Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. - Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in unsere
Tagesordnung eintreten, möchte ich die anwesenden
350 amerikanischen Stipendiaten des Parlamentarischen Patenschafts-Programms auf den Tribünen im
Plenarsaal herzlich begrüßen.
({0})
Diese jungen Amerikanerinnen und Amerikaner bilden
bereits den 25. Jahrgang des Parlamentarischen Patenschafts-Programms und besuchen anlässlich dieses Jubiläums heute den Deutschen Bundestag.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, das Parlamentarische Patenschafts-Programm
wurde 1983 vom Bundestag und dem amerikanischen
Kongress vereinbart, und seit nunmehr 25 Jahren reisen
die jungen Stipendiaten jeweils für ein Jahr in das Partnerland. Dieser Austausch fördert das gegenseitige Verständnis und trägt wirkungsvoll dazu bei, neben der
Kenntnis des Landes auch die persönlichen, die menschlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika
dauerhaft zu stärken.
Sie, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, vertreten
heute gewissermaßen die 18 500 Amerikaner und Deutschen, die an diesem Programm inzwischen erfolgreich
teilgenommen haben und so etwas wie junge Botschafter
ihres Landes auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks
gewesen sind.
Ich möchte Ihnen weiterhin einen interessanten Aufenthalt in Deutschland wünschen. Ich nutze die Gelegenheit gerne, um nicht nur den zahlreichen Kolleginnen
und Kollegen für ihren Einsatz als Pate in den Wahlkreisen zu danken, sondern ausdrücklich auch den ehrenamtlichen Gastfamilien, den engagierten Austauschorganisationen sowie der Bundestagsverwaltung.
({1})
Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 36 a und
36 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes ({2})
- Drucksache 16/12410 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 16/13221 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dr. Volker Wissing
Jerzy Montag
b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Begleitgesetzes zur zweiten
Föderalismusreform
- Drucksache 16/12400 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 16/13222 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dr. Volker Wissing
Jerzy Montag
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/13223 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Otto Fricke
Roland Claus
Alexander Bonde
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes werden wir später, also nach Abschluss dieser Beratungen, namentlich abstimmen. Ich mache darauf aufmerksam, dass zur Annahme dieses Gesetzentwurfs die
Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich ist. Zu diesem Gesetzentwurf liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Peter Struck für die SPD-Fraktion.
({6})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich glaube, das Thema, über das wir
heute sprechen, ist für die amerikanischen Freunde auf
der Tribüne nicht ganz so prickelnd.
({0})
Trotzdem ist es für unsere Verfassung und für Deutschland wichtig.
Ich will nicht auf die Einzelheiten der Föderalismusreform eingehen, sondern einige Kritikpunkte aufgreifen, über die in den vergangenen Tagen nicht nur in meiner Fraktion, sondern auch in anderen Fraktionen
diskutiert worden ist.
Der erste Kritikpunkt war: Die Regelungen, die wir
beschließen wollen, gehörten, weil sie zu sehr ins Detail
gehen, nicht ins Grundgesetz. Ich empfehle einen Blick
auf Art. 106 im aktuellen Grundgesetz. Dieser eine Artikel umfasst ungefähr drei Seiten.
Meine Damen und Herren, die Aufgabe, die Finanzverfassung zwischen Bund und Ländern zu regeln, ist
natürlich etwas komplizierter als die Formulierung eines
Grundrechts. Ein Konzern, der ein ähnliches Problem
der Zusammenarbeit zu lösen hätte, müsste Verträge aufsetzen, die zig Seiten umfassen würden. Ein Grund, warum es zu dieser Regelung kam, besteht darin, dass die
Länder bestimmte Regelungen verfassungsfest festlegen
wollten. Das kann ich nachvollziehen. Denn eine verfassungsfeste Regelung ist die Garantie, dass der Bund bereit ist, bestimmte Leistungen für die Länder zu erbringen.
Ein zweites Argument, das gegen die Entscheidung,
die die Föderalismuskommission getroffen hat, vorgebracht wird, lautet, die Schuldenbegrenzung für den
Bund sei zu eng gefasst. Es wird die Befürchtung geäußert, der Bundestag bzw. der Bundesgesetzgeber sei aufgrund der Schuldenbegrenzung irgendwann gezwungen,
Sozialleistungen zu kürzen, weil die Schuldengrenze
dies erfordere. Diese Befürchtung ist wirklich unbegründet, meine Damen und Herren; Finanzminister
Steinbrück wird sich dazu noch äußern.
Es geht um einen Schuldenpfad, der im Jahre 2011
beginnt und im Jahre 2016 bei den berühmten 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts endet. Wie jeder weiß,
können auch Sondersituationen berücksichtigt werden.
Es gibt insgesamt drei Ausnahmen, in denen die Aufnahme zusätzlicher Schulden erlaubt ist: die konjunkturelle Verschuldung, die strukturelle Verschuldung und
die Verschuldung in Ausnahmesituationen. Es ist absurd,
anzunehmen, die Schuldengrenze würde den Staat knebeln.
Beim dritten Kritikpunkt an den getroffenen Regelungen geht es um die Frage: Erlegen wir den Ländern
nicht zu viele Pflichten auf? Natürlich weiß jeder, der an
den Sitzungen der Föderalismuskommission teilgenommen hat, dass der Vorschlag, den Herr Oettinger und ich
- wir waren die Vorsitzenden der Kommission - gemacht haben, zum Inhalt hatte, den Ländern die Möglichkeit einzuräumen, ihre Schulden auf 0,15 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen, und zwar auch
im Jahre 2020; nach aktuellen Zahlen wären das ungefähr 4 Milliarden Euro. Diese Vereinbarung ist übrigens
auch im Koalitionsausschuss getroffen worden. Die Länder haben in der Föderalismuskommission allerdings gesagt: Wir wollen im Jahre 2020 die Nullgrenze erreichen.
Natürlich akzeptiere ich diese Meinung der Länder,
stelle für meine Fraktion aber ausdrücklich fest: Wenn
der Bundesrat, der an dieser Stelle zuständig ist, zu dem
Ergebnis kommt, dass diese Schuldengrenze nicht einzuhalten ist, und mit Zweidrittelmehrheit eine andere Entscheidung trifft, dann werden wir diese Entscheidung
mittragen. Das ist gar keine Frage.
({1})
Ich weiß, dass über dieses Thema in der Koalition
noch eine Debatte zu führen ist. Daher stelle ich zunächst einmal nur für mich und meine Fraktion fest: Wir
würden einer solchen Entscheidung nicht im Wege stehen. Warten wir erst einmal ab, ob die Länder überhaupt
eine Zweidrittelmehrheit erreichen. Um es deutlich zu
sagen: Nach den Gesprächen, die bisher geführt worden
sind, sehe ich das nicht.
({2})
Der vierte Kritikpunkt betrifft das sogenannte Kooperationsverbot, also die Regelung zu Art. 104 b Grundgesetz. Diese Regelung hat nur mittelbar mit den Finanzbeziehungen zu tun. Ich stelle fest, auch als Vorsitzender
der SPD-Fraktion: Die Regelungen, die wir zu Beginn
dieser Wahlperiode, als es um die Föderalismusreform I
ging, getroffen haben, übrigens auch auf Wunsch der
Länder, sind unpraktikabel. Die Entscheidung, fast keine
Möglichkeit der Zusammenarbeit im Bildungsbereich
vorzusehen, war falsch. Das ist eindeutig.
({3})
Ich stelle aber auch fest: Im Bundesrat gibt es keine verfassungsändernde Mehrheit für eine Änderung.
({4})
- Ganz langsam. Man sollte keine Zwischenrufe machen, wenn man keine Ahnung hat, Frau Enkelmann.
Das empfehle ich Ihnen.
({5})
Die jetzige Regelung zur Zusammenarbeit zwischen
Bund und Ländern ist eine Regelung, die die Länder
wollten. Die Länder wollten nicht, dass ihnen der Bund
Geld für solche Bereiche zur Verfügung stellen kann, in
denen er keine Gesetzgebungsbefugnisse hat. Das war
eine Forderung der Länder. Diesen Beschluss haben wir
im Rahmen der ersten Föderalismusreform gefasst.
Schließlich mussten wir eine Einigung erzielen.
Jetzt haben wir folgende Situation: Fast unmittelbar
nach der Verabschiedung der ersten Föderalismusreform
hat der Bund erstens entschieden, den Ausbau der Krippenplätze für Kinder bis zu einem Jahr in einer Größenordnung von 4 Milliarden Euro bis zum Jahre 2013 zu
fördern. Das ist eine Aufgabe, deren Erledigung eigentlich den Ländern bzw. den Kommunen obliegt.
Zweitens hat der Bund im Anschluss an die
Föderalismusreform I beschlossen, die Hochschulpolitik zu fördern, Stichwort: Hochschulpakt. Auch hierfür
stellt er vernünftigerweise viel Geld zur Verfügung.
({6})
Das Dritte und Gravierendste in der letzten Zeit war
das Konjunkturprogramm II. Wir haben eine Menge
Geld dafür bereitgestellt - 13 Milliarden Euro -, dass die
Kommunen Infrastrukturmaßnahmen finanzieren können. Wegen der jetzigen Verfassungslage mussten wir
eine Menge Verrenkungen vornehmen, durch die es uns
ermöglicht wird, den Kommunen Geld für die energetische Sanierung ihrer Schulgebäude zu geben. Das ist eigentlich absurd, weil mir manche Kommunen gesagt haben: Eine energetische Sanierung müssen wir nicht
durchführen, wir bauen eine neue Turnhalle nach den
entsprechenden Gesichtspunkten. - Das durften sie aber
nicht. Hier haben wir auch eingegriffen - Sie wissen
das - und das einigermaßen korrigiert.
Durch diese drei Beispiele zeigt sich, dass die jetzige
Verfassungslage falsch ist.
({7})
Wir haben in der Föderalismuskommission II versucht,
das zu korrigieren. Wir haben das leicht korrigiert, aber
nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe und wie meine
Fraktion das in der Föderalismuskommission II leider
ohne Erfolg beantragt hat. Ich sage ausdrücklich „ohne
Erfolg“ auch deshalb, weil die Länder nicht mitgemacht
haben. Man muss hier feststellen - das will ich noch einmal sagen -, dass die Zusammenarbeit zwischen dem
Bund und den Ländern im Bildungsbereich absolut unbefriedigend ist. Hier muss korrigiert werden. Vielleicht
geschieht das ja im Laufe der nächsten Wahlperiode.
({8})
Das letzte Argument, das auch häufig vorgebracht
worden ist, lautet, dass die Bestimmung, die wir eingeführt haben, wonach die Länder ab dem Jahre 2020
keine Schulden mehr machen dürfen, verfassungswidrig ist. Wenn es um ein Gesetz ging, habe ich in den fast
30 Jahren, in denen ich hier im Bundestag bin, oft genug
das Argument gehört, das Gesetz sei verfassungswidrig.
Für mich ist ein Gesetz erst dann verfassungswidrig,
wenn das vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
festgestellt worden ist.
({9})
Das ist eine logische Überlegung. Das sage ich auch als
Jurist.
Wenn jemand meint, es sei verfassungswidrig, dann
soll er klagen. Ich habe gehört, dass vier Fraktionen des
Landtages Schleswig-Holstein gegen diese Regelung, die
wir festgelegt haben, klagen wollen. Sollen sie klagen!
({10})
Wenn das Ergebnis lautet, die Regelung ist verfassungswidrig, dann werden wir das natürlich korrigieren. Ich
halte eine Klage für aussichtslos, aber ich weiß, dass vor
Gericht und auf hoher See alles in Gottes Hand ist.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Ich weiß, dass sich die Kolleginnen und Kollegen der
FDP in dieser Debatte nicht nur aus taktischen, sondern
auch aus politischen Gründen enthalten - ich würde das
ganz genauso machen -, um zu klären, ob es mit der
CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag gibt. Ich hoffe,
Herr Kollege Westerwelle, dass sich diese Haltung bei
der Bundesratsentscheidung nicht auch niederschlägt,
sondern dass Sie dafür sorgen werden, dass auch im
Bundesrat die nötige Zweidrittelmehrheit für diese Verfassungsänderung gewährleistet ist, wenn ihr denn hier
im Deutschen Bundestag zugestimmt wird.
({11})
Darum appelliere ich an Sie. Ich bin mir aber ganz sicher, dass ich mich darauf verlassen kann.
Die Föderalismusreform ist ein ganz schwieriges
Thema. Ich bin mir auch sicher, dass sie noch nicht beendet ist. Der nächste Bundestag wird sicher wieder eine
Kommission zum Thema Bildung und zur Neugliederung unserer Bundesrepublik bzw. zur Länderneugliederung einzusetzen haben. Das ist gar keine Frage.
({12})
Trotzdem appelliere ich an Sie alle - auch an diejenigen, die noch überlegen, ob sie dem zustimmen können -:
Stimmen Sie bitte zu. Das ist ein Fortschritt für unser
Land. Es lohnt sich, für diese Föderalismusreform mit Ja
zu stimmen und für sie einzutreten.
Vielen Dank.
({13})
Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion ist der
nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in dieser Föderalismuskommission II erlebt, wie
schwer sich einige - insbesondere der SPD - damit getan
haben, die Frage, ob wir die Verschuldung begrenzen
wollen, eindeutig mit Ja zu beantworten. Deswegen will
ich hier einmal damit anfangen, über Zinsen zu reden,
die der Staat in Milliardenhöhe Jahr für Jahr zahlt, und
die Frage stellen, wie sozial diese Zinszahlungen eigentlich sind.
Es gibt hier ja einige, die meinen, es sei besser, das
Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler an Banken
statt zur Bewältigung sozialer Aufgaben auszugeben.
({0})
Nichts anderes als das ist die Konsequenz Ihres Widerstandes gegen eine effektive Verschuldungsbegrenzung,
den Sie in den Kommissionen geleistet haben und den
Sie auch nach der Kompromissfindung wieder haben
aufleben lassen.
Wenn Sie einen Blick in den Bundeshaushalt werfen,
werden Sie feststellen, dass die Zinslasten bedrohlich
sind. Das bleibt nicht ohne Folgen. Es schränkt die politische Gestaltungsfähigkeit ein. Jeder Euro, den wir für
Zinsen ausgeben, fehlt an anderer Stelle für Investitionen in Forschung und Entwicklung, für soziale Aufgaben ebenso wie für Investitionen in Bildung und Kultur.
Deshalb ist es unverantwortlich, immer wieder zu behaupten, die Schuldenpolitik des Staates hätte irgendetwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Das Gegenteil ist
der Fall.
({1})
Wer wie Teile der Sozialdemokraten oder wie die
Linke geschlossen gegen die effektive Schuldenbremse
eintritt, der sollte den Menschen in unserem Land auch
sagen, warum er das Geld der Bürgerinnen und Bürger
lieber an Banken überweist, statt in Bildung, Forschung
und Entwicklung oder in moderne Infrastruktur zu investieren.
Die FDP hat sich aus diesem Grund entschlossen, für
eine effektive Verschuldungsbegrenzung zu kämpfen.
Wir haben konkrete Vorschläge gemacht, wie der BundLänder-Finanzausgleich neu geregelt, die Verschuldung begrenzt und - was zwingend erforderlich ist gleichzeitig eine größere Finanzautonomie der Länder
geschaffen werden kann. Denn es ist nicht sinnvoll, auf
der einen Seite den Gestaltungsspielraum einzuschränken, ohne auf der anderen Seite neue Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dass das letzten Endes nicht
möglich war, geht auf eine Entscheidung der Großen
Koalition zurück. Sie haben sich entschlossen, bei der
Reform die Themen Bund-Länder-Finanzausgleich und
Finanzautonomie auszuklammern, und sich nur noch mit
der Verschuldungsfrage beschäftigt.
Ohne eine Neuregelung des Finanzausgleichs und
ohne ein Mehr an Finanzautonomie wird aber nie ein
großer Wurf in dieser Frage zu erreichen sein.
({2})
Insofern war der Kompromiss, der in der Föderalismuskommission gefunden wurde, ein kleiner gemeinsamer
Nenner. Es war zwar weit weniger als das, was die FDP
vorgeschlagen hat - wir hatten konkrete Gesetzentwürfe
für alle Bereiche vorgelegt, mit denen wir alles abgearbeitet haben, was zum Auftrag der Kommission gehörte -, aber der Kompromiss, den wir gefunden haben,
war trotz allem mehr als nichts. Es war ein Schritt in die
richtige Richtung, und es war eine Chance. Deswegen
haben wir das in der Kommission auch mitgetragen.
Herr Kollege Struck, wenn es bei diesem Kompromiss bleiben sollte, dann wird die FDP weiterhin den
Weg aus dem Schuldenstaat mitgehen. Ich glaube, das
dürfte völlig außer Frage stehen. Dazu haben wir eine
glasklare Position.
({3})
Es ist aber unverständlich, dass das SPD-Präsidium
mit der jüngsten Erklärung den Kompromiss quasi zum
Zwischenschritt degradiert hat und die heutige Bundestagsentscheidung als eine Art Diskussionsgrundlage für
weitere Beratungen im Bundesrat sieht. Das hatten wir
in der Föderalismuskommission nicht miteinander vereinbart.
