur
Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen - bekannt: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben
gestimmt 77, mit Nein haben gestimmt 486, Enthaltungen 8. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 77
nein: 486
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Peter Altmaier
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Wolfgang Börnsen
({0})
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Anke Eymer ({1})
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({2})
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({3})
Dr. Jürgen Gehb
Eberhard Gienger
Holger Haibach
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Eduard Lintner
Patricia Lips
Thomas Mahlberg
Wolfgang Meckelburg
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Marlene Mortler
Carsten Müller
({4})
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Hans Raidel
Katherina Reiche ({5})
Franz Romer
Peter Rzepka
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Bernd Schmidbauer
Ingo Schmitt ({6})
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Willi Zylajew
SPD
Eike Hovermann
Dr. Wolfgang Wodarg
DIE LINKE
Heike Hänsel
Monika Knoche
Oskar Lafontaine
Paul Schäfer ({7})
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({8})
Veronika Bellmann
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Ilse Falk
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({9})
Axel E. Fischer ({10})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({11})
Hans-Werner Kammer
Kastner
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({12})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({13})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Gunther Krichbaum
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({14})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ingbert Liebing
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({15})
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({16})
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Stefan Müller ({17})
Dr. Gerd Müller
Eduard Oswald
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({18})
Anita Schäfer ({19})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Andreas Schmidt ({20})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Thomas Strobl ({21})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
({27})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({28})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({29})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({30})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Dr. Eva Högl
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Markus Meckel
Petra Merkel ({35})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({36})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({37})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
({40})
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Heinz Schmitt ({44})
Carsten Schneider ({45})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({46})
Swen Schulz ({47})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Kastner
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({48})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({49})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({50})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({51})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({52})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({53})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({54})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Lutz Heilmann
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
({55})
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({56})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({57})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({58})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({59})
Omid Nouripour
Claudia Roth ({60})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Michael Glos
Michael Hennrich
Thomas Rachel
Christian Schmidt ({61})
FDP
Daniel Bahr ({62})
DIE LINKE
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Abgeordneten Wolfgang Bosbach, René Röspel, Katrin
Göring-Eckardt und weiteren Abgeordneten eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht in der Ausschussfassung,
Drucksachen 16/11360 und 16/13314.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Harald Terpe, Josef Philip
Winkler und weiterer Abgeordneter vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 16/13379? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({63})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, René Röspel, Katrin Göring-Eckardt
und weiterer Abgeordneter - Entwurf eines Gesetzes zur
Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht - bekannt: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben
gestimmt 220, mit Nein haben gestimmt 344, Enthaltungen 2.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 220
nein: 344
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Monika Grütters
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Stefan Müller ({12})
Dr. Gerd Müller
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({13})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({14})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({15})
Andreas Schmidt ({16})
Ingo Schmitt ({17})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({18})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({19})
Gerald Weiß ({20})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({21})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Sabine Bätzing
Willi Brase
Marco Bülow
Christian Kleiminger
Karin Kortmann
Ernst Kranz
Helga Lopez
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({22})
Ottmar Schreiner
Jörg-Otto Spiller
Andreas Weigel
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({23})
FDP
Heinz-Peter Haustein
Michael Link ({24})
Patrick Meinhardt
Christoph Waitz
DIE LINKE
Kastner
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Cornelia Behm
Hans Josef Fell
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Thilo Hoppe
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Omid Nouripour
Christine Scheel
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Peter Albach
Clemens Binninger
Renate Blank
Jochen Borchert
Dr. Stephan Eisel
Dr. Hans Georg Faust
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Manfred Grund
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Andreas Jung ({25})
Jürgen Klimke
Dr. Rolf Koschorrek
Dr. Martina Krogmann
Thomas Mahlberg
Philipp Mißfelder
Carsten Müller
({26})
Dr. Joachim Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({27})
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Wolfgang Schäuble
Jens Spahn
Max Straubinger
Dagmar Wöhrl
SPD
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({28})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({29})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
({30})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Iris Gleicke
Angelika Graf ({31})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({32})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({33})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({34})
Frank Hofmann ({35})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({36})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({37})
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Markus Meckel
Petra Merkel ({38})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({39})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({40})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Karin Roth ({41})
Ortwin Runde
({42})
Axel Schäfer ({43})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({44})
Silvia Schmidt ({45})
Heinz Schmitt ({46})
Carsten Schneider ({47})
Olaf Scholz
({48})
Swen Schulz ({49})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({50})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Kastner
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({51})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({52})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({53})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({54})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({55})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({56})
({57})
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({58})
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({59})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Undine Kurth ({60})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({61})
Claudia Roth ({62})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Grietje Staffelt
Hans-Christian Ströbele
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Monika Brüning
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den
von den Abgeordneten Joachim Stünker, Michael
Kauch, Dr. Lukrezia Jochimsen und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Betreuungsrechts in der Ausschussfassung, Drucksachen 16/8442 und 16/13314. Wir stimmen
über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({63})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten
Joachim Stünker, Michael Kauch, Dr. Lukrezia
Jochimsen und weiterer Abgeordneter - Entwurf eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts bekannt: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt 320, mit Nein haben gestimmt 241, Enthaltungen 5.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 320
nein: 241
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Dagmar Wöhrl
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({0})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({1})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
({2})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({3})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({4})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({5})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({6})
Frank Hofmann ({7})
Dr. Eva Högl
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({8})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({9})
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({10})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({11})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Steffen Reiche ({12})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Karin Roth ({13})
Michael Roth ({14})
Ortwin Runde
({15})
Axel Schäfer ({16})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({17})
Silvia Schmidt ({18})
Heinz Schmitt ({19})
Carsten Schneider ({20})
Olaf Scholz
({21})
Swen Schulz ({22})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({23})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({24})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({25})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Horst Friedrich ({26})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({27})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({28})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({29})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Lutz Heilmann
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({30})
Kastner
({31})
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({32})
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({33})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Undine Kurth ({34})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({35})
Claudia Roth ({36})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Grietje Staffelt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({37})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({38})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({39})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({40})
Dirk Fischer ({41})
Axel E. Fischer ({42})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({43})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({44})
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({45})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({46})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({47})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({48})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({49})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({50})
Stefan Müller ({51})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({52})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({53})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({54})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({55})
Andreas Schmidt ({56})
Ingo Schmitt ({57})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Kastner
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({58})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({59})
Gerald Weiß ({60})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({61})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Willi Zylajew
SPD
Willi Brase
Eike Hovermann
Sönke Rix
Ottmar Schreiner
Andreas Weigel
FDP
Heinz-Peter Haustein
Heinz Lanfermann
Michael Link ({62})
Patrick Meinhardt
DIE LINKE
Heike Hänsel
Monika Knoche
Elke Reinke
Dr. Ilja Seifert
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Cornelia Behm
Hans Josef Fell
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Christine Scheel
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
SPD
Engelbert Wistuba
DIE LINKE
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
({63})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Auch hier ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich weise die Kolleginnen und Kollegen darauf hin, dass gleich im Anschluss über die Zurückweisung der Einsprüche des Bundesrates ebenfalls
namentlich abgestimmt wird. Ich bitte also, die Kolleginnen und Kollegen im Saal zu bleiben.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre
Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ihre
Aufmerksamkeit. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den Entwurf eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts der
Abgeordneten Stünker, Kauch, Dr. Jochimsen und weiterer Abgeordneter bekannt: abgegebene Stimmen 555.
Mit Ja haben gestimmt 317, mit Nein haben gestimmt
233, Enthaltungen 5. Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 555;
davon
ja: 318
nein: 232
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Dagmar Wöhrl
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({0})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({1})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
({2})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({3})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({4})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({5})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({6})
Frank Hofmann ({7})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
hierse
Johannes Jung ({8})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({9})
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({10})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({11})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({12})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Karin Roth ({13})
Michael Roth ({14})
Ortwin Runde
({15})
Axel Schäfer ({16})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({17})
Silvia Schmidt ({18})
Heinz Schmitt ({19})
Carsten Schneider ({20})
Olaf Scholz
({21})
Swen Schulz ({22})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({23})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({24})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({25})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({26})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({27})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Erwin Lotter
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({28})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({29})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Lutz Heilmann
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({30})
({31})
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({32})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Undine Kurth ({33})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({34})
Claudia Roth ({35})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Grietje Staffelt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Wolfgang Wieland
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({36})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({37})
hierse
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({38})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({39})
Dirk Fischer ({40})
Axel E. Fischer ({41})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({42})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({43})
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({44})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({45})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({46})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({47})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({48})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({49})
Stefan Müller ({50})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({51})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({52})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({53})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({54})
Andreas Schmidt ({55})
Ingo Schmitt ({56})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({57})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({58})
Gerald Weiß ({59})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({60})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Willi Zylajew
SPD
Willi Brase
Sönke Rix
Ottmar Schreiner
Andreas Weigel
FDP
Heinz-Peter Haustein
Heinz Lanfermann
Michael Link ({61})
Patrick Meinhardt
DIE LINKE
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Heike Hänsel
Monika Knoche
Elke Reinke
Dr. Ilja Seifert
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Cornelia Behm
Hans Josef Fell
hierse
Britta Haßelmann
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Christine Scheel
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
SPD
DIE LINKE
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
Peter Hettlich
({62})
Damit ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Ta-
gesordnungspunkt beendet.
Ich rufe die Zusatzpunkte 5 und 6 auf:
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Zurückweisung des Einspruchs des Bundes-
rates gegen das Gesetz zur Änderung der För-
derung von Biokraftstoffen
- Drucksachen 16/11131, 16/11641, 16/12465,
16/12466, 16/13080, 16/13362, 16/13389 -
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Zurückweisung des Einspruchs des Bundes-
rates gegen das Gesetz zur Modernisierung
von Verfahren im anwaltlichen und notariellen
Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlich-
tungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur
Änderung sonstiger Vorschriften
- Drucksachen 16/11385, 16/12717, 16/13082,
16/13363, 16/13390 -
Der Präsident des Bundesrates hat schriftlich mitge-
teilt, dass der Bundesrat in seiner Sitzung am 12. Juni
2009 beschlossen hat, gegen das Gesetz zur Änderung
der Förderung von Biokraftstoffen und gegen das Gesetz
zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und
notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlich-
tungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung
sonstiger Vorschriften Einspruch einzulegen. Wir kom-
men jetzt zu zwei namentlichen Abstimmungen über
Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Zurückweisung von Einsprüchen des Bundesrates.
Zunächst Abstimmung über den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Zurückweisung des Ein-
spruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung
der Förderung von Biokraftstoffen, Drucksache 16/13389.
Nach Art. 77 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes bedarf die
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates, der mit
der Mehrheit seiner Stimmen erfolgt ist, der Mehrheit
der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Das sind
mindestens 307 Stimmen. Wer den Einspruch zurück-
weisen will, muss mit Ja stimmen.
Zur Abstimmung liegen mehrere Erklärungen nach
§ 31 der Geschäftsordnung vor.1)
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? -
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abge-
geben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe
ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgege-
ben.2)
Wir kommen jetzt zu Zusatzpunkt 6: Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates ge-
gen das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im an-
waltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung ei-
ner Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur
Änderung sonstiger Vorschriften, Drucksache 16/13390.
Nach Art. 77 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes bedarf die
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates, der mit
zwei Dritteln seiner Stimmen beschlossen wurde, einer
Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens aber der Mehr-
heit der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Wer den
Einspruch zurückweisen will, muss mit Ja stimmen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? - Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abge-
geben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe
ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.3)
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angemessenheit der
Vorstandsvergütung ({63})
- Drucksache 16/12278 -
1) Anlagen 3 bis 5
2) Ergebnis Seite 25130 C
3) Ergebnis Seite 25132 D
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({64})
- Drucksache 16/13433 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Joachim Stünker
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({65}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Mechthild
Dyckmans, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Professionalität und Effizienz der Aufsichts-
räte deutscher Unternehmen verbessern
- Drucksachen 16/10885, 16/13433 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Joachim Stünker
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({66}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel,
Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Exzesse bei Managergehältern verhindern
- Drucksachen 16/12112, 16/13425 Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Scheel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
({67})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Anschluss an die Debatte über das für uns alle sicherlich
sehr bewegende Thema Patientenverfügung wenden wir
uns jetzt einem anderen Thema zu, das man zwar nicht
damit vergleichen kann, das aber in den letzten Jahren
für große Aufregung in unserer Gesellschaft gesorgt hat:
der Angemessenheit von Vorstandsvergütungen und Managergehältern.
Dass die Managergehälter geradezu explodiert sind,
ist nicht erst durch die Finanzkrise zu einem Problem geworden. Allerdings hat die Finanzkrise dieses Problem
ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Nicht umsonst wird
kritisiert, dass die Entlohnungspraxis der Banken in den
jüngsten Vorschlägen von US-Präsident Obama ausgespart
wurde, und das, obwohl die irrwitzige Höhe der Bonuszahlungen, wie die Ergebnisse vieler Untersuchungen
gezeigt haben, einer der entscheiden Gründe dafür war,
dass letztlich unverantwortliche Risiken eingegangen
wurden.
Nichtsdestotrotz wäre es zu kurz gegriffen, würde
man den Blick nur auf die Finanzkrise richten. Seit rund
15 Jahren vollzieht sich auch in Deutschland ein Prozess,
in dessen Verlauf sich die Höhe der Managergehälter,
insbesondere die Höhe der Vorstandsvergütungen, von der
Höhe der Durchschnittseinkommen zunehmend abkoppelt.
Die Kluft nimmt stetig zu. Betrug die Relation früher
rund 20 : 1, so war bei den DAX-Vorstandsvorsitzenden
bei Ausbruch der Krise im Durchschnitt ein Verhältnis
von etwa 45 : 1 erreicht.
Diese Entwicklung beunruhigt die Menschen. Dabei
geht es nicht um Neid oder um eine emotionale Überreaktion auf die aktuelle Finanzkrise. Nein, meine Damen
und Herren, dieses Thema geht viel tiefer. Letztlich geht
es um die Fragen, in was für einer Gesellschaft wir künftig leben wollen
({0})
und wie das Produkt gemeinsamer Arbeit in unseren Unternehmen verteilt werden soll.
Die Menschen spüren, dass etwas nicht stimmt, wenn
viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz Vollzeitbeschäftigung auf ergänzende Unterstützung angewiesen
sind, während gleichzeitig einige wenige, die an der Spitze
stehen, millionenschwere Bonuszahlungen einstreichen.
Um die soziale Akzeptanz unserer Wirtschaftsordnung zu
gewährleisten, ist es erforderlich, dafür zu sorgen, dass
Lohn und Leistung für alle Menschen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.
Wenn dieses Verhältnis grundlegend gestört ist und
die üblichen Verfahren der Lohnfindung versagen, wie
wir es zurzeit sowohl am oberen als auch am unteren
Rand der Lohnskala erleben, ist der Gesetzgeber gefragt.
Genau deshalb haben wir Sozialdemokraten uns stark für
Mindestlöhne engagiert. Aus diesem Grund arbeiten wir
seit Ende 2007 intensiv auf strengere gesetzliche Regelungen für Managergehälter hin.
({1})
Die heutige Verabschiedung dieses Gesetzes ist ein
entscheidender Schritt auf diesem Weg. Die Beharrlichkeit, mit der wir dieses Thema verfolgt haben - zunächst
intern und seit letztem Sommer in der Koalition -, hat
sich gelohnt. Vor gerade einmal einem Jahr, als wir unsere Vorschläge im Parteipräsidium der SPD beschlossen
haben, haben viele noch gespottet. Heute werden wir die
meisten dieser Vorschläge in Gesetzesform gießen. Dazu
kommen einige weitere Maßnahmen, auf die wir uns in
den gemeinsamen Beratungen der Koalition verständigen
konnten.
Insgesamt liegt jetzt ein Paket vor, das in der Anhörung
des Rechtsausschusses Ende Mai bei den Experten von
Wissenschaft, Rechtsprechung und Gewerkschaften breite
Zustimmung gefunden hat. Dabei wurde die vom Bundesjustizministerium geleistete Formulierungsarbeit besonders gelobt. Dieses Lob wollte ich jetzt eigentlich der
Ministerin persönlich aussprechen. Das ist im Moment
leider nicht möglich.
({2})
Ich bitte die Vertreter ihres Hauses, das weiterzugeben.
Jedenfalls im Namen meiner Fraktion - ich nehme an,
dass die CDU/CSU es nicht anders sieht - bedanke ich
mich ausdrücklich für die gute Formulierungsarbeit, die
vom Haus geleistet wurde.
({3})
Die offenkundige Schwachstelle bei der Festsetzung
der Vorstandsgehälter hat zuletzt Hilmar Kopper - der es
wohl wissen muss - in der Zeit vom 10. Juni 2009 klar
und deutlich benannt. Nach seiner Aussage sind die Aufsichtsräte die eigentliche Schwachstelle. Ihnen obliegt es
nach dem Aktiengesetz, für eine angemessene Vorstandsvergütung zu sorgen. Wir wollen auch, dass das so
bleibt. Allerdings möchten wir in Zukunft von den Aufsichtsräten mehr Transparenz, mehr Verantwortung und
mehr Sensibilität bei der Vorstandsvergütung sehen.
Dem Erreichen dieses Ziels dienen sämtliche Maßnahmen dieses Gesetzes. Wir setzen gerade nicht den
Gesetzgeber an die Stelle der Aufsichtsräte, wie in den
Medien oft zu lesen war, sondern nehmen die Aufsichtsräte - das gilt für die Vertreter der Arbeitnehmerseite
ebenso wie für die Vertreter der Kapitalseite - in die
Pflicht. Mitbestimmung heißt auch Mitverantwortung,
gerade auch bei der Frage der Vorstandsvergütung.
({4})
Wir wollen, dass mit geheimen Kungelrunden
Schluss ist. Künftig muss der Aufsichtsrat als ganzes
Gremium über die Vorstandsverträge entscheiden - und
nicht mehr nur ein kleiner Präsidial- oder Personalausschuss. Das bedeutet mehr Verantwortung für jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied, zumal wir zugleich deren
individuelle Haftung für den Fall einer nicht angemessenen
Vergütungsfestsetzung schärfer gefasst haben.
Was unter einer angemessenen Vergütung zu verstehen ist, wird stärker konkretisiert. Insbesondere wird
klargestellt, dass sich die Vergütung am nachhaltigen
Unternehmenserfolg ausrichten soll. Für variable Vergütungen soll eine mehrjährige Bezugsperiode gelten. Aktienoptionen sollen erst nach vier statt bisher zwei Jahren
eingelöst werden können. Der Aufsichtsrat soll zudem
eine Obergrenze für die variable Vergütung für außergewöhnliche Entwicklungen festlegen.
Durch die Vorschrift für den Aufsichtsrat, eine nachträgliche Herabsetzung von Vorstandsvergütungen in
dem Fall vorzunehmen, dass ein Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, wird der Aufsichtsrat
verschärft in die Pflicht genommen. Auch ist künftig in
einem Zeitraum von drei Jahren nach Ausscheiden eines
Vorstandsmitglieds gegebenenfalls eine Herabsetzung
der Versorgungsbezüge möglich.
Ein Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat desselben Unternehmens soll erst nach einer Frist von zwei
Jahren erlaubt sein; es sei denn, dass der Wechsel von
Großaktionären - insbesondere bei Familiengesellschaften - ausdrücklich gewünscht wird.
Außerdem wollen wir, dass hohen Vorstandsgehältern
in Zukunft auch ein höheres Haftungsrisiko bei Fehlverhalten gegenübersteht.
({5})
Deshalb muss der Aufsichtsrat beim Abschluss sogenannter D&O-Versicherungen, die bei Schäden, die durch
Fehlverhalten von Managern entstanden sind, eintreten,
einen Selbstbehalt von mindestens anderthalb Jahresfixgehältern vorsehen, der von den Vorständen selbst zu
tragen ist.
Schließlich fordern wir mehr Transparenz bei der individuellen Gehaltsoffenlegung gegenüber den Anteilseignern
sowie der Öffentlichkeit, insbesondere was die Versorgungsbezüge angeht.
Zudem sollen die Anteilseigener die Möglichkeit bekommen, in der Hauptversammlung einen den Aufsichtsrat
nicht bindenden Beschluss zu Vergütungsfragen zu fassen.
Meine Damen und Herren, dieses in beharrlicher Arbeit
entstandene Gesetz mit seinen vermeintlich kleinteiligen
Änderungen des Aktien- und Handelsrechts mag auf den
ersten Blick weniger ambitioniert wirken als manche
schneidig vorgetragene Forderung nach einer gesetzlichen
Deckelung der Gehälter.
Ich verschweige auch nicht, dass wir Sozialdemokraten
in diesem Gesetz gerne zwei weitere Maßnahmen untergebracht hätten: erstens eine Begrenzung des steuerlichen
Betriebsausgabenabzugs für Vorstandsgehälter und Abfindungen oberhalb 1 Million Euro und zweitens die explizite
und gleichrangige Verpflichtung der Unternehmen auf die
Interessen von Anteilseignern, Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern und auf das Wohl der Allgemeinheit. Es
darf nicht, wie sich das in den letzten Jahren immer mehr
breitgemacht hat, nur um den Shareholder-Value gehen!
({6})
Diese Ziele konnten wir in der Koalition jetzt nicht
durchsetzen. Die SPD wird aber weiter dafür kämpfen.
Ich bin überzeugt, dass das Gesetz, das heute vorliegt,
dafür sorgen wird, dass in den Mitbestimmungsgremien
über Managergehälter künftig viel offener und intensiver
diskutiert werden muss. Wir alle, die Initiatoren wie die
Kritiker dieses Gesetzes, haben es in der Hand, diese
Diskussion in Zukunft immer wieder in die Öffentlichkeit
und damit ins Bewusstsein der Menschen zu tragen. Nur
durch Öffentlichkeit und Transparenz werden wir den
- auch und gerade in den oberen Etagen - erforderlichen
Mentalitätswechsel herbeiführen können.
Ich betone: Der dringend erforderliche Mentalitätswechsel steht noch aus. Der Brief, mit dem die Aufsichtsratsvorsitzenden zahlreicher DAX-Unternehmen
das Gesetz in letzter Minute stoppen wollten, atmet noch
genau den Geist der Arroganz und Ignoranz, der auch
am Beginn der Finanzkrise stand und sich jetzt langsam
wieder aus der Deckung wagt. Da dürfen wir als Politik
nicht mitmachen.
({7})
Dieser Geist, diese Mentalität spricht aus dem bereits
erwähnten Interview in der Zeit, in dem Herr Kopper
versucht, die Zahlung der Bonusmillionen an seine Börsenhändler dadurch zu beschönigen, dass diese Menschen
mit 50 Jahren zwar reich, aber leer seien. Wie kann eine
Krankenschwester, ein Bauarbeiter, eine Erzieherin, die
sich nach 30 Jahren harter Arbeit ohne jeden Bonus auch
bisweilen leer fühlen mögen, einen solchen Satz anders
empfinden als als blanken Hohn?
({8})
Ich würde mir wünschen, dass Herr Kopper dies noch
einmal bedenkt, wenn er jetzt den Vorsitz im Aufsichtsrat der HSH Nordbank antritt. Dieses Gesetz wird auch
ihn zwingen, Gehaltsfragen mit seinen Kolleginnen und
Kollegen im Aufsichtsrat künftig offener und in dem Bewusstsein größerer Verantwortung zu diskutieren.
Ministerin Zypries ist jetzt da; so kann ich mich auch
noch einmal persönlich für die hervorragende Arbeit ihres
Hauses bedanken und die Erwartung äußern, dass die
Bundesregierung, wie sie es uns versprochen hat, den
Corporate-Governance-Kodex für Unternehmen in Bundesbesitz bzw. mit Bundesbeteiligung - dieser Punkt ist
im Kabinett zweimal abgesetzt worden - zügig vorlegt.
Wir wollen ja nicht mit unterschiedlichen Maßstäben
messen. Wir erwarten, dass da jetzt etwas kommt.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für die
Aufmerksamkeit.
({9})
Ich will zwischendurch zu Zusatzpunkt 5 zurückkommen und das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrats gegen das Gesetz zur Änderung der Förderung
von Biokraftstoffen - das ist die Drucksache 16/13389 bekannt geben: abgegebene Stimmen 558. Mit Ja haben
gestimmt 384, mit Nein haben gestimmt 167, Enthaltungen 7. Der Antrag ist gemäß Art. 77 Abs. 4 Satz 1 des
Grundgesetzes mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon
ja: 383
nein: 165
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({8})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Henning Otte
Rita Pawelski
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({17})
Ingo Schmitt ({18})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({19})
Gerald Weiß ({20})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({21})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
hierse:
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({23})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
({24})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Detlef Müller ({33})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({34})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Michael Roth ({36})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({37})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({38})
Silvia Schmidt ({39})
Heinz Schmitt ({40})
Carsten Schneider ({41})
Ottmar Schreiner
({42})
Swen Schulz ({43})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({44})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Waltraud Wolff
({45})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Nein
CDU/CSU
Clemens Binninger
Michael Brand
Cajus Caesar
Dr. Maria Flachsbarth
Michael Glos
Dr. Peter Jahr
Manfred Kolbe
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Marlene Mortler
Franz Obermeier
Dr. Joachim Pfeiffer
Johannes Röring
Norbert Schindler
Thomas Silberhorn
Christian Freiherr von Stetten
Thomas Strobl ({46})
SPD
Dr. Axel Berg
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({47})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({48})
Dr. Wolfgang Gerhardt
hierse:
Miriam Gruß
Joachim Günther ({49})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({50})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({51})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({52})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({53})
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({54})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({55})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({56})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({57})
Claudia Roth ({58})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Uda Carmen Freia Heller
Robert Hochbaum
Eduard Oswald
SPD
Marko Mühlstein
Lydia Westrich
Ich komme zu Zusatzpunkt 6 und gebe auch dazu das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrats gegen das Gesetz
zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und
notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung
sonstiger Vorschriften - das ist die Drucksache 16/13390 bekannt: abgegebene Stimmen 549. Mit Ja haben gestimmt 548, mit Nein hat gestimmt einer - oder eine.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 549;
davon
ja: 548
nein: 1
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({59})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({60})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({61})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({62})
Axel E. Fischer ({63})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({64})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
hierse:
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({65})
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({66})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({67})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({68})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({69})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({70})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({71})
Stefan Müller ({72})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({73})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({74})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({75})
Andreas Schmidt ({76})
Ingo Schmitt ({77})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({78})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({79})
Gerald Weiß ({80})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({81})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({82})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({83})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
({84})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({85})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({86})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({87})
Frank Hofmann ({88})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({89})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({90})
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
hierse:
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({91})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({92})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({93})
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({94})
Michael Roth ({95})
Ortwin Runde
({96})
Axel Schäfer ({97})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({98})
Silvia Schmidt ({99})
Heinz Schmitt ({100})
Carsten Schneider ({101})
Ottmar Schreiner
({102})
Swen Schulz ({103})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({104})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({105})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({106})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({107})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({108})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({109})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({110})
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({111})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({112})
({113})
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({114})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({115})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
hierse:
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({116})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({117})
Claudia Roth ({118})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Nein
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
({119})
Der Antrag ist mit der gemäß Art. 77 Abs. 4 Satz 2 des
Grundgesetzes erforderlichen Mehrheit angenommen.
So weit die Unterbrechung dieses Tagesordnungspunktes. Jetzt fahren wir fort mit dem Kollegen Hartfrid
Wolff für die FDP-Fraktion.
({120})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Freiheit
und Verantwortung zusammenzubringen, ist die wesentliche Herausforderung unserer Gesellschaft - auch innerhalb der aktuellen wirtschaftlichen Situation. Herr
Kollege Poß, Staatsdirigismus ist der falsche Weg. Er ist
ineffektiv und widerspricht der sozialen Marktwirtschaft.
({0})
Es gilt eindeutig, Exzesse, wie sie in der Bankenkrise
sichtbar wurden, zukünftig zu verhindern. Es gilt aber
auch, an den Grundwerten der sozialen Marktwirtschaft
festzuhalten.
({1})
Die soziale Marktwirtschaft lebt von der Vertragsfreiheit
und der Verantwortungsübernahme für unsere Gesellschaft. Jeder, der ein Unternehmen gründet oder ein Unternehmen leitet, hat Verantwortung für seine Mitarbeiter, seine Vertragspartner und seine Umwelt. Diese
Verantwortung gilt es zu stärken.
({2})
Deshalb ist der Grundsatz richtig, auch bei Vergütungsstrukturen oder bei der Kontrolle der Manager auf
nachhaltige, längerfristige Ziele zu setzen. Kurzfristiges,
allein am Aktienkurs ausgerichtetes Denken ist ein verfehltes Modell.
({3})
Das Bild des verantwortlich Handelnden, des am Eigentümerinteresse ausgerichteten Unternehmenslenkers,
wie bei einem Familienunternehmen, ist zukunftsweisend. Wir brauchen diejenigen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Ihnen darf diese Tätigkeit auch
nicht verbaut werden.
Einige der Ansatzpunkte in dem Gesetzentwurf gehen
in die richtige Richtung. Die CDU/CSU-SPD-Koalition
setzt aber zu sehr auf staatliche Eingriffsmechanismen.
({4})
Die FDP geht einen anderen Weg. Wir wollen den Eigentümer stärken.
({5})
Der Eigentümer oder der Anteilseigner eines Unternehmens zahlt die Vorstandsvergütungen. Er ist auf eine effiziente Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat
und vor allem auf transparente Vergütungsstrukturen angewiesen. Der Gesetzentwurf hierzu ist ernüchternd.
({6})
In der gesamten Diskussion muss klar getrennt werden zwischen den Unternehmen, die in der letzten Zeit
Staatshilfen in Anspruch genommen haben, und den Unternehmen, die die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht
zuletzt durch ein gutes Management aus eigener Kraft
überstehen. Zu Recht unterliegen Unternehmen des Finanzsektors, die Stabilisierungsmaßnahmen des Staates
nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz in Anspruch
nehmen, besonderen Anforderungen. Es ist in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar, dass Banken, die hohe
Verluste gemacht haben und sich unter den Schutzschirm
des Staates begeben, weiterhin hohe Boni an ihre Mitarbeiter zahlen.
Hohe Gehälter, ein hoher Bonus, hohe Abfindungen
trotz Managementfehlern: Hier muss im Rahmen des
Dienstverhältnisses klar nachjustiert werden. Korrekturen sind erforderlich. Verträge ohne entsprechende Vorgaben sollten der Vergangenheit angehören. Genau dafür
brauchen wir mehr Transparenz und mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten der Eigentümer oder der Anteilseigner.
({7})
Ihnen gehört die Gesellschaft. Sie zahlen die Vergütungen und die Aufwendungen und brauchen mehr Rechte.
Hartfrid Wolff ({8})
Nach Auffassung der FDP soll deshalb die Hauptversammlung die Grundsätze der Vergütungsstruktur für die
Unternehmensführung und die Leitlinien für Managergehälter bei börsennotierten Unternehmen zukünftig
selbst festsetzen können.
({9})
Unverbindliche Beschlüsse, wie sie die Koalition vorsieht, helfen nicht weiter. Die Hauptversammlung muss
letztendlich mit einfacher Mehrheit auch über die Veröffentlichung der Gehälter entscheiden können.
({10})
Die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds
müssen bereits nach geltendem Recht in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der
Gesellschaft stehen. Die Koalition will durch ihren Gesetzentwurf nun noch zusätzlich festlegen, dass die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe überschritten werden darf. Eine solche übliche Vergütung gibt es
nicht. Gilt hier, was in der angloamerikanischen Wirtschaft oder vielleicht sogar in der chinesischen Wirtschaft üblich ist? Müssen hier wieder viele Berater beauftragt werden, um die übliche Vergütung feststellen zu
können? Diese Vorgabe ist schlichtweg unbestimmt.
Klar ist: Es ist nicht die Aufgabe des Staates, zu bestimmen, welche Leistung einer Person für ein Unternehmen wie viel wert ist. Wir begrüßen ausdrücklich,
dass in Zukunft der gesamte Aufsichtsrat Verantwortung
für die Vorstandsgehälter übernehmen muss. Gerade bei
Aktienoptions- und Bonimodellen sind in der Vergangenheit Fehler gemacht worden, die für die Unternehmen zum Teil zu unkalkulierbaren Risiken geführt haben. Vergütungsmodelle müssen daher stärker am
dauerhaften Erfolg des Unternehmens ausgerichtet werden.
({11})
Der Aufsichtsrat ist Anwalt der Eigentümer. Insofern
ist eine Stärkung der Aufsichtsräte richtig. Das Vertrauen in diese internen Kontrolleure muss wachsen. Die
Unabhängigkeit und Professionalität der Aufsichtsräte
ist dabei entscheidend. Sie müssen die Möglichkeit erhalten, ihr Mandat wirksam ausüben zu können. Deshalb
befürwortet die FDP zum Beispiel eine klare Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate und für kapitalmarktorientierte Unternehmen auch eine klare Karenzzeit zwischen einer Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender
und einer späteren Tätigkeit im Aufsichtsrat. Interessenkollisionen dürfen nicht auftreten.
({12})
Hier ist die Koalition schlicht zu weich.
Die Einschränkung, wonach die Karenzzeit für bisherige Vorstandsmitglieder nicht gelten soll, wenn der Vorschlag von Aktionären gemacht wird, die mindestens
25 Prozent der Stimmrechte halten, dürfte die Regel zur
Ausnahme machen. Das Quorum ist so niedrig gewählt,
dass diese Regelung vermutlich ins Leere läuft.
({13})
Die Haftung der Vorstände von Kapitalgesellschaften
ist in Deutschland bereits unmissverständlich geregelt
und im internationalen Vergleich sehr weitgehend. Entscheidend ist, dass eventuelle Ansprüche tatsächlich geltend gemacht werden.
({14})
Auch hierfür ist ein unabhängiger professioneller Aufsichtsrat erforderlich. Der vorgesehene Selbstbehalt bei
der Managerhaftung ist dabei eher ein wirkungsloses Instrument, wenn es darum geht, die persönliche Haftung
zu erhöhen.
Mit dem Corporate Governance Kodex von 2001 ist
ein Weg gewählt worden, mit dem flexibel auf aktuelle
Entwicklungen reagiert werden kann. Mit der Entsprechenserklärung nach § 161 Aktiengesetz ist eine verbindliche Form gefunden worden, Transparenz über die
Firmenpolitik zu schaffen. Dieses flexible Instrument
darf in Zukunft nicht entwertet werden. Leider haben Sie
aber den Weg dahin durch den Gesetzentwurf zum Teil
schon eingeschlagen.
Unter Abwägung all dieser Aspekte bleibt für die
FDP nur der Schluss, dass der Gesetzentwurf nicht geeignet ist, die erkannten Probleme wirksam anzugehen.
In einigen Bereichen geht der Gesetzentwurf deutlich zu
weit, in anderen ist er etwas zu zaghaft. Die Stärkung der
Eigentümerrechte und der Unabhängigkeit, die Professionalisierung der Aufsichtsräte und die Anerkennung
des Corporate Governance Kodex werden im Koalitionsentwurf vernachlässigt. Deshalb lehnt die FDP den Gesetzentwurf ab.
({15})
Das Wort hat nun Kollege Jürgen Gehb für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zu diesem Thema kann man hochemotional aus
dem Bauch oder rational mit kühlem Kopf und klarem
Verstand führen.
({0})
Leider wird sie von einigen nur geführt, um den Bauch
zu bedienen, und das insbesondere auf Parteitagen, um
sich dann genussvoll im Applaus des Parteivolks zu sonnen.
Ich könnte jetzt auch von diesem Platz aus donnernd
die Zuschauer auf den Besucherrängen und vor dem
Fernsehgerät oder ganz allgemein die Bürger fragen:
({1})
Finden Sie es richtig, dass die Chefs von Eon oder
Porsche oder auch die Fußballspieler Ronaldo und
Ibrahimovic so hohe Gehälter bekommen? Finden Sie
das in Ordnung? Ist das gerecht?
Das findet sicherlich keiner gerecht. Nicht nur jeder
Normalverdiener, sondern jeder Normalsterbliche wird
das unglaublich, irrsinnig, aberwitzig, verrückt oder unanständig finden. Das haben wir alles schon gehört. Es
ist richtig: Das ist irrwitzig und aberwitzig. Ist es aber
die Aufgabe des Gesetzgebers, überall für die Mores
- für Sitte und Anstand - zu sorgen? Ich glaube, das ist
nicht seine Aufgabe.
Ich teile die Empörung und habe Verständnis dafür.
Nicht nur ich, sondern auch Industrieführer und Repräsentanten des Handwerks haben dafür Verständnis. Aber
eine gesetzliche Begrenzung oder Festlegung von Managergehältern ist bisher nicht vorgesehen und soll auch
nicht vorgesehen werden.
Deshalb will ich das Refrainspielchen des Kanzlerkandidaten der SPD beim letzten Parteitag
({2})
nach dem Muster „‚War der Kasper schon da?‘ - Das
Volk ruft: ‚Ja!‘“ in einem Punkt korrigieren. Steinmeier
fragt: „Wer hat sich die Begrenzung der Managergehälter ausgedacht?“ - Die SPD antwortet: „Die SPD!“
({3})
- Richtig. - Steinmeier fragt weiter: „Wer hat sie durchgesetzt?“ - Das Volk grölt wieder: „Die SPD!“ - Gott sei
Dank ist das nicht richtig.
Herr Poß, Sie haben heute selbst gesagt, dass Sie als
Gesetzgeber keine Festsetzung und keine Begrenzung
haben wollen. Sie wollen die Rahmenbedingungen und
die Gesichtspunkte, nach denen sich ein Aufsichtsrat zu
richten hat, ändern.
({4})
Die Spanier und der Präsident von Real Madrid, Herr
Pérez, wollen nicht, dass das spanische Parlament das
Gehalt von Ronaldo festsetzt.
({5})
Auch wir wollen nicht, dass den Fußballspielern, Opernsängern oder Vorstandsmitgliedern von uns gesagt wird,
wie viel sie zu verdienen haben. Das können wir bei den
Beamten und den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes machen, aber nicht in der freien Wirtschaft.
({6})
Allerdings - da gebe ich Ihnen recht - macht uns das,
was sich insbesondere durch die Finanzkrise gezeigt hat,
nicht blind vor der Notwendigkeit, das gegenwärtige Regelwerk des Aktiengesetzes, § 87 Abs. 1 und Abs. 2
etwa, zu konkretisieren. In der Zeitung liest man dauernd, dass die Haftung der Vorstände mit dem neuen Gesetz verschärft wird. Das halte ich für ein Märchen.
Meine Damen und Herren, wir haben de lege lata schon
die schärfste Haftung auf der ganzen Welt. In § 93 des
Aktiengesetzes steht: Die Vorstände haben die Sorgfalt
des gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. - Es
handelt sich also nicht um die übliche Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, die berühmte diligentia quam in
suis - es geht darum, nicht wie ein Hallodri zu Hause alles herumliegen zu lassen -; es handelt sich um eine
scharfe Haftung bei jeder Form des Verschuldens. Daran
ändern wir gar nichts.
Sie haben den Nagel auf dem Kopf getroffen, Herr
Kollege von der FDP. Die Schwachstelle ist im Grunde
genommen die Frage, wer die Haftung geltend macht.
Die Aufsichtsräte müssten sie geltend machen.
({7})
Es gibt das alte Sprichwort: Wo kein Kläger, da kein
Richter. - Es kommt also auch auf die Besetzung der
Aufsichtsräte an. Ich habe schon in der ersten Lesung
gesagt, dass es in diesem Kartell zum Teil inzestuöse
Merkmale gibt. Da sagt der eine: Beißt du mich nicht,
beiß ich dich nicht. - Das ist eindeutig eine der
Schwachstellen. An die sind wir natürlich nicht herangegangen.
({8})
Das ist auch nicht so leicht; denn es gibt gesetzliche
und verfassungsrechtliche Begrenzungen. Alles andere
ist eine Konkretisierung der gegenwärtigen Gesetzeslage, die ich für richtig halte. Sie hebelt unsere Privatautonomie weiß Gott nicht aus.
Ich bin der Letzte, der sagt, dass ein Gesetz dann gut
ist, wenn es keinem gefällt. Hier muss man aber sagen:
Dem einen geht es zu weit, dem anderen geht es nicht
weit genug. Wahrscheinlich haben wir mit dem Mittelweg eine Lösung gefunden, die dem Problem immerhin
auf den Pelz rückt. Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, dass wir die Auswüchse, die wir zu beklagen haben,
mit diesem Gesetz auf null reduzieren. Wir können sie
aber minimieren.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich schützend
vor die 14 000 Aktiengesellschaften stellen, die nicht
alle Blutegel sind, die alle aussaugen; so habe ich das
neulich in einer Presseerklärung gelesen. Warum stehen
wir denn nach 60 Jahren so gut da? Erstens haben wir
fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zweitens
haben wir überwiegend - mindestens zu 95 Prozent anständige Lenker und Denker in den Unternehmen, die
dazu beigetragen haben, dass Deutschland ein prosperierendes Gemeinwesen ist.
({9})
Deswegen sollten wir aufpassen, dass wir das Kind
nicht mit dem Bade ausschütten, unseren inneren Kompass nicht verlieren und das Koordinatensystem nicht
restlos aus der Balance bringen. Ich finde, wir haben
eine Regelung mit einer Langzeitanreizwirkung getroffen. Es ist nicht so, dass der Topmanager des
Jahres 2009 garantiert derjenige ist, dessen Unternehmen 2010 den Bach runtergeht - Stichwort: Strohfeuer -,
weil die Aktienoptionen und die hohen Buchgewinne
schnell realisiert wurden. Statt zwei Jahre sind es nun
vier Jahre. Das ist ein kleiner Dämpfer.
Wir haben auch gesagt: Wenn die Leute rausgeflogen
sind und die Kurse steigen, werden nicht schon nach einem Jahr Boni ausgezahlt. - Denn jetzt gibt es eine Bemessungsgrundlage von drei Jahren. Das alles kann man
doch nicht für schlecht halten. Das hat die Koalition hervorragend hinbekommen.
Herr Poß, wir wollten eben keine steuerliche Deckelung bei der Auszahlung von Managergehältern. Wir
wollten auch nicht sozusagen in einer Präambel zum Aktiengesetz den eher schwer justiziablen Begriff „ein Unternehmen zum Wohle der Allgemeinheit führen“ verankern. Das mag sich alles gut anhören.
Aber das würde wiederum die Privatautonomie - wie
wir finden: auf verfassungsrechtlich bedenklicher Art
und Weise - einengen.
Deswegen sind wir zu einem anderen Ergebnis gekommen. Die Arbeitsgruppe hat in einer tollen Besetzung besonders früh angefangen. Als sich die anderen
erst noch zum dritten Mal zu Hause umgedreht haben,
haben wir schon zusammengesessen und haben beraten,
und zwar unter tatkräftiger Mitwirkung des Justizministeriums und der Mitarbeiter dort, liebe Brigitte Zypries,
sowie unserer Leute, namentlich von Otto Bernhardt, der
sich als unser Finanzexperte schon in allen möglichen
Gremien mit den Managergehältern befasst hat, aber
auch von Herrn Poß und Herrn Stünker.
Ich finde, wir haben einen Gesetzentwurf auf den
Weg gebracht, der es verdient, heute mit großer Mehrheit angenommen zu werden, damit die Leute wissen:
Wir verschließen nicht die Augen vor Auswüchsen,
scheren aber auch nicht alle Manager über einen Kamm.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat Kollegin Barbara Höll für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist wie immer: Zuerst schlagen Sie die
große Trommel, heraus kommt aber ein leises Pfeifen im
Wald. Der von der Großen Koalition eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung,
bleibt aber insgesamt Flickwerk; das muss man einfach
so konstatieren. Jetzt, in der Krise, trifft es wieder einmal die Beschäftigten am schwersten. Die Manager dagegen sind selbst jetzt recht erfolgreich bei der Verteidigung ihrer absolut überhöhten Ansprüche.
Beispiel Arcandor: 53 000 Frauen und Männer stehen
vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, unter anderem weil
der Exvorstandsvorsitzende, Herr Middelhoff, bei
Karstadt als gleichzeitiger Miteigentümer der Immobilien für unverschämt hohe Mieten gesorgt hat, um sich
daran zu bereichern, Mieten, die zum Tod jedes Unternehmens führen müssen. „Was sind das für Zustände?“,
frage ich Sie.
Bleiben wir bei diesem Konzern. Das Manager Magazin vom 12. Juni berichtet, dass der aktuelle Arcandor-Chef, Karl-Gerhard Eick, eine Gehaltsgarantie in
Höhe von 2 Millionen Euro pro Jahr für die nächsten
fünf Jahre hat. Insgesamt handelt es sich um über
10 Millionen Euro. Die bekommt er auch bei vorzeitigem Ausscheiden.
({0})
Seine Vergütung ist vom Insolvenzverfahren nicht betroffen, weil das Gehalt vom Großaktionär Sal. Oppenheim
garantiert wird. Da kann sich die Verkäuferin bei
Karstadt in Leipzig doch nur verarscht fühlen!
({1})
Für sie und ihre Kolleginnen und Kollegen bei Arcandor gibt es so etwas nicht. Das Management hat vielen
Quelle-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern Ende letzten
Jahres den Abschluss eines freiwilligen Aufhebungsvertrages nahegelegt. Gelockt wurden sie mit einer erhöhten, 130-prozentigen Abfindung. Nach der Anmeldung
zur Insolvenz gelten die Abfindungen nun jedoch als Insolvenzmasse und werden demzufolge nicht gezahlt.
Gleichzeitig müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unterzeichnet haben, Angst haben, ob sie überhaupt in den Insolvenzsozialplan des Konzerns kommen.
Schließlich haben sie die Aufhebungsverträge freiwillig
unterschrieben. Es kann ihnen passieren, dass sie nun
ohne alles dastehen: ohne Abfindung und ohne Einbeziehung in den Sozialplan. Herr Middelhoff und Herr Eick
haben ihren Hintern im Trockenen. Sie stört das nicht.
Aber ich frage Sie: Wo leben wir denn, dass das möglich
ist? Wie zum Hohn bezeichnet der Arcandor-Chef Eick
seinen Kontrakt noch als faire Vereinbarung.
({2})
Das ist nur ein Beispiel für die Selbstgerechtigkeit und
Dreistigkeit der Manager. Mehr Transparenz allein reicht
daher nicht aus, Managereinkünfte zu begrenzen.
({3})
Das ist einfach ein Schwachpunkt, sowohl des Gesetzentwurfs als auch der Anträge von FDP und Grünen.
Wir begrüßen im Gesetzentwurf der Koalition, dass
die Managerhaftpflichtversicherungen einen Selbstbehalt vorsehen müssen. Aber diese Maßnahme kann nach
Ansicht der Sachverständigen nur greifen, wenn den
Managern gleichzeitig verboten wird, sich von diesem
Selbstbehalt durch eine Rückversicherung zu befreien.
Das wäre dann kein wirklicher Selbstbehalt. Das fehlt in
dem Koalitionsentwurf; das muss man einfach feststellen.
Nach Ihrem Gesetzentwurf - das wurde mehrfach gesagt - sollen Manager ihre Boni in Form von Aktienoptionen nun frühestens nach vier Jahren zu Geld machen
können. Das ist, wenn auch halbherzig, immerhin besser
als die moralischen Appelle, die wir in letzter Zeit hören
konnten, beispielsweise Anfang Februar von Finanzminister Steinbrück. Norbert Röttgen hat im vergangenen
November gesagt:
Zur moralischen Verantwortung gehört es deshalb
nun, diese kurzfristigen Bonussysteme abzuschaffen.
Damals hat er das gesagt; jetzt haben Sie sich nicht dazu
durchringen können. Das ist die Realität.
Die Bezahlung der Manager mit Aktienoptionen ist
der Brandbeschleuniger für die Orientierung am kurzfristigen Profit.
({4})
Deshalb gehören diese Aktienoptionen schlicht und einfach verboten. Dies hat Ihnen die Fraktion Die Linke bereits im Mai 2006, vor drei Jahren, vorgeschlagen, lange
bevor Ihnen überhaupt diese Gedanken kamen. Warum
verbieten Sie das nun nicht einfach?
({5})
Ein Schelm, der denkt, dass das Managerinteresse bei Ihnen höher im Kurs steht als das der Beschäftigten!
({6})
Sie haben es im Gesetzentwurf versäumt - Herr Gehb
hat sich eben dafür gelobt -, die Frage der Üblichkeit der
Managervergütung unmissverständlich an das Lohn- und
Gehaltsgefüge des Unternehmens zu binden. Das wäre
möglich gewesen.
({7})
Heute jubelt das Handelsblatt:
Von ersten unausgegorenen Plänen ist zum Glück
nicht viel übrig geblieben. Etwa von der Forderung,
für Managervergütungen per Gesetz Obergrenzen
festzulegen.
Warum denn nicht?
({8})
Wir haben Ihnen das bereits im Oktober 2006 und im Januar 2008 vorgeschlagen.
({9})
Wir haben Ihnen den Vorschlag unterbreitet, das Zwanzigfache des Arbeitsentgeltes eines Arbeitnehmers oder
einer Arbeitnehmerin der untersten Lohngruppe als
Maßstab zu nehmen. Ich glaube, das ist für alle normal
denkenden Menschen plausibel: Der Manager sollte
nicht mehr als das Zwanzigfache des durchschnittlichen
Arbeitsentgeltes der untersten Lohngruppe verdienen.
({10})
Wir sind froh, dass sich die Grünen wenigstens unserer Forderung nach einer Begrenzung der steuerlichen
Abzugsfähigkeit von Abfindungen angeschlossen haben;
aber bei Ihnen in der Koalition hat auch das keine Mehrheit gefunden. Sie lehnen das ab.
Herr Röttgen hatte in einem Interview im November,
auf das ich schon verwiesen habe, einen Geistesblitz:
Ich lerne daraus, dass es zu kurz gesprungen ist,
wenn wir die Krise jetzt mit ein paar neuen Regeln
und Managerschelte aufarbeiten. Wenn wir dabei
stehen bleiben, kommt die nächste Krise bestimmt.
Recht hat er! Sie sind aber stehen geblieben; diesem
Vorwurf müssen Sie sich aussetzen.
({11})
Wir fordern endlich wirksame Schritte. Ein paar Beruhigungstropfen sind einfach zu wenig.
Wir als Linke werden uns heute bei der Abstimmung
enthalten, um zu honorieren, dass Sie wenigstens nachgedacht haben und ansatzweise in die richtige Richtung
gegangen sind.
({12})
Was Sie hier vorlegen, ist aber absolut zu wenig. Wenn
wir vorankommen wollen, müssen Sie endlich unsere
Vorschläge aufgreifen. Haben Sie Mut, nicht nur immer
bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder bei
den Rentnern zu kürzen, sondern die Manager zur Verantwortung zu ziehen!
Ich danke Ihnen.
({13})
Das Wort hat nun Kollegin Thea Dückert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Selbstverständlich birgt dieses Thema der überhöhten
Managergehälter, -vergütungen und -abfindungen, zumal in der Krise, eine hohe gesellschaftliche Sprengkraft, und zwar nicht nur, weil es sich um kein Einzelphänomen handelt, weil Manager neben Bankern
überhöhte Vergütungen erhalten. Vielmehr fällt dieses
Phänomen mit einem anderen zusammen - das wird vielen Menschen sichtbar -: Diese Manager mit ihren hohen Gehältern sind häufig zugleich für eine völlig kurzfristig ausgelegte Unternehmenspolitik verantwortlich,
die heute, in der Krise, zu immer mehr Arbeitsplatzverlusten führt.
({0})
Der Manager steht aber dank seines hohen Gehalts im
Trockenen, erhält vielleicht noch eine Abfindung, wäh25140
rend die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Regen stehen. Um dieses Problem müssen wir uns kümmern.
({1})
Das wollen Sie ebenfalls. Auch Sie haben sich verbal
empört und viel Wut über diesen Zustand gezeigt. Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und von
der SPD, das scheint mir doch keine echte Empörung zu
sein; denn Ihr Gesetz ist vor dem Hintergrund der Problematik eine echte Enttäuschung.
({2})
- Ja, es ist wachsweich formuliert, und es hat ganz viele
Hintertüren. Sie haben sich auf einen Minimalkonsens
geeinigt, der aber - wenn man das genauer betrachtet, erkennt man das - nicht dazu führen wird, dass sich das
Verhalten der Manager an Nachhaltigkeit und Langfristperspektiven orientiert. Schauen wir uns die Vorschläge
an: Sie schlagen vor - das wurde vorhin schon erwähnt -,
dass die Aktienoptionen statt nach zwei Jahren nun erst
nach vier Jahren eingelöst werden können. Das hat mit
Langfristorientierung nichts zu tun, gerade wenn man in
Krisenzyklen denkt. Sie haben zwar einen ganz netten
Ansatz und benennen das Problem richtig - das will ich
konstatieren -, aber Sie agieren nicht mutig genug.
({3})
Es ist wichtig, dass wir etwas tun, weil wir sehen,
dass trotz freiwilliger Vereinbarungen und trotz der Corporate-Governance-Diskussionen die Selbstregulierung
an vielen Stellen nicht greift. Wir müssen weitergehen,
aber auch das tun Sie nicht. Wir brauchen eine Gehaltsstruktur, bei der nur ein kleiner Teil des Gehalts variabel
ist, also an den Erfolg geknüpft ist. Wir brauchen eine
Gehaltsstruktur, bei der Erfolge und Misserfolge Einfluss auf das Gehalt haben und Manager durch Malusse
zur Kasse gebeten werden, wenn Misserfolge erzielt
oder falsche Entscheidungen getroffen werden. So etwas
müssen wir in den Vergütungsstrukturen verankern. Wir
brauchen eine Balance zwischen dem Erfolg und dem
Misserfolg bzw. den Fehlern, die Manager zu verantworten haben.
Es gibt ein weiteres Problem. Es geht nicht nur darum, dass wir mit den Strukturen richtige Anreize für die
Manager setzen, sondern auch darum, dass die Allgemeinheit nicht über das Steuersystem - die überhöhten
Managervergütungen und Abfindungen können steuerlich geltend gemacht werden - zur Kasse gebeten wird.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler können durch
die Strukturen, die wir heute haben, für überhöhte Managervergütungen ins Obligo genommen werden. Das geht
nicht. Die Möglichkeit, Managergehälter als Betriebsausgaben abzusetzen, muss begrenzt werden. Wir
schlagen vor, eine Summe in Höhe von 500 000 Euro
jährlich festzulegen.
Ähnliches gilt auch für die steuerliche Absetzbarkeit
von Abfindungen. Es geht nicht nur um Vergütungen,
sondern es geht auch um den goldenen Handschlag.
({4})
- Herr Poß, das ist Ihr Vorschlag. Ich finde es schön,
dass Sie sich unserem Vorschlag anschließen.
({5})
Sie haben ein Gesetz vorgelegt, in dem das nicht vorkommt. Wir fordern das ein. Setzen Sie sich in der Koalition durch, und beschließen Sie die notwendigen steuerrechtlichen Änderungen!
({6})
Es geht aber auch darum - das wurde schon angesprochen -, dass der Manager selber mit seinem privaten
Einkommen haftbar gemacht wird, wenn er Schaden
verursacht, beispielsweise weil er falsche Informationen
gegeben oder Leute aufs Glatteis geführt hat. Auch in
solchen Fällen brauchen wir eine Selbstbeteiligung des
Managers an den Schadenersatzzahlungen. Das müssen
wir über die Versicherungsbeiträge und die Haftungsregelung sicherstellen. Sie waren an dieser Stelle ein Stück
weit aktiv - das will ich gerne anerkennen -, aber Sie haben die neuen Regelungen zur Managerhaftpflichtversicherung, die Sie vorschlagen, nur auf das Festgehalt bezogen. Durch diese Begrenzung eröffnen Sie wiederum
die Möglichkeit, dass die Manager diese Regelung umgehen und damit letzten Endes nicht mit ihrem privaten
Vermögen in die Haftung genommen werden.
Auf einen weiteren Punkt möchte ich zum Schluss
noch eingehen, der durchaus in die richtige Richtung
geht, nämlich die Bestimmung, dass der gesamte Aufsichtsrat über die Vorstandsverträge entscheiden muss.
Aber das reicht uns bei weitem nicht aus. Eigentlich
sollte die Aktionärsversammlung die Möglichkeit bekommen, einen finanziellen Rahmen für die Höhe und
die Ausgestaltung der Managergehälter vorzugeben;
denn wir müssen doch folgendes Problem berücksichtigen: Die Aufsichtsräte sind häufig mit Kollegen aus anderen Unternehmen besetzt, und insofern besteht hier
quasi systembedingt ein Eigeninteresse, mit einer Gehaltsspirale nach oben zu arbeiten. Deswegen wäre es
notwendig und richtig, dass die Aktionärsversammlung
hierbei die Grenzen zieht.
Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die ich jetzt
nicht mehr ausführen kann. Wir haben Ihnen aber einen
Antrag vorgelegt, in dem wir weitere Punkte zum Thema
Managergehälter aufgreifen. Ich hoffe, Sie werden sich
in weiteren Debatten dazu durchringen können, nicht nur
zu reden, sondern tatsächlich eine wirksame Regulierung der Managergehälter vorzunehmen. Diese ist ökonomisch einfach notwendig. Zwar geht die Legislaturperiode zu Ende, aber man muss auch in Zukunft weiter
daran arbeiten. Ich kann das dann nicht mehr tun, weil
ich nicht mehr kandidiere. Ich wünsche Ihnen aber noch
gute Verrichtung und viel Freude bei diesem Thema. Sie
haben da so viele Baustellen übrig gelassen, dass man
das in der nächsten Legislaturperiode mit Freude und mit
der Unterstützung von den Grünen dann weiter verfolgen kann.
Danke schön.
({7})
Ich erteile das Wort Bundesministerin Brigitte
Zypries.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir ziehen mit diesem Gesetzentwurf eine wichtige Lehre aus
der Finanzmarktkrise; das ist schon gesagt worden. Wir
steuern um, weil wir erkannt haben, dass einer der wesentlichen Gründe für diese Finanzmarktkrise das Vergütungssystem für Managerinnen - es gibt allerdings nur
wenige von ihnen - und Manager war. Das ist ein Befund, der heute von allen geteilt wird, auch von allen
weltweit tätigen Instituten. Unser Gesetzentwurf sieht
nun vor, dass wir da hineingrätschen und sagen: Ganz so
wie bisher geht es nicht mehr.
Aber, liebe Thea Dückert, es kann nicht sein, dass wir
Sonderregelungen für Manager schaffen, indem wir festlegen, sie müssten in anderer Weise persönlich haften,
als es ansonsten in dieser Gesellschaft üblich ist, und alle
Last der Haftung bei den Vorständen abladen. Das kann
nicht funktionieren, denn wir müssen durchaus die Bereitschaft von Vorständen aufrechterhalten, verantwortlich unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Hinterher sieht sowieso immer alles anders aus und man
weiß alles besser als in dem Moment, in dem die Entscheidung getroffen wurde. Insofern muss man es meines Erachtens sinnvoll regeln, und, ehrlich gesagt, meine
ich auch, dass wir dies hier geschafft haben. Dazu will
ich nun etwas sagen.
Zunächst noch einmal zum Grundsätzlichen: Es ist
richtig, dass Vorstandsvergütungen auch aus variablen
Bestandteilen bestehen. Wir haben uns aus gutem Grund
vor einigen Jahren von der Festvergütung verabschiedet,
weil wir meinten, es müssten etwas stärkere Leistungsanreize gesetzt werden können. Aber wir haben jetzt
festgestellt, dass dies eine Frage der Kriterien ist. Wenn
die Bemessungsgrundlage nur die letzten Quartalszahlen
oder ein Börsenkurs zu einem bestimmten Stichtag ist,
dann greift dies eben zu kurz. Das ist dann kein Anreiz
zur Leistung, sondern ein Stimulus, um Leistung zu simulieren. Das verleitet dazu, leichtfertig Risiken einzugehen, um kurzfristige Scheinerfolge zu erzielen. Der
langfristige Erfolg eines Unternehmens kommt bei solchem Vorgehen zu kurz.
Dass der Befund, es habe eine Fehlentwicklung stattgefunden, von allen geteilt wird, habe ich eben schon
einmal gesagt. Es ist deshalb richtig, dass nicht nur in
Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern
- heute waren die Zeitungen voll von Informationen
über das, was in Amerika gemacht wird - überlegt wird,
was Politik machen muss, um Markt zu regeln. Schließlich müssen wir aus der Krise die Erkenntnis ziehen: Der
Markt allein kann es nicht. Deshalb ist klar: Der Markt
braucht Regeln, wenn er funktionieren soll. Ohne Regeln
besteht sogar die Gefahr - so scheint es jetzt wenigstens -,
dass er sich selbst zerstört. Solche Regeln liegen nicht
nur im Interesse der Unternehmen, sondern auch im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
der Standortgemeinden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind darauf angewiesen, dass sie längerfristig
Arbeitsplätze haben. Die Kommunen in Deutschland
sind für ihre Haushaltsplanungen darauf angewiesen,
dass sie regelmäßige Gewerbesteuereinnahmen haben.
Deshalb ist das, was wir tun, für die Struktur dieser Gesellschaft insgesamt wichtig.
Was tun wir für mehr Langfristigkeit?
Erstens. Wir legen im Gesetz fest, dass die Aufsichtsräte die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung hin ausrichten müssen.
Zweitens bestimmen wir, dass die variablen Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben müssen.
Drittens verlängern wir bei den Aktienoptionen die
Haltefrist von zwei auf vier Jahre. Frau Dr. Dückert,
auch hier ist es so, dass man sich schon darüber im Klaren sein muss, dass das ein Eingriff in Eigentum ist.
Nach der Kritik an der Verlängerung der Haltefrist auf
bloß vier Jahre wollte ich darauf nur kurz hinweisen.
Man muss versuchen, irgendwie eine sinnvolle Regelung zu finden; denn das, was wir vorhaben, ist - ich
wiederhole - ein Eingriff in Eigentumsrechte. Man kann
nicht einfach sagen: Der Besitz von Aktienoptionen ist
zwar legal, aber die nächsten 20 Jahre dürft ihr als Eigentümer damit nichts anfangen. Das kann nicht funktionieren. Deswegen muss man - das meine ich wenigstens einen vernünftigen Mittelweg bei der Haltefrist finden.
Mehr Langfristigkeit bei der Berechnung der Boni hat
noch einen weiteren wichtigen Effekt: Die Vorstandsgehälter nehmen künftig an der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens teil, und zwar nicht nur am Erfolg, sondern auch am Misserfolg. Es gibt also eine
Malusregelung; es ist nicht so, dass wir keine geschaffen
haben. Ich meine, eine solche Regelung ist wichtig; denn
jeder, der risikoreiche Entscheidungen fällt, muss wissen, dass es im Zweifel auch ihn persönlich treffen kann,
wenn es schiefgeht. Wir senden damit das richtige Signal.
Aufgrund dieser Erkenntnis erweitern wir die Möglichkeiten, Vorstandsbezüge zu kürzen. Wenn man in
Boomzeiten Millionengehälter vereinbart hat und ein
Unternehmen später in der Krise steckt, dann darf man
nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Opfer zumuten.
({0})
Dann müssen künftig auch - das muss völlig klar sein Vorstandsgehälter gekürzt werden.
Von meinen Vorrednern wurde schon die Versicherung für die Managerhaftung angesprochen. Der Gesetzentwurf schreibt ausdrücklich einen Selbstbehalt vor und
stellt auch damit sicher, dass Eigenverantwortung zu
übernehmen ist.
Nächster Punkt: Transparenz. Wir wollen, dass alle
Aufsichtsratsmitglieder die Verantwortung für die Bezahlung der Vorstände mittragen. Wir haben auch darüber diskutiert, inwieweit über die Bezahlung der Vorstände auf einer Hauptversammlung entschieden werden
sollte. Aber wir haben da festgestellt: Die Regelung
muss in gewisser Weise auch praktikabel sein. Wenn
man extra eine Hauptversammlung einberufen muss, um
einen ausgeschiedenen Vorstand zu ersetzen, dann ist
das alles andere als praktikabel. Wir haben deshalb gesagt: Es geht um Transparenz, und somit müssen die
Aufsichtsräte in toto aktiv werden und nicht mehr einzelne Ausschüsse, die nur aus wenigen Personen bestehen. Das ist auf alle Fälle eine Maßnahme, die für die
Transparenz sorgt, die wir wollen. Bekanntlich sind die
Aufsichtsräte in Deutschland ja paritätisch besetzt, und
von daher ist hinreichende Transparenz gegeben.
({1})
- Nein, das nicht. Wir nennen das, was ich meine: paritätische Mitbestimmung in Deutschland.
Wir haben darüber hinaus jedoch vorgesehen - das ist
ein Schritt in die gewünschte Richtung -, dass die
Hauptversammlung künftig ein Votum über die Struktur
des Vergütungssystems abgeben kann, das der Aufsichtsrat dann umsetzen kann. Ich glaube, das ist ein vernünftiger Kompromiss.
Ein weiterer Punkt, der für eine gute und transparente
Unternehmensführung wichtig ist und der auch Vertrauen in die Unternehmen schaffen soll, ist die vorgesehene Karenzzeit für den Wechsel vom Vorstand in den
Aufsichtsrat. Das ist ein sehr umstrittenes Thema, vor allen Dingen für diejenigen, die es betrifft. Die Argumente
zu dieser Thematik sind schon lange ausgetauscht worden; denn darüber diskutieren wir schon seit vielen Jahren. Der Gesetzgeber hatte deshalb schlicht eine Abwägung zu treffen. Es geht einerseits um die Erhaltung von
Wissen um Interna im Unternehmen - ein Grund, weshalb viele gesagt haben, dass es vernünftig ist, dass ein
Wechsel stattfinden kann -, andererseits geht es um die
Vermeidung von Interessenkonflikten, sprich: Die Kontrolleure im Aufsichtsrat können schlecht das kontrollieren, was sie vorher verbockt haben.
Ich glaube, dass wir hier eine vernünftige Lösung gefunden haben. Sie ähnelt der Lösung zur Offenlegung
von Managergehältern. Wir haben vereinbart, dass wir
die Offenlegung im Grundsatz vorschreiben, aber wenn
sich ein bestimmtes Quorum der Hauptversammlung dagegen ausspricht, dann akzeptieren wir das; denn es gilt
der Grundsatz: Die Aktionäre sind die Eigentümer des
Unternehmens. Die Aktionäre müssen bestimmen können, was passiert. Im Falle der Karenzzeit ist es genauso.
Im Grundsatz gibt es eine Abkühlungsperiode, aber
wenn sich Aktionäre mit Stimmrechten von mehr als
25 Prozent für einen Verzicht auf die Karenzzeit aussprechen, weil sie ein Mitglied des Vorstands im Aufsichtsrat haben möchten, dann ist das möglich.
({2})
Von daher bleibt die Verantwortung der Aktionäre, also
der Eigentümer des Unternehmens, erhalten. Das halte
ich persönlich für richtig, weil wir als Gesetzgeber nicht
den Eindruck erwekken dürfen, als würden wir allzu viel
regeln. Es gilt nämlich nach wie vor: Eigentümer eines
Unternehmens müssen Verantwortung übernehmen.
Das Gute an solchen Regelungen ist, dass sich vielleicht manche Aktionäre überlegen, sich um ihre Aktiengesellschaft zu kümmern, statt nur wie einige darauf aus
zu sein, einen schnellen und guten Schnitt mit der Aktie
zu machen. Was wir den Vorständen vorwerfen, gilt in
gewisser Weise auch für die Aktionäre, die bisher auch
zu wenig Verantwortung übernommen haben. Ich halte
es für keine schlechte Idee, das aneinander zu koppeln.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Für uns ist das Gesetz, das wir heute verabschieden wollen, auch ein kleiner Beitrag zur Aufarbeitung
der internationalen Finanzkrise.
({0})
Die Justizministerin hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass alle Fachleute, die diese Krise analysiert haben,
zu dem Ergebnis gekommen sind, dass diese Krise durch
das Vergütungssystem von Managern zumindest verstärkt worden ist.
Dass das Thema Managergehälter schon seit langer
Zeit diskutiert worden ist, erkennen Sie daran, dass
schon im Jahr 2000 eine hochrangige Kommission eingesetzt wurde, die den Auftrag hatte, Maßstäbe für diesen Bereich festzulegen. Diese Kommission hat hervorragende Arbeit geleistet. Sie hat viele Maßstäbe
entwickelt, die vom überwiegenden Teil der großen Aktiengesellschaften befolgt werden.
Das Problem eines Kodexes ist natürlich, dass er freiwillig ist. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass sich eine
Reihe von Firmen nicht daran gehalten hat. Vor allem
haben wir festgestellt - ich erinnere an die Aussage unserer Kanzlerin -, dass die Tatsache, dass einige ManaOtto Bernhardt
ger ganz offensichtlich versagen, aber mit riesigen Summen und hohen monatlichen Zahlungen sozusagen in
den Ruhestand gehen, den sozialen Frieden in Deutschland gefährdet. Das zeigen die unangenehmen Einzelfälle, über die wir schon mehrfach diskutiert haben.
({1})
Vor diesem Hintergrund war es aus meiner Sicht richtig, dass die Große Koalition im September des vergangenen Jahres eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat, die
den Auftrag hatte, sich über Veränderungen Gedanken
zu machen.
({2})
- Es ist richtig, dass die Sozialdemokraten schon vorgearbeitet und einen Vorschlag gemacht hatten. Wir haben
nachgezogen. Ich kann nur sagen: Was wir jetzt verabschieden, kann sich sicher sehen lassen. Um es in aller
Deutlichkeit zu sagen: Das unterstreicht die Handlungsfähigkeit der Großen Koalition.
({3})
Mich stimmt besonders Folgendes nachdenklich:
Während der amerikanische Präsident gestern oder vorgestern sehr klar erklärt hat, viele Regelungen hätten
versagt und deshalb sei es zur Finanzkrise gekommen,
erweckt ein Teil der Wirtschaft in Deutschland - ich will
es relativieren: ein kleiner Teil der Wirtschaft - den Eindruck - dies kann ich anhand der mir zugesandten Briefe
feststellen -, dass wir überhaupt nichts zu verändern
brauchen, und zwar getreu dem Motto: Wir tauchen mal
zwei Jahre unter, und dann machen wir so weiter.
({4})
Ich sage sehr deutlich: Das ist mit uns nicht zu machen.
Natürlich werden wir diese Krise überwinden. Aber
einige Hunderttausend Menschen sind im Zuge dieser
Krise schon arbeitslos geworden. Es werden weitere folgen. Die Situation für die 1 Million Menschen, die in
Kurzarbeit ist, ist auch nicht so rosig; denn sie bringen
netto deutlich weniger nach Hause. Für die betroffenen
Familien ist das nicht so toll. Durch die Einbrüche auf
den Weltmärkten gehen uns Hunderte von Milliarden
verloren, die wir für viele andere vernünftige Dinge hätten einsetzen können.
Ein „Weiter so!“ wird es mit uns nicht geben.
({5})
Wir werden in vielen Bereichen vieles verändern müssen. Aber wir müssen auch aufpassen - ich glaube, den
Maßstab haben wir beachtet -, dass wir jetzt nicht etwa
der Versuchung erliegen, zu alten Systemen überzugehen. Dazu gab es einen katastrophalen Vorschlag der
Linken.
({6})
Ich weiß, dass in der DDR die Gehälter festgelegt waren.
Aber wo ist man damit gelandet? Wenn wir so verfahren
würden, würden wir keine guten Manager mehr finden.
Deshalb werden wir diesen Weg nicht gehen. Zur Ehrenrettung der Großen Koalition ist zu sagen: Auch unser
sozialdemokratischer Partner wollte ein solches Vorgehen nicht, zu Recht nicht. Die Festlegung der Gehälter
muss in der Verantwortung der Aufsichtsräte bleiben.
Es stellte sich die Frage - auch dazu will ich eine Bemerkung machen -, ob man die steuerliche Abzugsfähigkeit der Gehälter begrenzt. Man kann diesen Weg gehen. Für mich ist aber schon die Regelung, die
Aufsichtsratsvergütungen nur zur Hälfte absetzen zu
können, ein Sündenfall. Unser Koalitionspartner betrachtet dies als ein Signal in die richtige Richtung. Ich
sage nur: Wenn wir anfangen, die Gehälter auf 1 Million
Euro zu begrenzen, dann schließen sich die nächsten
Forderungen an: Der Dienstwagen darf nur noch 40 000
Euro
({7})
und das Büro nur noch 20 000 Euro kosten. Zum Schluss
darf man nicht einmal mehr mit einem wertvollen Füller,
sondern nur noch mit einem Filzstift unterschreiben.
({8})
Ich als Betriebswirt halte das Vorgehen, zwischen guten
und schlechten Kosten zu unterscheiden, für falsch und
gefährlich. Ich bin der Meinung, diesen Weg sollten wir
nicht gehen. Aber wie gesagt: Man kann hier unterschiedlicher Meinung sein.
Besonders wertvoll ist aus meiner Sicht die Karenzzeit, die wir einführen werden. Ich gebe zu, Frau Ministerin, das ist der Punkt, zu dem ich die meisten Briefe
bekommen habe. Ich weiß, dass sich viele betroffen fühlen, weil sie den Weg vom Vorstand in den Aufsichtsrat
gegangen sind. Ich glaube auch nicht, dass die von uns
eingeführte Grenze von 25 Prozent der Anteile, bei deren Besitz die Karenzzeit ausgesetzt werden kann, dazu
führt, dass diese Bestimmung nicht mehr zieht. Wir haben dabei an Firmen gedacht, bei denen eine Familie
mehr als 25 Prozent der Anteile besitzt. Ich glaube nicht,
dass ein solcher Anteil bei den Publikumsaktiengesellschaften leicht erreicht werden kann. Ich bin der Meinung, dass eine Karenzzeit von zwei Jahren die Regel
sein wird und der Übergang ohne Verzögerung in Zukunft die Ausnahme bleibt. Ich sage an dieser Stelle,
auch wenn diese Position in der Wirtschaft umstritten
ist: Es war notwendig, diesen Schritt zu vollziehen,
nachdem wir schon viele Jahre darüber diskutiert haben.
({9})
Ich finde es gut, dass wir den Mut hatten, ihn jetzt zu gehen.
Ich stelle abschließend fest: Die Große Koalition beweist kurz vor der Bundestagswahl - es ist die vorletzte
Sitzungswoche -, dass sie bereit und in der Lage ist, vernünftige Antworten auf schwierige Fragen zu finden. In
diesem Sinne hoffe ich, dass das Gesetz heute eine große
Mehrheit findet.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Angemessenheit der Vorstandsvergü-
tung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13433,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 16/12278 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men von FDP und Grünen bei Stimmenthaltung der Lin-
ken angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Dazu liegen eine Reihe von
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor.1) Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zwei-
ten Beratung angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Professionalität und Effizienz der Aufsichts-
räte deutscher Unternehmen verbessern“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13433, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/10885 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Grünen
angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Exzesse bei Managergehältern
verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13425, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 16/12112 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
1) Anlage 7
der Grünen bei Stimmenthaltung der Linken angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 16/8441, 16/10622 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Januar 2008 gab es den Fall Nokia. Abgesehen von einigen außergewöhnlichen Handlungen - ich glaube, irgendein Minister hat sein Handy an die Wand geworfen;
so war zumindest in der Zeitung zu lesen - gab es damals viel Empörung über die Frage: Wie gehen wir eigentlich in Deutschland mit Subventionen an Unternehmen um? Wir haben dann im März 2008 eine Große
Anfrage an die Bundesregierung gestellt und im Oktober
2008 die Antwort bekommen. In der heutigen Debatte
geht es um die Antwort auf unsere Anfrage, verbunden
mit einem Entschließungsantrag.
Uns hat interessiert: Nach welchen Kriterien werden
Subventionen vergeben? Wird überhaupt überprüft, wie
die Subventionen wirken? Gibt es eine Kosten-NutzenAnalyse? Angesichts der Summe, über die wir hier jährlich verfügen, ist es durchaus interessant, einmal nachzufragen, wie die Subventionen, die in Deutschland vergeben werden, eigentlich wirken.
Zudem lohnt ein Blick in Ihren Koalitionsvertrag. Da
heißt es nämlich:
Wir werden mutig sparen und Subventionen abbauen. Das hat Vorrang.
({0})
Im Übrigen steht dort auch: Ohne Steuererhöhungen ist
eine Konsolidierung für unser Land nicht zu schaffen; so
viel am Rande mit Blick auf eine Debatte, die an anderer
Stelle geführt wird.
Jedenfalls ist festzustellen: Die Bundesregierung hat
für die Subventionsvergabe Kriterien beschlossen; aber
sie wendet sie überhaupt nicht an.
({1})
Die Selbstbindung der Regierung lautet nämlich:
Erster Punkt. Subventionen sollen nur dann ausgereicht werden, wenn sie am besten geeignet sind, die angestrebten Wirkungen zu erzielen. Dies hat unter Kosten-Nutzen-Analysen zu erfolgen. Wenn ich mir die
Antwort auf unsere Anfrage anschaue, dann muss ich
feststellen, dass eine solche Kosten-Nutzen-Analyse
nicht stattfindet. Das heißt, schon der erste Punkt dieser
Selbstbindung, nämlich die Subventionen auf ihre Wirkung hin zu prüfen, wird nicht umgesetzt. Glatte Fehlanzeige!
({2})
Zweiter Punkt: Subventionen sollen vorrangig als Finanzhilfen geleistet werden und durch Einsparungen an
anderer Stelle finanziert werden. Auch hier wieder absolute Fehlanzeige. Das Verhältnis zwischen Finanzhilfen
und Steuervergünstigungen oder Subventionen beträgt
nämlich ungefähr ein Drittel zu zwei Drittel.
Der dritte Punkt dieser Selbstbindung heißt: Neue Finanzhilfen sollen befristet und degressiv gestaltet werden.
({3})
Das ist ein nobler Vorsatz. Aber selbst die Abwrackprämie, die im Konjunkturpaket II beschlossen worden ist,
ist nicht degressiv gestaltet, sondern die Mittel dafür
wurden sogar noch erhöht.
({4})
Das heißt, auch hier gehen Sie konträr zu den Kriterien
vor, die Sie sich selber gesetzt haben.
({5})
An andere Punkte, an das Dienstwagenprivileg, das Ehegattensplitting und die Mineralölsteuerbefreiung für
Flugzeuge, gehen Sie gar nicht heran.
Vierter Punkt der Selbstbindung: Sowohl die Überprüfung der Ziele als auch eine Erfolgskontrolle von
Subventionen haben regelmäßig zu erfolgen. Das passiert nicht. Es gibt keine wirtschaftliche Wirkungsanalyse. Das BMF hat dazu ein allgemeines Forschungsprojekt aufgelegt und angekündigt, diese Dinge anzugehen.
Wo bleiben die Ergebnisse? Wir haben von der Analyse
der Wirkung von Subventionen seitdem nichts mehr gehört. Die Wirkung müssen wir uns aber einmal anschauen. Da werden jedes Jahr Milliarden ausgegeben,
und es wird nicht geprüft, wie sie wirken. Dies ist ein
Fehler, und dies werfen wir Ihnen vor.
({6})
Ein weiterer Punkt dieser Selbstbindung - dann bin
ich fertig mit diesen Punkten; man könnte das weiterführen; aber ich will Sie verschonen und nicht weiter deutlich machen, wo Sie Ihre Vorgaben nicht einhalten -: Es
soll stets geprüft werden, inwieweit Steuervergünstigungen in Finanzhilfen umgewandelt werden. Es ist ja ein
richtiger Ansatz, zu fragen: Können wir Steuervergünstigungen in Finanzhilfen umwandeln? Die Bewertung
führt jedoch zu dem Ergebnis: völlige Fehlanzeige. Im
Konjunkturpaket II sind Maßnahmen enthalten, die definitiv keine Finanzhilfen sind. Es sind vielmehr einmal
festgesetzte Positionen, die uns immer wieder verfolgen
werden. Beispiele sind die Einkommensteuersenkung,
die wir ablehnen, die steuerfinanzierte Absenkung der
Krankenversicherungsbeiträge und die Kfz-Steuerbefreiung. Dies alles sind Punkte, bei denen es sich nicht um
Finanzhilfen, sondern um Subventionen und Steuervergünstigungen handelt. Hier handeln Sie Ihrem selbst aufgestellten Kriterium klar zuwider.
({7})
Ich möchte noch auf drei Fragen eingehen, die wir in
unserer Anfrage gestellt haben. Wir haben Sie gefragt,
ob es Subventionen zur Standortsicherung von Großunternehmen gab. Nein, ist die Antwort; diese gebe es
nicht.
({8})
- Die SPD sagt, dass auch sie das merkwürdig findet. Angesichts der jüngsten Ereignisse ist dies durchaus interessant.
Wir haben sinngemäß - nicht genau so, aber so gemeint - gefragt, ob sich Unternehmen, die Subventionen
für bestimmte Standorte erhalten haben, danach quasi
vom Acker gemacht haben. Die Antwort war: Diese gibt
es nicht. Das ist angesichts des Falles Nokia, der damals
schon bekannt war, ein interessanter Vorgang.
Es gibt im Übrigen - das ist für mich der wichtigste
Punkt - keine Datenerhebung darüber, wie viele der
Subventionen an kleine und mittlere Unternehmen gehen. Das ist doch ein Punkt, den wir uns einmal anschauen müssen. Wir wissen, dass von den Subventionen von EU-Seite nur 3 Prozent an die KMU fließen.
Der Rest geht an Großunternehmen, an Großkonzerne.
Es lohnt sich, sich dies einmal in Bezug auf Deutschland
anzuschauen. Was heißt dies eigentlich für unsere Subventionspolitik?
Wir haben Ihnen deshalb einen Entschließungsantrag
vorgelegt, in dem genau diese Punkte stehen, von denen
ich gesprochen habe. Wir wollen größtmögliche Transparenz. Wir wollen so geringe Mitnahmeeffekte wie
möglich. Wir wollen keine bloßen Erhaltungssubventionen. Wir wollen degressiv gestaltete Subventionen, und
wir wollen klare Kriterien für die Subventionsvergabe,
die dann auch eingehalten werden müssen. Dies steht in
unserem Entschließungsantrag und entspricht im Übrigen weitestgehend der Selbstbindung der Großen Koalition, an die sie sich nicht hält. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich zumindest formal oder symbolisch daran
zu halten, indem Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat Kollege Ole Schröder für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich fand die Große Anfrage der Grünen interessant.
Ihre Kritik an den Subventionen ist richtig. Es ist schwer
zu evaluieren, was Subventionen bringen. Interessant
fand ich auch Ihre Schlussfolgerung. Auf der einen Seite
sagen Sie, dass Sie keine Steuervergünstigungen wollen
- die Strompreissubventionen im Bereich der alternativen
Energien sprechen Sie überhaupt nicht an; das sind für
Sie keine Subventionen, auch wenn die alternativen Energien natürlich unterstützt werden -, auf der anderen Seite
fordern Sie aber Steuervergünstigungen im Bereich der
Forschung. Diese Steuervergünstigungen wollen Sie bei
Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern kappen. Das
ist eine unglaubliche Bürokratie. Können Unternehmen mit
270 Mitarbeitern nicht vernünftig forschen? Was machen
Sie eigentlich, wenn solche Unternehmen im Bereich der
Gentechnologie und im Bereich der Kernenergie forschen?
({0})
Dann sehen Sie das hoffentlich auch positiv.
({1})
In Ihrem Entschließungsantrag geben Sie überhaupt
keine Antwort auf die von Ihnen richtig formulierten
Probleme der Subventionen.
Da wir uns in der schwersten Wirtschaftskrise der
Bundesrepublik Deutschland befinden, ist die Frage, wie
wir auf diese Krise reagieren, besonders wichtig. Ich
denke zum Beispiel an Beihilfen und vergünstigte Kredite.
Ich finde es sehr traurig, dass Sie in Ihrem Antrag nicht
einen einzigen Satz dazu geschrieben haben. Das ist ein
Armutszeugnis. Sie haben keine Antwort auf die Frage,
was Subventionen in der Krise bedeuten.
({2})
Die ganze Bundesrepublik diskutiert darüber, alle Zeitungen sind voll davon, aber Sie klammern diese wichtige
Frage in Ihrem Entschließungsantrag, der erst in dieser
Woche auf den Tisch gekommen ist, komplett aus.
({3})
Meines Erachtens ist es in einer solchen Krise Aufgabe
der sozialen Marktwirtschaft, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Das bedeutet auch, dass es ihre Aufgabe ist, dafür zu
sorgen, dass Unternehmen mit Krediten versorgt werden.
Das heißt aber gerade nicht - damit komme ich zum Kern
der Problematik dieser schweren Wirtschaftskrise -, dass
wir all das, was wir in den letzten Jahren zur Begrenzung
der Subventionspolitik beschlossen haben - das sprechen
Sie zu Recht an -, einfach über den Haufen werfen. Gerade
in der jetzigen Phase dürfen wir uns nicht einfach hinstellen und sagen, dass der Staat dafür da ist, sämtliche
Unternehmen zu retten, wie die SPD es momentan
macht. Ich bitte Sie wirklich, damit aufzuhören. Auch in
Zeiten der Wirtschaftskrise ist es Aufgabe des Staates, die
allgemeinen Rahmenbedingungen zu setzen. Gerade in
der jetzigen Zeit ist es entscheidend, dass die eingeleiteten
Hilfsmaßnahmen nicht zu Marktverzerrungen führen
und einzelne Unternehmen nicht bevorzugt werden.
({4})
Daher haben wir das Kredit- und Bürgschaftsprogramm
der Bundesregierung so ausgestaltet, dass die Kredite zu
Marktkonditionen vergeben werden. Die Hilfen stellen
somit keine Subvention im herkömmlichen Sinn dar. Der
Schirm dient dazu, im Kern gesunde Unternehmen, die
in normalen Zeiten wettbewerbsfähig sind,
({5})
vernünftig mit Krediten zu versorgen. Wir zielen damit
genau dorthin, wo die Krise entstanden ist, auf die Finanzmärkte.
Durch das KfW-Sonderprogramm erreichen wir - das
steht zurzeit in der Diskussion -, dass die durch die kritische Eigenkapitalausstattung der Banken entstandene Gefahr der Kreditklemme abgemildert wird. Die Konditionen,
zu denen die Unternehmen Kredite erhalten, richten sich,
um Marktverzerrungen zu verhindern, nach der Bonität der
Unternehmen. Besonders positiv ist, dass vor allen Dingen kleine und mittelständische Betriebe diese Kredite
annehmen. 98 Prozent entfallen auf kleine und mittelständische Betriebe. Positiv ist auch, dass die Hälfte dieser
Kredite Investitionskredite sind. Das heißt, dass diese
Kredite dazu dienen, Arbeitsplätze zu erhalten bzw. zu
schaffen. Die andere Hälfte dient allerdings nur dazu,
Betriebsmittel abzusichern. Das zeigt, wie problematisch
diese Krise ist. Viele Banken haben die Kreditlinien der
Unternehmen einfach gekappt.
({6})
Meine Damen und Herren, Unternehmen, die aus
selbstverschuldeten Gründen in Schieflage geraten sind,
sollen nicht unter diesen Schirm flüchten können. Der
Steuerzahler muss vor einer Haftung für Fehler von Unternehmensmanagern geschützt werden. Es ist daher richtig,
dass Unternehmen wie Arcandor, die aufgrund von Managementfehlern Probleme bekommen haben, nicht erst
künstlich über Wasser gehalten werden,
({7})
um sie dann womöglich nach der Bundestagswahl pleitegehen zu lassen. Es ist ganz klar, dass gerade im Fall
Arcandor erst einmal die Eigentümer, die ja solvent sind,
ihre Verantwortung übernehmen müssen und nicht der
Steuerzahler.
({8})
Ich bitte den Kanzlerkandidaten Steinmeier, zur Kenntnis
zu nehmen, dass ihm populistische Aussagen nach dem
Motto „Der Staat kann jedes Unternehmen retten“ im
Bundestagswahlkampf nichts nützen werden.
({9})
Wichtig ist, dass wir die auf EU-Ebene entwickelten
Kriterien jetzt streng anwenden. Die europäische und die
supranationale Dimension haben Sie allerdings völlig
ausgeblendet, und das, obwohl solche Entscheidungen
international abgestimmt werden. Ich bin froh, dass es uns
gelungen ist, auf europäischer Ebene dafür zu sorgen,
dass die Beihilfen, die aufgrund der gegenwärtigen Krise
notwendig sind, nur nach ganz klaren Vorgaben vergeben
werden dürfen. Unternehmen, die bereits vor dem 1. Juli
letzten Jahres in Schwierigkeiten waren, und Unternehmen,
die Zugang zum Kapitalmarkt haben, dürfen keine Hilfen
bekommen.
Meine Damen und Herren, jetzt komme ich auf Nokia
zu sprechen.
({10})
An der Standortverlagerung des Nokia-Werkes, die Anlass Ihrer Großen Anfrage war, lässt sich exemplarisch
aufzeigen, warum wir Subventionen nur äußerst restriktiv vergeben dürfen: weil es Mitnahmeeffekte gibt. Auch
wenn Nokia für seinen Abgang letztlich teuer bezahlt hat
- ein Großteil der Subventionen musste zurückgezahlt
werden -, wurde die Gefahr, die von solchen Mitnahmeeffekten ausgeht, deutlich; darauf haben Sie von den
Grünen hingewiesen.
Man muss aber nicht die Moralkeule gegen Nokia
schwingen.
({11})
Selbstverständlich orientieren sich Unternehmen an den
Vorgaben, die ihnen gemacht werden. Sie nehmen eine
ganz kühle Kalkulation vor. Das spielt im Übrigen auch
im Hinblick auf die Agrarsubventionen, über die momentan diskutiert wird, eine Rolle. Ich weiß nicht, ob es
uns weiterhilft, wenn wir im Internet nachlesen können,
wer in welchem Umfang Agrarsubventionen bekommt.
({12})
Das hat lediglich Prangerwirkung.
({13})
Wir sollten uns lieber einmal darüber unterhalten, welche Agrarsubventionen überhaupt noch vernünftig und
notwendig sind.
Noch einmal: Es ist richtig, dass wir Unternehmen,
die im Kern gesund sind, in dieser schweren Krise stützen.
Es ist aber nicht Aufgabe des Staates, Unternehmen, die
schon in normalen wirtschaftlichen Zeiten nicht wettbewerbsfähig waren, jetzt zu unterstützen und ihnen Subventionen zu zahlen.
Entscheidend ist, dass wir auch auf internationaler
Ebene alles unternehmen, um zu verhindern, dass es in
der jetzigen Krise zu einem Subventionswettlauf kommt.
Natürlich fürchten viele Staaten und Regionen, Arbeitsplätze und Unternehmen zu verlieren. Schon vor der Krise
wurden in bestimmten Bereichen ungeheuer hohe Subventionen gezahlt. Ein Beispiel ist die Chipherstellung.
Das, was in diesem Bereich passiert ist, hatte mit Markt
nichts mehr zu tun. Insbesondere in asiatischen Staaten
wurden die Investitionen teilweise und manchmal sogar
vollständig vom Staat übernommen. Dies führte natürlich
zu einer unglaublichen Überschwemmung des Marktes
mit den entsprechenden Produkten und hatte letztlich zur
Folge, dass die gesamte Chipindustrie heute am staatlichen
Tropf hängt. Im Bereich es Schiffbaus erleben wir seit
Jahrzehnten eine ähnliche Situation. Wir müssen aufpassen,
dass das Gleiche nicht weltweit im Bereich der Automobilindustrie geschieht.
({14})
International entsteht hier ein ähnlicher Subventionswettlauf. Die Amerikaner pumpen jeden Monat Milliarden
Dollar in die Automobilindustrie. Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie auf internationaler
Ebene versucht, diesen Subventionswettlauf zu stoppen.
({15})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Sie haben Ihre Redezeit schon weit überzogen.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Wenn es uns
nicht gelingt, diesen Subventionswettlauf zu stoppen, ist
es zumindest erforderlich, dass wir unsere Kernindustrie
mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln - natürlich
in begrenztem Umfang - stützen.
Sie müssen zum Ende kommen, lieber Kollege. Sie
haben Ihre Redezeit sehr deutlich überschritten.
({0})
Wir müssen dafür sorgen - lieber Präsident, das ist
der letzte Satz; ich habe wirklich übersehen, dass ich
über die Zeit bin -, dass wir Subventionen in normalen
Zeiten wie in Krisenzeiten nur in sehr begrenztem Umfang
zahlen.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Kollegin Ulrike Flach für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Dr. Schröder, Sie haben zu Recht davon gesprochen,
dass man einen Subventionsstopp propagieren sollte.
Dabei haben Sie aber völlig zu erwähnen vergessen, dass
wir uns nun schon im zweiten Jahr - ganz anders als in
den Vorjahren - auf einer Rekordhöhe der Subventionen
bewegen.
Diese Subventionen hängen auch nicht zwingend mit
der Krise zusammen, die Sie immer anführen. Das Jahr
2009 ist das Rekordjahr der Subventionen. Im Jahr 2008
betrugen die Finanzhilfen bereits 5,7 Milliarden Euro.
Inzwischen haben sie sich auf 11 Milliarden Euro verdoppelt. Allein 5 Milliarden Euro davon entfallen auf die
unselige Abwrackprämie.
Wie Sie mit der Abwrackprämie die Finanz- oder
Wirtschaftskrise bewältigen wollen, haben Sie uns nicht
erklären können. Ich glaube auch nicht, dass Ihnen das
gelingen wird.
({0})
Der Subventionsbericht nennt für 2008 Steuervergünstigungen in Höhe von 15,8 Milliarden Euro. Das ist
noch eine geschönte Version. Beim Kieler Institut für
Weltwirtschaft spricht man sogar von einer Höhe von
48,8 Milliarden Euro. Damit liegen wir auf einem deutlich höheren Niveau und zahlen einen viel höheren Preis.
Fakt ist, dass im Jahr 2009 weitere 1,1 Milliarden
Euro an Steuervergünstigungen dazukommen - zum
Beispiel durch den „wunderschön“ gegen die Weltwirtschaftskrise ersonnenen Kfz-Steuererlass für Neuwagen
oder die steuerliche Geltendmachung von Handwerkerdienstleistungen.
Ich kann nicht erkennen, dass Sie auf dem Weg waren,
der Welt zu helfen. Herr Dr. Schröder, nach meiner Einschätzung haben Sie nur gedacht, an dieser Stelle etwas
für Ihren Wahlkampf tun zu können.
({1})
Ich finde es auch sehr erstaunlich, dass vonseiten der
SPD immer noch unverfroren davon gesprochen wird, man
könne keine Steuererleichterungen vornehmen, obwohl
Sie gleichzeitig solche Geschenke in Milliardenhöhe
machen, lieber Herr Schultz.
({2})
In diesem Jahr wird die Staatsquote mehr als 50 Prozent erreichen. Bereits vor einem Jahr haben wir einen
Antrag zur Begrenzung von Subventionen und für mehr
Transparenz vorgelegt. Wir wollen den Subventionsbegriff des Kieler Instituts für Weltwirtschaft als Grundlage verwenden, Frau Andreae. Alle bestehenden Subventionen möchten wir zeitlich befristen und degressiv
gestalten. Außerdem wollen wir sie regelmäßig im Hinblick auf ihre Wirksamkeit evaluieren. Bis zu diesem
Punkt stimmen wir mit den Grünen völlig überein.
Die durch den Subventionsabbau frei werdenden Mittel
wollen wir allerdings ausschließlich zum Abbau der Neuverschuldung verwenden. Da beginnt der große Unterschied zu Ihrem Entschließungsantrag, Frau Andreae.
({3})
Der Entschließungsantrag der Grünen verfolgt eine
völlig andere Richtung. Ihnen geht es nicht um den Subventionsabbau und eine grundsätzliche Rückführung.
Bei Ihnen wird nur die Frage gestellt: Passt uns die politische Richtung der Subvention?
Darüber kann man natürlich trefflich streiten. Selbstverständlich gibt es Punkte, bei denen auch wir Ihnen
zustimmen könnten, beispielsweise steuerliche FuE-Förderung, Venture-Capital und Steuergutschriften für forschende Unternehmen. Freilich gibt es auch Punkte, bei
denen wir völlig anderer Meinung sind, zum Beispiel bei
den ökologisch-sozialen Anreizen.
({4})
Das kann bei dem Thema Subventionen aber nicht der
Leitgedanke sein. Subventionen sollten keinesfalls in gut
und böse unterteilt werden - nach dem Motto: Wenn
Arbeitsplätze im Umweltschutz erhalten werden, ist eine
Subvention gut; wenn Arbeitsplätze im Verteidigungssektor erhalten werden, ist sie schlecht. - Genau dies
sollte die Subventionsdebatte nicht prägen. Wir haben
allerdings zum Beispiel verfolgen können, dass Sie die
Opel-Subventionen nicht gut fanden, weil damit nicht
das ökologisch richtige Auto gefördert werden sollte.
Der Differenzierung zwischen „guten“ und „bösen“
Subventionen können wir als Haushälter nicht zustimmen.
Schon allein das wäre Grund genug, Ihren Antrag abzulehnen.
({5})
Wir beurteilen Subventionen grundsätzlich kritisch.
Wie ich eben schon gesagt habe, müssen sie transparent,
zeitlich befristet und degressiv gestaltet sein. Wenn Sie
die Bundesregierung kritisieren, Frau Andreae, bin ich
Ihrer Meinung. Die Bundesregierung hat es geschafft, all
ihre guten Leitgedanken, die sie sogar einmal schriftlich
festgelegt hat, in den vergangenen vier Jahren nicht zu
verfolgen. Das ist schon eine Leistung! Hätte sie es getan, wären wir, was die Höhe der Subventionen angeht,
wahrscheinlich auf einem deutlich besseren Niveau.
({6})
Auch bei der Transparenz bin ich Ihrer Meinung, Frau
Andreae. Wir erleben zurzeit eine Debatte zum Thema
Agrarsubventionen. Ich finde es geradezu skandalös,
dass sich der Freistaat Bayern plötzlich ausschließt und
meint, er müsse anders als alle anderen Länder seine
Subventionen nicht mehr darstellen. So muss dem deutschen Steuerzahler verborgen bleiben, was für tolle Subventionen es zum Beispiel im europäischen Bereich gibt.
Man möge nur einmal darüber nachdenken: 20 deutsche
Klöster erhalten im Augenblick EU-Gelder.
({7})
Das sind Subventionen in Deutschland! Die Hessische
Hausstiftung bekommt für die Verwaltung der Kunstsammlung der früheren Herrscherfamilien samt Weingut
Geld. Das sind Subventionen! Sie können uns nicht erzählen, dass es nicht möglich wäre, an dieser Stelle zu
sparen.
({8})
Im Gegenteil, Herr Schröder, genau an dieser Stelle geht
es nicht um durch die Weltwirtschaft bedingte Schwierigkeiten. Hier wird in der Hoffnung, Wähler zu ködern,
Geld aus dem Fenster geworfen. Das ist der falsche Weg.
Die FDP kann diesen Weg nicht mit Ihnen gehen.
Deswegen sind wir nicht nur gegen die Leitlinien der
Bundesregierung - die ja nicht einmal umgesetzt worden
sind -, sondern auch gegen die Stoßrichtung der Großen
Anfrage der Grünen. Politisch gewollte Subventionen
sind auch nicht unser Ding. Gar keine Subventionen,
Frau Andreae, das wäre am besten!
({9})
Das Wort hat nun Kollege Reinhard Schultz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Diskussion führt teilweise in die Irre. Wenn wir mit dem
Haushalt Mittel für Fachprogramme, für bestimmte
Gruppen, für Maßnahmen, für Regionen beschließen,
dann sind das natürlich politische Entscheidungen; wir
wollen ja etwas Bestimmtes fördern. Deswegen sind
Subventionen, die die öffentliche Hand direkt gibt oder
die sie indirekt, über Steuervergünstigungen, gewährt,
grundsätzlich Ausdruck einer politischen Entscheidung.
Man kann sich darüber unterhalten, wie nachhaltig
bestimmte Subventionen sind - im ökologischen Sinne;
im Sinne, Arbeitsplätze zu fördern; im Sinne einer innovativen, zukunftsorientierten Gesamtentwicklung - und
welche Subventionen auf den Prüfstand gehören, weil
sie Zeugnis längst überkommener Entwicklungen sind
und abgeschafft gehören. Es gibt Subventionen, die ihre
Berechtigung haben, es gibt aber auch Subventionen, deren Zeit abgelaufen ist.
({0})
Insofern ist die Stoßrichtung der Großen Anfrage der
Grünen, eine bessere Evaluierung, eine Erfolgskontrolle
vorzunehmen, korrekt und richtig.
Ein Teil der Programme wird stärker evaluiert als andere Programme. Bei den Gemeinschaftsaufgaben wird
deutlich evaluiert, welche Investitionen damit getätigt
werden und welche Arbeitsplatzwirkungen - der Erhalt
bestehender Arbeitsplätze oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze - damit verbunden sind. Bei anderen Programmen ist das nicht so. Das liegt daran, dass die Verantwortung für die Programme breit gestreut ist und wir,
zumindest was Evaluierung und Transparenz der Subventionen bzw. Beihilfen angeht, keine zentrale Steuerung haben.
Die Zielrichtung der großen Subventionsblöcke, die
wir als Bund zu verantworten haben, ist in erster Linie,
im Bundesgebiet gleichwertige Lebensbedingungen herzustellen. Das ist ein grundgesetzlicher Auftrag. Er
drückt sich in Gemeinschaftsaufgaben aus, aber auch in
all dem, was mit dem Aufbau Ost verbunden ist. Das
wird man nicht grundsätzlich infrage stellen.
Trotzdem kann man im Einzelfall über die Zielgenauigkeit reden, und das haben wir auch getan. Man kann
bestimmte Subventionen auslaufen lassen und sie degressiv gestalten, zum Beispiel die Investitionszulage,
die ja mit 2013 auf Endlichkeit angelegt ist.
Es gibt Subventionen, mit denen im weitesten Sinne
Innovationen, Modernisierung, Forschung und andere
Dinge gefördert werden. Bei diesen Subventionen gibt
es eine gewisse Evaluierung. Es stellt sich allerdings die
Frage: Lösen diese Subventionen wirklich eine breite Innovationswelle aus, auch bei kleineren Einrichtungen,
oder sind es geübte Subventionsempfänger, die einen
Großteil des Kuchens einsacken? Das ist auch mir nicht
immer klar.
Frau Andreae, Sie haben danach gefragt, wie das mit
der Innovationsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen läuft. Dafür gibt es eigene Programme. Da
wissen wir, dass die Förderung nur bei denen ankommt.
Wir wissen auch, dass Deutschland im OECD-Vergleich
an dritter Stelle steht, was die Innovations- und Forschungstätigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen
angeht. Aber das muss nicht bedeuten, dass die Programme bei diesen Unternehmen auch ankommen, weil
viele von ihnen auch außerhalb der Programme Innovationsanstrengungen unternehmen, Erfindungen machen
und neue Produkte auf den Markt bringen. Insofern
müsste man das zusammenführen.
Wir wollen durch Subventionen natürlich Verhaltensänderungen auf den Weg bringen. Im gesamten Bereich,
der zum Teil auch durch die KfW-Programme repräsentiert wird - die energetische Gebäudesanierung usw. -,
soll über Markanreizprogramme sozusagen ein neuer
Mainstream im Denken und Investitionsverhalten von
Menschen bewirkt werden. Das wird auch erreicht. Auch
dort gibt es eine ganz gute Evaluation, was damit eigentlich gemacht wird, wie viele Gebäude tatsächlich energetisch saniert werden und was am Ende dabei rauskommt. Hier ist das, denke ich, gut und relativ leicht
Reinhard Schultz ({1})
nachzuvollziehen - in anderen Bereichen allerdings weniger.
Was ich bei Ihrem Ansatz - da bin ich durchaus in der
Nähe der Kollegin Flach, obwohl ich weiß, dass Subventionsentscheidungen politische Entscheidungen sind kritisieren würde, ist, dass er zumindest verbal - es gibt
da eine entsprechende Stelle - ausschließlich in Richtung
der kleinen ökologischen Netzwerke zielt. Die kleinen
ökologischen Netzwerke sind natürlich Ihre wesentlichen Zielgruppen. In Ihrer - oder in unserer gemeinsamen - Regierungszeit haben Sie es auch hinbekommen,
dass die kleinen ökologischen Netzwerke ordentlich etwas abbekommen. Aber das kann nicht die einzige Sichtweise, das kann nicht die einzige Zielgruppe sein; das
fände ich nicht in Ordnung. Überhaupt sollten Subventionen nicht unbedingt zielgruppenorientiert sein, sondern
sollten durch Ziele bestimmt sein.
Wir haben zum Beispiel im Bereich der grünen Technologien - das weist ja der GreenTech-Atlas aus dem
Gabriel-Ministerium sehr gut nach - sehr viel zusätzlich
an Boden wettgemacht. Wir sind auch im weltweiten
Vergleich absolut vorne - und zwar im Wesentlichen
aufgrund unserer Förderpolitik, entweder direkt - etwa
bei der Technologieförderung - oder indirekt dadurch,
dass wir einen Referenzmarkt in Deutschland für moderne Umwelttechniken, ressourcensparende Techniken
und anderes geschaffen haben.
({2})
Ich denke, auch insofern hat eine Evaluierung stattgefunden - in diesem Fall durch das Umweltministerium -,
die man gut vorzeigen kann.
Ihre Große Anfrage hat einige ganz interessante Nebenaspekte, die ich doch einmal in den Blick nehmen
möchte. Sie sagen zu Recht, degressiv und transparent
ausgestaltete Subventionen stärkten und förderten, richtig angewendet, neue technologische Entwicklungen. Sie
sagen dann, ein gelungenes Beispiel dafür sei die Umlagefinanzierung der Energiewende durch das Einspeisegesetz im Bereich der erneuerbaren Energien. Ich finde,
das ist völlig richtig, hat aber auch einen Nebeneffekt:
Sie geben zum ersten Mal - ich sehe das seit langem so deutlich zu, dass das zwar keine Mittel sind, die direkt
aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden, dass
das aber trotzdem ein indirektes Subventionsprogramm
ist. Keine Frage: Es wirkt gut, aber es ist ein Subventionsprogramm.
Ich denke, man muss den Subventionsbegriff etwas
weiter fassen. Er umfasst nicht nur die Haushaltsfinanzierung, direkt oder indirekt, sondern auch die durch den
Gesetzgeber initiierten Preisrelationen, die eine bestimmte Entwicklung, die ein bestimmtes Produkt begünstigen - in diesem Falle die erneuerbaren Energien und andere dafür belasten. So etwas ist wirksam, aber es
ist ohne Frage ein klassischer Subventionsmechanismus nur eben nicht über Haushaltsmittel.
({3})
Insofern zeigt sich hier auch ein Beitrag zur ehrlichen
Selbsterkenntnis.
Ein andere interessanter Beitrag ergibt sich durch die
Antwort der Bundesregierung. Sie sagen ja ständig, was
alles angeblich subventioniert wird, unter anderem zum
Beispiel Braunkohle. Das ist ein landläufiges Vorurteil:
Weil man von der Steinkohle weiß, dass sie in der Vergangenheit und bis heute aus strukturpolitischen Gründen, nämlich um Strukturbrüche zu vermeiden, subventioniert worden ist, glauben viele, Braunkohle würde
auch subventioniert. Braunkohle ist der einzige in
Deutschland zu gewinnende Primärenergieträger, der
subventionsfrei zur Verfügung gestellt werden kann. Das
muss man einmal deutlich so sagen. Dann kommt aber
natürlich der Feinschmecker unter uns und sagt, die Umweltfolgen seien dabei nicht vernünftig eingepreist.
Doch auch insofern sind wir einen Schritt weiter, weil
wir durch den Emissionshandel eine Einpreisung der
Klimafolgen und damit auch eine Begrenzung des
Braunkohleeinsatzes, soweit er klimawirksam wird, haben. Dennoch: Der Braunkohleeinsatz ist nicht subventioniert. Ich finde, das ist ganz wichtig.
Ein letztes Wort zu dem schönen Thema Transparenz:
Ich finde es ausgesprochen erhellend, Herr Schröder und
Frau Flach, nachlesen zu können, wer die meisten Agrarsubventionen erhält, soweit es um Subventionsempfänger in Deutschland geht.
({4})
Ich habe es mir nicht so dramatisch vorgestellt, wer was
bekommt. An der Spitze steht Südzucker. Ob das zwingend so sein muss, bleibt dahingestellt. Man kann über
alles reden. Aber wenn es eine solche Liste der Subventionsempfänger gibt, kann man auch danach fragen, wie
die Programme wirken. Das gebe ich als Anregung an
den nächsten Deutschen Bundestag und die nächste
deutsche Bundesregierung weiter.
({5})
Ich neige deutlich zu der Empfehlung, die Empfänger
von staatlichen Subventionen - soweit es sich um direkte
Finanzbeihilfen handelt - durch die Bank weg auf einer
Internetplattform zu veröffentlichen. Warum eigentlich
nicht?
({6})
In den USA ist das gang und gäbe. Es fällt einem dadurch kein Zacken aus der Krone. Für jemanden, der
sich dafür schämt, dass er Staatsknete angenommen hat,
und sich nicht öffentlich dazu bekennen will, gilt: Es
gibt keinen Anschluss- und Nutzungszwang für Subventionen.
({7})
Wenn er etwas Sinnvolles macht, dann kann er auch
dazu stehen. Kein Mensch hat etwas dagegen.
Ich finde es nicht gut, dass manche Presseorgane über
Kollegen im Bundestag, die Bauern sind, veröffentliReinhard Schultz ({8})
chen, welche speziellen Agrarbeihilfen sie bekommen
haben. Sie haben das Recht dazu, das für ihren Bauernhof in Anspruch zu nehmen. Ob das auch für den Erlebnisferienhof gilt, ist eine andere Frage. Aber grundsätzlich haben sie Anspruch darauf.
Ich finde es gut, dass das transparent gemacht wird.
Mehr Transparenz und Evaluierung würden dem Deutschen Bundestag gut zu Gesicht stehen. Ich wäre auf jeden Fall dafür.
Danke.
({9})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Herbert Schui für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Andreae, Sie haben bereits einige Blöcke aus meiner
kurzen Rede vorweggenommen.
({0})
Das macht nichts. Ich stimme Ihnen jedenfalls zu, was
Ihre Kritik an der Bundesregierung angeht.
So kann ich mich auf einige grundsätzliche Überlegungen zur Subventionspraxis konzentrieren. Wenn die
Freimarktler und die Jubelmarktler recht hätten, dann
müsste es keine Subventionen mehr geben. Wir hätten
dynamische Unternehmer in Hülle und Fülle, die jede erdenkliche Innovation mit ausreichender Schubkraft auf
den Weg bringen würden. Der Markt würde darüber entscheiden, was überdauern soll. Wir bräuchten also keine
Erhaltungssubventionen. Dann wäre auch der Strukturwandel wie eigentlich alles ohne Subventionen möglich.
Tatsächlich brauchen wir aber offensichtlich Subventionen, und zwar deshalb, weil der Markt in vielen Bereichen versagt und nicht das zuwege bringt, was wir gerne
hätten.
({1})
- Gut, als Anreiz. Der Markt bietet die Anreize nicht,
sonst müsste man nicht über Subventionen nachdenken.
Die Bundesregierung definiert Leitlinien und formuliert als Selbstbindung: „Die Subventionspolitik der
Bundesregierung orientiert sich an wachstums-, verteilungs-, wettbewerbspolitischen und umweltpolitischen
Wirkungen.“ Das ist allgemein richtig, aber es ist dermaßen umfassend, dass man nicht viel damit anfangen
kann. Man kann es auch nicht überprüfen. Eine Erfolgskontrolle ist so gut wie gar nicht möglich.
Damit Subventionen klarer und deswegen auch kontrollierbar werden, dürfen sie sich niemals an der Stärke
der Lobby und der Auswirkung von Lobbyarbeit auf
Wahlergebnisse orientieren. Ich glaube, dieses Moment
bei den Subventionen sollte man nicht übersehen.
Wesentlich ist zunächst, dass Subventionen hauptsächlich als Bestandteil von Industriepolitik begriffen
werden. Man sollte in der Lage sein, sich auf den Begriff
der Industriepolitik in diesem Rahmen zu einigen. Subventionen sollen die Richtung der Produktion bestimmen, das heißt, wie und was produziert werden soll und
was gegebenenfalls erhalten werden soll. Das schließt
selbstverständlich die Umweltförderung mit ein. Aber
die Frage, die durch Subventionen gelöst werden soll,
wird offensichtlich nicht von der Kapitalrentabilität als
einem Motor für ökonomische Dynamik beantwortet.
Wie können die Erfolge der Subventionen kontrolliert
werden? Es gibt die üblichen, bekannten Verfahren. Auf
eines möchte ich aber vor allen Dingen aufmerksam machen: Unser Subventionsbegriff ist insofern falsch gefasst, als er tatsächlich mehr beinhaltet als nur die laufenden Übertragungen und die Vermögensübertragungen
an die Unternehmen. Er umfasst auch die gesamte
Summe der nicht gezahlten Steuern.
Es darf keine Anreize durch nicht gezahlte Steuern
geben; das ist falsch. Das muss durch laufende Übertragungen und Vermögensübertragungen geschehen. Es
muss klar festgelegt werden, wie man die Wirkung der
Übertragungen überprüfen will. Sonst ist nicht klar, was
mit dem Steuerverzicht im Einzelnen erreicht worden
ist.
Die Kontrolle sollte so eingehend sein, wie wir sie
von den laufenden Übertragungen an ALG-II-Bezieher
kennen. Nachdem klar definiert worden ist, weswegen
die Subventionen überhaupt vergeben werden, sollte sich
die Subventionspraxis durch eine ähnlich intensive Kontrolle wie bei den ALG-II-Empfängern auszeichnen.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/13388. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen des
Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der
Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen
- Drucksache 16/12850 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
zur Bekämpfung der Kinderpornographie in
Kommunikationsnetzen
- Drucksachen 16/13125, 16/13385 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- Drucksache 16/13411 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martina Krogmann
Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD, über den wir später namentlich abstimmen,
liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP,
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Krogmann, CDU/CSU.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen.
Ziel dieses Gesetzes ist es, durch eine Sperrung den Zugang zu Seiten mit kinderpornografischen Inhalten vor
allem für Zufallsnutzer zu erschweren. Das gilt insbesondere für Nutzer, die durch Spammails oder durch
Links auf solche Seiten gelangen. Dieses Gesetz ist ein
weiterer wichtiger Schritt in unserer Gesamtstrategie zur
Bekämpfung der Kinderpornografie.
({0})
Zu diesem Gesetz hat es in den vergangenen Monaten
extrem kontroverse und hochemotionale Debatten gegeben. Lassen Sie mich deshalb am Anfang dieser Debatte
hier im Deutschen Bundestag zwei Dinge deutlich sagen. Ich weiß, dass ich für Sie alle spreche, wenn ich
sage, dass Kinderpornografie, also die Verbreitung von
Bildern erniedrigter, gequälter und vergewaltigter Kinder, ein widerliches und abscheuliches Verbrechen ist.
({1})
Frau Kollegin Krogmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schewe-Gerigk?
Gerne, Frau Schewe-Gerigk.
Frau Krogmann, Sie sprechen hier über ein ganz
wichtiges Thema. Es hat in den letzten Wochen viele
Debatten darüber gegeben. Können Sie sich erklären,
wieso weder die Ministerin noch ein Staatssekretär oder
eine Staatssekretärin anwesend sind? Wie bewerten Sie
das?
({0})
Sehr geehrte Frau Kollegin Schewe-Gerigk, das Gesetz fällt in den Verantwortungsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums. Der zuständige Staatssekretär
Schauerte ist anwesend.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde Ihre Reaktion bedauerlich. Ich habe bereits gesagt, dass die Debatte in den letzten Monaten hochemotional geführt worden ist. Deshalb finde ich es wichtig, die Debatte über
dieses Thema zu versachlichen. Ich will ausdrücklich einen Punkt ansprechen, der mir vor allem in der ersten
Debatte zu diesem Thema aufgefallen ist. Es ist mir
wichtig, klarzustellen, dass wir aufhören müssen, denjenigen, die heute gegen den Gesetzentwurf stimmen werden, zu unterstellen, dass sie deswegen gegen die Bekämpfung der Kinderpornografie seien. Das ist absurd.
({1})
Mit dem Gesetz betreten wir in Deutschland Neuland.
Erstmals wird eine Sperrinfrastruktur für Seiten im Internet errichtet, um das Betrachten von Bildern mit kinderpornografischen Inhalten - das steht in Deutschland
unter Strafe - zu verhindern. In dieser kontroversen Debatte geht es nicht nur um die Bekämpfung der Kinderpornografie, sondern auch um eine grundsätzliche
Frage. Es geht um die Freiheit im Internet und die notwendigen Grenzen der Freiheit im Internet. Völlig klar
und eigentlich selbstverständlich ist, dass das Internet
natürlich kein rechtsfreier Raum ist und auch nicht sein
darf.
({2})
Die Zeiten, in denen das Internet nur von einer kleinen Gruppe technisch versierter Eliten genutzt wurde,
sind längst vorbei. Das Internet ist zu einem globalen
Massenmedium geworden mit riesigen neuen Chancen
für jeden Einzelnen in der Kommunikation, durch die
Bildung von globalen Netzwerken sowie durch einen zuvor noch nie gekannten Zugang zu Wissen und Information und anderen Kulturen. Das Netz hat die Prozesse in
unserer Wirtschaft verändert und in bestimmten Bereichen unser gesellschaftliches Zusammenleben revolutioniert. Obwohl das Internet längst zu einem alltäglichen
Massenmedium geworden ist, haben wir es versäumt,
eine grundsätzliche Debatte zu führen: Welche Regeln
sollen im Netz gelten? Was darf der Staat im Internet?
Was soll und muss der Staat dürfen, und wo sind die
Grenzen? Kann man überhaupt die Gesetze aus der realen Welt eins zu eins auf das Netz übertragen, oder ist
das wegen der grenzenlosen und absolut dezentralen
Struktur gar nicht durchsetzbar? Aber was ist durchsetzbar, und was ist verhältnismäßig?
Ich habe auf diese Fragen keine abschließenden Antworten. Ich glaube aber, dass wir es versäumt haben,
diese notwendige Debatte zu führen, und dass dieses
Versäumnis ein Grund dafür ist, dass es nun im Zusammenhang mit diesem Gesetz - wie die Zeit schreibt - zu
einem Kulturkampf kommt, einem Aufeinanderprallen
von unterschiedlichen Welten, großen gesellschaftlichen
Gruppen, die das Internet täglich nutzen, aber auch von
Menschen in der Internetcommunity, die im Internet gewissermaßen fast leben und atmen. Dies wird auch an
zwei Zahlen deutlich. Gestern hat eine Allensbach-Umfrage ergeben, dass 91 Prozent der Bevölkerung Internetsperren zur Bekämpfung der Kinderpornografie, wie
wir sie nun vorsehen, befürworten.
({3})
Gleichzeitig gibt es eine Onlinepetition gegen Internetsperren, die innerhalb weniger Wochen 135 000 Unterzeichner gefunden hat.
({4})
Das ist die bisher größte Onlinepetition in der Geschichte unseres Landes. Der vorliegende Gesetzentwurf
berührt genau dieses Spannungsfeld.
Ich bin überzeugt, dass wir die Pflicht haben, alle angemessenen und rechtsstaatlichen Mittel einzusetzen,
um Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen.
({5})
In der Anhörung im Wirtschaftsausschuss wurde das
grundsätzliche Ziel, die Maßnahme des Access Blocking, also der Sperrung von Seiten mit kinderpornografischem Inhalt, als sinnvolle Maßnahme zur Prävention
anerkannt. In anderen Punkten hat es erhebliche Kritik
gegeben. Wir haben diese Kritikpunkte zum großen Teil
aufgenommen, Herr Dörmann, sowohl einige Kritikpunkte aus der Onlinepetition als auch viele Kritikpunkte, die in der Anhörung offensichtlich waren.
({6})
Einen grundsätzlichen Punkt haben wir aber nicht aufgenommen, und zwar aus gutem Grund. Dabei geht es um
den grundsätzlichen Vorwurf der Zensur. Im Zusammenhang mit der Sperrung von kinderpornografischen Seiten
von Zensur zu sprechen, finde ich unerträglich.
({7})
Wenn es um kinderpornografische Inhalte im Netz geht,
kann sich niemand - aber auch wirklich niemand - auf
die Freiheit des Internets oder auf die Informationsfreiheit berufen. Es gibt kein Recht darauf, das Quälen und
die Vergewaltigung von Vierjährigen oder gar von Säuglingen im Internet betrachten zu können. Das hat mit Informationsfreiheit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({8})
Dennoch - das will ich deutlich sagen - kann ich die
Befürchtungen derer verstehen, die sagen: Wenn die
Sperrinfrastruktur erst einmal da ist, dann ist der Damm
bei der Sperrung weiterer unliebsamer Inhalte im Internet gebrochen. Diese Befürchtungen sind nicht grundlos.
({9})
So hat das Landgericht Hamburg bereits angedeutet,
dass eine Sperrinfrastruktur im Prinzip auch gegen andere rechtswidrige Inhalte zu verwenden wäre.
({10})
Vereinzelt kommen Forderungen nach Sperrungen zum
Schutz vor Glücksspiel, der Urheberrechte und vor sogenannten Killerspielen auf. Ich will hier klar sagen: Diese
Forderungen teile ich ausdrücklich nicht.
({11})
Es wäre grundfalsch, unmöglich und völlig unverhältnismäßig, sämtliche rechtswidrigen Inhalte im Netz
staatlicherseits zu kontrollieren, zu sperren oder gar zu
entfernen. Deshalb haben wir in der Großen Koalition
richtigerweise beschlossen, ein Spezialgesetz zu verabschieden und deutlich zu machen, dass sich das Access
Blocking allein auf Seiten bezieht, die kinderpornografische Inhalte haben. Das ist richtig so.
Neben dieser Klarstellung haben wir weitere, große
Korrekturen am Gesetzentwurf vorgenommen. Ich will
drei Punkte nennen.
Erstens. Im ursprünglichen Entwurf war vom Bundesjustizministerium vorgesehen, dass die am Stoppserver
anfallenden Daten ohne konkreten Tatverdacht gegen
eine bestimmte Person in Echtzeit ausgeleitet und zur
Strafverfolgung genutzt werden. Dies hätte dazu geführt,
dass automatisch jeder, also auch jeder Zufallsnutzer, der
über einen Link oder eine Spammail auf eine Seite mit
kinderpornografischem Inhalt geleitet worden wäre, unter Generalverdacht gestellt worden wäre. Abgesehen
davon, dass diese Maßnahme unverhältnismäßig wäre,
hätte sie negative Folgewirkungen wie die Stigmatisierung der Personen. Zudem hätte sie - Professor Sieber
hat in der Anhörung darauf hingewiesen - negative Auswirkungen auf das Nutzerverhalten im Internet.
Deshalb haben wir in der Großen Koalition beschlossen, dieses Vorhaben zu streichen. Wir haben beschlossen, dass Verkehrs- und Nutzerdaten, die beim Stoppserver anfallen, nicht für die Strafverfolgung genutzt
werden dürfen. Das ist richtig so.
({12})
Der zweite Punkt betrifft die Sperrlisten, die das BKA
erstellt. Es ist richtig, dass wir hier ein Gremium beim
Bundesbeauftragten für den Datenschutz einrichten wollen, um eine gewisse Transparenz herzustellen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ist genau der richtige Mann und auch die
richtige Stelle, um diese Kontrolle vorzunehmen.
({13})
Herr Schaar, dessen Arbeit ich ansonsten sehr schätze
- das will ich ausdrücklich sagen -, hat nun einen Brief
an die Vorsitzenden von Wirtschafts-, Rechts- und Innenausschuss geschickt, in dem es heißt, diese Aufgabe
sei mit seinem Amt nicht vereinbar.
({14})
Das halte ich für einen ziemlich unglaublichen Vorgang.
Frau Kollegin Krogmann.
Ich komme gleich zum Ende.
Sie reden aber bereits auf Kosten Ihrer Kollegin Noll.
({0})
Michaela verzeiht mir alles. - Ich würde gern diesen
Gedanken zu Ende bringen.
Wir führen dieses Gremium doch ein, gerade um die
Informationsfreiheit zu sichern, damit Seiten, die nicht
pornografischen Inhaltes sind, nicht fälschlicherweise
gesperrt werden. Ich halte das Verhalten von Herrn
Schaar wirklich für abenteuerlich.
({0})
Als letzten Punkt möchte ich anmerken, dass wir das
Gesetz richtigerweise auf drei Jahre befristet haben.
Nach zwei Jahren wird eine Evaluierung vorgenommen.
Zudem betreten wir hier Neuland. Deshalb ist es richtig,
das Gesetz zu befristen. Ich wünsche mir, dass wir diese
drei Jahre nutzen, um die notwendige, grundsätzliche
Debatte zu führen: Was sind die notwendigen Freiheiten
im Internet? Was darf der Staat tun, um diese Freiheiten
zu beschränken?
Ich wünsche mir, dass sich die Internetcommunity
nicht verweigert, sondern konstruktive Vorschläge einbringt.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir Freien Demokraten unterstützen diejenigen
Maßnahmen, die wirklich gegen Kinderpornografie helfen.
({0})
Das Gesetz der Großen Koalition erfüllt diesen Zweck
nicht. Deswegen lehnen wir es ab.
({1})
Mit dem Gesetz, das CDU/CSU und SPD heute vorlegen, wird die Kinderpornografie um kein Jota zurückgedrängt.
({2})
Die von Ihnen vorgesehenen Zugangssperren im Internet
sind in Sekundenschnelle zu umgehen und deswegen
kein taugliches Mittel. Es führt kein Weg daran vorbei,
sich der weitaus mühsameren Aufgabe zu unterziehen,
die Täter zu verfolgen und zu bestrafen
({3})
und Seiten mit kinderpornografischen Inhalten zu löschen, statt nur den Zugang zu erschweren.
({4})
Diese wirklich wirksamen Maßnahmen sind auch realisierbar. Dazu muss man sich allerdings, weil sich die
meisten Anbieter im Ausland befinden, die Mühe machen, eine wirkungsvolle internationale Zusammenarbeit
mit den betreffenden Staaten zu organisieren oder zu intensivieren. Kinderpornografie ist ein abscheuliches Verbrechen. Dagegen muss man aber wirklich wirksame
Maßnahmen ergreifen. Sie begnügen sich hier mit
Scheinaktivitäten.
({5})
Die von Ihnen vorgeschlagenen Zugangssperren sind
aber nicht nur nutzlos, sondern sie berühren auch sensible Fragen des Rechtsstaats. Deswegen möchte man
meinen, dass gerade ein solches Gesetzgebungsvorhaben
in einer Form durchgeführt wird, die über jeden Zweifel
erhaben ist. Das Gegenteil ist leider der Fall. Frau Kollegin Krogmann hat ihren Beitrag damit begonnen, dass
sie behauptet hat, es würde jetzt gleich das Gesetz zur
Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen beschlossen.
({6})
Richtig ist: Ein solches Gesetz war hier in erster Lesung
beraten worden. Sie aber haben das geändert. Wir beraten heute über ein gänzlich neues, anderes Gesetz, das
auch einen anderen Namen hat. Es heißt Zugangserschwerungsgesetz. Das wird heute erstmals hier im Plenum beraten, obwohl der normale Ablauf wäre, dass es
eine Plenardebatte gibt, dann Ausschussberatungen und
dann die zweite und dritte Lesung.
({7})
- Nein, Sie haben das ursprüngliche Gesetz, das noch auf
der Tagesordnung steht - die ist insofern irreführend -, ersetzt und ein neues eingebracht, ohne den normalen
Ablauf einzuhalten. Ich sage Ihnen Folgendes, lieber
Herr Kollege Schröder: Wir Juristen wissen, dass das
Bundesverfassungsgericht seit der Elfes-Entscheidung
- 6. Band, Seite 32 - auch das formelle Zustandekommen eines Gesetzes auf Verfassungsbeschwerde hin
prüft. Dass hier Verfassungsbeschwerden eingelegt werden, liegt auf der Hand. Dann wird Ihr Verfahren in
Karlsruhe überprüft werden. Das sage ich Ihnen jetzt
schon voraus.
