Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sit-
zung und begrüße Sie sehr herzlich zu unseren heutigen
Beratungen.
Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, darf ich
Sie auf einige Dinge hinweisen: Interfraktionell ist ver-
einbart worden, die heutige Tagesordnung um eine von
den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen verlangte Aktuelle Stunde
zur Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen sowie
um die Beratung des Antrags der Bundesregierung zur
Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von
NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan zu erweitern.
Die beiden Zusatzpunkte werden nach der Fragestunde
aufgerufen.
Außerdem soll der in der 219. Sitzung am 6. Mai in
erster Lesung beratene und an die Ausschüsse überwie-
sene Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD zur Änderung des Energiesteuergesetzes auf
Drucksache 16/12851 nachträglich gemäß § 96 unserer
Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss zur Mitbe-
ratung überwiesen werden. Sind Sie mit diesen Verein-
barungen einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen
- Drucksachen 16/13345, 16/13376 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung
- Drucksache 16/13297 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Daher kommen wir gleich zu den Überweisungen. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe
auf den Drucksachen 16/13345 und 16/13297 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Sie sind damit einverstanden. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Nationales Hafenkonzept für
die See- und Binnenhäfen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute
hat das Kabinett das Nationale Hafenkonzept für die
See- und Binnenhäfen beraten und verabschiedet und damit erstmals ein umfassendes Konzept vorgelegt, in dem
die Situation der Häfen beschrieben wird. Darin wird
nicht nur die aktuelle Situation dargestellt, die, wie Sie
wissen, sehr schwierig ist, sondern auch die langfristige
Perspektive aufgezeigt.
90 Prozent des internationalen Warenverkehrs wickelt
die Bundesrepublik Deutschland über ihre Häfen ab.
40 Prozent des EU-Binnenhandels gehen über sie. Allein
das, aber auch die Anzahl der Beschäftigten in den Häfen ist Anlass genug, sich gründlich mit den Fragen zu
beschäftigen, wo wir mit den Häfen stehen und wie wir
sie weiterentwickeln wollen.
Redetext
Dieses Konzept bietet Ansatzpunkte und gibt Auskunft darüber, wie wir mit der Infrastruktur vorankommen. Dabei spielt der Ausbau der Häfen eine große
Rolle, Beispiel Umschlagskapazitäten. Weiterhin ist von
entscheidender Bedeutung, dass wir die seewärtige Anbindung gewährleisten und die Hinterlandanbindung
realisieren, die nicht nur für Deutschland, sondern auch
für die EU-Mitgliedstaaten von enormer Bedeutung ist.
Weiterhin gibt das Konzept Auskunft über die Umweltfragen. Die sogenannten SECAS, die Zonen, in denen
eine besonders sensible Überwachung hinsichtlich der
Schwefelemissionen erfolgt, stehen genauso im Fokus
wie Fragen des Landstromes oder europäische Angelegenheiten wie die Einbeziehung des Seeverkehrs in den
Emissionshandel.
Darüber hinaus finden Sie Aussagen über die Ausund Fortbildung der Fachkräfte sowie über die Einbindung von Langzeitarbeitlosen; hier konnten wir in den
letzten Jahren große Erfolge erzielen. Da geeignete Arbeitskräfte auf dem Ausbildungs- und Facharbeitermarkt
immer schwerer zu finden sind, müssen wir aber auch
dem Logistikgewerbe in den Häfen unsere Unterstützung anbieten, um genügend Fachkräfte akquirieren zu
können.
Schließlich muss der Bund den Ländern Hilfe an die
Hand geben, wenn es darum geht, die Häfen in raumordnerischer Hinsicht voranzubringen. Wie Sie wissen, haben wir durch die Veränderung des Raumordnungsgesetzes im Jahre 2008 Möglichkeiten geschaffen, neben dem
Raumordnungsansatz auch die Standortkonzepte der
Länder einzubeziehen, um eine ganzheitliche Betrachtung durchführen zu können. Die Seehäfen und die Binnenhäfen sind für Deutschland und für Europa von eminent wichtiger Bedeutung. Aus diesem Grund erfahren
sie in diesem Konzept auch eine entsprechende Würdigung.
Vielen Dank.
Herr Minister, ich danke Ihnen. - Wir kommen zunächst zu den Fragen zu diesem Themenbereich.
Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann.
Frau Präsidentin! Herr Minister, dass Sie uns heute
mit Stolz ein Hafenkonzept vorstellen, ist für mich ein
Armutszeugnis. Das hätten Sie viel früher tun müssen,
nicht am Ende der Legislaturperiode, sondern zu einem
Zeitpunkt, zu dem Sie noch Einfluss auf seine Umsetzung gehabt hätten. Sie hätten spätestens in der Mitte
dieser Legislaturperiode ein Hafenkonzept vorlegen
müssen, damit man Sie daran hätte messen können, welche der Maßnahmen, die Sie in Ihrem Hafenkonzept beschrieben haben, Sie auch umgesetzt haben.
Konkret: Auf Seite 71 heißt es: Die bestehenden Kooperationen zwischen den Häfen reichen nicht aus. Hier stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Allerdings frage
ich Sie: Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?
Haben Sie in Ihrem Konzept außer dieser Feststellung
auch eine Aussage dazu getroffen, was lenkend auf die
Häfen einwirkt, zum Beispiel auf die Kooperation zwischen den Häfen Hamburg und Bremerhaven? Ich habe
zu dieser Frage nichts gefunden. Da ich Ihr Konzept erst
heute erhalten habe, konnte ich es allerdings nicht bis ins
Detail durcharbeiten. Vielleicht können Sie mir dazu
Auskunft geben.
Vielen Dank. - Was Ihre erste Bemerkung angeht, bin
ich anderer Meinung als Sie. Sie wissen, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Mobilität in
Deutschland in einem Gesamtzusammenhang zu sehen
und sie strategisch und im Rahmen ganz konkreter Projekte zu untersuchen. Wir haben in einem umfangreichen
Verfahren unterschiedlichste Partner angehört und letztlich den Masterplan Güterverkehr und Logistik vorgelegt, mit dem die Grundlage des Hafenkonzepts geschaffen wurde. All die Maßnahmen, die zur strategischen
Grundausrichtung im Hinblick auf den Güterverkehr und
die Logistikbranche notwendig waren, sind also bereits
in der Mitte dieser Legislaturperiode ergriffen worden.
Insgesamt wurden 35 Maßnahmen vorgeschlagen, die
unter anderem nun im Hafenkonzept konkretisiert werden.
Darüber hinaus werden im Hafenkonzept natürlich
auch Maßnahmen, die bereits durchgeführt worden sind,
beschrieben. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: In
Zukunft wird die Hinterlandanbindung von Hamburg
eine große Rolle spielen, Stichwort Y-Trasse. Dieses
Thema wurde im Hafenkonzept aufgegriffen. Wenn Sie
Gelegenheit haben, das Hafenkonzept etwas gründlicher
zu studieren, werden Sie mir recht geben.
Selbstverständlich fangen wir nicht erst im Juni 2009
an, Infrastrukturmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Im
Gegenteil, in den Haushalt 2008/2009 haben wir erstmalig einen Titel zur Hinterlandanbindung eingestellt und
ihn mit rund 250 Millionen Euro dotiert. Wir haben also
schon früher mit den entsprechenden Planungen begonnen.
Da Sie nach der Kooperation zwischen den Häfen gefragt haben, sage ich Ihnen: Bereits in der letzten Legislaturperiode haben wir die sogenannten Nationalen Maritimen Konferenzen auf den Weg gebracht. Dabei
handelt es sich um eine bestimmte Form der Verständigung, bei der sich all diejenigen, die direkt oder indirekt
mit Häfen verbunden sind, koordinieren und abstimmen
sowie konkrete Projekte durchführen können.
Auf dem Feld, das Sie indirekt angesprochen haben,
sehe ich weiteren Abstimmungsbedarf. Da wir uns auf
die Fahne geschrieben haben, in den nächsten Jahren in
Wilhelmshaven einen neuen Tiefwasserhafen zu bauen,
ist es zwingend notwendig, dass alle beteiligten Länder
noch enger als bisher kooperieren. Nur so kann an der
Nordsee, zwischen Hamburg und Wilhelmshaven, aber
auch zwischen Bremen und der Ems eine koordinierte
Vorgehensweise ermöglicht werden. Ich habe bei der
letzten Konferenz der Ministerpräsidenten der norddeutschen Länder einmal mehr darauf hingewiesen, dass das
nötig ist. Das ist eine Angelegenheit der Bundesländer.
Der Bund appelliert, initiiert, koordiniert, wenn es nötig
ist. Wir können hier durchaus noch besser werden. Wir
wollen im Wettbewerb mit den anderen europäischen
Häfen - Stichworte Rotterdam, Antwerpen - bestehen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Rainder
Steenblock.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
würde da gerne anknüpfen.
Die Kooperation der Häfen ist, wenn es um die großen Herausforderungen insbesondere des Containerverkehrs geht - Sie haben auf Wilhelmshaven hingewiesen -,
von zentraler Bedeutung. Auf Seite 71/72 in Ihrem Konzept, wo es um die Kooperation der Häfen geht, steht
allerdings nur, dass der Bund von den Häfen erwartet,
dass sie kooperieren, und dass der Bund daran mitarbeitet. Der Bund nur als koordinierende Instanz, wie er es
im Föderalismus auch an vielen anderen Stellen ist, das
erscheint mir ein bisschen zu wenig.
Sie haben auf die Hafengesellschaften hingewiesen.
EUROGATE arbeitet in den verschiedenen Tiefwasserhäfen - bzw. in den Häfen, die das gerne werden möchten -, die HHLA, die Hamburger Hafen und Logistik
AG, hingegen überhaupt nicht. Dadurch gibt es bestimmte Probleme bei der Kooperation mit Wilhelmshaven. Hat Ihr Ministerium eine Vorstellung davon, wie
eine Arbeitsteilung zwischen den Tiefwasserhäfen Bremerhaven und Wilhelmshaven und dem Hafen Hamburg
aussehen könnte? Könnte man das durch Kurzstreckenverkehr bewältigen? Sie sagen, dass die Häfen kooperieren sollen. Das haben sie aber in den letzten Jahrzehnten
nicht getan. Haben Sie Ideen, wie eine Kooperation aussehen könnte?
Das Zweite, was ich gerne ansprechen möchte, ist die
Landstromversorgung von Schiffen in Häfen. Die Grünen haben - ich glaube vor drei Jahren - im Verkehrsausschuss einen Antrag eingebracht, die Bundesregierung zu bitten, die Landstromversorgung zu fördern,
weil wir sie für eine vernünftige Sache halten. Ich freue
mich, dass mittlerweile auch die Bundesregierung zu
dieser Auffassung gelangt ist. Gibt es konkrete Vorstellungen, wie man - es geht mir jetzt nicht um große Subventionen - die Hafenstandorte dabei unterstützen kann,
schrittweise eine Infrastruktur dafür aufzubauen? Denn
das erfordert ja gewaltige Investitionen.
Zur Schiene. Sie haben die Y-Trasse angesprochen.
Auch darüber wird seit Jahrzehnten diskutiert. Mir scheint,
was die Hinterlandanbindung angeht, die Straße in Relation zur Schiene zu stark betont. Was vernachlässigt wird,
ist die Entwicklung der Schienenverkehrsknoten. In Hamburg und Bremen sind die Schienenverkehrsknoten ein
großes Problem. Wenn wir die Schienenverkehrsknoten
modernisieren, können die bestehenden Trassen mehr
Vielen Dank. - Zu Ihrer ersten Frage, zur Frage nach
der Kooperation. Ich will zunächst einmal klarstellen,
dass wir die Verteilung der Kompetenzen zwischen
Bund und Ländern nicht antasten wollen. Wir wollen mit
unserem Konzept nicht in die Kompetenzbereiche der
Länder bzw. der Hafeneigentümer hineinregieren. Wir
sind bereit, an den Stellen, wo wir keine Kompetenz haben, die Koordinierung, das Anstoßen, auch das Appellieren zu übernehmen; das vorausgeschickt.
Wir sind uns mit den Ministerpräsidenten der norddeutschen Länder einig, dass es zu einer verstärkten Kooperation der Häfen kommen muss. Dies resultiert schon
allein daraus, dass die Schiffe, die Container transportieren, in der Zukunft andere Abmessungen haben werden
als jetzt. Aus diesem Grund brauchen wir den Tiefwasserhafen Wilhelmshaven. Wir brauchen - da ist der Bund
gefragt - eine Anbindung, die zugleich eine Verbindung
zwischen den Häfen darstellt. Denken Sie zum Beispiel
an die Schienenanbindung Wilhelmshaven-Oldenburg,
oder denken Sie an die Quertrasse, an die Weiterführung
der A 20/A 22 bis an die niederländische Grenze.
Das Raumordnungsgesetz - ich habe das bereits anklingen lassen - gibt uns als Bund die Möglichkeit, die
Standortkonzepte der einzelnen Länder bzw. der einzelnen Häfen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern
im Rahmen einer übergeordneten Planung mit diesen
Standortkonzepten die Entwicklung der Häfen voranzutreiben. Das heißt, wir sitzen mit den Hafenbetreibern
bzw. mit den Bundesländern an einem Tisch.
Noch einmal: Der entscheidende Punkt ist, dass wir
dafür sorgen, dass die Häfen auch infrastrukturell zusammenarbeiten können. Ich will ein anderes Beispiel
nennen: Wenn wir es schaffen, den Nord-Ostsee-Kanal
so zu ertüchtigen, dass die Verbindung zu den Ostseehäfen besser gewährleistet ist, dann werden wir den Feederverkehr von der Nordsee in die Ostsee und letztlich
auch die Kooperation besser realisieren können. Deshalb
ist es unser Ziel, sowohl den Nord-Ostsee-Kanal und die
Binnenwasserstraßen als auch die Schiene und die Straßensysteme auszubauen.
In den entsprechenden Maßnahmenpaketen haben wir
ja auch niedergelegt, was wir tun wollen. Bei der Hinterlandanbindung geht es nicht nur um die Y-Trasse,
sondern wir wollen beispielsweise auch die B 96 von
Sassnitz nach Berlin ertüchtigen und die Eisenbahnverbindung zwischen Stralsund und Berlin verbessern. Alles das ist dort niedergelegt.
Das Zweite. Ich will jetzt nicht darüber streiten, wer
der Vorschlaggeber bzw. der Initiator gewesen ist - das
ist auch relativ unerheblich -, wenn es darum geht, dass
wir die Landstromversorgung verbessern müssen. Es ist
an den Häfen - insbesondere an den Häfen, an denen die
großen Luxusschiffe anlegen - nach wie vor ein großes
Problem, dass dort aufgrund der Dieselabgase die CO2Bilanz über mehrere Tage und zum Teil Wochen verschlechtert wird. Sie sind sicherlich mit mir einer Meinung, dass das eine Angelegenheit ist, die wir vorwiegend auf europäischer Ebene lösen müssen; denn es
lohnt sich nicht, ein Vorhaben in Gang zu setzen, das
nicht dem europäischen Standard entspricht, sodass das
entsprechende Equipment nur für die deutschen Häfen
auf den Schiffen vorhanden sein muss.
Worauf zielen wir ab? Wir wollen eine Verständigung
in Europa, und wir wollen eine Technologie, bei der entweder die Wasserstoff- oder die Brennstoffzelle zur Anwendung kommt oder die mit Biogas oder anderem Gas
betrieben werden kann. Hier befinden wir uns gerade in
der Diskussion darüber, wie wir zumindest in den europäischen Häfen eine Standardisierung auf den Weg bringen können. Mit dem entsprechenden Etat, den es in
meinem Haus dafür gibt, forschen wir weiter an der Lösung dieses Problems.
Zu Ihrer dritten Frage, also zur Relation Schiene/
Straße. Ich hatte es bereits angesprochen: Unser Bestreben ist es, eine möglichst umweltfreundliche Anbindung
der Seehäfen an die Binnenwasserstraßen und die
Schiene zu gewährleisten. Deshalb fokussieren wir bei
dem Problem Hinterlandanbindung die Ertüchtigung der
Schiene.
Sie haben die Knoten - insbesondere in Bremen und
Hamburg - angesprochen. Sie wissen, dass wir den Bremer Knoten aktuell ausbauen. Es kommt aber auch noch
auf etwas anderes an; das finden Sie wieder im Masterplan Güterverkehr und Logistik. Das zentrale Problem
der nächsten Zeit wird sein, die gebrochenen Transportketten genauso wie übrigens auch die gebrochenen Reiseketten zu organisieren. Stichworte sind „Terminals im
Kombinierten Verkehr“ und „Umschlagstechnologien“,
mit denen wir uns intensiv beschäftigen. Wie gelingt es
uns, vom Hafen direkt auf die Binnenwasserstraße bzw.
auf die Schiene umzuladen? Oder: Wie gelingt es uns,
die Container oder sogar die Sattelaufleger in den kombinierten Verkehrsterminals über eine kurze Lkw-Strecke auf die Schiene zu bringen?
Hier sind wir vorangekommen. Sie wissen, dass wir
den Etat dafür hier im Bundestag deutlich aufgestockt
haben. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, stellen
wir dafür mittlerweile rund 115 Millionen Euro pro Jahr
zur Verfügung. Dadurch soll unterstrichen werden, dass
wir genau diesem Thema die höchste Aufmerksamkeit
widmen. Es geht um die Verlagerung des Verkehrs von
der Straße auf die Schiene bzw. auf die Binnenwasserstraße. Noch besser wäre es, wenn für die Verlagerung
keine Straße benötigt würde, sodass die Verlagerung direkt auf die Schiene bzw. auf die Binnenwasserstraße
erfolgen könnte. Aus diesem Grunde gibt es auch die
Cluster, die Sie sehen - Stichworte: Binnenhäfen, Binnenwasserstraßen -, mit denen diese Verzahnung zwischen den Seehäfen, den Binnenhäfen und den Binnenwasserstraßen ermöglicht werden soll.
Das Wort hat nun die Kollegin Annette Faße.
Vielen Dank. - Herr Minister, ich begrüße es sehr,
dass wir diesen Plan haben, der nicht nur die Seehäfen,
sondern auch die Binnenhäfen betrifft. Wir haben auf
vielen Veranstaltungen in der letzten Zeit erfahren, dass
auch die Wirtschaft diesen Zusammenhang sehr deutlich
sieht. Wie können wir diese Zusammenarbeit zwischen
den Seehäfen und den Binnenhäfen politisch unterstützen? Der Kombiverkehr ist dabei natürlich ein Stichwort.
Zweiter Punkt. Je mehr Güter wir auf die Schiene
bringen, desto mehr müssen wir uns natürlich auch mit
dem Thema „Lärm auf der Schiene“ auseinandersetzen.
Trotz der guten Argumente, den Verkehr auf die Schiene
zu verlagern, wissen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger an bestimmten Strecken schon heute ihre Sorgen und
Nöte haben. Ich möchte gerne noch einmal nachfragen,
wie das Haus mit dieser Thematik umgehen möchte.
Vielen Dank. - Tatsächlich gibt es noch Potenzial bei
der Zusammenarbeit der Seehäfen und Binnenhäfen
bzw. bei der Nutzung der Binnenwasserstraßen. Ich
möchte noch einmal die regelmäßigen Nationalen Maritimen Konferenzen ansprechen, die damals unter RotGrün gestartet worden sind. Deutschland hat sich zu seinen Seehäfen und Binnenhäfen bekannt. Ich will es etwas plakativ ausdrücken: Nachdem die Wirtschaft und
die Öffentlichkeit der Nordsee und Ostsee früher eher
den Rücken zugekehrt haben - sie haben unsere kleinen
und großen Tore zur Welt dort vernachlässigt und hatten
eher das Binnenland im Blick -, hat in den letzten sieben
oder acht Jahren eine völlig neue Politik ihren Niederschlag gefunden.
Die Maritimen Konferenzen sind entscheidend, um
die Betreiber von Binnenhäfen und Überseehäfen zusammenzubringen. Ich gehe davon aus, dass nicht nur
die Diskussion in Vorbereitung des Hafenkonzeptes,
sondern auch die im Nachgang in verschiedenen Runden, die auch mein Haus leitet, dazu beitragen wird, jetzt
die Projekte konkret umzusetzen, die im zweiten Teil des
Konzepts aufgeführt sind. Wir werden die Umsetzung
nicht nur konkretisieren, sondern auch evaluieren. Ich
gehe davon aus, dass wir Formen der Zusammenarbeit
finden werden.
Darüber hinaus ist zum Beispiel das Stichwort Mobilitätsoffensive zu nennen. Das ist im Übrigen auch eine
Antwort auf die Frage der Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger. In der Mobilitätsoffensive finden
sich die Hafenbetreiber - diejenigen, die Binnenhäfen
und Binnenschifffahrt verantworten - genauso wie beispielsweise die Betreiber der Deutschen Bahn und der
Straßengüterverkehre. Sie müssen stärker kooperieren.
Das soll zum Beispiel durch das Instrument der Mobilitätsoffensive ermöglicht werden.
Das Thema Lärm ist eines der wichtigsten Themen,
wenn es um Umweltschutz oder Lebensqualität geht.
Mobilität verliert dort zunehmend an Akzeptanz, wo der
Lärm zunimmt. Die Lärmkarte stellt insbesondere in Bezug auf das Rheintal dar, wo wir ansetzen müssen.
Wir haben, wie Sie wissen, vor etwa anderthalb Jahren ein Lärmschutzkonzept vorgelegt, an dessen FortBundesminister Wolfgang Tiefensee
schreibung wir derzeit arbeiten. Im Zusammenhang mit
diesem Konzept haben wir die Gelder für Lärmschutz
- sowohl für die Forschung als auch für die Realisierung
der Vorhaben - deutlich erhöht. Hier handelt es sich um
150 Millionen Euro, also eine Verdoppelung.
Was die Schienenlärmproblematik angeht, müssen
wir von den vier oder fünf Meter hohen Mauern wegkommen, die die Schienen eingrenzen, zugunsten moderner Formen wie der Kompositbremse, der LL-Sohle
oder der 75 Zentimeter hohen, unmittelbar am Gleisbett
befestigten Wand bzw. der Flanschen an den Schienen.
Alles das probieren wir derzeit aus.
Das Konjunkturpaket II hat einen deutlichen Aufwuchs im Bereich des Lärmschutzes ermöglicht. Das gilt
für die Schiene genauso wie für die Straße. Die Bundesregierung hat sich dieses Themas nicht nur in dieser Legislaturperiode angenommen, sondern ich denke, das
wird auch in der kommenden Legislaturperiode ein sehr
wichtiges Thema sein. Es ist mir ein persönliches Anliegen, entscheidend und dem State of the Art entsprechend
voranzukommen.
Eine weitere Frage hat der Kollege Lutz Heilmann.
Frau Präsidentin! Herr Minister, ich habe eine Nachfrage. Mein Kollege Rainder Steenblock hat das Stichwort Landstromversorgung angesprochen und Ihnen
mehrere Fragen dazu gestellt. Die Bundesregierung hat
nach meinem Kenntnisstand bei der Europäischen Union
die Befreiung der Stromsteuer beantragt. Wie ist der aktuelle Stand?
Das Hafenkonzept hält nach meinem Dafürhalten unbeirrt am Wachstumsglauben fest. Wir befinden uns derzeit in einer der schwersten Wirtschaftskrisen. Das überarbeitete Konzept geht auch kurz darauf ein. Sind Sie
sich sicher, dass der Ölpreis im Jahr 2020 oder 2025 bei
60 Dollar pro Barrel liegen wird? Derzeit sind es
70 Dollar. Wenn es zum wirtschaftlichen Aufschwung
kommt, wird er sicherlich weiter steigen. Warum gibt es
dazu keine realistischen Zahlen? Warum werden keine
realistischen Verkehrsprognosen erstellt, die dem Hafenkonzept als Grundlage dienen könnten? Daher meine
Frage: Wann wird dies überarbeitet und in das Konzept
aufgenommen?
Zur ersten Frage: Soweit ich informiert bin, stand in
der letzten Sitzung des EU-Verkehrsministerrates die
Vereinheitlichung der Standards hinsichtlich des Equipments zur Nutzung von Landstrom auf der Tagesordnung. Eine Entscheidung der Kommission darüber, wie
man sich nun voranbewegen will, steht noch aus. Wir
drängen die Kommission, an dieser Stelle voranzukommen. Ich sage noch einmal: Ohne eine europäische Lösung wäre wahrscheinlich eine Fehlinvestition zu erwarten. Wir brauchen einen einheitlichen europäischen
Standard. Die entsprechenden Entscheidungen stehen
aus. Deutschland drängt darauf.
Zu den Fragen hinsichtlich der Prognosen: Sie kennen
das alte Sprichwort, dass nichts so unsicher ist wie Prognosen, die die Zukunft betreffen. Trotzdem haben wir
aus der Vergangenheit gelernt. Im Jahre 1999 haben wir
im Bundesverkehrswegeplan eine Prognose, beispielsweise für den Containerumschlag in Hamburg, erstellt.
1999 haben wir prognostiziert, dass im Jahre 2015 die
TEU, die Maßzahl für Containerkapazitäten, für Hamburg 9 Millionen betragen wird. Diese Zahl wurde bereits im Jahre 2005 erreicht. Wir gehen jetzt - das haben
Sie vielleicht gelesen - für Hamburg von einer Verdreifachung dieser Zahl bis zum Jahre 2020 bzw. 2025 aus.
Aktuell ist im Containerverkehr ein deutlicher Rückgang von bis zu 25 Prozent zu verzeichnen. Ich gehe allerdings davon aus, dass es sich um eine Art Sägezahnbewegung handelt. Wir haben den Anstieg bis zum Ende
des Jahres 2008 gesehen. Im Umschlag gibt es einen
Einbruch um 20 bzw. 25 Prozent. Der Umschlag wird
aber, unter Umständen ein oder zwei Jahre zeitversetzt,
wieder entsprechend zunehmen. Die Prognosen - nicht
nur in Bezug auf den Containerumschlag - deuten darauf
hin. Darauf müssen wir uns vorbereiten.
Im Konzept findet sich aber auch die Frage nach der
Optimierung, zum Beispiel der Transferverkehre bzw.
der Transitverkehre. Ähnlich wie beim Masterplan Güterverkehr und Logistik brauchen wir auch hier eine europäische Lösung. Die Frage ist also: Wo landet das
Containeraufkommen an? Wo kann man es im Sinne der
Verteilung über Europa am besten anlanden lassen? Wir
stellen uns der Prognose also nicht, indem wir nur passiv
zusehen. Wir wollen aktiv und gemeinsam auf europäischer Ebene gestalten, indem wir zum Beispiel die Häfen im Mittelmeerraum ausbauen und die Anbindung des
rumänischen Hafens in Constanza vorantreiben, Stichwort: transeuropäische Netze. Dies wäre nicht nur für
Constanza äußerst wichtig, sondern auch, um die Europäische Union vom Süden her zu erschließen; beides ist
nötig.
