Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/17/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sit- zung und begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen. Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, darf ich Sie auf einige Dinge hinweisen: Interfraktionell ist ver- einbart worden, die heutige Tagesordnung um eine von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangte Aktuelle Stunde zur Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen sowie um die Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan zu erweitern. Die beiden Zusatzpunkte werden nach der Fragestunde aufgerufen. Außerdem soll der in der 219. Sitzung am 6. Mai in erster Lesung beratene und an die Ausschüsse überwie- sene Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Änderung des Energiesteuergesetzes auf Drucksache 16/12851 nachträglich gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss zur Mitbe- ratung überwiesen werden. Sind Sie mit diesen Verein- barungen einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen - Drucksachen 16/13345, 16/13376 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung - Drucksache 16/13297 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({1}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Daher kommen wir gleich zu den Überweisungen. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/13345 und 16/13297 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Nationales Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute hat das Kabinett das Nationale Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen beraten und verabschiedet und damit erstmals ein umfassendes Konzept vorgelegt, in dem die Situation der Häfen beschrieben wird. Darin wird nicht nur die aktuelle Situation dargestellt, die, wie Sie wissen, sehr schwierig ist, sondern auch die langfristige Perspektive aufgezeigt. 90 Prozent des internationalen Warenverkehrs wickelt die Bundesrepublik Deutschland über ihre Häfen ab. 40 Prozent des EU-Binnenhandels gehen über sie. Allein das, aber auch die Anzahl der Beschäftigten in den Häfen ist Anlass genug, sich gründlich mit den Fragen zu beschäftigen, wo wir mit den Häfen stehen und wie wir sie weiterentwickeln wollen. Redetext Dieses Konzept bietet Ansatzpunkte und gibt Auskunft darüber, wie wir mit der Infrastruktur vorankommen. Dabei spielt der Ausbau der Häfen eine große Rolle, Beispiel Umschlagskapazitäten. Weiterhin ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die seewärtige Anbindung gewährleisten und die Hinterlandanbindung realisieren, die nicht nur für Deutschland, sondern auch für die EU-Mitgliedstaaten von enormer Bedeutung ist. Weiterhin gibt das Konzept Auskunft über die Umweltfragen. Die sogenannten SECAS, die Zonen, in denen eine besonders sensible Überwachung hinsichtlich der Schwefelemissionen erfolgt, stehen genauso im Fokus wie Fragen des Landstromes oder europäische Angelegenheiten wie die Einbeziehung des Seeverkehrs in den Emissionshandel. Darüber hinaus finden Sie Aussagen über die Ausund Fortbildung der Fachkräfte sowie über die Einbindung von Langzeitarbeitlosen; hier konnten wir in den letzten Jahren große Erfolge erzielen. Da geeignete Arbeitskräfte auf dem Ausbildungs- und Facharbeitermarkt immer schwerer zu finden sind, müssen wir aber auch dem Logistikgewerbe in den Häfen unsere Unterstützung anbieten, um genügend Fachkräfte akquirieren zu können. Schließlich muss der Bund den Ländern Hilfe an die Hand geben, wenn es darum geht, die Häfen in raumordnerischer Hinsicht voranzubringen. Wie Sie wissen, haben wir durch die Veränderung des Raumordnungsgesetzes im Jahre 2008 Möglichkeiten geschaffen, neben dem Raumordnungsansatz auch die Standortkonzepte der Länder einzubeziehen, um eine ganzheitliche Betrachtung durchführen zu können. Die Seehäfen und die Binnenhäfen sind für Deutschland und für Europa von eminent wichtiger Bedeutung. Aus diesem Grund erfahren sie in diesem Konzept auch eine entsprechende Würdigung. Vielen Dank.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, ich danke Ihnen. - Wir kommen zunächst zu den Fragen zu diesem Themenbereich. Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Minister, dass Sie uns heute mit Stolz ein Hafenkonzept vorstellen, ist für mich ein Armutszeugnis. Das hätten Sie viel früher tun müssen, nicht am Ende der Legislaturperiode, sondern zu einem Zeitpunkt, zu dem Sie noch Einfluss auf seine Umsetzung gehabt hätten. Sie hätten spätestens in der Mitte dieser Legislaturperiode ein Hafenkonzept vorlegen müssen, damit man Sie daran hätte messen können, welche der Maßnahmen, die Sie in Ihrem Hafenkonzept beschrieben haben, Sie auch umgesetzt haben. Konkret: Auf Seite 71 heißt es: Die bestehenden Kooperationen zwischen den Häfen reichen nicht aus. Hier stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Allerdings frage ich Sie: Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus? Haben Sie in Ihrem Konzept außer dieser Feststellung auch eine Aussage dazu getroffen, was lenkend auf die Häfen einwirkt, zum Beispiel auf die Kooperation zwischen den Häfen Hamburg und Bremerhaven? Ich habe zu dieser Frage nichts gefunden. Da ich Ihr Konzept erst heute erhalten habe, konnte ich es allerdings nicht bis ins Detail durcharbeiten. Vielleicht können Sie mir dazu Auskunft geben.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Vielen Dank. - Was Ihre erste Bemerkung angeht, bin ich anderer Meinung als Sie. Sie wissen, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Mobilität in Deutschland in einem Gesamtzusammenhang zu sehen und sie strategisch und im Rahmen ganz konkreter Projekte zu untersuchen. Wir haben in einem umfangreichen Verfahren unterschiedlichste Partner angehört und letztlich den Masterplan Güterverkehr und Logistik vorgelegt, mit dem die Grundlage des Hafenkonzepts geschaffen wurde. All die Maßnahmen, die zur strategischen Grundausrichtung im Hinblick auf den Güterverkehr und die Logistikbranche notwendig waren, sind also bereits in der Mitte dieser Legislaturperiode ergriffen worden. Insgesamt wurden 35 Maßnahmen vorgeschlagen, die unter anderem nun im Hafenkonzept konkretisiert werden. Darüber hinaus werden im Hafenkonzept natürlich auch Maßnahmen, die bereits durchgeführt worden sind, beschrieben. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: In Zukunft wird die Hinterlandanbindung von Hamburg eine große Rolle spielen, Stichwort Y-Trasse. Dieses Thema wurde im Hafenkonzept aufgegriffen. Wenn Sie Gelegenheit haben, das Hafenkonzept etwas gründlicher zu studieren, werden Sie mir recht geben. Selbstverständlich fangen wir nicht erst im Juni 2009 an, Infrastrukturmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Im Gegenteil, in den Haushalt 2008/2009 haben wir erstmalig einen Titel zur Hinterlandanbindung eingestellt und ihn mit rund 250 Millionen Euro dotiert. Wir haben also schon früher mit den entsprechenden Planungen begonnen. Da Sie nach der Kooperation zwischen den Häfen gefragt haben, sage ich Ihnen: Bereits in der letzten Legislaturperiode haben wir die sogenannten Nationalen Maritimen Konferenzen auf den Weg gebracht. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Form der Verständigung, bei der sich all diejenigen, die direkt oder indirekt mit Häfen verbunden sind, koordinieren und abstimmen sowie konkrete Projekte durchführen können. Auf dem Feld, das Sie indirekt angesprochen haben, sehe ich weiteren Abstimmungsbedarf. Da wir uns auf die Fahne geschrieben haben, in den nächsten Jahren in Wilhelmshaven einen neuen Tiefwasserhafen zu bauen, ist es zwingend notwendig, dass alle beteiligten Länder noch enger als bisher kooperieren. Nur so kann an der Nordsee, zwischen Hamburg und Wilhelmshaven, aber auch zwischen Bremen und der Ems eine koordinierte Vorgehensweise ermöglicht werden. Ich habe bei der letzten Konferenz der Ministerpräsidenten der norddeutschen Länder einmal mehr darauf hingewiesen, dass das nötig ist. Das ist eine Angelegenheit der Bundesländer. Der Bund appelliert, initiiert, koordiniert, wenn es nötig ist. Wir können hier durchaus noch besser werden. Wir wollen im Wettbewerb mit den anderen europäischen Häfen - Stichworte Rotterdam, Antwerpen - bestehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Fragesteller ist der Kollege Rainder Steenblock.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich würde da gerne anknüpfen. Die Kooperation der Häfen ist, wenn es um die großen Herausforderungen insbesondere des Containerverkehrs geht - Sie haben auf Wilhelmshaven hingewiesen -, von zentraler Bedeutung. Auf Seite 71/72 in Ihrem Konzept, wo es um die Kooperation der Häfen geht, steht allerdings nur, dass der Bund von den Häfen erwartet, dass sie kooperieren, und dass der Bund daran mitarbeitet. Der Bund nur als koordinierende Instanz, wie er es im Föderalismus auch an vielen anderen Stellen ist, das erscheint mir ein bisschen zu wenig. Sie haben auf die Hafengesellschaften hingewiesen. EUROGATE arbeitet in den verschiedenen Tiefwasserhäfen - bzw. in den Häfen, die das gerne werden möchten -, die HHLA, die Hamburger Hafen und Logistik AG, hingegen überhaupt nicht. Dadurch gibt es bestimmte Probleme bei der Kooperation mit Wilhelmshaven. Hat Ihr Ministerium eine Vorstellung davon, wie eine Arbeitsteilung zwischen den Tiefwasserhäfen Bremerhaven und Wilhelmshaven und dem Hafen Hamburg aussehen könnte? Könnte man das durch Kurzstreckenverkehr bewältigen? Sie sagen, dass die Häfen kooperieren sollen. Das haben sie aber in den letzten Jahrzehnten nicht getan. Haben Sie Ideen, wie eine Kooperation aussehen könnte? Das Zweite, was ich gerne ansprechen möchte, ist die Landstromversorgung von Schiffen in Häfen. Die Grünen haben - ich glaube vor drei Jahren - im Verkehrsausschuss einen Antrag eingebracht, die Bundesregierung zu bitten, die Landstromversorgung zu fördern, weil wir sie für eine vernünftige Sache halten. Ich freue mich, dass mittlerweile auch die Bundesregierung zu dieser Auffassung gelangt ist. Gibt es konkrete Vorstellungen, wie man - es geht mir jetzt nicht um große Subventionen - die Hafenstandorte dabei unterstützen kann, schrittweise eine Infrastruktur dafür aufzubauen? Denn das erfordert ja gewaltige Investitionen. Zur Schiene. Sie haben die Y-Trasse angesprochen. Auch darüber wird seit Jahrzehnten diskutiert. Mir scheint, was die Hinterlandanbindung angeht, die Straße in Relation zur Schiene zu stark betont. Was vernachlässigt wird, ist die Entwicklung der Schienenverkehrsknoten. In Hamburg und Bremen sind die Schienenverkehrsknoten ein großes Problem. Wenn wir die Schienenverkehrsknoten modernisieren, können die bestehenden Trassen mehr

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Vielen Dank. - Zu Ihrer ersten Frage, zur Frage nach der Kooperation. Ich will zunächst einmal klarstellen, dass wir die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern nicht antasten wollen. Wir wollen mit unserem Konzept nicht in die Kompetenzbereiche der Länder bzw. der Hafeneigentümer hineinregieren. Wir sind bereit, an den Stellen, wo wir keine Kompetenz haben, die Koordinierung, das Anstoßen, auch das Appellieren zu übernehmen; das vorausgeschickt. Wir sind uns mit den Ministerpräsidenten der norddeutschen Länder einig, dass es zu einer verstärkten Kooperation der Häfen kommen muss. Dies resultiert schon allein daraus, dass die Schiffe, die Container transportieren, in der Zukunft andere Abmessungen haben werden als jetzt. Aus diesem Grund brauchen wir den Tiefwasserhafen Wilhelmshaven. Wir brauchen - da ist der Bund gefragt - eine Anbindung, die zugleich eine Verbindung zwischen den Häfen darstellt. Denken Sie zum Beispiel an die Schienenanbindung Wilhelmshaven-Oldenburg, oder denken Sie an die Quertrasse, an die Weiterführung der A 20/A 22 bis an die niederländische Grenze. Das Raumordnungsgesetz - ich habe das bereits anklingen lassen - gibt uns als Bund die Möglichkeit, die Standortkonzepte der einzelnen Länder bzw. der einzelnen Häfen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern im Rahmen einer übergeordneten Planung mit diesen Standortkonzepten die Entwicklung der Häfen voranzutreiben. Das heißt, wir sitzen mit den Hafenbetreibern bzw. mit den Bundesländern an einem Tisch. Noch einmal: Der entscheidende Punkt ist, dass wir dafür sorgen, dass die Häfen auch infrastrukturell zusammenarbeiten können. Ich will ein anderes Beispiel nennen: Wenn wir es schaffen, den Nord-Ostsee-Kanal so zu ertüchtigen, dass die Verbindung zu den Ostseehäfen besser gewährleistet ist, dann werden wir den Feederverkehr von der Nordsee in die Ostsee und letztlich auch die Kooperation besser realisieren können. Deshalb ist es unser Ziel, sowohl den Nord-Ostsee-Kanal und die Binnenwasserstraßen als auch die Schiene und die Straßensysteme auszubauen. In den entsprechenden Maßnahmenpaketen haben wir ja auch niedergelegt, was wir tun wollen. Bei der Hinterlandanbindung geht es nicht nur um die Y-Trasse, sondern wir wollen beispielsweise auch die B 96 von Sassnitz nach Berlin ertüchtigen und die Eisenbahnverbindung zwischen Stralsund und Berlin verbessern. Alles das ist dort niedergelegt. Das Zweite. Ich will jetzt nicht darüber streiten, wer der Vorschlaggeber bzw. der Initiator gewesen ist - das ist auch relativ unerheblich -, wenn es darum geht, dass wir die Landstromversorgung verbessern müssen. Es ist an den Häfen - insbesondere an den Häfen, an denen die großen Luxusschiffe anlegen - nach wie vor ein großes Problem, dass dort aufgrund der Dieselabgase die CO2Bilanz über mehrere Tage und zum Teil Wochen verschlechtert wird. Sie sind sicherlich mit mir einer Meinung, dass das eine Angelegenheit ist, die wir vorwiegend auf europäischer Ebene lösen müssen; denn es lohnt sich nicht, ein Vorhaben in Gang zu setzen, das nicht dem europäischen Standard entspricht, sodass das entsprechende Equipment nur für die deutschen Häfen auf den Schiffen vorhanden sein muss. Worauf zielen wir ab? Wir wollen eine Verständigung in Europa, und wir wollen eine Technologie, bei der entweder die Wasserstoff- oder die Brennstoffzelle zur Anwendung kommt oder die mit Biogas oder anderem Gas betrieben werden kann. Hier befinden wir uns gerade in der Diskussion darüber, wie wir zumindest in den europäischen Häfen eine Standardisierung auf den Weg bringen können. Mit dem entsprechenden Etat, den es in meinem Haus dafür gibt, forschen wir weiter an der Lösung dieses Problems. Zu Ihrer dritten Frage, also zur Relation Schiene/ Straße. Ich hatte es bereits angesprochen: Unser Bestreben ist es, eine möglichst umweltfreundliche Anbindung der Seehäfen an die Binnenwasserstraßen und die Schiene zu gewährleisten. Deshalb fokussieren wir bei dem Problem Hinterlandanbindung die Ertüchtigung der Schiene. Sie haben die Knoten - insbesondere in Bremen und Hamburg - angesprochen. Sie wissen, dass wir den Bremer Knoten aktuell ausbauen. Es kommt aber auch noch auf etwas anderes an; das finden Sie wieder im Masterplan Güterverkehr und Logistik. Das zentrale Problem der nächsten Zeit wird sein, die gebrochenen Transportketten genauso wie übrigens auch die gebrochenen Reiseketten zu organisieren. Stichworte sind „Terminals im Kombinierten Verkehr“ und „Umschlagstechnologien“, mit denen wir uns intensiv beschäftigen. Wie gelingt es uns, vom Hafen direkt auf die Binnenwasserstraße bzw. auf die Schiene umzuladen? Oder: Wie gelingt es uns, die Container oder sogar die Sattelaufleger in den kombinierten Verkehrsterminals über eine kurze Lkw-Strecke auf die Schiene zu bringen? Hier sind wir vorangekommen. Sie wissen, dass wir den Etat dafür hier im Bundestag deutlich aufgestockt haben. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, stellen wir dafür mittlerweile rund 115 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Dadurch soll unterstrichen werden, dass wir genau diesem Thema die höchste Aufmerksamkeit widmen. Es geht um die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene bzw. auf die Binnenwasserstraße. Noch besser wäre es, wenn für die Verlagerung keine Straße benötigt würde, sodass die Verlagerung direkt auf die Schiene bzw. auf die Binnenwasserstraße erfolgen könnte. Aus diesem Grunde gibt es auch die Cluster, die Sie sehen - Stichworte: Binnenhäfen, Binnenwasserstraßen -, mit denen diese Verzahnung zwischen den Seehäfen, den Binnenhäfen und den Binnenwasserstraßen ermöglicht werden soll.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Annette Faße.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Minister, ich begrüße es sehr, dass wir diesen Plan haben, der nicht nur die Seehäfen, sondern auch die Binnenhäfen betrifft. Wir haben auf vielen Veranstaltungen in der letzten Zeit erfahren, dass auch die Wirtschaft diesen Zusammenhang sehr deutlich sieht. Wie können wir diese Zusammenarbeit zwischen den Seehäfen und den Binnenhäfen politisch unterstützen? Der Kombiverkehr ist dabei natürlich ein Stichwort. Zweiter Punkt. Je mehr Güter wir auf die Schiene bringen, desto mehr müssen wir uns natürlich auch mit dem Thema „Lärm auf der Schiene“ auseinandersetzen. Trotz der guten Argumente, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern, wissen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger an bestimmten Strecken schon heute ihre Sorgen und Nöte haben. Ich möchte gerne noch einmal nachfragen, wie das Haus mit dieser Thematik umgehen möchte.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Vielen Dank. - Tatsächlich gibt es noch Potenzial bei der Zusammenarbeit der Seehäfen und Binnenhäfen bzw. bei der Nutzung der Binnenwasserstraßen. Ich möchte noch einmal die regelmäßigen Nationalen Maritimen Konferenzen ansprechen, die damals unter RotGrün gestartet worden sind. Deutschland hat sich zu seinen Seehäfen und Binnenhäfen bekannt. Ich will es etwas plakativ ausdrücken: Nachdem die Wirtschaft und die Öffentlichkeit der Nordsee und Ostsee früher eher den Rücken zugekehrt haben - sie haben unsere kleinen und großen Tore zur Welt dort vernachlässigt und hatten eher das Binnenland im Blick -, hat in den letzten sieben oder acht Jahren eine völlig neue Politik ihren Niederschlag gefunden. Die Maritimen Konferenzen sind entscheidend, um die Betreiber von Binnenhäfen und Überseehäfen zusammenzubringen. Ich gehe davon aus, dass nicht nur die Diskussion in Vorbereitung des Hafenkonzeptes, sondern auch die im Nachgang in verschiedenen Runden, die auch mein Haus leitet, dazu beitragen wird, jetzt die Projekte konkret umzusetzen, die im zweiten Teil des Konzepts aufgeführt sind. Wir werden die Umsetzung nicht nur konkretisieren, sondern auch evaluieren. Ich gehe davon aus, dass wir Formen der Zusammenarbeit finden werden. Darüber hinaus ist zum Beispiel das Stichwort Mobilitätsoffensive zu nennen. Das ist im Übrigen auch eine Antwort auf die Frage der Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger. In der Mobilitätsoffensive finden sich die Hafenbetreiber - diejenigen, die Binnenhäfen und Binnenschifffahrt verantworten - genauso wie beispielsweise die Betreiber der Deutschen Bahn und der Straßengüterverkehre. Sie müssen stärker kooperieren. Das soll zum Beispiel durch das Instrument der Mobilitätsoffensive ermöglicht werden. Das Thema Lärm ist eines der wichtigsten Themen, wenn es um Umweltschutz oder Lebensqualität geht. Mobilität verliert dort zunehmend an Akzeptanz, wo der Lärm zunimmt. Die Lärmkarte stellt insbesondere in Bezug auf das Rheintal dar, wo wir ansetzen müssen. Wir haben, wie Sie wissen, vor etwa anderthalb Jahren ein Lärmschutzkonzept vorgelegt, an dessen FortBundesminister Wolfgang Tiefensee schreibung wir derzeit arbeiten. Im Zusammenhang mit diesem Konzept haben wir die Gelder für Lärmschutz - sowohl für die Forschung als auch für die Realisierung der Vorhaben - deutlich erhöht. Hier handelt es sich um 150 Millionen Euro, also eine Verdoppelung. Was die Schienenlärmproblematik angeht, müssen wir von den vier oder fünf Meter hohen Mauern wegkommen, die die Schienen eingrenzen, zugunsten moderner Formen wie der Kompositbremse, der LL-Sohle oder der 75 Zentimeter hohen, unmittelbar am Gleisbett befestigten Wand bzw. der Flanschen an den Schienen. Alles das probieren wir derzeit aus. Das Konjunkturpaket II hat einen deutlichen Aufwuchs im Bereich des Lärmschutzes ermöglicht. Das gilt für die Schiene genauso wie für die Straße. Die Bundesregierung hat sich dieses Themas nicht nur in dieser Legislaturperiode angenommen, sondern ich denke, das wird auch in der kommenden Legislaturperiode ein sehr wichtiges Thema sein. Es ist mir ein persönliches Anliegen, entscheidend und dem State of the Art entsprechend voranzukommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Frage hat der Kollege Lutz Heilmann.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Minister, ich habe eine Nachfrage. Mein Kollege Rainder Steenblock hat das Stichwort Landstromversorgung angesprochen und Ihnen mehrere Fragen dazu gestellt. Die Bundesregierung hat nach meinem Kenntnisstand bei der Europäischen Union die Befreiung der Stromsteuer beantragt. Wie ist der aktuelle Stand? Das Hafenkonzept hält nach meinem Dafürhalten unbeirrt am Wachstumsglauben fest. Wir befinden uns derzeit in einer der schwersten Wirtschaftskrisen. Das überarbeitete Konzept geht auch kurz darauf ein. Sind Sie sich sicher, dass der Ölpreis im Jahr 2020 oder 2025 bei 60 Dollar pro Barrel liegen wird? Derzeit sind es 70 Dollar. Wenn es zum wirtschaftlichen Aufschwung kommt, wird er sicherlich weiter steigen. Warum gibt es dazu keine realistischen Zahlen? Warum werden keine realistischen Verkehrsprognosen erstellt, die dem Hafenkonzept als Grundlage dienen könnten? Daher meine Frage: Wann wird dies überarbeitet und in das Konzept aufgenommen?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Zur ersten Frage: Soweit ich informiert bin, stand in der letzten Sitzung des EU-Verkehrsministerrates die Vereinheitlichung der Standards hinsichtlich des Equipments zur Nutzung von Landstrom auf der Tagesordnung. Eine Entscheidung der Kommission darüber, wie man sich nun voranbewegen will, steht noch aus. Wir drängen die Kommission, an dieser Stelle voranzukommen. Ich sage noch einmal: Ohne eine europäische Lösung wäre wahrscheinlich eine Fehlinvestition zu erwarten. Wir brauchen einen einheitlichen europäischen Standard. Die entsprechenden Entscheidungen stehen aus. Deutschland drängt darauf. Zu den Fragen hinsichtlich der Prognosen: Sie kennen das alte Sprichwort, dass nichts so unsicher ist wie Prognosen, die die Zukunft betreffen. Trotzdem haben wir aus der Vergangenheit gelernt. Im Jahre 1999 haben wir im Bundesverkehrswegeplan eine Prognose, beispielsweise für den Containerumschlag in Hamburg, erstellt. 1999 haben wir prognostiziert, dass im Jahre 2015 die TEU, die Maßzahl für Containerkapazitäten, für Hamburg 9 Millionen betragen wird. Diese Zahl wurde bereits im Jahre 2005 erreicht. Wir gehen jetzt - das haben Sie vielleicht gelesen - für Hamburg von einer Verdreifachung dieser Zahl bis zum Jahre 2020 bzw. 2025 aus. Aktuell ist im Containerverkehr ein deutlicher Rückgang von bis zu 25 Prozent zu verzeichnen. Ich gehe allerdings davon aus, dass es sich um eine Art Sägezahnbewegung handelt. Wir haben den Anstieg bis zum Ende des Jahres 2008 gesehen. Im Umschlag gibt es einen Einbruch um 20 bzw. 25 Prozent. Der Umschlag wird aber, unter Umständen ein oder zwei Jahre zeitversetzt, wieder entsprechend zunehmen. Die Prognosen - nicht nur in Bezug auf den Containerumschlag - deuten darauf hin. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Im Konzept findet sich aber auch die Frage nach der Optimierung, zum Beispiel der Transferverkehre bzw. der Transitverkehre. Ähnlich wie beim Masterplan Güterverkehr und Logistik brauchen wir auch hier eine europäische Lösung. Die Frage ist also: Wo landet das Containeraufkommen an? Wo kann man es im Sinne der Verteilung über Europa am besten anlanden lassen? Wir stellen uns der Prognose also nicht, indem wir nur passiv zusehen. Wir wollen aktiv und gemeinsam auf europäischer Ebene gestalten, indem wir zum Beispiel die Häfen im Mittelmeerraum ausbauen und die Anbindung des rumänischen Hafens in Constanza vorantreiben, Stichwort: transeuropäische Netze. Dies wäre nicht nur für Constanza äußerst wichtig, sondern auch, um die Europäische Union vom Süden her zu erschließen; beides ist nötig. Wir müssen uns auf die Containerverkehre und auf die Gütermengen, die sich bis zum Jahre 2025 verdoppeln werden, einrichten. Weiterhin müssen wir eine intelligente Verteilung in der Europäischen Union vornehmen, indem wir die Möglichkeit der Ertüchtigung anderer Häfen über die transeuropäischen Netze realisieren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Dr. Margrit Wetzel.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich möchte auf das, was Sie auf die ersten Fragen von Herrn Heilmann geantwortet haben, zurückkommen. Ich bin nämlich anders als der Kollege Heilmann der Meinung, dass es sehr gut ist, dass das Nationale Hafenkonzept sehr gründlich erarbeitet wurde. Meines Erachtens wurde es uns zu einem optimalen Zeitpunkt vorgelegt. Sie haben durch die gründliche Erarbeitung sicherlich Gelegenheit gehabt, es daraufhin zu prüfen, ob es den Einbrüchen, die wir momentan durch die aktuelle Krise erleben, standhält. Meine Frage lautet ganz konkret: Trägt das Nationale Hafenkonzept durch die Nachhaltigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, dazu bei, die aktuelle Krise zu überwinden? In diesem Zusammenhang möchte ich anschließend fragen: Führt die bessere Kooperation der Häfen - Sie haben dazu schon eine ganze Menge gesagt - dazu, die Attraktivität des Hafenstandortes Deutschland gegenüber den ARA-Häfen zu stärken? Mein zweiter Fragenbereich betrifft die Hinterlandanbindungen, deren Ausbau sehr viele Mittel verschlingen wird, wie wir alle wissen. Das heißt, die Finanzierung wird sich notwendigerweise über etliche Jahre erstrecken müssen. Wie können wir ein bisschen Zuversicht in die Regionen tragen - wie Sie wissen, komme ich aus Norddeutschland -, dass die Durchfinanzierung des Ausbaus der Hafenhinterlandanbindungen stetig erfolgen wird? Ich gehe davon aus, dass wir die Krise gut überwinden werden, und zwar hoffentlich schnell. Dann werden die Verkehre wieder zunehmen. Wie wir alle wissen, haben die norddeutschen Hafenstädte in der Vergangenheit sehr unter Staus gelitten. Insofern ermöglicht die aktuelle Krise, Luft zu holen und die Infrastruktur auszubauen und somit ein Stück weit wieder Vorsorge gegen Staus zu betreiben. Sieht der Bund aber auch Möglichkeiten, im Zuge kurzfristiger Entlastungen in irgendeiner Form mit den Ländern zu kooperieren? Geht es nur um die Y-Trasse, oder ist auch an kurzfristige Maßnahmen gedacht?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Zu Ihrem ersten Fragenkomplex: Die deutschen Häfen an der Nordsee und der Ostsee sind, wie im Hafenkonzept beschrieben, hervorragend ausgebaut und aufgestellt, um langfristig die Bedürfnisse zu decken - wir werden sicherlich noch eine Menge tun und Anpassungen vornehmen müssen; darüber haben wir gerade gesprochen; aber wir haben ein hervorragendes Fundament -, aber auch so stabil, die jetzige Wirtschaftskrise gut zu überstehen. Natürlich ist es nicht einfach, Einbrüche in Höhe von 20 bis 25 Prozent zu verkraften. Aber in einer Kooperation der Häfen sollte es möglich sein, Entlassungen von Arbeitskräften zu vermeiden. Zu Ihrem zweiten Fragenkomplex: Wir sollten die durch die Wirtschaftskrise verursachte Atempause nutzen - damit haben Sie völlig recht -, um den Ausbau der Infrastruktur voranzutreiben. Das will ich am Geldvolumen deutlich machen. Uns steht im Haushalt 2009/2010 erstmalig eine Summe zur Verfügung, die weit oberhalb der 10-Milliarden-Euro-Grenze liegt. Der Bundesverkehrswegeplan, der, wie wir alle wissen, kein Finanzplan ist, beschreibt für die Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs die Notwendigkeit, etwa 10 Milliarden Euro pro anno zur Verfügung zu stellen. Wir haben natürlich einen gewissen Stau - vor allem im Norden Deutschlands abzubauen. Erstmalig stehen uns 12 Milliarden Euro statt wie bisher knapp 9 Milliarden Euro zur Verfügung, um die Krise zu bewältigen, die Bauwirtschaft anzukurbeln und nachhaltig in die Infrastruktur zu investieren. Diese 12 Milliarden Euro setzen wir ein, um den Stau buchstäblich abzubauen. Wenn es um die Aufstellung des nächsten Haushalts und die mittelfristige Finanzplanung geht, kommt es darauf an - ich kämpfe dafür und bitte um Ihre Unterstützung -, in den nächsten Jahren eine Verstetigung auf dem Niveau von 10 Milliarden Euro vorzunehmen. Das ist die Voraussetzung für eine stabile Finanzierung des Ausbaus der Hinterlandanbindungen. Die Y-Trasse mit einem Kostenvolumen von mehreren Milliarden Euro bedarf einer langfristigen, stabilen Finanzierung. Ansonsten ist sie nicht zügig zu realisieren. Sie haben des Weiteren danach gefragt, wie wir kurzfristig helfen können. Wir suchen gemeinsam mit den Ländern nach Lösungen. Ich nenne als Stichwort Wilhelmshaven/Oldenburg. Wenn der Hafen im Jahre 2010 seinen Betrieb aufnimmt, ist es wichtig, dass die entsprechenden Verkehre bewältigt werden können. Die Deutsche Bahn AG ist bestrebt, das zu tun. Wir unterstützen sie dabei gemeinsam mit den Ländern. Aber ich befürchte, dass die Hauptlast wohl vom Bund zu tragen sein wird, erst recht in finanzieller Hinsicht. Auch die Länder sind gefordert - Stichworte Y-Trasse und Heidebahn -, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen, Linienbestimmungen vorzunehmen, die Träger öffentlicher Belange einzubeziehen und dafür zu sorgen, dass wir schnell und gründlich planen können, uns nicht in juristischen Verfahren verfangen und die Realisierung nicht hinausgezögert wird. Das ist die Hauptaufgabe der Länder als Auftragnehmer und Auftragverwalter.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Rainder Steenblock, bitte.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich würde gerne eine Bemerkung von Frau Dr. Wetzel aufgreifen. Auch wir begrüßen, dass dieses Konzept vorliegt. Ich will mich nicht über den Zeitpunkt streiten. Es ist zumindest für den Wahlkampf da. Vor dem Hintergrund, dass Sie so lange gebraucht haben und es, was richtig ist, gründlich machen wollten, finde ich es ausgesprochen schade, dass Sie nicht die Gelegenheit genutzt haben, die aktuellen Entwicklungen in diesem Konzept zu berücksichtigen. Es steht nämlich überhaupt nichts von der aktuellen Situation darin. Wir haben die Krise im Bereich des internationalen Warenverkehrs nicht erst seit Anfang dieses Monats. Die Chance, sich anzuschauen, was aktuell geschieht und wie lange die Situation andauert, haben Sie leider nicht genutzt. Es gibt viele Experten, die sagen, dass wir, um auf das Niveau des Containerumschlags zum Beispiel von 2008 zu kommen, vier, fünf Jahre brauchen werden. Da sind wir mit unseren 9 Millionen TEU für Hamburg noch relativ optimistisch gewesen. Die Frage ist, ob die Prognosen aktualisiert werden. Das würde dieses Werk sicherlich ein bisschen realistischer machen. Ich würde gerne zum Thema Kooperation kommen, weil ich finde, dass der Bund im Interesse der Steuerzahler anders agieren muss. Sie berufen sich auf den Föderalismus und verweisen auf die Aufgabe der Häfen. Das haben wir damals in der Föderalismuskommission I so beschlossen. Aber die Hinterlandanbindung erfolgt durch den Bund und wird vom Bund bezahlt. Es kann nicht im Interesse des Bundes sein, jedem Hafen das zu bezahlen, was er gerne möchte. Das Kooperationsinteresse betrifft auch den bundesdeutschen Steuerzahler. Deshalb halte ich es für vernünftig, den Häfen Kooperationsauflagen zu machen und die Hinterlandanbindung nur dann zu bezahlen, wenn sie Steuergelder sparen. Ich spreche damit insbesondere die Elbvertiefung an. Ich glaube, das Projekt kann unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht sinnvoll finanziert werden. Auch 10 000-TEU-Containerschiffe können Hamburg anlaufen. Sie können das nicht zu jeder Zeit - das hängt von der Ebbe- und Flutsituation ab -, aber die Reeder haben unter den Bedingungen der Ölkrise die Geschwindigkeiten auf den Interkontinentalrouten sowieso dramatisch reduziert. Zeit spielt also keine große Rolle. Haben Sie eine Vorstellung, wie man Kooperation im Interesse des Bundessteuerzahlers so steuern kann, dass nicht überall in das Gleiche investiert wird, sondern Schwerpunkte gesetzt werden? Mein letzter Punkt: Wo fangen wir eigentlich an? Es gibt in dem Konzept eine Reihe von Maßnahmen, die auch wir für sinnvoll halten. Bei einzelnen Projekten haben wir Differenzen. Meine Frage bezieht sich darauf, unter den Bedingungen einer Zeitsteuerung Schwerpunkte zu setzen und einen Zeitplan zu erstellen. Was machen wir eigentlich als Erstes? Sie werden nicht immer genug Geld zur Verfügung haben. Es ist schön, dass Sie zum Wahlkampf so viel Geld für die Infrastruktur haben. Unter den Bedingungen der Finanzkrise ist aber davon auszugehen, dass Sie das Geld angesichts der Verschuldung der öffentlichen Haushalte nicht haben. Wie erreicht man eine Priorisierung der Vorschläge?