({8})
Es kommt aber noch schlimmer: Sie als Bund haben
gar keine Gesetzgebungskompetenz.
({9})
Wir beraten hier eine Materie, die eindeutig zum Polizeirecht gehört.
({10})
Polizeirecht ist Ländersache. Man kann nicht deswegen,
weil es um das hehre Ziel geht, Kinderpornografie zu bekämpfen, einfach die grundgesetzlichen Kompetenzregelungen übergehen. Auch dieses wird mit Sicherheit
vom Verfassungsgericht überprüft werden.
Sie haben in der Tat in dem neuen Gesetz, das wir
heute eigentlich in erster Lesung beraten - Sie nennen
das fälschlich zweite und dritte Lesung -, tatsächlich einige Kritikpunkte von uns aus der Lesung zu dem damaligen Gesetz aufgegriffen. Beispielsweise haben Sie jetzt
vorgesehen, dass die Daten nicht mehr für Strafverfolgungszwecke verwendet werden.
({11})
Das ist ein Fortschritt, damit nicht der, der zufällig in so
eine Sperre gerät, der Strafverfolgung ausgesetzt wird.
Nur ist Ihnen die Formulierung missglückt. Es wird
nämlich keineswegs verboten, dass die Daten übermittelt
werden, es wird keineswegs verboten, dass sie für andere
Zwecke gespeichert werden. Kollege Wiefelspütz von
der SPD hat gestern im Innenausschuss zu Recht gesagt:
Wer sich nichts hat zuschulden kommen lassen, dessen
Daten gehören überhaupt nicht gespeichert. - Aber leider stimmen Sie von der SPD anders ab, als Sie sich kritisch dazu verhalten.
({12})
Ich nenne noch einen Punkt, weil Frau Krogmann
darauf großen Wert gelegt hat. Wir haben kritisiert, dass
eine Polizeibehörde Sperren für Inhalte im Internet vorsehen soll, nämlich das Bundeskriminalamt. Das ist
wirklich systemfremd, weil es eigentlich eine richterliche Aufgabe wäre. Nun haben Sie die Kritik zum Teil
aufgegriffen, indem ein Expertengremium noch einmal
darüber schaut, allerdings nur stichprobenartig. Ist das
wirklich eine rechtsstaatliche Kontrollfunktion, wenn
nur Stichproben - wie im Gesetz steht, mindestens einmal im Quartal - durchgeführt werden?
({13})
Aber Sie haben dabei einen entscheidenden Fehler
begangen; ich will ihn Ihnen nennen: Dieses Expertengremium richten Sie beim Bundesdatenschutzbeauftragten ein, aber dort gehört es nicht hin.
({14})
Damit wird der Bundesdatenschutzbeauftragte Beteiligter einer polizeilichen Maßnahme. Das ist völlig aufgabenfremd für ihn, und deswegen hat Herr Schaar sich zu
Recht dagegen gewehrt.
({15})
Meine Damen und Herren, die größte Sorge, die auch
in der Community geäußert wird - Sie haben gesagt,
dass Sie dafür Verständnis haben -, lautet: Dies ist ein
Einstieg in die Internetzensur. Sie versichern zwar, es sei
nur dieser Bereich, in den Sie auf diese Weise eingreifen
wollen, und es sei nicht daran gedacht, dies auf weitere
Bereiche auszudehnen. Genau das hören wir bei jedem
Ihrer Eingriffsgesetze, und bei jedem dieser Ihrer Gesetze kommt ein halbes Jahr oder ein Jahr später die Debatte über die Ausweitung. Das war so bei der Verwendung der Mautdaten, das war so bei den heimlichen
Onlinedurchsuchungen. Immer finden sich dann jemand
und ein Anlass, dass dies ausgeweitet werden muss. Ich
sage Ihnen: Sie haben heute die gute Absicht, es dabei zu
belassen, aber die Ausweitungsforderungen kommen so
sicher wie das Amen in der Kirche.
({16})
Wenn Sie vielleicht sagen, dies seien Kassandrarufe
der Liberalen, dann darf ich Sie darauf hinweisen:
Kassandra hat bedauerlicherweise recht behalten.
Herr Kollege Stadler!
Deshalb komme ich zu folgendem Schlusssatz, Frau
Präsidentin: Das einzig Gute, was man über Ihr Gesetz
sagen kann, ist, dass es offensichtlich gut gemeint sein
könnte; aber das Zugangserschwerungsgesetz erreicht
seinen Zweck nicht und enthält Risiken und Nebenwirkungen, vor denen man nur dringend warnen kann.
({0})
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Martin Dörmann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Stadler, ich werde gleich auf alle Ihre Kritikpunkte eingehen. Sie werden, wenn Sie ehrlich sind,
erkennen: Sie sind sämtlich zu widerlegen.
Zunächst aber Folgendes: Ich glaube, wir alle wollen
einen effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen
vor sexueller Ausbeutung und Gewalt. Die SPD-Fraktion hat dazu kürzlich ein umfassendes Konzept mit konkreten Maßnahmen vorgelegt. So wollen wir, dass die
Strafverfolgungsbehörden dauerhaft personell und technisch gut ausgestattet sind. Wir wollen, dass die internationale Zusammenarbeit - das ist dringend notwendig deutlich verbessert wird.
({0})
In den vergangenen Jahren haben wir zudem bereits
das Herstellen, die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie lückenlos unter Strafe gestellt. Heute
geht es um einen wichtigen Teilaspekt des Problems,
nämlich um die Verbreitung von kinderpornografischen
Inhalten im Internet. Dort können rechtswidrige Inhalte
besonders schnell, anonym und ohne soziale Kontrolle
verbreitet und konsumiert werden.
Wir sind uns auch da alle einig: Das Internet ist kein
rechtsfreier Raum. Fraglich ist doch letztlich nur, mit
welchen Maßnahmen die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet angemessen, rechtsstaatlich
sauber und möglichst effektiv verhindert oder zumindest
erschwert werden kann. Genau darum geht es den Koalitionsfraktionen in ihrem Gesetzentwurf.
({1})
Mit dem Gesetz wird der Zugang zu kinderpornografischen Inhalten erschwert. Uns ist genauso bewusst wie
Ihnen, dass es versierte Nutzer durchaus schaffen, diese
vorgesehenen Sperrungen technisch zu umgehen. Das
wird vermutlich aber nur ein Teil von ihnen tun, sodass
wir trotzdem einen positiven Effekt haben werden. Es
kommt zudem darauf an, die Hemmschwelle für die
Nutzer signifikant zu erhöhen.
In diesem Zusammenhang weise ich beispielsweise
auf die entsprechenden Ausführungen der Expertin Frau
Dr. Kuhnen in unserer Anhörung hin. Die Medienexpertin hat in ihrem Buch Kinderpornografie im Internet bemerkenswert differenziert das Verhalten von Menschen
geschildert, die eine gewisse pädophile Neigung haben
und über den Konsum von Kinderpornografie im Internet gerade den Einstieg suchen. Zumindest einen Teil
dieser Menschen können wir durchaus noch erreichen;
den Versuch ist es, denke ich, allemal wert.
({2})
Die SPD-Bundestagsfraktion hat aber auch stets deutlich gemacht, dass wir am Ende einem Gesetz nur zustimmen werden, das rechtsstaatlichen Grundsätzen
wirklich genügt. Genau das ist uns jetzt gelungen: Mit
den zahlreichen Änderungen greifen wir alle aus unserer
Sicht begründeten Kritikpunkte aus der Bundestagsanhörung auf, übrigens auch die des Bundesrates. Herr
Kollege Dr. Stadler, der Bundesrat hat gerade nicht moniert, dass der Bund keine Gesetzgebungskompetenz
habe.
({3})
Wir haben ein wichtiges Argument aus der Internetcommunity aufgenommen. Es ist richtig und notwendig,
dass das BKA zunächst alle zulässigen Maßnahmen zur
Löschung kinderpornografischer Seiten ergreift; denn
Löschen ist viel wirkungsvoller als Sperren.
({4})
Genau dieses Prinzip „Löschen vor Sperren“ ist nun gesetzlich verankert.
({5})
Natürlich muss man berücksichtigen, dass das BKA
in Deutschland als hoheitliche Behörde anders agieren
kann als im Ausland. Wir erwarten aber - das meine ich
ganz ernst -, dass das BKA alles, was sinnvoll, möglich
und zulässig ist, konsequent umsetzt. Erst dann soll das
Sperren erlaubt sein.
({6})
Im Zusammenhang mit der BKA-Liste greifen wir sogar ein Anliegen der E-Petition auf, der sich bekanntlich
inzwischen mehr als 130 000 Menschen angeschlossen
haben. Dort wird nämlich - lesen Sie es nach - als wichtigster Kritikpunkt ausdrücklich die bislang fehlende
Kontrolle und Transparenz der BKA-Liste genannt. Genau dies nehmen wir auf, indem wir nun ein unabhängiges Gremium aus fünf Experten schaffen, deren Mitglieder jederzeit diese Liste kontrollieren und korrigieren
können; ich betone: jederzeit, jeden Tag.
({7})
Wir haben uns übrigens, Herr Kollege Dr. Stadler,
schon genau überlegt, wer ein solches Gremium am besten berufen sollte. Es geht ja darum, zu verhindern, dass
Seiten ungerechtfertigt auf die Liste gelangen, weil sie
einen anderen Inhalt als Kinderpornografie haben. Es
geht also um Informationsfreiheit.
({8})
Gleichzeitig geht es um den Schutz sensibler Daten;
denn die Liste darf ja nicht öffentlich werden, damit Täter eben nicht im Internet nur zuzugreifen brauchen.
Herr Kollege Dörmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?
Gerne.
Herr Kollege Dörmann, ich habe eine Frage an Sie,
nachdem ich Ihr letztes illustres Argument gehört habe.
Sie haben gerade gesagt, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte mit einer bestimmten Aufgabe betraut werden
solle, und diesen Arbeitsauftrag auch inhaltlich benannt.
Sie haben gesagt, es gehe um die Frage, zu entscheiden,
ob ein Foto, ein Bild, ein Film oder eine Videosequenz
kinderpornografischen Inhalt hat oder nicht. Stimmen
Sie mir zu, dass dies eine strafrechtliche Fragestellung
ist, die eine strafrechtlich relevante Antwort verlangt?
Entweder es ist eine Darstellung, die eine Straftat des
Kindermissbrauchs und der Kinderpornografie abbildet,
oder es ist keine solche Darstellung. Ich frage Sie: Welche Kompetenz hat der Bundesdatenschutzbeauftragte,
um eine solche Entscheidung zu treffen?
({0})
Herr Kollege Montag, ich stimme Ihnen ausdrücklich
zu, dass es um eine strafrechtlich relevante Prüfung geht.
Gerade deshalb haben wir vorgesehen, dass das Gremium
- nur das Gremium trifft die Entscheidung, nicht der Datenschutzbeauftragte - mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die die Befähigung zum Richteramt haben. Wenn
Sie so wollen, gibt es an dieser Stelle eine quasirichterliche Kontrolle. Sie müssen nämlich danach differenzieren, wer dieses Gremium beruft und wer entscheidet. Wir
sagen: Die Berufung obliegt dem Datenschutzbeauftragten. Entscheiden darüber, ob die Voraussetzungen für eine
Sperre vorliegen, wird aber nicht der Beauftragte, sondern dieses Gremium.
Sie wissen ganz genau, dass der Beauftragte auch an
vielen anderen Stellen Überwachungsfunktionen hat.
Wenn es um Bereiche des Polizeirechts oder um andere
Rechtsgebiete geht - er ist für alle Behörden zuständig -,
wird er nicht persönlich die Kompetenz haben, sondern
er wird sich des Personals bedienen, das die entsprechende Fachkompetenz hat. Deshalb teile ich Ihre Bedenken nicht. Ich will eines hinzufügen: Es ist nicht so,
dass der Bundesdatenschutzbeauftragte bestimmt, wie
seine Aufgaben normiert sind, sondern das ist Sache des
Gesetzgebers.
({0})
Aus diesen Gründen wiederhole ich: Es gibt keine
bessere Stelle für die Berufung eines solchen Gremiums
als den Beauftragten des Bundes für Datenschutz und Informationsfreiheit. Er ist qua Amt unabhängig und nur
dem Gesetz unterworfen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Dem Kollegen Tauss möchte ich keine Zwischenfrage
gestatten. Ich möchte lieber fortfahren. Zwischenfragen
anderer Mitglieder dieses Hauses gestatte ich gerne, aber
nicht die des Kollegen Tauss.
Auf der Homepage des Datenschutzbeauftragten kann
übrigens jeder nachlesen, was zu seinen Aufgaben gehört, nämlich unter anderem die Kontrolle und Beratung
von Behörden und Stellen des Bundes - das BKA ist
eine solche Stelle - sowie der Einsatz für die Beachtung
des Datenschutzes und der Informationsfreiheit. Genau
darum geht es. Ich bin mir sicher: Hätten wir eine andere
Stelle gewählt, beispielsweise das Bundesinnenministerium, hätten alle kritisch gefragt: Warum habt ihr nicht
auf den Datenschutzbeauftragten zurückgegriffen? - So
kann es also auch nicht gehen.
({0})
Apropos Daten: Wir haben im Gesetzentwurf den
größtmöglichen Schutz vorgesehen. Personenbezogene
Daten werden bei den Providern nicht gespeichert. Zudem dürfen Verkehrs- und Nutzerdaten, die bei der
Umleitung auf die Stoppmeldung anfallen, nicht zum
Zwecke der Strafverfolgung genutzt werden, Herr Kollege Dr. Stadler; denn das Gesetz dient ausschließlich
der Prävention.
({1})
Eine weitere Befürchtung war, dass das Sperren auch
anderen Zwecken dienen soll. Wir haben aber gleich
mehrere Sicherungen eingebaut. Wir schließen gesetzlich aus, dass die neu geschaffene Infrastruktur zur
Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche genutzt werden kann.
Zudem ist es der SPD gelungen, eine spezialgesetzliche Regelung durchzusetzen.
({2})
Statt einer Anpassung des allgemeinen Telemediengesetzes schaffen wir ein eigenständiges Gesetz. Es bleibt
aber, Herr Kollege Stadler, beim Artikelgesetz. Als Jurist
wissen Sie, was ein Artikelgesetz ist: In mehreren Artikeln werden mehrere Gesetze angesprochen. Ich erinnere an einen Artikel in diesem Gesetz, der erhalten
bleibt. Ich erinnere mich an Debatten, in denen Liberale
moniert haben, dass wir die Änderungen im Telemediengesetz regeln. Nun gilt das Spezialgesetz. Sie müssen
sich schon entscheiden, welche Argumente Sie gelten
lassen wollen.
({3})
Zugleich befristen wir das Gesetz bis zum
31. Dezember 2012. Danach wird es automatisch auslaufen. Nun ist trotzdem die zentrale Befürchtung der Internetcommunity, dass eine Infrastruktur aufgebaut wird,
die später beliebig auf andere Inhalte als Kinderpornografie ausgedehnt werden kann. Diese Sorge ist angesichts einiger Äußerungen, die wir in den letzten Wochen gehört haben, grundsätzlich nachvollziehbar. Aber
ich habe soeben dargelegt: Eindeutiger als wir kann man
gar nicht regeln, dass eine Ausweitung auf andere Inhalte und Ansprüche ausgeschlossen ist. Das regeln wir
gesetzlich.
({4})
Ich komme auf einen wichtigen Punkt zu sprechen,
der in der öffentlichen Debatte zurzeit kaum diskutiert
wird, der aber ganz entscheidend ist: Es ist eine Tatsache, dass die Infrastruktur auch ohne Gesetz bereits im
Aufbau ist. Seit dem Frühjahr dieses Jahres gibt es Verträge zwischen dem BKA und den wichtigsten Providern
in Deutschland, die sich zur Einrichtung einer Sperre
verpflichtet haben.
Ich habe das immer für den falschen Weg gehalten.
Deshalb haben wir folgende Situation: Auch ohne Gesetz wird es diese Infrastruktur geben, da die Provider
die Verträge pünktlich umsetzen und einhalten werden.
Wenn es aber das Gesetz nicht gibt, dann gäbe es alle datenschutzrechtlichen und verfahrensrechtlichen Sicherungen, die wir eingebaut haben, nicht. Das kann niemand ernsthaft wollen, auch die Liberalen nicht.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Die Politik ist in der Pflicht, beiden Themen gerecht zu werden: dem Kampf gegen die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet und dem Einsatz
für ein freies Internet als Ort der Kommunikation und Information. Ich finde, mit diesem Gesetzentwurf ist uns
das gelungen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass es
hier im Hause eine breite Zustimmung zu diesem Gesetz
gibt. Denn es dient sowohl der Bekämpfung von Kriminalität als auch der Verteidung von Freiheitsrechten.
Herzlichen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Tauss.
Herr Kollege Dörmann, nachdem Sie leider nicht bereit waren, eine Frage von mir zuzulassen, möchte ich
jetzt darauf hinweisen, dass ich es für eine große Respektlosigkeit gegenüber dem Bundesbeauftragten für
den Datenschutz halte, ihm eine Aufgabe im Rahmen eines Gesetzes zuzuweisen, das er - das können Sie nachlesen - ablehnt.
Im Übrigen sind dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz in den letzten Jahren durch die Große Koalition keine zusätzlichen Stellen bewilligt worden. Auch
das ist eine große Respektlosigkeit. Dass man heute sagt,
eine mittlere Behörde habe Weisungen entgegenzunehmen, ist Teil dieser Respektlosigkeit und des losen Umgangs mit dem Datenschutz in Deutschland.
Darüber hinaus sprechen Sie davon, dass endlich Verträge legalisiert würden. Ich sage Ihnen: Das sind Verträge, die durch Nötigung von Firmen zustande kamen,
denen man gesagt hat: Wenn ihr nicht bereit seid, zu unterschreiben, werden wir euch öffentlich durch die
Presse schmieren. - Ich halte es rechtsstaatlich für unmöglich, einen derartigen Vorgang der Nötigung hinterher gesetzlich abzusichern. Das sage ich in aller Klarheit. Ich bedaure sehr, dass die Koalition diesen Weg
beschritten hat.
Herr Kollege Dörmann.
Herr Kollege Tauss, auf die beiden von Ihnen angesprochenen Punkte will ich Ihnen folgende Antwort geben.
Erstens. Ich erwarte auch Respekt vor dem Gesetzgeber. Denn es ist der Gesetzgeber, der die Aufgaben des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit bestimmt.
({0})
Aus meiner Sicht gehört es gerade zu seinen Aufgaben,
Behörden des Bundes zu kontrollieren. Ich habe das bereits ausgeführt.
Zu Ihrem zweiten Punkt. Wir haben nicht vor, irgendwelche Verträge zu legalisieren. Das ist überhaupt nicht
unsere Motivation. Aber Tatsache ist doch, dass es diese
Verträge gibt. Wir müssen diese Realität zur Kenntnis
nehmen. Ich glaube, es wäre unverantwortlich, wenn wir
an dieser Stelle abwarten würden, bis vielleicht nach längerer Zeit das Bundesverfassungsgericht darüber geurteilt hat, ob diese Verträge rechtmäßig sind oder nicht.
Auch ich habe an der Rechtmäßigkeit Zweifel. Aber uns
obliegt es, die Internetnutzerinnen und -nutzer an dieser
Stelle zu schützen.
Ich habe in meinem Redebeitrag schon ausgeführt,
dass wir alle Kritikpunkte, die sich aus der Anhörung ergeben haben und die den Schutz der Bürgerinnen und
Bürger betreffen, aufgenommen haben. Ich würde mir
wünschen, dass in der öffentlichen Debatte diese Punkte
angemessen berücksichtigt würden.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Jörn Wunderlich,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zugangserschwerungsgesetz: So müsste es eigentlich
heißen. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken brauche ich mich nicht mehr zu äußern; sie sind vom Kollegen Stadler zutreffend beschrieben worden.
Eine neue Verpackung ändert nicht unbedingt den Inhalt. Das Gesetz hat nur einen neuen Namen. Dass es
sich um ein Spezialgesetz handelt, ändert nichts an der
Tatsache, dass es ausgeweitet werden kann oder dass
weitere Spezialgesetze folgen könnten.
Angeblich soll Löschung vor Sperrung erfolgen. Jedoch ist dies weitestgehend in das Ermessen des Bundeskriminalamtes gestellt. Es heißt nämlich dazu: wenn
nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend eine Löschung erfolgen kann. Oder: Die Betreiber sollen in der
Regel nur benachrichtigt werden, wenn der Aufwand zumutbar ist. Das sind alles Formulierungen, die vom BKA
auszulegen und zu definieren sind.
Eine rechtsstaatliche Kontrolle der Sperrlisten findet
nicht statt. Das ist schon angesprochen worden. Die
quartalsmäßige Stichprobenprüfung durch ein Gremium
von fünf Personen, von denen drei Volljuristen sein müssen bzw. die Befähigung zum Richteramt haben müssen
- das ist hier vom Kollegen Dörmann betont worden -,
soll uns eine richterliche Kontrolle vorgaukeln. Mit
Rechtsstaat hat dies alles wenig zu tun. Es ist pure Augenwischerei.
({0})
Angesiedelt werden soll dieses Gremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz, wobei dieser selbst
sagt, dass dieses Gesetz mit Datenschutz nichts zu tun
hat. Noch vor zwei Tagen hat er dafür plädiert, die Verabschiedung dieses Gesetzes zu vertagen. So viel dazu.
({1})
Wir haben eine demokratische Verfassung. Demokratische Verfassungen werden nun einmal nicht unter der
Prämisse gemacht, dass Menschen im Zweifel immer
das Richtige tun. Deswegen dürfen Polizisten keine Verbrecher verurteilen. Deswegen unterliegen Geheimdienste der parlamentarischen Kontrolle. Deswegen dürfen Polizeibehörden nicht darüber entscheiden, was
publiziert werden darf und was nicht.
({2})
Ich denke, die Regierung und die Koalition haben, jedenfalls in weiten Teilen, ein Problem mit dem Verständnis des Internet. So wie wir mit dem Telefon groß geworden sind, so sind die nachfolgenden Generationen
mit dem Internet groß geworden. Frau Zypries fragte
neulich: Was sind noch mal Browser? - Ich möchte es
für die Regierung und die Koalition einmal auf eine verständliche Ebene bringen; auch im Ausschuss habe ich
es schon versucht. Man stelle sich ein Gesetz mit folgendem Inhalt vor: Ein Buch, ja jedwedes Druckwerk - Prospekt, Flugblatt -, muss vor Erscheinen dem BKA vorgelegt werden, welches dann entscheidet, ob es erscheint
oder nicht. Wenn es nicht erscheint, kommt es auf geheime Sperrlisten. Was für ein Aufschrei ginge da durch
die Republik! Ich denke, er wäre lauter als jetzt, wo
135 000 Petitionen gegen das vorliegende Gesetz eingegangen sind.
Ich fasse zusammen: Es fehlt die Zuständigkeit des
Bundes. Es fehlt eine rechtsstaatliche Kontrolle. Es fehlt
die Verhältnismäßigkeit. Es fehlt die Verfassungsmäßigkeit. Es fehlt der Schutz der Opfer. Stattdessen werden
möglicherweise Täter gewarnt. Alles in allem wird das
Gesetz das Tor zur Internetzensur öffnen. Für den angeblichen Zweck, für den es ursprünglich vorgesehen war
- Kampf gegen Kinderpornografie im Internet -, ist es
jedoch völlig ungeeignet.
({3})
Seit November 2008 weiß unsere Familienministerin,
was Kinderpornografie bedeutet. Seitdem ist sie nicht in
der Lage, etwas gegen diese Abscheulichkeiten zu tun,
von der Zeit davor einmal ganz zu schweigen. Im Übrigen sind die von ihr angeführten Behauptungen zur Verbreitung im Internet - Geschäft mit Kinderpornografie
usw. - nicht belegbar, weder vom Bundeskriminalamt
noch von ihrem eigenen Haus, dem Familienministerium, selbst. Auch die taz berichtet am 15. Juni 2009
darüber. Es sollten die Ursachen abgestellt werden, statt
in einem hyperaktiven Aktionismus zu versuchen, Symptome zu behandeln.
Es geht: Im Rheinischen Merkur vom heutigen Tag
steht, wie man ohne Sperrung eine Löschung erreichen
kann. Auf privater Ebene sind Betreiber von Servern angeschrieben worden, von denen solche Seiten auf Listen
aus den skandinavischen Ländern aufgetaucht sind, und
binnen zwölf Stunden sind 60 Seiten abgeschaltet worden. Es geht also. Aber zum Beispiel die Regierung oder
die Polizei haben Befindlichkeiten, direkt Kontakt mit
irgendwelchen Betreibern aufzunehmen, aus Höflichkeit
anderen Polizeistellen im Ausland gegenüber. Ich denke,
daran sollte man einmal arbeiten.
({4})
Kinderpornografie, sexueller Missbrauch von Kindern, eines der schlimmsten Verbrechen, gilt es zu bekämpfen, auf allen Ebenen und mit allen zur Verfügung
stehenden rechtsstaatlichen Mitteln. Dieses Gesetz ist
ein Placebo. Es entfaltet in diesem Kampf keine Wirkung, greift aber in Bürger- und Freiheitsrechte ein,
schafft die Struktur für Internetzensur - das hat auch
Frau Krogmann dargelegt - und kann deshalb nur abgelehnt werden.
Wenn der Kollege Bosbach - ich sehe ihn im Moment
nicht - immer wieder behauptet, angeblich niemanden
zu kennen, der eine weitergehende Zensur verfolgt, dann
braucht er sich nur in seiner eigenen Fraktion und bei der
SPD umzuschauen; da wird er schnell fündig.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Wieland,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es während der gesamten Debatte über dieses Gesetz
gesagt und auch an den Anfang unseres Entschließungsantrages gestellt: Der sexuelle Missbrauch von Kindern
durch Erwachsene und seine Verwertung durch die Herstellung von Kinderpornografie ist ohne jede Frage eine
der widerwärtigsten Formen von Kriminalität.
({0})
Die Opfer erleiden physische und psychische Schäden,
unter denen sie in der Regel ihr Leben lang zu leiden haben.
Weil dies alles so unerträglich ist, haben wir Grünen
seit Jahr und Tag den Kampf gegen Kinderpornografie
geführt. Wir haben vor mehr als 20 Jahren im Rahmen
der „PorNo“-Kampagne von Emma entsprechende Hefte
aus einschlägigen Läden geholt und die Strafverfolgungsbehörden sozusagen zum Jagen getragen. Deswegen sage ich ganz bewusst, auch wegen einiger Untertöne, die in den letzten Tagen zu hören waren: Wir als
Grüne brauchen uns in der Frage der Ächtung und der
Bekämpfung von Kinderpornografie vor niemandem
hier im Saal zu verstecken.
({1})
Bevor wir hier über Sperren - das ist nur ein Vorhang
vor dem geschehenen Verbrechen - reden, das Vordringliche zur Erinnerung: Wir brauchen eine Verstärkung der
Prävention, die Verhinderung von Missbrauch.
({2})
Wir brauchen die Beschlagnahme, Vernichtung und Löschung von kinderpornografischem Material. Wir brauchen die Strafverfolgung der Täter und eine intensive
Hilfe für die Opfer. Das ist das Entscheidende.
({3})
Nur in dieser Abstufung reden wir auch über Sperren.
Wir haben vor zwei Tagen, Herr Kollege Dörmann,
formell und materiell einen völlig neuen Gesetzentwurf
vorgelegt bekommen.
({4})
Ich gebe zu: Er ist an entscheidenden Stellen verbessert
worden.
({5})
Aber wenn Sie einem Gesetzentwurf von zumindest sieben Giftzähnen zwei ziehen, dann können Sie doch nicht
erwarten, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({6})
Sie können vor allen Dingen nicht erwarten, dass wir
diesem Schweinsgalopp, der nur in der Gesichtswahrung
der Familienministerin begründet ist, in den letzten
Stunden unsere Weihe, unsere Legitimation erteilen. Wir
denken nicht daran.
({7})
Was bleibt als Mangel? Es gibt erkennbar keine Zuständigkeit des Bundes. Es geht doch hier nicht um das
Recht der Wirtschaft. Es sei dem Herrn Schauerte gegönnt, dass er einmal nicht bei Debatten über Bad
Banks, Arcandor und Opel zuhören muss, sondern nun
auch bei Debatten über Kinderpornografie zuhören darf.
Mehr Aktivitäten sind ja gar nicht zu sehen. Nach dem
Inkrafttreten dieses Gesetzentwurfes hat er nichts mehr
damit zu tun. Er ist kein Verordnungsgeber. Dies ist ein
schierer Missbrauch. Das, was Sie von der Bundesregierung immer im Hinblick auf die EU beklagen, indem Sie
sagen, es gehe oft um Strafverfolgung und nicht um den
Binnenmarkt, machen Sie hier in einem extremen Fall.
({8})
Ein reines Polizeigesetz wird unter der Flagge „Wirtschaftsrecht“ durchgesetzt.
Natürlich gibt es keine Zuständigkeit für das BKA.
Wir haben dem BKA nach dreijährigem Ringen über
eine Verfassungsänderung die Möglichkeit der Präventivkompetenz beim länderübergreifenden internationalen
Terrorismus gegeben. Dies betrifft nur einen Punkt; ansonsten hat es diese nicht. Das alles wird hier unter der
Hand gleich mitbeschlossen.
Wir haben in der ersten Lesung gefragt - das ist ein
weiterer Mangel -: Gibt es keine Richter mehr in
Deutschland? Nun schreiben Sie, bei Streitigkeiten sei
der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Das stehe in der
Verfassung. Man kann auch Überflüssiges, wenn es denn
richtig ist, in ein Gesetz schreiben. Nur, das löst das Problem nicht. Sie wollen offenbar in Form von Verwaltungsakten vorgehen. Das ist schon ein Fortschritt im
Vergleich zur Ministerin, die hier eine Vertragsgestaltung vorsehen wollte. Nur, dann müssen Sie konsequent
sein: Dann müsste es auch die Möglichkeit der Anhörung und des Widerspruchsverfahrens geben. Dann
müssten Sie Verwaltungsverfahren gelten lassen.
({9})
Das tun Sie aber nicht.
Sie haben noch nicht einmal den Datenschutzbeauftragten angehört; so anhörungsfreundlich sind Sie. Er hat
das Ganze aus der Zeitung erfahren. Er weiß seit zwei
Tagen von seinem Glück, genauer gesagt: von seinem
Unglück; denn als unabhängiger Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit - darauf legt er Wert soll er Teil eines kontinuierlich, ständig arbeitenden
Kontrollinstrumentariums werden, um gerade diese Informationsfreiheit einzuschränken. Das ist ein Missbrauch seiner Stellung, und er wehrt sich zu Recht dagegen.
({10})
Warum brauchen Sie fünf Menschen für ein Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz
und die Informationsfreiheit? Warum brauchen Sie einen
zwangsverpflichteten Datenschutzbeauftragten? Ein
Richter würde ausreichen - aber davor drücken Sie sich -,
der das Ganze anordnet, wie es auch sonst im Polizeirecht
üblich ist, wenn in die Rechtssphäre der Bürger relevant
und nicht zufällig eingegriffen wird. Warum gehen Sie
diesen Schritt nicht? Das müssen Sie uns erklären
({11})
und sollten hier nicht gegen Peter Schaar herumpolemisieren.
Frau Präsidentin, abschließend ist festzustellen: Auch
für uns ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Das haben wir immer gesagt. Strafverfolgung muss dort stattfinden. Gerade weil die Stimmen schon laut werden
- von Thomas Strobl aus CDU/CSU-Fraktion und von
Herrn Wiefelspütz aus der SPD-Fraktion, der sich mal
wieder einmal so und einmal so äußert -, die sagen, dass
sie mehr wollen, dass es natürlich Gesetzesänderungen
geben wird,
({12})
dass es ein Trommelfeuer an Gesetzesänderungen geben
wird, sagen wir:
Herr Kollege Wieland.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, es darf aber
auch nicht zum bürgerrechtsfreien Raum verkommen.
Vielen Dank.
({0})
Ich gebe das Wort der Kollegin Michaela Noll, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich hatte jetzt ungefähr eine halbe Stunde
Zeit, das Sammelsurium aus Reden, in denen von einem
Trommelfeuer die Rede war, und Reden, in denen vom
Land der Propheten gesprochen wurde, zu genießen.
Ich komme zunächst zum Land der Propheten. Kollege Dr. Stadler, ich muss Sie leider ansprechen: Können
Sie hellsehen? Warum nehmen Sie das Ergebnis der
Evaluierung vorweg? Wenn Sie schon jetzt sagen können, dass die Maßnahmen, die wir beschließen, nichts
bringen, dann sind Sie uns weit voraus.
Nächster Punkt: Sie haben die internationale Zusammenarbeit angesprochen. An dieser Stelle erlaube ich
mir den Hinweis, dass im Mai 2009 infolge einer BKAInitiative eine Regionalkonferenz stattgefunden hat, auf
der man noch einmal gesagt hat, dass man die internationale Zusammenarbeit verbessern will.
Nächster Stichpunkt: Verfassungsklage. Gott sei
Dank war auch ich bei der Anhörung und habe den entsprechenden Fragestellern folgen können. Die Antworten waren zum Teil sehr unterschiedlich. Sie, Kollege
Stadler, befinden sich zwar auf der Schiene der jungen
Dame, die die Initiative zur Onlinepetition ergriffen hat,
aber das heißt noch lange nicht, dass das richtig ist.
({0})
Das Gleiche gilt für die Gefahr, die Sie am Horizont
aufziehen sehen, dass wir eine Sperrinfrastruktur aufbauen wollen. Entschuldigung, dazu kann ich nur sagen:
Ein kleiner Blick in das Spezialgesetz genügt. Darin
steht ausdrücklich, dass sich das Gesetz nur auf Kinderpornografie bezieht. Eine andere Intention verfolgen
wir nicht.
({1})
Hier wurde permanent der Vorwurf in den Raum gestellt, der Bundesdatenschutzbeauftragte sei vorher nicht
informiert worden. Welche Funktion hat er denn? Er soll
doch nur das Gremium bestellen. Das Gremium entscheidet letztendlich.
Warum sprechen wir hier permanent über Risiken und
Nebenwirkungen? Warum sprechen wir nicht einfach
einmal über die Chancen, die dieses Gesetz bietet?
({2})
Warum meinen Sie, hier sagen zu können, dass das, was
all die anderen Länder machen, falsch ist? Schweden,
Norwegen und andere Länder haben ein solches Gesetz
schon seit 2004. Dort wurde die Diskussion nicht in der
Art geführt wie bei uns. Über 130 000 Leute haben die
Onlinepetition unterschrieben. Ich frage mich, warum
wir uns bei einem Thema verweigern, das so brisant ist,
bei dem es darum geht, Kinder im Internet besser zu
schützen. Wir können doch noch gar nicht beurteilen, ob
die Maßnahme tatsächlich hilft. Warum versuchen wir
nicht, in einem befristeten Zeitraum festzustellen, ob die
Maßnahme etwas bringt? Ich kann das Gezeter an diesem Punkt nicht verstehen.
({3})
Kollege Dörmann, ich war sehr froh darüber, dass Sie
eben einen kleinen Hinweis auf Frau Kuhnen gegeben
haben, die in unserer Anhörung war. Ich kann jedem
Zweifler und jedem Kritiker nur raten, das Buch Kinderpornographie und Internet zu lesen. Darin hat sie
explizit gesagt, wie wichtig es ist, den Zugriff zu verhindern. Sie hat sich mit den Tätern und den Täterprofilen
beschäftigt. Keiner von uns stellt sich hier hin und sagt,
dass man die Sperre nicht umgehen kann. Das ist in anderen Ländern genauso. Trotzdem hat man dort gesagt,
dass man sie weiterhin nutzt und das Gesetz nicht blockiert. Warum ist in Deutschland die Akzeptanz für ein
so wichtiges Gesetz so gering? Das kann ich als Familienpolitikerin nicht ansatzweise nachvollziehen.
({4})
Wir haben gerade in dieser Legislaturperiode unheimlich viel für den Schutz von Kindern in Deutschland gemacht. Wir haben die frühen Hilfen in Gang gebracht,
und wir haben familiengerichtliche Eingriffsmöglichkeiten geschaffen. Wir vertun hier eine Chance. Ich sage Ihnen eines: Die Menschen draußen werden das nicht verstehen.
({5})
Frau Kollegin Krogmann war Gott sei Dank so nett,
auf die Allensbach-Studie zu verweisen. 91 Prozent der
Menschen über 16 Jahren, die zu diesem Thema befragt
worden sind, halten das Gesetz für wichtig. Es gibt nur
9 Prozent Gegner. Das ist die sogenannten Onlinecommunity. Die gibt es, aber sie stellen nicht die Masse der
Menschen dar; und sie zweifeln lediglich daran, dass die
Maßnahme wirksam ist. Deswegen sagen wir: Wir befristen das Ganze und schauen uns die Maßnahmen an.
Können Sie heute schon sagen, wie sich das Internet in
drei Jahren weiterentwickelt haben wird? Ich maße mir
dieses Urteil nicht an.
Ich hätte mich gefreut, wenn aus diesem Plenum
heute das Votum gekommen wäre, dass wir etwas für einen besseren Schutz für Kinder im Internet tun. Diese
Chance haben die Kritiker vertan.
Vielen Dank.
({6})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Renate Gradistanac, SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute betreten wir Neuland. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich mit ihrer Forderung nach einem
Spezialgesetz durchgesetzt. Darüber bin ich sehr froh. In
meiner letzten Rede habe ich gefordert - Herr Stadler, sicherlich erinnern Sie sich -,
({0})
dass wir nicht nur das Telemediengesetz ergänzen, sondern auch ein eigenes Gesetz beschließen. Indem wir so
vorgehen, machen wir deutlich - das ist mir wichtig -:
Was die Regierungen nach uns machen, liegt in deren
Verantwortung. Wir zumindest wollen nicht, dass es zu
einer Ausweitung der Anwendung dieses Gesetzes auf
andere Inhalte kommt.
({1})
Eines sollten wir hervorheben: Wir haben die Ergebnisse der beiden Anhörungen sorgfältig ausgewertet und
die meisten Forderungen der kritischen Experten aufgenommen. Uns zeichnet aus, dass wir vor allem kritische
Expertinnen und Experten zu den Anhörungen eingeladen haben.
Eine Forderung, die wir aufgenommen haben - ich
hätte nicht gedacht, dass uns dies gelingt -, lautete: Löschen vor Sperren! Schließlich sollte es uns in erster Linie darum gehen, kinderpornografische Seiten aus dem
Internet zu entfernen, und nicht nur darum, den Zugang
zu ihnen zu erschweren.
({2})
Eine andere Forderung lautete: Keine Weitergabe von
Daten durch die Internetwirtschaft! Damit wollen wir
den Missbrauch von Daten verhindern. Wichtig ist mir
darüber hinaus, dass wir die Kontrolle der BKA-Liste
gewährleisten.
Meine Damen und Herren, da es sich um einen sensiblen Bereich handelt, haben wir dieses Gesetz bewusst
befristet. Schon nach zwei Jahren erwarte ich, erwarten
viele von uns eine sorgfältige Evaluation.
Ich möchte daran erinnern, dass wir die Verträge der
Zugangsanbieter mit dem BKA, die auf vertraglicher
Grundlage in die Grundrechte ihrer Kunden eingreifen,
auf eine rechtsstaatliche Grundlage stellen. Das haben
übrigens auch die Vertreter der Internetwirtschaft in der
Anhörung gefordert bzw. erbeten. Ich halte diesen
Schritt allein aus verfassungsrechtlicher Sicht für geboten.
Als Kinder- und Jugendpolitikerin habe ich an zwei
Weltkongressen gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen teilgenommen. Der
Schutz der Kinder umfasst übrigens alle Menschen bis
zum Alter von 18 Jahren. Hier haben wir also noch eine
Zukunftsaufgabe vor uns.
In Yokohama haben wir im Jahr 2001 erstmals die
Bedeutung der Verbreitung von Kinderpornografie im
Internet thematisiert. In der Globalen Verpflichtung von
Yokohama hat die damalige rot-grüne Bundesregierung
zugesagt, geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung der
Kinderpornografie im Internet zu ergreifen. An diese Zusage haben wir uns gehalten.
({3})
Unter Rot-Grün wurde der erste Nationale Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor
sexueller Gewalt und Ausbeutung aufgelegt. Wir haben
bestehende Handlungsdefizite beseitigt und unter anderem das Strafrecht verschärft. Darüber sind wir heute
froh.
Beim Dritten Weltkongress gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in Rio
im November 2008 und bereits im Vorfeld haben wir
darauf hingewiesen, dass wir uns insbesondere den
neuen Medien und dem Internet zuwenden werden. Herr
Staatssekretär, damals habe ich gefordert: Zeigen Sie uns
einmal den vorhandenen Instrumentenkasten! - Schließlich ging es, ähnlich wie bei der Bekämpfung der gegenwärtigen Finanzkrise, darum, geeignete Instrumente zur
Hand zu haben, damit wir uns inhaltlich kompetent aufstellen können. All das spiegelt sich übrigens im Pakt
von Rio und in seinem Abschlussdokument wider. Es
lohnt sich, das nachzulesen.
Meine Damen und Herren, das Gesetz, um das es
heute geht, verstehe ich als ein Präventionsgesetz, das
auf den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten im
Internet beschränkt ist. Herr Staatssekretär, ich freue
mich, dass Sie hier sind. Allerdings würden wir uns alle
noch mehr freuen, wenn auch die Ministerin hier wäre.
Es ist schade, dass sie an dieser Diskussion nicht teilnimmt.
({4})
Ich erwarte, dass Frau Ministerin nach diesem Schritt
jetzt ein Gesamtkonzept vorlegt; denn dieser Schritt alleine ist für uns von der SPD nicht ausreichend und nicht
zielführend genug.
({5})
Wir brauchen ein konsequentes Gesamtkonzept und
keine einmaligen Signale oder symbolischen Schnellschüsse, die sie ja gut kann.
Zumindest wir von der SPD haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir haben einen umfassenden Zehn-PunktePlan beschlossen.
Außerdem fordern wir einen weiteren Aktionsplan,
der Prävention und Opferschutz stärkt, Maßnahmen gegen Kinderhandel und Kinderprostitution intensiviert,
Medienkompetenz verbessert, Zielvorgaben für die Tourismuswirtschaft - die immer noch glaubt, an dieser
Stelle nichts tun zu müssen - setzt usw.; die personelle
und die technische Ausstattung sind heute schon genannt
worden. Hier sind auch die Länder gefordert. Wir wollen
eine bessere internationale Zusammenarbeit und Vernetzung. Außerdem möchten wir - das wird jetzt meine
SPD freuen - mit dem Aktionsplan auch die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Nur wenn sie in die
Verfassung aufgenommen werden, wird ein Gesamtkonzept daraus.
({6})
Nachdem wir die Verträge mit der Internetwirtschaft
abgeschlossen haben und heute in zweiter und dritter Lesung ein Spezialgesetz beschließen, erwarte ich von Ihnen, Frau Ministerin, Herr Staatssekretär, dass Sie in der
nächsten und damit letzten Sitzungswoche einen Aktionsplan vorlegen
Frau Kollegin.
- das ist der letzte Satz -, der auch ausreichend finanziell unterlegt wird. Nur Pläne reichen nicht. Frau Ministerin - Sie werden ja sicher meine Rede nachlesen -, erst
dann haben wir wirklich etwas für den Schutz unserer
Kinder getan.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderporno-
graphie in Kommunikationsnetzen.
Zu dieser Abstimmung liegen mir eine Unmenge von
persönlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäft-
sordnung vor.1) Herr Kollege Tauss möchte seine Erklä-
rung persönlich vortragen. Ich werde dies am Ende der
Abstimmung zulassen.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13411, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12850
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Auf Verlangen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir über den Gesetz-
entwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
1) Anlagen 9 bis 15
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihre
Stimme nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in
Kommunikationsnetzen. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13411, den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 16/13125 und
16/13385, für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Jetzt gebe ich das Wort zu einer persönlichen Erklärung dem Kollegen Jörg Tauss.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich stimme gegen dieses Gesetz - zwischenzeitlich muss
man sagen: Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt -,
weil es mit dem eigentlichen Titel nichts zu tun hat. Das
Ziel, die Bekämpfung der Kinderpornografie, war - entgegen allen Unterstellungen und juristischen Ermittlungen, die gegen mich laufen - 15 Jahre lang meine Antriebsfeder, mich intensiv mit dem Internet zu
beschäftigen.
Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt, nicht weil ich
das Ziel nicht vorbehaltlos unterstützen würde, sondern
weil es in der Tat so ist - Frau Kollegin Krogmann, ich
habe Ihre Einwände an dieser Stelle nicht verstanden -,
dass mit diesem Gesetz erstmals nach 1949 im freien
Teil Deutschlands Überwachungsstrukturen geschaffen
werden.
Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt, weil es Kinderpornografie nicht verhindert. Das ist eine der großen
Legenden, die von der Ministerin - ich finde es schade,
dass sie nicht da ist - leider aufgebaut worden sind. Sie
hat bei allen Anfragen, die es gab - beispielsweise von
der FDP-Fraktion -, gesagt, es lägen ihr keine Erkenntnisse vor. Ich finde: Wenn man keine Erkenntnisse hat,
sollte man an der Debatte teilnehmen; das wäre das Mindeste, was man verlangen kann.
({0})
Das „Stopp!“-Signal, das erscheinen soll, wenn man
auf eine indizierte Seite geht, ermöglicht es Tätern bzw.
Verbreitern erst, festzustellen, ob sie geoutet sind und die
Adresse wechseln müssen. Der Bund Deutscher Krimi-
nalbeamter hat zu Recht festgestellt: Durch dieses Ge-
setz wird die Suche nach Tätern erschwert. Das heißt,
genau das, was Sie eigentlich wollen, Frau Kollegin Noll
- eine Zielsetzung, die wir alle haben -, wird dadurch
verhindert.
1) Ergebnis Seite 25165 C
Ich bin sehr betrübt darüber, dass man nur eine einzige Sachverständige zitiert hat. Alle anderen Sachverständigen wie Professor Sieber vom renommierten MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht haben auf die erheblichen rechtlichen und
technischen Probleme verwiesen. Er war es, Frau Kollegin Krogmann, der den Dialog, den Sie einfordern, erst
angeregt hat. In der Tat: Man hätte einen Dialog führen
müssen, bevor man zu einem solchen Gesetz kommt.
Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt, weil es die
Gewaltenteilung aufhebt. Zum ersten Mal ist es so, dass
die Exekutive selbst kontrolliert. Die Stelle beim Bundesdatenschutzbeauftragten ist - dazu habe ich schon etwas gesagt - nicht geeignet, die entstehenden Probleme
zu lösen.
Es geht hier ganz offensichtlich nur darum, am BKAGesetz vorbei Kompetenzen und Stellen für das BKA zu
schaffen. Wenn ich bedenke, wie viele Gesetze dieser
Koalition in den letzten Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert sind, muss ich sagen: Ich hätte
mir gewünscht, dass man nicht einfach sagt: „Verfassungsrechtlich ist alles prima“, sondern dies gründlich
prüft.
Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt, weil damit,
wie gesagt, Überwachungsstrukturen geschaffen werden. Das Wall Street Journal hat gestern - zu Unrecht,
wie ich meine; aber immerhin; es zeigt, dass darüber international debattiert wird - Deutschland in einem
Atemzug mit China und Iran genannt. Das halte ich für
außerordentlich problematisch. Doch wer sich darüber
aufregt, der möge in das Gesetz schauen. Es ist so, dass
die Provider jetzt gezwungen sind, mit der Polizei über
die technische Richtlinie zu verhandeln. Wenn man
weiß, wie die Verträge den Providern abgenötigt worden
sind - in einer Form, über die ich vorhin ebenfalls schon
geredet habe -, kann man, glaube ich, deutlich machen,
wie die Problematik ist: Hier wird missbrauchbare Technik bereitgestellt - missbrauchbare Technik, die von allen Diktaturen dieser Welt dankbar entgegengenommen
werden kann. Das ist verantwortungslos.
Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt, weil die
Technik in den geschlossenen Zirkeln von Kinderpornografen nicht funktioniert, aber in vielen Teilen der Welt
in der Lage ist, Demokratie und Freiheit herauszufiltern.
Ich habe dagegen gestimmt, weil jetzt nachträglich Verträge, die auf eine Art und Weise zustande gekommen
sind, wie ich es zum Ausdruck gebracht habe, mit einem
Gesetz legitimiert werden sollen.
Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt, weil es gegen
den Rat und die Warnungen fast aller Sachverständigen
- zumindest der großen Mehrheit der Sachverständigen zustande gekommen ist. Es gibt die Petition der 134 000,
über die heute Abend wohl kalt wie Hundeschnauze hinweggegangen wird. Die Stimmen dieser 134 000 und
vieler anderer junger Menschen, die heute angesichts
dieses Projekts resigniert zurückbleiben, will ich - wohl
als einer der wenigen Abgeordneten der Großen Koalition - nicht mit Füßen treten. Ich habe gegen das Gesetz
gestimmt. Ich resigniere nicht vor ministerieller Inkompetenz. Kämpft bitte ebenfalls weiter gegen ZensurinfraJörg Tauss
struktur! Nie kämpft es sich schlecht für Freiheit und
Recht! Deswegen habe ich dagegen gestimmt.
Löschen statt Sperren wäre die Devise. Das, was
heute passiert, ist eine Fehlentwicklung. Ich kann den
Grünen, denen ich auch für die Beantragung der namentlichen Abstimmung danke, nur zustimmen: Hier geht es
nicht mehr darum, dass das Internet ein rechtsfreier
Raum sei; hier geht es nur noch darum, dass das Internet
zunehmend und mit immer mehr Maßnahmen - sie wurden in den letzten Jahren verschärft, und sie sind auch
künftig zu erwarten, wie die Zitate von Strobl und Co.
zeigen - zu einem bürgerrechtsfreien Raum gemacht
werden soll.
Ich habe meiner Fraktion gesagt, ich bin relativ dankbar, dass ich -
Herr Kollege Tauss, die fünf Minuten für Ihre persönliche Erklärung sind zu Ende.
Ja, die Zeit ist rum. Es war meine letzte Anmerkung
in diesem Parlament. Das hat sicherlich viele gefreut.
Umgekehrt möchte ich, Frau Präsidentin, an dieser Stelle
allerdings sagen: Es hat an einigen Stellen auch Spaß gemacht. Wir haben viel bewirkt für Bildung, Wissenschaft
und Forschung. Denen, mit denen ich gut zusammengearbeitet habe, kann ich nur sagen: Wir waren in diesen
Bereichen erfolgreich.
Aber dieses Gesetz halte ich für betrüblich. Insofern
fällt mir mein Abschied aus dem Deutschen Bundestag
durchaus auch leicht. Trotzdem Ihnen persönlich alles
Gute!
Danke schön.
({0})
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung
der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen bekannt. Abgegebene Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 389, mit Nein haben gestimmt 128, Enthaltungen
18. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 535;
davon
ja: 389
nein: 128
enthalten: 18
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({20})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Kastner
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({23})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({24})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
({25})
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Iris Gleicke
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({28})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({29})
Frank Hofmann ({30})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Johannes Jung ({31})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({32})
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({33})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({34})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Gerold Reichenbach
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Michael Roth ({36})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({37})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({38})
Renate Schmidt ({39})
Heinz Schmitt ({40})
({41})
Swen Schulz ({42})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({43})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({44})
Heidi Wright
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
CDU/CSU
Jochen Borchert
SPD
Steffen Reiche ({45})
Dr. Wolfgang Wodarg
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({46})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({47})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({48})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Kastner
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({49})
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({50})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({51})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Jan Korte
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({52})
({53})
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Uschi Eid
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({54})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({55})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthalten
SPD
Ulrich Kasparick
Ottmar Schreiner
Wolfgang Spanier
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({56})
Cornelia Behm
Ekin Deligöz
Hans Josef Fell
Priska Hinz ({57})
Thilo Hoppe
Kerstin Müller ({58})
Christine Scheel
Rainder Steenblock
Dr. Harald Terpe
Wir setzen die Abstimmungen mit den Entschlie-
ßungsanträgen fort. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13469? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der Opposition abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/13471? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13470? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der Opposition abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Bundeswehr - Eine aufgabenorientierte
Streitkraft?
- Drucksachen 16/9962, 16/12681 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({59})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
- zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr herstellen - Wehrpflicht aussetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Kai Gehring, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wehrpflicht überwinden - Freiwilligenarmee aufbauen
- Drucksachen 16/393, 16/6393, 16/7432 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Paul Schäfer ({60})
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({61}) zu dem Antrag der Abgeordneten Elke
Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Attraktivität des Soldatenberufes steigern
- Drucksachen 16/2836, 16/5352 Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer ({62})
Birgit Homburger
Paul Schäfer ({63})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, FDP.
({64})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Deutsche BundeswehrVerband hat im April 2007
eine vielbeachtete Umfrage durchgeführt, in der
74 Prozent der Berufssoldaten mitteilten, sie würden ihnen Nahestehenden den Dienst in der Bundeswehr nicht
empfehlen. Diese Umfrage wurde vom Verteidigungsminister abgetan. Sie hätte vielmehr als Stimmungsbarometer ernst genommen werden müssen. Denn die Situation hat sich seither noch verschärft. Das zeigen die
Berichte des Wehrbeauftragten und auch schlicht die
Fakten, beispielsweise die Abnahme der Bewerberzahlen um 15 Prozent in allen Laufbahnen im Jahr 2007
oder massive Kündigungen von Berufssoldaten, insbesondere von Ärzten und Piloten.
Deswegen hat die FDP-Bundestagsfraktion in einer
Großen Anfrage die Möglichkeit genutzt, die Situation
der Bundeswehr insgesamt gegenüber der Bundesregierung nochmals zu thematisieren. Es gibt zwei Bereiche,
in denen wir deutlich machen wollen, dass es dringenden
Veränderungs- und Verbesserungsbedarf gibt. Das sind
zum einen Veränderungen in der Struktur der Bundeswehr und zum anderen die Steigerung der Attraktivität
der Streitkräfte.
Die Ursachen für die Situation liegen im Missmanagement des Verteidigungsministeriums. Seit über einem Jahrzehnt wird in der Bundeswehr herumgedoktert:
Strukturreform, Reform der Reform und Transformation.
Eins geht nahtlos ins andere über. Trotz grundlegender
Änderung der sicherheitspolitischen Lage ist das Handeln des Verteidigungsministeriums noch immer von altem Denken geprägt.
So wird krampfhaft an allen Führungsebenen festgehalten. Seit Mitte der 90er-Jahre hat sich der Umfang der
Bundeswehr halbiert, aber die Zahl der Ämter, Kommandos und Behörden vermehrt. Die Zahl der Haushaltsstellen in der Besoldungsordnung B - also die Zahl
höherdotierter Oberster und Generale - ist nahezu unverändert, so die Antwort der Bundesregierung auf unsere
Große Anfrage.
Nach wie vor wird die Bundeswehr also mit einer
Führungsstruktur geführt, die vom Kalten Krieg herrührt. Deshalb ist das Fazit, dass wir - beginnend beim
BMVg - dringend eine schlankere Führungsstruktur benötigen. Nur so ist mehr Effizienz zu erzielen.
({0})
Eine Folge falscher Strukturen ist unter anderem ein
Beförderungsstau insbesondere bei Portepeeunteroffizieren. Das führt zu Frustration insbesondere bei dienstälteren Feldwebeldienstgraden. Das hat auch der Wehrbeauftragte immer wieder thematisiert. Daraus resultiert
eines von vielen Attraktivitätsproblemen. Die Bundesregierung verschließt die Augen vor dem Problem, wenn
sie auf unsere Große Anfrage antwortet, sie könne keinen Motivationsverlust durch Beförderungsstau erkennen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie sollten sich dringend noch einmal mit diesem
Thema auseinandersetzen.
({1})
Die falsche Struktur zeigt sich auch an einem krampfhaften Festhalten der Bundesregierung an der Wehrpflicht.
Wir haben eine völlig veränderte sicherheitspolitische Situation. Die Wehrpflicht ist zur Aufrechterhaltung der äußeren Sicherheit nicht mehr notwendig. Derzeit leisten
weniger als 17 Prozent der zur Verfügung stehenden jungen Männer Wehrdienst, und ungefähr 60 Prozent aller
tauglichen jungen Männer leisten weder Wehr- noch Zivildienst. Hier kann von Gerechtigkeit - und zwar weder
Wehr- noch Dienstgerechtigkeit - keine Rede mehr sein.
({2})
Deshalb ist es nötig, dass die Struktur der Bundeswehr den aktuellen Notwendigkeiten angepasst wird,
dass es auch für die jungen Männer, die von der Dienstpflicht betroffen sind, eine größere Gerechtigkeit gibt
und - das sage ich ausdrücklich - dass durch die Aussetzung der Wehrpflicht an anderer Stelle für die Bundeswehr dringend benötigte Mittel freigesetzt werden. Deshalb fordert die FDP an dieser Stelle ausdrücklich die
Aussetzung der Wehrpflicht und die Schaffung einer
neuen Struktur für die Bundeswehr.
({3})
Die Attraktivität der Streitkräfte hängt aber auch von
weiteren Punkten ab, zum Beispiel von den Weiterbildungsmöglichkeiten, der Versetzungshäufigkeit, der Beförderungssituation, der Vereinbarkeit von Familie und
Dienst, die hier schon einmal ein großes Thema war, der
Material- und Ausstattungslage und der ausufernden Bürokratie.
Zur materiellen Ausstattungslage möchte ich an dieser Stelle nur sagen: Im Einsatz ist sie zwar immer wieder verbessert worden; sie ist aber bei weitem noch nicht
optimal. Nicht nur im Einsatz, sondern auch in der Ausbildung fehlt es an Ausstattung. Deshalb sagen wir: Wir
müssen weg von einer falschen Schwerpunktsetzung im
Verteidigungshaushalt - zum Beispiel zugunsten von
Großprojekten wie MEADS oder der dritten Tranche des
Eurofighters -, hin zu einer besseren Ausstattung der
Bundeswehr, insbesondere im Einsatz.
({4})
Zuviel Bürokratie im Einsatz - bis hin zur Mülltrennung - wurde immer wieder thematisiert. Im Bericht des
Bundesministeriums der Verteidigung zum Sachstand
der Inneren Führung wurde gerade wieder deutlich, dass
Vorgesetzte wiederholt über enorme administrative Belastungen in verschiedenen Verwendungen geklagt haben, die bis zu 80 Prozent der Dienstzeit beanspruchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Bundesregierung, ich habe den Eindruck, dass die Notwendigkeit des Bürokratieabbaus in der Bundeswehr mit
am höchsten ist. Wir fordern eine Steigerung der Attraktivität durch eine echte, auftragsgerechte Personalstrukturreform, ein neues Laufbahnrecht, eine Anhebung der
Einstiegsbesoldung und ein eigenes Besoldungsrecht für
Soldatinnen und Soldaten.
Sie von der Großen Koalition und auch der Bundesverteidigungsminister hatten im Übrigen versprochen,
die Einführung eines eigenen Besoldungsrechts zu prüfen. Passiert ist nichts, außer dass Sie den Antrag der
FDP zu einer eigenen Besoldungsstruktur abgelehnt haben. Wir sehen die Notwendigkeit einer Reduzierung der
Versetzungshäufigkeit auf das dienstlich unabdingbare
Maß, von besseren Teilzeitarbeitsmöglichkeiten und
besseren Kinderbetreuungsangeboten.
Ich komme zum Schluss. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr leisten einen hervorragenden
Dienst. Wir erwarten, dass das nicht nur in Sonntagsreden gewürdigt wird, sondern dass die Rahmenbedingungen im täglichen Dienst konkret verbessert werden. Das
erhöht die Berufszufriedenheit und die Attraktivität und
ist außerdem eine Investition in die Zukunft der Bundeswehr.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister,
Dr. Franz Josef Jung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Homburger, Sie haben hier eine Lage beschrieben, die
mit der Wirklichkeit der Bundeswehr wahrlich nicht
übereinstimmt.
({0})
Ich möchte Ihnen eines deutlich sagen: Ich finde, dass
unsere Bundeswehr den Transformationsprozess von einer reinen Verteidigungsarmee über eine Armee der Einheit zu einer Armee im Einsatz für den Frieden in einer
hervorragenden Art und Weise bewerkstelligt hat. Bitte
bedenken Sie, dass wir - aus meiner Sicht - insofern am
meisten herausgefordert waren, als es einmal zwei Armeen waren, die gegeneinander ausgebildet und aufgerüstet waren und entsprechend strukturiert worden sind.
Diese zwei Armeen wurden in einer beispielhaften Art
und Weise zu einer Armee der Einheit und sind jetzt im
Einsatz für den Frieden tätig. Deshalb geht die von Ihnen
geübte Kritik wirklich an der Sache vorbei. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten einen hervorragenden Einsatz. Dafür haben Sie unseren Dank und auch unsere Unterstützung verdient.
({1})
Bedenken Sie bitte, dass aktuell rund 7 000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz in den verschiedensten
Operationsgebieten sind. Dazu zählen Afghanistan, der
Kosovo, Bosnien-Herzegowina, UNIFIL im Libanon,
Dschibuti, der Sudan, Darfur und der Einsatz vor der
Küste Somalias. Sie sollen nicht nur die Bandbreite sehen, sondern auch die Aufgaben berücksichtigen. Gerade eben haben wir im Rahmen der NATO und des
neuen strategischeen Konzepts deutlich gemacht, dass
wir natürlich weiterhin eine Aufgabe in der Schutzfunktion nach Art. 5 des NATO-Vertrages haben. Ab September machen wir beispielsweise das Air Policing für die
baltischen Staaten.
Wir haben eine Aufgabe im Hinblick auf den Stabilitätstransfer und die neuen Bedrohungslagen. Sie dürfen
nicht verkennen, dass es durch den internationalen Terrorismus neue Bedrohungslagen gibt. Dies ist auch
durch Krisensituationen, Staatszerfall und Massenvernichtungswaffen bedingt. Es ist also richtig, die Gefahr
an der Quelle zu beseitigen; das liegt auch im Interesse
der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Ich
finde, unsere Soldatinnen und Soldaten bewerkstelligen
diesen Auftrag wirklich ganz hervorragend. Deshalb ist
die Kritik, die Sie in diesem Zusammenhang vorgetragen haben, meines Erachtens sehr deutlich zurückweisen.
({2})
Die Bundeswehr genießt mit 89 Prozent hohe Anerkennung in Deutschland. Wir brauchen aber mehr Unterstützung im Hinblick auf unsere Auslandseinsätze. Deshalb werbe ich dafür, dass wir der Bevölkerung noch
mehr deutlich machen, dass es etwas mit der Sicherheit
unserer Bürgerinnen und Bürger zu tun hat, wenn unsere
Soldatinnen und Soldaten beispielsweise in Afghanistan
oder im Kosovo ihren Einsatz leisten. Dies hat eine Veränderung der Bedrohungslage nach sich gezogen. Die
Risiken dort zu beseitigen, wo sie entstehen, ist im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger von
entscheidender Bedeutung. Deshalb sollten wir alle Anstrengungen unternehmen, dass der wichtige Beitrag,
den unsere Soldaten für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger leisten, noch mehr Unterstützung vonseiten der Bevölkerung erfährt.
({3})
Sie haben die Struktur der Bundeswehr angesprochen.
Ich bin ein entschiedener Verfechter der Struktur der
Wehrpflichtarmee, nicht nur weil sie sich in 50 Jahren
Bundeswehr hervorragend bewährt hat. Ich sage Ihnen
eines: Die Themen Armee in der Demokratie, Staatsbürger in Uniform und die Innere Führung haben damit etwas zu tun. Die strukturelle Entwicklung einer Wehrpflichtarmee vollzieht sich anders. Ich sage Ihnen, wie
unsere Soldatinnen und Soldaten auftreten. Überall, wohin ich komme, höre ich, dass sie das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland aufwerten. Sie treten sensibel
auf und gewinnen Vertrauen auch und gerade in der Bevölkerung. Daran wird deutlich, dass eine Struktur mit
beispielsweise 60 000 Wehrpflichtigen, von denen sich
25 000 freiwillig weiterverpflichten, eine andere Entwicklung bedeutet. 40 Prozent unserer Berufs- und Zeitsoldaten sind Wehrpflichtige. Ich bin deshalb entschieden der Meinung, dass wir klug beraten sind, auch in
Zukunft an der Struktur der Wehrpflichtarmee festzuhalten.
({4})
Übrigens bestärkt mich Ihr Ehrenvorsitzender in dieser
Frage. Ich höre auf seinen Rat.
Ich füge hinzu: Natürlich geht es auch um Einberufungsgerechtigkeit. Aber die Zahlen, die Sie vorgetragen
haben, sind völlig abwegig. Ich habe entschieden, dass
6 500 Wehrpflichtige mehr einberufen werden. Insgesamt werden 80 Prozent der zur Erfüllung der Wehrpflicht tauglichen Jugendlichen einberufen.
({5})
Das sind die konkreten Zahlen. Ich denke, dass wir insofern für Einberufungsgerechtigkeit sorgen.
({6})
Wenn ich mir die Entwicklung in der Legislaturperiode anschaue, dann finde ich, dass wir einen erheblichen Beitrag dazu geleistet haben, die Bundeswehr modern und leistungsstark fortzuentwickeln. Ich habe Ihnen
die Einsätze, die hinzugekommen sind, bereits genannt.
Die Bandbreite reicht vom Kongo, UNIFIL über Piraterieeinsätze bis hin zu Einsätzen in Afghanistan. Sie dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir die Strategie verändert haben. Wir, die Bundesregierung, haben zum
ersten Mal seit 1994 ein Weißbuch zur Sicherheit
Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr beschlossen. Dort haben wir die Strategie der vernetzten
Sicherheit niedergelegt. Diese Strategie ist nach meiner
felsenfesten Überzeugung das Grundprinzip, auf dem
der Erfolg gerade in Stabilisierungseinsätzen beruht. Wir
haben das in der NATO entsprechend umgesetzt; darüber
herrscht Einigkeit. Wir haben einen Einsatzführungsstab
geschaffen, an dem nicht nur das Bundesverteidigungsministerium, sondern auch das Auswärtige Amt, das Innenministerium und das Entwicklungshilfeministerium
beteiligt sind. Damit setzen wir die Strategie der vernetzten Sicherheit auch praktisch um.
Sie haben das Thema der geschützten Fahrzeuge angesprochen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ich bin
noch heute dankbar, dass ich vor zwei Jahren die Entscheidung getroffen habe, dass die Bundeswehr nur noch
geschützte Fahrzeuge in Afghanistan einsetzt. Dies hat
Leben unserer Soldatinnen und Soldaten gerettet. Mittlerweile sind über 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan im Einsatz, sodass unsere Bundeswehr handlungsfähig ist, auch wenn es um die Schutzfunktion geht. Dies
sollte vonseiten des Parlamentes auf angemessene Art
und Weise gewürdigt werden.
({7})
Ich will noch den Fürsorgegedanken ansprechen. Da
meine Redezeit nicht mehr zulässt, kann ich nur ein paar
kurze Schlagworte nennen. Es geht hier um Themen wie
das Einsatzweiterverwendungsgesetz, die Verbesserung
des Rechtsschutzes und die Erhöhung des Auslandsverwendungszuschlags.
Sie haben die Besoldungsstruktur angesprochen. Zum
ersten Mal seit langem haben die Soldaten wieder mehr
bekommen; wir konnten den Tarifvertrag umsetzen. Wir
haben die Angleichung der Besoldung in Ost und West
durchgesetzt. Wir haben jetzt die Kasernensanierung
West auf den Weg gebracht. Von der Wehrsolderhöhung
bis zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Dienst haben wir eine Menge in Angriff genommen.
Frau Homburger, das sind konkrete Zuwendungen für
unsere Soldatinnen und Soldaten, die sie dankbar zur
Kenntnis genommen haben. Ich finde, das sollte auch bei
Ihnen angemessene Würdigung finden.
({8})
Lassen Sie mich auf einen Punkt hinweisen. Die Soldaten leisten ihren Einsatz mit Risiko für Leib und Leben. Deshalb ist es richtig gewesen, dass der BundespräBundesminister Dr. Franz Josef Jung
sident unserem Antrag zugestimmt hat und wir das
Ehrenkreuz für Tapferkeit kreieren konnten. Anfang Juli
werden wir die erste Verleihung vornehmen können. Angesichts des schwierigen Einsatzes, den unsere Soldatinnen und Soldaten im Interesse unserer Sicherheit leisten,
halte ich es für einen wichtigen Schritt, diejenigen, die
mit Risiko für Leib und Leben Mut und Tapferkeit beweisen, auszuzeichnen, sodass sie die Anerkennung der
Öffentlichkeit und damit letztlich auch unsere Anerkennung finden.
({9})
Weil es dazugehört, füge ich hinzu: Ich bin schon der
Meinung, dass wir denjenigen, die seit Bestehen der
Bundeswehr im Einsatz für Frieden und Freiheit gefallen
sind oder für unsere Sicherheit ihr Leben verloren haben,
ein ehrendes und würdiges Andenken bewahren sollten.
Deshalb bin ich froh, dass wir noch in dieser Legislaturperiode das Ehrenmal einweihen können, und zwar an
dem Platz, der für die Bundeswehr steht, nämlich am
Bendlerblock.
({10})
Wenn man die Gesamtentwicklung betrachtet, kann
man sagen: Es gibt nichts, was nicht weiter verbessert
werden könnte - wir sind täglich darum bemüht, Verbesserungen auf den Weg zu bringen -; aber durch die
Grundstruktur der Bundeswehr ist gewährleistet, dass
unsere Soldaten gut ausgebildet, gut ausgerüstet und hervorragend motiviert sind. Unsere Soldaten leisten einen
sehr guten Beitrag zur Gewährleistung von Frieden,
Recht und Freiheit in unserem Vaterland.
Ich danke Ihnen.
({11})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Paul Schäfer, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich muss sich der Bundestag damit beschäftigen, in welchem Zustand sich die Bundeswehr befindet, die ja nach
unser aller Verständnis als Parlamentsarmee definiert ist.
Das reicht vom Umgang mit Untergebenen über die ärztliche Versorgung bis zur Bereitstellung geeigneter
Schlafsäcke.
In dieser Woche haben wir eines gelernt. Wir müssen
uns über eines am wenigsten Sorgen machen: die Bewaffnung der Truppe.
({0})
Kurz vor Toresschluss wurden Beschaffungsvorhaben
im Umfang von über 7 Milliarden Euro bewilligt.
({1})
Da ging es um neue Schützenpanzer, kampfwertgesteigerte Fregatten und um den Eurofighter, der jetzt als
Jagdbomber beschafft werden soll. Den Jagdbomber
brauchen wir nun wirklich nicht. Man muss sich das einmal vorstellen: 7 Milliarden Euro. Die öffentliche Hand
ist nicht nur klamm, sondern rekordverschuldet, aber
trotzdem schütten wir das Füllhorn über die Rüstungswirtschaft aus.
({2})
An anderer Stelle eingesetzt, könnte man mit diesem
Geld viel mehr Arbeitsplätze schaffen und viel mehr
Wachstum generieren. Wenn das Geld in die Bildung
und die ökologische Erneuerung der Wirtschaft fließen
würde, wäre das eine Investition in die Zukunft. Stattdessen investiert man in überkommene Zerstörungsinstrumente.
({3})
Wie gesagt, wir als Parlament müssen uns sehr konkret mit den Arbeits- und Lebensbedingungen und der
inneren Verfassung der Soldatinnen und Soldaten beschäftigen. Das haben sie allemal verdient. Die Grundfrage aber ist immer: Zu welchem Zweck soll überhaupt
militärische Gewalt eingesetzt werden? Wie lautet der
Auftrag der Truppe? Art. 87 a des Grundgesetzes sieht
vor, dass der Bund Streitkräfte zum Zwecke der Verteidigung aufstellt. Von diesem Punkt haben wir uns weit entfernt, wenn man sich das Weißbuch und die heutige Realität ansieht. Der Verweis auf die Landesverteidigung
und die Bündnisverpflichtungen ist doch nur noch eine
Rechtfertigungsformel gegenüber der Bevölkerung und
dem Bundesverfassungsgericht. Die Bundeswehr wird
als Armee im Einsatz definiert. Ihr Einsatzgebiet ist geografisch unbegrenzt, das heißt global. Die Streitkräfte
sollen ganz überwiegend im Rahmen der NATO und der
EU eingesetzt werden, und sie sollen ein ganzes Spektrum von Aufgaben abdecken, von der Terrorbekämpfung bis zur militärischen Sicherung der Energie- und
Rohstoffversorgung.
Dieser Auftrag muss im Lichte der Erfahrungen der
letzten Jahre grundlegend auf den Prüfstand. Wenn die
angestrebten Ziele nicht oder nur begrenzt erreicht werden - man könnte dazu einiges sagen, zum Beispiel über
den Kongo und das Kosovo - oder zu der Verschlechterung von Sicherheitslagen führen wie die Militärintervention in Afghanistan - dort haben wir heute eine Verschlechterung der Sicherheitslage; wir sind vom Frieden
weiter denn je entfernt -, dann muss über andere Möglichkeiten der Konfliktbewältigung nachgedacht und gesprochen werden. Dann muss darüber gesprochen werden, dass „zivil“ endlich Vorfahrt haben muss.
({4})
Die Linke ist erstens für eine Bundeswehr, die sich an
der Landesverteidigung im Bündnisrahmen orientiert,
und die findet nicht am Hindukusch statt. Wir sind zweitens dafür, dass sich die Außen- und Sicherheitspolitik
Paul Schäfer ({5})
der Bundesrepublik strikt am Völkerrecht ausrichtet.
Das heißt, eine deutsche Beteiligung an völkerrechtswidrigen Militäreinsätzen scheidet a priori aus. Drittens
findet der Einsatz der Streitkräfte im Rahmen der Ressourcensicherung - Stichwort: Öl - nicht unsere Zustimmung, weil das nur darauf hinausläuft, die privilegierte
Position der reichen Industrienationen zu stärken, und
damit zu mehr Unfrieden in der Welt führt. Viertens
kommt für uns überhaupt nicht infrage, dass die Bundeswehr zu polizeilichen Zwecken im Inneren eingesetzt
wird. Hier gibt es ein kategorisches Nein.
({6})
Fünftens kann der Umfang der Streitkräfte reduziert
werden, da wir für absehbare Zeit nicht militärisch bedroht sind. Sechstens können wir das sture Festhalten an
der Wehrpflicht nicht mehr gebrauchen. Wenn nur noch
15 Prozent eines Altersjahrgangs dienen und ein Fünftel
im Rahmen des sogenannten Ersatzdienstes tätig ist,
dann hat das mit Wehrgerechtigkeit nichts mehr zu tun.
Diese Wehrpflicht muss fallen.
({7})
Kurzum: Landesverteidigung, Abrüstung und der absolute Vorrang ziviler Konfliktbewältigung - dass muss
die Sicherheits- und Außenpolitik der Bundesrepublik
Deutschland bestimmen. Friedenspolitik mit friedlichen
Mitteln - das ist die Grundauffassung der Linken.
Danke.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Hedi Wegener,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es liegen drei Beratungsvorlagen
vor, die man eigentlich in einer großen Frage zusammenfassen kann: Ist unsere Bundeswehr so aufgestellt, dass
sie ihre gegenwärtigen und künftigen Aufgaben erfüllen
kann? In allen Debatten - wir haben in der letzten Zeit
häufiger über Fragen der Bundeswehr diskutiert - hieß
es immer: Die Rahmenbedingungen unterliegen einem
rasanten Wandel. - Früher war die Aufgabe der Bundeswehr relativ klar umrissen. Herr Minister Jung hat es
gerade noch einmal gesagt. Es ging um die territoriale
Landesverteidigung gemeinsam mit unseren Bündnispartnern. Nun haben wir eine Armee im Einsatz. Damals
hat sich die Bundesrepublik entschieden, die Wehrpflicht
einzuführen. 1957 wurden die ersten Wehrpflichtigen
eingezogen.
Jetzt liegen uns wieder einmal zwei Anträge der FDP
und ein Antrag der Grünen vor. Sie haben recht, wenn
Sie sagen, dass sich inzwischen vieles anders darstellt.
Aber es kann auch niemand voraussehen, wie sich die
Sicherheitslage weiterentwickeln wird. Unserer Ansicht
nach ist die Wehrpflicht ein Bestandteil unserer Sicherheitsvorsorge.
({0})
Natürlich sehen auch wir Veränderungen bei der Einberufung. Deshalb hat die SPD das Modell einer subsidiären Wehrpflicht entwickelt. Wir wollen die Vorteile
der allgemeinen Wehrpflicht mit der Chance auf eine
vollständige Bedarfsdeckung der Bundeswehr durch
freiwillige Wehrdienstleistende verbinden. Das bedeutet
vom Prinzip die Erfassung aller Wehrpflichtigen, aber
die Einberufung all derer, die vorher erklärt haben, dass
sie ihren Dienst freiwillig tun wollen. So werden die Wesenselemente der Wehrpflicht mit Elementen der Freiwilligkeit verbunden. Natürlich muss es auch positive
Anreize geben, wie zum Beispiel einen Bonus auf Wartesemester, die Erweiterung der Berufsförderungsansprüche oder Ähnliches.
Ein Abschaffen der Wehrpflicht löst weder die Probleme - ich erinnere an die Folgen in Frankreich oder
Spanien, wo die Armee deutlich teurer geworden ist, die
Sollzahlen aber dennoch nicht erreicht wurden -, noch
wird es unserem Grundgedanken des Bürgers in Uniform gerecht; denn die Wehrpflicht stellt unseres Erachtens auch eine Klammer zwischen der Gesellschaft und
der Bundeswehr dar.
({1})
Von der Umwandlung in eine Berufsarmee jedenfalls
wird die Bundeswehr nicht profitieren. Sie würde nur
kleiner, nicht professioneller, aber in jedem Fall teurer.
Meine Herren und Damen, ich hatte es bereits angesprochen: Die Ausgangslage hat sich in den letzten
20 Jahren geändert. Die Bundeswehr ist eine Armee im
Einsatz geworden. Aber auch unsere Gesellschaft hat
sich verändert. Deswegen hat der damalige Verteidigungsminister Struck einen Transformationsprozess eingeleitet, und es gibt ja auch Fortschritte, wie das BMVg
selber festgestellt hat.
Die Veränderungen erfordern aber vor allen Dingen
Anpassungen im Bereich der Inneren Führung. Deshalb
hatten wir, das Parlament, einen Unterausschuss eingerichtet, der die Änderungen begleitet; das BMVg hat uns
in den letzten Tagen einen entsprechenden Bericht vorgelegt. Heute hatte ich, wie Sie wahrscheinlich auch, den
Bericht der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in der Post, der sich streckenweise sehr kritisch mit uns Abgeordneten, mit unserer Funktion und
unserem Verhalten, mit der Reaktion des BMVg und der
Schönrederei auseinandersetzt. Sein Titel lautet: „Innere
Führung und Auslandseinsätze: Was wird aus dem Markenzeichen der Bundeswehr?“. Es lohnt sich, sich einmal mit den Argumenten auseinanderzusetzen; denn bei
der Bundeswehr gibt es ebenso wie bei uns Abgeordneten eine Kluft zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.
Dennoch hat sich viel geändert, die politische Bildung
zum Beispiel. Immer wieder hören wir Kritik von den
Soldaten, sie seien nicht genug auf den Auslandseinsatz
vorbereitet, der im Übrigen, Herr Schäfer, immer durch
eine entsprechende gesetzliche Grundlage abgesichert
ist. Ich bin sehr erfreut, dass eine Verbesserung in der
politischen Bildung stattgefunden hat, zum Beispiel eine
thematisch-inhaltliche Vorbereitung generell, aber auch
einsatzspezifisch. Allerdings gibt es auch da wieder eine
Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, wenn nämlich
die politische Bildung den Diensterfordernissen laufend
zum Opfer fällt.
Gleichzeitig ergeben sich Herausforderungen beim
Sanitätsdienst; das haben wir in der letzten Zeit immer
wieder betont. Wenn in den nächsten Jahren 60 Prozent
der Sanitätsoffiziere Frauen sein werden, dann bekommt
die Bundeswehr ein Problem, wenn Elternzeit oder
Schwangerschaft ein Kriterium sind, nicht in den Einsatz
geschickt werden zu können.
Planbarkeit der einzelnen Verwendungen spielt bei
der Entscheidung für den Beruf des Soldaten eine immer
größere Rolle. Sollte es der Bundeswehr nicht gelingen,
flexiblere Modelle zu entwickeln, beispielsweise Personalpools oder Jobsharing, sehe ich massive Probleme auf
uns zukommen. Wenn zwischen den Einsätzen kaum
nennenswerte Pausen liegen oder Versetzungen mit Ortswechseln alle zwei Jahre anliegen, bedeutet dies ein Problem für die Familien. Dem Generalinspekteur stimme
ich zu, wenn er sagt, dass den Soldaten klar sein muss,
dass heutzutage Auslandseinsätze zu ihrem Beruf gehören. Aber - dies betone ich noch einmal - Planbarkeit für
die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien muss
gegeben sein.
Die Zeitungen zitierten gestern Herrn Schneiderhan
mit den Worten, die Soldaten jammerten auf hohem Niveau. Dem stimme ich in manchen Dingen zu, zum Beispiel dann, wenn es um die Zurverfügungstellung von
Sonnenbrillen geht. Wenn es jedoch um passende
Schutzwesten geht, haben die Soldaten natürlich recht.
Aber der Generalinspekteur hat noch etwas Wichtiges
gesagt: Kommunikation ist eine Schlüsselkompetenz.
Dazu kann man nur sagen: Ja, das ist richtig. Dies gilt
für die Bundeswehr intern, aber auch für die Zusammenarbeit mit uns im Verteidigungsausschuss. Wir müssen
leider immer wieder feststellen, dass es zum Teil eine
große Diskrepanz zwischen dem gibt, was uns im Ausschuss präsentiert wird, und dem, was wir in der Realität
im direkten Gespräch mit der Truppe erfahren. Das
Stichwort Sanitätsdienst habe ich bereits genannt.
Der Sanitätsdienst ist weltweit mit seinen Fähigkeiten
anerkannt. Dort wird von der Bundeswehr eine ungeheure Leistung vollbracht. Aber gerade dort gibt es
Schwierigkeiten; das ist wirklich noch milde ausgedrückt. In der Truppe selber wird von zum Teil unhaltbaren Zuständen gesprochen. Wir haben in der letzten Zeit
an dieser Stelle schon darüber gesprochen. Meine Bitte
an die Kolleginnen und Kollegen, die dem nächsten
Bundestag angehören werden - ich werde es nämlich
nicht mehr -: Seid wachsam, lasst nicht locker! Die Soldaten verlassen sich nämlich darauf, dass wir uns für sie
einsetzen und ihre Situation verbessern.
Dennoch: Die Bundeswehr hat es in bemerkenswert
kurzer Zeit geschafft, eine Armee im Einsatz zu werden,
deren Können und Fähigkeiten international anerkannt
sind. Die Frage, ob unsere Bundeswehr ihren gegenwärtigen Aufgaben gewachsen ist, beantworte ich eindeutig
mit Ja. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass der
Transformationsprozess noch nicht abgeschlossen ist.
Ich selber bin von der Truppe immer gut informiert worden, ich fühlte mich im Ausland immer sicher und hatte
nie einen Grund zu meckern. Dafür danke ich ausdrücklich.
({2})
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man dort so verfährt wie bei den Handwerkern: Geht nicht, gibt’s nicht.
Aber dabei wird auch manches schöngeredet. Dem
Generalinspekteur habe ich einmal gesagt, die Bundeswehr mache aus Mist auch noch Gold. Sie will immer alles möglich machen; zumindest die Führung will dies.
Die Gespräche mit den Soldaten geben dann manchmal
ein anderes Bild, wie Sie alle selbst wissen.
Die Soldatinnen und Soldaten können sicher sein,
dass die SPD-Bundestagsfraktion ihre Anliegen auch in
der nächsten Legislaturperiode intensiv vertreten wird.
Manchmal braucht die Führung der Bundeswehr nämlich einen kleinen Anstoß, um bestimmte Dinge in Bewegung zu bringen. Meine Herren, seien Sie versichert,
dass der Verteidigungsausschuss Ihnen in der nächsten
Legislaturperiode weiterhin die Anstöße geben wird ohne mich.
Vielen Dank.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Ihre Rede war ein Beispiel dafür, wie man
erfolgreich aneinander vorbeireden kann.
({0})
Dass unsere Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen zur Eindämmung von Gewalt und zur Verhütung von Krieg im Namen der Vereinten Nationen Ausgezeichnetes leisten, ist zumindest hier bei diesen vier
Fraktionen unstrittig. Darum geht es nicht.
({1})
In meinen vier Minuten nur zu einzelnen Stichpunkten. Zunächst zur Wehrpflicht: Die heutige Restwehr25174
pflicht, von der man ja sprechen muss, ist sicherheitspolitisch in der Tat nicht mehr notwendig und deshalb
als Grundrechtseingriff auch nicht mehr legitimierbar.
({2})
Die Bundesregierung antwortet auf die Große Anfrage
der FDP zu diesem Punkt bezeichnenderweise, dass von
einem Jahrgang, 430 000 junge Männer, im Jahre 2007
68 000 als Grundwehrdienstleistende eingezogen wurden. Dies zeigt sehr deutlich, wie „nötig“ die Bundeswehr die Grundwehrdienstleistenden hat. Es zeigt auch
etwas anderes: dass die Wehrgerechtigkeit wirklich am
Boden liegt.
({3})
Wir alle stellen fest - das erleben auch die Jugendoffiziere -, dass sie den jungen Leuten, die betroffen sind,
die Wehrpflicht nicht mehr plausibel machen können.
({4})
Ich glaube, dass es in Kürze auch dem Bundesverfassungsgericht nicht mehr plausibel zu machen ist. Es
wäre eigentlich ein Gebot der Politik, nicht immer erst
auf Karlsruhe zu warten, sondern selbst vernünftige
Alternativen zu entwickeln. Vernünftige Alternativen
liegen auf dem Tisch, nämlich die Einführung eines freiwilligen flexiblen Kurzdienstes, der jungen Männern
und Frauen offensteht und 12 bis 24 Monate dauert. Wir
haben dazu Vorschläge gemacht, die FDP ebenfalls.
({5})
Mein nächster Punkt betrifft die Aufgaben der Bundeswehr. Hier haben wir es mit einem grundsätzlichen
Problem zu tun. Ich glaube, es gibt keinen Bereich staatlichen Handelns, der in seiner Aufgabenbestimmung so
wenig rechtlich normiert ist. Das Grundgesetz nennt die
Verteidigung, die Wahrung der kollektiven Sicherheit
und das Verbot der Vorbereitung von Angriffskriegen.
Das ist es aber auch schon. Ich glaube, dass wir mehr
Auftragsklarheit brauchen. Der BundeswehrVerband hat
bereits die Einführung eines Bundeswehraufgabengesetzes vorgeschlagen. Ich glaube, das sollte vom Bundestag
ernsthaft erwogen werden.
({6})
Nun zum Stand der Transformation. Die Antworten
der Bundesregierung auf die Große Anfrage bestanden
aus den üblichen Plattitüden, die auch heute wieder,
wenn auch mit mehr Worten, vom Minister vorgetragen
wurden: Es gibt zwar einige Probleme, aber wir sind auf
dem richtigen Weg. - Wenn man allerdings die Realität
betrachtet, dann stellt man fest, dass es etwas anders aussieht. Wie wäre es sonst zu erklären, dass es etliche Jahre
nach Beginn der Transformation Soldatinnen und Soldaten mit Spezialfähigkeiten gibt, welche so oft in den Einsatz müssen, dass es weit über das erträgliche Maß hinausgeht?
Ein Zweites. Seit einiger Zeit bleibt meine Frage auch
im Ausschuss unbeantwortet, wie weit die derzeitige
Bundeswehr von der nationalen Zielvorgabe entfernt ist,
bis zu 14 000 Soldaten in bis zu fünf parallele Stabilisierungseinsätze in verschiedenen Einsatzräumen zu schicken. Man kann sich das heutzutage nicht vorstellen, wo
Größenordnungen von 7 000 bis 8 000 Soldaten die
Grenze der Belastbarkeit darstellen.
Schließlich: Wie soll eine solche nationale Vorgabe
Sinn machen, wenn es bei den für Stabilisierungseinsätze
immer wichtigeren polizeilichen und zivilen Kräften
keine Zielvorgaben gibt? Herr Minister, der viel beschworene Comprehensive Approach - was die Ausgewogenheit der Kräfte bzw. die Fähigkeiten angeht - hinkt
in seiner Fundierung den Vorgaben hinterher, wie es stärker nicht geht.
Diese Punkte stellen eine Lücke im Transformationsprozess dar. Aber der Transformationsprozess betrifft
nicht nur die Bundeswehr, sondern die gesamte Sicherheitspolitik.
Ich muss schließen, verweise aber auf die Fortsetzung
dieser Debatte zu dem Thema „zivile Krisenprävention
und Friedensförderung“.
Bis gleich.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 16/7432. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/393 mit dem Titel „Zukunftsfähigkeit
der Bundeswehr herstellen - Wehrpflicht aussetzen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion der FDP
angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6393 mit
dem Titel „Wehrpflicht überwinden - Freiwilligenarmee
aufbauen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen sowie bei Enthaltung der FDP angenommen.
Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Attraktivität des Soldatenberufs steigern“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf DruckVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
sache 16/5352, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/2836 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Linken, der SPD und der CDU/CSU bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen
der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Beauftragte
der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration
Erster Integrationsindikatorenbericht
- Drucksache 16/13300 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Sportausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben. Es handelt sich um die Reden von
Dr. Lale Akgün, SPD, Sibylle Laurischk, FDP, Sevim
Dağdelen, Die Linke, Josef Philip Winkler, Bündnis 90/
Die Grünen, und der Staatsministerin Dr. Maria
Böhmer.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/13300 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll,
Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Befreiung von IHK-Beiträgen für Kleinst- und
Kleinbetriebe bis zu 30 000 Euro Gewerbeer-
trag und grundlegende Reform der Industrie-
und Handelskammern
- Drucksachen 16/6357, 16/12883 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Wicklein
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Andreas Lämmel, CDU/CSU, Andrea Wicklein, SPD,
Paul Friedhoff, FDP, Dr. Barbara Höll, Die Linke, und
Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.2)
1) Anlage 26
2) Anlage 27
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/12883, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6357 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Vierten Gesetzes zur Änderung des
Sprengstoffgesetzes
- Drucksache 16/12597 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff ({2}), Dr. Max
Stadler, Gisela Piltz, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes
- Drucksache 16/12663 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 16/13423 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({4})
Silke Stokar von Neuforn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Nešković, Ulla Jelpke, Ulrich Maurer, Bodo
Ramelow und der Fraktion DIE LINKE
Keine Schusswaffen in Privathaushalten Änderung des Waffenrechts
- zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Volker Beck ({6}), Monika
Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abrüstung in Privatwohnungen - Maßnahmen gegen Waffenmissbrauch
- Drucksachen 16/12395, 16/12477, 16/13423 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({7})
Silke Stokar von Neuforn
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.
({8})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Montag haben sich einige Mitglieder des Innenausschusses mit Angehörigen der Opfer von Winnenden
hier in Berlin getroffen. Wir haben über den schrecklichen Amoklauf gesprochen und darüber, wie es dazu
kommen konnte. Wir waren uns einig: Dass der Vater
des Täters in unverantwortlicher Weise seine Waffe und
Munition offen im Haus hat herumliegen lassen, war das
letzte Glied einer Kette von katastrophalen Fehlentwicklungen, die aus einem 17-jährigen Schüler einen Mörder
von 15 unschuldigen Menschen gemacht hat. Deshalb
bleibt richtig: Nicht allein die Verbesserung des Waffenrechts kann Amokläufe verhindern. Wir brauchen zusätzlich eine Kultur des Hinsehens, des Sich-Kümmerns.
Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit und weniger
Gleichgültigkeit. Jetzt sind alle in unserer Gesellschaft
gefordert, und eben nicht nur wir Innenpolitiker.
({0})
Es ist aber auch wahr, dass die Sachverständigen, die
wir im Rahmen einer öffentlichen Anhörung am Montag
gehört haben, uns sagen: Alle Analysen von Tatabläufen
zeigen, dass die Verfügbarkeit von Waffen auf den Tatplan große Auswirkungen hat. Deshalb zielt die Änderung des Waffenrechts, über die wir unter diesem Tagesordnungspunkt diskutieren, vor allem auf die Einhaltung
der Vorschriften über die Aufbewahrung. Wir wollen,
dass die seit 2003 bestehende Pflicht, Waffen ordnungsgemäß in einem Waffenschrank aufzubewahren, eingehalten wird. Wir machen damit deutlich: Waffen einfach
in der Wohnung herumliegen zu lassen, sodass die konkrete Gefahr besteht, dass Kinder sie an sich nehmen, ist
kein Kavaliersdelikt, sondern das ist gefährlich. Deswegen wird ein solches Verhalten künftig härter bestraft.
({1})
Ob es tatsächlich einmal zu einer Verurteilung wegen
des vorsätzlichen Verstoßes gegen Aufbewahrungsvorschriften kommt, ist dabei gar nicht so entscheidend.
Dass es jetzt einen solchen Straftatbestand gibt, dass
man dann für fünf Jahre den Waffen- oder Jagdschein los
ist, wird abschreckend wirken. Dies wird dazu führen,
dass Waffenschränke nicht nur gekauft, sondern tatsächlich benutzt werden. Dagegen kann kein rechtschaffener
Jäger oder Schütze etwas haben.
Ich lege Wert auf die Feststellung, dass wir mit dieser
Gesetzesänderung im Kern keine Verschärfung des Waffenrechts vornehmen; vielmehr verbessern wir die Kontrollmöglichkeiten der Behörden, also den Gesetzesvollzug. Mit unserer Gesetzesänderung wahren wir Maß und
Mitte. Wir sorgen für mehr Sicherheit, ohne dadurch Jäger und Schützen unter einen Generalverdacht zu stellen.
({2})
Aber wenn uns viele Experten und Praktiker des Waffenrechts berichten, seit Winnenden sei der Absatz an Waffenschränken sprunghaft angestiegen - von Waffenschränken, die jeder legale Waffenbesitzer seit 2003 in
seiner Wohnung haben müsste -, dann können wir doch
nicht achselzuckend zur Tagesordnung übergehen.
Deshalb statuieren wir jetzt die Pflicht des Waffenbesitzers, den zuständigen Behörden die Überprüfung zu
gestatten, ob die Möglichkeit einer sicheren Aufbewahrung vorhanden ist oder nicht. Schon aus arbeitsökonomischen Gründen werden die Ordnungsbehörden in aller
Regel ihre Besuche anmelden. Die Nachschau bezieht
sich nur auf den Raum, in dem die Aufbewahrung stattfindet. Und selbst dann, wenn wiederholt und gröblich
gegen die Gestattungspflicht verstoßen wurde, darf die
Behörde nicht etwa zwangsweise in die Wohnung eindringen, wie manche in den letzten Tagen und Wochen
verbreitet haben. Sie kann lediglich wegen Zweifeln an
der Zuverlässigkeit ein waffenrechtliches Widerrufsverfahren einleiten und am Ende die Waffen einziehen.
Wir achten das Grundrecht der Waffenbesitzer auf
Unverletzlichkeit ihrer Wohnung. Ich sage das im Hinblick auf viele Briefe, die mich dazu erreicht haben.
Aber jeder verantwortungsvolle Waffenbesitzer muss
doch einsehen, dass es irgendwann einmal der Behörde
möglich sein muss, zu überprüfen, ob im Haushalt ein
Waffenschrank überhaupt vorhanden ist. Dass das der
Behörde bisher nicht möglich war, hat ganz offensichtlich dazu geführt, dass gegen Aufbewahrungsvorschriften verstoßen wurde.
Ich erinnere an ein Wort aus der Anhörung: Die Verfügbarkeit von Waffen hat große Auswirkungen auf den
Tatplan.
Ja, wir achten das Grundrecht der Waffenbesitzer auf
Unverletzlichkeit der Wohnung. Aber die 15 Opfer von
Winnenden hatten ein Recht auf Leben, das nicht gewahrt worden ist. Das müssen wir uns in dieser Debatte
und muss sich jeder bewusst machen.
({3})
Die Innenminister der Länder verweisen im Übrigen
darauf, dass wir ohnehin eine eher akademische Debatte
führen. In der Praxis sei nämlich kein Fall bekannt, in
dem die bisher freiwillige Nachschau durch die Waffenbehörde vom Waffenbesitzer verweigert worden wäre.
Es hat in der Debatte der vergangenen Woche Auswüchse gegeben, die ich hier ansprechen will, weil man
sich als Politiker nicht alles gefallen lassen darf. Die Aktion „Sportwaffen sind Mordwaffen“ hat uns vorgeworfen, durch unser angeblich zu lasches Waffenrecht erleichterten wir das Morden und seien mitschuldig.
({4})
Andererseits hat man uns in der Zeitschrift Wild und
Hund wegen des angeblich zu scharfen Waffenrechts als
- ich zitiere - „Verfassungsschänder“ bezeichnet. Beides
ist unverschämt, und beides weise ich zurück.
({5})
Vor allem ist beides angesichts des sensiblen Hintergrunds der Waffenrechtsänderung in Sprache und Form
völlig unerträglich, um das ganz klar zu betonen.
({6})
Ich will aufgrund der vielen Gespräche, die ich in den
letzten Tagen und Wochen auch und gerade in meinem
Wahlkreis geführt habe, sagen: Mancher Vorsitzende eines Schützenvereins und mancher Leiter eines Hegerings ist in Bezug auf die Situation, in der wir uns befinden, viel verständnisvoller und viel einsichtiger
({7})
als Bundes- oder Landesvorsitzende von Schützen- und
Jägerverbänden. Auch das sollten wir in diesem Hohen
Haus ruhig einmal betonen.
({8})
Mit der Änderung des Waffengesetzes eröffnen wir
den zuständigen Ordnungsbehörden das Ermessen, auch
nach drei Jahren das waffenrechtliche Bedürfnis zu überprüfen. Schematische Lösungen hätten hier nur zu einer
Überlastung gerade der Beamten geführt, die in Zukunft
mehr kontrollieren sollen.
2012 - und nicht erst, wie die EU es gefordert hat,
2014 - werden wir ein computergestütztes Waffenregister haben, in dem die Erkenntnisse von 570 Waffenbehörden zusammengefasst werden. Auch das bringt einen
Sicherheitsgewinn, ebenso wie die neuerliche Amnestie
für Besitzer illegaler Waffen, die bis zum 31. Dezember
2009 begrenzt sein wird.
Manche sagen, angesichts der vielen illegalen Waffen
bringe das nicht viel. Ich sage dagegen: Jede illegale
Waffe, die wir mit der Amnestie aus dem Verkehr ziehen, bedeutet ein Stück mehr Sicherheit.
({9})
Die Forderung nach Abschaffung des Sportschießens
mit Großkalibern und nach einer zentralen Lagerung von
Waffen machen wir uns nicht zu eigen, weil dies nur zu
Scheinsicherheit führt.
({10})
Die furchtbaren Morde von Eislingen wenige Wochen
nach Winnenden sind dafür ein Beleg. Die Tat wurde mit
einer Kleinkaliberwaffe ausgeführt, die zuvor aus dem
örtlichen Schützenhaus gestohlen worden war.
Da die häusliche Aufbewahrung von Waffen mit
Großkalibern bei Jägern zwingend ist, wäre es in der Tat
ein Generalverdacht, wenn man Schützen das nicht gestatten würde. Außerdem bekämen wir - das ist ein Argument, das meiner Meinung nach viel stärker betont
werden muss - auf einen Schlag Zehntausende weiterer
illegaler Großkaliberwaffen, was die Sicherheit gefährdet und nicht schützt.
Wir haben uns in der Großen Koalition deshalb darauf
verständigt, dass wir lediglich die Altersgrenze für das
Schießen mit Großkaliberwaffen von 14 auf 18 Jahre erhöhen, also in den Bereich der deliktsrelevanten Altersgruppe. Eine zentrale Aufbewahrung von Waffen wäre
nicht nur eine Einladung an Straftäter. Es stellt sich vielmehr auch die Frage der praktischen Durchführbarkeit.
Waffen werden herausgegeben; Schützen und Jäger dürfen in ganz Europa schießen. Was soll denn unternommen werden, wenn eine Waffe abends nicht wieder da
ist?
({11})
Gestatten Sie mir zum Schluss noch einen Gedanken.
Wir müssen als Innenpolitiker auch die Kraft aufbringen,
zu sagen: In Sachen Waffenrecht ist jetzt alles getan. Wir
sehen keinen weiteren Verbesserungsbedarf. Wir sehen
nicht, welche weiteren Änderungen in dieses Gesetz eingebracht werden könnten, die zu einem zusätzlichen Sicherheitsgewinn führen würden. Sonst müssten wir das
heute beschließen und im Gesetz verankern.
({12})
Die Generalprävention stößt jetzt an ihre Grenzen. Wir
brauchen nun auch einmal eine Phase, in der das Gesetz
wirken kann und wir die Ergebnisse evaluieren.
Die Angehörigen der Opfer von Winnenden haben
recht: Die Kette der Fehlentwicklungen und des Versagens vor einem Amoklauf hat viele Glieder. Es ist begrüßenswert, dass das Aktionsbündnis der Angehörigen
jetzt mit einer Stiftung dazu beitragen will, dass wir an
ganzheitlichen Lösungsansätzen arbeiten.
Aber die Mahnung von Winnenden bleibt: Jeder muss
sich seiner Verantwortung stellen. Wir als Große Koalition tun das mit dem neuen Waffenrecht. Die Änderungen sind geeignet, erforderlich und zumutbar. Kurzum:
Wir achten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dass
wir angesichts einer so schrecklichen Tat als Politiker
nicht tatenlos bleiben dürfen, daran gibt es für mich keinen Zweifel.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({13})
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das schockierende Verbrechen von Winnenden und Wendlingen
hat, wie einige Jahre zuvor der Amoklauf in Erfurt, bei
der Regierungskoalition den bekannten Reflex ausgelöst: Es wird kurzfristig am Waffenrecht herumgedoktert
und damit der Bevölkerung vermeintliche Aktivität
Hartfrid Wolff ({0})
nachgewiesen, und für die Sicherheit der Menschen ist
fast nichts erreicht. Nicht zuerst die Waffe ist das Problem, sondern der Mensch, der sie einsetzt. Insofern
muss die gesellschaftspolitische Frage der Gewalt- und
Kriminalprävention vor die Frage waffenrechtlicher Verschärfungen gestellt werden.
({1})
Es ist bezeichnend, dass die Koalition in ihrem eigenen Entschließungsantrag kein einziges Wort zu Fragen
der Gewaltprävention findet. Es fehlt trotz aller Beteuerungen von Herrn Grindel offensichtlich die Einsicht,
dass vor allem gesellschaftliche Fragen beantwortet werden müssen. Schulsozialarbeit, Elternprojekte, Konfliktberatung für Eltern, Lehrer und Schüler sind Beispiele.
Es muss früher und sensibler wahrgenommen werden,
wenn Kinder, Schüler oder Freunde sich absondern oder
Probleme mit sich herumtragen. Eltern und Lehrer müssen schnellere und bessere Unterstützungsangebote erhalten.
({2})
Als eine der wenigen Präventivmaßnahmen weisen
CDU/CSU und SPD in ihrem Entschließungsantrag darauf hin, dass nach ihrer Meinung unter anderem Paintball menschenverachtend und letztlich verbotswürdig
sei. Das ist schwach und unseriös. Boxen und Fechten
sind olympisch. Paintball sei nun menschenverachtend?
Dies ist eine Logik, die ich nicht verstehe.
Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens; das ist richtig. Wir brauchen eine stärkere Übernahme von Verantwortung untereinander und keine Symbolpolitik der Koalition. Die Auseinandersetzung mit den wirklichen
Ursachen haben CDU/CSU und SPD gemieden. Eine
Evaluierung der bisherigen Verschärfungen fand nicht
statt. Stattdessen spielt man mit dem Generalverdacht
gegen Sportschützen, Waffensammler und Jäger. Aus
Sicht der FDP ist das nicht gerechtfertigt und kann eine
Diskussion um die wirklichen Ursachen gewalttätigen
Handelns nicht ersetzen.
Die FDP hält stringente Regeln im deutschen Waffenrecht für wichtig. Nach Auskunft der Bundesregierung
stammen allerdings nur 2 bis 3 Prozent aller im Zusammenhang mit Schusswaffenkriminalität eingesetzten
Waffen aus dem vom Waffenrecht erfassten legalen Besitz. Es gilt, die Zahl der illegalen Waffen massiv zu senken. Deshalb fordert die FDP in ihrem Entschließungsantrag, den illegalen Schusswaffenbesitz einzudämmen,
indem eine Abgabe illegaler Waffen bis zum Stichtag
straffrei gestellt wird.
({3})
Die Forderung nach einem zentralen Waffenregister
basiert auf der Rechtslage der EU und macht Sinn. Allerdings sollten wir ehrlich sein und zugeben, dass das
Waffenregister keine der erschreckenden Taten in den
vergangenen Monaten verhindert hätte.
({4})
Der entscheidende waffenrechtliche Ansatz zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit ist aus Sicht der FDP
die Beseitigung der Vollzugsdefizite. Hierzu vermissen
wir wirksame Konzepte.
({5})
Das hat auch die Sachverständigenanhörung ergeben.
Wir brauchen regelmäßige Kontrollen der Aufbewahrung von Waffen. Das bedarf aber einer personell und
gegebenenfalls auch materiell besser ausgestatteten zuständigen Behörde.
({6})
Es ist ein Erfolg liberaler Politik, dass der von der
Union angedachte Eingriff in Grundrechte abgemildert
wurde. Gleichwohl wird an den anlasslosen, unangemeldeten Kontrollen festgehalten. Dies ist aus Sicht der FDP
nicht hinnehmbar. Wie bei der Vorratsdatenspeicherung
oder bei der Erhebung von Mautdaten zur Strafverfolgung wird hier ein Generalverdacht festgeschrieben, der
rechtsstaatlich kritisch zu sehen ist.
Hinsichtlich der zusätzlichen biometrischen Sicherungssysteme, die nun per Rechtsverordnung eingeführt
werden können, sind viele Fragen, nicht nur zur Wirksamkeit, nach wie vor offen. Jedenfalls kann ich in weiteren Sperrsystemen keinen zusätzlichen Sicherheitsgewinn erkennen, wenn die bislang vorgeschriebenen
Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden. Was nützt
der biometrisch gesicherte Waffenschrank, wenn die
Waffe, wie in Winnenden, gar nicht darin aufbewahrt
wird?
({7})
Wenn die Vorschriften nicht eingehalten werden, was
nützt dann eine zusätzliche, kostenträchtige Vorschrift?
Die Anträge der Linken und der Grünen sind aus meiner Sicht indiskutabel und zielen am Problem vorbei.
({8})
Auch das ist in der Sachverständigenanhörung klar herausgestellt worden. Die zentrale Lagerung von Waffen
schafft zusätzliche Sicherheitsrisiken. Das Verbot von
Waffen in Privatbesitz fördert die Illegalität.
Das Hauptanliegen der FDP ist, wirklich etwas gegen
zukünftige Amokläufe, die hoffentlich nicht stattfinden
werden, zu unternehmen,
({9})
auch wenn wir eine hundertprozentige Sicherheit leider
nicht garantieren können. Das Waffenrecht ist zur Verhinderung von Amokläufen kaum geeignet; das hat die Vergangenheit deutlich gezeigt. Gewaltprävention und -forschung müssen im Vordergrund stehen. Wir brauchen
einen nachhaltigen Sicherheitsgewinn und keinen waffenrechtlichen Aktionismus.
Hartfrid Wolff ({10})
({11})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ginge es nur um das Sprengstoffrecht, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, dann hätten wir unsere Reden
auch zu Protokoll geben können. Aber wir haben Regelungen zum Waffenrecht an das Sprengstoffrecht angehängt, weil es sonst nicht möglich gewesen wäre, diese
noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Der schreckliche Amoklauf von Winnenden im März
dieses Jahres hat uns veranlasst, das geltende Waffenrecht nochmals auf den Prüfstand zu stellen. Dabei war
und ist uns bewusst, dass Gesetze allein keine hundertprozentige Sicherheit schaffen können. Die Änderungen
können aber dazu beitragen - davon bin ich überzeugt -,
die Verfügbarkeit von Waffen für potenzielle Täter zu
verringern. Jede Waffe weniger im Umlauf ist, vor allen
Dingen, wenn sie illegal besessen wird, ein Sicherheitsgewinn. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die im Gesetzentwurf vorgesehene Amnestieregelung. Ich erwarte
aber auch, dass die Bundesländer und der Bundesinnenminister diese Regelung, der sie in einer Arbeitsgruppe
zugestimmt haben, öffentlichkeitswirksam vertreten und
publik machen, damit bis Ende des Jahres möglichst
viele Waffen aus dem Verkehr gezogen werden.
({0})
Mit der heutigen Neuregelung wird auch eine langjährige Forderung der Polizei erfüllt: Bis 2012 wird ein
nationales Waffenregister errichtet. Polizistinnen und
Polizisten können geeignete Maßnahmen zur Eigensicherung ergreifen, wenn sie über Informationen verfügen, ob sie am Einsatzort mit legalen Waffen rechnen
müssen.
Jedes Gesetz wird nur dann ernst genommen und eingehalten, wenn es kontrolliert wird bzw. wenn mit Kontrollen zu rechnen ist. Hier gibt es ein Vollzugsdefizit.
Waffen sind gefährliche Gegenstände. Wer mit Waffen
umgehen, sie besitzen oder aufbewahren will, der muss
es sich im Interesse der öffentlichen Sicherheit gefallen
lassen, dass seine Zuverlässigkeit, sein verantwortungsvoller Umgang und die gesetzlichen Auflagen zur Aufbewahrung überprüft und kontrolliert werden.
Ich halte es für richtig, verdachtsunabhängige Kontrollen zu ermöglichen. Sportschützen und Jäger sollen
dadurch nicht unter Generalverdacht gestellt werden.
Vielmehr sollte es auch im Interesse aller gesetzestreuen
Waffenbesitzer sein, dass schwarze Schafe, die sich allzu
sorglos verhalten, gefunden werden. Diejenigen, die sich
an das Waffengesetz halten, haben nichts zu befürchten.
Der Vollzug der waffenrechtlichen Bestimmungen
muss von den Bundesländern organisiert und sichergestellt werden. Die Gewährung öffentlicher Sicherheit
liegt in der Verantwortung aller staatlichen Ebenen, und
sie muss ernst genommen werden. Die Länder müssen
das dafür notwendige Personal bereitstellen.
Wir erhöhen die Altersgrenze für das Schießen mit
großkalibrigen Waffen von 14 auf 18 Jahre. Die SPDBundestagsfraktion - das möchte ich betonen - hätte
sich sogar vorstellen können, ein Verbot dieser Waffen
für den Schießsport auszusprechen.
({1})
Sie werden nämlich aus gutem Grund auch im olympischen Schießsport nicht verwendet.
Ich begrüße die Neuregelung, dass die Waffenbehörde
künftig nicht nur, wie bisher, nach Ablauf von drei Jahren nach Erteilung der ersten waffenrechtlichen Erlaubnis, sondern auch darüber hinaus das Fortbestehen des
waffenrechtlichen Bedürfnisses von Waffenbesitzern
überprüfen kann. Diese Regelung kann dazu führen, dass
Waffenberechtigungen öfter als bisher aberkannt werden. Auch dies kann einen Sicherheitsgewinn darstellen.
Dem Bundesinnenministerium wird in Zukunft ermöglicht, im Wege von Rechtsverordnungen moderne
technische Systeme der Absicherung von Waffen und
Waffenschränken zu verlangen. Dies betrifft insbesondere biometrische Sicherungssysteme. Bessere Sicherung bringt mehr Sicherheit. Wir haben die Erfahrung
gemacht, dass die Entwicklung moderner Sicherungssysteme beschleunigt wird, wenn der Gesetzgeber, wie
er es bei den Erbwaffen getan hat, die entsprechenden
Normen setzt.
({2})
Es gibt bereits gute Ansätze für neue Sicherungssysteme. Bevor sie eingeführt werden können, müssen sie
allerdings noch Marktreife erlangen.
Nach dem Amoklauf von Winnenden wurden immer
wieder die Forderungen erhoben, Waffen und Munition
in Privatbesitz gänzlich zu verbieten und zentral zu lagern. Diese radikale Lösung birgt meiner Meinung nach
neue Sicherheitsrisiken. Die Ansammlung einer großen
Zahl von Waffen und von viel Munition an einem Ort ist
trotz bester Sicherung ein Anreiz für Straftäter, an
Schusswaffen zu kommen; das gilt nicht nur für Amokläufer.
Es mag regionale Unterschiede geben. Die meisten
Schützenheime befinden sich allerdings außerhalb von
Ortschaften, vor allem im ländlichen Bereich. Dort ist
eine Sicherung und Überwachung durch Ordnungsbehörden nahezu unmöglich. Der Einbruch zweier Männer
in ein Schützenhaus in Eislingen, aus dem sie Waffen
entwendet und danach ein Familiendrama angerichtet
haben, hat dies deutlich gemacht; dieser Fall ist vorhin
schon angesprochen worden.
In diesem Zusammenhang möchte ich den Sachverständigen Hofius zitieren, der in der Anhörung ausgeführt hat:
Insgesamt überwiegt das Risiko für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung bei einer zentralen Aufbewahrung legaler Schusswaffen gegenüber der gesetzmäßigen Verwahrung in Privathaushalten aus
meiner Sicht sehr deutlich.
So äußerte sich der Experte.
Ich halte die jetzt gefundenen Lösungen für notwendig und geeignet, die öffentliche Sicherheit zu erhöhen.
Mit ist aber klar, dass auch dadurch kein 100-prozentiger
Schutz vor Amokläufen zu gewährleisten ist.
Motive und Ursachen solcher Taten sind sehr vielseitig. Der Griff zur Waffe ist nur das letzte Glied in einer
langen Kette. Die tieferen Ursachen liegen sicherlich
woanders. Fehlende Anerkennung in Familie und sozialem Umfeld, Kränkungen, Mobbing, Gewalterfahrungen
in der Schule, psychische Fehlentwicklungen, die sich in
Rachefantasien und Abkapselung von der Außenwelt
steigern, die exzessive Nutzung von Computerspielen
und das Zurückziehen in eine eigene virtuelle Welt sind
solche Ursachen. Dagegen helfen keine Gesetze. Hier
muss sich eine Kultur des Hinsehens, ein System der
Hilfe und Beratung entwickeln, um ein Abdriften von
jungen Menschen, vor allem von jungen Männern, zu
verhindern.
Dies ist eine Aufgabe, die nicht nur die Innenpolitiker
des Bundestages beschäftigen muss und die nicht mit
diesen waffenrechtlichen Änderungen abgeschlossen ist.
Änderungen im Waffenrecht sind nur ein kleiner Mosaikstein bei der Verhinderung oder Erschwerung von Amokläufen. Sie sind aber ein Anfang und ein Schritt in die
richtige Richtung.
Danke sehr.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Amoklauf von Winnenden hat deutlich gemacht, dass
gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Wir alle haben die Verantwortung, alles dafür zu tun, dass sich solche Tragödien nicht wiederholen.
Das ist auch die Messlatte, die die Fraktion Die Linke
an den Gesetzentwurf der Bundesregierung legt. Was die
Bundesregierung hier vorgelegt hat, bleibt aber weit unterhalb dessen, was notwendig ist; denn sie hat dem
Druck der Lobbys nachgegeben.
Amokläufer verwenden Waffen, auf die sie direkt und
unkompliziert zugreifen können. Seien es Amokläufe
oder auch Massaker in Familien - die Waffen sind nicht
gestohlen, sondern gehören den Tätern oder ihren meist
männlichen Verwandten. Deshalb setzt die Fraktion Die
Linke an diesem Punkt an und fordert: Schusswaffen
raus aus den Privathaushalten.
({0})
Damit entfällt nämlich eine unmittelbare Voraussetzung
für Amokläufe. Das haben übrigens auch die Angehörigen in ihrem Forderungspaket aufgeführt, Herr Wolff.
({1})
Die Bundesregierung will es dagegen bei der alten
Regelung belassen. Sie kündigt mehr Kontrollen an, um
die sichere Lagerung von Waffen zu Hause zu prüfen.
Hier stellt sich aber zunächst die Frage, woher die
Kontrolleure eigentlich kommen sollen. Angesichts der
3 bis 5 Millionen Menschen, denen der Waffenbesitz erlaubt ist, handelt es sich doch um eine Mammutaufgabe.
Die Sachverständigen in der Anhörung am Montag hielten selbst Stichproben angesichts der Personalnot für
nicht durchführbar. Vor diesem Hintergrund ist diese Ankündigung ein Papiertiger und hat keine praktischen Folgen.
Außerdem stellt sich die Frage, welche Befugnisse
die Kontrolleure eigentlich haben sollen und ob die Unverletzlichkeit der Wohnung im Gesetz tatsächlich klar
geregelt ist. Es gilt doch, Folgendes zu bedenken: Wenn
ein Waffenbesitzer die Kontrolleure nicht freiwillig in
seine Wohnung lassen will, aber in diesem Fall um seinen Waffenschein fürchten muss, ist es mit der Freiwilligkeit nicht weit her.
({2})
Meine Damen und Herren, die Koalitionspläne enthalten durchaus Zustimmenswertes, etwa die Einführung
des längst überfälligen Waffenregisters. Insgesamt werden Sie aber dem Anspruch, Amokläufen wirklich vorzubeugen, in keiner Weise gerecht. Deswegen lehnen
wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab.
({3})
Im Übrigen vermissen wir den Blick über das Waffenrecht hinaus. Wir müssen auch die Frage stellen, was in
unserer Gesellschaft schief läuft, wenn junge Männer zu
psychopathischen Mördern werden. Welche Rolle spielen Leistungsdruck in der Schule und im Arbeitsleben
sowie falsche Erziehungsverläufe? Wo können psychologische Hilfestellungen verbessert und die Hemmschwellen zu ihrer Nutzung gesenkt werden? Auf diese
Fragen werden mit diesem Gesetz keine Antworten gegeben. Wer sie nicht stellt, betreibt aber nur Symptompolitik.
({4})
Es geht überhaupt nicht darum, Sportschützen unter
Generalverdacht zu stellen. Das möchte ich hier ganz besonders betonen. Wir appellieren sogar an Schützenverbände und Sportvereine, konstruktiv an besseren Vorschlägen mitzuwirken, als sie uns die Regierung heute
anbietet, um die Wiederholung solcher Amokläufe nach
Möglichkeit auszuschließen.
Dem dient unser Antrag. Ich sage es noch einmal:
Schusswaffen raus aus Privathaushalten.
({5})
Die Waffen raus aus den Wohnungen, sie an sicheren Orten unterbringen - wir haben lange darüber diskutiert und damit den Zugriff für Unbefugte massiv erschweren! Wir wissen natürlich auch, dass wir auf diese Weise
Amokläufen und Massakern nicht gänzlich den Weg abschneiden. Auf jeden Fall würde man damit aber dafür
sorgen, dass Waffen nicht mehr so leicht zugänglich
sind.
Ich möchte noch einmal sagen: Gerade die Angehörigen haben sehr deutlich erklärt, dass Familienangehörige
- vor allem Söhne, männliche Täter - genau wissen, wie
sie an den Waffenschrank kommen, auch wenn diese in
ein paar Jahren vielleicht biometrisch gesichterte Schlösser oder Ähnliches haben. Ich kann nicht einsehen, warum jemand im Haushalt Waffen haben sollte. Raus damit!
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden
heute erneut über eine Verschärfung des Waffenrechts,
weil wir nach dem Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt eine unzulängliche Verschärfung des Waffenrechts beschlossen haben. Seit Erfurt - das ist die
Realität - haben wir nicht weniger gefährliche Schusswaffen in Privathaushalten, sondern mehr.
Jetzt nach Winnenden höre ich von der Großen Koalition, von Herrn Grindel, dass sie das Waffenrecht gar
nicht verschärfen will. Meine Antwort ist: Genau das
machen Sie auch nicht. Auch nach dem tragischen Ereignis von Winnenden ist die Antwort der Großen Koalition an die Angehörigen - mit denen wir alle uns in einem sehr bewegenden Gespräch unterhalten haben -:
Wir verschärfen das Waffenrecht nicht. - Ich verstehe,
dass die Waffenlobby Ihnen erneut Beifall zollt.
({0})
In Winnenden - ich möchte hier nur ein Beispiel
schildern - musste eine junge Referendarin sterben, weil
ein Projektil die geschlossene Holztür des Klassenraums
von 8 Zentimetern Dicke durchschlug, ihren Körper
durchdrang und erst 8 Meter weiter im Metallrahmen einer anderen Tür stecken blieb.
Die Frage, die wir uns heute stellen sollten - wir
Grüne stellen diese Frage -, ist: Wollen wir, dass Waffen
wie die 9-Millimeter-Beretta, die Waffe des Täters von
Winnenden, weiter als Sportwaffe zugelassen sind? Ich
sage, Nein.
({1})
Wir können die Entscheidung, was noch Sportschießen
ist und wo ein unverhältnismäßiges Risiko für die öffentliche Sicherheit beginnt, nicht länger den Schützenvereinen und den Sportverordnungen überlassen. Meine Forderung ist ganz klar, dass wir im Waffengesetz definieren,
was Sportwaffen sind und wo ein unverhältnismäßiges
Risiko für die Bevölkerung beginnt.
Meine Damen und Herren von der Koalition, mit Ihrer Antwort - 150 Seiten Anträge - reduzieren Sie den
Bestand der Waffen in Privathaushalten um keine einzige Waffe. Was Sie hier mit viel Gedöns machen, ist
nichts anderes, als dass Sie ein bisschen weiße Salbe um
die Waffenschränke schmieren; aber Sie räumen die
Waffenschränke nicht aus.
Wir wollen, dass großkalibrige Kurzwaffen nicht länger als Sportwaffen zugelassen werden.
({2})
Eines ist in der Anhörung nämlich ganz deutlich geworden: Erst die einfache Verfügbarkeit großkalibriger Kurzwaffen ermöglichst es den potenziellen Tätern - derzeit
haben über 20 labile Jugendliche in Deutschland die Fantasie, einen neuen Amoklauf zu starten -, den Tatgedanken in die Realität umzusetzen.
Ich sage nach Winnenden: Auf tödliche Sportwaffen
können wir verzichten. Wir sind aber nicht bereit, auf die
Sicherheit unserer Kinder an den Schulen zu verzichten.
({3})
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Herrn
Grindel machen. Die zentrale Forderung des „Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden“ haben Sie hier verschwiegen. Sie lautet: Weg mit diesen tödlichen Waffen
aus dem Sport!
({4})
Sie haben hier auch die Initiative, die wir als Experten
geladen haben, falsch benannt; denn diese Initiative
heißt: „Keine Mordwaffen als Sportwaffen!“ Damit ist
gemeint, dass tödliche Waffen im Sport nichts zu suchen
haben. Ich halte es für richtig, dass wir über diese Forderung ernsthaft diskutieren.
Eines ist an Ihnen völlig vorbeigegangen: Wir haben
eine völlig neue Dimension der gesellschaftlichen Debatte über das Waffenrecht. Eltern, Lehrer und Schüler
sind heute die Experten. Sie sagen: Wir wollen, dass die
Schule ein angstfreier Raum bleibt, wir wollen nicht länger mit dem Risiko leben, das von einer kleinen Minderheit - nicht einmal 5 Prozent der Sportschützen schießen
mit diesen Waffen - ausgeht.
({5})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie erreichen mit Ihrem Gesetzentwurf nicht einmal
ansatzweise eine Reduzierung der Anzahl von Waffen.
Ich finde das erbärmlich und verantwortungslos.
Danke.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Sprengstoffgesetzes. Es liegen mehrere Erklärungen
zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor,
die wir zu Protokoll nehmen.1)
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/13423, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 16/12597 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13423 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Sie müssen schon die Hand heben.
({0})
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Was war bei den Linken?
({1})
Darf ich einmal die Fraktion der Linken fragen, ob sie
ablehnt?
({2})
- Es geht um die Entschließung der Koalition.
({3}) Anlage 44
die Linke nicht mit uns gestimmt hat! Darauf
legen wir schon Wert! - Volker Schneider
[Saarbrücken] [DIE LINKE]: Wir lehnen ab!)
- Sie lehnen ab.
({4})
Die Beschlussempfehlung ist also mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13472? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13473? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
der FDP zur Änderung des Waffengesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13423, den Gesetzentwurf der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12663 abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/13423
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12395 mit dem Titel
„Keine Schusswaffen in Privathaushalten - Änderung
des Waffenrechts“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Innenausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12477 mit
dem Titel „Abrüstung in Privatwohnungen - Maßnahmen gegen Waffenmissbrauch“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Kerstin Müller ({5}), Ute Koczy,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zivile Krisenprävention und Friedensförderung brauchen einen neuen Schub
- Drucksache 16/13392 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Winfried Nachtwei vom Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Bedeutung und der Vorrang ziviler Krisenprävention
sind eigentlich unstrittig. Gewaltkonflikte zu verhüten
und zu überwinden, gebietet sich aus dem Friedensauftrag des Grundgesetzes und der Charta der Vereinten Nationen.
Die Erfahrungen der 90er-Jahre auf dem Balkan, in
Afrika und in anderen Krisenregionen haben uns damals
sehr deutlich gezeigt, dass die Mittel der Diplomatie und
des traditionellen Peacekeepings nicht ausreichen, um
diese Krisen bewältigen zu können. 1998/99 wurde mit
dem Start der rot-grünen Koalition einiges auf den Weg
gebracht. Zehn Jahre danach ist es jetzt an der Zeit, eine
Zwischenbilanz zu ziehen.
Es wurden in der Tat etliche Einrichtungen und neue
Instrumente geschaffen, die zum Teil weltweit ihresgleichen suchen. Ich nenne als Beispiele nur das Zentrum
für Internationale Friedenseinsätze in Berlin, den Zivilen
Friedensdienst, die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die krisenpräventive Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, die polizeilichen Ausbildungsstätten für Auslandseinsätze und die im Jahr 2004 im
Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung
und Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung zusammengefassten Maßnahmen.
Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, an dieser Stelle
all den Friedenspraktikerinnen und Friedenspraktikern
zu danken, die seitdem in Krisenregionen Vorzügliches
geleistet haben.
({0})
Beispielhaft dafür möchte ich den Direktor und Spiritus
Rector des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze,
Dr. Winrich Kühne, nennen, der jetzt leider in Pension
geht. Ich möchte diesem deutschen Mister Peacekeeping, wie ich ihn einmal nenne, unseren Antrag widmen.
({1})
Es schmälert die Leistungen dieser Friedenspraktikerinnen und Friedenspraktiker bis auf die Ebene des Auswärtigen Amtes in keiner Weise, wenn ich nach dem
halbvollen Glas jetzt auf das halbleere Glas zu sprechen
komme. Bei multinationalen Krisenengagements und
Friedensmissionen zeigt sich immer deutlicher und
dringlicher, wie rückständig die zivilen und polizeilichen
Fähigkeiten sind. Ich erlebe als Mitglied des Verteidigungsausschusses besonders deutlich, dass die Bundeswehr bei der Transformation bzw. der Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten viel schneller ist, als wir es im
gesamten zivilen Sektor sind, und das bei sehr unterschiedlichen Ausgangsbasen.
Ich möchte ein Beispiel nennen: Es macht äußerste
Mühe, für den viel gerühmten Provincial Development
Fund in Nordostafghanistan die gewünschten 1 bis
2 Millionen Euro zu erhalten. Gleichzeitig wurden gestern im Rahmen der großen Abstimmungen in den entsprechenden Ausschüssen Rüstungsprojekte für mehr als
6 Milliarden Euro beschlossen. Das zeigt, dass die Relationen offensichtlich nicht stimmen.
({2})
Wenn man sich die Aktivitäten anderer Länder auf
diesem Gebiet ansieht, muss man leider feststellen, dass
die Bundesrepublik ihre Vorreiterrolle verloren hat. Das
Politikfeld der zivilen Krisenprävention und der Friedensförderung braucht also einen neuen Schub. Von unseren zahlreichen Vorschlägen möchte ich daher einige
wichtige benennen.