Wir müssen uns auf die Containerverkehre und auf
die Gütermengen, die sich bis zum Jahre 2025 verdoppeln werden, einrichten. Weiterhin müssen wir eine intelligente Verteilung in der Europäischen Union vornehmen, indem wir die Möglichkeit der Ertüchtigung
anderer Häfen über die transeuropäischen Netze realisieren.
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Dr. Margrit
Wetzel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
möchte auf das, was Sie auf die ersten Fragen von Herrn
Heilmann geantwortet haben, zurückkommen. Ich bin
nämlich anders als der Kollege Heilmann der Meinung,
dass es sehr gut ist, dass das Nationale Hafenkonzept
sehr gründlich erarbeitet wurde. Meines Erachtens
wurde es uns zu einem optimalen Zeitpunkt vorgelegt.
Sie haben durch die gründliche Erarbeitung sicherlich
Gelegenheit gehabt, es daraufhin zu prüfen, ob es den
Einbrüchen, die wir momentan durch die aktuelle Krise
erleben, standhält. Meine Frage lautet ganz konkret:
Trägt das Nationale Hafenkonzept durch die Nachhaltigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, dazu bei, die aktuelle Krise zu überwinden? In diesem Zusammenhang
möchte ich anschließend fragen: Führt die bessere Kooperation der Häfen - Sie haben dazu schon eine ganze
Menge gesagt - dazu, die Attraktivität des Hafenstandortes Deutschland gegenüber den ARA-Häfen zu stärken?
Mein zweiter Fragenbereich betrifft die Hinterlandanbindungen, deren Ausbau sehr viele Mittel verschlingen
wird, wie wir alle wissen. Das heißt, die Finanzierung
wird sich notwendigerweise über etliche Jahre erstrecken müssen. Wie können wir ein bisschen Zuversicht in
die Regionen tragen - wie Sie wissen, komme ich aus
Norddeutschland -, dass die Durchfinanzierung des
Ausbaus der Hafenhinterlandanbindungen stetig erfolgen wird? Ich gehe davon aus, dass wir die Krise gut
überwinden werden, und zwar hoffentlich schnell. Dann
werden die Verkehre wieder zunehmen. Wie wir alle
wissen, haben die norddeutschen Hafenstädte in der Vergangenheit sehr unter Staus gelitten. Insofern ermöglicht
die aktuelle Krise, Luft zu holen und die Infrastruktur
auszubauen und somit ein Stück weit wieder Vorsorge
gegen Staus zu betreiben. Sieht der Bund aber auch
Möglichkeiten, im Zuge kurzfristiger Entlastungen in irgendeiner Form mit den Ländern zu kooperieren? Geht
es nur um die Y-Trasse, oder ist auch an kurzfristige
Maßnahmen gedacht?
Zu Ihrem ersten Fragenkomplex: Die deutschen Häfen an der Nordsee und der Ostsee sind, wie im Hafenkonzept beschrieben, hervorragend ausgebaut und aufgestellt, um langfristig die Bedürfnisse zu decken - wir
werden sicherlich noch eine Menge tun und Anpassungen vornehmen müssen; darüber haben wir gerade
gesprochen; aber wir haben ein hervorragendes Fundament -, aber auch so stabil, die jetzige Wirtschaftskrise
gut zu überstehen. Natürlich ist es nicht einfach, Einbrüche in Höhe von 20 bis 25 Prozent zu verkraften.
Aber in einer Kooperation der Häfen sollte es möglich
sein, Entlassungen von Arbeitskräften zu vermeiden.
Zu Ihrem zweiten Fragenkomplex: Wir sollten die
durch die Wirtschaftskrise verursachte Atempause nutzen - damit haben Sie völlig recht -, um den Ausbau der
Infrastruktur voranzutreiben. Das will ich am Geldvolumen deutlich machen. Uns steht im Haushalt 2009/2010
erstmalig eine Summe zur Verfügung, die weit oberhalb
der 10-Milliarden-Euro-Grenze liegt. Der Bundesverkehrswegeplan, der, wie wir alle wissen, kein Finanzplan
ist, beschreibt für die Maßnahmen des vordringlichen
Bedarfs die Notwendigkeit, etwa 10 Milliarden Euro pro
anno zur Verfügung zu stellen. Wir haben natürlich einen
gewissen Stau - vor allem im Norden Deutschlands abzubauen. Erstmalig stehen uns 12 Milliarden Euro
statt wie bisher knapp 9 Milliarden Euro zur Verfügung,
um die Krise zu bewältigen, die Bauwirtschaft anzukurbeln und nachhaltig in die Infrastruktur zu investieren.
Diese 12 Milliarden Euro setzen wir ein, um den Stau
buchstäblich abzubauen. Wenn es um die Aufstellung
des nächsten Haushalts und die mittelfristige Finanzplanung geht, kommt es darauf an - ich kämpfe dafür und
bitte um Ihre Unterstützung -, in den nächsten Jahren
eine Verstetigung auf dem Niveau von 10 Milliarden
Euro vorzunehmen. Das ist die Voraussetzung für eine
stabile Finanzierung des Ausbaus der Hinterlandanbindungen. Die Y-Trasse mit einem Kostenvolumen von
mehreren Milliarden Euro bedarf einer langfristigen, stabilen Finanzierung. Ansonsten ist sie nicht zügig zu realisieren.
Sie haben des Weiteren danach gefragt, wie wir kurzfristig helfen können. Wir suchen gemeinsam mit den
Ländern nach Lösungen. Ich nenne als Stichwort Wilhelmshaven/Oldenburg. Wenn der Hafen im Jahre 2010
seinen Betrieb aufnimmt, ist es wichtig, dass die entsprechenden Verkehre bewältigt werden können. Die Deutsche Bahn AG ist bestrebt, das zu tun. Wir unterstützen
sie dabei gemeinsam mit den Ländern. Aber ich befürchte, dass die Hauptlast wohl vom Bund zu tragen
sein wird, erst recht in finanzieller Hinsicht. Auch die
Länder sind gefordert - Stichworte Y-Trasse und Heidebahn -, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen, Linienbestimmungen vorzunehmen, die Träger öffentlicher Belange einzubeziehen und dafür zu sorgen,
dass wir schnell und gründlich planen können, uns nicht
in juristischen Verfahren verfangen und die Realisierung
nicht hinausgezögert wird. Das ist die Hauptaufgabe der
Länder als Auftragnehmer und Auftragverwalter.
Herr Kollege Rainder Steenblock, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
würde gerne eine Bemerkung von Frau Dr. Wetzel aufgreifen. Auch wir begrüßen, dass dieses Konzept vorliegt. Ich will mich nicht über den Zeitpunkt streiten. Es
ist zumindest für den Wahlkampf da. Vor dem Hintergrund, dass Sie so lange gebraucht haben und es, was
richtig ist, gründlich machen wollten, finde ich es ausgesprochen schade, dass Sie nicht die Gelegenheit genutzt
haben, die aktuellen Entwicklungen in diesem Konzept
zu berücksichtigen. Es steht nämlich überhaupt nichts
von der aktuellen Situation darin. Wir haben die Krise
im Bereich des internationalen Warenverkehrs nicht erst
seit Anfang dieses Monats. Die Chance, sich anzuschauen, was aktuell geschieht und wie lange die Situation andauert, haben Sie leider nicht genutzt. Es gibt
viele Experten, die sagen, dass wir, um auf das Niveau
des Containerumschlags zum Beispiel von 2008 zu kommen, vier, fünf Jahre brauchen werden. Da sind wir mit
unseren 9 Millionen TEU für Hamburg noch relativ optimistisch gewesen. Die Frage ist, ob die Prognosen aktualisiert werden. Das würde dieses Werk sicherlich ein bisschen realistischer machen.
Ich würde gerne zum Thema Kooperation kommen,
weil ich finde, dass der Bund im Interesse der Steuerzahler anders agieren muss. Sie berufen sich auf den Föderalismus und verweisen auf die Aufgabe der Häfen. Das
haben wir damals in der Föderalismuskommission I so
beschlossen. Aber die Hinterlandanbindung erfolgt
durch den Bund und wird vom Bund bezahlt. Es kann
nicht im Interesse des Bundes sein, jedem Hafen das zu
bezahlen, was er gerne möchte. Das Kooperationsinteresse betrifft auch den bundesdeutschen Steuerzahler.
Deshalb halte ich es für vernünftig, den Häfen Kooperationsauflagen zu machen und die Hinterlandanbindung
nur dann zu bezahlen, wenn sie Steuergelder sparen. Ich
spreche damit insbesondere die Elbvertiefung an. Ich
glaube, das Projekt kann unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht sinnvoll finanziert werden. Auch
10 000-TEU-Containerschiffe können Hamburg anlaufen. Sie können das nicht zu jeder Zeit - das hängt von
der Ebbe- und Flutsituation ab -, aber die Reeder haben
unter den Bedingungen der Ölkrise die Geschwindigkeiten auf den Interkontinentalrouten sowieso dramatisch
reduziert. Zeit spielt also keine große Rolle. Haben Sie
eine Vorstellung, wie man Kooperation im Interesse des
Bundessteuerzahlers so steuern kann, dass nicht überall
in das Gleiche investiert wird, sondern Schwerpunkte
gesetzt werden?
Mein letzter Punkt: Wo fangen wir eigentlich an? Es
gibt in dem Konzept eine Reihe von Maßnahmen, die
auch wir für sinnvoll halten. Bei einzelnen Projekten haben wir Differenzen. Meine Frage bezieht sich darauf,
unter den Bedingungen einer Zeitsteuerung Schwerpunkte zu setzen und einen Zeitplan zu erstellen. Was
machen wir eigentlich als Erstes? Sie werden nicht immer genug Geld zur Verfügung haben. Es ist schön, dass
Sie zum Wahlkampf so viel Geld für die Infrastruktur
haben. Unter den Bedingungen der Finanzkrise ist aber
davon auszugehen, dass Sie das Geld angesichts der Verschuldung der öffentlichen Haushalte nicht haben. Wie
erreicht man eine Priorisierung der Vorschläge?
Zur ersten Frage: Ich bin der Überzeugung, dass wir
mit dem Langfristkonzept und den Prognosen richtig liegen, auch wenn wir jetzt einen Einbruch haben und die
Zielmarke gegebenenfalls um ein oder zwei Jahre verfehlen. Deshalb ist der Grundansatz dieses Konzepts ein
langfristiger. Es geht nicht darum, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Häfen in den nächsten zwei Jahren durch
die Krise kommen. Die Bundesregierung kümmert sich
darum, dass wir das schaffen. Sie ist mit im Boot und kooperiert mit den Häfen, wenn es darum geht, voranzukommen.
Zum Zweiten: Kooperation, ja. Ich denke, ich habe
dazu erschöpfend Stellung genommen. Sie sprechen die
Infrastruktur an, die der Bund bezahlen und ausbauen
muss und die nach Ihrer Meinung von dieser Kooperation abhängig ist. Wir haben eine ganz klare und genaue
Vorstellung, wie jeder einzelne Hafen angebunden werden soll. Die Projekte stehen im Einzelnen im vordringlichen bzw. im weiteren Bedarf; sie sind im Übrigen
aufgelistet. Wir wissen, um wieder die Strecke Wilhelmshaven-Oldenburg anzusprechen, dass wir eine zweigleisig elektrifizierte Strecke brauchen. Wir wissen, dass wir
Sassnitz mit der B 96 anbinden. Die ist im Plan, wenn
auch im weiteren Bedarf, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Das Gleiche gilt für die Y-Trasse und die Eisenbahnverbindung zwischen Hamburg und Lübeck, um
die Verbindung zwischen der Nordsee und der Ostsee
anzusprechen. Das alles ist unabhängig von einer Kooperation oder Nichtkooperation im Einzelnen geplant,
genau dimensioniert und entsprechend diesem Konzept
auf die Warenmengen abgestimmt. Aus diesem Grunde
besteht da kein Nachholbedarf, ganz im Gegenteil. Wir
haben das alles dargestellt.
Sie haben nach den Prioritäten gefragt: In diesem
Konzept der Hinterlandanbindung ist im Einzelnen beschrieben, welche Maßnahmen vordringlich sind. Eine
der dringendsten Maßnahmen habe ich mehrfach angesprochen; ich will mich nicht wiederholen. Es gibt also
eine klare Vorstellung davon, wo die Prioritäten liegen.
Wenn der Verkehrsminister in der Zukunft über genügend Geld verfügt - damit sind die angesprochenen
10 Milliarden Euro gemeint -, dann wird der Hinterlandausbau entsprechend diesen Prioritäten vorangetrieben.
Herr Minister, ich bedanke mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Gerne.
Wir haben den zeitlichen Rahmen der Regierungsbefragung voll ausgeschöpft. Damit beende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/13331 Ich rufe die Fragen in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 1 der Kollegin Sabine
Zimmermann wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Frage 2 der Kollegin Ulrike Höfken
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verteidigung. Die Frage 3 der Kollegin
Petra Pau wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 4 des Kollegen
Frank Spieth wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Für die Beantwortung der
Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter
Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Omid Nouripour
auf:
Wie ist der Aufenthalt des wahabitischen Hasspredigers
A. I. J. in Deutschland mit seinen islamistischen Äußerungen
vereinbar?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Nouripour, es geht um Herrn A. I. J., wenn ich das so abkürzen darf, wie Sie es in Ihrer Frage getan haben. Soweit wir wissen, ist er aus der Bundesrepublik Deutschland inzwischen wieder ausgereist, und zwar am 30. Mai
2009. Er war während einiger Wochen hier, weil er lebensbedrohlich erkrankt war. Der Aufenthalt hatte nach
unserer Kenntnis ausschließlich medizinische Gründe.
Er ist in einem Krankenhaus in Deutschland medizinisch
versorgt worden.
Was die Einreise angeht, so verfügte er über ein
Schengen-Visum, das Frankreich ausgestellt hatte. Damit ist er rechtmäßig nach Deutschland eingereist.
Nachfrage, Herr Kollege.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir erleben
bei Großveranstaltungen, zum Beispiel bei Fußballweltmeisterschaften oder -europameisterschaften, dass es in
dringenden Fällen kein Problem ist, ein Schengen-Visum auszusetzen. Die Bundesregierung hat vor dem Hintergrund dessen, dass Herr Ibn Jibrin bereit ist, auch die
Taten von Osama Bin Laden zu rechtfertigen, nicht daran gedacht, von einer solchen Restriktion Gebrauch zu
machen. Seit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes wissen wir, dass auch deutlich weniger extremistische Äußerungen zu einer sofortigen Ausweisung führen
können, wenn man sie in einer Moschee in BerlinKreuzberg tätigen würde.
Der Vorgang ist so abgelaufen, wie ich ihn geschildert
habe.
Ich kann noch einmal sagen, dass der Betreffende, soweit mir bekannt ist, während seines Aufenthalts in
Deutschland keine derartigen Äußerungen getätigt hat.
Wollen Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?
Ja. - Ich habe Sie so verstanden: Wenn jemand in Pakistan extremistische Predigten hält, kann er ruhig nach
Deutschland kommen, solange er in der Zeit, in der er
hier ist, diese nicht hält; dann hat man kein Problem damit, ihn quasi als Staatsgast zu behandeln. Ist das richtig?
Nein. Ich weise diese Unterstellung in aller Form zurück.
Ich habe Ihnen geschildert, wie dieser konkrete Fall
abgelaufen ist: Der Betroffene ist mit einem gültigen
Visum eingereist. Er war dann zur Behandlung im Krankenhaus. Im Übrigen kam es dann zu einer Strafanzeige.
In der Folge dieser Strafanzeige wurden weitere Maßnahmen getroffen. Die Maßnahme, die Sie eben angesprochen haben, wurde dabei nicht ergriffen.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Nouripour zum
gleichen Sachverhalt auf:
Welcher Art und zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von A. I. J. in
Deutschland Zusagen an die Regierung von Saudi-Arabien
gemacht?
In Frage 6 sprechen Sie Schutzmaßnahmen an, die die
Bundesregierung veranlasst haben könnte. Dazu kann
ich Ihnen Folgendes sagen: Der Bundesminister des Innern war in einem völlig anderen Zusammenhang am
27./28. Mai dieses Jahres in Saudi-Arabien. Bei diesem
Besuch hat die saudische Regierung eine entsprechende
Bitte an den Bundesinnenminister gerichtet. Der Bundesinnenminister hat dann erklärt, dass nach seiner Kenntnis das Landeskriminalamt Berlin bereits Schutzmaßnahmen veranlasst habe und insofern für die Sicherheit
von A. I. J. in Deutschland Sorge getragen werde.
Eine Nachfrage, Herr Kollege?
Ja. - Habe ich Sie richtig verstanden: Aufgrund einer
Strafanzeige wurde Personenschutz für diesen Menschen
bereitgestellt? Das ist auch logisch; in diesem Land
macht man das nun einmal so. Aber darüber hinaus sind
der saudischen Seite keine weiteren Zusagen gegeben
worden? Ist das richtig?
Es sind mir keine bekannt. Es wurden jedenfalls vom
Bundesministerium des Innern keine Zusagen gemacht.
Ich habe Ihnen den Vorgang so dargestellt, wie er abgelaufen ist. Das heißt: Es gab die Schutzmaßnahmen des
Landeskriminalamtes Berlin. Das haben wir der saudischen Seite beim Besuch des Bundesinnenministers auch
mitgeteilt. Weitere Vorgänge gibt es dazu nicht.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte sehr.
Ist im Zusammenhang mit den Gesprächen mit der
saudi-arabischen Seite oder auch bei der Koordination
solcher Maßnahmen innerhalb der Sicherheitsorgane der
Bundesrepublik mal die Tatsache diskutiert worden, dass
die Anhänger dieser Person, also von Abdullah Ibn Jibrin,
in der Bundesrepublik ganz massiv vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Ich kann Ihnen zu Einzelheiten dieser Gespräche
schon deshalb nichts sagen, weil ich nicht dabei war. Im
Übrigen haben solche Gespräche auf der Ebene des betroffenen Landes in Berlin stattgefunden. Von ähnlichen
Gesprächen auf Bundesebene ist mir nichts bekannt.
Wir kommen zu den Fragen 7 und 8 des Kollegen
Volker Beck. Sie werden schriftlich beantwortet. Das
Gleiche gilt für die Frage 9 des Kollegen Manuel
Sarrazin und die Fragen 10 und 11 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Innern. Herr Staatssekretär
Altmaier, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Karl
Diller zur Verfügung.
Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 14 und 15 des Kollegen
Manfred Kolbe. Er ist nicht im Saal. Es wird verfahren,
wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Der Fragesteller der Fragen 16 und 17, Herr Kollege
Carl-Ludwig Thiele, ist ebenfalls nicht im Saal. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Frank Schäffler
wurden zurückgezogen.
Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Florian Toncar
werden schriftlich beantwortet. Gleiches gilt für die Fragen 22 und 23 des Kollegen Jan Mücke und die Fragen
24 und 25 des Kollegen Dr. Ilja Seifert.
Damit ist auch der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen abgearbeitet. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Karl Diller kann wieder anderen Arbeiten nachgehen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Hier steht für
die Beantwortung der Fragen Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
Die Fragen 26 und 27 des Kollegen Hans-Joachim
Otto und die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. h. c.
Jürgen Koppelin werden schriftlich beantwortet.
Die Kollegin Sevim Dağdelen, die die Fragen 30 und 31
gestellt hat, ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in
der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 32 der Kollegin Sabine Zimmermann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 33 und 34. Die Kollegin
Heike Hänsel ist nicht im Saal. Es wird verfahren, wie in
der Geschäftsordnung vorgesehen.
Herr Staatssekretär Hintze, ich bedanke mich für Ihre
Bereitschaft und darf auch Ihnen mitteilen, dass Sie zu
anderen Aufgaben übergehen können.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Die Kollegin Cornelia Behm, die die Fragen 35 und
36 gestellt hat, ist im Saal. Herr Staatssekretär Ulrich
Kasparick dachte wohl, dass noch andere Fragen beantwortet werden und hat den Saal zwischenzeitlich verlassen. Er kann eigentlich nicht weit sein, weil er schon hier
war. Ich denke, wir können auf ihn warten.
({0})
Die Frage 37 der Kollegin Diana Golze wird schriftlich beantwortet. - Ist der Herr Staatssekretär im Begriff
einzutreffen?
({1})
Was heißt „gleich“?
({2})
- Dann würde ich vorschlagen, dass wir weitermachen.
({3})
- Ja, es liegt noch eine Reihe anderer Fragen vor.
Ich stelle den Bereich des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zurück und rufe den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth, die die
Fragen 38 und 39 gestellt hat, ist nicht im Saal. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 40 und 41 der Kollegin Gitta Connemann
werden ebenso wie die Fragen 42 und 43 des Kollegen
Hans-Josef Fell, die Frage 44 der Kollegin Brigitte
Pothmer sowie die Fragen 45 und 46 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl schriftlich beantwortet.
Da der Kollege Hans-Kurt Hill, der die Fragen 47 und
48 gestellt hat, nicht im Saal ist, verfahren wir, wie in der
Geschäftsordnung vorgesehen.
Dann bitte ich die Frau Staatssekretärin, die Frage 49
der Kollegin Dorothée Menzner zu beantworten:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Bestätigt die Bundesregierung, dass parallel zur Erkundung des Bergwerks in Gorleben bereits der Ausbau zum
Endlager begonnen wurde, wie die Frankfurter Rundschau in
ihrer Ausgabe vom 28. Mai 2009 aus einer ihr vorliegenden
internen Bewertung des Bundesamtes für Strahlenschutz zitiert?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Nein. Die bisherigen
baulichen Maßnahmen stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erkundung für ein mögliches Endlager
für hoch radioaktive Abfälle. Die Anlagen sind allerdings für den Fall der nachgewiesenen Eignung im Hinblick auf die spätere Nutzbarkeit bzw. Ausbaufähigkeit
für das geplante Endlager ausgelegt worden. Dies betrifft insbesondere die beiden Schächte, die Größe der
Salzhalde, der Außenanlage und der Gebäude.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Menzner?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, können Sie bitte begründen,
wieso die Schächte und die Stollen schon sehr viel weiter aufgefahren und sehr viel größer angelegt wurden, als
das für den - so wurde es dargestellt - bisher einzigen
Auftrag im Zusammenhang mit dem Bergwerk Gorleben, nämlich die Erkundung der Eignung, notwendig gewesen wäre?
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich habe Ihnen eben geantwortet, dass die Maßnahmen, die dort stattfinden, auf
die Erkundung ausgerichtet sind. Für den Fall, dass es
später zu einer Entscheidung für die Einrichtung eines
Endlagers kommt, werden bereits jetzt dort, wo es möglich ist, Vorbereitungen getroffen, zum Beispiel im Hinblick auf die Größe der Anlage, bei der auf die wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit geachtet werden muss.
Damit wird keine Entscheidung für den Standort Gorleben in der Zukunft präjudiziert.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Frau Staatssekretärin, offensichtlich sind für den Fall,
dass sich Gorleben als geeigneter Standort erweisen
sollte, schon Vorbereitungen für einen weiteren Ausbau
zum Endlager erfolgt. Dabei geht es auch um die Größenordnung, die Höhe der Kostenanteile. Wie bewerten
Sie es, dass bisher überhaupt keine atomrechtlichen oder
sonstigen Genehmigungen vorlagen? Wie bewerten Sie
es, dass unter der Überschrift „Erkundung“ rein bergrechtliche Genehmigungen vorlagen, aber offensichtlich
deutliche Vorarbeiten erfolgt sind, die einer atomrechtlichen Bewertung bedurft hätten?
Frau Kollegin, ich lese Ihnen am besten eine Stellungnahme des Bundesamtes für Strahlenschutz zu dem Bericht in der Frankfurter Rundschau vor, der Anlass für
Ihre Frage war; dann wird der Sachverhalt deutlich.
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat auf diesen Bericht wie folgt reagiert:
Die Entscheidung, den Salzstock Gorleben im Rahmen des Bergrechts zu erkunden und mit hohem
Aufwand auszubauen, ist im Vorfeld der Schachtabteufung 1986 auf politischer Ebene getroffen
worden. Der Umfang des Ausbaus ist durch das
Bergrecht genehmigt und wurde vom Bundesverwaltungsgericht 1990 für zulässig erklärt.
Gorleben ist ein Erkundungsbergwerk und kein
Endlager für radioaktive Abfälle. Ob Gorleben als
Endlager für radioaktive Abfälle geeignet ist, kann
derzeit noch nicht beurteilt werden. Bis zu einer
Eignungsaussage für Gorleben sind noch umfangreiche Arbeiten notwendig. Eine Eignungsaussage
wird mit dem Planfeststellungsbeschluss im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren getroffen. Es
kann sie nach derzeitigem Stand frühestens in etwa
15 Jahren geben.
Eine BfS-Stellungnahme mit den in der FR zitierten
Äußerungen
- die Anlass für Ihre Frage waren existiert nicht.
Eine Nachfrage zu diesem Themenkomplex hat die
Kollegin Dückert.
Frau Staatssekretärin, wenn vom finanziellen Aufwand, wie Sie sagen, aber auch von der Art der Maßnahmen her in Gorleben eigentlich schon im Endlagerumfang gebaut worden ist, wieso - können Sie mir das
erklären? - sprechen Sie dann weiterhin davon, dass dies
keine Vorbereitungen für ein Endlager, sondern nur Erkundungsarbeiten waren?
Ich will es noch einmal andersherum sagen: Erkundungsmaßnahmen kosten gewöhnlich Millionenbeträge.
Es fällt auf, dass hier Milliardenbeträge ausgegeben und
feste Bauten errichtet worden sind. Das alles läuft unter
der Überschrift „Erkundung“. Wie können Sie diesen
Widerspruch der Bevölkerung oder auch mir erklären?
Ich verstehe es nicht. Nach dem Umfang und auch nach
dem Finanzaufwand scheinen mir das doch Vorbereitungen für ein Endlager zu sein.
Für ein Endlager braucht es noch eine ergebnisoffene
Standortsuche und ein umfangreiches Verfahren, ein
atomrechtliches Planfeststellungsverfahren. Erst danach
wird man diese Fragen beantworten können und wird es
eine Entscheidung geben. Mit den Aktivitäten, die heute
in Gorleben stattfinden, ist weder etwas präjudiziert,
noch ist eine Entscheidung vorweggenommen.
Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Hans-Kurt
Hill.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz,
Wolfram König, hat in einem Interview der Frankfurter
Rundschau vom 2. Juni bestätigt, dass die Dimensionierung der Schächte und der aufgefahrenen Strecken deutlich größer ausgefallen ist, als für die Erkundung des
Salzstocks notwendig gewesen wäre. Mich würde interessieren: Wer entschied wann und warum, dass das
Bergwerk in Gorleben über das für die Erkundung notwendige Maß hinaus ausgebaut wird? Wer hat dies veranlasst?
Dass es über das für die Erkundung notwendige Maß
hinaus schon Vorrichtungen gibt, hat etwas mit Folgendem zu tun: Für den Fall, dass es zu der Entscheidung
kommt „Gorleben ist geeignet und wird als Endlager
eingerichtet“, müssen Vorbereitungen getroffen werden.
Damit - ich will das an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen - ist aber keine Entscheidung für die
Zukunft vorweggenommen.
({0})
Herr Kollege Heilmann hat auch noch eine Frage zu
diesem Thema.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, da
Sie die Frage meines Kollegen nicht beantwortet haben,
stelle ich die Frage noch einmal ganz langsam: Wer hat
die Entscheidung getroffen, dass Gorleben schon zur Erkundung in diesem Ausmaß ausgebaut wird?
({0})
Ich kann Ihnen die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese
Entscheidung getroffen wurde, nicht beantworten, bin
aber gern bereit, Ihnen das schriftlich nachzureichen.
({0})
- Ich habe es akustisch nicht verstanden.
Die Frage war, wer die Entscheidung getroffen hat,
und nicht, wann sie getroffen wurde.
Ich kann weder die eine noch die andere Frage beantworten; denn die Frage danach, wer die Entscheidung
getroffen hat, hat Bezug darauf, wann sie getroffen
wurde. Davon, wann das nämlich entschieden wurde,
hängt ab, welche Behörden dafür zuständig und verantwortlich waren. Aber ich reiche Ihnen die Antwort gern
nach.
Damit kommen wir zur Frage 50 der Kollegin
Dorothée Menzner:
Bedeuten die Ausführungen des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, in einem Interview
mit der Frankfurter Rundschau vom 1. Juni 2009, die Kosten
für die Erkundung eines nuklearen Endlagers würden circa
400 bis 500 Millionen Euro betragen, dass von den bisherigen
Ausgaben von circa 1,5 Milliarden Euro für das Bergwerk in
Gorleben abzüglich der Kosten für den Offenhaltungsbetrieb
von 239,8 Millionen Euro ({0}) über das eigentliche Erkundungsziel hinaus etwa 750 Millionen Euro verbaut wurden?
Frau Staatssekretärin.
Diese Frage beantworte ich wie folgt: wieder nein. Im
Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung auf
die Frage 9 a der Kleinen Anfrage „Eignung der Standorte Gorleben und Schacht Konrad für die Endlagerung
von radioaktivem Müll“ vom 26. Juni 2006 verwiesen.
Dort sind all diese Fragen nach den Kosten bereits ausführlich beantwortet worden.
({0})
Ihre Nachfrage, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin,
auch in Anlehnung an die schon erfolgten Antworten
meine dezidierte Nachfrage: Ist damit zu rechnen - es
gibt ja den Willen und die immer wieder bezeugte Bekundung, dass es sich bei Gorleben um die Erkundung
eines möglichen Standortes handelt -, dass in gleichem
Umfang Geldmittel und wissenschaftliches Know-how
für die Erkundung anderer Standorte eingesetzt werden?
Können wir gesichert davon ausgehen? Oder heißt es
dann doch wieder: „In Gorleben ist mehr passiert, als eigentlich notwendig gewesen wäre, um in Erfahrung zu
bringen, dass dieser Standort ungeeignet ist“?
Sie wissen, dass das Bundesumweltministerium dazu
die dezidierte Meinung hat, dass eine ergebnisoffene
Standortsuche durchgeführt werden muss, auch Alternativen zu Gorleben geprüft werden müssen und erst im
Lichte dieser Erkenntnisse über Alternativstandorte eine
Entscheidung über den Standort des künftigen Endlagers
für hochradioaktive Abfälle in Deutschland getroffen
werden kann. Für ein solches Verfahren gibt es derzeit
noch keine politische Mehrheit. Die Aktivitäten, die derzeit in Gorleben stattfinden, dienen der Erkundung und
nicht der Präjudizierung einer künftigen Entscheidung.
Haben Sie eine weitere Frage?
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ergänzend möchte ich doch fragen: Wenn nicht gesichert
ist, dass Gorleben ein geeigneter Standort ist, man
aber dort mehr getan hat, als zur reinen Erkundung nötig
war, um, wie Sie vorhin ausgeführt haben, Kosten zu
sparen, handelt es sich dann nicht unter Umständen um
eine fragwürdige Verwendung von Steuermitteln, wenn
diese in ein Bauwerk investiert werden, von dem man
gar nicht weiß, ob es eines Tages den Zweck, zu dem die
Erkundungen durchgeführt werden, überhaupt erfüllen
kann?
Das ist eine Frage, die man verlässlich erst wird beantworten können, wenn später eine Entscheidung getroffen worden ist. Wir haben allerdings immer gesagt,
wenn bei der Prüfung der Alternativen kein nach Stand
von Wissenschaft und Technik sichererer Standort als
Gorleben gefunden wird, wird es eine Entscheidung für
Gorleben geben müssen, weil der Abfall irgendwo in
Deutschland eingelagert werden muss. In die Erkundung
von Gorleben ist ja schon viel Geld investiert worden.
Das heißt, wenn es keinen sichereren Standort gibt, wird
Gorleben zum künftigen Endlager werden. Diese Frage
kann aber heute noch nicht beantwortet werden, weil es
noch keine ergebnisoffene Suche gegeben hat. Aber für
den Fall, dass die Entscheidung irgendwann in der Zukunft so ausfallen könnte, wäre es wirtschaftlich unangemessen und unverhältnismäßig gewesen, jetzt hier zwar
zu erkunden, aber bestimmte Vorkehrungen, die man
hätte treffen können, im Rahmen der Erkundung nicht zu
treffen.
Eine weitere Frage hat der Kollege Hans-Kurt Hill.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich kann mich mit
den Antworten in der Sache so nicht zufriedengeben,
Frau Staatssekretärin. Auch wenn Sie uns nicht sagen
können, von wem und wann die entsprechenden Entscheidungen getroffen wurden, den nach unserer Meinung unzulässigen erweiterten Ausbau durchzuführen,
stelle ich Ihnen trotzdem folgende Frage - vielleicht
können Sie ja diese beantworten -: Wer trägt die politische bzw. die verfahrensbezogene Verantwortung für
den nach unserer Meinung unzulässigen Ausbau?
Die politische Verantwortung tragen immer diejenigen, die Entscheidungen getroffen haben.
({0})
Das Verfahren in Gorleben ist mehrfach gerichtlich bestätigt worden.
Wir kommen zu den Fragen 51 und 52 der Kollegin
Eva Bulling-Schröter. Sie werden schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich die Frage 53 des Kollegen Lutz
Heilmann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des ehemaligen Abteilungsleiters der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, PTB, Professor Helmut Röthemeyer, es sei im Jahr
1983 massiver politischer Druck vonseiten der Bundesregierung ausgeübt worden, um die im „Zusammenfassenden Zwischenbericht über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung in Gorleben“ der PTB enthaltene Forderung nach
Erkundungen alternativer Standorte fallen zu lassen ({0})?
Es geht wieder um Gorleben, und ich beantworte die
Frage wie folgt: Die Endfassung des „Zusammenfassenden Zwischenberichts über bisherige Ergebnisse der
Standortuntersuchung in Gorleben“ enthält keine Forderung, alternative Standorte zu erkunden.
Ihre Nachfrage, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, legen die Aussagen des ehemaligen Abteilungsleiters der
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt nicht gerade
eine Vorfestlegung auf ein Endlager Gorleben nahe?
Sie haben sich in Ihrer Frage auf die Aussage eines
ehemaligen Abteilungsleiters der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt berufen. Ich habe Ihnen vorgetragen, welche Erkenntnisse wir dazu haben. Es war uns in
der Kürze der Zeit nicht möglich, die Aussagen dieses
Abteilungsleiters näher zu recherchieren und herauszufinden, ob es tatsächlich Unterlagen darüber gibt, dass in
der Vergangenheit in der Form, wie er es wohl öffentlich
geäußert hat, vorgegangen wurde.
Eine weitere Nachfrage? - Frau Kollegin Menzner
hat eine Nachfrage dazu.
Danke, Frau Präsidentin. - Es wurde jetzt mehrfach
betont, dass eine ergebnisoffene Untersuchung mit
Standortvergleichen stattfinden soll. Wie erklären Sie
sich dann, dass im Laufe der 32 Jahre seit der politischen
Beschlussfassung, Gorleben als Standort in den Blick zu
nehmen, in der Form nur in ein einzelnes Projekt investiert wurde und dass keine Ansätze zu erkennen sind,
dass andere Standorte und andere Konzepte konkreter
angegangen werden? Was plant die Bundesregierung,
dort zukünftig zu unternehmen, oder soll diese Strategie,
diese Verfahrensweise in der Form fortgesetzt werden?
Wie ist Ihre Aussage dazu?
Ich habe Ihnen bereits in der Antwort auf Ihre letzte
Frage erläutert, dass es bezüglich der Suche eines endgültigen Endlagers für hochradioaktiven Abfall in
Deutschland einen Verfahrensvorschlag des Bundesumweltministeriums gibt. Das ist aber noch nicht der Vorschlag der Bundesregierung. Es gibt derzeit für diesen
Vorschlag einer ergebnisoffenen Suche keine politische
Mehrheit. Wenn man das Verfahren auf eine ergebnisoffene Suche ausweiten möchte, wird man in Zukunft dafür eine politische Mehrheit organisieren müssen.
Frau Dückert, bitte.
Frau Staatssekretärin, sind Sie - und vielleicht auch
die Bundesregierung insgesamt - vor dem Hintergrund
der Ausführungen, die Sie hier zu Gorleben und den Verantwortlichkeiten - teilweise haben Sie die Verantwortlichkeiten ja nicht dargestellt - gemacht haben, nicht mit
mir der Ansicht, dass es sinnvoll wäre, in Gorleben so
lange ein Moratorium zu verhängen, bis die Suche nach
einem alternativen Standort wirklich durchgeführt worden ist?
Ich glaube, dass der jetzige Zustand für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend sein kann. Deutschland wird
in den nächsten 15 Jahren eine Entscheidung darüber
treffen müssen, wo der hochradioaktive Abfall in
Deutschland eingelagert werden soll. Dafür ist ein Verfahren erforderlich, das für eine größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung sorgt. Das ist derzeit nicht möglich. Deshalb wird es von den künftigen politischen
Mehrheiten abhängen, welche Entscheidungen in den
nächsten Jahren bezüglich eines Verfahrens und welche
Entscheidungen für oder gegen einen bestimmten Endlagerstandort - das trifft auch auf Gorleben zu - getroffen
werden können.
Herr Kollege Hill, bitte.
Ich möchte kurz auf die Frage meiner Kollegin zurückkommen, weil Sie gesagt haben, wir brauchen andere politische Konstellationen, um eine ergebnisoffene
Suche nach einem Endlager durchführen zu können.
Liegt der Grund, dass eine ergebnisoffene Suche derzeit
nicht durchgeführt werden kann, mehr in den politischen
Konstellationen oder vielleicht auch in der Angst der
Bundesländer, unter Umständen ein geeigneteres Lager
präsentieren zu können?
Es wird natürlich immer so sein, dass die Standortfrage vor Ort Widerstand auslösen wird, egal ob nur erkundet oder ob in der Zukunft irgendwann über Standorte entschieden wird. Es ist so, dass selbst die
Bundesländer, die für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken plädieren, sich dagegen wehren, dass bei ihnen
nach Standorten für eine Endlagerung des damit verbundenen Abfalls gesucht wird. Da müssen wir uns in
Deutschland einem politischen Prozess unterziehen, um
zu einem Ergebnis zu kommen. Wir müssen den Abfall,
der in Deutschland produziert wird, auch bei uns in
Deutschland endlagern. Bei der Entscheidungsfindung
geht es natürlich um politische Mehrheiten, aber auch
um die Verfahren und die Überzeugungsfähigkeit der
Politik.
Frau Kollegin Dr. Dückert.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, wie Sie selbst sagten, ist in Gorleben erkundet worden. In der Asse, die das gleiche Wirtsgestein - Salz aufweist, haben wir aber schon, was die Lagerung von
radioaktiven Abfällen angeht, negative Erfahrungen gemacht. Aufgrund der Wassereinbrüche und der damit
verbundenen massiven Gefahren wissen wir, dass es
hochproblematisch ist, auf Salzbergwerke zu setzen. Ist
es vor diesem Hintergrund nicht dringend geboten, in
Gorleben die Erkundungen erst einmal einzustellen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie wissen genauso gut
wie ich, dass die Schachtanlage Asse nicht mit der Erkundungsanlage in Gorleben zu vergleichen ist. Dort
gibt es völlig andere Voraussetzungen. Selbst wenn man
wie ich und Sie der Atomkraft kritisch gegenübersteht
und das Thema Endlagerung mit großer Sensibilität behandelt, so muss man bei der Bewertung künftiger Alter24986
nativen sachlich und objektiv bleiben. Gorleben ist in
diesem Fall etwas ganz anderes als die Schachtanlage
Asse. Das kann man nicht vergleichen; die Voraussetzungen sind völlig andere. Man sollte daher nicht grundlos Ängste schüren.
Als letzte Frage zu diesem Sachverhalt rufe ich die
Frage 54 des Kollegen Lutz Heilmann auf:
Wer entschied warum, trotz des parallel zur Erkundung
des Bergwerks in Gorleben bereits stattfindenden Ausbaus
des Bergwerks in Gorleben zum Endlager, den die Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 28. Mai 2009 aus einer
ihr vorliegenden internen Bewertung des Bundesamtes für
Strahlenschutz offenlegt, weiter nach Bergrecht statt nach
Atomrecht zu verfahren?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Für die bislang erfolgten Erkundungsarbeiten einschließlich der Einrichtung der Infrastruktur hat das Bundesverwaltungsgericht
die Rechtsgrundlage, nach Bergrecht zu genehmigen,
bestätigt.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie
weichen den Fragen einfach aus. Es geht nicht darum,
mir zu sagen, worüber das Bundesverwaltungsgericht
entscheidet. Das kann ich im Gesetz nachlesen. Ich habe
in meiner Frage ganz konkret gefragt: „Wer entschied
warum …“? Ich habe also nach einer im Rechtssinne natürlichen Person gefragt. Darauf hätte ich gerne eine
Antwort.
Diese Entscheidung wurde in der Vergangenheit getroffen und gerichtlich bestätigt. Deshalb wird sie von
uns weder infrage gestellt noch revidiert.
Eine weitere Zusatzfrage.
Das heißt: Sie wollen mir nicht sagen, wer diese natürliche Person ist?
Ich kann Ihnen keine Person nennen. Das ist richtig.
Eine weitere Nachfrage der Kollegin Menzner.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin,
stimmen Sie mit mir wenigstens darin überein, dass die
Antworten, die wir im Parlament auf Fragen und die die
Bürgerinitiativen auf Anfragen bekommen, reichlich
dürftig sind? Diese mangelnde Information ist geeignet,
eine ohnehin schon bestehende und durch die Asse massiv verstärkte Angst in der Bevölkerung zu vergrößern
und weitere Gegenwehr gegen die verschiedenen Endlager- und Zwischenlagerprojekte zu mobilisieren. Wie
bewerten Sie die Informationsstrategie der Bundesregierung?
Sie wissen, dass insbesondere das Bundesamt für
Strahlenschutz eine sehr offensive Informationsstrategie
verfolgt und sich auf Informationsveranstaltungen vor
Ort jeder Diskussion stellt und Fragen der Bürger beantwortet. Man kann daher nicht unterstellen, dass man
nicht versucht, das Verfahren transparent zu gestalten
und über alle Hintergründe zu informieren. Sie wissen,
dass zurzeit ein Container in der Republik unterwegs ist
mit dem Ziel, dass entsprechende Fragen beantwortet
werden. Ich bin aber im Moment nicht in der Lage, all
Ihre Fragen im Detail zu beantworten. Ich bin aber gerne
bereit, auf weitere konkrete Fragen Antworten nachzureichen.
Herr Kollege Hill.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben gesagt, dass
auch von Ihrer Seite ein offenes Verfahren erwünscht ist.
Es liegt also an der Koalition, dass ein solches Verfahren
nicht durchgeführt wird. Befürchten Sie, wenn wir zu einem ergebnisoffenen Verfahren kämen, dass wir das
gleiche Desaster erleben würden, wie wir es im Moment
in Bezug auf die CCS-Technik bei der Koalition erleben?
Ich sehe weder eine Verbindung zwischen diesen beiden Themen noch eine Vergleichsmöglichkeit. Ich kann
auch überhaupt kein Desaster erkennen. Natürlich ist es,
wenn etwas Neues initiiert wird, immer so, dass viel
Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung dafür notwendig ist, warum man etwas Neues braucht, dass erklärt
werden muss, was da stattfindet, und man sicherstellen
muss, dass die Bürgerbeteiligungsrechte entsprechend
genutzt werden können, um die Bürgerinnen und Bürger
in einem solchen Verfahren mitzunehmen. Das müsste
ein Grundbaustein eines ergebnisoffenen Verfahrens
sein. Aber man braucht erst einmal die politische Entscheidung, dass ein solches Verfahren überhaupt stattfindet.
({0})
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich komme zurück zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Herr Staatssekretär Ulrich Kasparick steht nun für die
Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 35 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die aktuelle Verkehrsbelastung auf der Bundesstraße 5 im Abschnitt Berge-Lietzow
vor dem Hintergrund einer anzunehmenden Verkehrsverlagerung aufgrund der Ausbaumaßnahmen an der Bundesautobahn 24 zwischen dem Dreieck Havelland und der Anschlussstelle Neuruppin, und wie bewertet die Bundesregierung den
Zeitrahmen für den Bau dieser Vorhaben?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
Frau Präsidentin, herzlichen Dank für das Verständnis. Ich war vorhin durch ein Telefonat gehindert, rechtzeitig hier zu sein.
Frau Behm, zur Verkehrsbelastung kann ich Ihnen
Folgendes sagen: Ich habe mir die Zahlen von der Dauerzählstelle in Lietzow für die Jahre 2006, 2007 und
2008 geben lassen. Sie bewegen sich im Schnitt zwischen 10 427 und 10 577 Kfz am Tag; davon sind
9 Prozent dem Schwerverkehr zuzuordnen. Die in der
Öffentlichkeit kursierenden Zahlen von 25 000 Kfz am
Tag entsprechen in etwa den Maximalwerten auf der
durchgehend vierstreifig ausgebauten B 5 östlich von
Nauen über den Westring der A 10 bis zur Landesgrenze
nach Berlin. Diese Maximalwerte werden aber westlich
von Nauen nicht erreicht. Diese Präzisierung ist wichtig.
Wir haben auf den Autobahnen Zählstellen eingerichtet,
damit man abschnittsgenau sehen kann, wie die Verkehrsbelastungen sind.
Wir haben allerdings auf dem Abschnitt, nach dem
Sie fragen, am Werktag Spitzenbelastungszeiten - das
kennen Sie, wenn Sie solche Strecken benutzen -, und
zwar je nachdem, in welcher Richtung man zählt: Morgens haben wir eine Hauptbelastung in Richtung Berlin
und nachmittags in Richtung Kyritz.
Wichtig ist - Sie fragen ja nach den Mautausweichverkehren -: Wir haben damals, als wir das Mautgesetz beschlossen haben, gesagt, dass wir die Auswirkungen gemeinsam mit den Ländern überprüfen wollen, und haben
den Ländern eingeräumt, dass sie, wenn es Ausweichverkehre gibt, beantragen können, einzelne Bundesstraßenabschnitte zusätzlich zu bemauten. Das System selbst
gibt dies technisch her. Wir haben dieses Verfahren im
Mautgesetz verabredet. Brandenburg hat bisher keine signifikanten Mautausweichverkehre festgestellt und, daraus abgeleitet, auch keine zusätzliche Bemautung beantragt. Ebenso rechnen wir nicht mit nennenswerten Verkehrsverlagerungen auf die Bundesstraße B 5 durch die
Arbeiten, die jetzt im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen nötig werden.
Wir gehen davon aus, dass die Autobahn A 24 im Wesentlichen erst nach dem Ausbau des Nordrings der Autobahn A 10 erweitert wird. Hierdurch werden die bei
Erweiterungsmaßnahmen stets unvermeidlichen Verkehrsbeschränkungen zeitlich verteilt. Wir bemühen uns
ja darum, Stau möglichst dadurch zu vermeiden, dass
wir das Baustellenmanagement so organisieren, dass
man eine zeitliche Staffelung erreicht und innerhalb der
Baustelle genügend Spuren zur Verfügung stehen, damit
der Verkehr möglichst ohne Probleme fließen kann.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Nein.
Dann kommen wir gleich zur Frage 36 der Kollegin
Cornelia Behm:
Wie bewertet die Bundesregierung die Finanzierbarkeit
der vier geplanten Ausbauabschnitte der Bundesautobahnen
10 und 24, wie sie in der Berliner Zeitung vom 27. Mai 2009
dargestellt wurden, sowie der Ortsumfahrung Berge-Lietzow
der Bundesstraße 5, und sind dafür Privatfinanzierungen oder
EFRE-Mittel - EFRE: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung - in Aussicht gestellt worden?
Sie fragen nach der Finanzierung der sechsstreifigen
Erweiterung der Autobahn A 10 in Berlin. Das Baurecht
liegt vor. Die Finanzierung ist gesichert. Für alle in
Brandenburg liegenden Abschnitte sind Planfeststellungsverfahren im Gang. Wir können allerdings im Moment noch nicht verbindlich sagen, wann die Planfeststellungsbeschlüsse vorliegen werden. Sie kennen das:
Wenn gebaut wird, können sich Träger öffentlicher Belange und Privatpersonen äußern. Einwendungen sind
also möglich. Wir haben im Moment noch keinen Überblick, wie viele das genau sein werden und wann dieses
Verfahren abgeschlossen sein wird. Davon hängt die
Steuerung des Zeitplanes wesentlich ab. Die Termine,
die in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, entsprechen den gegenwärtigen Vorstellungen der Straßenbauverwaltung des Landes Brandenburg. Sie wissen, dass
wir bei den Autobahnen und Bundesstraßen eine Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern haben. Die
Länder planen im Wesentlichen und machen die Durchführung. Sie sind also mit dem Verfahren bis zur Erreichung eines Planfeststellungsbeschlusses befasst. Im
Moment sind diese Planungen vorrangig. Sie hängen
aber davon ab, wie die Einwendungen verlaufen und wie
schnell eine Entscheidung der entsprechenden Planfeststellungsbehörde vorliegt. Das bedeutet, dass man diese
Zeitpläne anpassen muss, je nachdem, wie mit Klagen
oder Einwendungen umgegangen wird.
Wir haben die Ortsumgehung Berge-Lietzow 2004
erstmals in den Bedarfsplan aufgenommen. Man muss
natürlich sehen - das wissen alle Beteiligten -, dass
diese Maßnahme in Konkurrenz zu anderen Maßnahmen
steht, die auch im vordringlichen Bedarf stehen, und sogar zu Maßnahmen, die jetzt schon verwirklicht werden.
Wir haben im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II verabredet, insbesondere in die Maßnahmen zusätzlich Geld zu geben, die schon begonnen worden
sind. Unser Ziel ist es ja, möglichst schnell wirksame
Maßnahmen einzuleiten, die zu Beschäftigung führen.
Wir haben mit der Straßenbauverwaltung des Landes
Brandenburg besprochen, dass die Planungen für die
Ortsumgehung Berge-Lietzow nicht zulasten anderer
Projekte des vordringlichen Bedarfs forciert werden sollen. Deswegen sind Aussagen zur Finanzierung und Realisierung im Moment nicht möglich.
Für die festzulegenden Abschnitte des Nordrings der
A 10 in Brandenburg ist beabsichtigt, Fördermittel aus
dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung,
EFRE-Mittel, einzuwerben. Eine Privatfinanzierung, die
wir, wenn sie möglich ist, anstreben, ist nicht in Aussicht
gestellt worden.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin Behm?
Ja.
Bitte.
Vielen Dank erst einmal für Ihre Antworten. Wenn
ich Ihre erste Antwort richtig verstanden habe, ist über
kurz oder lang nicht mit einem Ausbau der A 24 zu rechnen.
Sie haben von Konjunkturmitteln gesprochen, aber
nicht im Zusammenhang mit dem Ausbau der A 10. Ich
würde gerne wissen, ob für die A 10 definitiv keine Konjunkturmittel vorgesehen sind. Sie haben von EFREMitteln gesprochen.
Die A 10 war angemeldet, aber da liegt das Baurecht
noch nicht vor. Deswegen hat Brandenburg angekündigt,
im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II Alternativvorschläge vorzulegen.
Finanzierungsalternativvorschläge?
Nein, Vorschläge für alternative Projekte.
Ich würde gerne eine zweite Zusatzfrage stellen.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Ich würde gerne wissen, ob im Rahmen der Evaluierung der Projekte in der Region, die im Fernstraßenausbaugesetz stehen, eine Neubewertung hinsichtlich der
Bedarfseinstufung in den Blick genommen worden ist.
Wenn das erfolgt wäre, wüssten wir das ja schon. Können Sie sagen, ob das angedacht ist?
Sie müssen sich das als einen dauerhaften Prozess
vorstellen. Ich nenne nur das Stichwort „demografischer
Wandel“. Das ist insbesondere für Brandenburg von großer Bedeutung. Die neuen Bundesländer sind ja, was den
demografischen Wandel angeht, sozusagen Vorreiter.
Wir haben mit den Ländern verabredet, dass wir uns die
Verkehrsplanung auch unter diesem Gesichtspunkt anschauen. Wir haben zu entscheiden, was aus Sicht des
Landes unter verkehrspolitischen und wirtschaftspolitischen Aspekten angesichts des demografischen Wandels
vorrangig ist. Das ist ein dauerhafter Überprüfungsprozess. Bei den Projekten, über die wir jetzt konkret sprechen, gibt es keine Neubewertung.
Vielen Dank.