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Zur ersten Frage: Ich bin der Überzeugung, dass wir mit dem Langfristkonzept und den Prognosen richtig liegen, auch wenn wir jetzt einen Einbruch haben und die Zielmarke gegebenenfalls um ein oder zwei Jahre verfehlen. Deshalb ist der Grundansatz dieses Konzepts ein langfristiger. Es geht nicht darum, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Häfen in den nächsten zwei Jahren durch die Krise kommen. Die Bundesregierung kümmert sich darum, dass wir das schaffen. Sie ist mit im Boot und kooperiert mit den Häfen, wenn es darum geht, voranzukommen. Zum Zweiten: Kooperation, ja. Ich denke, ich habe dazu erschöpfend Stellung genommen. Sie sprechen die Infrastruktur an, die der Bund bezahlen und ausbauen muss und die nach Ihrer Meinung von dieser Kooperation abhängig ist. Wir haben eine ganz klare und genaue Vorstellung, wie jeder einzelne Hafen angebunden werden soll. Die Projekte stehen im Einzelnen im vordringlichen bzw. im weiteren Bedarf; sie sind im Übrigen aufgelistet. Wir wissen, um wieder die Strecke Wilhelmshaven-Oldenburg anzusprechen, dass wir eine zweigleisig elektrifizierte Strecke brauchen. Wir wissen, dass wir Sassnitz mit der B 96 anbinden. Die ist im Plan, wenn auch im weiteren Bedarf, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Das Gleiche gilt für die Y-Trasse und die Eisenbahnverbindung zwischen Hamburg und Lübeck, um die Verbindung zwischen der Nordsee und der Ostsee anzusprechen. Das alles ist unabhängig von einer Kooperation oder Nichtkooperation im Einzelnen geplant, genau dimensioniert und entsprechend diesem Konzept auf die Warenmengen abgestimmt. Aus diesem Grunde besteht da kein Nachholbedarf, ganz im Gegenteil. Wir haben das alles dargestellt. Sie haben nach den Prioritäten gefragt: In diesem Konzept der Hinterlandanbindung ist im Einzelnen beschrieben, welche Maßnahmen vordringlich sind. Eine der dringendsten Maßnahmen habe ich mehrfach angesprochen; ich will mich nicht wiederholen. Es gibt also eine klare Vorstellung davon, wo die Prioritäten liegen. Wenn der Verkehrsminister in der Zukunft über genügend Geld verfügt - damit sind die angesprochenen 10 Milliarden Euro gemeint -, dann wird der Hinterlandausbau entsprechend diesen Prioritäten vorangetrieben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, ich bedanke mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen.

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir haben den zeitlichen Rahmen der Regierungsbefragung voll ausgeschöpft. Damit beende ich die Regierungsbefragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 16/13331 Ich rufe die Fragen in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 1 der Kollegin Sabine Zimmermann wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Frage 2 der Kollegin Ulrike Höfken wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verteidigung. Die Frage 3 der Kollegin Petra Pau wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 4 des Kollegen Frank Spieth wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Omid Nouripour auf: Wie ist der Aufenthalt des wahabitischen Hasspredigers A. I. J. in Deutschland mit seinen islamistischen Äußerungen vereinbar?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Nouripour, es geht um Herrn A. I. J., wenn ich das so abkürzen darf, wie Sie es in Ihrer Frage getan haben. Soweit wir wissen, ist er aus der Bundesrepublik Deutschland inzwischen wieder ausgereist, und zwar am 30. Mai 2009. Er war während einiger Wochen hier, weil er lebensbedrohlich erkrankt war. Der Aufenthalt hatte nach unserer Kenntnis ausschließlich medizinische Gründe. Er ist in einem Krankenhaus in Deutschland medizinisch versorgt worden. Was die Einreise angeht, so verfügte er über ein Schengen-Visum, das Frankreich ausgestellt hatte. Damit ist er rechtmäßig nach Deutschland eingereist.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nachfrage, Herr Kollege.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir erleben bei Großveranstaltungen, zum Beispiel bei Fußballweltmeisterschaften oder -europameisterschaften, dass es in dringenden Fällen kein Problem ist, ein Schengen-Visum auszusetzen. Die Bundesregierung hat vor dem Hintergrund dessen, dass Herr Ibn Jibrin bereit ist, auch die Taten von Osama Bin Laden zu rechtfertigen, nicht daran gedacht, von einer solchen Restriktion Gebrauch zu machen. Seit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes wissen wir, dass auch deutlich weniger extremistische Äußerungen zu einer sofortigen Ausweisung führen können, wenn man sie in einer Moschee in BerlinKreuzberg tätigen würde.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Der Vorgang ist so abgelaufen, wie ich ihn geschildert habe. Ich kann noch einmal sagen, dass der Betreffende, soweit mir bekannt ist, während seines Aufenthalts in Deutschland keine derartigen Äußerungen getätigt hat.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wollen Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Ich habe Sie so verstanden: Wenn jemand in Pakistan extremistische Predigten hält, kann er ruhig nach Deutschland kommen, solange er in der Zeit, in der er hier ist, diese nicht hält; dann hat man kein Problem damit, ihn quasi als Staatsgast zu behandeln. Ist das richtig?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Nein. Ich weise diese Unterstellung in aller Form zurück. Ich habe Ihnen geschildert, wie dieser konkrete Fall abgelaufen ist: Der Betroffene ist mit einem gültigen Visum eingereist. Er war dann zur Behandlung im Krankenhaus. Im Übrigen kam es dann zu einer Strafanzeige. In der Folge dieser Strafanzeige wurden weitere Maßnahmen getroffen. Die Maßnahme, die Sie eben angesprochen haben, wurde dabei nicht ergriffen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Nouripour zum gleichen Sachverhalt auf: Welcher Art und zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von A. I. J. in Deutschland Zusagen an die Regierung von Saudi-Arabien gemacht?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

In Frage 6 sprechen Sie Schutzmaßnahmen an, die die Bundesregierung veranlasst haben könnte. Dazu kann ich Ihnen Folgendes sagen: Der Bundesminister des Innern war in einem völlig anderen Zusammenhang am 27./28. Mai dieses Jahres in Saudi-Arabien. Bei diesem Besuch hat die saudische Regierung eine entsprechende Bitte an den Bundesinnenminister gerichtet. Der Bundesinnenminister hat dann erklärt, dass nach seiner Kenntnis das Landeskriminalamt Berlin bereits Schutzmaßnahmen veranlasst habe und insofern für die Sicherheit von A. I. J. in Deutschland Sorge getragen werde.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Nachfrage, Herr Kollege?

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Habe ich Sie richtig verstanden: Aufgrund einer Strafanzeige wurde Personenschutz für diesen Menschen bereitgestellt? Das ist auch logisch; in diesem Land macht man das nun einmal so. Aber darüber hinaus sind der saudischen Seite keine weiteren Zusagen gegeben worden? Ist das richtig?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Es sind mir keine bekannt. Es wurden jedenfalls vom Bundesministerium des Innern keine Zusagen gemacht. Ich habe Ihnen den Vorgang so dargestellt, wie er abgelaufen ist. Das heißt: Es gab die Schutzmaßnahmen des Landeskriminalamtes Berlin. Das haben wir der saudischen Seite beim Besuch des Bundesinnenministers auch mitgeteilt. Weitere Vorgänge gibt es dazu nicht.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage? - Bitte sehr.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist im Zusammenhang mit den Gesprächen mit der saudi-arabischen Seite oder auch bei der Koordination solcher Maßnahmen innerhalb der Sicherheitsorgane der Bundesrepublik mal die Tatsache diskutiert worden, dass die Anhänger dieser Person, also von Abdullah Ibn Jibrin, in der Bundesrepublik ganz massiv vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich kann Ihnen zu Einzelheiten dieser Gespräche schon deshalb nichts sagen, weil ich nicht dabei war. Im Übrigen haben solche Gespräche auf der Ebene des betroffenen Landes in Berlin stattgefunden. Von ähnlichen Gesprächen auf Bundesebene ist mir nichts bekannt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen zu den Fragen 7 und 8 des Kollegen Volker Beck. Sie werden schriftlich beantwortet. Das Gleiche gilt für die Frage 9 des Kollegen Manuel Sarrazin und die Fragen 10 und 11 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des Innern. Herr Staatssekretär Altmaier, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung. Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Hans-Christian Ströbele werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen 14 und 15 des Kollegen Manfred Kolbe. Er ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Der Fragesteller der Fragen 16 und 17, Herr Kollege Carl-Ludwig Thiele, ist ebenfalls nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Frank Schäffler wurden zurückgezogen. Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Florian Toncar werden schriftlich beantwortet. Gleiches gilt für die Fragen 22 und 23 des Kollegen Jan Mücke und die Fragen 24 und 25 des Kollegen Dr. Ilja Seifert. Damit ist auch der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen abgearbeitet. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Karl Diller kann wieder anderen Arbeiten nachgehen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Hier steht für die Beantwortung der Fragen Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung. Die Fragen 26 und 27 des Kollegen Hans-Joachim Otto und die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. h. c. Jürgen Koppelin werden schriftlich beantwortet. Die Kollegin Sevim Dağdelen, die die Fragen 30 und 31 gestellt hat, ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 32 der Kollegin Sabine Zimmermann wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen 33 und 34. Die Kollegin Heike Hänsel ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Herr Staatssekretär Hintze, ich bedanke mich für Ihre Bereitschaft und darf auch Ihnen mitteilen, dass Sie zu anderen Aufgaben übergehen können. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Kollegin Cornelia Behm, die die Fragen 35 und 36 gestellt hat, ist im Saal. Herr Staatssekretär Ulrich Kasparick dachte wohl, dass noch andere Fragen beantwortet werden und hat den Saal zwischenzeitlich verlassen. Er kann eigentlich nicht weit sein, weil er schon hier war. Ich denke, wir können auf ihn warten. ({0}) Die Frage 37 der Kollegin Diana Golze wird schriftlich beantwortet. - Ist der Herr Staatssekretär im Begriff einzutreffen? ({1}) Was heißt „gleich“? ({2}) - Dann würde ich vorschlagen, dass wir weitermachen. ({3}) - Ja, es liegt noch eine Reihe anderer Fragen vor. Ich stelle den Bereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zurück und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth, die die Fragen 38 und 39 gestellt hat, ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 40 und 41 der Kollegin Gitta Connemann werden ebenso wie die Fragen 42 und 43 des Kollegen Hans-Josef Fell, die Frage 44 der Kollegin Brigitte Pothmer sowie die Fragen 45 und 46 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl schriftlich beantwortet. Da der Kollege Hans-Kurt Hill, der die Fragen 47 und 48 gestellt hat, nicht im Saal ist, verfahren wir, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Dann bitte ich die Frau Staatssekretärin, die Frage 49 der Kollegin Dorothée Menzner zu beantworten: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Bestätigt die Bundesregierung, dass parallel zur Erkundung des Bergwerks in Gorleben bereits der Ausbau zum Endlager begonnen wurde, wie die Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 28. Mai 2009 aus einer ihr vorliegenden internen Bewertung des Bundesamtes für Strahlenschutz zitiert?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nein. Die bisherigen baulichen Maßnahmen stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erkundung für ein mögliches Endlager für hoch radioaktive Abfälle. Die Anlagen sind allerdings für den Fall der nachgewiesenen Eignung im Hinblick auf die spätere Nutzbarkeit bzw. Ausbaufähigkeit für das geplante Endlager ausgelegt worden. Dies betrifft insbesondere die beiden Schächte, die Größe der Salzhalde, der Außenanlage und der Gebäude.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Menzner?

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, können Sie bitte begründen, wieso die Schächte und die Stollen schon sehr viel weiter aufgefahren und sehr viel größer angelegt wurden, als das für den - so wurde es dargestellt - bisher einzigen Auftrag im Zusammenhang mit dem Bergwerk Gorleben, nämlich die Erkundung der Eignung, notwendig gewesen wäre?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich habe Ihnen eben geantwortet, dass die Maßnahmen, die dort stattfinden, auf die Erkundung ausgerichtet sind. Für den Fall, dass es später zu einer Entscheidung für die Einrichtung eines Endlagers kommt, werden bereits jetzt dort, wo es möglich ist, Vorbereitungen getroffen, zum Beispiel im Hinblick auf die Größe der Anlage, bei der auf die wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit geachtet werden muss. Damit wird keine Entscheidung für den Standort Gorleben in der Zukunft präjudiziert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, offensichtlich sind für den Fall, dass sich Gorleben als geeigneter Standort erweisen sollte, schon Vorbereitungen für einen weiteren Ausbau zum Endlager erfolgt. Dabei geht es auch um die Größenordnung, die Höhe der Kostenanteile. Wie bewerten Sie es, dass bisher überhaupt keine atomrechtlichen oder sonstigen Genehmigungen vorlagen? Wie bewerten Sie es, dass unter der Überschrift „Erkundung“ rein bergrechtliche Genehmigungen vorlagen, aber offensichtlich deutliche Vorarbeiten erfolgt sind, die einer atomrechtlichen Bewertung bedurft hätten?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Frau Kollegin, ich lese Ihnen am besten eine Stellungnahme des Bundesamtes für Strahlenschutz zu dem Bericht in der Frankfurter Rundschau vor, der Anlass für Ihre Frage war; dann wird der Sachverhalt deutlich. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat auf diesen Bericht wie folgt reagiert: Die Entscheidung, den Salzstock Gorleben im Rahmen des Bergrechts zu erkunden und mit hohem Aufwand auszubauen, ist im Vorfeld der Schachtabteufung 1986 auf politischer Ebene getroffen worden. Der Umfang des Ausbaus ist durch das Bergrecht genehmigt und wurde vom Bundesverwaltungsgericht 1990 für zulässig erklärt. Gorleben ist ein Erkundungsbergwerk und kein Endlager für radioaktive Abfälle. Ob Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle geeignet ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Bis zu einer Eignungsaussage für Gorleben sind noch umfangreiche Arbeiten notwendig. Eine Eignungsaussage wird mit dem Planfeststellungsbeschluss im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren getroffen. Es kann sie nach derzeitigem Stand frühestens in etwa 15 Jahren geben. Eine BfS-Stellungnahme mit den in der FR zitierten Äußerungen - die Anlass für Ihre Frage waren existiert nicht.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Nachfrage zu diesem Themenkomplex hat die Kollegin Dückert.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, wenn vom finanziellen Aufwand, wie Sie sagen, aber auch von der Art der Maßnahmen her in Gorleben eigentlich schon im Endlagerumfang gebaut worden ist, wieso - können Sie mir das erklären? - sprechen Sie dann weiterhin davon, dass dies keine Vorbereitungen für ein Endlager, sondern nur Erkundungsarbeiten waren? Ich will es noch einmal andersherum sagen: Erkundungsmaßnahmen kosten gewöhnlich Millionenbeträge. Es fällt auf, dass hier Milliardenbeträge ausgegeben und feste Bauten errichtet worden sind. Das alles läuft unter der Überschrift „Erkundung“. Wie können Sie diesen Widerspruch der Bevölkerung oder auch mir erklären? Ich verstehe es nicht. Nach dem Umfang und auch nach dem Finanzaufwand scheinen mir das doch Vorbereitungen für ein Endlager zu sein.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Für ein Endlager braucht es noch eine ergebnisoffene Standortsuche und ein umfangreiches Verfahren, ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren. Erst danach wird man diese Fragen beantworten können und wird es eine Entscheidung geben. Mit den Aktivitäten, die heute in Gorleben stattfinden, ist weder etwas präjudiziert, noch ist eine Entscheidung vorweggenommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Hans-Kurt Hill.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, hat in einem Interview der Frankfurter Rundschau vom 2. Juni bestätigt, dass die Dimensionierung der Schächte und der aufgefahrenen Strecken deutlich größer ausgefallen ist, als für die Erkundung des Salzstocks notwendig gewesen wäre. Mich würde interessieren: Wer entschied wann und warum, dass das Bergwerk in Gorleben über das für die Erkundung notwendige Maß hinaus ausgebaut wird? Wer hat dies veranlasst?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Dass es über das für die Erkundung notwendige Maß hinaus schon Vorrichtungen gibt, hat etwas mit Folgendem zu tun: Für den Fall, dass es zu der Entscheidung kommt „Gorleben ist geeignet und wird als Endlager eingerichtet“, müssen Vorbereitungen getroffen werden. Damit - ich will das an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen - ist aber keine Entscheidung für die Zukunft vorweggenommen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Heilmann hat auch noch eine Frage zu diesem Thema.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, da Sie die Frage meines Kollegen nicht beantwortet haben, stelle ich die Frage noch einmal ganz langsam: Wer hat die Entscheidung getroffen, dass Gorleben schon zur Erkundung in diesem Ausmaß ausgebaut wird? ({0})

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich kann Ihnen die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese Entscheidung getroffen wurde, nicht beantworten, bin aber gern bereit, Ihnen das schriftlich nachzureichen. ({0}) - Ich habe es akustisch nicht verstanden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Frage war, wer die Entscheidung getroffen hat, und nicht, wann sie getroffen wurde.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich kann weder die eine noch die andere Frage beantworten; denn die Frage danach, wer die Entscheidung getroffen hat, hat Bezug darauf, wann sie getroffen wurde. Davon, wann das nämlich entschieden wurde, hängt ab, welche Behörden dafür zuständig und verantwortlich waren. Aber ich reiche Ihnen die Antwort gern nach.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit kommen wir zur Frage 50 der Kollegin Dorothée Menzner: Bedeuten die Ausführungen des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 1. Juni 2009, die Kosten für die Erkundung eines nuklearen Endlagers würden circa 400 bis 500 Millionen Euro betragen, dass von den bisherigen Ausgaben von circa 1,5 Milliarden Euro für das Bergwerk in Gorleben abzüglich der Kosten für den Offenhaltungsbetrieb von 239,8 Millionen Euro ({0}) über das eigentliche Erkundungsziel hinaus etwa 750 Millionen Euro verbaut wurden? Frau Staatssekretärin.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Diese Frage beantworte ich wie folgt: wieder nein. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 9 a der Kleinen Anfrage „Eignung der Standorte Gorleben und Schacht Konrad für die Endlagerung von radioaktivem Müll“ vom 26. Juni 2006 verwiesen. Dort sind all diese Fragen nach den Kosten bereits ausführlich beantwortet worden. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, bitte.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, auch in Anlehnung an die schon erfolgten Antworten meine dezidierte Nachfrage: Ist damit zu rechnen - es gibt ja den Willen und die immer wieder bezeugte Bekundung, dass es sich bei Gorleben um die Erkundung eines möglichen Standortes handelt -, dass in gleichem Umfang Geldmittel und wissenschaftliches Know-how für die Erkundung anderer Standorte eingesetzt werden? Können wir gesichert davon ausgehen? Oder heißt es dann doch wieder: „In Gorleben ist mehr passiert, als eigentlich notwendig gewesen wäre, um in Erfahrung zu bringen, dass dieser Standort ungeeignet ist“?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Sie wissen, dass das Bundesumweltministerium dazu die dezidierte Meinung hat, dass eine ergebnisoffene Standortsuche durchgeführt werden muss, auch Alternativen zu Gorleben geprüft werden müssen und erst im Lichte dieser Erkenntnisse über Alternativstandorte eine Entscheidung über den Standort des künftigen Endlagers für hochradioaktive Abfälle in Deutschland getroffen werden kann. Für ein solches Verfahren gibt es derzeit noch keine politische Mehrheit. Die Aktivitäten, die derzeit in Gorleben stattfinden, dienen der Erkundung und nicht der Präjudizierung einer künftigen Entscheidung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Frage?