Der erste Punkt betrifft die konzeptionelle Ebene. In
der Sicherheitspolitik ist es üblich, Risiko- und Bedrohungsanalysen anzufertigen. Wo aber sind die Chancenanalysen? Wenn wir den Frieden fördern wollen, brauchen wir Kenntnis von den entsprechenden Chancen und
der Friedenspotenziale, die gefördert werden sollen,
brauchen wir deren Identifizierung.
Eine weitere Ebene ist die Kohärenz; das wissen alle,
die mit Krisenengagements zu tun haben. Es geht also
um das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure.
Unseres Erachtens ist es an dieser Stelle dringend notwendig, gemeinsame ressortübergreifende Strukturen
bei der Frühwarnung, der Planung und der Führung solcher Einsätze einzurichten. Hilfreich sind auch gemeinsame Finanzierungsinstrumente.
Der Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ muss
mehr Steuerungskompetenz bekommen. Schließlich geht
es darum, die verschiedenen Fähigkeiten im Bereich der
zivilen Krisenprävention endlich systematisch zu stärken. Was ist dabei hilfreich? Hilfreich wäre ein Mittel,
das auch die Europäische Union eingesetzt hat, nämlich
schlichtweg die Definition von zivilen Planzielen. Wie
viele Polizeiberater brauchen wir? Wie viele Rechtsstaatsexperten brauchen wir? Diese kann man schließlich nicht von jetzt auf gleich irgendwoher zaubern.
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Die zivile Krisenprävention ist in der Öffentlichkeit sehr schwer verkäuflich. Sie ist kompliziert, sie ist langwierig, und sie
ist prozessorientiert. Wenn sie erfolgreich ist und das
Haus nicht brennt, ist sie nicht beweisbar und nicht
sichtbar. Das ist ein Handicap sondergleichen. Man darf
sich damit aber nicht abfinden. Im Gegenteil: Man muss
sich Gedanken über eine entsprechende Kommunikationsstrategie machen. Es gibt gute Beispiele wie „Peace
Counts“ oder andere Dinge, die von der Bundesregierung in der Vergangenheit unterstützt wurden. Wichtig
ist eine Kommunikationsstrategie mit entsprechender
Unterfütterung.
({3})
Seit 1994 versuche ich, vor allem zusammen mit Uta
Zapf aus der SPD, mich für dieses Politikfeld stark zu
machen und für die Umsetzung zu arbeiten. Ich vermute
fast, dass unser Antrag heute nicht bei allen Zustimmung
findet, auch wenn es inhaltlich bilateral so manchen
Konsens gibt. Umso mehr möchte ich Ihnen den Antrag
für die nächste Legislaturperiode ans Herz legen. Er soll
als Material für die nächsten Koalitionsverhandlungen zwischen wem auch immer - dienen und berücksichtigt
werden.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Holger Haibach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Worten
des Kollegen Nachtwei fällt es schwer, konfrontativ aufzutreten. Das hatte ich aber ohnehin nicht vor. Denn ich
finde, dass das, was in Bezug auf die Zielsetzung im Antrag steht, zum großen Teil richtig ist. Auch über Parteigrenzen hinweg gibt es da durchaus einen Konsens.
Es ist allerdings fraglich, ob ich alle Bewertungen des
Antrags wirklich teilen kann; das ist der Punkt, an dem
sich die Geister scheiden. Dies betrifft insbesondere die
Bewertungen im Hinblick auf die Frage, wo wir heute
stehen und wo wir vor acht bzw. zehn Jahren gestanden
haben, sowie die Bewertungen im Hinblick auf die
Frage, was der Anteil der früheren und was der Anteil
der jetzigen Bundesregierung und der sie tragenden
Mehrheitskoalition ist. In Bezug auf diese Punkte liegen
unsere Beurteilungen sicherlich auseinander. Das ist
aber eine Frage der Perspektive. Ich denke, im Ziel sind
wir uns einig.
In einem Punkt haben Sie vollkommen recht: Eines
der größten Probleme ist, als Erfolg etwas darzustellen,
was nicht geschehen ist. Das ist im Menschenrechtsausschuss nichts anderes als in einer Debatte über zivile
Krisenprävention. Wie will man beweisen, dass eine humanitäre Katastrophe nicht eingetreten ist? Wie will man
nachweisen, dass ein Konflikt durch gute Präventionsarbeit nicht zu einem Krieg geworden ist? All diese Fragen
drängen sich einem auf, wenn man sich mit dieser durchaus nicht einfachen Materie befasst.
Es ist richtig: Deutschland hat, wie ich finde, ein
ziemlich vorbildliches Instrumentarium mit dem ZIF,
dem ZFD, dem Ressortkreis und vielen anderen wichtigen Organisationen. Es gibt vor allem eine reiche Szene
an Nichtregierungsorganisationen, die sich in Deutschland dieses Themas annehmen. Dafür können wir dankbar sein; denn es ist eigentlich das, was uns in diesem
Bereich weiterhilft. Wie wir wissen, würden wir ohne
das Engagement der Nichtregierungsorganisationen keinen Erfolg haben.
Ich will deutlich machen, dass einiges in der Regierungszeit der Großen Koalition - auch durch das Engagement der sie tragenden Fraktionen - vorangebracht
worden ist. Wir haben im letzten Jahr unter anderem dafür gesorgt, dass der Etat für die zivile Krisenprävention
von 12 Millionen auf 60 Millionen Euro verfünffacht
wurde.
({0})
Das ist kein kleiner Beitrag. Ich finde, das darf man in
dieser Debatte durchaus werbend sagen, weil es sich um
gelebte Umsetzung politischer Zielsetzung handelt. Das
ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist: Wir haben mit dem sogenannten
Sekundierungsgesetz ein Stück weit Rechtssicherheit für
diejenigen geschaffen, die für uns zivile Friedensarbeit
und Präventionsarbeit in zum Teil sehr schwierigen Auslandsmissionen leisten. Dieses Gesetz sorgt dafür, dass
diejenigen, die im Ausland für uns tätig sind, sicher sein
können, dass zumindest die Erfüllung der Grundbedürfnisse gewährleistet ist, was Versicherungsfragen, zum
Beispiel betreffend die Sozial- und Arbeitslosenversicherung, angeht. Darauf können wir durchaus stolz sein,
und damit können wir zufrieden sein.
Natürlich gibt es immer viel zu tun und Raum für Verbesserungen. Ich bin mir aber nicht ganz so sicher, ob
Sie den einen oder anderen Punkt, den Sie in Ihrem Antrag beschreiben, ausgerechnet der Großen Koalition anlasten können. Sie klagen zum Beispiel darüber, dass es
Verbesserungsmöglichkeiten im Rahmen der interministeriellen Zusammenarbeit gibt. Die Auseinandersetzungen über die Zuständigkeiten zwischen BMZ und Auswärtigem Amt sind vermutlich so alt wie die beiden
Ministerien. Das heißt nicht, dass man nichts tun sollte.
Aber ich glaube, dass gerade durch die Schaffung des
Ressortkreises ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden ist.
Es liegt letzten Endes auch ein bisschen an uns Abgeordneten. Wenn ich mir anschaue, zu welcher Zeit und
mit welcher Präsenz hier im Deutschen Bundestag über
Auslandseinsätze und die erste Aufsetzung des Plans zur
zivilen Krisenprävention diskutiert wurde, dann muss
ich feststellen: Das sagt etwas darüber aus, wie wir - ich
meine nicht die Anwesenden; ich setze voraus, dass
diese sich dafür interessieren - mit der ganzen Sache
umgehen. Wir sollten bei unseren Kolleginnen und Kollegen für die Sache werbend eintreten; denn sie ist zu
wichtig, als darüber zu einer relativ ungünstigen Zeit
und vor einem relativ kleinen Publikum zu diskutieren.
Ich versuche, ein Resümee der Arbeit zu ziehen, die
in den vier Jahren geleistet worden ist, in denen ich für
die CDU/CSU in diesem Bereich tätig war. Wir sind
auch in dieser Legislaturperiode ein gutes Stück vorangekommen. Es hat Verbesserungen in monetärer Hinsicht, aber auch beim Schutz derjenigen gegeben, die für
uns in Auslandseinsätzen und zivilen Friedensmissionen
tätig sind. Natürlich gibt es noch viel zu tun; denn zivile
Krisenprävention beleuchtet auch andere Politikbereiche. Wenn zum Beispiel Staatsminister Erler kürzlich in
einem Zeitungsinterview sagt, es sei schon ein Problem,
dass wir mit den Kleinwaffenexporten nicht so zurande
kämen, wie wir das eigentlich sollten, dann zeigt das,
dass auch die Bundesregierung der Meinung ist, dass wir
einen kompletten Blick auf die Dinge brauchen. Es geht
nicht nur darum, Pläne zu machen, diejenigen zu unterstützen, die in Auslandseinsätzen tätig sind, Auslandseinsätze der Bundeswehr bzw. Einsätze Deutschlands so
zu gestalten, dass sie kohärente Ansätze bieten, sondern
auch darum, dass wir unsere Aufgaben in anderen Bereichen wie beim Rüstungsexport verantwortlich wahrnehmen. Ich bin durchaus der Meinung, dass wir uns mit
den Resultaten nicht zu verstecken brauchen.
Ich will erwähnen, dass Herr Nachtwei in seinem Antrag unter anderem die Rolle der USA in einem bestimmten Bereich der zivilen Krisenprävention lobend
hervorhebt. Ich hätte nicht geglaubt, dass es einmal dazu
kommt; aber es zeigt vielleicht, dass an dieser Stelle andere von uns gelernt haben.
({1})
„Vernetzte Sicherheit“ ist ein Begriff, der einmal bei uns
seinen Anfang genommen hat. Wenn ich mir das Engagement der Bundeswehr und der gesamten deutschen
Community in Afghanistan anschaue, komme ich zu
dem Schluss, dass wir anderen Partnern, die an diesem
Einsatz beteiligt gewesen sind, durchaus wichtige Impulse gegeben haben.
Insgesamt sind einige Erfolge vorzuweisen. In diesem
Bereich gibt es immer viel zu tun. Ich würde mir mehr
Aufmerksamkeit wünschen. Eine Kommunikationsstrategie ist hier sicherlich der richtige Weg. Weil ich weiß,
dass wir alle heute Abend noch etwas vorhaben - ich
weiß, dass das ein wichtiges Thema ist -, möchte ich Ihnen die zwei Minuten Redezeit, die ich noch habe,
schenken und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend
und weiterhin eine gute Beratung.
({2})
Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, dass es im Bereich der Krisenprävention - da hat
Herr Haibach recht - auch im Hinblick auf die Zielsetzung eine große Übereinstimmung gibt. Frau Zapf, Herr
Haibach, Winfried Nachtwei und ich, gelegentlich auch
die Linken
({0})
- ich kann mich nicht erinnern, wann das war; aber möglicherweise sind auch die Linken gelegentlich im Beirat
anwesend -, sind an dem Thema ziemlich nah dran.
({1})
Nach einem Blick auf die Regierungsbank zeigt sich
- wenn ich das einmal sagen darf -: Das gilt nicht für
das BMZ. Das ist bedauerlich.
({2})
Wir hatten schon einmal Anlass, darüber zu klagen. Ich
glaube, gerade im Bereich der Entwicklungsbemühungen ist eine Verzahnung notwendig; andernfalls können
wir hier nicht über echte Krisenprävention reden.
Im Ansatz ist der von den Grünen eingebrachte Antrag auch von unserer Seite ausdrücklich zu begrüßen;
denn Krisenprävention ist eigentlich ein urliberales
Thema, das die FDP schon seit ewigen Zeiten verfolgt,
({3})
auch schon zu Zeiten der liberalen Außenminister Walter
Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel. Bereits damals wurde dieses Thema als Teil der Außenpolitik insgesamt behandelt, ohne dass man ein großes Plakat vor sich hergetragen hätte.
Das Thema ist für unsere Außen- und Sicherheitspolitik zentral und wichtig; denn der Aufbau stabiler Zivilgesellschaften, die Förderung von Frieden in der Welt
und die Prävention von internationalen Krisen sind Voraussetzung dafür, dass wir friedlich zusammenleben
können. Deshalb habe ich mich, als ich zu Beginn der
Legislaturperiode zum ersten Mal mit diesem Thema befasst wurde, sehr darüber gefreut, dass ich mit Winfried
Nachwei auf einen Menschen stieß, der in diesem Bereich ein überzeugender und tatsächlich weitsichtiger
Fürsprecher war, natürlich - ich will da niemanden zurücksetzen - neben anderen. Ich spreche Winfried
Nachtwei als Antragsteller gesondert an, weil er heute,
wie wir wissen, wohl zum letzten Mal zu diesem Thema
gesprochen hat.
Ich hätte mich deshalb sehr darüber gefreut, wenn wir
zu diesem Anlass seinem Antrag hätten zustimmen können. Das können wir leider nicht, jedenfalls nicht uneingeschränkt. Ich will das begründen. In weiten Teilen
kann man dem Antrag folgen. Mit den konkreten Forderungen haben wir wenig Probleme. Schon der erste Teil
zeigt aber, dass offenbar auch andere Auffassungen in
die Bearbeitung eingeflossen sind, denen wir leider nicht
folgen können; wir wollen es auch nicht. Teilweise kommen hier idealistische, pazifistische Vorbehalte zum
Ausdruck, die für sich genommen ihre Begründung ha25186
ben, aber im Zusammenhang mit Krisenprävention in
dieser Absolutheit sicherlich falsch sind.
Nehmen Sie nur die dort enthaltene Behauptung - ich
zitiere einmal -:
Mit Rüstungsexporten in Krisenregionen wie Indien, Pakistan und Staaten des Nahen Ostens unterstützt die Bundesregierung die Gewaltspirale und
das Wettrüsten.
Allein die Formulierung „unterstützt die Bundesregierung“ sagt beinahe aus, die Bundesregierung heize
vorsätzlich die Gewaltspirale an. Das ist doch eine Überzeichnung. Diese Formulierung könnte auch den Eindruck erwecken, es kämen irgendwelche antiisraelischen
Einstellungen zum Ausdruck. Das ist ja die zentrale
Frage im Nahen Osten.
Wir alle wissen auch, dass diese Behauptung eben
nicht stimmt, dass manchmal militärische Mittel notwendig und Teil oder sogar Voraussetzung der Krisenprävention sein können. In Afghanistan oder Pakistan ist
das ganz offenkundig. Dort können wir auf den Einsatz
militärischer Mittel nicht verzichten. Wir können doch
den Terroristen dort nicht freie Hand lassen. Es steht
auch außer Frage, dass ohne diese konkreten militärischen Maßnahmen in Kombination mit zivilen Aufbauarbeiten eine funktionierende Zivilgesellschaft gar nicht
aufgebaut werden könnte.
Natürlich ist der Einsatz von Militär allein nicht die
Lösung. Wir brauchen zivile Aufbaumaßnahmen. Das ist
vollkommen klar. Dies wurde - da haben Sie recht - von
der Bundesregierung nicht mit dem notwendigen Nachdruck verfolgt.
({4})
Ich habe eben schon angesprochen, welches Ministerium
für diesen zivilen Teil zuständig wäre und gerade in diesem Bereich wenig Engagement zeigt, was sich allein
schon an der Präsenz hier im Saal zeigt.
Sie haben recht: Militäreinsätze sind teurer als friedlicher Aufbau. Das stimmt, das ist eine Erkenntnis, die
auch wir schon lange haben und auf deren Grundlage liberale Außenpolitik schon immer verfolgt wurde. Aber
manchmal muss man beides einsetzen. Das wollen wir.
Die Welt ist eben nicht nur gut oder nur schlecht, sie ist
oftmals beides. Auf beides muss man entsprechend reagieren.
Den Forderungen des Antrags, die wir mit großer
Sympathie sehen, könnten wir zustimmen. Aber zur Abstimmung steht ein Antrag, in dem auch all diese anderen Komponenten enthalten sind. Deshalb werden wir
uns bei der Abstimmung über den Antrag enthalten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Winni Nachtwei, ich gehe nicht so sanft mit dir
um, wie es die Kollegen vor mir getan haben. Erster
Punkt: Du hast uns diesen Antrag für die nächste Legislaturperiode ans Herz gelegt. Wenn es dir und den Grünen wirklich ernst gewesen wäre und es nicht um Wahlkampf gegangen wäre, dann hättet ihr zwei Monate
vorher versucht, einen interfraktionellen Antrag unter
Einschluss der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der
Linken vorzulegen; vielleicht hätten die Linken dann
mitgestimmt.
({0})
Ich will etwas zu Herrn Königshaus sagen. Mein historisches Gedächtnis sagt mir etwas anderes als das, was
Sie eben über die FDP gesagt haben. Als wir, Winni
Nachtwei und ich, 1998 das erste rot-grüne Konzept in
den Bundestag eingebracht haben, hat der Kollege Irmer
für die FDP gesprochen und Hohn und Spott über uns
ausgeschüttet. Ich habe ihn gerade getroffen.
({1})
Er ist, ohne dass ich gesagt habe, dass wir heute über
dieses Thema diskutieren, genau auf diesen Punkt gekommen. Ich denke, da hat ein Lernprozess stattgefunden.
Auch bei der CDU/CSU war das Konzept nicht so
rasch akzeptiert. Der Erste, der von der CDU/CSU in einem sicherheitspolitischen Konzept den Begriff der zivilen Krisenprävention verwendet hat, war Christian
Schmidt. Seitdem hat sich ein politischer Prozess entwickelt, der zu guten Ergebnissen in der bundesrepublikanischen Außenpolitik geführt hat.
Deshalb empfinde ich, lieber Winni, den ersten Satz
in diesem Antrag als Provokation. Ich bin sehr wütend
gewesen, als ich ihn gelesen habe; denn du warst die
ganzen vier Jahre ganz nahe dabei, und du weißt genau,
was gelaufen und was nicht gelaufen ist und was wir
auch gegen große Widerstände haben durchsetzen können. Ich finde, du bist ungerecht gegenüber denen vom
Auswärtigen Amt und von den anderen Ressorts, die
sich in dem Ressortkreis bemüht haben, eine wirklich
kohärente Politik zu gestalten, so schwer das ist.
Du führst zum Beispiel an, dass man ressortübergreifende Instrumente und Institutionen einführen soll, zum
Beispiel Frühwarn- und Planungsstrukturen. Ich möchte
daran erinnern, dass wir gar keine nationalen Alleingänge machen. Wenn wir an zivilen Friedenseinsätzen
oder an gemischten Einsätzen teilnehmen, dann geschieht das in der Regel auf der Ebene der EU, der
OSZE oder der UNO. Hierfür eine Planungseinheit vorzusehen, wo auch immer sie angesiedelt wird, beim Ressortkreis oder im Himmel, ist völliger Unsinn.
({2})
Es macht auch keinen Sinn, Planziele für die Bundesrepublik zu erstellen, denn es geht ja darum, in solche
Missionen Leute zu entsenden, die erstens qualifiziert
genug sind, zweitens abrufbar sind und drittens auch vor
Ort gebraucht werden. Wenn man heute festlegte, einen
Pool von 2 000 Rechtsanwälten vorzuhalten, um sie in
Rechtsstaatlichkeitsmissionen zu entsenden, dann wäre
dies meines Erachtens Verschwendung von Ressourcen.
Wir haben aber in der Tat enorme Fortschritte in der
Ausbildung von Experten gemacht, wie du genau weißt
- du hast ja gestern bei deiner Rede zum siebten Geburtstag von ZIF und zum Abschied von Winrich Kühne ein
entsprechendes Buch sehr gelobt -, die schnell einsetzbar
sind und die auch eingesetzt werden.
Ich kann auch einmal die Zahlen nennen. Wir haben
2003 angefangen, diesen Pool zu bilden. Ende 2003 waren
400 Experten mit unterschiedlichsten Fachrichtungen in
diesem Pool. Heute sind es 1 239 Experten. Dazu kommen
die Ausbildungen, die für Polizisten gemacht worden
sind, und die internationale Ausbildung, die wir auch für
andere Organisationen durchführen. Hinzu kommt der
Aufbau des Kofi-Annan-Centers in Afrika, in dem Wahlbeobachter ausgebildet werden und zum Beispiel auch
entsprechende Trainings angeboten werden.
Meines Erachtens ist das, was die Bundesregierung in
dieser Zeit - auch nach 2005, als die Grünen nicht mehr
in der Regierung waren - auf den Weg gebracht hat,
enorm.
Die Aufstockung des Haushalts ist bereits erwähnt
worden. Ich bin stolz darauf, weil ich mich erinnere, dass
wir unter Rot-Grün aber wirklich jedes Jahr um jeden
Pfennig und um jede Million kämpfen mussten.
({3})
So wurden nach dem Jugoslawienkrieg - das war ja ein
guter Anlass - entsprechende Mittel in den Haushalt
eingestellt, aber im nächsten Jahr waren sie wieder verschwunden; da gab es dafür keinen Pfennig mehr. Dann
haben wir als Parlamentarier gemeinsam dafür gekämpft,
dass sie restituiert wurden. Das waren damals 20 Millionen
DM, also 10 Millionen Euro. Wir verzeichneten dann einen
relativ geringen Zuwachs, aber von 2006 auf 2009 gab
es nicht nur eine Verdopplung, sondern eine Steigerung
von 10,9 Millionen Euro auf über 100 Millionen Euro.
Ich meine, das ist ganz beachtlich.
Außerdem gibt es auch noch andere Mittel im Haushalt, die nicht beim Auswärtigen Amt, sondern beim
BMZ veranschlagt sind und dafür verwendet werden
können. Zudem gibt es Gelder im Haushalt des BMI. Ich
halte daher die Kritik, die hier angeführt wurde, für ungerecht, und die Unterlassungen, die angeprangert werden,
sind schlicht nicht wahr.
Natürlich hat Herr Haibach recht: Es gibt immer noch
Verbesserungsmöglichkeiten. Aber wir arbeiten wirklich
intensiv daran. Gerade gab es eine Sitzung des Aufsichtsrats des ZIF, dem wir angehören. Bei dieser Gelegenheit
haben wir unter anderem zur Kenntnis nehmen können,
dass das von dir monierte Defizit zwar nicht ganz abgestellt
wurde, aber dass jetzt wesentlich mehr Mittel zur Verfügung stehen, um eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zu
betreiben.
Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss
ich Ihnen Folgendes sagen: Wir sind doch dafür verantwortlich, diese Politik weiterzutragen. Wir sind doch
verantwortlich, wenn es um Afghanistan geht, nicht nur
über Soldaten und eventuelle Zwischenfälle zu sprechen,
sondern auch einmal darzulegen, welch weites Spektrum
wir an Projekten zum Wiederaufbau verfolgen. Da geht
es nicht nur um ein halb leeres oder halb volles Glas; das
ist in der Regel ein gemischtes Bild, und zwar auch auf
der militärischen Seite. Niemand weiß das besser als du,
Winni, der sich in diesem Bereich ja besonders häufig
tummelt.
Schließlich ist es verdammt befremdlich, wenn gesagt
wird, die Soldaten müssten als Lückenbüßer und Leidtragende dieser Politik der Unterlassungen herhalten. Es
steht im ersten Absatz des Antrags, dass sie länger in
Auslandseinsätzen bleiben müssten. Wenn ich es richtig in
Erinnerung habe, ist es so, dass wir die Auslandseinsätze
verkürzt statt verlängert haben. Außerdem sagen ganz
viele, es sei ein erheblicher Fehler, dass unsere Leute
nach vier oder sechs Monaten schon wieder wechseln
müssten, weil sie im Umfeld gar nicht das notwendige
Vertrauen bilden könnten.
Ich wundere mich, dass es plötzlich eine Härte für die
armen Soldaten und Soldatinnen sein soll, wenn sie auch
zivile Aufgaben übernehmen müssen. Ich meine, wir hätten ganz bewusst die PRTs mit zivilen Aufgaben betraut
und dies auch einmütig im Bundestag so verabschiedet.
Ich sage noch ein Letztes: Ja, militärische Operationen
sind teuer. Aber wer im Gegenzug für die Gewährung
von 10 Millionen Euro an Präventionsmitteln einem milliardenschweren Militärprojekt zustimmt, der sollte lieber
nicht den Mund so voll nehmen, lieber Winni.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Paul Schäfer von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie
schön, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir zu vorgerückter Stunde nicht nur einen Bundeswehreinsatz
mandatieren, sondern auch über zivile Konfliktbearbeitung
reden. Aus dem Alltag kennen wir ja den sinnvollen
Grundsatz „Vorbeugen ist besser als Heilen“. Ich finde,
dieser ist auch unbedingt in der Außenpolitik zu beachten.
Wenn dann doch geheilt werden muss, gilt allemal: Eine
schonende Behandlung ist in aller Regel besser, als mit
Brachialgewalt vorzugehen, schon allein deshalb, weil man
dadurch die Nebenwirkungen - hier sollte ich vielleicht
besser von Kollateralschäden reden - geringer halten kann.
({0})
Paul Schäfer ({1})
Schließlich ist darauf zu achten, dass bei den Arzneimitteln auch das drin ist, was außen draufsteht. Spätestens
seitdem im Zweiten Bericht der Bundesregierung über
die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention,
Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ European
Battle-Groups, also schnelle Eingreiftruppen, als Instrumente der Krisenprävention angeführt werden, weiß
man, dass man es mit einer Mogelpackung zu tun hat,
wenn die Bundesregierung von ziviler Krisenprävention
redet.
({2})
Dieses Beispiel zeigt, dass wir schon sehr genau gucken
müssen, womit wir es zu tun haben, wenn heute von vernetzter Sicherheit und zivil-militärischer Zusammenarbeit
die Rede ist. Letztlich geht es um die Frage, ob wir es
nicht vielleicht auch mit einer vergifteten Rezeptur zu
tun haben.
Das Zivil-Militärische ist ja so bahnbrechend neu
nicht. Die amerikanischen Militärs haben schon längst
gelernt, dass sie bei Interventionen in innerstaatliche
Konflikte - darum handelt es sich ja auch heute zumeist mit militärischen Mitteln nicht weit kommen. Es steht
schon in Handbüchern der US-Army zur Aufstandsbekämpfung aus den 50er-Jahren, dass der wirtschaftliche
Aufbau entscheidend ist, dass es entscheidend ist, möglichst schnell eine vernünftige Regierung zu etablieren,
und dass man die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen muss. Aber was ist im wirklichen Leben daraus
geworden? Das kann man an Vietnam studieren, am Irak
und konnte man auch lange Zeit in Afghanistan studieren.
Deshalb ist Vorsicht geboten bei solchen Rezepten - diese
muss man genau abklopfen -, die von militärisch geführter
Außenpolitik vereinnahmt werden, um damit weiterzukommen. Damit muss man sich kritisch auseinandersetzen. Die Grünen tun dies nicht oder zu wenig; und das
merkt man dem Antrag an.
Wer sich wirklich schlaumachen will und sich über
Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung als eine
Alternative und nicht als Anhängsel des Militärischen
Gedanken machen will, dem empfehle ich die aktuelle,
gerade erschienene Studie Erfolgreich gewaltfrei von
Christine Schweitzer, die für das Institut für Auslandsbeziehungen erarbeitet worden ist. Dort sind eine Menge
Vorschläge enthalten, die durch praktische Politik umgesetzt werden könnten.
Ich möchte nur drei Elemente nennen: Erstens. Es ist
entscheidend, in Konflikte einzugreifen, bevor sie gewaltträchtig werden. Das heißt, wir müssen uns über Frühwarnsysteme Gedanken machen und uns vor allem auf die zivilgesellschaftlichen, lokalen Akteure vor Ort stützen.
Zweitens. Es darf nicht zu einer Arbeitsteilung der Art
kommen, dass sich auf staatlicher Ebene um die militärischen Mittel gekümmert wird, während die zivilgesellschaftlichen Akteure für die zivilen Mittel zuständig sind.
Der absolute Vorrang des Zivilen muss für alle Akteure
gelten, weil nur so eine Zivilisierung von Konflikten zu
erreichen ist.
({3})
Drittens. Die Konfliktbearbeitung muss entscheidend
durch die staatlichen bzw. zivilgesellschaftlichen Akteure
vor Ort erfolgen. Frieden ist nur zu erreichen, wenn er
von der jeweiligen Bevölkerung mitgetragen wird. Das ist
gleichbedeutend mit einer Absage an alle paternalistischen,
bevormundenden Konzepte des sogenannten NationBuilding, das von außen und mit militärischer Hilfe vorangetrieben wird. Das funktioniert nicht,
({4})
bzw. der Preis dafür ist, wie man am Beispiel Irak sehen
kann, zu hoch.
Der Antrag der Grünen - leider haben wir sehr wenig
Zeit, ihn zu diskutieren - enthält in der Tat vieles, was an
Regierungshandeln in den nächsten vier Jahren umgesetzt werden müsste. Uns fehlt die Trennschärfe zu dem,
was ich als vergiftete Rezeptur bezeichnet habe. Es fehlt
eine klare Distanz zum militärischen Interventionismus
der NATO und der EU. Deshalb werden wir dem Antrag
in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen können.
Wir werden uns enthalten, um zu dokumentieren, dass er
eine Menge enthält, was unterstützt und aufgegriffen
werden muss, wenn wir den fälligen Paradigmenwechsel
in der Außenpolitik erreichen wollen.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13392
mit dem Titel „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung brauchen einen neuen Schub“. Wer stimmt für
diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias
- Drucksachen 16/13187, 16/13393 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({1})
Dr. Werner Hoyer
Kerstin Müller ({2})
Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlungen werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Niels Annen.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die somalischen Piraten haben ihre Aktivitäten ausgedehnt. Sie sind aufgrund der erfolgreichen Operation
„Atalanta“ in den Süden und den Südosten ausgewichen.
Sie haben in den letzten Wochen und Monaten vermehrt in
den Hoheitsgewässern der Seychellen agiert. Die Regierung der Seychellen hat deshalb die Europäische Union
um Unterstützung bei der Bekämpfung der Piraterie gebeten. Im Hinblick auf unser bisheriges Engagement im
Golf von Aden halte ich es deshalb für folgerichtig, den
Seychellen im Kampf gegen die Piraterie zur Seite zu
stehen. Ich bitte Sie deshalb, meiner Fraktion zu folgen
und dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen.
({0})
Die zentrale Bedeutung sicherer Seerouten für die
Exportnation Deutschland steht außer Frage. Deutsche
Reeder betreiben die drittgrößte Handelsflotte der Welt.
Deutschland ist - das belegen international verifizierte
Zahlen - am stärksten von der Piraterie am Horn von
Afrika betroffen. Umso wichtiger ist es, dass wir dafür
sorgen, dass die deutsche Wirtschaft, aber vor allem die
Weltwirtschaft insgesamt vor weiterem Schaden durch die
Unsicherheit in dieser strategisch wichtigen Region geschützt wird. Man könnte einwenden, dass nur 0,01 Prozent des internationalen Handelsverkehrs direkt von der
Piraterie betroffen sei. Das stimmt. Aber die Folgekosten
sind auch ein Aspekt, über den wir hier miteinander diskutieren müssen. Diese Kosten ergeben sich aufgrund
der Aufstockung des Personalbedarfs, der Umleitung
über andere Seewege, der erhöhten Vorsichtsmaßnahmen sowie aufgrund der entsprechend verteuerten Versicherungen. Sie wissen vielleicht, dass durch die Piraterie
in der Region vor Somalias Küste die Versicherungsprämien für die Schifffahrt bereits um das Dreifache angestiegen sind.
Außer Frage steht auch die Notwendigkeit - das ist
vielleicht der wichtigste Punkt -, die somalische Bevölkerung mit Hilfsgütern zu versorgen. 3 Millionen Menschen in Somalia sind abhängig von Lebensmittelhilfen
internationaler Hilfsorganisationen. 1 Million Flüchtlinge haben keinen Zugang zu Hilfsgütern, da ihnen der
Zugriff von Milizen in diesem vom Bürgerkrieg geplagten Land verwehrt wird. Dürren und Überflutungen haben ihr Übriges zu dieser Situation beigetragen. So
wächst die extreme Armut in Somalia weiter.
Vor diesem Hintergrund ist es ein Erfolg, dass seit
dem Beginn dieser Operation alle Schiffe, die Hilfsgüter
für das Welternährungsprogramm transportiert haben,
Somalia erreichen konnten. Über 1 Million notleidende
Menschen wurde auf diese Weise mit Nahrungsmitteln
versorgt. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei den Soldatinnen und Soldaten, die dazu beigetragen haben, dass
das möglich wurde.
({1})
Seit Beginn der Operation „Atalanta“ ist die Zahl der
erfolgreichen Piratenangriffe auf Handelsschiffe in der
Region zurückgegangen. Viele Angriffe sind sicherlich,
auch wenn man das empirisch nicht belegen kann, allein
durch die Präsenz unserer Marine verhindert worden.
Die Überwachung der Handelsschifffahrt sowie die regelmäßigen Gruppenpassagen, durchgeführt mithilfe des
Maritime Security Center, haben ebenfalls zur Erhöhung
der Sicherheit der Seeschifffahrt beigetragen.
Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz klar: Auch
bei den Reedern und Kapitänen muss zum Teil ein Umdenken stattfinden. Sie müssen wissen: Wer geschützt
sein will, muss auch bereit sein, sich schützen zu lassen.
Noch immer sind weniger als die Hälfte aller Schiffe, die
den Golf von Aden passieren, beim MSC registriert.
Aufgrund der Analysen der Entführungsfälle, die uns
zum Teil vorliegen, lässt sich eindeutig feststellen, dass
ein Großteil dieser Entführungen hätte verhindert werden können, wenn eine entsprechende Meldung beim
MSC eingegangen wäre.
({2})
Ich kann daher an dieser Stelle nur an die Verantwortlichen appellieren, sich mit den entsprechenden Institutionen in Verbindung zu setzen.
Meine Damen und Herren, über viele Detailfragen
muss sicherlich in Zukunft noch diskutiert werden. Für
meine Fraktion steht aber fest, dass die Piraterie nur besiegt werden kann, wenn die Anrainerstaaten ihrer Verantwortung nachkommen und wenn wir vor allem endlich dafür sorgen, dass es eine Staatlichkeit in Somalia
gibt. Wir müssen eine Entwicklungsperspektive für dieses Land schaffen. Allen Kritikern sage ich - einige reden ja noch -: Es geht mir nicht darum, den Eindruck zu
erwecken, wir könnten mit den leider notwendigen militärischen Instrumenten, die wir jetzt anwenden, einen
Ersatz für die Staatlichkeit und für die innere Entwicklung Somalias bieten. Wir sind uns ja alle dessen bewusst, dass wir im Moment an den Symptomen herumdoktern.
({3})
Somalia ist ein tragisches Beispiel dafür, wie dramatisch sich eine wichtige Region in der Welt entwickeln
kann, wenn man viel zu lange wegschaut.
({4})
Unsere Präsenz sollte ein Zeichen dafür sein, dass wir
Verantwortung übernehmen und die Entwicklung im Interesse der Menschen in Somalia weiter fördern wollen.
Ich bitte um Zustimmung und bedanke mich für die
Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
stimmen heute nicht über ein neues Mandat ab, sondern
schlicht über die Ausweitung des Operationsgebietes.
Pünktlich zum heutigen Tage hat das internationale
Schifffahrtsbüro in Kuala Lumpur mitgeteilt, dass in den
letzten zwei Wochen acht Piratenangriffe vor der Küste
von Oman, im Arabischen Meer und im südlichen Roten
Meer zu verzeichnen waren. Es hat festgestellt, dass die
Piraten ihr Einsatzgebiet weiter ausgedehnt haben. Was
sagt uns das? Es sagt uns, dass die heute zu beschließende Ausweitung des Mandatsgebiets nicht falsch ist,
aber voraussichtlich auch nicht reichen wird.
({0})
Der Kollege Stinner hat bereits in der ersten Lesung
deutlich gemacht: Wenn die Piraterie nicht endlich aktiv
bekämpft wird, dann wird man alle sechs Monate das
Operationsgebiet ausweiten müssen. Nach dem, was wir
heute mitgeteilt bekommen haben, Herr Minister, habe
ich den Eindruck, Sie können gleich morgen mit der Vorbereitung des Erweiterungsmandats beginnen.
Die Grundprobleme - das zeigt sich an dem, was wir
heute hier zu beschließen haben - bleiben ungelöst. Ein
Grundproblem ist, dass das Operationsgebiet mit den
vorhandenen Schiffen schon heute nicht abzudecken ist.
Experten sagen uns ganz klar: Allein für die Kontrolle
des Golfs von Aden bräuchte man 60 Schiffe und für das
Seegebiet rund um Somalia 150 Schiffe. Die zentrale
Frage, wie die Sicherheit bei Ausweitung des Operationsgebiets gesteigert werden soll, wenn nicht gleichzeitig die Zahl der Militärschiffe erhöht wird, beantworten Sie nicht. Es besteht die Befürchtung, dass das Ganze
eine reine Placeboaktion ist, die der Beruhigung der Öffentlichkeit dienen soll, eine Vertuschung der Tatsache,
dass mit dieser Mission eine Eindämmung der Piraterie
im Augenblick nicht erreicht werden kann.
({1})
Wir brauchen endlich eine Umsetzung des robusten
Mandats und eine Beendigung der Verunsicherung der
Soldatinnen und Soldaten durch die Bundesregierung.
Der ständige Hinweis, dass der Hauptzweck der Mission
nicht etwa die Festnahme von Piraten sei, sondern die Begleitung von Schiffen, hat in der Vergangenheit - das wissen wir von den Soldatinnen und Soldaten vor Ort - zu erheblicher Verunsicherung geführt. Deswegen sagen wir
Ihnen noch einmal ganz klar: Wir sind froh, dass wir hier
ein robustes Mandat haben, dass wir Einsatzregeln haben,
die international mithalten können, die sogar besser sind
als die von manchem anderen europäischen Land, das
sich ebenfalls an der Mission „Atalanta“ beteiligt. Aber
diese Einsatzregeln müssen jetzt auch angewendet werden dürfen. Es muss eine aktive Pirateriebekämpfung
stattfinden: eine Bekämpfung der Mutterschiffe, eine Beschlagnahme von Schiffen und eine Festsetzung von Piraten. Das ist mindestens genauso wichtig wie die Begleitung von Schiffen.
({2})
Wir sind darüber hinaus der Auffassung, dass es einer
besseren Koordinierung bedarf und dass der Schönheitswettbewerb, wer besser die Piraterie bekämpfen kann,
den sich die Nationen im Augenblick liefern, beendet
werden muss. Im Augenblick sind in diesem Seegebiet
43 Schiffe aus 21 Nationen in vier verschiedenen Missionen vor Ort und weitere 13 Schiffe unter nationalem
Kommando. Was das an Koordinierungsaufwand bedeutet, können wir uns hier wahrscheinlich nicht wirklich
vorstellen. Deswegen sage ich ganz deutlich: Die Koordinierung muss verbessert werden, zum Beispiel durch
die Bündelung der Kommandos, mittelfristig allerdings
am besten durch eine gemeinsame Gesamtoperation.
({3})
Ein weiterer Kritikpunkt aus unserer Sicht ist das Zuständigkeitshickhack. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass kein Staatssekretärsausschuss mehr benötigt
wird und klare Regeln dafür geschaffen werden, wie mit
festgesetzten Piraten umgegangen werden soll. Wir erwarten verstärkte Anstrengungen der Bundesregierung,
auf internationaler Ebene zu einer Lösung zu kommen,
beispielsweise in der Form, dass der Internationale Strafgerichtshof die Zuständigkeit für die Piraterieverfolgung
zugewiesen bekommt.
Die politische Flankierung in der Region - das ist
vom Vorredner völlig zu Recht angesprochen worden ist auch für uns ein ganz wichtiger Schwerpunkt. Wir erwarten, dass politische Initiativen zur Stabilisierung der
Region ergriffen werden und dass man eben nicht nur
militärisch versucht, dieses Problems Herr zu werden.
({4})
Mein letzter Punkt ist eine Forderung, die ich an die
Reedereien richte. Wir wissen aufgrund der Erfahrungen
in den vergangenen Wochen - der Verteidigungsminister
hat es in der ersten Lesung hier auch noch einmal deutlich gemacht -, dass es nach wie vor Reedereien gibt, die
sich nicht gesicherten Konvois anschließen. Wer so handelt, trägt nicht nur Verantwortung dafür, dass die eigene
Besatzung gefährdet wird, sondern auch dafür, dass sich
die Piraterie durch Lösegeldzahlungen weiter finanzieren kann. Auch die Reeder müssen also ihre Verantwortung wahrnehmen.
({5})
Meine Damen und Herren, die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Mandatsantrag der Bundesregierung
zur Ausweitung des Operationsgebiets zu, weil wir nicht
wollen, dass die deutsche Marine bzw. die Soldatinnen
und Soldaten, die vor Ort sind und im Übrigen einen hervorragenden Job machen, den Piraten hinterherwinken
müssen.
({6})
Ich sage aber auch: Effektiv ist das jetzige Vorgehen
nicht.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Karl-Georg Wellmann von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
heute zu entscheiden, ob das „Atalanta“-Mandat erweitert wird. Worum geht es? Durch den Golf von Aden und
die angrenzenden Seegebiete führt eine der wichtigsten
Schifffahrtsstraßen der Welt. Die Zahl der Piratenangriffe ist drastisch gestiegen. 2008 gab es 111 Überfälle
und 42 Entführungen. Bis Mai dieses Jahres gab es
schon 114 Überfälle und 29 Entführungen. Wegen der
Piratenangriffe drohte die Nutzung dieser Schifffahrtsstraße in Gefahr zu geraten, zum einen wegen der hohen
Gefahr für Leib und Leben der Seeleute - ich möchte daran erinnern, dass im Mai mehr als 200 Menschen in der
Gewalt der Piraten waren -, zum anderen rein ökonomisch wegen der drohenden Verluste aufgrund der hohen
Lösegelder und der stark gestiegenen Versicherungsprämien.
Wir alle sind uns einig: Es gibt vor Ort keine regionale Ordnungsmacht, die der Piraterie ein Ende bereiten
könnte - weder in Somalia noch im Jemen. Somalia
existiert als Staat nur auf dem Papier. Das ist Gewalt
ohne Staat, wie Annette Weber von der SWP kürzlich
gesagt hat.
Die Linkspartei ist gegen diesen internationalen Einsatz, wie sie überhaupt gegen die Übernahme internationaler Verantwortung durch die Bundesrepublik ist.
({0})
Herr Paech, Sie haben sich, als es um die eigentliche
Mandatierung ging, in einem Antrag dazu verstiegen, für
die schlechte Sicherheitslage und die Radikalisierung
der Konfliktparteien die internationale Gemeinschaft
verantwortlich zu machen. Es kommt noch schlimmer:
Sie haben in diesem Antrag gesagt, hinter „Atalanta“
stecke in Wahrheit die sinistre Absicht, die Seesicherheit
zu militarisieren. Das entspricht in etwa dem Niveau Ihres Parteivorsitzenden: Dieser hat ja im Europawahlkampf gesagt, die europäische Integration diene in
Wahrheit dazu, Europa zu militarisieren.
({1})
Die Aussagen dieses Antrages liegen auf dem Niveau
dieses Geschwafels von Herrn Bisky.
Hätten wir den internationalen Marineeinsatz dort unten nicht und könnten die Piraten ungestört ihr verbrecherisches Handwerk ausüben, dann käme kein Schiff
des Welternährungsprogramms mehr nach Somalia, und
vielen Menschen würde der Hungertod drohen.
({2})
Dann käme der Verkehr im Suezkanal zum Erliegen, aus
dessen Betrieb Ägypten wichtige Einnahmen für den
Staatshaushalt erzielt. Dann könnten schließlich Schwellenländer, wie zum Beispiel Indien, ihre Güter nicht
mehr nach Europa liefern. Es würden also alle diejenigen getroffen werden, die ohnehin schon benachteiligt
sind und zum Teil in Not und Elend leben. Herr Paech,
die Politik Ihrer Partei ist schlichtweg unverantwortlich,
und wegen dieser unverantwortlichen Politik sind Sie
notorisch regierungsunfähig.
Jeder weiß, das Problem ist nicht militärisch zu lösen.
Wir brauchen einen politischen Ansatz. Wir brauchen
den Aufbau einer Staatlichkeit in Somalia, die Sicherheit
schafft und der Bevölkerung ein eigenes Auskommen ermöglicht. Wer aber die Forderung aufstellt, man solle die
Piratenbekämpfung einstellen und stattdessen Somalia
aufbauen, hat entweder keine Ahnung von den Verhältnissen oder will die Öffentlichkeit mit populistischen
Sprüchen in die Irre führen. Somalia ist ein Gebilde, in
dem Warlords und bewaffnete Clanmilizen Macht ausüben und in dem es zu allem Übel noch DschihadKämpfer gibt, die für zahlreiche Mordtaten verantwortlich sind, unter anderem an Journalisten und zivilen Aufbauhelfern in Somalia. Die Warlords und Clanführer
sind nichts anderes als Geschäftsleute und Berufskriminelle in Personalunion. Was wollen Sie dagegen machen? Gut zureden oder die Caritas nach Somalia schicken? Was denen blüht, können Sie jeden Tag in der
Zeitung lesen, Herr Trittin. Ich erinnere an die schrecklichen Vorkommnisse und Morde im Jemen.
Es zeugt von naivem Kinderglauben, wenn man sagt,
dass, wenn man die illegale Fischerei beseitige, die eigentliche Ursache der Piraterie behoben sei. Die Piraterie ist in Somalia inzwischen zu einer höchst lukrativen
Industrie mit Millionengewinnen geworden. Die Piraten
stammen nach unserer Kenntnis primär aus dem Clan
des früheren Präsidenten Jussuf, der sich im Moment mit
Entführungen dumm und dämlich verdient. Das hat
nichts, aber auch gar nichts mit illegaler Fischerei zu tun.
Ich glaube nicht, dass bei uns irgendein Verantwortlicher auf den Gedanken käme, in Somalia militärisch einzugreifen. Auch sonst ist niemand sichtbar, der das tun
könnte, schon gar nicht die Afrikanische Union. Die
Amerikaner verspüren nach ihrem blutigen Abenteuer in
Somalia mit Sicherheit auch keine Neigung, sich dort
militärisch zu engagieren. Es führt also kein Weg an der
Marinemission zur Piratenbekämpfung vorbei. Im Ge25192
genteil: Die Piratenbekämpfung ist die Voraussetzung
für die Konsolidierung Somalias.
Ich finde, die Bundesmarine hat diesen Auftrag bisher
ebenso professionell wie angemessen ausgeführt. Den
Soldaten auf den Schiffen gilt unser ausdrücklicher
Dank dafür.
({3})
Frau Kollegin Homburger, der FDP ist das viel zu wenig. Herr Stinner, ich habe Ihre Rede noch einmal gelesen. Sie wollen viel schneidiger vorgehen, insbesondere
schneidig an die Mutterschiffe, nach dem Motto: Erst
einmal versenken, und dann schauen wir, ob diejenigen,
die da schwimmen, Piraten sind. Ich finde das angemessene und behutsame Vorgehen unserer Bundesmarine in
Ordnung. Das wollen wir weiterhin sehen. Weil die Piraten - Herr Annen hat recht - ihre Angriffstaktik verändert haben, muss das Mandat an diese Veränderungen
angepasst werden. Meine Fraktion wird deshalb dem
Antrag der Bundesregierung zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Rainer Stinner.
Sehr verehrter Herr Kollege Wellmann, ich möchte
nochmals darstellen, dass ich persönlich mich zwar für
ein stärkeres Vorgehen gegen Mutterschiffe einsetze, das
Wort „versenken“ von mir aber noch nicht ein einziges
Mal benutzt worden ist. Das Wort „versenken“ ist im
Deutschen Bundestag zum ersten Mal von Ihrem sehr
geehrten Herrn Bundesminister Jung in der Antwort auf
eine Zwischenfrage von mir gebraucht worden. „Bis
zum Versenken“ hat er hier gesagt. Von mir ist das Wort
„versenken“ noch nie benutzt worden.
Sehr geehrter Herr Wellmann, ich bin aber in der Tat
der Meinung, dass wir das Problem der Ausweitung unter anderem deswegen haben, weil wir Mutterschiffe
nicht angreifen und weil die Piraten ihren Radius von
Mutterschiffen aus erheblich ausweiten können. Wenn
wir Mutterschiffe außer Kraft gesetzt hätten - das ist
mein Terminus -, dann hätten wir das heutige Mandat
wahrscheinlich gar nicht erst gebraucht.
({0})
Zur Erwiderung Kollege Wellmann, bitte.
Kollege Stinner, Sie haben es gerade wiederholt: Mutterschiffe angreifen. Sie haben Bundesminister Jung
neulich vorgeworfen, dass er nicht hinter den Mutterschiffen her ist. Ich bin dafür, dass wir angemessen und
behutsam vorgehen, weil die indische Marine ein Schiff
versenkt hat und es dabei Tote und Verletzte gab.
({0})
Ich wollte Ihnen nur vorhalten, dass Sie sagen: Immer
feste drauf und ran an die Sache. Ich finde das Vorgehen
der Marine besser als Ihre Vorschläge.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norman Paech von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um gleich zu Beginn keinen Zweifel aufkommen
zu lassen: Die Sicherheit des Schiffsverkehrs auf allen
Meeren muss garantiert werden, und es darf keinen
Raum für Piraterie geben.
({0})
Die völkerrechtlichen Grundlagen dafür sind ganz eindeutig.
Nach deutschem Recht ist das aber Sache der Polizei,
({1})
und die Verfassung verbietet es, dass diese Aufgabe der
Bundeswehr übertragen wird.
({2})
Deswegen hat die Linke von Anfang an den Einsatz der
Bundesmarine vor Somalia abgelehnt. Dabei bleiben wir
auch jetzt.
Es gibt aber auch gravierende politische Einwände
gegen die unkoordinierte Ansammlung von Schiffen aus
aller Herren Länder im Indischen Ozean, um die Piraterie zu bekämpfen. Diese Einwände sind auch nicht durch
eine bessere Koordinierung zu beseitigen. Im Wesentlichen wird, wie Herr Annen gesagt hat, nur an Symptomen kuriert. Im Grunde - hier bin ich mit Frau
Homburger völlig einer Meinung - ist das auch nicht
das, was dort gebraucht wird.
Ich gebe Ihnen recht: Das sichere Geleit der Schiffe
des Welternährungsprogramms und der sichere Konvoi
manch anderer Frachter sind Erfolge.
({3})
Das sind aber auch die einzigen Erfolge der gesamten
Operation. Die Piraten sind viel erfolgreicher. Sie konnten nicht nur die Zahl ihrer Angriffe und ihre Erfolgsrate
erhöhen, sondern auch ihr Einsatzgebiet enorm erweitern. Die UNO spricht von einem Anstieg um über
600 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum. Jetzt wollen Sie mit dem neuen Mandat das
Operationsgebiet der Fregatten ausweiten. Glauben Sie
eigentlich, dass Sie die Piraten auf 5 Millionen Quadratkilometern besser bekämpfen können als auf 3,5 Millionen Quadratkilometern, obwohl Sie sie nicht einmal auf
den bisherigen 3,5 Millionen Quadratkilometern in den
Griff bekommen haben?
({4})
Ich gebe zu bedenken: Mit jedem neuen Mandat weitet sich der Konflikt aus; Frau Homburger hat die weitere Perspektive bereits aufgezeigt. Zuletzt - auch das
hat sie deutlich gemacht - haben die Piraten bei Oman,
weit von der somalischen Küste entfernt, zugeschlagen.
Es besteht die Gefahr, dass die Situation eskaliert und
sich die Konflikte immer weiter ausdehnen.
Ich will Ihnen sagen, worum es eigentlich geht. Vor
den Seychellen gibt es reiche Thunfischbestände, die das
Ziel internationaler Fischfangflotten sind. Diese Flotten
sollen geschützt werden. Frankreich, Spanien, Südkorea
und andere Länder betreiben dort in großem Maßstab
Fischfang. Die US-Investmentfirma Lehman Brothers
war dort an einer der größten Fischfabriken der Welt beteiligt. All das können Sie auf der Homepage des Auswärtigen Amtes nachlesen.
Bereits im März dieses Jahres haben spanische
Fischer den militärischen Schutz ihrer Fangflotte angefordert, während Spanien und Korea vom somalischen
Parlament gerade der illegalen Fischerei beschuldigt
werden. Es ist doch zynisch: Die Geberkonferenz für Somalia hat 213 Millionen Euro für den Aufbau von Sicherheitsstrukturen zugesagt. Gleichzeitig verliert Somalia nach Angaben der UNO jährlich 300 Millionen
US-Dollar durch die illegale Fischerei, die immer noch
anhält. Was macht die EU dagegen? Sie sendet „Atalanta“.
Eine unserer dringendsten Forderungen lautet: Stoppen Sie die illegale Fischerei vor der Küste Ostafrikas
({5})
und das illegale Mülldumping gleich mit! Denn beides
zerstört die Lebensgrundlagen der Küstenbevölkerung
und treibt sie geradezu in die Piraterie. Schaffen Sie für
die Jugend Somalias legale Einnahmequellen, und stärken Sie die regionale Fischerei! Nur so lässt sich das
Übel der Piraterie an seiner Wurzel bekämpfen.
Darüber hinaus fordern wir nach wie vor den Aufbau
einer UN-geführten Küstenwache der Anrainerstaaten,
die von der Bundesrepublik ausgerüstet werden und an
der sich die Bundespolizei beteiligen kann. Das geht
zwar nicht so schnell wie die Entsendung von Fregatten,
ist aber viel sinnvoller, wenn es darum geht, den Zugang
der Piraten zum Meer zu unterbinden.
Zum Schluss. Somalia braucht Stabilität und eine
nachhaltige Entwicklung. Dazu gehören eigene Sicherheitsstrukturen und ein eigener Küstenschutz. Statt dort
Konvoi zu fahren, sollten vordringlich diese Strukturen
aufgebaut werden. Das Abkommen von Djibouti vom
Januar dieses Jahres, mit dem sich neun Staaten der Region zu konkreten gemeinsamen Schritten bei der Bekämpfung der Piraterie verpflichtet haben, ist dabei ein
wichtiger Schritt. Jetzt muss es umgesetzt werden. Hierfür sollte die Bundesregierung Geld zur Verfügung stellen und Unterstützung leisten.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Paech, Ihre Erzählung kommt mir ein bisschen wie die einer berühmten Figur von Herrn Moers
vor. Sie heißt Käpt’n Blaubär.
({0})
Wenn Käpt’n Blaubär erzählen würde, dass man die Piraten vor der Küste Somalias mit einer Hafenbarkasse
der Hamburger Hafenpolizei bekämpfen könnte,
({1})
würde ihm das nicht einmal Hein Blöd abnehmen.
({2})
Damit komme ich auch zu den ernsten Punkten bei
diesem Thema.
Erste Bemerkung: Manche Ihrer Einschätzungen, was
die illegale Fischerei und das Mülldumping an dieser
Stelle angeht, teile ich ja. Das ist alles richtig. Wenn Sie
glauben, die Schiffe beispielsweise des World Food Programmes, auf deren Lieferungen Zehntausende von Somalis angewiesen sind, könnten darauf warten, dass die
Anrainerstaaten irgendwann gemeinsam eine entsprechende Küstenwache aufgebaut haben, irren Sie sich
aber. Sie können nicht warten. Es ist unsere Pflicht, diese
Menschen schlicht und ergreifend nicht verhungern zu
lassen.
({3})
Das, was Sie sagen, muss man natürlich auch machen.
Da stimme ich Ihnen zu. Das ist aber kein Argument,
sich gegen das auszusprechen, was hier getan wird, nämlich mit dafür zu sorgen - das ist einer der Erfolge der
Bundesmarine -, dass diese Schiffe wieder durchkom25194
men. Das kann man doch nicht einfach ignorieren und
erklären: Wir warten jetzt einmal ab. Anschließend
bauen wir eine schicke kleine Küstenwache auf. Am
Ende klappt das dann. - So geht es nicht. Damit verhält
man sich den Menschen gegenüber nicht verantwortlich.
({4})
Zweite Bemerkung: Sie alle, die gesagt haben, die Ursache des Problems liege an Land, haben recht. Sie liegt
in der Tat in einer zerfallenen Gesellschaft, in zerfallener
Staatlichkeit. Sie alle, die sagen, man werde dieses Problem auch an Land nicht militärisch lösen können, haben
ebenfalls recht. Als im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen einmal diese Frage aufkam und es den dringenden Wunsch gab, eine Peacekeeping-Mission nach Somalia zu schicken, haben sich der Chef des Departments
of Peacekeeping Operations und der UN-Generalsekretär mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, und zwar
mit dem ganz einfachen Argument: There is no peace to
keep. - Das ist das Problem, das wir dort haben.
Deswegen muss man sich diesem Problem seriöser
nähern. Zum einen ist es notwendig, diesen Einsatz zur
See zur Bekämpfung und Eindämmung der Piraterie
durchzuführen. Zum anderen müssen die europäische
und die deutsche Außenpolitik darangehen, den Stellvertreterkrieg, den Eritrea und Äthiopien in Somalia führen,
zu beenden. Man darf also kein Gegeneinander aufbauen; denn beides ist erforderlich.
({5})
Dritte Bemerkung: Wenn man Pirateriebekämpfung
durchführt, muss man dies kohärent und rechtsstaatlich
machen. Mit meiner Vorstellung einer Wertegemeinschaft, wie sie die Europäische Union darstellt, ist es
nicht zu vereinbaren, wenn der Piraterie Verdächtige von
einigen Teilnehmerstaaten von „Atalanta“ einfach im Jemen am Strand wieder ausgesetzt werden und von anderen mal eben in Frankreich vor Gericht gestellt werden,
während Dritte händeringend andere Gerichtshöfe suchen.
({6})
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich
bei der nächsten Verabschiedung einer gemeinsamen
Aktion der Europäischen Union dafür einsetzt, dass es
ein einheitliches rechtsstaatliches Verfahren für diejenigen gibt, die bei der Piraterie aufgegriffen und der Begehung von Straftaten und Verstößen gegen das Seerechtsübereinkommen verdächtigt werden.
({7})
Das liegt noch weit unterhalb dessen, was wir Ihnen
in unserem Entschließungsantrag vorschlagen, in dem
wir Sie auffordern, sich für einen internationalen Seegerichtshof einzusetzen. Ich nehme durchaus zur Kenntnis,
dass die Bundesregierung - übrigens interessanterweise
zusammen mit Russland - an dieser Stelle in Richtung
UN-Sicherheitsrat aktiv geworden ist.
Ich denke, unterhalb dieser Schwelle müssen Sie sicherstellen, dass es ein einheitliches Verfahren der EU
gibt.
Vierte Bemerkung. Kohärenz heißt auch, dass dieses
- ich weiß nicht, ob ich das richtig gehört habe - Schaulaufen, das dort stattfindet, aufhören muss. Wir haben ein
größeres Gebiet zu sichern. Um es zu sichern, brauchen
wir mehr Schiffe; denn wenn die Piraten ausweichen,
muss man darauf reagieren. Deswegen sind wir ja für die
Erweiterung des Mandats. Aber was soll das Nebeneinander von OEF, von zwei NATO-Missionen und „Atalanta“?
Im Ausschuss kam aus der Regierung der Hinweis, was
da stattfindet, sei ein unschöner Schönheitswettbewerb;
aber das sei halt die NATO. Wenn das so ist, warum lassen
Sie das denn zu? Ist es nicht mehr so, dass NATO-Missionen einstimmig beschlossen werden müssen?
({8})
Und wenn Sie sagen: „Aus bündnispolitischen Gründen
wollen wir in der NATO nicht den Veto-Hans spielen“,
frage ich Sie: Warum beteiligen Sie sich dann an dieser
NATO-Mission inklusive der Albernheit, dass, sobald
ein NATO-Schiff das Operationsgebiet von „Atalanta“
betritt, die NATO-Flagge eingeholt und stattdessen die
blau-gelbe Flagge gehisst wird?
({9})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist absurd. Das ist keine Kohärenz. Ich erwarte von
Ihnen, dass Sie diese Missionen endlich vereinheitlichen,
unter dem Dach der EU, damit Schluss ist mit diesem
unschönen Schönheitswettbewerb.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rolf Kramer von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beschließen heute eine geografische Ausweitung des „Atalanta“-Mandates. Die Inhalte des Mandates
bleiben bestehen. Die Erweiterung der geografischen
Zuständigkeit wird im Dezember dieses Jahres parallel
mit dem „Atalanta“-Mandat auslaufen.
Frau Kollegin Homburger, Sie haben gesagt, dass dieses
Mandat zur Bekämpfung der Piraterie nur ein Placebo
sei und keinen Erfolg habe. Gleichzeitig haben Sie betont,
dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr einen
hervorragenden Job machen. Dann kann die Arbeit doch
gar nicht so erfolglos sein.
({0})
Seit das Mandat besteht, haben immerhin 150 000 Tonnen
Hilfsgüter des Welternährungsprogramms ihren Weg nach
Somalia gefunden. Ich finde, das ist ein Erfolg. Bisher
ist kein Schiff, das sich den Konvois angeschlossen hat,
gekapert worden. Auch das ist ein Erfolg.
Es gibt allerdings - das kann man nicht bestreiten große Probleme bei der Bekämpfung der Piraterie am
Horn von Afrika. Bisher sind in diesem Jahr schon mehr
Schiffe als im ganzen Jahr 2008 überfallen bzw. gekapert
worden. Zwei Schiffe deutscher Reedereien befinden sich
noch in der Hand von Piraten. Mehr als 150 Handelsschiffe sind aber sicher durch den Golf von Aden geführt
worden.
Herr Paech, Ihre Ausführungen kann man ja zum Teil
nachvollziehen. Ich finde aber, dass angesichts der
Schlussfolgerungen, die Sie ziehen, dem in wenigen
Stunden anbrechenden Morgengrauen eine ganz neue
Bedeutung beizumessen ist. Es ist schon ausgeführt worden: Die Lebensbedingungen in Somalia müssen besser
werden. Sie sagen, dass der Einsatz der Bundesmarine
im Rahmen des Mandats „Atalanta“ ein großer Erfolg
ist. Dem kann man nur zustimmen. Warum Sie dennoch
die Schlussfolgerung ziehen, dass man den Einsatz stoppen
müsse, kann ich nicht nachvollziehen. Sie sagen, dass
die Bekämpfung von Piraterie eine Polizeiaufgabe ist.
Das stimmt natürlich. Wir haben den Einsatz der Bundeswehr aber verfassungsfest gemacht, und wir befinden
uns auf dem Boden der Resolution der Vereinten Nationen.
Das ist aus unserer Sicht ein sehr hohes Gut.
({1})
Ich finde, es ist eine Binsenweisheit, aber es muss immer
wieder gesagt werden: Die Bekämpfung der Piraterie ist
nicht allein durch militärische Maßnahmen möglich. Wir
müssen in Somalia und in dieser ganzen Region auch auf
der Landseite zu besseren Zuständen kommen.
Ich meine aber auch, dass es ein Umdenken bei den
Reedereien und Kapitänen geben muss; denn ein ganz
erheblicher Anteil der Schiffe, die diese Route befahren,
meldet sich überhaupt nicht an, nimmt nicht an Konvois
teil, und es ist sogar passiert, dass Kreuzfahrtschiffe dort
Urlaubsfahrten mit ihren Passagieren veranstaltet haben.
Ich finde, dies muss unmittelbar und unverzüglich gestoppt
werden;
({2})
denn es ist absurd, dort einen Abenteuerurlaub im Rahmen
einer Pauschalreise durchzuführen.
({3})
Erlauben Sie mir noch einen weiteren Hinweis: Das
Mandat für die Operation „Atalanta“ beinhaltet die bislang
weitestgehenden Einsatzregeln für einen Einsatz der
deutschen Marine. Deutschland hat dabei keine nationalen Einschränkungen der von der Europäischen Union
vorgeschlagenen Regelungen vorgenommen. Deutsche
Kommandanten können im Rahmen der delegierten
Befugnisse mit umfangreichen Gewaltmitteln gegen der
Piraterie verdächtige Personen und deren Fahrzeuge vorgehen. Sie können die Fahrzeuge bei einem hinreichenden Verdacht anhalten, durchsuchen und gegebenenfalls
beschlagnahmen.
Diese Regeln haben sich bewährt und bedürfen keiner
verfassungsrechtlichen Infragestellung bei uns. Dies
würde die Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebiet
nur verunsichern - und das wollen wir doch alle nicht. In
diesem Punkt sind weitere Diskussionen über die Verfassungsmäßigkeit nur kontraproduktiv.
Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen, dass es
unser aller Aufgabe ist, dass Somalia aus dem Randbereich unserer Betrachtung in den Fokus rückt, damit
wir in diesem Bereich in Zukunft mit weniger Militär
mehr Frieden gestalten können.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Adam von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Am 19. Dezember 2008 hat der Deutsche
Bundestag der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Mission „Atalanta“ zur Bekämpfung
der Piraterie vor der Küste Somalias zugestimmt.
In seiner Rede zur ersten Lesung des heute zu behandelnden Antrages hat Verteidigungsminister Dr. Jung
bereits angesprochen, dass die Operation „Atalanta“
insgesamt sehr erfolgreich ist. Seit Anfang dieses Jahres
haben vor der Küste von Somalia zwar weiterhin Angriffe
stattgefunden, aber wie in einem Bericht der Westeuropäischen Union zu lesen ist, ist die Zahl der erfolgreichen
Überfälle im Vergleich zum Vorjahr nur rund ein Zehntel
so groß. Dabei spielt die stärkere Präsenz der Patrouillenschiffe aus verschiedenen Staaten natürlich eine sehr entscheidende Rolle.
An dieser Stelle möchte ich einen herzlichen Dank
und eine Anerkennung für den Einsatz unserer Soldatinnen
und Soldaten am Horn von Afrika aussprechen.
({0})
Dass wir im Kampf gegen die Piraterie weiterhin
ernsthaft vorgehen müssen, wird insbesondere am Beispiel
des deutschen Containerfrachters „Hansa Stavanger“
deutlich. Der deutsche Frachter und seine Besatzung befinden sich nun schon seit fast elf Wochen in der Gewalt
von Piraten. Was dies für die betroffenen Unternehmen,
aber insbesondere für die entführte Besatzung und deren
Angehörige bedeutet, bedarf keiner erneuten Ausführun25196
gen. Bereits in meiner Rede zur Notwendigkeit einer
deutschen Beteiligung an der Operation „Atalanta“ bin
ich auf diese Problematik eingegangen.
Das Piratenproblem besteht weiterhin und bedarf zu
seiner Lösung erstens einer Anpassung des Operationsgebietes von „Atalanta“ - das wollen wir heute für die
deutschen Streitkräfte beschließen -, zweitens eines längeren Einsatzes - die Außenminister der 27 EU-Staaten
haben hierzu am Montag dieser Woche Verabredungen
getroffen - und drittens weiterer aufeinander abgestimmter Maßnahmen und Strategien.
Als Mitglied der Europäischen Versammlung für Sicherheit und Verteidigung der WEU habe ich mich mit meinen
Kollegen mit der Rolle der Europäischen Union im
Kampf gegen die Piraterie auseinandergesetzt. In der
Sitzung vom 1. bis 5. Juni 2009 in Paris haben wir unter
Federführung des Berichterstatters, unseres Kollegen
Kurt Bodewig, einen Bericht zur Rolle der EU bei der
Bekämpfung der Seeräuberei vorgelegt. Zu Beginn meiner
Rede hatte ich den WEU-Bericht kurz erwähnt.
Der Bericht wurde einstimmig verabschiedet. Darin
werden den EU-Mitgliedstaaten verschiedene Maßnahmen
und Strategien empfohlen, die für einen effektiven, aber
auch nachhaltigen Kampf gegen die Piraterie zu ergreifen
sind. Ich nenne einige dieser Maßnahmen: Es geht um
eine bessere Koordinierung aller beteiligten Seestreitkräfte. Zudem muss das Kommunikationsnetz mit teilnehmenden Drittländern verbessert werden. Die Zahl der
Sicherheitsteams - sogenannter Onboard Protection
Teams - an Bord durchfahrender ziviler Schiffe sollte erheblich erhöht werden. Die Verstärkung der Luftraumüberwachung zur See sowie zusätzliche Flugzeuge sind
wünschenswert. Kenia sollte bei der strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung der Piraten unterstützt werden.
Weiterhin sollte darüber nachgedacht werden, ob es in
Zukunft nicht besser wäre, die Einsätze zu See mit Aktivitäten zu Lande zu ergänzen bzw. zu begleiten.
Im Oktober dieses Jahres wird es in Griechenland ein
Seminar der EU/WEU zur Seesicherheit geben. Hier
wird von Fachleuten und Politikern der Istzustand beraten
und analysiert. Weitere Vorschläge zum Umgang mit der
Sicherheit auf See sind dann zu erwarten.
Sehr geehrter Herr Präsident, soweit man die Ereignisse vorausschauen kann, ist meine heutige Rede meine
letzte Rede im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.
Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: „Die Erinnerung
ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben
werden kann.“
Für mich wird es nach 19 Jahren Deutscher Bundestag viele Erinnerungen geben, für die ich dankbar bin.
Ich danke meinen Parteifreunden und Wählern, dass ich
19 Jahre hier an der Gestaltung der deutschen Einheit
mitarbeiten durfte. Ich danke meiner Frau Christiane und
meiner Familie, dass sie mich getragen haben. Ich danke
meinen Mitarbeitern für die Unterstützung und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich danke meinen Eltern.
Mein Vater hat mir weit vor der Wende immer wieder
gesagt: „Du erlebst noch die deutsche Einheit.“
Ich danke für die kollegiale Zusammenarbeit und die
Solidarität, die ich in den 19 Jahren hier erleben durfte,
insbesondere in meiner Fraktion und im Verteidigungsausschuss. Um im Militärischen zu bleiben: Ich melde
mich damit ab. Ich wünsche allen, die ihre Arbeit im
Parlament fortsetzen, viel Kraft, Erfolg, Gesundheit und
Gottes Segen.
Danke.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Groneberg
von der SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle auf die Hintergründe der Mission „Atalanta“ hinweisen. Auch wenn
es schwerfällt: Ich bitte Sie, für ein paar Minuten zuzuhören.
Eine wichtige Aufgabe der Mission „Atalanta“ ist es
- das ist heute mehrfach genannt worden -, für die Sicherheit der Schiffe des Welternährungsprogramms zu
sorgen. Wenn es in diesem Zusammenhang eine erfreuliche Nachricht gibt, dann ist es die, dass 30 Frachtschiffe
des UN-Welternährungsprogramms mit 200 000 Tonnen
Hilfsgütern sicher in die Häfen der Küste geleitet werden
konnten.
Herr Paech, ich empfinde es als zynisch, wenn man
dies als einzigen Erfolg ansieht; das möchte ich an dieser
Stelle einmal sagen. Ich denke, dass es noch andere Erfolge gibt. Dies ist aber ein großer Erfolg, der vor allen
Dingen für die Menschen, die auf Nahrungsmittelhilfe
angewiesen sind, lebensnotwendig ist.
({0})
Damit ist aber leider noch nicht sichergestellt, dass
die dringend benötigten Lebensmittel auch bei der notleidenden Bevölkerung ankommen. Warum ist das so?
Es liegt daran, dass die Überführung der Nahrungsmittel
in das Landesinnere Somalias sich äußerst schwierig gestaltet. Die Konvois des Welternährungsprogramms haben mit Belästigungen zu rechnen. Es wird Wegezoll
eingefordert, sie werden überfallen und einfach nicht in
Ruhe gelassen.
Die anarchischen Zustände, die im Land herrschen,
bringen es mit sich, dass kriminelle Gruppierungen die
Gelegenheit immer wieder nutzen, um die Konvois zu
attackieren und zu überfallen. An dieser prekären Sicherheitslage hat auch die neue Übergangsregierung bis
jetzt noch nichts ändern können. Dennoch haben wir Anlass zur Hoffnung. Denn die neue Übergangsregierung
bemüht sich glaubhaft darum, alle Konfliktparteien, insbesondere die religiösen Gruppierungen, in einen politischen Dialog einzubeziehen.
Abgesehen von Teilen Mogadischus verfügt die Übergangsregierung allerdings über keine effektive Gewalt
über ihr Territorium. Erst Anfang Mai dieses Jahres haGabriele Groneberg
ben radikalislamische Milizen eine erneute Offensive
gegen die gegenwärtige Übergangsregierung gestartet.
Das ist das eigentliche Problem, vor dem wir stehen.
Bis jetzt gehören Gewalt, Entführungen und Mord
zum Alltag der Somalis. 1,3 Millionen Menschen sind
Binnenflüchtlinge. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung
sind auf Nahrungsmittelhilfen und auf humanitäre Hilfe
angewiesen. Wir stellen durch diese Mission unter anderem sicher, dass Nahrungsmittel zu den Menschen gelangen.
Die Zustände in den Flüchtlingslagern sind katastrophal. Somalia ist mittlerweile eines der Schwerpunktländer deutscher humanitärer Hilfe. Es ist aufgrund der Sicherheitslage aber schwierig, Projekte tatsächlich zu
Ende zu führen. Das BMZ hat im letzten Jahr 3 Millionen
Euro für Projekte zur Verfügung gestellt. In diesem Jahr
sind Mittel in Höhe von 4,2 Millionen Euro eingeplant.
Nichtsdestotrotz verändern wir die Strukturen dadurch nicht; das ist uns sehr wohl bewusst. Die Strukturen im Land werden sich erst verändern, wenn der Wiederaufbau tatsächlich beginnt. Der Wiederaufbau kann
aber nur gelingen, wenn es eine Regierung gibt, die in
der Lage ist, staatliche Gewalt gegen Kriminelle auszuüben. Dabei haben wir die Übergangsregierung zu unterstützen.
Erst wenn die politischen Akteure vor Ort das Heft
des Handelns wieder in der Hand haben und erst wenn
die Voraussetzungen für die Umsetzung eines verlässlichen Friedensabkommens geschaffen werden, können
wir an eine bilaterale Entwicklungszusammenarbeit denken. Dies kann die Grundlage dafür schaffen, den kriminellen Handlungen - unter anderem auch der Piraterie den Boden zu entziehen.
({1})
Herr Paech, es gibt nicht nur das Fischereiproblem.
Es gibt auch andere Dinge, die eine große Rolle spielen.
Leider habe ich jetzt nicht mehr die Zeit, auf diesen
Punkt einzugehen; ansonsten würde ich das gern tun.
Somalia ist trotz der Debatte um die Piraterie kein
Land, das die Nachrichten beherrscht. Wir haben dafür
zu sorgen, dass die Not leidende Bevölkerung in Somalia nicht vergessen wird. Wir müssen das Unsrige tun.
Was wir zurzeit machen können, ist, für die Sicherheit
der Konvois der Nahrungsmittelhilfe zu sorgen, damit
diese zur Bevölkerung gelangen kann. Dauerhafte Hilfe,
die wir leisten wollen, ist von einer Stabilisierung der
Binnenstruktur des Landes und einer handlungsfähigen
Regierung abhängig.
Ich bedanke mich.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung auf Anpassung des Einsatzge-
bietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation „Atalanta“
zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13393, den Antrag der Bundesregie-
rung auf Drucksache 16/13187 anzunehmen. Über diese
Beschlussempfehlung stimmen wir nun namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.1)
Wir fahren mit der Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge von Bündnis 90/Die Grünen fort. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache
16/13474? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dafür ge-
stimmt, die Koalitionsfraktionen haben dagegen ge-
stimmt, FDP und die Linke haben sich enthalten.
Jetzt kommen wir zum Entschließungsantrag auf
Drucksache 16/13475. Wer stimmt dafür? - Dagegen? -
Enthaltungen? - In diesem Fall hat die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen dafür gestimmt, die Koalitionsfrak-
tionen und die Fraktion Die Linke haben dagegen ge-
stimmt, die FDP-Fraktion hat sich enthalten.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Miriam Gruß, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Seniorinnen und Senioren in Deutschland
- Drucksachen 16/8301, 16/10155 -
Hierzu war eine halbe Stunde Debatte vorgesehen.
Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben, und zwar Johannes Singhammer, Angelika
Graf, Wolfgang Spanier, Sibylle Laurischk, Elke Reinke,
Britta Haßelmann und der Parlamentarische Staatssekretär
Hermann Kues.2)
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Vertrag vom 3. September 2008 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Königreich Dänemark über eine Feste
Fehmarnbeltquerung
- Drucksache 16/12069 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 16/13261 -
1) Ergebnis siehe Seite 25198 D
2) Anlage 28
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/13268 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Carsten Schneider ({2})
Dr. Claudia Winterstein
Anna Lührmann
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Eine halbe Stunde Aussprache ist vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich gebe als Erstem Wolfgang Tiefensee für die Bundesregierung das Wort.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Europa wächst zusammen. Dabei spielt die Ertüchtigung der Infrastruktur eine entscheidende Rolle.
Wir verhandeln heute über einen Sachverhalt, der für das
Zusammenwachsen Europas, insbesondere in der NordSüd-Relation, von eminenter Bedeutung ist. 19 Kilometer Belt sollen mit einem Brückenschlag, der Festen Fehmarnbelt-Querung, überwunden werden. Damit können
wir Skandinavien enger an Mitteleuropa anbinden; wir
können die Rolle der Schiene in dieser Relation stärken.
Es ist uns gelungen, in den letzten Monaten und Jahren auf der Basis des Koalitionsvertrages umfangreiche
Verhandlungen mit dem Königreich Dänemark zu führen. Wir haben die Zeit seit 2006 genutzt, um gründlich
abzuwägen, wie es bei diesem Projekt um das Verhältnis
von Risiken und Nutzen bestellt ist. Im Fazit können wir
heute eine weitere Etappe beginnen, die Planung weiter
vorantreiben, mit dem Ziel, diesen Brückenschlag, diese
Verbindung im Jahr 2018 zu realisieren.
Die Eckpunkte des Vertrages sind Ihnen bekannt; im
Wesentlichen sind es die folgenden: Das Königreich Dänemark und die Bundesrepublik Deutschland verständigen sich darauf, dass dieses Projekt gemeinsam vorangetrieben wird. Das Königreich Dänemark trägt die
Planung, den Bau, den Betrieb und die Finanzierung der
Brücke ab dem Pfeiler auf deutschem Hoheitsgebiet.
Deutschland ist allein für die Hinterlandanbindung auf
deutschem Gebiet zuständig. Ich denke, damit haben wir
ein sehr gutes Ergebnis erreicht.
({0})
Ich bin mir bewusst, dass es an dem Vorhaben Kritik
gibt.
({1})
So haben wir die vergangene Zeit genutzt, vor Ort, aber
nicht nur dort, allen, die gefragt haben, Auskunft zu geben und umfangreich über die Fragen der Sicherheit, der
Kosten und insbesondere der Umweltbelastung zu diskutieren. Sie wissen, dass das Königreich Dänemark als
Auftraggeber im Wesentlichen die Planung vorantreibt.
Wegen der Öresund-Querung und der Querung des Großen Belts verfügt Dänemark über einen reichen Erfahrungsschatz, sodass ich davon ausgehe, dass die Querung plangemäß, auf höchstem Niveau und unter
Beachtung der höchsten Umwelt- und Sicherheitsstandards errichtet werden wird. Setzen wir dieses Projekt
gemeinsam in Gang! Es soll Europa näher zusammenbringen. Wir brauchen diese Infrastruktur. Machen Sie
den Weg dafür frei!
Vielen Dank.
({2})
Ich komme zum vorherigen Tagesordnungspunkt, zu
dem Antrag auf Anpassung des Einsatzgebietes für die
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation „Atalanta“ zur Bekämpfung der
Piraterie vor der Küste Somalias - das sind die Drucksachen 16/13187 und 16/13393 -, zurück und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt: Abgegeben wurden 527 Stimmen. Mit Ja haben
gestimmt 475 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt
42, 10 haben sich enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 527;
davon
ja: 475
nein: 42
enthalten: 10
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Vizepräsidentin Katrin Göring-Ec
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Dr. Kristina Köhler
({8})
Manfred Kolbe
kardt
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({20})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({23})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({24})
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
({25})
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Vizepräsidentin Katrin Göring-Ec
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({33})
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({34})
Michael Roth ({35})
Ortwin Runde
Axel Schäfer ({36})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Silvia Schmidt ({37})
Renate Schmidt ({38})
Heinz Schmitt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
kardt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({42})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({43})
Heidi Wright
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({44})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({45})
Miriam Gruß
Joachim Günther ({46})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({47})
Dr. Erwin Lotter
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({48})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({49})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({50})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Priska Hinz ({51})
Thilo Hoppe
Undine Kurth ({52})
Markus Kurth
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({53})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Rainder Steenblock
Jürgen Trittin
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
SPD
Dr. Wolfgang Wodarg
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Barbara Höll
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Wolfgang Nešković
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({54})
({55})
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Monika Lazar
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
SPD
Gregor Amann
Petra Hinz ({56})
Detlef Müller ({57})
Dr. Rainer Tabillion
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Josef Philip Winkler
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich komme zu unserer Debatte zurück und erteile dem
Kollegen Patrick Döring für die FDP-Fraktion das Wort.
({58})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Debatte, die wir heute führen - ich
bin sehr dankbar dafür, dass wir sie heute bei fast noch
größerer Präsenz als bei manch verkehrspolitischer Debatte am Nachmittag führen können -, wird aufzeigen,
dass heute ein richtiger Schritt getan wird, wenn die
Mehrheit des Hauses - daran wird auch die FDP-Fraktion mitwirken - mit diesem Gesetzentwurf den Staatsvertrag ratifiziert. Neben der späten Stunde und der hohen Präsenz gibt es noch eine dritte Neuigkeit: Ich habe
diesmal nichts an der Rede des Bundesverkehrsministers
zu kritisieren. Das ist bislang selten genug vorgekommen.
({0})
Zunächst aber möchte ich Ihnen mit Erlaubnis der
Frau Präsidentin folgende Sätze vorlesen. Ich bedanke
mich ausdrücklich beim Kollegen Koppelin, dass er mir
das soeben noch aus seinem umfangreichen Archiv zur
Verfügung gestellt hat. Es handelt sich um eine Ausführung vom 13. Dezember 1999. Ich zitiere: die Verkehrsverbindungen nach Skandinavien, sowohl die festen Verbindungen wie die Fähren und Schifffahrtslinien, haben
für Schleswig-Holstein strategische Bedeutung. Die
feste Querung des Fehmarnbeltes kann zur Bewältigung
der zukünftigen Verkehrsaufkommen beitragen. Die im
Auftrag der dänischen und deutschen Regierung erstellten Gutachten besagen, die feste Querung ist unter den
angenommen Prämissen technisch machbar, verkehrlich
sinnvoll und hat einen gemeinschaftlichen Nutzen.“ - Das
ist kein Zitat aus einer der Reden von Jürgen Koppelin
zu diesem Thema, das ist ein Zitat aus der Presseinformation des Landesverbands der schleswig-holsteinischen SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, SchleswigHolstein; denn seinerzeit hatte das schleswig-holsteinische Landeskabinett, das der Kollege Steenblock mit genießen und dem er angehören durfte, diese gemeinsame
Stellungnahme auf den Weg gebracht.
({1})
Weil die Rednerreihenfolge, geschätzter Herr Kollege,
so ist, wie sie ist, muss ich das alles vor der Rede, die Sie
vortragen werden, sagen, damit Sie erklären können,
was sich an dieser Einschätzung geändert hat.
Gelegentlich wird in der Debatte über die Frage,
wann die feste Querung umgesetzt wird, der Eindruck
erweckt, dass mit dem heutigen Beschluss schon morgen
die Bagger rollen. Dem ist, wie wir alle wissen, nicht so.
Ich bin dem Bundesverkehrsminister dankbar, dass er etwas klargestellt hat, was auch für die FDP-Fraktion in
dieser Frage entscheidend ist: Mit der Entscheidung
heute ist der Weg frei für ein geordnetes Planfeststellungsverfahren, für umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfungen, für eine intensive Bürgerbeteiligung sowie für politisches Handeln der Landesregierung, der
Bundesregierung und der Mehrheit im 17. Deutschen
Bundestag, um die Schienen- und Straßenverbindung im
Anschluss an die feste Querung dann auch so zu planen,
dass sie verkehrlich sinnvoll ist und die Umweltbelange
berücksichtigt und dass wir dabei mit den Bundesmitteln
optimal umgehen. All dies werden wir tun können, und
ich sage für die FDP-Fraktion: Auch daran werden wir
uns sehr konstruktiv beteiligen. Gemeinsam werden wir
dies schaffen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
Weil ich weiß, dass gelegentlich die Berichte des
Bundesrechnungshofs von der einen oder anderen Seite
des Hauses mehr oder weniger berücksichtigt werden,
erlaube ich mir an dieser Stelle folgenden Hinweis:
Wenn in einem Bericht des Bundesrechnungshofs fast
ausschließlich mit Spekulationen und Annahmen gearbeitet wird,
({3})
um ein Projekt so zu rechnen, wie es einem vielleicht gefällt, dann muss die Politik am Ende - Herr Heilmann,
das ist dann vielleicht der Unterschied - die Kraft haben,
die Argumente auch eines Bundesrechnungshofs ganz
sachlich zu bewerten. Ich bleibe dabei: Die Risiken für
zukünftige Bundeshaushalte sind in der Bewertung überschätzt. Ich bleibe ferner dabei: Dieses Haus hat in der
17. und vielleicht auch noch in der 18. Wahlperiode alle
Chancen, bei der Realisierung dieser Hinterlandanbindung optimal mit Steuergeldern umzugehen.
({4})
Aus einem allerdings, geschätzter Herr Minister
Tiefensee, kann ich die Bundesregierung und auch alle
zukünftigen Bundesregierungen nicht entlassen: Mit der
Ratifizierung, die heute auch mit der Unterstützung der
FDP-Fraktion für dieses Gesetz erfolgt, muss die konzeptionelle Arbeit an der zugesagten Hinterlandanbindung beginnen. Wir müssen dann für die nächste Wahlperiode schnellstmöglich die offenen Fragen, die die
Region, aber auch den optimalen Einsatz von Steuermitteln betreffen, lösen.
({5})
Das erwarten wir dann allerdings auch für den 17. Deutschen Bundestag. Ich hoffe, dass mit diesem Startschuss
das Projekt weiter gut vorankommen wird.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({6})
Der Kollege Gero Storjohann spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach fast 20 Jahren Planung, nach Gutachten, nach umfangreichen Verhandlungen, Herr Minister Tiefensee,
und schließlich nach der Bereitschaft unserer dänischen
Nachbarn, den Bau einer festen Querung über den Fehmarnbelt letztlich alleine zu gewährleisten, können wir
heute diesem so wichtigen und erfolgversprechenden
Projekt endlich und endgültig grünes Licht geben.
({0})
Der Bau der Festen Fehmarnbelt-Querung ist ein sichtbares Zeichen für die Überwindung des Trennenden und
Ausdruck der gemeinsamen europäischen Verantwortung für gute Nachbarschaft, für ein friedliches Miteinander und letztendlich für Wachstum und Wohlstand
für alle.
Die deutliche Mehrzahl aller Studien kommt klar zu
einem positiven Ergebnis. Auch in der Anhörung im
Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages am
6. Mai hat sich die Mehrzahl der anwesenden Experten
nochmals deutlich für das Projekt ausgesprochen.
Exemplarisch gehe ich nun auf drei Bereiche ein: auf
den ökonomischen Nutzen des Projekts, auf die nachgewiesene Umweltverträglichkeit und auf Aspekte der Verkehrssicherheit, insbesondere des Schiffsverkehrs.
Die feste Querung wird die Metropolregionen Hamburg und Öresund enger zusammenrücken lassen. Die
Öresund-Region ist eine überaus erfolgreiche Wirtschaftsregion. Etwa ein Viertel des dänischen und
schwedischen Bruttoinlandsprodukts wird hier erwirtschaftet. Im Bereich Wissenschaft und Forschung gehört
sie zu den führenden Zentren Europas. Dieser Erfolg
liegt nicht zuletzt an der Öresund-Brücke. Mit der Festen
Fehmarnbelt-Querung können wir nun die leistungsstarke Öresund-Region mit der ebenso starken Metropolregion vernetzen. Das beinhaltet enorme Chancen für
mehr Innovation, Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze für
die Region selbst, also auch für mein Heimatland
Schleswig-Holstein, und darüber hinaus für ganz Nordeuropa.
Umso erfreulicher ist, dass für die Kosten der Querung der dänische Staat hauptverantwortlich ist. Dänemark will die Finanzierung über ein Staatsgarantiemodell und über EU-Zuschüsse absichern und dann
gemeinsam mit privaten Investoren Planung, Bau, Finanzierung und Betrieb im Rahmen eines PPP-Projektes
übernehmen. Die EU fördert den Bau als wichtiges Verkehrsinfrastrukturprojekt von gesamteuropäischer Bedeutung. Bereits bevor der Bundestag die Ratifizierung
vollzogen hatte, sind aus dem EU-Programm TEN
335 Millionen Euro bewilligt worden. Auch für die
TEN-Perioden ab 2014 sind Zuschüsse in Aussicht gestellt. Wir, Deutschland, tragen die Kosten für die Hinterlandanbindungen auf eigenem Gebiet. Das sind Verbindungen, für die der Bund sowieso mittelfristig
aufkommen müsste.
Wenn gelegentlich behauptet wird, der Bundesrechnungshof habe sich im Zusammenhang mit dieser Hinterlandanbindung gegen den Bau einer Festen Fehmarnbelt-Querung ausgesprochen, so ist das schlicht falsch;
vielmehr hat der Bundesrechnungshof auf noch offene
Fragen hingewiesen, die uns als Fachpolitikern selbstverständlich bekannt sind. Umfang und Ausgestaltung
der Hinterlandanbindung können noch gar nicht abschließend beurteilt werden. Das muss erst abgestimmt
werden, gerade mit den Menschen und Kommunen vor
Ort. Darum können auch die Kosten der Hinterlandanbindung noch nicht exakt beziffert werden. Sobald sich
diese Vorhaben konkretisieren - wir möchten gerne eine
neue Schienenanbindung haben -, werden dem Deutschen Bundestag umgehend die Kosten der Hinterlandanbindung mitgeteilt werden. Dafür steht der Rechnungsprüfungsausschuss mit seinem Beschluss in dieser
Woche ein.
({1})
Darüber hinaus führt die feste Querung über den Fehmarnbelt zu effizienteren Verkehrsströmen - das ist nur
zu begrüßen - und damit auch zu einer Abnahme von
Schadstoffemissionen. Damit hat diese Querung nachhaltige Vorteile für Klima und Umwelt. Die Strecke
Hamburg-Kopenhagen wird um 140 Kilometer verkürzt.
Wir reden immer von der notwendigen Verlagerung
des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Derzeit kann kein einziger Güterzug auf der Vogelfluglinie
verkehren, da die Verladeeinrichtungen bei Rödby abgebaut worden sind. Nach Fertigstellung einer festen Querung wird dies nicht nur prinzipiell möglich sein; vielmehr wird die Weg- und Zeitersparnis den Güterverkehr
auf der Schiene förmlich explodieren lassen.
({2})
Jeder, der bislang eine Stärkung des Schienengütertransportes gefordert hat - da war der Kollege
Steenblock aus Schleswig-Holstein immer vorneweg -,
muss eigentlich ein glühender Anhänger einer Festen
Fehmarnbelt-Querung sein.
({3})
Auch die Sicherheit des Schiffsverkehrs ist ständiger
Bestandteil von Untersuchungen. Unter Beteiligung
deutscher und dänischer Behörden wurde für eine Brückenvariante bereits eine fundierte Risikoabschätzung
nach den Richtlinien der IMO erarbeitet. Die so gewonnenen Ergebnisse werden seit März 2009 mithilfe einer
Simulation überprüft und ergänzt. Ein ähnliches Verfahren hinsichtlich einer Tunnellösung ist in Arbeit. All die
gewonnenen Erkenntnisse werden bei der Umsetzung
des Projekts berücksichtigt werden.
Außerdem weise ich ausdrücklich auf die Relationen
zu anderen Wasserstraßen hin: Der Nord-Ostsee-Kanal
ist 160 Meter breit. Mit 42 000 Schiffspassagen und
105 Millionen Tonnen Ladung gehört er zu den weltweiten Spitzenreitern unter den künstlichen Wasserstraßen.
Mit heutigen Brückenkonstruktionen können zwischen
den Pfeilern Durchfahrten erreicht werden, die ein Vielfaches der Breite des Nord-Ostsee-Kanals aufweisen.
Wir können also feststellen: Das Projekt zum Bau der
Festen Fehmarnbelt-Querung musste sich in vielen Studien und Modellrechnungen bewähren, und es hat sich
bewährt. Dennoch gehen die Untersuchungen weiter. Es
wird ergebnisoffen geprüft, ob eher der Bau eines Tunnels oder einer Brücke geeignet ist und in welcher Form
das jeweils konzipiert werden könnte. Eine endgültige
Entscheidung ist, bedingt durch die hohen und genauen
Prüfanforderungen - das weiß jeder im Saal -, erst im
Jahr 2012 vorgesehen.
Nun geht es darum, den Staatsvertrag zwischen
Deutschland und Dänemark durch ein klares Votum des
Deutschen Bundestages rechtskräftig zu machen und damit auch für die weiteren Prüfverfahren Planungssicherheit herzustellen. Kurz: Wir werden heute das wichtigste
europäische Verkehrsinfrastrukturprojekt der letzten
Jahrzehnte auf ein stabiles Fundament stellen.
Die Feste Fehmarnbelt-Querung schließt die bisher
fehlende Verbindung zwischen Mittel- und Nordeuropa.
Die Metropolregion Hamburg und die erfolgreiche
Öresund-Region werden zusammenwachsen, und zwar
in der bewusst doppelten Bedeutung: Sie kommen sich
näher, und sie entwickeln sich gemeinsam weiter.
Die Idee eines zusammenwachsenden Europas, von
wegfallenden Grenzlinien, von einem gemeinsamen
Binnenmarkt und vom freien Verkehr von Personen,
Gütern und Dienstleistungen, ist unser Ziel. Hier wird
Europa konkret gestaltet; denn es wächst zusammen,
was zusammen gehört.
({4})
Lutz Heilmann hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Brückenschlag in die Provinz“ - so lautet die Überschrift eines Spiegel-Artikels von dieser Woche. Alle Argumente pro und kontra Feste Fehmarnbelt-Querung
sind dort aufgeführt. Bei vernünftiger Abwägung müssten auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, CDU/CSU und auch von der FDP, zu dem Entschluss kommen, diese Entscheidung heute nicht zu treffen.
({0})
Die Vernunft müsste Ihnen sagen: Keine Ratifizierung
des Staatsvertrages. Aber diese Vernunft werden Sie
heute nicht walten lassen. Sie werden, wie von Anfang
an offensichtlich gedacht, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Ratifizierung durch den Bundestag peitschen.
({1})
Sie stellen einen Blankoscheck ins Ungewisse aus;
denn Sie wissen bis heute nicht, was das Projekt insgesamt kosten wird. Das hat der Bundesrechnungshof eindeutig festgestellt: Dieser Staatsvertrag enthält so viele
Unwägbarkeiten, dass der Bundesrechnungshof nicht
empfiehlt, ihn jetzt zu ratifizieren. Nehmen Sie diese
Warnung, wenn Sie schon nicht auf uns hören, ernst.
Aber was machen Sie? Augen zu und durch!
({2})
Dafür dürfen notfalls unsere Kinder und Enkelkinder
zahlen.
Nachhaltige Politik sieht anders aus. Anstelle von
Einsicht steht bei Ihnen die Suche nach Argumenten für
diese monströse Brücke. In den Lübecker Nachrichten
finden Sie heute dazu eine kleine Auswahl. Dort werden
Ausflugsfahrten zur Brücke in Aussicht gestellt. Super!
Früher gab es Butterfahrten auf der Ostsee, nun gibt es
Butterfahrten zur Brücke.
({3})
Wissen Sie: Mir sind Touristen, die ein oder zwei Wochen Dauerurlaub auf Fehmarn machen und die Natur
und die Insel Fehmarn genießen, tausendmal lieber als
sogenannte Butterfahrten.
Sie versprechen einen grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt. Super! Durch die Fehmarnbelt-Querung kommen
für Arbeiterinnen und Arbeiter Hunderte Kilometer Arbeitsweg hinzu, und das in Zeiten des Klimawandels.
Danke schön für die Reduzierung des Schadstoffausstoßes!
({4})
Sie versprechen neue Gewerbegebiete. Super! Wie
sieht es mit Ihrem Ziel aus, den Flächenverbrauch von
derzeit 100 Hektar pro Tag auf 30 Hektar zu reduzieren?
Was ist denn Ihre Nachhaltigkeitsstrategie wert, wenn
sie nur dazu dient, dass die Kanzlerin auf Umweltkonferenzen schöne Reden halten kann? So sieht Ihre praktische Politik aus.
Sie wollen das Miteinander von Dänen und Deutschen stärken. Super! Die Tatsache, dass die Leute mindestens 60 Euro hinlegen müssen, um zusammenzukommen, zeigt mir, für wen die Brücke gebaut wird.
({5})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Die Zustimmung zur
Festen Fehmarnbelt-Querung ist für mich Sozialraub,
Naturraub und Wirtschaftsraub.
({6})
Sie nehmen den Menschen Arbeit, Perspektiven und
eine lebenswerte Umwelt. Sie stürzen eine der ärmsten
Regionen Schleswig-Holsteins in noch größere Armut.
Wollen Sie das wirklich verantworten? Ich nicht. Deshalb meine Aufforderung an Sie: Blasen Sie das Projekt
ab!
Die Milliarden können woanders besser verwandt
werden. Ich nenne beispielsweise die Verbesserung des
Fährverkehrs durch neue, schnellere und umweltverträglichere Fähren. Auch die Zugverbindung nach Puttgarden muss verbessert werden. Da stimme ich Ihnen, Herr
Kollege Storjohann, zu. Aber dazu ist es wichtig, dafür
zu sorgen, dass sich die Menschen keine Sorgen machen
müssen. Herr Kollege Döring, ich weiß nicht, ob Sie Ihre
Position mit der Timmendorfer FDP abgestimmt haben.
Sie hat nämlich angekündigt, dass sie keine Plakate zum
Bundestagswahlkampf aufhängt, wenn das so weitergeht.
({7})
Es gibt noch weitere Strecken in Schleswig-Holstein,
die durchaus einen Ausbau vertragen würden. Ich nenne
zum Beispiel die Strecke Kiel-Lübeck. Eine Entfernung
von 80 Kilometern wird in anderthalb Stunden zurückgelegt. Der ICE von Berlin nach Hamburg braucht für
284 Kilometer ungefähr die gleiche Zeit.
Zum Schluss noch einmal an Sie die Aufforderung:
Seien Sie vernünftig! Lassen Sie Vernunft walten! Lassen Sie die Finger von dieser Brücke! Für die Entwicklung Fehmarns und Ostholsteins brauchen wir Intelligenz und keinen Beton.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Jetzt hat das Wort der Kollege Rainder Steenblock.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist toll, dass meiner Biografie so viel Wertschätzung
entgegengebracht wird. Kollege Döring, ich kann die Sache gerne aufklären. Das Problem ist sicherlich, dass Sie
wahrscheinlich noch im Kindergarten waren, als die
FDP das letzte Mal in der Regierung war.
({0})
Ich will Ihnen persönlich gar nicht vorwerfen, dass Sie
nicht wissen, wie Koalitionen gemacht werden und dass
Regierungspolitik etwas anders aussieht als Parteipolitik.
({1})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden, Herr Kollege
Döring.
Trotz all Ihrer Bemühungen haben Sie kein einziges
Zitat von mir gefunden, das Ihre Behauptung untermauert. Ich habe als Minister reichlich Ärger bekommen, als
ich sowohl gegen die A 20 als auch gegen die Fehmarnbelt-Querung demonstriert habe. Das hat im Kabinett zu
erheblichen Problemen geführt. Ich habe mir in meinem
persönlichen Kampf gegen diese Projekte nichts vorzuwerfen. Ich finde, das sollten Sie bei all Ihren Angriffen
auch honorieren.
({2})
Manchmal war mir diese Debatte ein wenig zu lustig.
Die Fehmarnbelt-Querung ist das größte Verkehrsprojekt
Nordeuropas, eines der größten Europas überhaupt.
({3})
Es geht um 8 Milliarden Euro. Man darf also nicht wie
kleine Kinder Brücken bauen und ein bisschen Verkehr
spielen. Denn für die Milliarden von Steuergeldern sind
wir verantwortlich. Dieses Geld stecken Sie in ein einziges Projekt. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieses Projekts ist so schlecht wie bei keinem anderen Verkehrsprojekt im Bundesverkehrswegeplan.
({4})
Das Problem ist, dass Sie ein Projekt durchsetzen wollen, das von allen Wissenschaftlern, die das Kosten-Nutzen-Verhältnis untersucht haben, infrage gestellt wird.
Es ist unverantwortlich, dass Sie so viel Geld verbrennen.
({5})
Wenn Sie sagen, dass das Risiko aufgrund geschickter
Verhandlungen auf die Dänen abgewälzt wurde - die
Dänen tragen jetzt ein Risiko in Höhe von 8 Milliarden
Euro -, dann zeigt das, dass Sie diesem Projekt nicht
trauen. Sie wollen die bundesrepublikanischen Steuerzahler mit 2 Milliarden Euro für eine Hinterlandanbindung belasten, obwohl Sie diesem Projekt nicht trauen.
({6})
Was ist das für eine Verantwortung, die Sie da übernehmen?
({7})
Das können Sie, lieber Herr Kollege Börnsen, vor Ihren
Wählern und den Steuerzahlern nicht verantworten. Dieses Projekt ist grottenschlecht, was die verkehrliche Nutzung angeht.
({8})
Das Ganze hat auch eine ökologische Dimension. Sie
wissen genau, wie das auf der Ostsee aussieht.
({9})
Nein. - Der Kollege Storjohann hat uns etwas zur Sicherheit der Schiffe im Vergleich zum Nord-Ostsee-Kanal vorgelesen. Wir haben im Bereich der Kadetrinne
66 000 Schiffe im Jahr. Das kann man überhaupt nicht
vergleichen. Auf dem Nord-Ostsee-Kanal gibt es eine
ganze Reihe von Unfällen. Wenn die Schiffe in die Böschung fahren, ist das schlimm genug. Aber wenn
Schiffe gegen einen Pfeiler dieser Brücke auf der Ostsee
fahren, hat das eine ganz andere Dimension. Sie vergleichen hier wirklich Äpfel und Birnen. Das zeigt, dass Sie
wenig Ahnung von dem Problem haben.
({0})
Sie möchten keine Zwischenfrage von Herrn
Koppelin zulassen?
Ich lasse die Zwischenfrage gerne zu.
Herr Koppelin, bitte schön.
Vielen Dank, Kollege Steenblock. Ich habe nach Ihrem Redebeitrag nur eine kurze Frage. Der Herr Kollege
Patrick Döring hat auf eine Presseerklärung der beiden
Landtagsfraktionen aufmerksam gemacht, aus der hervorgeht, dass Sie im Kabinett zugestimmt haben. Sie waren stellvertretender Ministerpräsident. Wenn man etwas
nicht will, muss man im Kabinett ja nicht unbedingt zustimmen. Sie haben aber zugestimmt. Das war ein Kabinettsbeschluss, der auch im Landtag vertreten wurde. Ich
möchte jetzt gerne von Ihnen wissen: Wann sind Ihnen
denn zum ersten Mal Bedenken gekommen, nachdem
Sie damals im Kabinett als stellvertretender Ministerpräsident zugestimmt haben?
Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Meine Bedenken
bestanden bereits sehr viel früher.
({0})
- Das ist doch eine alberne Debatte. Sie wissen, wie Regierungskoalitionen funktionieren. Nein, Sie wissen es
nicht, weil Sie in Schleswig-Holstein noch nie regiert
haben. Wir haben das öffentlich diskutiert, und ich habe
sehr deutlich gemacht, dass wir an einer solchen Frage
die Koalition nicht scheitern lassen. Aber dass das genauso ein Projekt ist wie der Transrapid oder die A 20,
haben wir in den Debatten in der schleswig-holsteinischen Landesregierung immer sehr deutlich gemacht.
Mir persönlich können Sie da ganz bestimmt keine Wackelei vorwerfen. Lieber Kollege, ich kann ja verstehen,
dass Sie Ihr schlechtes Gewissen, was den Umgang mit
Steuergeldern angeht - ({1})
- Doch, natürlich! Sonst würden Sie nicht diese Dinge
aus der Vergangenheit hervorziehen, obwohl Sie wissen,
wie Koalitionen funktionieren. Unsere damalige Argumentation war fast die gleiche wie heute. Nur geht es
heute um ein paar Milliarden Euro mehr. Die Kosten haben sich dramatisch verändert. Auch die ökologischen
Rahmenbedingungen sind deutlich verändert. Schon damals ist das Gebiet hinterher als Schweinswalschutzgebiet ausgewiesen worden. Die ökologischen Barrieren
sind höher geworden. - Lieber Kollege Koppelin, Sie
können sich jetzt wieder setzen; ich bin fertig mit der
Antwort auf Ihre Frage.
Ich würde aber gerne noch einmal deutlich machen,
worum es uns heute geht. An dem Entschließungsantrag,
über den wir heute debattieren, Kollege Koppelin, können Sie erkennen, dass es uns unter anderem darum geht,
dass heute keine Entscheidung gefällt wird. Denn der
Bundestag soll heute - das hat auch der Kollege
Heilmann gesagt - über die Fehmarnbelt-Querung entscheiden, eines der größten Verkehrsprojekte, obwohl
wir nur wissen, dass sich dieses Projekt nicht rechnet.
Vieles andere wissen wir nicht. Wir wissen nicht einmal,
wo in Schleswig-Holstein die Trasse für die Hinterlandanbindung sein soll. Wir wissen nicht, was das
Ganze kostet. Wir wissen nicht, ob es ein Tunnel oder
eine Brücke wird. Sie entscheiden heute in einem Staatsvertrag über ein Projekt, das Sie nicht kennen, über eine
Trassenstruktur, die Sie nicht kennen,
({2})
über Kosten, die Sie nicht kennen. Sie wollen entscheiden, obwohl Sie wissen, dass dahinter wahrscheinlich
Milliardensummen stehen.
Dazu - das möchte ich gern einmal zitieren - hat der
Bundesrechnungshof gesagt:
Der Bundesrechnungshof hält die Art der Darstellung der Kosten gegenüber dem Parlament für nicht
angemessen. Diese Vorgehensweise des Bundesministeriums …
- für Verkehr wird weder der Bedeutung dieses internationalen
Vorhabens noch dem Anspruch an eine transparente
Information des Gesetzgebers gerecht.
Weiter heißt es:
Der Bundesrechnungshof hält abschließend daran
fest, dass eine transparente aktuelle Information des
Parlaments über die aus jetziger Sicht zu erwartenden finanziellen Belastungen geboten ist.
All das legen Sie nicht vor.
({3})
Sie muten diesem Parlament eine Entscheidung zu, die
dem Wissensstand des Parlaments zwangsläufig nicht
entsprechen kann. Sie entscheiden ohne Not heute über
ein Milliardenprojekt. Ich finde, das können Sie nicht
verantworten.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja. - Ohne Not entscheiden Sie heute. Unser Entschließungsantrag geht dahin,
Herr Kollege!
- eine fundierte Entscheidung in die nächste Legislaturperiode zu übertragen. Sie wollen das heute durchpeitschen. Das ist mit uns nicht zu machen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach den beiden letzten Vorrednern möchte ich zum
sachlichen Kern der heutigen Debatte zurückkehren.
({0})
Worum geht es heute? Wir beraten heute in zweiter
und dritter Lesung die Ratifizierung des Staatsvertrages
zwischen dem Königreich Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland zum Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung. Es handelt sich um das wichtigste europäische Verkehrsprojekt in dieser Zeit. Mit einer festen
Querung des Fehmarnbelts rückt Europa wieder ein
Stück näher zusammen. Wir sollten darin zuallererst eine
Chance sehen, obwohl die Realisierung noch einige
Jahre in Anspruch nehmen wird. Eine feste Fehmarnbelt-Querung eröffnet der wirtschaftlichen Entwicklung
des gesamten Ostseeraums neue Potenziale. Nicht nur
Skandinavien, sondern auch der norddeutsche Raum
werden davon profitieren.
({1})
Eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist die
Grundvoraussetzung für Wirtschaftsentwicklung und
Warenaustausch im EU-Binnenmarkt. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt daher ausdrücklich den Staatsvertrag als Basis für weitere Untersuchungen und Planungen zur Errichtung einer festen Querung.
({2})
Dass von einer festen Fehmarnbelt-Querung ein nachhaltiger Anstoß für die wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit in der westlichen
Ostseeregion ausgehen kann
({3})
- ich habe Ihnen auch zugehört, Herr Steenblock -, beweist die vor wenigen Tagen verabschiedete Lübecker
Erklärung. Lesen Sie diese doch einmal durch, Herr
Steenblock.
({4})
Die in der Lübecker Erklärung genannten Themen grenzüberschreitender Verkehr, Wissenschaftsstandorte,
Tourismusentwicklung,
({5})
gemeinsamer Arbeitsmarkt, Klimaschutz, Kulturaustausch und Informationsvernetzung - stehen für ein breites Spektrum der künftigen Zusammenarbeit in dieser
Region, der Schweden, Dänemark und Deutschland angehören.
({6})
Meine Damen und Herren, Bundesregierung und
Bundestag haben es sich mit der Grundsatzentscheidung
für eine feste Querung nicht leicht gemacht. Die Verhandlungen gehen bis in das Jahr 1992 zurück; das ist
schon gesagt worden. Wir haben uns im Deutschen Bundestag in den letzten Jahren wiederholt mit diesem
Projekt befasst. Die Route ist - das möchte ich in Erinnerung rufen - Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Ich sage an dieser Stelle auch: Bundesminister Tiefensee hat die deutschen Interessen bei den
Verhandlungen gut vertreten. Dafür ein Dank!
({7})
Es geht heute darum, wie wir grundsätzlich zu diesem
Projekt stehen. Es geht nicht darum, über einzelne Ergebnisse eines Planfeststellungsverfahrens oder einer
Umweltverträglichkeitsprüfung zu entscheiden. In der
Tat werden noch viele Fragen zu beantworten sein. MögHans-Joachim Hacker
liche Auswirkungen auf Mensch und Natur müssen natürlich genau analysiert und Schlüsse daraus für das
Bauprojekt gezogen werden.
Der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages
hat zum Staatsvertrag und zu den technischen sowie
ökologischen Fragestellungen einer festen Querung eine
Expertenanhörung durchgeführt. Die Sachverständigen
hatten ausführlich Gelegenheit, zu dem Projekt Stellung
zu nehmen. Peter Lundhus, der Geschäftsführer der Betreibergesellschaft, hat in dieser Anhörung ein entscheidendes Signal gesetzt. Er sagte, man werde das Projekt
mit Sorgfalt und Respekt vor Natur und Mensch realisieren. Selbstverständlich müssen dafür alle gesetzlichen
Vorgaben - seien es nationale, seien es europarechtliche erfüllt werden.
In den kommenden zwei Jahren wartet aufgrund der
Voruntersuchungen eine umfangreiche Arbeit auf die
künftigen Bauherren. Erst danach kann bestimmt werden, ob es ein Brücken- oder ein Tunnelbauwerk sein
wird und welche Maßnahmen zur Schiffssicherheit sowie zum Schutz der Natur getroffen werden müssen aber erst nach diesen Untersuchungen, Herr Steenblock,
nicht heute. Das müssen wir heute nicht tun.
({8})
In der Anhörung wurde auch Kritik geäußert. Aber
selbst schärfste Kritiker schließen eine Tunnellösung
nicht aus. Auch die auf deutscher Seite zu realisierenden
Schienenhinterlandanbindungen wurden als angemessen bezeichnet.
Heute ist die Kritik des Bundesrechnungshofs angesprochen worden. Dazu hat die Bundesregierung bereits
im vorigen Jahr ausführlich Stellung bezogen. Ich
schließe mich der Bewertung an. Die Kritik basiert zum
Teil auf spekulativen Ausgangspunkten, denen wir uns
nicht anschließen müssen.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Steenblock zulassen?
({0})
Ja.
Bitte schön.
Ich mache es auch ganz kurz: Gibt es nach Ihrer
Kenntnis irgendeinen Grund, aus dem Sie dieses Gesetz
für die weitere Planung brauchen? Können Sie all die
Planungen, die Sie gerade genannt haben, nicht auch
ohne dieses Gesetz machen? Brauchen Sie den Staatsvertrag, um die deutsche Hinterlandanbindung zu planen
oder nicht?
Lieber Herr Steenblock, das haben wir im Verkehrsausschuss und bei anderer Gelegenheit nun wirklich
mehrfach erörtert.
({0})
- Herr Steenblock, ich antworte darauf nicht mit Ja oder
Nein. Ich antworte im Zusammenhang. Es war Ziel und
Absicht der Bundesregierung und der Regierung des Königreichs Dänemark, die Vorarbeiten und eine mögliche
Bauausführung auf der Grundlage eines Staatsvertrages
vorzubereiten.
({1})
Das hat die Bundesregierung getan. Dabei hat sie das
Parlament begleitet. Wir sind heute mit nur einer Frage
konfrontiert, nämlich mit der Frage, ob wir für das Verhandlungsergebnis der Bundesregierung grünes Licht
geben und damit die Voraussetzungen für weitere Untersuchungen schaffen wollen.
Herr Steenblock, ich räume ein, dass man das auch
anders hätte machen können.
({2})
Wir haben uns aber grundsätzlich dazu entschlossen, den
Staatsvertrag zu schließen und auf dieser Grundlage weitere Untersuchungen durchzuführen. Ich finde, das ist
eine überzeugende Lösung.
({3})
Die Expertenanhörung hat ein weiteres Ergebnis gebracht: Sie hat Sorgen hinsichtlich einer Beeinflussung
der wirtschaftlichen Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern zerstreut. Die Hafenstandorte Wismar und
Rostock werden keine nachteiligen Folgen zu erwarten
haben. Wer das nicht glaubt, möge in die Stellungnahmen der Experten bei der Anhörung schauen. Die Hafenstandorte Wismar und Rostock bedürfen aber auch in
Zukunft einer Förderung. In erster Linie ist die Landesregierung aufgefordert, aber auch die Bundesregierung
und das Parlament in Berlin, die Attraktivität und die
Leistungsfähigkeit dieser Häfen durch weitere Verbesserungen der Hinterlandanbindung zu erhöhen.
Daraus lassen sich für mich zwei Forderungen ableiten: Erstens, dass wir die Planungen und die Baudurchführung der A 14 beschleunigt durchführen, und
zweitens, dass wir die Ertüchtigung der Bahnstrecke
Berlin-Rostock endlich zu Ende bringen.
({4})
Eine feste Querung des Fehmarnbelts hat eine historische Dimension für Europa. Wir wollen, dass Europa
wirtschaftlich und verkehrstechnisch noch enger zusammenrückt. Deshalb stimmt die SPD-Bundestagsfraktion
heute für den Staatsvertrag. Ich bitte Sie, diesem Staatsvertrag zuzustimmen.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Vertrag mit dem Königreich Dänemark über eine feste
Fehmarnbelt-Querung. Hierzu liegen mehrere Erklärun-
gen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1)
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13261, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12069 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen
und die FDP angenommen. Dagegen haben Bündnis 90/
Die Grünen und die Fraktion Die Linke gestimmt. Dagegen gab es auch einige Stimmen aus der SPD sowie,
wenn ich das richtig gesehen habe und das nicht jemand
war, der seinen Arm noch oben hatte, eine Stimme aus
der CDU/CSU-Fraktion.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Das ist jetzt besser zu sehen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Die Gegenstimmen? - Die
Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung bei dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
({0})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/13409? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschlie-
ßungsantrag bei Zustimmung durch die Fraktion Die
Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt. Abgelehnt haben den Entschließungsantrag die
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP. Es ha-
ben sich einige Abgeordnete der SPD enthalten.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13422? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und
die Fraktion Die Linke sowie einige Abgeordnete der
1) Anlagen 17 bis 22
SPD. Dagegen haben die Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP und die Mehrheit der SPD-Fraktion gestimmt.
Enthalten hat sich niemand.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Marion Seib,
Alexander Dobrindt, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, Willi
Brase, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausbauen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Barth,
Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entwicklungschancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Cornelia Hirsch,
Volker Schneider ({2}) und der Fraktion DIE LINKE
Perspektiven für den wissenschaftlichen
Mittelbau öffnen - Karrierewege absichern Gleichstellung durchsetzen - Selbständigkeit
fördern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Priska Hinz ({3}), Krista Sager, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wissenschaft als Beruf attraktiver machen Den wissenschaftlichen Nachwuchs besser
unterstützen
- Drucksachen 16/11883, 16/11880, 16/10592,
16/9104, 16/13421 Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Seib
Uwe Barth
Kai Gehring
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden Marion
Seib, Swen Schulz, Uwe Barth, Petra Sitte und Kai
Gehring.
Im „Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ ({0}) vom Februar 2008 wird
die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in
Deutschland erstmalig dargestellt. Der Bericht gibt einen
Überblick über das Spektrum der Förderung und analysiert Reformbereiche.
Der Bericht bestätigt das umfangreiche Spektrum und
die hohe Qualität der Nachwuchsförderung in Deutschland. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen werden junge
Wissenschaftler im Rahmen der Programm- und Projektförderung gefördert.
In fünf Reformbereichen macht der Bericht auf Weiterentwicklungsbedarf aufmerksam und formuliert Handlungsansätze: erstens frühe Karriereperspektiven und
Planbarkeit, auch für chronisch Kranke und für Behinderte; zweitens Chancengerechtigkeit für Frauen; drittens nachhaltiger Effekt von Fördermaßnahmen; viertens
Internationalisierung der deutschen Hochschulen und
Karriereentwicklung inner- und außerhalb von Wissenschaft und Forschung.
Wichtig ist, dass Nachwuchswissenschaftler aus der
ganzen Welt dauerhaft für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland gewonnen werden. Deshalb sorgt das neue Kommunikations- und Informationssystem Wissenschaftlicher Nachwuchs - kurz KISSWIN
genannt - seit einem halben Jahr für Information und
Transparenz in deutscher und in englischer Sprache.
Berechenbare und attraktive Karrierewege sind für ein
international konkurrenzfähiges Wissenschaftssystem
dringend nötig. Berechenbare und attraktive Karrierewege sollen möglichst weit führen. Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder an der Hand geführt werden soll.
Das bedeutet, dass junge engagierte in- und ausländische
Wissenschaftler Möglichkeiten erhalten müssen, ohne
zeitraubenden Leerlauf ihr Wissen und Können in ihre
Themen einzubringen.
Die Tenure-Track-Stellen müssen ausgebaut werden.
Diese Einschätzung wurde auch in der Anhörung geteilt.
Dabei geht es nicht um starre Beamtenstellen - wie mir
vom FDP-Kollegen im Ausschuss unterstellt wurde.
Die Promotionsphase muss in ihrer Qualität verbessert werden, sie muss klarer strukturiert werden. Mehr
Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Doktoranden sollen zu einer gezielten Qualifizierung auch außerhalb der Wissenschaft führen. Allerdings darf die Vielfalt
der Promotionswege - ein Standortfaktor Deutschlands nicht eingeschränkt werden.
Deshalb muss gemeinsam mit den Ländern über Möglichkeiten der Stärkung der Tenure-Track-Stellen beraten
werden. Es ist ein zentrales Instrument, den klügsten
Köpfen der Welt attraktive und international konkurrenzfähige Karriereperspektiven in Deutschland zu bieten.
Die Experten haben das anlässlich der Anhörung bestätigt.
Wir hatten die Bundesregierung aufgefordert, sich mit
den Ländern dafür einzusetzen, dass die Verbesserung
der Lehrqualität intensiviert wird und die Nachwuchsförderung im Rahmen der Fortsetzung des Paktes für Forschung und Innovation, der Exzellenzinitiative sowie des
Hochschulpaktes - wie mit dem Beschluss vom 4. Juni geschehen - nachhaltig gestärkt wird.
Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
hat bisher bereits - zum Beispiel mit der Förderlinie Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative - einen besonderen Stellenwert gehabt. Dies soll auch so bleiben und ausgebaut werden.
Eine Reihe der Forderungen der FDP teilen wir in der
CDU/CSU ebenfalls. Zwar richten sich diese Forderungen in erster Linie an die Länder und die Hochschulen.
Als Beispiel sei hier genannt die Forderung nach attraktiven zusätzlichen Karrierewegen für den sogenannten
wissenschaftlichen Mittelbau.
Andere Forderungen teilen wir nicht: Die Forderung
nach einer stärkeren Ausrichtung des Hochschulpaktes
auf den Bereich der Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses verfehlt insofern ihr Ziel, als der Hochschulpakt nicht darauf ausgerichtet ist, Karrierechancen
für Nachwuchsforscher zu eröffnen, sondern dem Ausbau
der Studienkapazitäten dient. Außerdem ist er befristet bis
2020.
Die mittel- und langfristige Politik liegt in der Zuständigkeit von Hochschulen und Ländern.
Die Forderung nach engen Vorgaben an die Hochschulen bei der Verwendung der Programmpauschalen
lehnen wir ab. Diese Mittel eröffnen bewusst weitere
finanzielle Spielräume, die zwar auch für spezielle Instrumente der Nachwuchsförderung eingesetzt werden können, die aber nicht vorrangig hierfür vorgesehen sind.
Beim Antrag der Linken gibt es nicht so viel zu sagen.
Lediglich dem Titel des Antrages können wir zustimmen.
In einer Reihe von Punkten verkennt der Antrag der
Linken den aktuellen Stand der Entwicklung. Die Umsetzung der EU-Charta ist weitgehend Realität, die geforderte „Roadmap“ demnach nicht notwendig. Auch genießt die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
in der DFG höchste Priorität: Etwa zwei Drittel der Fördermittel werden für die Vergütung wissenschaftlicher
Mitarbeiter sowie für Stipendien verwendet.
Der Antrag missachtet in wesentlichen Punkten die
Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern bzw. der Tarifpartner und Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen. Die Länder allein sind beispielsweise zuständig
für die Finanzierung der grundständigen Aufgaben der
Hochschulen. Auch verfügt der Bund nicht über eine Regelungskompetenz in Bezug auf die Kategorien des Hochschulpersonals und kann insofern weder die Juniorprofessur verbindlich regeln, noch kann und wird der Bund
den Ländern Vorgaben machen in Bezug auf die Einführung von Lehrprofessuren oder Lecture-Stellen.
Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, das deutsche Wissenschaftssystem attraktiver zu machen, unterstützen wir uneingeschränkt. Einer Reihe von Forderungen des Antrages können wir allerdings nicht zustimmen:
Wir halten die generelle Verpflichtung der Hochschulen
und Forschungseinrichtungen auf bestimmte Steigerungsquoten des Frauenanteils für nicht zielführend.
Eine Selbstbindung der Hochschulen und die Förderung
von Chancengleichheit durch strukturelle Programmvorgaben sind sinnvoller. Auch die Forderungen mit Bezug
auf den Hochschulpakt können wir so nicht unterstützen.
Der Hochschulpakt ist darauf ausgerichtet, den Ausbau
der Studienkapazitäten zu befördern. Die Personalpolitik
Zu Protokoll gegebene Reden
oder eine Änderung der Personalstrukturen bleibt allein
den Hochschulen und Ländern überlassen. Die geforderte Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
ist bereits eingeleitet. Ein vollständiger Bericht wird im
zweiten Halbjahr 2010 vorgelegt.
Bereits unter der Regie der damaligen Bundesministerin Bulmahn in der Regierung Schröder haben wir die
Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs verbessert. Besonders umstritten war die Einführung von Juniorprofessuren, um Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern einen
neuen Karriereweg zu eröffnen und damit gleichzeitig die
Lehre zu verbessern. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir damals dafür angegriffen worden sind. Und
heute sind die Juniorprofessuren allgemein anerkannt als
wichtige Bereicherung der Hochschulen und Angebot an
den wissenschaftlichen Nachwuchs. Daran sollten wir
weiterarbeiten, und wir sollten die Juniorprofessuren
ausbauen.
Wir sind aber bei den Erfolgen aus rot-grüner Regierungszeit nicht stehen geblieben, sondern wir haben auch
in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen weiter verbessert: etwa durch den Hochschulpakt, der ja auch eine
Art Jobmotor für das wissenschaftliche Personal an
Hochschulen ist, durch die Erhöhung der Promotionsstipendien oder durch diverse Programme und Maßnahmen auch auf internationaler Ebene.
Jedoch dürfen wir uns auf dem Erreichten nicht ausruhen, sondern wir müssen schauen, was wir noch besser
machen können. In dem Antrag der Koalitionsfraktionen
mit dem Titel „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausbauen“ sind die Handlungsfelder deutlich
skizziert. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass die Bundesländer aufgefordert sind, den sogenannten Tenure Track
für Professuren ausbauen zu müssen, denn hierdurch können verlässliche Karrierepfade geebnet werden. Es geht
darum, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
nicht zum Wechsel der Hochschule gezwungen werden,
sondern eine berechenbare Karriereperspektive erhalten.
Das ist auch ein Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie
und wissenschaftlicher Karriere. Die Hochschulen müssen darüber hinaus verstärkt Kinderbetreuungsangebote
machen - auch für die Studierenden ist das wichtig.
Die Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher
Karriere ist vor allem, aber nicht nur für Frauen von großer Bedeutung. Deren Perspektiven müssen ganz besonders verbessert werden. Wenn man sich die niedrigen
Anteile von Frauen an der Gesamtheit des wissenschaftlichen Personals anschaut, auch im Vergleich zu anderen
Staaten, dann wird klar: In Deutschland werden Frauen
in der Wissenschaft benachteiligt. Sie sind nicht weniger
intelligent als die Männer, sie haben nicht weniger Qualifikationen und sie haben meist auch nicht weniger Interesse an einer Karriere.
Aber die Karriere wird ihnen verbaut. Das ist ungerecht und es ist auch für die Wissenschaft und die Gesellschaft falsch, weil dadurch geistiges Potenzial ungenutzt
bleibt. Wir von der SPD sehen, dass dieser Zustand freiwillig nicht durchgreifend geändert wird. Mit dem Frauenprofessorinnenprogramm haben wir einen wichtigen
Ansatz geschaffen. Darüber hinaus plädieren wir für eine
Quote an Hochschulen und Forschungseinrichtungen,
und wir müssen über Modelle zur weiteren Stärkung der
Frauenbeteiligung in der Wissenschaft reden. Immer
mehr hochrangige Wissenschaftler schließen sich dieser
Forderung an. Wir sind sicher, dass das bald kommen und
Erfolg haben wird.
Brachliegendes geistiges Potenzial, ungenutzte Talente gibt es auch in einem anderen Bereich, nämlich bei
den behinderten und chronisch kranken Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern. Auch
hier müssen die Rahmenbedingungen verändert werden,
damit diese Menschen ihren Beruf ausüben und Karriere
machen können. Es geht uns darum, dass alle, unabhängig von ihrer Geburt, ihrem Geschlecht, ihrem Geldbeutel
oder ihrem körperlichen Zustand die gleichen Chancen
zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit haben. Bildung ist für
uns von der SPD ein Menschenrecht. Das gilt auch an
dieser Stelle.
Mit der Exzellenzinitiative, dem Pakt für Forschung
und Innovation und mit dem Hochschulpakt unternehmen
wir erhebliche Anstrengungen für Forschung und Lehre.
Die Hochschulen erhalten in bislang ungekanntem
Ausmaß Mittel, um sich, ihr Angebot, ihre Arbeit zu
verbessern. Davon profitieren auch - ich habe bereits
darauf hingewiesen - Nachwuchswissenschaftlerinnen
und Nachwuchswissenschaftler, weil für sie neue Stellen
geschaffen werden. Allerdings wäre es begrüßenswert,
wenn der Umfang in den Pakten auch explizit festgeschrieben würde. Bund und Länder sollten gemeinsam sicherstellen, dass diese großen Anstrengungen auch denen
zugutekommen, ohne die eine Zukunft der Wissenschaft
undenkbar wäre: den jungen Menschen, die sich für eine
Karriere als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler interessieren.