Die Frage 37 der Kollegin Diana Golze wird, wie
schon erwähnt, schriftlich beantwortet. - Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden die Fragen 55 und 56 des
Kollegen Kai Gehring sowie die Fragen 57 und 58 der
Kollegin Cornelia Hirsch schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Für die Beantwortung der Fragen steht der
Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 59 der Kollegin Marieluise Beck
auf:
Wie weit sind, Bezug nehmend auf die Antwort der Bundesregierung vom 29. Mai 2009 auf meine schriftliche Frage
zur weiteren Anwendung des Dekrets 555 des belarussischen
Präsidenten ({0}),
die Gespräche der Bundesregierung mit der belarussischen
Regierung fortgeschritten, um Missverständnisse über die am
11. Februar 2009 mit Belarus getroffene Vereinbarung über
die Erholungsreisen der sogenannten Tschernobyl-Kinder
auszuräumen, und ab wann ist mit einem reibungslosen Ablauf der Erholungsreisen auch für die Jugendlichen zwischen
14 und 17 Jahren im Rahmen von Gruppenreisen zu rechnen?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin
Beck, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Aufgrund der nachhaltigen Bemühungen des Auswärtigen
Amtes ist es in Verhandlungen mit der belarussischen
Seite gelungen, die noch verbliebenen Missverständnisse in unserem Sinne zu überwinden. Die Verhandlungen über einen Verbalnotenaustausch hierzu stehen kurz
vor dem Abschluss.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte
sehr.
Herr Staatsminister, das würde ich gerne etwas konkreter wissen, zumal sich die Europäische Union entschieden hat, Herrn Lukaschenko wieder ein Stück weit
in die Familie der europäischen Staaten aufzunehmen.
Das war allerdings an Konditionen gebunden, nämlich
an Dialogbereitschaft und eine Öffnung auch nach innen. Ich frage Sie: Bedeutet dies, dass das Dekret 555,
das Reisen von 14- bis 17-Jährigen untersagt bzw. ihre
Zahl auf drei Reisen in das gleiche ausländische Land
beschränkt, vom Tisch ist und dass der Austausch mit
den sogenannten Tschernobyl-Kindern, wie bisher üblich, wieder möglich ist, dass also auch wieder Gruppenreisen stattfinden können und Visa nicht mehr als Einzelvisa vergeben werden müssen?
Frau Kollegin Beck, als wir die Vereinbarung getroffen haben, sind, wie ich denke, beide Seiten davon ausgegangen, dass klar ist, was unter dem Begriff „Minderjährige“ zu verstehen ist. Sowohl bei uns als auch auf
belarussischer Seite ging es um Jugendliche von 7 bis
18 Jahren. Im Nachgang war allerdings eine andere Praxis festzustellen. Aufgrund vieler Interventionen haben
wir die Gespräche wieder aufgenommen. Jetzt steht für
beide Seiten fest - wir werden uns auch über diese Präzisierung austauschen -: Es geht um Jugendliche von 7 bis
18 Jahren. Hinzu kommt - diesen Aspekt haben Sie in
Ihrer Frage aufgegriffen -, dass die Beschränkung der
Zahl der Reisen gestrichen wird. Dadurch wollen wir
auch denjenigen, die sich auf diesem Feld engagieren,
deutlich machen: Jetzt ist der Austausch tatsächlich
möglich.
Zu Ihrer Frage. Natürlich muss der Erlass 555 verändert werden. Um eine zeitliche Verzögerung zu vermeiden, haben beide Seiten vereinbart, dass die Präzisierung, von der ich gerade sprach, bereits vorläufig
Anwendung findet. Sie können davon ausgehen, dass die
Präzisierung, die wir vorgenommen haben, schon innerhalb der nächsten 14 Tage in die Praxis umgesetzt und
angewandt wird.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja.
Bitte.
Das ist eine gute Nachricht, Herr Staatsminister. - Ich
möchte Sie in diesem Zusammenhang noch etwas fragen: Inwiefern geht das Auswärtige Amt davon aus, dass
die Einladung zur Östlichen Partnerschaft tatsächlich an
die Konditionen, die die Europäische Union gesetzt hat,
gebunden bleibt, vor allen Dingen im Hinblick auf die
Dialogbereitschaft und die Forderung, dass es keine politischen Gefangenen mehr geben darf? Wie Amnesty
International mit Datum vom 15. Mai dieses Jahres festgestellt hat, ist aufgrund der Festsetzung von elf Personen davon auszugehen, dass es in Belarus doch wieder
politische Gefangene gibt. Damit wäre der Östlichen
Partnerschaft eigentlich die Geschäftsgrundlage entzogen.
Frau Kollegin Beck, ich bin gern bereit, an anderer
Stelle über die Entwicklung der Östlichen Partnerschaft,
auch konkret mit Blick auf Belarus, zu diskutieren. Jetzt
geht es aber um die Frage: Wie können wir die Missverständnisse, zu denen es nicht bei uns, sondern auf der anderen Seite gekommen ist, ausräumen, um es den sogenannten Tschernobyl-Kindern möglich zu machen, dass
sie zu uns kommen? Ich glaube, diese Frage habe ich
ausführlich beantwortet.
Eine Zusatzfrage hat der Kollege Grund.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister, das Dekret 555
hat zum wiederholten Male zu sehr großen Irritationen
geführt: bei Tschernobyl-Organisationen, bei Bürgerinitiativen in Deutschland, aber auch bei entsprechenden
Initiativen auf internationaler Ebene, die sich seit fast
20 Jahren um den Austausch der von Tschernobyl bzw.
den Spätfolgen betroffenen Kinder bemühen, um ihnen
Erholung zu ermöglichen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die weißrussische Administration offensichtlich versucht, diesen Organisationen und denjenigen, die sich in diesem Bereich bürgerschaftlich engagieren, Steine in den Weg zu legen.
Dieses Engagement sollte in den letzten Jahren sogar
völlig unterbunden werden. Der weißrussischen Seite
wäre es wohl am liebsten, man würde das Geld direkt
dem Präsidenten überreichen. Er selbst hat sogar gesagt,
er wisse viel besser, was man damit für die Kinder tun
könne.
Ich bitte Sie, in Ihren Gesprächen mit der belarussischen Administration bzw. der Regierung auch über die
Irritationen, zu denen es im gesellschaftlichen und politischen Raum in Deutschland gekommen ist, zu berichten.
Das bereitet den ehrenamtlich Tätigen in Deutschland
nämlich viele Schwierigkeiten. Es wäre schade, wenn
diese Pflanze des bürgerschaftlichen Engagements eingehen würde.
Kollege Grund, das war ja der Grund, warum - auch
aufgrund der Intervention vieler, die sich schon seit Jahren
engagieren; Sie haben das zu Recht angesprochen - relativ schnell gesagt wurde: Das unterbricht die Arbeit mit
den betroffenen Kindern und behindert das Engagement
der zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Das war auch im Sinne einer Annäherung im Rahmen
der Östlichen Partnerschaft kein gutes Zeichen. Deshalb
haben wir das nicht auf sich beruhen lassen. Eigentlich
war im Februar klar, dass unter den Begriff „Minderjährige“, die mit Gruppenreisen ohne Beschränkung der
Zahl reisen dürfen, alle zwischen 7 und 18 Jahren fallen.
Dieses Ziel ist erreicht worden.
Wir werden im Dialog mit Belarus, mit Weißrussland,
immer wieder ansprechen, dass es zu solchen Irritationen nicht kommen darf, dass Vertrauen hergestellt werden muss. Wenn Begriffe jedes Mal anders interpretiert
werden, ist das sicherlich kein Vertrauenstatbestand.
Die Fragen 60 und 61 der Kollegin Kerstin Müller
werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Herr Staatsminister, ich bedanke mich
bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind auch am Ende der Fragestunde. Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde, bis 16 Uhr, unterbreche ich
die Sitzung im Einvernehmen mit den Geschäftsführern
der Fraktionen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Lage im Iran nach den Präsidentschaftswahlen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatsminister Dr. Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den letzten Wochen haben sehr viele Menschen in
Deutschland mit Staunen und voller Faszination auf den
aktuellen politischen Prozess im Iran geschaut.
Als von über 400 Bewerbern gerade einmal vier Kandidaten zugelassen wurden und der Amtsinhaber von der
geistlichen Führung die erwartete Unterstützung erhielt,
schien es erst so, als wäre alles Routine. Aber dann entwickelte sich ein ernsthafter und spannender Wahlkampf, dessen Ergebnis offen erschien. Der beste Beleg
dafür ist die Rekordwahlbeteiligung von 85 Prozent der
Wahlberechtigten. Alleine das ist schon eine eindrucksvolle Demonstration eines breiten Willens, über die Zukunft des eigenen Landes mitzubestimmen und sich einzumischen. Und dann dieser Absturz, dieser Schock am
Ende des Wahltages!
Wir wissen nicht verlässlich genug, wie all die Berichte über voreilige Gesamtergebnisse mit immer demselben Stimmenverhältnis von 62 Prozent zu 32 Prozent,
egal, in welcher Region des Landes, über schon volle
Wahlurnen am Beginn des Tages oder fehlende Stimmzettel in den Hochburgen der Opposition und über die
Behinderung von Wahlbeobachtern zu werten sind. Aber
all das sind ernsthafte Hinweise auf Unregelmäßigkeiten, die der Wächterrat nun überprüfen soll. Bisher kann
wohl niemand sagen, welchen Einfluss diese Unregelmäßigkeiten auf das konkrete Endergebnis hatten.
Was für uns alle aber augenscheinlich ist: Es besteht
in der iranischen Bevölkerung - nicht nur im wohlhabenden kosmopolitischen Nord-Teheran, sondern auch
in den Städten im ganzen Land - bei vielen Menschen,
die sich für demokratische Wahlen im Iran engagiert haben, offenbar das Gefühl, betrogen worden zu sein. Wir
alle bewundern den Mut der Menschen im Iran, gegen
das so empfundene Unrecht auf die Straße zu gehen und
zu demonstrieren - trotz strengster Verbote und mit erheblichem persönlichen Risiko.
({0})
Dass zumeist friedliche Demonstranten von paramilitärischen und parapolizeilichen Einheiten gnadenlos und
brutal zusammengeknüppelt wurden, hat uns alle zutiefst
schockiert. Inzwischen sind Tote zu beklagen. Diese Gewalt und Brutalität gegen Menschen, die friedlich und
demokratisch ihre Meinung äußern, ist scharf zu verurteilen.
({1})
Hinzu kommen die zahllosen Berichte über willkürliche
Verhaftungen und massive Einschränkungen der Pressefreiheit - auch für deutsche und andere ausländische
Journalisten.
All das hat dazu geführt, dass die Bundesregierung
über die gegenwärtigen Ereignisse im Iran mit großer
Sorge erfüllt ist. Wir appellieren an die iranische Führung, die Wahlergebnisse ernsthaft und transparent zu
überprüfen und gegebenenfalls die gebotenen Konsequenzen zu ziehen. Die iranische Regierung hat bislang
in ihren Kontakten mit anderen Staaten immer wieder
darauf verwiesen, demokratisch legitimiert zu sein. Falls
sich die Vorwürfe der Opposition nicht auf transparente
und faire Weise entkräften lassen, würde der Anspruch
auf Legitimität der iranischen Regierung dauerhaft Schaden erleiden.
({2})
Wir fordern die iranische Regierung eindringlich auf,
die Menschenrechte und das Recht auf Versammlungsund Meinungsfreiheit zu achten. Die willkürlichen Verhaftungen und das wahllose Niederknüppeln von DeStaatsminister Dr. h. c. Gernot Erler
monstranten und anderen schutzlosen Zivilisten müssen
sofort aufhören. Mit großem Nachdruck haben wir die
iranische Regierung aufgefordert, die Arbeitsfähigkeit
von deutschen und anderen ausländischen Journalisten
im Iran sofort wiederherzustellen. Wie Sie wissen, haben
wir dazu am Montag den iranischen Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt. Wir haben besonders auch auf
den Schutz der iranischen Mitarbeiter der deutschen
Journalisten gedrängt, die zum Teil massiven Repressionen ausgesetzt werden.
Unser Engagement für die deutschen Journalisten und
ihre Mitarbeiter bedeutet aber nicht, dass uns etwa das
Schicksal der iranischen Journalisten mit weniger Sorge
erfüllt. Auch dies haben wir gegenüber der iranischen
Regierung mit deutlichen Worten angesprochen. Eine
Reihe europäischer Partner hat sich inzwischen dieser
Initiative angeschlossen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese eindringlichen Appelle an die iranische Regierung knüpfen an unser langjähriges Eintreten für die Freiheits- und Menschenrechte im Iran an. Ein besonderer Schwerpunkt ist
dabei der Kampf der EU gegen die Todesstrafe, besonders gegen ihre Verhängung gegenüber Minderjährigen
und gegen die besonders brutale und abscheuliche Strafform der Steinigung.
Trotz vielfacher Zusicherung der iranischen Regierung hat sich die Menschenrechtslage in den vergangenen Jahren eher verschlechtert. Trotzdem konnte unser
Engagement in Einzelfällen etwas erreichen, etwa durch
Umwandlung von Todes- in Haftstrafen. Diese Fälle ermutigen uns, auf diesem Kurs unbeirrt voranzuschreiten.
({4})
Wir haben registriert, dass die Äußerungen von
Staatspräsident Ahmadinedschad nach der Wahl keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, auf die Forderungen der
internationalen Gemeinschaft hinsichtlich des iranischen
Nuklearprogramms einzugehen. Gemeinsam mit unseren Partnern im Rahmen der E 3 + 3 - also mit China,
Frankreich, Russland, dem Vereinigten Königreich und
den Vereinigten Staaten - haben wir dem Iran ein umfangreiches Angebotspaket als Basis für eine diplomatische Lösung vorgelegt. Seit nunmehr einem Jahr spielt
aber die iranische Führung auf Zeit: Zunächst waren
noch Detailfragen zu klären. Dann waren die Wahlen in
den USA und nun die Wahlen im Iran ein Anlass, den
Beginn konkreter Verhandlungen immer weiter hinauszuzögern. Auch auf den Strategiewechsel der USA hat
der Iran bisher nur sehr zögerlich reagiert. Dieses Verhalten können wir nicht länger akzeptieren.
({5})
Der Generaldirektor der IAEO hat am Montag dieser
Woche zu Beginn des IAEO-Gouverneursrats erneut unterstrichen, dass es allein am Iran liegt, durch eine volle
Zusammenarbeit mit der IAEO die begründeten Zweifel
der internationalen Gemeinschaft an den Zielen des iranischen Nuklearprogramms auszuräumen.
Wir unterstützen ausdrücklich den Aufruf an den Iran,
die sich jetzt bietende Gelegenheit für eine diplomatische Lösung zu nutzen. Für alle Folgen einer weiteren
Verweigerungshaltung, auch was weitere Sanktionen angeht, trägt allein die iranische Führung die Verantwortung.
({6})
Neuerliche Äußerungen von Präsident Ahmadinedschad unmittelbar vor wie auch nach den Wahlen weisen leider darauf hin, dass er an seiner unsäglichen und
unerträglichen Leugnung des Existenzrechts Israels festzuhalten gedenkt. Um es ganz deutlich zu machen: Wir
werden allen Äußerungen dieser Art so lange entschieden entgegentreten, bis sie endlich aufhören.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Präsident Obama
hat mehrfach und eindrucksvoll klargemacht, dass er
trotz aller Differenzen bereit ist, in vollem Respekt in
den Dialog mit der iranischen Führung einzutreten. Jeder
weiß: Ein solches Angebot kann nicht unbegrenzt ohne
positive Reaktion im Raum stehen bleiben. Deshalb appellieren wir an den Iran, diese ausgestreckte Hand zu
ergreifen und ohne weiteren Verzug in einen Dialog auf
gleicher Augenhöhe einzutreten. Dies nicht zu tun,
hieße, eine vielleicht einmalige historische Chance zu
verpassen.
({8})
Wir werden daher auch an die kommende iranische
Regierung den ernsthaften Appell und die ernsthafte
Botschaft senden: Niemand in Deutschland, niemand in
Europa will einen Iran in politischer Isolierung und in
Einschränkung durch Sanktionen der Weltgemeinschaft.
Im Gegenteil: Wir haben ein geradezu existenzielles Interesse an einem Iran, der sich in einer Region voller
Konflikte und Probleme an einer regionalen und globalen Verantwortungspartnerschaft beteiligt und sich dadurch Anerkennung und Respekt verschafft.
({9})
Das ist unsere Botschaft, die von dieser Debatte im
Deutschen Bundestag ausgehen soll und von der wir uns
wünschen, dass sie auch von der großen Mehrheit der
mündigen Bürgerinnen und Bürger im Iran gehört und
verstanden wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Gebt
uns unsere Stimmen zurück!“ - Das ist die Parole von
Zehntausenden, die in den letzten Tagen und Nächten in
Teheran und vielen anderen Städten demonstriert haben.
Sie haben demonstriert, obwohl das Demonstrieren offiziell verboten war. Ich sage an dieser Stelle: Wir sind mit
ihnen solidarisch. Wir verurteilen die Gewalt gegen die
Menschen, die von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und ihrem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit
Gebrauch machen.
({0})
Wir verurteilen die Gewalt, die gegen diese Menschen
angewendet wurde, und wir betrauern die Toten.
Mich erinnern diese Bilder - übrigens auch die Gewalt - an die Bilder von 1979. Wieder ziehen Zehntausende Iraner durch die Straßen und rufen: „Marg bar
Diktator“ - Tod dem Diktator. Damals war der Schah gemeint, heute die Machthaber. Wieder rufen Menschen
auf den Dächern von Teheran: „Allahu Akbar“. Wir erleben den Aufstand der iranischen Zivilgesellschaft gegen
die Gefahr eines zunehmend diktatorisch werdenden Regimes. Menschen demonstrieren gegen ein Regierungssystem, das jeden unter Verdacht stellt.
Eines muss man an dieser Stelle in aller Deutlichkeit
sagen: Es handelt sich nicht um einen Aufstand gegen
die Mullahs. Es sind viele Geistliche, die zusammen mit
Liberalen, Konservativen, Jungen und Alten, Studierenden, Geschäftsleuten und Arbeitern auf die Straße gehen.
Es sind nicht nur tradierte Reformer, die auf der Straße
protestieren. Neben Mussawi werden die Proteste auch
von Rafsandschani, dem ehemaligen Präsidenten Chatami, dem Parlamentspräsidenten Laridschani, den Kandidaten und selbst vom Großayatollah Montazeri, einem
der wichtigsten religiösen Gelehrten des Landes, unterstützt.
Es ist offensichtlich, dass ein Riss durch die islamische Republik geht. Viele von uns sind von der Wucht
und der Dynamik dieser Ereignisse überrascht. Als ich
vor zwei Jahren im Iran war, hatte ich den Eindruck einer resignierten und frustrierten Opposition. Damals
sagte mir Shirin Ebadin: Ihr im Westen, ihr dürft euch
nicht nur um die Atomfrage kümmern. Denkt auch an
die Menschenrechte.
Ich glaube, die Demonstrantinnen und Demonstranten
mahnen auch uns, unser Iranbild zu schärfen. Der Iran ist
mehr als Atom und Ahmadinedschad. Der Iran ist eine
vielfältige und vielfach widersprüchliche Gesellschaft.
Es ist ein modernes Land, in dem Handys und Internet
heutzutage auf jeder Demo präsent sind. Es ist ein Land
mit immensem Ölreichtum, aber massenhafter Armut
und Arbeitslosigkeit.
Es ist ein islamisches Land, tief geprägt vom schiitischen Glauben. Es ist ein Land mit selbstbewussten,
kämpferischen, klugen Frauen und einer archaischen,
brutalen Rechtsprechung in vielen Fällen; Herr Erler hat
bereits darauf hingewiesen. Wir müssen in unserer IranPolitik gerade dieser Vielfalt gerecht werden. Das ist bislang nicht immer gelungen. Diejenigen, die damals in
den USA als Antwort auf den großen Satan nur die
Achse des Bösen sehen konnten, denen zu Teheran nur
der „Irre von Teheran“ eingefallen ist und die geglaubt
haben, nur mit Isolierung und Boykott könne man diesem Problem beikommen, haben sich geirrt. Das Gegenteil ist richtig.
Es war die kluge Wende in der Iran-Politik unter
Obama. Es war auch seine Rede zum Frühjahrsfest. Es
war sein Dialogangebot, das dazu beigetragen hat, die
resignierte und frustrierte Unzufriedenheit mit der Regierung aufzubrechen. Die Isolation, zu der eine falsche
Politik beigetragen hat, hat die Menschen im Iran zum
Teil in die Solidarisierung mit Ahmadinedschad getrieben. Obama hat in seiner Rede Ahmadinedschads Behauptung, der Westen sei gegen den Iran, als Lüge entlarvt.
Offenheit und Dialog haben der Zivilgesellschaft im
Iran Mut gemacht. Damit haben wir aber auch Verantwortung. Wir wissen nicht, wie sich die Lage im Iran
entwickeln wird. Aber wir werden künftig diese Lehre
beherzigen müssen. Barack Obama hat in Kairo eine
Antwort auf die Situation gegeben, die vielleicht auch
gut zum Iran passt. Er sagte dort: Eine Idee zu unterdrücken wird sie niemals zum Verschwinden bringen. Alle
gewählten, friedfertigen Regierungen sind uns willkommen, vorausgesetzt, sie regieren mit Respekt für all ihre
Bürger.
Ich finde, das ist unsere Botschaft an die Machthaber
im Iran. Es darf keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten geben. Die Wahlfälschungen müssen vollständig aufgeklärt werden. Im Zweifel muss die Wahl annulliert werden. Ich appelliere an die Machthaber im Iran:
Geben Sie den Menschen ihre Stimmen zurück! Wir sind
solidarisch mit den Menschen in Teheran, in Isfahan, im
ganzen Iran.
({1})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Ruprecht
Polenz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In einer Situation, wie wir sie jetzt über die Fernsehbilder aus dem Iran verfolgen - ich kann mich den Einschätzungen, die Sie, Herr Trittin und Herr Staatsminister, vorgetragen haben, nur anschließen -, bleibt uns,
dem Deutschen Bundestag, zunächst die Herstellung internationaler Aufmerksamkeit als wichtige Aufgabe.
Deshalb ist es gut, dass es heute diese Aktuelle Stunde
gibt. Denn es ist internationale Aufmerksamkeit, die in solchen Situationen dazu führt, die Meinungsfreiheit zu
schützen, Rechtfertigungszwänge auszulösen sowie Transparenz einzufordern und herzustellen. Sie erschwert zudem Übergriffe. Es ist kein Wunder, dass die iranische
Regierung zuallererst versucht hat, die internationale
Berichterstattung zu behindern. Wir müssen also unsere
volle Aufmerksamkeit auf die Menschen lenken - das
sind wir ihnen schuldig; das ist richtig -, die mit viel persönlichem Mut auf die Straße gehen, um ihre demokratischen Rechte geltend zu machen. Das ist das, was wir
tun können, um sie zu unterstützen.
({0})
Ich habe heute, einer Anregung des Kollegen Klose
folgend, mit meinem Amtskollegen Borudscherdi, dem
Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses im iranischen Parlament, telefoniert und habe ihm gesagt, dass
wir heute darüber debattieren, wie wichtig es ist, dass
der Iran Demonstrationsfreiheit garantiert, dass er beim
Einsatz gegen gewalttätige Übergriffe, die es sicherlich
auch vonseiten der Demonstranten gegeben hat, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet, und wie besorgt es
uns macht, dass im Schatten der Demonstrationen offensichtlich auch oppositionelle Politiker - so ist die Nachrichtenlage - verhaftet worden sind. Natürlich habe ich
gefordert, dass die freie Berichterstattung der ausländischen, aber auch der iranischen Journalisten umgehend
wiederhergestellt werden muss und dass für eine transparente Aufklärung der Vorwürfe zu sorgen ist.
Er hat mir dann seine Sicht der Dinge erklärt, nämlich
dass in Teheran in der Tat Mussawi gewonnen habe.
Seine Anhänger hätten das Teheraner Ergebnis auf das
ganze Land hochgerechnet und seien aus Enttäuschung
auf die Straße gegangen. Inzwischen haben, so hat er mir
berichtet, Gespräche der vier Kandidaten mit dem geistlichen Führer und ein Treffen der Vertreter der vier Kandidaten mit dem Wächterrat stattgefunden. Wichtig und
ganz interessant fand ich den Hinweis, dass inzwischen
wohl auch das iranische Parlament einen Ausschuss eingerichtet hat, der den Vorwürfen nachgehen soll. Dieser
habe mit den Kandidaten Mussawi und Karrubi bereits
ein Treffen unter Vorsitz eines der Vizepräsidenten des
iranischen Parlaments gehabt. Mit den anderen Kandidaten werde noch gesprochen. Borudscherdi hat mir gesagt, Mussawi habe in diesem Gespräch zum Ausdruck
gebracht, das Votum des Wächterrats, wie immer es in
zehn Tagen ausfalle, zu akzeptieren.
Das führt mich zu einem wichtigen Punkt, den wir
doch festhalten sollten: Wie immer die Wahl verlaufen
ist und wie immer die Stimmen ausgezählt worden sind,
es war von vornherein keine demokratische Wahl, sondern es war eine arrangierte Wahl. Es durften von über
400 Bewerbern nur vier kandidieren. Die anderen sind in
einem sehr intransparenten Verfahren vom Wächterrat
von vornherein ausgeschlossen worden. Es wurde auch
nicht - das wird inzwischen dankenswerterweise von
den Medien der deutschen Öffentlichkeit erklärt - der
Mächtigste im Iran gewählt - das ist und bleibt der geistliche Führer -, sondern es ging um die Wahl des Präsidenten. Die ist nicht unwichtig - sonst gingen in Teheran
nicht so viele auf die Straße -, aber eben auch nicht entscheidend.
Deshalb bleiben die Themen, die uns und den Iran betreffen, auf der Agenda. Herr Trittin, ich stimme Ihnen
zu, dazu gehört nicht nur, aber vor allen Dingen das Nuklearprogramm, dazu gehört die Haltung des Iran zu
dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, dazu
gehört die Unterstützung der Hamas und der Hisbollah,
und dazu gehört natürlich die Lage der Menschenrechte
im Land. Bei all diesen Themen hält Chamenei mit seinem Machtapparat den Schlüssel in der Hand. Er ist es,
der für Veränderung oder Beharrung sorgen kann. Das
muss unsere Politik berücksichtigen.