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ergänzend möchte ich doch fragen: Wenn nicht gesichert ist, dass Gorleben ein geeigneter Standort ist, man aber dort mehr getan hat, als zur reinen Erkundung nötig war, um, wie Sie vorhin ausgeführt haben, Kosten zu sparen, handelt es sich dann nicht unter Umständen um eine fragwürdige Verwendung von Steuermitteln, wenn diese in ein Bauwerk investiert werden, von dem man gar nicht weiß, ob es eines Tages den Zweck, zu dem die Erkundungen durchgeführt werden, überhaupt erfüllen kann?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Das ist eine Frage, die man verlässlich erst wird beantworten können, wenn später eine Entscheidung getroffen worden ist. Wir haben allerdings immer gesagt, wenn bei der Prüfung der Alternativen kein nach Stand von Wissenschaft und Technik sichererer Standort als Gorleben gefunden wird, wird es eine Entscheidung für Gorleben geben müssen, weil der Abfall irgendwo in Deutschland eingelagert werden muss. In die Erkundung von Gorleben ist ja schon viel Geld investiert worden. Das heißt, wenn es keinen sichereren Standort gibt, wird Gorleben zum künftigen Endlager werden. Diese Frage kann aber heute noch nicht beantwortet werden, weil es noch keine ergebnisoffene Suche gegeben hat. Aber für den Fall, dass die Entscheidung irgendwann in der Zukunft so ausfallen könnte, wäre es wirtschaftlich unangemessen und unverhältnismäßig gewesen, jetzt hier zwar zu erkunden, aber bestimmte Vorkehrungen, die man hätte treffen können, im Rahmen der Erkundung nicht zu treffen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Frage hat der Kollege Hans-Kurt Hill.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich kann mich mit den Antworten in der Sache so nicht zufriedengeben, Frau Staatssekretärin. Auch wenn Sie uns nicht sagen können, von wem und wann die entsprechenden Entscheidungen getroffen wurden, den nach unserer Meinung unzulässigen erweiterten Ausbau durchzuführen, stelle ich Ihnen trotzdem folgende Frage - vielleicht können Sie ja diese beantworten -: Wer trägt die politische bzw. die verfahrensbezogene Verantwortung für den nach unserer Meinung unzulässigen Ausbau?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Die politische Verantwortung tragen immer diejenigen, die Entscheidungen getroffen haben. ({0}) Das Verfahren in Gorleben ist mehrfach gerichtlich bestätigt worden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen zu den Fragen 51 und 52 der Kollegin Eva Bulling-Schröter. Sie werden schriftlich beantwortet. Damit rufe ich die Frage 53 des Kollegen Lutz Heilmann auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des ehemaligen Abteilungsleiters der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, PTB, Professor Helmut Röthemeyer, es sei im Jahr 1983 massiver politischer Druck vonseiten der Bundesregierung ausgeübt worden, um die im „Zusammenfassenden Zwischenbericht über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung in Gorleben“ der PTB enthaltene Forderung nach Erkundungen alternativer Standorte fallen zu lassen ({0})?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Es geht wieder um Gorleben, und ich beantworte die Frage wie folgt: Die Endfassung des „Zusammenfassenden Zwischenberichts über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung in Gorleben“ enthält keine Forderung, alternative Standorte zu erkunden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, bitte.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, legen die Aussagen des ehemaligen Abteilungsleiters der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt nicht gerade eine Vorfestlegung auf ein Endlager Gorleben nahe?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Sie haben sich in Ihrer Frage auf die Aussage eines ehemaligen Abteilungsleiters der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt berufen. Ich habe Ihnen vorgetragen, welche Erkenntnisse wir dazu haben. Es war uns in der Kürze der Zeit nicht möglich, die Aussagen dieses Abteilungsleiters näher zu recherchieren und herauszufinden, ob es tatsächlich Unterlagen darüber gibt, dass in der Vergangenheit in der Form, wie er es wohl öffentlich geäußert hat, vorgegangen wurde.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage? - Frau Kollegin Menzner hat eine Nachfrage dazu.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Es wurde jetzt mehrfach betont, dass eine ergebnisoffene Untersuchung mit Standortvergleichen stattfinden soll. Wie erklären Sie sich dann, dass im Laufe der 32 Jahre seit der politischen Beschlussfassung, Gorleben als Standort in den Blick zu nehmen, in der Form nur in ein einzelnes Projekt investiert wurde und dass keine Ansätze zu erkennen sind, dass andere Standorte und andere Konzepte konkreter angegangen werden? Was plant die Bundesregierung, dort zukünftig zu unternehmen, oder soll diese Strategie, diese Verfahrensweise in der Form fortgesetzt werden? Wie ist Ihre Aussage dazu?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich habe Ihnen bereits in der Antwort auf Ihre letzte Frage erläutert, dass es bezüglich der Suche eines endgültigen Endlagers für hochradioaktiven Abfall in Deutschland einen Verfahrensvorschlag des Bundesumweltministeriums gibt. Das ist aber noch nicht der Vorschlag der Bundesregierung. Es gibt derzeit für diesen Vorschlag einer ergebnisoffenen Suche keine politische Mehrheit. Wenn man das Verfahren auf eine ergebnisoffene Suche ausweiten möchte, wird man in Zukunft dafür eine politische Mehrheit organisieren müssen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Dückert, bitte.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, sind Sie - und vielleicht auch die Bundesregierung insgesamt - vor dem Hintergrund der Ausführungen, die Sie hier zu Gorleben und den Verantwortlichkeiten - teilweise haben Sie die Verantwortlichkeiten ja nicht dargestellt - gemacht haben, nicht mit mir der Ansicht, dass es sinnvoll wäre, in Gorleben so lange ein Moratorium zu verhängen, bis die Suche nach einem alternativen Standort wirklich durchgeführt worden ist?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich glaube, dass der jetzige Zustand für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend sein kann. Deutschland wird in den nächsten 15 Jahren eine Entscheidung darüber treffen müssen, wo der hochradioaktive Abfall in Deutschland eingelagert werden soll. Dafür ist ein Verfahren erforderlich, das für eine größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung sorgt. Das ist derzeit nicht möglich. Deshalb wird es von den künftigen politischen Mehrheiten abhängen, welche Entscheidungen in den nächsten Jahren bezüglich eines Verfahrens und welche Entscheidungen für oder gegen einen bestimmten Endlagerstandort - das trifft auch auf Gorleben zu - getroffen werden können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Hill, bitte.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte kurz auf die Frage meiner Kollegin zurückkommen, weil Sie gesagt haben, wir brauchen andere politische Konstellationen, um eine ergebnisoffene Suche nach einem Endlager durchführen zu können. Liegt der Grund, dass eine ergebnisoffene Suche derzeit nicht durchgeführt werden kann, mehr in den politischen Konstellationen oder vielleicht auch in der Angst der Bundesländer, unter Umständen ein geeigneteres Lager präsentieren zu können?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Es wird natürlich immer so sein, dass die Standortfrage vor Ort Widerstand auslösen wird, egal ob nur erkundet oder ob in der Zukunft irgendwann über Standorte entschieden wird. Es ist so, dass selbst die Bundesländer, die für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken plädieren, sich dagegen wehren, dass bei ihnen nach Standorten für eine Endlagerung des damit verbundenen Abfalls gesucht wird. Da müssen wir uns in Deutschland einem politischen Prozess unterziehen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Wir müssen den Abfall, der in Deutschland produziert wird, auch bei uns in Deutschland endlagern. Bei der Entscheidungsfindung geht es natürlich um politische Mehrheiten, aber auch um die Verfahren und die Überzeugungsfähigkeit der Politik.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Dr. Dückert.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, wie Sie selbst sagten, ist in Gorleben erkundet worden. In der Asse, die das gleiche Wirtsgestein - Salz aufweist, haben wir aber schon, was die Lagerung von radioaktiven Abfällen angeht, negative Erfahrungen gemacht. Aufgrund der Wassereinbrüche und der damit verbundenen massiven Gefahren wissen wir, dass es hochproblematisch ist, auf Salzbergwerke zu setzen. Ist es vor diesem Hintergrund nicht dringend geboten, in Gorleben die Erkundungen erst einmal einzustellen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Schachtanlage Asse nicht mit der Erkundungsanlage in Gorleben zu vergleichen ist. Dort gibt es völlig andere Voraussetzungen. Selbst wenn man wie ich und Sie der Atomkraft kritisch gegenübersteht und das Thema Endlagerung mit großer Sensibilität behandelt, so muss man bei der Bewertung künftiger Alter24986 nativen sachlich und objektiv bleiben. Gorleben ist in diesem Fall etwas ganz anderes als die Schachtanlage Asse. Das kann man nicht vergleichen; die Voraussetzungen sind völlig andere. Man sollte daher nicht grundlos Ängste schüren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Als letzte Frage zu diesem Sachverhalt rufe ich die Frage 54 des Kollegen Lutz Heilmann auf: Wer entschied warum, trotz des parallel zur Erkundung des Bergwerks in Gorleben bereits stattfindenden Ausbaus des Bergwerks in Gorleben zum Endlager, den die Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 28. Mai 2009 aus einer ihr vorliegenden internen Bewertung des Bundesamtes für Strahlenschutz offenlegt, weiter nach Bergrecht statt nach Atomrecht zu verfahren?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich beantworte die Frage wie folgt: Für die bislang erfolgten Erkundungsarbeiten einschließlich der Einrichtung der Infrastruktur hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsgrundlage, nach Bergrecht zu genehmigen, bestätigt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie weichen den Fragen einfach aus. Es geht nicht darum, mir zu sagen, worüber das Bundesverwaltungsgericht entscheidet. Das kann ich im Gesetz nachlesen. Ich habe in meiner Frage ganz konkret gefragt: „Wer entschied warum …“? Ich habe also nach einer im Rechtssinne natürlichen Person gefragt. Darauf hätte ich gerne eine Antwort.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Diese Entscheidung wurde in der Vergangenheit getroffen und gerichtlich bestätigt. Deshalb wird sie von uns weder infrage gestellt noch revidiert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Zusatzfrage.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das heißt: Sie wollen mir nicht sagen, wer diese natürliche Person ist?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich kann Ihnen keine Person nennen. Das ist richtig.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage der Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mit mir wenigstens darin überein, dass die Antworten, die wir im Parlament auf Fragen und die die Bürgerinitiativen auf Anfragen bekommen, reichlich dürftig sind? Diese mangelnde Information ist geeignet, eine ohnehin schon bestehende und durch die Asse massiv verstärkte Angst in der Bevölkerung zu vergrößern und weitere Gegenwehr gegen die verschiedenen Endlager- und Zwischenlagerprojekte zu mobilisieren. Wie bewerten Sie die Informationsstrategie der Bundesregierung?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Sie wissen, dass insbesondere das Bundesamt für Strahlenschutz eine sehr offensive Informationsstrategie verfolgt und sich auf Informationsveranstaltungen vor Ort jeder Diskussion stellt und Fragen der Bürger beantwortet. Man kann daher nicht unterstellen, dass man nicht versucht, das Verfahren transparent zu gestalten und über alle Hintergründe zu informieren. Sie wissen, dass zurzeit ein Container in der Republik unterwegs ist mit dem Ziel, dass entsprechende Fragen beantwortet werden. Ich bin aber im Moment nicht in der Lage, all Ihre Fragen im Detail zu beantworten. Ich bin aber gerne bereit, auf weitere konkrete Fragen Antworten nachzureichen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Hill.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben gesagt, dass auch von Ihrer Seite ein offenes Verfahren erwünscht ist. Es liegt also an der Koalition, dass ein solches Verfahren nicht durchgeführt wird. Befürchten Sie, wenn wir zu einem ergebnisoffenen Verfahren kämen, dass wir das gleiche Desaster erleben würden, wie wir es im Moment in Bezug auf die CCS-Technik bei der Koalition erleben?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich sehe weder eine Verbindung zwischen diesen beiden Themen noch eine Vergleichsmöglichkeit. Ich kann auch überhaupt kein Desaster erkennen. Natürlich ist es, wenn etwas Neues initiiert wird, immer so, dass viel Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung dafür notwendig ist, warum man etwas Neues braucht, dass erklärt werden muss, was da stattfindet, und man sicherstellen muss, dass die Bürgerbeteiligungsrechte entsprechend genutzt werden können, um die Bürgerinnen und Bürger in einem solchen Verfahren mitzunehmen. Das müsste ein Grundbaustein eines ergebnisoffenen Verfahrens sein. Aber man braucht erst einmal die politische Entscheidung, dass ein solches Verfahren überhaupt stattfindet. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Ich komme zurück zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Herr Staatssekretär Ulrich Kasparick steht nun für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 35 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wie bewertet die Bundesregierung die aktuelle Verkehrsbelastung auf der Bundesstraße 5 im Abschnitt Berge-Lietzow vor dem Hintergrund einer anzunehmenden Verkehrsverlagerung aufgrund der Ausbaumaßnahmen an der Bundesautobahn 24 zwischen dem Dreieck Havelland und der Anschlussstelle Neuruppin, und wie bewertet die Bundesregierung den Zeitrahmen für den Bau dieser Vorhaben? Herr Staatssekretär, bitte sehr.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Präsidentin, herzlichen Dank für das Verständnis. Ich war vorhin durch ein Telefonat gehindert, rechtzeitig hier zu sein. Frau Behm, zur Verkehrsbelastung kann ich Ihnen Folgendes sagen: Ich habe mir die Zahlen von der Dauerzählstelle in Lietzow für die Jahre 2006, 2007 und 2008 geben lassen. Sie bewegen sich im Schnitt zwischen 10 427 und 10 577 Kfz am Tag; davon sind 9 Prozent dem Schwerverkehr zuzuordnen. Die in der Öffentlichkeit kursierenden Zahlen von 25 000 Kfz am Tag entsprechen in etwa den Maximalwerten auf der durchgehend vierstreifig ausgebauten B 5 östlich von Nauen über den Westring der A 10 bis zur Landesgrenze nach Berlin. Diese Maximalwerte werden aber westlich von Nauen nicht erreicht. Diese Präzisierung ist wichtig. Wir haben auf den Autobahnen Zählstellen eingerichtet, damit man abschnittsgenau sehen kann, wie die Verkehrsbelastungen sind. Wir haben allerdings auf dem Abschnitt, nach dem Sie fragen, am Werktag Spitzenbelastungszeiten - das kennen Sie, wenn Sie solche Strecken benutzen -, und zwar je nachdem, in welcher Richtung man zählt: Morgens haben wir eine Hauptbelastung in Richtung Berlin und nachmittags in Richtung Kyritz. Wichtig ist - Sie fragen ja nach den Mautausweichverkehren -: Wir haben damals, als wir das Mautgesetz beschlossen haben, gesagt, dass wir die Auswirkungen gemeinsam mit den Ländern überprüfen wollen, und haben den Ländern eingeräumt, dass sie, wenn es Ausweichverkehre gibt, beantragen können, einzelne Bundesstraßenabschnitte zusätzlich zu bemauten. Das System selbst gibt dies technisch her. Wir haben dieses Verfahren im Mautgesetz verabredet. Brandenburg hat bisher keine signifikanten Mautausweichverkehre festgestellt und, daraus abgeleitet, auch keine zusätzliche Bemautung beantragt. Ebenso rechnen wir nicht mit nennenswerten Verkehrsverlagerungen auf die Bundesstraße B 5 durch die Arbeiten, die jetzt im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen nötig werden. Wir gehen davon aus, dass die Autobahn A 24 im Wesentlichen erst nach dem Ausbau des Nordrings der Autobahn A 10 erweitert wird. Hierdurch werden die bei Erweiterungsmaßnahmen stets unvermeidlichen Verkehrsbeschränkungen zeitlich verteilt. Wir bemühen uns ja darum, Stau möglichst dadurch zu vermeiden, dass wir das Baustellenmanagement so organisieren, dass man eine zeitliche Staffelung erreicht und innerhalb der Baustelle genügend Spuren zur Verfügung stehen, damit der Verkehr möglichst ohne Probleme fließen kann.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Nein. Dann kommen wir gleich zur Frage 36 der Kollegin Cornelia Behm: Wie bewertet die Bundesregierung die Finanzierbarkeit der vier geplanten Ausbauabschnitte der Bundesautobahnen 10 und 24, wie sie in der Berliner Zeitung vom 27. Mai 2009 dargestellt wurden, sowie der Ortsumfahrung Berge-Lietzow der Bundesstraße 5, und sind dafür Privatfinanzierungen oder EFRE-Mittel - EFRE: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung - in Aussicht gestellt worden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Sie fragen nach der Finanzierung der sechsstreifigen Erweiterung der Autobahn A 10 in Berlin. Das Baurecht liegt vor. Die Finanzierung ist gesichert. Für alle in Brandenburg liegenden Abschnitte sind Planfeststellungsverfahren im Gang. Wir können allerdings im Moment noch nicht verbindlich sagen, wann die Planfeststellungsbeschlüsse vorliegen werden. Sie kennen das: Wenn gebaut wird, können sich Träger öffentlicher Belange und Privatpersonen äußern. Einwendungen sind also möglich. Wir haben im Moment noch keinen Überblick, wie viele das genau sein werden und wann dieses Verfahren abgeschlossen sein wird. Davon hängt die Steuerung des Zeitplanes wesentlich ab. Die Termine, die in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, entsprechen den gegenwärtigen Vorstellungen der Straßenbauverwaltung des Landes Brandenburg. Sie wissen, dass wir bei den Autobahnen und Bundesstraßen eine Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern haben. Die Länder planen im Wesentlichen und machen die Durchführung. Sie sind also mit dem Verfahren bis zur Erreichung eines Planfeststellungsbeschlusses befasst. Im Moment sind diese Planungen vorrangig. Sie hängen aber davon ab, wie die Einwendungen verlaufen und wie schnell eine Entscheidung der entsprechenden Planfeststellungsbehörde vorliegt. Das bedeutet, dass man diese Zeitpläne anpassen muss, je nachdem, wie mit Klagen oder Einwendungen umgegangen wird. Wir haben die Ortsumgehung Berge-Lietzow 2004 erstmals in den Bedarfsplan aufgenommen. Man muss natürlich sehen - das wissen alle Beteiligten -, dass diese Maßnahme in Konkurrenz zu anderen Maßnahmen steht, die auch im vordringlichen Bedarf stehen, und sogar zu Maßnahmen, die jetzt schon verwirklicht werden. Wir haben im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II verabredet, insbesondere in die Maßnahmen zusätzlich Geld zu geben, die schon begonnen worden sind. Unser Ziel ist es ja, möglichst schnell wirksame Maßnahmen einzuleiten, die zu Beschäftigung führen. Wir haben mit der Straßenbauverwaltung des Landes Brandenburg besprochen, dass die Planungen für die Ortsumgehung Berge-Lietzow nicht zulasten anderer Projekte des vordringlichen Bedarfs forciert werden sollen. Deswegen sind Aussagen zur Finanzierung und Realisierung im Moment nicht möglich. Für die festzulegenden Abschnitte des Nordrings der A 10 in Brandenburg ist beabsichtigt, Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, EFRE-Mittel, einzuwerben. Eine Privatfinanzierung, die wir, wenn sie möglich ist, anstreben, ist nicht in Aussicht gestellt worden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin Behm?