({4})
Herr Kollege Struck, dass ausgerechnet Sie sich für
diesen Weg offen zeigen, ist mir ehrlich gesagt unverständlich. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass der Bund
den Ländern Konsolidierungshilfen zahlt, der nivellierende Finanzausgleich erhalten bleibt und die Länder
weiterhin frei Schulden machen können. Wer soll eine
solche Lösung dann noch als Erfolg bezeichnen?
({5})
Wir waren und sind uns sicherlich einig, dass der
Kompromiss in der Föderalismuskommission niemals
zustande gekommen wäre, wenn die Länder vorgeschlagen hätten, die Frage der eigenen strukturellen Neuverschuldung offen zu lassen, um sie später in einem Bundesratsverfahren zu klären.
Wir hätten uns gewünscht, dass es in der parlamentarischen Beratung gelingen würde, die nicht sehr gelungene Formulierung des Gesetzestextes zu verbessern.
Auch in der Sachverständigenanhörung wurde einiges an
Kritik vorgetragen. Aber das wurde mit Hinweis auf den
Kompromiss abgelehnt: An den Texten, die verbesserungswürdig wären, durfte nichts geändert werden. Dagegen sind Sie für eine Änderung in einer fundamentalen
Frage, die für uns quasi die Bedingung war, das Vorhaben mitzutragen. An dieser zentralen Schraube wollen
Sie jetzt drehen. Diesen Weg gehen wir heute nicht mit.
({6})
Weil Teile Ihrer Fraktion den Ausstieg aus dem
Schuldenstaat nicht mitgehen, wollen Sie den Gesetzentwurf über den Bundesrat entschärfen. Für uns ist dieser
Kompromiss - ich betone es noch einmal - kein Zwischenschritt. Wir sind nicht bereit, Ihnen heute einen wackeligen Weg in den Bundesrat zu ebnen, weil Sie in
Wahrheit in den eigenen Reihen keine einheitliche Position gegen die Staatsverschuldung zustande bringen
konnten.
Die FDP steht weiterhin zu ihrer Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik. Wir
wollen endlich hin zu einer Politik der Generationengerechtigkeit. Aber dann müssen Fehlanreize im System effizient beseitigt werden. Eine dauerhafte strukturelle Neuverschuldung der Länder kommt für uns - das
sage ich in aller Deutlichkeit - nicht in Betracht.
({7})
In der Finanz- und Haushaltspolitik sind mittlerweile
alle Dämme gebrochen. Der Bundeshaushalt ist ein einziges „Wünsch dir was“. Wenn Sie das Geld wenigstens
für Strukturreformen ausgäben und mehr Nachhaltigkeit
und neue Chancen für unsere Gesellschaft erreichten,
wäre etwas geschaffen. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Es gibt einen weiteren Grund, daran zu zweifeln, dass
die Verfassungsänderung, über die wir heute abschließend beraten, von den Ländern überhaupt ernst genommen wird. Es genügt ein Blick auf die Bundesratsbank.
({8})
Dann wird allen, glaube ich, deutlich, dass das, über was
heute entschieden werden soll, nicht die eigentliche Entscheidung sein soll, sondern dass alle darauf setzen, das
Kompromisspaket wieder zu öffnen, und zwar hin zu
neuer Staatsverschuldung. Das lehnen wir ganz klar ab.
({9})
Das Wort erhält nun die Kollegin Antje Tillmann für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Feierlichkeiten zum 60-jährigen Geburtstag unserer Republik sind noch nicht lange her. Viele Menschen haben
die Gelegenheit genutzt, sich noch einmal mit den Texten unserer Verfassung zu befassen. Auch wir Abgeordnete haben in zahlreichen Veranstaltungen die Verfassungstexte noch einmal auf uns wirken lassen und dabei
erneut festgestellt, dass die Grundrechtsartikel auch in
ihrer Formulierung eingängig und überzeugend sind.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Mit diesen
einfach anmutenden Worten in Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes stellt es klar: Nicht der Staat, nicht politisches
Gezänk und nicht bestimmte gesellschaftliche Gruppen
sind das Maß der Dinge. Es ist der Mensch, der im Mittelpunkt unserer Verfassung steht. In den folgenden
Artikeln geht es ebenfalls um den Menschen, Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit.
Ja, ich teile die Auffassung, dass auch die Klarheit der
Worte und die Ästhetik in der Formulierung einen Wert
unserer Verfassung ausmachen. Ja, es ist ebenfalls richtig, dass es uns nicht mit jedem Satz in der Finanzverfassung gelungen ist, diese Ästhetik in den Teil des Grundgesetzes hinüberzuretten, der die Finanzbeziehungen
darstellt. Das ist übrigens den Vätern und Müttern unseres Grundgesetzes in dem damaligen Teil der Finanzverfassung ebenfalls nicht gelungen. Aber der Geist der ersten Artikel unserer Verfassung ist ganz eindeutig auch
Grundlage der Finanzverfassung.
Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit, darum geht es, wenn wir heute eine Schuldenbegrenzung
einführen und die entsprechenden Artikel ändern. Es
geht um Gerechtigkeit, weil Schuldenbegrenzung Generationengerechtigkeit bedeutet. Das derzeitige Ausmaß
der Verschuldung - auch ohne die Schulden aus der aktuellen Wirtschaftskrise - stellt eine schwere Last für zukünftige Generationen dar. Der geltende Art. 115 des
Grundgesetzes, der eine Kreditaufnahme für Investitionen und zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorsieht, hat nicht die erforderlichen Grenzen gesetzt. Es wurden eben nicht nur
Schulden aufgenommen, die einen gleichen Gegenwert
in Investitionen hatten, wie es die Verfassung eigentlich
vorsieht. Dadurch sind die Zinslasten der öffentlichen
Haushalte - Bund, Länder und Gemeinden - auf circa
70 Milliarden Euro pro Jahr angestiegen. Ständig steigende Zinslasten sind aber eine schwere Hypothek für
unsere Kinder, insbesondere deshalb, weil wir aufgrund
des demografischen Wandels und der damit zusammenhängenden zusätzlichen Kosten für Renten, Pensionen
und Gesundheitsleistungen eigentlich sogar Rückstellungen bilden müssten. Zinszahlungen statt Zukunftsinvestitionen sind die Folge. Die Zinszahlungen belasten uns
zurzeit noch mehr als die Schuldenstandsquote.
Auch diejenigen, die sich zurzeit Sorgen um Bildung
und Kultur machen, werden wohl zugeben, dass es hundert Prozent sinnvoller wäre, diese Zinsmilliarden in
Köpfe und Kulturgüter zu investieren, als sie ohne Gegenleistung hinauszuwerfen. Lieber Kollege Wissing,
ich habe Ihrer Rede zugehört und kann viele Punkte unterschreiben. Ich finde es aber schwierig, Ihre Reaktion
nachzuvollziehen, der geplanten Änderung der Verfassung zur Begrenzung der Verschuldung nicht zuzustimmen. Es war von Anfang an nicht geplant, den Länderfinanzausgleich zu öffnen, sondern die Schuldensituation
zu verbessern. Das tun wir mit dem heutigen Gesetz.
Deshalb wundere ich mich, dass Sie heute, obwohl Sie
das in der Föderalismusreform noch mitgetragen haben,
dem nicht zustimmen wollen.
Schuldenbegrenzung ist kein Selbstzweck. Wir wollen dadurch Spielräume für wichtige Zukunftsinvestitionen zum Beispiel in Bildung, Familie und Kultur und
vielleicht auch für künftige Wirtschaftskrisen schaffen.
Das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig,
insbesondere in einer Zeit, in der die Neuverschuldung
ein unvorstellbares Ausmaß hat. Wir müssen den Men24860
schen heute sagen, wie wir diese Schulden in Zukunft
tilgen wollen.
({0})
In den letzten Tagen wurden viele Briefe verschickt.
Viele haben uns aufgerufen, der Schuldenbegrenzung
nicht zuzustimmen. Diesen Skeptikern stehen aber Sachverständige gegenüber, die seit Jahren mit uns an der
Schuldenbremse gearbeitet haben. Der Bundesrechnungshof wie auch der Sachverständigenrat halten es für
geboten, dass sich Bund und Länder auf stringente Regeln einigen, um die Staatsverschuldung nachhaltig zu
begrenzen und stabilitätskonforme Haushalte aufzustellen. Auch die überwiegende Mehrzahl der Sachverständigen in der Anhörung teilte im Grundsatz die Meinung,
eine Schuldenbegrenzung sei zwingend erforderlich. Es
handelt sich dabei aber um eine Begrenzung, die uns
eben nicht handlungsunfähig macht. Auch der derzeitigen wirtschaftlichen Situation hätten wir mit der nun zu
beschließenden Schuldenbremse begegnen können. Wir
werden auch künftig in konjunkturell schlechten Zeiten
Spielräume behalten, allerdings müssen wir in wirtschaftlich besseren Zeiten mehr als bisher gegensteuern
und zusätzliche Steuereinnahmen zur Tilgung der in der
Krise aufgenommenen Schulden aufwenden.
Neben der Gerechtigkeit spielt auch Solidarität eine
noch größere Rolle in unserer Finanzverfassung als bisher. Hilfen in einer Gesamtsumme von 800 Millionen
Euro jährlich im Zeitraum 2011 bis 2019 zusätzlich zum
Länderfinanzausgleich zur Verfügung zu stellen, ist
Bund und Geberländern nicht leichtgefallen. Diese Mittel sind aber notwendig, um alle Länder mit ins Boot zu
holen. Es war uns wichtig, niemanden mit seinen Schuldenproblemen alleine zu lassen. Die Bereitschaft zur
Zahlung war aber ganz eng an eine strenge Schuldenbegrenzung gebunden, weil die Geberländer ihren Bürgerinnen und Bürgern natürlich erklären müssen, warum
sie sich freiwillig bereit erklären, über den Länderfinanzausgleich hinaus zusätzliche Mittel aus eigenen
Steuergeldern anderen zur Verfügung zu stellen. Machen
wir es diesen Ländern nicht noch schwerer. Wer jetzt bestrebt ist, diese Begrenzung aufzuweichen, muss wissen,
dass damit auch andere Vereinbarungen hinfällig würden.
Der dritte Bereich umfasst die Chancengleichheit.
Die Regeln werden zu unterschiedlichen Zeiten in Kraft
treten. Wir wissen natürlich, dass nicht alle in diesem
Land zur gleichen Zeit den neuen Regeln Rechnung tragen können. Einige halten die Schuldenbegrenzung für
zu ambitioniert, andere wiederum behaupten, das Inkrafttreten der Schuldenbegrenzung wäre zu spät. Beides
stimmt nicht. Die neuen Schuldenbegrenzungsregeln
sind grundsätzlich erstmals für das Jahr 2011 anzuwenden, und zwar für den Bundeshaushalt mit der Maßgabe,
dass das strukturelle Defizit - nur darum geht es bei diesem Punkt - ab dem Jahr 2011 in gleichmäßigen Schritten zurückgeführt werden soll, und ab dem Jahr 2016 nur
noch Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des BIP gemacht werden dürfen. Es ist einfach falsch, zu behaupten, dass Generationen von Politikern Schulden gemacht
hätten und wir nun eine Generation zwingen würden,
diese Situation auszubaden.
({1})
Es geht - leider - noch gar nicht um Schuldenrückführung, es geht ganz im Gegenteil nur darum, dass wir
künftig nicht weiter den Weg der Neuverschuldung gehen und dass wir die künftigen Generationen nicht zusätzlich mit neuen Schulden belasten.
({2})
Die Länder, die Unterstützung erhalten, müssen ebenfalls 2011 anfangen zu konsolidieren. Die Gewährung der
Hilfen setzt einen vollständigen Abbau des Defizits voraus. Die Abbauschritte, die Hilfen, die Finanzierungsdefizite und die Überwachung durch den Stabilitätsrat haben
wir im Begleitgesetz geregelt. Mit der letzten Gruppe, den
Geberländern, haben wir das Ziel der gemeinsamen
Schuldenbegrenzung festgeschrieben, aber wir haben
nicht zu stark in die Haushaltskompetenzen eingegriffen.
Wir haben nämlich zugelassen, dass die Geberländer bis
2019 von der Schuldenbegrenzung abweichen, aber im
Haushalt 2020 sicherstellen müssen, dass kein strukturelles Defizit mehr vorhanden ist. Wir alle wissen, dass
einige Länder das schneller schaffen werden. Sie haben
in ihre Landesverfassungen schon ambitioniertere Regelungen aufgenommen. Wir wissen aber auch, dass andere Länder diese Zeit brauchen werden. Das ist aus unserer Sicht nicht schlimm, weil wir wichtig finden, dass
wir den Weg weg von immer weiterer Verschuldung einschlagen. Das werden wir, so hoffe ich, heute tun.
({3})
Was die Solidarität betrifft, so haben wir die Kommunen nicht vergessen. Mit den neuen Schuldenregeln
lassen wir es bei einem grundsätzlichen Neuverschuldungsverbot zu, dass in Notlagen mit Krediten gegengesteuert werden darf.
Diese Möglichkeit wird es künftig über den
Art. 104 b Grundgesetz auch in den Bereichen geben, in
denen der Bund keine Gesetzgebungskompetenz hat.
Der Bund darf also in der Krise Ländern und Kommunen
mit Finanzhilfen zur Seite stehen. So gibt es jetzt zusätzliche Sicherheit für die 10 Milliarden Euro aus dem
kommunalen Investitionsprogramm. Diskussionen über
die Frage: „Dürfen Schultoiletten oder müssen Schuldächer saniert werden?“ gehören damit der Vergangenheit an.
Auch bei den Verwaltungsthemen spielen Menschenwürde und Gerechtigkeit eine große Rolle. Hätten die
Mütter und Väter unseres Grundgesetzes die Möglichkeiten der IT gekannt, sie hätten es als ein Grundrecht in
unsere Verfassung geschrieben, dass IT-Sicherheit für
die Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten ist. Wir
holen das jetzt nach, indem wir den Bund für die Sicherheit in diesen Systemen verantwortlich machen. Wir
werden das in der Verfassung verankern.
Auch die Steigerung der Effizienz und der Effektivität
des Steuervollzugs dient der Gerechtigkeit. Denn nur
wenn die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben,
dass alle gerecht zur Finanzierung des Staates herangezogen werden, stehen sie dem System wohlwollend gegenüber. Ich gebe zu, an dem Punkt werden wir auch
nach FöKo II noch etwas zu tun haben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen in
unserem Land sind wegen der zusätzlichen Kredite, die
wir in dieser Krise aufnehmen, unsicher. Erstmals ist die
Verschuldung für die Bürgerinnen und Bürger ein
Thema. Laut einer Forsa-Umfrage sind 68 Prozent der
Bundesbürger dagegen, dass der Staat weitere Schulden
macht. Deshalb sind wir es den Menschen nicht nur
schuldig, die aktuelle Krise zu meistern, sondern auch,
langfristige Lösungen anzubieten. Wir haben heute die
Chance, Verantwortung für die Folgen unseres Tuns in
der Krise auch über den aktuellen Tag hinaus zu übernehmen und die Schuldenbegrenzung in unserer Verfassung zu verankern.
Ich bitte Sie, das mit uns gemeinsam zu tun.
({5})
Bodo Ramelow ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Abgeordnete! Das wird unter normalen Umständen meine letzte
Rede als Bundestagsabgeordneter hier im Hohen Haus
sein.
({0})
- Klatschen Sie nicht zu früh, ich beabsichtige, von dieser Seite auf die Bundesratsseite zu wechseln.
({1})
Ich befürchte, dass ich dann das auslöffeln muss, was Sie
heute anrichten.
({2})
Ich teile die Auffassung, dass es eigentlich schon ein
Skandal ist, dass die Ministerpräsidenten der Länder hier
heute nicht anwesend sind
({3})
und nicht mit uns debattieren.
({4})
Lieber Peter Struck,
({5})
in der FöKo I hatten wir zum Beispiel Beschlüsse zum
Strafvollzug gefasst, und dann war es der Kollege Otto
Schily, der aus der Mitte des Saals mehrfach intervenierte, und ich erinnere mich an Sitzungen des Rechtsausschusses, dass sogar Kollegen von der CDU/CSU interveniert und gesagt haben: Es ist falsch, dass wir die
Ausführung des Strafvollzugs auf die Länder übertragen.
Ich erinnere mich, dass SPD-Bundestagsabgeordnete
aus den neuen Bundesländern einen Brief an ihre Partei
geschrieben und darin gesagt haben: Das, was ihr mit der
Bildung vorhabt, ist ein großer Fehler. Lasst es uns nicht
tun.
Damit will ich in Erinnerung rufen, dass schon die
FöKo I gescheitert war, dass diese Themen erst mit der
Großen Koalition hier im Schweinsgalopp wieder durchgejagt wurden und dass hinterher die SPD das Gegenteil
von dem gemacht hat, was sie vorher als politisch richtig
festgestellt hat.
In Bezug auf die FöKo II entwickelt sich etwas Ähnliches. Sie wissen genau, dass Sie heute Weichen stellen,
die in einigen Jahren bewirken werden, dass einige Bundesländer finanziell nicht mehr handlungsfähig sind.