In diesen Tagen finden große Aktionen unter dem Titel
„Bildungsstreik“ statt, mit denen sehr viele Schülerinnen
und Schüler, Studentinnen und Studenten, aber auch das
Lehrpersonal auf Missstände im deutschen Bildungswesen hinweisen. Als Bildungspolitiker freue ich mich sehr
über diese Aktivitäten, weil dadurch die Notwendigkeit
von weiteren Verbesserungen und öffentlichen Investitionen in die Bildung deutlich und die Debatte darüber vorangetrieben wird. Von allen Politikerinnen und Politikern hören wir sonntags die Reden über die großen
Herausforderungen in der Bildungspolitik. Doch bei
allen unbestreitbaren Erfolgen, die gerade die SPD erkämpft hat, sehe auch ich, dass werktags noch mehr geleistet werden muss.
Bund und Länder haben im letzten Jahr vereinbart, die
Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes zu steigern. Wir sprechen über
einen zweistelligen Milliardenbetrag - jährlich. Das ist
nur machbar, wenn es eine deutliche Prioritätensetzung
zugunsten der Bildung gibt und wenn der Staat dafür die
nötigen Mittel einnimmt. Der von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vorgeschlagene Bildungssoli
sieht vor, dass diejenigen mit wirklich hohen Einkommen
Zu Protokoll gegebene Reden
Swen Schulz ({0})
einen Beitrag dafür leisten, dass alle eine gute Bildung
erhalten. Das ist gleichermaßen fair und nötig.
Ganz falsch dagegen ist, auf mehr private Mittel zu setzen; denn Bildung ist im Kern ein öffentliches Gut. Nur
die Bereitstellung von guter Bildung durch den Staat kann
gewährleisten, dass alle, auch diejenigen, denen es finanziell nicht so gut geht, einen gleichen Zugang zu Bildung
erhalten. Darum sind wir etwa gegen Gebühren von der
Kita bis zur Hochschule. Studien, aber auch ganz einfach
die Lebenserfahrung zeigen, dass durch Gebühren finanziell Schwächere von Bildung abgeschreckt werden. Die
Staatsministerin im Kanzleramt und Integrationsbeauftragte Maria Böhmer hat erst gestern ausgeführt, dass
die Kitas gebührenfrei sein müssten, damit auch die Zuwandererfamilien ihre Kinder in die vorschulische Bildung und Betreuung geben. SPD-regierte Länder haben
damit angefangen, Kitas gebührenfrei zu stellen, und in
keinem SPD-regierten Land gibt es Studiengebühren. Es
wird Zeit, dass auch andere Parteien endlich verstehen:
Gebührenfreiheit in der Bildung ist der einzig richtige
Weg.
Es gibt noch viele weitere Maßnahmen, die wir durchsetzen wollen, um das Bildungswesen zu verbessern. Die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist ein
wichtiges Element in dem Bestreben, gute Bildung für alle
zu erreichen und Deutschland wieder zur Bildungs- und
Forschungsnation Nummer eins in der Welt zu machen.
Das bleibt auch in der nächsten Legislaturperiode des
Deutschen Bundestages ein Anliegen der SPD.
Der „Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses“ zeichnet ein vielfach positiveres
Bild der „Bildungsrepublik Deutschland“, als wir es in
den vergangenen Jahren gewohnt waren. Die Lage des
wissenschaftlichen Nachwuchses wird in einem geradezu
rosigen Licht dargestellt, zumindest wenn man sich die
Situation an Kitas und Schulen vor Augen führt. Kein
Wunder eigentlich, haben unsere Doktoranden und Juniorprofessoren etliche Staustufen des Bildungswesens überwunden und den mühseligen Aufstieg im Wissenschaftssystem gemeistert. Ihnen steht die Welt offen.
Der Umstand, dass man unserem wissenschaftlichen
Nachwuchs überall die Kusshand zuwirft und ihn mit
offenen Armen empfängt, erfüllt uns mit Stolz. Dass es
unsere jungen Nachwuchstalente ins Ausland drängt, sie
dort Erfahrungen sammeln wollen, ist ein positives
Zeichen. Dass sie sich auf dem internationalen Feld
wissenschaftliche Meriten erwerben wollen, unterstützen
wir ausdrücklich. Dies alles ist Ausdruck eines gesunden
Forschungsklimas. Katastrophal ist dagegen der Umstand, dass nur ein geringer Teil dieser Hoffnungsträger
dann zurückkehrt.
Unser Problem ist, dass wir mit Blick auf die wissenschaftlichen Toptalente einen negativen Saldo zwischen
Export und Import aufweisen. Es gehen viel mehr als
kommen. Dies wurde nicht zuletzt in der vom Bildungsausschuss des Bundestages durchgeführten Anhörung
deutlich. Die Max-Planck-Gesellschaft, MPG, verdeutlichte in diesem Zusammenhang, dass uns bereits in fünf
Jahren 300 000 bis 400 000 Akademiker und 100 000 Ingenieure fehlen werden. Die Konsequenzen lassen sich leicht
am Beispiel der MPG darstellen. Man sieht sich gezwungen,
sollte diese Entwicklung anhalten, um 25 Prozent zu
schrumpfen. Eine Gesellschaft, die ihre Spitzenforschung
vom Wachstumskurs verabschiedet, verabschiedet sich im
selben Maße von der Teilhabe an der globalen Wissensgenerierung und technologischen Entwicklung. Während
wir im vergangenen Jahrhundert noch zu der geistigen
Speerspitze gehörten, driften wir nun seit Jahrzehnten in
die Mittelmäßigkeit ab.
Dabei will ich abermals betonen: Es ist keineswegs ein
Mangel an Geist, Kreativität und Talent, was uns größte
Sorgen bereiten müsste. Auch die ungünstige demografische
Entwicklung ist bis zu einem gewissen Grad beherrschbar. Sie nötigt uns, unsere personellen Ressourcen effektiver zu nutzen, was uns auch bis zu einem gewissen Grad
gelingt. Schließlich haben wir den Bevölkerungsanteil
mit hoher und höchster Ausbildungsstufe kontinuierlich
gesteigert. Die Zahl der Promovierten liegt in Deutschland liegt über viermal so hoch wie im EU-Schnitt.
Wir schaffen es, einen größer werdenden Teil unseres
Nachwuchses auf ein immer höheres Kompetenzniveau zu
fördern. Doch dann fängt das Problem an. Um es mit den
Worten des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft e.V., DFG, Professor Dr. Kleiner, zu sagen:
„Der weltweite Wettbewerb um die besten Talente lässt
auch in anderen forschungsstarken Ländern Arbeitsbedingungen entstehen, mit denen wir hier in Deutschland
kaum noch Schritt halten können.“ Es gelte daher, dem
wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland attraktive
Perspektiven zu bieten.
Dieser Mangel an Perspektiven im Wissenschaftssystem
führt leider dazu, dass nur ein vergleichsweise geringer
Anteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
nach der Verleihung des Doktorgrades der Wissenschaft
erhalten bleibt. Davon wandert eine nicht unwesentliche
Zahl ins Ausland ab, wohingegen wir uns mit der Anwerbung ausländischer Talente weiterhin schwertun. Kein
Wunder, dass Stellen im Wissenschaftsbetrieb unbesetzt
bleiben oder, wie im Kontext der Exzellenzinitiative, nur
schleppend in Anspruch genommen werden können. Daran
muss sich etwas ändern.
Insgesamt müssen die Leistungsfähigkeit und Flexibilität
sowie die internationale Wahrnehmbarkeit des deutschen
Wissenschaftssystems erhöht werden. Damit dies gelingt,
sind die Eigenverantwortung der Wissenschaftler und
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftseinrichtungen
hervorzuheben und der Entscheidungsspielraum der betroffenen Akteure auszuweiten. Hierfür müssen Bund und
Länder ihre jeweiligen Verantwortungen konsequent
wahrnehmen und durch gemeinsame Anstrengungen - wie
heute bereits im Rahmen des Hochschulpaktes, des Paktes für Forschung und Innovation und der Nationalen
Qualifizierungsinitiative - die Voraussetzungen für eine
grundlegende qualitative und quantitative Stärkung des
Wissenschaftssystems schaffen.
Es reicht jedoch nicht aus, nur finanzielle Anreize zu setzen. Wir müssen das rechtliche Korsett aufschnüren, das
die Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses einZu Protokoll gegebene Reden
engt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland
müssen attraktiv, forschungsfreundlich und international
konkurrenzfähig ausgestaltet werden. Es bedarf eines
mutigen Schritts hin zu einem bundesweiten Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das einen gemeinsamen Handlungsrahmen
beschreibt, bestehende Hemmnisse beseitigt und die Handlungsspielräume des Wissenschaftssystems ausweitet.
Wir müssen aber auch neue Potenziale erschließen.
Dazu gehören gerade Frauen und ältere Wissenschaftler.
Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen in Deutschland
Professorinnen und Professoren maximal bis zum 68. Lebensjahr ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit nachgehen
dürfen. Es ist ein Skandal, dass diejenigen, die über den
größten Erfahrungshorizont im Wissenschaftssystem verfügen, abgeschoben werden - ob sie das wollen oder
nicht. Für viele dieser Professorinnen oder Professoren
bleibt nur noch das Ausland als Alternative zum Altenteil.
Diese Altersdiskriminierung ist nicht nur menschenunwürdig, sondern auch noch wissenschaftsfeindlich und
muss auf dem Misthaufen kontraproduktiver Regelungen
entsorgt werden.
Ein ähnliches Problem stellt das in der Hochschulgesetzgebung der Länder verankerte Hausberufungsverbot dar.
Was vor einigen hundert Jahren durchaus eine sinnvolle
Regelung war, um Vetternwirtschaft und Korruption zu
verhindern, ist unter heutigen Rahmenbedingungen eher von
Nachteil. Hochschulen wird es nahezu unmöglich gemacht,
aufstrebenden Nachwuchswissenschaftlern langfristig
eine Perspektive vor Ort zu unterbreiten. Tenure-TrackVerfahren, also eine befristete Berufung, die nach Bewährung in eine Dauereinstellung mündet, wird so nahezu unmöglich gemacht. Das ist, wie wenn man gezwungen
würde, den Lehrling, den man mühsam ausgebildet hat,
nach der Gesellenprüfung vor das Werkstor zu setzen.
Völlig kontraproduktiv und ökonomisch unsinnig!
Wir müssen die Anwerbung ausländischen Nachwuchses
professionalisieren. Keineswegs darf man davon ausgehen,
dass wir nur die Pforten öffnen müssen, und schon würden
sich Schlangen bilden. Das zeigen frühere Versuche mit
Green- und Bluecards: Der Ansturm ist ausgeblieben.
Dabei können wir unsere Ausfälle aufgrund der demografschen Entwicklung nur durch Zuwanderung zu kompensieren versuchen. Die Ansiedlung der Hugenotten im
vom Dreißigjährigen Krieg entvölkerten Brandenburg
zeigt, wie eine solche Politik Wirkung entfalten kann. Durch
Toleranz, aber auch von eigennützigem Kalkül getrieben
hatte der Große Kurfürst mittels Steuererleichterung und
Annehmlichkeiten die Anwerbung erfolgreich durchgeführt.
Es war nämlich keineswegs so, als ob die High Potentials
des 17. Jahrhunderts ohne Alternative gewesen wären,
zumal die Brandenburger Einöde einen besonderen
Charme ausstrahlt, dessen Vorzüge man erst zu entdecken lernen muss.
Kurzum, wir müssen die Rahmenbedingungen unseres
Wissenschaftssystems so ausgestalten, dass sich ein höherer Anteil unserer Nachwuchskräfte gegen die durchaus
attraktiven Angebote der Wirtschaft entscheiden und bei
der Forschung verbleiben, dass sich Talente nach einem
Auslandsaufenthalt für die Rückkehr nach Deutschland
entschließen. Wir müssen Wissenschaftlerinnen unterstützen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken.
Älteren Hochschulmitgliedern dürfen wir nicht länger die
Türe weisen, sondern auf Wunsch den Verbleib im Wissenschaftssystem ermöglichen. Schließlich müssen wir ausländische Wissenschaftler und Forscher gezielt für den
Standort Deutschland gewinnen und ihnen bei uns eine
Heimat bieten.
Deutschland muss ein Land der Ideen, der Innovation
und des Fortschritts bleiben. Darauf beruht unser Wohlstand, aber auch unser Selbstverständnis. Deswegen
bleibt uns auch gar keine Alternative, als dass wir mit
vereinten Kräften daran arbeiten, diesem Anspruch zu
entsprechen und den folgenden Generationen einen positiven Ausblick in die Zukunft offenhalten.
Im Jahr 1919 beschrieb der Soziologe Max Weber die
Entscheidung junger Menschen für eine Karriere in der
Wissenschaft als großes persönliches Risiko: „Denn es ist
außerordentlich gewagt für einen jungen Gelehrten, der
keinerlei Vermögen hat, überhaupt den Bedingungen der
akademischen Laufbahn sich auszusetzen. Er muss es
mindestens eine Anzahl Jahre aushalten können, ohne
irgendwie zu wissen, ob er nachher die Chancen hat, einzurücken in eine Stellung, die für den Unterhalt ausreicht.“
Heute, ungezählte Hochschulreformen später und
90 Jahre nach Webers berühmtem Vortrag zu „Wissenschaft als Beruf“, hat sich an diesem problematischen
Umgang mit jungen Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern der Wissenschaft nicht viel geändert. Die Situation des sogenannten Nachwuchses in Deutschland ist
immer noch gekennzeichnet durch große Unsicherheit,
durch strukturell bedingte Karrieresackgassen für viele
und Chancen auf die begehrte selbstständige Hochschullehrertätigkeit für ganz wenige. In Zahlen ausgedrückt:
Nur ein Fünftel des Personals an Hochschulen ist dauerbeschäftigt, Tendenz fallend. 80 Prozent hingegen haben
entweder befristete Verträge oder als Lehrbeauftragte
überhaupt keine verbindliche Vereinbarung über ihre Tätigkeit. Die Aussicht auf eine Dauerstelle und damit die
Möglichkeit eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit ist
für die überwiegende Mehrheit unserer Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen nicht mehr als
eine vage Hoffnung. Nur 26 Prozent gaben in einer aktuellen Studie der HIS-GmbH an, dass sie die Planbarkeit
ihrer Laufbahn gut oder sehr gut einschätzen. Lediglich
ein Prozent mehr bewerteten die Aufstiegsmöglichkeiten
positiv. Diese hermetischen Strukturen machen Deutschlands Wissenschaftslandschaft so unattraktiv für junge
Menschen, noch stärker für Frauen als für Männer.
Andere Länder bieten da weit bessere Aussichten: In
Großbritannien sind zwei Drittel der Wissenschaftlerstellen unbefristet, in Frankreich sogar drei Viertel. Selbst
die „Hire and fire“-Mentalität an amerikanischen Hochschulen erlaubt einen Dauerstellenanteil von mehr als
50 Prozent. Der „Braindrain“, die Entscheidung zum
Gang ins Ausland ist nur allzu verständlich, wenn das
deutsche System vor allem die Aussicht auf den Ausstieg
aus der Wissenschaft bietet.
Zu Protokoll gegebene Reden
Vor diesem Ausstieg steht zumeist der Versuch, sich
von Befristung zu Befristung zu hangeln. Durch den steigenden Anteil der Drittmittelfinanzierung an Hochschulen finden viele hier zeitweise Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Anteil der befristeten Mitarbeiterstellen, die
durch Drittmittel finanziert werden, ist von 36,2 Prozent
im Jahr 1995 auf 43,7 Prozent im Jahr 2007 gestiegen.
Personalräte aus Universitäten berichteten auf einer
Konferenz an der TU Berlin zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses von der einreißenden Sitte,
Wochenverträge für Drittmittelbeschäftigte auszuschreiben. Ich wiederhole: Wochenverträge! Eine Debatte über
die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirkt angesichts
solcher Realität wie eine Farce.
Wenn von der Linken, aber auch von Gewerkschaften,
Hochschulexperten und dem Deutschen Hochschulverband mehr Dauerstellen für Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler gefordert werden, geht es nicht nur um
den berechtigten Wunsch Höchstqualifizierter nach besserer sozialer Absicherung und selbstbestimmter Lebensplanung: Kreativität und wissenschaftliche Leistung müssen reale Chancen auf Verwirklichung bekommen. Dafür
braucht der akademische Nachwuchs in seiner innovativsten Lebensphase Bedingungen, unter denen selbstständig geforscht und gelehrt werden kann. In der derzeitigen
Struktur sind fast alle, die es nicht auf eine der wenigen
Hochschullehrerstellen geschafft haben, eng an einen
Mentor, selten an eine Mentorin, gefesselt. Sie vertreten
diese in der Lehre, nehmen Prüfungen ab, organisieren
Konferenzen, arbeiten Drittmittelanträgen und Forschungstexten zu. Empirische Untersuchungen, etwa die
sogenannte Mittelbaustudie der TU Berlin, zeigen eindringlich, dass neben der Arbeitsbelastung am Lehrstuhl
häufig kaum Zeit bleibt, die eigene Karriere, die eigene
Qualifikation weiter zu verfolgen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Hälfte der Promotionen abgebrochen
werden. Die Datenlage dazu ist übrigens absolut unbefriedigend.
Der wissenschaftliche Mittelbau spielt auch in der Debatte um die Qualität der Lehre eine entscheidende Rolle,
die mit der Umstellung auf gestufte und modularisierte
Studiengänge noch gewachsen ist. Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen einen großen Teil
der Lehrverpflichtung, ohne dass die Frage der Qualität
ihrer Veranstaltungen ihnen einen Vorteil bei der eigenen
Karriere verschaffen würde.
Angesichts der beschriebenen Misere werden zumeist
und völlig zu Recht die Länder in Haftung genommen: Sie
sind - auf eigenen Wunsch - für die Finanzierung der
Hochschulen zuständig und haben überwiegend auch die
entsprechende Gesetzgebung in der Hand. Doch der
Bund kann nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Die Exzellenzinitiative, deren Fortsetzung gerade
beschlossen wurde, verstärkt die Tendenz, dass unbefristete Stellen verstärkt durch befristete ersetzt werden. Auf
den ständigen Wettbewerbsdruck samt aufwändigen Antragsverfahren und die jeweils auf höchstens fünf Jahre
befristeten Projekte reagieren die Universitäten mit Flexibilisierung ihrer Personal- und Stellenplanung. Das ist
jedoch nur in den Kategorien unterhalb der Professur
möglich. Die wenigen noch unbefristeten nichtprofessoralen Stellen, etwa Hochschuldozenten, fallen in diesem
Zuge weg: Kamen im Jahr 2000 nur 3,6 befristete Mittelbaustellen auf eine unbefristete, sind es aktuell mehr als
fünf. Zudem führt das um sich greifende Antragswesen in
Peer-Review-Verfahren dazu, dass die Reputation der Antragstellenden eine entscheidende Rolle bei der Begutachtung spielt. Ohne Mentor oder seltener Mentorin, der
bzw. die einen guten Namen gibt und Einfluss geltend
macht, bekommt kaum ein Nachwuchswissenschaftler
Drittmittel bewilligt. Auch dies führt zu verschärfter Abhängigkeit in Zeiten der Exzellenzrhetorik. Wer die durch
den Elitewettbewerb geschaffenen 4 200 Stellen feiert,
muss ehrlicherweise zugeben, dass es sich weniger um
Sprungbretter als vielmehr um Schleudersitze handeln
kann. Verlässliche Strukturplanungen und nachhaltige
Beschäftigungsperspektiven sind mit den befristeten
Drittmitteln nicht zu erreichen.
Die unkritische Begeisterung über die Exzellenzinitiative, auch niedergelegt im Antrag der Koalition zum
Thema Nachwuchsförderung, zeigt, dass diese Koalition
samt ihrer Forschungsministerin beim Thema Nachwuchsförderung leider nicht in die Rolle der Problemlöserin gekommen ist. Das im Antrag erwähnte Portal
KISSWIN, das Informationen über Karriere- und Fördermöglichkeiten anbietet, ist sicher eine sinnvolle Initiative.
Auch den durch das BMBF in Auftrag gegebenen „Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ können wir nur loben. Es wäre jedoch ausgesprochen vernünftig gewesen, wenn Koalition und
Ministerin den dort vollzogenen Analysen der strukturellen Probleme durch konstruktive Lösungsvorschläge entsprochen hätten.
Denn diese sind längst erarbeitet. Immerhin böte die
Umsetzung des Hochschulpaktes II auch für den Bund
Einflussmöglichkeiten. Zuerst benötigen die Hochschulpakte umgehend eine nachhaltige finanzielle Grundlage.
Die Länder brauchen Planungssicherheit. Nur so kann
diese weiterführend dann auch den Hochschulen gewährt
werden. Es muss endlich die Praxis beendet werden, befristete Nachwuchsstellen zur Verschiebemasse zu degradieren. Flexibilität und Mobilität wurden ja wohl eindeutig anders begründet als mit Haushaltsnotwendigkeiten.
Stattdessen sind Promotions- bzw. Qualifizierungsvereinbarungen abzuschließen. Integriert werden müssen
Elemente der persönlichen Kompetenzentwicklung durch
spezifische Weiterbildungsangebote zu Lehrbefähigung,
Sprachen, Zeitmanagement, Teambildung und -führung,
IT-Wissen, Vernetzung, Genderansätzen und Interdisziplinarität.
Ohne Zweifel ist es an der Zeit, neben der Zahl der Studienanfängerplätze auch weitere Kriterien zur Studienqualität in den Pakt zu integrieren, so etwa die Senkung
von Abbrecherquoten und die Zahl von Absolventinnen
und Absolventen. Dadurch würden Lehre und Wertschätzung der Arbeit des wissenschaftlichen Mittelbaus verbessert.
Grundsätzlich müssen jedoch Gesetzgebung, Tarifrecht und Förderlandschaft auf ein neues Modell von
„Wissenschaft als Beruf“ auch neben der Professur eingestellt werden. Wissenschaft ist danach als kollektiver
Zu Protokoll gegebene Reden
Prozess zu behandeln. Planbarkeit, Transparenz und
Durchlässigkeit werden damit zu Leitmotiven akademischer Personalpolitik. Der Bund muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz überarbeiten. Die Tarifsperre ist abzuschaffen und die Befristungsmöglichkeiten für
Drittmittelbeschäftigte sind wieder zu begrenzen. Wir
brauchen einen flächendeckenden Wissenschaftstarifvertrag, der die soziale Absicherung des akademischen Mittelbaus zum Ziel hat und die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf ermöglicht. Der Vertrag sollte auch
Tarifregelungen für Privatdozentinnen und Lehrbeauftragte enthalten.
Qualifikationsformen, welche die frühe Selbstständigkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie
eine Beschleunigung ihrer Karriere zum Ziel haben, müssen durch den Bund stärker gefördert werden. Das kann
durch ein Aufstocken und Reformieren der bekannten
DFG-Programme wie „Eigene Stelle“ oder HeisenbergProfessur geschehen, reicht aber nicht aus. Vielmehr ist
ein neues Programm zur Unterstützung der Juniorprofessur nötig. Zudem sollte der Wissenschaftsrat, aber auch
die DFG über innovative Anreize und Förderungen zur
Einrichtung und Besetzung neuer Dauerstellen im Mittelbau nachdenken. Alle befristeten Qualifikationswege
sollten mit einer Tenure-Track-Option ausgestattet werden. Nach positiver Bewertung soll es eine verlässliche
Chance auf eine dauerhafte Hochschullehrerstelle geben.
Weitere notwendige Maßnahmen beinhaltet nicht nur
unser Antrag, sondern auch der Bericht der Bundesregierung selbst. Die Prioritätensetzung steht grundsätzlich
zur Debatte: Soll das Wissenschaftssystem an der Basis
gestärkt werden oder wollen Bundesregierung und FDP
auch weiterhin vor allem um professorale Spitzengehälter und einen Markt für elitäre Spitzenwissenschaftler
kämpfen? Der große Soziologe Max Weber hätte sich
wohl für Ersteres entschieden.
Es gibt in hierzulande zu wenige Forscherinnen und
Forscher und zu wenige junge Menschen, die sich für eine
Karriere in der Wissenschaft entscheiden. Die Ursachen
sind vielschichtig; sie reichen bis in die früheste Kindheit
zurück: Kinder und Jugendliche werden noch immer zu
selten individuell gefördert, Potenziale oftmals vergeudet, anstatt ihren Forschungsdrang und ihre Neugierde
von Anfang an zu wecken.
Neben Reformen im Kita- und Schulbereich müssen
die vielen zusätzlichen Studienberechtigten der nächsten
Jahre tatsächlich einen Platz im Hörsaal finden. Wie sollen die Talente von Zehntausenden Studienberechtigten
gefördert werden, wenn sie es nicht einmal auf den UniCampus schaffen, sondern vor verschlossenen Hörsaaltüren stehen bleiben? Im Vereinbarungsentwurf zum
Hochschulpakt II werden jedenfalls leider die Fehler wiederholt, an denen schon der Vorgängerpakt krankte. Was
den wissenschaftlichen Nachwuchs anbelangt, glänzten
die Regierungsfraktionen lange Zeit mit Passivität. Die
Wahlperiode liegt in den letzten Zügen, da fällt Ihnen ein,
etwas zum wissenschaftlichen Nachwuchs zu Papier zu
bringen. In Ihrem Koalitionsantrag listen Sie die zentralen Problembereiche und unkonkrete Forderungen auf.
Ihre reale Politik wird dadurch konterkariert: Sie fordern
den Bund auf, die Länder in ihren Bemühungen um bessere Lehre zu unterstützen. Der Hochschulpakt leistet genau das nicht, sondern schafft allenfalls Billigstudienplätze. Auch sollen Exzellenzinitiative, Forschungspakt
für Forschung und Innovation und der Hochschulpakt II
für die Frauenförderung und zur Stärkung der Juniorprofessur genutzt werden. All das findet aber nicht statt.
Beim Koalitionsantrag stand offenbar der Gedanke im
Vordergrund: Wenn schon alle Oppositionsfraktionen
was gemacht haben, will man sich keine Leerstelle erlauben. Doch genau das kennzeichnet Ihre Politik zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Wir Grünen wollen Wissenschaft als Beruf attraktiver
machen und den wissenschaftlichen Nachwuchs besser
unterstützen. Vier Kernpunkte möchte ich nennen, auf die
sich die Bundesregierung mit den Ländern und diese mit
den Hochschulen einigen müssen.
Erstens. Es müssen mehr Promotionsstellen und Graduiertenkollegs geschaffen werden. Daneben muss für
Promovierende mit Stipendien die Anbindung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen erleichtert werden.
Zweitens. Es muss mehr für die Verbreitung der
Juniorprofessur getan werden. Von Beginn an müssen
klare Bedingungen für die weitere Karriereplanung feststehen. Dazu soll von den Ländern eine dem angelsächsischen „tenure track“ entsprechende Planbarkeit der
Karriereschritte geschaffen werden. Wo die Habilitation
als Qualifikationsweg bestehen bleibt, muss gewährleistet sein, dass sie in größerer wissenschaftlicher Unabhängigkeit als bisher erfolgen kann.
Drittens. Die Gleichstellung der Geschlechter muss
umfassend durchgesetzt werden. Mit dem Professorinnenprogramm allein ist bei weitem nicht alles Mögliche
und Notwendige für mehr Chancengerechtigkeit für
Frauen getan. Wir fordern, dass sich Hochschulen und
Wissenschaftseinrichtungen zu messbaren und realistischen Steigerungsquoten des Frauenanteils verpflichten,
und wollen unser grünes Kaskadenmodell zur Gleichstellung umsetzen. In Bremen wurde auf grüne Initiative hin
vor kurzem ein 40-Prozent-Ziel beschlossen. Das ist ein
echter Meilenstein.
Viertens. Unsere Hochschulen müssen endlich familienfreundlicher werden, damit sich Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nicht länger zwischen Kind und wissenschaftlicher Karriere entscheiden
müssen, sondern beides gut miteinander vereinbaren können.
Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und Pakt für Forschung und Innovation wären eine Chance gewesen,
mehr Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu
schaffen und zu sichern. So weitsichtig zu denken, sah
sich die Bundesregierung wohl nicht in der Lage. Anstatt
den Hochschulpakt gleich bis 2020 zu beschließen, endet
die zweite Paktphase bereits Ende 2015. Die Hochschulen brauchen jedoch dringend Planungssicherheit, um
Nachwuchsforscher sowie Professorinnen und ProfessoZu Protokoll gegebene Reden
ren einstellen zu können. Mit diesem Kurzsichtpakt hat
die Bundesregierung diese Chance vertan und leistet
auch durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ganz bewusst einen Beitrag für den Aufbau unsicherer, prekärer
Arbeitsplätze, anstatt sie mit Karriereperspektiven auszustatten. Bei der Exzellenzinitiative zeichnet sich ab, dass
aufgrund befristeter Stellen und schlechter Bezahlung die
Talente eher in die Wirtschaft gehen oder ins Ausland abwandern.
Das zeigt: Gute Arbeitsbedingungen hierzulande entscheiden darüber, ob wissenschaftliche Nachwuchskräfte
im Inland bleiben oder nach Auslandsaufenthalten
wieder zurückkehren. Deswegen brauchen wir einen Wissenschaftstarifvertrag, der Wissenschaft in Deutschland
international wettbewerbsfähig macht. Die Regierungskoalition dagegen hat mit ihrem Wissenschaftszeitvertragsgesetz für viele Wissenschaftler in Deutschland die
unbefristete Befristung eingeführt. Wir wollen klare Regeln für ein wissenschaftsspezifisches Befristungs- und
Kündigungsrecht schaffen, wobei Befristung eine Ausnahme und nicht die Regel für alle sein soll. Die Bedingungen müssen stimmen, damit sich genügend Hochqualifizierte - ob zugewandert oder nicht - für ein Leben und
Arbeiten in Deutschland entscheiden.
Dieser Bundesregierung hat es am klaren Willen und
beherzten Handeln gefehlt, solche wissenschaftsfreundlichen Bedingungen zu schaffen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/13421.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrages der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/11883 mit dem Titel „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausbauen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Dagegen haben das Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
gestimmt. Die FDP hat sich enthalten.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/11880 mit dem Titel „Entwicklungschancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke angenommen. Die Fraktion der FDP hat dagegen gestimmt,
das Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10592 mit dem
Titel „Perspektiven für den wissenschaftlichen Mittelbau
öffnen - Karrierewege absichern - Gleichstellung durchsetzen - Selbständigkeit fördern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen und die FDP.
Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9104
mit dem Titel „Wissenschaft als Beruf attraktiver machen - Den wissenschaftlichen Nachwuchs besser unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die FDP angenommen. Dagegen hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Linke hat
sich enthalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser,
Wolfgang Zöller, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Botz,
Waltraud Wolff ({1}), Ingrid Arndt-
Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Unsere Verantwortung für die ländlichen
Räume
- Drucksachen 16/5956, 16/9164 Nr. 1 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Dr. Gerhard Botz
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden Klaus
Hofbauer, Gerhard Botz, Christel Happach-Kasan,
Kirsten Tackmann und Cornelia Behm.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz auf Drucksache 16/9164. Unter Nr. 2 der Be-
schlussempfehlung ist der Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen aufgeführt, über den bereits in einer
früheren Sitzung abgestimmt wurde.
Daher stimmen wir heute nur über Nr. 1 der Be-
schlussempfehlung ab. Der Ausschuss empfiehlt die An-
nahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 16/5956 mit dem Titel „Unsere
Verantwortung für die ländlichen Räume“. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Die Koalitionsfraktionen haben zugestimmt; die Opposi-
tionsfraktionen haben sich enthalten.
1) Anlage 29
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Priska Hinz ({3}), Jerzy Montag, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Biopatentrecht verbessern - Patentierung von
Pflanzen, Tieren und biologischen Züchtungs-
verfahren verhindern
- Drucksachen 16/11604, 16/13439 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({4}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Auswir-
kungen des Gesetzes zur Umsetzung der Bio-
patentrichtlinie
- Drucksachen 16/12809, 16/13438 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Hierzu haben ihre Reden zu Protokoll gegeben:
Günter Krings, Matthias Miersch, Christel Happach-
Kasan, Petra Sitte, Ulrike Höfken und Alfred
Hartenbach.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Biopatentrecht verbessern -
Patentierung von Pflanzen, Tieren und biologischen
Züchtungsverfahren verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt
auf Drucksache 16/13439, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11604 abzuleh-
nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktio-
nen und die FDP; dagegen gestimmt hat Bündnis 90/
Die Grünen; die Linke hat sich enthalten.
Nun stimmen wir über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung
über die Auswirkungen des Gesetzes zur Umsetzung der
Biopatentrichtlinie ab. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13438, in Kennt-
nis der Unterrichtung auf Drucksache 16/12809 eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
1) Anlage 30
Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür gestimmt
haben die Koalitionsfraktionen; dagegen gestimmt haben
die Linke und Bündnis 90/Die Grünen; die FDP hat sich
enthalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften
- Drucksachen 16/12256, 16/12677 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({5})
- Drucksache 16/13428 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Birgitt Bender
Zu Protokoll haben ihre Reden gegeben: Wolf Bauer,
Marlies Volkmer, Daniel Bahr, Frank Spieth, Birgitt
Bender und Rolf Schwanitz.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf.
Einige Kolleginnen und Kollegen haben Erklärungen
nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben.3)
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/13428, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 16/12256
und 16/12677, in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt
haben die Koalitionsfraktionen; dagegen gestimmt hat die
FDP-Fraktion; enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grü-
nen und die Fraktion Die Linke.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
in dritter Beratung bei dem gleichen Stimmenverhältnis
wie in der zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Birgit Homburger, Martin Zeil, Rainer
Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates
- Drucksache 16/7855 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6})
- Drucksache 16/9839 -
2) Anlage 31
3) Anlagen 23 bis 25
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Frank Schäffler, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Bürokratie abbauen - Unternehmen, Bürge-
rinnen und Bürger entlasten
- Drucksache 16/12470 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Birgit
Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wirtschaftliche Dynamik fördern - Gewerbeanmeldungen entbürokratisieren
- Drucksachen 16/9338, 16/11977 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Schultz ({8})
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({9}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger,
Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
EU-Abfallrahmenrichtlinie ökologisch wirk-
sam, unbürokratisch und marktwirtschaftlich
gestalten
- Drucksachen 16/3318, 16/4961 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Eva Bulling-Schröter
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Birgit Homburger, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entlastung kleiner und mittlerer Betriebe
durch Abbau bürokratischer Regelungen im
Sozialrecht
- Drucksachen 16/3163, 16/5494 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Ernst
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Michael Fuchs,
Garrelt Duin, Birgit Homburger, Roland Claus und
Kerstin Andreae.
Bürokratie kostet Zeit, Bürokratie kostet Geld. Beides
sind entscheidende Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit
eines Unternehmens. Bürokratieabbau ist eine wichtige
Aufgabe für uns; denn wir wollen die Unternehmen aktiv
entlasten.
Bürokratieabbau ist mühsam. Wolfgang Clement hat
einmal gesagt, es sei Häuserkampf. Doch dieser Kampf
lohnt sich. Denn Bürokratieabbau ist das bestmögliche
Konjunkturprogramm, das wir überhaupt machen können:
Die Abschaffung von überflüssigen gesetzlichen Regelungen, von veralteten Verfahrensweisen oder doppelten Statistikpflichten kostet uns, als Staat, keinen Cent. Aber die
betroffenen Unternehmen profitieren in hohem Maße. Sie
können Arbeitsabläufe effizienter gestalten und Betriebskosten einsparen. Kurz: Bürokratieabbau ist ein voller
Gewinn.
Bei diesem ehrgeizigen Vorhaben unterstützt uns die
Geschäftsstelle für Bürokratieabbau im Bundeskanzleramt, und seit zweieinhalb Jahren der Normenkontrollrat.
Im Mai hat uns der NKR seine Halbzeitbilanz vorgelegt, die
durchweg positiv ist. Sie zeigt uns, dass das „Regierungsprogramm für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“
richtig und wichtig ist. Die von uns beschlossenen Maßnahmen greifen, und die Arbeit lohnt sich.
Dazu will ich Ihnen ein Beispiel nennen: Im Zuge des
parlamentarischen Verfahrens rund um die Unternehmensteuerreform wurde der Regierungsentwurf vom NKR
geprüft. Das Ergebnis war alles andere als erfreulich:
Die geplanten Regelungen hätten allein durch die Neuregelungen im Bereich der geringwertigen Wirtschaftsgüter zu
einer Mehrbelastung der Unternehmen von 190 Millionen
Euro geführt. Aber gerade weil wir das Gremium aktiv in
das gesetzgeberische Verfahren einbeziehen und gerade
weil wir die Berichte sehr ernst nehmen, fließen selbstverständlich die Ergebnisse in unsere Arbeit mit ein. Darum
kann ich die Unterstellungen, die die FDP in ihrem Antrag
formuliert hat, nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen.
Tatsache ist, dass aufgrund dieses Berichts der Gesetzentwurf zur Unternehmensteuerreform noch einmal von
uns gründlich überarbeitet wurde. Damit haben wir eine
Nettoentlastung für die Unternehmen von 168 Millionen
Euro erreicht. Bei den GWGs ist es uns gelungen, aus einer
zuerst erwarteten Belastung von 190 Millionen eine Entlastung von 65 Millionen Euro zu erzielen. Ich denke,
diese beachtlichen Zahlen sprechen ganz klar für die sehr
gute Arbeit des NKR und die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Parlament und Normenkontrollrat. Ohne
das Ex-ante-Verfahren hätten wir erst zwei, drei Jahre
nach Inkrafttreten des Gesetzes auf die Ergebnisse einer
Evaluierung warten müssen. So konnten wir bereits im
laufenden Verfahren die Regelungen optimieren und sicherstellen, dass wir mit dem Gesetz unser Ziel auch erreichen.
Das nenne ich bessere Rechtsetzung.
Ein weiterer Punkt muss an dieser Stelle noch einmal
klargestellt werden: Das Beispiel Untemehmensteuerreform
zeigt auch, dass das NKR-Gesetz dem Normenkontrollrat
sehr wohl ausreichende Befugnisse erteilt und dass es vor
allem funktioniert. Wir brauchen kein neues Gesetz, das
das Anrufungsverfahren verändert. § 6 Abs. 3 ermöglicht
es den Ausschüssen, den NKR um Stellungnahme anzurufen.
Genau das haben wir damals im Wirtschaftsausschuss
auch getan. Es ist darum schlicht und einfach falsch,
wenn das Gegenteil behauptet und eine Ausweitung des
Anrufungsrechtes gefordert wird, weil es nämlich keinerlei
positiven Nutzen hätte. Ganz im Gegenteil: Der NKR
wäre binnen kürzester Zeit lahmgelegt und würde seine
wertvolle Arbeit vergeuden mit der Prüfung von Gesetzentwürfen, die zwei Wochen später im Papierkorb landen.
Das kann nicht das Ziel sein, das darf nicht die Aufgabe
dieses wichtigen Gremiums sein, und wir dürfen die Ressourcen einfach nicht verschwenden.
Mittlerweile haben wir uns ja schon fast daran gewöhnt,
dass die FDP gerne die von uns erreichten Erfolge
schlichtweg ignoriert. Mit zumeist populistischen Attacken
wird in unzähligen Anträgen und Anfragen unsere oft
mühsame und schwierige Arbeit ganz einfach unter den
Teppich gekehrt. Aber ich sagen Ihnen: Da machen Sie es
sich zu einfach. Diese Bundesregierung hat von Anfang
an sehr deutlich gemacht, dass es ihr sehr ernst ist mit
dem Bürokratieabbau. Selbstverständlich werden wir
auch in Zukunft mit Nachdruck daran arbeiten. Wir
scheuen die Arbeit eben nicht.
Natürlich ist Bürokratieabbau eine Querschnittsaufgabe.
Hier sind alle Ressorts gefragt, bestehende Gesetze und
Verordnungen auf Herz und Nieren zu prüfen und Dokumentations- oder Berichtspflichten - wo möglich - am besten zu streichen oder zumindest deutlich zu vereinfachen.
Mit der Einführung des Standardkostenmodells haben
wir eine wissenschaftlich fundierte Methode, die es uns
ermöglicht, die Kosten durch Informations- und Dokumentationspflichten zu benennen, sie transparent zu machen.
Transparenz zu schaffen ist dabei eines unserer wichtigsten
Ziele. In Deutschland wird viel geschimpft über den lästigen Papierkram, über die Bürokraten in den Ämtern und
Behörden, über die vielen, oft undurchsichtigen Vorschriften. Das ist unser Anliegen; genau hier wollen wir
Licht ins Dunkel bringen und aktiv für mehr Klarheit und
mehr Effizienz sorgen.
Die Ergebnisse der Bestandsmessung waren dabei ein
wichtiger Hinweis: 10 900 Informationspflichten wurden
identifiziert, die allein der Wirtschaft durch nationales
Recht und EU-Verordnungen entstehen. Die Prüfung hat
ergeben, dass die rund 50 kostenintensivsten Informationspflichten rund 80 Prozent der gesamten Bürokratiekosten
für die Wirtschaft in Deutschland verursachen. Insgesamt
haben wir 330 Vereinfachungen erreicht, die für die Wirtschaft eine jährliche Entlastungswirkung von rund 7 Milliarden Euro haben. Damit schaffen wir Freiräume. Das
gibt den Unternehmen Luft, die sie besonders jetzt sehr
gut brauchen können.
Konkret reduzieren sich bis Ende 2009 die jährlichen
Bürokratiekosten von 47,6 Milliarden Euro um 12,5 Prozent.
Damit haben wir viel erreicht; denn unser ehrgeiziges
Ziel ist es, bis zum Jahr 2012 die Bürokratiekosten um
25 Prozent abzubauen. Natürlich ist das ein Nettoziel.
Darüber hinaus haben wir über 1 000 Gesetze, Rechtsverordnungen und Rechtsvorschriften ermittelt, die aufgehoben werden konnten. Im Zuge dieser Rechtsbereinigung
ist der Bestand des Bundesrechts trotz neuer Rechtsetzung
um 16 Prozent gesunken, nämlich von über 5 200 auf
knapp 4 400 Gesetze und Verordnungen. Auch das sind
beachtliche Zahlen, wie ich finde.
Selbstverständlich werden wir uns jetzt nicht zurücklehnen und uns auf diesen Lorbeeren ausruhen. Selbstverständlich wollen wir den Bürokratieabbau weiter voranbringen
und vor allem auch für die Bürger ganz direkt deutliche
Entlastungen erreichen.
Wie Sie wissen, ist Deutschland leider Weltmeister in
Sachen Steuerfachliteratur - ein trauriger Rekord, auf den
wir weder stolz sein können, noch sollten wir ihn einfach so
akzeptieren. Es muss uns gelingen, unser Steuersystem
dauerhaft und nachhaltig zu vereinfachen, um hier die
Belastungen für die Bürger, für Verwaltung und Unternehmen deutlich zu reduzieren. An vielen Stellen ist es
schlicht und einfach die Technik, die alte Verfahren der
Datenerfassungen überflüssig gemacht hat. Onlinedatenbanken sind mittlerweile in den meisten Bereichen vorhanden, und Verbände oder Kommunen können digital auf
die erforderlichen Informationen und Daten zugreifen,
ohne dass ein Betrieb zum x-ten Male das viele Seiten
lange Formular ausfüllen muss.
„E-Government“ ist hier das Stichwort. Es ist ein zentrales Instrument bei der weiteren Umsetzung unseres Programms für bessere Rechtsetzung, und es ist der richtige
Weg. Im digitalen Zeitalter wollen wir eine moderne und
schlanke Datenerfassung für Unternehmen und Verbände, Kommunen und Bürger. Wir wollen den Menschen
wertvolle Zeit ersparen. Dafür werden wir uns einsetzen.
Gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs ist
es besonders wichtig, die Kosten, die Bürgern und Unternehmen durch neue Gesetze und Rechtsverordnungen
entstehen, möglichst gering zu halten. Daher ist es besonders wichtig, die erzielten Erfolge beim Bürokratieabbau
in der heutigen Zeit zu unterstreichen: Wir werden die gesteckten Abbauziele von 12,5 Prozent bis Ende des Jahres
erreichen. Die deutsche Wirtschaft wird circa 7 Milliarden Euro jährlich weniger an unnötigen Bürokratiekosten zahlen. Drei Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes
zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates
lässt sich damit festhalten, dass entscheidende Kostenfaktoren der Wirtschaft vermieden werden konnten. Das
Standardkostenmodell hat sich etabliert. Die Bundesregierung wird bei der Reduzierung der bestehenden Bürokratiekosten nicht nur ihr Zwischenziel bis Ende 2009 erreichen, es erscheint aus heutiger Sicht ebenso
realistisch, dass bis 2011 eine Entlastung von insgesamt
25 Prozent erzielt werden kann.
Wir haben erreicht, dass Bürokratiekosten nach einheitlichen Maßstäben erfasst, gemessen und bewertet
werden. So werden neue Regelungsvorhaben in der Entstehungsphase bereits auf mögliche bürokratische Kosten
hin untersucht und Alternativen geprüft. Das hat dazu geführt, dass in allen Bundesministerien ein deutlich stärkeres Bewusstsein für die Kosten der Bürokratie entstanden ist.
Zu Protokoll gegebene Reden
Insgesamt 10 404 Informationspflichten der Wirtschaft existieren in Deutschland. Davon sind 9 230 Informationspflichten aus nationalen Gesetzen und Verordnungen einschließlich des national umgesetzten EU- und
internationalen Rechts. 1 174 Informationspflichten
stammen aus EU-Verordnungen, die direkt und unmittelbar in Deutschland gelten. Es konnten Bürokratiekosten
der Wirtschaft von rund 47,6 Milliarden Euro pro Jahr ermittelt werden. Demnach sind 22,5 Milliarden Euro vom
nationalen Gesetzgeber verursacht, 25,1 Milliarden Euro
gehen auf Regelungen zurück, die durch EU- und internationales Recht veranlasst wurden.
Der Nationale Normenkontrollrat unterstützt die Bundesregierung bei der Umsetzung des Programms. Gemäß
seinem gesetzlichen Auftrag prüft der Normenkontrollrat
alle neuen Regelungsvorhaben auf Bürokratiekosten aus
Informationspflichten und berät die Bundesregierung bei
der Reduzierung der bestehenden Bürokratiekosten. Der
Rat ist als unabhängiges Beratungs- und Prüfgremium einer der Erfolgsfaktoren für den Bürokratieabbau in unserem Land! Die Abschätzung der Bürokratiekosten bei
neuen Regelungsvorhaben durch die Bundesregierung
und die Überprüfung dieser Kosten durch den Normenkontrollrat hat sich als erfolgreiches Vorgehen zur Vermeidung unnötiger Belastungen der Wirtschaft erwiesen.
Mit diesem „präventiven“ Verfahren der Kostenabschätzung und -kontrolle nach einer einheitlichen Methode
folgt Deutschland einer europaweiten Entwicklung.
Die Erfahrungen mit dem Programm der Bundesregierung zeigen jedoch auch, dass sich die von den Bürgern
und Unternehmen als unnötig „bürokratisch“ wahrgenommen Belastungen nicht nur auf Bürokratiekosten aus
Informationspflichten zurückführen lassen. Ebenso relevant können Belastungen sein, die durch den Vollzug von
bundesrechtlichen Vorschriften entstehen. Um die Betroffenen wirkungsvoll von bürokratischen Belastungen befreien zu können, ist es daher notwendig, zu identifizieren,
wo die Ursachen für die bürokratischen Belastungen liegen und wer welchen Beitrag zur Entlastung der Betroffenen in seinem jeweiligen Verantwortungsbereich leisten
kann. Dazu bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung
des Gesamtprozesses - von der bundes-, gegebenenfalls
über die landesrechtliche Regelung bis hin zum Vollzug
durch die zuständige Stelle. Für den Vollzug bundesrechtlicher Vorschriften sind zumeist die Länder und Kommunen bzw. die Kammern oder Sozialversicherungsträger
zuständig.
Eine weitere Ursache für bürokratische Belastungen
ist sicherlich darin zu sehen, dass Bürokratiekosten aus
Informationspflichten nur einen Teil der Kosten bilden,
die Bürgern und Unternehmen aus Rechtsvorschriften
entstehen. Nicht Teil des Regierungsprogramms sind bislang solche Kosten, die Bürgern und Unternehmen aus
der inhaltlichen Rechtsbefolgung entstehen. Untersuchungen zeigen, dass diese inhaltlichen Befolgungskosten für die Betroffenen eine erhebliche Belastung
darstellen können. Die alleinige Betrachtung von Bürokratiekosten aus Informationspflichten ist insoweit zu eng
und lässt wesentliche Entlastungspotenziale ungenutzt.
Die Bundesregierung sollte beim Bürokratieabbau den
eingeschlagenen Weg weitergehen. Sie sollte das Programm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung im
Sinne einer ganzheitlichen Kostenbetrachtung erweitern.
Um eine nachhaltige Entlastung der Unternehmen sicherstellen zu können, sind zukünftig - neben den Bürokratiekosten aus Informationspflichten - verstärkt auch
weitere Kosten und Bürokratiebelastungen für die Wirtschaft in den Blick zu nehmen.
Ein erweitertes Programm zum Bürokratieabbau
sollte auf den bestehenden Strukturen aufbauen. Dazu
zählen insbesondere das erfolgreiche Verfahren zur Abschätzung von Bürokratiekosten bei neuen Regelungsvorhaben sowie der Nationale Normenkontrollrat als etabliertes Prüf- und Beratungsgremium. Der Nationale
Normenkontrollrat ist als unabhängiger Begleiter in den
Prozess der erweiterten Kostenbetrachtung bei neuen Regelungsvorhaben einzubinden und mit einem entsprechenden gesetzlichen Prüf- und Beratungsauftrag auszustatten.
Ziel sollte es weiterhin sein, dass verstärkt auch Bürger von bürokratischen Belastungen befreit werden. Dazu
müssen vorrangig besonders belastete Bevölkerungsgruppen in den Blick genommen werden. Dabei kann sich
die Bundesregierung an anderen europäischen Ländern,
wie zum Beispiel Niederlande und Österreich, orientieren.
Darüber hinaus sollte der Dialog mit den für die Umsetzung und den Vollzug von Bundesrecht zuständigen
Stellen, wie Ländern, Kommunen, Kammern und Sozialversicherungsträgern, aufgenommen werden. Gemeinsam können weitere Entlastungspotenziale besser identifiziert und Vereinfachungsmaßnahmen auf den Weg
gebracht werden. Länder, Kommunen, Kammern und Sozialversicherungsträger sollten zudem ermutigt werden,
auch im eigenen Zuständigkeitsbereich weitere Anstrengungen zum einfachen, serviceorientierten und zügigen
Verwaltungsvollzug zu unternehmen.
Zu Beginn dieser Legislaturperiode hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bürokratieabbau noch zur Chefsache erklärt. Viel mehr ist nicht passiert. Im Laufe dieser
Legislaturperiode gab es nicht etwa einen Abbau, sondern noch mehr Zuwachs bei der Bürokratie. Zwar sind
einige wenige Regelungen von geringer gesellschaftlicher Relevanz und damit mit geringem Entlastungspotenzial abgeschafft worden, eine Reihe neuer Regelungen
mit hohem Belastungspotenzial aber neu beschlossen
worden. Besonders ernst ist es Union und SPD offensichtlich nicht mit dem Bürokratieabbau.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat stets für die Festlegung eines konkreten Nettoziels beim Bürokratieabbau
plädiert. Nach wie vor fehlt ein verbindliches Bekenntnis der Bundesregierung, dass das von ihr proklamierte
25-Prozent-Abbauziel ein Nettoziel darstellt. In welcher
Höhe seit Beginn des „Programms Bürokratieabbau und
bessere Rechtsetzung“ neue belastende Regelungen verabschiedet wurden, ist immer noch unklar. Im Jahresbericht 2008 der Bundesregierung blieb dies unberücksichZu Protokoll gegebene Reden
tigt. Doch um beurteilen zu können, ob das 25-ProzentAbbauziel tatsächlich erreicht wird, ist das nötig. Am
Ende dürfen die Entlastungen nicht von neuen bürokratischen Regelungen aufgefressen oder gar übertroffen werden.
Der Gesetzentwurf der FDP sah daher vor, Nettoziele
festzulegen. Das hätte einen belastbaren Soll-Ist-Abgleich ermöglicht. In der letzten Debatte zum Bürokratieabbau am 17. Januar 2008 hat Dr. Rainer Wend für die
SPD dieses Ziel noch unterstützt: „Wir müssen für die
Entlastungen, die wir in nächster Zeit bei den Ministerien
herbeiführen wollen, ein Nettoziel vereinbaren, denn es
macht überhaupt keinen Sinn, wenn wir auf der einen
Seite bei älteren Gesetzen Bürokratie abbauen, auf der
anderen Seite aber neue verabschieden, die Bürokratie
aufbauen.“ Recht hat er. Umso unverständlicher ist es daher, dass die SPD zusammen mit der Union diese Regelung heute ablehnt. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert
die Bundesregierung ausdrücklich auf, sich zu einem Nettoziel zu bekennen.
Der Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion, über
den heute entschieden wird, ist ein Paradebeispiel dafür,
dass eine eigentlich von allen Seiten unterstützte Verbesserung der Kompetenzen des Nationalen Normenkontrollrats, NKR, aus parteitaktischen Gründen von den
Koalitionsfraktionen verhindert wird. Die FDP-Bundestagsfraktion wollte mit der Gesetzesänderung eine Regelungslücke schließen und den Fraktionen des Parlaments
ein Anrufungsrecht für den NKR einräumen. Dadurch
sollte gewährleistet werden, dass auch Gesetzentwürfe
aus der Mitte des Deutschen Bundestages auf etwaige Bürokratiekosten überprüft werden können. Dies wäre eine
sachdienliche Erweiterung des Aufgabenbereichs des
NKR gewesen; denn wer Bürokratieabbau will, muss alle
Gesetzesvorlagen im Blick haben.
Im federführenden Wirtschaftsausschuss hat die Regierungskoalition den Gesetzentwurf mit der Begründung
abgelehnt, man wolle den NKR nicht übermäßig belasten.
Diese Begründung ist schlicht fadenscheinig und vorgeschoben. Wie soll der NKR wirksam vor neuen bürokratischen Regelungen warnen, wenn ihm beim Parlament die
Hände gebunden sind? Das ist völlig widersinnig und angesichts der Probleme und Kosten - allein für die Unternehmen 47,6 Milliarden Euro, die durch Bürokratie in
Deutschland entstehen - nicht angemessen.
In der letzten Debatte vor eineinhalb Jahren haben
Union und SPD noch große Töne geschwungen und angekündigt, eine solche Regelung umzusetzen. Kollege
Hartmut Koschyk sagte damals für die CDU/CSU-Fraktion: „… wir, die CDU/CSU, wollen und werden gemeinsam mit der SPD-Fraktion dafür sorgen …, dass
Gesetzesinitiativen des Parlaments in Zukunft vom Normenkontrollrat überprüft werden.“ Geschehen ist nichts.
Es gab keine Initiative der Koalition; stattdessen lehnt sie
den Gesetzentwurf der FDP heute sogar ab. Das ist pure
Ankündigungspolitik, inkonsequent und ein Armutszeugnis für die Durchsetzungsfähigkeit der Koalition. Das
schadet dem Parlament, dem Bürokratieabbau und den
Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen.
Bürokratieabbau ist zwar ständig in aller Munde, besonders gerne auch bei Vertretern der Regierungskoalition, aber geschehen ist leider viel zu wenig. Ein erster
richtiger Schritt mit der Einsetzung des NKRs wird konterkariert durch fehlende Nettoziele und Nichteinbeziehung von Gesetzentwürfen aus der Mitte des Parlaments.
Die Bundesregierung gibt sich ideenlos und lässt das nötige Interesse für den Bürokratieabbau vermissen. An
Vorschlägen mangelt es nicht. Allein die FDP-Bundestagsfraktion hat in den letzten beiden Legislaturperioden
in jeder Sitzungswoche des Deutschen Bundestages eine
konkrete Initiative zum Bürokratieabbau vorgelegt. Darunter waren viele innovative Vorschläge wie die Befristung von Normen, die Umstellung von verschiedenen Genehmigungsverfahren auf Anzeigeverfahren oder die Erstattung von Bürokratiekosten für die Wirtschaft als
Anreizmechanismus in der öffentlichen Verwaltung zur
Verringerung der bürokratischen Lasten. Konzepte und
Ideen gibt es genug, an der Umsetzung allerdings mangelt es.
Die sogenannte Große Koalition zeigt bei diesem
Thema wieder einmal eindrücklich, dass lediglich die Benennung des Bürokratieabbaus als Chefsache durch die
Bundeskanzlerin nicht ausreicht. Von leeren Versprechungen wird die Bürokratie nicht weniger. Es muss etwas getan
werden. Konsequentes Handeln wäre nötig gewesen. Stattdessen haben Union und SPD beim Bürokratieabbau ein
Feuerwerk versprochen, am Ende aber nur ein Strohfeuer
entfacht.
Die Fraktion Die Linke lehnt den Gesetzentwurf der
FDP ab. Sie tut dies nicht, weil sie etwa meint, dass an
diesem Nationalen Normenkontrollrat nichts zu verbessern wäre. Im Gegenteil: Dieser Kontrollrat muss, wenn
er denn tatsächlich etwas bewirken soll, grundsätzlich
und umfassend umgestaltet werden. Aber davon ist im
FDP-Vorschlag nicht im Geringsten die Rede, und für ein
bisschen Kosmetik hier und ein bisschen Schönheitspflästerchen da sind wir nicht zu haben.
Das Grundübel des Normenkontrollrates ist, dass er
unter Bürokratieabbau lediglich die Entlastung der Unternehmen versteht. Damit folgt er willig dem Zeitgeist,
der, wenn er von Wirtschaft redet, immer nur die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Managerinnen und
Manager im Blick hat. „Die Wirtschaft“ sind aber auch
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Hartz-IVEmpfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger, und deren Interessen bleiben in der bisherigen Arbeit des Rates völlig
unbeachtet. Daran ändert auch die Selbstkritik nichts,
zu der sich der Kontrollratsvorsitzende Dr. Johannes
Ludewig im Dezember 2008 durchgerungen hat, als er
feststellte, dass es an der Zeit sei, „zu zeigen, dass die
Entlastung von Bürgern genauso ernst genommen wird
wie die Entlastung von Unternehmen“. Man müsste, um
diesem Ziel näherzukommen, in den Kontrollrat eben
nicht nur Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen
und Unternehmensverbänden berufen, sondern auch solche aus Sozialverbänden oder zivilgesellschaftlichen Ins-titutionen.
Zu Protokoll gegebene Reden
In seiner Halbzeitbilanz nach zweieinhalbjähriger Tätigkeit verwies der Rat im Mai auf eine Nettoentlastung
von Unternehmen durch Bürokratieabbau in Höhe von
3,7 Milliarden Euro. Nehmen wir das einmal als einen
- freilich schwer überprüfbaren - Erfolg. Entgegen steht
dem aber eine ganz andere Bilanz: Bei Hartz IV sind die
Bürokratiekosten ins Unermessliche gestiegen. Es liegen
Zehntausende von unbearbeiteten Einsprüchen zu Bescheiden bei total überforderten Gerichten, die dringlichst um neue Stellen ersuchen. Die Betroffenen - also
die Hartz-IV-Empfänger - befinden sich durch die ungeklärten Prozeduren und monate-, ja jahrelangen Wartezeiten in einer überaus misslichen Lage, und durch die
Unklarheiten in der Gesetzgebung sind außerdem viele
Tausend Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in den
Argen und Optionsgemeinden zu Betroffenen geworden.
Die an sich schon mit ihrer Armut schaffenden Wirkung
unerträglichen Hartz-Gesetze werden dadurch, dass sie
so sträflich nachlässig erarbeitet worden sind, doppelt
unerträglich - aber vom Normenkontrollrat hört man
darüber kein Wort, wie interessanterweise auch die Tatsache, dass noch immer die Mehrheit der Regierungsstellen in Bonn beheimatet ist und nicht in Berlin, im Normenkontrollrat offensichtlich keine Rolle spielt. Müsste
nicht, nachdem wir nun am 5. Juli schon den zehnten Jahrestag des Parlamentsumzuges von Bonn nach Berlin feiern, der Komplettumzug der Regierung ein ständiges
Ratsthema sein?
Wertvolle Erkenntnisse könnte der Normenkontrollrat
aus den im Osten der Republik gewonnenen Transformationserfahrungen gewinnen. So sind zum Beispiel bei der
Ansiedlung und Förderung der Solarindustrie unbürokratische Wege gegangen worden. Aber auch an vielen
anderen Stellen verdienen lokale und regionale Herangehensweisen Beachtung, bei denen eben nicht auf einen
kritiklosen Nachbau West, sondern sehr ideenreich auf
neue, noch unerprobte, Bürokratie vermeidende Problemlösungen gesetzt wurde.
Der Normenkontrollrat ist ein vom Bundespräsidenten
auf Vorschlag der Bundeskanzlerin berufenes Gremium.
Schon darin liegt die Crux. Das Parlament ist nicht wirklich einbezogen. Da muss der Blick zwangsläufig ein zu
enger bleiben. Es braucht, wenn Bürokratieabbau wirklich ernst genommen werden soll, einen grundsätzlich anderen Ansatz. Wir werden uns an den entsprechenden Anstrengungen gern beteiligen. Unser heutiges „Nein“ ist
ein „Ja“ für einen Neuanfang.
Die Bundesregierung hat sich zu Beginn ihrer Amtszeit
den Bürokratieabbau als Priorität auf die Fahnen geschrieben. Umgesetzt hat sie wenig. Ihr jetziges Ziel, bis
2011 die Bürokratie um 25 Prozent abzubauen, ist wenig
ambitioniert. Und auch diese Entlastung wird mit den
Trippelschritten der Mittelstandsentlastungsgesetze kaum
erreicht.
Der Normenkontrollrat weist in seinen Berichten darauf hin, dass bei einer bürokratischen Belastung von
rund 48 Milliarden Euro durch die mit Bundesregelungen
verbundenen Informationspflichten Abbaumaßnahmen in
Höhe von 12 Milliarden Euro nötig seien. Hiervon sind
bisher 6,58 Milliarden Euro beschlossen. Es bleibt also
noch sehr viel zu tun.
Andere sind da viel weiter. Die Niederlande haben in
einer Legislaturperiode die Bürokratielasten um 25 Prozent abgebaut, 2006 Vollzug gemeldet und arbeiten jetzt
schon an der nächsten Runde. Die deutsche Bundesregierung will bis 2011 dieses Ziel erreichen. Und selbst das ist
mit den Trippelschritten, die sie mit ihren Mittelstandsentlastungsgesetzen vorlegt hat, noch nicht sicher. Auch
Österreich ist da schon viel weiter. In Österreich werden
wie in den Niederlanden die Bürokratieabbauziele in den
Haushaltsplan integriert. Bei den Haushaltsberatungen
geht es so immer auch um Bürokratieabbau; jeder Minister berichtet entsprechend. In Deutschland gibt es lediglich Quartalstreffen des Normenkontrollrates mit der
Kanzlerin, aber keine regelmäßigen Termine mit dem
Wirtschaftsminister.
Dem Normenkontrollrat fehlen umfassende Kompetenzen, um den Bürokratieabbau voranzutreiben. So prüfen, wie der Normenkontrollrat können müsste, darf er
nicht. Wenn die Gesetze durch die Regierung ins Parlament eingebracht werden, gibt es eine Bürokratiekosteneinschätzung des Normenkontrollrates. Alles, was im
parlamentarischen Verfahren in die Gesetze reingeschrieben wird, kann er aber nicht mehr prüfen. Wenn die
Fraktionen Gesetze einbringen, wird er nicht gefragt. Dafür gibt es im Bundestag - leider - keine Mehrheit. Gesetze, die vor Januar 2007 ins Parlament eingebracht
worden sind, werden, wie zum Beispiel der Gesundheitsfonds, gar keiner Bürokratielastenmessung unterzogen.
Wir brauchen jetzt eine ehrliche Durchsicht aller geltenden gesetzlichen Regelungen sowie aller neuen Beschlüsse des Bundestages auf ihre Bürokratiefolgen hin
durch den Normenkontrollrat. Das muss nicht nur am Anfang, sondern am Ende des parlamentarischen Verfahrens geschehen.
Da bleiben die Anträge und der Entwurf der FDP zu
weich. Wir brauchen nicht nur das Recht der Fraktionen,
ihre Entwürfe überprüfen zu lassen. Das muss zur Regel
werden. Sonst kann jede Bundesregierung weiter leicht
den Normenkontrollrat umgehen, indem ihre Entwürfe
einfach über die Regierungsfraktionen eingebracht werden und die ihn dann einfach nicht anrufen. Aber das ist
nicht das einzige Problem. Darum ist der Gesetzentwurf
der FDP eindimensional. Der Normenkontrollrat kritisiert in seinem Jahresbericht selbst: Er kann sich nur auf
Belastungen beziehen, die Wirtschaft, Bürgern und Verwaltung durch die Auferlegung von Informationspflichten
entstehen. Bürokratielasten sind aber weiter gefasst und
umfassen auch die Belastungen durch Regelungen der
Länder, der EU, der Sozialversicherungsträger.
Insgesamt geht der Normenkontrollrat von rund
85 Milliarden Euro Gesamtlasten für die Wirtschaft in
Deutschland aus. Das trifft insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Sie geben 4 bis 6 Prozent ihres Umsatzes für staatlich veranlasste Verwaltungskosten aus. Um
diesen Problematiken wirksam zu begegnen, müssen wir
insgesamt die Rolle des Normenkontrollrats überdenken
und ausbauen. Vor allem müssen alle Regelungen so geZu Protokoll gegebene Reden
fasst werden, dass sie für KMU auch handhabbar sind.
Da ist die FDP mit ihrer vorgeschlagenen Gesetzesänderung doch sehr zögerlich.
Auch die vorgelegten FDP-Anträge weisen zwar teilweise in die richtige Richtung. Zentrale Bürokratieprobleme wie die Gewerbeanmeldungen drängen und Lösungen hierfür müssten zuvörderst angegangen werden. Eine
Bündelung der Zuständigkeiten bei der Gewerbeanmeldung, die Schaffung eines einheitlichen Ansprechpartners oder die elektronische Gewerbeanmeldung machen
Sinn. Aber die Problematik des Bürokratieabbaus geht
noch weit über das hinaus, was die FDP hier thematisiert.
Und es ist auch falsch, Umweltziele und Bürokratieabbau
wie bei der Behandlung von Abfall gegeneinander auszuspielen. Umweltpolitik ist keine Gängelung der Wirtschaft, sondern schafft zum Beispiel bei intelligenten Recyclingkonzepten oder energetischer Gebäudesanierung
neue Investitionsmöglichkeiten und Arbeitsplätze. Da
verfällt die FDP einem alten Reflex.
Bürokratieabbau ist der einfachere Hebel zur Wirtschaftsförderung als Subventionen. Gerade kleine und
mittlere Unternehmen können umständliche Genehmigungs- und Antragsverfahren nur schwer bewältigen. Wir
brauchen ein umfassendes Konzept für den Bürokratieabbau, das Ressort für Ressort umgesetzt wird. Neben der
beschriebenen deutlichen Stärkung der Rechte des Normenkontrollrates umfasst das grüne Konzept zum Bürokratieabbau Vorschläge wie Kosten-Nutzen-Rechnungen
für Gesetzesvorlagen, die Abschaffung der Generalunternehmerhaftung durch die Auftragnehmer für alle Subunternehmen, die Anhebung der Grenze für geringwertige
Wirtschaftsgüter und die Weiterentwicklung des Teilzeitund Befristungsgesetzes. Das sogenannte Ersteinstellungsgebot bei sachgrundlosen Befristungen muss abgeschafft werden. Die Wartefrist, die zwischen zwei Arbeitsverhältnissen liegen muss, sollte maximal sechs Monate
betragen, um Kettenbefristungen zu vermeiden. Damit ist
auf unbürokratische Weise sichergestellt, dass kein Missbrauch stattfindet. Eine befristete Wirkung von Gesetzesänderungen kann im Einzelfall nach Sachlage sinnvoll
sein.
Bündnis 90/Die Grünen haben noch weit umfassendere Vorschläge für einen konsequenten Bürokratieabbau
erarbeitet. In den halbherzigen Gesetzgebungsvorschlägen der Großen Koalition wurden diese bislang
ignoriert - nachdem ihnen zuvor Fachpolitiker der Fraktionen persönlich Respekt gezollt hatten. Es bleibt also
viel zu tun.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der FDP zur Änderung des Gesetzes zur Einsetzung
eines Nationalen Normenkontrollrates. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9839, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7855
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf
abgelehnt. Dafür gestimmt hat die Fraktion der FDP; dagegen gestimmt haben die Koalitionsfraktionen und die
Fraktion Die Linke; enthalten hat sich die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Die dritte Beratung entfällt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12470 mit dem Titel „Bürokratie abbauen - Unternehmen, Bürgerinnen
und Bürger entlasten“. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
({0})
- Nein, das ist ein Antrag. Sie müssen sich entscheiden:
dafür, dagegen oder Enthaltung.
Ich wiederhole die Abstimmung: Wer stimmt für die-
sen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Antrag ist abgelehnt. Dafür hat die einbringende
Fraktion gestimmt, dagegen die Koalitionsfraktionen
und die Linke. Bündnis 90/Die Grünen haben sich ent-
halten.
Tagesordnungspunkt 22 c, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem An-
trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Wirtschaftliche
Dynamik fördern - Gewerbeanmeldungen entbürokrati-
sieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/11977, den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9338 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Ge-
genstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen. Dafür haben gestimmt die Koali-
tionsfraktionen und die Linke, dagegen haben gestimmt
FDP und Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 22 d, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel
„EU-Abfallrahmenrichtlinie ökologisch wirksam, unbüro-
kratisch und marktwirtschaftlich gestalten“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4961, den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/3318 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men bei Zustimmung des gesamten Hauses und Gegen-
stimmen der FDP-Fraktion.
Tagesordnungspunkt 22 e, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Entlastung kleiner und
mittlerer Betriebe durch Abbau bürokratischer Regelungen
im Sozialrecht“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/5494, den Antrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3163 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegen-
stimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Dafür haben gestimmt die Koalitionsfraktio-
nen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dagegen
gestimmt hat die FDP. Die Linke hat sich enthalten.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis e auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter
Friedrich ({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Dr.
Reinhold Hemker, Gregor Amann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD
Potentiale von Migranten für den internatio-
nalen Tourismus nutzen
- Drucksachen 16/11403, 16/12186 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Ilja Seifert
Bettina Herlitzius
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter
Friedrich ({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Renate
Gradistanac, Clemens Bollen, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Barrierefreien Tourismus weiter fördern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Barrierefreier Tourismus für alle in Deutsch-
land
- Drucksachen 16/12101, 16/10317, 16/13046 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Ernst Burgbacher
Dr. Ilja Seifert
Bettina Herlitzius
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Anita Schäfer ({5}), Dr. HansPeter Friedrich ({6}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße,
Gabriele Hiller-Ohm, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bauernhofurlaub und Landtourismus weiter fördern - Ländliche Räume nachhaltig
stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, Katrin Kunert
und der Fraktion DIE LINKE
Landurlaub und Urlaub auf dem Bauernhof
als Chance für einen umweltfreundlichen
Tourismus in Deutschland nutzen
- Drucksachen 16/10320, 16/7614, 16/13052 Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer ({7})
Gabriele Hiller-Ohm
Jens Ackermann
Dr. Ilja Seifert
Bettina Herlitzius
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Klaus Riegert, Jürgen Klimke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Dr.
Reinhold Hemker, Dr. Peter Danckert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Potentiale von Tourismus und Sport erkennen
und fördern
- Drucksachen 16/11402, 16/13053 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Ilja Seifert
Bettina Herlitzius
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Brähmig, Uda Carmen Freia Heller, Dr. HansPeter Friedrich ({10}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Engelbert
Wistuba, Dr. Carl-Christian Dressel, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD
Reformationsjubiläum 2017 als welthistori-
sches Ereignis würdigen
- Drucksachen 16/9830, 16/13054 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Uda Carmen Freia Heller
Engelbert Wistuba
Jens Ackermann
Dr. Ilja Seifert
Bettina Herlitzius
Die Kolleginnen und Kollegen Uda Heller, Anita
Schäfer, Engelbert Wistuba, Gabriele Hiller-Ohm, Reinhold
Hemker, Jens Ackermann, Ilja Seifert und Bettina
Herlitzius haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich
gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 27 a, Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag
der Fraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem Titel
„Potentiale von Migranten für den internationalen Tou-
rismus nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12186, den
Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/11403 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men. Dafür haben gestimmt die Koalitionsfraktionen,
dagegen Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Die
FDP hat sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 27 b, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 16/13046.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktio-
nen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12101
mit dem Titel „Barrierefreien Tourismus weiter fördern“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitions-
fraktionen und die Linke. Gegenstimme gab es keine. Ent-
halten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die FDP.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
16/10317 mit dem Titel „Barrierefreier Tourismus für
alle in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt
haben die Koalitionsfraktionen und die FDP, dagegen
gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke.
Tagesordnungspunkt 27 c, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 16/13052.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen
von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/10320 mit
dem Titel „Bauernhofurlaub und Landtourismus weiter
fördern - Ländliche Räume nachhaltig stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen. Dafür gestimmt haben die Koalitions-
fraktionen und die Linke, dagegen Bündnis 90/Die Grü-
nen. Die FDP hat sich enthalten.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/7614 mit dem Titel „Landur-
laub und Urlaub auf dem Bauernhof als Chance für einen
umweltfreundlichen Tourismus in Deutschland nutzen“.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Dafür haben gestimmt die Koalitionsfrak-
tionen und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen hat die Frak-
tion Die Linke gestimmt. Die FDP hat sich enthalten.
1) Anlage 32
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13052 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben
die Koalitionsfraktionen und die FDP, dagegen haben gestimmt Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 27 d. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Potentiale von
Tourismus und Sport erkennen und fördern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13053, den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/11402
anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Ablehnung durch die Oppositionsfraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 e. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Reformationsjubiläum 2017 als welthistorisches Ereignis würdigen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13054, den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/9830 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen und die FDP, Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke haben sich enthalten. Es gab keine Gegenstimmen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Dr. Petra Sitte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Digitale Kluft schließen - Zehntausende Arbeitsplätze schaffen
- Drucksache 16/12999 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Kultur und Medien
Ihre Reden zu Protokoll haben gegeben: Martina
Krogmann, Martin Dörmann, Rainer Brüderle, Katrin
Kunert und Grietje Staffelt.
Schnelle Zugangsmöglichkeiten zum Internet sind für
die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes von grundlegender Bedeutung. Eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur ist eine wesentliche
Voraussetzung für Wachstum, Innovation und Arbeitsplätze. Immer mehr Geschäftsmodelle, Dienste und Anwendungen können nur mit einem schnellen Zugang zum
Netz genutzt werden. Wertschöpfungs- und Kommunikationsprozesse in Unternehmen, Verwaltungen und im geDr. Martina Krogmann
sellschaftlichen Leben werden immer stärker über
schnelle Datenleitungen abgewickelt.
Zentrales Ziel ist es deshalb, möglichst schnell flächendeckenden Breitbandzugang in Deutschland zu erreichen. Diese Zielsetzung ist nicht nur für die Stärkung
des Wirtschaftsstandortes Deutschland von entscheidender Bedeutung. Sie ist auch eine zwingende Voraussetzung dafür, die Chancengleichheit der Bürgerinnen und
Bürger zu wahren. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen
in Deutschland an den Chancen der Informationsgesellschaft teilhaben können!
Deshalb muss die bislang insgesamt gute Breitbandentwicklung weiter beschleunigt und vorangetrieben
werden; denn eine Vielzahl von Haushalten kann die
Möglichkeiten breitbandiger Internetverbindungen noch
immer nicht nutzen und, jetzt werden die volkswirtschaftlich bedeutsamen Investitionsentscheidungen für den
Aufbau schneller Netze mit Übertragungsraten ab
50 MBit/s getroffen.
Die Bundesregierung wird der Entwicklung zusätzliche Impulse geben. Sie hat deshalb in der im Februar beschlossenen Breitbandinitiative ehrgeizige Ziele gesetzt:
Erstens. Bis Ende 2010 sollen die Lücken in der Breitbandversorgung geschlossen und flächendeckend leistungsfähige Breitbandanschlüsse verfügbar sein.
Zweitens. Bis 2014 sollen bereits für 75 Prozent der
Haushalte Anschlüsse mit Übertragungsraten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung stehen mit
dem Ziel, solche hochleistungsfähigen Breitbandanschlüsse möglichst bald flächendeckend verfügbar zu haben.
Diese Zielsetzungen sind das Ergebnis intensiver Diskussionen mit der Branche und den Ländern. Der Bundesregierung ist durchaus bewusst, dass es sich um ambitionierte Ziele handelt. Sie hält diese Ziele aber für
realisierbar, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen von
allen Beteiligten zielorientiert umgesetzt werden. Unstreitig ist, dass diese Ziele nur durch einen Technologiemix und im Wettbewerb erreicht werden können. Das gilt
für die Beseitigung der „weißen Flecken“ ebenso wie für
die Entwicklung der Hochleistungsnetze.
Die Techniken tragen dabei aufgrund ihrer Eigenschaften in unterschiedlicher Weise zur Erreichung der
Ziele bei: DSL, Kabelnetze, Funk- und Satellitenverbindungen und vereinzelt auch Powerlinenetze sind die
Grundlage für die kurzfristige Bereitstellung einer flächendeckenden Versorgung mit leistungsfähigen Breitbandanschlüssen. Darunter versteht man derzeit Übertragungsraten von mindestens 1 MBit/s. Kabelnetze,
VDSL, Glasfasernetze und langfristig möglicherweise
auch zukunftsfähige Funktechnologien wie LTE - LongTerm-Evolution - bilden die Basis für hochleistungsfähige Internetanschlüsse - ab 50 MBit/s.
Um diese ambitionierten kurz- und langfristigen Ziele
zu erreichen, schlägt die Bundesregierung einen anreizorientierten Ansatz vor, indem sie die Nutzung von Synergien beim Infrastrukturausbau vorantreibt, eine unterstützende Frequenzpolitik gewährleistet, sich für eine
wachstums- und innovationsorientierte Regulierung einsetzt und im erforderlichen Umfang finanzielle Fördermaßnahmen bereitstellt.
Das kurzfristige Ziel einer flächendeckenden Versorgung mit leistungsfähigen Breitbandanschlüssen wird dabei vor allem durch die Fortsetzung und den Ausbau der
finanziellen Föndermaßnahmen für Kommunen unterstützt sowie durch die Nutzung von Instrumenten zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmer. Zudem greifen mehr Planungssicherheit bei der
Regulierung, die Nutzung der digitalen Dividende und
die verschiedenen Aktivitäten der Länder.
Die Bundesregierung setzt also auf einen Mix der verschiedensten Maßnahmen um eine passgenaue und wirtschaftlich vertretbare Lösung für jeden Ort zu erreichen.
Wer aber ausschließlich auf eine steuerfinanzierte flächendeckende Kabelinfrastruktur setzt, handelt volkswirtschaftlich unsinnig und (verschwendet die Staatsgelder - Gelder, die nicht irgendwo herkommen, sondern
von den Menschen in unserem Land hart erarbeitet werden müssen.
Es gilt vielmehr, dünn besiedelte ländliche Regionen
zum Beispiel auch über Funk an Breitbandinternet anzuschließen. Dies erreichen wir durch eine flexible und effiziente Frequenzpolitik.
Die heutigen breitbandigen Mobilfunknetze decken
derzeit in erster Linie dichter besiedelte Regionen ab.
Dies wird sich künftig verbessern. Die bislang für die
GSM-Netze genutzten Frequenzspektren um 900 MHz
sollen künftig - unabhängig von einer bestimmten Technonlogievorgabe - für alle Formen des drahtlosen Netzzugangs verwendet werden können.
Die Vorbereitungen zu einer Vergabe weiterer Frequenzressourcen sind nahezu abgeschlossen. Die konkreten Auktionsregeln werden noch erarbeitet und zur Kommentierung gestellt. Mit 270 Megahertz wird 2010 das
bisher umfangreichste Spektrum versteigert. Eine Beschränkung des Einsatzes bestimmter Techniken wird es
dabei nicht geben. Diese Frequenzen werden bundesweit
für breitbandige Anwendungen zur Verfügung gestellt.
Dabei geht die Bundesnetzagentur konsequent den eingeschlagenen Weg weiter: möglichst technologie- und
diensteneutral Frequenzen bereitzustellen für drahtlose
Netzzugänge.
Die Einführung eines Universaldienstes, wie es die
Linke fordert, würde keines der grundsätzlichen Probleme lösen, aber viele neue schaffen. Wie sollte er definiert werden? Welche Übertragungsrate soll vorgeschrieben werden? Wie oft sollte er der technischen
Entwicklung angepasst werden? Wo sind volkswirtschaftliche und finanzielle Grenzen? Ich gebe außerdem zu
bedenken, dass wir derzeit über Satelliten fast überall in
Deutschland - inzwischen gar nicht mehr so teure - 1-MBVerbindungen erhalten können.
Vor diesem Hintergrund können wir mit diesem Antrag
nur eines tun: ablehnen!
Zu Protokoll gegebene Reden
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt
die Breitbandstrategie der Bundesregierung. Eine investitionsorientierte Regulierung, die Nutzung der „Digitalen Dividende“ und verbesserte Rahmenbedingungen für
den Infrastrukturausbau sind wesentliche Bausteine des
flächendeckenden Breitbandausbaus.
Die SPD setzt sich seit langem dafür ein, die Versorgungslücken in der Fläche zu schließen und ganz
Deutschland mit schnellen Internetverbindungen zu versorgen. Davon profitieren nicht nur ländliche Regionen
und mittelständische Unternehmen, die an die Datenautobahn angeschlossen werden. Unser Ziel war auch
stets, alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland an den
Chancen der Informationsgesellschaft zu beteiligen.
Es ist ein besonderes Anliegen von Frank-Walter
Steinmeier und ihm zu verdanken, dass die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem zweiten Konjunkturpaket eine Breitbandstrategie verabschiedet hat, die zusätzliche Impulse für Milliardeninvestitionen in den zügigen
flächendeckenden Breitbandausbau setzt.
Die Ziele sind ehrgeizig gesteckt: Bis Ende 2010 sollen
flächendeckend leistungsfähige Breitbandanschlüsse von
einem Megabit pro Sekunde zur Verfügung stehen, bis
2014 mit Übertragungsraten von mindestens 50 Megabit
für 75 Prozent der Haushalte.
Dies erfordert zweistellige Milliardeninvestitionen der
TK-Unternehmen. Deshalb ist es notwendig und zu begrüßen, dass die Bundesregierung ausdrücklich auf eine
wachstums- und innovationsorientierte Regulierung
setzt. Hierfür kommt der Bundesnetzagentur eine besondere Verantwortung zu. Die von ihr zu entwickelnden
Eckpunkte müssen ökonomische und rechtliche Planungssicherheit schaffen, spezifische Risiken der investierenden Unternehmen berücksichtigen und ein geeignetes Risiko-Sharing regulatorisch absichern. Die
kostspieligen Investitionen in den Infrastrukturausbau
müssen von mehreren Unternehmen erfolgen, wenn man
die formulierten Ziele erreichen will. Deshalb wird es
auch weiterhin einen intensiven Wettbewerb in diesem
Bereich geben. Inzwischen hat die Bundesnetzagentur ihren Eckpunkteentwurf zur öffentlichen Konsultation gestellt, sodass mit der endgültigen Vorlage bereits in den
nächsten Monaten zu rechnen ist.
Zur Unterstützung der Unternehmen und der besonders betroffenen Kommunen setzt die Bundesregierung
darüber hinaus auf ein Maßnahmenbündel. Finanzielle
Fördermaßnahmen, zusätzliche Hilfestellung beim Infrastrukturausbau und eine unterstützende Frequenzpolitik
werden den Breitbandausbau weiter beschleunigen.
Die Nutzung eines Teils der „Digitalen Dividende“ für
mobiles Internet ist dabei ein wichtiger Baustein. Die
hierfür notwendigen rechtlichen und technischen Klärungen sollen nun unverzüglich erfolgen. Die Bundesnetzagentur beabsichtigt, noch in diesem Jahr ein Verfahren
zur Vergabe der entsprechenden Frequenzen durchzuführen. Dabei wird darauf zu achten sein, dass die Bedingungen für die Mobilfunkunternehmen so gesetzt werden,
dass zunächst vorrangig der Ausbau der nicht oder nur
schlecht versorgten Regionen angegangen wird. Insofern
ist es zu begrüßen, dass der Bundesrat mit seiner Zustimmung zur Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung
in der vergangenen Woche den Weg frei gemacht hat.
Insgesamt befindet sich die Breitbandstrategie der
Bundesregierung also auf einem guten Weg, auch wenn
noch die eine oder andere Klippe zu umschiffen ist. Umso
unverständlicher ist der heutige Antrag der Fraktion Die
Linke, über den wir hier diskutieren. Er enthält nicht nur
Widersprüche, sondern auch zahlreiche Fehlinformationen, auf die man aufgrund der begrenzten Zeit an dieser
Stelle gar nicht alle eingehen kann. Ich will deshalb nur
wenige Punkte beispielhaft aufgreifen.
Anfang 2007 haben wir mit dem neuen Telemediengesetz erstmals einen einheitlichen, entwicklungsoffenen
Rechtsrahmen im Bereich der Tele- und Mediendienste
geschaffen. Frühere Abgrenzungsprobleme sind entfallen. Gegenüber dem alten Rechtszustand wurde eine
deutliche Verbesserung erzielt. Damit haben wir einen
wirksamen Beitrag zur Fortentwicklung des Internets geleistet, für das das Telemediengesetz von besonderer Bedeutung ist.
Bereits bei der damaligen Verabschiedung hatten die
Koalitionsfraktionen in Aussicht gestellt, noch in dieser
Legislaturperiode eine Überarbeitung vorzunehmen.
Denn damals mussten wir das Gesetz zügig verabschieden, um ein zeitgleiches Inkrafttreten mit dem Neunten
Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien zum 1. März
2007 zu ermöglichen. Beide Regelwerke ergänzen sich
und haben die bisherigen Bestimmungen abgelöst.
Zuletzt hat der Bundestag im Mai 2008 eine ausführliche Debatte über möglichen Änderungsbedarf geführt.
Grundsätzlich gibt es in diesem Hause keine Fraktion, die
einen solchen Bedarf nicht sehen würde, wenn auch jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Aus Sicht der
Koalitionsfraktionen geht es hierbei in erster Linie um die
weitere Verbesserung der Rechtssicherheit im Bereich der
Internethaftung. Das betrifft die Klärung der Störerhaftung sowie Fragen, die von den Haftungsbestimmungen
der einschlägigen E-Commerce-Richtlinie nicht erfasst
werden und die auch in Deutschland vor diesem Hintergrund ausdrücklich nicht geregelt wurden, insbesondere
Suchmaschinen und Hyperlinks. Insofern haben wir es
nämlich mit einer Rechtsprechung zu tun, die in der Internetbranche für Unsicherheiten gesorgt hat, die es möglichst zu beseitigen gilt.
Konkret geht es etwa um die Fragestellung, inwieweit
ein Diensteanbieter für Inhalte haftet, die er nicht selbst
eingestellt hat. Dass Rechtsverletzungen beseitigt werden
müssen, steht dabei außer Frage. Probleme bereitet allerdings die zukünftige Verhinderung einer Rechtsverletzung, insbesondere dann, wenn eine Rechtsverletzung
festgestellt wurde und die Anwendung auf analoge Fälle
zu übertragen ist. Denn wer auf seiner Homepage Links
auf andere Seiten eingestellt hat, kann diese nicht ständig
kontrollieren.
Im Kern geht es also um die Frage, inwieweit Diensteanbieter beispielsweise im Rahmen einer Störerhaftung
reguläre Überwachungspflichten übernehmen müssen
Zu Protokoll gegebene Reden
oder nicht. Die Rechtsprechung hat hier die Unterlassungsansprüche in einem bestimmten Fall auf kerngleiche Rechtsverletzungen ausgedehnt. Dies hat zu großer
Verunsicherung geführt, weil eine weite Auslegung der
Kerngleichheit zu einer fast uferlosen Haftung führen
könnte. Auf der anderen Seite würde eine zu enge Auslegung möglicherweise zu einer Verkürzung der betroffenen
Rechteinhaber führen.
Insgesamt geht es daher vor allem um eine gerechte
und praktikable Lösung, die die unterschiedlichen Interessen von Rechteinhabern, Verbrauchern und Internetunternehmen zu einem vernünftigen Ausgleich bringt.
Diesen goldenen Mittelweg zu finden und mit allen Beteiligten einvernehmlich abzustimmen, hat sich in den
vergangenen Monaten als besonders schwierig erwiesen.
Die Koalitionsfraktionen hatten erwartet, dass die Bundesregierung, wie angekündigt, noch im Jahr 2008 einen
Gesetzentwurf vorlegt, in dem die problematisierten Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Das Wirtschaftsministerium war auch keineswegs untätig, sondern hat zahlreiche Gespräche mit vielen Beteiligten geführt, um eine
möglichst von allen getragene Lösung abzustimmen. Eine
besondere Schwierigkeit ist dabei, dass die Rechtsprechung auch weiterhin in der Entwicklung ist. Wichtige
Entscheidungen, die in diesem Jahr ergangen sind, müssen bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Dies alles hat zu einer Zeitverzögerung geführt, die wir auch als
Koalitionsfraktionen bedauern. Wir wären hier gerne
schneller vorangeschritten.
Die Große Koalition prüft derzeit, wie wir mit der Thematik des Telemediengesetzes weiter vorgehen. Wie Sie
wissen, gibt es aktuell Überlegungen des Familienministeriums zur Einführung einer Sperrungsverpflichtung zur
Bekämpfung der Kinderpornografie. Hier ist zu klären,
inwieweit sich zusätzlicher Regelungsbedarf beim Telemediengesetz oder beim Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ergibt. Dabei wird man zu berücksichtigen haben,
dass die deutsche Internetwirtschaft bei der Bekämpfung
illegaler und gefährliche Inhalte - insbesondere auch der
Kinderpornografie - durchaus aktiv und engagiert ist. Insoweit wird zu prüfen sein, wie man das gemeinsame Ziel,
Kinderpornografie den Garaus zu machen, effektiv und
angemessen erreichen kann, sei es durch zusätzliche Regelungen oder eine Ausweitung der Selbstverpflichtung
der Internetwirtschaft.
Zudem steht für Anfang 2009 ohnehin das Vorhaben
zur teilweisen Umsetzung der europäischen Audiovisuelle-Mediendienste-Richtlinie an. Hierzu wird das Wirtschaftsministerium Anfang des Jahres einen ersten Entwurf zur Änderung des Telemediendienstes vorlegen. Es
scheint einiges dafür zu sprechen, die zu klärenden Fragen in einem größeren Vorhaben zur Änderung des Telemediendienstes anzugehen. Die Große Koalition wird
sich hierzu Anfang des Jahres auf das weitere Vorgehen
verständigen. Die FDP-Fraktion hat nun einen eigenen
Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes vorgelegt. Er greift insbesondere die Frage der Störerhaftung auf. Die von der FDP vorgetragenen Änderungsvorschläge werden wir eingehend prüfen. Insbesondere bei
den Regelungen zu Suchmaschinen und Hyperlinks erscheint mir die Zielrichtung unterstützendswert. Andererseits enthält der FDP-Entwurf allerdings auch eine Reihe
von Widersprüchlichkeiten und fragwürdigen Regelungsvorschlägen. So soll der Internetvermittler nur dann als
Störer haften, wenn der eigentliche Verursacher nicht
greifbar ist, andererseits aber auch nur dann, wenn gegen
den eigentlichen Störer ein vollstreckbarer Titel erwirkt
wurde. Hierdurch würde die Verhinderung einer Rechtsverletzung beim Vermittler übermäßig erschwert.
An manchen Stellen macht es sich der FDP-Antrag
deshalb bezüglich der Abwägung der unterschiedlichen
Interessenlagen zu einfach, angesichts der komplexen
Problemlagen. Daher kann der Gesetzentwurf aus Sicht
der Koalitionsfraktionen insgesamt keine geeignete
Grundlage für eine Novellierung des Telemediengesetzes
sein. Bei allen Unterschieden im Detail hoffe ich aber
dennoch, wir können im Sinne des durchaus konstruktiven Dialogs, den wir in dieser Sache pflegen, am Ende zu
Lösungen kommen, die von möglichst vielen Fraktionen
gemeinsam getragen werden. In diesem Sinne freue ich
mich auf die weiteren Diskussionen hierzu im nächsten
Jahr.
Im Antrag bleibt unklar, wer für die Kosten des Breitbandausbaus aufkommen soll. Er kann sich nicht entscheiden zwischen öffentlichen und privaten Investitionen der Unternehmen. Er verkennt die Fortschritte, die in
vielen Bereichen bereits erzielt wurden. Er enthält viele
falsche Darstellungen, beispielsweise die, dass im Konjunkturpaket II kein einziger Euro für den Breitbandausbau vorgesehen ist. Dabei ist es möglich, über das
kommunale Investitionsprogramm Mittel für den Infrastrukturausbau abzurufen, die insbesondere auch für die
notwendige Verlegung von Leerrohren für den Glasfaserausbau genutzt werden können.
Die Liste der Fehleinschätzungen und Fehlinformationen ließe sich problemlos verlängern. In Wirklichkeit
hat die Fraktion Die Linke keinen Breitbandantrag, sondern einen Schmalbandantrag vorgelegt.
Dies ist bedauerlich, zumal es um ein wichtiges Ziel
geht, nämlich zusätzliche Entwicklungschancen für den
ländlichen Raum, Wirtschaftswachstum und eine positive
Arbeitsmarktentwicklung. Diesen Zielen wird die Breitbandstrategie der Bundesregierung gerecht, nicht jedoch
dieser Antrag.
Wer wissen will, was wirklich in der Breitbandstrategie steht, kann diese übrigens im Internet unter
www.zukunft-breitband.de abrufen, auch der Fraktion
Die Linke zur Lektüre empfohlen.
In Deutschland muss die Breitbandtechnik flächendeckend nutzbar sein. Das ist auch unser politisches Ziel.
Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland
hängt nicht zuletzt von der Verfügbarkeit einer modernen
und zukunftsfähigen technischen Infrastruktur für Informations- und Kommunikationsdienstleistungen ab. Breitbandzugang ist mittlerweile nahezu unverzichtbar für
viele Bereiche wirtschaftlicher Wertschöpfung, aber auch
Zu Protokoll gegebene Reden
für moderne Bildungsmethoden, elektronische Behördendienstleistungen und politische Beteiligung.
Wir wollen keine digitale Spaltung. Wir wollen keine
dauerhaft weißen Flecken für schnelle Internetzugänge.
Wir wollen nicht, dass sich ländliche Räume weiter entleeren, dass Unternehmen aus ländlichen Regionen in die
Ballungsgebiete abwandern, nur weil die Kommunikationsinfrastruktur nicht stimmt. In dieser Frage gibt es
keinen Dissens.
Unterschiedlicher Auffassung sind wir aber sehr wohl
darüber, auf welche Weise wir dieses Ziel am besten verwirklichen können. Die Linken wollen den Universaldienst auf Breitbandanschlüsse ausweiten. Abgesehen
davon, dass ein staatlicher Beschluss allein die Anschlüsse nicht gleich überall verfügbar macht, ist das
auch der falsche Ansatz. Man kann doch nicht im Ernst
das Monopol der Deutschen Telekom zurückholen wollen. Sie scheinen vergessen zu haben, dass es der Wettbewerb war, der dafür gesorgt hat, dass die Preise fürs Telefonieren drastisch gesunken sind. Nach Angaben der
Bundesnetzagentur haben sich die Nutzungsentgelte seit
der Liberalisierung für Sprachtelefonie um bis zu 97 Prozent verbilligt. Es war der Wettbewerb, der dafür gesorgt
hat, dass wir nicht mehr mit den grauen Einheitstelefonen
vorliebnehmen müssen, dass sich neue Techniken schnell
durchsetzen konnten. Das verdanken wir den Wettbewerbern, den neuen Anbietern, die sich im Markt etabliert haben und Arbeitsplätze schaffen. Zurück zum Monopol
kann kein vernünftiger Mensch wollen. Deshalb sollten
wir auch beim Breitbandausbau den Wettbewerb der
Ideen und Techniken zum Zuge kommen lassen. Eine Universaldienstverpflichtung wäre von allen möglichen
Staatseingriffen die unwirtschaftlichste Option für diesen
sich ständig weiterentwickelnden Markt.
Wenn der Staat schon im Rahmen seiner Konjunkturprogramme viel Geld ausgibt, dann sollte es möglichst
sinnvoll verwendet werden. Das Geld auf kommunaler
Ebene für den Breitbandausbau zu verwenden, ist ohne
Zweifel sinnvoll. Aber statt zentrale Vorgaben zu machen,
sollten wir es den Kommunen überlassen, welche Technik
sie zweckmäßigerweise installieren lassen und mit welchem Partner sie vor Ort zusammenarbeiten wollen. Ob
Glasfaserkabel, Funkfrequenzen, Powerline - also Internet über Stromnetze - oder Satellit, es hängt nicht zuletzt
auch von der Beschaffenheit einer Region ab, was sich als
besonders günstig erweist, in technischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht. Die noch stärkere Nutzung von Koaxial-, also Kabelfernsehnetzen verspricht für die Zukunft
eine spürbare Steigerung der Breitbandabdeckung.
Es gibt keine Technik, die das Problem der weißen Flecken allein vollständig lösen kann. Es ist deshalb wenig
erfolgversprechend, nur bestimmte Unternehmen oder
Initiativen zum Breitbandausbau zu fördern. Die Politik
kann hier unterstützend wirken. Beispielsweise sollten die
freigewordenen Frequenzen aus der Digitalen Dividende
flexibel vergeben werden. Wer Arbeitsplätze schaffen und
erhalten will, sollte den kleinen und mittleren Unternehmen jetzt keine Wachstums- und Beschäftigungspotenziale verbauen, der sollte auch Alternativen zum Glasfaserkabel eine Chance geben.
Was jetzt nötig ist, damit die Investitionen schnell umgesetzt werden können, ist vor allem kompetente Beratung der Kommunen, die die Investitionen in Auftrag geben sollen. Nicht nötig, sondern schädlich ist hingegen
die Bevormundung durch den Bund. Für die FDP gilt
auch in Zukunft: Abhängig von den geografischen, demografischen und sozioökonomischen Gegebenheiten soll
sich die jeweils kostengünstigste Technik durchsetzen.
Nur eine einzige Technik zu forcieren, lehnt die FDP ab.
Außerdem brauchen wir eine Marktaufsicht für Telekommunikationsdienste, die dem schon entstandenen und
noch entstehenden Wettbewerb gerecht wird. Im Rahmen
einer Deregulierung der Endkundenmärkte muss die
nachträgliche Marktaufsicht gestärkt werden. Es ist begrüßenswert, wenn sich mehrere Unternehmen beim Ausbau der Breitbandinfrastruktur in bestimmten Gebieten
zusammentun. Hier muss das Bundeskartellamt allerdings sicherstellen können, dass solche gemeinsamen
Ausbauvorhaben nicht zu Kartellen führen, die andere
Anbieter unzumutbar von der Nutzung ausschließen.
Die Linke bringt das Thema Breitbandinternet im Plenum nicht zum ersten Mal zur Sprache. Unsere Vorschläge wurden bisher ignoriert. Das Ergebnis: Im Breitbandausbau in Deutschland tut sich viel zu wenig. Die
Aktivitäten der Bundesregierung zur Schließung der
Breitbandlücken sind bisher völlig unzureichend. Jetzt
kommt auch noch die Wirtschaftskrise dazu.
Wir sagen: Gerade jetzt wäre aber eine breit angelegte
Breitbandoffensive, die diesen Namen auch verdient, nötig. So könnten Millionen Menschen den Zugang zum
schnellen Netz bekommen und zugleich Hunderttausende
Arbeitsplätze gesichert bzw. geschaffen werden.
Zur Erinnerung: Derzeit haben etwa 12 Millionen
Haushalte keinen Zugang zum schnellen Internetanschluss, legt man eine Übertragungsrate von 2 Megabit
pro Sekunde zugrunde. Das ist fast jeder dritte Haushalt.
Der Zugang zum Breitbandinternet ist für die Menschen aber dringend notwendig, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das können sie derzeit nicht in
allen Bereichen. Für die Menschen in unterversorgten
Regionen ist es nicht selbstverständlich, Nachrichten im
Internet zu verfolgen, Digitalfotos an entfernt lebende
Verwandte und Freunde zu schicken oder im Internet einzukaufen.
Kleine und mittlere Unternehmen sind für ihre Geschäftstätigkeit auf schnelle Internetanschlüsse angewiesen. Gerade ländliche Kommunen müssen eine zeitgemäße Infrastruktur vorweisen können, damit sich neue
Unternehmen ansiedeln. Das betrifft besonders die strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland.
Um die digitale Spaltung zu überwinden, fordert die
Linke seit langem, Telekommunikationsunternehmen gesetzlich dazu zu verpflichten, schnelle Internetanschlüsse
in jedem Dorf und jeder Stadt zur Verfügung zu stellen.
Diese Forderung gewinnt vor dem Hintergrund der
heutigen Krise eine noch stärkere Bedeutung. Denn durch
Zu Protokoll gegebene Reden
einen breit angelegten Infrastrukturausbau könnten Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen werden.
Mit Interesse habe ich die MICUS-Studie gelesen, die
die Bundesregierung vor einiger Zeit selbst in Auftrag gegeben hatte. Diese von der MICUS GmbH ausgearbeitete
Studie befasst sich mit den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Breitbandnutzung. Und sie stellt fest: Die
Beschäftigungseffekte durch den Breitbandausbau sind
deutlich positiv zu bewerten. Die Studie stellt heraus,
dass im Idealfall 265 000 neue Arbeitsplätze geschaffen
werden können. Bei weniger idealen Bedingungen geht
die Studie immer noch von 178 000 Arbeitsplätzen aus,
die bis 2010 geschaffen werden können. Nun ist die Studie
auch schon drei Jahre alt.
Hätte die Bundesregierung in der Vergangenheit auf
uns gehört, wären wir schon einige Schritte weiter. Union
und SPD sollten wenigstens klare gesetzliche Vorgaben
machen, statt auf die freiwilligen Aktivitäten der Telekommunikationsunternehmen zu setzen, und damit Beschäftigung schaffen.
Mein Fazit ist: Die Umsetzung der Breitbandoffensive
der Bundesregierung zeigt bereits jetzt, dass es nicht dazu
kommen wird, dass alle Haushalte mit einem schnellen
Internetanschluss in den nächsten Jahren versorgt werden. Dies ist nur möglich durch die Aufnahme des Breitbands in den Universaldienst, das heißt die gesetzlich garantierte Grundversorgung.
Damit können zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Menschen in den Gemeinden ohne Breitbandnetz können endlich am digitalen Leben teilhaben,
und der Netzausbau schafft Beschäftigung.
Einen Breitbanduniversaldienst einzuführen, ist wichtiger denn je. Nur so kann sichergestellt werden, dass die
Bundesregierung endlich von ihrem Irrweg abkommt und
den Weg frei macht für eine flächendeckende Breitbandversorgung und mehr Beschäftigung in Zeiten der Krise.
Mit dem vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke
„Digitale Kluft schließen - Zehntausende Arbeitsplätze
sichern“ verhält es sich so: Die Analyse ist streckenweise
gelungen, im Gegensatz zu den daraus abgeleiteten For-
derungen.
Es ist richtig, dass die Bundesregierung auf dem Feld
des Breitbandausbaus weitestgehend beratungsresistent
ist. Selbst Studien, die von Ministerien der aktuellen Re-
gierung selbst in Auftrag gegeben wurden, scheinen nicht
in konkrete Politik umgesetzt zu werden. Vielmehr dienen
diese Studien nur dazu, die eigenen Lippenbekenntnisse
wissenschaftlich zu untermalen. So begründet das Bundes-
wirtschaftsministerium den Aktionismus der großspuri-
gen Breitbandinitiative der Bundesregierung mit wissen-
schaftlich prognostizierten Wachstumszahlen in Milliar-
denhöhe und Hunderttausenden von Arbeitsplätzen.
Leider bleibt die Strategie, dann auch weitestgehend
Strategie. Auch wenn die Notwendigkeit des Ausbaus der
Breitbandinfrastruktur gesehen wird und auch die ar-
beitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Effekte belegt
und bekannt sind, kann sich die Bundesregierung zu kei-
ner ausgesprochenen Breitbandpolitik durchringen. Viel-
mehr wird im Konjunkturpaket II der Breitbandausbau
dann unter den allgemeinen Infrastrukturmaßnahmen
wie Straßenbau behandelt.
Die Folge dieser Verkündungspolitik ist, wie im Antrag
ganz richtig konstatiert, die verfestigte Spaltung der Re-
publik ohne baldige Aussicht auf Besserung. Auf der ei-
nen Seite sind die Bürgerinnen und Bürger, die sich über
einen schnellen, den aktuellen technischen Möglichkeiten
und Anforderungen entsprechenden Breitbandzugang
freuen dürfen. Auf der anderen Seite befindet sich der
analoge Rest, der mit veralteter Technik und unzumutba-
ren Up- und Download-Zeiten durch das weltweite Netz
kriecht. Von Surfen kann hier beim besten Willen nicht ge-
sprochen werden.
Diese Analyse entspricht unserer Ansicht nach weitge-
hend den Tatsachen. Kritisch sehen wir den Antrag der
Linken aber da, wo er die technische Umsetzung thema-
tisiert. Es ist sicherlich richtig, dass die Bundesregierung
bei ihrer Breitbandstrategie hauptsächlich auf den gro-
ßen Player, die Deutsche Telekom AG, gesetzt hat. Man
darf aber getrost davon ausgehen, dass die Euphorie der
Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministers im
Besonderen weder von den Wettbewerbern noch von der
Deutschen Telekom AG unumwunden geteilt wurde und
wird. Von Anfang an war aus sämtlichen Vorstandsetagen
unter der Hand zu hören, dass die formulierten Ziele der
Breitbandstrategie, mindestens als ambitioniert, wenn
nicht gar als überambitioniert anzusehen sind.
Schon Anfang April stellt die Deutsche Telekom AG
den Breitbandausbau infrage und tritt damit den geregel-
ten Rückzug aus dem Breitbandprogramm der Bundesre-
gierung an. Auch wenn dieser mit den abgesenkten Teil-
nehmeranschlussgebühren begründet wurde, zeigt sich
doch nur allzu deutlich, was man in der Regierung noch
nicht ganz realisieren mag: Die Versorgung von bisher
unterversorgten Gebieten mit Breitbandzugängen ist al-
lein mit Fördergeldern und Strategiepapieren nicht zu
machen.
In diesem Zusammenhang explizit auf den Ausbau ei-
ner Glasfaserinfrastruktur setzen geht unserer Meinung
nach ebenfalls am Ziel vorbei. Letztlich ist die einseitige
Festlegung auf den Glasfaserausbau eine nur leidlich
verdeckte direkte Subventionsstrategie für ein einziges
Unternehmen. Die schnelle Glasfasertechnologie VDSL
wird ja in der Hauptsache von der Deutschen Telekom AG
betrieben. Das ist ein Unternehmen, das sich nach eige-
ner Aussage unter den gegebenen Umständen gar nicht in
der Lage sieht, die notwendigen Investitionen aufzubrin-
gen. Keines der beteiligten Unternehmen hat das wirt-
schaftliche Potenzial, den von der Regierung geforderten
Standards in der Versorgung der weißen Breitbandflecken
alleine gerecht zu werden, eine Tatsache, der sich die Te-
lekommunikationsunternehmen schon lange bewusst
sind. Die zunehmende Kooperation der Unternehmen bei
Ausbaumaßnahmen in unterversorgten Gebieten ist ein
deutliches Zeichen für dieses Bewusstsein. In diesem Zu-
sammenhang sollte man tatsächlich darüber nachdenken,
ob es nicht sinnvoll wäre, Anbieter und Netzstrukturen zu
entflechten.
Zu Protokoll gegebene Reden
Hier fordert Die Linke konkrete staatliche Intervention
und vertritt die Position, dass die deutsche Breitbandin-
frastruktur doch besser verstaatlicht werden sollte. So-
lange dies aber noch nicht geschehen ist, hat der Staat
lenkend dafür zu sorgen, dass die privaten Netzbetreiber
den flächendeckenden Ausbau aus Gewinnen in Bal-
lungszentren finanzieren. Bei allem Verständnis für ihren
Ärger über den schleppenden Ausbau schneller Breit-
bandzugänge außerhalb der Metropolen, den Netzbetrei-
bern vorzuwerfen, sie würden ihre Gewinne nicht auch
für den Infrastrukturausbau im ländlichen Raum einset-
zen, ist überzogen. Auch wenn die Investitionen nicht im
gewünschten Maße getätigt werden, kann man sie nicht
einfach negieren.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt zwar
die grundsätzliche Forderung des Antrags der Linken, die
Bundesregierung auf ihr Versprechen bezüglich der
flächendeckenden Versorgung mit schnellen Internet-
anschlüssen festzulegen. Es ist auch unstrittig, die Bun-
desregierung aufzufordern, ihre bisherige Breitbandstra-
tegie den tatsächlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen
anzupassen. Aus den Versäumnissen aber perspektivisch
ein staatliches Netzmonopol abzuleiten, geht mir aller-
dings zu weit. Weder der Markt noch der Staat alleine
können das Allheilmittel für gesellschaftliche wie auch
wirtschaftliche und strukturelle Probleme sein. Ein staat-
lich kontrolliertes Netz garantiert noch lange nicht den
schnellen und flächendeckenden Ausbau einer Breit-
bandinfrastruktur in bisher unterversorgten Gebieten.
Um den raschen und zukunftsfähigen Zugang zu
schnellem Internet auch für bisher nichtversorgte Gebiete
zu gewährleisten, müssen staatliche wie private Initia-
tiven einander zuarbeiten. Die Politik muss einen ver-
nünftigen Rahmen setzen, der den Anforderungen der An-
bieter genauso gerecht wird wie den Bedürfnissen der
Nutzerinnen und Nutzer. Daher sollten verschiedene
Wege beschritten werden, um der digitalen Spaltung in
Deutschland entgegenzuwirken. Wir Grüne setzen in die-
sem Zusammenhang schon lange auf einen Technologie-
mix. Der Aufbau einer nachhaltigen Breitbandinfrastruk-
tur muss den jeweiligen Gegebenheiten gerecht werden.
Die strukturellen sowie wirtschaftlichen Bedürfnisse der
bisher unterversorgten Regionen müssen dabei beson-
dere Beachtung finden. Glasfaserleitungen sind nur eine
von vielen technischen Möglichkeiten und nicht in jedem
Fall die sinnvollste und kostengünstigste Lösung. Die
Möglichkeiten von Public-Private-Partnerships sollten
ebenfalls eingehend geprüft werden. Hier könnten Kom-
munen durch Anteile oder Beteiligungen kommunaler
Versorgungsunternehmen selbst zum Netzbetreiber wer-
den und damit aktiv eine eigene, regionale Infrastruktur-
und Wirtschaftsförderungspolitik betreiben.
Sollten aber solche Initiativen aus der Politik bei der
Wirtschaft nicht für die erwünschten Effekte sorgen, so ist
in diesem Zusammenhang auch die Aufnahme der Breit-
bandversorgung in den Katalog der Telekommunika-
tionsuniversaldienste in Erwägung zu ziehen, um mög-
lichst effektiv zur Auflösung der digitalen Spaltung zu
kommen. Eine anbieterunabhängige Universaldienstver-
pflichtung ist unserer Meinung nach aber nicht das allei-
nige Allheilmittel, sondern eher Ultima Ratio. Dieses be-
sondere Mittel der Politik sollte letztlich dann in
Erwägung gezogen werden, falls absehbar ist, dass auch
mit einer deutlich nachgebesserten Breitbandstrategie
die Bundesregierung die selbst gesetzten Fristen für die
flächendeckende, privatwirtschaftliche Breitbandinfra-
struktur nicht einhalten wird.
Das Problem der digitalen Spaltung ist viel zu wichtig
und von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Hier nur ei-
ner staatlichen oder privatwirtschaftlichen Lösung das
Wort zu reden, geht letztlich nur zulasten der Nutzerinnen
und Nutzer. Es muss eine Politik verfolgt werden, die in
der Lage ist, positive Marktanreize zu setzen, und sich ak-
tiv in die Förderung moderner Kommunikationstechnik
einbringt. Kernpunkte einer solchen Politik sind Techno-
logieneutralität, realistische Rahmen- und Zielsetzung,
transparente Fördermittel und da, wo notwendig, politi-
sche Intervention; eine Politik, die von Bündnis 90/Die
Grünen schon zu Beginn der Debatte um die Breitband-
unterversorgung vertreten wurde und auch weiterhin ver-
treten wird.
Wir stimmen dem Antrag der Linken, trotz einiger
Überschneidungen in der Problemanalyse, nicht zu.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12999 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
60 Jahre Europarat
- Drucksache 16/13375 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats für die Zeit vom 1. Januar
bis 30. Juni 2008
- Drucksache 16/12858 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats vom 1. Juli bis 31. Dezember 2008
- Drucksache 16/12859 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Hier haben ihre Reden zu Protokoll gegeben - ich
gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind -:
Eduard Lintner, Renate Gradistanac, Johannes Pflug,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Hakki Keskin und
Rainder Steenblock.1)
Tagesordnungspunkt 29 a. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13375 mit dem Titel „60 Jahre Europarat“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkte 29 b und 29 c. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
16/12858 und 16/12859 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit
einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Berichts des Rechtsausschusses
({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Jerzy
Montag, Volker Beck ({1}), Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines
… Strafrechtsänderungsgesetzes - Bestechung
und Bestechlichkeit von Abgeordneten ({2})
- Drucksachen 16/6726, 16/13436 Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Schmidt ({3})
Zu Protokoll gegeben - Sie sind sicher damit einver-
standen - haben ihre Reden: Siegfried Kauder, Joachim
Stünker, Jörg van Essen, Wolfgang Nešković und Jerzy
Montag.2)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b so-
wie Zusatzpunkt 8 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung
- Drucksache 16/10069 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 16/13432 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
1) Anlage 33
2) Anlage 34
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger,
Mechthild Dyckmans, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Zwangsvollstreckung beschleunigen - Gläubigerrechte stärken
- Drucksachen 16/7179, 16/13432 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
ZP 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Internetversteigerung in der Zwangsvollstreckung
- Drucksache 16/12811 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 16/13444 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Hier haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Andrea
Astrid Voßhoff, Dirk Manzewski, Mechthild Dyckmans,
Wolfgang Nešković, Jerzy Montag und Alfred
Hartenbach.3)
Tagesordnungspunkt 31 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Re-
form der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13432, den
Entwurf eines Gesetzes des Bundesrates auf Drucksache
16/10069 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung
durch die Koalition, FDP und Bündnis 90/Die Grünen
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhält-
nis wie vorher angenommen.
3) Anlage 35
Tagesordnungspunkt 31 b. Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Zwangsvollstreckung beschleunigen Gläubigerrechte stärken“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13432, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/7179 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die FDPFraktion hat dagegen gestimmt. Die übrigen Fraktionen
haben dafür gestimmt.
Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über
die Internetversteigerung in der Zwangsvollstreckung.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13444, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/12811 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen, die FDP und das Bündnis 90/Die
Grünen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, erheben sich bitte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt
Müller-Sönksen, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Eigentumsfreiheit weltweit schützen
- Drucksachen 16/10613, 16/12981 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Florian Toncar
Volker Beck ({1})
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Holger
Haibach, Christoph Strässer, Florian Toncar, Michael
Leutert und Thilo Hoppe.
Eigentumsfreiheit - darin kann man dem Antrag der
FDP nur zustimmen - ist ein wichtiges Gut und ein lange
Zeit unterschätztes Menschenrecht. Viele Beispiele weltweit zeigen, in welch gravierender Art und Weise dieses
wichtige Recht unterlaufen und verletzt wird. Da dies jedoch ein sehr wichtiges Rechtsgut ist, sollten bei dessen
Durchsetzung vor allem der notwendige Ernst und die
notwendige Angemessen- und Ernsthaftigkeit an den Tag
gelegt werden. Sosehr im Allgemeinen die Ziele des FDPAntrags unterstützenswert sein mögen, so kann ich aufgrund der Debatte zur Einbringung des Antrags und der
Einlassungen des Kollegen Müller-Sönksen aus der
FDP-Fraktion genau diese Angemessen- und Ernsthaftigkeit eben nicht erkennen.
Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich den
Kollegen mit seiner Begründung zu diesem Antrag in der
Debatte am 5. März 2009 zitieren. Er führte aus: „Kommen wir nun zu einem leider gerade in Deutschland völlig
unerwartet infrage gestellten Menschenrecht, einem nach
unserer Verfassung geschützten Grundrecht …“. Und
weiter: „In diesem Geiste fordert die FDP-Bundestagsfraktion mit dem Antrag „Eigentumsfreiheit weltweit
schützen“ dieses Hohe Haus zu einem klaren Bekenntnis
auf. Dass das überhaupt nötig ist, zeigen uns die aktuellen
Pläne der Regierung in dieser Finanzkrise.“ Im Hinblick
auf ebendiese Finanzkrise schloss der Kollege MüllerSönksen seine Ausführungen mit den Worten: „Ein Enteignungsgesetz ist nach meiner Auffassung schlicht demokratiegefährdend.“
Und genau hier liegt der Grund, warum wir als CDU
und CSU diesem Antrag nicht zustimmen können. Wer die
Debatte um die Rettung systemrelevanter Unternehmen
im Rahmen der Finanzkrise und die sich daraus ergebenden Maßnahmen in einen Zusammenhang stellt mit staatlichen Enteignungsmaßnahmen in Russland, China oder
Venezuela - die nach deutschem Recht undenkbar wären dessen Verhalten legt nur zwei Motivationen nahe. Entweder werden hier unwissentlich Äpfel mit Birnen verglichen - das wäre allerdings ein Armutszeugnis für die Antragsteller -, oder dieser Antrag ist wissentlich in diesem
Sinne und in diesem Zusammenhang entstanden. Dann
allerdings ginge es nicht mehr um den absolut sinnvollen
weltweiten Eigentumsschutz, sondern darum, ein wichtiges Menschenrecht innenpolitisch missbräuchlich zu verwenden. Und beides wäre jedenfalls nicht hinnehmbar.
Wenn man wieder zum eigentlichen Kern des Eigentumsschutzes zurückkehrt, so stellt die FDP in ihrem Antrag viele wichtige Forderungen. Allerdings erfüllt die
Bundesregierung viele der hier aufgeführten Forderungen bereits. Auch in dieser Hinsicht ist der Antrag obsolet.
Das Phänomen der Verletzung des Eigentumsschutzes
und der Eigentumsfreiheit gewinnt jenseits des heute vorliegenden Antrags allerdings leider weltweit immer mehr
an Bedeutung. Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen befinden sich viele Staaten mit ehemalig kommunistischer
Staatsform in einem schwierigen Transformationsprozess. Dieser bringt es mit sich, dass der Übergang von
Staats- und Gemeineigentum auf privates Eigentum in einem möglichst rechtsstaatlichen Verfahren gewährleistet
werden muss. Das führt dazu, dass in manchen, vor allem
postsowjetischen Staaten, zwar Bürgerinnen und Bürger
Häuser und Wohnungen kaufen können, dass aber der Besitz von Grund und Boden nur beschränkt oder gar nicht
möglich ist. Wenn dies dann noch mit einem nicht funkHolger Haibach
tionierenden Rechtssystem einhergeht, das politisch gesteuert ist, wird der quasi-offiziellen und quasi-staatlichen Enteignung Tür und Tor geöffnet.
Ähnliche Phänomene gilt es da zu beobachten, wo
Staaten zur Durchführung größerer Projekte im Bereich
der Infrastruktur oder zur Gewinnung von Ressourcen
Menschen in großer Zahl umsiedeln oder heimatlos machen, und dies ohne eine wie auch immer geartete hinreichende Bürgerbeteiligung oder die Möglichkeit, den Klageweg zu beschreiten. Hierfür ließen sich viele Beispiele
anführen, wie etwa die massenhafte Umsiedlung von
Menschen zum Bau der olympischen Sportstätten in
China oder mehrere Staudammprojekte in Asien.
Und schließlich lässt sich besonders in Südamerika in
einigen Staaten wie etwa Venezuela eine Tendenz zur Verstaatlichung sogenannter Schlüsselindustrien beobachten; dies geschieht unter dem Deckmantel des Ausgleichs
sozialer Ungleichheiten und des Aufbaus gerechterer Gesellschaften. Diese kaum als rechtsstaatlich zu bezeichnenden Maßnahmen sind Mittel solcher Machthaber wie
Präsident Hugo Chávez, mit denen sie ihre mehr als „robusten“ Methoden der Staatsführung decken.
Alles in allem lässt sich also feststellen: Der Antrag
der FDP ist insofern berechtigt, als das Recht auf Eigentum vielerorts gefährdet ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein Weiteres lässt sich hierbei feststellen: Staaten,
in denen ohnehin menschenrechtliche und rechtstaatliche
Defizite herrschen, haben auch sehr häufig Defizite beim
Eigentumsschutz.
Daraus lässt sich auch erkennen, dass einer der besten
Wege, Eigentum und das Recht darauf zu schützen, darin
besteht, die jeweiligen nationalstaatlichen Rechtssysteme
zu stärken. Und gerade hierbei geht die Bundesrepublik
mit gutem Beispiel voran, wie etwa der deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog deutlich macht. Zu erwähnen ist
an dieser Stelle auch das wichtige Engagement der politischen Stiftungen in diesem Bereich.
Eigentumsschutz kann nur in einer Gesellschaft gedeihen, die Eigentum als einen Wert per se anerkennt. Deshalb muss der erste Schritt zur Verbesserung in diesem
Bereich sein, das Recht auf Eigentum und die Unverletzlichkeit dieses Rechts zu einem gesellschaftlichen Allgemeingut zu machen. Hierfür bedarf es vor allem in Staaten, die zuvor einer anderen Philosophie anhingen, einer
umfangreichen Wandlung nicht nur im Regierungshandeln und im rechtstaatlichen System, sondern auch im
Denken der gesamten Gesellschaft. Dass dieses Denken
mancherorts durchaus erwachsen kann, zeigt das Beispiel der Charta 08 in China, jenes Menschenrechtsdokuments, das nicht nur von bekannten Regimekritikern, sondern auch von Menschen gezeichnet wurde, denen es
darum ging, ihr Eigentum an Wohnraum zu schützen.
Hier zeigt sich eine interessante Parallele auch zur
Geschichte der politischen Partizipation in unserem
Lande: In dem Maße, in dem das Bürgertum im 19. und
frühen 20. Jahrhundert wirtschaftliche Macht und damit
auch Eigentum erwarb, entstand daraus der Wunsch in
dieser Schicht nach größerer Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Insofern scheint eine gewisse Interessenparallelität zwischen Eigentum und Selbstbestimmtheit zu herrschen.
Aus diesem Grund ist der Antrag der FDP richtig und
das Thema der intensiven Beratung wert. Da aber die
Forderungen zum großen Teil überholt und die Motivation zumindest zweifelhaft ist, können wir dem Antrag
nicht zustimmen.
„Eigentum ist eine Frucht von Arbeit. Eigentum ist
wünschenswert, ein positives Gut in der Welt. Dass einige
reich sind, zeigt, dass andere reich werden können, und
das ist wiederum eine Ermutigung für Fleiß und Unternehmensgeist.“ In diesem Zitat von Abraham Lincoln
steckt viel Wahres drin. Aber es ist eben auch nur die
halbe Wahrheit - höchstens.
Der Antrag der FDP irritiert durch ein überhöhtes eigentumsorientiertes Gesellschaftsbild, das die Dimension der sozialen Verantwortung praktisch gänzlich ausblendet. Auch fehlt der Blick hinter die Kulissen. Wie ist
Eigentum entstanden, auf wessen Kosten, und ist es rechtmäßig erworben worden? In diesem Zusammenhang enthält der Antrag zusätzlich einige problematische Einzelund Länderbeispiele, die nicht unkommentiert bleiben
können.
In ihrem Antrag nähert sich die Fraktion der FDP den
Themen Eigentumsfreiheit, Eigentumsschutz und Eigentumsbildung aus verschiedenen Richtungen. Ein Schwerpunkt liegt in der Schilderung von Gefahren für den
Eigentumsschutz. Dabei stellt die Fraktion der FDP verschiedene Forderungen an die Bundesregierung, die darum kreisen, sich auf internationaler Ebene verstärkt für
den Eigentumsschutz einzusetzen.
Neben dem Völkergewohnheitsrecht, welches die Eigentumsfreiheit in ihren Grundlagen garantiert, ist der
Schutz des Eigentums im Völkerrecht an verschiedenen
Stellen positiv verankert. Art. 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte betont das Recht auf Eigentum
und verbietet willkürliche Enteignungen. Sowohl die
Europäische Menschenrechtskonvention - Art. 1 Satz 1
Zusatzprotokoll der EMRK -, die Afrikanische Charta
der Menschenrechte und der Rechte der Völker als auch
die Amerikanische Menschenrechtskonvention enthalten
Regelungen zum Schutz von privatem Eigentum. Die
Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert in Art. 17 ebenfalls ein umfassendes Eigentumsrecht.
Es bestehen somit auf internationaler Ebene bereits
umfangreiche Regelungen zum Schutz von Eigentum.
Gleichwohl ist es jedenfalls nicht falsch, den Eigentumsschutz auch noch im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu verankern. Es darf keine
Schutzlücken geben.
In den letzten Jahren stand das Recht auf Eigentum
nicht im Zentrum menschenrechtspolitischer Debatten.
Das Anliegen der FDP-Fraktion, dieses Recht einmal in
den Mittelpunkt zu stellen, ist somit nachvollziehbar und
durchaus berechtigt - leider in vielen Punkten aber zu undifferenziert.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ich möchte dem Antrag insoweit beipflichten, als die
Eigentumsgarantie ohne Zweifel ein wesentliches Abwehrrecht des Bürgers gegenüber dem Staat darstellt.
Ganz ohne Zweifel ist die Eigentumsgarantie ein wesentliches Freiheitsrecht unserer Gesellschaft und als solches
im Grundgesetz auch fest verankert. Gleichwohl steht in
Art. 14 Abs. 2 unserer Verfassung, dass Eigentum auch
verpflichtet und der Gebrauch zugleich dem Wohle der
Allgemeinheit dienen soll. Art. 14 Abs. 2 ist Ausdruck einer Werteorientierung, derer wir uns besinnen sollten,
wenn wir über eine weltweite Eigentumsfreiheit diskutieren. Nach dieser Werteordnung sind gemäß Art. 14 Abs. 3
in Verbindung mit Art. 15 GG unter den dort genannten
Voraussetzungen auch Enteignungen zulässig und fallen
damit nicht aus dem Rahmen unseres Wertesystems. Dabei ist richtig, dass Enteignungen nicht als Druckmittel
der Politik salonfähig werden dürfen. Nur als Ultima Ratio und in Verbindung mit einer angemessenen Entschädigung können Enteignungen von legal erworbenem Eigentum rechtmäßig sein.
Die Eigentumsfreiheit muss geschützt werden, und das
weltweit. Aber bestehende Eigentumsverhältnisse weltweit kritiklos anzuerkennen, wird dieser sozialen Werteorientierung nicht gerecht. Ungleiche Eigentumsverteilung wie zum Beispiel das dramatische Missverhältnis
von riesigem Landbesitz weniger Großgrundbesitzer und
minimalem oder keinem Landbesitz unzähliger Bauern in
Lateinamerika ist ebenso wenig Thema im Antrag wie die
soziale Verantwortung, die sich aus Eigentum ergibt.