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank erst einmal für Ihre Antworten. Wenn ich Ihre erste Antwort richtig verstanden habe, ist über kurz oder lang nicht mit einem Ausbau der A 24 zu rechnen. Sie haben von Konjunkturmitteln gesprochen, aber nicht im Zusammenhang mit dem Ausbau der A 10. Ich würde gerne wissen, ob für die A 10 definitiv keine Konjunkturmittel vorgesehen sind. Sie haben von EFREMitteln gesprochen.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Die A 10 war angemeldet, aber da liegt das Baurecht noch nicht vor. Deswegen hat Brandenburg angekündigt, im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II Alternativvorschläge vorzulegen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Finanzierungsalternativvorschläge?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Nein, Vorschläge für alternative Projekte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne eine zweite Zusatzfrage stellen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr, Frau Kollegin.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne wissen, ob im Rahmen der Evaluierung der Projekte in der Region, die im Fernstraßenausbaugesetz stehen, eine Neubewertung hinsichtlich der Bedarfseinstufung in den Blick genommen worden ist. Wenn das erfolgt wäre, wüssten wir das ja schon. Können Sie sagen, ob das angedacht ist?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Sie müssen sich das als einen dauerhaften Prozess vorstellen. Ich nenne nur das Stichwort „demografischer Wandel“. Das ist insbesondere für Brandenburg von großer Bedeutung. Die neuen Bundesländer sind ja, was den demografischen Wandel angeht, sozusagen Vorreiter. Wir haben mit den Ländern verabredet, dass wir uns die Verkehrsplanung auch unter diesem Gesichtspunkt anschauen. Wir haben zu entscheiden, was aus Sicht des Landes unter verkehrspolitischen und wirtschaftspolitischen Aspekten angesichts des demografischen Wandels vorrangig ist. Das ist ein dauerhafter Überprüfungsprozess. Bei den Projekten, über die wir jetzt konkret sprechen, gibt es keine Neubewertung.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Frage 37 der Kollegin Diana Golze wird, wie schon erwähnt, schriftlich beantwortet. - Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden die Fragen 55 und 56 des Kollegen Kai Gehring sowie die Fragen 57 und 58 der Kollegin Cornelia Hirsch schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Für die Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Ich rufe die Frage 59 der Kollegin Marieluise Beck auf: Wie weit sind, Bezug nehmend auf die Antwort der Bundesregierung vom 29. Mai 2009 auf meine schriftliche Frage zur weiteren Anwendung des Dekrets 555 des belarussischen Präsidenten ({0}), die Gespräche der Bundesregierung mit der belarussischen Regierung fortgeschritten, um Missverständnisse über die am 11. Februar 2009 mit Belarus getroffene Vereinbarung über die Erholungsreisen der sogenannten Tschernobyl-Kinder auszuräumen, und ab wann ist mit einem reibungslosen Ablauf der Erholungsreisen auch für die Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren im Rahmen von Gruppenreisen zu rechnen? Herr Staatsminister, bitte sehr.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin Beck, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Aufgrund der nachhaltigen Bemühungen des Auswärtigen Amtes ist es in Verhandlungen mit der belarussischen Seite gelungen, die noch verbliebenen Missverständnisse in unserem Sinne zu überwinden. Die Verhandlungen über einen Verbalnotenaustausch hierzu stehen kurz vor dem Abschluss.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte sehr.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, das würde ich gerne etwas konkreter wissen, zumal sich die Europäische Union entschieden hat, Herrn Lukaschenko wieder ein Stück weit in die Familie der europäischen Staaten aufzunehmen. Das war allerdings an Konditionen gebunden, nämlich an Dialogbereitschaft und eine Öffnung auch nach innen. Ich frage Sie: Bedeutet dies, dass das Dekret 555, das Reisen von 14- bis 17-Jährigen untersagt bzw. ihre Zahl auf drei Reisen in das gleiche ausländische Land beschränkt, vom Tisch ist und dass der Austausch mit den sogenannten Tschernobyl-Kindern, wie bisher üblich, wieder möglich ist, dass also auch wieder Gruppenreisen stattfinden können und Visa nicht mehr als Einzelvisa vergeben werden müssen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Beck, als wir die Vereinbarung getroffen haben, sind, wie ich denke, beide Seiten davon ausgegangen, dass klar ist, was unter dem Begriff „Minderjährige“ zu verstehen ist. Sowohl bei uns als auch auf belarussischer Seite ging es um Jugendliche von 7 bis 18 Jahren. Im Nachgang war allerdings eine andere Praxis festzustellen. Aufgrund vieler Interventionen haben wir die Gespräche wieder aufgenommen. Jetzt steht für beide Seiten fest - wir werden uns auch über diese Präzisierung austauschen -: Es geht um Jugendliche von 7 bis 18 Jahren. Hinzu kommt - diesen Aspekt haben Sie in Ihrer Frage aufgegriffen -, dass die Beschränkung der Zahl der Reisen gestrichen wird. Dadurch wollen wir auch denjenigen, die sich auf diesem Feld engagieren, deutlich machen: Jetzt ist der Austausch tatsächlich möglich. Zu Ihrer Frage. Natürlich muss der Erlass 555 verändert werden. Um eine zeitliche Verzögerung zu vermeiden, haben beide Seiten vereinbart, dass die Präzisierung, von der ich gerade sprach, bereits vorläufig Anwendung findet. Sie können davon ausgehen, dass die Präzisierung, die wir vorgenommen haben, schon innerhalb der nächsten 14 Tage in die Praxis umgesetzt und angewandt wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine gute Nachricht, Herr Staatsminister. - Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang noch etwas fragen: Inwiefern geht das Auswärtige Amt davon aus, dass die Einladung zur Östlichen Partnerschaft tatsächlich an die Konditionen, die die Europäische Union gesetzt hat, gebunden bleibt, vor allen Dingen im Hinblick auf die Dialogbereitschaft und die Forderung, dass es keine politischen Gefangenen mehr geben darf? Wie Amnesty International mit Datum vom 15. Mai dieses Jahres festgestellt hat, ist aufgrund der Festsetzung von elf Personen davon auszugehen, dass es in Belarus doch wieder politische Gefangene gibt. Damit wäre der Östlichen Partnerschaft eigentlich die Geschäftsgrundlage entzogen.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Beck, ich bin gern bereit, an anderer Stelle über die Entwicklung der Östlichen Partnerschaft, auch konkret mit Blick auf Belarus, zu diskutieren. Jetzt geht es aber um die Frage: Wie können wir die Missverständnisse, zu denen es nicht bei uns, sondern auf der anderen Seite gekommen ist, ausräumen, um es den sogenannten Tschernobyl-Kindern möglich zu machen, dass sie zu uns kommen? Ich glaube, diese Frage habe ich ausführlich beantwortet.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Zusatzfrage hat der Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister, das Dekret 555 hat zum wiederholten Male zu sehr großen Irritationen geführt: bei Tschernobyl-Organisationen, bei Bürgerinitiativen in Deutschland, aber auch bei entsprechenden Initiativen auf internationaler Ebene, die sich seit fast 20 Jahren um den Austausch der von Tschernobyl bzw. den Spätfolgen betroffenen Kinder bemühen, um ihnen Erholung zu ermöglichen. Es ist nicht das erste Mal, dass die weißrussische Administration offensichtlich versucht, diesen Organisationen und denjenigen, die sich in diesem Bereich bürgerschaftlich engagieren, Steine in den Weg zu legen. Dieses Engagement sollte in den letzten Jahren sogar völlig unterbunden werden. Der weißrussischen Seite wäre es wohl am liebsten, man würde das Geld direkt dem Präsidenten überreichen. Er selbst hat sogar gesagt, er wisse viel besser, was man damit für die Kinder tun könne. Ich bitte Sie, in Ihren Gesprächen mit der belarussischen Administration bzw. der Regierung auch über die Irritationen, zu denen es im gesellschaftlichen und politischen Raum in Deutschland gekommen ist, zu berichten. Das bereitet den ehrenamtlich Tätigen in Deutschland nämlich viele Schwierigkeiten. Es wäre schade, wenn diese Pflanze des bürgerschaftlichen Engagements eingehen würde.

Not found (Gast)