Es gibt jetzt die geänderte Strategie von Obama. Ich
finde es richtig, dass das Angebot der ausgestreckten
Hand aufrechterhalten bleibt, egal wie das Verfahren im
Iran ausgeht, und dass Obama nicht den Anschein erweckt hat, er wolle sich in die Auseinandersetzung einmischen. In diesem Zusammenhang habe ich eine Bitte
an die Bundesregierung: Solange die Antwort des Iran
nicht vorliegt, halte ich persönlich es für kontraproduktiv, öffentlich darüber zu spekulieren oder laut darüber
nachzudenken, was wir tun würden, falls der Iran die
ausgestreckte Hand der Amerikaner nicht ergreift. Wir
sollten jetzt die Geduld haben, abzuwarten, und weiterhin die Entwicklung im Iran aufmerksam verfolgen. Das
sind wir den mutigen Frauen und Männern schuldig, die
jetzt dort für ihre Rechte kämpfen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es geschieht nicht häufig und ist nicht selbstverständlich, dass man zu Beginn des eigenen Redebeitrags sagt:
Ich habe mich in dem, was meine drei Vorredner gesagt
haben, voll wiedergefunden. - Ich finde gut, dass ich
diese Bemerkung hier machen kann. Wir sind uns bei der
Botschaft, die wir an den Iran, sowohl an die Führung
als auch an die Menschen, die jetzt unter großen Risiken
auf die Straße gegangen sind, senden wollen, sehr einig.
Die Situation gibt zu großer Sorge und leider auch zur
Trauer Anlass.
Ich ziehe den Hut vor den Hunderttausenden Iranern,
die unter Gefahr für Leib und Leben ihre Stimme für
eine bessere Zukunft erheben.
Was kommt darin zum Ausdruck? Sie verlangen, dass
ihre Stimmen zählen, dass sie gezählt werden, und sie
gehen dafür hohe Risiken ein. Das könnte uns in unserem sicheren Europa geradezu ein bisschen beschämen.
({0})
Offenbar haben wir die Wertschätzung dafür verloren,
was es bedeutet, eine eigene Stimme zu haben, sie abzugeben und darauf bestehen zu können, dass sie gezählt
wird.
Man schaue sich auch an, was uns dort vorgelebt
wird: dass Freiheit zählt, dass sie immer wieder verteidigt und erkämpft werden muss. Wer dort aufschreit, das
ist die junge, gutausgebildete, moderne, im Wesentlichen
westlich - vor allen Dingen Richtung Amerika orientierte - Generation im Iran, nicht nur in Teheran, sondern
auch in vielen anderen großen Städten. Es ist eine Generation, die vor allen Dingen eins will: Zukunftschancen,
eine Generation, die die Systemstarre längst als Hindernis für ihr eigenes Lebensglück sieht, eine Generation,
die Vertrauen in einen Rechtsstaat haben möchte, eine
Generation, die von der eigenen Regierung nicht ihrer
Möglichkeiten beraubt werden möchte und die übrigens
auch den Rest der Welt nicht als Gefahr, sondern als
Chance begreift.
Die größte Gefahr für den geistlichen Führer und für
den Staatspräsidenten besteht darin, dass sich dieser Ruf,
die Botschaft dieser Menschen über das Land verbreitet,
und deswegen wird das Internet unterbrochen, deswegen
werden die Kommunikationsmöglichkeiten nach innen
wie nach außen gekappt, deswegen werden die Medien
in ihrer Arbeit behindert und Oppositionelle drangsaliert.
Je mehr das geschieht, je mehr das Regime es offensichtlich für erforderlich hält, sich so zu verhalten, desto
mehr werden die Zweifel genährt, dass das, was da am
letzten Freitag geschehen ist, wirklich mit rechten Dingen zugegangen ist. Es ist ein Segen unserer Zeit, dass es
heute kaum mehr Möglichkeiten gibt, Informationen
vollends zu unterdrücken oder Unrecht sich in kleinen
Nischen abspielen zu lassen. Die Medien sind präsent.
Der Geist, den Hunderttausende in diesen Tagen auf die
Straße gebracht haben, wird nicht wieder in die Flasche
zurückzudrängen sein.
({1})
Nach diesen Vorgängen wird auch im Iran nichts so sein,
wie es vorher war. Darin liegt eine große Chance für die
Zukunft des Iran und für den zukünftigen Platz des Iran
in der Völkergemeinschaft.
In der Strategie der Hardliner im Iran spielt der Westen eine ganz wesentliche Rolle, nämlich die des Feindbildes. Auch in diesen Tagen sind die Provokationen des
iranischen Staatspräsidenten vor allen Dingen eins: der
Versuch, einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen, um
die mutigen Demonstranten im eigenen Land als Handlanger des verhassten Westens abzuqualifizieren. Wir
dürfen in diese Falle nicht hineintappen; dieses Spiel
dürfen wir nicht mitmachen. Auf den Straßen von Teheran, von Isfahan, von Tabriz und von vielen anderen
Städten ist niemand vom Ausland gesteuert. Hier empört
sich eine ganz eigene iranische Opposition, und deswegen sollten wir Präsident Ahmadinedschad keine Ausweichmöglichkeiten bieten, sich mit uns statt mit der eigenen Bevölkerung auseinanderzusetzen.
Sie haben zu Recht gesagt, Herr Trittin: Die überzeugendste Botschaft zu diesem Thema, die in den letzten
Wochen und Monaten gehört worden ist, kam vom amerikanischen Präsidenten, sowohl in seiner Neujahrsansprache an das iranische Volk als auch in seiner bemerkenswerten Rede in Kairo. Es ist eine Politik der
ausgestreckten Hand, die nicht auf Provokationen eingeht und trotzdem die eigenen Werte hochhält. Es ist das
Angebot an den Iran, seinen Platz in der Weltgemeinschaft mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten
auszufüllen. Es ist das Angebot, Tradition und Fortschritt miteinander zu verbinden. Es ist das Angebot, alte
Verletzungen zu überwinden. Ja, Obama überwindet die
Sprache der Achse des Bösen, die Sprache von Zuckerbrot und Peitsche. Diese Sprache ist gescheitert. Er betont den Respekt vor dem iranischen Volk und seiner
großartigen Kultur, und er schreckt auch nicht davor zurück, Fehler der Vergangenheit offen zu adressieren. Er
geht in seiner Rede bis auf Mossadegh zurück. Das ist
ein ermutigender und ein mutiger Schritt.
Wenn es eines Tages Lösungen für die Probleme in
der Region, auch im Kernbereich von Palästina und Israel, geben sollte, dann sicherlich in jenem Geist, von
dem die Rede Obamas in Kairo getragen war. Darin liegt
auch ein Angebot an Europa. Das sollten wir aufgreifen,
und dazu sollten wir unseren Teil beitragen. Dass es
Hunderttausende im Iran gibt, die sich der Hoffnung auf
diese Politik bereits angeschlossen haben, ist ermutigend.
Vielen Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Dr. Norman Paech das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt wohl keinen Zweifel: Die Gesellschaft im Iran ist
im Aufruhr. Ob dieser Aufruhr nun mehr mit der Revolution von 1979 oder den Studentenrevolten von 1999 zu
tun hat, muss sich erst noch zeigen. Sicher ist aber, dass
Ursache nicht der Wahlausgang und die möglichen
Wahlfälschungen sind. Sie sind nur Anlass und Auslöser
der Unruhen, die offensichtlich eine ganz breite Unzufriedenheit mit dem aktuellen Regime widerspiegeln.
Dieses Regime wird nicht nur von Ahmadinedschad,
sondern auch von Ajatollah Chamenei und dem Wächterrat repräsentiert.
Zudem bestehen wohl auch keine Zweifel daran, dass
es bei den Wahlen wahrscheinlich zu Unregelmäßigkeiten bis hin zu massivem Wahlbetrug gekommen ist.
Wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass unabhängige US-Organisationen in den letzten Wochen vor
den Wahlen Ahmadinedschad immer mit einem Vorsprung
von ungefähr 33 Prozentpunkten vor Mussawi gesehen
haben. Nach ihren Befragungen lag Ahmadinedschad in
allen 30 Provinzen vorne. Selbst in der Provinz Aserbaidschan, der Heimat Mussawis, wurde Ahmadinedschad
mit zwei zu eins gegenüber Mussawi favorisiert. Die
stärkste Zustimmung kam von den 18- bis 24-Jährigen.
Für Mussawi stimmten eindeutig die Akademiker und
die Wohlhabenden im Lande. Das ist zwar nicht die Bevölkerungsmehrheit; es sind aber wohl diejenigen, mit
denen die westlichen Medien aufgrund der sprachlichen
Kompetenz dieser Gruppe vornehmlich Kontakt hatten.
Hier wurde bei uns offensichtlich zu viel Wunschdenken verbreitet und vergessen, dass Ahmadinedschad
schon einmal mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen
hat, nämlich 2005 gegen Rafsandschani. Offensichtlich
konnten viele Iraner ihren Wunsch nach einem wirklich
demokratischen System und nach besseren Beziehungen
zu den USA sowie ihre Ablehnung des Besitzes von Nuklearwaffen mit ihrer Unterstützung Ahmadinedschads
verbinden. Sie sahen in ihm offensichtlich den härteren
Verhandler, der mehr für sie herausholen konnte.
Übersehen wir auch das nicht: So schlecht die Wirtschaftslage im Iran ist und so schlecht es in diesem Land
um die Menschenrechte steht - 46 Prozent der Iraner
glauben, dass unter Ahmadinedschad die Inflation gesunken und die Wirtschaft gewachsen ist.
({0})
Das kennen wir aus anderen Zusammenhängen. So
kommt es beim Wetter nicht auf die exakte Temperatur
an, sondern auf die gefühlte.
Aus einem weiteren Grunde sollten wir bei der Bewertung fremder Wahlen sehr vorsichtig sein. Haben wir
schon die US-Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000
vergessen, bei denen es zu massiven Unregelmäßigkeiten in Florida gekommen ist, die nie ganz aufgeklärt
wurden und die keine Aktuelle Stunde im Bundestag
hervorgerufen haben?
({1})
Oder denken wir nicht mehr an 2006? Damals kam es
im Februar in Palästina zu anerkannt freien und fairen
Wahlen. Nur das Ergebnis gefiel den großen Mächten
nicht. Es war ein Tiefpunkt demokratischer Heuchelei,
die Wahlen erst zu fordern, dann aber das Wahlergebnis
zu missachten und den Sieger zu boykottieren. Wo war
da die demokratische Empörung im Parlament?
({2})
Mir gefiel ein Satz in der Washington Post vor zwei
Tagen. Ich will ihn zitieren:
Vorwürfe des Betrugs und der Wahlmanipulation
werden Iran weiter in die Isolation treiben und dessen Streitlust und Unnachgiebigkeit gegenüber dem
Rest der Welt wahrscheinlich verstärken. Bevor
sich andere Länder, die USA eingeschlossen, zu
dem Vorwurf der Wahlfälschung hinreißen lassen
- mitsamt den schwerwiegenden Folgen, welche
solch ein Vorwurf mit sich bringen kann - sollten
sie unabhängigen Informationen Beachtung schenken. Tatsächlich ist es gut möglich, dass das iranische Volk die Wiederwahl des Präsidenten
Ahmadinedschad wollte.
Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als zunächst
die angekündigte Überprüfung der Wahlen abzuwarten.
Dabei ist es vollkommen klar, dass wir gegen jegliche
Ausübung von Gewalt gegen die Opposition sein müssen. Das ist selbstverständlich; da schließe ich mich allen Vorrednern an. Es ist aber auch nötig, dem besonnenen Vorbild von Obama und Clinton zu folgen, also alle
Möglichkeiten der Diplomatie und der Verhandlung mit
dem Iran auszuschöpfen.
Zweifellos - das zum Schluss - geht der Iran mit einer neuen Epoche, vielleicht mit einer neuen Etappe seiner Revolution schwanger. Diese auszutragen, ist aber
allein Sache des iranischen Volkes.
Danke sehr.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute in den Iran schauen, dann machen wir
uns Sorgen um die Menschen und deren Zukunft; denn
zu oft waren politische Konflikte im Iran auch blutige
Konflikte. Deswegen bin ich dankbar, dass die Bundesregierung frühzeitig reagiert hat und die Einhaltung der
Menschenrechte, die Gewährung der Demonstrationsfreiheit und die Achtung des Rechtes auf freie Medienberichterstattung eingefordert hat. Das war notwendig
und rechtzeitig. Ich glaube, dass andere europäische Regierungen gut daran tun, ebenso zu handeln.
Mit Blick auf die jüngste Vergangenheit müssen wir
wahrnehmen: Das, was im Iran passiert, ist das Spiegelbild einer iranischen Gesellschaft, die wir in den letzten
Jahren leider zu wenig wahrgenommen haben. In den
Medien und bei uns, in der Politik, haben immer Ahmadinedschad und religiöse Eiferer eine Rolle gespielt,
nicht aber der Respekt gegenüber den Iranerinnen und
Iranern, die mit Mut - teilweise der Verzweiflung - versucht haben, für ihre individuellen Rechte und insbesondere für dieses große Land Iran einzutreten. Die Kundgebungen und Demonstrationen zum jetzigen Zeitpunkt
führen uns die Bedeutung dieser Menschen vor Augen.
Wir sollten ihren Einsatz weiterhin mit großem Respekt
verfolgen und unterstützen.
Ich möchte an die Adresse des Kollegen Paech sagen:
Ich finde es zweifelhaft, dass Sie mit einer Art Absolution Ahmadinedschad den Wahlsieg zusprechen.
({0})
Sie gehen damit sogar weiter als der religiöse Führer, der
sozusagen nach einem Fingerzeig Gottes immerhin gesagt hat: Lassen wir doch irdische Institutionen darüber
befinden, ob bei der Wahl das eine oder andere richtig
gelaufen ist.
Ich glaube, dass jede einzelne Stimme im Iran gehört
werden muss. Wir müssen diese Wahlen und die Menschen schützen. Das tun wir am besten mit dieser Debatte. Ich weiß, dass wir nicht unmittelbar auf die Situation im Iran einwirken können und wollen. Deswegen ist
es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Menschen im
Iran mit Mut und Selbstbewusstsein tagtäglich versuchen, auf die Situation einzuwirken. Es ist richtig,
diese Bemühungen von hier aus zu unterstützen.
Die Kundgebungen, die zurzeit in Teheran, Isfahan
und an anderer Stelle stattfinden, sind nach meinem Dafürhalten eine Reaktion auf die bemerkenswerten Reden
und Taten des amerikanischen Präsidenten. Er hat nicht
nur den islamischen Gesellschaften seine Hand ausgestreckt, indem er sagte, dass er ihnen mit Respekt begegne, sondern auch dem Iran angeboten, direkt über das
Atomprogramm zu sprechen. Zugleich hat er die gemeinsamen Interessen mit dem Iran betont: im Hinblick
auf Afghanistan, die Stabilisierung im Irak und die Situation im Kaukasus. All das sind nach meinem Dafürhalten Anhaltspunkte für eine realistische Politik.
Ich bitte die Institutionen im Iran, die so vielfältig
sind und nicht nur den Präsidenten repräsentieren, etwa
das Parlament, den Schlichterrat oder den nationalen Sicherheitsrat, die ausgestreckte Hand anzunehmen. Zum
anderen sollten wir Präsident Obama von Europa aus unterstützen. Mit Blick auf den Besuch der Bundeskanzlerin bei Präsident Obama in der nächsten Woche richte
ich deshalb den Appell an die Bundesregierung, diese
Nahostpolitik zu unterstützen, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, und die Realitäten so anzunehmen,
wie sie sich darstellen.
({1})
Natürlich ist es auch ein Machtkampf innerhalb des
Systems - darüber würde ich an dieser Stelle ebenfalls
gern sprechen -; da sind die Menschen, die um ihre
Stimme kämpfen, und da gibt es wahrscheinlich auch
eine Auseinandersetzung zwischen religiösen Gruppen
und einer sozusagen neuen politischen Elite, die im achtjährigen iranisch-irakischen Krieg großgeworden ist, die
möglicherweise um wirtschaftliche Pfründe kämpft. Das
sind kritische Momente, die wir mit aller Sensibilität beachten müssen. Dennoch geht es heute darum, dass aus
den Wahlen das wird, was die Menschen wollen.
Zu oft machen solche Regimes - davor warne ich
auch in Richtung Teheran - Minderheiten, ethnische
Minderheiten oder religiöse Minderheiten, zum Sündenbock, möglicherweise auch zum Sündenbock für Aufruhr. Die Frage der Verfolgung zum Beispiel der BahaiGemeinde und anderer ethnischer Minderheiten in diesem Vielvölkerstaat ist so wichtig, dass wir auch von
dieser Stelle aus sagen müssen: Sie sind in diesen Tagen,
in diesen Minuten genauso bedroht. Wir werden dies
aufmerksam beobachten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es muss Schluss sein mit der Diskriminierung der
Frauen im Iran. - Diesen Satz rief Sahra Rahnavard im
Wahlkampf den Menschen entgegen. Wie Sie wissen, ist
sie nicht irgendjemand, sondern die Frau des Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi, der derzeit die
Proteste im Iran anführt.
Der iranische Schriftsteller Navid Kermani, der in
Köln lebt, beschreibt in der Süddeutschen Zeitung von
gestern in einem flammenden Appell, wie in einer
Fernsehdiskussion der beiden Kandidaten - es ist sehr
ungewöhnlich, dass so etwas stattfand - die infame
Diffamierung Sahra Rahnavards durch Präsident
Ahmadinedschad erst zum Auslöser für eine breite Mobilisierung für Mussawi wurde.
Nach der Wahl und der - jedenfalls aus Sicht der Demonstrierenden - massiven Fälschung der Wahlergebnisse scheint das Maß jetzt endgültig voll zu sein; Hunderttausende Menschen sind nicht mehr bereit, eine
zweite Amtsperiode Ahmadinedschads zu akzeptieren,
die möglicherweise auch noch auf einem gigantischen
Betrug basiert. Sie fühlen sich um ihre Stimme betrogen,
und sie kämpfen für ihre Freiheits- und Bürgerrechte.
Ich möchte mich allen anschließen, die gesagt haben:
Das müssen wir hier heute unterstützen. Das muss das
Signal sein, das aus dieser Aktuellen Stunde in den Iran
geht.
({0})
Die Vorgänge in Teheran sind dramatisch, vielleicht
historisch - das wissen wir heute noch nicht -; jedenfalls
sind es die größten Demonstrationen, die das Land seit
der Revolution vor 30 Jahren gesehen hat. Daher ist es
wichtig, dass wir heute Stellung beziehen.
Es ist sicherlich noch nicht klar, wohin sich die Situation im Iran entwickelt, aber es ist schon im Vorfeld der
Wahl und auch jetzt bei den Demonstrationen deutlich
geworden, dass die Menschen in Teheran und in anderen
Städten mit Mut und Entschlossenheit ihre Rechte einfordern. Da hat sich in der Regierungszeit Ahmadinedschads
offensichtlich schon viel Frustration angestaut, die sich
jetzt entlädt. Wie auch immer die Situation im Einzelnen
zu bewerten ist - ob es auch um einen massiven Machtkampf verschiedener Kräfte des Regimes geht, ob zwischen Mussawi und Ahmadinedschad gar nicht so große
Differenzen bestehen, ist im Moment, finde ich, gar
nicht so entscheidend -; eines steht auf jeden Fall fest:
Im Iran zeigt sich in diesen Tagen eine ganz breite Zivilgesellschaft mit einem sehr ausgeprägten Bewusstsein
Kerstin Müller ({1})
für ihre Freiheitsrechte, für die sie sich trotz der Gefahren und Risiken mutig einsetzt. Das ist ein sehr starkes
Signal.
Es rächt sich jetzt - ich will das hier nachdenklich sagen -, dass die internationale Gemeinschaft den Iran viel
zu lange nur durch die Brille des Nuklearstreits - so
möchte ich es einmal ausdrükken - gesehen hat. Ich sage
das als jemand, die damals als Staatsministerin ganz klar
dafür war, dass wir diese Dialogpolitik betreiben, und
die der Meinung war, dass es ein zentrales Anliegen der
internationalen Politik sein muss, die Nuklearisierung zu
verhindern; keine Frage. Aber es war falsch, dass dabei
die Menschenrechtslage so völlig aus dem Blick geraten
ist und quasi als nachrangige Frage behandelt wurde.
Ich gebe ein Beispiel: Kampf für die Frauenrechte.
Seit Jahren sammeln Aktivistinnen im ganzen Land Unterschriften im Rahmen der „5-Millionen-UnterschriftenKampagne“ zur Verbesserung der Rechte der Frauen.
Über 60 Prozent der Studierenden im Iran sind Frauen.
Sie sind jetzt offensichtlich nicht mehr bereit, die Diskriminierung hinzunehmen. Sie sind sehr enttäuscht über
die wahrscheinliche Wahlfälschung, für die es ziemlich
eindeutige Hinweise gibt.
Auch die allgemeine Menschenrechtslage hat sich unter Ahmadinedschad verschlechtert, ist finster wie nie
zuvor. Das hat der jüngste Jahresbericht von Amnesty
International noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Ich meine, einen Fehler dürfen wir jetzt in dieser Lage
nicht machen: Wir dürfen jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und business as usual betreiben. Es
gibt den einen oder anderen Experten, der das will und
beschwichtigt, indem er sagt: Na ja, wahrscheinlich war
es Wahlfälschung, aber nicht in diesem Umfang - so
ähnlich wie Sie heute, Herr Kollege Paech -, wegen der
konservativen Landbevölkerung könnte Ahmadinedschad
auch gewonnen haben. Es gibt sogar die Aussage,
Ahmadinedschad sei im Hinblick auf die Verhandlungen
im Atomstreit der bessere Verhandlungspartner, weil er
als konservativer Politiker entsprechende Ergebnisse
besser ins System vermitteln kann.
Auch Sie, Herr Polenz, haben heute noch einmal gesagt, es sei nicht so entscheidend, ob Ahmadinedschad
im Amt bleibt; denn in der Frage des Atomprogramms
liege die Macht beim geistlichen Führer. Das mag zwar
richtig sein, aber ich möchte hier wirklich einmal die
Frage stellen, ob es in dieser Situation, angesichts von
Tausenden von Menschen, die unter hohem Risiko auf
die Straße gehen, angesichts massiver Zensur und des
heute erfolgten Verbots der Berichterstattung durch ausländische Journalisten, richtig ist, wenn wir von der internationalen Seite das Ganze weiter von außen nur unter
dem Gesichtspunkt des Nuklearstreits sehen. Ich finde,
das dürfen wir nicht.
({2})
Vielmehr müssen wir ins Zentrum unserer Überlegungen
auch die Lage der Menschenrechte stellen. Ich glaube,
alles andere würde schräg ankommen. Exiliraner haben
sich ja schon beschwert und gefragt, wieso es nicht genügend Unterstützung gibt. Man erwarte und benötige
entsprechende Signale.
Ich möchte noch etwas hinzufügen. Wir wissen heute
nicht, wie das Ganze ausgehen wird. Der Ausgang ist offen. Möglicherweise wird dieser demokratische Aufbruch niedergeschlagen. Ein Tiananmen II ist vorstellbar; jedenfalls sagen das alle. Wir wissen es nicht.
Vielleicht entwickelt es sich auch zum Guten. Ich finde
aber, in einer derart offenen Situation dürfen wir nicht signalisieren, dass wir in jedem Fall den Dialog fortführen, egal was im Iran passiert, egal wer an der Macht ist.
Ob wir weiterhin entsprechende Dialogangebote unterbreiten, müssen wir meiner Meinung nach von der Situation abhängig machen. Wenn sich der Vorwurf der Wahlfälschung erhärtet, gehört möglicherweise auch die
internationale Iran-Politik auf den Prüfstand. In dieser
Situation müssen wir jetzt als Erstes und vorrangig - das
haben hier ja auch viele gesagt - Solidarität mit der Reformbewegung zeigen und außerdem ganz klar sagen,
dass wir in Zukunft das Thema der Menschenrechte auf
die internationale Agenda setzen werden. Wenn also
schon ein Dialog geführt wird, dann muss auch dieses
Thema Bestandteil des Dialogs werden. Das wäre meines Erachtens das Mindeste.
({3})
Das Wort hat der Kollege Eduard Lintner für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es wurde schon
darauf hingewiesen, dass es ernsthafte und sehr konkrete
Hinweise auf Manipulationen des Wahlergebnisses gibt,
dass insbesondere die Höhe des Ergebnisses für Ahmadinedschad unglaubwürdig ist. Dieses und die brutale
und zugleich umfassende Unterdrückung der Protestierenden durch die Regierung erzwingen geradezu, dass
sich Parlamente wie der Deutsche Bundestag mit dem
Geschehen im Iran befassen.
Ich gebe dem Kollegen Polenz völlig recht: Wir haben die Pflicht, die internationale Aufmerksamkeit auf
den Iran zu lenken, um auf diese Art und Weise vielleicht denen zu helfen, die jetzt in der Tat mit bewundernswertem Einsatz von Leben und Gesundheit, Freiheit und Wohlergehen im Iran dafür kämpfen, dass
künftig demokratische Rechte auch dort respektiert werden.
({0})
Herr Dr. Paech, es hat - es tut mir leid, das sagen zu
müssen - schon etwas peinlich geklungen, als Sie hier
den Versuch unternommen haben, jetzt schon das Ergebnis zu rechtfertigen. Unlogisch und genauso peinlich war
es, als Sie im zweiten Teil Ihrer Rede davon gesprochen
haben, man müsse erst einmal abwarten. Meiner Meinung nach sollten wir hier Einigkeit an den Tag legen
und nicht irgendwelche Ausflüchte zulassen. Auch mir
liegen natürlich die Umfrageergebnisse vor. Sie sind
zwar mit aller Vorsicht zu betrachten, aber alle weisen
doch darauf hin, dass es eigentlich nicht sehr wahrscheinlich war, dass der amtierende Präsident bereits im
ersten Wahlgang die notwendige absolute Mehrheit für
sich gewinnen konnte.
Wie wir alle wissen steht die Regierung des Irans im
Brennpunkt des Interesses, aber eben auch der Sorge der
internationalen Politik. Vor allem das Atomprogramm
Teherans und die Drohungen von Präsident Ahmadinedschad gegen Israel lassen im Hinblick auf mögliche Reaktionen geradezu alle Alarmglocken schrillen. In diesen
Konflikt ist zwar durch die Initiativen der neuen US-Administration - es ist schon darauf hingewiesen worden jüngst Bewegung gekommen. Die Hoffnung auf einen
friedlichen Ausweg hat sich dadurch Gott sei Dank etwas belebt. Aber der angeblich so hohe Sieg des amtierenden Präsidenten schon im ersten Wahlgang begründet
doch die Befürchtung, er und seine Anhänger könnten
genau dieses unwahrscheinliche Resultat als Aufforderung zu einer noch aggressiveren Politik einer atomaren
Bewaffnung interpretieren.