Im Antrag findet sich die Aussage, dass durch bewaffnete Konflikte herbeigeführte Enteignungen vielfach zu
einem substanziellen Hindernis für eine stabile Friedensordnung würden. Für sich stehend unterstütze ich selbstverständlich diese Aussage. Aber die FDP vergisst, einen
Schritt weiter zu gehen und diesen logischen Gedankengang zu Ende zu führen. In einer Gesellschaft mit gerecht
- was nicht bedeuten muss gleich - verteiltem Eigentum
ist die Eigentumsfreiheit ein Grundpfeiler für Stabilität.
Gleichwohl gilt der Umkehrschluss und ist auf der ganzen
Welt zu beobachten: In Gesellschaften, in denen Eigentum in der Vergangenheit massiv ungerecht verteilt
wurde, kann diese gefühlte und tatsächliche Ungerechtigkeit noch nach Jahrzehnten zu Instabilitäten führen.
Die sozialen Unruhen in Südamerika sind auch Ausdruck eines massiven Unrechtsempfindens der Bevölkerungen dieser Staaten. Dies äußert sich auch in der Wahl
stark sozialistisch orientierter Präsidenten. Ohne in eine
Geschichtsstunde abschweifen zu wollen, muss daran
erinnert werden, dass viele der in den Staaten Süd- und
Mittelamerikas angesiedelten großen Konzerne ihren
Landbesitz und Machtbereich in der Vergangenheit unrechtmäßig und durch die Unterstützung ausländischer
Regierungen ausgedehnt haben. Von der Wertschöpfung,
die diese Unternehmen aus den Ressourcen der Regionen
zogen, blieb kaum etwas in den Staaten zurück. Somit
lebte der Großteil der Bevölkerungen in Armut - und tut
es heute noch - während sich ausländische Großkonzerne
bereicherten. Gleiches gilt im Übrigen für Teile Afrikas,
in denen Farmer auf ihnen in Kolonialzeiten zugeteilten
Gebieten leben und wirtschaften. Es scheint mir nicht
verwunderlich zu sein, dass es in solchen Gegenden der
Welt immer wieder zu sozialen Unruhen kommt.
Was um der Gerechtigkeit willen angestrebt werden
muss, ist ein fairer Interessenausgleich. Wenn wir ernsthaft für Menschenrechte weltweit eintreten wollen, dann
brauchen wir Eigentumsschutz, faire Chancen auf Eigentum und verantwortliches Handeln mit Eigentum. Wenn
die FDP-Fraktion in ihrem Antrag staatliche Eingriffe in
die Rechtspositionen von Energieunternehmen in Südamerika anprangert, dann muss auch der Perspektive der
Restbevölkerung Rechnung getragen werden. Sich einseitig und undifferenziert auf die Seite der Privatwirtschaft
zu stellen, ist zu kurz gesprungen. Wenn in diesem Antrag
von Enteignungen von Konzernen und Farmern gesprochen wird, dann muss auch gleichzeitig das Problem des
dramatischen Missverhältnisses von riesigem Landbesitz
weniger Großgrundbesitzer und dem minimalen oder
nicht bestehenden Landbesitz unzähliger Bauern in Lateinamerika angesprochen werden.
Letztes Beispiel: Geradezu verharmlosend werden das
Verhalten militanter jüdischer Siedler und die Siedlungspolitik Israels dargestellt. Die systematische Errichtung
illegaler Siedlungen auf palästinensischem Boden, der
teilweise mehrfach erfolgte Abriss von Häusern palästinensischer Bauern, die Abholzung alter palästinensischer Olivenhaine oder die konkrete Grenzziehung des
Schutzzauns stellen massive Verletzungen des Schutzes
von Eigentum dar. Es wäre besser gewesen, auf das Beispiel „Palästina“ ganz zu verzichten, als aus Rücksichtnahme den eigenen Antrag ad absurdum zu führen.
Abschließend möchte ich noch einmal ausdrücklich
betonen, dass ich mich für eine weltweite Garantie der
Eigentumsfreiheit einsetze. Das Recht auf Eigentum ist
ein fundamentales Menschenrecht. Viele Forderungen
des Antrags halte ich daher für durchaus berechtigt und
diskutabel. Aber aus Eigentum ergibt sich eine soziale
Verantwortung. Es gibt Missstände in der Welt, die wir
nicht einfach unkommentiert lassen können. Ich verlange
nicht nur den Schutz des Eigentums weltweit, sondern
auch das Eintreten für die soziale Verantwortung, die sich
aus Eigentum ergibt. Unternehmen und Privatpersonen,
die in großem Maße Eigentum besitzen, sind auch auf besondere Weise verpflichtet, die Einhaltung von Menschenrechten zu beachten. Und wenn sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, dann müssen wir das kritisieren
können.
Dieser Aspekt kommt nicht nur zu kurz im Antrag, er
fehlt quasi vollständig. Die Eigentumsgarantie und die
soziale Verpflichtung und Verantwortung, die sich daraus
ergeben, stehen in einem untrennbaren Zusammenhang.
Beide Gesichtspunkte sind zwei Seiten ein und derselben
Medaille. Es ist zu kurzsichtig, nicht beide Seiten zusammenhängend zu betrachten. Gerade auch deshalb lehnen
wir den Antrag aus guten Gründen ab.
Spätestens seit der unsäglichen Diskussion um Enteignungen ist auch in Deutschland ein Thema in den Vordergrund gerückt, das in anderen Staaten bereits seit langem
Zu Protokoll gegebene Reden
Gegenstand unterschiedlicher Konflikte ist. Es handelt
sich um die Eigentumsfreiheit.
Lassen Sie mich mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Eigentumsfreiheit beginnen: Die Eigentumsfreiheit ist ein eigenständiges Recht. Es bestimmt maßgeblich den Charakter einer Gesellschaft und die Stellung
des Einzelnen im Gemeinwesen. In Deutschland ist der
Schutzbereich durch Art. 14 Grundgesetz geregelt. Das
Bundesverfassungsgericht hat in umfassender Rechtsprechung die Funktion des Eigentums konkretisiert. Danach
kommt der Eigentumsgarantie im Gesamtgefüge der
Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu ermöglichen. Eigentum ermöglicht es dem Bürger also, auf materiell gesicherter Basis selbstbewusst
dem Staat entgegenzutreten. Der Schutz des Eigentums
vor staatlichen Eingriffen sowie vor unberechtigten Eingriffen durch private Dritte ist daher eine Kernaufgabe
des Staates zur Wahrung der Menschenrechte seiner Bürger. Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass die
FDP als einzige Fraktion im Deutschen Bundestag sich in
dieser Form ohne Wenn und Aber für den Schutz des Eigentums starkmacht.
Dem vorliegenden Antrag ist zu entnehmen, dass die
Eigentumsfreiheit in zahlreichen internationalen Verträgen sowie im Europarecht verankert ist. Die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte ist trotz ihrer rechtlichen
Unverbindlichkeit eine starke moralische Legitimation
dieses Menschenrechts. Daneben decken zahlreiche Menschenrechtsabkommen unterschiedliche Einzelaspekte
der Eigentumsfreiheit ab. Ebenso sehen regionale Menschenrechtskonventionen den Schutz des Eigentums vor.
In der EU schützt die Charta der Grundrechte das Eigentum in Art. 17.
Was jedoch bisher fehlt, ist ein umfassender, rechtlich
verbindlicher Schutz der Eigentumsfreiheit im Rahmen
eines der VN-Menschenrechtsabkommen. Daher fordert
die FDP in ihrem Antrag, dass sich Deutschland gemeinsam mit den europäischen Partnern auf Ebene der Vereinten Nationen für ein Zusatzprotokoll zum VN-Zivilpakt
einsetzt, das den Schutz des Eigentums vor unberechtigten Eingriffen durch private Dritte oder den Staat garantiert und angemessene Entschädigung im Falle von Enteignungen vorschreibt.
Ein solches internationales Bekenntnis zur Eigentumsfreiheit ist leider bitter nötig. Denn in vielen Staaten wird
das Eigentum der Bürger auf unrechtmäßige Weise verletzt. Bewaffnete Konflikte und Kriege führen stets zu erheblichen Beschädigungen des Eigentums der ansässigen
Bevölkerung. Ein Beispiel ist die sudanesische Konfliktregion Darfur, wo nicht nur Hunderttausende Menschen
von der Regierung und den mit ihr verbündeten Milizen
getötet wurden. Durch systematische Zerstörungen und
durch Raubüberfälle wird den Bewohnern die materielle
Existenzgrundlage entzogen. Es bleibt nur die Flucht in
von Hilfsorganisationen eingerichtete Lager. Das Land
mit der höchsten Zahl an Binnenvertriebenen ist Kolumbien, wo Guerillas und paramilitärische Gruppen Teile
der Landbevölkerung von ihrem Land vertrieben haben
und dieses für die Produktion von Drogen nutzen.
Zerstörtes oder enteignetes Eigentum kann sich nach
der Beendigung von Konflikten zu einem Hindernis auf
dem Weg einer stabilen Friedensordnung entwickeln. Es
gilt zu klären, inwiefern zerstörtes oder enteignetes Eigentum zurückerstattet oder ersetzt werden kann. Falls
dies nicht möglich ist, müssen andere Formen der Entschädigung gefunden werden. Dies kann von finanziellen Wiedergutmachungen bis hin zu symbolischen
Entschädigungen in Form von Gedenkstätten oder öffentlichen Gesten der Anerkennung erlittener Schädigungen reichen.
Wie wichtig die Eigentumsfreiheit als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe ist, wird deutlich, wenn autoritäre Regime ihre Gegner durch Enteignung gängeln. Es
ist ein bei Diktatoren beliebtes Muster, Mitgliedern der
Opposition die wirtschaftliche Existenz zu entziehen, um
Widersacher gefügig zu machen. Ein krasses Beispiel aus
dem Jahr 2005 ist die Vertreibung von 700 000 Menschen
aus ihren Behausungen in Simbabwe im Zuge einer Kampagne mit dem zynischen Titel „Clear the Filth“. Der Tyrann Robert Mugabe schikanierte so ganz gezielt Menschen, die er mehrheitlich der Opposition zurechnete.
In Venezuela eignet sich die Regierung nach und nach
Schlüsselindustrien an und beschneidet die Pressefreiheit
durch den Entzug von Fernseh-Sendelizenzen. In Russland
findet dieser Tage bereits der zweite Prozess gegen den
ehemaligen Unternehmer Michail Chodorkowski statt. Er
hatte sich politisch betätigt und zog sich so den Zorn des
Kremls zu. In der Folge wurde der von Chodorkowski geleitete Yukos-Konzern zerschlagen, Chodorkowski enteignet und unter fadenscheinigen Vorwänden zu langjähriger Gefängnishaft verurteilt.
Die Bundesregierung muss derartige Verstöße anprangern. Dazu müssen unter anderem die deutschen
Auslandsvertretungen über Verletzungen der Eigentumsfreiheit berichten. Der Menschenrechtsbeauftragte der
Bundesregierung muss eine Liste von Staaten, die gegen
das Recht auf Eigentum verstoßen, erstellen.
Eine weitere Gefahr für die Eigentumsfreiheit besteht
durch unberechtigte Eigentumsverletzungen durch private Dritte. Im Zuge raschen Wirtschaftswachstums bei
gleichzeitig schwachen rechtsstaatlichen Strukturen
kommt es in vielen asiatischen Ländern wie China wiederholt zu Enteignungen von Landbesitzern durch private
Investoren. Die von ihrem Land verdrängte Bevölkerung
hat kaum Aussicht, durch rechtliche Schritte erfolgreich
gegen Übergriffe auf ihr Land und Hab und Gut vorzugehen.
Um derartige Verstöße gegen die Eigentumsfreiheit
zurückzudrängen, muss Deutschland diesen Staaten Unterstützung beim Aufbau einer effektiven Polizei und
eines funktionierenden Gerichtswesens anbieten. Gegebenenfalls sollte Deutschland auch Hilfe bei Gesetzgebungsprozessen in den Bereichen Sachenrecht,
Grundbuchwesen, Staatshaftungsrecht oder Entschädigungsregelungen leisten. Daneben zeigt der Antrag noch
weitere Maßnahmen zum weltweiten Schutz der Eigentumsfreiheit auf.
Zu Protokoll gegebene Reden
Insgesamt muss die Bundesregierung die Eigentumsfreiheit deutlich stärker als bisher in den Blickpunkt ihrer
Politik rücken. Ich freue mich, dass wir Liberalen mit unserem Engagement für den Schutz des Eigentums einen
Akzent setzen. Für uns ist das Eigentum kein notwendiges
Übel, das zu akzeptieren ist, sondern Grundvoraussetzung zur Entfaltung von Freiheit und Wohlstand einer Gesellschaft. Als solches stellt der Schutz des Eigentums einen überragenden rechtlichen und moralischen Wert dar,
zu dem wir uns klar bekennen.
Dieser Antrag der FDP ist bemerkenswert. Halten wir
uns eines vor Augen: Wir befinden uns inmitten der
schwersten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Diese Krise
wurde von einem zügellosen Kapitalismus verursacht und
bringt massive soziale Folgen mit sich. Angesichts dieser
Folgen hat Amnesty International jüngst vor den Gefahren für die Menschenrechte aufgrund der Wirtschaftskrise gewarnt. Und die FDP hat hier und heute keine anderen Sorgen, als den weltweiten Schutz des Eigentums
als drängendes menschenrechtliches Problem behandeln
zu wollen. Meine Damen und Herren von der FDP, dies
offenbart ein Ausmaß an ideologisch bedingter Loslösung von der Realität, das mir das letzte Mal 1989 in der
DDR begegnet ist.
Man könnte Ihnen einen gewissen Sinn für Satire zubilligen, wenn Sie in dem Antrag schreiben: „Eigentum
ist der Ausdruck unmittelbarer Verantwortung für eine
Sache, aber auch das Ergebnis einer Lebensleistung und
der Ertrag jahrelanger Arbeit.“ Angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und ihrer Verursacher kann
man diesen Satz beinahe als die Aufforderung der FDP
für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums
verstehen.
Doch lassen wir die Polemik beiseite, auch wenn es Ihr
Antrag nicht verdient. Selbstverständlich ist der Schutz
des persönliches Eigentums ein wichtiges Menschenrecht. Dahinter steht die Einsicht, dass die Freiheit der
Person ohne den Schutz des persönlichen Eigentums eine
unerfüllte und unerfüllbare Phrase bleibt. Leider reicht
das Vorstellungsvermögen des heutigen politisch organisierten Liberalismus nicht mehr zu der eigentlich nahe
liegenden Folgerung aus, dass die Freiheit der in einer
Gesellschaft zusammenlebenden Individuen offenbar
auch von der Verteilung des Eigentums abhängt.
Nur um Verdächtigungen vorzubeugen: Das ist keine
sozialistische These, sondern eine liberal-republikanische. Dass dieser Gedanke auch in der FDP einmal eine
Rolle spielte, entnehme ich den Freiburger Thesen:
Wo Ziele liberaler Gesellschaft durch den Selbstlauf der privaten Wirtschaft nicht erreicht werden
können, wo somit von einem freien Spiel der Kräfte
Ausfallserscheinungen oder gar Perversionstendenzen für die Ziele liberaler Gesellschaft drohen,
bedarf es gezielter Gegenmaßnahmen des Staates
mit den Mitteln des Rechts.
Und weiter heißt es dort:
Freiheit und Recht sind nach unseren geschichtlichen Erfahrungen bedroht durch die Tendenz zur
Akkumulation von Besitz und Geld, die die Reichen
immer reicher werden läßt, und die Tendenz zur
Konzentration des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen.
Wenn die Form fortschreitender Kapitalakkumulation
die Freiheit bedroht, dann ist der Staat also auch berechtigt, dagegen etwas zu tun.
Natürlich glaubt einem heute kein Mensch mehr, dass
die FDP so etwas je für gut befunden haben soll. Und der
vorliegende Antrag zeigt, dass die FDP heute auch weit
davon entfernt ist, an diese Dimension liberalen Denkens
anschließen zu wollen.
Was uns der organisierte Liberalismus heute anbietet,
ist eine Mischung aus bescheidener Aufklärung über Trivialitäten und ziemlichen Frechheiten. Ein Beispiel für
Triviales. Sie schreiben: „Hinter jeder juristischen Person eines Unternehmens stehen die natürlichen Personen
von Eigentümern, die mit dem Unternehmen verbunden
sind.“ Allein deshalb soll für den Enteignungsfall gelten:
„Solche Eingriffe sind geeignet, den Weg in einen Willkürstaat zu ebnen, der sich nach Belieben der Rechte seiner Bürger bemächtigt.“ Das ist ja einmal eine richtig
starke These, die Sie sich da ausgedacht haben. Vielleicht
sollte sich der Staat jeder Handlung enthalten, welche die
Rechtspositionen von Individuen verändert. Liberalismus
bedeutet dann aber den Verzicht auf jede Politik.
Wo das Übel auf der Welt gerade am größten ist, daran
lässt die FDP keinen Zweifel: „Die staatlichen Eingriffe
in die Rechtspositionen von Energieunternehmen in Venezuela, Ecuador oder Bolivien waren besonders schädlich.“ Der Gedanke der Freiburger Thesen ihrer Partei,
dass die Spontaneität der Märkte nicht ohne Weiteres
wünschenswerte Resultate für ein emanzipiertes Leben
hervorbringt, wird nicht einmal erwogen. Gewissermaßen ohne Luft zu holen, riskieren Sie anschließend einen
Übergang von der Nationalisierung von Energieressourcen, für die es ja gute Gründe geben könnte, zur Medienzensur, die natürlich unter anderem auch durch Enteignung geschehen kann. Aber was bitte hat das eine mit dem
anderen zu tun? Ich muss schon sagen: Mehr als üble argumentative Trickserei ist das nicht.
Ihr Problem, meine Damen und Herren von der FDP,
ist, dass es Ihnen gar nicht um eine umfassende Erörterung des Menschenrechts auf Schutz des Eigentums geht.
Dann müssten Sie auch ernsthaft über die Verantwortung
von Eigentum reden. Ihnen geht es, wenn Sie von weltweitem Schutz des Eigentums sprechen, darum, Ihre hiesige
Klientel zu befriedigen und insbesondere die CDU etwas
vor sich herzutreiben. Dabei kommt dann eben ein solcher Antrag heraus, der komplett überflüssig und noch
dazu schlecht formuliert ist und dem meine Fraktion
selbstredend nicht zustimmen wird.
Eigentumsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ist vom Grund-
gesetz und auch vom internationalen Völkerrecht ge-
schützt. Es ist deshalb richtig, einzuschreiten und es zu
benennen, wenn die Eigentumsfreiheit verletzt wird. Da
wir diese Ansicht teilen, werden wir den Antrag nicht ab-
lehnen. Wir werden uns enthalten, da der Antrag zum ei-
nen eine wilde Zusammenstellung von Themen ist und
Zu Protokoll gegebene Reden
zum anderen den Grundsatz, dass Eigentum verpflichtet,
nicht würdigt. Der Zeitpunkt des Antrages der FDP
kommt sicherlich nicht von ungefähr und erinnert ein we-
nig an das von Klaus Staeck entworfene ironische Bun-
destagswahlplakat von 1972: „Deutsche Arbeiter! Die
SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“. Es soll
wohl der Eindruck entstehen, dass nur die FDP den
Schutz der Eigentumsfreiheit gewährleisten kann.
Es scheint nicht, als seien die Herausforderungen
durch die Nichtgewährleistung der Eigentumsfreiheit
weltweit das Hauptanliegen des Antrages, obwohl der
Antrag eigentlich nur dort sein Anliegen entfalten kann.
Denn für den Schutz des Eigentums in Deutschland und
Europa braucht es keinen Einsatz der FDP. Dieser Schutz
ist zu Recht im Grundgesetz und anderen Rechtsvor-
schriften festgeschrieben. Es verwundert dann auch
nicht, wenn in dem recht langen Antrag der FDP zwar
über ganze Absätze en detail über die rechtliche Ausge-
staltung der Eigentumsfreiheit gesprochen wird, aber der
Abs. 2 des Art. 14 GG mit keinem Wort erwähnt wird: „Ei-
gentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem
Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Um diesen Rechts-
grundsatz zur Realität werden zu lassen, spielen gerechte
Steuersysteme eine zentrale Rolle. Auch hierzu findet sich
kein Verweis im Antrag der FDP.
Das Credo der FDP lautet: Wo Eigentumsrechte nicht
gewährleistet werden, sind Menschen Willkür und Men-
schenrechtsverletzungen ausgesetzt. Umgekehrt aber
wird ein Schuh daraus. Willkür und Menschenrechtsver-
letzungen führen oft auch zur Verletzung der Eigentums-
freiheit. Nicht das Eigentum des Menschen steht an erster
Stelle, sondern die Würde des Menschen.
Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen,
bei dem die Eigentumsrechte eines deutschen Landbesit-
zers über die Rechte einer indigenen Gemeinschaft in Pa-
raguay gestellt werden und es in der Folge zu gravieren-
den Menschenrechtsverletzungen kam.
Im Jahr 1993 haben Deutschland und Paraguay ein
Investitionsschutzabkommen geschlossen. Ziel war es,
die Investitionen - also das Eigentum - von Deutschen in
Paraguay zu schützen. Dagegen ist nichts zu sagen. Sehr
wohl gibt es aber etwas dagegen zu sagen, wenn unter Be-
rufung auf ein solches Abkommen Menschenrechte ver-
letzt werden. Dies ist in der Vergangenheit geschehen.
Die deutsche Bundesregierung steht in der Pflicht, zu ver-
hindern, dass es erneut zu solchen Fällen kommt.
Der konkrete Fall, um den es in Paraguay geht, ist der
der indigenen Gemeinschaft Sawhoyamaxa. Sie muss am
Rand einer Landstraße leben, seit sie der deutsche Land-
besitzer Heribert Rödel 1998 von ihrem Land vertrieb.
Wegen der miserablen Bedingungen, unter denen die
circa 100 Familien leben, haben allein im letzten halben
Jahr neun Personen ihr Leben verloren. Unter ihnen
mehrere Kinder. Alle sind an heilbaren Krankheiten ge-
storben.
Als die Sawhoyamaxa ihren Fall den paraguayischen
Behörden schilderten, wurde ihnen gesagt, dass man
nichts für sie tun könne, da es ein Investitionsschutzab-
kommen zwischen Paraguay und Deutschland gebe. Von
der deutschen Botschaft in Asunción gab es zunächst kei-
nen Widerspruch gegen diese Behauptung. Ich sage
bewusst Behauptung. Denn das Investitionsschutzabkom-
men wurde von der damaligen paraguayischen Regie-
rung nur vorgeschoben. Die Sawhoyamaxa sind mit
ihrem Fall bis vor den Interamerikanischen Menschen-
rechtsgerichtshof gezogen - und haben Recht bekommen.
Der Gerichtshof machte in dem Verfahren deutlich, was
er davon hielt, dass Paraguay mit dem Investitionsschutz-
abkommen argumentierte, um den Sawhoyamaxa ihr
Land nicht zurückzugeben: nämlich gar nichts. Das Ar-
gument wurde rundherum zurückgewiesen.
Inzwischen hat die Bundesregierung ihre Haltung zum
Investitionsschutzabkommen geändert, auch wenn es kein
offizielles Dokument, keine schriftliche Note dazu gibt.
Auch die neue paraguayische Regierung von Präsident
Lugo scheint bereit, das Urteil des Interamerikanischen
Gerichtshofs endlich umzusetzen. Damit würde er den
Sawhoyamaxa ermöglichen, auf ihr Land zurückzukeh-
ren. Allerdings ist derzeit unklar, ob der Senat von Para-
guay das notwendige Gesetz hierfür verabschieden wird.
Der Präsident hat hier keine Mehrheit.
Ich möchte meine Rede mit zwei Aufforderungen
schließen: Zum einen möchte ich die Bundesregierung
auffordern, der Regierung Paraguays eine schriftliche
Note zu überreichen, die zum Ausdruck bringt, dass das
Investitionsabkommen Landrückgaben und Landrefor-
men nicht im Wege steht. Dies wäre ein Zeichen, das den-
jenigen in Paraguay, die vergangenes Unrecht aufarbei-
ten wollen, stärken würde. Zum anderen möchte ich Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen, auffordern, sich an einer
aktuellen Aktion von Amnesty International zu beteiligen.
Schreiben Sie an unsere Kollegen aus dem paraguayi-
schen Senat und fordern Sie sie auf, dem Gesetz zuzustim-
men, das den Sawhoyamaxa ein Leben in Würde ermög-
lichen kann.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12981, den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10613
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Ko-
alitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Die FDP
hat dagegen gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen hat sich
enthalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Klimke, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
sowie der Abgeordneten Stephan Hilsberg,
Dr. Sascha Raabe, Gregor Amann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD
Internationale Kreditfinanzierung in der Ent-
wicklungspolitik auf eine neue Grundlage stel-
len
- Drucksache 16/13378 -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Die Kollegen Jürgen Klimke, Stephan Hilsberg,
Hellmut Königshaus, Heike Hänsel und Thilo Hoppe ha-
ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) - Sie sind damit
einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/13378. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen hat niemand gestimmt. Die Oppositionsfraktionen haben sich enthalten.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr
({1}), Martin Zeil, Heinz Lanfermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Auswüchse des Versandhandels mit Arznei-
mitteln unterbinden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für eine qualitätsgesicherte und flächen-
deckende Arzneimittelversorgung - Versand-
handel auf rezeptfreie Arzneimittel begrenzen
- Drucksachen 16/9752, 16/9754, 16/13427 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolf Bauer
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Wolf
Bauer, Marlies Volkmer, Daniel Bahr, Martina Bunge,
Birgitt Bender und Rolf Schwanitz.2)
Immer, wenn wir über die Arzneimittelversorgung in
Deutschland diskutieren, spielt selbstverständlich die
Arzneimitteldistribution eine entscheidende Rolle. Inso-
fern stand auch diese Frage - neben europarechtlichen
Erwägungen - an zentraler Stelle bei der Einführung des
Versandhandels im Rahmen des GKV-WSG. Daher wur-
den damals zu Recht hohe Hürden für den Versandhandel
ins Gesetz eingebaut, um eine möglichst sichere und zu-
verlässige Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln
auch über diesen Vertriebsweg zu gewährleisten.
Heute stehen wir vor der Situation, dass es nicht nur
den Face-to-face-Versandhandel gibt, sondern dass wir
auch eine besorgniserregend hohe Zunahme sogenannter
Pick-up-Stellen beobachten müssen. Diese Pick-up-Stel-
len können in jedem beliebigen Gewerbebetrieb einge-
richtet werden. Bereits heute gibt es solche Stellen in
1) Anlage 36
2) Rede lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Drogeriemärkten, Blumenläden, Metzgereien oder Tankstellen. Dort kann ein Patient seine Arzneimittel bestellen
und auch abholen - und nebenbei Süßigkeiten und Toilettenartikel einkaufen.
Besonders schlimm finde ich es, wenn daran einschlägige Bonusprogramme geknüpft sind, die dazu anregen
sollen, den Arzneimittelkonsum unnötigerweise zu erhöhen: So werden Arzneimittel immer weniger als besondere oder als gefährliche Ware angesehen. Das Bewusstsein für mögliche Gesundheitsgefahren durch
Arzneimittel lässt nach. Das Personal der Pick-up-Stellen
ist weder entsprechend ausgebildet noch in der Lage, Patienten auf Gefahren und Nebenwirkungen von Arzneimitteln hinzuweisen, wie das für jeden Apotheker eine
Selbstverständlichkeit ist. Wenn man dieses Konstrukt zu
Ende denkt, könnte auch der mobile Eisverkäufer, der
letztendlich auch Gewerbetreibender ist, in diesen Markt
einsteigen. Juristisch spricht zumindest nichts dagegen.
Kaum jemand in unserem Land will solch einen Wildwuchs. Insofern stimme ich auch in der Diagnose mit weiten Teilen der vorgelegten Anträge überein.
Doch der politische Wille allein reicht leider nicht immer aus, um Missstände sofort zu beseitigen. In diesem
Fall haben wir das Problem, dass wir einen juristisch
praktikablen Gesetzesentwurf brauchen, mit dem die Auswüchse von Pick-up-Stellen gerichtsfest verhindert werden. Und hierzu werden im Antragstext keine brauchbaren Vorschläge gemacht. Denn die Antragsteller wissen
ganz genau, dass das Bundesverwaltungsgericht am
13. März 2008 geurteilt hat, dass ein Verbot von Pick-upStellen nur über ein generelles Verbot des Versandhandels zu bekommen ist.
Ehrlich wäre, wenn im Antrag der Fraktion Die Linke
allein dieses Argument angeführt würde. Denn alle anderen - Arzneimittelsicherheit, Kontrollfunktion, Medikamentenabhängigkeit - treffen nicht zu.
Die Antragsteller von der FDP dagegen möchten ja
nur Pick-up-Stellen verbieten, den Versandhandel an sich
aber weiterhin beibehalten. Hier verweise ich gerne auf
eine entsprechende Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz, in der es heißt, dass ein solch einseitiges
Verbot „verfassungsrechtlich nicht mehr vertretbar sein
dürfte“ .
Daher muss ein wie auch immer gearteter Gesetzentwurf zum Pick-up-Verbot in Bezug auf seine Folgen sowohl zu Ende gedacht und eindeutig als auch gerichtsfest
sein. Wie dieser jedoch - ich wiederhole mich - aussehen
kann, dazu fehlen zielführende Aussagen in beiden Anträgen - wohl nicht ohne Grund.
Richtig ist, dass wir grundsätzlich mehr Wettbewerb
im System der Arzneimittelversorgung brauchen, dem
sich auch alle Beteiligen stellen müssen. Doch dabei dürfen wir zwei Dinge nicht vergessen: dass wir erstens über
die Diskussion um mehr Wettbewerb nicht die Arzneimittelsicherheit vergessen und wir zweitens bei der Ausgestaltung des Wettbewerbs auch die Chancengleichheit
der Wettbewerbsteilnehmer gewährleisten. Wenn wir das
nicht hinbekommen, werden wir eines Tages unzählige
Pick-up-Stellen haben, die wie kleine Apotheken fungieren, aber nicht den hohen und damit kostenintensiven AnDr. Wolf Bauer
forderungen entsprechen, die an echte Apotheken gestellt
werden. Die einen picken sich nur die dicksten Rosinen
aus dem Kuchen, die anderen gewährleisten fachkundige
Beratung, führen diverse Dienstleistungen durch, halten
ein Labor vor und sind an Sonn- und Feiertagen dienstbereit. Durch ein zu großes Ausufern der Pick-up-Stellen
würde schlussendlich die Arzneimittelsicherheit auf gefährliche Art und Weise ausgehöhlt.
Das wissen wir alles, aber ganz offensichtlich wird in
dieser Legislaturperiode keine Lösung mehr für die Pickup-Problematik gefunden. Da sowohl das Bundesgesundheitsministerium als auch die SPD-Fraktion meinen, an
bestimmten Kriterien für die Ausgestaltung von Pick-upStellen festhalten zu müssen, kann diese Blockade nur von
einer anderen Koalition - und zwar einer schwarz-gelben aufgelöst werden. Das ist dann jedoch eine Aufgabe für
die Abgeordneten der nächsten Wahlperiode.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
13. März 2008 hat die Politik vor eine schwierige Herausforderung gestellt. Das Gericht hatte geurteilt, dass
der Arzneimittelbestell- und -abholdienst ({0}), der
damals nur von einigen Drogeriemärkten in Kooperation
mit Versandapotheken angeboten wurde, zulässig ist. Gewerbetreibende unterschiedlichster Provenienz, darunter
Tankstellen und Blumenläden, machen sich mittlerweile
die Spielräume des Urteils zunutze und bieten Bestellund Abholdienste von Arzneimitteln an.
Eine Abgabe von Arzneimitteln außerhalb von Apotheken ist in mehrerer Hinsicht problematisch. Die zwei
wichtigsten Einwände sind dabei eine Gefährdung der
flächendeckenden Arzneimittelversorgung und eine Marginalisierung des Arzneimittels als besonderes Gut.
Tatsächlich ist die Einrichtung von Pick-up-Stellen geeignet, die flächendeckende Versorgung mit Präsenzapotheken zu gefährden. Die öffentliche Apotheke hat in
Deutschland nicht ohne Grund ein Monopol inne, das
zudem vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde.
Danach ist ein berechtigter Zweck des Monopols die
Erhaltung der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit der
Präsenzapotheken. Die Existenzfähigkeit der Präsenzapotheken ist Voraussetzung für die Existenz eines flächendeckenden Apothekennetzes, das die ordnungsgemäße und zeitnahe Versorgung ermöglicht.
Eine zeitnahe Versorgung kann dabei nur die öffentliche Apotheke gewährleisten: Sie ist verpflichtet, durch
Nacht- und Notdienste rund um die Uhr die Versorgung
der Bevölkerung sicherzustellen. Bestellung und Versand
über eine Pick-up-Stelle dauern naturgemäß mehrere
Tage.
Bisher sind Apotheken als besondere Institutionen des
Gesundheitswesens klar getrennt von sonstigen Gewerbebetrieben. Diese Trennung leistet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen wesentlichen Beitrag zum Bewusstsein der Bevölkerung für die
Besonderheiten von Arzneimitteln und damit zur Vermeidung eines gesundheitsschädlichen Fehlgebrauchs von
Arzneimitteln. Einfach gesagt: Wenn ein Arzneimittel
auch in einem Blumenladen oder an einer Tankstelle bestellt werden kann, geht das Bewusstsein über die damit
verbundenen Risiken und Nebenwirkungen verloren.
In den komplizierten Gesprächen über die Thematik
haben wir mehrere Lösungswege diskutiert, darunter
auch die Vorschläge der Antragsteller: das Verbot des
Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und ein Verbot der Pick-up-Stellen.
Ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln hat bereits im Bundesrat keine
Mehrheit gefunden. Die Gründe hierfür waren freilich
nicht maßgeblich gesundheitspolitischer Art. In der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages
wurde vor allem diskutiert, dass Arzneimittelfälschungen
beim legalen Versand von Arzneimitteln eine zu vernachlässigende Rolle spielen.
Ein Verbot der Pick-up-Stellen und der Rezeptsammlungen in Gewerbebetrieben war in der Koalition ebenfalls nicht mehrheitsfähig. Argumentiert wurde, ein Verbot sei nicht verfassungsmäßig, da der Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes
nicht durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Ein Verbot sei nicht verhältnismäßig, geeignet und erforderlich.
Diskutiert wurde des Weiteren, ob Kriterien für die Abgabe von Arzneimitteln in Gewerbebetrieben formuliert
werden können. Dieser Vorschlag wollte die Sammlung
von Rezepten und die Aushändigung von Arzneimitteln
nur Betrieben erlauben, die bestimmten definierten Anforderungen entsprachen.
Dieser Vorschlag stieß in der Koalition auf Bedenken,
denn damit wäre das dargestellte grundsätzliche Problem, Arzneimittel außerhalb von Apotheken abzugeben,
nicht behoben worden. Im Gegenteil wären Drogeriemärkte mit diesem Vorschlag ein Teil der Regelversorgung geworden, eine „Apotheke Light“.
Der Status quo bleibt somit bestehen. Diese Situation
ist unbefriedigend. Es bleibt nun der neuen Legislaturperiode vorbehalten, eine Lösung zu finden, die die Auswüchse des Versandhandels mit Arzneimitteln unterbindet und die von der Mehrheit dieses Hauses getragen
werden kann.
Die AMG-Novelle hat gezeigt: Die Koalition geht
nicht gegen die Auswüchse des Versandhandels mit Arzneimitteln vor. Ich erinnere daran, dass Vertreter aller
Fraktionen in der ersten Lesung zum Antrag der FDP die
Probleme durch so genannte Pick-up-Stellen sahen und
Abhilfe forderten. Ich stelle nunmehr fest, dass CDU und
CSU und SPD nicht in der Lage sind, eine gemeinsame
Lösung zu finden. Schwarz-Rot wirft die heiße Kartoffel
hin und her. Die Koalitionsfraktionen weisen einander
die Schuld zu. Das alles ist Zeichen für eine Endzeitstimmung in der Koalition. Die Koalition sehnt ihr Ende herbei. Ob die Versprechen angesichts des Nichtstuns wirklich ernst gemeint waren, kann man nur noch bezweifeln.
Vor dem Hintergrund werden die positiven Aussagen von
CDU und CSU und SPD zum Urteil des Europäischen
Zu Protokoll gegebene Reden
Daniel Bahr ({0})
Gerichtshofes zu Lippenbekenntnissen. Vollmundig begrüßen Union und SPD das Fremd- und Mehrbesitzverbot, aber konkret tun sie nichts gegen die Aushöhlungen.
Dabei ist mittlerweile durch den bekundeten Einstiegswillen von Tankstellenketten noch einmal die Dringlichkeit und Notwendigkeit für ein Verbot der Pick-ups
deutlich geworden. Wir brauchen eine gesetzliche Klarstellung, dass ein Versand von Arzneimitteln nur aus Apotheken durch Apotheken selbst oder durch von diesen beauftragten Transportunternehmen unmittelbar an den
Endverbraucher zulässig ist. Die FDP legt einen Antrag
vor, der genau dieses Problem anpackt. Die Anhörung hat
auch deutlich gemacht, dass ein Verbot des Versandhandels von rezeptpflichtigen Arzneimitteln die Probleme
nicht löst, sondern neue Unsicherheiten, vor allem verfassungsrechtliche, aufwirft. Nur der FDP-Vorschlag
fand eine breite Unterstützung in der Anhörung.
Die Abgabe von Arzneimitteln in Abgabestellen, die
nicht die Bedingungen erfüllen, die an eine Apotheke gestellt werden, ist ein echtes Problem. Es ist möglich, dass
anstelle des Apothekers auch zum Beispiel Kioskbetreiber
oder Tankwarte unkontrolliert Rezepte einsammeln und
die bestellten Arzneimittel ausgeben. Eine sachgemäße
Behandlung und Lagerung ist damit nicht gewährleistet.
Ein Arzneimittel ist ein ganz spezielles Gut, das hat der
Europäische Gerichtshof vor kurzem erneut bestätigt.
Wenn Abgabestellen Gutscheine für Waschmittel oder
Schokoriegel ausstellen, wenn Patienten Arzneimittel
über sie beziehen, dann fehlt das Bewusstsein dafür, dass
es sich bei Arzneimitteln um ein ganz spezielles Gut handelt, das mit Nebenwirkungen verbunden ist und bei dem
eine sorglose Ausweitung des Konsums auf jeden Fall
verhindert werden muss. Arzneimittel gehören nicht zwischen Waschmittel und Schokoriegel. Eine solche Entwicklung kann weder unter Sicherheitsaspekten noch im
Hinblick auf gleiche Wettbewerbsbedingungen gewollt
sein.
Wettbewerb kann nur unter fairen Bedingungen funktionieren. Es ist eine Benachteiligung, wenn Wettbewerber Pflichten zu erfüllen haben, die andere nicht erfüllen
müssen. Die Apotheke vor Ort erbringt wichtige Gemeinwohlaufgaben wie Nacht- und Wochenenddienst, muss
Labor und Mindestgrößen der Ladenfläche und entsprechend fachkundiges Personal gewährleisten. Wir alle haben ein Interesse daran, dass diese Pflichten erfüllt werden, damit die Arzneimittelversorgung auf einem
entsprechend hohen Niveau erreicht wird. Wenn jetzt
Drogerien oder andere versuchen, über die Ausnutzung
des Versandweges sich den Anschein einer Apotheke zu
geben, ohne die Pflichten zu erfüllen, dann sind das unfaire Wettbewerbsbedingungen für die Apotheken vor
Ort. Hinzu kommt, dass Apotheken eine Vielzahl von Voraussetzungen erfüllen müssen, um den Sicherheitsstandard zu gewährleisten. Es könnte eine Gefahr für die Sicherheit und die Versorgung vor Ort entstehen.
Die FDP rät davon ab, Vorgaben für Pick-up-Stellen
zu formulieren. Wer Standards für Abholstellen hochsetzen will, der schafft ein mittelfristig viel größeres Problem, der schafft eine „Apotheke light“. Wir brauchen
kein ein bisschen fachkundiges Personal und keine
Räume, die ein bisschen wie Apotheken aussehen. Das
verzerrt die Versorgung und verwirrt den Verbraucher.
Dann könnten auch mittelfristig die Apothekenpflicht von
Arzneimitteln und sogar das Fremd- und Mehrbesitzverbot fallen. Wen das SPD-geführte Gesundheitsministerium solche Vorschläge vorlegt, dann will es die Apotheken schwächen.
Ein Jahr ist es her, dass Linke und FDP unerwünschte
Gefahren aus dem Versandhandel mit Medikamenten im
Deutschen Bundestag zum Thema machten. Auslöser war
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März
2008, demzufolge die Abgabe von Arzneimitteln über Bestell- und Abholstationen - sogenannte Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten zulässig sei. Das ging selbst der Koalition zu weit. Schließlich resultieren hieraus erhebliche
Gefahren für eine gute und sichere Arzneimittelversorgung. Die Linke im Bundestag tritt daher dafür ein, den
Versandhandel auf rezeptfreie Arzneimittel zu begrenzen.
CDU/CSU und SPD versprachen, die Sache insgesamt zu
prüfen und gegebenenfalls zu handeln.
Doch was ist passiert? Nichts. Den großen Versprechen folgten keine Taten. Heute verstrich die letzte Möglichkeit, etwas zu tun. Die 15. Novelle des Arzneimittelgesetzes ist verabschiedet. Der Versandhandel mit
Medikamenten spielt darin keine Rolle. CDU/CSU und
SPD haben ihre Chance verpasst, einen Fehler zu korrigieren.
Zur Erinnerung: Zusammen mit den Grünen waren es
Union und SPD, die vor fünf Jahren den Versandhandel
mit Arzneimitteln erlaubten, - handwerklich nicht gut
und im vorauseilendem Gehorsam, wie so manch Beteiligter im Rückblick eingesteht; denn der Europäische Gerichtshof entschied später, dass die EU-Mitgliedsländer
den Versandhandel nicht auf verschreibungspflichtige
Arzneimittel ausdehnen müssen. Das hat gute Gründe.
Arzneimittel sind besondere Güter, ihre Abgabe erfordert hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Unerlässlich ist aus Sicht der Linken eine umfassende Beratung
durch unabhängiges und gut ausgebildetes pharmazeutisches Personal; denn die Qualität der Arzneimittelversorgung hängt ganz wesentlich von der Beratungsqualität
in der abgebenden Apotheke ab. Dafür ist es wichtig, individuell auf die Patientin/den Patienten einzugehen und
die richtige Sprache zu finden, um komplizierte Sachverhalte zu erklären. Eine telefonische Beratung kann das
nicht gewährleisten. Es bedarf hierfür vielmehr eines
persönlichen und vertrauensvollen Gesprächs in der
Apotheke.
Richtungweisend ist ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes - EuGH - : Am 19. Mai 2009 hat er
das bundesdeutsche Fremdbesitzverbot von Apotheken
bestätigt und damit die inhabergeführte Präsenzapotheke
gestärkt. Apothekenketten und Aktiengesellschaften können somit weiterhin verhindert werden. Dies ist ein wichtiger Erfolg für die unabhängige Beratung, da Apotheken
nicht zum Spielball von profitorientierten Kapitalgesellschaften werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Der Gesetzgeber ist gefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese die Beratungsfunktion der Apotheken unterstützen und nicht behindern. Aus Sicht der Linken besteht die einzige
konsequente und rechtliche Möglichkeit darin, den Versandhandel auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu begrenzen und folglich den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verbieten. Sich
nur gegen die Pick-up-Stellen zu wenden, wie von der
FDP gefordert, ist zu kurz gesprungen und birgt bekanntermaßen verfassungsrechtliche Bedenken.
Die Zukunft der Arzneimittelversorgung liegt in unseren Händen. Die Politik ist in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für eine qualitätsgesicherte und flächendeckende Arzneimittelversorgung zu schaffen. Noch spielt
der Versandhandel mit Medikamenten eine untergeordnete Rolle. Doch die neuen Vertriebsformen werden eine
neue Dynamik entwickeln. Wird das flächendeckende
Apothekennetz dadurch infrage gestellt, gibt es ein Versorgungs- und Beratungsproblem für die Bevölkerung.
Dies betrifft insbesondere Menschen auf dem Land und
ältere, zumeist mehrfach erkrankte Menschen.
Vor diesem Hintergrund ist es für uns nicht nachvollziehbar, weshalb die Koalition die Hände in den Schoß
legt und abwartet. Es bleibt zu hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode schnell eine Lösung gefunden wird.
Die Linke hat die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Vorschläge frühzeitig zur Diskussion gestellt. Sie können versichert sein, dass wir auch weiterhin für eine qualitativ
hochwertige Arzneimittelversorgung streiten werden.
In der Anhörung zu den hier vorliegenden Anträgen
waren die Stellungnahmen der eingeladenen Juristen un-
missverständlich: Ein Verbot des Versandhandels mit ver-
schreibungspflichtigen Arzneimitteln wäre europarecht-
lich möglich, wenn durch den Versandhandel die
Gesundheit der Bevölkerung gefährdet würde. Doch der
Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist
seit fünf Jahren erlaubt. Und in dieser Zeit ist nicht ein
einziger Fall bekannt geworden, in dem ein Patient durch
Versäumnisse einer zugelassenen Versandapotheke zu
Schaden gekommen wäre.
Ein Verbot wäre auch verfassungsrechtlich nicht halt-
bar. Denn der damit verbundene Eingriff in das Grund-
recht der Berufsfreiheit der Versandapothekerinnen und
-apotheker würde eine starke Rechtfertigung brauchen.
Die kann es aber nicht geben, wenn es das Problem der
Patientengefährdung, dem man angeblich mit dem Verbot
begegnen will, mangels Schadensfällen gar nicht gibt.
Schutz vor Konkurrenz aber ist kein zulässiger Eingriffs-
zweck.
Und auch sonst ist kein guter Verbotsgrund in Sicht.
Die in der Anhörung vertretenen Patientenverbände ha-
ben klargemacht, dass der Versandhandel aus Sicht der
chronisch Kranken und Behinderten eine wichtige Option
ist. Vor allem bei mobilitätseingeschränkten Menschen
könne der Versandhandel den Zugang zu preisgünstigen
Medikamenten verbessern - so die Vertreter der chro-
nisch Kranken. Wer wollte dem widersprechen?
Deutlich geworden ist auch, dass die Beratungsquali-
tät von Versandapotheken nicht schlechter ist als die von
Präsenzapotheken. Der Vorteil der Präsenzapotheke,
dass der Kunde direkten Kontakt mit dem Apothekenper-
sonal hat, wird dadurch wieder ausgeglichen, dass die te-
lefonische Beratung der Versandapotheken eine größere
Vertraulichkeit erlaubt. Über die eigenen Gesundheits-
probleme in einer Präsenzapotheke in der Anwesenheit
anderer Kundinnen und Kunden zu reden, ist vielen Men-
schen peinlich.
Bleibt noch das Argument der Arzneimittelfälschun-
gen. Aber die werden sich mit einem Verbot des zugelas-
senen Versandhandels nicht verhindern lassen. Kein ille-
galer Internetversender wird sich von einem Verbot
davon abhalten lassen, seine gefährlichen Produkte auch
weiterhin anzubieten. Und die Verwechslung von legalen
und illegalen Anbietern ist ausgeschlossen. Denn anders
als bei dubiosen Internethändlern kann man bei zugelas-
senen Versandapotheken nicht einfach per „Mausklick“
bestellen. Voraussetzung für den Versand ist immer, dass
vorab der Kunde sein Rezept an die Versandapotheke
schickt.
Spätestens nach dieser Anhörung hätte es der Linken
gut angestanden, ihren Antrag zurückzuziehen. Sie hat es
nicht getan. Offensichtlich ist Klientelpflege für die Linke
wichtiger gewesen als der Patientenschutz.
Auch die FDP hätte in der Anhörung einiges lernen
können. Ich zähle nur einmal die wichtigsten Argumente
auf: Ein absolutes Verbot der Pick-up-Stellen steht nicht
an, denn Abholstellen sind eine Variante des Versandhan-
dels mit Arzneimitteln; sie machen preisgünstige Arznei-
mittel auch für solche Personen zugänglich, die keinen
Internetzugang haben. Die Lagerung eines Arzneimittels
bis zur Abholung in einem Drogeriemarkt ist nicht weni-
ger sicher als die Individualzustellung im Briefkasten.
Das Argument, dass durch den Abholservice Arzneimittel
trivialisiert würden, ist wenig einleuchtend. Warum soll
die Sicht eines Patienten auf ein Arzneimittel dadurch
eine andere werden, dass er es nicht über den heimischen
Briefkasten erhält, sondern in einem Drogeriemarkt ab-
holt? Schließlich werden seit jeher nicht apothekenpflich-
tige Arzneimittel in Drogeriemärkten verkauft. Diese Ar-
gumente sprechen gegen ein Verbot.
Allerdings glauben auch wir, dass aus Gründen der
Arzneimittelsicherheit die Abholstellen bestimmten An-
forderungen unterworfen werden sollten. So könnte ihre
Einrichtung auf Drogeriemärkte beschränkt werden.
Drogisten müssen über pharmazeutische Sachkenntnisse
verfügen. Außerdem unterliegen sie der amtlichen Arz-
neimittelüberwachung.
Leider hat es die Koalition nicht geschafft, sich auf sol-
che oder vergleichbare Regelungen zu verständigen. Die
Handlungsfähigkeit dieser Regierungsmehrheit stößt wie
so oft auch hier an ihre Grenzen. Auch dies bleibt als
Hausaufgabe für die kommende Legislaturperiode.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ge-
sundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
empfehlung auf Drucksache 16/13427, den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9752 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfrak-
tionen und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen hat die
Fraktion der FDP gestimmt, und Die Linke hat sich ent-
halten.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/9754. Wer stimmt für die Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen. Dagegen hat ge-
stimmt die Fraktion Die Linke. Die übrigen Fraktionen
haben dafür gestimmt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Michaela
Noll, Antje Blumenthal, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
sowie der Abgeordneten Renate Gradistanac,
Edelgard Bulmahn, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Situation von Frauenhäusern verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle
Laurischk, Ina Lenke, Miriam Gruß, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Forderung nach einem Bericht der Bundesregierung über die Lage der Frauen- und
Kinderschutzhäuser
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Katja Kipping, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst vom SGB II
regeln
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck ({1}), Ekin
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundrechte schützen - Frauenhäuser si-
chern
- Drucksachen 16/12992, 16/8889, 16/6928,
16/10236,16/13265 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michaela Noll
Sibylle Laurischk
Irmingard Schewe-Gerigk
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Laurischk, Ina Lenke, Miriam Gruß, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Absicherung von Frauen- und Kin-
derschutzhäusern
- Drucksache 16/13178 -
Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden
sind, dass Ihre Reden zu Protokoll gegeben wurden. Es
handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und
Kollegen: Michaela Noll, Ingrid Fischbach, Renate
Gradistanac, Caren Marks, Sibylle Laurischk, Kirsten
Tackmann und Irmingard Schewe-Gerigk.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 16/13265. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An-
trags der Fraktionen CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/12992 mit dem Titel „Die Situation von
Frauenhäusern verbessern“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Dafür gestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Die Op-
positionsfraktionen haben sich enthalten. Niemand war
dagegen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/8889 mit dem Titel „Forde-
rung nach einem Bericht der Bundesregierung über die
Lage der Frauen- und Kinderschutzhäuser“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men. Dafür gestimmt haben die Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD. Dagegen gestimmt haben die Frak-
tionen der FDP und der Linken. Die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Familie,
Frauen, Senioren und Jugend unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/6928 mit dem Titel
„Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstel-
len und losgelöst vom SGB II regeln“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men. Dafür gestimmt haben die Koalitionsfraktionen.
Dagegen gestimmt hat die Fraktion Die Linke.
Bündnis 90/Die Grünen und die FDP haben sich enthal-
ten.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
16/10236 mit dem Titel „Grundrechte schützen - Frau-
enhäuser sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen. Dafür gestimmt
haben die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die
1) Anlage 37
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Linke. Dagegen gestimmt hat das Bündnis 90/Die Grünen. Die FDP hat sich enthalten.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 35 b und zur
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/13178 mit dem Titel „Für eine Absicherung von Frauen- und Kinderschutzhäusern“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt. Dafür gestimmt
hat die Fraktion der FDP. Dagegen gestimmt haben die
Koalitionsfraktionen und Die Linke. Bündnis 90/Die
Grünen hat sich enthalten.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann,
Volker Beck ({3}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Rechtsklarheit und Transparenz schaffen Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen
kommunaler Gesellschaften bundesrechtlich
eindeutig normieren
- Drucksachen 16/11826, 16/13296 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Günter
Krings, Klaus Uwe Benneter, Max Stadler, Katrin
Kunert und Britta Haßelmann.
Wer setzt sich nicht für Rechtsklarheit und Transparenz ein? Rechtsklarheit ist immer gut, und Transparenz
ist auch immer gut. Da wird man auch den Grünen nicht
widersprechen können und wollen. Es bleibt nur die
Frage zu klären, ob die Forderungen der Grünen wirklich
zu Rechtsklarheit und Transparenz führen oder ob sie
heute schon umsetzbar sind. Die von den Grünen erhobenen Forderungen laufen jedoch auf ein „Sondergesellschaftsrecht“ für private Unternehmen, die von der öffentlichen Hand geführt werden, hinaus und führen damit
zu einer Diskriminierung dieser Unternehmen.
Wenn die Grundsatzentscheidung einmal gefallen ist,
dass Kommunen bestimmte Tätigkeitsfelder in einer privatrechtlichen Gesellschaft organisieren dürfen, dann ist
diese Entscheidung zu respektieren. Daher kann ich es
nicht nachvollziehen, dass immer wieder versucht wird,
daran etwas zu ändern und Ausnahmen zu schaffen, die
sich explizit auf kommunal geführte private Gesellschaften beziehen, selbst wenn es sich um so ein vernünftiges
und richtiges Anliegen handelt wie die Transparenz einer
Gesellschaft. Wer unbedingt eine privatrechtliche Gesellschaft gründen will, muss eben auch deren Rechtsregime
akzeptieren. Und ein Landesgesetzgeber, der das Gesellschaftsrecht für nicht passend für seine Kommune hält,
muss hier eben bestimmte Zulässigkeitsschranken einziehen.
Die Antragssteller zeichnen in ihrem Antrag ein arges
Zerrbild der kommunalpolitischen Wirklichkeit und
scheuen sich nicht, dies auch noch in ihrem Antrag explizit herauszustreichen. Sie beklagen sich darüber, dass
„kleinere Gemeinderatsfraktionen in den Aufsichtsratsgremien dieser Gesellschaft oftmals nicht vertreten sind“.
Dank dieser Passage wissen wir nun, dass dieser Antrag
der Grünen jedenfalls nicht uneigennützig gestellt wurde.
Wenn eine kleine Fraktion in einem Aufsichtsrat allerdings keinen Sitz abbekommt, dann hat das eben nichts
mit mangelnder Transparenz, sondern etwas mit ihren Ergebnissen bei den Kommunalwahlen zu tun. Demokratische Entscheidungen müssen aber auch dann akzeptiert
werden, wenn sie einem selbst wehtun. Auch die Fraktion
der Grünen sollte das nach über drei Jahren Opposition
langsam wieder verinnerlichen.
Wenn sie es schon selbst in den gerade einmal zwei Seiten ihres Antrags nicht tun, will ich zumindest versuchen,
inhaltlich auf ihr vermeintliches Anliegen einzugehen. Ihr
Vorschlag ist zunächst schlicht verfassungswidrig. Im
Gegensatz zum damaligen FDP-Antrag wollen Sie die
Verschwiegenheitspflicht ja nicht nur für die Aufsichtsratsmitglieder von Gesellschaften aufheben, bei denen
die Städte und Gemeinden Alleingesellschafter sind, sondern sie wollen sie auch noch ausdehnen auf solche Gesellschaften, in denen die Kommune mehrheitsbeteiligt
ist. Dieser Vorschlag verletzt ohne zwingenden Grund die
Eigentumsrechte der privaten Aktionäre und ist mit
Art. 14 GG unvereinbar. Sie greifen durch diese Forderung in Rechte Privater ein, die nicht nur durch das Gesellschaftsrecht geschützt sind, sondern auch durch die
Verfassung.
Mit Ihrer zweiten Forderung schießen Sie jedoch den
Vogel ab. So ganz geheuer scheint es Ihnen dann doch
nicht mit der Einbeziehung der kommunalen Mehrheitsgesellschaften in die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht zu sein, denn der Grundsatz der Öffentlichkeit
kann auf Gemeinderatsmitglieder und Medienvertreter
beschränkt werden. Um diesen bizarren Vorschlag einmal
in einem Szenario zu veranschaulichen: Wenn das Gemeinderatsmitglied etwas aus der Aufsichtsratssitzung zu
einem Journalisten sagt, dann gibt es am nächsten Tag einen Bericht in der Zeitung. Wenn das Aufsichtsratsmitglied eines privaten Gesellschafters etwas in der Öffentlichkeit ausplaudert, gibt es am nächsten Tag Besuch vom
Staatsanwalt. Das ist an Naivität wirklich nicht zu überbieten.
Da es an Konstruktivität in ihrem Antrag fehlt, will ich
konstruktiv Kritik üben und lhnen einen Weg aufzeigen,
wie man das Anliegen, Transparenz in kommunale Unternehmen zu bringen, schon jetzt ohne gesetzliche Eingriffe
und sehr wirkungsvoll erfüllen kann. Das öffentliche
Recht kennt längst Gesellschaftsformen, die den im Antrag beschriebenen Transparenzanforderungen gerecht
werden. Vor allen Dingen ist dies die Anstalt des öffentlichen Rechts. Dafür müssen keine Vorschriften geändert
werden, sondern es kann schon heute umgesetzt werden,
wenn sich Kommunen für diese Gesellschaftsform entscheiden. Und jetzt kommt das Beste: Hier kann der Landesgesetzgeber sogar in noch viel höherem Maße, als den
Grünen das offenbar vorschwebt, Transparenz und Informationspflichten anordnen.
Nun mag es ja sein, dass Ihnen als Antragsteller die
weitergehenden Optionen, die auch das GmbH-Recht für
die Eingrenzung der Verschwiegenheitspflichten des Aufsichtsrats vorsieht, nicht ausreichen. Wer mehr will, wird
den Kommunen diese Transparenz wohl schon vorschreiben müssen. Solche Informationspflichten und Transparenzgebote für kommunale Gesellschaften wären aber
keine gesellschaftsrechtliche Regelung mehr, sondern
hätten einen dezidiert kommunalverfassungsrechtlichen
Regelungszweck. Das Kommunalverfassungsrecht ist
aber Sache des Landesgesetzgebers. In dieser Frage sind
also die Landtage gefordert und nicht der Bundestag.
Nur dort, wo punktuell - etwa das HGB - einer solchen
Transparenzordnung des Landes bei Anstalten etwas entgegenstünde, wären wir zum Handeln aufgefordert. Ob
eine jüngere Entscheidung aus Nordrhein-Westfalen zu
der Vergütungsoffenlegung von Sparkassenvorständen
einen solchen Fall darstellt, ist heute noch nicht klar, da
es sich hier nur um eine Entscheidung im einstweiligen
Rechtsschutz handelt. Wir als Union werden diese ganz
konkrete Frage aber genau verfolgen und nötigenfalls
§ 34 a HGB ändern.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben Vertrauen in das verantwortungsbewusste Handeln der
Kreistage sowie der Stadt- und Gemeinderäte in unserem
Land. Wir verwahren uns gegen Unterstellungen, dass
unsere Kommunalpolitiker in den Aufsichtsräten „geräuschlos und konsensual ihre politischen Ziele ... verfolgen, ohne sich im Vorfeld einer Entscheidung der Auseinandersetzung mit anderen politischen Kräften und einer
kritischen Öffentlichkeit stellen zu müssen“. Das ist eine
inakzeptable Kritik und unterstreicht noch einmal, dass
der Antrag mehr von Populismus getrieben ist, als dass
sie wirklich an einer Diskussion in der Sache interessiert
sind.
Gute Kommunalpolitiker sehen Transparenzregeln
nicht als Bedrohung an, sondern als Ausdruck einer bürgernahen Kommunalpolitik. Was die anderen Kommunalpolitiker angeht, so habe ich Vertrauen in die Wählerinnen und Wähler, die in acht Bundesländern in diesem
Jahr Gelegenheit hatten und haben, intransparent arbeitende Gemeinderäte abzuwählen. Wir wollen uns nicht
anmaßen, besser zu wissen als die Bürger und Entscheidungsträger vor Ort, wie Transparenz und Offenheit zu
sichern ist.
Wir wollen eine Zersplitterung des Gesellschaftsrechts
verhindern. Wir wollen kein apokryphes Sondergesellschaftsrecht für kommunale Unternehmen. Stattdessen
wollen wir, dass die kommunalen Verantwortungsträger
die vielfältigen Möglichkeiten nutzen, mit den vorhandenen Mitteln des GmbH- und Landesrechts für ausreichende Transparenz zu sorgen. Ich glaube nicht, dass
dem Anliegen nach einem hohen Maß an Transparenz in
kommunalen Unternehmen dadurch geholfen wird, wenn
man, wie die Antragsteller es tun, den Gemeinderatsmitgliedern und Stadträten, die hier - ich betone dies - viel
ehrenamtliches Engagement zum Gemeinwohl aufbringen, auf einmal unlautere Absichten unterstellt. Ich
würde mir wünschen, dass die Grünen ihre Einstellung
zur kommunalen und bürgerschaftlichen Selbstverwaltung positiver überdenken. Wir jedenfalls lassen uns nicht
von Misstrauen, sondern von Vertrauen in die Kreise,
Städte und Gemeinden in unserem Land leiten.
Die vorangegangene Debatte zu diesem Antrag hat
mich schon nachdenklich gemacht, das möchte ich hier
klar sagen. Ich komme gleich darauf.
Die Grünen wollen eine Gesetzesänderung. Aktienrecht und GmbH-Recht sollen es ermöglichen, dass Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften und GmbHs mit
mehrheitlicher kommunaler Beteiligung grundsätzlich
öffentlich tagen können.
Nach meiner Auffassung ist es so, dass es diese Möglichkeit heute schon gibt - jedenfalls bei kommunalen
GmbHs. Um die geht es ja in der Praxis. Denn bei der
GmbH besteht weitgehende Satzungsfreiheit. Schon die
Einrichtung eines Aufsichtsrates ist nicht zwingend.
Wenn man ihn aber einrichtet, könnte man in der Satzung
auch vorsehen, dass er grundsätzlich öffentlich tagen
muss. Denn das GmbH-Gesetz verweist gerade nicht auf
die Vorschrift des Aktiengesetzes, die regelt, dass Aufsichtsräte grundsätzlich nichtöffentlich tagen sollen. Was
die Grünen wünschen, ist also bereits Gesetzesrecht. So
sehe ich es. Es besteht deshalb kein Handlungsbedarf.
Allerdings nutzen die Kommunen diese Möglichkeiten
kaum. Ich finde das schade. Kollegin Katrin Kunert hat
auf die Public Corporate Governance hingewiesen, die
die Stadt Stuttgart verabschiedet hat. Ihr Ziel ist, gute
Standards für das Zusammenwirken von Gemeinderat,
Stadtverwaltung und Beteiligungsgesellschaft festzulegen. Ich finde, das geht in die richtige Richtung und ist ein
gutes Vorbild.
Denn Transparenz ist ganz wichtig. Kommunale
GmbHs erfüllen öffentliche Aufgabe beispielsweise im
Bereich des öffentlichen Nahverkehrs oder im Abfallbereich, betreiben Schwimmbäder usw. Wie sie dies tun und
ob sie dies ausreichend tun und ob sie mit dem Geld der
Steuer- und Beitragszahler ordentlich umgehen und ob
sie gut geführt sind und auch eine innere Verfassung haben, die einem öffentlichen Unternehmen angemessen ist,
das alles sind Fragen von öffentlichem Interesse. Ich
wünsche mir, dass die Städte und Gemeinden im Rahmen
der Satzungsfreiheit, die das GmbH-Recht bietet, ausloten, was an Transparenz sinnvoll ist. Offenbar ist da eher
eine abwehrende Haltung verbreitet. Ich würde mir mehr
Offenheit in diese Richtung wünschen. Man muss die Verschwiegenheitspflichten und die Nichtöffentlichkeit nicht
wie eine Monstranz vor sich her tragen. Ich empfehle zu
diesem Thema allen Interessierten die sehr öffentlichkeitsfreundliche Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs als Lektüre.
Zu Protokoll gegebene Reden
Deshalb möchte ich an dieser Stelle dem Kollegen
Krings widersprechen. Er hat davon gesprochen, der Vorschlag der Grünen sei verfassungswidrig und würde in
die Eigentumsrechte der Minderheitsgesellschafter eingreifen. Das kann ich so nicht unterschreiben. Wie gesagt: Es ist heute schon möglich, öffentliche Aufsichtsratssitzungen bei GmbHs mit kommunaler Beteiligung
vorzusehen. Bei GmbHs mit 100 Prozent kommunaler Beteiligung ist das unter Eigentumsschutzaspekten völlig
unproblematisch. Aber auch bei kommunalen GmbHs mit
Minderheitsgesellschaftern sehe ich keine Verletzung von
Eigentumsrechten. Kritisch könnte es allenfalls sein,
wenn der Gesellschaftsvertrag nachträglich unter Überstimmung der Minderheitsgesellschafter geändert werden soll. Problemlos ist es aber, wenn die GmbH von
vornherein auf Öffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen
angelegt ist. Denn niemand muss Gesellschafter einer
GmbH werden, bei der ihm der Gesellschaftsvertrag
nicht gefällt. Im Übrigen bleiben jedem Gesellschafter
auch bei Öffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen seine
vollen Gesellschafterrechte erhalten. Warum also soll
hier das Eigentumsrecht verletzt sein?
Kollege Krings hat weiter gesagt: Das Gesellschaftsrecht sei kein kaltes Buffet, von dem man nach Belieben
auswählen kann. Ich sage: doch! Die weitgehende Satzungsfreiheit im GmbH-Recht ist ein solches Buffet. Sie
gibt Gestaltungsmöglichkeit und die Freiheit, auszuwählen, was zu einem passt. Und zu kommunalen GmbHs
passt nun einmal mehr Offenheit und Öffentlichkeit als zu
rein privaten Unternehmen.
Das in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen formulierte Anliegen, durch eine klare bundesrechtliche Regelung die Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen kommunaler Gesellschaften zuzulassen, wird von der
FDP-Bundestagsfraktion seit langem unterstützt. Die
FDP hat einen ähnlichen Vorstoß bereits früher unternommen, ist dabei leider ebenso wenig auf Gegenliebe
bei der Großen Koalition gestoßen, wie dies auch heute
wieder zu erwarten ist.
Die Debatte in der ersten Lesung sowie in den Ausschüssen hat gezeigt, dass die Koalition irrtümlich der
Meinung ist, es bestehe kein Regelungsbedarf. Immer
wieder wird behauptet, dass dieses Problem nur einige
wenige Kommunalpolitiker interessiere. Dem ist entgegenzuhalten, dass beispielsweise in Bayern zu dieser Thematik Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten bis zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geführt worden sind und
dass es in vielen Städten und Gemeinden lebhafte Debatten über mehr Transparenz bei kommunalen Gesellschaften gibt. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist es nicht
einsichtig, warum wegen einer reinen Rechtsformänderung bisher nach Kommunalrecht öffentlich zu diskutierende Sachverhalte plötzlich hinter verschlossenen Türen
behandelt werden. Die Leichtigkeit, mit der sich die
Große Koalition über das berechtigte Anliegen nach
mehr Transparenz hinwegsetzt, zeugt leider entweder von
Arroganz oder von Ignoranz. Beides ist gleich schlimm.
Soweit die Koalition überhaupt sachlich auf das
Transparenzanliegen eingeht, gibt sie mit ihrer Verweigerungshaltung aber Steine statt Brot. Zum einen wird
behauptet, die Kommunen könnten sich ja anderer Organisationsformen bedienen, bei denen der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz des Gesellschaftsrechts nicht gelte. Es
mag ja sein, dass der Weg der bloßen Organisationsprivatisierungen und der Überführung kommunaler Dienststellen in Gesellschaften mit beschränkter Haftung ein
Irrweg gewesen ist, der hauptsächlich aus dem Ruder
laufende Schattenhaushalte und überzogene Geschäftsführergehälter produziert hat. Gleichwohl ist es ein Faktum, dass beispielsweise aus steuerlichen Gründen viele
Kommunen diesen Weg gegangen sind und nun eben zahlreiche kommunale GmbHs existieren. Vor dieser Realität
kann man nicht einfach die Augen verschließen, sondern
muss als Gesetzgeber die passenden Antworten geben.
Hierzu behauptet die SPD, man könne alle gewünschten Regelungen im Gesellschaftsvertrag unterbringen.
Genau dies ist aber unter Juristen äußerst streitig. In Passau, wo über die Thematik seit langem öffentlich intensiv
diskutiert wird, hat sich dazu kürzlich auf einer Vortragsveranstaltung der renommierte Gesellschaftsrechtler
Professor Dr. Jan Wilhelm geäußert. Nach seiner Auffassung darf entsprechend der derzeitigen Rechtslage vom
Nichtöffentlichkeitsgrundsatz gerade nicht abgewichen
werden.
Daran erkennt man, dass zumindest eine erhebliche
Rechtsunsicherheit herrscht. Manche Städte, wie etwa die
große Kreisstadt Deggendorf, sind dazu übergegangen,
gleichwohl die Sitzungen der Aufsichtsgremien kommunaler Gesellschaften öffentlich durchzuführen. Fachleute
wie Professor Wilhelm haben die Sorge geäußert, dass
Beschlüsse, die auf diese Weise zustande gekommen sind,
anfechtbar seien. Im Hintergrund drohen sogar Schadenersatzansprüche gegen die Aufsichtsräte.
Es ist unverantwortlich, Kommunalpolitiker, die ihre
Beratungen der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen, mit dieser ihrer guten Absicht alleine zu lassen. Es
gibt keinen einsichtigen Grund, warum der Gesetzgeber
keine sichere Grundlage für mehr Transparenz schaffen
dürfte und sollte. Mit ihrer Untätigkeit verletzt die Große
Koalition ihre Pflicht, per Gesetz Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.
Die FDP wird nicht müde werden, das Thema erneut
auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen. Es ist zu
hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode eine größere Bereitschaft hergestellt werden kann, das einfach zu
lösende Thema endlich anzupacken.
Bei dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag der
Grünen enthält sich die FDP-Fraktion allerdings aus einem bestimmten Grund der Stimme. Die Grünen wollen in
die wünschenswerte Neuregelung auch Gesellschaften
mit lediglich kommunaler Mehrheitsbeteiligung einbeziehen. Dies könnte rechtlich problematisch sein, weil dann
auch private Minderheitsgesellschafter, für die eben traditionell der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz gilt, betroffen
wären. Aus Sicht der FDP wäre es daher besser, zunächst
einmal die Transparenzregelung auf die vollständig in
Zu Protokoll gegebene Reden
kommunaler Hand befindlichen Gesellschaften zu beziehen.
Wenn wir somit auch dem Antrag der Grünen nicht zustimmen können, sondern uns der Stimme enthalten,
bleibt doch zu betonen, dass das Grundanliegen von der
FDP seit langem befürwortet wird.
In der ersten Lesung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte ich ja bereits die grundsätzliche
Position der Fraktion Die Linke zu Protokoll gegeben. An
dieser Position hat sich nichts geändert. Die Fraktion Die
Linke wird dem Antrag zustimmen. Insofern möchte ich
die Gelegenheit nutzen, mich mit den Argumenten der anderen Fraktionen auseinanderzusetzen.
Aus der Rede des Kollegen Krings von der Fraktion
der CDU/CSU resultiert, dass die Erbringung öffentlicher Leistungen in privater Rechtsform untauglich ist.
Dem möchte ich mich voll anschließen. Und nicht nur ich.
Immer mehr Bürgerinnen und Bürger erkennen, dass offensichtlich mit der Überführung kommunaler Unternehmen in eine private Rechtsform ihre Möglichkeiten der
Einflussnahme und die ihrer gewählten Vertreterinnen
und Vertreter eingeschränkt wurden.
Die SPD-Fraktion unterstreicht diese Position noch,
indem sie nachweist, dass es offensichtlich eine Rechtsunklarheit hinsichtlich der Möglichkeiten der öffentlichen Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen
gibt. Im Unterschied zu Herrn Benneter bin ich der Auffassung, dass genau das der Anlass ist, gesetzgeberisch
tätig zu werden. In dieser Hinsicht kann ich den Ausführungen von Britta Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, zustimmen.
Wenn Private sich an einem öffentlichen Unternehmen
beteiligen oder ihre Beteiligung beim Einstieg der öffentlichen Hand aufrechterhalten wollen, dann ist dies eine
bewusste Entscheidung. Sie wissen, dass sie damit Verantwortung für das öffentliche Wohl übernehmen. Die
Gewinne, die sie aus dem Engagement erzielen, sind letztlich nur möglich, weil die Leistungen des öffentlichen Unternehmens als öffentlich anerkannt sind. Natürlich gibt
die Bindung des Unternehmens an die öffentliche Hand
den Investoren auch Sicherheit. Es ist wohl nicht zu viel
verlangt, wenn dafür ein erhöhtes Maß an Transparenz
eingefordert wird. Vor diesem Hintergrund ist die Position, dass die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht
eine Verletzung der Rechte Privater sei, nicht nachzuvollziehen.
Natürlich haben wir Vertrauen in das verantwortungsbewusste Handeln der Kommunalvertretungen. Und wir
unterstützen natürlich auch den Gedanken, dass gute
Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker Transparenzregeln nicht als Bedrohung ansehen, sondern diese
als Ausdruck bürgernaher Kommunalpolitik werten. Es
ist jedoch naiv anzunehmen, dass es hier einen Automatismus gäbe. Wenn Bürgerinnen und Bürger überhaupt
nicht wissen, was in öffentlichen Unternehmen vorgeht,
können sie natürlich nicht beurteilen, ob Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker dem Kriterium der
Transparenz überhaupt gerecht werden. Die Einführung
von Regelungen, wie sie durch den Antrag der Grünen
vorgeschlagen werden, ist nicht Ausdruck von Misstrauen, sondern stärkt gerade die Position der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die für Transparenz stehen. Sie erhalten für ihr Handeln eine
verlässliche Rechtsgrundlage.
Mehrere Urteile belegen, dass erst durch Gerichte
dem von Kollegen Benneter unterstellten Transparenzprinzip Geltung verschafft werden konnte. Es ist also
nicht der Fall, dass hier eine in sich widerspruchsfreie
Rechtslage besteht. Dafür sprechen rechtliche Auseinandersetzungen in Fragen der Auskunftspflicht - Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2005 - und zur
Einschränkung der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern - Urteil des 4. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Mai 2006 - , um
nur zwei Beispiele zu nennen.
Wir bleiben dabei, dass es einer veränderten gesetzlichen Regelung bedarf. Es stellt sich ja auch die Frage, inwieweit die Bestimmungen für private Unternehmen
überhaupt den neuen Bedingungen entsprechen.
Immer mehr Aufgaben der Daseinsvorsorge von der
Wasserversorgung bis zur Abfallbeseitigung haben die
Städte und Gemeinden in Gesellschaften - GmbHs oder
Aktiengesellschaften - überführt. Für diese Gesellschaften schreibt das Gesellschaftsrecht vor, dass deren Aufsichtsräte nichtöffentlich tagen. Deshalb können wichtige
kommunale Entscheidungen getroffen werden, über die
die Öffentlichkeit und die Gemeinderäte nur unzulänglich
informiert werden. Solche intransparenten Entscheidungen sind das Gegenteil von dem, was gelebte Demokratie
vor Ort braucht, nämlich Transparenz und Offenheit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
Mangels einer gesetzlichen Lösung dieses Problems
hat sich eine uneinheitliche Rechtsprechung entwickelt.
Angesichts der bestehenden Gesetzeslage haben sich die
Gerichte mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass Aufsichtsräte nicht öffentlich tagen müssen. Widersprüchliche Rechtsauffassungen und die Uneinheitlichkeit der
OLG-Rechtssprechung machen jedoch deutlich, dass der
Gesetzgeber eine rechtliche Klarstellung treffen muss.
Bündnis 90/Die Grünen fordern deshalb, Rechtsklarheit zu schaffen und das Gesellschaftsrecht dahin gehend
zu ändern, dass die Aufsichtsgremien kommunaler Gesellschaften in privater Rechtsform künftig öffentlich tagen dürfen. Union und SPD sehen jedoch nach wie vor
keinen Regelungsbedarf.
Während die SPD sich in der ersten Lesung unseres
Antrags unwissend gab, sich der Mindermeinung der Gerichte anschloss und proklamierte, Öffentlichkeit von
Aufsichtsratssitzungen sei kein Problem, ist die Union
ehrlicher vorgegangen. Sie, sehr verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Union, kanzeln unsere Vorschläge
für mehr Transparenz mit dem Argument eines Eingriffs
in die privaten Freiheitsrechte ab, weil wir auch TranspaZu Protokoll gegebene Reden
renz für solche kommunalen Gesellschaften fordern, an
denen Private in der Minderheit beteiligt sind.
Die Haltung der Union lässt tief in Ihr Demokratieverständnis blicken. Sie wissen sehr wohl, dass auch privates
Eigentum einer Sozialbindung unterliegt. Wenn Sie sich
unsere Vorschläge genauer anschauen würden, dann
wäre Ihnen auch aufgefallen, dass wir sehr wohl den
Schutz privaten Eigentums mitgedacht haben.
Im sensiblen Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge, wo die Versorgungssicherheit zum Beispiel für
Wasser, Abfall, Energie und den Nahverkehr und die Entwicklung der Preise für diese Leistungen eine immense
Rolle für die Bürgerinnen und Bürger spielen, hat die
Transparenz von Entscheidungen eine herausragende
Bedeutung. Sie ist eine notwendige Bedingung, um die
politische Steuerungsfähigkeit der Kommunen und ihrer
demokratischen Gremien zu gewährleisten, damit diese
ihre eigenen kommunalen Gesellschaften nicht nur auf
dem Papier, sondern auch strategisch leiten können. Deshalb muss Transparenz den Vorrang vor privaten Kapitalinteressen haben. Zu oft gerät Klüngel in kommunalen
wie in privaten Unternehmen der Daseinsvorsorge an die
Oberfläche - leider immer erst dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Vor dem Hintergrund der Finanzkrise sollten Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Union, SPD und
auch der FDP, endlich begreifen, dass die Devise nicht
„Privat vor Staat“ heißen kann. Wenn Sie die Gelegenheit
für eine Demokratisierung unserer Unternehmen, insbesondere solcher, die die öffentliche Versorgung sicherstellen, nicht nutzen, dann haben Sie aus der Krise nichts gelernt. Ich bitte deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13296, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/11826 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür gestimmt haben die Fraktionen der Koalition. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Die FDP hat sich enthalten.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 39:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Landgraf, Steffen Reiche ({0}),
Renate Schmidt ({1}) und weiterer Abgeordneter
Der Zukunft eine Stimme geben - Für ein
Wahlrecht von Geburt an
- Drucksache 16/9868 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich gebe der Kollegin Renate Schmidt das Wort.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Was bewegt uns - in meinem Manuskript
steht an dieser Stelle: wenige Unverdrossene; das kann
ich gar nicht sagen; das sind beinahe viele Unverdrossene -, zur nächtlichen Stunde teilweise zur Belustigung,
teilweise zum Ärger mancher Kollegen und Kolleginnen
- und in jedem Fall ihrem Unverständnis ausgesetzt über unseren Antrag „Der Zukunft eine Stimme geben Für ein Wahlrecht von Geburt an“ zu debattieren? Uns
bewegt die Sorge um die Zukunft unserer Kinder und
Enkel, der immer weniger werdenden Kinder und Enkel.
Wir haben das Ziel, die letzte Wahlungleichheit, die es in
unserem Wahlrecht gibt, zu beseitigen; denn jede Altersgrenze, die wir setzen, ist willkürlich. Wir wissen, dass
wir von vielen belächelt werden. Aber auch diejenigen
Frauen und wenigen Männer, die für das Frauenwahlrecht eingetreten sind, wurden mit angeblich ausgesprochen schlüssigen Argumenten seinerzeit lächerlich gemacht und angefeindet. Wir werden aber nicht nur
belächelt, sondern auch von namhaften Juristinnen und
Juristen wie zum Beispiel von Roman Herzog, dem von
mir nicht häufig zitierten Paul Kirchhof und der ehemaligen Hamburger Justizsenatorin Lore Maria PeschelGutzeit ermutigt.
Unser Ziel ist, der Zukunft, nämlich unseren Kindern
und Enkelkindern, eine Stimme zu geben. Dies ist in unserer Gesellschaft des langen Lebens, in unserem Land
der vielen Älteren und der wenigen Jungen von unverzichtbarer Bedeutung.
({0})
Es geht darum, allen Generationen in unserer Gesellschaft ein gleiches Gewicht zu geben. Das geschieht in
einer Demokratie über das Stimmrecht. Wir haben in unserem Antrag offengelassen, ob das Stimmrecht derjenigen, die jünger als 18 Jahre sind, generell über ihre Eltern ausgeübt wird oder ob es ab einem festzulegenden
Alter von den Jugendlichen selbst in Anspruch genommen werden kann. Darüber können und müssen wir
streiten, wenn die Grundsatzentscheidung für ein Wahlrecht von Geburt an getroffen ist.
Auch mit einem Wahlrecht von Geburt an ist der
Grundsatz der Unmittelbarkeit, der Höchstpersönlichkeit
und der Gleichheit der Wahl genauso wenig verletzt wie
der Grundsatz der geheimen Wahl. Das haben wir in der
Begründung unseres Antrags schlüssig nachgewiesen.
Wir sind in der Begründung unseres Antrags zudem auf
die vielen Gegenargumente eingegangen. Dabei zeigt
sich, dass alle Probleme, die bei einem Wahlrecht von
Geburt an auftreten können, lösbar sind. Man muss es
nur wollen.
({1})
Renate Schmidt ({2})
Aber ich habe die Vermutung, dass sich viele, die nun
sagen, das alles sei ein Krampf, bisher nicht die Mühe
gemacht haben, unseren Antrag wenigstens einmal von
Anfang bis Ende durchzulesen.
({3})
Wir wollen der Zukunft eine Stimme geben, damit
frühkindliche Bildung genauso wichtig wird und bleibt
wie die Anpassung der Renten. Wir wollen der Zukunft
eine Stimme geben, damit Kindertagesstätten denselben
Stellenwert haben wie Pflegeheime, damit das Bedürfnis
von Kindern, zu toben, genauso akzeptiert wird wie das
Ruhebedürfnis der Älteren und damit generell die Interessen von Kindern und Jugendlichen denselben Stellenwert haben wie die von Älteren. Wir wollen damit den
Zusammenhalt der Generationen fördern. Wir wollen
kein Gegeneinander der Generationen, sondern ein Miteinander.
Die heutige Debatte wird nicht zu einem Ergebnis
führen können. Sie ist ein Merkposten für die nächste
Legislaturperiode und ein Auftrag für diejenigen, die
weiter dabei sein werden. Katharina Landgraf, Steffen
Reiche, Dr. Hermann Otto Solms sowie die anderen Unterstützer und Unterstützerinnen werden diesen Antrag
wieder auf die Tagesordnung setzen, für ihn werben und
ihm letztendlich zum Durchbruch verhelfen, vielleicht in
einem Gesamtpaket: Kindergrundrechte und das Prinzip
der Generationengerechtigkeit in die Verfassung und als
eine der logischen Schlussfolgerungen daraus ein Wahlrecht von Geburt an, um endlich der Zukunft in unserem
Land eine Stimme zu geben.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als langjähriger und engagierter Unterstützer eines Wahlrechts von Geburt an bin ich Widerstände gegen unser Vorhaben gewohnt. „Totaler Unfug, aber immerhin sympathisch“ ist noch die mildeste Form der
Kritik, die ich erlebt habe. Es enttäuscht mich aber doch
sehr, dass das Thema in dieser Legislaturperiode bei der
Festlegung der Tagesordnung des Plenums trotz aller
Bemühungen der Initiatoren so stiefmütterlich behandelt
wird.
Was ist das Anliegen unseres Antrages? Wir wollen
schlicht und einfach, dass die 14 Millionen Menschen,
deutsche Staatsbürger, die aufgrund ihres Alters vom
Wahlrecht ausgeschlossen sind, eine Stimme bekommen, eine Stimme für die Jugend, für die Zukunft in
Deutschland. Für mich geht es dabei um eine zentrale
Frage meines Demokratieverständnisses: Darf man ein
Fünftel der Bürger unseres Landes nur aufgrund ihres
Alters von der Wahl ausschließen? Nach Art. 20 Abs. 2
unserer Verfassung geht alle Staatsgewalt vom Volke
aus,
({0})
nicht vom erwachsenen Volk. Kinder sind mit Geburt
deutsche Staatsbürger. Sie sind Träger der Staatsgewalt,
sie sind rechtsfähig, sie sind nur nicht geschäftsfähig,
aber da - in anderen Bereichen ist das auch so - übernehmen die Eltern die Verantwortung.
Kinder sollten an der Möglichkeit teilhaben, durch die
Teilnahme an Wahlen Staatsgewalt auszuüben. Nur so
kann gewährleistet werden, dass ihre Interessen, Wünsche und Anliegen überhaupt Eingang in die politische
Willensbildung finden. Die heutige Politik ist oftmals
nur auf zwei Generationen ausgerichtet. Der demografische Wandel führt zu einer noch schlechteren Interessenvertretung der jungen Generation. Im Jahr 2030 wird jeder dritte Bundesbürger 60 Jahre oder älter sein. Durch
die Aufnahme der dritten Generation in den Generationenvertrag kann endlich eine Lücke bei der Verteilungsgerechtigkeit geschlossen werden. Es ist endlich an der
Zeit, ein Dreigenerationenwahlrecht zu schaffen.
({1})
Nur so können die Interessen der Jugendlichen und Kinder tatsächlich in die Willensbildung einfließen.
Ein Wahlrecht ab Geburt bringt keine Privilegien für
Familien. Im Gegenteil, es beendet eine Benachteiligung
von Familien. Das ist verfassungsrechtlich geboten.
Art. 20 ist neben Art. 1 mit der Ewigkeitsgarantie ausgestattet; natürlich ist er prioritär gegenüber Art. 38.
Rechtliche Erwägungen stehen hier zurück; das bestätigen bekannte Rechtspolitiker und Rechtsphilosophen,
die angeführt worden sind.
Das allgemeine Wahlrecht ist eine Errungenschaft der
modernen Demokratie. Ein Wahlrecht ist allgemein,
wenn es grundsätzlich allen Staatsbürgern zusteht, unabhängig von Geschlecht, Einkommen, Rasse, Religion,
Bildungsstand oder anderen Bedingungen.
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird
vom Volke in Wahlen und Abstimmungen … ausgeübt.
Lassen wir das für alle Staatsbürger, einschließlich unserer Jugend, gelten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Katharina Landgraf hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die demografische Entwicklung in Deutschland zwingt uns geradezu zu einer grundlegenden Veränderung des Wahlrechts und zur Wahrung der Generationengerechtigkeit;
meine Vorredner haben das schon ausgeführt. Ich
möchte ganz persönlich etwas hinzufügen.
Wir fordern permanent eine Stärkung der Familie und
deren Position in der Gesellschaft. Dem müssen Taten
folgen. Da gehört das Wahlrecht einfach dazu. Die Familien sind der Grundstock unserer Gesellschaft; darum
müssen sie sich auch mehr an der Demokratie beteiligen
dürfen.
({0})
Da besteht Handlungsbedarf. Ich plädiere hier für das
Familienwahlrecht.
Ich möchte klarstellen, dass ich persönlich auf keinen
Fall eine Absenkung des Wahlalters will. Wenn wir die
Familien stärken wollen und ihre Stimme mit einem größeren Gewicht in der Gesellschaft, in der Demokratie
ausstatten wollen, so brauchen wir die Einführung eines
Familienwahlrechts. Der vorliegende Antrag, den ich
mittrage, eröffnet dafür einen weiteren parlamentarischen Weg; er schließt auch andere Meinungen nicht
aus. Wir haben gemeinsam an diesem Thema gearbeitet;
das war sehr angenehm. Ich habe zum ersten Mal eine
solche Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinaus
erlebt. Ich möchte allen für diese Erfahrung danken.
Ich möchte zum Schluss sagen, dass sich die Anliegen
der Kinder durch das Familienwahlrecht viel mehr in
den politischen Entscheidungsfindungen wiederfinden
würden, als das jetzt der Fall ist. Eltern sollten als Stellvertreter für ihre Kinder bei Wahlen und Abstimmungen
ihre Stimme abgeben können. In einem ganz normal entwickelten Familienleben müsste das möglich sein. Zu allen Ausnahmen und allen Schwierigkeiten, die es geben
könnte, sollen berufene Juristen Modelle entwickeln.
Darum haben wir die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zu entwickeln. Darüber müssen wir
zu dieser Tageszeit nicht diskutieren. Ich wünsche mir,
dass so ein besserer Weg für Kinder und Familien in der
Gesellschaft gefunden wird. Wir würden uns sehr
freuen, wenn Sie uns auf dem Weg weiterhin begleiten
würden.
Vielen Dank.
({1})
Steffen Reiche hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Noch diskutieren wir über diesen Antrag zu später
Nacht, unbemerkt. Es werden andere Zeiten kommen.
Auch ich selber war vor zehn Jahren kritisch und hielt
das Ganze für absurd.
({0})
Aber dann habe ich nachgedacht. - Das steht Ihnen noch
bevor. - Keiner von uns hat etwas dagegen, dass ein
80-Jähriger oder ein 90-Jähriger Parlamentarier wählt,
die Entscheidungen treffen, die Jahrzehnte über sein eigenes Leben hinauswirken. Aber wir wollen und können
nicht akzeptieren, dass rund 14,24 Millionen Bürger unseres Staates, und zwar die, die am längsten von diesen
Entscheidungen betroffen sind, nicht mitwählen dürfen.
({1})
Sie dürfen nicht mitwählen, werden also weniger bei den
Programmen berücksichtigt, müssen aber alle getroffenen Entscheidungen ihr Leben lang tragen und bezahlen.
One Man, one Vote - das ist der Grundsatz der Demokratie. Am Anfang hieß das: Ein Mann, eine Stimme.
Dann kamen die Frauen dazu. Seitdem muss es heißen:
Ein Mensch - zumindest ab 18 Jahre -, eine Stimme.
Haben Sie einmal die Argumente gegen das Frauenwahlrecht von vor 90 oder 100 Jahren gelesen? Einige Argumente gegen das Frauenstimmrecht lauten: Frauen haben
kein Interesse an der Politik. Frauen fehlt die geistige
Reife, sich mit politischen Fragen zu beschäftigen.
Frauen sind zu leicht beeinflussbar und können so zum
Spielball von politischen Parteien werden. Frauen sind
zu emotional, um verantwortungsvolle politische Entscheidungen treffen zu können. Das Frauenwahlrecht ist
nicht biblisch. - All das sind keine Argumente aus
Saudi-Arabien, sondern aus der Schweiz. Sie sind nicht
100 und nicht 80, sondern 42 Jahre alt. Sie stammen aus
dem Jahr 1967.
Durch die Rentenrechtsänderung und die Versprechen
für die Rentner entstehen zurzeit zusätzliche mittelfristige Ausgaben von rund 46 Milliarden Euro. Wir wissen,
dass die solidarische Versicherung eigentlich so organisiert ist, dass diejenigen, die arbeiten, für die zahlen, die
in Rente sind. Aber schon heute werden 80 Milliarden
Euro vom Steuerzahler aufgebracht, also jeder dritte
Euro der Rentengelder in Höhe von 240 Milliarden
Euro. Ich kritisiere das nicht, ich stelle es nur fest. Aber
dass die 16,3 Millionen Menschen, die heute älter als
65 Jahre sind und wählen können, vor Wahlen wichtiger
sind als die 14,24 Millionen unter 18, die noch keine
Stimme haben, das aber bezahlen müssen, wollen wir
auf Dauer nicht akzeptieren.
({2})
Wir brauchen in den Zeiten rasanter demografischer
Veränderungen eine neue Balance. Deshalb kämpfen wir
für das Wahlrecht von Geburt an. Uns ist klar, dass das
ein langer Weg ist; denn wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit, nicht weil das Wahlrecht von Geburt an verfassungswidrig wäre, nein, weil zurzeit in Art. 38 des
Grundgesetzes festgelegt ist, dass nur der, der das
18. Lebensjahr vollendet hat, das Wahlrecht hat. Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim wird auch das
Wahlrecht von Geburt an sein. Von „höchstpersönlich“
steht eben auch schon jetzt nichts in der Verfassung. Wir
wollen mit unserem Antrag erreichen, dass die letzte bestehende Wahlrechtsdiskriminierung aufgelöst wird. Wir
wollen ein wirklich allgemeines Wahlrecht, wie es unsere Verfassung verspricht, das aber nicht wie damals,
1949, 18,2 Millionen und heute 14,24 Millionen Bürger
ausschließt.
Steffen Reiche ({3})
All diejenigen, die jetzt nicht da sind und das Ganze
für verrückt halten, hätten vor vier Jahren vieles von
dem, was heute Gesetz ist, auch für verrückt, für undenkbar gehalten. Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Unser Projekt braucht lange Zeit - ein dickes Brett:
eher etwas für meine Urenkel als für meine Enkel. Vermutlich brauchen wir noch mehrere Legislaturperioden.
Aber wer die Welt gerechter machen will, der muss tiefer
träumen und wacher sein als andere. Wir sind heute die
Letzten. Aber Sie kennen alle die Zusage: Die Letzten
werden die Ersten sein.
({4})
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden Stephan
Mayer, Klaus Uwe Benneter, Miriam Gruß, Petra Pau
und Kai Gehring.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9868 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 34:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto ({0}), Gudrun
Kopp, Christoph Waitz, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes ({1})
- Drucksache 16/11173 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- Drucksache 16/13278 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martina Krogmann
Zu Protokoll gegeben sind die Reden von
Dr. Martina Krogmann, Martin Dörmann, Hans-Joachim
Otto, Dr. Lothar Bisky und Grietje Staffelt.
Es ist zu begrüßen, dass das Telemediengesetz als ei-
nes der zentralen Gesetze für die Internetwirtschaft wie-
der einmal im Deutschen Bundestag thematisiert wird.
Weniger begrüßenswert ist, dass ein inhaltlich noch nicht
einmal ansatzweise überzeugender Gesetzentwurf Anlass
zur Beschäftigung mit dieser wichtigen Norm ist. Der
Entwurf zeugt von einer erheblichen Diskrepanz zwi-
schen rhetorischem Aufwand und fachlicher Sicherheit.
Richtig ist grundsätzlich, dass beim Telemediengesetz
ein erheblicher Aktualisierungs- und Präzisierungsbe-
darf besteht: Die seit 2007 ergangenen - teils höchstrich-
terlichen - Entscheidungen haben die grundlegenden
1) Anlage 38
Problemstellungen nicht gelöst, sondern in vielfacher
Hinsicht eher noch verschärft. Diese Rechtsunsicherheit,
die sich in schwer vorauszusehenden Entscheidungen
konkret auf die beteiligten Unternehmen auswirkt, belastet die Wirtschaft. Die Rechtsprechung hat von der der
gesetzlich vorgesehenen, in der E-Commerce-Richtlinie
verankerten Haftungsbeschränkung der verschiedenen
Provider in der Praxis kaum etwas übrig gelassen. Es dominieren vielmehr Unterlassungsansprüche in Form der
sogenannten Störerhaftung seit langem das Bild. Die
Überarbeitung des Telemediengesetzes und der zivilrechtlichen Haftungsregelungen muss so schnell wie
möglich erfolgen. Es muss im Telemediengesetz klar und
eindeutig geregelt werden, welche Pflichten die Akteure
haben. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Zugangsanbieter, Internetauktionshäuser, Suchmaschinenbetreiber und Verwender von Hyperlinks.
Unerfüllbare, unpraktikable und unverhältnismäßige
Regeln für die Verantwortlichkeit für Inhalte, die Dritte in
Foren, Blogs oder auf kommerziellen Seiten eingestellt
haben, lehnen wir ebenso wie die Initiatoren des Entwurfs
ab. Dies gilt auch für die Verantwortlichkeit der Verwender von Hyperlinks und der Betreiber von Suchmaschinen. Hier gibt es Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf der FDP. Insgesamt enthält der Entwurf jedoch ganz
erhebliche Mängel. Dies wurde auch in der Anhörung der
Sachverständigen vor dem Wirtschaftsausschuss des
Deutschen Bundestages bestätigt. Der Gesetzentwurf
sieht an zwei Stellen vor, dass eine vorrangige Inanspruchnahme des eigentlichen Verletzers eines Rechts erfolgen soll.
Es geht hier also unter anderem darum - in der Regel
die übliche Konstellation -, dass wir einen Nutzer haben,
der Inhalte auf bereitgestellten Servicediensten hochlädt
und eben damit zum Abruf bereitstellt. Der Hostprovider
kann derzeit gegebenenfalls in Anspruch genommen
werden, diese Inhalte zu sperren oder herunterzunehmen. Es stellt sich hier die Frage, ob und in welchem
Umfang es - wie in dem Entwurf vorgesehen - sinnvoll
sein könnte, dass der Verletzte zunächst an den Verletzer
und erst dann an den Hostprovider herantreten muss. Auf
den ersten Blick erscheint es recht und billig, dass derjenige, der tatsächlich der Übeltäter ist und in der Regel
schuldhaft ein fremdes Recht verletzt hat, auch zuerst in
Anspruch genommen wird. Schon nach geltendem Recht
ist der Hostprovider verpflichtet, den Inhalt erst einmal
zu entfernen, wenn die Rechtsverletzung zumindest offensichtlich ist. Daran würde der Gesetzentwurf nichts ändern. Das ist gut, da nicht weiter schädlich.
Geradezu absurd ist es aber, wenn gleichzeitig gefordert wird, dass der Verletzte erst den Verletzer verklagen
muss und sich erst dann an den Hostprovider wenden
dürfen soll. Abgesehen davon, dass sich widersprechende
Regeln in einem Gesetz nicht zwangsläufig zur Rechtsklarheit, wohl aber zur Verbesserung der Beschäftigung
von Juristen beitragen, ist dieser Ansatz wegen des damit
verbundenen sinnlosen bürokratischen Aufwands völlig
verfehlt.
Was soll der Verletzte tun, wenn der Verletzer in einem
Staat lebt, der weniger einem Rechtsstaat ähnelt, als uns
lieb ist? Was muss er in diesen Fällen alles unternehmen,
damit er gegen den Hostprovider vor seiner Haustür vorgehen kann? Soll ein mittelständisches Unternehmen
wirklich erst in einem entfernten Winkel dieses Planeten
ein Urteil erklagen? Ein Urteil, das im Zweifel nicht nur
zu spät ergeht, sondern auch noch Kosten ohne Ende verursacht, und zwar zunächst einmal für den sowieso schon
Geschädigten. Das ist für die Unternehmen untragbar.
Wir sollten uns auch hier an den alten Grundsatz halten,
dass nur schnelles Recht auch gutes Recht ist, und diese
Regelung so schnell wie möglich vergessen.
Das eigentliche Problem, die Begrenzung der Kontroll- und Überwachungspflichten der Diensteanbieter,
wird durch die vorliegende Initiative nicht gelöst. Dazu
haben die sonst durchaus eloquenten Initiatoren des Entwurfs auch im Zusammenhang mit der Diskussion um das
Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen geschwiegen. Sie haben keine Hand
gerührt, um die Diensteanbieter vor einer möglicherweise ausufernden Rechtsprechung zu bewahren. Es war
die Union, die durchgesetzt hat, dass die Infrastruktur der
Zugangserschwernis nicht für zivilrechtliche Ansprüche
genutzt werden darf.
Wir haben die Rechtssicherheit für die Accessprovider,
die nur Daten transportieren wie der Briefträger die Post,
entscheidend gestärkt. Ausgangspunkt unserer Überlegungen waren hier die Haftungsprivilegien der E-Commerce-Richtlinie, die auch bei einer Überarbeitung des
Telemediengesetzes zur Klarstellung der Störerhaftung
die Richtschnur sein werden. Gerade die Inanspruchnahme Dritter als Störer sollte mit einer sehr großen
Sorgfalt gehandhabt werden. Wir müssen auf jeden Fall
verhindern, dass eine zu weit gehende, in nationalem Zivilrecht gefangene Rechtsprechung die Grundgedanken
der E-Commerce-Richtlinie unterläuft.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch übereilten Hauruckaktionen, die die inzwischen sehr umfangreiche
Rechtsprechung ignorieren und so durch fehlende intellektuelle Reflexion die alten Probleme nicht lösen, dafür
aber neue schaffen, eine entschiedene Absage erteilen.
Glücklicherweise hat sich das Bundeswirtschaftsministerium bereits in geradezu mustergültiger Weise seit längerer Zeit dieses Themas angenommen, eine reichhaltige
Expertise in praktischer und theoretischer Hinsicht angehäuft, sodass einer Aktualisierung des Telemediengesetzes zu Beginn der neuen Legislaturperiode nichts entgegensteht.
Ich bin mir auch sicher, dass wir in der nächsten Legislaturperiode keine Ressortegoismen mehr zu beklagen
haben werden, die dringend erforderliche Anpassungen
verschleppen.
Sie sehen, es gibt noch viel zu tun. Wir werden es mit
der gebotenen Gründlichkeit und Schnelligkeit anpacken.
Eines sollten wir aber auf jeden Fall schon jetzt tun: Die
Vorschläge aus diesem Gesetzentwurf vergessen.
Ich will zunächst noch einmal die bisherige Diskussion
in dieser Legislaturperiode in Erinnerung rufen. Anfang
2007 haben wir mit dem neuen Telemediengesetz erstmals
einen einheitlichen, entwicklungsoffenen Rechtsrahmen
im Bereich der Tele- und Mediendienste geschaffen. Frühere Abgrenzungsprobleme sind entfallen. Gegenüber
dem alten Rechtszustand wurde eine deutliche Verbesserung erzielt. Damit haben wir einen wirksamen Beitrag
zur Fortentwicklung des Internets geleistet, für das das
Telemediengesetz von besonderer Bedeutung ist. Wir
mussten damals das Gesetz zügig verabschieden, um ein
zeitgleiches Inkrafttreten mit dem Neunten Staatsvertrag
für Rundfunk und Telemedien zum 1. März 2007 zu ermöglichen. Beide Regelwerke ergänzen sich und haben
die bisherigen Bestimmungen abgelöst.
Zuletzt hat der Bundestag im Mai 2008 eine ausführliche Debatte über möglichen Änderungsbedarf geführt.
Grundsätzlich gibt es in diesem Hause keine Fraktion, die
einen solchen Bedarf nicht sehen würde, wenn auch jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Aus Sicht der Koalitionsfraktionen geht es hierbei in
erster Linie um die weitere Verbesserung der Rechtssicherheit im Bereich der Internethaftung. Das betrifft die
Klärung der Störerhaftung sowie Fragen, die von den
Haftungsbestimmungen der einschlägigen E-CommerceRichtlinie nicht erfasst werden und die auch in Deutschland vor diesem Hintergrund ausdrücklich nicht geregelt
wurden, insbesondere Suchmaschinen und Hyperlinks.
Insofern haben wir es nämlich mit einer Rechtsprechung
zu tun, die in der Internetbranche für Unsicherheiten gesorgt hat, die es möglichst zu beseitigen gilt.
Konkret geht es etwa um die Fragestellung, inwieweit
ein Diensteanbieter für Inhalte haftet, die er nicht selbst
eingestellt hat. Dass Rechteverletzungen beseitigt werden
müssen, steht dabei außer Frage. Probleme bereitet allerdings die zukünftige Verhinderung einer Rechteverletzung, insbesondere dann, wenn eine Rechteverletzung
festgestellt wurde und die Anwendung auf analoge Fälle
zu übertragen ist. Und wer auf seiner Homepage Links
auf andere Seiten eingestellt hat, kann diese nicht ständig
kontrollieren.
Im Kern geht es also um die Frage, inwieweit Diensteanbieter beispielsweise im Rahmen einer Störerhaftung
reguläre Überwachungspflichten übernehmen müssen
oder nicht. Die Rechtsprechung hat hier die Unterlassungsansprüche in einem bestimmten Fall auf kerngleiche Rechteverletzungen ausgedehnt. Dies hat zu großer
Verunsicherung geführt, weil eine weite Auslegung der
Kerngleichheit zu einer fast uferlosen Haftung führen
könnte. Auf der anderen Seite würde eine zu enge Auslegung möglicherweise zu einer Verkürzung der betroffenen
Rechteinhaber führen.
Insgesamt geht es daher vor allem um eine gerechte
und praktikable Lösung, die die unterschiedlichen Interessen von Rechteinhabern, Verbrauchern und Internetunternehmen zu einem vernünftigen Ausgleich bringt.
Diesen goldenen Mittelweg zu finden und mit allen Beteiligten einvernehmlich abzustimmen, hat sich als äußerst schwierig erwiesen. Die Koalitionsfraktionen hatten erwartet, dass die Bundesregierung wie angekündigt
noch im Jahr 2008 einen Gesetzentwurf vorlegt, in dem
Zu Protokoll gegebene Reden
die problematisierten Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Das Wirtschaftsministerium war auch keineswegs
untätig, sondern hat zahlreiche Gespräche mit vielen Beteiligten geführt, um eine möglichst von allen getragene
Lösung abzustimmen. Eine besondere Schwierigkeit ist
dabei, dass die Rechtsprechung auch weiterhin in der
Entwicklung ist. Wichtige Entscheidungen, die in diesem
Jahr ergangen sind, müssen bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Dies alles hat zu einer Zeitverzögerung geführt, die wir als Koalitionsfraktionen bedauern.
Wir wären hier gerne schneller vorangeschritten.
Die FDP-Fraktion hat nun einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes vorgelegt. Er
greift insbesondere die Frage der Störerhaftung auf.
Die von der FDP vorgetragenen Änderungsvorschläge
haben wir geprüft. Bei den Regelungen zu Suchmaschinen und Hyperlinks erscheint mir die Zielrichtung grundsätzlich durchaus unterstützenswert.
Andererseits enthält der FDP-Entwurf allerdings auch
eine Reihe von Widersprüchlichkeiten und fragwürdigen
Regelungsvorschlägen. So soll der Internetvermittler nur
dann als Störer haften, wenn der eigentliche Verursacher
nicht greifbar ist, andererseits aber auch nur dann, wenn
gegen den eigentlichen Störer ein vollstreckbarer Titel erwirkt wurde. Hierdurch würde die Verhinderung einer
Rechteverletzung beim Vermittler sehr weitgehend erschwert.
An manchen Stellen macht es sich der FDP-Antrag
deshalb bezüglich der Abwägung der unterschiedlichen
Interessenlagen zu einfac, angesichts der komplexen Problemlagen. Daher ist der Gesetzentwurf aus Sicht der Koalitionsfraktionen insgesamt keine geeignete Grundlage
für eine Novellierung des Telemediengesetzes. Dies hat
für uns auch die Anhörung im Wirtschaftsausschuss ergeben.
Es bleibt nun dem Bundestag in der neuen Legislaturperiode vorbehalten, dieses Thema erneut aufzugreifen.
Die Große Koalition ist ihrer Verantwortung auf dem
Gebiet des Internet- bzw. Telemedienrechts nicht gerecht
geworden. Fast drei Jahre ist es nun her, dass CDU/CSU
und SPD die letzte Gesetzesnovelle in diesem wirtschaftlich und gesellschaftlich extrem wichtigen Bereich zustande gebracht hatten. Schon die damalige Novelle des
TMG war nach allgemeiner Erkenntnis lückenhaft und in
Teilen fehlerbehaftet, eine umgehende Verbesserung
wurde von der Bundesregierung bereits anlässlich der
Verabschiedung des Gesetzes lauthals versprochen. Die
FDP hatte seinerzeit ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf
ausdrücklich nur wegen der Zusage der Großen Koalition
erteilt, dass diese umgehend eine Reform auf den Weg
bringen werde. Diese Zusage haben Sie nicht eingehalten. Wir fühlen uns von Ihnen getäuscht.
Infolge Ihrer Untätigkeit gehen weitere Jahre der
Rechtsunsicherheit ins Land. Anbieter von Meinungsforen mussten und müssen diese schließen, weil einzelne
Beiträge Dritter mit zum Teil aberwitzigen Motiven rechtlich beanstandet wurden. Anbieter von Verkaufsplattformen werden nach wie vor in die Haftungsfalle getrieben.
Sie haben nur die wenig erfreuliche Wahl zwischen der
Sperrung eines möglicherweise rechtmäßigen Angebotes
oder der Nichtsperrung eines möglicherweise rechtswidrigen Angebotes. Oder sie werden mit Überwachungspflichten belegt, welche die europäische Grundlage des
Telemediengesetzes, die E-Commerce-Richtlinie, gerade
nicht will.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch im Internet
sollen und müssen materielles und immaterielles Recht
durchgesetzt werden. Das gilt für Eigentumsrechte genauso wie für Persönlichkeitsrechte. Dazu werden aber
transparente, eindeutige und nachvollziehbare Verfahren
benötigt, die das aktuelle Telemediengesetz gerade nicht
bietet. Rechtsunsicherheit und unklare Gesetze schaden
der Internet- und Kommunikationsbranche, den Inhabern
von Eigentumsrechten und modernen Bürgern in der Informationsgesellschaft gleichermaßen. Daran trägt die
Große Koalition Mitschuld.
Nun wurde von CDU/CSU und SPD geltend gemacht,
man habe nicht genug Zeit gehabt, um einen Gesetzentwurf zur Medien- und Kommunikationsordnung zu erarbeiten. Das aber ist höchst merkwürdig. Denn bei den
Netzsperren, die sich vor allem die Union ausgedacht hat,
um noch ein wenig auf Stimmenfang zu gehen, benötigte
die Große Koalition nur wenige Wochen für einen - übrigens vollständig inakzeptablen und ungeeigneten - Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes. Als
die Mehrheit im Bundestag gefährdet war, präsentierten
die Koalitionsfraktionen dann noch viel kurzfristiger
- über Nacht sozusagen - ein völlig neues Gesetz mit dem
Titel „Zugangserschwerungsgesetz“.
Ich will hier nicht erneut über dieses im Hinblick auf
seine Geeignetheit sowie seine formelle - keine Zuständigkeit des Bundes und bereits vorhandene gesetzliche
Regelung durch die Länder - und materielle - Aushöhlung von Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip Verfassungsmäßigkeit höchst fragwürdige Vorhaben diskutieren. Es ist aber bezeichnend, dass die Bundesregierung nicht dazu in der Lage ist, innerhalb von drei Jahren
wenigstens einen Entwurf für ein ausgewogenes und modernes Gesetz zum Internetrecht vorzulegen, aber von
heute auf morgen einen massiven, einseitigen und im Hinblick auf das angestrebte Ziel ungeeigneten Eingriff in die
Kommunikationsfreiheit beschließt.
Wegen der Versäumnisse der Großen Koalition hat die
FDP-Bundestagsfraktion einen eigenen Entwurf in den
Bundestag eingebracht, über den wir heute abschließend
entscheiden. Sie, liebe Kollegen von Union und SPD, haben in den bisherigen Debatten viele vorgeschobene
Gründe angeführt, warum Sie unserem Gesetzentwurf
nicht zustimmen wollen. Ich habe Sie gebeten, bessere
Vorschläge zu machen, so diese denn existieren.
Das ist offensichtlich nicht der Fall. Sie haben weder
Änderungsvorschläge gemacht noch einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Konstruktive parlamentarische
Arbeit sieht anders aus. Das Ausbleiben weiterer Anregungen bestärkt mich in der Annahme, dass der Entwurf
der FDP bis dato den besten Vorschlag darstellt. Daher
appelliere ich an Sie, diesem zuzustimmen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Hans-Joachim Otto ({0})
Denn heute haben wir noch einmal die Möglichkeit,
die immer weiter zunehmende Rechtsunsicherheit bei der
Telekommunikationsbranche, bei Telemedienanbietern
und auch bei den Bürgern dieses Landes abzubauen. Die
geltende Rechtslage behindert offensichtlich Investitionen und Innovationen. Das kostet Arbeitsplätze in einer
der wenigen dynamischen Branchen. Dazu tritt die drohende Beschneidung der Presse- und Meinungsfreiheit.
In dem Gesetzentwurf der FDP wird die grundsätzliche Nichtverantwortlichkeit von Diensteanbietern für Inhalte Dritter betont. Dennoch können Anbietern von
Telemedien Sorgfaltspflichten auferlegt werden, um
Rechtsverletzungen abzustellen oder zu verhindern. Das
dahin gehende Verfahren wird formalisiert und präzisiert.
Das stärkt Rechteinhaber und in ihren Rechten Verletzte
gleichermaßen.
Mit diesen Klarstellungen werden demnach Defizite
im geltenden Telemedienrecht abgebaut. Die Regelungen
begründen ein formalisiertes Verfahren zur Durchsetzung
von Rechtsgütern durch Entfernung oder Sperrung der
Nutzung von Inhalten seitens der Diensteanbieter. Das
Verursacherprinzip wird im haftungsrechtlichen Kontext
gestärkt. Bestehende Rechtslücken im Bereich der Suchmaschinen und Hyperlinks werden geschlossen. Beide
werden zu Recht als unverzichtbare und grundlegende
Mechanismen für eine effektive Nutzung des Internets angesehen. Sie dürfen aus Sicht der FDP daher bei Haftungsfragen nicht schlechter gestellt werden als andere
Dienste.
Mit der ebenfalls verankerten Option zur Schaffung
von Schwerpunktgerichten wird das Recht angemessen
weiterentwickelt werden. Sie ermöglicht Synergien bei
gerade im Telemedienbereich unverzichtbarem - auch
technischem - Sachverstand und vermindert negative Begleiterscheinungen eines sogenannten fliegenden Gerichtsstands, der übrigens auch in der jüngeren Rechtsprechung zunehmend kritisch beleuchtet wird. Der
Datenschutz wird durch die erweiterten Transparenzvorschriften sowie die Pflicht zur Angabe der Erreichbarkeit
des Datenschutzbeauftragten ebenfalls gestärkt.
Schließlich wird die bisher exzessive Ermächtigung
zur Weitergabe sensibler Nutzerdaten eingeschränkt.
Denn die Kompensationspflicht bei Bestandsdatenabfragen sichert Diensteanbietern angemessene Entschädigungen für Auskünfte gegenüber Behörden. Einen sinnvollen Nebeneffekt stellt dieser ökonomische Anreiz
insofern dar, als Bestandsdatenauskünfte durch den Staat
nicht zu exzessiv eingeholt werden. Ein solcher regulierender Anreiz ist rechtstaatlich geboten.
Der Entwurf der FDP ist ausgewogen, sinnvoll und
würde eine spürbare Verbesserung und Modernisierung
des Telemedienrechts bringen. Ich werbe daher noch einmal um Ihre Unterstützung und Zustimmung. Die nächste
Gelegenheit, die überfällige Reform des Telemedienrechts umzusetzen, wird angesichts der Neukonstituierung des Bundestages wohl frühestens in einem Jahr
kommen. In diesem Zeitraum droht Deutschland im internationalen Standortwettbewerb einer der zukunftsträchtigsten Branchen zurückzufallen. Gerade angesichts der
aktuellen Wirtschaftskrise sollten wir uns dies nicht leisten.
Die Novellierung des Telemediengesetzes ist längst
überfällig. Bei der Verabschiedung des Gesetzes zu Beginn des Jahres 2007 war beabsichtigt, unterschiedliche
Gesetzesregelungen unter einheitlichem Bundesrecht zusammenzuführen. Damit sollte die Rechtslage besser an
die Konvergenz der neuen Medien angepasst werden.
Durch die Zusammenführung wurden bedeutsame Bereiche im Internet teilweise neu geregelt, also zum Beispiel
Haftungsfragen von Diensteanbietern, Regeln zur Anbieterkennzeichnung wie die Impressumspflicht, die Verfolgung von Spammails und Maßnahmen des Datenschutzes
und der Herausgabe von personenbezogenen Nutzerdaten.
Das Gesetz entstand seinerzeit unter großem Zeitdruck
und schon damals wurde angekündigt, dass nach seinem
Inkrafttreten eine Novellierung erforderlich sei. Das
spricht für sich und ich will das nicht weiter kommentieren. In seiner jetzigen Fassung jedenfalls enthält das Telemediengesetz viele ungeklärte, fragliche oder praxisferne Regelungen. Hier ist Nachbesserung dringend
geboten! Entgegen der ursprünglichen Zielsetzung trägt
das Telemediengesetz in der digitalen Welt nicht zu mehr
Rechtssicherheit bei, sondern zu mehr Rechtsunsicherheit. Das lehnt Die Linke ab!
Obwohl die zahlreichen Probleme für eine der zentralen Vorschriften des Internetrechts bekannt sind, sieht
sich das Bundeswirtschaftsministerium außer stande,
zeitnah eine Überarbeitung vorzulegen. Die Linke und
auch die Grünen haben bereits im vergangenen Jahr in
eigenen Anträgen darauf hingewiesen und Lösungsvorschläge präsentiert. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf
der FDP sucht einen Teil der erheblichen Lücken und
Rechtsunsicherheiten im Telemediengesetz zu schließen.
Allerdings erfolgt das allein aus wirtschaftlich motivierter Sicht. Das halte ich für inakzeptabel.
Im FDP-Entwurf werden wesentliche Aspekte bislang
vielfach ungeklärter Haftungsfragen von Inhalteanbietern und Providern angesprochen. So weit, so gut, doch
fehlt zum Beispiel eine ausdrückliche Definition des Begriffes „Telemedien“. Und darum bleibt weiterhin ungeklärt, wie digitale Inhalte in der Folge klassifiziert werden und wer beispielsweise für die Aufsicht der Inhalte
zuständig ist, wenn es um Fragen des Jugendschutzes
geht. Das ist ein bisschen dünn und zudem werden viele
neue unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzentwurf verwendet. Es bleibt unklar, wie diese zu bestimmen sind. Als
Beispiel sei das „zumutbar“ im neu vorgeschlagenen § 7
Abs. 2 TMG im vorletzten Satz genannt. Mit dem Begriff
„zumutbar“ haben wir alle schlechte Erfahrungen gemacht. Ich verweise nur auf „zumutbare Arbeit“. Durch
die Ungenauigkeit solcher Formulierungen wird die Gefahr der Rechtsunsicherheit nicht gemindert, sondern sogar verstärkt. Das ist der falsche Weg.
Im Gesetzentwurf der FDP werden zwar etliche elementare Fragen des Datenschutzes angesprochen und es
wird auch der Versuch unternommen, dafür eine gesetzliche Regelung zu finden. Doch aus Sicht der Linken gehen
uns diese Vorschläge nicht weit genug. Wir sagen: Von
vornherein muss gewährleistet werden, dass immer nur
möglichst wenige Daten erhoben werden. Die Linke will
Zu Protokoll gegebene Reden
den Datenschutz stärken! Deswegen dürfen unseres Erachtens Daten nicht mehr an eine nahezu beliebige Zahl
von Interessenten und Interessentinnen aus Polizei, Geheimdiensten und Militär herausgegeben werden, wie es
bislang im Gesetz verankert ist.
Wir fordern für die Herausgabe von personenbezogenen Bestandsdaten einen Richtervorbehalt. Zudem lehnen wir die im Gesetz zur Stärkung der Sicherheit in der
Informationstechnik des Bundes vorgesehene Erhebung
und Verwendung von Nutzungsdaten durch Diensteanbieter ab. Wir fordern, dass die Erstellung von Nutzerprofilen durch Diensteanbieter nur nach vorheriger ausdrücklicher Einwilligung möglich ist. Und wir fordern, dass
Datenschutz und Verbraucherschutz im Netz generell gestärkt werden. Schließlich lehnen wir Filter- und Sperrmaßnahmen im Internet durch Zugangsanbieter oder
staatliche Stellen grundsätzlich ab. Wie heißt es doch so
schön im Grundgesetz: „Eine Zensur findet nicht statt.“
Im Moment ist viel die Rede vom Telemediengesetz
({0}), aber leider nicht, weil die seit langem ungeklärten Fragen der Anbieter- und Forenhaftung endlich gelöst würden, sondern weil die Regierung Kinderpornografie im Netz über das Telemediengesetz sperren lassen
möchte. Dagegen wenden wir uns entschieden. Wir wollen, wenn überhaupt, ein Spezialgesetz dazu, damit gewährleistet ist, dass wirklich nur Kinderpornografie „gesperrt“ wird. Neben einer Reihe von völlig ungeklärten
Fragen im Gesetzentwurf der Koalition ist uns das Risiko
bei einer Verankerung im TMG zu hoch, dass in Zukunft
auch andere Inhalte unzugänglich gemacht werden. Daneben ist die vorgeschlagene Änderung ein Bruch in der
Struktur des Gesetzes: Wo bislang die Absicherung von
Providern gegen Verfolgung geregelt wird und wir seit
Jahren über zusätzliche Haftungserleichterungen debattieren, werden sie in Sachen Kinderpornografie nun zu
Hilfssheriffs des BKA gemacht.
Anstatt also - wie ursprünglich versprochen - das
TMG in dieser Legislatur noch einmal zu reformieren,
bekommen wir es nun lediglich wegen der Einfügung
der höchst umstrittenen Kinderpornografie-Zugangserschwernis auf den Tisch. Das ist ein Schlag ins Gesicht
all derer, die sich um eine vernünftige Überarbeitung des
Gesetzes während der ganzen Legislatur eingesetzt haben, als da sind: Provider und Forenanbieter, Verbraucher- und Datenschützer und damit sämtliche häufig in
die Ausschussanhörungen geladene Experten. Die FDP
hatte recht, hier mit einem eigenen Gesetzentwurf - den
wir heute beraten - noch einmal Druck aufzubauen. Nur
ist auch sie leider ohne Erfolg geblieben.
Die Koalition hat uns, wie ich schon bei der ersten Lesung angemerkt habe, zweimal hängen lassen: Erst verabschiedet sie ein Gesetz, das sie selbst nicht für gut hält.
Dann bleibt die versprochene Nachbesserung einfach
aus. Dabei liegen die Vorschläge für ein funktionierendes
Telemediengesetz längst auf dem Tisch! Wir Grünen haben bereits zwei Anträge ({1}) in den Bundestag eingebracht - mit ganz klaren Forderungen, was
im Telemediengesetz wie besser geregelt werden sollte.
Dazu gehört zum einen die Anbieterhaftung. Natürlich
muss es eindeutige Haftungsregeln für Diensteanbieter
geben. Zugangsprovider dürfen nicht dazu verpflichtet
werden, die von ihnen zugänglich gemachten oder transportierten Inhalte zu überwachen oder gar vorab nach
rechtswidrigen Inhalten zu suchen.
Es ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass
sie inhaltliche Vorabkontrollen und -entfernungen im Gesetz nicht von vornherein ausgeschlossen hat. Und es ist
ein Beweis dafür, dass die Bundesregierung nicht im Entferntesten im Zeitalter des Web2.0 angekommen ist! Denn
dieses lebt gerade davon, dass Diensteanbieter eine
Onlineplattform oder den Zugang hierzu zur Verfügung
stellen, die die Nutzerinnen und Nutzer mit Inhalt und damit auch mit Leben füllen. Ganze Geschäftsmodelle von
eBay über YouTube bis StudiVZ funktionieren so. Auch
Blogs und Foren sind dadurch charakterisiert, dass sie
Nutzerinnen und Nutzern eine Plattform für eigene Inhalte bieten. Wenn Vorabkontrollen zur Pflicht werden,
geht eine Szene kaputt, die Bürgerbeteiligung bedeutet,
eine Alternative zum Mainstream-Journalismus darstellt
und aus unserer Netzwelt einfach nicht mehr wegzudenken ist!
Gleichzeitig müssen Diensteanbieter klar darauf verpflichtet werden, rechtswidrige Links und Inhalte zu entfernen, sobald sie davon Kenntnis erlangt haben und es
ihnen technisch zumutbar ist. Dazu dient das sogenannte
Notice-and-take-down-Verfahren, bei dem Nutzerinnen
und Nutzer dem Dienstanbieter rechtswidrige Inhalte
melden können, damit dieser sie entfernt. Regelungen, die
zur Entfernung von bekannten rechtswidrigen Inhalten
verpflichten, müssen zudem auch auf Suchmaschinenanbieter ausgeweitet werden, wie es auch die FDP will.
Sie sind ebenso Zugangsdienstleister, die selbst keine Inhalte produzieren.
Zum anderen müssen klarere Spamregelungen ins
TMG. Vorschläge, die Spamming härter bestrafen und die
Verfolgung von Spam möglich machen, sind mitnichten
Symbolpolitik, wie die FDP das immer darstellt. Spam ist
nicht nur nervig und zeitraubend für die Nutzerinnen und
Nutzer, sondern auch ein gewaltiger ökologischer Ballast: In einem Jahr fressen Spammails laut einer Meldung
von Heise Online vom 15. April dieses Jahres 33 Milliarden Kilowattstunden, so viel Strom wie 2,4 Millionen
Haushalte oder wie eine ganze Großstadt! Eine Spammail verursacht einen CO2-Ausstoß von 0,3 Gramm. Die
meiste Energie wird beim Sichten und Löschen verbraucht, nur ein kleiner Teil beim Senden und automatischen Filtern, ein Grund mehr, um den Versand von Spam
endlich wirksamer zu bekämpfen. Die Bundesregierung
hätte hier aktiv handeln und die von uns gemachten Vorschläge umsetzen müssen!
Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wäre schon
viel gedient, wenn unerwünschte Werbemails in ihrem
Postfach mit einem „W“ gekennzeichnet würden. Außerdem muss in Sachen Werbemails ein generelles Opt-inVerfahren her. Das heißt, nur wer der Zusendung von
Werbung vorher ausdrücklich zugestimmt hat, darf ebensolche erhalten. Jedes Zuschicken unerwünschter Werbung muss als Ordnungswidrigkeit geahndet und mit
hohem Bußgeld belegt werden. Sie muss außerdem durch
die Bundesnetzagentur verfolgt werden. Nur wenn es hier
Zu Protokoll gegebene Reden
spürbare Sanktionen gegen die Versender gibt, kann
Spam effektiv eingedämmt werden. Aber, wie wir ja wissen, ist das Thema Verbraucherschutz weder ein Steckenpferd der FDP noch eines der Großen Koalition.
Neben den Antispamregelungen, die wir Grüne höchst
mangelhaft finden, halten wir eine Überarbeitung der
Datenschutzregeln im TMG für dringend geboten. Immer
öfter sehen sich Nutzerinnen und Nutzer damit konfrontiert, dass ihre persönlichen Daten im Internet veröffentlicht werden ({2}). Gelöst werden
kann dieses Problem nur, indem Telemedienanbieter von
vornherein keine oder nur wenige Daten ihrer Nutzerinnen und Nutzer erheben, wenn sie ihre Dienste anbieten.
Wir brauchen dringend ein sogenanntes Kopplungsverbot, das nicht nur für marktbeherrschende Unternehmen
gilt: Die Nutzung eines Onlinedienstes oder sonstigen
Angebotes darf nicht an die Herausgabe personenbezogener Daten geknüpft werden. Auch müssen Nutzer den
Verbleib ihrer Daten regelmäßig abfragen können. Dafür
soll die Weitergabe der Daten jeweils protokolliert werden. Dies hätte zur Folge, dass jede Datenerhebung
nachvollziehbar würde und rechtswidrige Erhebungspraktiken nicht länger verborgen blieben.
Statt Befugnisse zur Datensammlung immer weiter
auszuweiten - etwa wie es in den Forderungen zum
Thema Kinderpornografie teilweise geschehen ist -, sollten endlich Regelungen geschaffen werden, um den Datenschutz wirksamer zu machen! Auch hier gilt: Die Bundesregierung ist immer noch nicht im Internetzeitalter
angekommen. Das Telemediengesetz, das uns als die Reform der Medienordnung verkauft wurde, ist mal wieder
ein Beweis dafür!