Kollege Grund, das war ja der Grund, warum - auch aufgrund der Intervention vieler, die sich schon seit Jahren engagieren; Sie haben das zu Recht angesprochen - relativ schnell gesagt wurde: Das unterbricht die Arbeit mit den betroffenen Kindern und behindert das Engagement der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das war auch im Sinne einer Annäherung im Rahmen der Östlichen Partnerschaft kein gutes Zeichen. Deshalb haben wir das nicht auf sich beruhen lassen. Eigentlich war im Februar klar, dass unter den Begriff „Minderjährige“, die mit Gruppenreisen ohne Beschränkung der Zahl reisen dürfen, alle zwischen 7 und 18 Jahren fallen. Dieses Ziel ist erreicht worden. Wir werden im Dialog mit Belarus, mit Weißrussland, immer wieder ansprechen, dass es zu solchen Irritationen nicht kommen darf, dass Vertrauen hergestellt werden muss. Wenn Begriffe jedes Mal anders interpretiert werden, ist das sicherlich kein Vertrauenstatbestand.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Fragen 60 und 61 der Kollegin Kerstin Müller werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende der Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Herr Staatsminister, ich bedanke mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Wir sind auch am Ende der Fragestunde. Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde, bis 16 Uhr, unterbreche ich die Sitzung im Einvernehmen mit den Geschäftsführern der Fraktionen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatsminister Dr. Gernot Erler.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen haben sehr viele Menschen in Deutschland mit Staunen und voller Faszination auf den aktuellen politischen Prozess im Iran geschaut. Als von über 400 Bewerbern gerade einmal vier Kandidaten zugelassen wurden und der Amtsinhaber von der geistlichen Führung die erwartete Unterstützung erhielt, schien es erst so, als wäre alles Routine. Aber dann entwickelte sich ein ernsthafter und spannender Wahlkampf, dessen Ergebnis offen erschien. Der beste Beleg dafür ist die Rekordwahlbeteiligung von 85 Prozent der Wahlberechtigten. Alleine das ist schon eine eindrucksvolle Demonstration eines breiten Willens, über die Zukunft des eigenen Landes mitzubestimmen und sich einzumischen. Und dann dieser Absturz, dieser Schock am Ende des Wahltages! Wir wissen nicht verlässlich genug, wie all die Berichte über voreilige Gesamtergebnisse mit immer demselben Stimmenverhältnis von 62 Prozent zu 32 Prozent, egal, in welcher Region des Landes, über schon volle Wahlurnen am Beginn des Tages oder fehlende Stimmzettel in den Hochburgen der Opposition und über die Behinderung von Wahlbeobachtern zu werten sind. Aber all das sind ernsthafte Hinweise auf Unregelmäßigkeiten, die der Wächterrat nun überprüfen soll. Bisher kann wohl niemand sagen, welchen Einfluss diese Unregelmäßigkeiten auf das konkrete Endergebnis hatten. Was für uns alle aber augenscheinlich ist: Es besteht in der iranischen Bevölkerung - nicht nur im wohlhabenden kosmopolitischen Nord-Teheran, sondern auch in den Städten im ganzen Land - bei vielen Menschen, die sich für demokratische Wahlen im Iran engagiert haben, offenbar das Gefühl, betrogen worden zu sein. Wir alle bewundern den Mut der Menschen im Iran, gegen das so empfundene Unrecht auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren - trotz strengster Verbote und mit erheblichem persönlichen Risiko. ({0}) Dass zumeist friedliche Demonstranten von paramilitärischen und parapolizeilichen Einheiten gnadenlos und brutal zusammengeknüppelt wurden, hat uns alle zutiefst schockiert. Inzwischen sind Tote zu beklagen. Diese Gewalt und Brutalität gegen Menschen, die friedlich und demokratisch ihre Meinung äußern, ist scharf zu verurteilen. ({1}) Hinzu kommen die zahllosen Berichte über willkürliche Verhaftungen und massive Einschränkungen der Pressefreiheit - auch für deutsche und andere ausländische Journalisten. All das hat dazu geführt, dass die Bundesregierung über die gegenwärtigen Ereignisse im Iran mit großer Sorge erfüllt ist. Wir appellieren an die iranische Führung, die Wahlergebnisse ernsthaft und transparent zu überprüfen und gegebenenfalls die gebotenen Konsequenzen zu ziehen. Die iranische Regierung hat bislang in ihren Kontakten mit anderen Staaten immer wieder darauf verwiesen, demokratisch legitimiert zu sein. Falls sich die Vorwürfe der Opposition nicht auf transparente und faire Weise entkräften lassen, würde der Anspruch auf Legitimität der iranischen Regierung dauerhaft Schaden erleiden. ({2}) Wir fordern die iranische Regierung eindringlich auf, die Menschenrechte und das Recht auf Versammlungsund Meinungsfreiheit zu achten. Die willkürlichen Verhaftungen und das wahllose Niederknüppeln von DeStaatsminister Dr. h. c. Gernot Erler monstranten und anderen schutzlosen Zivilisten müssen sofort aufhören. Mit großem Nachdruck haben wir die iranische Regierung aufgefordert, die Arbeitsfähigkeit von deutschen und anderen ausländischen Journalisten im Iran sofort wiederherzustellen. Wie Sie wissen, haben wir dazu am Montag den iranischen Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt. Wir haben besonders auch auf den Schutz der iranischen Mitarbeiter der deutschen Journalisten gedrängt, die zum Teil massiven Repressionen ausgesetzt werden. Unser Engagement für die deutschen Journalisten und ihre Mitarbeiter bedeutet aber nicht, dass uns etwa das Schicksal der iranischen Journalisten mit weniger Sorge erfüllt. Auch dies haben wir gegenüber der iranischen Regierung mit deutlichen Worten angesprochen. Eine Reihe europäischer Partner hat sich inzwischen dieser Initiative angeschlossen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese eindringlichen Appelle an die iranische Regierung knüpfen an unser langjähriges Eintreten für die Freiheits- und Menschenrechte im Iran an. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei der Kampf der EU gegen die Todesstrafe, besonders gegen ihre Verhängung gegenüber Minderjährigen und gegen die besonders brutale und abscheuliche Strafform der Steinigung. Trotz vielfacher Zusicherung der iranischen Regierung hat sich die Menschenrechtslage in den vergangenen Jahren eher verschlechtert. Trotzdem konnte unser Engagement in Einzelfällen etwas erreichen, etwa durch Umwandlung von Todes- in Haftstrafen. Diese Fälle ermutigen uns, auf diesem Kurs unbeirrt voranzuschreiten. ({4}) Wir haben registriert, dass die Äußerungen von Staatspräsident Ahmadinedschad nach der Wahl keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, auf die Forderungen der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich des iranischen Nuklearprogramms einzugehen. Gemeinsam mit unseren Partnern im Rahmen der E 3 + 3 - also mit China, Frankreich, Russland, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten - haben wir dem Iran ein umfangreiches Angebotspaket als Basis für eine diplomatische Lösung vorgelegt. Seit nunmehr einem Jahr spielt aber die iranische Führung auf Zeit: Zunächst waren noch Detailfragen zu klären. Dann waren die Wahlen in den USA und nun die Wahlen im Iran ein Anlass, den Beginn konkreter Verhandlungen immer weiter hinauszuzögern. Auch auf den Strategiewechsel der USA hat der Iran bisher nur sehr zögerlich reagiert. Dieses Verhalten können wir nicht länger akzeptieren. ({5}) Der Generaldirektor der IAEO hat am Montag dieser Woche zu Beginn des IAEO-Gouverneursrats erneut unterstrichen, dass es allein am Iran liegt, durch eine volle Zusammenarbeit mit der IAEO die begründeten Zweifel der internationalen Gemeinschaft an den Zielen des iranischen Nuklearprogramms auszuräumen. Wir unterstützen ausdrücklich den Aufruf an den Iran, die sich jetzt bietende Gelegenheit für eine diplomatische Lösung zu nutzen. Für alle Folgen einer weiteren Verweigerungshaltung, auch was weitere Sanktionen angeht, trägt allein die iranische Führung die Verantwortung. ({6}) Neuerliche Äußerungen von Präsident Ahmadinedschad unmittelbar vor wie auch nach den Wahlen weisen leider darauf hin, dass er an seiner unsäglichen und unerträglichen Leugnung des Existenzrechts Israels festzuhalten gedenkt. Um es ganz deutlich zu machen: Wir werden allen Äußerungen dieser Art so lange entschieden entgegentreten, bis sie endlich aufhören. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Präsident Obama hat mehrfach und eindrucksvoll klargemacht, dass er trotz aller Differenzen bereit ist, in vollem Respekt in den Dialog mit der iranischen Führung einzutreten. Jeder weiß: Ein solches Angebot kann nicht unbegrenzt ohne positive Reaktion im Raum stehen bleiben. Deshalb appellieren wir an den Iran, diese ausgestreckte Hand zu ergreifen und ohne weiteren Verzug in einen Dialog auf gleicher Augenhöhe einzutreten. Dies nicht zu tun, hieße, eine vielleicht einmalige historische Chance zu verpassen. ({8}) Wir werden daher auch an die kommende iranische Regierung den ernsthaften Appell und die ernsthafte Botschaft senden: Niemand in Deutschland, niemand in Europa will einen Iran in politischer Isolierung und in Einschränkung durch Sanktionen der Weltgemeinschaft. Im Gegenteil: Wir haben ein geradezu existenzielles Interesse an einem Iran, der sich in einer Region voller Konflikte und Probleme an einer regionalen und globalen Verantwortungspartnerschaft beteiligt und sich dadurch Anerkennung und Respekt verschafft. ({9}) Das ist unsere Botschaft, die von dieser Debatte im Deutschen Bundestag ausgehen soll und von der wir uns wünschen, dass sie auch von der großen Mehrheit der mündigen Bürgerinnen und Bürger im Iran gehört und verstanden wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Gebt uns unsere Stimmen zurück!“ - Das ist die Parole von Zehntausenden, die in den letzten Tagen und Nächten in Teheran und vielen anderen Städten demonstriert haben. Sie haben demonstriert, obwohl das Demonstrieren offiziell verboten war. Ich sage an dieser Stelle: Wir sind mit ihnen solidarisch. Wir verurteilen die Gewalt gegen die Menschen, die von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und ihrem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen. ({0}) Wir verurteilen die Gewalt, die gegen diese Menschen angewendet wurde, und wir betrauern die Toten. Mich erinnern diese Bilder - übrigens auch die Gewalt - an die Bilder von 1979. Wieder ziehen Zehntausende Iraner durch die Straßen und rufen: „Marg bar Diktator“ - Tod dem Diktator. Damals war der Schah gemeint, heute die Machthaber. Wieder rufen Menschen auf den Dächern von Teheran: „Allahu Akbar“. Wir erleben den Aufstand der iranischen Zivilgesellschaft gegen die Gefahr eines zunehmend diktatorisch werdenden Regimes. Menschen demonstrieren gegen ein Regierungssystem, das jeden unter Verdacht stellt. Eines muss man an dieser Stelle in aller Deutlichkeit sagen: Es handelt sich nicht um einen Aufstand gegen die Mullahs. Es sind viele Geistliche, die zusammen mit Liberalen, Konservativen, Jungen und Alten, Studierenden, Geschäftsleuten und Arbeitern auf die Straße gehen. Es sind nicht nur tradierte Reformer, die auf der Straße protestieren. Neben Mussawi werden die Proteste auch von Rafsandschani, dem ehemaligen Präsidenten Chatami, dem Parlamentspräsidenten Laridschani, den Kandidaten und selbst vom Großayatollah Montazeri, einem der wichtigsten religiösen Gelehrten des Landes, unterstützt. Es ist offensichtlich, dass ein Riss durch die islamische Republik geht. Viele von uns sind von der Wucht und der Dynamik dieser Ereignisse überrascht. Als ich vor zwei Jahren im Iran war, hatte ich den Eindruck einer resignierten und frustrierten Opposition. Damals sagte mir Shirin Ebadin: Ihr im Westen, ihr dürft euch nicht nur um die Atomfrage kümmern. Denkt auch an die Menschenrechte. Ich glaube, die Demonstrantinnen und Demonstranten mahnen auch uns, unser Iranbild zu schärfen. Der Iran ist mehr als Atom und Ahmadinedschad. Der Iran ist eine vielfältige und vielfach widersprüchliche Gesellschaft. Es ist ein modernes Land, in dem Handys und Internet heutzutage auf jeder Demo präsent sind. Es ist ein Land mit immensem Ölreichtum, aber massenhafter Armut und Arbeitslosigkeit. Es ist ein islamisches Land, tief geprägt vom schiitischen Glauben. Es ist ein Land mit selbstbewussten, kämpferischen, klugen Frauen und einer archaischen, brutalen Rechtsprechung in vielen Fällen; Herr Erler hat bereits darauf hingewiesen. Wir müssen in unserer IranPolitik gerade dieser Vielfalt gerecht werden. Das ist bislang nicht immer gelungen. Diejenigen, die damals in den USA als Antwort auf den großen Satan nur die Achse des Bösen sehen konnten, denen zu Teheran nur der „Irre von Teheran“ eingefallen ist und die geglaubt haben, nur mit Isolierung und Boykott könne man diesem Problem beikommen, haben sich geirrt. Das Gegenteil ist richtig. Es war die kluge Wende in der Iran-Politik unter Obama. Es war auch seine Rede zum Frühjahrsfest. Es war sein Dialogangebot, das dazu beigetragen hat, die resignierte und frustrierte Unzufriedenheit mit der Regierung aufzubrechen. Die Isolation, zu der eine falsche Politik beigetragen hat, hat die Menschen im Iran zum Teil in die Solidarisierung mit Ahmadinedschad getrieben. Obama hat in seiner Rede Ahmadinedschads Behauptung, der Westen sei gegen den Iran, als Lüge entlarvt. Offenheit und Dialog haben der Zivilgesellschaft im Iran Mut gemacht. Damit haben wir aber auch Verantwortung. Wir wissen nicht, wie sich die Lage im Iran entwickeln wird. Aber wir werden künftig diese Lehre beherzigen müssen. Barack Obama hat in Kairo eine Antwort auf die Situation gegeben, die vielleicht auch gut zum Iran passt. Er sagte dort: Eine Idee zu unterdrücken wird sie niemals zum Verschwinden bringen. Alle gewählten, friedfertigen Regierungen sind uns willkommen, vorausgesetzt, sie regieren mit Respekt für all ihre Bürger. Ich finde, das ist unsere Botschaft an die Machthaber im Iran. Es darf keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten geben. Die Wahlfälschungen müssen vollständig aufgeklärt werden. Im Zweifel muss die Wahl annulliert werden. Ich appelliere an die Machthaber im Iran: Geben Sie den Menschen ihre Stimmen zurück! Wir sind solidarisch mit den Menschen in Teheran, in Isfahan, im ganzen Iran. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Ruprecht Polenz das Wort.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Situation, wie wir sie jetzt über die Fernsehbilder aus dem Iran verfolgen - ich kann mich den Einschätzungen, die Sie, Herr Trittin und Herr Staatsminister, vorgetragen haben, nur anschließen -, bleibt uns, dem Deutschen Bundestag, zunächst die Herstellung internationaler Aufmerksamkeit als wichtige Aufgabe. Deshalb ist es gut, dass es heute diese Aktuelle Stunde gibt. Denn es ist internationale Aufmerksamkeit, die in solchen Situationen dazu führt, die Meinungsfreiheit zu schützen, Rechtfertigungszwänge auszulösen sowie Transparenz einzufordern und herzustellen. Sie erschwert zudem Übergriffe. Es ist kein Wunder, dass die iranische Regierung zuallererst versucht hat, die internationale Berichterstattung zu behindern. Wir müssen also unsere volle Aufmerksamkeit auf die Menschen lenken - das sind wir ihnen schuldig; das ist richtig -, die mit viel persönlichem Mut auf die Straße gehen, um ihre demokratischen Rechte geltend zu machen. Das ist das, was wir tun können, um sie zu unterstützen. ({0}) Ich habe heute, einer Anregung des Kollegen Klose folgend, mit meinem Amtskollegen Borudscherdi, dem Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses im iranischen Parlament, telefoniert und habe ihm gesagt, dass wir heute darüber debattieren, wie wichtig es ist, dass der Iran Demonstrationsfreiheit garantiert, dass er beim Einsatz gegen gewalttätige Übergriffe, die es sicherlich auch vonseiten der Demonstranten gegeben hat, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet, und wie besorgt es uns macht, dass im Schatten der Demonstrationen offensichtlich auch oppositionelle Politiker - so ist die Nachrichtenlage - verhaftet worden sind. Natürlich habe ich gefordert, dass die freie Berichterstattung der ausländischen, aber auch der iranischen Journalisten umgehend wiederhergestellt werden muss und dass für eine transparente Aufklärung der Vorwürfe zu sorgen ist. Er hat mir dann seine Sicht der Dinge erklärt, nämlich dass in Teheran in der Tat Mussawi gewonnen habe. Seine Anhänger hätten das Teheraner Ergebnis auf das ganze Land hochgerechnet und seien aus Enttäuschung auf die Straße gegangen. Inzwischen haben, so hat er mir berichtet, Gespräche der vier Kandidaten mit dem geistlichen Führer und ein Treffen der Vertreter der vier Kandidaten mit dem Wächterrat stattgefunden. Wichtig und ganz interessant fand ich den Hinweis, dass inzwischen wohl auch das iranische Parlament einen Ausschuss eingerichtet hat, der den Vorwürfen nachgehen soll. Dieser habe mit den Kandidaten Mussawi und Karrubi bereits ein Treffen unter Vorsitz eines der Vizepräsidenten des iranischen Parlaments gehabt. Mit den anderen Kandidaten werde noch gesprochen. Borudscherdi hat mir gesagt, Mussawi habe in diesem Gespräch zum Ausdruck gebracht, das Votum des Wächterrats, wie immer es in zehn Tagen ausfalle, zu akzeptieren. Das führt mich zu einem wichtigen Punkt, den wir doch festhalten sollten: Wie immer die Wahl verlaufen ist und wie immer die Stimmen ausgezählt worden sind, es war von vornherein keine demokratische Wahl, sondern es war eine arrangierte Wahl. Es durften von über 400 Bewerbern nur vier kandidieren. Die anderen sind in einem sehr intransparenten Verfahren vom Wächterrat von vornherein ausgeschlossen worden. Es wurde auch nicht - das wird inzwischen dankenswerterweise von den Medien der deutschen Öffentlichkeit erklärt - der Mächtigste im Iran gewählt - das ist und bleibt der geistliche Führer -, sondern es ging um die Wahl des Präsidenten. Die ist nicht unwichtig - sonst gingen in Teheran nicht so viele auf die Straße -, aber eben auch nicht entscheidend. Deshalb bleiben die Themen, die uns und den Iran betreffen, auf der Agenda. Herr Trittin, ich stimme Ihnen zu, dazu gehört nicht nur, aber vor allen Dingen das Nuklearprogramm, dazu gehört die Haltung des Iran zu dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, dazu gehört die Unterstützung der Hamas und der Hisbollah, und dazu gehört natürlich die Lage der Menschenrechte im Land. Bei all diesen Themen hält Chamenei mit seinem Machtapparat den Schlüssel in der Hand. Er ist es, der für Veränderung oder Beharrung sorgen kann. Das muss unsere Politik berücksichtigen. Es gibt jetzt die geänderte Strategie von Obama. Ich finde es richtig, dass das Angebot der ausgestreckten Hand aufrechterhalten bleibt, egal wie das Verfahren im Iran ausgeht, und dass Obama nicht den Anschein erweckt hat, er wolle sich in die Auseinandersetzung einmischen. In diesem Zusammenhang habe ich eine Bitte an die Bundesregierung: Solange die Antwort des Iran nicht vorliegt, halte ich persönlich es für kontraproduktiv, öffentlich darüber zu spekulieren oder laut darüber nachzudenken, was wir tun würden, falls der Iran die ausgestreckte Hand der Amerikaner nicht ergreift. Wir sollten jetzt die Geduld haben, abzuwarten, und weiterhin die Entwicklung im Iran aufmerksam verfolgen. Das sind wir den mutigen Frauen und Männern schuldig, die jetzt dort für ihre Rechte kämpfen. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geschieht nicht häufig und ist nicht selbstverständlich, dass man zu Beginn des eigenen Redebeitrags sagt: Ich habe mich in dem, was meine drei Vorredner gesagt haben, voll wiedergefunden. - Ich finde gut, dass ich diese Bemerkung hier machen kann. Wir sind uns bei der Botschaft, die wir an den Iran, sowohl an die Führung als auch an die Menschen, die jetzt unter großen Risiken auf die Straße gegangen sind, senden wollen, sehr einig. Die Situation gibt zu großer Sorge und leider auch zur Trauer Anlass. Ich ziehe den Hut vor den Hunderttausenden Iranern, die unter Gefahr für Leib und Leben ihre Stimme für eine bessere Zukunft erheben. Was kommt darin zum Ausdruck? Sie verlangen, dass ihre Stimmen zählen, dass sie gezählt werden, und sie gehen dafür hohe Risiken ein. Das könnte uns in unserem sicheren Europa geradezu ein bisschen beschämen. ({0}) Offenbar haben wir die Wertschätzung dafür verloren, was es bedeutet, eine eigene Stimme zu haben, sie abzugeben und darauf bestehen zu können, dass sie gezählt wird. Man schaue sich auch an, was uns dort vorgelebt wird: dass Freiheit zählt, dass sie immer wieder verteidigt und erkämpft werden muss. Wer dort aufschreit, das ist die junge, gutausgebildete, moderne, im Wesentlichen westlich - vor allen Dingen Richtung Amerika orientierte - Generation im Iran, nicht nur in Teheran, sondern auch in vielen anderen großen Städten. Es ist eine Generation, die vor allen Dingen eins will: Zukunftschancen, eine Generation, die die Systemstarre längst als Hindernis für ihr eigenes Lebensglück sieht, eine Generation, die Vertrauen in einen Rechtsstaat haben möchte, eine Generation, die von der eigenen Regierung nicht ihrer Möglichkeiten beraubt werden möchte und die übrigens auch den Rest der Welt nicht als Gefahr, sondern als Chance begreift. Die größte Gefahr für den geistlichen Führer und für den Staatspräsidenten besteht darin, dass sich dieser Ruf, die Botschaft dieser Menschen über das Land verbreitet, und deswegen wird das Internet unterbrochen, deswegen werden die Kommunikationsmöglichkeiten nach innen wie nach außen gekappt, deswegen werden die Medien in ihrer Arbeit behindert und Oppositionelle drangsaliert. Je mehr das geschieht, je mehr das Regime es offensichtlich für erforderlich hält, sich so zu verhalten, desto mehr werden die Zweifel genährt, dass das, was da am letzten Freitag geschehen ist, wirklich mit rechten Dingen zugegangen ist. Es ist ein Segen unserer Zeit, dass es heute kaum mehr Möglichkeiten gibt, Informationen vollends zu unterdrücken oder Unrecht sich in kleinen Nischen abspielen zu lassen. Die Medien sind präsent. Der Geist, den Hunderttausende in diesen Tagen auf die Straße gebracht haben, wird nicht wieder in die Flasche zurückzudrängen sein. ({1}) Nach diesen Vorgängen wird auch im Iran nichts so sein, wie es vorher war. Darin liegt eine große Chance für die Zukunft des Iran und für den zukünftigen Platz des Iran in der Völkergemeinschaft. In der Strategie der Hardliner im Iran spielt der Westen eine ganz wesentliche Rolle, nämlich die des Feindbildes. Auch in diesen Tagen sind die Provokationen des iranischen Staatspräsidenten vor allen Dingen eins: der Versuch, einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen, um die mutigen Demonstranten im eigenen Land als Handlanger des verhassten Westens abzuqualifizieren. Wir dürfen in diese Falle nicht hineintappen; dieses Spiel dürfen wir nicht mitmachen. Auf den Straßen von Teheran, von Isfahan, von Tabriz und von vielen anderen Städten ist niemand vom Ausland gesteuert. Hier empört sich eine ganz eigene iranische Opposition, und deswegen sollten wir Präsident Ahmadinedschad keine Ausweichmöglichkeiten bieten, sich mit uns statt mit der eigenen Bevölkerung auseinanderzusetzen. Sie haben zu Recht gesagt, Herr Trittin: Die überzeugendste Botschaft zu diesem Thema, die in den letzten Wochen und Monaten gehört worden ist, kam vom amerikanischen Präsidenten, sowohl in seiner Neujahrsansprache an das iranische Volk als auch in seiner bemerkenswerten Rede in Kairo. Es ist eine Politik der ausgestreckten Hand, die nicht auf Provokationen eingeht und trotzdem die eigenen Werte hochhält. Es ist das Angebot an den Iran, seinen Platz in der Weltgemeinschaft mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten auszufüllen. Es ist das Angebot, Tradition und Fortschritt miteinander zu verbinden. Es ist das Angebot, alte Verletzungen zu überwinden. Ja, Obama überwindet die Sprache der Achse des Bösen, die Sprache von Zuckerbrot und Peitsche. Diese Sprache ist gescheitert. Er betont den Respekt vor dem iranischen Volk und seiner großartigen Kultur, und er schreckt auch nicht davor zurück, Fehler der Vergangenheit offen zu adressieren. Er geht in seiner Rede bis auf Mossadegh zurück. Das ist ein ermutigender und ein mutiger Schritt. Wenn es eines Tages Lösungen für die Probleme in der Region, auch im Kernbereich von Palästina und Israel, geben sollte, dann sicherlich in jenem Geist, von dem die Rede Obamas in Kairo getragen war. Darin liegt auch ein Angebot an Europa. Das sollten wir aufgreifen, und dazu sollten wir unseren Teil beitragen. Dass es Hunderttausende im Iran gibt, die sich der Hoffnung auf diese Politik bereits angeschlossen haben, ist ermutigend. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Dr. Norman Paech das Wort. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt wohl keinen Zweifel: Die Gesellschaft im Iran ist im Aufruhr. Ob dieser Aufruhr nun mehr mit der Revolution von 1979 oder den Studentenrevolten von 1999 zu tun hat, muss sich erst noch zeigen. Sicher ist aber, dass Ursache nicht der Wahlausgang und die möglichen Wahlfälschungen sind. Sie sind nur Anlass und Auslöser der Unruhen, die offensichtlich eine ganz breite Unzufriedenheit mit dem aktuellen Regime widerspiegeln. Dieses Regime wird nicht nur von Ahmadinedschad, sondern auch von Ajatollah Chamenei und dem Wächterrat repräsentiert. Zudem bestehen wohl auch keine Zweifel daran, dass es bei den Wahlen wahrscheinlich zu Unregelmäßigkeiten bis hin zu massivem Wahlbetrug gekommen ist. Wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass unabhängige US-Organisationen in den letzten Wochen vor den Wahlen Ahmadinedschad immer mit einem Vorsprung von ungefähr 33 Prozentpunkten vor Mussawi gesehen haben. Nach ihren Befragungen lag Ahmadinedschad in allen 30 Provinzen vorne. Selbst in der Provinz Aserbaidschan, der Heimat Mussawis, wurde Ahmadinedschad mit zwei zu eins gegenüber Mussawi favorisiert. Die stärkste Zustimmung kam von den 18- bis 24-Jährigen. Für Mussawi stimmten eindeutig die Akademiker und die Wohlhabenden im Lande. Das ist zwar nicht die Bevölkerungsmehrheit; es sind aber wohl diejenigen, mit denen die westlichen Medien aufgrund der sprachlichen Kompetenz dieser Gruppe vornehmlich Kontakt hatten. Hier wurde bei uns offensichtlich zu viel Wunschdenken verbreitet und vergessen, dass Ahmadinedschad schon einmal mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen hat, nämlich 2005 gegen Rafsandschani. Offensichtlich konnten viele Iraner ihren Wunsch nach einem wirklich demokratischen System und nach besseren Beziehungen zu den USA sowie ihre Ablehnung des Besitzes von Nuklearwaffen mit ihrer Unterstützung Ahmadinedschads verbinden. Sie sahen in ihm offensichtlich den härteren Verhandler, der mehr für sie herausholen konnte. Übersehen wir auch das nicht: So schlecht die Wirtschaftslage im Iran ist und so schlecht es in diesem Land um die Menschenrechte steht - 46 Prozent der Iraner glauben, dass unter Ahmadinedschad die Inflation gesunken und die Wirtschaft gewachsen ist. ({0}) Das kennen wir aus anderen Zusammenhängen. So kommt es beim Wetter nicht auf die exakte Temperatur an, sondern auf die gefühlte. Aus einem weiteren Grunde sollten wir bei der Bewertung fremder Wahlen sehr vorsichtig sein. Haben wir schon die US-Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000 vergessen, bei denen es zu massiven Unregelmäßigkeiten in Florida gekommen ist, die nie ganz aufgeklärt wurden und die keine Aktuelle Stunde im Bundestag hervorgerufen haben? ({1}) Oder denken wir nicht mehr an 2006? Damals kam es im Februar in Palästina zu anerkannt freien und fairen Wahlen. Nur das Ergebnis gefiel den großen Mächten nicht. Es war ein Tiefpunkt demokratischer Heuchelei, die Wahlen erst zu fordern, dann aber das Wahlergebnis zu missachten und den Sieger zu boykottieren. Wo war da die demokratische Empörung im Parlament? ({2}) Mir gefiel ein Satz in der Washington Post vor zwei Tagen. Ich will ihn zitieren: Vorwürfe des Betrugs und der Wahlmanipulation werden Iran weiter in die Isolation treiben und dessen Streitlust und Unnachgiebigkeit gegenüber dem Rest der Welt wahrscheinlich verstärken. Bevor sich andere Länder, die USA eingeschlossen, zu dem Vorwurf der Wahlfälschung hinreißen lassen - mitsamt den schwerwiegenden Folgen, welche solch ein Vorwurf mit sich bringen kann - sollten sie unabhängigen Informationen Beachtung schenken. Tatsächlich ist es gut möglich, dass das iranische Volk die Wiederwahl des Präsidenten Ahmadinedschad wollte. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als zunächst die angekündigte Überprüfung der Wahlen abzuwarten. Dabei ist es vollkommen klar, dass wir gegen jegliche Ausübung von Gewalt gegen die Opposition sein müssen. Das ist selbstverständlich; da schließe ich mich allen Vorrednern an. Es ist aber auch nötig, dem besonnenen Vorbild von Obama und Clinton zu folgen, also alle Möglichkeiten der Diplomatie und der Verhandlung mit dem Iran auszuschöpfen. Zweifellos - das zum Schluss - geht der Iran mit einer neuen Epoche, vielleicht mit einer neuen Etappe seiner Revolution schwanger. Diese auszutragen, ist aber allein Sache des iranischen Volkes. Danke sehr. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute in den Iran schauen, dann machen wir uns Sorgen um die Menschen und deren Zukunft; denn zu oft waren politische Konflikte im Iran auch blutige Konflikte. Deswegen bin ich dankbar, dass die Bundesregierung frühzeitig reagiert hat und die Einhaltung der Menschenrechte, die Gewährung der Demonstrationsfreiheit und die Achtung des Rechtes auf freie Medienberichterstattung eingefordert hat. Das war notwendig und rechtzeitig. Ich glaube, dass andere europäische Regierungen gut daran tun, ebenso zu handeln. Mit Blick auf die jüngste Vergangenheit müssen wir wahrnehmen: Das, was im Iran passiert, ist das Spiegelbild einer iranischen Gesellschaft, die wir in den letzten Jahren leider zu wenig wahrgenommen haben. In den Medien und bei uns, in der Politik, haben immer Ahmadinedschad und religiöse Eiferer eine Rolle gespielt, nicht aber der Respekt gegenüber den Iranerinnen und Iranern, die mit Mut - teilweise der Verzweiflung - versucht haben, für ihre individuellen Rechte und insbesondere für dieses große Land Iran einzutreten. Die Kundgebungen und Demonstrationen zum jetzigen Zeitpunkt führen uns die Bedeutung dieser Menschen vor Augen. Wir sollten ihren Einsatz weiterhin mit großem Respekt verfolgen und unterstützen. Ich möchte an die Adresse des Kollegen Paech sagen: Ich finde es zweifelhaft, dass Sie mit einer Art Absolution Ahmadinedschad den Wahlsieg zusprechen. ({0}) Sie gehen damit sogar weiter als der religiöse Führer, der sozusagen nach einem Fingerzeig Gottes immerhin gesagt hat: Lassen wir doch irdische Institutionen darüber befinden, ob bei der Wahl das eine oder andere richtig gelaufen ist. Ich glaube, dass jede einzelne Stimme im Iran gehört werden muss. Wir müssen diese Wahlen und die Menschen schützen. Das tun wir am besten mit dieser Debatte. Ich weiß, dass wir nicht unmittelbar auf die Situation im Iran einwirken können und wollen. Deswegen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Menschen im Iran mit Mut und Selbstbewusstsein tagtäglich versuchen, auf die Situation einzuwirken. Es ist richtig, diese Bemühungen von hier aus zu unterstützen. Die Kundgebungen, die zurzeit in Teheran, Isfahan und an anderer Stelle stattfinden, sind nach meinem Dafürhalten eine Reaktion auf die bemerkenswerten Reden und Taten des amerikanischen Präsidenten. Er hat nicht nur den islamischen Gesellschaften seine Hand ausgestreckt, indem er sagte, dass er ihnen mit Respekt begegne, sondern auch dem Iran angeboten, direkt über das Atomprogramm zu sprechen. Zugleich hat er die gemeinsamen Interessen mit dem Iran betont: im Hinblick auf Afghanistan, die Stabilisierung im Irak und die Situation im Kaukasus. All das sind nach meinem Dafürhalten Anhaltspunkte für eine realistische Politik. Ich bitte die Institutionen im Iran, die so vielfältig sind und nicht nur den Präsidenten repräsentieren, etwa das Parlament, den Schlichterrat oder den nationalen Sicherheitsrat, die ausgestreckte Hand anzunehmen. Zum anderen sollten wir Präsident Obama von Europa aus unterstützen. Mit Blick auf den Besuch der Bundeskanzlerin bei Präsident Obama in der nächsten Woche richte ich deshalb den Appell an die Bundesregierung, diese Nahostpolitik zu unterstützen, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, und die Realitäten so anzunehmen, wie sie sich darstellen. ({1}) Natürlich ist es auch ein Machtkampf innerhalb des Systems - darüber würde ich an dieser Stelle ebenfalls gern sprechen -; da sind die Menschen, die um ihre Stimme kämpfen, und da gibt es wahrscheinlich auch eine Auseinandersetzung zwischen religiösen Gruppen und einer sozusagen neuen politischen Elite, die im achtjährigen iranisch-irakischen Krieg großgeworden ist, die möglicherweise um wirtschaftliche Pfründe kämpft. Das sind kritische Momente, die wir mit aller Sensibilität beachten müssen. Dennoch geht es heute darum, dass aus den Wahlen das wird, was die Menschen wollen. Zu oft machen solche Regimes - davor warne ich auch in Richtung Teheran - Minderheiten, ethnische Minderheiten oder religiöse Minderheiten, zum Sündenbock, möglicherweise auch zum Sündenbock für Aufruhr. Die Frage der Verfolgung zum Beispiel der BahaiGemeinde und anderer ethnischer Minderheiten in diesem Vielvölkerstaat ist so wichtig, dass wir auch von dieser Stelle aus sagen müssen: Sie sind in diesen Tagen, in diesen Minuten genauso bedroht. Wir werden dies aufmerksam beobachten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muss Schluss sein mit der Diskriminierung der Frauen im Iran. - Diesen Satz rief Sahra Rahnavard im Wahlkampf den Menschen entgegen. Wie Sie wissen, ist sie nicht irgendjemand, sondern die Frau des Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi, der derzeit die Proteste im Iran anführt. Der iranische Schriftsteller Navid Kermani, der in Köln lebt, beschreibt in der Süddeutschen Zeitung von gestern in einem flammenden Appell, wie in einer Fernsehdiskussion der beiden Kandidaten - es ist sehr ungewöhnlich, dass so etwas stattfand - die infame Diffamierung Sahra Rahnavards durch Präsident Ahmadinedschad erst zum Auslöser für eine breite Mobilisierung für Mussawi wurde. Nach der Wahl und der - jedenfalls aus Sicht der Demonstrierenden - massiven Fälschung der Wahlergebnisse scheint das Maß jetzt endgültig voll zu sein; Hunderttausende Menschen sind nicht mehr bereit, eine zweite Amtsperiode Ahmadinedschads zu akzeptieren, die möglicherweise auch noch auf einem gigantischen Betrug basiert. Sie fühlen sich um ihre Stimme betrogen, und sie kämpfen für ihre Freiheits- und Bürgerrechte. Ich möchte mich allen anschließen, die gesagt haben: Das müssen wir hier heute unterstützen. Das muss das Signal sein, das aus dieser Aktuellen Stunde in den Iran geht. ({0}) Die Vorgänge in Teheran sind dramatisch, vielleicht historisch - das wissen wir heute noch nicht -; jedenfalls sind es die größten Demonstrationen, die das Land seit der Revolution vor 30 Jahren gesehen hat. Daher ist es wichtig, dass wir heute Stellung beziehen. Es ist sicherlich noch nicht klar, wohin sich die Situation im Iran entwickelt, aber es ist schon im Vorfeld der Wahl und auch jetzt bei den Demonstrationen deutlich geworden, dass die Menschen in Teheran und in anderen Städten mit Mut und Entschlossenheit ihre Rechte einfordern. Da hat sich in der Regierungszeit Ahmadinedschads offensichtlich schon viel Frustration angestaut, die sich jetzt entlädt. Wie auch immer die Situation im Einzelnen zu bewerten ist - ob es auch um einen massiven Machtkampf verschiedener Kräfte des Regimes geht, ob zwischen Mussawi und Ahmadinedschad gar nicht so große Differenzen bestehen, ist im Moment, finde ich, gar nicht so entscheidend -; eines steht auf jeden Fall fest: Im Iran zeigt sich in diesen Tagen eine ganz breite Zivilgesellschaft mit einem sehr ausgeprägten Bewusstsein Kerstin Müller ({1}) für ihre Freiheitsrechte, für die sie sich trotz der Gefahren und Risiken mutig einsetzt. Das ist ein sehr starkes Signal. Es rächt sich jetzt - ich will das hier nachdenklich sagen -, dass die internationale Gemeinschaft den Iran viel zu lange nur durch die Brille des Nuklearstreits - so möchte ich es einmal ausdrükken - gesehen hat. Ich sage das als jemand, die damals als Staatsministerin ganz klar dafür war, dass wir diese Dialogpolitik betreiben, und die der Meinung war, dass es ein zentrales Anliegen der internationalen Politik sein muss, die Nuklearisierung zu verhindern; keine Frage. Aber es war falsch, dass dabei die Menschenrechtslage so völlig aus dem Blick geraten ist und quasi als nachrangige Frage behandelt wurde. Ich gebe ein Beispiel: Kampf für die Frauenrechte. Seit Jahren sammeln Aktivistinnen im ganzen Land Unterschriften im Rahmen der „5-Millionen-UnterschriftenKampagne“ zur Verbesserung der Rechte der Frauen. Über 60 Prozent der Studierenden im Iran sind Frauen. Sie sind jetzt offensichtlich nicht mehr bereit, die Diskriminierung hinzunehmen. Sie sind sehr enttäuscht über die wahrscheinliche Wahlfälschung, für die es ziemlich eindeutige Hinweise gibt. Auch die allgemeine Menschenrechtslage hat sich unter Ahmadinedschad verschlechtert, ist finster wie nie zuvor. Das hat der jüngste Jahresbericht von Amnesty International noch einmal ausdrücklich bestätigt. Ich meine, einen Fehler dürfen wir jetzt in dieser Lage nicht machen: Wir dürfen jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und business as usual betreiben. Es gibt den einen oder anderen Experten, der das will und beschwichtigt, indem er sagt: Na ja, wahrscheinlich war es Wahlfälschung, aber nicht in diesem Umfang - so ähnlich wie Sie heute, Herr Kollege Paech -, wegen der konservativen Landbevölkerung könnte Ahmadinedschad auch gewonnen haben. Es gibt sogar die Aussage, Ahmadinedschad sei im Hinblick auf die Verhandlungen im Atomstreit der bessere Verhandlungspartner, weil er als konservativer Politiker entsprechende Ergebnisse besser ins System vermitteln kann. Auch Sie, Herr Polenz, haben heute noch einmal gesagt, es sei nicht so entscheidend, ob Ahmadinedschad im Amt bleibt; denn in der Frage des Atomprogramms liege die Macht beim geistlichen Führer. Das mag zwar richtig sein, aber ich möchte hier wirklich einmal die Frage stellen, ob es in dieser Situation, angesichts von Tausenden von Menschen, die unter hohem Risiko auf die Straße gehen, angesichts massiver Zensur und des heute erfolgten Verbots der Berichterstattung durch ausländische Journalisten, richtig ist, wenn wir von der internationalen Seite das Ganze weiter von außen nur unter dem Gesichtspunkt des Nuklearstreits sehen. Ich finde, das dürfen wir nicht. ({2}) Vielmehr müssen wir ins Zentrum unserer Überlegungen auch die Lage der Menschenrechte stellen. Ich glaube, alles andere würde schräg ankommen. Exiliraner haben sich ja schon beschwert und gefragt, wieso es nicht genügend Unterstützung gibt. Man erwarte und benötige entsprechende Signale. Ich möchte noch etwas hinzufügen. Wir wissen heute nicht, wie das Ganze ausgehen wird. Der Ausgang ist offen. Möglicherweise wird dieser demokratische Aufbruch niedergeschlagen. Ein Tiananmen II ist vorstellbar; jedenfalls sagen das alle. Wir wissen es nicht. Vielleicht entwickelt es sich auch zum Guten. Ich finde aber, in einer derart offenen Situation dürfen wir nicht signalisieren, dass wir in jedem Fall den Dialog fortführen, egal was im Iran passiert, egal wer an der Macht ist. Ob wir weiterhin entsprechende Dialogangebote unterbreiten, müssen wir meiner Meinung nach von der Situation abhängig machen. Wenn sich der Vorwurf der Wahlfälschung erhärtet, gehört möglicherweise auch die internationale Iran-Politik auf den Prüfstand. In dieser Situation müssen wir jetzt als Erstes und vorrangig - das haben hier ja auch viele gesagt - Solidarität mit der Reformbewegung zeigen und außerdem ganz klar sagen, dass wir in Zukunft das Thema der Menschenrechte auf die internationale Agenda setzen werden. Wenn also schon ein Dialog geführt wird, dann muss auch dieses Thema Bestandteil des Dialogs werden. Das wäre meines Erachtens das Mindeste. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Eduard Lintner für die Unionsfraktion.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es wurde schon darauf hingewiesen, dass es ernsthafte und sehr konkrete Hinweise auf Manipulationen des Wahlergebnisses gibt, dass insbesondere die Höhe des Ergebnisses für Ahmadinedschad unglaubwürdig ist. Dieses und die brutale und zugleich umfassende Unterdrückung der Protestierenden durch die Regierung erzwingen geradezu, dass sich Parlamente wie der Deutsche Bundestag mit dem Geschehen im Iran befassen. Ich gebe dem Kollegen Polenz völlig recht: Wir haben die Pflicht, die internationale Aufmerksamkeit auf den Iran zu lenken, um auf diese Art und Weise vielleicht denen zu helfen, die jetzt in der Tat mit bewundernswertem Einsatz von Leben und Gesundheit, Freiheit und Wohlergehen im Iran dafür kämpfen, dass künftig demokratische Rechte auch dort respektiert werden. ({0}) Herr Dr. Paech, es hat - es tut mir leid, das sagen zu müssen - schon etwas peinlich geklungen, als Sie hier den Versuch unternommen haben, jetzt schon das Ergebnis zu rechtfertigen. Unlogisch und genauso peinlich war es, als Sie im zweiten Teil Ihrer Rede davon gesprochen haben, man müsse erst einmal abwarten. Meiner Meinung nach sollten wir hier Einigkeit an den Tag legen und nicht irgendwelche Ausflüchte zulassen. Auch mir liegen natürlich die Umfrageergebnisse vor. Sie sind zwar mit aller Vorsicht zu betrachten, aber alle weisen doch darauf hin, dass es eigentlich nicht sehr wahrscheinlich war, dass der amtierende Präsident bereits im ersten Wahlgang die notwendige absolute Mehrheit für sich gewinnen konnte. Wie wir alle wissen steht die Regierung des Irans im Brennpunkt des Interesses, aber eben auch der Sorge der internationalen Politik. Vor allem das Atomprogramm Teherans und die Drohungen von Präsident Ahmadinedschad gegen Israel lassen im Hinblick auf mögliche Reaktionen geradezu alle Alarmglocken schrillen. In diesen Konflikt ist zwar durch die Initiativen der neuen US-Administration - es ist schon darauf hingewiesen worden jüngst Bewegung gekommen. Die Hoffnung auf einen friedlichen Ausweg hat sich dadurch Gott sei Dank etwas belebt. Aber der angeblich so hohe Sieg des amtierenden Präsidenten schon im ersten Wahlgang begründet doch die Befürchtung, er und seine Anhänger könnten genau dieses unwahrscheinliche Resultat als Aufforderung zu einer noch aggressiveren Politik einer atomaren Bewaffnung interpretieren. Andererseits beschädigen auch nicht bewiesene, aber plausible Zweifel an der Wiederwahl die Legitimationsbasis des Regimes. Diese Zweifel, zusammen mit der brutalen, gewaltsamen Unterdrückung von Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht, erschweren es zudem jeder westlichen Regierung, gegenüber der eigenen Öffentlichkeit Kompromisse mehrheitsfähig zu machen. Zwar bekennen sich - es ist schon darauf hingewiesen worden - auch die anderen Kandidaten zur Nutzung von Nukleartechnik durch den Iran; aber ihre Priorität liegt ganz offenbar in einer anders orientierten, dem Wohl der Bevölkerung verpflichteten Wirtschaftspolitik. Mit dieser Zielrichtung, die zweifellos im Interesse der ganz überwiegenden Mehrheit der Menschen im Iran läge, ist die Chance zu mehr Kooperation mit dem Westen verbunden. Dies würde eine Reduzierung der Spannungen ermöglichen, auch über den Weg der Rücknahme von Sanktionen gegen den Iran, und könnte eine Entspannung und Hilfe bedeuten. Es steht, wie wir alle wissen, auch viel auf dem Spiel, was das Verhältnis des Iran zu seinen Nachbarn in der islamischen Welt angeht. Die ideologische und realpolitische Führungsrolle, die Ahmadinedschad und seine Anhänger anstreben, verschärft ganz entscheidend die Gefahr eines nuklearen Wettrüstens in dieser schon jetzt so spannungsreichen Region. Auch was Israel angeht, kann man nur auf ein Einlenken des Iran hoffen. Denn die existenzielle Bedrohung des Staates Israel, nicht nur verbal, sondern auch mit realen Mitteln, birgt die Gefahr einer von uns allen nicht erwünschten drastischen Reaktion in sich. All das sind Gründe, die es zwingend erforderlich machen, dass die Legitimität der Führung des Iran zweifelsfrei geklärt wird. Dazu bedarf es des Rechts einer ungestörten Überprüfung und der wahrheitsgemäßen Feststellung des Wahlergebnisses. Religion und religiöse Führer auch im Iran sollten sich immer der Wahrheit verpflichtet fühlen. Diesem Anspruch sollte sich der oberste Führer Chamenei bei seinem Urteil über die Korrektheit der Wahl im Iran verpflichtet fühlen. Die Wahrung der demokratischen Rechte in seinem Land und die Gewährleistung von Presse- und Versammlungsfreiheit könnten ihm dabei hilfreich sein. Wir hoffen auf seine Einsicht und darauf, dass er sich letztlich auch dem friedlichen Zusammenleben der Völker, zumindest in der Region, verpflichtet fühlt. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hans-Ulrich Klose für die SPD-Fraktion.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es dem Kollegen Paech missfällt, muss ich doch ein paar Bemerkungen zu dem Ergebnis machen. Ich habe mir die Zahlen von 2005 noch einmal angesehen und diese mit den Zahlen von diesem Jahr verglichen. Das ist sehr aufschlussreich. Im Jahr 2005 hat Ahmadinedschad im ersten Wahlgang, in dem es mehrere Kandidaten gab, 5,7 Millionen Stimmen bekommen. Erst im zweiten Wahlgang, als es nur noch zwei Kandidaten waren, hat er - das galt damals als Kantersieg - circa 16 Millionen Stimmen bekommen. Dieses Jahr, im Jahr 2009, nachdem Ahmadinedschad in seinem eigenen Land erheblich an Zustimmung verloren hat, hat er im ersten Wahlgang - so wird behauptet - 23,7 Millionen Stimmen erhalten, doppelt so viele wie Mussawi und ein Vielfaches von Resai und Karrubi, sogar in deren Heimatbezirken. ({0}) Ich weiß nicht, ob die Zahlenangaben der Opposition stimmen; auch da gibt es unterschiedliche Angaben. Aber ich bin mir ziemlich sicher, Herr Kollege Paech, dass die jetzigen Zahlen für Ahmadinedschad nicht stimmen, sondern frei - oder sollte ich lieber sagen: willkürlich? - erfunden sind. ({1}) Ich habe großen Respekt vor denen, die das im Iran ganz laut und deutlich sagen und für ihre Überzeugung auf die Straße gehen. Diese Menschen trotzen der Gewalt und fordern ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ein. Die Bilder prügelnder Milizionäre erschrecken und empören mich. Aber die Bilder von einzelnen Polizisten, die sich schützend vor die Demonstranten stellen - auch solche Bilder gibt es -, nähren die Hoffnung auf Veränderung. Wird es im Iran schnelle Veränderungen geben? Ich kann es nicht sagen, weil ich nicht weiß, wie der gegenwärtige Machtkampf im Iran - es handelt sich um einen Machtkampf - ausgeht. Ahmadinedschad scheint sich seines Sieges sehr sicher zu sein. Wahrscheinlich weiß er: Wenn er fällt, fallen möglicherweise auch Chamenei, der religiöse Führer, und das gesamte System. Ich glaube nicht, dass es passiert. Aber möglich ist es. Was können wir tun? Wir können dreierlei tun: Erstens. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei dem Konflikt in Teheran um einen iranischen Machtkampf handelt, bei dem westliche Einmischung wenig hilfreich, vielleicht sogar kontraproduktiv ist. ({2}) Auftrumpfende Rhetorik, zu der wir in Zeiten der Empörung manchmal neigen, könnte in dem Konflikt eher von unserem Interesse ablenken und den Westen als Feindbild erscheinen lassen. Zweitens. Nachdem die öffentlichen Informationskanäle gesperrt sind, müssen die privaten offen gehalten werden, damit die Welt weiterhin sieht, was im Iran geschieht. Drittens. Wir müssen denen helfen, die als Asylbewerber zu uns kommen. Es werden, so fürchte ich, viele sein. Was tun die westlichen Regierungen? Sie beobachten die Lage, äußern ihre Besorgnis und bestellen - wenn es hochkommt - Botschafter ein. Das ist nicht wenig, aber auch nicht viel. Die Ehrlichkeit gebietet, hinzuzufügen, dass die Regierungen viel mehr gar nicht tun können und - wie im Falle der US-Regierung - offenbar nicht mehr tun wollen. Präsident Obama will trotz allem sein Dialogangebot an den Iran aufrechterhalten. Ist er deswegen zu tadeln? Wenn es nach mir geht: nein. Denn er weiß, dass wir, um die Welt zu verändern, auch mit denen reden müssen, die Unerfreuliches und Böses tun oder planen. Das nennt man gemeinhin Realitätspolitik. Meist ist das abschätzig gemeint. Prinzipienlos ist diese Art von Politik aber nicht. Denn getragen und gerechtfertigt wird sie von dem und durch das Prinzip Hoffnung - Hoffnung auf Veränderung auch im Iran, wenn nicht heute, dann doch vielleicht morgen. Das erinnert mich - verzeihen Sie das einem älteren Kollegen - an zwei Gedichtzeilen von Gottfried Benn: Kommt, reden wir zusammen. Wer redet, ist nicht tot. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder von der CDU/CSU-Fraktion.