Andererseits beschädigen auch nicht bewiesene, aber
plausible Zweifel an der Wiederwahl die Legitimationsbasis des Regimes. Diese Zweifel, zusammen mit der
brutalen, gewaltsamen Unterdrückung von Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht, erschweren es zudem
jeder westlichen Regierung, gegenüber der eigenen Öffentlichkeit Kompromisse mehrheitsfähig zu machen.
Zwar bekennen sich - es ist schon darauf hingewiesen
worden - auch die anderen Kandidaten zur Nutzung von
Nukleartechnik durch den Iran; aber ihre Priorität liegt
ganz offenbar in einer anders orientierten, dem Wohl der
Bevölkerung verpflichteten Wirtschaftspolitik. Mit dieser Zielrichtung, die zweifellos im Interesse der ganz
überwiegenden Mehrheit der Menschen im Iran läge, ist
die Chance zu mehr Kooperation mit dem Westen verbunden. Dies würde eine Reduzierung der Spannungen
ermöglichen, auch über den Weg der Rücknahme von
Sanktionen gegen den Iran, und könnte eine Entspannung und Hilfe bedeuten.
Es steht, wie wir alle wissen, auch viel auf dem Spiel,
was das Verhältnis des Iran zu seinen Nachbarn in der islamischen Welt angeht. Die ideologische und realpolitische Führungsrolle, die Ahmadinedschad und seine Anhänger anstreben, verschärft ganz entscheidend die
Gefahr eines nuklearen Wettrüstens in dieser schon jetzt
so spannungsreichen Region. Auch was Israel angeht,
kann man nur auf ein Einlenken des Iran hoffen. Denn
die existenzielle Bedrohung des Staates Israel, nicht nur
verbal, sondern auch mit realen Mitteln, birgt die Gefahr
einer von uns allen nicht erwünschten drastischen Reaktion in sich.
All das sind Gründe, die es zwingend erforderlich
machen, dass die Legitimität der Führung des Iran zweifelsfrei geklärt wird. Dazu bedarf es des Rechts einer ungestörten Überprüfung und der wahrheitsgemäßen Feststellung des Wahlergebnisses. Religion und religiöse
Führer auch im Iran sollten sich immer der Wahrheit verpflichtet fühlen. Diesem Anspruch sollte sich der oberste
Führer Chamenei bei seinem Urteil über die Korrektheit
der Wahl im Iran verpflichtet fühlen. Die Wahrung der
demokratischen Rechte in seinem Land und die Gewährleistung von Presse- und Versammlungsfreiheit könnten
ihm dabei hilfreich sein. Wir hoffen auf seine Einsicht
und darauf, dass er sich letztlich auch dem friedlichen
Zusammenleben der Völker, zumindest in der Region,
verpflichtet fühlt.
({1})
Das Wort hat der Kollege Hans-Ulrich Klose für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn es dem Kollegen Paech missfällt, muss ich
doch ein paar Bemerkungen zu dem Ergebnis machen.
Ich habe mir die Zahlen von 2005 noch einmal angesehen und diese mit den Zahlen von diesem Jahr verglichen. Das ist sehr aufschlussreich. Im Jahr 2005 hat
Ahmadinedschad im ersten Wahlgang, in dem es mehrere Kandidaten gab, 5,7 Millionen Stimmen bekommen. Erst im zweiten Wahlgang, als es nur noch zwei
Kandidaten waren, hat er - das galt damals als Kantersieg - circa 16 Millionen Stimmen bekommen. Dieses
Jahr, im Jahr 2009, nachdem Ahmadinedschad in seinem
eigenen Land erheblich an Zustimmung verloren hat, hat
er im ersten Wahlgang - so wird behauptet - 23,7 Millionen Stimmen erhalten, doppelt so viele wie Mussawi
und ein Vielfaches von Resai und Karrubi, sogar in deren Heimatbezirken.
({0})
Ich weiß nicht, ob die Zahlenangaben der Opposition
stimmen; auch da gibt es unterschiedliche Angaben.
Aber ich bin mir ziemlich sicher, Herr Kollege Paech,
dass die jetzigen Zahlen für Ahmadinedschad nicht stimmen, sondern frei - oder sollte ich lieber sagen: willkürlich? - erfunden sind.
({1})
Ich habe großen Respekt vor denen, die das im Iran
ganz laut und deutlich sagen und für ihre Überzeugung
auf die Straße gehen. Diese Menschen trotzen der Gewalt und fordern ihr Recht auf freie Meinungsäußerung
ein. Die Bilder prügelnder Milizionäre erschrecken und
empören mich. Aber die Bilder von einzelnen Polizisten,
die sich schützend vor die Demonstranten stellen - auch
solche Bilder gibt es -, nähren die Hoffnung auf Veränderung.
Wird es im Iran schnelle Veränderungen geben? Ich
kann es nicht sagen, weil ich nicht weiß, wie der gegenwärtige Machtkampf im Iran - es handelt sich um einen
Machtkampf - ausgeht. Ahmadinedschad scheint sich
seines Sieges sehr sicher zu sein. Wahrscheinlich weiß
er: Wenn er fällt, fallen möglicherweise auch Chamenei,
der religiöse Führer, und das gesamte System. Ich glaube
nicht, dass es passiert. Aber möglich ist es.
Was können wir tun? Wir können dreierlei tun:
Erstens. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es
sich bei dem Konflikt in Teheran um einen iranischen
Machtkampf handelt, bei dem westliche Einmischung
wenig hilfreich, vielleicht sogar kontraproduktiv ist.
({2})
Auftrumpfende Rhetorik, zu der wir in Zeiten der Empörung manchmal neigen, könnte in dem Konflikt eher von
unserem Interesse ablenken und den Westen als Feindbild erscheinen lassen. Zweitens. Nachdem die öffentlichen Informationskanäle gesperrt sind, müssen die privaten offen gehalten werden, damit die Welt weiterhin
sieht, was im Iran geschieht. Drittens. Wir müssen denen
helfen, die als Asylbewerber zu uns kommen. Es werden, so fürchte ich, viele sein.
Was tun die westlichen Regierungen? Sie beobachten
die Lage, äußern ihre Besorgnis und bestellen - wenn es
hochkommt - Botschafter ein. Das ist nicht wenig, aber
auch nicht viel. Die Ehrlichkeit gebietet, hinzuzufügen,
dass die Regierungen viel mehr gar nicht tun können und
- wie im Falle der US-Regierung - offenbar nicht mehr
tun wollen.
Präsident Obama will trotz allem sein Dialogangebot
an den Iran aufrechterhalten. Ist er deswegen zu tadeln?
Wenn es nach mir geht: nein. Denn er weiß, dass wir, um
die Welt zu verändern, auch mit denen reden müssen, die
Unerfreuliches und Böses tun oder planen. Das nennt
man gemeinhin Realitätspolitik. Meist ist das abschätzig
gemeint. Prinzipienlos ist diese Art von Politik aber
nicht. Denn getragen und gerechtfertigt wird sie von
dem und durch das Prinzip Hoffnung - Hoffnung auf
Veränderung auch im Iran, wenn nicht heute, dann doch
vielleicht morgen.
Das erinnert mich - verzeihen Sie das einem älteren
Kollegen - an zwei Gedichtzeilen von Gottfried Benn:
Kommt, reden wir zusammen.
Wer redet, ist nicht tot.
({3})
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst möchte ich mich allen Rednern
mit Ausnahme des Redners von der Linkspartei anschließen, was die Unterstützung und eine gemäßigte
Solidarität mit den Demonstranten in Teheran angeht.
Wir müssen natürlich genau schauen, aus welchen Motiven dort die Demonstrationen stattfinden und welche Interessenlage dahintersteckt. Ich bin in der vergangenen
Woche von Donnerstag bis Sonntag mit einer größeren
Gruppe von jungen Nachwuchspolitikern aus Deutschland in Israel gewesen und habe in zahlreichen Gesprächen mit israelischen Freunden, egal welcher parteipolitischen Couleur - ob Likud, Kadima oder Arbeiterpartei -,
oder auch mit Journalisten und jungen Soldatinnen und
Soldaten festgestellt, dass in Israel schon im Vorfeld der
Wahlen die Erwartungshaltung, dass sich irgendetwas
verändert, nicht existent war. Das soll keine Unterstützung der These von Herrn Paech sein; damit Sie mich
nicht falsch verstehen. Ich meine, dass die Erwartungshaltung, das Verhältnis zwischen Israel und dem Iran
würde sich nach den Wahlen in irgendeiner Form ändern, in Israel sehr gering ist.
So gab es in Israel dann auch unterschiedliche Reaktionen auf das Wahlergebnis. Einerseits war es natürlich
ein Schock, mit welcher Dreistigkeit dieses Regime vorgeht und sich selbst damit demaskiert. Andererseits
wurde dieses Ergebnis mit einer gewissen Form von Resignation und Gleichgültigkeit aufgenommen. Denn man
hat gesagt: Es ändert sich sowieso nichts.
Das ist allerdings nicht unsere Position. Wir hoffen,
dass sich etwas ändert. Frau Kollegin Müller hat es gesagt - ich möchte es ergänzen -: Wir hoffen, dass sich
nicht nur im Bereich der Menschenrechte etwas ändert,
sondern natürlich auch in Bezug auf die Akzeptanz des
Staates Israel. Dass das natürlich nicht Gegenstand von
Demonstrationen in Teheran ist, leuchtet jedem ein.
Aber dass in dem Dialog, der in Zukunft seitens der
Amerikaner und der Europäer stattfinden soll, darauf geachtet werden muss, was die Oppositionellen im Iran in
Bezug auf den Staat Israel vertreten, ist für mich nach
wie vor eine wichtige Bedingung für Gespräche und ist
für die Einschätzung des Ausgangs der Gespräche mit
dem Iran zentral.
Man muss natürlich ernst nehmen, dass sich die wirtschaftliche Situation im Iran verändert hat; denn hier besteht ein enger Zusammenhang mit den Angeboten eines
Dialogs in den nächsten Monaten und Jahren. Die Stärke
der Oppositionsbewegung im Iran hängt sehr eng mit der
wirtschaftlichen Lage zusammen. Gerade deshalb ist es
nicht sinnvoll, jetzt mit weiteren Sanktionen zu drohen.
Das möchte ich nicht tun. Ich möchte aber, dass man zunächst einmal auf das rekurriert, was bereits aktuell beschlossen worden ist und Politik der Weltgemeinschaft
gegenüber dem Iran sein sollte, nämlich dass wirtschaftliche Beziehungen immer auch unter moralischen Gesichtspunkten gesehen werden sollten. Ich habe sehr
große Zweifel, ob Deutschland alles tut, was man tun
könnte, um dem Regime von Ahmadinedschad, dessen
Grausamkeit sich in den letzten Tagen offenbart hat, in
ausreichender Weise entgegenzutreten.
Ich verweise auf einen Gastkommentar von Benjamin
Weinthal in der Financial Times Deutschland, der ausdrücklich auf die Rolle der deutschen Wirtschaft in diesem Zusammenhang hinweist. Trotz aller positiven Erwartungen, die in der Debatte an die iranische Opposition
geknüpft worden sind, dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass wir selber in Deutschland einen Beitrag leisten
können, um das Regime von Ahmadinedschad zu destabilisieren. Wir sollten die deutsche Wirtschaft zu jedem
Zeitpunkt fragen, ob ihr ausgeprägter Handel und der
Technologietransfer, den es an vielen Stellen noch gibt,
nicht eine Sauerstoffzufuhr für das Regime von
Ahmadinedschad sind. Ich glaube, dass wir das sehr ernst
nehmen müssen.
Dies konterkariert auch nicht das, was Obama in
Amerika vertritt. Denn es ist doch so, dass unsere Kolleginnen und Kollegen im amerikanischen Kongress in
den vergangenen Monaten massiv über die Ernsthaftigkeit wirtschaftlicher Sanktionen diskutiert haben und
dass das in Amerika gerade mit Blick auf europäische
Unternehmen ein durchaus tagesaktuelles Thema ist.
Wir dürfen in der Debatte über den Iran nicht außer Acht
lassen, welche Interessen sich letztendlich für unsere
deutsche Außenpolitik mit dem Iran verknüpfen und ob
das, was wir vom Iran einfordern und was wir tun, tatsächlich zum Handeln der deutschen Wirtschaft passt.
Ich wollte diese Gelegenheit nutzen, zumindest auf
diese Schwachstelle unserer Außenpolitik hinzuweisen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Jung von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns bei der Bewertung von Wahlen mittlerweile den OSZE-Jargon angewöhnt: Free and fair
oder eben nicht free and fair. Die alarmierenden Berichte
über Manipulationen und Fälschungen bei der Wahl im
Iran häufen sich, und die Vorwürfe erhärten sich.
Ahmadinedschad lag - das wissen wir nicht genau,
aber es lässt sich aufgrund der Informationen, die uns
vorliegen, doch ein Stück weit berechnen - in der ersten
Runde dieser Wahl möglicherweise vorne, aber ganz sicher lag er nicht bei über 50 Prozent. Alles Weitere wäre
dann offen gewesen. Das ist aber zum Teil Spekulation.
Die Manipulationen und die Proteste gegen diese Manipulationen sind ein dramatischer Anlass, um hier und
heute über Iran jenseits der Nutzung von Nuklearenergie
zu debattieren. Iran ist ein gespaltenes Land: modern
und archaisch, weltgewandt und abgeschottet, vom Westen fasziniert und vom Westen unter Druck gesetzt. Vor
allem ist der Iran aber eine Theokratie, die massive
Technologieprobleme hat. Diese Probleme sind dadurch
eingetreten, dass der Bereich der Außenwirtschaftspolitik eben nicht so ist, wie mein Vorredner das in seiner
Schlusssentenz, mit der er sich Herrn Dr. Paech wieder
ein wenig angenähert hat, beschrieben hat. Das führte
vor allem dazu, dass der Rohölexporteur Iran heutzutage
Benzin importieren muss und die Regierung keine Möglichkeit mehr hat, die Lebensbedingungen der eigenen
Bevölkerung zu verbessern.
Die Auftritte von Ahmadinedschad in der Windjacke
der kleinen Leute verfangen nicht mehr, weil diese Imitation durchschaut wurde. Auch die Wahlgeschenke seiner Regierung verfangen nicht mehr. Der Crashkurs in
der Innen-, der Wirtschafts- und der Außenpolitik zeigt
Wirkung gegen den bisherigen Präsidenten. Allerdings
ist unsere Wahrnehmung vermittels der Diaspora, der
Exilanten und der Oppositionellen über die Lage im Iran
häufig einseitig, und unsere Prognosen sind oft Wunschdenken in Richtung eines Systemwechsels.
Hinter den Fassaden lauert ein kompliziertes Herrschaftssystem, das ausschließlich vom Regime lizenzierte Kandidaten zu dieser Wahl zugelassen hat - dazu
gehört auch Mussawi -, die verschiedene Fraktionen des
Gottesstaates repräsentieren und allenfalls zu Veränderungen innerhalb dieses Systems bereit sind, was allerdings schon große Fortschritte bedeuten könnte. Das
müssen wir bedenken, wenn wir über die möglichen Sieger und Verlierer dieser sogenannten Wahl sprechen.
Wir alle verfolgen mit großer Spannung die aktuellen
Meldungen aus Iran. In diesen Tagen wird sich zeigen,
ob der Druck der Bürgerinnen und Bürger groß genug
wird, um die Theokraten zu weiteren Zugeständnissen
zu zwingen, um sie wenigstens dazu zu zwingen, im
Sinne des eigenen Machterhalts pragmatisch zu reagieren, das heißt eine Überprüfung dieser Wahl und eventuell mehr Freiheit und Menschenrechte zuzulassen.
Unsere Sympathie und unsere Solidarität sind auf der
Seite derjenigen, die nun die Macht der Machthaber und
deren Legitimation mutig infrage stellen und dazu ihren
eigenen Kopf im eigenen Land hinhalten.
({0})
Unsere Aufgabe muss es sein, den Schutz der Menschenrechte auch in dieser teils eskalierenden Lage einzufordern. Im Iran sind Menschenrechte, Freiheitsrechte,
Versammlungsfreiheit sowie Pressefreiheit permanent
und nicht erst seit diesem Wahltag gefährdet. Die schon
erwähnten Steinigungen und das öffentliche Hängen
sind der hässlichste Ausdruck dieser Zwangslage.
Zur Lage der Minderheiten im Iran haben wir vor kurzem eine Anhörung im Menschenrechtsausschuss durchgeführt. Die Lage der Minderheiten wird nicht besser,
wenn die politische Lage der Mehrheiten so ist, wie sie
sich in diesen Tagen offenbart. Deshalb fordern wir die
sofortige Freilassung der Inhaftierten, die Untersuchung
der Todesfälle bei den Protesten und die Überprüfung
dieser Wahl. Freie Berichterstattung muss zugelassen
werden. Das ist aus meiner Sicht fast die dringendste
Forderung an diesem Tag. Bei Totalmanipulation müssten wir eigentlich Neuwahlen fordern.
Ein Regime, das sich bedroht sieht, wählt oft die Eskalation nach innen und nach außen. Das Regime will
mit allen Mitteln Informationen und Opposition unterdrücken. Eine klare Strategie der Repression tritt hier zutage, die Iran möglicherweise in noch mehr Brutalität, in
noch tiefere innere Gegensätze und in weitere Isolation
führen wird. Entscheidend aber ist: Der Staat, nicht die
Gesellschaft ist isoliert, und zwar auch dank moderner
Technologie, die sich eben doch nicht einfach abschalten
lässt. In meinem Büro und wahrscheinlich auch in Ihren
Büros besteht auch am heutigen Tag ein Kontakt in dieJohannes Jung ({1})
ses Land. Das ist die realistische Hoffnung für Iran. Hier
müssen wir politisch weiterarbeiten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns klug und
bestimmt dazu beitragen, dass wir in zehn Jahren den
Jahrestag einer Wende zum Besseren und nicht den Gedenktag einer blutig niedergeschlagenen Bürgerbewegung in Iran begehen werden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Where is my
vote?“ - Wo ist meine Stimme? -, das ist der Ruf der Demonstranten, der seit Tagen durch die Straßen von Teheran, Isfahan und anderen Städten im Iran schallt. In dieser Aktuellen Stunde haben wir eine Aufgabe zu
erfüllen: Wir müssen dazu beitragen, dass die Stimme
derjenigen, die im Iran auf die Straße gehen und unter
widrigsten Umständen für ihre Rechte eintreten, gehört
wird und zählt. Mit einer Ausnahme habe ich alle Redner über die Parteigrenzen hinweg so verstanden, dass es
darum geht, diejenigen, die im Iran ihre Stimme erheben, zu unterstützen.
Herr Kollege Paech, es ist schwierig, Ihren Argumenten zu folgen. Unabhängig davon, wie die Umfrageergebnisse am Tag vor der Wahl ausgesehen haben mögen,
finde ich, dass es ein logisches und ein demokratietheoretisches Argument gibt, das gegen Ihre Argumentation
spricht.
Das erste Argument lautet: Wenn Ahmadinedschads
Vorsprung sehr groß war, warum sollte es dann notwendig gewesen sein, das Wahlergebnis zu fälschen? Es
macht relativ wenig Sinn, ein Wahlergebnis zu fälschen,
wenn man weiß, dass man ohnehin eine große Mehrheit
erzielt.
Das zweite Argument ist für mich noch viel wichtiger.
Wenn es um die Frage geht, ob Herr Ahmadinedschad
oder Herr Mussawi die Wahl gewinnen soll, habe auch
ich eine Präferenz. Vielleicht gilt das auch für viele
Menschen im Iran. Es kommt aber auf eines an: Unabhängig davon, wie groß der Vorsprung eines Kandidaten
in einer Umfrage ist, darf dies niemals der Grund sein,
einen Wahlgang zu manipulieren nach dem Motto: Die
Wahl hätte ohnehin dieses Ergebnis gehabt.
Ich erlebe immer wieder, dass dieses Argument vorgetragen wird. Ich finde es fatal, dass wir uns daran gewöhnt haben, zu sagen: Es mag sein, dass die Wahl manipuliert worden ist. Am Ergebnis ändert das aber nichts.
Diese Einstellung dürfen wir uns nicht zu eigen machen.
Kollege Hoyer hat völlig recht: Manchmal schätzen wir
den Wert der einzelnen Stimme in der Demokratie zu
wenig.
({0})
Es ist bemerkenswert, dass die Demonstrationen, die
gegenwärtig stattfinden, eine lange Geschichte haben;
darauf hat der Kollege Paech zu Recht hingewiesen. Vor
ziemlich genau zehn Jahren fanden schon einmal große
Demonstrationen im Iran statt. Damals wie heute nahmen daran sehr viele junge Leute teil, insbesondere Studenten. Die Studenten gehören heute übrigens zu der Bevölkerungsgruppe, die am meisten unter der Situation zu
leiden hat. An den Universitäten sind sie großen Repressionen ausgesetzt, und sie müssen mehr als andere Verfolgung fürchten.
Die intellektuelle Elite des Landes war damals und ist
heute die treibende Kraft bei der Auseinandersetzung
mit den unter dem iranischen Regime herrschenden Verhältnissen. Führt man sich die demografische Situation
im Iran vor Augen, stellt man fest: Das ist nicht verwunderlich. Der Iran ist ein extrem „junges“ Land. 70 Prozent der Iraner sind jünger als 30 Jahre. Diese Iraner
haben keine direkten Erfahrungen aus den Jahren der
Revolution und keine direkten Erfahrungen mit den Auswirkungen des Schah-Regimes gemacht. Sie kennen nur
die Realität des iranischen Gottesstaates. Diese Realität
ist für die jungen Menschen, die über den Tellerrand
schauen und die wollen, dass ihre Stimme gehört wird,
nicht akzeptabel. Unsere Aufgabe ist es, diesen jungen
Menschen eine Stimme zu verleihen. Dazu kann auch
diese Aktuelle Stunde am heutigen Nachmittag einen
Beitrag leisten.
({1})
Ich habe gerade versucht, deutlich zu machen: Es geht
nicht nur um die Frage, wie die Präsidentschaftswahl im
Iran letztlich ausgeht - natürlich ist das wichtig; auch ich
habe, wie gesagt, eine Präferenz -, sondern es geht auch
und vor allem darum, dass sich herausstellt, dass diese
Wahl frei und fair durchgeführt und jede Stimme gezählt
wurde.
Auch wenn an der Haltung des amerikanischen Präsidenten Kritik geübt worden ist, muss ich sagen: Ich finde
sein Vorgehen klug. Er hat deutlich gemacht, dass sein
Angebot der ausgestreckten Hand unabhängig vom Wahlausgang gilt. Hätte der amerikanische Präsident dem Herausforderer Mussawi das Mäntelchen „Bevorzugter
Kandidat des Westens“ umgehängt, hätte dies Ahmadinedschad, dem Wächterrat und all denen, die auf Beibehaltung des Systems beharren, die Möglichkeit eröffnet, diesen Kampf auf einen Platz zu tragen, auf den er nicht
gehört. Dann hätten sie argumentieren können, dass der
Iran gegen den bösen Westen kämpft, anstatt eine Auseinandersetzung mit ihren Kritikern innerhalb des eigenen
Systems führen zu müssen.
Ich finde, das ist genau die richtige Haltung. Wir sollten - bei aller Klarheit, die wir im Hinblick auf diejenigen, die dort unter widrigen Umständen für Demokratie
und Menschenrechte eintreten, haben müssen - eine
kluge Haltung einnehmen. Ich halte diese Haltung für
klug.
Mir macht große Hoffnung, dass es den jungen Menschen offensichtlich gelungen ist, Medien zu finden, die
sich nicht staatlich kontrollieren lassen. Eine deutsche
Zeitung hat es sehr schön ausgedrückt mit: „Der Iran
twittert plötzlich Morgenluft.“ Hoffen wir und helfen wir
mit, dass möglichst oft und möglichst viel Morgenluft
weht!
Danke sehr.
({2})
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
ihrem Stimmzettel wollten Millionen von Iranerinnen
und Iranern das politische Leben in ihrem Lande verändern; das war ihr Ziel. Deswegen sage ich: Es darf kein
zynisches Verhältnis zum Wahlakt geben, und es darf
auch kein instrumentalisiertes Verhältnis zum Wahlakt
geben. Der Wahlakt ist originär und authentisch. Genau
das zeigt sich jetzt im Iran. Die Menschen - diejenigen,
die auf die Straße gehen - haben gewusst, geahnt, gefürchtet, dass Ahmadinedschad gewinnt. Aber sie wollen
damit ihren Willen, einen anderen Weg zu gehen, zum
Ausdruck bringen. Das ist, glaube ich, die Qualität
dessen, was wir jetzt auf den Straßen von Teheran, von
Isfahan und allen anderen großen Städten im Iran sehen.
Wie auch immer das Regime die Stimmen gewertet
hat - ob es sie tatsächlich gezählt hat oder ob es, was
wahrscheinlich ist, das Ergebnis gefälscht hat -, wie
auch immer sich das Regime mit Gewalt gegen diesen
friedlichen Aufstand wehrt: Der Wille, Veränderungen
herbeizuführen, ist nicht gebrochen, und er wird auch
nicht gebrochen werden.
Die Kinder der Revolution - darauf wurde eben zu
Recht hingewiesen - sind Nachfahren der Revolutionäre
von 1979. Sie lehnen sich auf gegen die Verachtung, die
ihnen von oben entgegenschlägt. Das ist das, was
Ahmadinedschad repräsentiert: Er verachtet die Menschen. Das ist genau der Grund, warum sie sich auflehnen. Was sich hier Bahn bricht, ist die Selbstachtung der
Menschen. Die Menschen wehren sich gegen diesen
Versuch, die Stimme des Einzelnen zu missachten.
Ich finde, was jetzt auf den Straßen in Iran geschieht,
hat eine große demokratische Qualität. Der große iranische Filmregisseur Mohsen Makhmalbaf hat das in der
Süddeutschen Zeitung von gestern so bewertet:
Die Menschen haben verstanden, dass sie mit einer
Stimme
- mit ihrer Stimme das Regime dazu zwingen können, zum Fälscher zu
werden.
Das ist jetzt offenbar geworden. Das ist ein Prozess, der
nicht mehr gestoppt werden kann, selbst wenn das mit
Gewalt versucht werden wird. Weil dieser Wahlakt bewusst vollzogen wurde, lassen sich die Menschen nicht
mehr einschüchtern.