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13278, den Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11173 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der
FDP, dagegen haben die Koalitionsfraktionen und Die
Linke gestimmt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
hat sich enthalten. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 41:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes
- Drucksachen 16/11967, 16/12225 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 16/13259 Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Frank Hofmann ({1})
Gisela Piltz
Wolfgang Wieland
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen
von CDU/CSU und SPD vor.
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden - ich sehe,
Sie sind damit einverstanden - Clemens Binninger,
Frank Hofmann, Gisela Piltz, Ulla Jelpke und Wolfgang
Wieland.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13259, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/11967 und 16/12225 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen; dagegen hat die Opposition gestimmt.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Wer zustimmen will, stehe
bitte auf. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit demselben
Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Nun zum Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/13373. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
angenommen bei Zustimmung der Koalition und Gegenstimmen der Opposition.
Tagesordnungspunkt 36:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Lutz Heilmann,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Schnellstmögliche Unterzeichnung und Ratifizierung der Europäischen Landschaftskonvention
- Drucksachen 16/10821, 16/12917 Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Göppel
Christoph Pries
Lutz Heilmann
Undine Kurth ({1})
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolle-
ginnen und Kollegen Josef Göppel, Dirk Becker,
Angelika Brunkhorst, Lutz Heilmann und Undine Kurth.
1) Anlage 39
Im Jahre 2000 wurde die Europäische Landschaftskonvention von den Mitgliedstaaten des Europarates
beschlossen. Sie dient der Sicherung, Förderung und Entwicklung der Vielfalt europäischer Kulturlandschaften
und liefert damit einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung
regionaler und lokaler Identitäten in Europa. Die Europäische Landschaftskonvention wurde bislang von
29 Ländern ratifiziert, allerdings noch nicht von
Deutschland. Die Bundesregierung wird im vorliegenden
Antrag der Linken aufgefordert, die Konvention umgehend zu ratifizieren.
Der Ratifizierung stand bisher aus Sicht der Bundesregierung entgegen, dass vom Übereinkommen keine wesentlichen Verbesserungen im Bereich des Umwelt- und
Naturschutzes in Deutschland und in den übrigen beteiligten Staaten zu erwarten seien. Naturschutz spielt in der
Konvention nur eine untergeordnete Rolle, es geht hier
vielmehr darum, das Recht des Menschen auf Bestimmung über die ihn umgebende Landschaft zu bekräftigen
und Verwaltungen auf verschiedenen Ebenen zur besseren Zusammenarbeit zu bewegen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Vielzahl von
landschaftsbezogenen Konventionen unterschrieben,
darunter die Konvention über biologische Vielfalt, CBD,
die UNESCO-Welterbekonvention mit ihren Natur- und
Kulturerbestätten sowie Kulturlandschaftsstätten, die
FFH-Richtlinie, die Bonner Konvention zum Schutz wandernder Arten, die Berner Konventionen und die RamsarKonvention zum Schutz der Feuchtgebiete sowie die Alpenkonvention. Im Sinne einer Bündelung der finanziellen und personellen Ressourcen und zur Vermeidung von
Doppelstrukturen muss daher die Unterzeichnung weiterer Konventionen genau geprüft werden.
Die Unionsfraktion hatte aber bereits in der Ausschusssitzung am 22. April 2009 erklärt, dass man die
Idee einer Europäischen Landschaftskonvention prinzipiell für richtig und wichtig erachte. Bisher ist allerdings
nicht ausreichend erkennbar, dass die Konvention einen
Anstoß für wesentliche Verbesserungen für den Umweltund Naturschutz in Deutschland und in Europa geben
kann. In meiner Fraktion gibt es dazu noch Gesprächsbedarf. Persönlich bin ich der Meinung, dass sich im weiteren Beratungsverlauf und in der Anwendung der Konvention in anderen Mitgliedstaaten der Mehrwert zeigen
wird und die Bundesrepublik Deutschland die Konvention dann auch ratifizieren sollte. Dafür trete ich ein.
In ihrem Antrag fordert die Fraktion Die Linke die
schnellstmögliche Unterzeichnung der Europäischen
Landschaftskonvention. Sie wurde im Jahr 2000 von den
Mitgliedstaaten des Europarates beschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sie bis heute nicht ratifiziert aus guten Gründen.
Bereits das Naturschutzgesetz von 1976 nennt unter
den Grundsätzen des Naturschutzes die Vielfalt, Eigenart
und Schönheit der Landschaft in besiedelten und unbesiedelten Bereichen. Die Begriffspaare „Natur und Landschaft“ oder „Naturschutz und Landschaftspflege“ ziehen sich wie ein roter Faden durch die nachfolgenden
Novellierungen; auch die neuste Novelle, über die wir
morgen abschließend beraten, trägt den Titel „Gesetz zur
Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege“. Der Schutz der Landschaft und die Landschaftspflege sind also traditionell im deutschen Recht
und im Bewusstsein der Bürger und Bürgerinnen verankert.
Auch das Übereinkommen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt, CBD, verfolgt Ziele der Kultur-Landschaftserhaltung. Großräumige, bedeutende Kulturlandschaften können auch im Rahmen des UNESCOWelterbeübereinkommens als international bedeutendes
Gebiet ausgewiesen werden. Der Schutz von Kultur- und
Naturlandschaften wird in der EU bereits durch die
Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie gewährleistet, da sie
zahlreiche das Landschaftsbild prägende Lebensraumtypen mit Schutzverpflichtungen belegt. Wesentliche Verbesserungen für den Natur- und Landschaftsschutz sind
durch die Ratifizierung der Konvention also nicht zu erwarten.
Es ist daher mehr als fraglich, ob wir noch eine zusätzliche Konvention brauchen, die dann mit einigem Verwaltungsaufwand, insbesondere in den Bundesländern, umgesetzt werden muss. Wir haben uns ja in dieser
Legislaturperiode mit dem Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen „Umweltverwaltungen
unter Reformdruck - Herausforderungen, Strategien,
Perspektiven“ beschäftigt. Hier wurde deutlich, dass die
Verwaltungen schon jetzt aufgrund der geringer werdenden personellen und finanziellen Ausstattung teilweise
nicht mehr in der Lage sind, ihren Vollzugsaufgaben vollständig nachzukommen.
Die Bundesregierung weist in ihrem Bericht über den
Stand der Unterzeichnung internationaler Konvention
- Drucksache 16/5375 - zu Recht darauf hin, dass es aufgrund der begrenzten finanziellen und personellen Ausstattung auf der Ebene des Bundes, aber auch bei den
Ländern besonders wichtig sei, sich im internationalen
Bereich auf Projekte zu konzentrieren, bei denen gewährleistet sei, dass sie einen Anstoß für wesentliche Verbesserungen für den Umwelt- und Naturschutz in Deutschland und den anderen beteiligten Staaten gäben.
Darüber hinaus spielt der Naturschutz in dem Übereinkommen - wie die Bundesregierung in ihrem Bericht
weiter ausführt - ohnehin nur eine untergeordnete Rolle;
es gehe vielmehr darum, das Recht des Menschen auf
Bestimmung über die ihn umgebende Landschaft zu bekräftigen und Verwaltungen auf verschiedenen Ebenen
- lokal, regional, national und international - zur Zusammenarbeit aufzurufen. Zu erwarten wären daher mittelfristig ein erhöhter Verwaltungsaufwand sowie neue
kostspielige Verwaltungsstrukturen im Bereich des Europarats bzw. die Bindung vorhandener personeller und finanzieller Mittel, die dann anderen Projekten nicht mehr
zur Verfügung stünden.
Eine Ratifizierung der Europäischen Landschaftskonvention würde also den Natur- und Landschaftsschutz in
Deutschland nicht verbessern, sondern nur unnötige Kosten und Verwaltungsaufwand verursachen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Im Oktober 2000 beschloss der Europarat die Europäische Landschaftskonvention. Sie trat nach Unterzeichnung von zehn EU-Mitgliedstaaten im März 2004 in
Kraft. Deutschland gehört zu den EU-Mitgliedstaaten,
die die Konvention nicht unterzeichnet haben. Hierfür
gibt es jedoch gute Gründe. Die FDP stimmt dem Antrag
daher nicht zu.
Die Europäische Landschaftskonvention hat das Ziel,
„den Schutz, die Pflege und die Gestaltung der Landschaft zu fördern und die europäische Zusammenarbeit in
Landschaftsfragen zu organisieren“. Die Konvention bezieht sich auf das gesamte Territorium der Unterzeichnerstaaten, also auf alle Landschaften - seien es natürliche,
ländliche oder städtische Gebiete, Land- oder Wasserflächen, außergewöhnlich schutzwürdige oder geschädigte
Landschaften. Unter Landschaft versteht die Europäische Landschaftskonvention „ein vom Menschen als solches wahrgenommenes Gebiet, dessen Charakter das Ergebnis des Wirkens und Zusammenwirkens natürlicher
und/oder anthropogener Faktoren ist“.
Mit Unterzeichnung der Europäischen Landschaftskonvention verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten,
Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, Ausbildung und
Erziehung sowie zur Landschaftserhaltung, Landschaftsplanung und zum Landschaftsmanagement einschließlich
landschaftsbezogener Qualitätsziele zu etablieren. Dabei
sollen Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der
„Landschaftspolitik“ eingeführt werden sowie die Landschaftsbelange in verschiedene andere, sich möglicherweise unmittelbar oder mittelbar auf die Landschaft auswirkende Politiken aufgenommen werden.
Sowohl nach dem alten Bundesnaturschutzgesetz als
auch nach der BNatschG-Novelle, über die der Deutsche
Bundestag morgen abschließend beraten wird, sind in
Deutschland Natur und Landschaft aufgrund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlagen des Menschen
auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im
besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu
pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich, wiederherzustellen, dass erstens die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts, zweitens die Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzungsfähigkeit
der Naturgüter, drittens die Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume sowie
viertens die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der
Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind.
Im Vergleich zu diesen breit angelegten Zielen des
Bundesnaturschutzgesetzes werden in der Europäischen
Landschaftskonvention die kulturellen Werte der Landschaft stärker in den Vordergrund gerückt.
Grundsätzlich ist der Ansatz der Europäischen Landschaftskonvention, europaweit die rechtliche Grundlage
für eine umfassende Landschaftspolitik zu schaffen, positiv zu bewerten. Auch die FDP tritt im Bereich der Naturschutzpolitik für den Schutz auch der Kulturlandschaften
als Teils der „Heimat“ der dort lebenden Menschen ein.
Deutschland gehört aber zu den Ländern mit einem
weitgehend ausgestalteten und etablierten Instrumentarium zum Umgang mit Landschaft. Man denke nur an die
verschiedenen Ebenen der Landschaftsplanung. Ein
Großteil der Anforderungen der Europäischen Landschaftskonvention sind in Deutschland bereits umgesetzt
worden. Die Ratifikation bringt also im Ergebnis keinen
Mehrwert für den Naturschutz in Deutschland.
Der Umweltsachverständigenrat hatte in seinem Gutachten aus dem Jahr 2004 erklärt, er halte die baldige
Unterzeichnung der Europäischen Landschaftskonvention für sinnvoll. Er hatte dies damals nicht mit dem nationalen Naturschutzrecht begründet, sondern damit,
dass die Ratifizierung einen Anstoß geben könne für die
Einführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung in der Landschaftsplanung. Zudem könne sie insbesondere auf osteuropäische Staaten politische Signalwirkung entfalten.
Angesichts der heutigen Anzahl der Unterzeichnerstaaten sind diese Argumente heute nicht mehr stichhaltig.
Wenn Sie unseren Antrag ablehnen, lehnen Sie die Europäische Landschaftskonvention ab und zeigen damit
ein weiteres Mal, dass Ihr Interesse an der Einigung Europas auf rein wirtschaftlichen Interessen beruht. Die
Forderung unserer Kanzlerin „Europa als Wertegemeinschaft stärken“ scheinen Sie als politische Richtlinie
nicht ernst zu nehmen; denn die Europäische Landschaftskonvention ist doch ausdrücklich ein Beitrag des
Europarates, um eben diese Wertegemeinschaft zu stärken.
Das hätten Sie schon dem ersten Abschnitt des Übereinkommens entnehmen können, in dem noch einmal an
das Ziel des Europarats erinnert wird, „eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herbeizuführen, um
die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, zu wahren und zu fördern, und dass dieses Ziel insbesondere durch den Abschluss von Übereinkünften auf
wirtschaftlichem und sozialem Gebiet verfolgt wird“.
Neben dem symbolischen Charakter, den die Unterzeichnung und Ratifizierung der Europäischen Landschaftskonvention hat, einigen sich die Unterzeichner natürlich auch auf das konkrete Ziel, sich gemeinsam dem
Schutz, der Pflege und der Gestaltung aller Landschaften
Europas zu widmen, sowie auf konkrete Maßnahmen, um
dieses zu erreichen, wie Bewusstseinsbildung, Ausbildung und Erziehung, Erfassung und Bewertung von
Landschaften.
Von diesem Projekt sind keine unverhältnismäßigen
Kosten oder Verpflichtungen für die Bundesrepublik zu
erwarten, wie von einer Reihe von Fachleuten bestätigt
wurde. Die positiven Auswirkungen liegen klar auf der
Hand. So wird die europäische Landschaftspolitik aufeinander abgestimmt. Internationale Landschaften und
Schutzgebiete, wie der Nationalpark Unteres Odertal,
werden dadurch als Einheit betrachtet und nicht durch
einseitige Eingriffe zerstört. Europaweite, qualitativ
hochwertige Standards und das Einbeziehen von Landschaft in Regional- und Städteplanungspolitik, in Kultur-,
Umwelt-, Agrar-, Sozial- oder Wirtschaftspolitik ermögZu Protokoll gegebene Reden
lichen eine nachhaltige Landschaftspolitik. Zudem würde
die Unterzeichnung den internationalen Wissensaustausch im Sinne einer effektiveren Landschaftspolitik
stärken. Ein weiterer wesentlicher Grund für die Unterzeichnung ist die Beteiligung der Öffentlichkeit an der
Entwicklung von Landschaften, die die Verbindung zwischen Mensch und Landschaft anerkennt und stärkt.
Ich frage mich ernsthaft: Was spricht dagegen, die Europäische Landschaftskonvention zu zeichnen? Bisherige
Einwände, insbesondere von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen der SPD und der FDP, machen deutlich,
dass vielen hier im Hause die Bedeutung der Europäischen Landschaftskonvention nicht klar ist. Ihr Argument
gegen die Unterzeichnung, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, die Bundesrepublik tue schon genug für
Umweltschutz, greift viel zu kurz. Es geht hier eben nicht
nur um Umweltschutz, es geht um eine umfassendere Betrachtung von Landschaft. Im Übrigen bin ich nicht der
Meinung, dass die Bundesrepublik schon genug für den
Umweltschutz getan hat. Allein das Scheitern des Umweltgesetzbuches ist ein Armutszeugnis.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben unseren Antrag mit der Begründung abgelehnt, es bestehe noch Gesprächsbedarf. Die Europäische Landschaftskonvention ist aus dem Jahr 2000. Seitdem sind
neun Jahre vergangen, in denen Sie Zeit hatten, sich zu
verständigen. Das zeigt deutlich, wie wichtig Ihnen dieses
Thema ist. Aber ich hoffe, dass Sie sich inzwischen ausgetauscht haben und heute unserem Antrag zustimmen
werden; denn im Umweltausschuss haben Sie die Europäische Landschaftskonvention ja als richtig und wichtig
bezeichnet. Vielleicht können Sie ja auch noch Ihren Koalitionspartner von der Bedeutung der Konvention überzeugen.
Zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP,
möchte ich natürlich auch noch etwas sagen. Die Europäische Landschaftskonvention zu unterzeichnen, um Signale in Richtung Osteuropa zu schicken, wäre für mich
auch nicht Grund genug für eine Unterzeichnung. Auch
ich bin nicht für den erhobenen Zeigefinger. Aber ich
frage Sie: Was spricht denn dagegen, dass Deutschland
mit seinen - wenn auch unzureichenden - Instrumentarien für Staaten mit weniger nachhaltiger und effizienter
Landschafts-, Umwelt- und Naturschutzpolitik Berater
und Vorbild im Rahmen eines solchen Übereinkommens
ist?
Deutschland ist eines der wenigen Länder, die die Europäische Landschaftskonvention weder ratifiziert noch
unterzeichnet haben. Wenn Deutschland die Konvention
weiterhin ablehnt, wird es sich in Europa isolieren. In
diesem Übereinkommen verständigt man sich auf gemeinsame europäische Werte und fördert so ein Zusammenwachsen Europas. Denn ein wirkliches Zusammenwachsen von Europa geschieht nicht durch Verträge wie
den Vertrag von Lissabon, die einseitig die Wirtschaftslobby stärken.
„Europa als Wertegemeinschaft stärken“ - diesen
Worten unserer Kanzlerin können Sie nun Taten folgen
lassen. Stimmen Sie dem Antrag der Fraktion Die Linke
zu, und beschleunigen Sie die Unterzeichnung und Ratifizierung der Europäischen Landschaftskonvention im
Sinne eines vereinigten Europas, das uns ja allen am Herzen liegt - oder?
Mit dem vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke
wird die Bundesregierung aufgefordert, die Europäische
Landschaftskonvention, die im Jahre 2000 vom Europarat auf Initiative des Kongresses der Gemeinden und Regionen beschlossen worden ist, zu unterzeichnen und einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung vorzulegen. In den
vergangenen Jahren gab es immer wieder Bestrebungen,
eine Unterzeichnung der Konvention zu erreichen. Die
Bundesregierung hat dem immer wieder entgegengehalten, man wolle sich lieber auf internationale Projekte
konzentrieren und in der ELK spiele der Naturschutz nur
eine untergeordnete Rolle. Andererseits sei mit dem Aufbau einer neuen kostspieligen Verwaltungs- und Beratungsstruktur im Bereich des Europarates zu rechnen.
Bei dem Übereinkommen geht es darum, die öffentlichen Behörden aufzufordern, in ihrer Politik und ihren
Maßnahmen auf örtlicher, regionaler, nationaler und internationaler Ebene europaweit dem Landschaftsschutz,
der Landschaftspflege und der Landschaftsplanung Beachtung zu schenken. Das Übereinkommen betrifft sämtliche Landschaften, sowohl naturschutzfachlich herausragende als auch gewöhnliche, die die menschliche
Lebensqualität und die Qualität der Umwelt bestimmen.
Der Text sieht vor, dass alle Maßnahmen, die vor Ort
ergriffen werden, der jeweiligen Landschaft angepasst
werden. Die Besonderheiten einer jeden Landschaft erfordern verschiedene Vorgehensweisen, vom strikten Naturschutz über Landschaftsschutz, Landschaftspflege bis
hin zur besseren Landschaftsgestaltung.
Das Übereinkommen schlägt rechtliche und finanzielle Anreize auf nationaler und internationaler Ebene
vor, um eine durchdachte „Landschaftspolitik“ sowie ein
besseres Zusammenspiel zwischen den örtlichen und den
gesamtstaatlichen Dienststellen und grenzüberschreitende Zusammenarbeit beim Landschaftsschutz zu fördern. Das Übereinkommen zählt eine Reihe verschiedener Lösungen auf, derer sich die Staaten je nach ihren
besonderen Bedürfnissen bedienen können. Zwischenstaatliche Ausschüsse beim Europarat sollen die Durchführung des Übereinkommens überwachen. Der Text
sieht auch die Verleihung eines Landschaftspreises durch
den Europarat vor. All dieses spricht dafür, die Konvention auch durch Deutschland zu unterschreiben und zu
ratifizieren.
Die rechtlichen Regelungen und die praktischen Maßnahmen zur Landschaftsplanung in Deutschland stehen
in keinerlei Widerspruch zu den Zielen der ELK. Insofern
ist die Zögerlichkeit der Bundesregierung unverständlich. Zudem war Deutschland an den Verhandlungen über
die Konvention aktiv beteiligt.
Ich will aber an dieser Stelle auch deutlich sagen, dass
die Erwartungen an die Konvention nicht überfrachtet
werden sollten. Eine qualitativ neue Landschaftspolitik
wird es durch den Beitritt zur ELK in Deutschland nicht
Zu Protokoll gegebene Reden
Undine Kurth ({0})
geben. Ein solcher Effekt ist eher für die ost- und mitteleuropäischen Staaten zu erwarten. Auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit findet bereits über die Europäische Union statt. Deutschland könnte die ELK durch
einen Beitritt aber stärken und viel zur Umsetzung der
Konvention in Europa beitragen.
Deshalb stimmen wir dem Antrag zu und hoffen, dass
der von der Fraktion der CDU/CSU signalisierte Gesprächsbedarf noch dazu führen wird, dass ein Beitritt zur
Konvention spätestens in der nächsten Legislaturperiode
möglich wird.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12917, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/10821 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei
Zustimmung von Koalition und FDP; dagegen haben
Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke gestimmt. Es gab
keine Enthaltungen.
Tagesordnungspunkt 43:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften
- Drucksachen 16/12784, 16/13190 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- Drucksache 16/13399 Berichterstattung:
Abgeordneter Paul K. Friedhoff
Zu Protokoll gegeben sind die Reden von Lena
Strothmann, Doris Barnett, Ernst Burgbacher, Ulla
Lötzer und Dr. Thea Dückert.
Die Wahl zum Europäischen Parlament vom 7. Juni
2009 und insbesondere die enttäuschend geringe Wahlbeteiligung haben einige interessante Erklärungsversuche
und gewagte Interpretationen hervorgerufen. Von fehlenden Identifikationsmöglichkeiten war die Rede, von unzureichender Transparenz, überflüssiger Regelungswut
oder gar von einer grundlegenden und grundsätzlichen
Unzufriedenheit der Bürger mit Europa. Es ist tatsächlich
so, dass es zu wenig Identifikationsmöglichkeiten mit
Europa gibt. Ein Parlament aus 27 Staaten wirkt unübersichtlich und weicht beispielweise in Fraktionsbezeichnungen und Abstimmungsverhalten oft von den uns bekannten Parlamentsmechanismen ab. Die hinreichend
zitierten Beispiele für die Brüsseler Regelungswut tragen
zudem nicht dazu bei, die Sinnhaftigkeit und Logik einzelner Richtlinien zu erkennen. Dass diese aus Reihen der
Kommission und zahlreiche abstruse Ideen sogar aus den
Mitgliedstaaten selbst stammen, ist vielen gar nicht bekannt.
Das Europäische Parlament hatte in den ersten Jahren
- die erste Wahl fand 1979 statt - kaum Möglichkeiten, in
Entscheidungsprozesse der Kommission einzugreifen.
Das hat sich jedoch stetig verändert. Heute hat das Europäische Parlament bei einer Vielzahl von festgelegten
Themen und vor allem auch beim EU-Haushalt weitreichende Mitentscheidungsrechte. In den letzten Jahren hat
sich diese wachsende Kompetenz des Europaparlamentes
wie bei kaum einem anderen Thema ausgerechnet bei der
Dienstleistungsrichtlinie gezeigt.
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde 2006 verabschiedet. Das Thema ist immens wichtig, da der Dienstleistungssektor in Deutschland und der EU ein wachsender Wirtschaftsbereich ist.
Der Inhalt der Richtlinie besagt in Kurzform: Erstens.
Hürden bei der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit müssen abgebaut werden. Zweitens. Es wird für alle
Dienstleister - für In- und Ausländer - in allen Mitgliedstaaten eine sogenannte Einheitliche Stelle, ein einheitlicher Ansprechpartner, eingerichtet, der alle Fragen zur
Dienstleistungsfreiheit oder Anforderungen an eine Niederlassung bearbeitet.
Zur Erinnerung: Während der Entscheidungsphase
um die Richtlinie haben wir das Herkunftslandprinzip
verhindert. Das heißt, der ausländische Dienstleister
bringt nicht uneingeschränkt sein heimisches Recht aus
einem Herkunftsland mit. Vielmehr gelten die hiesigen
Standards. Ausgeklammert vom Geltungsbereich der
Richtlinie sind zudem das Steuerrecht, Arbeits- und Sozialrecht, der Gesundheitsbereich und das internationale
Privatrecht.
Bei den reglementierten Berufen der Berufsanerkennungsrichtlinie bleibt mit dem Nachweis über bestimmte
Qualifikationen ein wichtiges Mittel zur Sicherung eines
hohen Niveaus erhalten. Und auch unser Entsendegesetz
gilt nach wie vor. Aus diesem Grund ist bei unserem Gesetzentwurf ausdrücklich keine Aufnahme von Mindestlohnregelungen notwendig, da hierfür die Tarifparteien
zuständig sind und im Konfliktfall das Entsendegesetz geändert werden kann. Gesetzliche Anforderungen an eine
Dienstleistungserbringung im Ziel-Mitgliedstaat sind
grundsätzlich nur aus vier Gründen möglich. Dies sind
öffentliche Sicherheit und Ordnung, öffentliche Gesundheit und der Umweltschutz.
Dienstleistungen sind selbstständig erbrachte Tätigkeiten außerhalb der Beschränkungen eines Arbeitsvertrages. Betroffen ist demzufolge eine große Bandbreite
von Leistungen, die für Verbraucher oder auch für andere
Unternehmen erbracht werden können. Dazu zählen etliche Tätigkeiten durch Architekten, Ingenieure, Handwerker oder auch Werbeagenturen, Handel und Großhandel,
Reisebüros, Freizeitparks, Reinigungsdienste oder auch
Anbieter von Gärtnerdienstleistungen und privater Kinderbetreuung oder Computerprogrammierer.
Die Richtlinie setzen wir heute mit dem Gesetzentwurf
eins zu eins in unser nationales Recht um. Eine als
Dienstleistung beschriebene Tätigkeit kann dann auch in
Deutschland auf verschiedenste Weise angeboten werden, entweder im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit
oder im Rahmen der Niederlassungsfreiheit. Grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit heißt: Aus dem Ausland heraus wird in Deutschland die Dienstleistung erbracht; es wird in Deutschland keine Niederlassung
gegründet. Niederlassungsfreiheit heißt: In Deutschland
wird eine Niederlassung eines EU-Dienstleisters gegründet. Wegen der Umgehungsmöglichkeiten zum Beispiel
im Fall einer dauerhaft erbrachten Dienstleistung ohne
Niederlassung haben wir in unserem Änderungsantrag
eine genauere Definition der grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistung festgelegt. Um deutlich zu machen, dass sie im Unterschied zu einer auf Dauer angelegten Niederlassung nur gelegentlich erbracht wird,
betonen wir als notwendiges Charakteristikum den Aspekt der „vorübergehend“ erbrachten Dienstleistung.
Grundsätzlich gilt, dass bei ausländischen Anbietern
hier bei uns davon ausgegangen werden muss, dass diese
im Herkunftsland die Nachweise über ihre Qualifikationen bei den dortigen Behörden abgelegt haben. Darüber
hinaus sind die Anforderungen in Deutschland je nach
Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit unterschiedlich. Bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit entfällt laut unserem Gesetzentwurf die Anzeigepflicht bei den Behörden. Bei der Gründung einer
Niederlassung besteht diese Anzeige- und Informationspflicht weiterhin. Zur Erleichterung gibt es das neue System der Einheitlichen Ansprechpartner, wo der Dienstleister alle Informationen erhält, alle Anträge abgeben
kann und eine qualifizierte Bestätigung erhält, aus der
eindeutig hervorgeht, ob die eingereichten Unterlagen
vollständig sind. Als neues Element in der Gewerbeordnung wird eine Genehmigungsfiktion eingeführt, welche
bedeutet, dass ein Antrag eines Dienstleisters nach einer
angemessenen Frist automatisch als genehmigt gilt. Allerdings ersetzt diese automatische Zustimmung nicht den
zum Beispiel nach Handwerksrecht eventuell notwendigen Nachweis einer bestimmten Qualifikation bzw. eines
Abschlusses.
Die Genehmigungsfiktion ist eine grundsätzlich wirtschaftsfreundliche Beschleunigungsmaßnahme, die auch
für deutsche Dienstleister gilt, ein deutlicher Beitrag zum
Bürokratieabbau. Mit unserem Änderungsantrag haben
wir uns dafür entschieden, die von der Bundesregierung
vorgesehene Frist bei der Genehmigungsfiktion von zwei
auf drei Monate zu verlängern. Zwar wird die überwiegende Anzahl der Anträge in deutlich kürzerer Zeit bearbeitet. Aber die längere Frist ist zum einen eine 1:1-Umsetzung der Richtlinie, und sie ermöglicht es zum anderen
zum Beispiel den Kammern, bei Problemfällen genügend
Zeit für Nachfragen oder auch Einsichten in Zentralregister zu erhalten.
Mit der Umsetzung in unser nationales Recht ist es
nicht getan. Auch die Zusammenarbeit unter den europäischen Behörden muss sich sehr stark verändern. Diese
im Verwaltungsverfahrensgesetz geregelten Punkte betreffen die gegenseitige Amtshilfe, die Kosten oder auch
die eventuell notwendigen Übersetzungen. Eine große
Bewährung wird dabei das Binnenmarktinformationssystem darstellen, mit dessen Hilfe unter anderem das Sprachenproblem gelöst werden soll. Hier kommt viel Arbeit
auf die Behörden zu, aber ich bin zuversichtlich, dass
nach Überwindung von gewiss auftretenden Anfangsschwierigkeiten das System funktionieren wird. Wie sich
die Richtlinie auswirkt, wird nach drei Jahren offiziell
evaluiert.
Die Dienstleistungsfreiheit bietet Chancen für unsere
Dienstleister, Handwerker und Freiberufler, sich im EUMarkt zu etablieren und auch im EU-Ausland zu lukrativen Aufträgen zu kommen. Insgesamt stellen die Dienstleistungsrichtlinie und die Umsetzung ins nationale Recht
einen Meilenstein zur Weiterentwicklung des Wirtschaftsraums Europa dar.
Heute schließen wir das Gesetzgebungsverfahren zur
Überführung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in deutsches Recht ab und stellen damit sicher, dass wir rechtzeitig vor dem 1. Januar 2010 die Umsetzung bewältigt haben. Anstrengende Jahre und harte Verhandlungen liegen
hinter uns - und erst die Praxis wird zeigen, ob die hohen
Erwartungen, die an ein europäisches Dienstleistungsrecht gestellt werden, zu erfüllen sind.
Fraglich ist allerdings, ob diese Richtlinie auch tatsächlich europaweit und rechtzeitig umgesetzt wird.
Meine Rechercheanfrage beim Wissenschaftlichen Dienst
hat ergeben, dass nach dessen Kenntnis erst zwei weitere
Länder mit der Umsetzung fertig sind. Dennoch können
wir heute schon ein ganzes Stück zufrieden sein mit der
Arbeit und auch den Fortschritten, die wir im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens erreicht haben.
Wir haben vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion den
fachlichen Dialog über den Gesetzentwurf der Bundesregierung geführt. So hat auch ein Gespräch mit Vertretern
der IHK Pfalz und der Handwerkskammer Pfalz aus
meiner Heimat im Bundestag stattgefunden. Bei dieser
Fachdiskussion, an der auch das Bundeswirtschaftsministerium und Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz teilgenommen haben, wurde an verschiedenen Stellen deutlich, wo Veränderungsbedarf bestand. Insbesondere die
öffentliche Bestellung von Sachverständigen, deren
Kenntnisse, Fähigkeiten und persönliche Eignung ja bewertet werden müssen, gab Anlass zu Änderungswünschen der Kammern. Dass diese Voraussetzungen zu Bestellung laut Gesetz nur „im Wesentlichen“ den hiesigen
Anforderungen entsprechen sollen, statt „vergleichbar“
zu sein, konnte leider nicht verändert werden.
In weiteren Abstimmungsgesprächen, die intensiv mit
den Gewerkschaften geführt wurden, konnten wichtige
Veränderungen herausgearbeitet und übernommen werden, die ebenso auch vom Bundesrat angemahnt wurden.
Unser Änderungsantrag sieht deshalb vor, in den Wortlaut des § 4 Abs. 1 Gewerbeordnung das Wort „vorübergehend“ einzufügen. Denn so, wie die Gewerbeordnung
sonst hätte gelesen und interpretiert werden müssen,
hätte eine Differenzierung zwischen Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit nicht erfolgen können.
Die Folge wäre gewesen: Dienstleistungsanbieter, die
von einem anderen EU-Land aus bei uns tätig werden
würden, hätten dies dauerhaft tun können, also das NieZu Protokoll gegebene Reden
derlassungsrecht mit all seinen Folgen umgehen können.
Eine solche Missbrauchsmöglichkeit konnte so verhindert werden. Sicherlich, die Umgehung des Niederlassungsrechts bliebe zwar auf dem Papier weiterhin verboten - aber der Nachweis wäre ungleich schwieriger, ja
unmöglich geworden.Wenn man bedenkt, dass aufgrund
eines fehlenden gesetzlichen Mindestlohnes Dienstleistungen von Anbietern aus EU-Staaten mit Löhnen angeboten werden können, die weit unter unserem Lohnniveau
liegen, kann man sich leicht ausrechnen, wie es wäre,
wenn das Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ nicht
als eine gewissen Bremse eingeführt worden wäre. Wir
werden also besonders darauf zu achten haben, dass die
Dienstleistungsrichtlinie nicht zu Lohndumping führt.
Die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn ist
deshalb nicht aus der Luft gegriffen, sondern hat heute
schon ganz handfeste Gründe.
Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings auch, dass
die tägliche Praxis gerade in Grenzregionen oftmals
nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Das liegt zum
einen an den tatsächlich durchgeführten Kontrollen, zum
andern aber auch an Hürden, die einer wirklichen
Dienstleistungsfreiheit im Wege stehen. An dieser Stelle
sei daran erinnert, dass wir den Meisterzwang für eine
ganze Reihe von Handwerksberufen aufgehoben haben auch im Hinblick auf die Dienstleistungsrichtlinie. Deshalb darf auch erwartet werden, dass umgekehrt Hemmnisse für unsere Handwerker fallen. Von meiner Heimat,
der Pfalz, aus gesehen, liegt das französische Elsass
gleich nebenan. Dort muss immer noch ein Handwerker,
der aus Deutschland kommt, für seine Leistungen eine
„garantie décennale“, eine Haftpflichtversicherung abschließen. Die kommt zehn Jahre lang für Mängel und
Garantieansprüche auf. Aber sie ist für deutsche Betriebe
entweder gar nicht erst zu haben oder die Mindestsummen sind für den Handwerker unbezahlbar.
Europa ist eine tolle Sache - wenn alles, wie gedacht,
funktioniert. Das können auch die Menschen nachvollziehen und sich für Europa begeistern. Deshalb müssen wir
gerade bei so tief einschneidenden Gesetzen wie der hier
vorliegenden Änderung der Gewerbeordnung alles tun,
um das Vertrauen der Menschen nicht zu enttäuschen.
Die Menschen in unserem Land erwarten zu Recht, dass
es fair zugeht und sich alle 27 Länder an die von Brüssel
gemachten Vorgaben halten, das heißt, dass sie von allen
gleichmäßig umgesetzt und beachtet werden. Deshalb ist
es auch wichtig und richtig, dass die Dienstleistungsrichtlinie selbst eine Revisionsklausel enthält: Art. 16 der
Richtlinie, die den Umfang der Dienstleistungsfreiheit
beschreibt, bestimmt in Abs. 4, dass „bis zum 28. 12. 2011
die Kommission nach Konsultation der Mitgliedstaaten
und der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über
die Anwendung dieses Artikels ({0}), in dem sie prüft, ob
es notwendig ist, Harmonisierungsmaßnahmen hinsichtlich der unter diese Richtlinie fallenden Dienstleistungstätigkeiten vorzuschlagen“.
In der Zwischenzeit ist es notwendig, dafür zu sorgen,
dass die Möglichkeiten, die die Richtlinie auch unseren
Dienstleistungserbringern bietet, genutzt werden. Nicht
nur der Einheitliche Ansprechpartner kann bei richtiger
Umsetzung eine große bürokratische Entlastung mit sich
bringen. Auch die jetzt noch eingebrachten ergänzenden
Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz dienen der
Rechtsklarheit und einem Weniger an Vorschriften.
Gleichlautende Vorschriften und Doppelregelungen in
verschiedenen Gesetzen auf Bundes- und Landesebene
können vermieden werden.
Alles in allem können wir heute mit dem Gesetz in der
abgeänderten Fassung zufrieden sein, selbst wenn nicht
alle Wünsche erfüllt werden konnten. Nach zwei Jahren
werden wir europaweit die Ergebnisse analysieren. Ich
gehe davon aus, dass wir bis dahin genug Erfahrungen
gesammelt haben, um aufgetretene Folgeprobleme der
Umsetzung zu beheben, die uns bei der Fortschreibung
dieses Großvorhabens weiterhelfen.
In zweiter und dritter Lesung wird heute der Gesetzentwurf beraten und verabschiedet, der die Richtlinie
2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt umsetzen soll. Das Ziel der
Dienstleistungsrichtlinie ist es, Fortschritte im Hinblick
auf einen freien Binnenmarkt für Dienstleistungen zu erreichen. Im größten Sektor der europäischen Wirtschaft
sollen sowohl die Unternehmen als auch die Verbraucher
den vollen Nutzen aus den Möglichkeiten des Binnenmarkts ziehen.
Zur Erreichung dieses Ziels sollen in der Gewerbe- und
der Handwerksordnung sowie der Wirtschaftsprüferordnung und dem Signaturgesetz Änderungen vorgenommen
werden, die den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen. Die Dienstleistungsrichtlinie
sieht insbesondere die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren und den Abbau von Hindernissen für die Erbringung von Dienstleistungen vor. Unmittelbar vor der
abschließenden Beratung des Gesetzentwurfes wurden
vonseiten der Koalitionsfraktionen noch einmal umfassende Änderungsanträge gestellt, die wir heute mitbeschließen sollen. Heute, in der zweiten und dritten Lesung, befassen wir uns mit einem Gesetzentwurf, der
umfassenden Änderungen unterliegt und zum Beispiel im
Bereich des Verwaltungsverfahrens weitreichende Neuregelungen enthält.
Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die Vereinbarkeit einfachgesetzlicher Normen mit dem EU-Dienstleistungsrecht dahingehend zu überprüfen, ob die Aufnahme
oder Ausübung von Dienstleistungsaktivitäten einschränkend geregelt wird. Wie ich im Rahmen der ersten Lesung
des Umsetzungsgesetzes bereits für die FDP-Fraktion betont hatte, ist dieser Ansatz grundsätzlich zu begrüßen.
Auch ist zu begrüßen, dass mit einzelnen Regelungen im
Hinblick auf den Bürokratieabbau Fortschritte erzielt
werden sollen.
Die Bundesregierung geht von einem Einsparvolumen
von gut 518 000 Euro bei den Informationspflichten aus.
Dieses Einsparvolumen fällt, wenngleich es immerhin
eine halbe Million Euro erreicht, angesichts der gesamten Kosten für Informationspflichten von knapp 48 Milliarden Euro recht mager aus. Die Umsetzung der DienstZu Protokoll gegebene Reden
leistungsrichtlinie hätte insgesamt für einen massiven
Bürokratieabbau genutzt werden können. Statt sich bei
der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht mit Einsparungen von nur gut einer halben Million Euro zu begnügen, hätte die Bundesregierung einen
großen Wurf bei der Umsetzung dieser Richtlinie erreichen können. Doch wurde erneut die Chance zum Bürokratieabbau verspielt. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie
hätte die Chance geboten, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen massiv zu entlasten.
Es ist anzumerken, dass die Koalitionsfraktionen das
Vorhaben eines einheitlichen Ansprechpartners mit den
letzten Änderungsanträgen auf den Weg gebracht haben.
Dieser einheitliche Ansprechpartner wird seit langem gefordert, und es ist doch mehr als erstaunlich, dass die Koalitionsfraktionen erst in fast letzter Minute sich hierüber
einigen konnten. Auch dies zeigt, dass bei der Umsetzung,
vor allem im Hinblick auf eine Entlastung der Gewerbetreibenden in unserem Land, deutlichere Impulse hätten
gesetzt werden können - und müssen.
Trotz des grundsätzlich richtigen Ansatzes, den einheitlichen Dienstleistungsmarkt in der EU voranzubringen, enthält das Umsetzungsgesetz noch immer eine
Reihe von Regelungen, die insbesondere für inländische
Unternehmen zu erschwerten Wettbewerbsbedingungen
führen können. Die neuen Regelungen im Gewerberecht
finden nicht nur in den klassischen Bereichen der Dienstleistungsfreiheit Anwendung, das heißt im Bereich einer
kurzfristigen oder gelegentlichen Dienstleistungserbringung, sondern auch dann, wenn ein Gewerbetreibender
aus einem anderen EU-Staat sich im Inland niederlässt.
Es ist deshalb auch nach den vorgenommenen Änderungen für mich noch immer festzustellen, dass die Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie
die für die Gewerbeordnung erforderliche Normenprüfung allzu restriktiv durchgeführt hat. Eine sehr viel weitergehende Entlastung von bürokratischen Pflichten, eine
„Lichtung“ des Normendschungels im Bereich der Gewerbeordnung, hätte hier seitens der Bundesregierung
erfolgen können.
Weiterhin enthält dieses Umsetzungsgesetz eine stattliche Anzahl von zur Diskriminierung geeigneten Tatbeständen. Ich hatte mir erhofft, dass im Rahmen der
Ausschussberatungen und im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens hier noch Änderungen vorgenommen
werden. Leider hat sich die Koalition dazu nicht durchringen können. Auch nach den Änderungen lässt sich der
Vorwurf der Inländerdiskriminierung nicht entkräften.
Wenn künftig die Gewerbeausübung für Unternehmen
aus dem EU-Ausland genehmigungsfrei ist, dann muss sie
dies auch für die Unternehmerinnen und Unternehmer
aus Deutschland sein. Andernfalls liegt eine nicht hinnehmbare Inländerdiskriminierung vor. Diese Verantwortung liegt bei Union und SPD.
Die Bundesregierung will mit der Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie den grenzüberschreitenden
Dienstleistungsverkehr sowohl innerhalb der EU als
auch zwischen EU-Mitgliedstaaten und Angehörigen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erleichtern. Die
Bundesregierung selbst spricht in der Begründung des
Gesetzentwurfs von großen Chancen auch für deutsche
Unternehmerinnen und Unternehmer, sich im europäischen Ausland zu engagieren. Tatsächlich aber werden
viele Regelungen die Wettbewerbsbedingungen für inländische Unternehmen verschlechtern und Gewerbetreibende aus Deutschland gegenüber ihren Mitbewerbern
diskriminieren. Zudem sieht die zwischenstaatliche Realität in etlichen Bereichen hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit leider anders aus. Auf meine Frage, wie die
Bundesregierung gegen protektionistische Maßnahmen
von europäischen Nachbarländern reagieren wird, hat
mir die Bundesregierung geantwortet, dass es „ab dem
Jahr 2010 eine Phase der gegenseitigen Evaluierung zwischen den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der
Normenprüfung nach der europäischen Dienstleistungsrichtlinie“ geben wird.
Faktisch bestehen Marktzugangsbeschränkungen, die
deutsche Unternehmen betreffen, wenn sie zum Beispiel
Bauleistungen in Frankreich erbringen oder als Handwerker in der Schweiz tätig werden wollen. Hier hätte die
Bundesregierung aktiv werden und sich im Rat dafür einsetzen müssen, dass deutsche Unternehmen nicht länger
benachteiligt werden.
Es kommt hinzu, dass gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland erst zwei weitere EU-Mitgliedstaaten
diese Richtlinie in nationales Recht umgesetzt haben oder
zeitnah umsetzen werden. Von einer gemeinsamen Harmonisierung des Dienstleistungssektors kann also nicht
gesprochen werden.
Die Richtlinie muss umgesetzt werden, denn die Bundesrepublik Deutschland ist verpflichtet, bis zum Ende
des Jahres ein Umsetzungsgesetz zu erlassen. Für sinnvolle und umfassende Änderungen ist es nun zu spät, denn
das parlamentarische Verfahren soll mit der heutigen Beratung abgeschlossen werden. Es wäre gut gewesen,
wenn sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene
für mehr Entlastung auch des Mittelstandes im Rahmen
der Dienstleistungsrichtlinie eingesetzt hätte. Diese
Chance hat diese Regierung verpasst.
Die Linke im Bundestag beglückwünscht die Große
Koalition, dass sie sich in letzter Minute darauf verständigen konnte, dem Berliner Wirtschaftssenat zumindest in
einem wichtigen Punkt zu folgen. Das Land Berlin hatte
im Bundesrat darauf gedrungen, dass der Kreis derjenigen Unternehmen, die die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch hätte nehmen können, nicht unnötig ausgeweitet
wird. Das hatte die Bundesregierung beabsichtigt. Damit
hätte in den betroffenen Wirtschaftszweigen fast jedes europäische Unternehmen, das von einer Niederlassung außerhalb der Bundesrepublik aus agiert, auf dem deutschen Markt geltende Regeln umgehen können. Hierbei
ging es unter anderem um Erlaubnisse für Makler, Bauträger und das Reisegewerbe, also nicht gerade unwichtige Wirtschaftszweige. Der Bundesrat ist in seiner Stellungnahme dem Land Berlin und damit der Position der
Linken gefolgt. Die Koalition hat dies am Ende akzeptiert. Damit konnten wir erneut mit Unterstützung des
DGB erreichen, dass der ursprüngliche Geist der BolkeZu Protokoll gegebene Reden
stein-Richtlinie, nämlich das sogenannte Herkunftslandprinzip, nicht wieder durch eine Hintertür eingeführt
wurde.
Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Wir werden dem
Gesetz trotzdem nicht zustimmen. Die Linke und die Gewerkschaften konnten wie auch damals auf europäischer
Ebene nur genug Druck ausüben, um das Schlimmste zu
verhindern. Im Ergebnis können sich nun nur vorübergehend in der Bundesrepublik tätige Unternehmen auf die
niedrigeren Standards berufen. Der Unterschied zwischen Dienstleistungsrichtlinie und Niederlassungsfreiheit ist jetzt aber objektiv überprüfbar. Das ist schön und
gut und wird für die Behörden zwar überprüfbar sein. Ob
sie diese Überprüfung und damit den Missbrauchstatbestand wirksam verfolgen können, bleibt völlig offen. Denn
sie halten weiter daran fest, dass die Gewerbeanzeige
nach § 14 für grenzüberschreitende Dienstleister entfallen soll. Die Streichung der Gewerbeanzeige nimmt den
Behörden die Möglichkeit, von der Existenz des Gewerbetreibenden Kenntnis zu nehmen. Kontrolle und Aufsicht
können aber ernsthaft nur wahrgenommen werden, wenn
der Mitgliedstaat ein Mindestmaß an Informationen über
die Existenz von Gewerbetreibenden in seinem Zuständigkeitsbereich besitzt. Darauf hatte der Bundesrat gedrungen. Die Bundesregierung ist dem nicht gefolgt. Unseren entsprechenden Änderungsantrag haben Sie
abgelehnt.
Damit bleibt für die Linke im Bundestag klar: Die
schönen Worte aus der gemeinsamen Erklärung von SPD
und DGB für ein soziales Europa bleiben in der Realität
wirkungslos. Sie schreiben dort:
Soziale Grundrechte und Standards dürfen nicht
durch Wettbewerb und Liberalisierung im europäischen Binnenmarkt eingeschränkt werden.
In der Realität schränken Sie mit der CDU/CSU Standards, die sich langjährig bewährt haben ein; Sie diskriminieren inländische Gewerbetreibende, überfordern Behörden und nehmen Missbrauch in Kauf.
Die Linke und der DGB treten dagegen dafür ein, dass
die sozialen und politischen Grundrechte gestärkt werden. Wir setzen Harmonisierung von Standards gegen die
schädliche Konkurrenz um niedrige Umwelt-, Sozialoder andere sinnvolle Sicherheitsstandards. Die Anmeldung eines Gewerbes ist dabei doch oft nur die Voraussetzung für alle weiteren Prüfungen.
Wir wollen das Gleichgewicht zwischen Binnenmarktfreiheiten und sozialen Grundrechten wieder herstellen.
Wirtschaftliche Freiheiten wie die Niederlassungs- und
Dienstleistungsfreiheit dürfen keinen Vorrang vor sozialen Rechten und sinnvollen Regeln erhalten. Wir treten
deshalb dafür ein, dass die europäischen Verträge durch
eine soziale Fortschrittsklausel ergänzt werden. Damit
soll der Vorrang der sozialen Grundrechte vor den Binnenmarktfreiheiten gewährt werden.
Der Deutsche Bundestag befasst sich heute mit der
Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in deutsches
Gewerberecht. Dass eine EU-Richtlinie in deutsches
Recht umgesetzt werden muss, kommt oft vor. Auch gibt es
häufig Kritik an den Vorgaben aus Brüssel in unserem
Haus. Diese ist oft unberechtigt. Bei der Dienstleistungsrichtlinie handelt es sich aber definitiv um eine schlechte
EU-Vorlage. Die Bundesregierung trug ihren Teil zur
Entstehung der Richtlinie bei und trägt deswegen eine erhebliche Mitschuld. Erst durch ihre verfehlte Politik auf
europäischer Ebene konnte die Dienstleistungsrichtlinie
in dieser Form verabschiedet werden.
Die zentrale Schwachstelle der europäischen Dienstleistungsrichtlinie ist das Herkunftslandprinzip. Dies
wurde von der Bundesregierung auch erkannt. In ihrem
Koalitionsvertrag hat die Koalition zur Dienstleistungsrichtlinie festgehalten: „Das Herkunftslandprinzip in der
bisherigen Ausgestaltung führt uns nicht in geeigneter
Weise zu diesem Ziel. Deshalb muss die Dienstleistungsrichtlinie überarbeitet werden. Wir werden ihr auf europäischer Ebene nur zustimmen, wenn sie sozial ausgewogen ist, jedem Bürger den Zugang zu öffentlichen Gütern
hoher Qualität zu angemessenen Preisen sichert und Verstöße gegen die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt nicht zulässt.“ Leider folgten dieser Erkenntnis keine Taten. Die
Richtlinie wurde mit der Stimme der Bundesregierung
verabschiedet. Das Herkunftslandprinzip taucht zwar explizit nicht mehr auf, dennoch hat seine Regelung faktisch
Bestand.
Das Herkunftslandsprinzip besagt, dass einem Dienstleister die Ausübung seiner Tätigkeit in einem anderen
EU-Staat erlaubt werden muss, wenn er die Rechtsvorschriften seines Herkunftslandes erfüllt. Das ist so nachzuvollziehen. Das Problem ist aber, dass der Dienstleister
seiner Tätigkeit in einem anderen Land auch nach den
rechtlichen Vorgaben seines Heimatlandes nachgehen
kann. So können Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards umgangen werden. Dies ist unsere zentrale Kritik
an der Richtlinie an sich. Bündnis 90/Die Grünen haben
sich mit einem eigenen Antrag im Bundestag dafür stark
gemacht, das Herkunftsland nur beim Marktzugang anzuwenden, für die Ausübung der Tätigkeit sollte das Ziellandprinzip gelten. So wäre die Dienstleistungsfreiheit
gewährleistet und die Umgehung von nationalen Standards verhindert worden. Der Vorschlag stammt übrigens
von der SPD-Berichterstatterin Gebhardt, die von der
SPD für den Koalitionsfrieden fallen gelassen wurde.
Nun versucht die Bundesregierung, durch das vorliegende Gesetz den Missbrauch der Dienstleistungsrichtlinie zu verhindern und nationale Standards zu sichern.
Dies gelingt aber nur teilweise, und es kann nicht gewährleistet werden, dass Inländerdiskriminierung verhindert wird. Dazu bleibt das Gesetz in manchen Punkten
zu vage und erweist sich mit ungenauen Formulierungen
als zukünftige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Behörden und Gerichte.
Nicht mit diesem Gesetz, aber mit ihrer Verhandlungsführung auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung
die Chance verspielt, durch eine gute EU-Richtlinie die
Potenziale eines funktionierenden Binnenmarktes für
Dienstleitungen für die Bundesrepublik und ihren Arbeitsmarkt zu aktivieren. Als Land im Herzen der EU
hätte Deutschland überdurchschnittlich von der neuen
Zu Protokoll gegebene Reden
Richtlinie profitieren können. Die vorliegende Richtlinie
und der daraus resultierende Gesetzentwurf leisten keinen Beitrag für einen fairen Binnenmarkt für Dienstleistungen, der soziale und ökologische Standards schützt
und gleichzeitig Impulse für mehr Beschäftigung setzt.
Die Bundesregierung hat die Potenziale eines Binnenmarkts für Dienstleistungen nicht erkannt, und den Schaden haben die Bürgerinnen und Bürger.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13399, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
16/12784 und 16/13190 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer will dem Gesetzentwurf zustimmen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung der
Koalition. Dagegen hat Die Linke gestimmt, enthalten
haben sich Bündnis 90/Die Grünen und FDP.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Es erhebe sich bitte, wer zustimmen möchte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 38:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz
({1}), Dr. Gerhard Schick, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bildungssparen als ein Baustein zur Förderung lebenslangen Lernens
- Drucksachen 16/9349, 16/13359 Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Patrick Meinhardt
Volker Schneider ({2})
Priska Hinz ({3})
Zu Protokoll genommen sind die Reden von Ernst
Dieter Rossmann, Uwe Barth, Volker Schneider, Priska
Hinz und Andreas Storm.
Die Förderung des lebenslangen Lernens hat uns in
unserem Parlament in der letzten Zeit schon viele Male
beschäftigt. Die zentralen Eckpunkte, die wir von der Sozialdemokratie aus für dieses Grundziel, das Recht auf
Lernen in der gesamten Lebensbiografie nutzen zu können, setzen, sind dabei von uns hinreichend deutlich gemacht worden. Ich will sie hier deshalb nur noch sehr
knapp wiederholen:
Erstens. Bildung ist Menschenrecht und muss deshalb
für alle zugänglich sein. Zugänglichkeit für alle setzt voraus, dass es keine Privatisierung der Bildungskosten
gibt.
Zweitens. Bildung als Menschenrecht muss mit klaren
Rechtsansprüchen verbunden sein. Wir Sozialdemokraten streiten deshalb für Bildungsgesetze, vom BAföG bis
zum Erwachsenenbildungsförderungsgesetz.
Drittens. Bildungsförderung muss die besondere materielle Lage von Menschen mit einbeziehen und ihren Teil
dazu tun, dass finanzielle Unterschiede keine Bildungsbarrieren aufbauen. Entsprechend muss sich die öffentliche Förderung darauf konzentrieren, Zugänglichkeit für
alle zu garantieren.
Viertens. Bildung ist keine marktförmige Ware, sondern braucht öffentliche Infrastruktur. Es muss deshalb
sichergestellt sein, dass über ein Netz öffentlich getragener bzw. mindestens öffentlich anerkannter und zertifizierter Einrichtungen Qualität und Zugänglichkeit für
alle gewährleistet werden kann.
So weit zentrale Eckpunkte und Leitgedanken, entlang
deren die SPD ihre Vorstellungen von Ausbau und Festigung der BAföG-Treppe vom Schüler- bis zum MeisterBAföG hin zum Erwachsenenbildungsförderungsgesetz
ausgestalten will, mit denen die SPD gezielt Fördermöglichkeiten bewertet, Lücken im bisherigen Fördersystem
schließen will und nach denen die SPD auch die Ideen
und Konzepte anderer Fraktionen bewertet.
Mit dem vorgelegten Antrag zum Bildungssparen als
einem Baustein zur Förderung des lebenslangen Lernens
geht die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen deutlich
über das in der Großen Koalition verhandelte, streitig
diskutierte und am Ende als Kompromiss beschlossene
Konzept von Bildungsprämie, Bildungssparen und Bildungskredit hinaus. Ich will an dieser Stelle für die SPD
noch einmal deutlich machen, dass wir insbesondere die
Bildungsprämie, also den Ausgleich für gering verdienende Haushalte gegenüber den Unterstützungen, die
besser verdienende Haushalte bisher aus der steuerlichen
Absetzbarkeit bekamen, ausdrücklich begrüßen und in
der weiteren Perspektive zum Aufbau einer Weiterbildungsförderung für alle als zentral ansehen. Gleichwohl
wissen wir, dass diese Weiterbildungsprämie vom Umfang her ein Fortschritt, aber noch nicht der ganze Himmel ist. Und wir wissen auch, dass für diese Weiterbildungsprämie noch viel stärker in der Öffentlichkeit, bei
interessierten Institutionen wie Betroffenen und zu beteiligenden Menschen geworben werden muss. Für uns als
Sozialdemokraten ist dabei klar, dass das Programmangebot einer solchen Weiterbildungsprämie nicht der Endpunkt, sondern nur der Anfang für die Entwicklung hin zu
einem gesetzlichen Anspruch sein kann. Die Weiterbildungsprämie ist ein erster kleiner Schritt, bevor wir dann
auf mittlere Sicht zu einem umfassenderen Erwachsenenbildungsförderungsgesetz kommen, das auch die bisherige Bildungsförderungsgesetzgebung im Sinne des
BAföG und des Meister-BAföG einschließt.
Was nun den konkreten Vorstoß von Bündnis 90/Die
Grünen angeht, speziell aus dem Gedanken der Bildungsvorsorge heraus ein umfassendes Konzept zum BildungsDr. Ernst Dieter Rossmann
sparen vorzustellen, möchten wir hierzu im Einzelnen
feststellen:
Erstens. Gegenüber klaren Leistungsgesetzen hat das
Bildungssparen den Nachteil, dass es unter Umständen
auch sehr schnell zu einer weiteren Ungleichgewichtigkeit im Zugang zu Bildungs- und speziell auch Weiterbildungsmaßnahmen führen kann. Nicht jeder Mensch hat
die Möglichkeit zu sparen, nicht für jeden Menschen kann
gespart werden, nicht jeder Mensch kann begreifen, dass
er Bildungsvorsorge treffen muss. Das Bildungssparen
kann deshalb allenfalls komplementär sein, aber nicht im
Zentrum der künftigen Weiterbildungsförderung stehen.
Zweitens. Das Bildungssparen muss sich einordnen in
die Prioritätensetzung, die wir bei knappen Mitteln gegenüber anderen Modellen von verbesserter Weiterbildungsförderung festgesetzt haben. Hier kommt das Bildungssparen, zumal wenn hier von den Grünen eine
Gegenfinanzierung in beträchtlicher Höhe über die Abschaffung der Wohnungsbauprämie vorgeschlagen wird,
für die SPD-Fraktion erst an zweiter Stelle. An erster
Stelle stehen die unmittelbaren gesetzlichen Leistungen,
wie sie in den jetzigen Bildungsförderungsgesetzen stehen und wie sie über ein Leistungsgesetz im Sinne einer
Bildungsprämie auszubauen wären.
Drittens. Positiv hervorzuheben ist an dem Ansatz von
Bündnis 90/Die Grünen, dass das Vermögenssparen hier
tatsächlich auch auf Bildungszwecke begrenzt werden
soll. Auch für die SPD ist es sehr wichtig, wenn in einem
Bildungssparkonzept, das sich über die bisherigen Ansätze, die wir in der Großen Koalition vereinbaren konnten, hinausbewegt, der erhöhte öffentliche Zuschuss klar
an die Verwendung für Bildungszwecke gebunden ist.
Viertens. Was nicht passieren darf, ist, dass von Betroffenen aufgebaute Rechtsansprüche gegenüber der Solidargemeinschaft wie zum Beispiel die Rechtsansprüche
aus den Sozialgesetzbüchern II und III, die ja auch im Wesentlichen Bildungsansprüche bei Arbeitslosigkeit oder
drohender Arbeitslosigkeit sind, danach gerichtet werden, ob es eine eigene Bildungsanstrengung vorher gegeben hat oder nicht. Wir haben an dieser Stelle allergrößte
Bedenken gegenüber dieser Konditionierung im Konzept
von Bündnis 90/Die Grünen und können nur nachdrücklich davor warnen, eine solche Kofinanzierung von SGB-IIund -III-Leistungen aus Bildungssparverträgen zur Voraussetzung zu machen. Um es noch einmal ganz deutlich
zu sagen: Für Leistungen der Solidargemeinschaft im
Sinne des SGB III durch die Arbeitslosenversicherung
und im Sinne des SGB II durch die Steuersolidarität darf
es nicht zur Voraussetzung gemacht werden, dass ein Bildungssparvertrag vorliegt und abgeschlossen worden ist.
Genauso wenig wollen wir eine zusätzliche Finanzbeteiligung aus anderen Eigenmitteln in Höhe von 15 Prozent,
denn auch dies würde heißen, dass das bisherige Solidarsystem systematisch durch eine private Pflichtbeteiligung
infrage gestellt würde.
Fünftens. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht in
der Frage, an welcher Stelle der Ausbau der Bildungsberatung zu vollziehen ist, sehr weit, wenn sie diese in Zukunft ausschließlich an die Verbraucherzentralen binden
will. Wir möchten zu bedenken geben, ob es hier nicht tatsächlich eine Mehrgleisigkeit geben sollte, einmal aus
praktischen Gründen der Erreichbarkeit von Bildungsberatung, aus politischen Gründen aufgrund der Pluralität
von Weiterbildung und Weiterbildungsberatung und
schließlich aus Gründen der Systematik. In Zukunft gibt
es sowohl sozialversicherungsgebundene wie auch steuergebundene Weiterbildungsförderung. Es liegt deshalb
nahe, sowohl über die Bundesagentur für Arbeit in Bezug
auf die sozialversicherungsbezogenen Weiterbildungen
wie über ein unabhängiges Netz von steuergeförderten
Weiterbildun gsberatungsstellen die steuergebundene Förderung zu intensivieren. Dass hier eine enge Zusammenarbeit dieser beiden Weiterbildungsförderungsstränge wünschenswert ist, muss an dieser Stelle nicht noch extra
betont werden.
Aus diesen inhaltlichen Punkten können Sie erkennen,
dass die SPD von der Priorität her nicht an erster Stelle
auf das Bildungssparen setzt, von der Gesamtkonzeption
das Bildungssparen aber nicht ausschließt. Außerdem ist
die SPD dagegen, Vorschläge vorschnell anzunehmen,
bei denen es mindestens noch gravierende Fragen im System, aber auch in nicht unwichtigen Details gibt. Die SPD
lehnt deshalb den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab.
Wir müssen uns hier mit einem Restposten aus der Antragskiste der Grünen auseinandersetzen. Erst im April
haben wir uns thematisch mit diesem Fragekomplex befasst und unter anderem auch den FDP-Antrag „Aufbau
von privatem Bildungskapital fördern - Grundlage für
Bildungsinvestitionen schaffen“ - Drucksache 16/10328 behandelt. Leider hat die Koalition - wie im Übrigen
auch die Grünen, damals unserem Antrag die eigentlich
verdiente Zustimmung verweigert.
Nun also zum Antrag. Wie auch die FDP beklagen die
Grünen zu Recht das Regierungskonzept des „Weiterbildungssparens“. Insbesondere die von der Koalition konzipierte Weiterbildungsprämie in Höhe von 154 Euro ist
Murks. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen haben mehrfach darauf hingewiesen, dass Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch Mitnahmeeffekte geschaffen
werden. Gerade weil der Kreis der als „förderbedürftig“
eingestuften Altbewerber nicht eng genug definiert
wurde, kann dieses Instrumentarium nur die Note „unzureichend“ erhalten. Doch die Koalition lässt sich beim
Verbrennen von Steuergeldern auch hier nicht beirren.
Analog zum FDP-Modell des privaten Bildungssparens unterbreiten die Grünen mit einem sogenannten Bildungssparkonto eine Alternative zum Regierungskonzept.
Kernelement ist dabei, dass die staatliche Vermögensbildungs- und Altersvorsorgeförderung, zum Beispiel in
Form der Wohnungsbauprämie, zugunsten einer Förderung eines privaten Bildungssparens umgewidmet wird.
So weit, so gut. Doch dann schrecken die Grünen vor dem
eigenen Mut zurück und bauen in gewohnter Manier
Stoppschilder auf. Das Modell zum Aufbau privaten Bildungskapitals kann nur dann volle Wirksamkeit entfalten
und zur Geltung kommen, wenn es zwar klare Rahmenbedingungen aufzeigt, jedoch nicht gleichzeitig eine ganze
Latte von Bedingungen daran knüpft. Gerade deswegen
Zu Protokoll gegebene Reden
ist es absurd, wenn über eine künstliche, ideologische
Barriere eine Finanzierung von Schulgeld oder Studienbeiträgen ausgeklammert werden soll.
Abgesehen von der geheuchelten Scheu vor einer vermeintlichen „Ökonomisierung der Bildung“ - wir wollen
nicht vergessen, dass die Grünen in Hamburg die Erhebung von Studienbeiträgen maßgeblich unterstützen und
auch außerhalb der Hansestadt gerne das Angebot beitragspflichtiger Privatschulen in Anspruch nehmen - ist
dieser Ansatz nicht praktikabel. Denn zukünftig werden
die Hochschulen aus ganz unterschiedlichen, guten
Gründen vermehrt kostenpflichtige Weiterbildungsangebote unterbreiten. Es stellt sich die Frage, inwiefern nun
zwischen einem vertiefenden Masterstudiengang und einem Weiterbildungsstudiengang sinnvoll unterschieden
werden kann und sollte. Hier werden, allein um das grüne
Gewissen zu beruhigen, absonderliche Bürokratiehürden
aufgebaut. Deswegen können wir diesen Antrag nicht
mittragen.
Zukünftig werden private Investitionen im Bildungssystem kaum wegzudenken sein. In diesem Zusammenhang muss Politik dazu beitragen, dass sich die Bevölkerung dessen bewusst wird und vorbeugende Maßnahmen
trifft, zum Beispiel Mittel für die Hochschulbildung der
Kinder anlegt. Gerade deswegen regt die FDP-Bundestagsfraktion an, den Aufbau von privatem Bildungskapital staatlicherseits zu unterstützen. Es bedarf neben der
Aufklärung über den Wert von Bildungsinvestitionen
staatlicher Anreize, um Bürger dazu zu motivieren, Geld
für sich oder jemand anderen zur Finanzierung späterer
Bildungsinvestitionen anzulegen. Gerade in diesem Zusammenhang sollten analog zur Systematik und Logik der
Förderung privaten Wohneigentums, der privaten Altersvorsorge Maßnahmen zur Stärkung der privaten Vermögensbildung zur Ermöglichung späterer Bildungsinvestitionen getroffen werden.
In diesem Sinne hat die FDP-Bundestagsfraktion die
Bundesregierung dazu aufgefordert, ein Bildungssparkonzept zu erarbeiten, welches folgenden Ansprüchen genügt: Bildungskonten werden eröffnet, um zum Zweck
einer späteren Bildungsinvestition Kapital zu akkumulieren. Es steht jedem Bürger offen, für sich oder eine andere
Person ein solches Konto zu eröffnen. Analog zu dem Modell der Bausparförderung erhält der Bildungssparer einen staatlichen Zuschuss in Form der Bildungssparzulage. Das Bildungssparguthaben kann grundsätzlich für
alle über die schulischen Bildungsgänge hinausreichenden Bildungsinvestitionen, zur Finanzierung der beruflichen Qualifikation, der Hochschulausbildung, von
Weiterbildungsmaßnahmen oder anderen Angeboten der
Erwachsenenbildung herangezogen werden.
Damit können die notwendigen Impulse und die
Grundlage dafür geschaffen werden, dass der private Anteil an den Bildungsinvestitionen im Bereich der Hochschul- und Weiterbildung signifikant gesteigert werden
kann, ohne dass es dabei zu einer Überstrapazierung der
betroffenen Haushalte kommt. Dies ist gerade deshalb
notwendig, weil das unbestrittene Bildungsinvestitionsziel von 7 Prozent des BIP nur durch eine konzertierte
Kraftanstrengung von Bund, Ländern und eben auch Privaten zu erreichen ist. Doch wenn wir die Rahmenbedingungen nicht derart verändern, dass es eine realistische
Chance auf eine „Planerfüllung“ gibt, verkommen diese
Appelle zum leisen Pfeifen im Wald. Mag sein, dass wir
uns dadurch etwas mutiger vorkommen, voran kommen
wir so jedoch nicht. Deswegen muss die Parole lauten:
Beherzt anpacken!
Wir haben in dieser Legislaturperiode schon mehrfach
Anträge und Gesetzesentwürfe zum Thema „lebenslanges
Lernen“ diskutiert. Die Bundesregierung hat das sogenannte Weiterbildungssparen auf den Weg gebracht und,
wenn auch nur unzureichend, das Aufstiegsfortbildungsgesetz, AFBG, erweitert. Beides sind Instrumente, die zeigen, wie engstirnig und kurzfristig diese Koalition das
Thema behandelt. Da ist nichts zu spüren von dem Versprechen Ihres Koalitionsvertrages, die Weiterbildung
massiv auszubauen.
Dies bemängelt auch der vorliegende Antrag vom
Bündnis90/Die Grünen. Da ist die Rede von einem
Erwachsenenbildungsförderungsgesetz oder von der
zwingenden Verantwortung der Unternehmen, mehr für
die betriebliche Weiterbildung zu tun. Das alles sind
Punkte, die unsere Fraktion ebenfalls vorgeschlagen hat
und denen wir zustimmen können.
Allerdings nehmen Sie mit diesem Antrag auch für sich
in Anspruch, ein Modell zum Bildungssparen vorzuschlagen, das besser ist als das der Bundesregierung. Da frage
ich mich doch, ob die Kollegen Abgeordneten der Grünen
ihren eigenen Antrag überhaupt richtig gelesen haben.
Denn einige Aspekte Ihres durchaus detailreichen Bildungssparmodells bleiben selbst hinter dem der Koalition eindeutig zurück. Ein Beispiel ist Ihre geforderte
Bildungssparzulage in Höhe der Bauförderung. Wird ein
aktueller Satz von 8,8 Prozent zugrunde gelegt, bedeutet
das nach Ihrem Modell für einen Bürger, der vier Jahre
jährlich 512 Euro spart, gerade einmal eine Bildungssparzulage von 150 Euro. Da brauche ich keinen Taschenrechner, um zu merken, dass sogar das Modell der
Bundesregierung bei einer jährlichen Förderung von maximal 154 Euro mehr Geld für meine Weiterbildung bedeutet. Dieses Beispiel zeigt, wie unausgegoren Ihr Konzept und damit auch Ihr Anspruch auf ein besseres
Bildungssparmodell ist.
Nun hat dieser Antrag aber eines mit dem Weiterbildungsengagement vor allem der CDU/CSU gemeinsam.
Da wird deutlich, warum Sie in Hamburg so harmonisch
miteinander können. Denn Ihre Lösung für die Finanzierung des lebenslangen Lernens sehen Sie ebenfalls in der
Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger, und
Sie monieren, dass „der Gedanke, dass Sparen für Bildung sich auszahlt, heute noch zu wenig verbreitet“ ist.
Dass sich Weiterbildung für die einen deutlich mehr lohnt
als für die anderen, scheint bei den Grünen als Erkenntnis
noch nicht angekommen zu sein. Dass folgerichtig diejenigen, die von der Weiterbildung tatsächlich profitieren,
sich gerne weiterbilden, während diejenigen, die nur wenig von ihrer Weiterbildung erwarten dürfen, verständliZu Protokoll gegebene Reden
Volker Schneider ({0})
cherweise auch nur eine geringe Motivation zeigen,
scheint Ihnen ebenfalls unbekannt.
An diesen Tatsachen geht der von den Grünen geforderte „Mentalitätswandel“ völlig vorbei. Wir brauchen
keinen Mentalitätswandel, sondern echte Anreize für die,
für die sich Weiterbildung heute nicht oder zu wenig
lohnt. Wenn Sie weiter wollen, dass neben der Altersvorsorge Bildung als ein hochrangiges Sparziel etabliert
wird, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich etwas gründlicher zu informieren. Schon das Forschungsinstitut für
Bildungs- und Sozialökonomie hat 2007 in seinem Gutachten für das BMBF darauf hingewiesen, dass das Sparpotenzial der Haushalte spätestens seit der Riester-Rente
eigentlich bereits ausgereizt ist. Wo Sie hier noch weitere
Möglichkeiten zum Bildungssparen sehen, erschließt sich
mir nicht.
Außerdem widerspricht diese Finanzierungsform sowohl bei der Bildung als auch in der Altersvorsorge
grundweg den Positionen der Linken. Nur wenn wir die
aktuellen Weiterbildungsstrukturen in ihrer Gesamtheit
und ohne zusätzliche Belastungen der Bürgerinnen und
Bürger auf die Ebene eines allgemeinen Erwachsenbildungsförderungsgesetz hin ausrichten, wird der hohlen
Phrase des lebenslangen Lernens endlich etwas Leben
eingehaucht, und zwar so, dass, wie bei Ihrem vorliegenden Antrag, für die Bürgerinnen und Bürger nicht nur
heiße Luft herauskommt. Meine Fraktion wird Ihren Antrag daher mit gutem Gewissen ablehnen.
Lebenslanges Lernen wird immer mehr zur Notwendigkeit in unserer wissensbasierten Gesellschaft. Wir
Grüne wollen mit der Einführung eines ErwachsenenBAföGs die Förderung von Weiterbildungen unabhängig
von Alter oder Berufsgruppe sicherstellen. Zu einer zukunftsgerichteten Weiterbildungspolitik gehört aber
auch, die Eigenverantwortung für Weiterbildung zu stärken. Wir brauchen daher ein umfassendes Konzept, um
privates Weiterbildungssparen zu fördern.
Die von der Bundesregierung beschlossene und am
1. Dezember 2008 in Kraft getretene Weiterbildungsprämie wird diesem Anspruch aber kaum gerecht. Im Gegenteil: Sie hat so viele Mängel, dass es höchst zweifelhaft
ist, ob sie überhaupt wirken wird und die Weiterbildungsbeteiligung tatsächlich erhöht.
So sieht die beschlossene Weiterbildungsprämie zum
Beispiel eine jährliche Maximalförderung von 154 Euro
vor. Nun überlegen Sie sich einmal, welchen Weiterbildungskurs sie für 154 Euro bekommen. Eins ist klar: Eine
umfassende Weiterbildung ist damit kaum finanzierbar.
Mit dieser Regelung bleibt die Anreizwirkung auf wenige
Menschen und kurze Maßnahmen beschränkt.
Hier wird ein grundlegender Konstruktionsfehler offensichtlich: Die Regierung will kein Geld in die Hand
nehmen, um Bildungssparen zu finanzieren. Ein attraktives Sparmodell ist aber nicht umsonst zu haben. Die Regierung macht Weiterbildung nach Kassenlage. Das ist
schädlich und stärkt nicht gerade das Vertrauen in ein
neues Instrument.
Besonders ungünstig ist, dass die Bundesregierung mit
ihrem Modell keinerlei Impuls in Richtung Bildungsvorsorge gibt. Denn das im Rahmen des Vermögensbildungsgesetzes angesparte Geld muss nicht explizit für Bildung
eingesetzt, sondern kann für alles Mögliche verwendet
werden. Mit einer solchen Beliebigkeit kann man keinen
Bewusstseinswandel bei den Menschen erreichen. Ein
weiterer Konstruktionsfehler: Von der Entnahmeregelung
über das Vermögensbildungsgesetz profitieren nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, andere gehen leer
aus.
Was wir stattdessen brauchen, ist ein Bildungssparprojekt, das nicht nur auf eine Weiterbildungsprämie in
Höhe von 154 Euro setzt, sondern Bildungssparkonten
für alle Menschen möglich macht. Darauf haben Sie von
der Großen Koalition mit Ihrem Weiterbildungssparmodell überhaupt nicht geachtet.
Wir Grüne haben einen eigenen Vorschlag für das Bildungssparen. Wir wollen, dass jede und jeder ab 16 Jahren ein Bildungssparkonto eröffnen kann - auch für eine
andere Person, zum Beispiel Kinder oder Enkel. Bei regelmäßigen Einzahlungen gibt es eine staatliche Bildungssparzulage, die mindestens so hoch ist wie die Bausparförderung. Entnahmen sind für zertifizierte
Bildungsangebote möglich. Von unserem Vorschlag profitieren insbesondere Geringverdiener, weil für sie eine
höhere Sparzulage vorgesehen ist, nämlich 100 Prozent
bei einer Mindesteinlage von fünf Euro im Monat. Im Gegensatz zur Regierung haben wir auch eine verlässliche
finanzielle Grundlage eingeplant: Aus unserer Sicht
sollte für das Bildungssparen die Wohnungsbauprämie
abgeschafft werden.
Außerdem fordern wir, dass bei Riester-Verträgen
nicht nur eine vorübergehende Entnahme von Geld für
Wohneigentum zulässig ist, sondern auch für Bildung.
Damit Bildungssparen ein Erfolg wird, muss es öffentlichkeitswirksam beworben werden. Außerdem brauchen
wir eine bessere Bildungsberatung und weitere Anstrengungen bei der Zertifizierung von Bildungsangeboten.
Bildungssparen kann dabei immer nur ein Baustein einer zukunftsgerichteten Weiterbildungspolitik sein. Noch
wichtiger wäre es, endlich ein echtes Erwachsenenbildungsförderungsgesetz zu schaffen, das über das bestehende Meister-BAföG weit hinausgeht. Das ist der entscheidende Hebel, um Weiterbildung zu fördern. Doch
hierzu kann sich die Regierung nicht durchringen. Besonders in der Krise ist das fatal; denn hervorragend qualifizierte Fachkräfte sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für Beschäftigungssicherheit und nachhaltiges
Wirtschaftswachstum.
Mit dem Ziel „Aufstieg durch Bildung“ hat die Bundesregierung Anfang letzten Jahres ihre Qualifizierungsinitiative gestartet. Über sieben Schwerpunktsetzungen
wollen wir das Lernen im gesamten Lebenslauf und über
Zu Protokoll gegebene Reden
Parl. Staatssekretär Andreas Storm:
alle Lebensbereiche verbessern. Diese Perspektive des
Aufstiegs wird durch die derzeitige Krise nicht aufgehoben im Gegenteil: „Krisenzeiten sind Bildungszeiten“ heißt
es, denn eine nachhaltige Erholung kann es für jede und
jeden einzelnen wie auch für die ganze Gesellschaft nur
geben, wenn wir unsere Stärken weiter ausbauen, wenn
wir das wichtigste Kapital und unseren einzigen nachwachsenden Rohstoff weiter pflegen und entwickeln - die
Qualifikationen der Menschen in unserem Land.
Es passt deswegen besonders gut, dass wir im
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, besser bekannt
als „Meister-BAföG“, ab dem nächsten Monat deutliche
Verbesserungen in Kraft setzen: Großzügigere Förderungen, höhere Erlasse im Erfolgsfall, besondere Förderung
von Eltern durch den Kinderbetreuungszuschlag, Honorierung von Existenzgründungen und anderes mehr werden
die klassische Aufstiegsfortbildung noch attraktiver machen. Insgesamt steigt der im Bundeshaushalt dafür
bereitgestellte Mitteleinsatz in den nächsten Jahren um
rund 60 Prozent.
Darüber hinaus haben wir mit dem Aufstiegsstipendium
ein neuartiges Instrument etabliert, das für beruflich
Qualifizierte einen zusätzlichen Anreiz zur Aufnahme eines
Hochschulstudiums setzt. Bereits ein Jahr nach dem Start
des neuen Programms werden rund 1 500 Stipendiaten
von dieser Förderung profitieren. Das ist ein beachtlicher
Erfolg, der Aufstiegsmöglichkeiten über die Bildungsbereiche hinweg erleichtert.
Aber auch unterhalb und neben dem beruflichen Aufstieg, dem Erreichen einer weiteren Karrierestufe, ist das
Lernen im Lebenslauf von zunehmender Bedeutung. Für
alle Erwerbstätigen ist die kontinuierliche Fortbildung
eine entscheidende Voraussetzung für ein erfolgreiches
Berufsleben.
Mit der Bildungsprämie unterstützt die Bundesregierung
in mehrfacher Weise die Erwerbstätigen in dem Bemühen,
ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten und zu verbessern:
Seit Dezember 2008 können Erwerbstätige mit einem
Prämiengutschein einmal jährlich die Gebühren für
Kurse oder Prüfungen bis zu einer Höhe von 154 Euro
hälftig finanzieren. Dieser Anreiz zielt bewusst auf Erwerbstätige mit niedrigem bis mittlerem Einkommen, weil vor
allem in diesen Gruppen noch hohes Mobilisierungspotenzial zu erwarten ist. Von dieser Unterstützung können rund
17 Millionen Erwerbstätige profitieren.
Seit Beginn dieses Jahres ist im Vermögensbildungsgesetz das sogenannte Bildungssparen verankert, das heißt
Ansparguthaben, das bereits mit der Arbeitnehmersparzulage gefördert wurde, darf auch vor Ende der Sperrfrist
für individuelle berufliche Weiterbildung verwendet werden, ohne dass damit der Anspruch auf die Zulage verloren geht. Die bildungsökonomische Bedeutung dieser
Neuerung liegt auf der Hand: Wir wünschen uns einerseits mehr private Investitionen, wir verhelfen andererseits den Menschen gleichzeitig auch zur notwendigen
Liquidität. Darüber hinaus aber bedeutet das „Bildungssparen“, dass wir erstmals die Weiterbildung als Zweck
für die Verwendung von staatlich gefördertem Ansparguthaben eingeführt haben.
Als Grundlage für den gerade beginnenden Vertrieb
dieser beiden Finanzierungskomponenten haben wir den
Aufbau eines Netzwerkes von Beratungsstellen vorangetrieben, in denen sich Bildungsinteressierte neben dem
Prämiengutschein und dem Spargutschein auch Rat und
Unterstützung für die richtige Bildungsentscheidung holen
können. Wir haben schon im Mai 2009 über 300 aktive
Beratungsstellen bundesweit einrichten können. Weitere
rund 100 Stellen sind bereits für die Prämienberatung
ausgewählt und werden nach der notwendigen Schulung
und Einführung der Datenschutzvorkehrungen zur Verfügung stehen. Das heißt, wir haben spätestens im August
ein Netzwerk von deutlich über 400 Beratungsstellen. Die
strukturbildende Bedeutung dieser Entwicklung liegt
gerade darin, dass wir kein neues Netz aufbauen, dessen
Nachhaltigkeit nach Auslaufen der öffentlichen Förderung
gefährdet wäre. Vielmehr setzen wir auf bestehende
Strukturen auf, zumal es mit Blick auf die Angebots- und
Trägervielfalt wichtig ist, dass die Bildungsberatung vor
Ort von ganz verschiedenen Stellen wahrgenommen wird.
Das sind an vielen Orten Volkshochschulen und Kammern - die übrigens auch öffentlich finanziert werden;
das sind aber auch ganz andere Stellen wie Weiterbildungsverbünde, kommunale Stellen oder weitere Anbieter.
In dieser vielgestaltigen Landschaft suchen wir in enger
Absprache mit den Ländern die geeigneten Stellen heraus,
geben ihnen mit der Prämienberatung eine zusätzliche
Finanzierungsquelle und einen gemeinsamen fachlichen
Bezugspunkt. Besonders sinnfällig wird dieses Vorgehen,
wenn - wie in einigen Ländern schon zu sehen - unser
Auftrag mit anderen Beratungsaufträgen im Zusammenhang mit nachfrageorientierter Bildungsfinanzierung zusammengelegt wird, etwa zu Qualifizierungsmaßnahmen
während des Bezuges von Kurzarbeitergeld.
Gerade im Zusammenwirken der drei Bausteine hilft
dieses Angebotspaket der Bildungsprämie den Erwerbstätigen: Durch den Anreiz der Prämiengutscheine aktivieren
wir die große Zahl derjenigen, die der Weiterbildung
grundsätzlich positiv gegenüberstehen, aber bislang
noch nicht oder nicht oft genug den Schritt zur Umsetzung
getan haben. Mit dem Bildungssparen verhelfen wir dem
Einzelnen zur notwendigen Liquidität, indem wir millionenfach vorhandene Ansparguthaben für Bildungszwecke erschließen. Mit der Prämienberatung unterstützen wir die
Nutzerinnen und Nutzer dabei, ihre Eigenverantwortung
sachgerecht wahrnehmen zu können.
Selbstverständlich muss auch die Angebotsseite der
Bildung weiterentwickelt werden. Aber auch dafür ist es
aus unserer Sicht erforderlich, dass die Schlüsselakteure
unterstützt werden. Für den Auf- und Ausbau einer wirksamen Bildungsinfrastruktur kommt den Kommunen eine
zentrale Bedeutung zu. Viele Kreise und Städte haben
erkannt: Bildung ist ein entscheidender Standortfaktor. In
dem Programm „Lernen vor Ort“ fördern wir deshalb
mit insgesamt 60 Millionen Euro aus Mitteln des Bundes
und des Europäischen Sozialfonds Projekte, in denen
aufeinander abgestimmte Bildungsangebote das lebensbegleitende „Lernen vor Ort“ weiterentwickeln - zum
praktischen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger und
zur Stärkung der kommunalen Bildungsinfrastruktur.
Zu Protokoll gegebene Reden
Parl. Staatssekretär Andreas Storm:
Und auch hier holen wir ergänzenden Sachverstand
mit ein: Ein derzeit aus 29 Stiftungen bestehender und
eigens gegründeter Stiftungsverbund, dem weitere etwa
80 Stiftungen assoziiert sind, unterstützt die Kommunen
durch Zusammenarbeit und Patenschaften. Die Stiftungen
stellen ihre Kenntnisse und Erfahrungen aus erfolgreichen
Modellprojekten zur Verfügung, aktivieren das bürgerschaftliche Engagement und stärken die öffentlich-private
Kooperation vor Ort.
Wie sinnvoll dieses Förderangebot ist, zeigt die große
Resonanz auf den Wettbewerb: Es haben sich insgesamt
150 Standorte aus allen Teilen unseres Landes mit bemerkenswerten Ideenskizzen an der Ausschreibung beteiligt.
Dies entspricht einem guten Drittel aller bundesdeutschen
Kreise und kreisfreien Städte. Ich freue mich, dass wir am
17. Juni 2009 den besten 40 Kommunen ihre Urkunden
überreichen konnten. Ab September 2009 werden sie zunächst für eine Laufzeit von drei Jahren ihre Projekte
starten. Besonders erfolgreiche und transferfähige Vorhaben sollen anschließend für zwei weitere Jahre verlängert
werden.
Diese zwei Beispiele machen deutlich, dass die Förderung von Weiterbildung die Akteure und ihre Interessen
berücksichtigen muss, wenn sie effektiv sein will. Deswegen
können wir auch dem vorliegenden Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen nicht folgen.
Mit der Einführung der Bildungsprämie und des „Bildungssparens“ im Vermögensbildungsgesetz, mit einer
weitreichenden Verbesserung und Aufstockung des MeisterBAföG, mit der erfolgreichen Etablierung der Aufstiegsstipendien und nicht zuletzt mit einer massiven Förderung
der Bildungsinfrastruktur durch die Konjunkturprogramme
hat die Bundesregierung gezeigt: Wir meinen es ernst mit
dem Aufstieg durch Bildung. Wir eröffnen neue Chancen
und investieren gezielt in die Grundlage für Wachstum
und Wohlstand in unserem Land, in Bildung und Qualifizierung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13359, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/9349 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben alle Fraktionen bis auf die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die dagegen gestimmt hat.
Tagesordnungspunkt 45:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die Akkreditierungsstelle ({0})
- Drucksache 16/12983 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Akkreditierungsstelle ({1})
- Drucksachen 16/13126, 16/13404 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- Drucksache 16/13406 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Zu Protokoll sind die Reden von Georg Nüßlein,
Andrea Wicklein, Elvira Drobinski-Weiß, Paul Friedhoff,
Herbert Schui und Wolfgang Strengmann-Kuhn genommen worden.
Bereits in meiner ersten Rede zum Akkreditierungsstellengesetz habe ich auf die sehr zerklüftete Interessenlage
bei dieser Thematik verwiesen. Umso mehr freut es mich,
dass wir heute - nach intensiven Verhandlungen und ausgiebigen Diskussionen - dieses Gesetz zu einem guten
Ende bringen.
Die EU fordert von uns eine Anpassung der Organisation der deutschen Akkreditierung an die europäischen
Rahmenbedingungen. Der Stichtag für eine nationale Regelung ist der 1. Januar 2010. Kern der europäischen
Forderungen ist ein einheitlicher Ansprechpartner, aber
auch eine einheitliche Aufsicht über die bestehenden
Prüflabore.
Mit dieser Forderung rüttelt die EU in Deutschland an
seit Jahrzehnten gewachsenen Zuständigkeiten und Kompetenzen. Diese Kritik an der EU kann ich mir nicht
verkneifen. Hierzulande führen circa 4 000 Zertifizierungsstellen und Laboratorien - darunter der TÜV verschiedenste Prüfungen von Produkten und Dienstleistungen durch. Ihre Befähigung hierzu weisen sie in Akkreditierungsverfahren nach. Die Zuständigkeit für diese
Akkreditierungen ist bisher auf über 20 verschiedene Einrichtungen verteilt. Neben Stellen des Bundes und der
Länder sind auch private Akkreditierungsstellen vertreten. Entsprechend bunt ist der Forderungskatalog an eine
Neuorganisation unter den EU-Vorgaben gewesen:
Die EU möchte künftig nur einen einzigen nationalen
Ansprechpartner. Gleichzeitig bestehen die privaten Akkreditierungsstellen zu Recht auf Berücksichtigung ihrer
Interessen. Verschiedene Ministerien plädierten - besonders im Bereich sensibler Produkte und Verfahren - dafür,
eine Behörde zu schaffen, schließlich sei Akkreditierung
eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Im Zuge der Verhandlungen sahen die Länder ihre Kompetenzen schwinden und beanspruchten die Akkreditierung in Eigenregie,
also mit Landesbehörden.
Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurf sind wir auf viele der Bedenken und Zweifel
eingegangen. Wir legen die nötigen organisationsrechtlichen Grundlagen für den von der EU geforderten einheitlichen Ansprechpartner. Geplant ist jetzt die Errichtung
einer nationalen Akkreditierungsstelle in Form einer Ge25270
sellschaft mit beschränkter Haftung, an der Bund, Länder
und Privatwirtschaft jeweils zu einem Drittel beteiligt
werden. Der Entwurf enthält genaue Regelungen für die
Beleihung einer juristischen Person des Privatrechts mit
den Aufgaben der nationalen Akkreditierungsstelle.
Besonders beschäftigt hat uns in den letzten Wochen
der Protest aus den Reihen der Gesundheitspolitiker und
Verbraucherschützer gegen eine solche Regelung. Anregungen, die sensiblen Bereiche wie zum Beispiel Medizinprodukte mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln,
haben wir gerne aufgenommen.
Die zentrale Forderung war, dass nicht nur die abschließende Befugniserteilung, sondern auch die Begutachtung - als faktische Überprüfung der Kompetenz der
zu akkreditierenden Stellen - in den Händen der bisher
akkreditierenden, für diesen sensiblen Bereich kompetenten Behörden bleibt. Laut Auskunft unserer Gesundheitsund Verbraucherschutzpolitiker reichten die allgemeine
Basiskompetenz und auch ein Anhörungsrecht für die
sensiblen Bereiche nicht aus. Gerne sind wir auf diese Bedenken eingegangen, mussten aber lange ringen, bis wir
zu einer Formulierung fanden, die unser Konstrukt der
verfassungsrechtlich problematischen Organisationsform der Mischverwaltung nicht zu ähnlich machte.
So haben wir im Änderungsantrag eine Sonderregel
eingeführt, nach der die Akkreditierungsstelle im Einvernehmen mit den Behörden, die bereits heute diese Begutachtung durchführen, die Akkreditierung vollziehen
muss. Die bestehende Begutachtungskompetenz geht also
nicht verloren.
Zusätzlich wird ein Akkreditierungsausschuss gebildet. Bei der Besetzung dieses Ausschusses muss sichergestellt werden, dass zwei Drittel der Mitglieder aus sachund fachkundigen Personen, die Angehörige der die Befugnis erteilenden Behörden sind, berufen werden. Die
Akkreditierungsentscheidung bleibt also unabhängig von
kommerziellen Interessen und materiell in staatlicher
Hand.
Mit diesem nun gefundenen Kompromiss nutzen wir
bei der Begutachtung und Überwachung der hochsensiblen Bereiche die über Jahre gesammelte Kompetenz von
Behörden, gleichzeitig verbleibt aber die Verantwortung
bei der Akkreditierungsstelle. Somit ist auch weiterhin
der europäischen Forderung nach einem einheitlichen
Ansprechpartner Genüge getan.
Auch den Forderungen der Länder sind wir, so weit es
eben ging, nachgekommen: Am gesetzlich geregelten Bereich der Akkreditierung sind Bund und Länder gleichberechtigt zu je einem Drittel beteiligt. Dieser Struktur trägt
die Beleihung einer gemeinschaftlich getragenen Einrichtung Rechnung. Wegen der Betroffenheit der Länder
bedarf die Rechtsverordnung, mit der eine Beleihung vorgenommen wird, der Zustimmung des Bundesrates.
Um letzte Zweifel nach der Umsetzung des Gesetzentwurfs beseitigen zu können, haben wir die Bundesregierung gebeten, für Mitte 2010 einen Bericht zur Praxis der
Akkreditierungsstelle anzufertigen. Gegebenenfalls kann
der Gesetzgeber hier dann auch kurzfristig reagieren.
Lassen Sie mich nach all der Kritik, die wir in unseren
Verhandlungen aus dem Weg räumen mussten, noch auf
ein Schmankerl unseres Akkreditierungsstellengesetzes
eingehen: Wir leisten einen nicht unerheblichen Beitrag
zum Bürokratieabbau, denn in Zukunft werden Doppelakkreditierungen entfallen, die bisher an der Tagesordnung waren. Deutsche Konformitätsbewertungsstellen
waren häufig bei mehreren Akkreditierungsstellen zugelassen. Wir rechnen hier mit einer Reduzierung der Bürokratiekosten in Höhe von circa 280 000 Euro jährlich.
Nach langer Diskussion setzen wir heute die europäische Verordnung über die Anforderung an Akkreditierung
und Marktüberwachung bei der Vermarktung von Produkten um. Wir werden zum 1. Januar 2009 über eine nationale Akkreditierungsstelle verfügen. Das bereits
drohende Szenario, dass die hier bei uns ansässigen Konformitätsbewertungsstellen in Zukunft um eine Akkreditierung im Ausland ersuchen müssten, konnten wir mit
dieser Einigung gerade noch abwenden. Dies wäre einer
Blamage für die Exportnation Deutschland gleichgekommen.
Herzlichen Dank an alle Beteiligten für Beharrlichkeit, wo diese geboten war, aber auch für die Diskussionsund Kompromissbereitschaft, die auch angesichts des
Zeitdrucks und des drohenden Scheiterns unseres Gesetzentwurfs wegen der Zerstrittenheit nicht immer selbstverständlich war.
In sozusagen letzter Minute schließen wir heute das
Akkreditierungsstellengesetz ab. Das hört sich erst einmal technisch an, ist aber ziemlich wichtig. Vereinfacht
gesagt geht es um die „Kontrolle der Kontrolle“.
Akkreditierung ist die Bestätigung, dass ein Labor,
eine Zertifizierungsstelle oder eine Prüfstelle die hinreichende Fachkunde, Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit
besitzt, um bewerten zu können, ob ein konkretes Produkt
sicher ist oder eine Dienstleistung den gesetzlichen Vorgaben und technischen Normen entspricht. In vielen Bereichen ist eine solche Konformitätsbewertung durch
Zertifizierungsstellen Voraussetzung dafür, ein Produkt
oder eine Dienstleistung überhaupt am Markt anbieten zu
können.
Für uns Sozialdemokraten ist die „Kontrolle der Kontrolle“ eine ureigene Staatsaufgabe. Gerade in den sensiblen Bereichen Gesundheits- und Verbraucherschutz
muss der Staat seinen Schutzpflichten effektiv nachkommen können. Wenn Gammelfleisch auf den Markt kommt
oder Blutkonserven verseucht sind, rufen die Bürgerinnen und Bürger zu Recht nach der Politik. Hier muss es
jemanden geben, der die Verantwortung trägt und politisch dafür geradesteht.
Dass Akkreditierung eine hoheitliche Aufgabe ist,
wurde deshalb auch in der EU-Verordnung über die Anforderungen an die Akkreditierung festgelegt, auch wenn
der Bundeswirtschaftsminister das ganz am Anfang so
gar nicht wollte. In den Verhandlungen über die EU-Verordnung wurde auch die Frage diskutiert, ob es eigentlich
eine einzige Stelle sein muss, die die Akkreditierungen
Zu Protokoll gegebene Reden
vornimmt, oder ob es ein System von Akkreditierungsstellen geben kann, also ein System von kompetenten Behörden, die jeweils unter der Aufsicht der Fachministerien
tätig werden. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft ist
es wohl nicht gelungen, diesen für unser föderales deutsches System wichtigen Punkt gegenüber der Kommission verständlich zu machen. Ein Schelm, wer dabei
denkt, es hätte im Interesse des federführenden Wirtschaftsministeriums gelegen, alles in einer zentralen
Stelle beim Wirtschaftsministerium zu bündeln. Auch ein
Schelm, wer denkt, dass die deutsche Industrie auf verschiedenen Kanälen und über Personen innerhalb der
Kommission dafür gesorgt haben könnte, dass ein Akkreditierungssystem nach der EU-Verordnung nicht möglich
ist.
Jedenfalls mussten dann gesetzliche Durchführungsbestimmungen für die EU-Verordnung erlassen werden.
In den ersten Gesetzentwürfen des Bundeswirtschaftsministers wurde vorgeschlagen, die Akkreditierungsstelle
als „wirtschaftsgetragene Stelle“ auszugestalten. Passenderweise stellte ein Vertreter des Bundesverbandes
der Deutschen Industrie am 20. August 2008 im BMWi
das „Konzept für eine wirtschaftsgetragene Stelle“ vor.
Ein Schelm, wer dabei denkt, der BDI hätte gleich den
ersten Gesetzentwurf mit ausgearbeitet.
Eine wirtschaftsgetragene Stelle nach Vorstellungen
des BMWi und ohne Einwirkungsmöglichkeiten des Staates beschließen wir heute zum Glück nicht.
Die ursprünglichen Vorschläge des BMWi waren von
einer Liberalisierungsideologie geprägt. Eine Behördenlösung, wie sie der Bundesrat ausweislich der Randnummer 21 seiner Stellungnahme vorgeschlagen hat, hätten
wir zwar besser gefunden. Ein Schelm, wer dabei denkt,
dass das Wirtschaftsministerium das wirklich ernsthaft
geprüft hat.
Aber wir sind ja zum Glück nicht dogmatisch, weshalb
grundsätzlich natürlich auch die Beleihung einer GmbH
denkbar ist. Gewährleistet aber muss sein, dass die öffentliche Hand genug Einwirkungsmöglichkeiten besitzt,
damit die staatliche Letztverantwortung gewahrt bleibt.
Wir als Verbraucherpolitikerinnen und -politiker der SPD
können heute zustimmen, weil es uns gelungen ist, genügend Sicherungsseile einzuziehen. Nennen will ich nur,
dass die öffentliche Hand zwei Drittel der Gesellschafter
der GmbH stellt und Stellen nur dann akkreditiert werden
können, wenn ein Einvernehmen zwischen der Akkreditierungsstelle und den kompetenten Behörden hergestellt
wird. Auch ist gewährleistet, dass die Akkreditierung weiter unter der Fachaufsicht der zuständigen Fachministerien erfolgt. Zudem ist es in den Bereichen Gesundheit
und Verbraucherschutz weiterhin möglich, dass die Überwachung und Begutachtung der Zertifizierungsstellen in
einheitlicher staatlicher Hand bleibt. Denn im Rahmen
der Überwachung ergeben sich wichtige Hinweise für Begutachtung bzw. Anerkennung. Das vorhandene Fachwissen in den Fachbehörden darf nicht verloren gehen,
was aber bei einem Wegfall der Erfahrung aus der Überwachungstätigkeit der Fall wäre.
Viel hängt jetzt natürlich davon ab, wie die GmbH konkret ausgestaltet wird, wer die öffentliche Hand in der
Gesellschafterversammlung vertritt und wie die Entscheidungsstrukturen innerhalb der GmbH aussehen.
Wichtig dabei ist, dass auch Verbraucherschutz- und Gesundheitsministerien angemessen vertreten sind. Das
Bundeswirtschaftsministerium konnte uns ja noch keine
Entwürfe für die Satzung der GmbH, die Beleihungsverordnung und den Beleihungsvertrag vorlegen. Und das
ein halbes Jahr, bevor die GmbH ihre Arbeit aufnehmen
soll!
Herr von Guttenberg, ich hoffe, Sie kümmern sich um
Ihren Laden. Mit dem Gesetzgebungsverfahren haben Sie
sich jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. Der Regierungsentwurf kam zu spät, weshalb ein ordentliches Verfahren und eine gründliche Prüfung durch die Länder
nicht mehr gewährleistet waren. Das war fast unverschämt! Eine Gegenäußerung der Bundesregierung konnte
dann in unsere Beratungen auch nicht mehr einfließen.
Aber bitte seien Sie sich sicher: Wir werden die Arbeit
der Bundesregierung bei der Ausarbeitung der Satzung
der GmbH, der Beleihungsverordnung und des Beleihungsvertrages genau beobachten und uns hierüber im
Verbraucherausschuss auch berichten lassen. Wir sind
gespannt, wie sich die Kosten zur Errichtung der GmbH
entwickeln - man hört, Sie haben schon eine Unternehmensberatung hierfür beauftragt; kann das Ministerium
das nicht selber? -, und werden die weiteren Entwicklungen wie immer konstruktiv begleiten. Denn wir sind keine
Liberalisierungsdogmatiker, sondern haben das Wohl unserer Verbraucherinnen und Verbraucher und der Menschen in unserem Land im Auge.
Das deutsche Akkreditierungswesen steht vor einer
grundsätzlichen Veränderung. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz werden wir eine zentrale deutsche
Akkreditierungsstelle schaffen, die für alle Akkreditierungsverfahren zuständig ist. Die Überprüfung der Qualität von Konformitätsbewertungen der meisten deutschen Produkte gibt es zukünftig aus einer Hand. Wir
setzen damit die Vorgabe der Europäischen Union um,
das Akkreditierungswesen als hoheitliche Aufgabe zu definieren.
Auch in der Zukunft werden aber Bund, Länder und Institutionen der Wirtschaft gemeinsam das Akkreditierungswesen in Deutschland tragen. Sie sind an der zu bildenden und von der Bundesregierung zu beleihenden
Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu je einem Drittel
vertreten und können ihre Erfahrungen und ihr qualifiziertes Personal in das Unternehmen mit einbringen.
Wir haben bereits bei der Einbringung des Gesetzes
deutlich gemacht, dass dem hohen Akkreditierungsstandard - auch in sensiblen Bereichen wie dem Gesundheitssektor und dem Verbraucherschutz - Rechnung getragen
werden muss und dass auch in Zukunft die zentrale Akkreditierungsstelle objektiv und unabhängig bewerten und
beurteilen können muss.
In den Verhandlungen um das Gesetz ist vor allem
deutlich geworden, dass den sensiblen Bereichen - an denen der Staat, aber auch alle Bürgerinnen und Bürger ein
Zu Protokoll gegebene Reden
besonderes Interesse haben - besondere Aufmerksamkeit
geschenkt werden muss. Ich denke, wir haben eine Lösung gefunden, die sowohl den europarechtlichen Bestimmungen entspricht als auch den Akkreditierungen im Gesundheitsbereich, im Verbraucherschutz und in der
Lebensmittelsicherheit, die aber auch der Sicherheitstechnik besondere Bedeutung beimisst.
Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen
haben wir sichergestellt, dass in den sensiblen Bereichen
diejenigen Behörden des Bundes und der Länder beim
Akkreditierungsverfahren Einfluss haben, die bereits
heute fachlich mit diesen Bereichen befasst sind. Die
Fachkompetenz dieser Behörden wird also erhalten und
weiter genutzt. Dies geschieht durch eine Akkreditierungsentscheidung im Einvernehmen mit den Behörden
und über den vorgeschlagenen Akkreditierungsausschuss, in dem Fachexperten aus den Behörden zu zwei
Dritteln vertreten sind.
Wir schaffen mit der nationalen Akkreditierungsstelle
eine wirtschaftsnahe und doch staatsdominierte Stelle,
die durch die Bundesministerien zu beaufsichtigen ist.
Wir gehen als SPD-Bundestagsfraktion davon aus, dass
Gesellschaftsvertrag und Beleihungsvertrag so ausgestaltet werden, dass den Interessen der Allgemeinheit am
hohen Qualitätsniveau deutscher Produkte und der hohen
Kontrolldichte für sensible Produkte - so zum Beispiel
aus dem Gesundheitssektor - Rechnung getragen wird.
Ein Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des
Gesetzes würden wir uns im nächsten Jahr wünschen.
Die Zeit drängt. Bis zum 1. Januar 2010 muss die deutsche nationale Akkreditierungsstelle errichtet sein. Ansonsten müssten sich deutsche Konformitätsbewertungsstellen im Ausland akkreditieren. Das will wohl niemand.
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den vorliegenden
Entwurf der Koalitionsfraktionen zu einem Akkreditierungsstellengesetz ab. Lassen Sie mich kurz die Gründe
benennen, die für uns gegen eine Umsetzung der entsprechenden EU-Verordnung in dieser Form sprechen.
Die Koalitionsfraktionen haben ohne Not einen zentralistischen, wettbewerbsfernen Ansatz verfolgt. Statt
das bewährte dezentrale System in ein Holdingmodell mit
einer Dachgesellschaft zu überführen, wird ein kostenträchtiges Einheitsmodell mit staatlicher Dominanz geschaffen.
Allein zugutezuhalten ist den pragmatischen Kräften
in der Koalition, dass sich das Bundesgesundheitsministerium nicht durchsetzen konnte. Dieses hatte gar eine
neue Behörde gefordert, die noch teurer geworden wäre
als die nun geplante beliehene Einheitsstelle. Mit einer
von der SPD und anderen linken Fraktionen favorisierten
Behörde hätte zudem kaum das privatwirtschaftliche
Know-how erhalten werden können, das in der deutschen
Akkreditierungssparte vorhanden ist.
Vorzuwerfen ist der Bundesregierung nach wie vor,
dass sie es auf der Ebene der Europäischen Union versäumt hat, eine staatsdominierte Einheitslösung zu verhindern. Nun ist es leider zu spät, um die Vorgabe der Verordnung, „ein Mitgliedstaat, eine Akkreditierungsstelle“,
zu verwerfen.
Auch ist unverständlich, warum die Bundesregierung
nach Erlass der EU-Verordnung im vergangenen Sommer
erst Ende April dieses Jahres die Umsetzung beschlossen
hat. Die Bundesregierung hat damit bis zum letztmöglichen Termin gewartet, obwohl Tausende Unternehmen
vom Thema der Akkreditierung betroffen und auf Rechtssicherheit angewiesen sind. Schon seit langem fordert die
Wirtschaft mit Recht, die bestehende Unsicherheit auf
dem Gebiet des deutschen Akkreditierungswesens zu beenden.
Schon in der ersten Lesung im Mai hat meine Fraktion
hier kritisiert, dass die dringende Vorgabe des Bürokratieabbaus und der Kostenentlastung im Gesetzentwurf
nicht genügend befolgt wird. Wie bereits mit anderen Gesetzen bürdet die Bundesregierung den Unternehmen
wieder neue Belastungen auf: Die Bundesregierung
selbst geht davon aus, dass der Wirtschaft Kosten in Höhe
von 2,36 Millionen Euro entstehen werden - für eine zentralistische, staatsdominierte Institution, die eigentlich
bereits auf europäischer Ebene durch die Bundesregierung hätte verhindert oder zumindest effektiver ausgestaltet werden müssen.
Die FDP-Fraktion lehnt generell die Schaffung weiterer zentralistischer Institutionen ab, besonders dann,
wenn Unternehmen und der Verbraucher noch zusätzlich
belastet werden. Deshalb bewerten wir diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung als falsch, und wir lehnen ihn
ab.
Bei der Errichtung einer nationalen Akkredtitierungsstelle geht es scheinbar nur um die Umsetzung einer EGVerordnung. Doch auch solche Umsetzungen lassen der
nationalen Politik Spielraum. Die Bundesregierung nutzt
diesen Spielraum, um privatrechtlichen Lösungen einmal
mehr den Vorzug vor öffentlichen Lösungen zu geben.
Statt einer öffentlichen Akkreditierungsstelle wird nun
eine privatrechtlich organisierte errichtet. Es stellt sich
die Frage, warum eine im Gesetz selbst so bezeichnete
hoheitliche Aufgabe von einer privatrechtlichen Institution übernommen werden sollte. Schließlich müssen
- auch das steht im Gesetz und in der dazugehörigen EUVerordnung - Unparteilichkeit und Objektivität bei der
Arbeit der Akkreditierungsstelle gewahrt sein.
Die Akkreditierungsstelle soll die Kompetenz der Konformitätsbewertungsstellen bestätigen, die ihrerseits prüfen, ob Produkte oder Dienstleistungen den gesetzlichen
Anforderungen entsprechen und Kalibrierungen, Zertifizierungen und Inspektionen durchführen. Warum ist die
Wirtschaft zu einem Drittel an einer Institution beteiligt,
die den Prüfstellen von Produkten eben diese Kompetenz
bescheinigt? Ist es nicht vorstellbar, dass Konformitätsbewertungsstellen nach zu vielen ablehnenden Prüfungen
die erneute Akkreditierung auf Druck der Wirtschaft verweigert werden könnte? Es besteht der Verdacht, dass
hier Prüfstellen ausgemustert werden sollen. Zwar liegt
die Rechtsaufsicht noch beim Wirtschaftsministerium;
warum dann aber nicht gleich eine öffentliche InstituZu Protokoll gegebene Reden
tion? Das einzige in der Gesetzesbegründung genannte
Gegenargument - Probleme im Personalübergang - jedenfalls ist offenbar vorgeschoben. Die Vermutung liegt
nahe, dass eine privatrechtliche Lösung bevorzugt wurde,
um der Wirtschaft einmal mehr Einfluss zu garantieren,
und dafür die üblichen ideologischen Gründe vorgeschoben wurden.
Es geht um mehr Einfluss der Privatwirtschaft. Wenn
der besondere Zweck der Akkreditierungsstelle in der
Stärkung der deutschen Exportwirtschaft besteht, da
ohne nationale Akkreditierungsstelle, so der Text, „ein
wichtiges Instrument zur Sicherung der Marktstellung
und damit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft“ entfiele - dann ist die Frage, ob nicht
eine öffentliche Lösung besser gewesen wäre. Es ist mehr
als fraglich, ob das noch im Einklang mit der geforderten
Objektivität und Unparteilichkeit steht. Noch besser wäre
es, die Konformitätsbewertungsstellen, also renommierte
Institutionen wie der TÜV, - wieder in die öffentliche
Hand zurückzuführen. Dann bräuchten sie gar keine zusätzliche Akkreditierung mehr. Auch die Unparteilichkeit
wäre eher gewahrt, da die zu Prüfenden nicht mehr die
Prüfstellen überwachen würden.
Mit den Gesetzentwürfen soll eine nationale Akkreditierungsstelle eingerichtet werden. Es soll also eine
nationale Institution geschaffen werden, die feststellt, wer
feststellen darf, dass Produkte etc. bestimmten Regeln
entsprechen und damit für den gemeinsamen Markt zugelassen werden. Derzeit ist diese Aufgabe auf mehrere
Stellen verteilt. Die Einrichtung der nationalen Akkreditierungsstelle muss bis zum 1. Januar 2010 erfolgen.
Reichlich spät sind die Gesetzentwürfe in den Bundestag
eingereicht worden. Dabei ist lange bekannt, dass die Akkreditierungsstelle bis Anfang nächsten Jahres eingerichtet werden muss. Es geht schließlich um die Umsetzung
einer EU-Verordnung. Dass die Bundesregierung erst so
spät agiert, hat einen einfachen Grund: Sie konnte sich
mal wieder nicht einigen. Der Gesetzentwurf sieht nun
eine Beteiligung von Bund, Ländern und Wirtschaft zu je
einem Drittel vor - die sogenannte Drittel-Lösung. Diese
Lösung ist keine Lösung, sondern sie ist das Ergebnis eines Kompromisses, und zwar eines schlechten Kompromisses.
Bei der Drittel-Lösung ist mehr als fraglich, ob sie vernünftig administrierbar ist. Wir befürchten, dass der bürokratische Aufwand sehr hoch ist. Und da stehen wir
nicht alleine. Auch der Nationale Normenkontrollrat hat
in seiner Stellungnahme empfohlen, den bürokratischen
Aufwand bei der Abwägung der Organisationsform zu berücksichtigen. Warum schreibt wohl der Normenkontrollrat dies in seiner Stellungnahme? Dafür kann es nur einen Grund geben. Sie haben bei der Konstruktion dieser
Drittel-Lösung Ihre Hausaufgaben nicht gemacht und
nicht darauf geachtet, was für einen bürokratischen Aufwand sie bedeutet. Offensichtlich sind Sie selbst auch gar
nicht davon überzeugt, dass diese Konstruktion sinnvoll
ist. Anders ist nicht zu erklären, dass Sie die Drittel-Lösung schon nach wenigen Monaten auf ihre Funktionalität hin überprüfen wollen.
Wir können es auch einfacher haben! Lassen wir die
Finger von der vermurksten Drittel-Lösung und richten
wir eine öffentliche Behörde ein! Das wäre der einfachste
Weg, und es wäre der richtige Weg. Die Kontrolle der Zugangskontrollen für Produkte und Dienstleistungen zu
dem gemeinsamen Markt ist eine Aufgabe der öffentlichen Hand. Eine Beteiligung der Privatwirtschaft an dieser Aufgabe ist schlichtweg nicht zielführend.
Die Drittel-Lösung wurde doch nur gewählt, weil der
Bundeswirtschaftsminister Guttenberg dogmatisch die
Linie verfolgt hat, an dieser originär öffentlichen Aufgabe die Wirtschaft zu beteiligen. Die Kontrolleure sollen
sich selbst kontrollieren! Ich kann das nicht nachvollziehen.
Sehr geehrter Herr Bundesminister Guttenberg, ist das
die Lehre, die Sie aus der Wirtschafts- und Finanzkrise
ziehen? Glauben Sie wirklich, dass Sie heute noch jemandem erzählen können, dass die beste Kontrolle der
Märkte und auch die indirekte Kontrolle von der Wirtschaft selbst gemacht wird? Die Wirtschaft kann sich
nicht selbst kontrollieren, und sie soll es auch nicht. Das
ist die Lehre aus der Finanzkrise. Und das würde auch
der ordoliberalen Position entsprechen, mit der Sie sich
sonst immer gerne schmücken.
Das Gesetz ist Murks, und deswegen werden wir es ablehnen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13406, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD auf Drucksache 16/12983 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Wer will dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen? - Wer will dagegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalition und Gegenstimmen durch die Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, erhebe
sich bitte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Akkreditierungsstelle. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13406, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/13126 und 16/13404 für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 40:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
und Technikfolgenabschätzung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle
Laurischk, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Lebensleistung von Migrantinnen und Migranten würdigen - Anerkennungsverfahren
von Bildungsabschlüssen verbessern
- Drucksachen 16/11418, 16/13344 Berichterstattung:
Abgeordnete Marcus Weinberg
Patrick Meinhardt
Priska Hinz ({1})
Zu Protokoll genommen sind die Reden von Marcus
Weinberg, Gesine Multhaupt, Sibylle Laurischk, Sevim
Dağdelen und Priska Hinz.
Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft unseres Landes, und wir alle wissen, dass sich der Wirtschafts- und
Arbeitsmarkt an die internationalen Erfordernisse anpassen muss. Auch und gerade in Zeiten der Krise und angesichts der demografischen Entwicklung und der Chancen
der Globalisierung ist eine qualifizierte Zuwanderung für
die gesellschaftliche Entwicklung unverzichtbar. Um diesen Prozess noch zu beschleunigen, fordern die Antragsteller einen Paradigmenwechsel im Anerkennungsverfahren von im Ausland erworbenen Kompetenzen und
Qualifikationen.
Die gegenwärtige Situation bei dem Verfahren zur Anerkennung und Kompetenzfeststellung ausländischer Berufsabschlüsse und -qualifikationen in Deutschland ist
geprägt von einer Unübersichtlichkeit hinsichtlich der
Verfahren und der zuständigen Stellen, einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure im Bund und in den Ländern sowie rechtlichen Lücken für Zuwanderer, die ihr Studium,
ihre Ausbildung im Herkunftsland absolviert haben beziehungsweise dort ausbildungsadäquat gearbeitet haben. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Zugangs als auch
der Durchführung des Verfahrens.
Unser Ziel ist es, die mitgebrachten Berufsabschlüsse
und -qualifikationen von Zuwanderern in Deutschland
arbeitsmarktfähig und arbeitsmarktgängig zu machen.
Viele der Zugewanderten bringen eine gute berufliche
Qualifikation mit, werden aber - aus formalen Gründen
oder aufgrund fehlender Bewertungsmöglichkeiten - auf
Arbeitsplätzen eingesetzt, die nicht ihren Qualifikationen
entsprechen oder möglicherweise sogar so behandelt, als
seien sie unqualifiziert oder ungelernt. Teilweise sind die
Betroffenen gerade aus diesem Grund auf staatliche
Transferleistungen angewiesen.
Bund und Länder haben den Handlungsbedarf erkannt: Der Nationale Integrationsplan, NIP, das bundesweite Integrationsprogramm sowie der Integrationsgipfel im Oktober 2008 mit der Qualifizierungsinitiative für
Deutschland, QID, „Aufstieg durch Bildung“ haben sich
der Verbesserung der Verfahren zur Anerkennung und
Bewertung ausländischer Berufsabschlüsse und -qualifikationen angenommen und arbeiten an deren Verbesserung.
In nächster Zeit werden Bund und Länder entscheiden,
inwieweit bestehende Anerkennungsverfahren auf Personen mit Migrationshintergrund ausgeweitet werden können. Im Ausland erworbene Abschlüsse sollen dann zügiger auf Anerkennung geprüft und gegebenenfalls auch
Teilanerkennungen ausgesprochen werden. Der Bund unterstützt bei Teilanerkennungen mit geeigneten Förderungen von Ergänzungs- und Anpassungsqualifizierungen.
Wir können dabei an bereits bestehendes Recht und an
vorhandene Erfahrungen in Deutschland anknüpfen:
Erstens. Die Richtlinie 2005/36/EG zielt bei Unionsbürgerinnen und -bürgern bei reglementierten Berufen
auf einen Anspruch auf Teilanerkennung beziehungsweise einen Anspruch auf eine Anpassungsqualifizierung.
Die Vollanerkennung erfolgt, wenn nach erfolgreich abgeschlossener Anpassungsqualifizierung die Gleichwertigkeit gegeben ist.
Zweitens knüpfen sie an die Lissabon-Konvention an,
die die Bewertung ausländischer Hochschulqualifikationen ermöglicht, um den Zugang zu Hochschulausbildung
und Arbeitsmarkt im Aufenthaltsstaat zu erleichtern.
Drittens. Der § 10 des Bundesvertriebenengesetzes
eröffnet der Gruppe der Spätaussiedlerinnen und -aussiedler einen Anspruch auf Durchführung eines Anerkennungsverfahrens für reglementierte und nicht reglementierte Berufe.
Verbände wie die Otto-Benecke-Stiftung, viele Kammern und die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, ZAB, der Kultusministerkonferenz der Länder leisten
hier bereits wertvolle Arbeit. Sie erstellen - in vielen Fällen ohne gesetzliche Grundlage - gutachterliche Stellungnahmen bzw. informelle Bewertungen. Diese sind im
Einzelfall hilfreich, sie werden jedoch weder flächendeckend noch nach einheitlichen Kriterien ausgestellt und
haben nur selten überregionale Gültigkeit.
Die Datenbank ANABIN ist das Akronym für „Anerkennung und Bewertung ausländischer Bildungsnachweise“. Seit dem Frühjahr 2003 sind „Bewertungsvorschläge“ unter „Hochschulzugang“ verfügbar. In der
Datenbank wird seitdem für eine Vielzahl ausländischer
Staaten eine umfangreiche Dokumentation über ihr Bildungswesen, die verschiedenen Abschlüsse und die akademischen Grade sowie deren Wertigkeit von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen beim Sekretariat
der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder
in der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut. ANABIN
ist im Zusammenwirken des Hessischen Ministeriums für
Wissenschaft und Kunst, der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen sowie dem Äquivalenzzentrum des
österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft
und Kultur und dem Äquivalenzzentrum des Wissenschaftsministeriums Luxemburgs entwickelt worden. Wesentlicher Inhalt sind Angaben über ausländische Hochschulabschlüsse und -grade, die Voraussetzungen für
ihren Erwerb sowie Hinweise zu ihrer Einstufung im Verhältnis zu deutschen Hochschulabschlüssen und -graden.
Ziel der Datenbank ist es, die zuständigen Ministerien in
den Ländern, die Hochschulen sowie andere für die Anerkennung ausländischer Hochschulabschlüsse zuständige Behörden über ausländische Hochschulsysteme und
deren Abschlüsse zu informieren.
Eine deutliche Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund ist sowohl
aus sozial- und gesellschaftspolitischen als auch aus
volkswirtschaftlichen Gründen geboten. Auch angesichts
der demografischen Entwicklung und des Rückgangs des
Arbeitskräfteangebots in Deutschland ist es Anliegen von
Politik und Wirtschaft, die Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen und Migranten gezielt zu erhöhen und insbesondere zur Verbesserung der Qualifikationsstruktur des
Erwerbspersonenpotenzials mit Migrationshintergrund
beizutragen.
Wir fordern daher erstens gesetzliche Ansprüche auf
ein Anerkennungsverfahren innerhalb einer Frist von
maximal sechs Monaten und zweitens Angebote für Anpassungsqualifizierungen zu schaffen sowie drittens
Clearingstellen einzurichten, die durch den Dschungel
der Anerkennungsstellen und -verfahren in Deutschland
führen.
„Zuwanderer sind häufiger kriminell, häufiger arbeitslos, und sie verlassen viel öfter die Schule ohne Abschluss als Deutsche. Ein Vorurteil? Leider nein! Die Lebenssituation der rund 15 Millionen Ausländer hat sich in
den letzten Jahren kaum verbessert.“ So fasste ein durchaus auf Stimmungsmache und Verkürzung angelegtes
Boulevardblatt dieser Tage das Ergebnis des ersten Monitoringberichts zusammen, den die Bundesbeauftragte
für Integration, Maria Böhmer, dem Bundeskabinett vorgestellt hat.
Dieser erste Integrationsbericht, der auf Daten der
Bundesagentur für Arbeit, der Kriminalstatistik der Länder und des Mikrozensus aus den Jahren 2005 bis 2007
beruht, führt uns eindringlich vor Augen, wie dringend
wir gehalten sind, die Anerkennungsverfahren von im
Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen zu verbessern.
Das ist ein Grundpfeiler für die Integration in den Arbeitsmarkt und Voraussetzung für die Verwirklichung von
Chancengleichheit innerhalb der Gesellschaft. Es liegt
auch auf der Hand, dass die Lernmotivation bei Kindern
und Jugendlichen mit Migrationshintergrund steigt,
wenn auch ihre Eltern entsprechend ihren Qualifikationen und Vorstellungen arbeiten und sich integrieren können.
Meine Fraktion hat unter der Federführung von Dr.
Angelica Schwall-Düren mit dem Eckpunktepapier für
eine kohärente Migrationspolitik bereits unverzichtbare
Schritte unternommen. Vor allem haben wir in dem Eckpunktepapier nochmals unmissverständlich formuliert,
dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Daraus ergibt sich folgerichtig die Notwendigkeit, die Integration
von Migrantinnen und Migranten als staatliche Daueraufgabe wahrzunehmen und noch bestehende Hürden abzubauen. Zur Integration in allen Bereichen gehören
staatliche Maßnahmen, damit den gesetzlichen Vorgaben
zur Integration dann auch das Einverständnis in den
Köpfen der Menschen folgen kann. Wir wissen, dass umfassende Integration nur gelingen kann, wenn alles getan
wird, um rassistischen Vorurteilen Einhalt zu gebieten
und die breite Bevölkerung mit der kulturellen, religiösen
und nationalen Vielfalt in unserer Gesellschaft vertraut
zu machen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Bildungspolitik, und innerhalb dieses Aufgabenfeldes wollen wir
die Anerkennung der im Ausland erworbenen Bildungsabschlüsse vorantreiben.
Aus welchen Ländern die Menschen auch immer zu
uns kommen, viele von ihnen haben weitreichende Kenntnisse, fundierte Qualifikationen, und sie sind hochmotiviert und auf der Suche nach Arbeit, doch sie scheitern
oft, weil sie keine oder keine ihren Fähigkeiten angemessene Beschäftigung finden können. Es gibt - und darüber
ist häufiger geklagt worden - keine statistische Erfassung
von Qualifikationen bei den Einwanderern. Wir können
jedoch unter Berufung auf eine Dissertation an der
Universität Oldenburg aus dem Jahr 2004 davon ausgehen, dass in Deutschland geschätzt eine halbe Million
Migrantinnen und Migranten leben, die ihren Berufsoder Hochschulabschluss im Ausland erworben haben,
diesen aber hier nicht anerkannt bekommen. Es liegen
uns kaum gesicherte Erkenntnisse darüber vor, welche
Qualifikationsprofile die Migrantinnen und Migranten
aufweisen. Abgesehen von gelegentlichen Zeitungsberichten gibt es auch keine weitreichenden Untersuchungen darüber, welche individuellen Erfahrungen die Betroffenen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz gemacht
haben. Es steht zu vermuten, dass die Zuwanderinnen und
Zuwanderer vorwiegend unterhalb ihres in der Heimat
erworbenen Qualifikationsniveaus beschäftigt werden,
meist gelten sie bei uns dann als ungelernte Kräfte. Migranten und Migrantinnen aus Drittstaaten kommen vorwiegend aus der Bildungselite ihres Herkunftslandes,
erleben jedoch innerhalb der EU und innerhalb Deutschlands eine soziale Deklassierung. Anders gesagt: Bei den
Migrantinnen und Migranten und deren in der Heimat erworbenen Qualifikationen liegen erhebliche Ressourcen,
die nicht länger brachliegen, sondern im Sinne unserer
Wirtschaft genutzt werden sollten. Es ist also ein unverzichtbarer Schritt, die im Ausland erworbenen Bildungsabschlüsse unbürokratischer und selbstverständlicher als
bisher anzuerkennen, einerseits um die Integration voranzubringen, andererseits um die Ausübung des erlernten Berufs zu ermöglichen und für den deutschen Arbeitsmarkt zu nutzen. Einerseits liegt hierin eine Chance, dem
aufgrund unterschiedlicher Faktoren drohenden Fachkräftemangel frühzeitig zu begegnen und vorhandene
Potenziale der hier lebenden Migrantinnen und Migranten zu nutzen, andererseits machen wir mit dieser Anerkennung einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung auf
Integration und die selbstverständliche Teilhabe an den
Möglichkeiten unserer Gesellschaft.
Die FDP formuliert hier in ihrem Antrag durchaus
richtige Beobachtungen, etwa die, dass das duale Bildungssystem für Menschen aus anderen Herkunftsländern schwer zu durchschauen sei. Hier möchte ich allerdings entgegenhalten, dass es Bildungseinrichtungen wie
etwa die Otto-Benecke-Stiftung und andere gibt, die erZu Protokoll gegebene Reden
fahren und fundiert Beratungsarbeit leisten und wichtige
Nachqualifizierungsprogramme anbieten. Es ist auch bekannt, dass unser föderales System zu länderspezifischen
Regelungen geführt hat, worauf die FDP in ihrem Antrag
eingeht.