In der rot-grünen Bundesregierung haben Sie ja die
Agenda 2010 auf den Weg gebracht; das war ein großer
Fehler, den man den Menschen angetan hat. Nun haben
Sie die Agenda 2020. Das bedeutet, dass der ausgleichende Föderalstaat zerstört wird und der Wettbewerbsföderalismus, wie ihn sich die FDP wünscht, endlich
durch die Hintertür eingeführt wird. Die wirtschaftlich
stärkeren Länder werden in diesem Land das Kommando übernehmen, und sie werden die wirtschaftlich
schwächeren Länder an die Wand spielen. Ich halte das
für eine Katastrophe für unser Land.
({6})
Kollege Struck, Sie haben die Frage der Verfassungswidrigkeit angesprochen und gesagt: Lasst das Karlsruhe
entscheiden! - Ja, natürlich, Karlsruhe wird am Schluss
eine Entscheidung treffen. Aber was ist das für ein Zustand, wenn frei gewählte Bundestagsabgeordnete wider
besseres Wissen Entscheidungen treffen, die falsch sind,
und anschließend sagen, das Gericht solle es korrigieren?
({7})
Die politische Korrektur geschieht dann nicht mehr auf
dem Parteitag, nicht mehr über das Wahlversprechen,
nicht mehr über das, was man mit den Wählerinnen und
Wählern erörtert, sondern die Korrektur soll Karlsruhe
übernehmen.
({8})
Ich halte das für ein politisches Armutszeugnis und für
einen Irrweg.
({9})
Richtig ist allerdings, dass das Verhalten der Bundesländer seltsam ist. Es waren in der Tat Bill Bo und seine
Bande, also Koch und die Südstaaten - Kollege Struck,
da gebe ich Ihnen recht -, die in der Föderalismuskommission I das Kooperationsverbot in Sachen Bildung gegen die SPD durchgesetzt haben. Die SPD hat es dann
mitgemacht. Das halte ich für den eigentlichen Fehler.
({10})
Der Bundestag beschließt heute grundgesetzmäßig
eine Schuldenbremse von 0,35 Prozent vom BIP für
den Bund - das ist etwas, was Bürger ohnehin nicht verstehen -,
({11})
nach Art eines Katalogs wird das über mehrere Seiten
ins Grundgesetz hineingeschrieben. Das bedeutet, dass
der Bund sich anders verschulden darf, als man es den
Ländern sozusagen als nachgeordnete Dienststellen zugesteht. Das halte ich für einen groben Fehler. So geht es
nicht. Wir können doch nicht den Ländern in die Tasche
greifen!
({12})
Dann kann man sich überlegen, ob die Rechtsauffassung von Professor Schneider richtig ist, dass man damit
das Haushaltsrecht der Länderparlamente zerstört,
oder ob man den Fachleuten folgt, die für die Schuldenbremse waren, dann aber gesagt haben: Wenn die Länder
am Schluss, 2019, nicht mehr finanziell handlungsfähig
sind, muss der Bund ohnehin nachfinanzieren. Es ist klar
gesagt worden, dass am Schluss der Bund bezahlen
muss. Wenn man also sehenden Auges ein Verfassungsrecht schafft, das die Länder zu Bittstellern des Bundes
macht, dann gibt es den ausgleichenden Föderalstaat
nicht mehr, sondern dann degradiert man die Länder zu
nachgeordneten Dienststellen, und das ist einfach unverschämt.
({13})
Herr Präsident, ich will mit Ihrer Erlaubnis etwas zitieren, was ich gelesen habe:
Ich finde es fragwürdig, wenn die jetzige Politikergeneration Regeln ins Grundgesetz aufnehmen will,
die ab 2011 Handlungsspielräume zukünftiger Generationen in einer Weise einschränken, die die Generation Struck und Oettinger für sich nie akzeptiert
hätte.
({14})
Sie können ja einmal überlegen, wer diesen Satz gesagt hat, ob es die Linken waren, ob es die Grünen waren
oder ob das jemand Prominentes aus der SPD-Fraktion
war. Wir können ja einen Wettbewerb veranstalten. - Es
war Andrea Nahles, die damit angekündigt hat, dass die
SPD das so nicht mit sich machen lässt.
Heute, nachdem sie das gesagt hat, werden wir nach
der Abstimmung feststellen: Sie machen das Gegenteil
von dem, was Andrea Nahles angekündigt hat. - Ich
könnte weitere Zitate bringen; Kollege Böhning hat sich
ähnlich geäußert.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über
Schulden reden, dann bestehe ich auf der Feststellung,
dass Geldausgeben kein Selbstzweck ist,
({16})
auch für die öffentliche Hand nicht. Das erkennt man
aber nicht, wenn man die Bundesregierung erlebt. Da hat
man das Gefühl, dass gar nicht genug Geld ausgegeben
werden kann; die Frage ist nur, wofür.
({17})
- Das kann ich Ihnen sagen, ganz konkret.
Die Frage ist, ob man den Wettbewerbsföderalismus
will, wie ihn die FDP sich vorgenommen hat. Das hielte
ich für eine Katastrophe für dieses Land, weil die Länder
dann je nach finanzieller Ausstattung mit ihren Mitarbeitern und ihren Angeboten der Daseinsfürsorge für die
Menschen sehr unterschiedlich umgehen müssten. Wenn
man dem Weg von Herrn Wissing folgt und den Ländern
die Möglichkeit gibt, die Steuererhebung frei zu gestalten, um Schulden abzubauen, bedeutet das für die wirtschaftlich schwächeren Länder die Notwendigkeit, einen
Einkommensteuerzuschlag von bis zu 40 Prozent zu erheben.
({18})
Das heißt, derjenige, der in einem wirtschaftlich schwächeren Bundesland wohnt, in dem ein solcher Einkommensteuerzuschlag erhoben wird, hat dann eben Pech
gehabt. Das Ergebnis ist, dass wir überhaupt keinen Ausgleich mehr haben. Deswegen halte ich es für einen völlig falschen Weg, den Ländern Steuergestaltungsmöglichkeiten zu geben.
({19})
Wenn Sie die Frage aufwerfen wollten, wie die Schulden zu bezahlen sind, Kollege Wissing: Allein eine Vermögensteuer, wie sie in England erhoben wird - England
wird nun wahrlich nicht von der Linken regiert -, bedeutete eine Einnahmeverbesserung um 90 Milliarden Euro.
Eine Börsenumsatzsteuer in Höhe von nur 1 Prozent
würde zusätzliche Einnahmen von 70 Milliarden Euro
für den Bundeshaushalt bedeuten.
({20})
Eine Optimierung der Verfahren bei der Steuererhebung
({21})
zum Beispiel durch mehr Steueraußenprüfungen, Kollegin Tillmann, brächte ein Plus von 10 Milliarden Euro;
das jedenfalls geht aus der Kienbaum-Studie hervor, und
zwar nur bezogen auf das mittlere Segment.
Das heißt, zusammen genommen hätten wir Mehreinnahmen von 170 Milliarden Euro. Ich weiß, Sie wollen
Steuern senken, um den Staat immer handlungsunfähiger
zu machen. Wir haben ein völlig anderes Staatsverständnis: Wir wollen Steuern erheben,
({22})
und zwar Steuern, die in den Nachbarstaaten normal und
gang und gäbe sind.
Ich wiederhole: Allein durch eine gerechte Steuererhebung ergäbe sich ein Plus von 10 Milliarden Euro;
das jedenfalls geht aus der Kienbaum-Studie hervor, und
zwar bezogen nur auf das mittlere Segment. Diese
10 Milliarden Euro hätten wir auch dringend nötig.
({23})
Wenn man diese Einnahmerechnung weiterführt, ergibt sich ein finanzieller Spielraum für Zinszahlungen in
Höhe von 70 Milliarden Euro. Damit wäre zumindest die
Schuldenbewirtschaftung aus den Mehreinnahmen zu
bewerkstelligen. Wir hätten 57 Milliarden Euro, um die
Verschuldung jährlich herunterzufahren. Schließlich hätten wir noch 43 Milliarden Euro für die notwendigen
Bildungsinvestitionen übrig. Damit würden die Bildungsausgaben insgesamt 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, ein Ziel, das ja auch Frau Merkel
öffentlich verkündet hat.
({24})
Wenn man das will, muss man aber auch dafür sorgen,
dass das entsprechende Geld eingenommen bzw. so umgerubelt wird, dass es auch bei der Bildung ankommt.
Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, verstehe ich nicht, warum man heute
die Länder zu einer 0,0-Prozent-Verschuldung verpflichten will, ihnen also vorschreiben will, dass sie gar nicht
mehr investieren dürfen. Ab 2011 wird es so sein, dass
keine Investments mehr auf den Weg gebracht werden
können.
({25})
- Entschuldigung, Sie wissen offenkundig nicht, was Sie
tun. - 2019 wird es endgültig dazu kommen; 2019 wird
neu über den Länderfinanzausgleich verhandelt. Das
heißt, Sie beschließen heute etwas, das Sie nie wieder
zurücknehmen können. Sie beteiligen sich sehenden Auges an einer Grundgesetzänderung und hoffen, dass Sie
das anschließend über Karlsruhe oder den Heiligen Geist
korrigiert bekommen. Das ist ein Irrweg. Hören Sie auf
damit! Zeigen Sie Mut, und stoppen Sie diese Fehlentwicklung!
({26})
Es lohnt sich tatsächlich, einmal nachzulesen, was
Bofinger und weitere 70 Wissenschaftler geschrieben
haben. Sie sagen eindeutig, dass das Thema Schulden
auch etwas mit Investitionen zu tun hat, dass Schuldenpolitik nicht einfach nur mit Zinsbewirtschaftung gleichzusetzen ist und dass die Beschränkung für die Haushalte, auf die man sich verständigt bzw., besser
ausgedrückt, die man sich jetzt auferlegt, dazu führt,
dass Politik handlungsunfähig wird.
Es gibt drei Bundesländer - ich ärgere mich ganz besonders, dass Vertreter dieser Länder heute nicht in den
Bundestag gekommen sind -, nämlich Bremen, das
Saarland und Schleswig-Holstein, für die die Zinshilfen
nicht ausreichend sind. Es ist aktive Sterbehilfe für diese
drei Bundesländer, die heute hier praktiziert wird, und
die Herren kommen nicht einmal her und stellen sich der
Debatte. Ich halte das einfach für einen Skandal.
({27})
Ich halte fest: Jeder, der eine sogenannte Schuldenbremse einführt, ohne gleichzeitig für eine wirkliche
strukturelle Entschuldung der Landeshaushalte zu sorgen, der öffnet den Weg zu einem Wettbewerbsföderalismus, wie ihn die FDP will. Diesen Weg halte ich für völlig falsch.
({28})
Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Kuhn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Feiern zum Jubiläum „60 Jahre Grundgesetz“ sind jetzt
verklungen. Ganz am Rande möchte ich festhalten: Ich
habe zwar sehr viele allgemeine Reden gehört, aber die
beste Debatte darüber gab es hier im Bundestag. Auch
ich fand es richtig, dass die Fraktionen hier diese Debatte geführt haben.
({0})
Nun stellt sich die spannende Frage, ob dies, jenseits
all der Jubiläumsreden, ein guter Tag für unser Land
werden wird, also für unsere Gemeinden, unsere Länder
und den Bund und auch für unser Grundgesetz. Wir von
Bündnis 90/Die Grünen sind der Überzeugung, dass dies
heute kein guter Tag wird. Unter der Überschrift „Schuldenbremse“ wird heute ein komplexer Satz von Instrumentarien und Regeln verabschiedet. Nach unserer
Überzeugung wird damit das Ziel, die Verschuldung der
öffentlichen Hand zu begrenzen, jedoch nicht erreicht.
Deswegen, lieber Herr Kollege Wissing, waren wir in
der Kommission dagegen und werden auch heute dagegen stimmen, obwohl wir Grünen für eine vernünftige
Schuldenbremse natürlich zu haben sind; wir haben ja
Vorschläge gemacht, wie so etwas aussehen könnte.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum sage ich,
dass mit diesen Instrumentarien das Ziel nicht erreicht
wird? Der Hauptgrund liegt darin, dass die Regeln zur
Beschränkung der Schuldenaufnahme durch die Länder,
aber auch die Art, wie der Bund langsam eine Begrenzung der Neuverschuldung vornehmen will, nicht realitätstauglich sind.
Bei den Ländern - dies sage ich voraus - wird sich alles auf das Jahr 2019 kaprizieren. Länder, die keine Konsolidierungshilfen bekommen, sind bis 2019 sehr frei in
der Gestaltung ihrer Haushalte. Bis 2019 schließlich
- losgehen wird es schon 2017 - werden alle sagen, dass
sie die Ziele wegen des Länderfinanzausgleichs nicht erreichen können. Die Geberländer werden sagen: Wir
müssen zu viel in den Länderfinanzausgleich einzahlen;
die Nehmerländer werden sagen: Wir bekommen zu wenig, und deswegen können wir das Konsolidierungsziel
nicht erreichen.
Wer sich mit dem Föderalismus und insbesondere mit
den Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich auskennt - es sitzen ja einige da, die dies tun -, wird verstehen, dass das kein Schwarzseherszenario ist, sondern
Realität sein wird.
({2})
Wer wie Frau Tillmann sagt: „Wir müssen angesichts
der großen Neuverschuldung den Leuten sagen, wie wir
tilgen wollen“, macht sich etwas vor. Interesse an der
Schuldenbremse hat auch die Kanzlerin erst gezeigt, als
die Bankenkrise kam und man ein Gegengewicht - jedenfalls ein symbolisches - brauchte. Funktionieren
wird dies nach unserer Überzeugung nicht.
({3})
Da hilft auch der Vorschlag von Herrn Platzeck nicht.
Ich will einmal sagen: Herrn Platzeck haben wir in der
Föderalismuskommission überhaupt nicht gesehen, er
hat nicht agiert für das Land Brandenburg. Sich dann
zum Sprecher zu machen für Veränderungen im Nachhinein, das ist eine ganz billige Nummer, die wir ihm so
nicht durchgehen lassen können.
({4})
Ich will die größeren Strukturfehler der Reform, die
Sie heute beschließen lassen wollen, aufführen. Verlierer
dieser Reform werden eindeutig die Gemeinden sein.
({5})
Der Mechanismus ist ganz einfach. Im Prinzip haben
Länder, die Konsolidierungshilfen bekommen und schon
jetzt auf einen Konsolidierungspfad gehen müssen, nur
zwei Möglichkeiten: Sie können entweder bei der Bildung sparen - da wünschen wir gute Verrichtung; das
steht keine Landesregierung durch -, oder sie müssen
zulasten ihrer Gemeinden sparen und die Sätze des kommunalen Finanzausgleichs noch restriktiver handhaben
als ohnehin.
Nur wenn durch Grundgesetzänderung auch an die
Gemeinden Konsolidierungshilfen gegangen wären, nur
wenn man das Konnexitätsprinzip im Grundgesetz neu
definiert hätte, nur wenn man sich über eine minimale
Finanzausstattung der Gemeinden, die grundgesetzlich
garantiert sein müsste, Gedanken gemacht hätte, hätte
man dieses Problem lösen können.
({6})
Ich frage Sie als Föderalisten, als Leute, die aus der
Kommunalpolitik kommen: Was ist das für eine Schuldenbremse, die systematisch zulasten der Gemeinden
gehen muss? Gemeinden sind doch der Ort, wo die Bevölkerung, wie Erhard Eppler immer gesagt hat, die
Politik am direktesten, am unmittelbarsten und die Demokratie am eigentlichsten erfährt. Eine Entschuldungspolitik zulasten der Gemeinden muss aus diesem Grund
der falsche Weg sein.
({7})
- Herr Poß, jetzt hören Sie doch einmal zu! Das kann Ihnen nur guttun.
({8})
Das nächste Argument ist die Bildung. Sie wollen
sich mit den falschen Ergebnissen der Föderalismuskommission I nicht wieder befassen. Es gibt hier keine
Reform in dem Sinne, dass mit den heutigen Vorlagen
die Fehler der Föderalismusreform I korrigiert werden
könnten, obwohl sich alle auf den Bildungsgipfeln wie
in einem ewig gleichklingenden Singsang einschwören,
dass man mehr für Bildung tun müsse und dass dies eine
gesamtstaatliche Aufgabe sei. Das, was hier gemacht
wird, ist absurd. Sie haben überhaupt nicht den Mut, das
entscheidende Zukunftsthema Bildung anzugehen.
({9})
Das Problem des Kooperationsverbots in Bezug auf
die Kommunen - aber auch im Bereich der Bildung - ist
unzulänglich gelöst. Ich will es zuspitzen: Wer etwas für
die Gemeinden tun will - das ist die absurde Logik dessen, was Sie heute beschließen -, der muss schon auf
eine Flut oder eine Finanzkrise hoffen, um helfen zu dürfen.
({10})
Was ist denn das für ein Staat, der nur über eine solche
Definition Hilfe ermöglicht? Ich halte es für völlig
falsch, dass Sie da nicht mehr Mut bewiesen haben.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, den wir in Bezug
auf die Entschuldungs- und Verschuldungsdiskussion für
elementar halten. Viele Finanzpolitiker - der Finanzminister gehört dazu - sagen einfach: Schulden sind
Schulden. - Sie können nicht zwischen guten und
schlechten Schulden differenzieren. Angesichts des Zahlenwerks im Haushalt muss ich sagen: So ist es ja auch;
Schulden sind Schulden. Aber es macht nach unserer
Überzeugung einen elementaren Unterschied, warum
und zu welchem Zweck sich die öffentliche Hand in einer bestimmten Situation verschuldet.
Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen: Wir geben die Kosten zur Finanzierung der Abwrackprämie
von 5 Milliarden Euro als Verschuldung an künftige Generationen weiter, es wird aber für künftige Generationen nichts, aber auch gar nichts an Zukunftsrendite übrig
bleiben.
({11})
Wenn wir diese 5 Milliarden Euro in den Klimaschutz
oder in das Bildungssystem investieren, dann gibt es für
die künftigen Generationen logischerweise eine Zukunftsrendite,
({12})
weil trotz Abschreibung nicht alles von dem vervespert
sein kann.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es schon eine wesentliche Frage, für was sich die öffentliche Hand verschuldet. Im privaten Bereich ist es genauso: Wenn ich in der
Spielbank 1 Million Euro verzocke, dann ist das Geld
weg. Wenn ich dafür Schulden mache, dann bringt mir
das überhaupt nichts.
({13})
Wenn ich mit dem Geld etwas Vernünftiges baue oder
ein Haus saniere, dann bleibt ein Wert zurück. Diesen
Unterschied haben Sie finanztechnisch nicht berücksichtigt, weil Sie sich nicht auf ein Verschuldungskriterium
auf der Grundlage des Nettoinvestitionsbegriffs einlassen wollten. Das bedeutet, dass Nettoinvestitionen, das
heißt Investitionen minus Abschreibungen, ein Kriterium für die Frage sein können, wie hoch man sich zusätzlich verschulden kann.
Deswegen haben wir zu der Verschuldungsgrenze von
0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für den Bund
und 0,15 Prozent für die Länder gesagt: Nur bei Nettoinvestitionen, also bei solchen Investitionen, durch die
sich der Kapitalstock des Landes vergrößert, sind Abweichungen von dieser Grenze zulässig, sonst nicht.
({14})
Die pauschale 0,35-Prozent-Regelung schützt uns nicht
vor so einem Unsinn, wie Sie ihn mit der Abwrackprämie gemacht haben.
Der Sachverständigenrat hat im März 2007 den Begriff der Nettoinvestition als mögliche Grundlage vorgeschlagen. Jetzt weiß ich - Herr Finanzminister, das
werden Sie gleich sagen -, dass es hier Abgrenzungsprobleme gibt. Das ist logisch. Aber man kann auch Probleme angehen und lösen. Sie haben sich verweigert,
weil Sie sich in der Debatte „Was erhöht den Vermögensstock eines Landes oder das Produktionspotenzial?“
- das sind die entscheidenden Fragen - drücken wollten.
({15})
Ich sage noch einmal: An dieser Stelle gibt es bei dem,
was Sie heute vorschlagen, einen Konstruktionsfehler.
Herr Ramelow, vieles von dem, was Sie gesagt haben,
war richtig. Aber aus dem, was Sie gesagt haben, folgt
nicht - das ist der wichtige Unterschied zu uns -, dass
man keine Schuldenbremse einführen sollte. Vielmehr
folgt daraus, dass man eine richtige, vernünftige und
ökonomisch begründete Schuldenbremse einführen soll.
Ihre Verweigerungshaltung in Bezug auf das Verschuldungsproblem ist nicht zukunftsweisend.
({16})
Noch eine Bemerkung. Das Ausspielen von solidarischem Föderalismus gegen Wettbewerbsföderalismus,
das Sie gerade vorgeführt haben, gehört für mich der
Vergangenheit an. Die Kunst besteht doch darin, dass
wir die richtigen Elemente der Solidarität zwischen den
Ländern, zwischen dem Bund und den Ländern und den
Gemeinden praktizieren und neu festschreiben,
({17})
andererseits aber einen produktiven Wettbewerb zwischen den Ländern zulassen. Es ist doch nicht schlecht,
wenn zwei Bundesländer die Frage stellen: Wer kann
eine bestimmte Aufgabenstellung am besten erfüllen? Nur das eine oder das andere anzustreben, funktioniert
nicht. Beides muss ein kluger Gesetzgeber machen.
Ich sage Ihnen voraus: Wir werden ab 2015 in
Deutschland neue Verhandlungen über den Föderalismus
führen; denn die jetzige Grundgesetzänderung leistet
einfach nicht das, was Sie vorgegeben haben. Wir werden dann auch über den Länderfinanzausgleich und die
Neugliederung der Bundesländer reden müssen. Wir haben heute keine große Lösung erreicht, Herr Röttgen.
Große Koalition ist gleich große Lösung, das hat nicht
funktioniert. Das Gegenteil ist eingetreten. Sie haben einen etwas kleinkarierten Kompromiss gefunden. Aber
den Föderalismus haben Sie weder durch die Stärkung
der Gemeinden noch durch die Stärkung der Länder oder
die Stärkung der Beziehungen zwischen dem Bund und
den Ländern vorangebracht.
({18})
Deswegen werden wir dagegenstimmen, obwohl wir für
eine Begrenzung der Schuldenaufnahme durch die öffentliche Hand sind.
Ich danke Ihnen.
({19})
Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der
Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kuhn, Sie haben vorhin richtig gesagt, dass es
in Ihrer Rede einen Punkt geben könnte, auf den ich eingehen könnte. Aber Sie haben sich den falschen Punkt
ausgesucht.
({0})
Ich habe schon in der Föderalismuskommission versucht, Ihnen eine, wie ich hoffe, einigermaßen verständliche Erklärung dafür zu geben, dass das Nettoinvestitionskonzept die entscheidende Fehlkonstruktion nicht
auflöst.
({1})
Das jetzige Grundgesetz enthält einen falschen Investitionsbegriff. Wir haben im Augenblick die Situation,
dass jeder Euro in Beton als Investition und jeder Euro
in die Köpfe der Menschen als konsumtiv definiert ist.
({2})
Ihr Nettoinvestitionskonzept löst dieses Problem nicht,
da die jetzige Schuldenregelung dieses Problem umgeht.
Deshalb ist Ihre diesbezügliche Argumentation leider
Gottes nicht erkenntnisfördernd.
({3})
Ich will auf die Einzelheiten der Ergebnisse der Föderalismuskommission gar nicht eingehen, insbesondere
nicht auf die Ausgestaltung der Schuldenregelung. Frau
Tillmann hat diesen Punkt sehr zutreffend dargestellt.
Ich möchte zwei grundsätzliche Bemerkungen machen und vier zentrale Missverständnisse aufgreifen:
Erstens. Mit der Verankerung einer neuen Schuldenbremse im Grundgesetz hat es diese zweite Große Koalition exakt 40 Jahre nach der ersten Großen Koalition in
der Tat in der Hand, eine finanzverfassungsrechtliche
und finanzpolitische Entscheidung von historischer
Tragweite zu treffen, eine Entscheidung - das ist der Unterschied zu Ihnen, Herr Ramelow -, die die finanzielle
Handlungsfähigkeit des Staates insbesondere unter dem
Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit sichern
und nicht einschränken soll.
({4})
Die absurde Quintessenz Ihrer Rede, Herr Ramelow,
ist, dass zusätzliche Schulden die Handlungsfähigkeit
des Staates erweitern.
({5})
Das ist eine absurde Zusammenfassung.
({6})
Jetzt hören Sie mal einen Moment zu; auch ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Wenn Sie sich anschauen, wie sich die Schuldenstandquote in Deutschland, das heißt das Verhältnis der Schulden zu unserer
Wirtschaftsleistung - und damit automatisch die Zinslastquote; will sagen: der Anteil der Zinsausgaben am
Bundeshaushalt -, entwickelt hat, dann werden Sie feststellen, dass wir der gefährlichen Tendenz unterworfen
sind, dass der Bundeshaushalt immer weiter verkarstet
und versteinert und Ihre politischen Handlungsspielräume, vor allen Dingen die der nachfolgenden Generationen von Bundestagsabgeordneten, immer geringer
werden. Das ist das Problem.
({7})
Ich will auf Ihre nicht minder aberwitzigen Vorstellungen zu einer prohibitiven Besteuerung in Deutschland
gar nicht weiter eingehen. Aber Ihre Rede ist ein Plädoyer dafür gewesen, in Deutschland eine Substanzbesteuerung von 80 bis 90 Milliarden Euro einzuführen.
({8})
- Das war doch der Kern dessen, was gesagt wurde. Vor
diesem Hintergrund habe ich eine gewisse Hoffnung,
dass Sie im Deutschen Bundestag weiter auf den jetzigen
Stühlen sitzen und niemals auf der Bundesratsbank. Das
wäre schlecht.
({9})
Vor 40 Jahren hat die erste Große Koalition eine
Finanzverfassung verabschiedet, die auf der Höhe der
Zeit war. Aber wir werden kritisch eingestehen müssen,
dass die Finanzverfassung, die vor 40 Jahren auf der
Höhe der Zeit gewesen ist, heute nicht mehr auf der
Höhe der Zeit ist. Insbesondere der jetzige Art. 115 des
Grundgesetzes hat uns nicht vor einer Fehlentwicklung
bewahrt.
({10})
Er hat Konstruktionsfehler; einen habe ich erwähnt: den
falschen Investitionsbegriff. Zweitens werden wir zugeben müssen, dass die Ausnahmemöglichkeiten dieses
Art. 115 uns alle, die wir in den letzten 40 Jahren Regierungsverantwortung hatten, sehr leichtfüßig in eine Verschuldung hineingetrieben haben. Wir haben uns dieser
Ausnahmemöglichkeiten sehr häufig bedient. Drittens.
Wir haben das, was damals jedenfalls konzeptionell angelegt war, letztlich nie erfüllt: Wir haben in schlechten
Zeiten Schulden gemacht, diese aber in guten Zeiten
nicht zurückgezahlt.
({11})
Deshalb ist es richtig, diesen Art. 115 abzuschaffen
und eine bessere, zeitgemäße Finanzverfassung einzuführen.
Ich gebe Ihnen noch einmal wenige Zahlen an die
Hand, die das eben Ausgeführte belegen. 1969 beliefen
sich die Zinszahlungen des Bundes auf 3,2 Prozent des
Bundeshaushalts; im Jahre 2008 haben sich die Zinsausgaben auf 15 Prozent belaufen, Tendenz steigend. Natürlich tragen wir dazu auch aktuell bei, weil wir in dieser
Wirtschaftskrise mit enormen kreditfinanzierten Programmen, die der sehr schwierigen, krisenhaften Situation geschuldet sind, in den nächsten Jahren wahrscheinlich in eine weitere Erhöhung dieses Prozentsatzes
hineinkommen werden. Deshalb sind wir es nach meiner
Auffassung den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, ihnen zu signalisieren, dass wir es mit der Konsolidierung
wieder ernst meinen, sobald wir aus der Wirtschaftskrise
heraus sein werden.
Wir müssen auch den Finanzmärkten ein Signal geben, dass in Deutschland eine solide Haushaltspolitik betrieben wird.
({12})
Wir müssen als Deutsche dazu beitragen, dass die Stabilität des Euro durch unser Haushaltsgebaren nicht infrage gestellt wird. Außerdem haben wir ein massives
Interesse daran, dass die Glaubwürdigkeit des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch durch unseren Beitrag gewährleistet wird.
({13})
Meine Damen und Herren, dies bringt mich zu einer
zweiten Grundsatzbemerkung: Ein Resultat der von mir
erwähnten weltweiten Finanzkrise ist es, dass plötzlich
die Kreditwürdigkeit ganzer Staaten infrage gestellt ist.
Diese Entwicklung erleben wir gegenwärtig; sie betrifft
selbst die Kreditwürdigkeit von Staaten, die bisher quasi
als unantastbar angesehen wurden. Wenn sich inzwischen selbst die Vereinigten Staaten von Amerika und
das Vereinigte Königreich vergegenwärtigen müssen,
dass sie heruntergerated werden können, was fatale Folgen für ihre Finanzmarktkonditionen hätte, dann liefert
dies eine Vorstellung davon, wie wichtig es gerade in
dieser Situation ist, dass Deutschland seine Bonität auf
den Finanzmärkten nicht verliert.
({14})
Dabei ist unsere Nettokreditaufnahme gar nicht entscheidend. Sie ist, wie ich zugebe, schlimm genug, was
der Situation geschuldet ist. Aber ich möchte Ihnen eine
andere Zahl vortragen, damit Sie eine Vorstellung davon
bekommen, was dies heißt: Die jährliche Bruttokreditaufnahme ist entscheidend. Sie beträgt inzwischen allein
für den Bund wahrscheinlich 330 Milliarden Euro. Das
heißt, wenn wir auf den Finanzmärkten Bonität, Ansehen und Ratings verlören und allein um einen Prozentpunkt - die Fachleute sprechen von 100 Basispunkten heruntergestuft würden, hätten wir es mit zusätzlichen
Zinsausgaben in Höhe von 7 bis 8 Milliarden Euro zu
tun. Dies bitte ich bei Ihren Entscheidungen mit zu bedenken, wenn es um eine neue Schuldenregelung geht.
Hier kommt es auf die Signalwirkung auf die Finanzmärkte an, die unmittelbar - kurzfristig, schon im nächsten Jahr - die Kapitalmarktkonditionen beeinflussen, die
wir als großer Schuldner auf den Märkten zugestanden
bekommen.
({15})
Es gibt ein erstes Missverständnis: Die Schuldenbremse behindert angeblich Investitionen in die Zukunft
unseres Landes. Dies ist falsch. Ich habe versucht, darauf hinzuweisen, dass allein die strukturelle Verschuldung, die wir in Zukunft noch eingehen können, uns des
falschen Investitionsbegriffes enthebt. Ich will Sie jetzt
nicht länger damit konfrontieren, dass neben dieser
Strukturkomponente auch eine Konjunkturkomponente
in dieser Schuldenregelung enthalten ist, die uns wie
auch in der jetzigen Zeit auf der Basis der alten Schuldenregelung reagieren lässt und es uns erlaubt, antizyklisch das zu tun, was notwendig ist, um eine schwierige Wirtschaftslage einigermaßen zu stabilisieren.
Das zweite Missverständnis: Die Schuldenbremse
nimmt der Politik Gestaltungsspielräume. Ich bin bereits darauf eingegangen - ich will dies jetzt nicht im
Einzelnen wiederholen -, dass es um das Gegenteil geht.
Wir stecken in einem Schraubstock der Verschuldung.
Der steigende Schuldenstand und die steigende Zinslastquote verkarsten den Bundeshaushalt zusammen mit anderen Komponenten immer mehr. Anders ausgedrückt:
Wir haben nicht nur ein Niveauproblem in unserer Ausgabenpolitik, sondern wir haben ein Strukturproblem in
unserem Bundeshaushalt. Vier Komponenten legen
80 bis 85 Prozent des Bundeshaushaltes fest:
({16})
die Schulden, die Zahlungen an die Rentenversicherung,
die gesetzlichen Leistungen und die Betriebsausgaben
des Bundes. In Wirklichkeit entscheiden Sie als Souverän des Landes frei nur noch über 15 Prozent des Bundeshaushaltes, mehr nicht.
({17})
- Bin ich so unverständlich, dass Sie mich ständig unterbrechen müssen? Oder warum machen Sie ständig Zwischenrufe?
({18})
Das dritte Missverständnis: Gäbe es die Schuldenbremse in dieser Krise schon, hätte die Politik keine
Konjunkturprogramme auflegen können. Ich habe
versucht, Ihnen im Telegrammstil zu belegen, dass diese
Programme auf Basis der alten Schuldenregelung möglich sind - mit den Risiken, die ich beschrieben habe -,
aber auch auf Basis der neuen Schuldenregelung. Es ist
ein Irrtum, der ständig weitergegeben wird, dass wir
2010/2011 nicht antizyklisch reagieren können. Wir können das auf Basis dieser Schuldenregelung.
Ich will aus Zeitgründen ein letztes Missverständnis
aufgreifen: Die Schuldenbremse entmachte angeblich
die Länder und höhle den Föderalismus aus. Fakt ist:
Die Schuldenbremse schafft weder das Budgetrecht der
Landesparlamente ab, noch widerspricht sie dem föderalen Staatsaufbau. Wenn andere anderer Auffassung sind,
sollen sie den dafür vorgesehenen Weg zum Bundesverfassungsgericht gehen.
Im Übrigen war es der Vorschlag des Bundes, und
zwar sowohl der Vertreter der Exekutive als auch der
Parlamentarier, auf Basis des Maastricht-Kriteriums von
0,5 Prozent den Ländern 0,15 Prozent anzubieten.
({19})
Die Länderfürsten haben sich eine Denkpause genommen. Als Sie wieder hereingekommen sind, haben sie
zum Erstaunen der Bundesvertreter, zumindest vieler,
die hier sitzen, die Strukturkomponente von 0,15 Prozent
nicht angenommen.
({20})
Ich sage etwas flapsig: Das ist doch deren Problem und
nicht mein Problem. Dann sollen sie es regeln.
({21})
Ich habe nichts dagegen, wenn sie diese Position im
Bundesrat verändern.