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich allen Rednern mit Ausnahme des Redners von der Linkspartei anschließen, was die Unterstützung und eine gemäßigte Solidarität mit den Demonstranten in Teheran angeht. Wir müssen natürlich genau schauen, aus welchen Motiven dort die Demonstrationen stattfinden und welche Interessenlage dahintersteckt. Ich bin in der vergangenen Woche von Donnerstag bis Sonntag mit einer größeren Gruppe von jungen Nachwuchspolitikern aus Deutschland in Israel gewesen und habe in zahlreichen Gesprächen mit israelischen Freunden, egal welcher parteipolitischen Couleur - ob Likud, Kadima oder Arbeiterpartei -, oder auch mit Journalisten und jungen Soldatinnen und Soldaten festgestellt, dass in Israel schon im Vorfeld der Wahlen die Erwartungshaltung, dass sich irgendetwas verändert, nicht existent war. Das soll keine Unterstützung der These von Herrn Paech sein; damit Sie mich nicht falsch verstehen. Ich meine, dass die Erwartungshaltung, das Verhältnis zwischen Israel und dem Iran würde sich nach den Wahlen in irgendeiner Form ändern, in Israel sehr gering ist. So gab es in Israel dann auch unterschiedliche Reaktionen auf das Wahlergebnis. Einerseits war es natürlich ein Schock, mit welcher Dreistigkeit dieses Regime vorgeht und sich selbst damit demaskiert. Andererseits wurde dieses Ergebnis mit einer gewissen Form von Resignation und Gleichgültigkeit aufgenommen. Denn man hat gesagt: Es ändert sich sowieso nichts. Das ist allerdings nicht unsere Position. Wir hoffen, dass sich etwas ändert. Frau Kollegin Müller hat es gesagt - ich möchte es ergänzen -: Wir hoffen, dass sich nicht nur im Bereich der Menschenrechte etwas ändert, sondern natürlich auch in Bezug auf die Akzeptanz des Staates Israel. Dass das natürlich nicht Gegenstand von Demonstrationen in Teheran ist, leuchtet jedem ein. Aber dass in dem Dialog, der in Zukunft seitens der Amerikaner und der Europäer stattfinden soll, darauf geachtet werden muss, was die Oppositionellen im Iran in Bezug auf den Staat Israel vertreten, ist für mich nach wie vor eine wichtige Bedingung für Gespräche und ist für die Einschätzung des Ausgangs der Gespräche mit dem Iran zentral. Man muss natürlich ernst nehmen, dass sich die wirtschaftliche Situation im Iran verändert hat; denn hier besteht ein enger Zusammenhang mit den Angeboten eines Dialogs in den nächsten Monaten und Jahren. Die Stärke der Oppositionsbewegung im Iran hängt sehr eng mit der wirtschaftlichen Lage zusammen. Gerade deshalb ist es nicht sinnvoll, jetzt mit weiteren Sanktionen zu drohen. Das möchte ich nicht tun. Ich möchte aber, dass man zunächst einmal auf das rekurriert, was bereits aktuell beschlossen worden ist und Politik der Weltgemeinschaft gegenüber dem Iran sein sollte, nämlich dass wirtschaftliche Beziehungen immer auch unter moralischen Gesichtspunkten gesehen werden sollten. Ich habe sehr große Zweifel, ob Deutschland alles tut, was man tun könnte, um dem Regime von Ahmadinedschad, dessen Grausamkeit sich in den letzten Tagen offenbart hat, in ausreichender Weise entgegenzutreten. Ich verweise auf einen Gastkommentar von Benjamin Weinthal in der Financial Times Deutschland, der ausdrücklich auf die Rolle der deutschen Wirtschaft in diesem Zusammenhang hinweist. Trotz aller positiven Erwartungen, die in der Debatte an die iranische Opposition geknüpft worden sind, dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass wir selber in Deutschland einen Beitrag leisten können, um das Regime von Ahmadinedschad zu destabilisieren. Wir sollten die deutsche Wirtschaft zu jedem Zeitpunkt fragen, ob ihr ausgeprägter Handel und der Technologietransfer, den es an vielen Stellen noch gibt, nicht eine Sauerstoffzufuhr für das Regime von Ahmadinedschad sind. Ich glaube, dass wir das sehr ernst nehmen müssen. Dies konterkariert auch nicht das, was Obama in Amerika vertritt. Denn es ist doch so, dass unsere Kolleginnen und Kollegen im amerikanischen Kongress in den vergangenen Monaten massiv über die Ernsthaftigkeit wirtschaftlicher Sanktionen diskutiert haben und dass das in Amerika gerade mit Blick auf europäische Unternehmen ein durchaus tagesaktuelles Thema ist. Wir dürfen in der Debatte über den Iran nicht außer Acht lassen, welche Interessen sich letztendlich für unsere deutsche Außenpolitik mit dem Iran verknüpfen und ob das, was wir vom Iran einfordern und was wir tun, tatsächlich zum Handeln der deutschen Wirtschaft passt. Ich wollte diese Gelegenheit nutzen, zumindest auf diese Schwachstelle unserer Außenpolitik hinzuweisen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Jung von der SPD-Fraktion.

Johannes Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003779, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns bei der Bewertung von Wahlen mittlerweile den OSZE-Jargon angewöhnt: Free and fair oder eben nicht free and fair. Die alarmierenden Berichte über Manipulationen und Fälschungen bei der Wahl im Iran häufen sich, und die Vorwürfe erhärten sich. Ahmadinedschad lag - das wissen wir nicht genau, aber es lässt sich aufgrund der Informationen, die uns vorliegen, doch ein Stück weit berechnen - in der ersten Runde dieser Wahl möglicherweise vorne, aber ganz sicher lag er nicht bei über 50 Prozent. Alles Weitere wäre dann offen gewesen. Das ist aber zum Teil Spekulation. Die Manipulationen und die Proteste gegen diese Manipulationen sind ein dramatischer Anlass, um hier und heute über Iran jenseits der Nutzung von Nuklearenergie zu debattieren. Iran ist ein gespaltenes Land: modern und archaisch, weltgewandt und abgeschottet, vom Westen fasziniert und vom Westen unter Druck gesetzt. Vor allem ist der Iran aber eine Theokratie, die massive Technologieprobleme hat. Diese Probleme sind dadurch eingetreten, dass der Bereich der Außenwirtschaftspolitik eben nicht so ist, wie mein Vorredner das in seiner Schlusssentenz, mit der er sich Herrn Dr. Paech wieder ein wenig angenähert hat, beschrieben hat. Das führte vor allem dazu, dass der Rohölexporteur Iran heutzutage Benzin importieren muss und die Regierung keine Möglichkeit mehr hat, die Lebensbedingungen der eigenen Bevölkerung zu verbessern. Die Auftritte von Ahmadinedschad in der Windjacke der kleinen Leute verfangen nicht mehr, weil diese Imitation durchschaut wurde. Auch die Wahlgeschenke seiner Regierung verfangen nicht mehr. Der Crashkurs in der Innen-, der Wirtschafts- und der Außenpolitik zeigt Wirkung gegen den bisherigen Präsidenten. Allerdings ist unsere Wahrnehmung vermittels der Diaspora, der Exilanten und der Oppositionellen über die Lage im Iran häufig einseitig, und unsere Prognosen sind oft Wunschdenken in Richtung eines Systemwechsels. Hinter den Fassaden lauert ein kompliziertes Herrschaftssystem, das ausschließlich vom Regime lizenzierte Kandidaten zu dieser Wahl zugelassen hat - dazu gehört auch Mussawi -, die verschiedene Fraktionen des Gottesstaates repräsentieren und allenfalls zu Veränderungen innerhalb dieses Systems bereit sind, was allerdings schon große Fortschritte bedeuten könnte. Das müssen wir bedenken, wenn wir über die möglichen Sieger und Verlierer dieser sogenannten Wahl sprechen. Wir alle verfolgen mit großer Spannung die aktuellen Meldungen aus Iran. In diesen Tagen wird sich zeigen, ob der Druck der Bürgerinnen und Bürger groß genug wird, um die Theokraten zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen, um sie wenigstens dazu zu zwingen, im Sinne des eigenen Machterhalts pragmatisch zu reagieren, das heißt eine Überprüfung dieser Wahl und eventuell mehr Freiheit und Menschenrechte zuzulassen. Unsere Sympathie und unsere Solidarität sind auf der Seite derjenigen, die nun die Macht der Machthaber und deren Legitimation mutig infrage stellen und dazu ihren eigenen Kopf im eigenen Land hinhalten. ({0}) Unsere Aufgabe muss es sein, den Schutz der Menschenrechte auch in dieser teils eskalierenden Lage einzufordern. Im Iran sind Menschenrechte, Freiheitsrechte, Versammlungsfreiheit sowie Pressefreiheit permanent und nicht erst seit diesem Wahltag gefährdet. Die schon erwähnten Steinigungen und das öffentliche Hängen sind der hässlichste Ausdruck dieser Zwangslage. Zur Lage der Minderheiten im Iran haben wir vor kurzem eine Anhörung im Menschenrechtsausschuss durchgeführt. Die Lage der Minderheiten wird nicht besser, wenn die politische Lage der Mehrheiten so ist, wie sie sich in diesen Tagen offenbart. Deshalb fordern wir die sofortige Freilassung der Inhaftierten, die Untersuchung der Todesfälle bei den Protesten und die Überprüfung dieser Wahl. Freie Berichterstattung muss zugelassen werden. Das ist aus meiner Sicht fast die dringendste Forderung an diesem Tag. Bei Totalmanipulation müssten wir eigentlich Neuwahlen fordern. Ein Regime, das sich bedroht sieht, wählt oft die Eskalation nach innen und nach außen. Das Regime will mit allen Mitteln Informationen und Opposition unterdrücken. Eine klare Strategie der Repression tritt hier zutage, die Iran möglicherweise in noch mehr Brutalität, in noch tiefere innere Gegensätze und in weitere Isolation führen wird. Entscheidend aber ist: Der Staat, nicht die Gesellschaft ist isoliert, und zwar auch dank moderner Technologie, die sich eben doch nicht einfach abschalten lässt. In meinem Büro und wahrscheinlich auch in Ihren Büros besteht auch am heutigen Tag ein Kontakt in dieJohannes Jung ({1}) ses Land. Das ist die realistische Hoffnung für Iran. Hier müssen wir politisch weiterarbeiten. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns klug und bestimmt dazu beitragen, dass wir in zehn Jahren den Jahrestag einer Wende zum Besseren und nicht den Gedenktag einer blutig niedergeschlagenen Bürgerbewegung in Iran begehen werden. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von der CDU/CSU-Fraktion.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Where is my vote?“ - Wo ist meine Stimme? -, das ist der Ruf der Demonstranten, der seit Tagen durch die Straßen von Teheran, Isfahan und anderen Städten im Iran schallt. In dieser Aktuellen Stunde haben wir eine Aufgabe zu erfüllen: Wir müssen dazu beitragen, dass die Stimme derjenigen, die im Iran auf die Straße gehen und unter widrigsten Umständen für ihre Rechte eintreten, gehört wird und zählt. Mit einer Ausnahme habe ich alle Redner über die Parteigrenzen hinweg so verstanden, dass es darum geht, diejenigen, die im Iran ihre Stimme erheben, zu unterstützen. Herr Kollege Paech, es ist schwierig, Ihren Argumenten zu folgen. Unabhängig davon, wie die Umfrageergebnisse am Tag vor der Wahl ausgesehen haben mögen, finde ich, dass es ein logisches und ein demokratietheoretisches Argument gibt, das gegen Ihre Argumentation spricht. Das erste Argument lautet: Wenn Ahmadinedschads Vorsprung sehr groß war, warum sollte es dann notwendig gewesen sein, das Wahlergebnis zu fälschen? Es macht relativ wenig Sinn, ein Wahlergebnis zu fälschen, wenn man weiß, dass man ohnehin eine große Mehrheit erzielt. Das zweite Argument ist für mich noch viel wichtiger. Wenn es um die Frage geht, ob Herr Ahmadinedschad oder Herr Mussawi die Wahl gewinnen soll, habe auch ich eine Präferenz. Vielleicht gilt das auch für viele Menschen im Iran. Es kommt aber auf eines an: Unabhängig davon, wie groß der Vorsprung eines Kandidaten in einer Umfrage ist, darf dies niemals der Grund sein, einen Wahlgang zu manipulieren nach dem Motto: Die Wahl hätte ohnehin dieses Ergebnis gehabt. Ich erlebe immer wieder, dass dieses Argument vorgetragen wird. Ich finde es fatal, dass wir uns daran gewöhnt haben, zu sagen: Es mag sein, dass die Wahl manipuliert worden ist. Am Ergebnis ändert das aber nichts. Diese Einstellung dürfen wir uns nicht zu eigen machen. Kollege Hoyer hat völlig recht: Manchmal schätzen wir den Wert der einzelnen Stimme in der Demokratie zu wenig. ({0}) Es ist bemerkenswert, dass die Demonstrationen, die gegenwärtig stattfinden, eine lange Geschichte haben; darauf hat der Kollege Paech zu Recht hingewiesen. Vor ziemlich genau zehn Jahren fanden schon einmal große Demonstrationen im Iran statt. Damals wie heute nahmen daran sehr viele junge Leute teil, insbesondere Studenten. Die Studenten gehören heute übrigens zu der Bevölkerungsgruppe, die am meisten unter der Situation zu leiden hat. An den Universitäten sind sie großen Repressionen ausgesetzt, und sie müssen mehr als andere Verfolgung fürchten. Die intellektuelle Elite des Landes war damals und ist heute die treibende Kraft bei der Auseinandersetzung mit den unter dem iranischen Regime herrschenden Verhältnissen. Führt man sich die demografische Situation im Iran vor Augen, stellt man fest: Das ist nicht verwunderlich. Der Iran ist ein extrem „junges“ Land. 70 Prozent der Iraner sind jünger als 30 Jahre. Diese Iraner haben keine direkten Erfahrungen aus den Jahren der Revolution und keine direkten Erfahrungen mit den Auswirkungen des Schah-Regimes gemacht. Sie kennen nur die Realität des iranischen Gottesstaates. Diese Realität ist für die jungen Menschen, die über den Tellerrand schauen und die wollen, dass ihre Stimme gehört wird, nicht akzeptabel. Unsere Aufgabe ist es, diesen jungen Menschen eine Stimme zu verleihen. Dazu kann auch diese Aktuelle Stunde am heutigen Nachmittag einen Beitrag leisten. ({1}) Ich habe gerade versucht, deutlich zu machen: Es geht nicht nur um die Frage, wie die Präsidentschaftswahl im Iran letztlich ausgeht - natürlich ist das wichtig; auch ich habe, wie gesagt, eine Präferenz -, sondern es geht auch und vor allem darum, dass sich herausstellt, dass diese Wahl frei und fair durchgeführt und jede Stimme gezählt wurde. Auch wenn an der Haltung des amerikanischen Präsidenten Kritik geübt worden ist, muss ich sagen: Ich finde sein Vorgehen klug. Er hat deutlich gemacht, dass sein Angebot der ausgestreckten Hand unabhängig vom Wahlausgang gilt. Hätte der amerikanische Präsident dem Herausforderer Mussawi das Mäntelchen „Bevorzugter Kandidat des Westens“ umgehängt, hätte dies Ahmadinedschad, dem Wächterrat und all denen, die auf Beibehaltung des Systems beharren, die Möglichkeit eröffnet, diesen Kampf auf einen Platz zu tragen, auf den er nicht gehört. Dann hätten sie argumentieren können, dass der Iran gegen den bösen Westen kämpft, anstatt eine Auseinandersetzung mit ihren Kritikern innerhalb des eigenen Systems führen zu müssen. Ich finde, das ist genau die richtige Haltung. Wir sollten - bei aller Klarheit, die wir im Hinblick auf diejenigen, die dort unter widrigen Umständen für Demokratie und Menschenrechte eintreten, haben müssen - eine kluge Haltung einnehmen. Ich halte diese Haltung für klug. Mir macht große Hoffnung, dass es den jungen Menschen offensichtlich gelungen ist, Medien zu finden, die sich nicht staatlich kontrollieren lassen. Eine deutsche Zeitung hat es sehr schön ausgedrückt mit: „Der Iran twittert plötzlich Morgenluft.“ Hoffen wir und helfen wir mit, dass möglichst oft und möglichst viel Morgenluft weht! Danke sehr. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Stimmzettel wollten Millionen von Iranerinnen und Iranern das politische Leben in ihrem Lande verändern; das war ihr Ziel. Deswegen sage ich: Es darf kein zynisches Verhältnis zum Wahlakt geben, und es darf auch kein instrumentalisiertes Verhältnis zum Wahlakt geben. Der Wahlakt ist originär und authentisch. Genau das zeigt sich jetzt im Iran. Die Menschen - diejenigen, die auf die Straße gehen - haben gewusst, geahnt, gefürchtet, dass Ahmadinedschad gewinnt. Aber sie wollen damit ihren Willen, einen anderen Weg zu gehen, zum Ausdruck bringen. Das ist, glaube ich, die Qualität dessen, was wir jetzt auf den Straßen von Teheran, von Isfahan und allen anderen großen Städten im Iran sehen. Wie auch immer das Regime die Stimmen gewertet hat - ob es sie tatsächlich gezählt hat oder ob es, was wahrscheinlich ist, das Ergebnis gefälscht hat -, wie auch immer sich das Regime mit Gewalt gegen diesen friedlichen Aufstand wehrt: Der Wille, Veränderungen herbeizuführen, ist nicht gebrochen, und er wird auch nicht gebrochen werden. Die Kinder der Revolution - darauf wurde eben zu Recht hingewiesen - sind Nachfahren der Revolutionäre von 1979. Sie lehnen sich auf gegen die Verachtung, die ihnen von oben entgegenschlägt. Das ist das, was Ahmadinedschad repräsentiert: Er verachtet die Menschen. Das ist genau der Grund, warum sie sich auflehnen. Was sich hier Bahn bricht, ist die Selbstachtung der Menschen. Die Menschen wehren sich gegen diesen Versuch, die Stimme des Einzelnen zu missachten. Ich finde, was jetzt auf den Straßen in Iran geschieht, hat eine große demokratische Qualität. Der große iranische Filmregisseur Mohsen Makhmalbaf hat das in der Süddeutschen Zeitung von gestern so bewertet: Die Menschen haben verstanden, dass sie mit einer Stimme - mit ihrer Stimme das Regime dazu zwingen können, zum Fälscher zu werden. Das ist jetzt offenbar geworden. Das ist ein Prozess, der nicht mehr gestoppt werden kann, selbst wenn das mit Gewalt versucht werden wird. Weil dieser Wahlakt bewusst vollzogen wurde, lassen sich die Menschen nicht mehr einschüchtern. Es gab einen Schlüsselpunkt in der Fernsehdebatte zwischen Ahmadinedschad und Mussawi. Ahmadinedschad hat ein Foto von Mussawis Frau in die Kamera gehalten und gesagt: Diese Frau hat Diplome gefälscht, hat ihre Diplome nicht rechtmäßig an den Hochschulen erworben. Da ist dieser eher zurückhaltende Mussawi geradezu auseinandergebrochen. In einer gefühlsbetonten Auflehnung hat er sich vor seine Frau gestellt und gesagt: „Ahmadinedschad, Sie sind ein Lügner!“ Das haben die Menschen beobachtet, und sie haben es aufgenommen. Genau an diesem Punkt ist deutlich geworden, dass sich die Menschen im Iran von einem solchen Politiker, der jetzt wieder Präsident hat werden wollen, nicht länger belügen lassen wollen. Diesen Lügen wird nicht mehr geglaubt. Das wird in diesem Wahlakt und in der Auflehnung gegenüber der Verachtung deutlich. Ich finde, hier findet ein atemberaubender Prozess statt. Deswegen sagen wir hier im Deutschen Bundestag: Wir wollen, dass die Menschen nicht verachtet werden, wenn sie ihre eigene Stimme abgeben wollen, um mit ihr deutlich zu machen, dass der Iran und sie selber einen anderen Weg gehen wollen als diese Gruppe von Menschen, die sie verachtet. Ich glaube, das ist die große Qualität bei diesem Wahlakt. ({0}) Vielleicht darf ich das an diesem Punkt zum Schluss auch noch sagen: „Persiankiwi“ - Sie haben ihn eben indirekt zitiert - ist jemand, der wahrscheinlich in Teheran ist und die Menschen durch „Zwitschern“ - also mit diesem neuen, modernsten Medium - informiert. Durch dieses „Zwitschern“ mithilfe des modernsten Mediums werden die Menschen direkt miteinander verbunden. Keine Staatsmacht kann sich mehr dagegen wehren. Das geschieht jetzt im Iran. Die Menschen im Iran haben jetzt einen ersten Schritt bei dem Versuch unternommen, den Aufbau ihrer eigenen modernen Demokratie zu realisieren. Das ist auch das, was wir uns wünschen. Dieser Versuch soll gelingen. Hoffnung soll die Chance im Iran werden. Es darf nicht zu Verzweiflung, Angst und dem „Ende der Hoffnung“, wie Kornelius gestern in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat, kommen. Vielmehr ist das der Anfang eines neuen Prozesses, der zu einem anderen Iran führen wird. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ute Granold von der CDU/ CSU-Fraktion.