Migrantinnen und Migranten, die sich um die Anerkennung eines Berufsabschlusses oder auch eines Hochschulzertifikats bemühen, müssen sich also mit einer
Vielzahl an unterschiedlichen Vorschriften auseinandersetzen. Ob die Strapazen eines Anerkennungsprozesses
dann tatsächlich mit den Herausforderungen einer
Mondlandung zu vergleichen sind, wie es darin heißt,
vermag ich nicht zu beurteilen. Ich war noch nicht auf
dem Mond. Mit Blick auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten innerhalb der Bildungspolitik strebt meine
Fraktion eine Regelung an, in der vor allem das Verfahren der Anerkennung beschleunigt und in der bürokratischen Handhabe einfacher wird. Vorbild kann hier
beispielsweise Dänemark sein, wo die Anerkennung innerhalb von einem Zeitraum von sechs Monaten zu erfolgen hat. Das föderale System bringt es mit sich, dass die
einzelnen Abschlüsse jeweils auf Länderebene bewertet
und anerkannt werden. Es besteht ungeachtet unterschiedlicher Regelungen auf Länderebene generell Konsens darin, dass es bei der Anerkennung ausländischer
Abschlüsse nicht darum geht, die bei uns geltenden vorbildlichen Qualitätsstandards zu unterlaufen und abzuschwächen.
Der FDP ist zu attestieren, dass sie mit ihrem Antrag
die Situation durchaus realitätsnah in den Blick nimmt.
Das erwähnte Punktesystem nach kanadischem Vorbild
kann durchaus als Zielvorstellung diskutiert werden.
Gleichwohl lehnen wir den Antrag ab, da er bei allem Respekt gegenüber der Lebensleistung von Migrantinnen
und Migranten die schon eingeleiteten Maßnahmen auf
dem Feld der Integration und Anerkennung ausländischer Abschlüsse außen vor lässt.
Gestatten Sie mir abschließend, nochmals auf den
kürzlich vorgelegten Integrationsbericht der Staatsministerin Maria Böhmer zu verweisen. Sie hat aus den
14 Themenfeldern, die dieser Bericht umfasst, eindeutig
herausgearbeitet, dass vor allem im Bildungsbereich
Fortschritte erzielt werden konnten. Demnach sank die
Zahl der ausländischen Schulabbrecher von 17,5 Prozent
im Jahr 2005 auf 16 Prozent 2007. Bei den in Deutschland geborenen Kindern aus Zuwandererfamilien liegt
der Anteil 2007 mit 2,2 Prozent bereits unter dem Niveau
für die Gesamtbevölkerung - 2,3 Prozent. Das zeigt, dass
wir mit den Anstrengungen auf einem richtigen Weg sind.
Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsund Hochschulabschlüssen wird auch direkt und indirekt
dazu beitragen, dass die Kinder und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund motivierter lernen werden und die
Möglichkeiten zur Integration und Würdigung der Lebensleistungen verbessert werden.
Das Institut für Demoskopie Allensbach hat gerade
heute für die Bertelsmann-Stiftung eine repräsentative
Befragung der Zuwanderinnen und Zuwanderer in
Deutschland erstellt. Dr. Jörg Dräger, Vorstandsmitglied
der Bertelsmann-Stiftung, kommentiert das Ergebnis wie
folgt: „Integration ist aber kein einseitiger Prozess. Wenn
auch noch mehr türkisch- und russischstämmige Zuwanderer sich heimisch in Deutschland fühlen sollen, brauchen sie mehr Anerkennung - und Chancen, die Zukunft
unseres Landes mitgestalten zu können.“ Dräger weiter:
„Ohne faire Bildungschancen gelingt weder Integration
noch Partizipation.“ Besser kann man nicht ausdrücken,
welche Notwendigkeit in der Verbesserung der Anerkennung der Bildungs- und Berufsabschlüsse von Migranten
liegt. Neben den wirtschaftlichen Potenzialen, die nicht
erschlossen werden können, geht es vor allem um Anerkennung im persönlichen Sinn, damit die Menschen, die
zu uns kommen, nicht als Menschen ohne Geschichte,
ohne Lebensleistung behandelt werden. Vielfach wird
durch den Verfahrensdschungel dieser Eindruck erweckt.
Dies war auch Thema auf dem letzten Integrationsgipfel. Zwischenzeitlich hat die Integrationsbeauftragte
Frau Professor Böhmer eine Informationsseite im Internet geschaltet, auf der gewisse weiterführende Hinweise
für Hilfesuchende in Sachen Anerkennung zu finden
sind - ein bescheidener Anfang. In einer Videobotschaft
Anfang dieses Monats widmet sich Frau Professor
Böhmer der Frage der verbesserten Anerkennung und
spricht sich ausdrücklich für ein Anerkennungsverfahren
„für alle“ und eine zentrale Anlaufstelle aus, die mit einer gesetzlichen Grundlage geschaffen werden sollen.
Leider vermisse ich in diesem Beitrag die Worte „ich
bringe ein“ und „Rechtsanspruch“, die klarer machen
würden, wie der Vorschlag aussehen soll und wer ihn vorlegen will. Bei einer Tagung des Arbeitsministeriums am
30. Juni will Minister Scholz Eckpunkte eines Anerkennungsgesetzes vorstellen. Grundsätzlich begrüße ich
aber die Ankündigung und freue mich, dass die Regierung
die Vorschläge der Opposition aufgreift - wenn auch zu
spät, um es wirklich umsetzen zu können.
Dabei haben wir die Betroffenen schon viel zu lange im
Zuständigkeitswirrwarr alleine gelassen. Der berechtigte
Stolz auf die eigenen Bildungsleistungen hat uns den
Blick auf die Kompetenzen anderer Bildungssysteme verstellt. Das Kriterium der Gleichwertigkeit der Bildungsinhalte soll die zentrale Richtschnur sein, ist aber zum
alleinigen Dogma geworden. Ob Kenntnisse und Fähigkeiten, die nicht dem bundesdeutschen Curriculum entsprechen, trotzdem als gleichwertig angesehen werden
können, erfordert eine tiefgreifende Bewertung, etwa
durch die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen.
Diese muss dazu aber auch in die Lage versetzt werden.
Dazu fehlt es an qualifizierter Beratung der Zuwanderinnen und Zuwanderer, die zuerst einen Rechtsanspruch
auf die Einstufung ihrer Bildungslistungen und dann einen verlässlichen Bildungsplan benötigen, worin aufgezeigt ist, welche ergänzenden Schritte sie bis zum deutschen Abschluss unternehmen müssen.
Berichte von Zuwanderern, die in Deutschland ein
ganzes Studium nachholen müssen, obwohl sie dies in ihrem Heimatland bereits absolviert haben, müssen der
Vergangenheit angehören. Damit haben wir Zeichen gegen die Integration von Zuwanderinnen und ZuwandeZu Protokoll gegebene Reden
rern gesetzt. Wir brauchen hier schleunigst Verbesserungen. Wenn die Bundesregierung einen Gesetzentwurf mit
Substanz vorlegt, werden wir sie dabei unterstützen.
In das Hohelied der FDP auf das voll „wettbewerbsfähige deutsche Bildungs- und Qualifizierungssystem“
kann Die Linke nun wahrlich nicht einstimmen; denn dieses deutsche Bildungs- und Qualifizierungssystem ist sozial selektiv und ungerecht. Wir halten ein Bildungssystem, in dem Kinder mit Migrationshintergrund aufgrund
von Sprachschwierigkeiten überproportional oft in eine
Sonderschule überwiesen werden oder trotz gleicher
Leistungen keine Weiterempfehlung erhalten, nicht für
akzeptabel. Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bleibt der Zugang zu weiterführenden Schulen und Hochschulen weitgehend verwehrt. Nach wie vor
sind sie an Hauptschulen überrepräsentiert, an Realschulen und Gymnasien unterrepräsentiert. Es ist skandalös
und nicht hinnehmbar, dass Herkunft und Geldbeutel
über den Bildungs- und damit maßgeblich den Lebensweg von Menschen entscheiden. Genau das ist Gegenstand der in dieser Woche durchgeführten bundesweiten
Bildungsstreiks, die sich gegen die derzeitigen Zustände
und Entwicklungen im Bildungssystem richten. Man demonstriert für einen freien Bildungszugang und die Abschaffung von sämtlichen Bildungsgebühren wie Studiengebühren, Ausbildungsgebühren und Kitagebühren.
Dass die FDP derartige Forderungen nicht unterstützt, liegt einfach in der Logik, Menschen nur noch auf
ökonomisch interessante Größen zu reduzieren. Genau
diese Logik steckt auch hinter dem Antrag der FDP. Es
geht der FDP nicht so sehr darum, dass durch die Nichtanerkennung von Schul-, Hochschul- und Berufsabschlüssen für Tausende Menschen in der Bundesrepublik
die Möglichkeit extrem eingeschränkt wird, ein selbstbestimmtes Leben durch ein gesichertes Auskommen zu führen.
Wie selbstverständlich wird Migrantinnen und Migranten vordergründig die Aufgabe zugesprochen,
Deutschlands demografische Pyramide vom Kopf wieder
auf die Füße zu stellen, um perspektivisch für die alternde
Gesellschaft kulturelle Konsumangebote und ökonomische Dienstleistungen gewährleisten zu müssen und auch
den deutschen Wirtschaftsstandort in der globalen Konkurrenz zu sichern. Die einen sollen dies tun, indem ihre
Abschlüsse zum Wohle der deutschen Wirtschaft anerkannt werden. Die anderen sollen dies tun, indem sie,
nach nationalen Verwertungsgesichtspunkten hierarchisiert und nach ihrem sozioökonomischen Nutzwert für die
deutsche Gesellschaft „sortiert“, mittels des im Antrag
geforderten Punktesystems in die Bundesrepublik kommen dürfen.
Dass es der FDP nicht um die circa 500 000 Betroffenen an sich geht, beweist allein der Umstand, dass sie den
Antrag der Linken zur erleichterten Anerkennung von im
Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen - Drucksache 16/7109 - erst am 29. Januar
2009 abgelehnt hat. Darin hatte die Linksfraktion zahlreiche konkrete Vorschläge, etwa zur Teilanerkennung
und Ergänzungsqualifizierung, zu vereinfachten praktischen Anerkennungsverfahren, zu vereinfachten Abschlussprüfungen usw. gemacht.
Genauso unglaubwürdig wie die FDP sind aber auch
die Regierungsfraktionen und die Integrationsbeauftragte des Bundes Böhmer als Interessenvertretung der
Betroffenen.
Unser Antrag ist bereits vom November 2007. In der
ersten Lesung musste der Kollege Weinberg von der CDU
einräumen, dass das Anerkennungswesen für im Ausland
erworbene Berufs- und Hochschulabschlüsse in Deutschland unübersichtlich ist und verwies wie die Kollegin
Multhaupt von der SPD auf die Absichtserklärungen im
Nationalen Integrationsplan. Bei der Vorstellung der Studie „Brain Waste“ wiederholte Staatsministerin Böhmer
in ihrer Presseerklärung vom 8. Mai 2008 indirekt unsere
wesentlichen Forderungen, indem sie „transparente,
bundesweit vergleichbare und zügige Verfahren zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen“
als notwendig erachtete, auf die „künftig alle Zugewanderten einen Anspruch haben“ sollten. Das EU-System
der Teilanerkennungen und Anpassungsqualifikationen
solle auf andere Migrantinnen und Migranten übertragen
werden. Fünf Monate später war sie aber immer noch nur
bei guten Vorsätzen und erklärte gegenüber dem „Focus“
vom 28. Oktober 2008, sie wolle den „Anerkennungsdschungel lichten“. Dann durften wir bis zum 10. Februar 2009 warten, bis uns die nächste Sprechblase der
Staatsministerin Böhmer in Sachen Anerkennungsverfahren erreichte. Gegenüber der „Berliner Zeitung“ äußerte
sie, sie arbeite gemeinsam mit der Bundesregierung an
einer Gesetzesänderung zur Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Anerkennung von beruflichen Qualifikationen. Dies wurde dann von ihr im Innenausschuss am
3. März 2009 mit Hinweis auf Anerkennungsverfahren
wie in Dänemark bzw. wie bei Spätaussiedlerinnen und
Spätaussiedlern wiederholt.
Weder haben wir ein den Parlamentarierinnen und
Parlamentariern für Ende des Jahres 2008 zugesagtes
Konzept des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
„zur beruflichen Integration zugewanderter Akademikerinnen und Akademiker“ gesehen, „was unter anderem
auch die Optimierung der Anerkennungsverfahren sowie
der Angebote zur fachlichen und sprachlichen Nachqualifizierung“ vorsieht, noch sind den vielen Ankündigungen irgendwelche Taten gefolgt. Auch die heute von der
Staatsministerin sowie von den Ministerien für Wirtschaft, für Bildung und vom Innenministerium in Berlin
vorgestellten Eckpunkte zur Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen und Hochschulabschlüsse
müssen als plumpes Wahlkampfmanöver erscheinen, um
von den desaströsen Ergebnissen der Integrationspolitik
der Bundesregierung und insbesondere der Integrationsbeauftragten abzulenken. Die Folgen können seit Jahren
beobachtet werden und sind in vielen Berichten und Studien wie den Berichten über die Lage der Ausländerinnen
und Ausländer in Deutschland, den Nationalen Bildungsberichten oder zuletzt dem Integrationsindikatorenbericht dargestellt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Sevim Daðdelen
Die Staatsministerin wäre auch nicht sie selbst, wenn
ernsthaft die Gefahr bestünde, dass sie ihren diesbezüglichen Ankündigungen tatsächlich Taten folgen lässt. Taten
sind wir von Frau Böhmer gewöhnt, wenn es zum Nachteil der Migrantinnen und Migranten ist, wie die Verschärfungen bei der Novelle zum Zuwanderungsrecht im
Allgemeinen und beim Ehegattennachzug und bei Einbürgerungen im Konkreten. Insofern mutet dieser für
Frau Böhmer fast „blinde Aktionismus“ dann doch gar
nicht mehr so ungewöhnlich an; denn natürlich können
die geplante Gesetzesänderung bzw. die vorgesehenen
Verfahrensvereinfachungen allerdings erst in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden. Für die Migrantinnen und Migranten kann man nur hoffen, dass dann
nicht mehr Frau Böhmer ihre Interessen vertreten soll.
Deutschland ist ein Einwanderungsland - diese Erkenntnis hat sich ja zum Glück inzwischen auch bei der
Union herumgesprochen. Doch bei dieser Erkenntnis ist
es leider dann auch weitgehend geblieben - noch immer
fehlt der richtige Rahmen, damit Einwanderung und Integration auch gelingen kann. Dabei bietet die Integration der Migrantinnen und Migranten große Entwicklungschancen für unsere Gesellschaft.
Ein ganz besonderes Integrationshemmnis ist nach wie
vor die völlig mangelhafte Anerkennung ausländischer
Bildungsabschlüsse. Als Einwanderungsgesellschaft setzen wir hier die falschen Signale. Es ist notwendig für Integration und Teilhabe an unserer Gesellschaft, ausländische Bildungsabschlüsse anzuerkennen. Die Leistungen
der Zugewanderten sind auch etwas wert.
Wenn ein Architekt, eine Ärztin oder ein Maschinenbauer gezwungen sind, als Taxifahrer, Reinigungskraft
oder Marktverkäuferin zu arbeiten, dann läuft etwas gewaltig schief in Deutschland. Es ist nicht sozial, nicht demokratisch, und wir können es uns auch nicht leisten,
solch ein Potenzial zu verschenken. Dies gilt umso mehr
in Zeiten eines sich immer weiter verschärfenden Fachkräftemangels. Schon heute suchen viele Betriebe händeringend nach gut ausgebildeten Fachkräften - ein echtes
Wachstumshemmnis. In Zukunft wird sich diese Entwicklung noch deutlich verschärfen. Um aber auch in Zeiten
des demografischen Wandels genügend Fachkräfte für
die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zur Verfügung zu haben, müssen wir neben einer grundlegenden
Verbesserung unseres Bildungssystems auch das riesige
Potenzial der gut ausgebildeten Migrantinnen und Migranten endlich besser nutzen.
Nun hat auch die Bundesregierung erkannt, dass die
langwierige und mangelhafte Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen nach wie vor ein großes Problem darstellt. Allerdings folgten dieser Erkenntnis bis
jetzt leider kaum Taten.
Nach wie vor sind die Anerkennungsverfahren zu kompliziert, zu langwierig und unüberschaubar. Die Akteure
wie Hochschulen, IHKs, Bundesagentur für Arbeit, Bund
und Länder arbeiten immer noch nebeneinander her. In
der Praxis bedeutet dies, dass viele Zugewanderte über
Jahre hier leben und gar nicht wissen, an wen sie sich
wenden sollen, weil es keine effiziente Beratungsstruktur
gibt. Doch anstatt endlich zu handeln, begnügt sich die
Bundesregierung mit wohlfeilen Absichtserklärungen.
Auch ein halbes Jahr nach den Versprechungen vom Bildungsgipfel ist nichts passiert. Frau Staatsministerin
Böhmer hat zwar eifrig Presseerklärungen herausgegeben, aber in der Sache ist sie keinen Schritt weitergekommen. Sie scheint das Thema nicht besonders ernst zu nehmen.
Was wir jetzt brauchen, sind modulare Anpassungsqualifizierungen für diejenigen, die zwar im Ausland
einen Abschluss erworben haben, aber vielleicht noch
eine Anpassungsqualifizierung brauchen. Es wäre gut,
wenn wir das Ausbildungssystem insgesamt modernisieren würden, weil sich so etwas dann leichter durchführen
ließe. Dabei muss die Nachqualifizierung von Migrantinnen und Migranten stärker gefördert werden.
Darüber hinaus muss der DQR endlich ausgestaltet
und eingeführt werden, damit nicht nur die Kompetenzen
der Höchstqualifizierten mit akademischer Ausbildung,
sondern auch derjenigen, die mit anderen Berufsabschlüssen ins Land gekommen sind oder noch kommen,
tatsächlich eingestuft werden können. Auch das macht
Anerkennungsverfahren leichter.
Zudem brauchen wir eine verbesserte Beratung der
Individuen und eine grundlegende Reform des Anerkennungsverfahrens. Anstatt des existierenden Bürokratiedickichts wollen wir eine One-Stop-Agentur als Ansprechpartner einführen, die eine zügige Prüfung und
Anerkennung gewährleistet.
Solange das Anerkennungsverfahren von ausländischen Bildungsabschlüssen nicht nach diesen Maßgaben
reformiert wird, ist jede politische Willensäußerung
wohlfeil und kann über die Untätigkeit der Großen
Koalition auf diesem Gebiet nicht hinwegtäuschen. Solange die Bundesregierung hier ihrer Pflicht weiterhin
nicht nachkommt, stehen Anträge wie der heute vorliegende zu Recht auf der Tagesordnung und werden von uns
Grünen unterstützt.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13344, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/11418 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben Koalition und Linke. Dagegen gestimmt
haben FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Es gab keine
Enthaltungen.
Tagesordnungspunkt 47:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über das Schulobstprogramm
({0})
- Drucksache 16/13111 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1})
- Drucksache 16/13419 Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Höfken
Hierzu gibt es einen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Zu Protokoll genommen sind die Reden von Volker
Blumentritt, Wilhelm Priesmeier, Mechthild Rawert,
Edmund Peter Geisen, Karin Binder, Ulrike Höfken und
Ursula Heinen-Esser.
Die Europäische Union möchte den Obst- und Gemüseverzehr bei Kindern nachhaltig erhöhen. Diesen Ansatz
wird sie mit 90 Millionen Euro gemeinschaftsweit fördern. Das begrüße ich im Grundsatz außerordentlich.
Wer gut vorbereitet ist, kann schon ab dem kommenden
Schuljahr 2009/10 die Mittel national in Anspruch nehmen und den Schülerinnen und Schülern gesundheitlich
auf die Sprünge helfen.
Die Hürden des Brüsseler Programms sind diesmal erfrischend niedrig gelegt. Der Abruf der Fördermittel verlangt jedoch von den Mitgliedstaaten eine Eigenleistung
von 50 Prozent. Nach zähem Ringen ist es sogar gelungen, in wichtigen Punkten Lösungen zu finden, die das
Korsett der Kofinanzierungsfrage etwas offener gestalten. So dürfen nun auch Elternbeiträge oder eine Unterstützung der Wirtschaft in die Finanzierung mit einfließen. Das war wirklich eine Verbesserung. Weiterhin setzt
das Programm die Erarbeitung einer nationalen Umsetzungsstrategie voraus, die nicht nur Fragen der Finanzierung, Logistik und Distribution plausibel machen soll,
sondern auch sogenannte flankierende Maßnahmen erläutern muss. Das bedeutet, dass die Kinder in den Schulen das Obst und Gemüse nicht nur verzehren sollen, sondern ihnen gleichzeitig im Unterricht die wichtige
Bedeutung dieser Maßnahme für ihre gesunde Ernährung
nähergebracht wird.
Deutschland hat im kommenden Schuljahr in Anlehnung an die Anzahl der Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen sechs und zehn Jahren einen Anspruch auf
voraussichtlich 12,5 Millionen Euro. Jetzt sind wir uns
mit Sicherheit einig, dass wir alles daransetzen sollten,
um diese Millionen aus Brüssel abzugreifen. Tatsache ist,
dass wir heute einen Gesetzentwurf des Bundesrates zum
Thema beraten und keinen Regierungsentwurf. Das ist
ungewöhnlich und gibt allein genug Zeugnis von den
Querelen der letzten Monate. Alle wollen das Obst, aber
keiner will bezahlen. Zurzeit beschäftigen wir uns noch
mit einem Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern. Der Gesetzentwurf der Länder sieht verständlicherweise eine Finanzierung durch den Bund vor. Der Bund
sieht sich hier nicht in der Pflicht, weil Schulen Ländersache sind. Die Bundesregierung hätte gut daran getan,
zügig einen eigenen Entwurf vorzulegen. In zweieinhalb
Monaten beginnt das neue Schuljahr.
Frau Aigner, Sie haben dem Schulobstprogramm nicht
wirklich die notwendige Bedeutung beigemessen, sonst
müssten wir jetzt nicht befürchten, zumindest für das kommende Schuljahr, die Chance vertan zu haben. Erklären
Sie das mal den Bürgerinnen und Bürgern. Ihr Engagement für eine gesunde Ernährung von Kindern sollte wohl
anders aussehen. Sie können sich die Schelte mit Ihrem
Vorgänger Herrn Seehofer teilen, der bereits im Vorfeld
wichtige Weichenstellungen versäumt hat. Versuchen wir
jetzt zu retten, was noch zu retten ist.
Die Haltung der Länder ist ebenfalls kontraproduktiv.
Wenn Hoheiten je nach Gusto hin und her geschoben werden, wird das ganze Konstrukt unglaubwürdig. Im Schulbereich ist sonst für die Länder die Schwelle des Zumutbaren oft empfindlich schnell erreicht. Der Bund wird
hier stets auf Distanz gehalten und seine Nichtkompetenz
angemahnt. Wenn der Spieß jetzt komplett umgedreht
wird, gibt es für mich nur eine Interpretation: Hier will
sich jemand drücken. Auch den Ländern sollte die gesunde Ernährung ihrer Schülerinnen und Schüler mehr
am Herzen liegen. Kompromisslösungen wie Mischfinanzierungen von Bund und Ländern sind in diesem Fall ausgeschlossen. Deshalb gibt es hier nur ein „ganz oder gar
nicht“. Wir sehen bei diesem Programm ganz klar die
Länder in der Pflicht. Eine zeitnahe Einigung in diesem
Sinne muss jetzt das Ziel sein.
Gestern lief eine Meldung des Deutschen Fruchthandelsverbandes über den Ticker, wonach der Konsum von
frischem Obst in Deutschland weiter rückläufig ist. Das
hat mich wieder einmal in meiner Überzeugung bestärkt,
dass wir unsere Anstrengungen für eine bewusste und
ausgewogene Ernährung auf allen Ebenen verstärken
müssen. Dieses Ansinnen verfolgen die Verbraucherschutzpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion im Übrigen
bereits seit rot-grünen Zeiten.
Nach Aussage des Fruchthandelsverbandes ist der
Konsum von gesundem Obst und Gemüse in Deutschland
ausbaufähig. Nach Berechnungen des Interessenverbandes wurden im Jahr 2008 in Deutschland knapp 157 Kilogramm Obst und Gemüse pro Haushalt verzehrt. Das
hört sich in meinen Ohren erst mal sehr viel an. Wenn wir
aber Vergleichszahlen heranziehen, dann bewegen wir
uns im europäischen Vergleich auf einem sehr niedrigen
Niveau. Beispielsweise verzehren die Südeuropäer fast
doppelt so viel frische Lebensmittel wie wir Deutschen.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt für eine ausgewogene und gesunde Ernährung pro Person 240 Kilogramm Obst und Gemüse im Jahr. Sie sehen: Wir müssen
uns wirklich strecken, um diese Zielvorgabe zu erreichen.
Unsere Essgewohnheiten werden in der Kindheit festgelegt. Das, was zuhause auf den Teller kommt, erweist
sich als prägend für den Rest unseres Lebens. Was aber
muss passieren, wenn traditionelle Essgewohnheiten in
der Familie nicht mehr richtig vermittelt werden können?
Ich will an dieser Stelle nicht wie mancher Unionskollege
über die verlorenen Werte in unserer Gesellschaft wehklagen; ich möchte lieber darauf schauen, mit welchen
Anreizen wir erreichen können, dass gerade Kinder und
Jugendliche an eine ausgewogene und gesunde Ernährung herangeführt werden.
Der Bund übernimmt Verantwortung! Eingebettet in
eine Gesamtstrategie wollen wir vollwertiges und ausgewogenes Ernährungsverhalten ganz konkret ausbauen.
Dafür haben wir im Juni 2008 in der Großen Koalition
den „Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit
zusammenhängenden Krankheiten“ beschlossen. SPDGesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihr damaliger
bayerischer Kabinettskollege haben drei vorrangige
Ziele in ihrem Programm „IN FORM Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ genannt. Kinder sollen gesünder aufwachsen, Erwachsene
gesünder leben und alle Bürgerinnen und Bürger von einer höheren Lebensqualität und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit in Bildung, Beruf und Privatleben profitieren. Das sind hohe Zielvorgaben!
Mit insgesamt 15 Millionen Euro für drei Jahre haben
wir aber auch eine finanzielle Basis geschaffen, die sich
sehen lassen kann. Wir unterstützen mit diesen Geldern
die Beratung und Information für eine gesunde Ernährung und Lebensweise. Wir sorgen dafür, dass sich bestehende Angebote besser vernetzen können, und wir steigern den Bekanntheitsgrad wichtiger Initiativen in diesen
Bereichen. Mit den Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans „IN FORM“ wollen wir unterschiedliche Zielgruppen erreichen. Und dazu gehören natürlich in erster Linie
Kinder und Jugendliche.
Wichtig ist mir nun, dass bestehende Programme und
Maßnahmen sinnvoll verknüpft werden. Dadurch lassen
sich Synergien nutzen, und gute Ideen erhalten noch mehr
Schwung. Ein Baustein muss das EU-Schulobstprogramm sein, das bereits seit mehr als einem Jahr auf der
europäischen Agenda steht. Eine zügige und unbürokratische Umsetzung ist das Gebot der Stunde! In den letzten
Wochen konnte ich nur den Kopf schütteln angesichts des
Versuchs des Bundesrates, die Finanzierung des
Schulobstprogramms auf den Bund zu verlagern. Dabei
ist es in diesem Bereich doch eindeutig: Gemeinschaftsund Bundesrecht müssen die Länder nach Art. 83 des
Grundgesetzes durchführen. Daher muss eine Kofinanzierung durch die Länder erfolgen, denn die alleine sind
verantwortlich für die Umsetzung. Ich frage die Vertreter
der Länder: Wer hat den besten Überblick über die Schulen und Bildungseinrichtungen? Wer hat die meisten Erfahrungen in der Umsetzung des EU-Schulmilchprogramms? Wer kennt die Bedürfnisse der Schulen am
besten? Es ist doch nicht der Bund, sondern es sind die
Länder und Kommunen, die die Gegebenheiten vor Ort
kennen und entsprechend agieren können. Nachdem wir
das nun geklärt hätten, hoffe ich, dass alle Bundesländer
an dem EU-Schulobstprogramm teilnehmen werden. Kinder und Jugendliche an gesunde Ernährung heranzuführen, ist einfach viel zu wichtig.
Jedes fünfte Kind in der EU ist übergewichtig. Das
sind circa 22 Millionen Kinder. In Deutschland sind es
circa 2 Millionen; 800 000 von ihnen leiden unter Adipositas. Das sind erschreckende Zahlen. Erschreckend ist
auch, dass in Deutschland jedes dritte Kind ohne Frühstück zur Schule geht.
Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat das Europäische
Parlament im November 2008 das Schulobstprogramm
für Europa beschlossen. Das Programm hat einen Umfang von 90 Millionen Euro und soll im Schuljahr 2009/
2010 beginnen. Jedes Mitgliedsland kann frei entscheiden, ob es an dem Programm teilnimmt. Es muss dann einen Eigenanteil von 50 Prozent finanzieren. Mit diesem
Geld könnte ab dem Schuljahr 2009/2010 in der EU jedem Kind zwischen sechs und zehn Jahren eine Frucht
pro Woche bezahlt werden.
Aus gesundheits- und sozialpolitischer Sicht ist das
Programm nur zu begrüßen. Denn es soll nicht nur Obst
verteilt werden. Das Programm sieht als Voraussetzung
für die Gewährung der Gemeinschaftsförderung Aufklärungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen und Maßnahmen zur nachhaltigen Erziehung der Kinder zu gesunder
Ernährung vor. Das heißt, den Kindern soll nicht nur
Obst gegeben werden, sie sollen auch lernen, wie man
sich gesund ernährt. Auch Maßnahmen zum Austausch
empfehlenswerter Praktiken, wie dies zu erreichen ist,
sind Bestandteil des Programms.
Das Programm könnte besonders in Schulen erfolgreich sein, die in sozialen Brennpunkten liegen. Denn in
Familien mit niedrigem Einkommen ist der Anteil an Obst
und Gemüse in der Ernährung der Kinder signifikant
niedriger. Auch die Erfahrungen anderer Länder, wie den
USA, zeigen, dass Schulobstprogramme wirken.
Das Gesetz, dass wir heute beraten, muss dennoch abgelehnt werden. Mit dem vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurf sollen dem Bund die Kosten aufgebürdet werden, die eigentlich die Länder zu tragen haben. Die
Zuständigkeit - und damit auch die Finanzierung - fällt
eindeutig in den Aufgabenbereich der Bundesländer.
Denn der Schwerpunkt des Gesetzes liegt nicht, wie vom
Bundesrat in dem Entwurf behauptet, in der Förderung
des Absatzes und der Entlastung des Obstmarktes. Dies
ist eine Verstümmelung der Idee, die hinter dem Programm steht.
Ziel des Gesetzes ist es, unsere Kinder besser zu ernähren. Wir wollen ihnen gesunde Ernährung nachhaltig näherbringen. Wir wollen, dass sozial schwache und ohne
Frühstück in die Schule kommende Kinder ein Stück Obst
bekommen. Kinder sind kein Notfallabsatzmarkt für die
Landwirtschaft. Kinder sind keine Figuren auf dem
Schachbrett der Obstwirtschaft. Dies muss in einem Gesetzentwurf deutlich zum Ausdruck kommen, sosehr ich es
als ELVerin auch begrüße, wenn sich eine Win-winSituation sowohl für die Landwirtschaft als auch für die
Verbraucher, in diesem Fall unsere Kinder, ergibt.
Das von der Union geführte Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat es
nicht geschafft, das EU-Programm rechtzeitig in einem
Zu Protokoll gegebene Reden
eigenen Gesetzentwurf zu verarbeiten. Frau Aigner und
Herr Seehofer haben es nicht geschafft, den notwendigen
Rahmen für die Länder zu erarbeiten, damit diese das
Programm zum nächsten Schuljahr starten können.
Die SPD will, dass Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und dem Einkommen ihrer Eltern gesunde Nahrungsmittel erhalten. Wir unterstützen Programme wie dieses, mit dem die Kinder zu gesunder
Ernährung erzogen werden sollen. Und das setzen wir
auch um. Sowohl mit der Strategie zur Förderung der
Kindergesundheit als auch mit der Initiative IN FORM,
Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr
Bewegung, haben wir die Bundesregierung beauftragt,
das Bewegungs- und Essverhalten der Kinder und Jugendlichen nachhaltig zu verbessern.
Wir können nicht zulassen, dass der Bundesrat aus einem gesundheitlich und sozial höchst sinnvollen Programm einen Obstbasar für die Produzenten macht. Und
wir können nicht hinnehmen, dass aufgrund eines zu
langsamen Agierens der Bundesministerin Aigner der
Bund mit 12,5 Millionen Euro geradestehen soll.
Das Bewusstsein für gesunde Ernährung kann gar
nicht früh genug geweckt werden, denn im Kindesalter
bilden sich die Geschmackspräferenzen und Essgewohnheiten aus. Wer schon im Kindesalter regelmäßig frisches
Obst und Gemüse zu sich nimmt, das haben Studien belegt, wird diese Gewohnheiten auch im Erwachsenenalter
beibehalten. Umgekehrt zeigt der Ernährungsbericht
2008, dass Kinder und Jugendliche zu wenig pflanzliche
Lebensmittel, insbesondere Gemüse und Obst zu sich
nehmen, gleichzeitig aber viel zu viele fettreiche tierische
Lebensmittel sowie Süßwaren und gezuckerte Getränke
konsumieren. Die Folgen sind schon jetzt sowohl gesundheitspolitisch als auch volkswirtschaftlich betrachtet dramatisch: In Deutschland sind mittlerweile 20 Prozent der
Kinder übergewichtig, die Tendenz ist steigend. Hält dieser Trend auch weiterhin an, wird in etwa 40 Jahren jeder
zweite Erwachsene an Fettleibigkeit, Adipositas, leiden.
Damit steigt auch die Zahl schwerwiegender Folgekrankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2. Das hat weitreichende
Konsequenzen für unser Gesundheitssystem - in
Deutschland gehen Schätzungen von bis zu 100 Milliarden Euro an Behandlungskosten infolge falscher Ernährung aus.
Natürlich sind für die FDP in erster Linie die Eltern
für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich und aufgerufen, für gesunde Ernährungsgewohnheiten zu sorgen.
Aber leider wird auch immer wieder in Studien festgestellt, dass vor allem Kinder aus sozial benachteiligten
Familien tendenziell weniger frische und unverarbeitete
Lebensmittel essen, sondern stattdessen zu Fertiggerichten und Fast Food greifen. Meist fehlt schlicht das Wissen
um gesunde Ernährung. Hier können und müssen unsere
Kindergärten und Schulen Abhilfe schaffen.
Genau dies ist das Ziel des von der EU initiierten und
kofinanzierten Schulobstprogramms: Grundschulkindern
zwischen sechs und zehn Jahren soll Wissen über gesunde
Ernährung und Essgewohnheiten vermittelt werden theoretisch und ganz praktisch durch die Abgabe von
Obst und Gemüse an Schulen, ähnlich wie es mit dem
Schulmilchprogramm schon seit Jahrzehnten praktiziert
wird. Diese Initiative unterstützt die FDP ganz ausdrücklich, denn nur wer genug Wissen hat, kann später als
mündiger Verbraucher vernünftige Entscheidungen treffen und sich gesund ernähren. Ein weiterer positiver Effekt ist die damit verbundene Unterstützung der heimischen Landwirtschaft: Mit den insgesamt jährlich für das
Programm veranschlagten Mitteln in Höhe von über
25 Millionen Euro könnte der Obst- und Gemüseabsatz
schon signifikant gesteigert werden - in der jetzigen desolaten Lage der Landwirtschaft ein äußerst positives Signal!
In der Finanzierung liegt allerdings auch der Knackpunkt: Wir als FDP sind aus Subsidiaritätsgründen für
eine föderale Regelung. Bildung ist Ländersache. Die
Länder sollen entscheiden, ob und wie sie an dem Programm teilnehmen, denn sie wissen am besten, wie die
Lage vor Ort ist.
Allerdings wissen wir auch, dass für viele Bundesländer das Schulobstprogramm dann nur noch realisierbar
wäre, wenn sich die Eltern finanziell beteiligen würden.
Hier sehen wir den Bund in der Pflicht, er darf sich bei einem solch wichtigen Thema nicht einfach aus der finanziellen Verantwortung stehlen. Wer 5 Milliarden Euro für
die Abwrackprämie ausgeben kann, der kann auch einen
Beitrag zum Wohle unserer Kinder leisten! Dieses Hickhack um die Finanzen muss schnellstmöglich aufgehoben
werden, denn die Leidtragenden sind unsere Kinder.
Deshalb werbe ich abschließend im Namen meiner
Fraktion, der FDP, noch einmal ausdrücklich dafür, dieses sinnvolle und in die Zukunft gerichtete Schulobstprogramm im Interesse unserer Kinder schnellstmöglichst
umzusetzen - nicht zuletzt, weil wir sonst EU-Fördermittel in Höhe von jährlich 12,5 Millionen Euro einfach verfallen ließen.
Das Schulobstprogramm der Europäischen Union
zwingt die Bundesregierung zu seiner Umsetzung, weshalb in Deutschland jetzt ein Schulobstgesetz beschlossen
werden soll. Das ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen
Stein, es könnte aber ein kleiner Schritt hin zu einer gesunden, kostenfreien Gemeinschaftsverpflegung für Kinder und Jugendliche sein. Darum muss es im Endeffekt
gehen.
Es ist völlig klar, dass das Schulobstprogramm allein
die weitverbreitete Unterversorgung von Kindern und
Jugendlichen mit frischem Obst und Gemüse nicht ausgleichen kann. Dazu bedarf es vieler verschiedener Maßnahmen. Aber vor allem bedarf es eines gemeinsamen
Willens und gemeinsamer Anstrengungen von Bund und
Ländern, von Gemeinden, gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen. Diese Maßnahmen müssen in einem
Aktionsprogramm gebündelt und auch finanziert werden.
Ich meine damit nicht ein solch unambitioniertes und unterfinanziertes Programm wie INFORM, bei dem von ohnehin
nur 5 Millionen Euro pro Jahr nicht mal eine Möhre in einer
Schule ankommt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir haben in dieser Legislaturperiode schon mehrfach
darüber debattiert, welche Folgen ungesunde und unausgewogene Ernährung für jeden und jede Einzelne und auch
für unsere gesamte Gesellschaft hat. Wir haben darüber
gesprochen, welche gesundheitspolitischen und auch
welche finanziellen Herausforderungen Fehlernährung
und Übergewicht nach sich ziehen. Wir streiten immer
wieder darüber, welche Maßnahmen ergriffen werden
sollten oder müssten. Ich erinnere nur an den Dauerbrenner
„Ampel“ bei der Nährwertkennzeichnung. Immerhin besteht Einigkeit in allen Fraktionen darüber, dass etwas
passieren muss. Uns allen ist klar, dass gerade bei Kindern
und Jugendlichen großer und dringender Handlungsbedarf
besteht.
Das Wissen um gesunde Ernährung ist heutzutage in
vielen Familien leider ziemlich dürftig. Die Familie ist in
vielen Fällen nicht mehr der Ort, wo Kinder und Jugendliche lernen, vernünftig zu essen, ganz abgesehen davon,
dass immer mehr Kinder oft aus purer Armut gleich ohne
Frühstück und auch ohne Pausenvesper zur Schule gehen.
Fragen Sie doch mal in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Einkommen in den Schulen nach: Die
Lehrerinnen und Lehrer dort können Ihnen eine Menge
Kinder benennen, die mit leerem Magen in die Schule
kommen und sich vor lauter Hunger irgendwann nicht
mehr konzentrieren können. Auch gibt es Kinder, die sich
das Schulessen in der Mittagspause nicht leisten können.
Wir müssen dafür sorgen, dass auch diese Kinder und
Jugendlichen eine Chance bekommen. Mit knurrendem
Magen lernt es sich schlecht. Deshalb ist gerade in unserer
Bildungsgesellschaft gesunde Ernährung besonders
wichtig - zu Hause, in der Schule, in den Kindertagesstätten
und überall sonst.
Vor diesem Hintergrund ist dieser kleinliche Streit
zwischen Bund und Ländern, ob das Programm nun eher
der Absatzförderung der nationalen Landwirtschaft oder
der Schulverpflegung dient, nur noch peinlich. Wer bringt
denn nun die andere Hälfte der Kosten zur Kofinanzierung
zum EU-Programm auf? Der Bund oder die Länder? Im
Endeffekt decken die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
die Kosten gemeinschaftlich. Betrachtet man die Summe,
die hier hin- und hergeschoben wird, wird es geradezu
grotesk. Es geht um 12,5 Millionen Euro pro Jahr, heruntergerechnet geht es im Jahr um rund 1,50 Euro pro Kind.
Rechnen Sie das bitte einmal in Äpfel oder Birnen um. Sie
erinnern sich, dass gerade „Schutzschirme für Banken“
in Höhe von 480 Milliarden Euro beschlossen wurden?
Skandalös ist auch, dass sich die Bundesregierung besonders ins Zeug gelegt hat, um die Kofinanzierung durch
Dritte in die EU-Verordnung aufzunehmen. Das könnten
Unternehmen sein, aber sehr viel wahrscheinlicher sollen
die Eltern die Kosten decken, damit ihre Kinder in der
Schule oder der Kita das subventionierte Obst bekommen.
Wenn die Eltern das Geld hätten, ihren Kindern das Obst
mitzugeben, dann würden sie das doch tun. Aber es geht
doch gerade darum, die Kinder zu versorgen, die von zu
Hause eben kein Obst mitbekommen. Außerdem: Das
EU-Schulobstprogramm ist mit dem erklärten Ziel der
Absatzförderung aufgelegt worden. Sollen jetzt ausgerechnet diese Eltern dann auch noch die Landwirtschaft
kosubventionieren? Das darf ja wohl nicht wahr sein!
Wie gesagt, gute und gesunde Ernährung von Kindern
und Jugendlichen geht uns alle an. Da müssen Bund und
Länder an einem Strang ziehen und ihren Worten und
Sonntagsreden endlich Taten folgen lassen. Man kann
und man muss im Sinne der Schulkinder ein gemeinsames,
ein konzertiertes Programm auflegen. Dafür muss Geld
in die Hand genommen werden, und zwar von beiden Seiten - vom Bund und vom Land. Auch deutlich mehr als die
12,5 Millionen, um die es heute geht, wären vonnöten. Die
12,5 Millionen Euro der Europäischen Union sollten da als
Anreiz und als Anschub verstanden werden. Machen Sie
endlich etwas daraus!
Das Zuständigkeitsgerangel der Bundesländer und
der Bundesregierung in Bezug auf die Finanzierung des
Schulobstprogramms ist nicht akzeptabel und darf nicht
zur Verhinderung des Schulobstprogramms führen. Mit
dem Argument der fehlenden Finanzierbarkeit ziehen
sich Bund und Länder aus ihrer bestehenden Verantwor-
tung und tragen dazu bei, dass Kinder und Jugendliche
weiterhin gar kein oder, wenn überhaupt, nur ein schlech-
tes Essensangebot an Schulen erhalten. Dabei ist der
Handlungsbedarf mit Blick auf die miserable Ernäh-
rungssituation von Kindern besonders aus finanzschwa-
chen Familien mehr als deutlich.
Der gordische Knoten des Abwälzens von Verantwor-
tung muss endlich durchschlagen werden. Bund und Län-
der müssen ein gezieltes Aktionsprogramm für gesunde
Kinderernährung unter Einbeziehung der EU-Pro-
gramme für Schulobst, -milch und Armenspeisung entwi-
ckeln und dafür einen Finanzierungsplan vorlegen.
Ebenso wollen wir die verbindliche Einführung und Kon-
trolle von guten Qualitätsstandards für die Verpflegung
von Kindergarten- und Schulkindern.
Der Rat der Europäischen Union hat Ende 2008 ein
EU-Schulobstprogramm beschlossen. Das Programm
umfasst die Abgabe von Obst und Gemüse an Kinder im
Alter von sechs bis zehn Jahren. Ab dem Schuljahr 2009/
2010 stehen für Deutschland rund 12,5 Millionen Euro
zur Verfügung. In gleicher Höhe muss dies von den Mit-
gliedstaaten gegenfinanziert werden.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates zu diesem Pro-
gramm sieht eine Gegenfinanzierung durch den Bund vor.
Die Regierungskoalition hat dagegen nun die Finanzie-
rung durch die Länder beschlossen. Wir wollen ein um-
fassendes Ernährungsprogramm, das jedem Kind täglich
ein qualitativ gutes Essen kostengünstig zur Verfügung
stellt. Derzeit erhalten nur wenige Kinder in Schulen ein
Essensangebot; in Rheinland-Pfalz sind es nur circa
15 Prozent. Von den Schulträgern gesetzte Qualitätsstan-
dards sind unzureichend.
Folgen einer falschen Ernährung sind 1,9 Millionen
übergewichtige Kinder, von denen 800 000 bereits an
Fettleibigkeit erkrankt sind. Weitere ernährungsbedingte
Folgeerkrankungen wie Diabetes breiten sich wie eine
Epidemie aus. Laut einer aktuellen Studie wird in Europa
von 2005 bis 2020 die Zahl zuckerkranker Kinder unter
15 Jahren um 70 Prozent ansteigen. Bundesweit ent-
stehen durch Fehlernährung Behandlungskosten von
Zu Protokoll gegebene Reden
70 Milliarden Euro jährlich. Mit einem drastischen An-
stieg auf 100 Milliarden Euro ist in den nächsten Jahren
zu rechnen.
Ungesunde Ernährung und Mangelernährung sind
meist eng an den Bildungs- und Sozialstatus der Kinder
geknüpft, genauso wie der Gesundheitszustand. Arme
Kinder leben und essen ungesünder als der Durchschnitt.
Dies macht sich bei der Entwicklungsperspektive der
Kinder bemerkbar. Die Kinder lernen schlechter und sind
weniger leistungsfähig. Diese Unterschiede können zu ei-
ner Ausgrenzung aus dem Bildungssystem führen und set-
zen sich fort in einer fehlenden Integrationsfähigkeit auf
dem Arbeitsmarkt.
Ziel einer verantwortungsbewussten Sozial-, Bil-
dungs- und Ernährungspolitik muss es sein, jedem Kind
gleiche Entwicklungsmöglichkeiten unabhängig von sei-
ner sozialen Herkunft zu geben. Daraus ergibt sich für je-
des Kind und jeden Jugendlichen das Recht auf eine ge-
sunde Ernährung.
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz:
Erstens.
Gesunde Ernährung und Bewegung sind Kernanliegen
der Bundesregierung. Mit IN FORM ist es dem BMELV
gelungen, gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium
ein Dach für vielfältige Aktivitäten in diesem Bereich zu
schaffen. Je früher Menschen lernen, sich gesund zu er-
nähren, umso nachhaltiger ist diese Erfahrung und umso
größer die Chance, dass sie dieses Verhalten als Erwach-
sene beibehalten.
Zweitens zum EG-Schulobstprogramm.
Der EG-Agrarrat hat im vergangenen Jahr beschlos-
sen, jährlich 90 Millionen Euro Gemeinschaftsbeihilfe
für ein Schulobstprogramm zur Verfügung zu stellen. Das
Programm wurde explizit mit Hinweis auf eine Erhöhung
des zu geringen Obst- und Gemüseverzehrs von Kindern
und Jugendlichen aufgelegt. Dies begrüße ich sehr. Es
soll in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen
durchgeführt und muss vor allem mit flankierenden Maß-
nahmen begleitet werden, damit es zu einem Erfolg und
nachhaltiger Verhaltensänderung führt.
Von der Gemeinschaftsbeihilfe stehen Deutschland
circa 20 Millionen Euro für das Schuljahr 2009/2010 zur
Verfügung. Die Gemeinschaftsbeihilfe deckt in der Regel
50 Prozent der Ausgaben für das Schulobstprogramm,
der noch fehlende Teil muss aus öffentlichen Mitteln oder
auch durch den privaten Sektor des Mitgliedstaates kofi-
nanziert werden. Die Ausgaben für die obligatorischen
flankierenden Maßnahmen müssen von den Mitgliedstaa-
ten allein getragen werden. In Deutschland brauchen wir
für die Durchführung dieses Programms ein Gesetz. Ich
bin froh, dass der vorliegende Gesetzentwurf vom Bun-
desrat eingebracht wurde. Dies ermöglicht uns, die recht-
liche Grundlage rechtzeitig zu Beginn des kommenden
Schuljahres zu schaffen.
Drittens zur Zuständigkeit der Länder.
In Deutschland fällt die Durchführung des Programms
in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Es ist grund-
sätzlich die Aufgabe der Länder, das Gemeinschafts- und
Bundesrecht durchzuführen. Daraus folgt auch ihre
Finanzierungszuständigkeit.
Viertens zum vorgelegten Gesetzentwurf.
Dieser Gesetzentwurf geht davon aus, dass der Bund
für die Durchführung des EU-Schulobstprogramms zu-
ständig ist und entsprechend auch für alle entstehenden
nationalen Kosten aufkommen soll. Ich will an dieser
Stelle gar nicht auf die weiteren Details eingehen, denn
eines steht fest: So geht es nicht! Wir leben in einem föde-
ralen Staat, in dem die Aufgaben zwischen Bund und Län-
dern klar geregelt sind - auch in Zeiten knapper Kassen.
Nach unserer verfassungsmäßigen Ordnung liegt die
Durchführungs- und Finanzierungszuständigkeit dabei
eindeutig bei den Ländern. Diese sind allein für die
Durchführung des Bundesrechts und damit auch für die
Umsetzung und Kontrolle des Schulobstprogramms zu-
ständig.
Mit den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten
Änderungsanträgen stellen wir die Fakten wieder richtig
und ermöglichen einen Gesetzentwurf, der zustimmungs-
fähig ist und den Start des EU-Schulobstprogramms zu
Beginn des neuen Schuljahres ermöglicht.
Wir alle wissen, wie nötig es ist, dass unsere Kinder
von Kindesbeinen an gesundes Ernährungsverhalten ler-
nen, dass sie erfahren, wie frisches Obst und Gemüse
schmecken und welche Früchte zu welcher Jahreszeit reif
sind. Das EU-Schulobstprogramm bietet die Möglichkeit,
viele Kinder zu erreichen und mit frischem Obst und Ge-
müse zu versorgen und zwar dort, wo sie sich aufhalten,
in ihren jeweiligen Lebenswelten, sei es die Kita, die
Schule oder eine andere Bildungseinrichtung.
Wir fördern derzeit ein Modellprojekt des Vereins 5 am
Tag, das bereits Möglichkeiten eines Schulobstpro-
gramms in der Praxis erprobt. Der Zwischenbericht zeigt
ganz deutlich, dass es sehr gut ankommt und die prakti-
sche Durchführung vor Ort keine Probleme bereitet.
Ich weiß sehr wohl, dass auch in den Ländern der
finanzielle Schuh oft drückt, aber bedenken Sie: Es gibt
kaum sinnvollere Investitionen als die in die Gesundheit
unserer Kinder und damit in unsere Zukunft. Wenn die
Länder sich dieser Aufgabe nicht stellen, wird es in
Deutschland kein Schulobstprogramm geben.
Damit das Schulobstprogramm in Deutschland durch-
geführt werden kann, bitte ich um Zustimmung zu den Än-
derungsanträgen der Koalitionsfraktionen. Und ich bitte
die Länder eindringlich, in der nächsten Sitzung des Bun-
desrates dem geänderten Gesetz zuzustimmen, die Ge-
meinschaftsbeihilfe zu nutzen und das EU-Schulobstpro-
gramm durchzuführen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/13419, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf
Drucksache 16/13111 in der Ausschussfassung anzuneh-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
men. Wer möchte dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen und dafür die Hand erheben? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koali-
tionsfraktionen und die FDP angenommen. Dagegen hat
niemand gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke haben sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer ist für den Gesetzentwurf
und möchte sich erheben? - Wer ist dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit
dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenom-
men.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/13476. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Antrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben
Bündnis 90/Die Grünen und Fraktion Die Linke. Die üb-
rigen Fraktionen waren dagegen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Mobilfunkforschung verantwortlich begründen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Lutz Heilmann,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Mobilfunkstrahlung minimieren - Vorsorge
stärken
- Drucksachen 16/10325, 16/9485, 16/12915 Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Koeppen
Detlef Müller ({1})
Lutz Heilmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kennzeichnung von Mobilfunkgeräten
schnell und verbraucherfreundlich durchsetzen
- Drucksachen 16/3354, 16/4424, 16/5362 Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Koeppen
Detlef Müller ({3})
Lutz Heilmann
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutsches Mobilfunk Forschungsprogramm
fortsetzen
- Drucksachen 16/4762, 16/6580 Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Koeppen
Detlef Müller ({5})
Lutz Heilmann
Zu Protokoll genommen sind die Reden von Jens
Koeppen, Detlef Müller, Horst Meierhofer, Lutz
Heilmann und Sylvia Kotting-Uhl.
Innerhalb von drei Monaten debattieren wir heute bereits ein zweites Mal über die Chancen und Risiken der
Mobilfunktechnologie. Ich freue mich, innerhalb relativ
kurzer Zeit zu diesem wichtigen Thema erneut Stellung
beziehen zu dürfen, und greife dazu gerne die vorliegenden Anträge aus den Fraktionen der Opposition auf.
Das Wichtigste vorweg: Die Mobilfunktechnologie
wird von der Bevölkerung intensiv genutzt. Mobil zu telefonieren ist heute eine Selbstverständlichkeit. Im Jahr
2006 kamen auf 100 Menschen 104 Handys, Tendenz steigend. In dem Maße, in dem die Strahlenexposition
zunimmt, vermehren sich auch in der Bevölkerung die
Ängste, die Nutzung von Mobilfunkgeräten könnte mit gesundheitlichen Gefahren verbunden sein. Ich nehme diese
Sorgen sehr ernst.
Gerade weil das so ist, halte ich es für meine Pflicht,
nicht in Hysterie zu verfallen, sondern mich immer wieder mit dem Thema kritisch auseinanderzusetzen. Mein
Ziel ist es, der Bevölkerung eine realistische und sachliche Einschätzung zu geben. Ich will zur Vorsicht raten,
wo es angebracht ist, und Entwarnung geben, wo diese
wissenschaftlich abgesichert ist. Ich will keine diffusen
Ängste schüren - wie es Die Linke in ihrem Antrag
- Drucksache 16/9485 - tut, sondern aufklären, zur VerJens Koeppen
sachlichung der Debatte beitragen und Unkenntnis beseitigen.
Nun zu den Anträgen im Einzelnen. Die Anträge sprechen verschiedene Themenkomplexe im Bereich Mobilfunk an: erstens die Bedeutung des Mobilfunks für
Deutschland.
Das Handy ist aus unserer mobilen Informationsgesellschaft nicht mehr wegzudenken. Wollen wir in unserem Land auch in Zukunft international konkurrenzfähige
Produkte anbieten, müssen wir diese Technologien stetig
verbessern und verfeinern. Ihre Entwicklung hat zu vielen
Innovationen in Produktion und Dienstleistung der letzten Jahre beigetragen. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes. Über die Hälfte der Industrieprodukte und weit über
80 Prozent der Exportprodukte Deutschland hängen
heute vom Einsatz dieser Technologie ab.
Das Segment Mobilfunk stellt in diesem Zusammenhang einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor dar.
Auch Bündnis 90/Die Grünen sieht in der Mobilfunktechnologie einen „unverzichtbaren Innovationsträger
für Deutschland und Europa“ - Drucksache 16/4424,
Seite 1 -, für die FDP ist der Mobilfunk „ein prägender
Teil der modernen Telekommunikation und fester Bestandteil im Alltag“ - Drucksache 16/3354, Seite 1 -.
Über die große Bedeutung der modernen IuK-Technologie für unsere Gesellschaft besteht also Einigkeit. Gerade weil die Bedeutung des Mobilfunks für unser Land
nicht groß genug eingeschätzt werden kann, müssen wir
die bestehenden Vorbehalte ernst nehmen und diese ergebnisoffen erforschen. Nur so werden wir Risiken immer
besser abschätzen und im besten Fall Ängste ausräumen
können.
Dies bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Deutsches
Mobilfunk-Forschungsprogramm ({0}).
Die Forschungsförderung zu Auswirkungen elektromagnetischer Felder ist in den vergangenen Jahren erheblich erweitert worden. Die Bundesregierung ist
äußerst engagiert, um mögliche negative Folgen der Mobilfunktechnik zu untersuchen, Gefahren zu erkennen und
zu bannen: Im Juni 2002 hat sie beim Bundesamt für
Strahlenschutz, das erste DMF in Auftrag gegeben, um
abzuklären, ob die geltenden Grenzwerte die Bevölkerung in ausreichendem Maße vor Mobilfunkstrahlung
schützen.
Das DMF ist eines der weltweit größten Programme
im Mobilfunkbereich: Im Rahmen des DMF wurden vom
Bundesumweltministerium Mittel in Höhe von 8,5 Millionen Euro für die Forschung mit Schwerpunkt Mobilfunk
zur Verfügung gestellt. Die Mobilfunknetzbetreiber beteiligten sich mit weiteren 8,5 Millionen Euro an diesem
Vorhaben, hatten aber keine inhaltlichen Einflussmöglichkeiten auf das Programm.
Die Ergebnisse des DMF, die im Mai 2008 präsentiert
wurden, sind beruhigend; das erkennt auch die FPD in
ihrem Antrag - Drucksache 16/10325 - an. Das BfS und
die Strahlenschutzkommission, SSK, haben übereinstimmend festgestellt, dass das Forschungsprogramm keine
Erkenntnisse gebracht hat, die die geltenden Grenzwerte
aus wissenschaftlicher Sicht infrage stellen würden: Es
konnten ausdrücklich keine negativen Effekte auf Hormone, Blut-Hirn-Schranke und Fortpflanzung sowie
keine erhöhten Krebsrisiken - zum Beispiel bei Gehirntumor, Kinderleukämie - nachgewiesen werden. Im Bereich
der thermischen Wirkung elektromagnetischer Felder ergab eine Untersuchung kein zusätzliches Langzeitrisiko
und kein Krebsrisiko. Ferner konnte die Existenz von
Elektrosensibilität, an der bis zu sechs Prozent der Betroffenen zu leiden glauben, ausgeschlossen werden.
Hinweisen möchte ich allerdings auch auf die
Schwachstellen des Programms, die im Antrag der FDP
- Drucksache 16/10325 - korrekt benannt werden: Es besteht weiterer Forschungsbedarf in den Bereichen Langzeit und Auswirkungen auf Kinder. Die Bundesregierung
hat die Notwendigkeit verstärkter Forschung auf diesen
Gebieten erkannt und bereits intensiviert. Dies führt
dazu, dass der Antrag der FDP, der grundsätzlich durchaus in die richtige Richtung geht, als nicht zeitgemäß
abgelehnt werden muss. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auch auf die Forderung der FDP zur Entwicklung wirksamer Kommunikationsstrategien verwiesen. Hier möchte ich auf das Informationszentrum
Mobilfunk, IZMF, sowie das Portal www.mobilfunkbaukasten.de aufmerksam machen, in denen bereits
heute, für jedermann zugänglich, sachlich und verbraucherorientiert Informationen zum Thema „Elektromagnetische Felder/Mobilfunk“ aufbereitet werden. Auch das
BfS stellt seit langem ein umfassendes Informationsangebot in Form von Broschüren und Internetauftritten zur
freien Verfügung und behandelt hier umfassend sämtliche
Fragen des Mobilfunks.
Kurz zusammengefasst: Das DMF hat die wissenschaftlichen Kenntnisse über die Wirkung elektromagnetischer Felder wesentlich verbessert. Insgesamt bieten
die Ergebnisse des DMF keinen Anlass, die Schutzwirkung der bestehenden Grenzwerte infrage zu stellen. Die
zu Beginn des DMF bestehenden Hinweise auf mögliche
Risiken konnten nicht bestätigt werden. Neue wissenschaftliche Kenntnisse liegen bis heute nicht vor, sodass
die Ergebnisse des DMF weiterhin Gültigkeit besitzen
und an den bestehenden Grenzwerten der 26. BimSchV
festgehalten wird.
Drittens: Mobilfunknetzbetreiber.
Die Bundesregierung betreibt also auch nach Abschluss des DMF weiter Forschung auf dem Gebiet des
Mobilfunks, um die fachlichen Grundlagen zur Risikobewertung in den oben genannten Bereichen weiter zu verbessern. Ich begrüße es, dass die Mobilfunkbetreiber die
über das DMF hinausgehende Forschung weiter finanziell unterstützen. Ferner ist die im Dezember 2001 von
den Mobilfunknetzbetreibern beschlossene freiwillige
Selbstverpflichtung in ihren bisherigen Ergebnissen positiv zu bewerten. Mit dieser Selbstverpflichtung haben sich
die Mobilfunknetzbetreiber zu nachprüfbaren Verbesserungen in den Bereichen des Verbraucher-, Gesundheitsund Umweltschutzes verpflichtet, um die Vorsorge im Bereich des Mobilfunks zu verstärken. Diese Bemühungen
müssen fortgesetzt werden. Dabei sollte die Branche ein
Zu Protokoll gegebene Reden
besonderes Augenmerk auf die technische Weiterentwicklung von Geräten legen, um zukünftig bei reduziertem
Stromverbrauch bzw. reduzierter Strahlung gleiche Leistung zu erhalten. Neue Anwendungen sollten ermöglicht
werden, um das Sorgenpotenzial zu reduzieren. Dieser
Punkt führt mich zum nächsten Themenkomplex, der abschließend die technische Seite der Debatte zum Thema
Mobilfunk beleuchtet.
Viertens: Kennzeichnung von Geräten.
Die FDP fordert in ihrem Antrag - Drucksache 16/3354,
Seite 2 - eine „transparente Strahlenklassifizierung“, da
es bislang „eine deutlich sichtbare und für die Verbraucher verständliche Ausweisung der SAR-Werte auf den
Geräten bzw. den Verpackungen“ nicht gebe. Auch die
Grünen bewerten die Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber „als nicht ausreichend, um eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsarmer Handys
durchzusetzen“ und fordern eine „verbraucherfreundliche Klassifizierung der Strahlungsintensität von Mobiltelefonen“ - Drucksache 16/4424, Seite 1 f -.
Bevor ich auf diese Forderungen eingehe, ist es notwendig, einen in diesem Zusammenhang wichtigen Sachverhalt zu erläutern: Um die Belastung der Strahlung für
den Körper zu vergleichen, wird der sogenannte SARWert genutzt. Das ist der Anteil der Sendeleistung, den
das Gewebe aufnimmt. Je kleiner dieser Wert, desto geringer wird das Gewebe durch die Strahlung erwärmt.
Der empfohlene obere Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation liegt bei 2,0 Watt pro Kilogramm. Bei sämtlichen modernen Mobilfunkgeräten liegt der Wert zwischen
0,04 und 1,94 Watt pro Kilogramm, also deutlich unter
der zulässigen Obergrenze. Das heißt, in Bezug auf die
gesundheitlichen Risiken macht es keinen Unterschied,
ob ein Handy 0,4 oder 0,7 Watt pro Kilogramm strahlt.
Oder in anderen Worten: Ein niedrigerer Wert würde lediglich dazu verführen, ein Gerät als vermeintlich „gesünder“ anzusehen als ein anderes.
Eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht, die den Gedanken „gesunder“ und „weniger gesunder“ Handys
aufgreift, würde einen unverantwortlichen Eingriff in die
produzierende Wirtschaft darstellen. Hier würde suggeriert, es gebe „gute“ und „böse“ Mobiltelefone. Auf diese
Weise werden Verbraucher in die Irre geführt.
Darüber hinaus orientiert sich die Mobilfunktechnologie an internationalen Standards. Nationale Einschränkungen würden den weltweiten Vertrieb und Einsatz
dieser Technik erschweren. Dies käme einem Wettbewerbsnachteil für Deutschland gleich.
Ferner gebe ich zu bedenken, dass eine neue Kennzeichnungspflicht zu einer weiteren Bürokratisierung
durch noch mehr gesetzliche Regelungen führen würde.
Zur Schaffung weiterer staatlicher Regelungen besteht
aber schon deswegen keine Notwendigkeit, da es ja bereits - wie in den beiden Anträgen beschrieben - die
Möglichkeit gibt, über das Gütesiegel „Blauer Engel“
die besondere Verträglichkeit eines Gerätes zu zeigen.
Dass die Industrie bis dato von diesem Gütesiegel kaum
Gebrauch gemacht hat, finde ich angesichts der eben von
mir ausgeführten Sachlage nachvollziehbar. Deswegen
halte ich es für den besseren Weg, die technischen Parameter eines Handys - unter anderem den SAR-Wert deutlicher und transparenter als bisher auf das Gerät
oder die Verpackung aufzubringen, ohne eine Bewertung
durch ein Kennzeichnungssystem vorzunehmen. Durch
eine solche verbesserte „Sichtbarmachung“ könnte der
Verbraucher die Strahlungsintensität seines Gerätes auf
den ersten Blick erfassen und eigenverantwortlich eine
Bewertung vornehmen.
Zusammenfassend stelle ich fest:
Eine schlussendliche, alles erschöpfende Analyse der
gesundheitlichen Risiken ist nicht bzw. noch nicht möglich. Wer sich in diesem Grund beeinträchtigt sieht, dem
steht es frei, auf ein Mobiltelefon zu verzichten oder Vorsichtsmaßnahmen zu treffen - wie verkabelte anstelle von
drahtlosen Systemen zu Hause oder Headsets mit Kabeleinsatz fürs Handy.
Um die Entwicklungspotenziale der Mobilfunktechnologie nicht zu gefährden, müssen wir die Sorgen der
Bevölkerung vor Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Felder ernst nehmen. Wir dürfen nicht zu
unkritisch sein gegenüber einer neuen Technologie, nur
weil sie weit verbreitet und fast unverzichtbar geworden
ist.
Die noch bestehenden Unsicherheiten müssen durch
gezielte Forschung weiter eingegrenzt und die Wissensbasis verbreitert werden. Kontraproduktiv wirken hier
Anträge wie der der Linken, die eher auf Behauptungen
denn auf wissenschaftlich fundierten Aussagen basieren.
Statt durch Populismus die oft auf Unkenntnis beruhenden, diffusen Ängste in Teilen der Bevölkerung vor Mobilfunk zu schüren, sollten wir unserer Verantwortung gerecht werden und zu einer Versachlichung der Debatte
beitragen!
Wir beraten heute abschließend über die Beschlussempfehlungen des Umweltausschusses zu den Anträgen
der Fraktion der FDP „Mobilfunkforschung verantwortlich begründen“ und der Fraktion der Linken „Mobilfunkstrahlung minimieren - Vorsorge stärken“. Da wir
bereits in der ersten Lesung im Plenum und im Umweltausschuss ausführlich über die Anträge debattiert haben,
möchte ich nur kurz die Inhalte der Anträge skizzieren.
Mit dem Antrag der Fraktion der FDP soll die Bundesregierung aufgefordert werden, sich für eine weitere Forschung auf dem Gebiet der nichtionisierenden Strahlung
einzusetzen. So sollen insbesondere Langzeitstudien bei
bestimmten Personengruppen wie Kindern und Schwangeren durchgeführt werden. Diese Untersuchungen sollen durch das BMU, die Netzbetreiber und zusätzlich im
Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung durch die
Hersteller von Mobiltelefonen finanziert werden. Zudem
fordert der Antrag der FDP eine verbesserte internationale Vergleichbarkeit von Forschungsergebnissen.
Die Linke zielt in ihrem Antrag darauf ab, die Bundesregierung aufzufordern, die in der Sechsundzwanzigsten
Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes festgelegten Grenzwerte unter BerücksichZu Protokoll gegebene Reden
Detlef Müller ({0})
tigung der nichtthermischen Wirkungen, der Expositionsdauer sowie des Vorsorgeprinzips so weit abzusenken, dass
gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können. Des Weiteren sollen Genehmigungen für Mobilfunksendeanlagen nur befristet erteilt werden.
Des Weiteren beraten wir über die Beschlussempfehlungen für drei ältere Anträge der FDP mit dem Titel
„Verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte“ und der Grünen mit den Titeln
„Kennzeichnung von Mobilfunkgeräten schnell und verbraucherfreundlich durchsetzen“ und „Deutsches Mobilfunkforschungsprogramm fortsetzen“. Diese Anträge
stammen von Anfang 2007, sie sind deutlich vor Beendigung des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms im
Jahr 2008 entstanden und sind nicht mehr aktuell, sodass
wir uns eine Diskussion darüber ersparen können. Sie
sind von der Realität überholt.
Grundsätzlich müssen alle Anträge vor dem Hintergrund des stetig wachsenden Gebrauchs von Handys in
unserer Gesellschaft gesehen werden. So gehören heute
neben dem normalen Telefonieren immer neue Funktionen wie Fotografieren, Bilder senden und empfangen, Videos anschauen, Nachrichten schreiben und lesen, im Internet surfen, Dateien erstellen und verwalten und die
Nutzung als Navigationssystem zum Leistungspaket eines
modernen Handys. Die Handybranche gilt als eine sehr
innovationsorientierte Industrie, die Produktzyklen sind
extrem kurz.
Von Anfang an gab es allerdings in Teilen der Bevölkerung auch kritische Stimmen, ob die Nutzung dieser
Technologie nicht gesundheitliche Schäden durch elektromagnetische Felder hervorrufen könne. Deshalb hat
die Bundesregierung 2001 das Deutsche Mobilfunkforschungsprogramm ins Leben gerufen, um gerade diese
Frage zu klären. Nach Abschluss der Forschungsprojekte
im Jahre 2008 bewerteten sowohl das Bundesamt für
Strahlenschutz als auch die Strahlenschutzkommission
das Mobilfunkforschungsprogramm. Dabei sind beide
unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen,
dass das Mobilfunkforschungsprogramm keine Erkenntnisse erbracht hat, die die geltenden Grenzwerte infrage
stellen. Deshalb bedarf es keiner grundsätzlichen Verschärfung der Grenzwerte, die die Linke in ihrem Antrag
fordert.
Obwohl die Ergebnisse also keinen großen Anlass zur
Sorge geben, so sind noch einige offene Fragen zu klären.
So gibt es bisher noch keine Langzeitstudien bei einer
Nutzungsdauer von länger als zehn Jahren und auch
keine Studien, die die Wirkung unterschiedlicher Strahlenquellen beinhalten. Des Weiteren existieren keine Studien, die speziell auf Kinder oder auf Schwangere ausgerichtet sind.
Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die Forschung
auf diesen Gebieten ausgeweitet werden muss. Im Mobilfunkforschungsprogramm wurden andere Funktechnologien wie zum Beispiel digitales Fernsehen oder W-LAN
nur am Rande untersucht oder blieben, wie zum Beispiel
neue Hochfrequenztechnologien wie der digitale Behördenfunk TETRA-Funk, bestimmte Frequenzbereiche wie
Terahertz oder die Wechselwirkung verschiedener gleichzeitiger Anwendungen, gänzlich unberücksichtigt.
Insbesondere die Auswirkungen auf Kinder sind noch
nicht endgültig erforscht. In diesem Bereich sind noch
dringend spezifische Untersuchungen erforderlich, wir
als SPD-Fraktion unterstützen deshalb grundsätzlich das
Anliegen des FDP-Antrages.
Da die Anträge der FDP und der Linken aus dem Jahr
2008 stammen, muss festgehalten werden, dass ein Großteil der Forderungen bereits durch die Bundesregierung
umgesetzt wird. So werden das BMU und das Bundesamt
für Strahlenschutz die Forschung zur weiteren Aufklärung der noch offenen Fragen fortsetzen. Hierzu wurde
ein dreijähriges Forschungsprogramm erstellt. Das Gesamtbudget beträgt circa 5 Millionen Euro. Die Finanzierung soll anteilig durch Mittel des BMU - UFOPLAN und der Netzbetreiber erfolgen und in derselben Weise
wie das DMF abgewickelt werden. Durch die Bundesregierung werden die Parlamentarier alle zwei Jahre durch
den Bericht zur Mobilfunkforschung über die neuesten
Forschungsergebnisse zeitnah informiert. Dies ist zuletzt
im Dezember 2008 erfolgt, insofern ist der Antrag der
FDP durch die Bundestagsdrucksache 16/11557 bereits
überholt.
Dagegen hat die SPD-Fraktion immer wieder gefordert, dass die Hersteller ihre emissionsarmen Endgeräte
mit dem Blauen Engel kennzeichnen sollen, um für die
Verbraucher im Vorfeld der Kaufentscheidung mehr
Transparenz herzustellen, Da dies auch in den Anträgen
der FDP und der Grünen gefordert wird, unterstützen wir
diese Forderungen.
Wovon wir uns aber deutlich distanzieren, sind Versuche, die Bevölkerung durch neue Grenzwertforderungen
zu verunsichern oder regelrecht Ängste zu schüren. Diese
Kritik geht vor allem in Richtung der Linken. Wir können
nicht die angeführten Gründe und Feststellungen teilen.
So geben die im Antrag zur Begründung angeführten Folgen und Risiken des Mobilfunks nicht den heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand wieder. Auch für die Behauptung, dass Gefälligkeitsgutachten für die Hersteller
erstellt wurden, fehlt jeder Beweis. Offen bleibt zudem,
warum die Linken die Mobilfunkbetreiber nicht weiter in
die Pflicht nehmen wollen und auch keine finanzielle Beteiligung an der Forschung wünschen. So wird das Verursacherprinzip konterkariert, weil keine finanzielle Beteiligung von den Verursachern eingefordert wird.
Ich fasse zusammen: Wir stimmen der Beschlussempfehlung des Umweltausschusses zu, die Anträge abzulehnen. Der Antrag der FDP ist zwar sachbezogen, aber zeitlich überholt, die Forderungen des Antrages werden
größtenteils bereits umgesetzt. Die Forderungen im Antrag der Linken haben keine fundierte Basis und dienen
eher dazu, die Bevölkerung zu verunsichern.
Nach den Beratungen im Ausschuss ist deutlich geworden, dass eine Mehrheit der Fraktionen in diesem Haus
unseren Antrag für inhaltlich stichhaltig und sachbezogen
Zu Protokoll gegebene Reden
hält. Es ist deshalb unverständlich, dass wir heute über das
ablehnende Votum des Ausschusses debattieren.
Lassen Sie mich Ihnen deshalb nochmals die wichtigsten
Punkte in unserem Antrag vor Augen führen, in der Hoffnung, dass das bessere Argument Sie überzeugt. In
Deutschland können wir den Mobilfunk weder aus dem
öffentlichen noch aus dem privaten Leben wegdenken. Es
existieren mittlerweile mehr Handyendgeräte als Einwohner. Rund 11 Prozent der Haushalte setzen nur noch
auf Handys und verzichten gänzlich auf einen Festnetzanschluss. Dabei werden die Endgeräte immer leistungsfähiger und ersetzen häufig Anwendungen, die bisher einem
Computer, einem Diktiergerät, einem MP3-Player oder
einem Fotoapparat vorbehalten waren. Mobiltelefone
werden somit auch zu einem wichtigen Faktor in einer sich
stetig wandelnden Berufswelt mit zum Teil völlig mobilen
Arbeitsplätzen. Darüber hinaus sind in Unternehmen, die
mittel- oder unmittelbar mit Funktechnologien befasst
sind, über 200 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Unternehmen stehen für eine hochinnovative Branche mit sehr
kurzen Innovationszyklen.
Trotz der herausragenden Stellung der Mobilfunktechnologie als Wirtschaftszweig und als Anwendung im öffentlichen und privaten Leben existieren in Teilen der Bevölkerung Vorbehalte gegen mobile Funktechnologien, denen nur
dann begegnet werden kann, wenn die Angst vor Risiken
durch Forschung ausgeräumt wird. Genau in diese Richtung
zielt unser Antrag. Er greift die Ergebnisse des Deutschen
Mobilfunkforschungsprogramms, DMF, auf und formuliert
die richtigen Konsequenzen. Das ist von keiner Fraktion
hier bestritten worden, abgesehen von den Kollegen der
Fraktion Die Linke, die einen ideologisch motivierten und
mit falschen Behauptungen gespickten Antrag eingebracht
haben: Darin fordern sie zum Beispiel die Senkung von
Grenzwerten bei gleichzeitigem Stopp des Ausbaus des
Mobilfunksystems. Das ist in etwa so, als wenn sie die
Wüste bewässern wollten, in Wasserkanälen aber das
Übel sehen. Wenn Sie Grenzwerte senken wollen, müssen
zur Sicherstellung der Abdeckung mehr und nicht weniger
Masten aufgestellt werden. Erklären Sie das bitte mal den
Mobilfunkinitiativen in Ihren Wahlkreisen. Aber nicht nur
das: Sie argumentieren mit zwei Studien, deren Ergebnisse
sich - im Falle der REFLEX-Studie - entweder nicht auf
den Menschen übertragen lassen oder deren Verfasser - wie
im Falle der Studie der Europäischen Umweltagentur selbst eingestehen, dass sie über keinerlei Expertise auf
dem Gebiet der elektromagnetischen Felder verfügen.
Das Schlimmste an Ihrem Antrag ist aber die perfide
Argumentation mit Ängsten. Sie reden von „enormen Folgen
für die Lebenserwartung“ und „schwerwiegenden Folgen
für bestimmte Hirnfunktionen“. Das ist wirklich unterste
Schublade, es ist unseriös und schürt Ängste. Wir brauchen
transparente Forschung, paritätische Finanzierung, eine
ausgewogene Risikokommunikation und keine Argumentation mit Studienergebnissen, für die sich Dutzende Studien
mit gegenteiligen Resultaten zitieren ließen.
Ganz abgesehen davon scheint in Ihrem Antrag auch Ihr
sozialistisches Gedankengut durch: lieber alles gesetzlich regeln, als auf den gesunden Menschenverstand zu
setzen. Wollen Sie tatsächlich Mobilfunk- und Schnurlostelefone im Anwendungsbereich der 26. BImSchV? Sollen
dann alle Privathaushalte ihre Geräte anmelden? Welchen
Mehrwert für die Gesundheit soll das denn haben? Gleiches
gilt für den von Ihnen geforderten kommunalen Genehmigungsvorbehalt bei Funkmasten. Da schreiben Sie, dass
die Abstimmung zwischen Kommunen und Netzbetreibern
„nur auf freiwilliger Basis“ erfolgt. Wir haben uns mal die
Mühe gemacht und bei den kommunalen Dachverbänden
nachgefragt, wie diese Vereinbarung umgesetzt wird. Sowohl der Deutsche Städtetag als auch der Deutsche Landkreistag und der Städte- und Gemeindebund haben mir
mitgeteilt, dass sie keine Veränderung dieser Übereinkunft wünschen, weil sie nämlich gut funktioniert. Warum
Sie deren freiwilligen Charakter kritisieren, ist mir deshalb völlig schleierhaft.
Kommen wir zu unserem Antrag zurück: Das DMF hat
im Zeitraum von 2002 bis 2007 wichtige Erkenntnisse geliefert. Das sicher Wichtigste ist, dass bei akuter und
chronischer Wirkung der nichtionisierenden Strahlung weder unter Laborbedingungen noch in epidemiologischen
Studien gesundheitliche Effekte festgestellt werden konnten.
Dieses Ergebnis ist wichtig und sehr erfreulich, weil es
dazu beiträgt, die weitverbreitete Skepsis gegenüber dieser
Technologie abzubauen bzw. zu entkräften.
Das DMF hatte aber auch seine Schwächen, die zum
Teil im Forschungsdesign lagen. So konnte bestimmten
Fragestellungen nicht nachgegangen werden: Das sind
zum einen Fragen der additiven Wirkung unterschiedlicher
Strahlenquellen wie DECT-Telefone und W-LAN sowie der
Wirkung nichtionisierender Strahlung auf Schwangere,
Kinder und Heranwachsende; zum anderen Langfriststudien, die sich aufgrund des kurzen Zeithorizontes nicht
realisieren ließen.
Wenn wir über den Inhalt der Forschung reden, kommen
wir nicht umhin, auch über die Finanzierung zu sprechen.
Wir sind der Meinung, dass es aufgrund der zentralen
wirtschaftlichen Stellung des Mobilfunksektors ein öffentliches Interesse an einer transparenten und objektiven
Forschung gibt. Das heißt aber gerade nicht, geschätzte
Kollegen von der Linksfraktion, dass diese ausschließlich
vom Steuerzahler finanziert werden soll. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Sie keine Beteiligung der
Mobilfunkbetreiber mehr wünschen. Wir verfolgen einen
anderen Ansatz: Neben den Netzbetreibern müssen wir
endlich auch Mittel und Wege finden, die Endgerätehersteller mit einzubeziehen.
Die beste und objektivste Forschung hilft aber nichts,
wenn es uns nicht gelingt, die Ergebnisse einfach und
nachvollziehbar für die Bürger darzustellen. Dazu gehört
auch eine Kennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte durch entsprechende Labels. Eine Möglichkeit bietet
der Blaue Engel, der von den Endgeräteherstellern bis
heute leider kaum in Anspruch genommen wird. Ein Drittel
der auf dem Markt befindlichen Geräte erfüllt aber heute
schon die Anforderungen, die das Umweltgütezeichen
stellt. Ich kann die Hersteller deshalb nur aufrufen, ihre
Scheu vor verbraucherfreundlicher Kennzeichnung endlich
abzulegen und ihre Geräte mit dem Blauen Engel kennzeichnen zu lassen oder - wie von uns schon 2006 gefordert einen eigenen Vorschlag für transparente Labels zu machen,
Zu Protokoll gegebene Reden
denkbar wäre zum Beispiel eine Kennzeichnung analog
der bei Kühlschränken.
Mobilfunk ist ein wichtiger Faktor in Wirtschaft und
Gesellschaft. Es bestehen dennoch Vorbehalte gegen diese
Technologie. Diesen gilt es durch Forschung zu begegnen.
Das DMF hat einen substanziellen Beitrag geleistet, aber
es gibt noch offene Fragen. In den Ausschussberatungen
haben Sie unseren Argumenten inhaltlich zugestimmt. Ich
bitte Sie nun, jenseits von parteitaktischen Überlegungen,
unserem Antrag zuzustimmen.
Das Handy ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr
wegzudenken. Wir wollen es auch nicht mehr wegdenken.
Die Mobilfunkindustrie schafft Arbeitsplätze, die Möglichkeiten, die ein Handy bereitstellt, gleichen einem
Computer, und das Handy an sich kann in Notsituationen,
schnell griffbereit, Leben retten!
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Einerseits werden
vermehrt Meldungen laut, dass der Mobilfunk schädlich
für menschliche, aber auch für tierische und pflanzliche
Organismen ist. Es muss doch was dran sein, dass nicht
umsonst nach einer Schätzung des Bundesamtes für
Strahlenschutz derzeit rund 25 000 Menschen regelrecht
auf der Flucht vor Mobilfunksendern sind. Sie schlafen
- zumindest zeitweise - in Kellern, in Wohnwagen, im
Wald oder in einer abgelegenen Zweitwohnung.
Anderereits schlägt das Deutsche Mobilfunkforschungsprogramm sämtliche Warnungen in den Wind und
behauptet, dass keine Gefahr für die Bevölkerung bestehe. Die derzeit bestehenden Grenzwerte seien ausreichend. Akute oder chronische Wirkungen gehen von Handys und anderen strahlenden Geräten nicht aus.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie
verweisen auf das Deutsche Mobilfunkforschungsprogramm. Mit dessen Ergebnis wollen Sie den Bürgerinnen
und Bürgern - ich zitiere - „Ängste nehmen“? Nur, wie
wollen Sie das erreichen? Indem Sie die Bevölkerung unterschätzen und für dumm verkaufen?
So fällt doch auf den ersten Blick auf, dass jedenfalls
„akut“ Organismen nicht bedroht sein können. Schauen
Sie sich um, wir müssten ansonsten hier alle der Reihe
nach im Saal umfallen, denn auch hier sind wir der Strahlung ausgesetzt. Schauen Sie zur Kontrolle ruhig auf Ihr
Handy!
Und dass vom Mobilfunk keine chronischen Wirkungen ausgehen, ist zu hinterfragen. Sie brauchen kein
Fachmann zu sein, um zu wissen, dass das Wort „chronisch“ aus dem Griechischen chrónos, „die Zeit“, übersetzt wird und langsam sich entwickelnde oder lang andauernde Erkrankungen bedeutet. Und jetzt lesen Sie
bitte die gesamte Deutsche Mobilfunkstudie. Dort steht
geschrieben, dass neben den Auswirkungen auf Kinder,
Schwangere und ältere Menschen auch Langzeitwirkungen nicht untersucht wurden!
Und Sie wollen ernsthaft behaupten, dass vom Mobilfunk keine chronischen Erkrankungen ausgehen?! Nicht
wir schüren Ängste. Die Unsicherheit, dass eben nichts
erforscht und geklärt ist, schürt die Ängste der Bürgerinnen und Bürger.
Wir wollen Licht ins Dunkel bringen, den Schatten
erhellen. Dazu benötigen wir aber weitere Forschungen
mit transparenten Finanzierungen, die Absenkung der
Grenzwerte unter dem Vorsorgegedanken und Grenzwerte mit der Berücksichtigung der Pulsung, der biochemischen Einflüsse und der zeitlichen Belastung. Denn wir
müssen dem Vorsorgegedanken Rechnung tragen. Wir,
nicht irgendjemand, wir als Gesetzgeber stehen in der
Pflicht zu reagieren!
Neben unserem parlamentarischen Auftrag, zum
Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger zu handeln, ergibt sich auch die Pflicht aus dem internationalen und
dem nationalen Recht. So wird in Art. 174 II EG-Vertrag
normiert, dass die Umweltpolitik der Gemeinschaft zur
Verfolgung unter anderem des Zieles des Schutzes der
menschlichen Gesundheit beitragen und dabei auf ein hohes Schutzniveau abzielen muss. Dabei ist auf die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung zu achten. Auch im
nationalen Recht, insbesondere im Grundgesetz, gibt es
mehrere Artikel, die dem Schutz der menschlichen Gesundheit und dem Vorsorgegedanken Rechnung tragen.
So möchte ich nur Art. 2 II, Art. 14 I und Art. 20 a nennen,
die Sie alle kennen und die ich deswegen nicht in epischer
Breite ausführen möchte. In der Aufzählung ist auch der
etwas fernliegende Art. 13 I GG zu nennen. So umfasst
das Recht auf Achtung der Wohnung auch das Recht, sie
auch unbeeinträchtigt von unsichtbaren oder nicht körperlichen Verletzungen wie Lärm, Immissionen, Gerüchen oder ähnlichen Einwirkungen zu nutzen. Dieser
Auslegung schließt sich im Übrigen auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seiner Entscheidung vom 3. Juli 2007 zum Thema „Gesundheitsgefahren durch Mobilfunkanlagen“ an.
Es muss das Mögliche und Gebotene getan werden, um
schon vorbeugend die Gesundheit zu schützen. In der derzeitigen Fassung der 26. BImSchV ist dies jedenfalls nicht
verankert. So vermissen neben mir auch die deutschen
Strahlenschutzbehörden eine - ich zitiere - „ausreichende Rechtsgrundlage für die derzeit unkontrollierte
Strahlenexposition der Bevölkerung“ und halten darüber
hinaus Vorsorgemaßnahmen für „unabweisbar“.
Daher wiederhole ich gerne noch einmal unsere wichtigsten Forderungen: die Grenzwertabsenkung unter dem
Gedanken der Vorsorge; die Grenzwertabsenkung unter
Berücksichtigung der Pulsung, der biochemischen Einflüsse und der zeitlichen Belastung; die Fortführung der
unabhängigen Forschung mithilfe transparenter Finanzierung; Schutzzonen für Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und Altenheime zu schaffen und die Kennzeichnung der Strahlungsintensität auf den Geräten und den
Verpackungen einzuführen.
Das Bedürfnis der Mehrheit in der Gesellschaft nach
mobiler Kommunikation - möglichst überall und zu jeder
Zeit - ist das Dilemma einer kleinen Minderheit: der
Menschen, die unter Elektrosensibilität leiden. Was dieses
Dilemma angeht, ist es zunächst nicht wichtig, ob der
Zu Protokoll gegebene Reden
Kausalzusammenhang zwischen Mobilfunk und Elektrosensibilität nachgewiesen werden kann. Entscheidend ist,
ob die Betroffenen empfinden, dass ihre Lebensqualität
unerträglich beeinträchtigt wird. Da es europaweit die
Betroffenenverbände der „Mobilfunkgeschädigten“ gibt,
ist auch der Erkenntnisgewinn auf der Ebene des Europaparlamentes inzwischen bedeutend. Die Grünen im Europaparlament haben im März 2009 beantragt, die Mitgliedstaaten aufzufordern, Elektrosensibilität als Krankheit
anzuerkennen. Wir könnten dem Beispiel Schwedens folgen
und Menschen, die an Elektrohypersensibilität leiden, als
behindert anerkennen, um ihnen einen angemessenen
Schutz und Chancengleichheit zu bieten.
Bisher ging es beim Mobilfunk in erster Linie um den
Ausbau einer schnellen Infrastruktur auch in ländlichen
Gebieten. Bündnis 90/Die Grünen fordern, mit den Bemühungen um eine flächendeckende Bereitstellung der Dienste
gleichzeitig die gesundheitliche Vorsorge auszubauen. Dazu
gehören Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie
die Transparenz für Verbraucher, die in unseren Anträgen
„Deutsches Mobilfunk-Forschungsprogramm fortsetzen“
und „Kennzeichnung von Mobilfunkgeräten schnell und
verbraucherfreundlich durchsetzen“ eine zentrale Rolle
spielen.
Die Wirkung nichtionisierender Strahlung auf Kinder
und Jugendliche einerseits und die Langzeitwirkungen
andererseits sind viel zu wenig bekannt. Für uns Grüne ist
aber auch die Wirkung auf die Umwelt insgesamt, also auch
auf Flora und Fauna, von Bedeutung. Aber Forschungen
alleine helfen den Elektrosensiblen nicht, zumal aufgrund
der Komplexität der Umwelteinwirkungen ein Kausalzusammenhang beim Mobilfunk ebenso wenig wie beispielsweise der Kausalzusammenhang zwischen der
Strahlung rund um Atomkraftwerke mit der statistisch
auftretenden erhöhten Leukämierate von Kindern bisher
wissenschaftlich nachweisbar ist. Dass die Unschädlichkeit
ebenso wenig beweisbar ist, befreit die Menschen nicht
von den Beeinträchtigungen, die sie spüren.
Diese Menschen sind wenige, ihnen stehen wirtschaftliche Interessen entgegen, und sie haben keine Lobby. Die
freiwillige Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber hat
nicht das gebracht, was sie versprochen hat. Der bündnisgrüne Ansatz für einen gerechten Interessenausgleich
ist daher vor allem die Stärkung der Mitspracherechte.
Bisher funktioniert die Einbindung der Bürgerinnen und
Bürger vor Ort nur suboptimal. Das Baurecht erlaubt
selbst bei Einigkeit der Anwohnerschaft nur in reinen
Wohngebieten, Sendemasten zu verhindern.
Die öffentliche Standortdatenbank war ein erster guter
Schritt. Wir fordern jetzt zentrale Anlaufstellen für Bürger
und Bürgerinnen, damit die Anwohner über geplante Anlagen informiert sind und Diskussionsrunden organisieren
können. Nur mit garantierter Bürgerbeteiligung können
wir das Gefühl von Ohnmacht bei den Betroffenen verringern. Die Minimierung der Strahlenbelastung im Interesse der Allgemeinheit kann beispielsweise über eine
kabelgebundene Grundversorgung befördert werden.
Besonders sensible Bereiche wie Kindergärten oder
Krankenhäuser brauchen auch besonders sensible Maßnahmen. Diesbezüglich sind die Vorschläge der Linken nicht
verkehrt. Ich habe aber ein Problem mit ihrer Haltung zu
der Frage, wer die weitere Forschung bezahlen soll. Gemäß
Verursacherprinzip sind die Mobilfunkbetreiber in der
Pflicht, zu zahlen. Das heißt allerdings nicht, dass sie die
Forschungsaufträge auch ausschreiben und abnehmen
dürfen. Auch hier gilt für mich das Vorsorgeprinzip: vorausschauend für eine unabhängige Forschung sorgen Gefälligkeitsforschung verhüten!
Technologien sind vor ihrer Einführung auf ihre Folgewirkungen hin zu erforschen, nicht erst, wenn wir sie
nicht mehr zurücknehmen können. Überfällig ist auch,
dass wir aufhören, jeden einzelnen Emittenten isoliert zu
betrachten und die kumulative Wirkung zu ignorieren. Da
hat die FDP völlig recht.
Von grundlegender Bedeutung ist Kennzeichnung,
also auch die Kennzeichnung der Strahlungsintensität
beim Handy. Das ist der erste Schritt zum mündigen Bürger, das sehen die Grünen genauso wie die FDP. Beim
Kauf eines Gerätes sollte jedenfalls das oberste Kriterium
ein niedriger Strahlungswert, SAR, sein. Um dies zu erleichtern, brauchen wir endlich eine klare Kennzeichnung
der Strahlenwerte. Dem Antrag der FDP widerspreche
ich aber an einer entscheidenden Stelle: beim Feiern der
Lebensretterfunktion des Handys beim Kind. Laut dem
Branchenverband BITKOM besitzt bereits heute jedes
zweite Kind zwischen sechs und zwölf Jahren ein Handy.
Wir wissen nicht, ob die Nutzung von Handys durch die
Strahlungseinwirkung auf den noch nicht fertig ausgebildeten Organismus bei Kindern zu gesundheitlichen Risiken
führen kann, zum Beispiel zu Tumorerkrankungen. Nicht
umsonst empfiehlt die französische Umweltbehörde seit
2005 mit einer gezielten Kampagne, auf Handys in Kinderhänden zu verzichten. Der französische Umweltminister
Jean-Louis Borloo will die Werbung für Kinderhandys
gar gesetzlich verbieten lassen. Solange die Wirkung der
Strahlung auf Kinder nicht erforscht ist, ist das Prinzip
Vorsicht geboten.
Tagesordnungspunkt 42 a. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/12915. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10325 mit dem Titel „Mobilfunkforschung verantwortlich begründen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei
Zustimmung der Koalition und der Linken. Dagegen hat
die FDP gestimmt; Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9485 mit dem Titel „Mobilfunkstrahlung minimieren - Vorsorge stärken“. Wer ist für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die
Koalitionsfraktionen und die FDP haben dafür gestimmt.
Dagegen gestimmt hat die Fraktion Die Linke;
Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Tagesordnungspunkt 42 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/5362. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/3354 mit dem Titel „Verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalition und Die Linke.
Dagegen gestimmt hat die FDP; Bündnis 90/Die Grünen
hat sich enthalten.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/4424 mit dem Titel „Kennzeichnung von
Mobilfunkgeräten schnell und verbraucherfreundlich
durchsetzen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung der Koalition. Dagegen gestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen;
enthalten haben sich die FDP und die Linke.
Tagesordnungspunkt 42 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Deutsches Mobilfunk Forschungsprogramm fortsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6580,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/4762 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei
Zustimmung der Koalition und Ablehnung der Opposition.
Tagesordnungspunkt 49:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen ({1}) ({2})
KOM({3}) 704 endg.; Ratsdok. 15661/08
- Drucksachen 16/11517 Nr. A.5, 16/12088 Berichterstattung:
Abgeordnete Albert Rupprecht ({4})
Frank Schäffler
Albert Rupprecht, Nina Hauer, Frank Schäffler, Axel
Troost und Gerhard Schick haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.
Ratingagenturen galten lange als unverzichtbarer
Bestandteil des Finanzmarktes. Sie gaben vor, Produkte
auf deren Werthaltigkeit richtig einschätzen zu können.
Sie gaben vor, zwischen risikoreichen und risikoarmen
Investments unterscheiden zu können. Die Finanzmarktkrise hat uns aber eines Besseren belehrt. Keineswegs ist
ein sehr gut geratetes Produkt auch sehr gut. Aber: Investitionsentscheidungen von institutionellen und privaten
Anlegern wurden und werden wohl auch in Zukunft nur in
den seltensten Fällen getroffen, ohne dass das Rating der
Emission und des Emittenten beachtet wird und mehr
oder minder starken Einfluss auf die Anlageentscheidung
nimmt.
Betrachtet man die Marktverhältnisse bei Ratingagenturen, könnte einem Vertreter der sozialen Marktwirtschaft
angesichts der Konzentration weniger Institutionen angst
und bange werden. Etwa 95 Prozent des Weltmarktanteils
des Ratingmarktes werden von drei großen Ratingagenturen beherrscht: von der zu McGraw-Hill Companies
gehörenden Agentur Standard & Poor’s, von Moody’s
und von der in der Hand von europäischen, überwiegend
französischen Investoren befindlichen Ratingagentur
Fitch. Weitere Agenturen jenseits und diesseits des Atlantiks,
ebenso in Deutschland, versuchen, dieses Oligopol der
drei Großen aufzubrechen.
Zu Beginn der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts gab es
die Forderung, nach der die Europäer eine eigene europäisch geprägte Ratingagentur der angloamerikanischen
Vorherrschaft entgegensetzen sollten. Die Idee der Gründung einer europäischen Ratingagentur als Gegenpart zu
den marktbeherrschenden großen drei Ratern wurde damals
von dem früheren Sprecher des Vorstandes der Deutsche
Bank AG Breuer aufgeworfen. Eine Realisierung und damit
ein Anspruch der Europäer, einen eigenen Part zu spielen,
konnten bislang nicht verwirklicht werden. Noch zu unterschiedlich scheinen die Interessen allein im europäischen
Raum zu verlaufen.
Bundespräsident Köhler betonte noch in dieser Woche
die Notwendigkeit weiterer Ratingagenturen. Den Sparkassen hat er anlässlich deren 200-jährigen Bestehens
aufgetragen, an der Entstehung einer eigenen europäischen
Ratingagentur mitzuwirken. Ich persönlich habe bei
staatlichen Einrichtungen eine Grundskepsis. Aber die
Marktteilnehmer, Banken, Sparkassen, Versicherungen
und Unternehmen, müssten sich doch endlich ihrer Verantwortung bewusst werden und sich für die Entstehung
einer weiteren Ratingagentur einsetzen. Auf der einen
Seite die Macht der Ratingagenturen zu bedauern, auf der
anderen Seite aber nicht die Kraft für ein eigenständiges
Gegenwerk aufzubringen, empfinde ich als unzureichend.
Nicht zu Unrecht bezeichnete der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Sanio in seiner
bekannt markanten Art Ratingagenturen bereits vor ein
paar Jahren noch als die „größte unkontrollierte
Machtstruktur im Weltfinanzsystem“. Endlich muss es zu
einer Regelung kommen. Die Forderungen nach einer
Regulierung für Ratingagenturen, wie sie in diesen Tagen
aufleben, sind ebenso wenig neu. Ein sogenanntes Ratingwesengesetz auf nationaler Ebene wurde bereits 1992 als
geeignete Maßnahme zur Regulierung der Ratingagenturen
angesehen. In den folgenden Jahren hat es aber der deutsche
Gesetzgeber nicht als eigenständiges Projekt weiterverfolgt.
Ende 2004 wurde schließlich unter maßgeblicher Mitwirkung der BaFin und nach Maßgabe eines Antrags des
Bundestags ein international abgestimmter Verhaltenskodex
für Ratingagenturen entwickelt, der auf dem Prinzip der
Albert Rupprecht ({0})
Selbstregulierung beruht. Die internationale Vereinigung
der Wertpapieraufseher, die IOSCO, erarbeitete verschiedene Vorgaben, die nicht rigide oder formalistisch
sein sollen, sondern vielmehr flexibel, damit sie den verschiedenen rechtlichen und wirtschaftlichen Umständen
angepasst werden können.
Diese Fundamentals für Ratingagenturen regeln die
Qualität des Ratingprozesses, die Überprüfung der Ratings,
die Integrität des Ratingprozesses und die Unabhängigkeit
der Ratingagenturen sowie die Vermeidung von Interessenkonflikten der Ratingagenturen und ihrer Mitarbeiter.
Zur Sicherstellung der Vorstellungen sollen die Ratingagenturen eine Stelle ähnlich der eines Compliance Officers
einrichten. Zudem finden sich Regeln, wie die Ratingagenturen vertrauliche Informationen der Auftraggeber
handhaben sollen. Hinsichtlich der Methoden und des
Ratingprozesses fordern die Fundamentals Transparenz ein.
Die Ratingagenturen selbst sollen offenlegen, ob und inwieweit sie die Vorstellungen der IOSCO Code of Conduct
Fundamentals umgesetzt haben.
Offengeblieben sind die Fragen des Enforcements und
Sanktionen bei Nichteinhaltung des Verhaltenskodexes.
Die Agenturen sind lediglich angehalten, ihre sich selbst
in einem Code of Conduct gestellten Anforderungen zu
erfüllen, ohne dass eine staatliche Aufsichtsstelle eingeschaltet werden müsste. Auf europäischer Ebene, wo es
nach dem Parmalat-Skandal eine eigene Arbeitsgruppe gab,
um die Transparenz von Ratingagenturen zu bewerten,
einigte man sich darauf, zunächst einmal zu beobachten,
ob die Ratingagenturen den ihnen auferlegten Verhaltenskodex einhalten.
CDU und CSU haben früh erkannt und angemahnt,
dass die abwartende Rolle hinsichtlich einer Regulierung
von Ratingagenturen sich nicht bewährt hat. Wir drängen
daher seit langem darauf hin, die Selbstregulierung in
verbindliche Regelungen umzuwandeln. Wir können nicht
dulden, dass bedeutende Investitionsentscheidungen in
einem unkontrollierten Raum getroffen werden, Investitionsentscheidungen, die uns doch alle betreffen.
Bereits im Frühjahr 2008 habe ich ein Positionspapier
formuliert, das folgende Lösungen vorschlägt: Stärkung von
Markt und Wettbewerb, potenziellen Markteintritt erleichtern, weltweite Standards im Sinne des Kodexes IOSCO,
Anpassung dieses Kodexes an europäisches und nationalstaatliches Recht, Durchsetzung privatrechtlicher Haftung,
Staatssanktionen als Ersatz für fehlende Marktsanktionen,
bessere Qualität im Ratingverfahren, mehr Transparenz
durch Vermeidung von Interessenkonflikten und erweiterte
Offenlegungspflichen und Rolle der Aufsichtsbehörden.
Leider hat Herr Steinbrück damals trotz der Einsicht,
dass die Ratingagenturen mitverantwortlich für die
Finanzkrise sind, auf die freiwillige Selbstregulierung
gesetzt. Wir begrüßen es deswegen, dass Herr Steinbrück
einen Kurswechsel vollzogen hat und auf unsere bzw. die
Brüsseler Position zu 95 Prozent umgeschwenkt ist.
Eine wesentliche Bedeutung haben Ratings etwa nach
den neuen Baseler Eigenkapitalregeln, nach Basel II. Nach
dem Anerkennungsverfahren im Modifizierten Standardansatz entscheiden die nationalen Aufsichtsinstanzen, ob
eine Ratingagentur bestimmte Anforderungen erfüllt,
damit deren Bonitätseinschätzung von den Banken zur
Berechnung der Eigenkapitalunterlegung eines Kredits
herangezogen werden kann. Dieser Prozess läuft in
Deutschland erst an. Aber entsprechend des deutschen
Versicherungsaufsichtsrechts können Ratings bereits seit
Jahren eine Grundlage zur Bewertung von Vermögensanlagen bilden und sind daher aufsichtsrechtlich anerkannt.
Versicherungen investieren Gelder von uns allen, als Teil
unserer Lebensversicherungen, als Teil unserer dringend
notwendigen privaten Altersvorsorge. Und sich hierbei
auf Ratings zu verlassen, lässt einen angst und bange
werden.
Wir müssen also aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, und zwar ohne Zeitverzug. Am 27. Februar 2009 legte
die tschechische Ratspräsidentschaft einen Kompromissvorschlag für eine europäisch abgestimmte Aufsicht vor. Im
Anschluss an die Verabschiedung des Ratskompromisses
erfolgten Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament,
das eine Reihe von Änderungswünschen einbrachte. Am
23. April 2009 verabschiedeten sowohl das EP in erster
Lesung als auch der Ausschuss der Ständigen Vertreter
- ohne Aussprache - den dabei erzielten Kompromiss.
Die wesentliche Änderung war dabei nach Auskunft der
Bundesregierung die erneute Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie auf alle Ratingagenturen. Gegenwärtig wird der von Rat und Europäischem Parlament erzielte Kompromiss in alle EU-Amtssprachen übersetzt.
Sobald dies geschehen ist, wird der Ministerrat die
Verordnung in einer seiner nächsten Sitzungen verabschieden.
Mit dem Entschließungsantrag, der auf Drängen von
CDU und CSU weitgehend übereinstimmend im Finanzausschuss verabschiedet wurde, greifen wir die europäische
Entwicklung auf, und wir begrüßen das Bemühen um einen
baldigen Rechtsrahmen. Dabei darf es aber nicht zu einer
Zementierung der bestehenden drei großen Ratingagenturen kommen. Vielmehr bedarf es, wie bereits angemerkt,
weiterer Ratingagenturen. Wettbewerbshindernisse sind
auf jeden Fall zu vermeiden.
Keine Frage, dieser Rechtsrahmen ist dringend notwendig. Wir müssen aus den Fehlern der Krise lernen.
Ratingagenturen haben nicht unerheblich mit leichtfertigen Ratings von Verbriefungen hierzu beigetragen. Wenn
Ratingagenturen jetzt auch noch dem deutschen Pfandbriefmarkt mit Abwertungen drohen, wird noch deutlicher:
Wir brauchen endlich eine Aufsicht. Ratingagenturen
können nicht aus dem fernen Übersee mit einem angloamerikanischen Finanzmarktverständnis einfach nationale Besonderheiten beiseitewischen. Ich will hier nicht
einer Einmischung in einzelne Entscheidungen das Wort
reden. Es ist nur deutlich zu machen, dass die Macht der
Ratingagenturen relativiert werden muss. Wir brauchen
eine angemessene Regulierung der Ratingagenturen.
Die Ratingagenturen haben in großem Umfang zur
Finanzmarktkrise beigetragen. Ihre positiven Bewertungen von undurchschaubaren Finanzprodukten haben teilweise völlig falsche Investitionsanreize gesetzt. Die ArZu Protokoll gegebene Reden
beitsweise der Agenturen hat bisher oft zur Folge gehabt,
dass die Risiken für die Anleger nicht erkennbar und die
Ratingprozesse nicht transparent genug waren. Daher
war es nötig, strengere Standards für die Ratingagenturen
zu schaffen und Mechanismen zu entwickeln, mit denen
wir sie besser regulieren und überwachen können. Diesem Ziel sind wir nun auf EU-Ebene endlich einen großen
Schritt näher gerückt. Im Entschließungsantrag der
Koalition hatten wir den Vorschlag der Kommission prinzipiell begrüßt, aber die Bundesregierung auch aufgefordert, sich für Nachbesserung in einigen Punkten einzusetzen. Die wichtigsten Neuerungen der Verordnung möchte
ich jetzt kurz vorstellen:
Zunächst einmal ist es uns endlich gelungen, die
Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Ratingagenturen
erstmals unter behördliche Aufsicht gestellt werden. Alle
Agenturen müssen sich nun beim Pariser Ausschuss für
Wertpapiermärkte registrieren. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Agenturen haben einfach keine zufriedenstellenden Ergebnisse erbracht, sodass wir froh
sind, dass die neuen Meldevorschriften eine einheitliche
Verbindlichkeit schaffen. Die Überwachung der Agenturen bleibt weiter bei den einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden, in unserem Fall also bei der BaFin.
Zweitens haben wir darauf hingewirkt, dass zusätzliche Eintrittsbarrieren in den Ratingmarkt vermieden
werden. Dadurch sollen vor allem kleinere und mittelständische Ratingagenturen nicht über die Maßen belastet werden und außerdem so der Wettbewerb unter den
Agenturen gefördert werden. Auf diese Weise kann der
Dominanz der drei großen internationalen Ratingagenturen entgegengetreten werden.
Ein Fortschritt ist außerdem gemacht worden bei der
Gewährleistung der Unabhängigkeit der Ratings. Wir
wollen auf jeden Fall verhindern, dass die Ratingagenturen erst Unternehmen dabei helfen, Finanzprodukte zu
entwickeln, und diese dann auch noch selbst für den
Markt bewerten. Es kann nicht sein, dass Verstrickungen
und Interessenkonflikte ein Rating beeinflussen. Dazu
wurde auch ein gestaffeltes Rotationssystem entwickelt,
das verhindert, dass die Analysten, die die Ratings vornehmen, zu lange ein und dasselbe Unternehmen bewerten dürfen. Außerdem wird es den Agenturen zur Pflicht
gemacht, ihre Ratings und Methoden mindestens einmal
jährlich zu überprüfen.
Ein vierter wichtiger Punkt war die Nutzung von Ratings aus Drittländern: Für die Berechnung ihres Eigenkapitals dürfen Banken, Versicherungen und andere regulierte Finanzdienstleister künftig nur noch Ratings von
Agenturen benutzen, die auch in der EU registriert sind.
Aber wir haben auch ein funktionierendes Verfahren entwickelt, das es uns erlaubt, auch die Ratings aus Drittländern zu verwenden, die den Anforderungen aus der
Verordnung gerecht werden. Dazu müssen die Ratings
prinzipiell den EU-Anforderungen entsprechen. Auch
hier haben wir aber darauf geachtet, dass kleinere, systemisch nicht relevante Ratingagenturen aus Drittländern
einen leichteren Marktzutritt erhalten, indem sie von der
Pflicht entbunden sind, eine Niederlassung in der EU zu
besitzen, solange sie einem gleichwertigen Aufsichtssystem unterliegen. Banken und Wertpapierfirmen können
aber weiterhin Aufträge für ihre Kunden ausführen und
Finanzprodukte kaufen, deren Ratingerstellung nicht den
Verordnungsmaßstäben entsprechen. Dadurch können
keine Nachteile und Wettbewerbsverzerrungen für den
Finanzsektor entstehen, wenn er die Bewertungen selbst
nutzt.
Ich freue mich, dass die Bundesregierung die Vorschläge des Finanzausschusses erfolgreich in die EUVerordnung eingebracht hat. Der Verordnungsvorschlag
wurde Ende April vom Europäischen Parlament verabschiedet, und die Verordnung wird bald in Kraft treten
können. Damit haben wir eine Basis für eine angemessene Regulation der Ratingagenturen geschaffen, die
gleichzeitig Wettbewerbsverzerrungen vermeidet und
mehr Transparenz für Anleger und Investoren schafft.
Die Finanzkrise hat den Blick auf die Rolle der Ratingagenturen gelenkt. Teilweise werden sie dabei als Sündenbock missbraucht, um von eigenen Fehlern, beispielsweise im Bereich der staatlichen Aufsicht, abzulenken.
Doch es stimmt, die Ratingagenturen sind in der gegenwärtigen Finanzmarktkrise mehr als nur die Überbringer
der schlechten Nachrichten: Kredite von Millionen von
Kreditnehmern wurden von Tausenden von Finanzdienstleistern zu Paketen geschnürt, die von wenigen Investmentbanken mit den Urteilen von nur drei Ratingagenturen versehen über Hunderte von Banken an Tausende von
institutionellen Anlegern in Fonds und anderen Finanzprodukten vertrieben wurden, die schließlich in den Depots von Millionen von Anlegern landeten.
Die Fehleinschätzungen der führenden US-amerikanischen Agenturen, die am Nadelöhr des Verbriefungsfadens sitzen, mussten sich in dieser Kette der Abhängigkeiten zu gewaltigen Fehlallokationen von Kapital
multiplizieren. Doch gerade die Kreise, die Ratingagenturen nun zu den allein Schuldigen an der Krise machen
wollen, drohen die regulatorische Keule zu schwingen
und damit Marktmechanismen zu verhindern. Wir brauchen als Konsequenz der Krise gerade nicht weniger oder
gar staatliches Rating, sondern wir brauchen mehr Wettbewerb im Ratingmarkt, wir brauchen eine Ratingkultur
in Deutschland und in Europa.
Um neben den Großagenturen auch kleinen und mittleren Wettbewerbern den Marktzugang nicht zu versperren, enthält die Verordnung nun eine Proportionalitätsklausel, der zufolge Ratingagenturen mit weniger als
50 Beschäftigten von Verpflichtungen der Verordnung
freigestellt werden können. In Erwägungsgrund 27 heißt
es ausdrücklich: „Auch sollte das Auftreten neuer Akteure auf dem Markt für Ratingagenturen gefördert werden.“
Genau daran werden wir die Verordnung messen müssen: Führt sie wirklich zu mehr Wettbewerb oder stärkt
sie vielleicht nur das bestehende Oligopol, indem die dominierenden Agenturen nun auch noch ein staatliches
Gütesiegel erhalten? Als Liberale wünschen wir uns auf
europäischer Ebene mehr Öffnung. Die Festlegung auf
ein verbindliches Geschäftsmodell für Ratingagenturen
Zu Protokoll gegebene Reden
wäre verkehrt: Gleich, ob Emittenten, Anleger oder
Dritte für die Kosten tiefgreifender Analysen aufkommen,
die in Ratingagenturen tätigen Analysten sind immer
auch Interessenkonflikten ausgesetzt. Interessenkonflikte
dürfen durch Festlegung des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Modell nicht geleugnet, sondern müssen durchschaubar gemacht und gemanagt werden.
Nur wenn Emittenten künftig für alle Finanzinstrumente sicherstellen, dass sich Anleger anhand von mindestens zwei unabhängigen Ratings beim Kauf und Verkauf über die Anlage informieren können, werden die
Lücken in der Informationskette geschlossen und Anlagealternativen wirklich vergleichbar gemacht. Ziel ist es,
für den Anleger transparent zu machen, für wie wahrscheinlich es qualifizierte Analysten halten, dass ein
Finanzinstrument die vom Emittenten geweckten Erwartungen erfüllt. Zugleich ist diese Forderung auch ein
wichtiges Element zur Schaffung einer Ratingkultur, die
durch mehr Wettbewerb die Ratingagenturen zu besseren
Leistungen anspornt und Fehlurteile zutage fördert.
Doch wenn wir die richtigen Lehren aus der Finanzkrise ziehen wollen, dann dürfen wir den Blick auch nicht
nur auf die Ratingagenturen verengen. Wir müssen unsere Finanzaufsicht in Deutschland grundlegend neu aufstellen. Hauptziel der BaFin ist es, ein funktionsfähiges,
stabiles und integres deutsches Finanzsystem zu gewährleisten. Bankkunden, Versicherte und Anleger sollen dem
Finanzsystem vertrauen können. An dieser Aufgabe ist
die BaFin in der gegenwärtigen Krise gescheitert. Die
wirklich großen Probleme wurden nicht von ihr selbst,
sondern von Dritten entdeckt.
Die BaFin ist durch eine kompetente, durchsetzungsfähige und politisch unabhängige Aufsichtsbehörde zu ersetzen. Ihre Zuständigkeit muss sich explizit auf alle
Finanzmarktinstitutionen - und nicht nur die Banken,
sondern auch Ratingagenturen usw. - erstrecken. Diese
umfassende Finanzaufsicht wäre aufgrund ihrer Glaubwürdigkeit der Deutschen Bundesbank zuzuordnen.
Viele Stimmen sind sich einig, dass eine Reform von
Ratingagenturen dringend geboten ist. Ratingagenturen
haben die Krise angeheizt, indem sie zweifelhafte Wertpapiere mit Bestnoten versahen und am Verkauf kräftig
mitverdienten. Die Forderung, Ratingagenturen zu regulieren, ist weit älter als die heutige Krise. Jetzt kommt es
darauf an, nicht halbherzig ein löchriges Konstrukt zu
stricken. Es geht darum, effektiv zu regulieren. Das ist der
Maßstab, an dem ich den europäischen Vorschlag messe.
Und es ist der Maßstab für zwei Forderungen, die wir der
Bundesregierung für internationale Verhandlungen mitgeben.
Ein Hauptaugenmerk des europäischen Vorschlags
liegt darin, Interessenkonflikte zu vermeiden: So sollen
Ratingagenturen sich darauf beschränken zu bewerten,
statt zugleich zu beraten. Auch sollen sie transparenter
werden und ihre Bewertungskriterien detaillierter offenlegen. Vor allem soll ein stärkerer Wettbewerb der
Ratingagenturen ihre Qualität verbessern. Deshalb will
man kleinere Ratingagenturen nicht überdurchschnittlich
belasten und zusätzliche Eintrittsbarrieren vermeiden.
Die Bundesregierung stimmt dem europäischen Vorschlag zu. Vor allem bekräftigt sie, den Wettbewerb zwischen Ratingagenturen fördern zu wollen. An entscheidender Stelle liegt hier ein entscheidender Denkfehler.
Warum? - Die Bundesregierung geht von folgendem Bild
aus: Ein Kunde oder eine Kundin sucht nach einem hochwertigen Produkt. Wer sich raten lässt, sucht aber gerade
nicht in erster Linie ein hochwertiges Produkt, sondern er
sucht eine möglichst gute eigene Bewertung. Die Konsequenz daraus: Ein verstärkter Wettbewerb von Ratingagenturen verstärkt tendenziell das Buhlen um Kundschaft durch wohlwollende Bewertungen. Das ist das
Gegenteil der erklärten Absicht. Denn es verschlechtert
die Qualität der Ratings.
Weitaus effektiver ist es - so unser erster Appell an die
Bundesregierung -, sich für öffentlich-rechtliche Agenturen einzusetzen. Ganz wie bei Notaren kann eine Gebührenordnung erlassen werden. Die Gebühren richten sich
nach Art und Umfang der zu bewertenden Papiere. Die
Gefahr von Gefälligkeitsgutachten wäre gebannt, wenn,
wer sich raten lässt, eine Umlage in einen Fonds zahlt.
Direkte Zahlungen an die Agenturen hingegen zementieren finanzielle Abhängigkeiten, statt Interessenkonflikte
zu beseitigen. Spätestens im Kundengespräch rutscht
dann auch die verordnete Trennung von Bewertung und
Beratung in eine Grauzone.
Ich komme zu unserem zweiten Appell an die Bundesregierung: Folgen Sie der Empfehlung des Bundesrates
und treten Sie für einen europäischen Finanz-TÜV ein:
Erst eine Zulassungsstelle, die neue Finanzinstrumente
wie Medikamente gründlich prüft, kann Risiken überschaubar und bewertbar machen. Das muss die erste Verkehrsregel sein: Wir brauchen klare Mindeststandards
für Wertpapiere. Das gilt für die Verbraucherfreundlichkeit. Und es gilt für das potenzielle Risiko für die Gesamtwirtschaft. Beides sind die blinden Flecke der Ratingagenturen. Ohne diese Mindeststandards schicken wir
undurchschaubare Risiken um die Welt - versehen mit
dem Gütesiegel von Ratingagenturen. Da ich über Mindeststandards rede, ergänze ich: Wenn Staaten bessere
Bewertungen erhalten, weil das Arbeitsrecht und die Gewerkschaften schwach sind, dann müssen wir auch Standards für Ratingkriterien vereinbaren. Wenn, was aus
Anlegersicht mehr Ertrag verspricht, die Demokratie unterwandert wird, haben wir dringenden Handlungsbedarf.
Wettbewerb ist aus unserer Sicht in diesem Fall das
denkbar falsche Instrument, um die Ratingkultur zu verbessern. Deshalb lehnt die Linke den europäischen Vorschlag ab. Stattdessen fordern wir Sie auf, sich international stark zu machen für öffentlich-rechtliche
Agenturen und für einen Finanz-TÜV.
Ratingagenturen spielen eine Schlüsselrolle in der Finanzmarktkrise und haben wesentlich zu ihrem Ausbruch
beigetragen. Ihre allzu positiven Noten für riskante Papiere haben vor allem viel institutionellen Anlegern die
Illusion von Sicherheit verschafft. Zudem haben die Ratingagenturen auch nach Ausbruch der Krise an ihren poZu Protokoll gegebene Reden
sitiven Bewertungen festgehalten und damit falsche Signale an die anderen Marktteilnehmer ausgesandt.
Der Grundfehler ihrer Arbeit: Die Entwicklung der
Vergangenheit wurde einfach fortgeschrieben, Preissteigerungen bei US-Immobilien und geringe Ausfallraten
bei Hauskrediten wurden als gegeben angenommen. Das
hat sich als gewaltiger Fehler herausgestellt. Die synchrone Fehleinschätzung der drei Agenturen beruhte
auch darauf, dass alle drei in etwa die gleichen mathematischen Modelle benutzten.
Ein anderer, viel wichtigerer Fehler wurde allerdings
lange vor diesen Entwicklungen von der Politik gemacht:
Es wurde zugelassen, dass die drei wichtigsten Ratingagenturen weltweit ein Oligopol bildeten. Senkt eine von
ihnen den Daumen bei der Bewertung eines Anlageprodukts, hat das massive Auswirkungen, die von anderen
Marktteilnehmern nicht mehr korrigiert werden können.
Denn es gibt nur zwei weitere Agenturen und nicht wie
sonst in einer funktionierenden Marktwirtschaft eine Vielzahl von Marktteilnehmern, die durch ihre Signale Irrtümer einzelner ausgleichen können. So spielen jetzt in der
Krise, nachdem sie einmal von den Ratingagenturen richtig wahrgenommen wurde, die Ratingagenturen eine verstärkende Rolle. Je weiter sie in der Krise den Daumen
senken, desto größer wird der Abschreibungsbedarf der
Banken, Versicherungen und Fonds, und desto stärker
verschlechtern sich Ratings. Schon eine einzelne Agentur
hat hier immense Auswirkungen.
Deswegen ist es richtig, dass in dem heute vorliegenden Dokument explizit auf Eintrittsbarrieren im Ratingmarkt hingewiesen wird, die es zu beseitigen gilt. Zusätzliche Anbieter von Ratingdienstleistungen müssen eine
Chance bekommen, damit der Markt seine Rolle sinnvoll
übernehmen kann. Wie diese Markteintrittsbarrieren beseitigt werden sollen, bleibt allerdings unklar. Im von der
Regierungskoalition vorgelegten und von der FDP mitgetragenen Entschließungsantrag liegt der inhaltliche
Schwerpunkt auf einem besseren Zutritt für weitere Ratingagenturen. Er thematisiert aber überhaupt nicht die von
verschiedenen Expertinnen und Experten beim Fachgespräch des Finanzausschusses geäußerte Möglichkeit der
Schaffung einer öffentlich-rechtlichen Ratingagentur. Aktuell haben wir es mit klarem Marktversagen zu tun. Wir
müssten uns sehr viel mehr darum kümmern, wie dieses
Marktversagen überwunden werden kann. Eine öffentlich-rechtliche Ratingagentur wäre sicherlich ein sinnvoller Weg dorthin.
Ein zweiter Weg zur Überwindung des Marktversagens wäre die Stärkung der EU-weiten Finanzaufsicht,
die ohnehin notwendig ist. Bezüglich der Ratingagenturen stellt ihr Ausbau eine Ergänzung zu öffentlich-rechtlichen bzw. mehr privaten Ratingagenturen dar.
Ratingagenturen haben faktisch die Rolle von Aufsehern übernommen, die über die Qualität von Finanzdienstleistungen entscheiden. Weil ihr Einfluss dabei zu
groß geworden ist, konnten die Noten der Ratingagenturen auch diese verheerende Wirkung auslösen. Hier gilt
es, ein Ungleichgewicht wieder ins Lot zu rücken und den
Aufsehern eine stärkere Rolle zuzuweisen.
Ratingagenturen sollen Informationsasymmetrien zwischen Verkäufer und Käufer von Schuldtiteln verringern.
Die mittlerweile verabschiedete EU-Verordnung zu den
Ratingagenturen sieht eine Reihe von wichtigen Verbesserungen für die Arbeitsqualität der Agenturen vor: Offenlegung von Interessenkonflikten, Angaben zur Methodenwahl und zu den Annahmen der Bewertungsmodelle
oder der Zwang, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rotieren zu lassen, damit sie nicht zu lange für den selben Kunden tätig sind.
Wir bleiben skeptisch, ob die neuen Regeln genügen.
Die Sanktionsmöglichkeiten sind immer noch ungeklärt,
und auch die Überwachung durch die nationalen Behörden und nicht durch eine EU-Stelle - beim europäischen
Ausschuss für Wertpapieraufsicht CESR müssen sich die
Ratingagenturen nur registrieren lassen - sehen wir sehr
kritisch. So geht der Entschließungsantrag sicher in die
richtige Richtung. Für einen wirklichen Neuanfang an
den Finanzmärkten müsste aber gerade auch bei den Ratingagenturen mehr geschehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12088, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt
haben Koalition und FDP. Die Linke war dagegen,
Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 44:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard ScheweGerigk, Birgitt Bender, Priska Hinz ({1}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hungern in der Überflussgesellschaft - Maßnahmen gegen die Magersucht ergreifen
- Drucksachen 16/7458, 16/13418 Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Sibylle Laurischk
Irmingard Schewe-Gerigk
Zu Protokoll haben ihre Reden gegeben Elisabeth
Winkelmeier-Becker, Marlene Rupprecht, Ina Lenke,
Diana Golze und Irmingard Schewe-Gerigk.
Bereits in der ersten Lesung zum Antrag der Grünen
waren sich die Berichterstatter darin einig, dass insbesondere die Magersucht, aber auch jede andere Form von
Mangel- und Fehlernährung ein sehr ernst zu nehmendes
Problem darstellt. Laut einer Studie des Robert KochInstitutes hat jeder Zweite in Deutschland Übergewicht.
Gleichzeitig hat die Zahl der unterernährten Erwachsenen in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, wobei insbesondere junge Mädchen, aber auch immer mehr
junge Männer unter Magersucht leiden. Das deutsche
Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik gibt an, dass
in Deutschland fast 4 Millionen Menschen unter gefährlichem Untergewicht leiden.
Zu dem insgesamt sehr komplexen Thema haben wir
eine öffentliche Expertenanhörung durchgeführt mit dem
Ziel, mehr Aufmerksamkeit zu schaffen und zusammen
mit den Experten über Lösungen und Wege nachzudenken, wie den betroffenen Menschen geholfen werden
kann. Zunächst wurde uns bescheinigt, dass das Krankheitsbild Magersucht in den letzten Jahrzehnten zugenommen habe. Momentan sei hier allerdings die Plateauphase erreicht, man rechne also mit keinem weiteren
Anstieg. Anders verhalte es sich jedoch beim Krankheitsbild Übergewicht. Hier sei ein weiterer Anstieg zu erwarten.
Die Ursachen hierfür - so wurde uns von den Sachverständigen einstimmig bestätigt - beruhen immer auf einem Bündel sowohl biologischer als auch psychosozialer
und gesellschaftlicher Ursachen. Sie sind nicht nur auf
ein durch Schlankheit geprägtes Schönheitsideal zurückzuführen. Es geht bei der Magersucht nicht nur und generell um Verfolgung eines Schönheitswahns, wir haben es
mit einer schwerwiegenden psychischen Krankheit zu
tun, die die jungen Menschen im Kampf gegen den eigenen Körper beherrscht. Letztendlich liegt der Zunahme
der Magersucht ein gesellschaftlicher Wandel zugrunde,
der weit über ein überzogenes Schönheitsideal hinausgeht. Dies zeigt sich zum einen durch eine ständige Verfügbarkeit von Nahrung einerseits und den Verlust an Regulation durch gemeinsame Familienmahlzeiten zum
anderen. Die familiären Strukturen und die soziale Einbettung von Kindern und Jugendlichen gehen zunehmend
verloren. Zudem beruhen Essstörungen im Kern immer
auf einer Schwächung des Selbstwertgefühls. Das Selbstwertgefühl in diesem Umfeld speist sich zunehmend aus
externalen Bewertungen. Das Gefühl für den eigenen
Körper wird ersetzt durch die Bewertung der Figur und
die Gesamtheit menschlicher Fähigkeiten durch die Bewertung einzelner Leistungen. Die Experten sehen die
Herausbildung von chronischen Krankheiten - dazu zählen Magersucht und andere Essstörungen - immer im Zusammenhang mit sozialem Status und Bildung. Die Experten sprechen von multifaktoriellen Ursachen für
Essstörungen. Deshalb müssen auch die Maßnahmen auf
dieses multifaktorielle Krankheitsbild zugeschnitten sein.