Wer zukünftig einen handlungsfähigen Staat will, wer
die Gestaltungsfähigkeit der Politik und nachfolgender
Parlamentariergenerationen erhöhen will, der muss dafür
sorgen, dass Schuldenstand und Zinslast reduziert werden. Ein handlungsfähiger Staat braucht langfristig tragfähige öffentliche Finanzen. Langfristig tragfähige
Finanzen sind nur dann gewährleistet, wenn die Verschuldung dauerhaft langsamer wächst als das Bruttoinlandsprodukt. Genau das ist Kern dieser Schuldenregelung. Das ist die Basis der neuen Regelung. In meinen
Augen ist das auch die Basis einer verantwortungsvollen, generationsgerechten Politik. Deshalb müssen wir
mit unserer heutigen Entscheidung endlich die Konsequenz ziehen aus den vielen Reden, in denen wir auf die
Belastung nachfolgender Generationen, unserer Kinder
und Enkelkinder, hinweisen. Sie entscheiden heute, bezogen auf diese Schuldenregelung, ob das wichtige Ziel
der Generationengerechtigkeit verfassungsrechtlich ausgefüllt, belegt und unterstützt wird oder nicht.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({22})
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesfinanzminister, wir stimmen Ihnen zu,
({0})
aber nur in einem Punkt. Auslöser der ganzen Problematik war sicherlich die Reform der ersten Großen Koalition von 1969, als Art. 115 ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Art. 115 bildete das Einfallstor für immer
neue Schulden. Bis 1969 war der Staat weitgehend
schuldenfrei; heute erdrückt uns die Schuldenlast. Kollege Wissing hat das hier deutlich gemacht.
({1})
Hier wird immer wieder die Mär geschürt, dass die
Finanz- und Wirtschaftskrise die bisherige Konsolidierungspolitik unmöglich macht und dazu führt, dass man
mehr Schulden auftürmen muss. Das stimmt nicht. Herr
Finanzminister, ich erinnere daran, dass Sie in Ihrer Regierungszeit 19 Steuer- und Abgabenerhöhungen durchgeführt haben. Sie haben viel mehr Steuereinnahmen.
Trotzdem haben Sie alle Haushalte - auch vor der Krise mit einer Neuverschuldung vorgelegt.
({2})
Man muss dies noch einmal deutlich machen: 2007 waren es 14 Milliarden Euro, 2008 12 Milliarden Euro und
2009 10,5 Milliarden Euro. Das hat mit Konsolidierung
nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({3})
Dass heute ein historischer Tag ist, würde ich nicht
sagen. Wir haben zusammen versucht - Herr Kollege
Struck, ich bin wirklich dankbar für Ihre sachlichen Äußerungen hier -, etwas hinzubekommen.
({4})
Wir haben versucht, ein gemeinsames Konzept zu finden. Wir sind allerdings - das war immer unser Vorwurf weit hinter der Zielsetzung des Einsetzungsbeschlusses
zurückgeblieben.
Im Einsetzungsbeschluss haben wir zum Beispiel die
Länderneugliederung angesprochen. Dieses Thema
wurde in der Kommission überhaupt nicht mehr diskutiert, obwohl es vonseiten der FDP konkrete Vorschläge
für eine Änderung von Art. 29 gab, um zumindest eine
gewünschte Länderneugliederung zu erleichtern. Fehlanzeige!
Im Einsetzungsbeschluss war auch das Thema Steuerautonomie enthalten. Wir haben es auch einige Wochen diskutiert, aber am Schluss: Fehlanzeige! Jetzt haben wir ein Problem bei den Ländern. Wir verpflichten
sie, keine Schulden mehr zu machen, andererseits geben
wir ihnen bei den Einnahmen so gut wie keine Gestaltungsspielräume. Das kann eigentlich nicht sein.
Die Zahlen, die Herr Ramelow - er ist nicht mehr da vorgetragen hat,
({5})
waren schon abenteuerlich. Vielleicht kann man Herrn
Ramelow einmal sagen, dass das gesamte ErbschaftsteuErnst Burgbacher
eraufkommen in Thüringen 7 Millionen Euro im Jahr
beträgt. Nur damit man weiß, worüber man redet.
Einer unserer großen Vorwürfe ist, dass Sie das
Thema Länderfinanzausgleich völlig ausgeklammert
haben. Auch hier einige Zahlen, damit man weiß, worüber man redet. Aus der Antwort der Bundesregierung
auf eine Kleine Anfrage der FDP ergibt sich, dass dem
Saarland von 1 Million Euro zusätzlicher Erbschaftsteuer unter dem Strich gerade einmal 18 000 Euro blieben. Der Rest wird im Rahmen des Länderfinanzausgleichs abgezogen. Der Länderfinanzausgleich ist ein
dermaßen anreizfeindliches System, dass eine Reform
der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ohne Reform des
Länderfinanzausgleichs überhaupt nicht möglich ist. Das
war der Fehler im Ansatz.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man sollte heute
noch über einige andere Dinge reden. Es wird so manches in das Begleitgesetz geschrieben, was völlig unbeachtet bleibt. Es wundert mich zum Beispiel, dass in
Art. 4 des Begleitgesetzes das Gesetz über die Verbindung der informationstechnischen Netze des Bundes
und der Länder eingeführt wird. Das bedeutet, dass die
Netze dann voll in Regierungshand, in der Hand irgendwelcher Kommissionen sind und die Parlamente überhaupt keine Eingriffsmöglichkeit mehr haben. Hier geht
es aber um Grundlagen des Datenschutzes. Dies ist deshalb äußerst kritisch und stößt bei der FDP-Fraktion auf
allergrößte Skepsis.
({7})
Wir haben in der Kommission versucht, eine große
Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hinzubekommen. Ich erinnere noch einmal daran, dass diese
Kommission auf Druck der FDP zustande gekommen
ist. Ich finde es schade, dass die Große Koalition so wenig Mut hatte. Man muss noch einmal deutlich sagen,
dass sich wieder zeigt: Eine Große Koalition steht für
kleine Lösungen; denn kleiner könnte die Lösung fast
nicht sein.
({8})
Wir hatten trotzdem erwogen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen; aber dann hat sich die SPD vier Tage vor der
Entscheidung von diesem Kompromiss, der gemeinsam
getroffen wurde, wieder verabschiedet
({9})
und plötzlich eine andere Lösung für die Länder beschlossen. Es war ein Kompromiss der gesamten Kommission. Sie werden verstehen, dass wir daher nicht
zustimmen können. Ich sage aber ganz klar - ich wiederhole, was mein Kollege Wissing gesagt hat -: Sollte dieser Entwurf unverändert durch den Bundesrat gehen,
dann wird er an der FDP nicht scheitern; dann werden
wir ihm zustimmen. Aber wir werden Ihnen heute keinen Blankoscheck dafür ausstellen, dass Sie nachher
wieder das tun können, was Sie am liebsten tun, nämlich
Schulden machen. Das wird mit der FDP nicht möglich
sein.
({10})
Der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich ist der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Wir stehen heute vor einer historischen Entscheidung. Wir haben die Chance - der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen -, 40 Jahre
nachdem die erste Große Koalition die Schleusen für den
Schuldenstaat geöffnet hat, diese Schleusen wieder zu
schließen. Dies ist ein bedeutender Kraftakt. Erforderlich sind eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.
Wenn in einer Situation, in der die Interessen vielgestaltig und die Interessenkonflikte häufig sind, ein solcher
Kraftakt gemeistert, eine solche gemeinsame Leistung
auf den Weg gebracht werden kann, verdient das Anerkennung und Respekt. Ich halte es für eine politische
Sensation, dass wir dazu heute in der Lage sind.
Noch vor einigen Jahren galt die allgemeine Meinung, es gebe keine ausgeglichenen Haushalte; in den
öffentlichen Haushalten müsse es immer Schulden geben. Als Abgeordneter der CSU sage ich mit einigem
Stolz, dass es Edmund Stoiber, langjähriger Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender in Bayern, war, der vor
über zehn Jahren gesagt hat: Ich will einen ausgeglichenen Haushalt erreichen.
({0})
Er wurde belächelt; aber er hat bewiesen, dass es geht.
Er hat die Stabilitätspolitik hoffähig gemacht. Es war
Theo Waigel - lassen Sie mich auch das mit Stolz anmerken -, der über die Maastricht-Kriterien die Stabilität
zum Maßstab in Europa gemacht hat. Ich denke, das ist
aller Ehren wert.
Mein Kompliment gilt auch den Ministerpräsidenten,
die leider heute nicht hier sind. Sie sind über ihren
Schatten gesprungen. Professor Fuest, Sachverständiger
in der Anhörung und Mitglied des Wissenschaftlichen
Beirats des Finanzministeriums, hat festgestellt: Politik
hat sich parteiübergreifend zu einem beeindruckenden
Schritt entschlossen.
({1})
Ich habe - das gebe ich zu - eine Schuldenbremse für
die Länder nicht für möglich gehalten, weil mir die Vielgestaltigkeit der Interessen zu groß erschien. Ich habe
immer vorgeschlagen, Kollege Kröning: Lasst uns zumindest eine Schuldenbremse für den Bund einziehen;
dann haben wir wenigstens etwas erreicht. - Dass die
Ministerpräsidenten sich zusammengesetzt haben und
alle über ihren Schatten gesprungen sind, in Verantwor24870
Dr. Hans-Peter Friedrich ({2})
tung für eine nachhaltige Finanzpolitik und für den gesamten Bundesstaat, ist aller Ehren wert. Dafür hat auch
Günther Oettinger ein Kompliment verdient, der die
vielgestaltigen Interessen vereint hat.
({3})
Mein Kompliment gilt aber auch den Ministerpräsidenten, deren Länder zu den Geberländern gehören und
die weiteren Konsolidierungshilfen, also neuen Leistungen an die strukturschwachen Länder, zustimmen
müssen. Auch das ist nicht einfach. Sie haben das zum
einen in Verantwortung für den Gesamtstaat getan, zum
anderen aber auch, weil Sie wissen, dass solide Staatsfinanzen langfristig in den Ländern dazu führen, dass
Geld nicht mehr für Zinsen ausgegeben werden muss,
sondern für politische Gestaltung zur Verfügung steht.
Das kommt dann allen zugute und wirkt sich letzten Endes auch beim Länderfinanzausgleich positiv aus.
Es ist Kritik geäußert worden an der Tatsache, dass
wir Jahreszahlen und konkrete Beträge in die Verfassung
schreiben. Aber ich weise darauf hin, dass für einige der
Ministerpräsidenten die Schuldenbremse nur dann ein
Thema war, wenn sie Konsolidierungshilfen bekommen,
und für andere die Zustimmung zu Konsolidierungshilfen nur dann ein Thema war, wenn eine Schuldenbremse
eingezogen wird.
({4})
Beide Seiten haben gleichermaßen auf Rechtssicherheit
in Bezug auf die Befriedigung ihres Anspruches gedrängt. Deswegen ist es richtig, dass wir das beiden Seiten verfassungsfest garantieren. Das bringen wir jetzt auf
den Weg.
Detailregelungen hat Peter Huber, Professor an der
Ludwig-Maximilians-Universität in München, in der
Anhörung angesprochen. Er hat gesagt, als Verfassungsjurist habe er sehr viel Sympathie für die napoleonische
Idee der Verfassung; eine Verfassung müsse kurz und
unklar sein. Aber er hat darauf hingewiesen, dass wir seit
1990 schon einige sehr ausführliche Artikel in die Verfassung geschrieben haben: Art. 13, Art. 16 a, Art. 23,
Art. 143 a und b. Der Sündenfall liegt also schon
20 Jahre zurück.
({5})
Man muss aber eines wissen: Die Schuldenbremse
funktioniert nur, wenn wir minutiös festschreiben, dass
das Geld zurückzuzahlen ist. Sie wissen, wie es mit allgemeinen und wertungsoffenen Begriffen ist. Wenn in
der Verfassung steht, dass Schulden erst dann gemacht
werden dürfen, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, fragt sich jeder, was das bedeutet.
Die Antwort ist ganz einfach: wenn der Bundestag es beschließt. So können wir keine Schuldenbremse machen.
Wir müssen eine Regelung in die Verfassung schreiben,
die nicht manipulierbar bzw., wie Professor Huber sagt,
die justiziabel ist. Wir haben eine Schuldenbremse geschaffen, die justiziabel ist und dazu führen wird, dass
die Schulden in angemessener Form zurückgeführt werden.
({6})
Die Staatlichkeit der Länder wird durch die Schuldenbremse nicht berührt. Auch das war Thema vieler Erörterungen in den letzten Wochen. Professor Lange hat
in der Anhörung zu Recht darauf hingewiesen, dass es
Solidarität des Gesamtstaates nicht nur beim Ausgeben
von Geld geben darf, sondern auch beim Sparen und
beim Erbringen von Opfern für die finanzielle Stabilität
des Landes geben muss. Ich denke, das ist ein wichtiger
Punkt.
Lieber Herr Kuhn, Sie haben gesagt, die Länder seien
in den nächsten Jahren völlig frei in der Entscheidung,
ob sie Schulden machen oder nicht. Das ist nicht richtig.
({7})
Wir schreiben im neuen Art. 143 d des Grundgesetzes ich bitte, das nachzulesen - vor, dass sich diejenigen, die
Konsolidierungshilfen haben möchten, bestimmten Auflagen unterwerfen müssen.
({8})
Sie müssen sich der Nullverschuldung in Schritten nähern. Das beginnt im übernächsten Jahr und wird schrittweise bis zum Jahr 2019/2020 vollendet sein. Darum
geht es.
({9})
Professor Fuest, ebenfalls Sachverständiger in der
Anhörung, hat darauf hingewiesen, dass es in den meisten OECD-Ländern in den letzten drei Jahrzehnten Versuche gab, Schuldenbremsen einzuführen. Es gibt eine
ausführliche Forschung zu diesem Thema. Das Ergebnis
dieser Forschung ist: Dort, wo Schuldengrenzen eingeführt wurden, werden tatsächlich weniger Schulden gemacht.
({10})
Ich denke, das sollte uns optimistisch stimmen.
Wir haben im Verwaltungsteil die Möglichkeit eines
Leistungsvergleichs zwischen den Ländern eingeführt.
Wie soll dieser Leistungsvergleich aussehen? Wir wollen, dass in diesem föderalistischen Staat auf allen Ebenen ständig um die besten und effizientesten Lösungen
gerungen wird. Das ist eine Aufgabe, die sich jedem von
uns jeden Tag stellt. Der Föderalismus ist ein Gestaltungswettbewerb, in dem um die besten Lösungen gerungen wird.
Dies wird offensichtlich auf der linken Seite des Hauses nicht verstanden. Lieber Herr Ramelow, zu dem, was
Sie hier offensichtlich im Namen aller Sozialisten aller
Fraktionen zum Thema Steuern erklärt haben, fällt mir
Folgendes ein: Das Einzige, so sagte Winston Churchill,
was Sozialisten von Geld verstehen, ist, dass sie es von
anderen haben wollen.
Dr. Hans-Peter Friedrich ({11})
({12})
Das habe ich inzwischen begriffen. Aber es ist unmoralisch,
({13})
das Geld von künftigen Generationen zu nehmen,
({14})
die sich heute nicht wehren können, und sie somit ihrer
Chancen, Möglichkeiten und Spielräume zu berauben,
die sie brauchen, um ihren Herausforderungen gerecht
zu werden.
({15})
Wir stoppen heute den Weg in den Verschuldungsstaat. Das ist verantwortungsvoll gegenüber der Zukunft,
gegenüber der jungen Generation. Ich bitte Sie deswegen um Zustimmung.
Vielen Dank.
({16})
Volker Kröning ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! In der ersten Lesung dieses Gesetzespakets sind die Ergebnisse der Föderalismuskommission II gewürdigt worden. Heute sind wir in der
zweiten und dritten Lesung. Die Anhörung zu dem Gesetzespaket hat ergeben, dass unter den Ökonomen, Juristen und Politikwissenschaftlern, die wir gehört haben,
überwiegend Zustimmung besteht. Der Rechtsausschuss
und die mitberatenden Ausschüsse sind diesem Ergebnis
gefolgt. Sie empfehlen allesamt die Annahme des Pakets
mit Zweidrittelmehrheit. Es tut mir leid, dass die FDP
nicht dabei ist; aber das muss sie mit sich selbst ausmachen.
Die Abwägungen, die uns zu der heutigen Empfehlung geführt haben, hat der Fraktionsvorsitzende der
SPD und vom Bund gestellte Kommissionsvorsitzende
vorgetragen. Das lässt keine Zweifel, verehrter Herr
Kauder, dass wir - auch bezüglich der Vereinbarungen,
die den Entscheidungen zugrunde gelegen haben - koalitionstreu geblieben sind. Es freut mich, dass das auch
nicht angezweifelt wird. Dies unterstützt die Einmütigkeit der Koalition.
Den Kernpunkt des Gesetzespakets haben die Kollegin Tillmann und der Bundesfinanzminister hinreichend
und eindrucksvoll zusammengefasst, nämlich die
Neufassung der verfassungsrechtlichen Kreditgrenzen.
Ich brauche das nicht zu wiederholen. Ich kann mich
dem voll anschließen, sowohl unter rechtspolitischer als
auch unter ökonomischer Betrachtung.
Es wird deutlich, dass der Finanzpakt zwischen Bund
und Ländern, der Ihnen vorliegt, ein für die Finanzverfassung typischer Interessen- und Machtkompromiss ist.