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir führen heute die Aktuelle Stunde zur Situation des Iran nach der Wahl durch. Ich bin dankbar dafür, weil wir damit auch einmal in das andere Gesicht des Iran schauen sollten. Wie sieht die Situation der Menschen in diesem Land aus, seit der Präsident an der Macht ist? Vor vier Jahren kam er an die Macht, und bereits nach einem Jahr endete die Kommunalwahl mit einem schlechten Ergebnis für ihn. Das war ein Zeichen dafür, dass die Menschen mit seiner Politik nicht zufrieden sind. Das hat sich jetzt fortgesetzt. Es geht schon längst nicht mehr um das Ergebnis der Wahl, sondern es geht darum, dass sich die Menschen gegen die atomare Großmannssucht, gegen den Vernichtungskampf gegen Israel, gegen die Drohgebärden gegenüber Washington und dagegen auflehnen, dass Menschenrechte und Bürgerrechte mit Füßen getreten werden. Wenn man in die iranische Verfassung hineinschaut - darin stehen Freiheitsrechte und Bürgerrechte -, dann könnte man auf den ersten Blick meinen, dass dies ein Staat ist, mit dem man durchaus in Kontakt bleiben und leben kann. Alles steht aber unter dem Licht des Menschenrechtsverständnisses gemäß den islamischen Prinzipien. Was heißt das? Alle Gesetze, auch die Verfassung, müssen im Einklang mit diesen islamischen Prinzipien stehen. Das heißt im Konkreten, dass nach iranischer Rechtsauffassung die Verhängung und Vollstreckung von Körperstrafen, das heißt Peitschenhieben und Amputationen, und die Todesstrafe, zum Beispiel durch Steinigung - das wurde vorhin schon einmal angesprochen -, auch gegen zur Tatzeit Minderjährige, rechtmäßig ist und dass die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen im Prozess, im Familienrecht und im Erbrecht nicht als ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz angesehen wird. Wir als Menschenrechtspolitiker - es sind ja eine Reihe von Kollegen heute hier; unser Ausschuss tagt gerade, aber es ist uns als Menschenrechtspolitiker wichtig, hier zum Iran zu sprechen - thematisieren und kritisieren die Situation im Iran seit vielen Jahren. Vor kurzem haben wir im Menschenrechtsausschuss eine Anhörung zur Situation der Minderheiten im Iran durchgeführt. Das, was wir gehört haben, war erschreckend. Die Bahai wurden angesprochen. 300 000 Menschen im Iran leben als nicht anerkannte Religionsgruppe. Sie werden verfolgt. Es finden Übergriffe auf Kinder und Jugendliche in den Schulen statt; sie erhalten keinen Zugang zu den Universitäten. Es gibt jetzt einen Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch, in dem der Abfall vom Islam unter Todesstrafe gestellt wird. Es gibt Verhaftungen. Eine ganze Reihe von Repräsentanten der Bahai sitzt in iranischen Gefängnissen. Der Bericht von Amnesty International für das Jahr 2008 wurde angesprochen. In 2009 setzt sich das nahtlos fort. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit, all das ist stark eingeschränkt. Die staatlichen Organe des Iran organisieren gezielt die Verfolgung von Aktivisten, Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsverteidigern und setzen die Schikanen auch gegenüber allen Oppositionellen ein, die sich in der Zivilgesellschaft gegen die Regierung auflehnen. Selbst die Friedensnobelpreisträgerin Ebadi wurde festgenommen. Andere wurden - viele sogar ohne Haftbefehl festgenommen und ohne Verfahren jahrelang inhaftiert. Es wurden unfaire Gerichtsverfahren durchgeführt, Reiseverbote verhängt und Folter und andere Misshandlungen begangen. Todesstrafen waren an der Tagesordnung. Ich habe das bereits angesprochen. Im vergangenen Jahr sind 346 Menschen umgebracht worden. Sie wurden zum Teil öffentlich hingerichtet. Darunter waren auch Jugendliche. Zwei Männer starben durch Steinigung. Die Lage der Menschenrechte im Iran ist katastrophal. Das muss thematisiert werden. Deshalb ist es wichtig, auch heute darüber zu sprechen. Es geht nicht nur um die Wahl, sondern um die permanente Verletzung von Menschenrechten im Iran über viele Jahre hinweg gegen alles, was sich gegen die Regierung auflehnt. Zuletzt hat die Wahl Klarheit geschaffen, dass die Menschen eine Veränderung wollen. Es wurde vielfach angesprochen. Ich kann es nur bestätigen. Dieses diktatorische System kann von uns nicht weiter so hingenommen werden, wie es in der Vergangenheit zum Teil der Fall war. Die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte und die Gewährung von Freiheit sind fundamentale Eckpfeiler einer zivilisierten Gesellschaft. Davon ist der Iran weit entfernt. Wir haben heute die Gedenkstunde zur Erinnerung an den 17. Juni 1953 begangen. Auch damals haben die Menschen für die Grundwerte gekämpft. Heute ist mit Blick auf den Iran Solidarität gefragt. Wir müssen Solidarität zeigen und mit der iranischen Führung sprechen. Das ist richtig. Aber wenn die iranische Führung Gespräche ablehnt und Veranstaltungen absagt, dann ist ein Dialog schwierig. Wir sind dankbar für die heutige Debatte und wünschen uns, dass wir selbstverständlich auch in Zukunft unser Augenmerk auf die Wirtschaft und den Aufbau des Landes richten. Wir müssen aber auch die Menschenrechte, Bürgerrechte und Freiheitsrechte als Fundament immer im Blick behalten, thematisieren und, wenn nötig, Kritik üben. Wir müssen zeigen, dass wir Wächter sind und damit auch vom Ausland aus den Menschen Beistand leisten, die es zum Teil nicht aus eigener Kraft können. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({0}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({1}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksache 16/13377 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, das Wort.