Es gab einen Schlüsselpunkt in der Fernsehdebatte zwischen Ahmadinedschad und Mussawi. Ahmadinedschad
hat ein Foto von Mussawis Frau in die Kamera gehalten
und gesagt: Diese Frau hat Diplome gefälscht, hat ihre
Diplome nicht rechtmäßig an den Hochschulen erworben. Da ist dieser eher zurückhaltende Mussawi geradezu auseinandergebrochen. In einer gefühlsbetonten
Auflehnung hat er sich vor seine Frau gestellt und gesagt: „Ahmadinedschad, Sie sind ein Lügner!“ Das haben die Menschen beobachtet, und sie haben es aufgenommen. Genau an diesem Punkt ist deutlich geworden,
dass sich die Menschen im Iran von einem solchen Politiker, der jetzt wieder Präsident hat werden wollen, nicht
länger belügen lassen wollen. Diesen Lügen wird nicht
mehr geglaubt. Das wird in diesem Wahlakt und in der
Auflehnung gegenüber der Verachtung deutlich.
Ich finde, hier findet ein atemberaubender Prozess
statt. Deswegen sagen wir hier im Deutschen Bundestag:
Wir wollen, dass die Menschen nicht verachtet werden,
wenn sie ihre eigene Stimme abgeben wollen, um mit ihr
deutlich zu machen, dass der Iran und sie selber einen
anderen Weg gehen wollen als diese Gruppe von Menschen, die sie verachtet. Ich glaube, das ist die große
Qualität bei diesem Wahlakt.
({0})
Vielleicht darf ich das an diesem Punkt zum Schluss
auch noch sagen: „Persiankiwi“ - Sie haben ihn eben indirekt zitiert - ist jemand, der wahrscheinlich in Teheran
ist und die Menschen durch „Zwitschern“ - also mit diesem neuen, modernsten Medium - informiert. Durch
dieses „Zwitschern“ mithilfe des modernsten Mediums
werden die Menschen direkt miteinander verbunden.
Keine Staatsmacht kann sich mehr dagegen wehren. Das
geschieht jetzt im Iran.
Die Menschen im Iran haben jetzt einen ersten Schritt
bei dem Versuch unternommen, den Aufbau ihrer eigenen modernen Demokratie zu realisieren. Das ist auch
das, was wir uns wünschen. Dieser Versuch soll gelingen. Hoffnung soll die Chance im Iran werden. Es darf
nicht zu Verzweiflung, Angst und dem „Ende der Hoffnung“, wie Kornelius gestern in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat, kommen. Vielmehr ist das der Anfang eines neuen Prozesses, der zu einem anderen Iran
führen wird.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Ute Granold von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir führen heute die Aktuelle Stunde zur Situation des
Iran nach der Wahl durch. Ich bin dankbar dafür, weil
wir damit auch einmal in das andere Gesicht des Iran
schauen sollten.
Wie sieht die Situation der Menschen in diesem Land
aus, seit der Präsident an der Macht ist? Vor vier Jahren
kam er an die Macht, und bereits nach einem Jahr endete
die Kommunalwahl mit einem schlechten Ergebnis für
ihn. Das war ein Zeichen dafür, dass die Menschen mit
seiner Politik nicht zufrieden sind. Das hat sich jetzt fortgesetzt.
Es geht schon längst nicht mehr um das Ergebnis der
Wahl, sondern es geht darum, dass sich die Menschen
gegen die atomare Großmannssucht, gegen den Vernichtungskampf gegen Israel, gegen die Drohgebärden
gegenüber Washington und dagegen auflehnen, dass
Menschenrechte und Bürgerrechte mit Füßen getreten
werden.
Wenn man in die iranische Verfassung hineinschaut
- darin stehen Freiheitsrechte und Bürgerrechte -, dann
könnte man auf den ersten Blick meinen, dass dies ein
Staat ist, mit dem man durchaus in Kontakt bleiben und
leben kann. Alles steht aber unter dem Licht des Menschenrechtsverständnisses gemäß den islamischen Prinzipien.
Was heißt das? Alle Gesetze, auch die Verfassung,
müssen im Einklang mit diesen islamischen Prinzipien
stehen. Das heißt im Konkreten, dass nach iranischer
Rechtsauffassung die Verhängung und Vollstreckung
von Körperstrafen, das heißt Peitschenhieben und Amputationen, und die Todesstrafe, zum Beispiel durch
Steinigung - das wurde vorhin schon einmal angesprochen -, auch gegen zur Tatzeit Minderjährige, rechtmäßig ist und dass die unterschiedliche Behandlung von
Männern und Frauen im Prozess, im Familienrecht und
im Erbrecht nicht als ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz angesehen wird.
Wir als Menschenrechtspolitiker - es sind ja eine
Reihe von Kollegen heute hier; unser Ausschuss tagt gerade, aber es ist uns als Menschenrechtspolitiker wichtig,
hier zum Iran zu sprechen - thematisieren und kritisieren
die Situation im Iran seit vielen Jahren. Vor kurzem haben wir im Menschenrechtsausschuss eine Anhörung zur
Situation der Minderheiten im Iran durchgeführt. Das,
was wir gehört haben, war erschreckend. Die Bahai wurden angesprochen. 300 000 Menschen im Iran leben als
nicht anerkannte Religionsgruppe. Sie werden verfolgt.
Es finden Übergriffe auf Kinder und Jugendliche in den
Schulen statt; sie erhalten keinen Zugang zu den Universitäten. Es gibt jetzt einen Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch, in dem der Abfall vom Islam unter Todesstrafe
gestellt wird. Es gibt Verhaftungen. Eine ganze Reihe
von Repräsentanten der Bahai sitzt in iranischen Gefängnissen.
Der Bericht von Amnesty International für das Jahr
2008 wurde angesprochen. In 2009 setzt sich das nahtlos
fort. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit, all das ist stark eingeschränkt. Die
staatlichen Organe des Iran organisieren gezielt die Verfolgung von Aktivisten, Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsverteidigern und setzen die Schikanen auch
gegenüber allen Oppositionellen ein, die sich in der Zivilgesellschaft gegen die Regierung auflehnen. Selbst
die Friedensnobelpreisträgerin Ebadi wurde festgenommen. Andere wurden - viele sogar ohne Haftbefehl festgenommen und ohne Verfahren jahrelang inhaftiert.
Es wurden unfaire Gerichtsverfahren durchgeführt, Reiseverbote verhängt und Folter und andere Misshandlungen begangen. Todesstrafen waren an der Tagesordnung.
Ich habe das bereits angesprochen.
Im vergangenen Jahr sind 346 Menschen umgebracht
worden. Sie wurden zum Teil öffentlich hingerichtet.
Darunter waren auch Jugendliche. Zwei Männer starben
durch Steinigung. Die Lage der Menschenrechte im Iran
ist katastrophal. Das muss thematisiert werden. Deshalb
ist es wichtig, auch heute darüber zu sprechen. Es geht
nicht nur um die Wahl, sondern um die permanente Verletzung von Menschenrechten im Iran über viele Jahre
hinweg gegen alles, was sich gegen die Regierung auflehnt.
Zuletzt hat die Wahl Klarheit geschaffen, dass die
Menschen eine Veränderung wollen. Es wurde vielfach
angesprochen. Ich kann es nur bestätigen. Dieses diktatorische System kann von uns nicht weiter so hingenommen werden, wie es in der Vergangenheit zum Teil der
Fall war. Die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte und die Gewährung von Freiheit sind fundamentale Eckpfeiler einer zivilisierten Gesellschaft. Davon ist
der Iran weit entfernt.
Wir haben heute die Gedenkstunde zur Erinnerung an
den 17. Juni 1953 begangen. Auch damals haben die
Menschen für die Grundwerte gekämpft. Heute ist mit
Blick auf den Iran Solidarität gefragt. Wir müssen Solidarität zeigen und mit der iranischen Führung sprechen.
Das ist richtig. Aber wenn die iranische Führung Gespräche ablehnt und Veranstaltungen absagt, dann ist ein
Dialog schwierig.
Wir sind dankbar für die heutige Debatte und wünschen uns, dass wir selbstverständlich auch in Zukunft
unser Augenmerk auf die Wirtschaft und den Aufbau des
Landes richten. Wir müssen aber auch die Menschenrechte, Bürgerrechte und Freiheitsrechte als Fundament
immer im Blick behalten, thematisieren und, wenn nötig,
Kritik üben. Wir müssen zeigen, dass wir Wächter sind
und damit auch vom Ausland aus den Menschen Beistand leisten, die es zum Teil nicht aus eigener Kraft
können.
Vielen Dank.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz
von NATO-AWACS im Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan ({0}) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({1})
und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1833 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen
- Drucksache 16/13377 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot
Erler, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
NATO hat letzten Freitag beschlossen, zur Unterstützung
von ISAF ihr luftgestütztes Frühwarnsystem AWACS
über Afghanistan einzusetzen. Die Bundesregierung begrüßt, dass nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen angesichts des klaren Bedarfs an verbesserter
Luftraumüberwachung über Afghanistan ein Beschluss
gefasst werden konnte.
Die derzeit in Afghanistan praktizierte Luftraumüberwachung ist längst hinter dem ständig wachsenden zivilen wie militärischen Flugaufkommen zurückgeblieben.
Diese Entwicklung wird anhalten. Prognosen der NATO
sehen in naher Zukunft ein weiteres starkes Wachstum
um das Drei- bis Fünffache voraus.
Demgegenüber ist die afghanische Regierung auf absehbare Zeit nicht in der Lage, eine funktionsfähige
Flugsicherung aufzubauen. Die AWACS-Flugzeuge sind
das beste Mittel, um kurzfristig Abhilfe zu schaffen. Sie
werden im Rahmen von ISAF ausschließlich im afghanischen Luftraum eingesetzt. Sie sollen den gesamten
Luftverkehr über Afghanistan sicherer machen. Sie sollen auch die militärische Operationsführung von ISAF
unterstützen. Denn auch die Zahl der militärischen Flugbewegungen wird in den nächsten Monaten weiter anwachsen. Das ist angesichts des Aufwuchses von ISAFKräften im laufenden Jahr insbesondere infolge der Absicherung der Präsidentschaftswahlen sowie angesichts
zusätzlicher angekündigter US-Truppen absehbar.
Eine verbesserte Luftraumkoordinierung dient auch
dem Schutz deutscher Soldaten, sowohl der Piloten und
Besatzungen unserer Flugzeuge als auch der Soldaten
am Boden, die in Notsituationen auf Unterstützung aus
der Luft angewiesen sind.
Der AWACS-Einsatz kommt durch die Verbesserung
der Flugsicherheit aber auch dem Schutz der afghanischen Bevölkerung und der zivilen Helfer zugute.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit einige Punkte festhalten, die vielleicht helfen können, bestimmte Diskussionen zu vermeiden, die einer sachlichen Grundlage
entbehren. Zunächst werden NATO-AWACS allein im
Rahmen von ISAF eingesetzt. Sie haben ausdrücklich
nicht die Aufgabe, geplante OEF-Luftoperationen zu koordinieren oder zu führen. Natürlich erfassen sie in ihrer
Funktion als sogenannte fliegende Tower neben dem zivilen auch den gesamten militärischen Flugverkehr über
Afghanistan, also auch den der OEF. Dies geschieht allerdings mit dem Ziel der Entflechtung. Das macht auch
Sinn; denn alles andere würde dem Ziel einer verbesserten und sichereren Luftraumkoordinierung zuwiderlaufen. Wie bisher bleibt dabei die wechselseitige Nothilfe
zwischen Einheiten der beiden Operationen zulässig und
ist gerade im Ernstfall für den Schutz der eingesetzten
Soldaten unverzichtbar.
({0})
Ich möchte außerdem feststellen: NATO-AWACS haben weder eine Bodenaufklärungs- noch eine Feuerleitfunktion. Sie können lediglich navigatorische Unterstützung leisten. Die Entsendung der AWACS stellt im
Übrigen keine dauerhafte Lösung dar. Mittel- und langfristig gilt für die Luftraumüberwachung das Gleiche
wie für alle anderen Bereiche des Wiederaufbaus in
Afghanistan: Ziel des Engagements der internationalen
Gemeinschaft ist es, die afghanische Regierung in die
Lage zu versetzen, selbstständig und dauerhaft für Stabilität und Entwicklung im eigenen Land zu sorgen. Dieses Prinzip der Selbstverantwortung soll in Zukunft auch
für die Luftsicherheit gelten. Dafür braucht Afghanistan
vorläufig aber noch Hilfe von außen. Deshalb engagiert
sich die Bundesregierung beim Aufbau der notwendigen
Strukturen.
Vor einigen Wochen wurde mit dem Neubau des
Flughafens von Masar-i-Scharif begonnen, den wir zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten
durchführen. Gemeinsam mit den Niederlanden wird
sich Deutschland außerdem am Ausbau des zivilen Teils
des Flugfelds in Tarin Kowt in der Provinz Uruzgan beteiligen. Neben diesen Infrastrukturmaßnahmen investieren wir auch in die Aus- und Weiterbildung von
Sicherheitspersonal, Fluglotsen, Technikern und Managementpersonal. Erst vor wenigen Tagen konnten wir
hierfür Singapur als Kooperationspartner gewinnen.
Auch die US-Regierung plant, ihre Unterstützung für
den Aufbau einer zivilen Flugsicherung auszubauen.
Unsere gemeinsamen Anstrengungen werden dazu
führen, dass wir die Verantwortung auch im Luftsicherungsbereich schrittweise an die Afghanen übertragen
können. Bis dahin werden die AWACS jedoch dringend
benötigt. Deswegen bittet die Bundesregierung Sie herzlich um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Stinner von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Deutsche Bundestag schickt seit einigen Jahren deutsche
Soldaten nach Afghanistan. Diese Soldaten sind täglich
in Kämpfe verwickelt, diese Soldaten werden verwundet, und einige dieser Soldaten lassen ihr Leben in
Afghanistan. Das ist die Realität im Juni 2009. Angesichts dieser Realität haben wir alle meines Erachtens
eine große Verantwortung. Wir müssen alles, aber auch
alles dafür tun und alle Mittel dafür einsetzen, um unsere
Soldaten bei dieser Aufgabe zu unterstützen und sie zu
schützen. Wenn AWACS dazu einen Beitrag leisten
kann, dann ist das ein sinnvoller Einsatz dieses Systems.
({0})
So weit, so gut, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nun
reden wir aber schon ein bisschen länger über diesen
AWACS-Einsatz, genauer gesagt seit über einem Jahr.
Schon vor über einem Jahr hat die Bundesregierung uns
in sehr plastischen und drastischen Farben geschildert,
wie wichtig, dringend und notwendig es ist, in diesem
Land unmittelbar AWACS zur Luftraumkontrolle und
Luftraumsteuerung einzusetzen. Das mag ja alles richtig
sein. Aber, liebe Damen und Herren von der Bundesregierung: Wenn das vor einem Jahr so dringend und wichtig war und der Luftverkehr sogar zusammenzubrechen
drohte, dann ist nicht zu verstehen, dass zwölf Monate
ins Land gehen mussten. Begründet wurde das damit,
dass die Franzosen angeblich nicht bereit waren, einen
Beitrag von 2 oder 3 Euro zu leisten. Wenn es so dringend und wichtig gewesen wäre, hätte man auch dann etwas tun müssen; denn niemand hätte verantworten können, dass ein Flieger vom Himmel fällt, nur weil sich die
Franzosen nicht an der Finanzierung beteiligen. Hier
gibt es noch immer eine Grauzone in der Argumentation,
die es auszuräumen gilt.
({1})
Durch den Text des Mandates sind wir nun klüger.
Aus dem Mandat geht eindeutig hervor, dass der Einsatz
von AWACS unsere Fähigkeiten, die ISAF-Operation zu
führen, verbessert. Das heißt, es handelt sich um einen
operativen Einsatz im Rahmen des ISAF-Mandates. Ich
persönlich finde das gut. Die Bundesregierung hat aber
in den vergangenen Monaten den Eindruck erweckt, als
ginge es hierbei primär und fast ausschließlich darum,
den zivilen Luftverkehr besser zu steuern und zu kontrollieren, das heißt, eine Airsupport-Controlling-Funktion auszuüben. Im Mittelpunkt stand jedoch bisher
nicht, dass tatsächlich wertvolle Unterstützung im Rahmen der ISAF-Operation geleistet werden soll. Das ist
nun in dem Mandat so beschrieben. Das ist richtig, und
das ist gut so. Das unterstützen wir. Daran gibt es keine
Kritik. Nachdem wir aber, meine sehr verehrten Damen
und Herren von der Regierung, in den letzten Monaten
schlechte Erfahrungen mit der Interpretation und Auslegung der „Atalanta“-Mandate gemacht haben, möchte
ich Sie deutlich fragen: In dem Mandat ist der Auftrag
eindeutig beschrieben, aber mit mehreren Spiegelstrichen; es gibt fünf oder sechs. Bei „Atalanta“ nutzen
Sie die Reihenfolge der Aufgabenbeschreibung, um Prioritäten zu setzen. Wenn wir Ihrem Antrag zustimmen
sollen, müssen Sie uns folgende Frage beantworten: Gibt
es bei den Aufgaben eine Reihenfolge bzw. Prioritäten,
oder sind Sie bereit, willens und fähig, alle Aufgaben
gleichrangig wahrzunehmen? Das wäre eine wichtige
Auskunft für uns. Nicht, dass wir eines Tages wieder erfahren, Sie konzentrierten sich nur auf die ersten beiden
Aufgaben, wie Sie es bei „Atalanta“ tun. Wir erwarten,
dass Sie das Mandat vollumfänglich ausüben.
({2})
Wir hören - der Herr Staatsminister hat das eben kurz
angedeutet -, dass es offensichtlich in der Koalition nach
wie vor eine Diskussion darüber gibt, ob eventuell Informationen von AWACS an das „böse“ OEF-Mandat weitergegeben werden können. - Ich weiß, dass Sie, Herr
Staatsminister, das nicht gesagt haben. Aber offensichtlich gibt es Diskussions- und Klärungsbedarf. Sonst hätten Sie das nicht angedeutet. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Im Juni 2009 ist diese Diskussion nur noch
lächerlich. Selbst der UNO-Sicherheitsrat fordert eine
enge Kooperation beider Einsätze. Für OEF und ISAF
gelten die gleichen Rules of Engagement, also dieselben
Einsatzregeln. Ich erwarte, dass alle Informationen, die
das AWACS-System liefern kann, zum Schutz aller Partner und Soldaten in Afghanistan eingesetzt werden können.
({3})
Wir alle wissen: AWACS kann sehr weit blicken,
auch über das Land Afghanistan hinaus, zum Beispiel in
den Iran und nach Pakistan. Da wir auf beide Länder
dringend angewiesen sind, wenn es darum geht, die Stabilisierung der Region voranzutreiben, schlage ich der
Bundesregierung vor - vielleicht hat sie es schon gemacht -, im Vorhinein diese beiden Länder über den
Sinn und den Umfang der AWACS-Mission offensiv zu
informieren, um sie einzubinden, sie an Bord zu halten
und deutlich zu machen, dass wir nichts tun, was eventuell ihren Interessen zuwiderläuft.
Die Regierung hat bisher die Luftkontrollfunktion in
den Vordergrund ihrer Argumentation gestellt. Das Mandat klärt hier auf; das begrüße ich. Der Herr Staatsminister hat über Bemühungen gesprochen, zivile Kontrollfunktionen in Afghanistan aufzubauen. Das reicht uns
aber nicht aus. Denn natürlich wollen wir auch gerne
wissen: Wie lange müssen wir mit unseren Kapazitäten
die Luftkontrollfunktion in Afghanistan aufrechterhalten? Das heißt, ich hätte von der Bundesregierung gerne
etwas konkreter gewusst, in welchem Zeitraum wir die
dringend notwendige Luftkontrollfunktion in Afghanis25006
tan aufgebaut haben werden. Hierzu erwarten wir noch
mehr Informationen von der Bundesregierung.
Wir, die FDP-Fraktion, erkennen die Sinnhaftigkeit
dieses AWACS-Einsatzes. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie dieses Mandat offensiv und ehrlich vertritt und ausübt. Wir erwarten zudem die Beantwortung unserer offenen Fragen. Dann können Sie mit
unserer Zustimmung in der nächsten Woche rechnen.
Vielen Dank.
({4})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am
Freitag im NATO-Rat die Entscheidung getroffen, dass
wir uns mit NATO-AWACS-Maschinen in Afghanistan
engagieren. Lieber Kollege Stinner, ich will Ihnen gleich
eine Antwort auf Ihre Frage geben. Im NATO-Rat gilt
das Konsensprinzip. Sie wissen, dass dieser Konsens
über eine längere Zeit leider nicht hergestellt werden
konnte. Ich bin dankbar dafür, dass die Vorbehalte
Frankreichs hinsichtlich der Finanzierung jetzt ausgeräumt werden konnten. Daran hat dankenswerterweise
auch unsere Bundeskanzlerin mitgewirkt. Ich will Ihnen
klar und deutlich sagen, dass wir uns darauf verständigt
haben, die Zusatzausgaben für den Einsatz in Afghanistan innerhalb der Gemeinschaft aufzuteilen. Wir teilen
den Betrag nach dem Schlüssel auf, der für unsere Beitragszahlungen für die NATO gilt. So zahlen wir beispielsweise rund 16 Prozent und die Franzosen rund
11 Prozent. Das ist die Grundlage. Deshalb haben wir
die Möglichkeit gehabt, diese Entscheidung am Freitag
zu treffen.
Ich halte es für richtig und gut, dass wir diese Entscheidung jetzt endlich getroffen haben, weil der Luftverkehr in Afghanistan tagtäglich zunimmt. Sie konnten
heute in der Zeitung lesen, dass im Rahmen des zivilen
Luftverkehrs eine direkte Flugverbindung von Kabul
nach Frankfurt eingerichtet worden ist. Wir haben aber
ein unmittelbares Interesse an dem Einsatz auch im Hinblick auf unsere Soldatinnen und Soldaten; denn
51 Prozent der Flüge für den Transport von Material und
Personal in Afghanistan, und zwar in Gesamt-Afghanistan, führen wir durch. Die Luftaufklärung für GesamtAfghanistan wird durch unsere Tornados geleistet. Sie
wissen, dass unsere amerikanischen Freunde sehr deutlich signalisiert haben, sich weiter zu engagieren, was
weitere Lufttransporte nach sich zieht, sodass wir ein
eminentes Interesse daran haben, wegen der noch nicht
vorhandenen Sicherheitsstrukturen in Afghanistan die
Flugsicherung durch NATO-AWACS-Maschinen zu gewährleisten. Eine Flugsicherung ist auch im Interesse
unserer Soldatinnen und Soldaten und dient ihrem
Schutz. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem
Mandat.
Ich möchte einen zweiten Aspekt vortragen. Die vier
AWACS-Maschinen sollen zunächst - auch das gehört
zum Mandat - in Konya in der Türkei stationiert werden.
Wir haben aber das Ziel, sie näher an Afghanistan heranzubringen. Das heißt, es finden Verhandlungen mit Staaten der Golfregion statt, um die Flugzeuge in Zukunft
dort stationieren zu können. Im Übrigen, Herr Kollege
Stinner, werden selbstverständlich die Aufgaben wahrgenommen, die im Mandat beschrieben worden sind. Ich
will nicht ablenken, aber das hat mit der Operation „Atalanta“ nichts zu tun; denn das ist ein europäischer Auftrag. Die Verantwortlichkeiten werden klar und deutlich,
wie beschrieben, im Rahmen der NATO wahrgenommen.
Dritter Punkt: Es wird ein Luftlagebild erstellt, die
Luftverkehrsbewegungen werden entflochten, und der
zivile und der militärische Flugverkehr werden koordiniert. Weiterhin wichtig sind die Koordination der Luftbetankung, die Relaisfunktion im Kommunikations- und
Datenaustausch für alle militärischen Luftraumnutzer
und die Unterstützung von Luftoperationen der ISAF. Es
ist richtig, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
diesen Beschluss im Hinblick auf die Kooperation von
ISAF und OEF gefasst hat. Das ergibt sich gerade aus
dem gesamten Luftverkehr und der entsprechenden
Flugsicherung. Ich möchte aber hervorheben, dass
AWACS-Flugzeuge nicht die Funktion und auch nicht
die Fähigkeit zur Bodenaufklärung haben. Sie haben
auch keine Feuerleitfähigkeit für Luft-Boden-Einsätze.
Daher gibt es schon eine Unterscheidung. Das ist auch
richtig so, wenn der entsprechende Auftrag erfüllt werden soll.
Die Heimatbasis für AWACS-Flugzeuge ist, wie Sie
wissen, Geilenkirchen. Der Anteil deutscher Soldaten im
Verband beträgt 40 Prozent.
Das Mandat sieht bis zu 300 Soldaten für diesen Auftrag vor. Warum? Etwa 100 Kräfte werden im unmittelbaren Einsatz sein. Wir werden auch für Kontingentwechsel usw. Vorsorge treffen müssen. Außerdem
brauchen wir in den Regionen - ich habe gerade davon
gesprochen, dass wir eine Verlegung in die Golfregion
beabsichtigen - entsprechende Absicherungen. Notwendig sind dort eine ausreichende Logistik und Unterstützung im Bereich der Sanität. Das Mandat ermöglicht einen Einsatz von bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten.
Das schafft Flexibilität und gewährleistet die Erfüllung
unseres Auftrages.
Ich will hier einen weiteren Aspekt vortragen: Wenn
Sie diesem Mandat zustimmen, gilt es bis Dezember 2009 und damit bis zum Ablauf des Afghanistan-Mandats. Dann können wir über das AfghanistanMandat grundsätzlich neu entscheiden. Auf uns kommen
bis Dezember dieses Jahres einsatzbedingte Zusatzausgaben von ungefähr 4,2 Millionen Euro zu.
Ich möchte hervorheben: Mit diesen AWACS-Maschinen können wir einen wesentlichen Beitrag zur Gewährleistung von Flugsicherheit - sie ist in Afghanistan
noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden - und damit zur Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten leisten. Richtig ist allerdings: Dort müssen die entsprechenden Strukturen aufgebaut werden. Ich selbst habe den
Spatenstich zum Bau der Landebahn in Masar-i-Scharif
durchgeführt. Ich verweise auch auf die Entwicklung in
Uruzgan. Auch wenn ich Ihnen keinen definitiven Zeitpunkt nennen kann, bis wann diese Strukturen aufgebaut
sind, denke ich, dass wir auch auf diesem Gebiet vorankommen.
Eines ist allerdings klar: Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hier einen wichtigen Beitrag zu unserer
Sicherheit. Sie gewährleisten damit Stabilisierung durch
den Einsatz von Leib und Leben. Gerade im Hinblick
auf die Sicherheit unserer Bevölkerung ist das von entscheidender Bedeutung. Ich plädiere dafür, unseren Soldatinnen und Soldaten angesichts ihres schwierigen Einsatzes in Afghanistan dadurch zusätzlichen Schutz zu
gewährleisten, dass wir die Flugsicherheit durch die
NATO-AWACS-Maschinen verbessern. Das ist ein
wichtiger Beitrag, und deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Mandat.