Es kommt allerdings vor allem auf die Innovationen hinter dieser Technik an. Als Haushälter möchte ich namens
der SPD-Fraktion drei Punkte ansprechen.
Erstens. Leitprinzip der gesamtstaatlichen Haushaltswirtschaft soll werden, was für die Bürgerinnen und
Bürger selbstverständlich ist, nämlich nicht mehr auszugeben, als man einnimmt. In konjunkturell schlechten
Zeiten dürfen Kredite aufgenommen werden, in konjunkturell guten Zeiten sind sie zurückzuzahlen. In einer
Extremsituation können die Obergrenzen, die für Bund
und Länder gelten, überschritten werden. Dieser Beschluss, der nur mit Kanzlermehrheit gefasst werden
kann, ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Das
heißt, die neue Richtschnur lautet: Kredite sind zulässig,
aber zurückzuzahlen. Kredit und Tilgung gehören zusammen. Das ist eine Lehre, die gerade aus der aktuellen
Finanzkrise zu ziehen ist.
({0})
Zweitens. Die Bewältigung der Krise, in der wir uns
befinden und über deren Ursachen und Folgen wir noch
nicht genug wissen - das enthebt uns übrigens nicht unserer politischen Entscheidung, sondern fordert die Politik in einem ungewöhnlichen und neuartigen Sinne -,
folgt in den Jahren 2009 und 2010 noch dem alten Recht,
ab dem Jahre 2011 dann dem neuen Recht. Für den Bund
gilt eine Anpassungsstrecke bis 2015, für die Länder bis
2019.
Leise, aber deutlich füge ich hinzu: Die Beseitigung
der Folgen der Aufnahme außerordentlicher Kredite
wird in den nächsten Jahren eine Höchstanforderung an
die Politik sein, nicht nur mit Blick auf den Bundeshaushalt, sondern auch mit Blick auf die Nebenhaushalte.
Dies gilt nicht nur für die Ausgabenseite, sondern auch
für die Einnahmeseite der Haushalte, kurz: für den Steuerzahler, der für jede Leistung eine Gegenleistung erwartet, so für die Leistung der Krisenbewältigung die
Gegenleistung der Rücksichtnahme auf seine Steuerzahlung. Das schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern;
das muss heute deutlich gesagt werden. Deshalb entscheiden wir heute über dieses Regelwerk. Die Bürgerinnen und Bürger wissen viel besser, als wir manchmal
glauben, worum es geht, nämlich darum, die Krisenbewältigung nicht zum Vorwand für eine neue Schuldeneskalation werden zu lassen.
Drittens. Im Kern geht es nicht um die Haushaltsumfänge, sondern um die Haushaltsstrukturen. Dabei sind
neben der Ausgaben- und der Einnahmeseite besonders
die Investitionen in Sach- und Humanwerte ins Auge
zu fassen. Dieser Bereich wird in den nächsten Jahren
die größte Bewährungsprobe für die gesamtstaatliche
Bildungspolitik sein. Das ist ein Kernanspruch der Bürgerinnen und Bürger, aber auch ein Kerninteresse unseres Landes im internationalen Umfeld. Es ist bereits
deutlich gemacht worden: Nur so lässt sich eine sowohl
konjunkturgerechte als auch zukunftsorientierte Finanzpolitik betreiben.
Ein weiterer Schwerpunkt der Reform ist die Weiterentwicklung der kooperativen Umgangsformen der Gebietskörperschaften: beim Steuervollzug auf der Basis
des geltenden Art. 108 Grundgesetz, bei den öffentlichen
Informations- und Kommunikationssystemen, bei einem kontinuierlichen Leistungsvergleich zwischen den
Verwaltungen von Bund und Ländern und insbesondere
mit der Errichtung des Stabilitätsrates zur Überwachung
der gesamtstaatlichen Haushaltswirtschaft. Wer den Umgang von Bund und Ländern, zum Beispiel im Rahmen
der Finanzministerkonferenz, viele Jahre miterlebt hat,
der weiß, welch wichtige Innovation das ist. Ich freue
mich, dass Sie, Herr Kollege Dr. Friedrich, gerade den
kooperativen Gedanken betont haben, und zwar nicht in
einem versteinerten, sondern in einem dynamischen
Sinne.
Ich wiederhole, was ich schon angedeutet habe: Eine
besondere Bewährungsprobe steht der Bildungs- und
Wissenschaftsverfassung der Bundesrepublik bevor. Es
wird von großer Bedeutung sein, wie sie sich nach den
zwei Schritten der Bundesstaatsreform, die in diesem
Jahrzehnt durchgeführt worden sind, entwickelt. Wir haben nicht nur eine striktere Trennung und somit eine bessere Zurechenbarkeit der Verantwortung, sondern auch
mehr Zusammenwirken erreicht, sowohl bei der Forschung - das darf man nicht verkennen - als auch bei der
Bildungsberichterstattung. Sie ist allemal besser als die
frühere, völlig funktionslos gewesene Bildungsplanung.
Jetzt geht es um die Frage: Werden die Vereinbarungen des Bildungsgipfels 2008, die die Bundeskanzlerin
und 16 Ministerpräsidenten getroffen haben, umgesetzt?
Werden sie, wie das die Bürgerinnen und Bürger erwarten, nicht nur parlamentarisch vom Bundestag, sondern
auch föderal, nicht nur vom Bund und den Ländern, umgesetzt? Werden sie so umgesetzt, dass in unserer Gesellschaft mehr Integration und Chancengleichheit erreicht werden? Werden sie so umgesetzt, dass sie auch
ökonomisch wirksam werden? Dies geht, so sage ich
ganz klar, mit der Verfassung
({1})
und setzt keine weitere Änderung der Verfassung voraus.
Bundesstaat für die Menschen - um einmal ein Leitbild deutlich zu machen - heißt, dass Familien in allen
Ländern und Gemeinden die bestmögliche Bildung unabhängig von Grenzen in Anspruch nehmen können. Ich
drücke es mit dem Preußischen Ministerpräsidenten Otto
Braun und dem Bremer Bürgermeister Martin Donandt
so aus: zusammenarbeiten, als ob es Grenzen nicht
gäbe. - Das sage ich als überzeugter Föderalist.
Die Fragen, um die es nach diesem Jahrzehnt im
nächsten Jahrzehnt gehen wird, sind angedeutet worden:
die Tauglichkeit der Steuerverteilung, ihrer Maßstäbe,
aber auch ihrer Berechnung, und eine aufgabenadäquate
Finanzausstattung - auch dieses Thema wird über den
einen Bund und die 16 Länder hinaus auch für die über
12 000 Gemeinden von Bedeutung bleiben. Kurz gesagt
- so, wie wir es im Koalitionsvertrag gesagt haben; wir
brauchten nicht die FDP, um uns auf diesen Weg zu machen -: Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften, die den Namen verdient.
Dabei darf keine Politik, die sich dem Gesamtstaat
verpflichtet fühlt, sei es nun die Bundespolitik oder die
Politik der Ländergesamtheit, aus den Augen verlieren,
dass noch immer 60 Prozent der Schulden - in Kürze sogar deutlich mehr - auf den Schultern des Bundes lasten,
der Bund aber nur 40 Prozent der Einnahmen - ohne
Kredit - erhält. Ich möchte hier heute noch einmal deutlich sagen: Das kann mit Blick auf die nächste Dekade
so nicht bleiben.
({2})
Zum Schluss will ich danken: den langjährigen Weggefährten in meiner Fraktion und Partei, die sehr mitgeholfen haben, die Ergebnisse der Föderalismusreformen I und II zu erreichen, den Partnern in der Union, auf
die Verlass ist, den Mitarbeitern der Verwaltungen und
auch der Arbeitsgruppen, auf deren Gewissenhaftigkeit
- das darf man Beamten konzedieren - wir bauen konnten, und stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich als Obmann zusammengearbeitet
habe - auch auf den anderen Politikfeldern -, Dr. Peter
Struck. Vielen Dank.
Ich bitte um Annahme des Pakets.
({3})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dr. Günter Krings für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Ich darf zunächst einmal im Anschluss
an die Worte von Herrn Kollegen Kröning dieses Lob
zurückgeben. Es hat Spaß gemacht, in den beiden Föderalismuskommissionen mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
Das war eine gute Zeit hier im Parlament und war eine
gute Arbeit für den Deutschen Bundestag und das Land
insgesamt.
({0})
Wenn man in diesen Tage einerseits auf der Zielgeraden zur Schuldenbremse im Rahmen der Föderalismusreform steht und andererseits sieht, dass wir durch die
Finanzmarktkrise gezwungen sind, eine Rekordneuverschuldung zu akzeptieren, dann kann einem schon einmal ein Satz von Mark Twain nachdenklich machen:
Als sie das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengungen.
Im Unterschied zu Twains Romanhelden Huckleberry
Finn, der aussichtslos einem Mississippi-Dampfer hinterherpaddelte, haben aber wir ein klares Ziel vor Augen,
und wir werden mit der Föderalismusreform gleich hofDr. Günter Krings
fentlich auch einen klaren Kurs abstecken, auf dem wir
dieses Ziel - runter mit der Neuverschuldung, Neuverschuldung möglichst bei null - erreichen können.
Dies ist deshalb wichtig, weil sich die Politik auch in
der Demokratie immer einem Dilemma ausgesetzt sieht.
Schulden sind heute immer ein relativ bequemer Ausweg, um möglichst vielen Interessen Rechnung tragen
zu können. Diejenigen, die durch Schulden belastet werden können - eben künftige Generationen -, haben heute
im politischen Prozess noch gar keine Stimme, egal wie
tief man das Wahlalter ansetzt. Diejenigen, die Opfer
dieser Schuldenpolitik sein werden, sind heute noch gar
nicht geboren.
({1})
Aus dem Grunde ist im Verfassungsstaat die einzige
Möglichkeit, dieses Dilemma wenigstens ein Stück weit
aufzulösen, eine verfassungsrechtliche Selbstbeschränkung. Genau das versuchen wir mit dieser Föderalismuskommission: eine Selbstbindung von Regierung und
Parlament, eine Selbstbindung von Bund und Ländern.
Die Schuldenbremse - darauf haben die Redner der
FDP gerade hingewiesen - mag nicht perfekt sein. Sie ist
aber ein realistischer und konsequenter Ansatz, der deutlich über das hinausgeht und besser ist als das, was vor
knapp 40 Jahren im Deutschen Bundestag beschlossen
worden ist. Wir gehen ab von dem Prinzip, so viele
Schulden machen zu dürfen, wie wir investieren, weil es
nicht funktioniert hat. Die bestehende Schuldenregelung
im Grundgesetz hat fast 40 Jahre Zeit gehabt, eindrucksvoll ihre Untauglichkeit zu beweisen. Wir haben jetzt die
Wahl, das einfach weiter hinzunehmen oder zumindest
einen wichtigen Schritt in Richtung weniger Neuverschuldung zu machen.
({2})
Das ist deutlich besser als gar nichts. Mir ist ein halbes
Brot allemal lieber, als gar kein Brot zu bekommen.
({3})
Jetzt ist also die Zeit für einen neuen Anfang. Ich
finde es gut, Herr Kuhn, dass wir uns im Grundsatz auch
mit den Grünen einig sind. Aber in den sieben Jahren
Rot-Grün habe ich Ihr Engagement für weniger Schulden vermissen müssen. Wer sieben Jahre Zeit hatte, etwas zu tun, aber nichts getan hat, sodass in jedem Haushalt eine deutliche Neuverschuldung notwendig wurde
- ohne eine Finanzmarktkrise -, der sollte zumindest die
Chance ergreifen, dass diese Selbstbeschränkung eine
Besserung herbeiführt.
({4})
Ich will noch auf einige Kritikpunkte eingehen. Ein
wesentlicher Kritikpunkt, der auch von einigen Ländern
vorgetragen wurde, war, wir würden ungebührlich in die
Haushaltsautonomie der Länder eingreifen. Dieser
Kritikpunkt relativiert sich schon ein ganzes Stück,
wenn man einen Blick in den jetzigen Text der Finanzverfassung wirft. Dieser Text beinhaltet ebenfalls eine
Reihe von Einschränkungen für die Länder. Darauf gehe
ich gleich ein.
Insgesamt gebietet es der solidarische Verbund zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern
untereinander auch, dass das Grundgesetz Regelungen
vorsieht, die auch die Länder binden. Das Grundgesetz
ist voll mit solchen Bindungen für die Länder, angefangen bei den Grundrechten bis zu dem Homogenitätsgebot nach Art. 28 Abs. 1 und speziell dem Sozialstaatsprinzip, das übrigens immense Kostenfolgen für die
Länder hat. Es ist für die Länder eben nicht zum Nulltarif zu haben. Wir geben klare Vorgaben, die die Länder
einhalten müssen. Das ist auch nicht erstmalig in der
neuen Finanzverfassung der Fall. In der geltenden Finanzverfassung gibt es bereits sehr starke Eingriffsmöglichkeiten. Im Falle der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts kann der Bundesgesetzgeber heute
schon sogar Kreditobergrenzen für die Länder vorschreiben, ja er kann die Länder sogar verpflichten, Rücklagen
bei der Bundesbank zu bilden. Das ist geltendes Verfassungsrecht, das bislang von niemandem in Karlsruhe angegriffen wurde.
Auf einen Punkt muss ich in diesem Zusammenhang
noch hinweisen. Ich habe mich etwas geärgert, dass die
Landtagsvertreter, die in die Föderalismuskommission
miteingebunden waren, jetzt - zum großen Teil jedenfalls - kritisieren, dass sie in ihrer Autonomie zum
Schuldenmachen eingedämmt werden, aber den Ländern, die eine Steuerautonomie für sich gefordert haben,
nicht beigesprungen sind.
({5})
Haushaltsautonomie kann nicht erst dann beginnen,
wenn man Schulden machen will; sie muss - wenn ich
sie richtig verstehe - umfassend gemeint sein. Das gilt
dann für Einnahmen und Ausgaben.
({6})
Ein zweiter Kreditpunkt, der von vielen Stellen in diesem Hause vorgetragen worden ist, betrifft den Text der
Verfassungsänderung: Er sei zu lang und zu detailreich.
Nach 60 Jahren Grundgesetz mag ein wenig Nostalgie
mitschwingen, dass man schaut: Wie war es damals, wie
ist es heute? Die Verfassungsänderung heute findet aber
unter völlig anderen Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen statt als die Verfassungsgebung vor 60 Jahren. 1949
war Deutschland zwar ökonomisch eine Trümmerwüste,
aber juristisch war es eine echte Stunde null. Um mit
John Rawls zu sprechen: Es lag ein Schleier des Nichtwissens über dieser Verfassungsgebung. Es war eben
nicht klar, welches Land besonders stark und welches
besonders schwach herauskommen würde und wie die
einzelnen Rollen - auch in ökonomischer Hinsicht - im
Bundesstaat verteilt werden würden. Es gab eine gewisse Bereitschaft, ein Wagnis einzugehen. Das ermöglichte damals, nach der Maxime Napoleons zu handeln,
der einmal gesagt haben soll: Verfassungen müssen kurz
und unklar sein.
2009, 60 Jahre später, sind die Bedingungen vollkommen anders. Nach 60 Jahren Bundesstaatspraxis ist diese
konsensfördernde Unkenntnis verschwunden. Jeder weiß
genau, wo er steht. Bildlich gesprochen: Bei einer Föderalismusreform sitzt jeder Verhandlungspartner schon
mit dem Taschenrechner auf den Knien am Tisch und
rechnet auf Punkt und Komma aus, was das für ihn in
Euro und Cent bedeutet, was er verliert und was er
gewinnen kann. Das macht es schwer bzw. unmöglich,
wolkige und allgemeine Formulierungen hineinzuschreiben. Das verlangt nach sehr konkreten und präzisen
Regelungen. Das kann man kritisieren, aber das ist die
Realität. Wer das nicht erträgt, muss bereit sein, auf Verfassungsänderungen, die notwendig sind und die Lücken
schließen, generell zu verzichten. Er würde den Verfassungsstaat zu Untätigkeit und Unveränderbarkeit verurteilen. Genau das wäre sicherlich nicht im Sinne der
Mütter und Väter unseres Grundgesetzes.
Es gab auch manchen gut gemeinten Vorschlag im
Rahmen der Beratungen im Deutschen Bundestag. Ich
gebe gern zu, dass das Ziel vieler Vorschläge eine Verschlankung und vielleicht eine bessere Lesbarkeit der
Texte war. Aber diejenigen, die solche Vorschläge unterbreitet haben, haben verkannt, dass selbst scheinbar wenig bedeutende Nebensätze eine klare normative Wirkung bei dieser Reform haben. Ich nenne als Beispiel,
das in starkem Maße auch die Kommunen betrifft,
Art. 104 b des Grundgesetzes. Hier gab es den Vorschlag, der Bund solle Finanzhilfen für alle außergewöhnlichen Notsituationen auch außerhalb seiner Gesetzgebungskompetenz geben können und nicht nur für
diejenigen, die dem staatlichen Einfluss entzogen sind.
Das hätte die Tore viel weiter geöffnet, als wir von der
Union das wollten. Das, was wir mit der letzten Föderalismusreform geschafft haben, wäre dann in der Tat weitgehend zurückgedreht worden.