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NATO hat letzten Freitag beschlossen, zur Unterstützung von ISAF ihr luftgestütztes Frühwarnsystem AWACS über Afghanistan einzusetzen. Die Bundesregierung begrüßt, dass nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen angesichts des klaren Bedarfs an verbesserter Luftraumüberwachung über Afghanistan ein Beschluss gefasst werden konnte. Die derzeit in Afghanistan praktizierte Luftraumüberwachung ist längst hinter dem ständig wachsenden zivilen wie militärischen Flugaufkommen zurückgeblieben. Diese Entwicklung wird anhalten. Prognosen der NATO sehen in naher Zukunft ein weiteres starkes Wachstum um das Drei- bis Fünffache voraus. Demgegenüber ist die afghanische Regierung auf absehbare Zeit nicht in der Lage, eine funktionsfähige Flugsicherung aufzubauen. Die AWACS-Flugzeuge sind das beste Mittel, um kurzfristig Abhilfe zu schaffen. Sie werden im Rahmen von ISAF ausschließlich im afghanischen Luftraum eingesetzt. Sie sollen den gesamten Luftverkehr über Afghanistan sicherer machen. Sie sollen auch die militärische Operationsführung von ISAF unterstützen. Denn auch die Zahl der militärischen Flugbewegungen wird in den nächsten Monaten weiter anwachsen. Das ist angesichts des Aufwuchses von ISAFKräften im laufenden Jahr insbesondere infolge der Absicherung der Präsidentschaftswahlen sowie angesichts zusätzlicher angekündigter US-Truppen absehbar. Eine verbesserte Luftraumkoordinierung dient auch dem Schutz deutscher Soldaten, sowohl der Piloten und Besatzungen unserer Flugzeuge als auch der Soldaten am Boden, die in Notsituationen auf Unterstützung aus der Luft angewiesen sind. Der AWACS-Einsatz kommt durch die Verbesserung der Flugsicherheit aber auch dem Schutz der afghanischen Bevölkerung und der zivilen Helfer zugute. Ich möchte bei dieser Gelegenheit einige Punkte festhalten, die vielleicht helfen können, bestimmte Diskussionen zu vermeiden, die einer sachlichen Grundlage entbehren. Zunächst werden NATO-AWACS allein im Rahmen von ISAF eingesetzt. Sie haben ausdrücklich nicht die Aufgabe, geplante OEF-Luftoperationen zu koordinieren oder zu führen. Natürlich erfassen sie in ihrer Funktion als sogenannte fliegende Tower neben dem zivilen auch den gesamten militärischen Flugverkehr über Afghanistan, also auch den der OEF. Dies geschieht allerdings mit dem Ziel der Entflechtung. Das macht auch Sinn; denn alles andere würde dem Ziel einer verbesserten und sichereren Luftraumkoordinierung zuwiderlaufen. Wie bisher bleibt dabei die wechselseitige Nothilfe zwischen Einheiten der beiden Operationen zulässig und ist gerade im Ernstfall für den Schutz der eingesetzten Soldaten unverzichtbar. ({0}) Ich möchte außerdem feststellen: NATO-AWACS haben weder eine Bodenaufklärungs- noch eine Feuerleitfunktion. Sie können lediglich navigatorische Unterstützung leisten. Die Entsendung der AWACS stellt im Übrigen keine dauerhafte Lösung dar. Mittel- und langfristig gilt für die Luftraumüberwachung das Gleiche wie für alle anderen Bereiche des Wiederaufbaus in Afghanistan: Ziel des Engagements der internationalen Gemeinschaft ist es, die afghanische Regierung in die Lage zu versetzen, selbstständig und dauerhaft für Stabilität und Entwicklung im eigenen Land zu sorgen. Dieses Prinzip der Selbstverantwortung soll in Zukunft auch für die Luftsicherheit gelten. Dafür braucht Afghanistan vorläufig aber noch Hilfe von außen. Deshalb engagiert sich die Bundesregierung beim Aufbau der notwendigen Strukturen. Vor einigen Wochen wurde mit dem Neubau des Flughafens von Masar-i-Scharif begonnen, den wir zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten durchführen. Gemeinsam mit den Niederlanden wird sich Deutschland außerdem am Ausbau des zivilen Teils des Flugfelds in Tarin Kowt in der Provinz Uruzgan beteiligen. Neben diesen Infrastrukturmaßnahmen investieren wir auch in die Aus- und Weiterbildung von Sicherheitspersonal, Fluglotsen, Technikern und Managementpersonal. Erst vor wenigen Tagen konnten wir hierfür Singapur als Kooperationspartner gewinnen. Auch die US-Regierung plant, ihre Unterstützung für den Aufbau einer zivilen Flugsicherung auszubauen. Unsere gemeinsamen Anstrengungen werden dazu führen, dass wir die Verantwortung auch im Luftsicherungsbereich schrittweise an die Afghanen übertragen können. Bis dahin werden die AWACS jedoch dringend benötigt. Deswegen bittet die Bundesregierung Sie herzlich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag schickt seit einigen Jahren deutsche Soldaten nach Afghanistan. Diese Soldaten sind täglich in Kämpfe verwickelt, diese Soldaten werden verwundet, und einige dieser Soldaten lassen ihr Leben in Afghanistan. Das ist die Realität im Juni 2009. Angesichts dieser Realität haben wir alle meines Erachtens eine große Verantwortung. Wir müssen alles, aber auch alles dafür tun und alle Mittel dafür einsetzen, um unsere Soldaten bei dieser Aufgabe zu unterstützen und sie zu schützen. Wenn AWACS dazu einen Beitrag leisten kann, dann ist das ein sinnvoller Einsatz dieses Systems. ({0}) So weit, so gut, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nun reden wir aber schon ein bisschen länger über diesen AWACS-Einsatz, genauer gesagt seit über einem Jahr. Schon vor über einem Jahr hat die Bundesregierung uns in sehr plastischen und drastischen Farben geschildert, wie wichtig, dringend und notwendig es ist, in diesem Land unmittelbar AWACS zur Luftraumkontrolle und Luftraumsteuerung einzusetzen. Das mag ja alles richtig sein. Aber, liebe Damen und Herren von der Bundesregierung: Wenn das vor einem Jahr so dringend und wichtig war und der Luftverkehr sogar zusammenzubrechen drohte, dann ist nicht zu verstehen, dass zwölf Monate ins Land gehen mussten. Begründet wurde das damit, dass die Franzosen angeblich nicht bereit waren, einen Beitrag von 2 oder 3 Euro zu leisten. Wenn es so dringend und wichtig gewesen wäre, hätte man auch dann etwas tun müssen; denn niemand hätte verantworten können, dass ein Flieger vom Himmel fällt, nur weil sich die Franzosen nicht an der Finanzierung beteiligen. Hier gibt es noch immer eine Grauzone in der Argumentation, die es auszuräumen gilt. ({1}) Durch den Text des Mandates sind wir nun klüger. Aus dem Mandat geht eindeutig hervor, dass der Einsatz von AWACS unsere Fähigkeiten, die ISAF-Operation zu führen, verbessert. Das heißt, es handelt sich um einen operativen Einsatz im Rahmen des ISAF-Mandates. Ich persönlich finde das gut. Die Bundesregierung hat aber in den vergangenen Monaten den Eindruck erweckt, als ginge es hierbei primär und fast ausschließlich darum, den zivilen Luftverkehr besser zu steuern und zu kontrollieren, das heißt, eine Airsupport-Controlling-Funktion auszuüben. Im Mittelpunkt stand jedoch bisher nicht, dass tatsächlich wertvolle Unterstützung im Rahmen der ISAF-Operation geleistet werden soll. Das ist nun in dem Mandat so beschrieben. Das ist richtig, und das ist gut so. Das unterstützen wir. Daran gibt es keine Kritik. Nachdem wir aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierung, in den letzten Monaten schlechte Erfahrungen mit der Interpretation und Auslegung der „Atalanta“-Mandate gemacht haben, möchte ich Sie deutlich fragen: In dem Mandat ist der Auftrag eindeutig beschrieben, aber mit mehreren Spiegelstrichen; es gibt fünf oder sechs. Bei „Atalanta“ nutzen Sie die Reihenfolge der Aufgabenbeschreibung, um Prioritäten zu setzen. Wenn wir Ihrem Antrag zustimmen sollen, müssen Sie uns folgende Frage beantworten: Gibt es bei den Aufgaben eine Reihenfolge bzw. Prioritäten, oder sind Sie bereit, willens und fähig, alle Aufgaben gleichrangig wahrzunehmen? Das wäre eine wichtige Auskunft für uns. Nicht, dass wir eines Tages wieder erfahren, Sie konzentrierten sich nur auf die ersten beiden Aufgaben, wie Sie es bei „Atalanta“ tun. Wir erwarten, dass Sie das Mandat vollumfänglich ausüben. ({2}) Wir hören - der Herr Staatsminister hat das eben kurz angedeutet -, dass es offensichtlich in der Koalition nach wie vor eine Diskussion darüber gibt, ob eventuell Informationen von AWACS an das „böse“ OEF-Mandat weitergegeben werden können. - Ich weiß, dass Sie, Herr Staatsminister, das nicht gesagt haben. Aber offensichtlich gibt es Diskussions- und Klärungsbedarf. Sonst hätten Sie das nicht angedeutet. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Im Juni 2009 ist diese Diskussion nur noch lächerlich. Selbst der UNO-Sicherheitsrat fordert eine enge Kooperation beider Einsätze. Für OEF und ISAF gelten die gleichen Rules of Engagement, also dieselben Einsatzregeln. Ich erwarte, dass alle Informationen, die das AWACS-System liefern kann, zum Schutz aller Partner und Soldaten in Afghanistan eingesetzt werden können. ({3}) Wir alle wissen: AWACS kann sehr weit blicken, auch über das Land Afghanistan hinaus, zum Beispiel in den Iran und nach Pakistan. Da wir auf beide Länder dringend angewiesen sind, wenn es darum geht, die Stabilisierung der Region voranzutreiben, schlage ich der Bundesregierung vor - vielleicht hat sie es schon gemacht -, im Vorhinein diese beiden Länder über den Sinn und den Umfang der AWACS-Mission offensiv zu informieren, um sie einzubinden, sie an Bord zu halten und deutlich zu machen, dass wir nichts tun, was eventuell ihren Interessen zuwiderläuft. Die Regierung hat bisher die Luftkontrollfunktion in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellt. Das Mandat klärt hier auf; das begrüße ich. Der Herr Staatsminister hat über Bemühungen gesprochen, zivile Kontrollfunktionen in Afghanistan aufzubauen. Das reicht uns aber nicht aus. Denn natürlich wollen wir auch gerne wissen: Wie lange müssen wir mit unseren Kapazitäten die Luftkontrollfunktion in Afghanistan aufrechterhalten? Das heißt, ich hätte von der Bundesregierung gerne etwas konkreter gewusst, in welchem Zeitraum wir die dringend notwendige Luftkontrollfunktion in Afghanis25006 tan aufgebaut haben werden. Hierzu erwarten wir noch mehr Informationen von der Bundesregierung. Wir, die FDP-Fraktion, erkennen die Sinnhaftigkeit dieses AWACS-Einsatzes. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie dieses Mandat offensiv und ehrlich vertritt und ausübt. Wir erwarten zudem die Beantwortung unserer offenen Fragen. Dann können Sie mit unserer Zustimmung in der nächsten Woche rechnen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am Freitag im NATO-Rat die Entscheidung getroffen, dass wir uns mit NATO-AWACS-Maschinen in Afghanistan engagieren. Lieber Kollege Stinner, ich will Ihnen gleich eine Antwort auf Ihre Frage geben. Im NATO-Rat gilt das Konsensprinzip. Sie wissen, dass dieser Konsens über eine längere Zeit leider nicht hergestellt werden konnte. Ich bin dankbar dafür, dass die Vorbehalte Frankreichs hinsichtlich der Finanzierung jetzt ausgeräumt werden konnten. Daran hat dankenswerterweise auch unsere Bundeskanzlerin mitgewirkt. Ich will Ihnen klar und deutlich sagen, dass wir uns darauf verständigt haben, die Zusatzausgaben für den Einsatz in Afghanistan innerhalb der Gemeinschaft aufzuteilen. Wir teilen den Betrag nach dem Schlüssel auf, der für unsere Beitragszahlungen für die NATO gilt. So zahlen wir beispielsweise rund 16 Prozent und die Franzosen rund 11 Prozent. Das ist die Grundlage. Deshalb haben wir die Möglichkeit gehabt, diese Entscheidung am Freitag zu treffen. Ich halte es für richtig und gut, dass wir diese Entscheidung jetzt endlich getroffen haben, weil der Luftverkehr in Afghanistan tagtäglich zunimmt. Sie konnten heute in der Zeitung lesen, dass im Rahmen des zivilen Luftverkehrs eine direkte Flugverbindung von Kabul nach Frankfurt eingerichtet worden ist. Wir haben aber ein unmittelbares Interesse an dem Einsatz auch im Hinblick auf unsere Soldatinnen und Soldaten; denn 51 Prozent der Flüge für den Transport von Material und Personal in Afghanistan, und zwar in Gesamt-Afghanistan, führen wir durch. Die Luftaufklärung für GesamtAfghanistan wird durch unsere Tornados geleistet. Sie wissen, dass unsere amerikanischen Freunde sehr deutlich signalisiert haben, sich weiter zu engagieren, was weitere Lufttransporte nach sich zieht, sodass wir ein eminentes Interesse daran haben, wegen der noch nicht vorhandenen Sicherheitsstrukturen in Afghanistan die Flugsicherung durch NATO-AWACS-Maschinen zu gewährleisten. Eine Flugsicherung ist auch im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten und dient ihrem Schutz. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Mandat. Ich möchte einen zweiten Aspekt vortragen. Die vier AWACS-Maschinen sollen zunächst - auch das gehört zum Mandat - in Konya in der Türkei stationiert werden. Wir haben aber das Ziel, sie näher an Afghanistan heranzubringen. Das heißt, es finden Verhandlungen mit Staaten der Golfregion statt, um die Flugzeuge in Zukunft dort stationieren zu können. Im Übrigen, Herr Kollege Stinner, werden selbstverständlich die Aufgaben wahrgenommen, die im Mandat beschrieben worden sind. Ich will nicht ablenken, aber das hat mit der Operation „Atalanta“ nichts zu tun; denn das ist ein europäischer Auftrag. Die Verantwortlichkeiten werden klar und deutlich, wie beschrieben, im Rahmen der NATO wahrgenommen. Dritter Punkt: Es wird ein Luftlagebild erstellt, die Luftverkehrsbewegungen werden entflochten, und der zivile und der militärische Flugverkehr werden koordiniert. Weiterhin wichtig sind die Koordination der Luftbetankung, die Relaisfunktion im Kommunikations- und Datenaustausch für alle militärischen Luftraumnutzer und die Unterstützung von Luftoperationen der ISAF. Es ist richtig, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Beschluss im Hinblick auf die Kooperation von ISAF und OEF gefasst hat. Das ergibt sich gerade aus dem gesamten Luftverkehr und der entsprechenden Flugsicherung. Ich möchte aber hervorheben, dass AWACS-Flugzeuge nicht die Funktion und auch nicht die Fähigkeit zur Bodenaufklärung haben. Sie haben auch keine Feuerleitfähigkeit für Luft-Boden-Einsätze. Daher gibt es schon eine Unterscheidung. Das ist auch richtig so, wenn der entsprechende Auftrag erfüllt werden soll. Die Heimatbasis für AWACS-Flugzeuge ist, wie Sie wissen, Geilenkirchen. Der Anteil deutscher Soldaten im Verband beträgt 40 Prozent. Das Mandat sieht bis zu 300 Soldaten für diesen Auftrag vor. Warum? Etwa 100 Kräfte werden im unmittelbaren Einsatz sein. Wir werden auch für Kontingentwechsel usw. Vorsorge treffen müssen. Außerdem brauchen wir in den Regionen - ich habe gerade davon gesprochen, dass wir eine Verlegung in die Golfregion beabsichtigen - entsprechende Absicherungen. Notwendig sind dort eine ausreichende Logistik und Unterstützung im Bereich der Sanität. Das Mandat ermöglicht einen Einsatz von bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten. Das schafft Flexibilität und gewährleistet die Erfüllung unseres Auftrages. Ich will hier einen weiteren Aspekt vortragen: Wenn Sie diesem Mandat zustimmen, gilt es bis Dezember 2009 und damit bis zum Ablauf des Afghanistan-Mandats. Dann können wir über das AfghanistanMandat grundsätzlich neu entscheiden. Auf uns kommen bis Dezember dieses Jahres einsatzbedingte Zusatzausgaben von ungefähr 4,2 Millionen Euro zu. Ich möchte hervorheben: Mit diesen AWACS-Maschinen können wir einen wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung von Flugsicherheit - sie ist in Afghanistan noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden - und damit zur Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten leisten. Richtig ist allerdings: Dort müssen die entsprechenden Strukturen aufgebaut werden. Ich selbst habe den Spatenstich zum Bau der Landebahn in Masar-i-Scharif durchgeführt. Ich verweise auch auf die Entwicklung in Uruzgan. Auch wenn ich Ihnen keinen definitiven Zeitpunkt nennen kann, bis wann diese Strukturen aufgebaut sind, denke ich, dass wir auch auf diesem Gebiet vorankommen. Eines ist allerdings klar: Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hier einen wichtigen Beitrag zu unserer Sicherheit. Sie gewährleisten damit Stabilisierung durch den Einsatz von Leib und Leben. Gerade im Hinblick auf die Sicherheit unserer Bevölkerung ist das von entscheidender Bedeutung. Ich plädiere dafür, unseren Soldatinnen und Soldaten angesichts ihres schwierigen Einsatzes in Afghanistan dadurch zusätzlichen Schutz zu gewährleisten, dass wir die Flugsicherheit durch die NATO-AWACS-Maschinen verbessern. Das ist ein wichtiger Beitrag, und deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Mandat. Besten Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten schon sehr genau besprechen, worüber wir entscheiden. Ich glaube, das Mandat lässt keinen Zweifel daran: Bei der Entsendung von AWACS geht es am allerwenigsten um die zivile Flugsicherung. Zivile Flugsicherung erfolgt gemeinhin durch Radarsysteme am Boden. Das gilt im Übrigen auch für gebirgige Länder wie die Schweiz und Österreich. Wenn man schon so lange in Afghanistan ist, hätte man dort auch mehr tun können. Die AWACS-Diskussion wird seit einem Jahr geführt. Man hätte die zivile Luftraumüberwachung folglich schon früher auf den Weg bringen können. Der Beweis ist noch nicht erbracht, dass ausgerechnet die AWACS - und nur sie für diese Flugsicherung notwendig sind. Es gibt natürlich einen Zusammenhang: Eine starke Zunahme militärischer Luftoperationen bedeutet ein höheres Risiko für die zivile Luftfahrt. Das negiere ich überhaupt nicht. Aber mir scheint, das ist genau des Pudels Kern. Die jetzige Entscheidung der NATO, AWACS zu entsenden, ist in erster Linie ein Resultat des in den letzten drei Jahren intensivierten Krieges, dessen Ende noch lange nicht absehbar ist. Im Gegenteil: Wir erleben eine weitere Verschärfung. Der Herr Minister hat gesagt: Die AWACS erstellen ein Luftlagebild; sie können als Relaisstationen gewisse Koordinierungen übernehmen. Die besondere Qualität besteht aber darin, dass sie Kampfflugzeuge in ihre Einsatzgebiete einweisen und Störenfriede abweisen bzw. des Platzes verweisen können. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob die AWACS unmittelbar Feuerleitzentralen sind. Ich finde, die Diskussion darüber ist ein Ablenkungsmanöver, auch wenn sie diese Aufgabe durchaus übernehmen könnten. Aber darüber brauchen wir jetzt gar nicht zu streiten. Der Einsatz der AWACS dient, was ihre besondere Rolle bei den ISAF-Luftoperationen angeht, der Optimierung dieser Einsätze. Diese Optimierungsnotwendigkeit ist der Intensivierung des Krieges am Boden geschuldet. Das ist der Zusammenhang. ({0}) Natürlich hat es auch mit der Aufstockung der NATOTruppen zu tun. Vor allem die US-amerikanischen Truppen nehmen zu. Darunter sind auch mehr Kampfverbände als bisher. Es läuft darauf hinaus, dass demnächst über 100 000 auswärtige Soldaten in diesem Land sind. Mit anderen Worten: Man stellt sich auf eine verschärfte Aufstandsbekämpfung mit militärischen Mitteln ein. Die deutsche QRF ist ja seit Monaten quasi im Dauereinsatz. Gleichzeitig ist dann aber die Bilanz dieser militärischen Eskalation zu prüfen. Im ersten Quartal dieses Jahres hatten wir eine Verdoppelung der Gewaltakte gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Auch von der UNO werden zwei Drittel des Landes als nicht mehr sicher bezeichnet. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder Luftangriffe mit einer erheblichen Zahl ziviler Opfer - jüngstes Beispiel: die Bombardierung von Balabuluk Anfang Mai 2009, bei der möglicherweise über hundert Zivilisten zu Tode gekommen sind -, obwohl Präzisionswaffen eingesetzt werden. Es wird ja nicht unterschiedslos bombardiert. Allerdings kann man auch mit Präzisionswaffen solche Folgen herbeiführen. Mit dem Einsatz von AWACS soll dieser Luftkrieg optimiert werden. Wir wiederholen an dieser Stelle: Ein Mehr an Falschem kann nicht zu Gutem führen. ({1}) Diese Grundsatzauseinandersetzung müssen wir an dieser Stelle führen. Es geht nicht darum, ob diese Systeme Feuerleitfunktionen haben und ob sie dieses oder jenes können. Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Unterstützung des Luftkriegs finde ich sehr subtil. So etwas lesen wir dann in den Vorlagen der Bundesregierung. Dort heißt es auch, OEF sei von Katar unmittelbar gesteuert, während ISAF nur über die Operationszentrale in Katar koordiniert werde. Das alles sind doch nur Vernebelungsversuche. Es geht darum, dass die Lufteinsätze von OEF und ISAF sich heute wechselseitig ergänzen. Die Realität am Boden sieht auch so aus. Dort gibt es nun einmal eine enge Verzahnung. Man kann auch argumentieren, dass es militärisch widersinnig wäre, AWACS nicht für beide Missionen zu nutzen. Wenn man das tut, muss man natürlich auch wissen, wie es um die völkerrechtlichen Grundlagen von Paul Schäfer ({2}) OEF bestellt ist. Herr Kollege Stinner hat diese Debatte als lachhaft bezeichnet. Das finden wir überhaupt nicht. Dieses Thema steht nach wie vor im Raum, weil OEF nicht UNO-mandatiert ist. Außerdem muss man sich die Frage stellen, inwieweit man bei diesem Prozedere möglicherweise in einem bestimmten Maße Kontrolle aus der Hand gibt. Diesen Fall hatten wir beim Einsatz von US-Spezialkräften im Einsatzgebiet der Bundeswehr. Dann ist man froh, wenn man hinterher informiert wird. Lassen Sie mich als letzten Punkt noch die Frage der Ausdehnung der Kampfzone nach Pakistan ansprechen. Richtig ist, dass das Mandat das Einsatzgebiet Afghanistan festschreibt. Zur Koordinierung der militärischen Luftbewegungen gehören aber ohne Zweifel auch die Drohnen. Sie stellen in meinen Augen sogar ein besonders kritisches Element dar. Wird denn die NATO mit AWACS nicht assistieren, wenn Drohnen von afghanischem Boden woandershin geschickt werden? Diese Frage muss die Bundesregierung sehr verbindlich und ganz präzise klären. Das ist für uns wichtig, weil es in diesem Zusammenhang um die Grundfrage geht, ob man eine Exit-Strategie versucht - also einen Ausweg, der natürlich eine politische Verhandlungslösung einschließen muss - oder sich einfach weiter in dieses Kriegsgeschehen verstricken will, und zwar mit unabsehbaren Folgen. Das ist die Frage, die hier bei der AWACS-Entscheidung ansteht. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Entsendung der AWACS-Aufklärungsflugzeuge geht es um zwei Schlüsselfragen. Erstens: Sind sie notwendig und dringlich für die Flugsicherheit in Afghanistan insgesamt? Zweitens - diese Frage hat Kollege Paul Schäfer auch angesprochen -: Sind sie insgesamt ein Beitrag zu mehr Sicherheit oder insgesamt ein Beitrag zur Konflikteskalation? Kollege Schäfer hat dazu aufgerufen, genau hinzusehen. Hinterher hat er diesen Anspruch allerdings nicht mehr eingelöst, sondern nur noch auf die eine Seite geschaut. Ich versuche jetzt, tatsächlich genau hinzusehen. Der Auftrag ist schon genannt worden. Daher komme ich direkt zum Bedarf. Wir wissen, dass es in Afghanistan keine landesweite Luftraumüberwachung gibt, sondern nur Bodenstationen in Kabul, Kandahar und Helmand sowie ein wenig im Osten. Die Station in Kabul hat auch nur eine begrenzte Reichweite. Die Überwachung geht bis zu den Bergen, also maximal 20 bis 30 Kilometer. Danach kommt der Radarschatten; danach ist Schluss. Zurzeit sind allerdings auch schon einige amerikanische AWACS-Flugzeuge im Einsatz, die aber nur begrenzte Tageszeiten abdecken. Das Flugaufkommen ist in allen Bereichen stark gestiegen. Meines Wissens finden zurzeit täglich bis zu 70 Luft-Boden-Einsätze der alliierten Streitkräfte, einschließlich Show of Force, statt. Die genaue Zahl der UNAMA- und ISAF-Flüge sowie der sonstigen Flüge liegt mir nicht vor; aber ich wette, dass ihre Zahl deutlich darüber liegt. Man muss sich nur anschauen, wie hoch das Flugaufkommen am Flughafen von Kabul ständig ist. Zurzeit fliegen 15 zivile Fluggesellschaften insgesamt 62 Flugplätze und Flugpisten in Afghanistan an. Einige von uns wissen, wie diese Pisten aussehen. Die Landwege sind inzwischen sehr gefährlich, sodass viele, die für verschiedene Hilfsorganisationen der UN tätig sind, nur mit dem Flugzeug die Möglichkeit haben, schnell ihr Ziel zu erreichen. Die angekündigte zivile und militärische Verstärkung der Vereinigten Staaten wird das Flugaufkommen noch um einiges erhöhen. Dazu zwei Impressionen: Als wir in der letzten Woche mit einigen Kollegen in Afghanistan waren, startete oder landete in Kabul alle paar Minuten ein Flugzeug. Die Flugzeuge, die wir gesehen haben, schienen überwiegend zivil genutzt zu werden. Die andere Impression: Überflug über den Hindukusch. Ich hatte die Gelegenheit, im Cockpit zu sitzen. Wolken kamen auf. Die Piloten können nur nach Sichtflugregeln agieren. Also mussten alle vier im Cockpit an den Fenstern schauen, ob irgendwo eine Maschine ankommt. Ich fasse zusammen: Gerade im Winter, Frühling, Herbst ist die Flugmöglichkeit enorm eingeschränkt, weil man sich an die Regeln für Sichtflug halten muss. Manche Orte werden dann tagelang nicht erreicht. Zum anderen hat es inzwischen etliche Beinaheunfälle gegeben. Da kann ich nur sagen: Bisher hat man viel Glück gehabt. So viel zur Bedarfslage. Ich komme nun zu den problematischen Fragen. In Afghanistan besteht der gefährliche Unsinn mehrerer nebeneinander agierender Militäroperationen. Das hat immer wieder zu Friktionen geführt. Kai Eide hat noch vor kurzem gerade den Bodeneinsatz im Rahmen der Operation Enduring Freedom so scharf wie nie zuvor kritisiert. Es stellt sich die Frage, wie man im Hinblick auf die anderen Operationen mit den Erkenntnissen von AWACS umgeht. Beim Luftlagebild macht es nur Sinn - das ist völlig klar -, alles, was sich im Luftraum bewegt, zu erfassen und die Informationen weiterzugeben. Zur Frage der Führungsfähigkeit haben Sie, Herr Staatsminister, eben schon etwas gesagt: Die Frage der Führungsfähigkeit sollte sich nur auf die ISAF-Flugzeuge beziehen. Da stellt sich die Frage, warum nicht auch die Zivilen einbezogen werden sollten, die auch wichtige Aufgaben erfüllen. Handelt es um eine Interpretation der Bundesregierung, wenn man hier Enduring Freedom außen vor lässt? Geht es bei der Frage der Führungsfähigkeit wirklich nur um das ISAF-Mandat, nicht um Enduring Freedom? Bei der ISAF wird das teilweise anders gesehen. Auf die Möglichkeit, einen Beitrag zu den LuftBoden-Einsätzen zu leisten, ist inhaltlich eingegangen worden. Eigentlich sind die technischen Möglichkeiten dazu nicht vorhanden. Paul Schäfer hat die Frage der Zuweisung von Einsatzräumen angesprochen. Es ist unbestreitbar, dass eine solche Zuweisung notwendig ist. Hier stellt sich die allgemeinere Frage: Ist der Einsatz von AWACS ein Beitrag zur Eskalation der Kämpfe in der Luft und am Boden? Hier darf man nicht außer acht lassen, was sich auf amerikanischer Seite tut: Die Amerikaner - das ist richtig - verstärken ihre militärischen und zivilen Kräfte; aber - das stimmt mich hoffnungsvoll - es hat einen inhaltlichen Wandel der Strategie gegeben, so wie er hier im Parlament öfter eingefordert wurde: Man nimmt nicht mehr die Bekämpfung des Gegners in den Fokus, sondern den Schutz der Bevölkerung. ({0}) General Petraeus sagt jetzt eindeutig: Der Schutz der Bevölkerung ist das A und O, der Dreh- und Angelpunkt; wenn wir ihn nicht in den Mittelpunkt stellen, können wir alles andere vergessen. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass die Frage der Zivilopfer in der Führung auf amerikanischer Seite nun viel kritischer gesehen wird. Es wird viel massiver etwas dagegen getan, dass es Zivilopfer gibt. Das wird nicht mehr nur als eine Frage der Einsatzregeln, sondern als Frage der Strategie betrachtet. Das stellt eine erhebliche Veränderung dar. Den letzten Punkt haben Sie schon angesprochen - die Bundesregierung muss sich hier noch einbringen -: die verschiedenen Maßnahmen im Zusammenhang mit Masar und Uruzgan. Insgesamt ist eine Perspektive dafür notwendig, wann realistisch und mit Ehrgeiz auch eine zivile Flugsicherung aufgebaut werden kann; denn es wäre unsinnig, einen teuren AWACS-Einsatz als Dauerlösung zu installieren. ({1}) Das wollen auch Sie sicherlich nicht. Insofern muss Klarheit her. Ich danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Afghanistan eine NATO-Mission. Ich bin froh, dass diese jetzt auch erkennbar zusammenwächst. Kollege Nachtwei hat es angesprochen. Die Verstärkung der Amerikaner im Süden ist nicht nur eine zahlenmäßige Veränderung, sondern es soll auch qualitativ anders werden. Der deutsche Ansatz im Norden wird inzwischen von den NATO-Partnern für richtig gehalten und übernommen. Auch im Norden gehen wir mittlerweile mit ausgebildeten Kräften der afghanischen Nationalarmee dorthin, wo Taliban sind. Ich hoffe, dass wir so Konvergenz der Strategie der NATO in Afghanistan erreichen. Wenn es eine NATO-Mission ist, dann muss dieser Mission das zur Verfügung stehen, was die NATO hat. Die NATO hat ein gemeinsames Aufklärungs- und Führungsmittel für Luftverkehr, für Luftoperationen, und das sind die AWACS-Maschinen, die in Geilenkirchen bei Aachen in Deutschland stationiert sind. Wenn diese für eine NATO-Operation notwendig sind, ist es absolut richtig, dass wir dieses NATO-Mittel der NATO auch zur Verfügung stellen. Im Übrigen wird eine Koordination des Luftverkehrs auch bisher schon vorgenommen, aber nicht durch die NATO, sondern, Kollege Schäfer, durch OEF in Katar. Wenn wir die NATO-Verantwortung in Afghanistan stärken wollen, ist es doch geradezu ein Vorteil, eine neue Qualität, wenn die NATO selbst diese Aufgabe übernehmen kann, weil sie die technischen Mittel dafür hat. Das heißt natürlich, dass auch Flugzeuge, die für OEF fliegen, auf dem Schirm der NATO-AWACS-Maschinen sein werden, aber es geht nicht darum, ihnen Ziele zuzuweisen, sondern es geht darum, den Luftverkehr zu regeln. Es nützt nichts - ich glaube, jeder hat darauf hingewiesen -, immer wieder Andeutungen zu machen, dass damit irgendwie ein Bodenkrieg verbunden sein könnte. Wir sind nicht dagegen, dass Ziele am Boden aufgeklärt werden, aber das machen zum Beispiel die Tornados, die wir der NATO-Mission in Afghanistan zur Verfügung gestellt haben. Die klären am Boden auf. Für die Luftaufklärung sind die AWACS-Maschinen jetzt eine zusätzliche technische Möglichkeit. Die Notwendigkeit dazu ist dargelegt worden. Der Luftverkehr in Afghanistan nimmt nicht ab, sondern zu. Auch die angekündigte US-Verstärkung - dass über 10 000 zusätzliche Soldaten da sein werden, begrüßen wir - wird zu mehr Flugbewegungen in Afghanistan führen. Es werden Flugplätze für zivile Nutzung ausgebaut. Wir haben selbst beobachten können - Kollege Nachtwei hat es beschrieben -: Der zivile Luftverkehr nimmt zu. Das ist ein gutes Zeichen für Afghanistan. Wenn man auf dem direkten Weg von Deutschland nach Afghanistan fliegen kann, ist das doch eine ganz andere Situation als in den letzten Jahren, als es fast nur militärische Möglichkeiten gab, Afghanistan zu erreichen. Das geht inzwischen auch zivil. Das muss immer mehr werden. Das muss sicher sein. Für diese Sicherheit will und soll ISAF sorgen. Selbstverständlich muss das später zivil betrieben werden. Das ist keine Dauerlösung; völlig klar. Aber solange die NATO Verantwortung in Afghanistan hat, ist es nicht egal, wie das Problem gelöst ist. Man kann nicht sagen: Wenn es nicht gelöst ist, ist es auch gut. - Wir leisten einen Beitrag zur Sicherheit Afghanistans, auch auf diesem Gebiet. Stationiert wird das System zunächst in der Türkei, in Konya, einem vorbereiteten Stützpunkt für die AWACSMaschinen. Es gibt übrigens vier solcher Stützpunkte auf NATO-Gebiet. Die Türkei ist NATO-Gebiet. Wenn ich die Unterlagen, die uns zugegangen sind, richtig verstanden habe, wird erwogen, zu einem späteren Zeitpunkt auf die arabische Halbinsel zu gehen, also näher ans Einsatzgebiet heran. Es ist vernünftig, wenn man das mit einem Partner in der Region koordinieren kann. Ich möchte ausdrücklich das aufgreifen, was Kollege Stinner in Bezug auf die Nachbarn Afghanistans gesagt hat. Das Einsatzgebiet der AWACS-Maschinen geht natürlich über das Staatsgebiet Afghanistans hinaus. Darüber sollte man mit den Nachbarn Afghanistans reden, damit keine Missverständnisse entstehen können. Die gleiche Klarheit, die wir hier im Bundestag haben wollen und bekommen, müssen auch die Nachbarn des ISAF-Stationierungslandes haben. Was die Kosten angeht, so hat es ein Jahr gedauert, sich mit Frankreich über dessen Beitrag zu diesem gemeinsamen NATO-Projekt zu einigen. Das ist ein bisschen enttäuschend. Die Ankündigung Frankreichs, in der NATO wieder voll dabei sein zu wollen, ist ja von allen Partnern, auch von uns, positiv aufgenommen worden. Es kann aber nicht sein, dass Frankreich sein Dabeisein gleich wieder zum Blockieren benutzt. Wer dabei sein will, der soll sich auch konstruktiv verhalten. Bei dem Beitrag, den Frankreich leisten sollte, ist es nicht um große Summen gegangen, sondern eher um einen symbolischen Beitrag, den Frankreich leisten kann und nun auch leistet. Die Verhandlungen der Bundesregierung waren also erfolgreich. Wir sind damit einverstanden, dass die Entsendung von bis zu 300 zusätzlichen Soldaten für diesen Einsatz im Rahmen von ISAF vom Bundestag beschlossen wird und nicht noch einmal an der Obergrenze, die wir für die bisherige ISAF-Mission, nämlich 4 500 Soldaten, beschlossen haben, geknabbert wird. Es handelt sich zwar um einen weiten Rahmen, und wir hoffen, dass wir ihn nicht ausschöpfen müssen, aber ein bisschen Luft im Mandat ist sinnvoll. Dieser Spielraum sollte nicht durch die Anrechnung des zusätzlichen Personals, das wir jetzt für die AWACS-Mission benötigen, eingeengt werden, zumal die Soldaten ja gar nicht in Afghanistan stationiert werden. Zu dem Argument, das man gelegentlich in der Öffentlichkeit hört, es komme immer noch ein Einsatz und noch ein Einsatz hinzu, möchte ich sagen: Das mag, wenn man die Berichterstattung in den Medien verfolgt, manchmal so aussehen; aber das liegt daran, dass die Einsätze, die abgeschlossen werden, niemanden mehr interessieren. Schauen wir uns einmal den Balkan an: In Mazedonien sind wir längst nicht mehr. Das Mandat in Bosnien-Herzegowina wird in ganz absehbarer Zeit ablaufen; da sind heute noch 130 deutsche Soldaten. Für das Mandat im Kosovo hat der NATO-Rat jetzt einen Plan zur Reduzierung beschlossen, der als Ziel den kompletten Abzug vorsieht. Das ist letztendlich immer das Ziel solcher Einsätze. Wir haben einen langen Atem gebraucht, wir haben es aber durchgehalten, und jetzt sind diese Länder in der Lage, ihre Sicherheit selbst zu organisieren. Das ist auch das Ziel des Einsatzes in Afghanistan. Es findet keine Überdehnung der Möglichkeiten der Bundeswehr statt. Heute sind gut 7 000 Soldaten in Auslandseinsätzen, zu Spitzenzeiten waren es 10 000. Die Bundeswehr kann also durchaus das leisten, was wir heute zusätzlich beschließen wollen. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Sitzungswoche diese eigentlich überfällige Mission beschließen können. Wir hätten das schon vor fast einem Jahr tun können. Es lag nicht an uns, dass es nicht dazu gekommen ist. Es ist aber eine weitere sinnvolle Hilfe für dieses gebeutelte Land, für Afghanistan. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund von der CDU/CSU-Fraktion.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge zur Überwachung des Luftraums von Afghanistan ist tatsächlich überfällig. Die NATO hat die Notwendigkeit schon seit langem gesehen. Strittig war bisher die Finanzierung. Dafür wurde jetzt eine Lösung über die Gemeinschaftsfinanzierung unter Beteiligung aller NATOStaaten gefunden. Infolgedessen hat der Nordatlantikrat am 12. Juni die Entsendung von AWACS-Maschinen nach Konya in der Türkei zum Einsatz über Afghanistan beschlossen. Der Einsatz soll im Rahmen der ISAF-Mission erfolgen. Angestrebt wird eine spätere Verlegung der Maschinen an einen Ort, der näher am Einsatzgebiet liegt. Darüber verhandelt die NATO noch. Auch für den Einsatz von Konya aus sind noch Überfluggenehmigungen auszuhandeln. Für uns geht es heute darum, den Weg rechtlich frei zu machen, damit die Einsätze baldmöglichst beginnen können. Das Mandat ist zunächst bis zum 13. Dezember befristet. Das hat den Vorteil, dass der dann neu gewählte Bundestag die Möglichkeit hat, über die Fortsetzung dieses Einsatzes im Zusammenhang mit der Fortsetzung des ISAF-Mandates zu entscheiden. Es ist eine Tatsache - das wurde hier auch mehrfach angesprochen -, dass die zivile wie auch die militärische Luftraumüberwachung in Afghanistan bislang unzureichend ist. Es geht uns nicht nur um eine Überwachung für militärische Zwecke, sondern wir setzen uns auch für einen zügigen Auf- und Ausbau der zivilen Luftraumüberwachung ein. Das braucht aber Zeit und nicht unerhebliche Mittel. Außerdem verfügen AWACS-Flugzeuge über Fähigkeiten, die stationäre Anlagen kaum zu bieten vermögen. Aufgrund der Größe und der geografischen Beschaffenheit des Landes können Anlagen am Boden derzeit nämlich kaum eine ähnlich großräumige und lückenlose Luftraumüberwachung gewährleisten, wie sie von AWACS-Flugzeugen aus möglich ist. Es ist selbstverständlich, dass dieser Einsatz auch eine militärische Bedeutung hat; denn mit dem Anwachsen der ISAF-Mission, dem Aufwuchs der in Afghanistan stationierten Truppen und ihrer Operationen, steigt auch der Koordinierungsbedarf im Luftverkehr. Doch dient der Einsatz der AWACS-Flugzeuge grundsätzlich der Sicherheit aller vom Luftverkehr in Afghanistan Betroffenen. Aber nochmals: Es gibt keine Unterstützung für Angriffe. Dies ist politisch nicht gewollt und technisch auch nicht möglich. Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge soll der Koordinierung des zivilen und des militärischen Flugverkehrs dienen. Dementsprechend sollen die gewonnenen Luftraumbilder auch zivilen Nutzern zur Verfügung gestellt werden. Dieser Einsatz wird dem Schutz unserer Bundeswehrpiloten dienen. Zugleich aber wird auch die Sicherheit im Luftverkehr insgesamt und damit auch die Sicherheit der Zivilbevölkerung erhöht. Um es noch einmal zu sagen: Zu Kampfeinsätzen wird der Einsatz unmittelbar nicht beitragen. Die Taliban verfügen in aller Regel nicht über Geräte, die von den Radaranlagen der Flugzeuge aufgeklärt werden könnten. Die Besatzungen der AWACS-Flugzeuge der NATO bilden eine vollständig integrierte Truppe. Ihre Angehörigen werden von den einzelnen Mitgliedstaaten entsandt. Der Anteil der deutschen Soldaten an den Besatzungen der AWACS-Aufklärungsflugzeuge beträgt etwa 40 Prozent. Kein beteiligtes Land kann sich aus einem solchen Einsatz zurückziehen, ohne ihn nicht infrage zu stellen oder unmöglich zu machen. Zuletzt hatte eine Bundesregierung 2003 der Entsendung von AWACS-Flugzeugen zugestimmt - damals in die Türkei während des Irak-Krieges. Danach hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass auch solche Entscheidungen der Zustimmung des Bundestages bedürfen. Es sollte aber auch klar sein, dass bündnispolitischen Rücksichten dabei ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Auch deshalb ist dieser Antrag nicht geeignet, um erneut das grundsätzliche Für und Wider des Afghanistan-Engagements zu erörtern. Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge wird einen signifikanten Beitrag zur Luftraumüberwachung in Afghanistan leisten. Er wird zum Schutz unserer Piloten beitragen. Er wird aber auch die Sicherheit für die zivilen Helfer und die Sicherheit für die Bevölkerung erhöhen. Deshalb werden wir dem Antrag zustimmen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/13377 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Juni 2009, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.