Besten Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten schon sehr genau
besprechen, worüber wir entscheiden. Ich glaube, das
Mandat lässt keinen Zweifel daran: Bei der Entsendung
von AWACS geht es am allerwenigsten um die zivile
Flugsicherung. Zivile Flugsicherung erfolgt gemeinhin
durch Radarsysteme am Boden. Das gilt im Übrigen
auch für gebirgige Länder wie die Schweiz und Österreich. Wenn man schon so lange in Afghanistan ist, hätte
man dort auch mehr tun können. Die AWACS-Diskussion wird seit einem Jahr geführt. Man hätte die zivile
Luftraumüberwachung folglich schon früher auf den
Weg bringen können. Der Beweis ist noch nicht erbracht, dass ausgerechnet die AWACS - und nur sie für diese Flugsicherung notwendig sind.
Es gibt natürlich einen Zusammenhang: Eine starke
Zunahme militärischer Luftoperationen bedeutet ein höheres Risiko für die zivile Luftfahrt. Das negiere ich
überhaupt nicht. Aber mir scheint, das ist genau des
Pudels Kern. Die jetzige Entscheidung der NATO,
AWACS zu entsenden, ist in erster Linie ein Resultat des
in den letzten drei Jahren intensivierten Krieges, dessen
Ende noch lange nicht absehbar ist. Im Gegenteil: Wir
erleben eine weitere Verschärfung.
Der Herr Minister hat gesagt: Die AWACS erstellen
ein Luftlagebild; sie können als Relaisstationen gewisse
Koordinierungen übernehmen. Die besondere Qualität
besteht aber darin, dass sie Kampfflugzeuge in ihre Einsatzgebiete einweisen und Störenfriede abweisen bzw.
des Platzes verweisen können. Dabei spielt es gar keine
Rolle, ob die AWACS unmittelbar Feuerleitzentralen
sind. Ich finde, die Diskussion darüber ist ein Ablenkungsmanöver, auch wenn sie diese Aufgabe durchaus
übernehmen könnten. Aber darüber brauchen wir jetzt
gar nicht zu streiten.
Der Einsatz der AWACS dient, was ihre besondere
Rolle bei den ISAF-Luftoperationen angeht, der Optimierung dieser Einsätze. Diese Optimierungsnotwendigkeit ist der Intensivierung des Krieges am Boden geschuldet. Das ist der Zusammenhang.
({0})
Natürlich hat es auch mit der Aufstockung der NATOTruppen zu tun. Vor allem die US-amerikanischen Truppen nehmen zu. Darunter sind auch mehr Kampfverbände als bisher. Es läuft darauf hinaus, dass demnächst
über 100 000 auswärtige Soldaten in diesem Land sind.
Mit anderen Worten: Man stellt sich auf eine verschärfte
Aufstandsbekämpfung mit militärischen Mitteln ein. Die
deutsche QRF ist ja seit Monaten quasi im Dauereinsatz.
Gleichzeitig ist dann aber die Bilanz dieser militärischen Eskalation zu prüfen. Im ersten Quartal dieses
Jahres hatten wir eine Verdoppelung der Gewaltakte gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Auch von der
UNO werden zwei Drittel des Landes als nicht mehr sicher bezeichnet.
In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder Luftangriffe mit einer erheblichen Zahl ziviler Opfer - jüngstes Beispiel: die Bombardierung von Balabuluk Anfang
Mai 2009, bei der möglicherweise über hundert Zivilisten zu Tode gekommen sind -, obwohl Präzisionswaffen
eingesetzt werden. Es wird ja nicht unterschiedslos bombardiert. Allerdings kann man auch mit Präzisionswaffen
solche Folgen herbeiführen. Mit dem Einsatz von
AWACS soll dieser Luftkrieg optimiert werden. Wir
wiederholen an dieser Stelle: Ein Mehr an Falschem
kann nicht zu Gutem führen.
({1})
Diese Grundsatzauseinandersetzung müssen wir an
dieser Stelle führen. Es geht nicht darum, ob diese Systeme Feuerleitfunktionen haben und ob sie dieses oder
jenes können. Die Unterscheidung zwischen aktiver und
passiver Unterstützung des Luftkriegs finde ich sehr subtil. So etwas lesen wir dann in den Vorlagen der Bundesregierung. Dort heißt es auch, OEF sei von Katar
unmittelbar gesteuert, während ISAF nur über die Operationszentrale in Katar koordiniert werde.
Das alles sind doch nur Vernebelungsversuche. Es
geht darum, dass die Lufteinsätze von OEF und ISAF
sich heute wechselseitig ergänzen. Die Realität am Boden sieht auch so aus. Dort gibt es nun einmal eine enge
Verzahnung.
Man kann auch argumentieren, dass es militärisch widersinnig wäre, AWACS nicht für beide Missionen zu
nutzen. Wenn man das tut, muss man natürlich auch wissen, wie es um die völkerrechtlichen Grundlagen von
Paul Schäfer ({2})
OEF bestellt ist. Herr Kollege Stinner hat diese Debatte
als lachhaft bezeichnet. Das finden wir überhaupt nicht.
Dieses Thema steht nach wie vor im Raum, weil OEF
nicht UNO-mandatiert ist.
Außerdem muss man sich die Frage stellen, inwieweit
man bei diesem Prozedere möglicherweise in einem bestimmten Maße Kontrolle aus der Hand gibt. Diesen Fall
hatten wir beim Einsatz von US-Spezialkräften im Einsatzgebiet der Bundeswehr. Dann ist man froh, wenn
man hinterher informiert wird.
Lassen Sie mich als letzten Punkt noch die Frage der
Ausdehnung der Kampfzone nach Pakistan ansprechen.
Richtig ist, dass das Mandat das Einsatzgebiet Afghanistan festschreibt. Zur Koordinierung der militärischen
Luftbewegungen gehören aber ohne Zweifel auch die
Drohnen. Sie stellen in meinen Augen sogar ein besonders kritisches Element dar. Wird denn die NATO mit
AWACS nicht assistieren, wenn Drohnen von afghanischem Boden woandershin geschickt werden? Diese
Frage muss die Bundesregierung sehr verbindlich und
ganz präzise klären.
Das ist für uns wichtig, weil es in diesem Zusammenhang um die Grundfrage geht, ob man eine Exit-Strategie versucht - also einen Ausweg, der natürlich eine
politische Verhandlungslösung einschließen muss - oder
sich einfach weiter in dieses Kriegsgeschehen verstricken will, und zwar mit unabsehbaren Folgen. Das ist
die Frage, die hier bei der AWACS-Entscheidung ansteht.
Danke.
({3})
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
der Entsendung der AWACS-Aufklärungsflugzeuge geht
es um zwei Schlüsselfragen. Erstens: Sind sie notwendig
und dringlich für die Flugsicherheit in Afghanistan insgesamt? Zweitens - diese Frage hat Kollege Paul
Schäfer auch angesprochen -: Sind sie insgesamt ein
Beitrag zu mehr Sicherheit oder insgesamt ein Beitrag
zur Konflikteskalation?
Kollege Schäfer hat dazu aufgerufen, genau hinzusehen. Hinterher hat er diesen Anspruch allerdings nicht
mehr eingelöst, sondern nur noch auf die eine Seite geschaut. Ich versuche jetzt, tatsächlich genau hinzusehen.
Der Auftrag ist schon genannt worden. Daher komme
ich direkt zum Bedarf. Wir wissen, dass es in Afghanistan keine landesweite Luftraumüberwachung gibt, sondern nur Bodenstationen in Kabul, Kandahar und Helmand sowie ein wenig im Osten. Die Station in Kabul
hat auch nur eine begrenzte Reichweite. Die Überwachung geht bis zu den Bergen, also maximal 20 bis
30 Kilometer. Danach kommt der Radarschatten; danach
ist Schluss. Zurzeit sind allerdings auch schon einige
amerikanische AWACS-Flugzeuge im Einsatz, die aber
nur begrenzte Tageszeiten abdecken.
Das Flugaufkommen ist in allen Bereichen stark gestiegen. Meines Wissens finden zurzeit täglich bis zu
70 Luft-Boden-Einsätze der alliierten Streitkräfte, einschließlich Show of Force, statt. Die genaue Zahl der
UNAMA- und ISAF-Flüge sowie der sonstigen Flüge
liegt mir nicht vor; aber ich wette, dass ihre Zahl deutlich darüber liegt. Man muss sich nur anschauen, wie
hoch das Flugaufkommen am Flughafen von Kabul ständig ist. Zurzeit fliegen 15 zivile Fluggesellschaften insgesamt 62 Flugplätze und Flugpisten in Afghanistan an.
Einige von uns wissen, wie diese Pisten aussehen. Die
Landwege sind inzwischen sehr gefährlich, sodass viele,
die für verschiedene Hilfsorganisationen der UN tätig
sind, nur mit dem Flugzeug die Möglichkeit haben,
schnell ihr Ziel zu erreichen. Die angekündigte zivile
und militärische Verstärkung der Vereinigten Staaten
wird das Flugaufkommen noch um einiges erhöhen.
Dazu zwei Impressionen: Als wir in der letzten Woche mit einigen Kollegen in Afghanistan waren, startete
oder landete in Kabul alle paar Minuten ein Flugzeug.
Die Flugzeuge, die wir gesehen haben, schienen überwiegend zivil genutzt zu werden.
Die andere Impression: Überflug über den Hindukusch. Ich hatte die Gelegenheit, im Cockpit zu sitzen.
Wolken kamen auf. Die Piloten können nur nach Sichtflugregeln agieren. Also mussten alle vier im Cockpit an
den Fenstern schauen, ob irgendwo eine Maschine ankommt.
Ich fasse zusammen: Gerade im Winter, Frühling,
Herbst ist die Flugmöglichkeit enorm eingeschränkt,
weil man sich an die Regeln für Sichtflug halten muss.
Manche Orte werden dann tagelang nicht erreicht. Zum
anderen hat es inzwischen etliche Beinaheunfälle gegeben. Da kann ich nur sagen: Bisher hat man viel Glück
gehabt. So viel zur Bedarfslage.
Ich komme nun zu den problematischen Fragen. In
Afghanistan besteht der gefährliche Unsinn mehrerer nebeneinander agierender Militäroperationen. Das hat immer wieder zu Friktionen geführt. Kai Eide hat noch vor
kurzem gerade den Bodeneinsatz im Rahmen der Operation Enduring Freedom so scharf wie nie zuvor kritisiert.
Es stellt sich die Frage, wie man im Hinblick auf die
anderen Operationen mit den Erkenntnissen von AWACS
umgeht. Beim Luftlagebild macht es nur Sinn - das ist
völlig klar -, alles, was sich im Luftraum bewegt, zu erfassen und die Informationen weiterzugeben.
Zur Frage der Führungsfähigkeit haben Sie, Herr
Staatsminister, eben schon etwas gesagt: Die Frage der
Führungsfähigkeit sollte sich nur auf die ISAF-Flugzeuge beziehen. Da stellt sich die Frage, warum nicht
auch die Zivilen einbezogen werden sollten, die auch
wichtige Aufgaben erfüllen. Handelt es um eine Interpretation der Bundesregierung, wenn man hier Enduring
Freedom außen vor lässt? Geht es bei der Frage der Führungsfähigkeit wirklich nur um das ISAF-Mandat, nicht
um Enduring Freedom? Bei der ISAF wird das teilweise
anders gesehen.
Auf die Möglichkeit, einen Beitrag zu den LuftBoden-Einsätzen zu leisten, ist inhaltlich eingegangen
worden. Eigentlich sind die technischen Möglichkeiten
dazu nicht vorhanden.
Paul Schäfer hat die Frage der Zuweisung von Einsatzräumen angesprochen. Es ist unbestreitbar, dass eine
solche Zuweisung notwendig ist. Hier stellt sich die allgemeinere Frage: Ist der Einsatz von AWACS ein Beitrag zur Eskalation der Kämpfe in der Luft und am Boden? Hier darf man nicht außer acht lassen, was sich auf
amerikanischer Seite tut: Die Amerikaner - das ist richtig - verstärken ihre militärischen und zivilen Kräfte;
aber - das stimmt mich hoffnungsvoll - es hat einen inhaltlichen Wandel der Strategie gegeben, so wie er hier
im Parlament öfter eingefordert wurde: Man nimmt nicht
mehr die Bekämpfung des Gegners in den Fokus, sondern den Schutz der Bevölkerung.
({0})
General Petraeus sagt jetzt eindeutig: Der Schutz der Bevölkerung ist das A und O, der Dreh- und Angelpunkt;
wenn wir ihn nicht in den Mittelpunkt stellen, können
wir alles andere vergessen.
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass
die Frage der Zivilopfer in der Führung auf amerikanischer Seite nun viel kritischer gesehen wird. Es wird viel
massiver etwas dagegen getan, dass es Zivilopfer gibt.
Das wird nicht mehr nur als eine Frage der Einsatzregeln, sondern als Frage der Strategie betrachtet. Das
stellt eine erhebliche Veränderung dar.
Den letzten Punkt haben Sie schon angesprochen
- die Bundesregierung muss sich hier noch einbringen -:
die verschiedenen Maßnahmen im Zusammenhang mit
Masar und Uruzgan.
Insgesamt ist eine Perspektive dafür notwendig, wann
realistisch und mit Ehrgeiz auch eine zivile Flugsicherung aufgebaut werden kann; denn es wäre unsinnig, einen teuren AWACS-Einsatz als Dauerlösung zu installieren.
({1})
Das wollen auch Sie sicherlich nicht. Insofern muss
Klarheit her.
Ich danke schön.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Afghanistan eine NATO-Mission. Ich
bin froh, dass diese jetzt auch erkennbar zusammenwächst. Kollege Nachtwei hat es angesprochen. Die Verstärkung der Amerikaner im Süden ist nicht nur eine
zahlenmäßige Veränderung, sondern es soll auch qualitativ anders werden. Der deutsche Ansatz im Norden wird
inzwischen von den NATO-Partnern für richtig gehalten
und übernommen. Auch im Norden gehen wir mittlerweile mit ausgebildeten Kräften der afghanischen Nationalarmee dorthin, wo Taliban sind. Ich hoffe, dass wir so
Konvergenz der Strategie der NATO in Afghanistan erreichen.
Wenn es eine NATO-Mission ist, dann muss dieser
Mission das zur Verfügung stehen, was die NATO hat.
Die NATO hat ein gemeinsames Aufklärungs- und Führungsmittel für Luftverkehr, für Luftoperationen, und
das sind die AWACS-Maschinen, die in Geilenkirchen
bei Aachen in Deutschland stationiert sind. Wenn diese
für eine NATO-Operation notwendig sind, ist es absolut
richtig, dass wir dieses NATO-Mittel der NATO auch zur
Verfügung stellen.
Im Übrigen wird eine Koordination des Luftverkehrs
auch bisher schon vorgenommen, aber nicht durch die
NATO, sondern, Kollege Schäfer, durch OEF in Katar.
Wenn wir die NATO-Verantwortung in Afghanistan stärken wollen, ist es doch geradezu ein Vorteil, eine neue
Qualität, wenn die NATO selbst diese Aufgabe übernehmen kann, weil sie die technischen Mittel dafür hat. Das
heißt natürlich, dass auch Flugzeuge, die für OEF fliegen, auf dem Schirm der NATO-AWACS-Maschinen
sein werden, aber es geht nicht darum, ihnen Ziele zuzuweisen, sondern es geht darum, den Luftverkehr zu regeln. Es nützt nichts - ich glaube, jeder hat darauf hingewiesen -, immer wieder Andeutungen zu machen, dass
damit irgendwie ein Bodenkrieg verbunden sein könnte.
Wir sind nicht dagegen, dass Ziele am Boden aufgeklärt
werden, aber das machen zum Beispiel die Tornados, die
wir der NATO-Mission in Afghanistan zur Verfügung
gestellt haben. Die klären am Boden auf. Für die
Luftaufklärung sind die AWACS-Maschinen jetzt eine
zusätzliche technische Möglichkeit.
Die Notwendigkeit dazu ist dargelegt worden. Der
Luftverkehr in Afghanistan nimmt nicht ab, sondern zu.
Auch die angekündigte US-Verstärkung - dass über
10 000 zusätzliche Soldaten da sein werden, begrüßen
wir - wird zu mehr Flugbewegungen in Afghanistan führen. Es werden Flugplätze für zivile Nutzung ausgebaut.
Wir haben selbst beobachten können - Kollege
Nachtwei hat es beschrieben -: Der zivile Luftverkehr
nimmt zu. Das ist ein gutes Zeichen für Afghanistan.
Wenn man auf dem direkten Weg von Deutschland nach
Afghanistan fliegen kann, ist das doch eine ganz andere
Situation als in den letzten Jahren, als es fast nur militärische Möglichkeiten gab, Afghanistan zu erreichen. Das
geht inzwischen auch zivil. Das muss immer mehr werden. Das muss sicher sein. Für diese Sicherheit will und
soll ISAF sorgen.
Selbstverständlich muss das später zivil betrieben
werden. Das ist keine Dauerlösung; völlig klar. Aber solange die NATO Verantwortung in Afghanistan hat, ist
es nicht egal, wie das Problem gelöst ist. Man kann nicht
sagen: Wenn es nicht gelöst ist, ist es auch gut. - Wir
leisten einen Beitrag zur Sicherheit Afghanistans, auch
auf diesem Gebiet.
Stationiert wird das System zunächst in der Türkei, in
Konya, einem vorbereiteten Stützpunkt für die AWACSMaschinen. Es gibt übrigens vier solcher Stützpunkte
auf NATO-Gebiet. Die Türkei ist NATO-Gebiet. Wenn
ich die Unterlagen, die uns zugegangen sind, richtig verstanden habe, wird erwogen, zu einem späteren Zeitpunkt auf die arabische Halbinsel zu gehen, also näher
ans Einsatzgebiet heran. Es ist vernünftig, wenn man das
mit einem Partner in der Region koordinieren kann.
Ich möchte ausdrücklich das aufgreifen, was Kollege
Stinner in Bezug auf die Nachbarn Afghanistans gesagt
hat. Das Einsatzgebiet der AWACS-Maschinen geht natürlich über das Staatsgebiet Afghanistans hinaus. Darüber sollte man mit den Nachbarn Afghanistans reden,
damit keine Missverständnisse entstehen können. Die
gleiche Klarheit, die wir hier im Bundestag haben wollen und bekommen, müssen auch die Nachbarn des
ISAF-Stationierungslandes haben.
Was die Kosten angeht, so hat es ein Jahr gedauert,
sich mit Frankreich über dessen Beitrag zu diesem gemeinsamen NATO-Projekt zu einigen. Das ist ein bisschen enttäuschend. Die Ankündigung Frankreichs, in der
NATO wieder voll dabei sein zu wollen, ist ja von allen
Partnern, auch von uns, positiv aufgenommen worden.
Es kann aber nicht sein, dass Frankreich sein Dabeisein
gleich wieder zum Blockieren benutzt. Wer dabei sein
will, der soll sich auch konstruktiv verhalten. Bei dem
Beitrag, den Frankreich leisten sollte, ist es nicht um
große Summen gegangen, sondern eher um einen symbolischen Beitrag, den Frankreich leisten kann und nun
auch leistet. Die Verhandlungen der Bundesregierung
waren also erfolgreich.
Wir sind damit einverstanden, dass die Entsendung
von bis zu 300 zusätzlichen Soldaten für diesen Einsatz
im Rahmen von ISAF vom Bundestag beschlossen wird
und nicht noch einmal an der Obergrenze, die wir für die
bisherige ISAF-Mission, nämlich 4 500 Soldaten, beschlossen haben, geknabbert wird. Es handelt sich zwar
um einen weiten Rahmen, und wir hoffen, dass wir ihn
nicht ausschöpfen müssen, aber ein bisschen Luft im
Mandat ist sinnvoll. Dieser Spielraum sollte nicht durch
die Anrechnung des zusätzlichen Personals, das wir jetzt
für die AWACS-Mission benötigen, eingeengt werden,
zumal die Soldaten ja gar nicht in Afghanistan stationiert
werden.
Zu dem Argument, das man gelegentlich in der Öffentlichkeit hört, es komme immer noch ein Einsatz und
noch ein Einsatz hinzu, möchte ich sagen: Das mag,
wenn man die Berichterstattung in den Medien verfolgt,
manchmal so aussehen; aber das liegt daran, dass die
Einsätze, die abgeschlossen werden, niemanden mehr interessieren. Schauen wir uns einmal den Balkan an: In
Mazedonien sind wir längst nicht mehr. Das Mandat in
Bosnien-Herzegowina wird in ganz absehbarer Zeit ablaufen; da sind heute noch 130 deutsche Soldaten. Für
das Mandat im Kosovo hat der NATO-Rat jetzt einen
Plan zur Reduzierung beschlossen, der als Ziel den kompletten Abzug vorsieht. Das ist letztendlich immer das
Ziel solcher Einsätze. Wir haben einen langen Atem gebraucht, wir haben es aber durchgehalten, und jetzt sind
diese Länder in der Lage, ihre Sicherheit selbst zu organisieren. Das ist auch das Ziel des Einsatzes in Afghanistan.
Es findet keine Überdehnung der Möglichkeiten der
Bundeswehr statt. Heute sind gut 7 000 Soldaten in Auslandseinsätzen, zu Spitzenzeiten waren es 10 000. Die
Bundeswehr kann also durchaus das leisten, was wir
heute zusätzlich beschließen wollen.
Ich hoffe, dass wir in der nächsten Sitzungswoche
diese eigentlich überfällige Mission beschließen können.
Wir hätten das schon vor fast einem Jahr tun können. Es
lag nicht an uns, dass es nicht dazu gekommen ist. Es ist
aber eine weitere sinnvolle Hilfe für dieses gebeutelte
Land, für Afghanistan.
Vielen Dank.
({0})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund von
der CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten
Damen! Meine Herren! Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge zur Überwachung des Luftraums von Afghanistan
ist tatsächlich überfällig. Die NATO hat die Notwendigkeit schon seit langem gesehen. Strittig war bisher die
Finanzierung. Dafür wurde jetzt eine Lösung über die
Gemeinschaftsfinanzierung unter Beteiligung aller NATOStaaten gefunden. Infolgedessen hat der Nordatlantikrat
am 12. Juni die Entsendung von AWACS-Maschinen
nach Konya in der Türkei zum Einsatz über Afghanistan
beschlossen. Der Einsatz soll im Rahmen der ISAF-Mission erfolgen. Angestrebt wird eine spätere Verlegung
der Maschinen an einen Ort, der näher am Einsatzgebiet
liegt. Darüber verhandelt die NATO noch. Auch für den
Einsatz von Konya aus sind noch Überfluggenehmigungen auszuhandeln.
Für uns geht es heute darum, den Weg rechtlich frei
zu machen, damit die Einsätze baldmöglichst beginnen
können. Das Mandat ist zunächst bis zum 13. Dezember
befristet. Das hat den Vorteil, dass der dann neu gewählte Bundestag die Möglichkeit hat, über die Fortsetzung dieses Einsatzes im Zusammenhang mit der Fortsetzung des ISAF-Mandates zu entscheiden.
Es ist eine Tatsache - das wurde hier auch mehrfach
angesprochen -, dass die zivile wie auch die militärische
Luftraumüberwachung in Afghanistan bislang unzureichend ist. Es geht uns nicht nur um eine Überwachung
für militärische Zwecke, sondern wir setzen uns auch für
einen zügigen Auf- und Ausbau der zivilen Luftraumüberwachung ein. Das braucht aber Zeit und nicht unerhebliche Mittel. Außerdem verfügen AWACS-Flugzeuge
über Fähigkeiten, die stationäre Anlagen kaum zu bieten
vermögen. Aufgrund der Größe und der geografischen
Beschaffenheit des Landes können Anlagen am Boden
derzeit nämlich kaum eine ähnlich großräumige und
lückenlose Luftraumüberwachung gewährleisten, wie
sie von AWACS-Flugzeugen aus möglich ist.
Es ist selbstverständlich, dass dieser Einsatz auch eine
militärische Bedeutung hat; denn mit dem Anwachsen
der ISAF-Mission, dem Aufwuchs der in Afghanistan
stationierten Truppen und ihrer Operationen, steigt auch
der Koordinierungsbedarf im Luftverkehr. Doch dient
der Einsatz der AWACS-Flugzeuge grundsätzlich der Sicherheit aller vom Luftverkehr in Afghanistan Betroffenen. Aber nochmals: Es gibt keine Unterstützung für
Angriffe. Dies ist politisch nicht gewollt und technisch
auch nicht möglich.
Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge soll der Koordinierung des zivilen und des militärischen Flugverkehrs
dienen. Dementsprechend sollen die gewonnenen Luftraumbilder auch zivilen Nutzern zur Verfügung gestellt
werden. Dieser Einsatz wird dem Schutz unserer Bundeswehrpiloten dienen. Zugleich aber wird auch die Sicherheit im Luftverkehr insgesamt und damit auch die
Sicherheit der Zivilbevölkerung erhöht. Um es noch einmal zu sagen: Zu Kampfeinsätzen wird der Einsatz unmittelbar nicht beitragen. Die Taliban verfügen in aller
Regel nicht über Geräte, die von den Radaranlagen der
Flugzeuge aufgeklärt werden könnten.
Die Besatzungen der AWACS-Flugzeuge der NATO
bilden eine vollständig integrierte Truppe. Ihre Angehörigen werden von den einzelnen Mitgliedstaaten entsandt. Der Anteil der deutschen Soldaten an den Besatzungen der AWACS-Aufklärungsflugzeuge beträgt etwa
40 Prozent. Kein beteiligtes Land kann sich aus einem
solchen Einsatz zurückziehen, ohne ihn nicht infrage zu
stellen oder unmöglich zu machen.
Zuletzt hatte eine Bundesregierung 2003 der Entsendung von AWACS-Flugzeugen zugestimmt - damals in
die Türkei während des Irak-Krieges. Danach hat das
Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass auch solche
Entscheidungen der Zustimmung des Bundestages bedürfen. Es sollte aber auch klar sein, dass bündnispolitischen Rücksichten dabei ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Auch deshalb ist dieser Antrag nicht
geeignet, um erneut das grundsätzliche Für und Wider
des Afghanistan-Engagements zu erörtern.
Der Einsatz der AWACS-Flugzeuge wird einen signifikanten Beitrag zur Luftraumüberwachung in Afghanistan leisten. Er wird zum Schutz unserer Piloten beitragen. Er wird aber auch die Sicherheit für die zivilen
Helfer und die Sicherheit für die Bevölkerung erhöhen.
Deshalb werden wir dem Antrag zustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/13377 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Juni 2009,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.