Wir nehmen nun eine sachgerechte Öffnung vor, gehen aber nicht weiter, als es in der Sache geboten ist. Die
aktuelle Wirtschaftskrise zeigt, dass diese Öffnung richtig ist. Wer hier die reine Lehre vertritt und sagt, gemäß
der Trennung von Bund und Ländern und im Sinne eines
echten Gestaltungs- oder Wettbewerbsföderalismus
müssten die Finanzhilfen ganz zurückgefahren werden,
der hätte in der aktuellen Wirtschaftskrise konsequenterweise nur vorschlagen dürfen: Die Länder bekommen
befristet Einnahmen aus zwei oder drei Mehrwertsteuerpunkten, und der Bund legt kein Konjunkturprogramm
auf. Er hält sich aus allen Maßnahmen heraus und überlässt alles den Ländern. - Einen solchen ernst gemeinten
Vorschlag gab es von keiner Seite dieses Hauses. Das ist
auch nachvollziehbar. Aus diesem Grund ist die Öffnung, die wir in Art. 104 b des Grundgesetzes vornehmen, richtig und notwendig.
Diese Öffnung ist dringend notwendig; denn viele
Kommunen in Deutschland sind nach wie vor verunsichert, ob ihre Projekte, die mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket II finanziert werden sollen, verfassungskonform sind. Wenn wir aber Stimulanz durch diese
Konjunkturpakete wollen, dann müssen wir auch dafür
sorgen, dass das Geld tatsächlich ausgegeben werden
kann. Viele Kommunen schauen uns heute zu und warten ab, ob die geplante Verfassungsänderung Realität
wird. An die Adresse derjenigen, die diese Verfassungsänderung ablehnen, sich enthalten oder das Ganze im
Bundesrat stoppen wollen, sage ich: Es herrscht Zeitdruck. Wer dieses Projekt auch nur für einige Wochen
aufhält, verhindert, dass Städte, Gemeinden und Kreise
in Deutschland zeitnah dieses Geld ausgeben können.
({7})
Ich finde, die nun zu beschließende Föderalismusreform bietet eine historische Chance für mehr Generationengerechtigkeit. Diese Chance zu verspielen, wäre
unklug und leichtfertig, weil wir angesichts der Finanzmarktkrise und der Notwendigkeit neuer Schulden die
Verschuldungsschleusen in diesen Tagen ein Stück weit
wieder öffnen müssen. Wenn wir aber nicht gleichzeitig
einen Schließmechanismus in das Grundgesetz einbauen, dann wird eine ganze politische Generation in
Deutschland - so befürchte ich - daran verzweifeln, die
Schleusentore wieder zu schließen. Wir müssen beides,
Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf der
einen Seite sowie die Notwendigkeit, in dieser Krise zu
reagieren, auf der anderen Seite, miteinander verbinden.
({8})
Wir als Union und die Große Koalition nehmen diese
Herausforderung - ich hoffe, möglichst einstimmig - an.
Wir handeln verantwortlich, weil wir gerade in der Krise
diese Schuldenbremse verabschieden wollen. Ich hoffe,
dass möglichst viele Mitglieder aller Fraktionen in diesem Hause dem zustimmen können.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13221, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12410
in der Ausschussfassung anzunehmen. Mir liegen per-
sönliche Erklärungen zur Abstimmung aus fast allen
Fraktionen des Hauses zu diesem Gesetzentwurf vor, die
wir nach dem üblichen Verfahren dem Protokoll beifü-
gen.1)
({0})
- Darf ich einen Augenblick um Aufmerksamkeit
bitten? - Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme dieses Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei
1) Anlagen 2 bis 11
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich ist. Das sind mindestens 408 Stimmen. Wir
stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD namentlich ab. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstimmung.
Gibt es noch einen Kollegen oder eine Kollegin, die
ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.
Da die Begleitgesetze in einem logischen Zusammenhang mit den gerade zur Abstimmung stehenden Grundgesetzänderungen stehen, schlage ich im Einvernehmen
mit den Geschäftsführern vor, dass ich bis zur Vorlage
des Auszählungsergebnisses dieses Abstimmungsvorganges die Sitzung kurz unterbreche. Das wird voraussichtlich nur wenige Minuten dauern. Deswegen möchte
ich Sie bitten, hierzubleiben, weil wir unmittelbar danach über die Begleitgesetze zur Föderalismusreform
abstimmen.
Die Sitzung ist für diesen kurzen Augenblick unterbrochen.
({1})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksachen 16/12410 und
16/13221 - bekannt: abgegebene Stimmen 575. Mit Ja
haben gestimmt 418,
({0})
mit Nein haben gestimmt 109, enthalten haben sich
48 Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzentwurf hat
die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit erreicht
und ist damit beschlossen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 575;
davon
ja: 418
nein: 109
enthalten: 48
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
({2})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({3})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({8})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({9})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({10})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({11})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({12})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({13})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({14})
Stefan Müller ({15})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({16})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Präsident Dr. Norbert Lammert
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({17})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Albert Rupprecht ({18})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({19})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({20})
Andreas Schmidt ({21})
Ingo Schmitt ({22})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({23})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({24})
Gerald Weiß ({25})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({26})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({27})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({28})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({29})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({30})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
({31})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({32})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({33})
Frank Hofmann ({34})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({35})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({36})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({37})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({38})
Michael Müller ({39})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({40})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({41})
Michael Roth ({42})
Marlene Rupprecht
({43})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({44})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({45})
Silvia Schmidt ({46})
Renate Schmidt ({47})
Heinz Schmitt ({48})
Carsten Schneider ({49})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({50})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Präsident Dr. Norbert Lammert
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({51})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Uta Zapf
Brigitte Zypries
FDP
Florian Toncar
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
CDU/CSU
SPD
Niels Annen
Klaus Barthel
Marco Bülow
Renate Gradistanac
Wolfgang Gunkel
Helga Lopez
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Mechthild Rawert
Sönke Rix
René Röspel
Ortwin Runde
Swen Schulz ({52})
Frank Schwabe
Andreas Steppuhn
Dr. Rainer Tabillion
Rüdiger Veit
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({53})
FDP
Uwe Barth
Dr. Werner Hoyer
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({54})
Volker Schneider
({55})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({56})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({57})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({58})
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Enthalten
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({59})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({60})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({61})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
({62})
Detlef Parr
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({63})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({64})
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf der Drucksache 16/13232? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ent-
schließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf der Drucksache 16/13231? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Ent-
schließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13230? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 36 b. Es
geht um die Abstimmung über den von den Fraktionen
der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines
Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform. Der
Rechtsauschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13222, den Gesetzentwurf der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12400
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
Präsident Dr. Norbert Lammert
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die diesem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erhe-
ben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
ist auch dieser Gesetzentwurf mit der notwendigen
Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b so-
wie die Zusatzpunkte 7 a und 7 b auf:
37 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn, Volker Beck ({65}), Monika
Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundrecht auf Datenschutz im öffentlichen
und privaten Bereich stärken
- Drucksache 16/13170 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({66})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Silke Stokar von Neuforn,
Jerzy Montag, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({67})
- Drucksache 16/9607 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({68})
- Drucksache 16/13218 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gisela Piltz
Silke Stokar von Neuforn
ZP 7 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksachen 16/10529, 16/10581 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksache 16/31 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({69})
- Drucksache 16/13219 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gisela Piltz
Silke Stokar von Neuforn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses ({70})
zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Datenschutz beim so genannten Scoring
- Drucksachen 16/683, 16/13219 Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gisela Piltz
Silke Stokar von Neuforn
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen heute über den von den Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes, aber auch über einen von der Bundesregierung
eingebrachten Gesetzentwurf zum sogenannten Scoring.
Datenschutz ist zum zentralen Anliegen unserer Gesellschaft geworden, einer Gesellschaft im Informationszeitalter. In einer Zeit, die von einer Automatisierung der Datenverarbeitung geprägt ist und in der uns
das Internet mit Daten aller Art zuschüttet, erleben wir
eine Datenflut. Das muss natürlich zur Folge haben,
dass der Schutz der Daten im Rahmen dieser Datenflut
neu organisiert wird.
Wir als Koalition haben uns dem Thema Datenschutz
gestellt und uns monatelang in Verhandlungen zwischen
SPD und Union sowie mit den betroffenen Verbänden
und den Datenschützern mit diesem Thema befasst.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem beachtenswerten Urteil aus dem Jahre 1983, wie Sie wissen,
das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
sozusagen eingeführt. Eine weitere wichtige Entscheidung im Bereich Datenschutz ist im Februar vergangenen Jahres zur Onlinedurchsuchung ergangen. Hier
wurde das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität bei Nutzung informationstechnischer Systeme begründet - ein weiterer Baustein für eiDr. Hans-Peter Uhl
nen effizienten Datenschutz. Wer diese Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichtes jetzt in Grundgesetzartikeln normieren will, macht etwas, was nicht zwingend
nötig ist; denn es handelt sich bereits um materiell geltendes Verfassungsrecht, wie Juristen schon im ersten
Semester in Staatsrechtsvorlesungen lernen.
({0})
- Sinnvoll kann es dann sein, wenn man sich mit den
einfachgesetzlichen Fragen befasst. Das will ich hier
heute tun.
({1})
Es ist zunächst einmal eine Verlagerung des Problems
festzustellen. Es geht nicht mehr in erster Linie um die
Festlegung von Abwehrrechten des Bürgers gegenüber dem Staat. In diesem Bereich liegen erkennbar
nicht die Hauptprobleme, die zu regeln sind.
({2})
Es geht nämlich nicht um den öffentlichen Bereich, sondern um den privaten Sektor, also den Datenschutz in
diesem Bereich.
Der Staat - das hat, wie ich meine, die Diskussion zur
Onlinedurchsuchung durchaus auch ergeben - muss verantwortungsbewusst mit den Daten, die er sammelt, umgehen, und der Bürger muss vor einer unverhältnismäßigen Datensammelwut des Staates geschützt werden. Der
Staat - all das haben wir über eine Vielzahl von Sicherheitselementen in das Gesetz zur Onlinedurchsuchung
eingebaut - kann nicht willkürlich im Wege der Onlinedurchsuchung Daten erheben und auf die Festplatten der
Bürger zugreifen. Wir haben einen Richtervorbehalt eingebaut; all das geht also nur, wenn ein Richter zustimmt.
Wir haben entsprechende Befugnisse nur dem Präsidenten gegeben und nicht einfachen, kleinen Mitarbeitern.
Wir haben die Verwertung geregelt, also wie mit erkennbar privaten Daten, auf die man dabei stößt, umzugehen
ist. All dies haben wir in einem sehr komplizierten Gesetzeswerk minutiös geregelt. Das Verhältnis zwischen
Bürger und Staat im Umgang mit entsprechenden Daten
und der Schutz dieser Daten sind also sehr sensibel geregelt worden.
Die Datenskandale, die uns im vergangenen Jahr und
auch schon in diesem Jahr bewegten - es wird wahrscheinlich in den kommenden Monaten noch weitere geben -, waren völlig anderer Natur. Mit diesen Skandalen
verbindet man die Namen Lidl, Telekom, Post und Deutsche Bahn, um nur einige zu nennen. Die Liste mit den
Namen von privaten oder privatisierten Firmen, die im
Umgang mit den schützenswerten, intimen Daten ihrer
Mitarbeiter bzw. von deren Angehörigen jede Sensibilität vermissen lassen, wird sich - davon bin ich zutiefst
überzeugt - fortsetzen. Das ist der Punkt, um den es
geht: Wie können wir verhindern, dass im privaten Sektor Ausspähung durch den Arbeitgeber erfolgt?
Wir führen in der Koalition seit langem Gespräche
darüber, ob wir das noch in dieser Legislaturperiode leisten können. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Wir
sollten diesem Thema Aufmerksamkeit schenken und
werden in einem neu geschaffenen § 32 BDSG die für
den Arbeitnehmerdatenschutz geltenden Rechtsgrundlagen, ohne sie zu verändern, noch einmal aufzeigen,
wissend, dass wir in der nächsten Legislaturperiode, wer
auch immer dann die Mehrheit haben wird, das Thema
Arbeitnehmerdatenschutz sehr sorgfältig und grundsätzlich in einem eigenen Gesetz behandeln müssen.
({3})
Ich bitte deswegen, diesen § 32 BDSG, der hoffentlich in
der nächsten Sitzungswoche behandelt wird, nicht als
abschließende Behandlung dieses Themas, sondern als
Einstieg in eine grundsätzliche Diskussion zu verstehen.
Was heute schon behandelt werden kann, ist das
Scoring. Auf dieses Thema wird meine Kollegin Frau
Philipp nachher ausführlich eingehen. Unsere Vorschläge bringen deutliche Verbesserungen für die Betroffenen. Man soll erfahren können, was Auskunfteien über
einen an Daten sammeln, wie der Score-Wert für einen
berechnet wird und was er bewirken kann. Dadurch wird
im Bereich des Scoring Transparenz geschaffen. Deswegen sind wir mit dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen
heute vorlegen können, sehr zufrieden.
Wir, die Unionsfraktion, genauso aber die SPD, haben, auch gemeinsam, in einer Anhörung mit der Wirtschaft, mit Verbraucherschutzverbänden, mit Datenschützern, eine Unzahl von Gesprächen geführt, um
Verbesserungen beim privatwirtschaftlichen Datenschutz herbeizuführen. Wir haben es hier mit einem Zielkonflikt zu tun, der uns allen bewusst sein muss: Einerseits gibt es das Recht des Bürgers auf informationelle
Selbstbestimmung, andererseits gibt es berechtigte Interessen der gewerblichen Wirtschaft an der Nutzung von
bestimmten Daten zu Werbezwekken. Die Wirtschaft
muss wirksam werben können. Dazu gehört auch adressierte Werbung, die wir nicht verurteilen, sondern zulassen wollen.
Die Frage ist nur: Wie kommt die Wirtschaft an diese
Daten, und wie kann sich der Bürger, der solchermaßen
beworben wird, dagegen wehren? Wir dürfen auf keinen
Fall zulassen, dass intime Verbraucherdaten gesammelt
und zur Bildung eines Profils genutzt werden, um auf
diese Weise den Bürger gezielt zu bewerben. Der Bürger
muss sich gegen solche Werbung wehren können. Er
muss das letzte Wort haben, wenn es darum geht, seine
persönlichen Daten zu nutzen, um ihn gezielt zu bewerben; denn er hat das Recht, über die Verwendung seiner
Daten zu bestimmen.
Deswegen sind wir dabei, eine Wende einzuleiten:
dass künftig der Grundsatz gilt, dass die Weitergabe und
die Nutzung von Daten zu Zwecken des Adresshandels
und zu Werbezwecken nur nach Einwilligung des Betroffenen - eine solche Regelung wird heutzutage Opt-inRegelung genannt - erfolgen darf.
Wer meint, all dies könne man durch Artikel im
Grundgesetz lösen, der irrt - oder er macht Symbolpolitik. Diese Themen sind kompliziert. Wenn Sie unsere
Entwürfe in den Händen halten, werden Sie sehen, wie
detailliert und ausgewogen wir diesen Zielkonflikt lösen.
Die Einführung eines neuen Grundgesetzartikels als
Lösung darzustellen, macht überhaupt keinen Sinn. Ich
habe bereits gesagt: Materiell-rechtlich, verfassungsrechtlich sind die Probleme durch das Bundesverfassungsgericht mit seinen beiden Grundsatzurteilen bereits
gelöst. Da besteht kein Handlungsbedarf. Jetzt geht es
darum, detailliert und mit einfachgesetzlichen Regelungen diesen Zielkonflikt vernünftig auszutragen: einerseits der Wirtschaft das Werben möglich machen, andererseits dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben,
selbst zu entscheiden, wann seine Daten benutzt werden,
ob und von wem er beworben werden will.
Das ist die sehr komplizierte Aufgabenstellung, mit
der wir uns auch noch in diesen Stunden - das gebe ich
gerne zu - beschäftigen. Wir verhandeln auch heute
noch darüber, wie wir zu einem guten Datenschutzgesetz
kommen können. Herr Bürsch, der in der nächsten Legislaturperiode, wenn ich das richtig sehe, nicht mehr
dabei sein wird, ist guter Hoffnung, dass er dieses Kind
noch auf die Welt bringen wird.
({4})
Ich meine, wir sollten hier alle an einem Strang ziehen und vernünftige Regelungen erarbeiten: zum Wohle
der Betroffenen und des Datenschutzes, aber ohne die
Wirtschaft mit ihren legitimen Interessen außer Acht zu
lassen. Wer die Diskussionen über Opel, Karstadt und
andere in größte Not geratene Firmen verfolgt, der kann
nicht zur gleichen Zeit sagen: Die Wirtschaft darf nicht
mehr wirksam werben. - Das passt nun weiß Gott nicht
in die Landschaft.
({5})
Wer sich mit dem Thema einmal näher befasst, der
weiß, was daran für eine Industrie hängt. Damit sind
Umsätze in Milliardenhöhe und sehr viele Arbeitsplätze
verbunden. Deswegen hat es gar keinen Sinn, diese
Form der Werbung zu verteufeln. Wir müssen einen vernünftigen Mittelweg finden. Das werden wir tun.