In der Anhörung am 13. Mai wurde insgesamt von den
Experten bestätigt, dass insbesondere innerhalb der Gesundheitsberufe eine große Sensibilisierung der Mitarbeiter stattgefunden habe. Es gibt auch sehr gute Angebote von Beratungsstellen, die oft sehr professionell sind
und über Medien/Internet gut erreichbar sind. Das Problem liegt häufig bei den Betroffenen selbst. Betroffene
würden zu spät auf Beratungsangebote zugehen. In einigen Regionen fehlen allerdings auch ausreichende Beratungs- und Therapieangebote. Wenn eine Patientin
deshalb viele Monate warten muss, bis sie einen Therapieplatz bekommt, ist das sicher nicht hinnehmbar. Die
nicht rechtzeitige Inanspruchnahme der Hilfsangebote
durch die Risikogruppen wurde von den Experten als Problem angesehen.
Die Kampagne „Leben hat Gewicht“ der drei Ministerien Gesundheit, Familie, Bildung ist, das haben die
Sachverständigen bestätigt, ein guter Einstieg, das Problem bekannt zu machen und auf Informationsmöglichkeiten und Hilfe hinzuweisen. Gleichzeitig wurde der
13. Kinder- und Jugendbericht „Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen - gesundheitsbezogene Prävention
und Gesundheitsförderung“ gelobt, insbesondere weil
hier auf die Ganzheitlichkeit von Familie, Gesundheit
und Bildung abgezielt wird.
Ich möchte an dieser Stelle besonders das Engagement
von Professor Mayer von der Klinik Hochried hervorheben. Er weist auf die Wichtigkeit der Vernetzung der Institutionen Jugendamt, Schule und Arzt vor Ort hin. Ihm
ist es durch persönliches Engagement gelungen, diese
Vernetzung so auszugestalten, dass eine optimale Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene stattfinden kann. Hier
ist der Transport von der Ministerebene auf die kommunale Ebene in hervorragender Weise gelungen. Ich
wünschte mir, dass dieses Modell Nachahmer findet.
Insgesamt habe ich den Eindruck gewonnen, dass wir
durch die Kampagne „Leben hat Gewicht - gemeinsam
gegen den Schlankheitswahn“, erstmals gestartet im Dezember 2007, also etwa zeitgleich mit dem heute besprochenen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, einiges hinsichtlich Sensibilisierung und Vorbeugung
gegen Magersucht bewirkt haben. Die Initiative setzt sich
zusammen mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen
- auch Modewelt und Medien sind mit einbezogen - für
Prävention und Aufklärung ein. Insbesondere Erziehende, Ärzte und vor allem Eltern müssen in der Lage
sein, Warnsignale zu deuten und so früh wie möglich gezielt gegenzusteuern. Hierbei helfen leicht zugängliche
Informationen über das Krankheitsbild ebenso wie gute
Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Gleichzeitig gilt
es, die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen zu
stärken und gegen extreme Internetseiten vorzugehen.
Dies wurde uns von der Sachverständigen von jugendschutz.net anschaulich bestätigt. Hier bietet uns das Jugendschutzgesetz ausreichend Möglichkeiten, jugendgefährdende Seiten schließen zu lassen. jugendschutz.net
sorgt dann gleichzeitig dafür, dass die betroffenen Mädchen nicht allein gelassen werden, sondern Hilfsangebote
wahrnehmen können, sodass diese sogenannten ProAna-Seiten zur Platzhalterseite für Hilfs- und Beratungsangebote umgewandelt werden.
Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend hat das Thema in verschiedenen Maßnahmen
querschnittsmäßig aufgenommen und über das Bundesgesundheitsministerium stehen unter anderem Internetadressen und andere Beratungsangebote zur Verfügung.
Das Bundesbildungsministerium hat zudem - wie im Antrag der Grünen gefordert - Gelder über 7 Millionen
Euro zur Entwicklung von Leitlinien und für weitere Forschung zur Verfügung gestellt. Die Experten haben uns
bestätigt, dass es mittlerweile gelungen sei, mit allen Beteiligten, also mit Medizinern, Psychologen und PädagoZu Protokoll gegebene Reden
gen zusammen, Leitlinien zu entwickeln, die auch in der
Praxis implementiert werden können.
Abschließend möchte ich noch kurz etwas sagen zum
Brief der Chefredakteurin der britischen „Vogue“ an die
führenden internationalen Designer, in dem sie die Designer aufruft, umzudenken. Dass sich die Chefredakteurin des einflussreichsten Modemagazins so deutlich gegen viel zu kleine Kleidergrößen äußert, sehe ich als
Hoffnungszeichen, dass auch vonseiten der Medien Einfluss ausgeübt werden kann.
Ich denke, dass vonseiten der Bundesregierung und
auch vonseiten des Gesetzgebers die wesentlichen Handlungsempfehlungen umgesetzt worden sind. Die Expertenanhörung hat uns gezeigt, dass Magersucht und
Essstörungen immer auch im Kontext mit gesamtgesellschaftlicher Entwicklung zu sehen und zu behandeln sind.
Mit den genannten Initiativen und Maßnahmen sind
wir meines Erachtens auf einem richtigen Weg. Darüber
hinaus sehe ich im Augenblick keinen konkreten Handlungsbedarf für den Bundesgesetzgeber. Wir sind aber gut
beraten, wenn wir dieses Problem weiter im Auge behalten und uns nach einiger Zeit nochmals genau ansehen,
ob die bisherigen Maßnahmen, unter anderem die Selbstverpflichtung der Modebranche und die Kampagne „Leben hat Gewicht“ mit ihren verschiedenen Ansätzen bei
Forschung, Prävention und konkreten Hilfen zur Lösung
des Problems tatsächlich beitragen können.
Es ist ein Verdienst dieses Antrags, dass er den Impuls
gegeben hat, sich auch im Parlament mit dem Thema Essstörungen zu befassen.
Verharmlosungen, wenn es um die Gesundheit junger
Menschen geht, sind unbedingt zu vermeiden. Die dank
dem Antrag zustande gekommene Anhörung mit namhaften Expertinnen und Experten hat gezeigt, wie komplex
das Thema ist. Kausale Schuldzuweisungen greifen zu
kurz. Eine Verteufelung der Medien oder der Modeindustrie bringt uns nicht weiter. Familie, Schule und soziales
Umfeld sind sowohl hinsichtlich der Anfälligkeit für eine
Essstörung maßgeblich als auch für die Erfolgssaussichten im Falle einer Therapie nach Ausbruch der Krankheit.
Eine besonders interessante Erkenntnis, die ich aus
der Anhörung gewonnen habe, betrifft die Heilungschancen der Magersucht. Hat die Krankheit vor wenigen Jahren noch als unheilbar gegolten, geht man inzwischen davon aus, dass ein Drittel der Betroffenen geheilt werden
kann, ein Drittel ist stark rückfallgefährdet, und einem
weiteren Drittel kann leider nicht geholfen werden. Aus
der Anhörung ging auch hervor, dass die Mitwirkung der
Eltern bei der Therapie von zentraler Bedeutung ist.
Was kann nun die Politik tun? Wir sollten nicht so vermessen sein zu glauben, wir könnten da allein mit Gesetzen etwas tun. Wir können auf das Thema aufmerksam
machen und wir können Rahmenbedingungen schaffen.
Und Initiativen und Kampagnen starten. Insbesondere
das Gesundheitsministerium - namentlich die Ministerin
Ulla Schmidt - arbeitet hier vorbildlich.
Die Kampagne „Leben hat Gewicht“, die vom Gesundheitsministerium, dem Familienministerium und dem
Verbraucherschutzministerium gemeinsam im Dezember
2007 ins Leben gerufen wurde, hat schon eine Vielzahl
der Forderungen des Antrags erfüllt. In ihr engagieren
sich Persönlichkeiten aus Politik, der Mode-, Werbe- und
Medienbranche, der Medizin und Wissenschaft sowie Betroffenenverbände. Das BMG hat eine Vielzahl von Aktionen gestartet. Diese reichen von Jugendevents über
Fachkongresse bis hin zur telefonischen Beratung und
der Einrichtung einer eigenen Internetseite.
In Zusammenarbeit mit dem Verbraucherschutzministerium hat das Gesundheitsministerium im Juni 2008 „IN
FORM - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung
und mehr Bewegung“ gestartet. Dieser Nationale Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten wurde gemeinsam mit Ländern und
Kommunen erarbeitet. Doch solange in allen Bereichen
des täglichen Lebens ein für die allermeisten unerreichbares Schönheitsideal des Schlankseins vorherrscht, werden wir auch mit den besten Kampagnen und Aktionen
nicht so viel erreichen können, wie wir das gerne möchten.
Dieses übersteigerte Schlankheitsideal lässt sich auf
alle Alltagssituationen herunterbrechen. Dicke oder auch
nur nicht ganz schlanke Menschen werden oft mit Vorurteilen konfrontiert, herablassend behandelt. In jeder Zeitschrift gibt es Diäten; im Fernsehen sind alle dünn. Wenn
nun Mädchen, und noch immer sind es in der großen
Mehrheit Mädchen, die Essstörungen entwickeln, sich
üblicherweise in der schwierigen Zeit der Pubertät infrage stellen, dann ist es heute leider völlig normal, dass
sie ihren Selbstwert in einem kausalen Zusammenhang
mit ihrem Aussehen und ihrem Körpergewicht sehen.
Es geht darum, jungen Mädchen zu ermöglichen, ein
positives Selbstbild zu entwickeln und klarzustellen, dass
dies unabhängig vom Körpergewicht ist. Der Wert eines
Menschen bemisst sich nicht nach seinem Aussehen und
schon gar nicht nach seinem Körpergewicht. Dünne Menschen sind auch nicht schöner als dicke. Diese eigentlich
banale Erkenntnis setzt sich hoffentlich bald in der Gesellschaft durch.
Die Politik kann hier nur Rahmenbedingungen setzen
und auf Eltern, Schule und Medien hoffen, dass endlich
ein Umdenken stattfindet, dem Schlankheitswahn ein
Ende gesetzt wird und eine Atmosphäre entsteht, in der
sich die jungen Menschen gesund entfalten können. Hoffentlich haben wir dazu ein paar Anstöße geben können.
Anorexia Nervosa - die erzwungene Appetitlosigkeit ist ein wachsendes gesundheitliches Problem in unserer
Gesellschaft. Es ist gut, dass die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Thema zur Sprache bringt.
Die Krankheit Magersucht ist mehr als ein Randgruppenproblem. Denn die Bedeutung des superschlanken
makellosen Körpers hat sich zu einem gesellschaftlichen
Schönheitsideal gewandelt. Junge Mädchen glauben, sie
Zu Protokoll gegebene Reden
müssten einem fiktiven Schönheitsideal nacheifern, um
erfolgreich und beliebt zu sein. Dass die Fotos in den Medien mit großem technischen Aufwand retuschiert werden, sagt ihnen niemand. Aus einer anfänglich vermeintlich harmlosen Diät kann schnell eine zwanghafte Sucht
nach dem perfekten Körper werden. Dies darf nicht ignoriert werden.
Nicht nur das gesellschaftlich etablierte Schönheitsideal ist ein Auslöser für massive Essstörungen. Vielmehr
ist es das Zusammenspiel psychisch-körperlicher Probleme und des übertriebenen Schönheitsideals, das diese
Krankheit entstehen lässt. Das ständige Bemühen,
schlank zu sein und nicht „dick“ zu werden, fungiert hier
als Kontrollinstrument des eigenen Lebens und des Alltags.
Welche Folgen hat das für die überwiegend weiblichen
Betroffenen? Magersucht ist die dritthäufigste chronische
Erkrankung im Jugendalter bei Mädchen, jedes 100. bis
200. Mädchen ist betroffen; Magersucht hat die höchste
Sterblichkeit von allen seelischen Erkrankungen, 10 bis
15 Prozent überleben die Krankheit nicht; Magersucht
hat gravierende Konsequenzen, 25 Prozent der Betroffenen werden keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können;
es bestehen schlechte Heilungschancen, und es treten
Zwangs- und Angsterkrankungen, Depression und Phobien auf.
Wenn die Erkrankung verharmlost und ignoriert wird,
hat das für die Erkrankten verheerende Folgen. Durch
rechtzeitiges Gegensteuern und frühzeitige Hilfen kann
den Mädchen und den Jungen geholfen werden. Große
Verantwortung tragen die Eltern. Sie müssen genau hinschauen, wenn ihr Kind auffällig an Gewicht verliert und
nur noch wenig isst.
Was können wir politisch tun? Neue Therapiestudien
initiieren, die genauen Aufschluss über Heilungsmethoden geben; Destigmatisierung von Betroffenen und Angehörigen; Förderung der Früherkennung und Prävention,
das bedeutet konkret, dass medizinisches Fachpersonal
stärker geschult werden muss; Schulung von Erziehern
und Lehrern, um frühzeitig Anzeichen einer Essstörung
zu erkennen und Hilfe anzubieten; Sensibilisierung der
Gesellschaft durch Aufklärung, hier leistet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bereits sehr gute
Arbeit; Aufklärung über die im Internet verbreitete „Pro
-Anaorexia-Bewegung“, die eindeutig zu einer Verharmlosung und Verherrlichung der Magersucht beiträgt.
Wichtig ist es, so viele Akteure wie möglich ins Boot zu
holen. Die Mode- und Kosmetikindustrie sind in der
Pflicht, ebenso die Werbestrategen, auf die Problematik
aufmerksam zu machen. Der Kosmetikhersteller Unilever
hat mit der Produktlinie „Dove“ gezeigt, dass es funktionieren kann, erfolgreich gegen den Mainstream zu werben. Statt mit untergewichtigen Models arbeitet der Konzern mit normalgewichtigen Frauen, und das offenbar
mit großem Erfolg.
Aber was ist eigentlich aus der Initiative „Leben hat
Gewicht“ geworden, die im letzten Jahr durch die Ministerinnen so werbewirksam vermarktet wurde? Die Forderung der Ministerin Schmidt nach einem Kodex gegen
den Schlankheitswahn für die Modeindustrie ist bislang
ins Leere gelaufen. Nach wie vor sehen die Mode- und
Modelverbände in Deutschland nur einen geringen
Handlungsbedarf für eine Selbstverpflichtung. Sie berufen sich auf firmeninterne Vereinbarungen, die Kollektionen nicht in zu kleinen Konfektionsgrößen zu entwerfen.
Das reicht nicht! Gerade in dieser Woche hat die Chefin
der britischen Modezeitung „Vogue“ der internationalen
Modeindustrie vorgeworfen, die Konfektionsgrößen noch
mehr zu verkleinern, sodass nicht einmal die dünnsten
Models in die Kreationen passen. Die Modeschöpfer sollten dieser fatalen Entwicklung endlich ein Ende machen.
Das sollte Chefsache des deutschen Modedesigners Karl
Lagerfeld werden.
Zum Schluss: Wir wissen, es ist ein Trugschluss
„schlank gleich glücklich“. Wir müssen alle am Ball bleiben, dass alle schlankheitsverherrlichenden Medien und
Schlankheitsprodukte kritisch betrachtet werden, stärker
über die Risiken des Magerwahns aufklären. Wir müssen
im familiären Umfeld Warnsignale schneller wahrnehmen und das Selbstwertgefühl junger Menschen stärken.
Die FDP unterstützt grundsätzlich die Forderungen
des Antrags. An diesen Zielen muss auch in der nächsten
Wahlperiode weiter gearbeitet werden.
In den vergangenen Jahren hat sich die Rolle, die
krankhafte Essstörungen oder Essstörungen mit Krankheitsfolge in der öffentlichen Wahrnehmung spielen, sehr
zugunsten der Betroffenen verändert. Die Anhörung, die
der Familienausschuss zu diesem Thema durchgeführt
hat, machte aber auch eines deutlich: Die Ursachen von
Essstörungen sind vielfältig und nicht ausschließlich in
falschen Vorbildern zu suchen. Maßgeblich ist vielmehr
eine komplexe Wechselwirkung zwischen biologischen,
psychosozialen und soziokulturellen Faktoren. Aufgrund
dieser vielfältigen Ursachen, die zu Magersucht und Essstörungen führen können, bedarf es komplexer Antworten. Einfache Informationskampagnen und Aufklärung
allein reichen nicht. Doch gerade hierauf setzt der Antrag
der Grünen.
Ihre Forderungen hinsichtlich der Mode-, Werbungsund Medienindustrie dürften ähnlich geringe Wirkung
haben. Hier setzen die Grünen auf Sensibilisierung der
Medien und Selbstverpflichtung der Modeunternehmen
und Modelagenturen. Doch die Sensibilisierung der Medien wird so lange ohne nennenswerte Konsequenzen
bleiben, solange immer noch in der Mode-, Werbe- und
Medienindustrie die Möglichkeit besteht, mit Schlankheitswahn und Diätangeboten einen höheren Gewinn zu
erzielen. Die Erfahrungen mit Selbstverpflichtungserklärungen zeigen, dass diese nicht ausreichen.
Für Menschen, die von einer Essstörung betroffen
sind, müssen wir den Raum und die Atmosphäre schaffen,
damit sie sich äußern können. Grundsätzlich ist eine angemessene, qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten. Hierfür benötigen wir aber
auch mehr verlässliche Daten. Wir wissen beispielsweise
zu wenig darüber, ob sich die Situation von Männern
dramatisch verändert hat. Dies wäre wichtig, um geZu Protokoll gegebene Reden
schlechtsspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote weiterentwickeln und ausbauen zu können.
Eine besonders wichtige Bedeutung kommt der Gesundheitsförderung und Prävention zu. Denn die therapeutischen Erfolgsaussichten sind nach wie vor gering.
Der größte Teil aller Präventionsprogramme setzt auf
Aufklärung und Information. Doch diese haben nur eine
geringe gesundheitliche Wirkung. Der Alltag und die
Realität der Menschen werden ausgeblendet, die Ursachen nicht angegangen. Längst überfällig ist es, flächendeckend Angebote zu verankern. Wichtig sind Ansätze,
die die Lebens- und Sozialkompetenz fördern. Menschen
müssen bereits in jungen Jahren gestärkt werden, damit
sie angemessen auf psychische Belastungen und Anforderungen reagieren können.
Um die Menschen zu erreichen, benötigen wir Konzepte, die in den Lebenswelten der Menschen ansetzen,
also beispielsweise in Kindertagesstätten und Schulen.
Damit diese Ziele erreicht werden, bedarf es eines Präventionsgesetzes. Dies wäre ein langfristiger, dauerhafter
und flächendeckender Ansatz. Wir bedauern daher sehr,
dass auch in dieser Legislaturperiode das Präventionsgesetz gescheitert ist, obwohl CDU/CSU und SPD dieses in
ihrem Koalitionsvertrag angekündigt haben; dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Koalitionsfraktionen
ja immer nach den Mitteln, die dem Bund bei dieser
Frage zur Verfügung stehen, gesucht haben. Das hätte ein
wirkungsvolles Gesetz im Sinne der Betroffenen werden
können, wenn es denn gewollt gewesen wäre.
Auch an einer anderen Stelle hätten Sie durchaus
reagieren können, und dies sogar mit der Rückendeckung
des Bundessozialgerichtes. Denn aus der Anhörung
konnte man mitnehmen, dass zur Prävention von Essstörungen vor allem gemeinsames und gesundes Essen
und eine entsprechende Esskultur sehr wichtig sind. An
dieser Stelle hätten Sie dafür sorgen können, dass allen
Kindern und allen Familien ein gesundes Essen möglich
gemacht wird. Unsere Forderung an Sie lautet: Gestalten
Sie den Kinderregelsatz endlich so, dass auch die Familien im ALG-II-Bezug ohne Not für ihre Kinder ein gesundes, abwechselungsreiches und ihren Entwicklungsphasen entsprechendes Essen kaufen bzw. zubereiten können.
Helfen können Sie zum Beispiel auch, indem Sie die
Mehrwertsteuer für Schulessen von 19 Prozent wieder auf
7 Prozent senken. Die Briefe, die im Januar dieses Jahres
in die Briefkästen vieler Familien flatterten, brachten
dort nicht nur Unmut, weil durch die Maßnahme des Bundesfinanzministers das Familienbudget, das ohnehin
schon klamm ist, noch mehr strapaziert wird. Sie brachten auch Unmut, weil damit genau dieses wichtige Essen
für Kinder, insbesondere für Kinder aus finanziell nicht so
gut gestellten Familien, immer weniger bezahlbar wird.
Den Initiativen, die mit ihren Kampagnen für mehr Bewusstsein für gesundes Ernährungsverhalten werben und
ja auch von den Koalitionsfraktionen eingeladen wurden,
müssen solche Handlungen wie einen Schlag ins Gesicht
empfinden. Warmes, gesundes und regelmäßiges Mittagessen ist besonders für Kinder und Jugendliche und ihre
Entwicklung bzw. ihre Gesundheit wichtig. Der Weg zu einem kostenlosen Mittagessen sieht anders aus.
Die Ursachen einer Essstörung sind vielfältig. Aber
wir wissen, dass neben biologischen, psychosozialen und
soziokulturellen Faktoren das gesellschaftliche Schönheitsideal eine wichtige Rolle spielt. Körperliche Attraktivität ist gerade für Frauen ein wesentliches Attribut.
Vorbild sind hier häufig die extrem dünnen Models aus
Mode und Werbung. Magersucht ist eine Frauenkrankheit: Sie betrifft zu über 90 Prozent Mädchen und junge
Frauen und nur selten junge Männer. Doch auch bei Jungen findet mehr und mehr ein körperbezogener Normierungswahn statt.
Wenn wir alle körperlichen und seelischen Krankheiten vergleichen, ist Magersucht die dritthäufigste chronische Erkrankung im Jugendalter. Magersucht hat mit
10 bis 15 Prozent die höchste Sterblichkeit von allen psychischen Erkrankungen. Diese Krankheit ist nicht auf die
Jugendzeit begrenzt. Die Konsequenzen für die Betroffenen sind auch in den folgenden Jahren, manchmal ein Leben lang, gravierend. Neueste Untersuchungen aus
Schweden zeigen, dass 25 Prozent der Magersüchtigen
später aufgrund von seelischen Problemen erwerbslos
sind.
National wie auch international gibt es viel zu wenige
Therapiestudien. Auch die Forscherinnen und Forscher
wissen bisher nicht, wie sie der Krankheit ausreichend
begegnen können. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass
langfristige Studien kontinuierlich finanziert werden.
Zurzeit wird sehr viel Geld für die Altersforschung ausgegeben. Auch wenn die Gruppe der alten Menschen immer größer wird, brauchen wir neben der Altersforschung auch verstärkt Gesundheitsforschung für Kinder
und Jugendliche.
Die Folgen der Magersucht sind auch im Erwachsenenalter zu spüren: Seelische Erkrankungen, Depressionen, Angst- und Zwangserkrankungen, aber auch körperliche Beeinträchtigungen wie Osteoporose sind typische
Spätfolgen. Ärztinnen und Ärzte sowie Personen aus anderen Gesundheitsberufen müssen stärker geschult werden. Obwohl viele Betroffene in medizinischer Behandlung sind, wird oftmals das Lebensbedrohliche der
Störungen nicht erkannt.
Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, pädagogische Fachkräfte in der Kinder- und Jugendarbeit müssen besser informiert werden. Auch hier gibt es Forschungsbedarf.
Wie können die Betroffenen und ihr soziales Umfeld richtig angesprochen werden? Frontalveranstaltungen in der
Schule sind nach aktueller Kenntnis eher kontraproduktiv
als hilfreich. Wir brauchen mehr Forschung zu Prävention und Therapie. Gezielte Präventionsarbeit kann im
besten Fall das Schlimmste verhindern. Sie muss rechtzeitig bei den Mädchen ansetzen, die ein niedriges Selbstwertgefühl haben. Denn diese sind besonders gefährdet,
später eine Essstörung zu entwickeln. Eine frühe Behandlung kann hier von entscheidender Bedeutung sein.
Im Bereich der Therapie wurde bereits vielfach von
der stationären stärker auf die tagesklinische Behandlung umgestellt. Dadurch können auch Familien besser
einbezogen werden. Aber der Bedarf ist größer. Hierfür
Zu Protokoll gegebene Reden
sind neue Konzepte erforderlich, wie sie beispielsweise
von Professor Herpertz-Dahlmann am Universitätsklinikum Aachen entwickelt wurden.
Die vom Frauenministerium initiierte Kampagne
„Leben hat Gewicht“ war ein erster Schritt, um der Gesellschaft zu zeigen, dass die Politik die Krankheit
Magersucht ernst nimmt. Damit effektive Behandlung
und Forschung möglich sind, müssen sich zukünftig nicht
nur die beteiligten Ministerien besser vernetzen, sondern
auch die Akteurinnen und Akteure auf der Arbeitsebene.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie auf
eine Selbstverpflichtung der Modeunternehmen und Modelagenturen hinwirkt, keine Verträge mit untergewichtigen Models abzuschließen und diese nicht in ihre Karteien aufzunehmen. Diese Maßnahme dient nicht zuletzt
dem Schutz der Models. Magersüchtige Models gehören
nicht auf den Laufsteg, sondern in eine Therapie.
Es ist in den letzten zehn Jahren gelungen, die Sterblichkeit bei Magersucht zu senken. Dies ist ein Ergebnis
der verbesserten Vorgehensweise bei dieser Erkrankung.
Die Investition in die Forschung zeigt also bereits Fortschritte bei der Behandlung und der Genesung. Darauf
dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Es ist dringend erforderlich, kontinuierlich und dauerhaft die Krankheit
Magersucht zu erforschen. Die Politik muss die Verantwortung hierfür mit tragen. Ich fordere Sie daher auf, unseren Antrag zu unterstützen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/13418, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7458 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür hat die Koalition gestimmt, dagegen
Bündnis 90/Die Grünen und die FDP. Die Linke hat sich
enthalten.
Zusatzpunkt 9:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden ({1})
({2})
({3})
KOM({4}) 780 endg.; Ratsdok. 15929/08
- Drucksachen 16/12188 Nr. A.26, 16/13412 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Volkmar Uwe Vogel
Es wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu ge-
ben. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Es
handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kolle-
gen Volkmar Uwe Vogel, Rainer Fornahl, Patrick
Döring, Heidrun Bluhm, Peter Hettlich und Karin
Roth.1)
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13412, in Kenntnis der Unterrichtung
durch die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung der Koalition und
der FDP. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke gestimmt. Enthaltungen gab es keine.
Tagesordnungspunkt 46:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neue effiziente Strukturen in der Arbeitsverwaltung - Auflösung der Bundesagentur für
Arbeit
- Drucksachen 16/2684, 16/12353 Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
Paul Lehrieder, Katja Mast, Dirk Niebel, Kornelia
Möller und Brigitte Pothmer haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.
Seit Jahren ist es Ihr Ziel, die Bundesagentur für Ar-
beit aufzulösen, liebe Kollegen von der FDP. Das hat sich
bei Ihnen fast schon zu einer manischen Idee entwickelt.
Stattdessen wollen Sie eine Agentur, die nur noch das Ar-
beitslosengeld auszahlt, und Jobcenter, die eine umfas-
sende Betreuung gewährleisten und alle Kompetenzen,
die zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit notwendig
sind, koordinieren sollen.
Gerade beim Übergang vom SGB-III-Bezug in den
SGB-II-Anspruch ist die Kenntnis der Agentur hinsicht-
lich der Vermittlungsmöglichkeiten insbesondere in über-
regionaler Hinsicht bei dem Vorschlag der FDP nicht
mehr gewährleistet. Gerade die bundesweite Vernetzung
der Agenturen für Arbeit und die in vielen Vermittlungs-
fällen gezeigte Mobilität der Bewerber würde beim Mo-
dell der FDP eine Vielzahl von Potenzialen und Vermitt-
lungschancen schlicht brachliegen lassen.
Ihre Aufgaben erledigt die Bundesagentur für Arbeit
bereits jetzt sehr kompetent. Wir müssen dabei immer be-
denken, dass wir es bei der Umstrukturierung der Ar-
beitsverwaltung mit einem tiefgreifenden Systemwandel
zu tun haben. Die Bundesagentur mit ihrer neuen Struktur
braucht vor allem Zeit, sich zu bewähren. Sie taugt nicht
als Projektionsfläche für Ihre Kritik an der Arbeitsmarkt-
politik der Bundesregierung.
Der Umbau der Arbeitsverwaltung zur heutigen Bun-
desagentur für Arbeit hat im Januar 2004 begonnen. Aus
1) Anlage 40
einer Bundesbehörde mit festgefahrenen Strukturen hat
sich eine Serviceagentur entwickelt, die auf die Bedürfnisse der von ihr zu betreuenden Kunden ausgerichtet ist.
Auch der Bericht zur Evaluierung der Hartz-Gesetze
kommt zu dem Schluss, dass Transparenz, Effizienz und
Wirtschaftlichkeit der Arbeit der BA deutlich gesteigert
wurden. Im Zentrum der BA-Reform stand das Modell des
Kundenzentrums, das den Kundenstrom in den Arbeitsagenturen systematisch steuern und die Beratungsleistung verbessern soll. Tatsächlich wurde die Vorgabe,
mindestens 60 Prozent der arbeitnehmerorientierten Vermittlungskapazitäten für Beratungsgespräche bereitzustellen, dem Bericht zufolge bereits im März 2006 fast erreicht.
Um die Arbeitsabläufe flüssiger zu gestalten und die
Kundenzufriedenheit zu steigern, hat die Bundesagentur
für Arbeit zudem 52 Servicecenter eingerichtet, die sich
mit den Problemen der Bürger auseinandersetzen. Dadurch werden bei den Vermittlern Kapazitäten frei, die für
die Integration der Kunden in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die 3 000 Mitarbeiter der Servicecenter
nehmen die telefonischen Anfragen für 480 Arbeitsagenturen auf und leisten damit einen besseren und schnelleren Dienst, als wenn jeder Arbeitsuchende bei seiner zuständigen Agentur anrufen müsste wie früher. Damals
mussten BA-Kunden mehrmals versuchen, um ihre Arbeitsagentur direkt zu erreichen.
Die von der FDP geforderte Zerlegung und Kommunalisierung der BA hingegen bringt weder eine höhere
Effizienz, noch hilft sie, die Arbeitslosigkeit abzubauen.
Erfahrungen in den Niederlanden und Großbritannien
haben gezeigt, dass für eine volkswirtschaftlich effiziente
Ausgestaltung der Arbeits- und Sozialverwaltung eine
einheitliche Anlaufstelle dringend geboten ist. Für die
Steuerungsfähigkeit der Arbeitsmarktpolitik der öffentlichen Hand ist eine zentrale Einheit notwendig. Auch der
Deutsche Städte- und Gemeindebund ist der Auffassung,
dass die Kommunen einen Großteil der Aufgaben der BA
nicht ersetzen könnten.
Sie werden mir sicherlich zugestehen, dass der Umbau
der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur im Zuge
der Arbeitsmarktreformen eine so notwendige wie anspruchsvolle Angelegenheit war. Dass nicht immer alles
so läuft, wie wir uns das vielleicht wünschen, liegt auf der
Hand. Aber wir haben es mit einem lernenden System zu
tun.
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung auch das
Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente auf den Weg gebracht, das am 5. Dezember
2008 gegen die Stimmen der Opposition von der Mehrheit
des Deutschen Bundestages angenommen wurde.
Wenn Sie es mit Ihrer Forderung, die Arbeitsverwaltung effektiver zu gestalten, wirklich ernst meinen würden, wären Sie damals über Ihren Schatten gesprungen
und hätten mit uns gestimmt. In Ihrem Antrag beklagen
Sie schließlich auch eine unübersehbare Fülle arbeitsmarktpolitischer Instrumente.
Genau darum ging es der Bundesregierung in ihrem
Gesetz: die Bundesagentur für Arbeit schlagkräftiger
aufzustellen, gerade weil wir nicht wissen, wie sich die
Finanz- und Wirtschaftskrise letztlich auf den Arbeitsmarkt auswirken wird. Ziel des Gesetzes ist, vorhandene
Instrumente, sofern sie unwirksam sind, abzuschaffen.
Dazu gehören zum Beispiel die Jobrotation, der Eingliederungszuschuss bei Neugründungen, der Arbeitgeberzuschuss zur Ausbildungsvergütung und vieles andere mehr.
Bereits zuvor hat die Bundesregierung die Arbeitsagenturen von der Pflicht entbunden, Personal-Service-Agenturen einzurichten. Auch die Regelung zur Ich-AG lief bereits zum 30. Juni 2006 aus. Stattdessen hat die
Bundesregierung in Verbindung mit dem Überbrückungsgeld ein neues Instrument, den Gründungszuschuss, geschaffen, das die Zielgruppe erreicht, die es erreichen
soll.
Andere Instrumente wiederum haben sich bewährt. Sie
werden fortentwickelt und zum Beispiel im Vermittlungsbudget zu einem neuen Instrument zusammengefasst. Damit verfolgen wir keinen Selbstzweck. Wir reduzieren die
Zahl der Instrumente nur, um dem Ziel näher zu kommen,
die Vermittlung zu verbessern und den Arbeitsuchenden
noch wirksamer helfen zu können.
Die Bundesregierung hat mit ihrem Gesetz den Arbeitsvermittlern vor Ort zudem mehr Entscheidungsspielraum eingeräumt. Hier wird das Vermittlungsbudget eine
zentrale Rolle einnehmen. Mit ihm wird eine ganze Reihe
von Leistungen zusammengefasst, die bisher in einer
Reihe von Einzelvorschriften geregelt wurden. Natürlich
ist die Zentrale in Nürnberg gut beraten, die neuen Handlungsspielräume ihrer Arbeitsvermittler auch zuzulassen.
Dann werden diese dem einzelnen Arbeitsuchenden auch
etwas anbieten können, was genau zu ihm passt. Natürlich wird der Vermittler nur dann erfolgreich sein, wenn
der Arbeitsuchende selbst zu eigenen Anstrengungen bereit ist. Das Prinzip „Fördern und Fordern“ wird auch in
Zukunft zentral für uns sein.
Außerdem wollen wir mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente erreichen,
dass die Mittel der BA wirtschaftlich eingesetzt werden
und dass mit dem Geld der Beitragszahler verantwortungsvoll und sorgsam umgegangen wird.
So wird die BA in die Lage versetzt, ihren arbeitsmarktpolitischen Aufgaben noch besser nachzukommen.
Sie werden schon bemerkt haben, liebe Kollegen von den
Liberalen: Unsere Reform der Arbeitsverwaltung ist getragen von den Prinzipien Freiheit und Verantwortung Freiheit für die Arbeitsvermittler, um vor Ort passgenau
helfen zu können, und die Verantwortung, die die BA für
die verausgabten Mittel, aber auch für jeden Einzelnen
der von ihnen zu vermittelnden Kunden trägt. Wir gehen
einen Weg, der nicht über die Leiche der BA führt, sondern sie zu einem schlagkräftigen Instrument der Arbeitsmarktpolitik macht, und ich hoffe, dass Sie ihn eines Tages mitgehen werden.
Unliebsame Erfahrungen mit Behörden wie der Arbeitsagentur hat jeder von uns schon gemacht. Deswegen
gleich deren Abschaffung zu fordern, ist populistisch. Auf
diesen Zug springt jedoch die FDP aus ganz durchsichtiZu Protokoll gegebene Reden
gen Gründen. Beschäftigt man sich mit den möglichen Alternativen zur Bundesagentur für Arbeit, so wird schnell
deutlich: Mit der einfachen Forderung nach einer Abschaffung ist es nicht getan, zumal die FDP keine echte
Antwort für die Beschäftigten gibt.
Die FDP beispielsweise will an die Stelle einer Behörde gleich mehrere setzen. Ein solcher Vorschlag gerade von den selbst ernannten Kämpfern für weniger Bürokratie ist schon sehr erstaunlich. Mehr Bürokratie, ein
erheblicher Verwaltungsaufwand und unzählige Abstimmungsprozesse wären vielmehr die Folge. Auch zeigen
ausländische Erfahrungen mit einer Privatisierung der
Arbeitslosenversicherung, dass sich so Kosten nicht einsparen lassen. Und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
taugt eine reine Organisationsreform auch nicht.
Bisher konnte mir auch noch niemand schlüssig erklären, wieso eine Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit und eine Übertragung ihrer Kompetenzen alleine auf
die örtliche Ebene die Lösung sein soll. Fakt ist, dass die
Betroffenheit von Hilfebedürftigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit regional sehr stark variieren. Kommunen in
strukturschwachen Gebieten würden den Problemen alleine nicht Herr werden. Soziale Brennpunkte würden
sich selbst überlassen. Eine Entsolidarisierung der Regionen wäre das Ergebnis. Selbstverständlich sind die
Kommunen aufgrund ihrer Problemnähe ein wichtiger
Akteur. Richtig ist aber auch, dass diese naturgemäß nur
einen lokalen Marktüberblick haben können. Die Vermittlung von Arbeitskräften in andere Regionen setzt ein zentrales Netzwerk mit großen Ressourcen voraus.
Die Verfassung gibt der Politik vor, einheitliche Lebensverhältnisse sicherzustellen. Nur eine Bundesagentur für Arbeit kann überregional vermitteln und Arbeitslosen in der ganzen Republik einheitliche Rechte und
Pflichten garantieren. Ingenieure in Cottbus müssen von
Stellenangeboten in Stuttgart wissen. Jugendliche ohne
Schulabschluss müssen überall das Recht auf Qualifizierung haben. Alleinerziehende müssen eine Anlaufstelle
für Geldleistungen, Beratungen und Kinderbetreuung haben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass uns die ideologischen Grabenkämpfe der Verfechter einer Zerschlagung
der Bundesagentur nicht weiterhelfen. Man muss nicht
gleich das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn man ihm
helfen will.
Wir haben mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt einen anderen Weg beschritten.
Wir bauen die Bundesagentur für Arbeit zu einem modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt um. Unser politisches
Ziel ist es, aus ihr die weltbeste Arbeitsvermittlung zu machen. Sie erhält eine neue Struktur, und wir stärken den
Handlungsspielraum der Akteure vor Ort, so beispielsweise durch das Vermittlungs- und Aktivierungsbudget,
das wir in dieser Legislaturperiode neu eingeführt haben.
Gleichzeitig haben wir das Recht so vereinfacht, dass die
Mitarbeiter mehr Zeit für die Menschen haben und sich
weniger um Verwaltung kümmern müssen. Und wir vermeiden die Nachteile einer Zerschlagung. Unser Ziel ist
eine Bundesagentur, die erster Dienstleister am Ort für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber
ist. Wir haben dieses Ziel noch nicht erreicht, befinden
uns aber auf einem guten Weg. Wenn es nach der SPDBundestagsfraktion gegangen wäre, hätten wir auch noch
in dieser Legislaturperiode die Neustruktur der Jobcenter beschlossen.
Bedauerlich ist, dass die Diskussion um die beste
Struktur der Agenturen für Arbeit vielfach nicht ehrlich
geführt wird. Oft geht es nur vordergründig um die Neuorganisation der Bundesagentur für Arbeit. Faktisch sind
jedoch die vollständige Abschaffung der Hilfen für Arbeitsuchende und eine Entsolidarisierung der Arbeitslosenversicherung gemeint. Das Konzept der FDP ist hierfür ein schlagender Beweis. Wer beispielsweise die
berufliche Weiterbildung streichen will, muss den Leuten
erklären, wie man den steigenden Anforderungen in der
Arbeitswelt Rechnung tragen will.
Abenteuerlich ist auch die Vorstellung, man könne
über die Einführung von Wahltarifen den Arbeitslosen
besser helfen. Faktisch würde dies jedoch den Abschied
von der solidarisch finanzierten Arbeitslosenversicherung bedeuten. Soziale Kälte wäre das Ergebnis. Wer dies
will, muss dies auch sagen. Alles andere ist unehrlich.
Gerade an dem Beispiel der beruflichen Weiterbildung
lässt sich deutlich machen, welche Risiken mit einem solchen Vorschlag verbunden sind. Von Arbeitslosigkeit betroffen sind vor allem Geringqualifizierte. Sie finden
vergleichsweise schwer wieder in das Arbeitsleben.
Gleichzeitig hat dieser Personenkreis fast immer kaum
finanziellen Spielraum für Zusatzversicherungen. Dies
macht deutlich, dass gerade die Schwächsten von Wahltarifen am meisten benachteiligt würden. Damit würde
das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit nicht gelöst,
sondern verschärft.
Die FDP gibt keine Antworten auf die drängenden
Zukunftsfragen: Wie können wir die Übergänge von Ausbildung, Pflege- und Erziehungszeiten in den Beruf gestalten? Wie können wir lebensbegleitendes Lernen organisieren, und zwar über die gesamte Lebensspanne?
Wir Sozialdemokraten wollen mehr von unserer Arbeitslosenversicherung, nicht weniger wie die FDP. Wir
wollen vorsorgende Arbeitsmarktpolitik, die Bildung und
Qualifizierung fördert und nicht verhindert. In unserem
Regierungsprogramm haben wir mit der Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung ein modernes Konzept für das lebensbegleitende
Lernen vorgelegt. Die Arbeitsversicherung reagiert nicht
erst bei Arbeitslosigkeit, sondern davor im Job durch Bildungsangebote. Auch das knüpft an die Arbeitsmarktreformen der Schröder-Regierung an. Die Zukunft liegt in
einer Jobvorsorge für alle zwischen 15 und 67. Der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch neue Chancen des
ständigen Dazulernens ist das Leitbild des SPD-Konzepts.
Unsere Vision von der Zukunft der Bundesagentur für
Arbeit setzt hier an. Denn wenn wir mehr Bildung in der
Arbeitswelt organisieren wollen, brauchen wir einen Akteur vor Ort, der weiß, welche Qualifikation zu einem Job
führt. Das kann die Agentur für Arbeit mit dem Sachverstand der Vermittlerinnen und Vermittler, aber auch mit
ihrer lokalen Vernetzung in der Wirtschaft und den WeiZu Protokoll gegebene Reden
terbildungsakteuren. Im Gegensatz zur FDP halten wir
dadurch an unserem Ziel der Vollbeschäftigung fest und
geben gleichzeitig eine zukunftsorientierte Antwort für
die Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit.
Zur Finanzierung der Arbeitsversicherung wollen wir
Sozialdemokraten Langzeitkonten nutzen und zusätzliche
Mittel für Bildung bereitstellen. Viele Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die von uns Sozialdemokraten
eingeführt worden sind, haben den Weg zu diesem Konzept bereitet, beispielsweise das Programm WeGebAU,
bei dem gerade ältere Arbeitnehmer gefördert werden,
der Ausbildungsbonus oder das Recht, den Hauptschulabschluss ein Leben lang nachholen zu können. Das alles
sind Bausteine einer vorsorgenden Arbeitsmarktpolitik,
die die FDP privatisieren und damit indirekt abschaffen
will.
Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt doch
eins ganz deutlich: Wir müssen uns durch mehr Bildung
und Ausbildung für die Zukunft rüsten. Wir müssen es
schaffen, den Wohlstand aller durch gute Bildung zu erhalten. Uns Sozialdemokraten geht es um die Gesellschaft und die Arbeit von morgen, um Wohlstand und soziale Sicherheit für das nächste Jahrzehnt. Und deshalb
ist es gut, wenn Sozialdemokraten in der Regierung Arbeitsmarktpolitik und Bildungspolitik verbinden.
Wir haben seit Jahren gute Gründe, die Auflösung der
Bundesagentur für Arbeit und eine Neuordnung ihrer
Aufgaben zu fordern. Wir erkennen an, dass sich der Vorsitzende Frank-Jürgen Weise sehr bemüht hat, seine Behörde zu einem modernen Dienstleister umzustrukturieren und zukunftsfähig zu machen. Man kann es aber
drehen und wenden, es ist ihm nicht gelungen.
Die positive Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im
letzten Jahr war durch den konjunkturellen Aufschwung
bedingt. Weder Bundesregierung noch Bundesagentur
haben dazu beigetragen. Noch immer werden zahlreiche
Personengruppen in der offiziell registrierten Arbeitslosenzahl nicht aufgeführt. Dazu gehörten bis vor kurzem
die Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und
Arbeitslose in Personal-Service-Agenturen, jetzt sind es
immer noch Teilnehmer an Trainings- und Weiterbildungsmaßnahmen, Ein-Euro-Jobber und zuletzt Arbeitslose, die von privaten Arbeitsvermittlern betreut werden.
Etwa 1,6 Millionen Menschen werden in beschäftigungspolitischen Maßnahmen geparkt. Ihre Aussichten auf
Integration in den ersten Arbeitsmarkt und eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die sie von Transferleistungen unabhängig macht, haben sich nicht verbessert.
Die Arbeitslosenstatistik bildet also bei weitem nicht
das Ausmaß der Unterbeschäftigung ab. Wenn ehrlich gerechnet wird, sind es mindestens 5 Millionen Arbeitslose.
Dazu kommt noch die sogenannte stille Reserve
derjenigen, die gern arbeiten würden, aber sich nicht arbeitsuchend gemeldet haben. Die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise sind auf dem Arbeitsmarkt noch nicht
so spürbar wie befürchtet.
Bei der BA sind im SGB III etwa 37 400 Mitarbeiter im
weiteren Sinn mit der Vermittlung von Kurzzeitarbeitslosen beschäftigt, im engeren Sinn etwa 13 800 Arbeitsvermittler. Für 2008 beträgt die Vermittlungsquote in
ungeförderte Beschäftigung 11,7 Prozent, das sind
4,6 Arbeitslose pro Person und Jahr im weiteren und
12,4 Arbeitslose pro Arbeitsvermittler und Jahr im engeren Sinn. Das kann man beim besten Willen nicht erfolgreich nennen.
Viele Langzeitarbeitslose brauchen eine umfassende
Betreuung und Beratung, um Lösungen für individuelle
Vermittlungshemmnisse zu finden und dann eine Beschäftigung aufnehmen zu können. Sie sind ja nicht ohne
Grund länger als ein Jahr arbeitslos. Aus unserer Sicht
müssen Arbeitslose vorrangig in neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gebracht werden, damit
sie von den Transferleistungen unabhängig werden, und
ihnen soll auch mehr Geld zur Verfügung stehen, als wenn
sie nur Transferleistungen beziehen.
Noch immer wurden viele Mängel, die aus der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende entstanden
sind, nicht beseitigt. Die erzwungene Kooperation zwischen der BA und den Kommunen funktioniert nicht. Die
Anreize für die Arbeitsaufnahme auf dem ersten Arbeitsmarkt sind zu gering. Die Sozialgerichte werden weiterhin von Klagen überflutet, bei denen es zum großen Teil
um wenige Euro geht. Die Kosten sind höher als vor der
Einführung des Arbeitslosengeldes II. Die arbeitsmarktpolitischen Instrumente sollten auf ihre Wirksamkeit
überprüft und auf wenige Maßnahmen reduziert werden,
aber der neue Katalog ist weniger flexibel und deshalb
nicht effizienter als der alte.
Wir haben immer betont, dass aus unserer Sicht die
Kommunen besser in der Lage sind, auf regionale Besonderheiten des Arbeitsmarktes zu reagieren und mit individuellen Problemen umzugehen, als die zentralistisch
organisierte Bundesagentur für Arbeit. Trotz kleiner Erfolge ist diese Mammutbehörde nach unserer Überzeugung nicht wirklich reformierbar.
Wir fordern einen verantwortungsvollen Umgang mit
den Mitteln der Beitragszahler und eine Anpassung an
die Bedürfnisse der Arbeitslosen, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden. Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt
und die Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung müssen Vorrang haben.
Wir schlagen vor, die BA aufzulösen und ihre Aufgaben
in einem Dreisäulenmodell neu zu ordnen: in einer Versicherungsagentur, die das Arbeitslosengeld auszahlt und
Wahlfreiheit bei den Tarifen einräumt, in einer kleinen
Arbeitsmarktagentur für überregionale und internationale Aufgaben, die in einer Datenbank über die Profile
aller Arbeitsuchenden und aller gemeldeten offenen Stellen verfügt und damit die Transparenz am Stellenmarkt sicherstellt, sowie in kommunalen Jobcentern, in denen die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrem Dienstleistungsangebot auf die individuellen Problemstellungen
der Arbeitsuchenden, aber auch die Bedürfnisse der Arbeitgeber bedarfsgerecht eingehen können.
Zu Protokoll gegebene Reden
Nur bei einer Auflösung der BA werden die Vielzahl
von behördeninternen Vorschriften und auch die Selbstverwaltung, die ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist, außer Kraft gesetzt. Dann sind Personalverschiebungen möglich, die ansonsten durch arbeits- und
dienstrechtliche Vorschriften verhindert werden. Dabei
soll das Personal im Grundsatz der Aufgabe folgen, damit die erworbenen Kompetenzen nicht verloren gehen.
Die Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitsuchenden
kann parallel auch von privaten Anbietern übernommen
werden.
Die klare Trennung zwischen Arbeitslosenversicherung und Vermittlungs- und Qualifizierungstätigkeiten ist
für uns von zentraler Bedeutung. Der Arbeitgeberanteil
zur Arbeitslosenversicherung soll steuerfrei an die Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Die Leistungen der Versicherungsagentur sollen das Risiko des Einkommensverlustes für einen Zeitraum von zwölf Monaten absichern.
Die Arbeitslosenversicherung ist eine reine Risikoversicherung, also eine Art Ausfallbürgschaft der Versichertengemeinschaft zur Sicherung des Lebensstandards für
einen klar begrenzten Suchzeitraum. Eine generelle Verlängerung der Bezugszeiten bei langen Beitragszeiten
schafft erneut Anreize zur Frühverrentung. Das wollen
wir nicht, denn je länger die Zeiten der Arbeitslosigkeit
sind, desto schlechter werden die Chancen auf einen
neuen Job. Im Rahmen der vorgesehenen Wahltarife kann
allerdings individuell auf die Bedürfnisse der Versicherten eingegangen werden.
Um Menschen aller Altersstufen besser in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren, braucht
Deutschland eine Steuer-, Wirtschafts-, Tarif- und Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Wachstum und damit mehr
Arbeitsplätzen führt. Kontraproduktive Schutzbestimmungen, die sich zum Beispiel für ältere Arbeitnehmer in
der Kündigungsschutzgesetzgebung oder auch im Sozialgesetzbuch im Hinblick auf den Vorruhestand finden,
müssen deshalb abgebaut werden. Alle Arbeitsuchenden
müssen eine reelle Chance bekommen, am Arbeitsmarkt
zu partizipieren.
Weil wir wollen, dass möglichst viele Menschen ihren
Lebensunterhalt durch eigene Arbeit finanzieren können,
sorgen wir auch für den erforderlichen Rahmen. Das
zeigt einmal mehr: Die FDP ist die Partei der sozialen
Verantwortung.
Der heute zur Debatte stehende FDP-Antrag zeigt erstens: Es ist Wahlkampf! Zweitens: Auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik gibt es bei den Liberalen seit Jahren einen Denkstillstand - von konzeptionellen Innovationen
keine Spur! Sogar die einzelnen Formulierungen in ihrem
Wahlprogramm, dem sogenannten Deutschlandprogramm der FDP von Mitte Mai, sind vielfach die gleichen
marktradikalen wie noch vor drei Jahren aus Ihrem Antrag - und dies, obwohl sich mit der Finanz- und Wirtschaftskrise die Rahmenbedingungen für Arbeitsmarktpolitik gravierend veränderten, das Marktversagen ganz
offensichtlich wurde.
Allerdings ging die FPD damals mit den Hartz-Reformen deutlich schärfer ins Gericht. Sie wollte gar eine erneute Reform des Arbeitsmarktes. Heute stimmen ihre
Aussagen - aus erklärlichen Gründen - mit denen der
CDU/CDU deutlich stärker überein als damals. Von rigoroser Auflösung der Bundesagentur für Arbeit ist - auch
aus Rücksicht auf Wählerinnen und Wähler - kaum noch
die Rede. Nun sollen die Aufgaben der Bundesagentur
Aufgaben in einem wenig praktikablen Dreisäulenmodell
zugeordnet werden.
Geblieben ist mit Blick auf den Wunschkoalitionspartner CDU/CSU das Festhalten an einer Arbeitsmarktpolitik der Sanktionen und viel zu niedrigen Grundsicherungsleistungen. Eine Staffelung der Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I nach der vorhergegangenen Beschäftigungsdauer wird kategorisch abgelehnt. Geblieben ist natürlich die strikte Ablehnung von Mindestlöhnen. Mehr Privatisierung und mehr Markt in der
Arbeitsmarktpolitik sowie noch stärkere Beitragssatzsenkung bleiben ständige Forderungen der FDP. Leider sind
das genau jene erfolglosen Rezepte, deren bisherige Umsetzung in Regierungspolitik die krisenhafte Entwicklung
unserer Gesellschaft mit ständiger massenhafter Freisetzung von Arbeitskräften vorangetrieben hat. Insofern
kann man die im Antrag zur Schau getragene Sorge um
den Arbeitsmarkt kaum als redliches Anliegen akzeptieren. Das wird auch daran deutlich, dass Sie von den Liberalen immer wieder den Eindruck vermitteln, allein mit
Arbeitsmarktpolitik könne man die Arbeitslosigkeit zurückdrängen. Die Erwerbslosigkeit wird 2010 voraussichtlich jene Dimension erreichen, die 2002 Grund für
die unseligen Hartz-Gesetze gewesen ist. Nun kommen
Sie wieder mit den alten Rezepten! Schützenhilfe leistet
dabei die Große Koalition, die sich einer dem Grundgesetz entsprechenden Organisation der Grundsicherung
bisher verweigert hat. Wenn es die FDP wirklich ernst
meinte mit einem spürbaren Abbau von Arbeitslosigkeit,
insbesondere von Langzeitarbeitslosigkeit, dann müsste
sie in erster Linie an nachhaltiger Beschäftigungspolitik
ansetzen und nicht an der Auflösung der BA. Denn nur
über Beschäftigungspolitik mit Elementen wie Stärkung
der Binnennachfrage, Arbeitszeitverkürzung, Ausbau öffentlicher Dienstleistungen können jene neuen Arbeitsplätze entstehen, die wir für den Abbau der Erwerbslosigkeit und zur Zurückdrängung von Armut brauchen. Die
Linke schlägt dazu ein Zukunftsinvestitionsprogramm zur
Sicherung und Ausweitung öffentlicher Dienstleistungen
mit den Schwerpunkten Bildung, Gesundheit, Umwelt,
kommunale Daseinsvorsorge vor. Erst auf dieser Basis
kann Arbeitsmarktpolitik mit Vermittlung und beruflicher
Weiterbildung sowie ihren spezifischen Instrumenten ansetzen. Den Begriff „Beschäftigungspolitik“ sucht man
bei der FDP allerdings vergeblich - sowohl im Antrag
wie auch im Wahlprogramm. Schließlich fordert die FPD
die Übertragung der Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik auf die Jobcenter bei den Kommunen. Das
ist - im Zusammenhang mit der Auflösung der BA - nichts
anderes als die völlige Kommunalisierung von Arbeitsmarktpolitik! Eine von gesamtgesellschaftlichen Interessen geleitete Kontrolle und Gestaltung von Arbeitsmarktpolitik würde völlig aufgegeben.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Linke setzt sich für ein anderes Modell von Arbeitsmarktpolitik und ihrer Organisation ein und fordert
entsprechende Veränderungen: Statt Auflösung der BA
wollen wir die Bündelung der Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik im Rahmen einer einheitlichen Organisation. Dies entspricht unserem Konzept der Herstellung
eines einheitlichen Rechtskreises für die Arbeitsmarktpolitik mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Erwerbslosen und damit der Überwindung der Trennung der gegenwärtigen Rechtskreise. Das bedeutet einen konkreten
Schritt zur Überwindung von Hartz IV! Als einheitliche
Organisation kann historisch und logisch sowie vom Beschäftigten- und Erfahrungspotenzial her nur die BA infrage kommen - allerdings eine Bundesbehörde, die
grundsätzlich verändert werden muss, weg von der einseitigen betriebswirtschaftlichen Ausrichtung und weg
von einem schädlichen Beamtenzentralismus. Beides hat
auch die Denkweisen vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer falschen Richtung geprägt! Hin zur Wiederherstellung des sozialen und verteilungspolitischen
Auftrags der Arbeitsbehörde einschließlich der Stärkung
ihrer Selbstverwaltung - und das in Verbindung mit einer
gesetzlichen und verfassungssicheren Regelung des Zusammenwirkens der BA mit den Kommunen und den übrigen lokalen Arbeitsmarktakteuren im Interesse der von
Erwerbslosigkeit Betroffenen! Dies muss Inhalt eines
neuen Reformschrittes für den Arbeitsmarkt werden.
Denn: Arbeitslosigkeit ist in all ihren Facetten ein gesamtgesellschaftliches Problem und muss deshalb von einer einheitlichen Institution bearbeitet werden, die in der
Lage ist, sowohl gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen Rechnung zu tragen wie auch regionale Bedingungen
und Besonderheiten zu berücksichtigen. Verstärkt wird
diese Notwendigkeit durch die erheblichen strukturellen
und regionalen Disproportionen des Arbeitsmarktes, die
weitere Deregulierung des europäischen und internationalen Arbeitsmarktes sowie die wachsende Dynamik der
Arbeitsmarkt- und Qualifikationsentwicklung. All dem
wird mit einer Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik, wie sie die FPD vorsieht, in keiner Weise Rechnung
getragen.
Der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion hat mehr
als zweieinhalb Jahre unberührt in den Tiefen des Parla-
ments geschlummert, und ich für meinen Teil hätte nichts
dagegen gehabt, wenn das so weitergegangen wäre. Mit
dem Ende der Wahlperiode hätte sich die Sache dann von
alleine erledigt. Doch die Kolleginnen und Kollegen von
der FDP hatten kein Erbarmen mit uns. Also will ich Ih-
nen begründen, warum wir Grünen Ihren Antrag ableh-
nen.
Abgesehen von weiteren Nebensächlichkeiten fordert
die FDP im Wesentlichen: die Abschaffung der Bundes-
agentur für Arbeit und anstatt dessen erstens die Neu-
gründung unter anderem einer Bundesversicherungs-
agentur, die zweitens Wahltarife anstelle des
Arbeitslosengelds I anbietet; die Aufhebung der Parität
durch Auszahlung des Arbeitgeberanteils an den Beiträ-
gen zur Arbeitslosenversicherung an die Arbeitnehmer;
die Übertragung der Trägerschaft im SGB II komplett an
die Kommunen anstelle der bisherigen Arbeitsgemein-
schaften aus örtlichen Agenturen für Arbeit und Kommu-
nen bei weiterer Finanzierung des Arbeitslosengelds II
aus Bundesmitteln; die Aufhebung des Arbeitnehmer-
überlassungsgesetzes und damit die Abschaffung jegli-
cher Regulierung von Leiharbeit.
Meine Damen und Herren von der FDP, das ist alles
harter Tobak. Das zeige ich Ihnen an vier Beispielen.
Erstens. Sie wollen an die Stelle der Bundesagentur
außer einer Bundesversicherungsagentur mindestens
zwei weitere Behörden stellen. Das sind eine private Ver-
mittlungsagentur und eine Agentur für überregionale und
internationale Aufgaben. Das Institut für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung und die Fachhochschule der Bun-
desagentur sollen privatisiert werden. Für mich ist das
eine Multiplikation von Bürokratie, die dem von der FDP
geltend gemachten Ziel der Effizienz diametral entgegen-
steht. Resultat des Ganzen: Die Schnittstellenprobleme
würden zunehmen, Zuständigkeiten vernebelt und da-
rüber hinaus würden auch noch zusätzliche Personal-
und Verwaltungskosten entstehen. Das unterstützen wir
selbstverständlich nicht.
Zweitens. Ihre öffentliche Versicherungsagentur soll
die aktive Förderung nach Wahltarifen organisieren. Das
bedeutet, dass sich diejenigen, die wenig verdienen und
sich nur einen Basistarif leisten können, auch weniger ge-
fördert würden. Dabei sind gerade häufig sie diejenigen,
die von Qualifizierung am meisten profitieren würden.
Diejenigen mit hohem Einkommen könnten sich dagegen
mit höheren Tarifen umfassender absichern. Das Solidar-
prinzip bei der Förderkomponente der Arbeitslosenversi-
cherung wäre aufgehoben, Ungleichbehandlung und eine
Klassengesellschaft bei Arbeitslosigkeit die Folge. Auch
das ist mit uns Grünen nicht zu machen.
Drittens. Die von Ihnen vorgeschlagene flächende-
ckende Kommunalisierung der Trägerschaft der Grund-
sicherung hat mindestens zwei Haken. Erstens: Nicht alle
Kommunen wollen sich mit der Verantwortung der Trä-
gerschaft der Grundsicherung von Ihnen zwangsbeglü-
cken lassen. Zweitens: Seit der Föderalismusreform I ist
nach Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes keine Aufgabenzu-
weisung des Bundes an die Kommunen mehr möglich.
Der von Ihnen vorgeschlagene Weg funktioniert also
nicht mehr, jedenfalls nicht ohne eine Grundgesetzände-
rung. Dafür haben Sie aber keine Unterstützung der Län-
der. Die setzen - wie wir Grünen - auf das Nebeneinander
von kommunalen Lösungen und von Arbeitsgemeinschaf-
ten in der Trägerschaft der Grundsicherung.
Viertens. Die Leiharbeit braucht nicht weniger und
schon gar nicht gar keine Regulierung, sie braucht mehr
Regeln. Die Attraktivität von Leiharbeit soll sich aus ih-
rer hohen Flexibilität, insbesondere um kurzfristig Auf-
tragsspitzen zu bewältigen, speisen. Keineswegs aber
- und darauf zielen offensichtlich Ihre Vorschläge, Kolle-
ginnen und Kollegen von der FDP - soll Leiharbeit ein
Instrument sein, mit dem Lohn- und Sozialdumping in
großem Stil vorangetrieben werden. Wir Grünen wollen
dahingegen die Gleichbehandlung von Leiharbeitnehme-
rinnen und -nehmern und Stammbelegschaften vom ers-
Zu Protokoll gegebene Reden
ten Tag an und treten deshalb für spürbare Verbesserun-
gen in diese Richtung an.
Das sind vier gewichtige Gründe gegen den Antrag
der FDP, die nur einen Schluss zulassen, nämlich Ableh-
nung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/12353, den Antrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/2684 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen,
des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken. Die FDP
hat dagegen gestimmt.
Tagesordnungspunkte 52 a und b:
a) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der
Vereinten Nationen im Sudan ({0}) auf
Grundlage der Resolution 1590 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
24. März 2005 und Folgeresolutionen
- Drucksache 16/13395 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({3}) auf Grundlage
der Resolution 1769 ({4}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007
und Folgeresolutionen
- Drucksache 16/13396 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hier wird ebenfalls vorgeschlagen, die Reden zu Pro-
tokoll zu nehmen. - Damit sind Sie einverstanden. Es
handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kolle-
gen Jürgen Herrmann, Brunhilde Irber, Ursula Mogg,
Marina Schuster, Heike Hänsel, Kerstin Müller und
Gernot Erler.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksache 16/13395 und 16/13396 an die in der Tages-
1) Anlage 41
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 48:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Müller ({7}), Irmingard Schewe-Gerigk,
Marieluise Beck ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der Demokratischen Republik Kongo unverzüglich
wirksam bekämpfen
- Drucksachen 16/9779, 16/11250 Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer ({9})
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Marieluise Beck ({10})
Zu Protokoll gehen die Reden von Anke Eymer,
Brunhilde Irber, Marina Schuster, Hüseyin-Kenan Aydin
und Kerstin Müller.
Seit Jahren kommt die Region des Ostkongo nicht zur
Ruhe. Immer wieder entbrennen militärische Konflikte
trotz des internationalen Engagements und der internationalen Friedensmission MONUC.
Die unterschiedlichsten militärischen Gruppierungen
sind in zahllose Konflikte involviert. Die Lage ist verworren, undurchsichtig und explosiv. Der Osten des Landes
versinkt wieder in Gewalt.
Trotz der Gefangennahme von General Nukunda
kommt die Region nicht zur Ruhe. Hilfsorganisationen
warnen eindringlich, dass die FDLR-Hutu-Miliz dabei
ist, verlorenes Terrain zurückzuerobern. Die FDLR, die
durch die kongolesischen und ruandischen Regierungstruppen gemeinsam zurückgedrängt worden war, übt
massiv Vergeltung an der Zivilbevölkerung. Seit Beginn
des Jahres sollen bis zu 300 000 Bewohner aus ihren
Dörfern vertrieben worden sein oder vor den Milizen
flüchten. Allerdings, ein nicht unwesentlicher Teil der
Plünderungen und Gewalttaten sollen auch auf das
Konto der schlecht versorgten kongolesischen Regierungstruppen gehen.
Leidtragende ist seit je die Zivilbevölkerung. Strafund Racheaktionen für militärische Offensiven eines
Gegners werden an Dorfbewohnern verübt. Hinrichtungen, Brandschatzungen, Vertreibungen und die gezielte
sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen gehören mit
zur grausamen Tagesordnung. Kinder, Frauen und Mädchen sind ganz offensichtlich auch in diesem Krieg die
schwächsten Elemente und eine gezielt ausgesuchte Opfergruppe für eine perfide Kriegstechnik. Internationale
Beobachter mahnen allerdings, dass sich alle beteiligten
Kombattanten - offenbar auch die kongolesischen RegieAnke Eymer ({0})
rungstruppen - an Übergriffen auf Frauen und Mädchen
beteiligten oder Kindersoldaten einsetzen.
Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang, dem
nicht genügend Beachtung geschenkt wird, ist die medizinische und psychologisch-soziale Betreuung der Frauen
und Mädchen, die zu Opfern der Gewalt geworden sind.
Sie leiden jahrelang an einem Trauma und werden zudem
oft in ihren Dörfern und Familien stigmatisiert und ausgegrenzt.
Die Spannungen zwischen ethnischen Gruppen und
der Regierung der Demokratischen Republik Kongo waren in der Vergangenheit immer wieder Anlass für kriegerische Übergriffe. Schon während des Völkermordes der
Hutus an den Tutsi in Ruanda vor 15 Jahren setzten HutuMilizen sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen als
gezieltes Mittel ein. Auch die aktuellen Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten an Frauen sind Früchte
dieses schweren Erbes, das seit 1994 nicht nur auf
Ruanda, sondern auch auf den Grenzgebieten im Ostkongo lastet, wo sich viele ehemalige Flüchtlinge aus
Ruanda aufhalten.
Neben diesen ungelösten ethnischen Spannungen ist
der Zugriff auf die wirtschaftlich äußerst ergiebigen Rohstoffreserven des Ostkongo ein wesentlicher Konfliktgrund. Der Zugriff auf die Rohstoffreserven der Region
ist sowohl Motor als auch Motiv für die Gewaltexesse in
der Region. 10 Prozent der weltweiten Kupfervorkommen
und mehr als ein Drittel aller Kobaltvorkommen liegen
im Kongo. Der Handel mit den meist illegal abgebauten
Rohstoffen versorgt die bewaffneten Gruppen im Kongo
mit umgerechnet fast 150 Millionen US-Dollar jährlich,
ein Geldstrom, ohne den die meisten Milizen schon lange
ausgetrocknet wären.
Es ist ein internationaler Schwarzmarkt, der auch in
Friedenszeiten kaum zu kontrollieren ist. Die internationalen Begehrlichkeiten sind groß. Die im Kongo abgebauten Erze und Metalllegierungen sind für die moderne
Technik in jedem Laptop, Handy oder Fahrzeug mit
Hybridantrieb unverzichtbar. Der relativ leichte Abbau
im Kongo erlaubt niedrige Preise, bei denen andere Erzfördergebiete nicht mithalten können. In besonderer Kritik steht das chinesisch-kongolesische Abkommen zum
Rohstoffabbau.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat den Bedarf an
Rohstoffen schlagartig abrutschen lassen. Länder wie die
Republik Kongo, deren verschuldete Regierungen kaum
gegensteuern können, leiden besonders unter den wirtschaftlichen Folgen. Anders als viele andere Länder kann
der Kongo aber nicht auf Geldhilfen des IWF bauen. Der
Internationale Währungsfonds erwartet erst eine Revidierung der umstrittenen Kreditverträge, die der Kongo
mit der Volksrepublik China geschlossen hat.
Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise ist
eine schwere Belastung für die kongolesische Wirtschaft,
die nach Jahren der Diktatur mit einem Wirtschaftswachstum gerechnet hatte. Das Ausbleiben von Investitionsprojekten im Bergbau und der Verlust von zahllosen
Arbeitsplätzen sind weitere Faktoren, die es unwahrscheinlich machen, dass die Regierung in Kinshasa auf
absehbare Zeit die notwendige Kontrolle in den östlichen
Provinzen erringen kann.
Massen ohne Arbeit verstärken den Flüchtlingsdruck
und die Situation der ohnehin schon gepeinigten Zivilbevölkerung. Auch die Zusammenhänge zwischen der weltweit schwierigen Wirtschaftslage und dem schwindenden
Respekt vor Menschenrechten ist ein wichtiger Aspekt
dieses Konfliktes im Kongo.
Wie schon in der Debatte im vergangenen November
muss ich auch heute bezweifeln, dass sich im vorliegenden Antrag, der sich mit der verzweifelten Lage der
Frauen und Mädchen im Ostkongo befasst, in ausreichendem Maß mit der komplexen Gesamtsituation der
Eskalation auseinandergesetzt wird. Eine umfassende
politische Lösung für die gesamte Region unter entschiedenen internationalem Einsatz ist unverzichtbar. Das
eigentliche Problem scheint mir zu sein, wie die Partikularinteressen der vielen Beteiligten endlich in den Griff
bekommen werden können.
Zwar wird in dem vorliegenden Antrag im Kern die
Tatsache richtig beschrieben, dass sexualisierte Gewalt
gegen Frauen im Ostkongo zu einem der abscheulichsten
Mittel der Kriegsführung geworden ist. Aber die Lage ist
weit umfassender, auch wenn die noch ausstehende Lösung diese besondere Gefährdungssituation von Frauen
mit zu lösen hat.
Über ein halbes Jahr ist es nun her, dass wir hier im
Deutschen Bundestag über die beispiellose brutale
sexualisierte Gewalt gesprochen haben, der Frauen und
Mädchen im Osten der Demokratischen Republik Kongo
ausgesetzt sind. In diesem halben Jahr wurden unsere
Hoffnungen auf ein Ende des endlos scheinenden Konfliktes erneut enttäuscht.
Obwohl es nach dem überraschenden Friedensschluss
zwischen Regierung und diversen Rebellengruppen Anfang 2009, Verhaftung von CNDP-Führer Nkunda sowie
einer konzertierten kongolesisch-ruandischen Militäraktion gegen die FDLR-Milizen eine gewisse Beruhigung
der Lage gab, hat sich die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden nicht erfüllt. Nach dem Abschluss der Militäraktion kehrten die in der Kivu-Region verbliebenen
Milizen teilweise in ihre alten Stellungen zurück und
drangsalieren seitdem erneut die Zivilbevölkerung. Einige Beobachter sprechen sogar von einer Verschlimmerung der Situation, da die vormals bekämpfte CNDP jetzt
offiziell Teil der kongolesischen Armee ist und nun Orte
erreichen kann, die sie vorher nicht erreichen konnte.
Massive Fluchtbewegungen in Nord-Kivu sind die Folge.
Beobachter sprechen von mehr als 300 000 Menschen,
die seit Anfang des Jahres ihre Dörfer verlassen haben.
Statt Frieden herrscht nach wie vor das Recht des Stärkeren.
Unter diesen Bedingungen macht es wenig Sinn, gegenüber der kongolesischen Regierung auf die Einhaltung der VN-Resolution 1325 zu pochen, die den Schutz
der Frauen vor Übergriffen einfordert. Schließlich liegt
die Ursache der Gewalt gegen Frauen vor allem darin,
Zu Protokoll gegebene Reden
dass es keinen funktionierenden kongolesischen Staat
gibt, welcher die Einhaltung der VN-Resolution durchsetzten könnte. Eher ist das Gegenteil der Fall: Die kongolesische Armee wird von vielen internationalen
Beobachtern als Teil des Problems betrachtet und für
Plünderungen und Vergewaltigungen verantwortlich gemacht. Notwendig ist daher neben der Reform des Militärs, der Bezahlung und Ausstattung der Soldaten auch
eine Sensibilisierung der Soldaten und die Schaffung eines Unrechtsbewusstseins. Dies ist jedoch nicht mit einigen wenigen Unterrichtsstunden in kurzer Zeit zu schaffen. Der Aufbau einer funktionierenden Polizei und eines
nicht korrupten Justizsystems sind weitere dringliche
Aufgaben zur Herstellung von Sicherheit und Gerechtigkeit. Darüber hinaus gibt es nur einen Weg, um die Lage
der Frauen zu verbessern: eine politische Lösung des
Konfliktes.
Die Bundesregierung wirbt daher auch weiterhin für
Gespräche zur Umsetzung des 2002 in Pretoria geschlossenen Friedensvertrags. Diese Bemühungen werden nach
wie vor von einem breiten Katalog von Hilfsmaßnahmen
flankiert, der Hilfen zum Staatsaufbau ebenso umfasst
wie die Finanzierung der VN-Mission MONUC. Die Demokratische Republik Kongo ist eines der Schwerpunktländer der deutschen humanitären Hilfe. Sie ist bereits
heute das Land, welches nach Afghanistan die umfassendste Unterstützung von Deutschland erhält.
Bereits im letzten Jahr habe ich mich mit meiner Kollegin Bärbel Kofler erfolgreich dafür eingesetzt, dass der
50 Millionen Euro umfassende Friedensfonds ausgezahlt
wird. Darüber hinaus sind für dieses und das kommende
Jahr mehr als 50 Millionen Euro für die technische
- GTZ - und finanzielle - KfW - Kooperation eingeplant.
Auch international setzt sich Deutschland massiv für eine
Stabilisierung des Kongo ein. So steuerte Deutschland im
vergangenen Jahr mit 67,5 Millionen Euro den drittgrößten Beitrag zur Finanzierung von MONUC bei. Im Rahmen des zehnten Europäischen Entwicklungsfonds ist
Deutschland sogar der größte Geber. Deutschland leistet
zudem erhebliche finanzielle Unterstützung am MultiCountry Demobilization and Reintegration Program der
Weltbank.
Das Auswärtige Amt hat für Hilfsmaßnahmen in der
Ostregion der DR Kongo 2008 insgesamt 7,15 Millionen
Euro für 19 Hilfsprojekte bereitgestellt. Dieses Jahr wurden bereits drei Projekte der humanitären Nothilfe im
Wert von 700 000 Euro realisiert. Die Betreuung von Binnenflüchtlingen und die medizinische Notversorgung stehen dabei im Vordergrund.
2008 hat das Auswärtige Amt mit Schwerpunkt in der
krisengeschüttelten Ostregion der DR Kongo insgesamt
19 humanitäre Hilfsprojekte unterstützt. Seit 2003 stellte
das Auswärtige Amt für humanitäre Hilfsprojekte in der
DR Kongo damit über 23 Millionen Euro zur Verfügung.
Die 2008 geförderten Projekte kamen schwerpunktmäßig
Binnenvertriebenen und Rückkehrern zugute. Seit Anfang
dieses Jahres leistet die Missionszentrale der Franziskaner aus Mitteln des Auswärtigen Amts Überlebenshilfe
für Flüchtlinge und Binnenvertriebene in Nord- und SüdKivu in den Regionen Goma, Minova und Kalehe. Die
Caritas versorgt Binnenvertriebene in der krisengeschüttelten Nordprovinz Oriental mit lebensnotwendigen Bedarfsgegenständen, und die Ärzte ohne Grenzen leisten
mithilfe des Auswärtigen Amts medizinische Basisversorgung in der Provinz Katanga. Weitere Projekte sind in
Vorbereitung.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, stellte für die DR
Kongo im Jahr 2008 Mittel in Höhe von 6,75 Millionen
Euro für Projekte der entwicklungsorientierten Not- und
Übergangshilfe bereit. Für dieses Jahr plant das BMZ,
entsprechende Projekte mit 7,5 Millionen Euro zu fördern. Die Unterstützung von Frauen als besonders vom
Krieg Betroffene spielt in der Konzeption und Durchführung des Friedensfonds eine wesentliche Rolle. Sie werden mit einer Vielzahl von Projekten direkt gefördert, die
aufgrund der fehlenden staatlichen Strukturen vor Ort
von einer Vielzahl privater Hilfsorganisationen durchgeführt werden. Für diese privaten Helfer ist die sexuelle
Gewalt längst ein zentrales Thema.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle einen kleinen Überblick über diese Projekte vermitteln. So unterstützt der
EED über seinen Partner HEAL-Africa das Krankenhaus
und die Gesundheitsdienste in Goma und hält diese trotz
der derzeitigen Krise für Patienten offen. Der arbeitsintensive Wiederaufbau der Infrastruktur wird so organisiert, dass auch Frauen von den Beschäftigungsmöglichkeiten profitieren. Mindestens 30 Prozent aller Personen,
die hier eingestellt werden, sind Frauen. Begleitend dazu
werden in manchen Teilprojekten Alphabetisierungs- und
Qualifizierungsmaßnahmen für Frauen und Kinder angeboten.
Auch die Förderung von Landwirtschaft im Rahmen
einkommenschaffender Maßnahmen kommt im Kongo
direkt den - oftmals verwitweten - Frauen zugute. Im
Rahmen des Projektes der Deutschen Welthungerhilfe in
Nord-Kivu werden Frauengruppen direkt durch Kleintierzucht und Mikroprojekte unterstützt. Hinzu kommen
Projekte des BMZ, die eine indirekte Förderwirkung für
Frauen haben: So hat der Wiederaufbau der Gesundheitszentren in Süd-Kivu einen direkten Beitrag zur Müttergesundheit geleistet. Hier findet in Zusammenarbeit
mit Frauenverbänden HIV/Aids-Aufklärung und psychologische Beratung statt.
Die Rehabilitierung ländlicher Wege verbessert die Sicherheitssituation der Frauen ebenso wie ihren Zugang
zu Vermarktungsmöglichkeiten. Darüber hinaus werden
durch den Wiederaufbau der Schulen die Einschulungsquoten von Mädchen erhöht und damit gleichberechtigter
Zugang zu Bildung geschaffen.
In Anbetracht der zentralen Position, die private
Hilfsorganisationen im Osten des Kongo schon jetzt für
die Zivilbevölkerung und gerade die Frauen einnehmen,
müssen wir alles daransetzen, die Arbeit dieser Organisationen zu unterstützten. Hilfsorganisationen können
- Hand in Hand mit den Menschen vor Ort - ein zivilgesellschaftliches Netz bilden, das die fehlenden staatlichen
Strukturen wenigstens in Ansätzen ersetzt. Der Aufbau
und die Förderung dieser zivilgesellschaftlichen Strukturen scheint mir zurzeit das wichtigste und nachhaltigste
Zu Protokoll gegebene Reden
Mittel zu sein, um den Menschen vor Ort zu helfen. Ich
fordere die Bundesregierung daher auf, sich weiterhin für
eine politische Lösung des Konfliktes einzusetzen und
darüber hinaus den Aufbau der Zivilgesellschaft in der
DR Kongo durch die Unterstützung privater Hilfsorganisationen zu fördern.
Es war ein Tabubruch, als der Film „Anonyma“ letztes
Jahr in die deutschen Kinos kam. Die Geschichte einer
Vergewaltigung in Berlin kurz nach der Kapitulation griff
ein lange verdrängtes Thema auf - und zeigte doch das
Schicksal Hunderttausender Frauen im letzten Weltkrieg.
Viele Frauen leiden bis heute unter ihren Traumatisierungen, ohne jemals über ihr Schicksal gesprochen zu haben.
Vergewaltigungen als psychologisches Mittel der
Kriegsführung sind leider kein neues Phänomen. Gerade
mal 60 Jahre ist es her, dass unser Land dies selbst erfahren musste. Das verpflichtet uns, den Mantel des Schweigens zu heben, wenn Frauen Opfer von sexueller Gewalt
werden, egal wo dies passiert.
Der Blick in den Kongo zeigt, dass die körperliche und
seelische Zerstörung von Frauen seit Jahren zum teuflischen Instrumentenkasten der Konfliktparteien gehört;
dies in einem Ausmaß, das wir uns heute - Gott sei Dank kaum noch vorstellen können. Seit Mitte der 90-er-Jahre
ist der Kongo Schauplatz grausamer Konflikte, die nach
Schätzungen der VN bisher mehr als 5 Millionen Todesopfer und 1,5 Millionen Flüchtlinge gefordert haben. Offiziell herrscht seit drei Jahren Frieden, doch der ist im
Osten des Landes nie angekommen. Nach wie vor durchstreifen schlecht bezahlte, über die Jahre verrohte Kämpfer durch die Dörfer. Allein in der Region Süd-Kivu gab es
nach Angaben der UNO im vergangenen Jahr fast 17 000
Vergewaltigungen. Doch die Dunkelziffer dürfte um ein
Vielfaches höher liegen. Denn aus Angst und Scham
schweigen viele Frauen.
Niemand hindert die Täter an ihren Greueltaten. Die
Hauptstadt Kinshasa ist fern. Funktionsfähige rechtsstaatliche Strukturen und ein Justizsystem, das die Täter
zur Verantwortung zieht, existieren nicht.
Wir müssen an dieser Stelle ein Zeichen setzen. Sexualisierte Gewalt, wie sie im Kongo in besonders abscheulicher Weise den Alltag der Frauen bestimmt, ist eine bei
Weitem unterschätzte Gefahr für einen dauerhaften Frieden. Das kann uns nicht kaltlassen! In dieser Überzeugung unterstützt die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag
von Bündnis 90/Die Grünen mit Nachdruck. Gerade weil
Frauen oft die Leidtragenden in Krisen sind, sind sie
auch der Schlüssel, wenn es darum geht, Frieden und Versöhnung zu erreichen.
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass eine dauerhafte Verbesserung der Lage nur durch ein Ende der
Kampfhandlungen möglich sein wird. Schien die Verhaftung des Rebellenführers Nkunda erst als ein Hoffnungsschimmer für die ganze Region, gehen die Kämpfe nun
unvermindert weiter. Nach Abzug der ruandischen Truppen wird die Bevölkerung von Vergeltungsakten der
Hutu-Rebellen heimgesucht.
Ich muss leider wieder darauf hinweisen: Hier rächt
sich auch die mangelnde Aufmerksamkeit der EU und der
Bundesregierung hinsichtlich der Lage im Ostkongo. Als
wir vor drei Jahren deutsche Soldaten zur Sicherung der
Wahlen nach Kinshasa geschickt haben, hat die FDP immer betont: Freie Wahlen können nur der erste Schritt
Richtung Demokratie sein. Eine dauerhafte Stabilisierung ist damit noch lange nicht erreicht. Doch die Bundesregierung hat die Krise aus den Augen verloren - oder
die Augen verschlossen, ich weiß es nicht. Jedenfalls ignorierte sie eindeutige Warnzeichen für eine Verschlechterung der Lage. Auch hier verlangen wir von der Bundesregierung keine Wunder. Aber es kann nicht sein, dass
Millionen Euro aus deutschen Steuergeldern für die Absicherung von Wahlen ausgegeben werden und dann das
Land sich selbst überlassen wird. Das ist kein nachhaltiges Handeln!
Wir müssen uns Gedanken machen über eine bessere
Unterstützung der EU-Missionen EUPOL und EUSEC.
Der Kongo braucht mehr Hilfe für den Aufbau eines funktionierenden Justizsystems, eines beherrschbaren Militärs und einer vertrauenswürdigen Polizei. Nur so lassen
sich rechtsfreie Räume bekämpfen, die so vielen Frauen
zum Verhängnis werden. Und wir dürfen nicht vergessen:
Auch die VN-Friedenstruppen im Kongo sind völlig überfordert. Der Leiter von MONUC hat gar verkündet, dass
er die Zivilbevölkerung nicht mehr schützen kann.
In meiner Kleinen Anfrage zum Sudan habe ich die
Bundesregierung gefragt: Welche Strategie haben Sie für
die beiden EU-Missionen? Existieren dabei spezielle
Projekte zur Abwehr von sexueller Gewalt? Inwiefern
schließt der Dialog mit der kongolesischen Regierung
auch Frauenrechte mit ein? Inwiefern wird auch das
MONUC-Personal speziell geschult und an den Brennpunkten eingesetzt?
Auch der vorliegende Antrag greift genau diese Fragen auf: Vergewaltigungen sind kein geringfügiges Fehlverhalten, sondern Verbrechen mit desaströsen Langzeitfolgen für die Betroffenen und die nach Frieden
strebenden Gesellschaften. Wir müssen helfen, dass diese
Botschaft in den Köpfen vor Ort ankommt, und die kongolesische Regierung dazu drängen, zugesagte Maßnahmen auch wirklich umzusetzen. Und klar ist auch: Diese
Sensibilisierung muss einhergehen mit einer politischen
Komponente, muss an die Ursachen herangehen.
Ich finde, die Bundesregierung bleibt in beiden Punkten weit hinter den Erwartungen zurück. Und darum appelliere ich an Sie, auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte: Eine Kultur des Schweigens ist die
falsche Antwort! Ich fordere Sie somit auf: Helfen Sie,
den Kampf für die geschundenen Frauen stärker in den
Friedensmissionen zu verankern. Und nutzen Sie Ihren
Einfluss auf die kongolesische Regierung, dass die Täter
endlich zur Verantwortung gezogen werden.
In diesem Monat sind die Kämpfe im Kongo zwischen
Regierungsarmee und Rebellen wieder neu aufgeflammt.
Eine neue und gefährliche Entwicklung ist, dass sich Teile
der Regierungstruppen gegen die UN-Truppe wenden,
Zu Protokoll gegebene Reden
weil ihnen ihr Sold nicht ausgezahlt wird. Wieder sind
zahlreiche Menschen auf der Flucht. Die Rückführung
und Reintegration der nach UN-Schätzungen mindestens
1,35 Millionen Binnenvertriebenen allein in den KivuProvinzen Ituri und Orientale bleiben akut gefährdet. Die
Gewalt gegen Frauen und Kinder hört nicht auf.
An keinem Ort der Welt werden derzeit die Menschenrechte von Frauen in größerem Ausmaß verletzt als im
Osten Kongos. Es handelt sich nicht mehr um einen
Krieg, es geht um sexuellen Terrorismus in seiner unmenschlichsten Form. Schätzungen des UN-Menschenrechtsrates gehen davon aus, dass allein im Jahr 2008
rund 100 000 Frauen vergewaltigt, versklavt und verstümmelt wurden. Die Berichte übersteigen das Vorstellbare an Grausamkeit, und sie haben nichts mit einem kulturellen Phänomen zu tun.
Jede fünfte Patientin der Organisation „Ärzte ohne
Grenzen“ gibt an, zwischen zwei Tagen und mehreren
Jahren entführt gewesen zu sein. Die Menschen werden
willkürlich von jeder Partei beschuldigt, die jeweils andere zu unterstützen, und müssen immer mit Vergeltungsschlägen rechnen. In einigen Dörfern ist Gewalt bei Kindern unter fünf Jahren die Haupttodesursache. Frauen ist
nach der Zeit der Folter und der Gefangenschaft auch die
Rückkehr in ein normales Leben verwehrt. Sie werden
schwanger, mit HIV/Aids infiziert oder von ihren Ehemännern und Familien verstoßen. Sie wissen nicht mehr,
wohin sie gehen sollen. Die Überlebenden dieser Gewalt
brauchen medizinische Versorgung, psychosoziale Betreuung und ökonomische und politische Unterstützung.
Doch nur ein Bruchteil der Überlebenden hat Zugang
dazu.
Der Antrag der Grünen aus dem Jahr 2008 gilt in seiner Relevanz und Brisanz noch genauso am heutigen Tag,
und das ist tragisch. Mit dem „Achten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik“ verpflichtet sich die Bundesregierung, Menschenrechte von
Frauen weltweit zu stärken. Auch im Entwicklungspolitischen Aktionsplan für Menschenrechte wird deutlich formuliert: „Der Einsatz von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten ist ein Kriegsverbrechen.“ Die jüngste
UNO-Resolution zur Mandatsverlängerung von MONUC
- S/RES/1856 - bekräftigt erneut die Umsetzung der Resolutionen 1325 ({0}) und 1820 ({1}). Dennoch hat
die Bundesregierung bislang keinen eigenen nationalen
Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 vorgelegt.
Die Linke hat die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, sich bilateral im Gespräch mit den Regierungsvertretern sowie im Rahmen von EU und UNO für ein
Ende der Gewalt einzusetzen. Eine Aufstockung der
UNO-Truppen trifft nicht den Kern des Problems. Um
dauerhaft Frieden im Ostkongo zu sichern, muss ein umfassender politischer Vermittlungsprozess gestartet werden. Dazu müssen AU, UNO, EU, westliche und afrikanische Regierungen Druck auf die Anführer auf beiden
Seiten ausüben.
Die Zivilbevölkerung muss einen hohen Preis für die
militärische Befriedung zahlen. Fast die Hälfte der Vergewaltiger sind Mitglieder des Militärs oder einer Miliz,
berichtet „Ärzte ohne Grenzen“. Straftäter werden zum
größten Teil weder ermittelt noch zur Verantwortung gezogen. Auch Soldaten der MONUC haben sich dieser Verbrechen schuldig gemacht. Zuletzt wurden im August
2008 indische Blauhelme der „sexuellen Ausbeutung und
des sexuellen Missbrauchs“ von zum Teil minderjährigen
Prostituierten beschuldigt. Die Null-Toleranz-Richtlinie
der UN wird nicht eingehalten. Es herrscht ein unglaublicher Mangel an Aufklärungs- und Präventionskampagnen unter Offizieren und Soldaten, geschweige denn die
Anerkennung, dass Gendersensibilität im Kongo notwendig ist für das Überleben der Frauen.
Umso unverständlicher ist es, dass in dem von der
Bundesregierung 2008 eingerichteten Friedensfonds
Maßnahmen, die speziell auf die Bedürfnisse der
schwersttraumatisierten Frauen und Mädchen zugeschnitten sind, nicht explizit vorgesehen sind. Die Angst
vor sozialer Ausgrenzung verhindert, dass die Betroffenen reguläre Hilfsangebote annehmen. Doch die Umsetzung der Resolution 1325 fordert genau das: Frauen und
Männer müssen an Friedensprozessen und beim Wiederaufbau gleichermaßen beteiligt werden. Daher haben wir
erneut eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, um deutlich zu machen: Die Frauen im Kongo
brauchen dringend unsere Hilfe. Wir müssen mit allen
möglichen zivilen Maßnahmen die Frauen und ihre Kinder unterstützen, uns auf die Seite der Opfer stellen.
Die Grünen gehen in ihrem Antrag auf wichtige zivile,
politische und soziale Instrumente ein. Umso mehr bedauern wir, dass unserem Änderungsantrag, militärische
Maßnahmen auszuschließen, nicht zugestimmt wurde. In
einem Land, das so durchzogen ist von sexueller Gewalt,
können militärische Mittel nicht eingesetzt werden.
Vor genau einem Jahr hat der UNO-Sicherheitsrat die
Resolution 1820 verabschiedet. Sie brandmarkt erstmals
sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen und Gefahr
für Frieden und Sicherheit und ruft die internationale
Gemeinschaft zu deren Bekämpfung auf. Doch in der aktuellen Vorausschau des UNO-Sicherheitsrates zum Kongo
lesen wir: „… die Mitglieder des Sicherheitsrates zeigten
derzeit wenig Interesse am Kongo … eine Kongo-Müdigkeit scheint sich breit zu machen ….“
Wie passt das zusammen? Der Alltag Hunderttausender Kongolesinnen und Kongolesen ist noch immer von
Gewalt geprägt, vor allem von brutalster sexualisierter
Gewalt. Tag für Tag werden Dutzende Frauen und Mädchen
vergewaltigt. Im Jahr 2008 sind laut UNO-Menschenrechtsrat über 100 000 Frauen vergewaltigt worden. Auch
2009 setzt sich das Grauen fort, besonders im Ostkongo.
Viele neue Opfer hat die gemeinsame Militäroperation
von Kongo und Ruanda „Unsere Einheit“ gegen die
Hutu-Miliz FDLR gefordert. Ich sehe zwar grundsätzlich
die Notwendigkeit, dass die Hutu-Milizen bekämpft werden,
aber so, wie diese Militäraktion die Sache angegangen
ist, hat sie die FDLR nicht wirksam bekämpft und zu einem humanitären Desaster geführt. An die 800 000 Menschen sind nach Angaben von OCHA jetzt auf der Flucht,
darunter viele Frauen und Kinder. Ohne Schutz sind sie
Zu Protokoll gegebene Reden
Kerstin Müller ({0})
leichte Beute. Vor allem sind sie den brutalen FDLRSchergen hilflos ausgeliefert. Sie setzen Vergewaltigung
gezielt als Kriegswaffe ein, um Frauen körperlich und
seelisch zu vernichten und Familien und Gemeinschaft zu
zerstören. Genau aus diesem Grund sprechen Frauenorganisationen wie Medica Mondiale schon lange von einem „Femizid“, von schwersten Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Monika Hauser, Trägerin des Alternativen Friedensnobelpreises, fragt offensichtlich zu Recht: Warum setzen
sich wichtige Männer und Frauen in New York zusammen,
um Resolutionen zu formulieren, deren Inhalte sie nicht
bereit sind umzusetzen? Ohne die gezielte Bekämpfung
sexualisierter Gewalt kann es keinen Frieden im Kongo
geben. Diese unerträglichen Menschenrechtsverbrechen
müssen ein Ende haben. Die Staatengemeinschaft muss
endlich ihre Verpflichtungen aus den Resolutionen 1820
und 1325 umsetzen, damit Frauen und Mädchen nicht
weiter in Todesangst leben, damit sie mehr Unterstützung
erhalten und damit sie an Frieden und Gerechtigkeit
glauben können. Deshalb finde ich es sehr bedauerlich,
dass allein die FDP-Fraktion unserem Antrag zustimmen
will, obwohl es in der Sache eigentlich einen breiten Konsens gibt.
Die Aufstockung von MONUC ist schon seit Dezember 2008 beschlossen. Doch noch immer ist keiner der
zusätzlichen 3 000 Soldaten und Polizisten im Kongo.
Indien überlegt jetzt sogar, seine Soldaten insgesamt
zurückzuholen. Und die Bundesregierung verteidigt
vehement ihre Position, dass die EU und Deutschland die
MONUC personell nicht stärker unterstützen sollen.
Sie haben 2006 die Wahlen aufwendig mit Soldaten abgesichert. Ich frage Sie, wozu, wenn Sie jetzt auf halber
Strecke stehen bleiben. Sorgen Sie dafür, dass MONUC
die Menschen endlich besser schützen kann. Nach der
Mandatserweiterung vom Dezember 2008 sollte MONUC
unabhängiger von der kongolesischen Armee operieren.
Nach der Operation „Unsere Einheit“ arbeitet MONUC
stattdessen noch enger mit der kongolesischen Armee zusammen. Die drangsaliert aber noch immer die Bevölkerung, weil sie völlig unzureichend ausgebildet ist und oft
monatelang keinen Sold aus Kinshasa erhält. Der Frust
der Armee entlädt sich immer wieder in Schießereien,
auch gegen Angehörige der MONUC. Die EU-Ausbildungsmissionen für Armee und Polizei, EUSEC und
EUPOL, haben daran kaum etwas geändert. Die Missionen sind mangels Personal völlig überfordert, um geschlechtersensibel ausbilden zu können. Sie haben ihre
Hausaufgaben nicht gemacht. Das Modell Liberia zeigt
uns: Viel mehr weibliche Polizisten sind nötig. Entsenden
Sie endlich mehr Personal, auch mehr weibliches Personal.
Die Hoffnung auf dauerhaften Frieden schwindet.
Eine Demobilisierung von Kämpfern findet nicht statt.
Nach dem Abkommen vom März müssen die ehemaligen
Nkunda-Rebellen nicht etwa ihre Waffen abgeben, sondern
sie werden einfach in die Armee eingegliedert; darunter
sind viele Kindersoldaten, 40 Prozent davon sind Mädchen, die immer wieder vergewaltigt werden. Auch das
Problem der FDLR ist noch immer nicht gelöst. Auch für
sie gibt es keine attraktiven Demobilisierungsangebote.
Hier muss sich die Bundesregierung mehr engagieren.
Hinzu kommt, dass die antidemokratische Regierungsführung Kabilas Frieden verhindert. Willkür und Korruption auf allen Ebenen prägen das System Kabila. Der
Entsendung eines UNO-Sonderberichterstatters für Menschenrechte erteilte Kabila eine klare Absage.
Der Kongo fährt im Rückwärtsgang zurück in die Zeit
Mobutus. Stehlen Sie sich nicht aus der Verantwortung,
indem Sie sich auf den Wiederaufbau des Flughafens in
Goma und den deutschen Friedensfonds zurückziehen.
Üben sie Druck auf Kabila aus für Reformen. Unterstützen
Sie mit Fachkräften vor Ort Polizei, Armee und Justiz.
Unterstützen Sie tatkräftig die kommende schwedische
Ratspräsidentschaft bei ihrem Engagement gegen sexualisierte Gewalt im Kongo. Die Bekämpfung sexualisierter
Gewalt muss Schwerpunktthema Ihres Friedensfonds
werden und besonders den engagierten kleinen Hilfsorganisationen unbürokratischen Zugang zu den Geldern
gewähren.
Ohne Gerechtigkeit für die Opfer, ohne ein Ende der
Straflosigkeit kann es keinen Frieden geben. Doch die
Justiz im Kongo ist diesbezüglich weiterhin blind, besonders
gegenüber hochrangigen Armeeoffizieren, die für brutale
Gewaltexzesse und Vergewaltigungen verantwortlich
sind. Mit Appellen allein können Sie Kabila nicht zum
Kurswechsel bewegen. Reden Sie nicht nur, handeln Sie
endlich.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/11250, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9779 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung der Koalition und Ablehnung der Opposition.
Zusatzpunkt 10 und Tagesordnungspunkt 67 j:
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee
Bär, Wolfgang Börnsen ({0}), Peter Albach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Monika Griefahn,
Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Medien- und Onlinesucht als Suchtphänomen
erforschen, Prävention und Therapien fördern
- Drucksache 16/13382 -
67 j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Harald Terpe, Ekin
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Medienabhängigkeit bekämpfen - Medienkompetenz stärken
- Drucksachen 16/7836, 16/11371 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Christoph Waitz
Undine Kurth ({2})
Hier wird vorgeschlagen, die Reden ebenfalls zu Pro-
tokoll zu nehmen. - Sie sind damit einverstanden. Es han-
delt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Dorothee Bär, Monika Griefahn, Jürgen Kucharczyk,
Christoph Waitz, Lothar Bisky und Grietje Staffelt.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache
16/13382 mit dem Titel „Medien- und Onlinesucht als
Suchtphänomen erforschen, Prävention und Therapien fördern“. Wer stimmt für den Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Dafür hat
die Koalition gestimmt, dagegen Bündnis 90/Die Grünen. FDP und Linke haben sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 67 j. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Medienabhängigkeit bekämpfen - Medienkompetenz stärken“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/11371, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7836 abzulehnen. - Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Dafür haben gestimmt die Koalitionsfraktionen, dagegen die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Die FDP hat sich
enthalten.
Tagesordnungspunkt 50:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({3})
zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Alexander Bonde, Christine Scheel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kontrollrechte aus Bundesbeteiligungen strategisch nutzen
- Drucksachen 16/11761, 16/12138 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Bernhard Brinkmann ({4})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
1) Anlage 42
Zu Protokoll gehen die Reden von Jochen-Konrad
Fromme, Bernhard Brinkmann, Otto Fricke, Herbert
Schui und Kerstin Andreae.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat diesen Antrag vor dem Hintergrund der jüngsten Geschehnisse bei
der Deutschen Telekom AG, der Deutschen Bahn AG und
der Deutschen Post AG eingebracht. Zudem verweist sie
auf Managementprobleme bei der KfW-Bankengruppe
und den Landesbanken. Sie weist darauf hin, dass der
Bund bisher beim Umgang mit den Kontrollrechten aus
seinen Beteiligungen keine Strategie verfolge und bislang
die Schulung von Aufsichtsratsmitgliedern und Vertretern
auf Hauptversammlungen versäumt habe, folgert daraus,
dass der Staat bei seinen Beteiligungen seiner besonderen Verantwortung nicht gerecht wird, und fordert deshalb, dass sich der Staat als Aktionär zu den Problemen
wie Überwachungsskandalen, unausgereiften Rationalisierungskonzepten oder Fehlinvestitionen bei den Unternehmen, an denen er beteiligt ist, verantwortungsbewusster zu verhalten habe. Dieses Vorhaben ist an sich nicht
falsch; aber der vorgeschlagene Weg ist nicht zweckmäßig bzw. dadurch überholt, dass wir konkrete Vorhaben
verfolgen, was ich gleich noch genauer ausführen werde.
Natürlich kann man die Vorgänge bei den genannten
Unternehmen nicht gutheißen, und auch mir wäre es lieber, das wäre alles so nicht passiert. Die Frage ist jedoch:
Was kann man ändern, und sind die Vorschläge in dem
vorliegenden Antrag die richtigen? Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, dass dies nicht der Fall ist und lehnt
den Antrag daher aus mehreren Gründen ab.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt insgesamt
zwölf Forderungen an die Bundesregierung, die zwar zum
Teil sogar positive Anregungen enthalten, im Ergebnis
aber entweder nicht praktikabel oder schlicht überflüssig
sind.
Einleitend und grundsätzlich möchte ich anmerken,
dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist; das
wurde schon vielfach festgestellt. Daher sollte er sich
grundsätzlich nicht aktiv am Markt beteiligen, sondern
nur die Regeln vorgeben. Eine staatliche Einflussnahme
wie jetzt in der Finanzkrise sollte tunlichst eine Ausnahme bleiben und sobald wie möglich wieder beendet
werden. Auch unabhängig von der Finanzkrise sollte die
Devise gelten, dass sich der Staat von allen Firmenbeteiligungen trennt, wenn die Beteiligung nicht aus strategischen Gründen, zum Beispiel aus Gründen der Standortsicherung, erforderlich ist. Es ist immer besser, wenn sich
der Staat so weit wie möglich aus dem operativen Geschäft im Markt heraushält. Das ist das Modell der sozialen Marktwirtschaft, welches sich sehr bewährt hat.
Nun aber direkt zu dem Antrag: Nicht praktikabel ist er
deshalb, weil meines Erachtens auch mit den aufgestellten Forderungen die eingangs genannten Vorgänge bei
den Unternehmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hätten verhindert werden können.
Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen. Es klingt zunächst gut und vernünftig, wenn gefordert wird, die Aufsichtsräte auf ihre Aufgaben vorzubereiten und sie entJochen-Konrad Fromme
sprechend zu schulen. Allerdings kann man nur das
schulen, was man auch kennt und weiß oder womit man
zumindest rechnen muss. Die Vorgänge in den betroffenen
Unternehmen hat doch im Vorfeld niemals jemand ernsthaft zu erahnen vermocht. Wie soll man dann jedoch jemanden darauf schulen? Man hätte im Prinzip hellseherische Fähigkeiten vermitteln müssen und das - da sind
wir uns wohl einig - ist nicht möglich.
Außerdem ist der Antrag überflüssig; denn wie sich
aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Wahrnehmung der Aufsichts- und Kontrollfunktion des Staates als
Anteilseigner“ aus dem Dezember letzten Jahres ergibt,
ist der Staat in der Angelegenheit nicht untätig, sondern
es gibt diverse Regelungen, die genau die Intention des
hier vorliegenden Antrages haben. Schon in der Vorbemerkung der Bundesregierung in der Antwort heißt es:
Unternehmen mit Bundesbeteiligung werden wie
Unternehmen mit privater Anteilseignerstruktur geführt und überwacht. Dies ist der Ansatz der seit
Jahrzehnten bewährten privatwirtschaftlich orientierten Beteiligungsführung des Bundes.
So erfolgt die Auswahl der Mitglieder von Überwachungsorganen auf der Grundlage der sogenannten Berufungsrichtlinien aus den „Hinweisen für die Verwaltung von Bundesbeteiligungen“.
Bei börsennotierten Unternehmen mit Bundesbeteiligung gelten zudem die Empfehlungen und Anregungen
des Deutschen Corporate Governance Kodex. In dessen
Präambel heißt es:
Der vorliegende Deutsche Corporate Governance
Kodex stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften
zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften ({0}) dar
und enthält international und national anerkannte
Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung. Der Kodex soll das deutsche Corporate Governance System transparent und nachvollziehbar machen. Er will das Vertrauen der
internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die
Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften fördern.
Außerdem gibt es aufseiten der Bundesregierung und
des Parlaments verschiedene Bemühungen, in den Fragen, die der vorliegende Antrag betrifft, Änderungen herbeizuführen.
Zum einen erarbeitet die Bundesregierung derzeit einen „Public Corporate Governance Kodex des Bundes“.
Diesen hat das Bundeskabinett am 13. Mai 2009 verabschiedet, und er bildet den Kern der neuen „Grundsätze
guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes“. Dieser Kodex richtet sich an nichtbörsennotierte Unternehmen mit Bundesbeteiligungen.
Leitlinie des Kodexes ist es, die Verantwortungssphären
von Vorständen, Aufsichts- und Anteilseignergremien
klar zu benennen und die Unternehmensorgane zur öffentlichen Erklärung zu verpflichten. Schwerpunkte im
Kodex sind die Verbesserung der Arbeitsstrukturen und prozesse in den Unternehmen und eine klarere Bestimmung der Rolle des Bundes als Anteilseigner. Dazu ist er
im Hinblick auf die Vorbildfunktion des Bundes teilweise
strikter gefasst als die Standards der Privatwirtschaft.
Die Koalitionsarbeitsgruppe Haushalt im Deutschen
Bundestag befasst sich zurzeit mit diesen Vorschlägen zur
Beteiligungsverwaltung, die noch vor der Sommerpause
umgesetzt werden sollen.
Zum anderen hat der Bundestag in der heutigen Sitzung dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandvergütung zugestimmt. Dieses Gesetz wurde aufgrund der Finanzkrise eingebracht, weil man erkannt hatte, dass von
kurzfristig ausgerichteten Vergütungsinstrumenten fehlerhafte Verhaltensanreize ausgehen können, die dazu
führen, dass das nachhaltige Wachstum des Unternehmens aus dem Blick verloren wird, und die dazu verleiten,
unverantwortliche Risiken einzugehen. Ziel des Gesetzes
ist es daher, die Anreize in der Vergütungsstruktur für
Vorstandsmitglieder in Richtung einer nachhaltigen und
auf Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung
zu stärken. Zugleich sollen die Verantwortlichkeit des
Aufsichtsrats für die Ausgestaltung der Vorstandvergütung gestärkt und konkretisiert werden sowie die Transparenz der Vorstandvergütung gegenüber den Aktionären
und der Öffentlichkeit verbessert werden. Sie sehen also:
Es kann in diesen wichtigen Fragen niemandem Untätigkeit vorgeworfen werden.
Darüber hinaus sorgen natürlich auch die schon bestehenden gesetzlichen Regelungen dafür, dass die Vorstände und Aufsichtsräte von sich aus einer ordnungsgemäßen Ausübung ihres Amtes verpflichtet sein sollten: So
haften Vorstände deutscher Unternehmen nach § 93 Aktiengesetz für eine ordnungsgemäße Unternehmensführung, und bei Sorgfaltspflichtverletzungen machen sie
sich schadenersatzpflichtig. Daneben kommen auch
Straftatbestände wie die Untreue infrage. Gleiches gilt
für Aufsichtsratsmitglieder, denen im Falle von Sorgfaltspflichtverletzungen vergleichbare Folgen drohen. Natürlich schließt das alles nicht aus, dass Vorstände und Aufsichtsräte auch Fehler begehen. Fehler gehören leider
zum Leben dazu und diese werden sich durch alle vorbeugenden Maßnahmen niemals ganz verhindern lassen. Unternehmerische Tätigkeiten sind nun einmal auch immer
mit dem Risiko von Verlusten verbunden.
Allerdings weigere ich mich auch, alle Vorstände und
Aufsichtsräte unter den Generalverdacht zu stellen, sie
würden nicht ordnungsgemäß arbeiten. Damit würden
wir nämlich denjenigen, die gute Arbeit für ihr Unternehmen leisten - das ist in meinen Augen die große Mehrheit bitteres Unrecht tun.
Ich bin zudem der Meinung, dass man Aufsichtsrat
oder Vorstand nicht lernen kann. Die dafür erforderlichen Fähigkeiten muss sich jeder im Laufe seines Berufslebens erarbeiten. Ich denke, dass für diese Aufgaben neben fachlichen Kenntnissen auch einfach eine gewisse
Lebenserfahrung notwendig ist. Wenn es mit ein paar
Schulungen getan wäre, könnten wir ja eine Ausbildung
oder einen Studiengang schaffen, der mit dem Abschluss
„Vorstand“ oder „Aufsichtsrat“ endet. Dass es so einfach nicht ist, leuchtet wohl allen ein.
Zu Protokoll gegebene Reden
Im Ergebnis lehnt die CDU/CSU-Fraktion den Antrag,
auch wenn er positive Anregungen enthält, ab, da die von
Bündnis 90/Die Grünen geforderte Entwicklung von sozialen und ökologischen Kriterien für eine Unternehmenspolitik des Bundes sachfremd sind. Wie ich dargestellt
habe, haben wir konkrete Vorhaben in der Umsetzung.
Der Entschließungsantrag könnte dagegen keine Wirkung entfalten, weil er selbst bei einem positiven Beschluss in der vorletzten Sitzungswoche dieser Legislaturperiode der Diskontinuität zum Opfer fallen würde.
Lassen Sie mich zunächst feststellen, dass der von der
Fraktion Bündnis 90 /Die Grünen heute erneut zur Beratung anstehende Tagesordnungspunkt auf einer Antwort
der Bundesregierung beruht, die anlässlich einer Kleinen
Anfrage bereits ausführlich behandelt worden ist. Insofern hat sich an meinen Ausführungen anlässlich der Beratung am 12. Februar 2009 nichts Nennenswertes geändert. Bereits der Ausgangspunkt dieser Anfrage und der
heute gestellte Antrag gehen nach Auffassung der SPDFraktion von unzutreffenden Annahmen und falschen Tatsachen aus. Ich möchte das an zwei Beispielen deutlich
machen.
Erstens. Die Aussage, es gebe massive Probleme im
Management von Unternehmen mit bedeutenden staatlichen Beteiligungen, ist weit hergeholt und trifft nicht zu.
Unternehmerisches Handeln ist nicht per se erfolgreich,
sondern auch mit dem Risiko von Verlusten verbunden.
Wer etwas anderes behauptet und dabei die Deutsche
Post AG, die Deutsche Telekom oder die Deutsche Bahn
AG als pauschale Gründe für das Versagen des Staates
aufführt, handelt unverantwortlich und fahrlässig; denn
gerade in den aktuellen Fällen erfolgt eine Aufarbeitung
und Überprüfung auch durch die Aufsichtsräte des Unternehmens.
Der Staat übt wie jeder private Anteilseigner seine
Funktionen aus. Er hat bei der Kontrolle seiner Beteiligungen nicht versagt, sondern er verhält sich nach Aktien- und Beteiligungsrecht sehr verantwortungsbewusst
und korrekt. Auch hier hat der hehre Grundsatz Gültigkeit: Wo Menschen tätig sind, passieren auch Fehler. Fehlerfrei ist jedenfalls niemand.
Die Unternehmen mit Bundesbeteiligungen werden
wie Unternehmen mit privater Anteilsstruktur geführt,
und das ist auch gut so. Dies ist der richtige Ansatz der
seit Jahrzehnten bewährten privatwirtschaftlich orientierten Beteiligungsführung. Der Bund kann hier auch
nur den Einfluss geltend machen, der ihm aufgrund seiner Beteiligung zusteht - nicht mehr und auch nicht weniger.
Der Bund verfolgt mit seinen Beteiligungen keine
übergeordnete Konzernstrategie, denn der Staat ist nicht
Unternehmer im Wettbewerb auf verschiedenen Märkten.
In einer marktwirtschaftlichen Ordnung soll er sich nach
Auffassung meiner Fraktion grundsätzlich nicht an industriellen oder sonstigen erwerbswirtschaftlichen Unternehmen beteiligen, es sei denn, dieses dient, wie § 65
BHO sagt, zur Erfüllung einer wichtigen Aufgabe des
Bundes. Die aktuellen Ereignisse, die in der internationalen Finanzkrise begründet sind, bedürfen einer gründlichen Prüfung. Das wird durch die Bundesregierung auch
gewährleistet. Darüber hinaus gilt für den Umgang mit
den aus Bundesbeteiligungen entstehenden Kontrollrechten seit langem eine Grundlage, die auch über das Internet einsehbar ist. Hier gibt es viele „Hinweise für die Verwaltung von Bundesbeteiligungen“.
Auch der populistische Hinweis, die vom Bund gewählten oder entsandten Mitglieder von Überwachungsorganen seien nicht ausreichend qualifiziert und müssten
darüber hinaus regelmäßig geschult werden, geht völlig
ins Leere. Wie bei jedem privaten Anteilseigner, ist es im
Interesse des Bundes, nur entsprechend qualifizierte Personen in Aufsichtsräte zu berufen oder in Hauptversammlungen zu entsenden. Aus diesem Grund wurden die
bereits seit 1959 bestehenden und auch im Internet einsehbaren „Berufungsrichtlinien für die Besetzung von
Gremien“ eingeführt und fortentwickelt. Dort sind auch
die Kriterien - insbesondere fachliche Qualifikation;
keine Interessenskonflikte - und Entscheidungswege dargelegt.
Bei Bundesbeteiligungen sehen diese Regeln auch vor,
dass bei der Besetzung von Aufsichtsräten keine Bundesbediensteten berücksichtigt werden sollen, die bereits
drei Aufsichtsratsmandate haben. Dieser Ansatz ist damit
enger gefasst als im „Deutschen Corporate Governance
Kodex“, DCKG. Die Qualifikation der Aufsichtsräte etc.
beruht auf Ausbildung, erfolgreichem beruflichen Werdegang und einer entsprechenden Persönlichkeit, nicht auf
Schulungen. Man kann „Aufsichtsrat“ meines Erachtens
nicht erlernen, man muss aber bereit sein, sich das
„Handwerkszeug“ anzueignen. Gleichwohl werden
Schulungen mit unterschiedlichen Zielsetzungen angeboten.
Der Bund ist kein Konzern. Angesichts der Bandbreite
der Unternehmen, die von Forschungseinrichtungen wie
dem Deutschen Primatenzentrum über die Finanzagentur
bis hin zu Minderheitsbeteiligungen in der Telekommunikation reichen, sind einheitliche uniforme Strategien weder sinnvoll noch möglich. Die Unternehmensplanung
und -organisation - wie etwa Investitions- und Standortpolitik, Datenschutz, technische Kontrolle bei Maschinen
und Geräten - ist zudem grundsätzlich Aufgabe des Vorstands bzw. der Geschäftsleitung. Diese Maßnahmen
werden, soweit rechtlich vorgesehen, mit den Überwachungsorganen und/oder der Anteilseignerversammlung
abgestimmt.
Besonderheiten aus der Umsetzung der Konjunkturpakete sind für jedes Unternehmen einzeln durch die zuständigen Unternehmensorgane zu beurteilen. Eine Änderung
des Haushaltsrechts mit Blick auf die Kontrollfunktion
des Parlaments ist nicht erforderlich. Das operative Geschäft organisationsprivatisierter oder teilprivatisierter
Gesellschaften mit Bundesbeteiligung fällt nach geltender Verfassungslage in die alleinige Zuständigkeit der
Unternehmen selbst. Diese Trennung ist mit Blick auf
klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten wichtig
und hat sich bewährt.
Soweit Informationen, die den Zuständigkeitsbereich
der Regierung und zugleich die Rechte der Unternehmen
Zu Protokoll gegebene Reden
Bernhard Brinkmann ({0})
betreffen, erbeten werden, können diese mit Einverständnis der Betroffenen in Verfahren, die die Vertraulichkeit
sichern, auch dem Parlament oder den zuständigen Ausschüssen zur Kenntnis gegeben werden. Geheimhaltungspflichten stehen einer parlamentarischen Kontrolle nicht
entgegen, sondern sind ihr notwendiger und fester Bestandteil.
Meine Ausführungen haben deutlich gemacht, dass
der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen nicht zielgerichtet ist und daher, wie im Bericht
des Haushaltsausschusses auf Drucksache 16/12138 vom
4. März 2009 aufgeführt, abgelehnt werden muss .
Der Antrag der Grünen zeigt mal wieder eindrucksvoll, wie dicht Licht und Schatten beieinander liegen können.
Die Intention verbesserter Kontrollmechanismen und
einer höheren Qualität in den Aufsichtsgremien bei im
Bundesbesitz befindlichen Unternehmen bzw. bundesseitiger Beteiligung ist vor dem Hintergrund der verlustreichen Fälle IKB und KfW nachvollziehbar. Ein derartiges
generelles Anliegen ist also zu unterstützen. In diesem Zusammenhang müssen jedoch einige grundsätzliche Dinge
offensichtlich noch einmal klargestellt werden.
Die vornehme Aufgabe des Staates ist der verantwortungsvolle Umgang mit Steuergeldern. Unter diesen Begriff fallen aber faktisch auch die Beteiligungen des Bundes an Unternehmen, da diese Form von Volksvermögen
den Bürgern und nicht etwa einer Regierung gehört.
Hinzu kommt, dass der Staat eben auch kein Unternehmer
ist und niemals sein wird. Die Folgen der Staatswirtschaft
müssen auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer noch immer von den Steuerzahlern in ganz Deutschland geschultert werden.
Generell hat sich der Staat also aus jedweden Beteiligungen an privaten Unternehmen herauszuhalten. Muss
er sie aber dennoch eingehen, so ist gleichzeitig Vorsorge
für eine baldige Beendigung einer solchen Beteiligung zu
treffen. Im Englischen würde man hier von einer ExitStrategie sprechen.
Die FDP hat die Privatisierung der ehemals großen
Staatsbetriebe Post, Lufthansa und Bundesbahn damals
angestoßen und vorangetrieben. Der von mir hochverehrte und leider viel zu früh verstorbene ehemalige Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt war treibende
Kraft bei der Privatisierung derartig großer Unternehmen. Ist der Staat aber - aus was für Gründen auch immer - gezwungen, Unternehmensbeteiligungen vorübergehend zu halten, dann stellt sich die Frage nach dem
Umgang mit seinen aus diesen Beteiligungen erwachsenden Aufsichtsrechten. Hier sollten nach meiner Überzeugung zwei Grundregeln beachtet werden.
Die eine lässt sich mit den Worten der Schadens- und
Gefahrenabwehr umschreiben. Hierunter ist zu verstehen, dass über das Aufsichtsmandat nach Möglichkeit
verhindert werden muss, dass die Staatsbeteiligung aufgrund von Missmanagement an Wert verliert und letztlich
ein Schaden für den Steuerzahler daraus entsteht. Bei dieser Frage sind die ersten vier Forderungen der Antragsteller durchaus als hilfreich zu begrüßen, weil hierdurch
mehr Transparenz und Professionalität und weniger
Missbrauch und Nachlässigkeiten bei der Mandatsausübung zu erwarten sein werden.
Nach der anderen Grundregel darf der Staat jedoch
nur minimal in unternehmerische Entscheidungen hineinregieren. Er hat sich jede Form der Wettbewerbsverzerrung und unnötigen Einflussnahme zu versagen. Der
Staat ist kein Unternehmen und wird auf diesem Gebiet
langfristig immer zum Schaden der Steuerzahler versagen. Die vornehmlich bei sozialdemokratischen Politikern immer wieder durchkommende Versuchung, Unternehmer zu spielen, muss daher mit aller Entschiedenheit
verhindert werden. Als FDP-Bundestagsfraktion haben
wir daher gerade einen Antrag zur Abschaffung der Sozialisierung und zu einer entsprechenden Änderung des
Grundgesetzes gestellt.
Dass nun die Grünen auch nicht frei von dieser Versuchung sind, zeigen sie mit den weiteren Forderungen in
ihrem Antrag deutlich. Im Bereich des Corporate Governance Kodex die Anwendung von ökologischen und sozialen Kriterien für die Unternehmenspolitik zu fordern,
zeigt eindrucksvoll, dass man hier eine grüne Suppe mitkochen möchte, die ganz eindeutig gegen den Grundsatz
der maximalen Heraushaltung bei unternehmerischen
Entscheidungen verstößt. Oder sollen Unternehmen vielleicht über staatliche Beteiligungen verpflichtet werden,
nur noch Jute statt Plastik zu kaufen?
Insgesamt ist es ein Antrag mit etwas Licht, aber auch
viel ideologischem Schatten. Der Schattenteil des Antrags jedoch hat auch sein Gutes, zeigt er doch eindrucksvoll, wie wenig die Grünen von einer gut funktionierenden sozialen Marktwirtschaft und der schlanken, aber
harten Rolle des Staats in einer solchen verstehen.
Als FDP im Deutschen Bundestag werden wir uns aus
diesem Grunde enthalten.
Die Grünen fordern die Bundesregierung in ihrem Antrag auf, die Kontrollrechte aus Bundesbeteiligungen
strategisch zu nutzen. Das hört sich zunächst vernünftig
an. Die Bundesregierung ist jedoch bestrebt, genau das
nicht zu tun. So hat sie bei der Commerzbank ein Vielfaches ihres Wertes bezahlt und sich damit lediglich ein
Viertel der Anteile gesichert. Anstatt nun mit der Commerzbank die Kreditvergabe wiederzubeleben und zum
Beispiel Arcandor die benötigten Kredite zu verschaffen,
arbeitet die Bank weiter wie zuvor. Von strategischer Nutzung kann keine Rede sein.
Gleiches gilt für die im Antrag erwähnten Bundesbeteiligungen bei der Post, bei der Telekom und bei der
Bahn. Bei allen Unternehmen handelt es sich um Bereiche der Daseinsvorsorge. Doch anstatt sich für die
Erhaltung oder den Ausbau der Daseinsvorsorge zu
engagieren, setzen sich die Vertreter des Bundes für eine
Maximierung des Profits ein, um die weitere Privatisierung voranzutreiben. Die Folge sind ausgedünnte Bahnstreckennetze oder die Schließung vieler Postfilialen in
kleinen Ortschaften.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Kernforderung des Antrags ist daher unterstützenswert. Gleiches gilt für viele weitere Forderungen, wie
die Schulung von Aufsichtsräten, die Begrenzung der Aufsichtsratsmandate auf vier pro Person, die Einbeziehung
des Bundestages bei der Entsendung von Aufsichtsräten
oder die Lockerung der Geheimhaltungspflichten. So
hätte der Bund besser vorbereitete, besser kontrollierbare
Aufsichtsräte.
Die Forderungen gehen insgesamt allerdings nicht
weit genug. Der Bund braucht nicht nur besser vorbereitete Aufsichtsräte, er braucht auch Aufsichtsräte, die in
seinem Interesse handeln. Die Aufsichtsräte müssen daher generell dem Gemeinwohl verpflichtet werden und
nicht mehr dem Unternehmenswohl.
Im Verlauf des Antrages entsteht der Eindruck, die
Grünen drückten sich vor so einer Entscheidung. Sie fordern lediglich eine „nachvollziehbare Strategie“ und ein
„verantwortungsbewusstes Verhalten“ des Staates als
Aktionär. Die entscheidende Frage bleibt hier offen: Wie
genau soll sich der Staat denn verhalten? Die Grünen
schließen zudem direkte Eingriffe ins operative Management explizit aus. Aber genau das ist nötig, wie an den
oben genannten Beispielen deutlich wird: Ohne direkte
Eingriffe wird das Interesse des Bundes an einer flächendeckenden Breitbandversorgung, an einem gut ausgebauten Schienennetz oder einer flächendeckenden Präsenz
von Postfilialen nicht verwirklicht. Der Wettbewerb, auf
den die Bundesregierung setzt, um diese Ziele zu erreichen, funktioniert nicht. Der Bund selbst muss dafür sorgen. Dafür kann er entweder Gesetze erlassen oder, so er
im Besitz der Unternehmen ist, einfach dementsprechend
handeln.
Immer wieder geraten Unternehmen im staatlichen
Besitz, mit staatlicher Mehrheit bei den Anteilen oder mit
maßgeblicher staatlicher Beteiligung in die Schlagzeilen.
Die Medien berichten über die Überwachungsskandale
bei der Telekom und der Deutschen Bahn. Rationalisierungsmaßnahmen der Telekom bei den Servicecentern
führen in zahlreichen Regionen zu starken Protesten. Die
Deutsche Bahn ist mit den Problemen beim ICE-Einsatz
in der Kritik. Die Deutsche Post AG musste nach den Verlusten auf dem US-Paketmarkt ihre Gewinnerwartungen
drastisch reduzieren. Managementprobleme bei der KfW
und den Landesbanken haben sowohl die Medien als
auch Bund und Länder stark beschäftigt. Dabei drängt
sich die Frage auf, ob der Staat bei der Kontrolle seiner
Beteiligungen versagt. Auch bei dem Banken-Rettungspaket ist ein ähnliches Versagen zu befürchten, da der
Bund auch dort auf verbindliche Vorgaben für die Geschäftspolitik der Banken verzichtet und eine aktive Rolle
als Anteilseigner ausschließt.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine
Anfrage zum Beteiligungsmanagement des Bundes zeigt:
Der Bund verfolgt beim Umgang mit seinen Beteiligungen keine Strategie und versäumt die Schulung von Aufsichtsratsmitgliedern und Vertretern auf Hauptversammlungen.
In seinen Antworten stellt das Finanzministerium fest:
„Eine gesonderte Vorbereitung der Mitglieder von Überwachungsorganen oder der Vertreter in den Anteilseignerversammlungen erfolgt bislang nicht.“ Stattdessen
werden sie mit dieser Aufgabe alleingelassen: Die Kontrollrechte des Bundes werden nicht genutzt, um Verbesserungen bei der Unternehmensführung zu erreichen.
Die massiven Probleme im Management von Unternehmen mit bedeutenden staatlichen Beteiligungen oder
Mehrheitsbeteiligungen wie Telekom, Deutsche Bahn
oder Deutsche Post haben die Bundesregierung nicht zu
einer Änderung dieser Haltung bewegen können, im Gegenteil. Sie hat aus den Fehlern der Vergangenheit nichts
gelernt und wird diese auch bei den weiteren Maßnahmen
zur Bewältigung der Finanzmarktkrise fortschreiben:
„Aus den aktuellen Entwicklungen in der Wirtschaft und
der Finanzwelt sind derzeit keine Anhaltspunkte ersichtlich, auf Grund deren strategische Überlegungen zu treffen sind.“
In unserem offenen Brief an Finanzminister Steinbrück
vom 28. November haben die grünen Abgeordneten
Kerstin Andreae, Alexander Bonde und Christine Scheel
diese Fehlhaltung kritisiert. Das Schweigen des Finanzministers zu diesem und die unentschlossenen Antworten
auf unsere Kleine Anfrage zeigen: Die Bundesregierung
wird ihrer Verantwortung bei den Bundesbeteiligungen
nicht gerecht - und wird weiter nicht strategisch mit diesen Beteiligungen umgehen. Die nächsten Skandale
durch Missmanagement sind vorprogrammiert. Gerade
in Zeiten massiver staatlicher Interventionen gegen die
Wirtschaftskrise müsste es aber ein nachvollziehbares
Konzept dafür geben, was der Staat in den Unternehmen
als Anteilseigner erreichen will.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/12138, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11761 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung der Koalition.
Dagegen hat Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. FDP
und Linke haben sich enthalten.
Zusatzpunkt 11:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Markus Kurth, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN
Erwerbsminderungsrente gerechter gestalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Absicherung für das Erwerbsunfähigkeitsrisiko verbessern
- Drucksachen 16/12865, 16/10872, 16/13355 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß ({1})
Ihre Reden zu Protokoll würden gern geben, wenn Sie
einverstanden sind - das ist anscheinend so -: Peter
Weiß, Gregor Amann, Heinrich Kolb, Volker Schneider
und Irmingard Schewe-Gerigk.1)
So kommen wir zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 16/13355. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/12865. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be-
1) Anlage 43
schlussempfehlung ist angenommen. Dafür haben alle
Fraktionen gestimmt außer der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, welche dagegen gestimmt hat; Enthaltungen
gab es keine.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10872.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen. Die FDP hat dagegen gestimmt, sonst
alle Fraktionen dafür; Enthaltungen gab es keine.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Genießen Sie die angebrochene Nacht weiterhin.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 19. Juni 2009, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.