Gehen wir es an! Wir müssen uns um einfachgesetzliche Regelungen bemühen, statt plakativ die Einführung
irgendwelcher Grundgesetzartikel zu fordern, die die
Welt nicht verändern werden und können; denn diese
Rechtsgedanken sind durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits normiert. Um diesen Punkt geht es uns
heute.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch ein Versehen
ist eine falsche Reihenfolge bei der Rednerliste entstanden.
({0})
- Nein. Dies ist ein Antrag der Fraktion der Grünen, die
damit eigentlich das Recht haben, die Debatte zu eröffnen. Deswegen erteile ich jetzt als zweiter Rednerin der
Kollegin Stokar das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Uhl hatte hier sichtlich Probleme, seine lange Redezeit mit irgendwelchen Inhalten zu füllen.
({0})
Wir haben jetzt erfahren, dass sich die Große Koalition beim Thema Datenschutz in einem Zielkonflikt befindet. Es wäre allerdings Ihre Aufgabe, diesen Zielkonflikt zu lösen und hier tatsächlich Inhalte, über die Sie
dann reden könnten, vorzulegen.
({1})
Wir haben jetzt 60 Jahre Grundgesetz gebührend
gefeiert. Es ist an der Zeit, sich wieder verstärkt der Verfassungswirklichkeit zu widmen. Diese sieht eher traurig aus. Eindrucksvoll hat der Grundrechte-Report 2009
dokumentiert, in welcher Gefahr sich die Bürgerrechte
in unserem Land befinden. Im Zusammenhang mit dem
Datenschutz wird im Grundrechte-Report von einem
„toten Grundrecht“ gesprochen. Lassen Sie uns dieses
Grundrecht gemeinsam wiederbeleben!
Richtig ist: Sowohl der Staat als auch Private haben in
der Vergangenheit das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung gröblich missachtet. Die Datenschutzverstöße gehen munter weiter. So werden - das
ist nur ein Beispiel - hochsensible personenbezogene
Daten des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrums illegale Migration, des GASIM, zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten munter hin- und hergeschoben, ohne dass es dafür eine hinreichende
Rechtsgrundlage gibt. Es ist ganz gleich, ob beim Staat
oder in der Privatwirtschaft: Da, wo hingeschaut und
kontrolliert wird, finden wir Datenschutzverstöße und
Datenschutzskandale. Auch die mangelnde Kontrolle
und die fehlenden harten Sanktionen haben dazu geführt,
dass das Grundrecht auf Datenschutz unter die Räder gekommen ist.
Es ist nun einmal so: Da, wo Regeln außer Kraft gesetzt werden, herrscht die blanke Anarchie. Wir müssen
uns heute damit auseinandersetzen, dass sich die Sicherheitszentralen der großen Konzerne offensichtlich vom
Rechtsstaat und von der Bindung an die Verfassung abSilke Stokar von Neuforn
gekoppelt haben. Ganz gleich, ob Lidl, Telekom, Deutsche Bahn oder der große Autokonzern Daimler - diese
Aufzählung ist keineswegs vollständig -: Die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden völlig ignoriert. Im vermeintlichen
Interesse der Konzernsicherheit wurden ganze Belegschaften heimlich gescreent. Die Kommunikation von
Aufsichtsräten, Gewerkschaftern und Journalisten wurde
ausgeforscht. Es wurden Krankheitsdossiers angelegt.
Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz ging bis in den
intimsten Privatbereich.
Ich begrüße es durchaus, dass diese groben Verstöße
gegen den Datenschutz in unserer Gesellschaft nicht
mehr klaglos hingenommen werden. Es ist richtig, dass
diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die diese
ungeheuren Überwachungs- und Bespitzelungsskandale zugelassen haben. Ich finde es richtig, dass sie ihre
Vorstandsjobs verlieren und sich heute vor Gericht verantworten müssen.
({2})
Erschüttert und erschreckt hat mich das fehlende Unrechtsbewusstsein. Dass wir Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit haben, das wissen
heute die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wir
wollen, dass Datenschutz gleichermaßen als unveräußerliches Grundrecht in die Köpfe der Bevölkerung eingeht.
Wir halten es für richtig, den Datenschutz als eigenständiges Grundrecht in die Verfassung aufzunehmen.
({3})
Für mich gilt der Grundsatz: Ein einfacher Blick in
die Verfassung muss ausreichen, damit Grundrechte für
jedermann klar definiert erkennbar sind. Ich möchte den
Bürgerinnen und Bürgern nicht zumuten, Urteile des
Bundesverfassungsgerichts hervorholen und eine Ableitung aus den Grundrechtsartikeln 1 und 2, die die Persönlichkeitsrechte definieren, herstellen zu müssen. Die
Argumentation, in den Art. 1 und 2 sei alles ablesbar,
ließe auch den Schluss zu, auf die restlichen Grundrechte in unserer Verfassung verzichten zu können. Aber
niemand kommt auf die Idee, zu sagen, dass eines dieser
Grundrechte überflüssig ist oder nicht in die Verfassung
gehört. Im 21. Jahrhundert, im Jahrhundert der Informationsgesellschaft, gehört der Datenschutz als eigenständiges Grundrecht in unsere Verfassung.
({4})
Unsere Verfassung ist nichts Totes. Unsere Verfassung ist etwas Lebendiges. Der ehemalige Verfassungsrichter Winfried Hassemer bezeichnet das Grundgesetz
gern als eine Baustelle. Er nannte im Zusammenhang
mit der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2009 das
Grundgesetz ein Gesetz, das nahe am Leben ist, das auf
den sozialen Wandel reagiert, das beweglich und lernfähig ist. Im Bereich des Datenschutzes müssen wir auf
den rasanten Technologiewandel reagieren. Im Bereich
des Datenschutzes haben wir eine Veränderung, die sich
eben nicht in unserer Verfassung widerspiegelt. Deswegen sagen wir: Datenschutz gehört in die Verfassung.
({5})
Wir waren durchaus bereit, über einzelne Formulierungen unseres Gesetzentwurfes zu diskutieren. Aber von
Ihrer Seite kam nur die Ablehnung.
In einem einzigen Punkt dieser groß angelegten Datenschutzdebatte können Sie von der Großen Koalition
sich heute loben: Die Koalitionsvereinbarung haben Sie
voll umgesetzt. Darin steht nämlich zum Thema Datenschutz nichts. Zum Thema Datenschutz haben Sie bis
heute nichts Vernünftiges vollbracht. Für mich ist es ein
trauriges Kapitel der Parlamentsgeschichte, dass es die
Abgeordneten der CDU, der CSU und der SPD sind, die
seit Monaten jeden Fortschritt beim Thema Datenschutz
blockieren. Bundesinnenminister Schäuble hat bereits
im Herbst des letzten Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, der durchaus bemerkenswerte Verbesserungen enthielt. Im Dezember des letzten Jahres ging dieser Gesetzentwurf einstimmig durch das Kabinett. Dann kam
in der ersten Lesung des Bundestages der Totalverriss
durch die Abgeordneten der CDU, begleitet von massiven Bedenken aus den Reihen der SPD. Ich habe dies
früher anders erlebt: Der Innenminister hat blockiert,
und das Parlament war bemüht, Datenschutz zu stärken.
Bei Ihnen in der Großen Koalition ist es umgekehrt.
({6})
Das halte ich für einen Skandal und für peinlich.
({7})
Bundesinnenminister Schäuble verkündete nach dem
Datenschutzgipfel im vergangenen Herbst großspurig
das Ende des Listenprivilegs, Horst Seehofer wollte dem
Adresshandel ein Ende setzen, und Bundeskanzlerin
Merkel versprach noch auf dem Verbrauchertag am
12. Mai, Adressdaten dürften nur noch mit der Einwilligung der Betroffenen weitergegeben werden. Alles
Schall und Rauch, Ankündigungen, die nicht umgesetzt
werden. Ich kann nur sagen: Über allen Gipfeln ist Ruh’.
Seit Monaten warten wir auf die Abschaffung des Listenprivilegs und die Einführung einer klaren Opt-in-Regelung für die Weitergabe von persönlichen Daten.
Aber SPD und CDU waren schon immer die Datenschutzmuffel. Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten,
als Datenschutz hier als Täterschutz diffamiert wurde.
So tragen Sie eine Mitverantwortung für die Datenschutzskandale, mit denen wir uns in den letzten Monaten auseinanderzusetzen hatten.
({8})
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die SPD sich in
den Jahren der rot-grünen Regierungszeit schlicht und
ergreifend weigerte, die Koalitionsvereinbarungen zum
Datenschutz umzusetzen. Ganz gleich, ob unter Arbeitsminister Müntefering oder jetzt Arbeitsminister Scholz,
das Thema Arbeitnehmerdatenschutz fiel einer sozialdemokratischen Arbeitsverweigerung zum Opfer. Sie
haben vom verfassungsrechtlich geschützten Streikrecht
an der falschen Stelle Gebrauch gemacht. In den vergangenen zehn Jahren wurde trotz vielfacher Parlamentsbeschlüsse jede Forderung nach einem Arbeitnehmer24882
datenschutzgesetz ignoriert und ausgesessen. Eine
Presseerklärung von Andrea Nahles vom heutigen Tag
ist nichts weiter als eine weitere Ankündigung; sie
schafft kein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Die realen
Chancen, hier etwas zu machen, haben Sie vertan. Auch
zu diesem Thema haben wir bereits seit über einem Jahr
umfangreiche Vorschläge vorgelegt.
({9})
Das Einzige, was Sie hier heute zur Datenschutzdebatte beitragen können, ist ein Gesetz zum Scoring. Nur
bleibt auch in diesem Gesetz der Datenschutz auf der
Strecke. In weiten Bereichen hat sich die Lobby der
Auskunfteien durchgesetzt. Sie begrenzen das Scoring
nicht, sondern dehnen es weiter aus. Scoring macht Sinn,
wenn es darum geht, die Bonität im Bereich von Kreditgeschäften zu bewerten. Zu dieser Einschränkung
kommt auch der Bundesrat. Sie aber lassen Scoring für
alle weiteren Lebensbereiche zu. Ihre Ausweitung des
Scoring wird in wenigen Jahren dazu führen, dass wir
eine massive soziale Ausgrenzung über Scorewerte haben werden. Sie lassen die Bewertung der Bonität nach
Wohnort ausdrücklich zu. Es reicht einfach nicht aus,
wenn eine Entscheidung nicht ausschließlich von Geodaten abhängig gemacht werden darf. Dies wird zu einer
massiven Verschärfung der sozialen Diskriminierung
von Menschen führen, die in sozialen Brennpunkten leben. Sie werden höhere Zinsen für Kredite zahlen müssen, wenn sie überhaupt einen bekommen, sie können
vom Versandhandel und vom Internetshopping weitgehend ausgeschlossen werden, und sie bekommen
Schwierigkeiten beim Abschluss von Mobilfunkverträgen und Internetanschlüssen. Hiermit stärken Sie die
Auskunfteien, die die Bonität von Kunden nicht nach
dem tatsächlichen Verhalten, sondern nach der Wohnanschrift bewerten, und Sie schwächen die Schufa, die zumindest bemüht ist, Datenschutzregeln einzuhalten. Bislang verzichtet die Schufa auf die Verwendung von
Geodaten. So viel zu Ihrem Argument, es sei nicht praxistauglich. Außerdem stärken Sie diejenigen Auskunfteien, die „Auskunft light“ machen und damit massiv in
die soziale Vertragsgestaltung von Menschen eingreifen.
({10})
Wir fordern darüber hinaus die Einrichtung eines Internet-Bürgerportals. Auch das haben Sie im Innenausschuss abgelehnt.
Wir haben im Innenausschuss drei konkrete Änderungsanträge vorgelegt. Diese hätten die gröbsten Mängel dieses Gesetzes bereinigt. Dazu gab es aus Ihren Reihen keine Zustimmung. Wir können heute Ihrem Gesetz
zum Scoring nicht zustimmen. Für Datenschutzplacebopolitik gibt es von uns keine Unterstützung.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat nun Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es hat niemand die Absicht, im Privatleben harmloser Bürger herumzuschnüffeln.
Der eine oder andere wird mir nicht glauben, wenn ich
Ihnen jetzt sage, von wem das Zitat ist. Es ist von Bundesinnenminister Schäuble und stammt aus dem Tagungsband Terrorismusbekämpfung in Europa - Herausforderungen für die Nachrichtendienste. Es geht weiter:
Und jeder, der das behauptet und dem Staat einen
Überwachungswahn unterstellt, untergräbt das Vertrauen in unsere rechtsstaatliche Ordnung.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht das Gerede
vom Überwachungsstaat, sondern die Sorge vor dem
Überwachungsstaat untergräbt das Vertrauen in den
Rechtsstaat.
({0})
Wer sich nicht mehr sicher sein kann, ob er sich unbeobachtet im Rahmen seiner Freiheitsrechte frei entfalten
kann, ist nicht mehr frei, kann nicht mehr auf seine Freiheit vertrauen. Genau das ist es, was das Bundesverfassungsgericht unter mittelbarer Beeinträchtigung der
Grundrechte versteht.
({1})
Die Verletzung des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung hat in der laufenden Legislaturperiode ein solches Ausmaß angenommen, dass
man sich fragen muss, ob von diesem Grundrecht seitens
der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen
überhaupt noch Kenntnis genommen wird.
Herr Uhl, interessanterweise haben Sie fünf Minuten
lang nur über das BKA-Gesetz gesprochen. Nur für diejenigen, die zugeschaut haben: Das ist schon längst verabschiedet; das ist nicht aktuell; das ist nicht das Thema
dieses Tages.
({2})
Das BKA-Gesetz, das immer noch kritisch zu sehende
BSI-Gesetz - man kann nur hoffen, dass die Notbremse
noch gezogen wird - und die Vorratsdatenspeicherung,
gegen die die größte Klage läuft, die dieses Land je gesehen hat - von über 30 000 Menschen -, sind nur drei
Beispiele von vielen für die schleichende Entwertung
der Bürgerrechte, für das, was Sie in diesem Parlament
beschlossen haben.
({3})
Soweit es allerdings um die Verbesserung der datenschutzrechtlichen Belange des einzelnen Bürgers geht,
agieren Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
der sogenannten Großen Koalition, nicht einmal im
Schneckentempo. Etablierung eines Einwilligungsvorbehalts bei der Weitergabe von personenbezogenen Daten? Bisher Fehlanzeige. Ich bin einmal gespannt, ob Sie
Ihr Spitzenpersonal, Ihren Innenminister und Ihre Kanzlerin, im Regen stehen lassen. Wir werden das sehr interessiert verfolgen. Die Kollegin Stokar hat ja schon viel
dazu gesagt.
({4})
Novellierung des Arbeitnehmerdatenschutzes? Auch da
Fehlanzeige.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
stellen seit elf Jahren einen Minister, der sich - bei unterschiedlichen Titeln - Minister für Arbeit nennt. Dass es
in elf Jahren kein Arbeitsminister in Deutschland geschafft hat, die Datenschutzinteressen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahrzunehmen und den
Schutz durchzusetzen, ist wirklich ein Armutszeugnis
für eine Partei, die sich Arbeiterpartei nennt. Das muss
ich Ihnen wirklich einmal sagen.
({5})
- Wissen Sie, Sie können sich nicht immer damit rausreden, dass jemand anders das auch nicht gemacht hat.
Sie regieren seit elf Jahren. Bekennen Sie sich dazu. Bekennen Sie sich zu Ihren Fehlern, und schieben Sie Ihre
Fehler nicht immer auf andere ab.
({6})
In der Sache sind wir von der FDP-Bundestagsfraktion absolut bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen. Ich weiß, dass Sie das überrascht. Der
Datenschutz gehört auch nach unserer Auffassung
60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, 25 Jahre
nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und erst recht mit Blick auf das Urteil Karlsruhes zur Onlinedurchsuchung ins Grundgesetz. Hiermit
würde die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch den Verfassungsgesetzgeber anerkannt.
({7})
Der Verfassungsgesetzgeber - also wir - würde zudem auch landespolitischen und europarechtlichen Entwicklungen Rechnung tragen. Herr Uhl, Sie müssen das
nicht wissen, aber bereits zehn Länder haben ein Datenschutzgrundrecht explizit in ihre Verfassung aufgenommen. Sie müssen auch nicht wissen, dass das Gleiche für
die europäische Grundrechtscharta gilt. So gesehen ist es
gar nicht so abwegig, darüber einmal nachzudenken.
({8})
Obgleich wir in der Zielsetzung durchaus beieinander
sind, haben wir von der FDP-Fraktion doch erhebliche
Zweifel an der rechtlichen Umsetzung Ihres Gesetzentwurfes. Ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Bereits in der wegweisenden Entscheidung zur Volkszählung im Jahr 1983 führte das Bundesverfassungsgericht
aus, dass „Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig sind“. Die Formulierung in Ihrem
Gesetzentwurf wird dieser Vorgabe leider nicht gerecht.
({9})
Ich will Ihnen gar nicht unterstellen, dass Sie die Voraussetzungen für Eingriffe in den Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung absenken wollen.
Es könnte mit Ihrer Formulierung aber passieren. Wir
von der FDP sind nur dann an Ihrer Seite, wenn klar ist,
dass das im Grundgesetz formulierte Grundrecht nicht
hinter den Vorgaben des Verfassungsgerichtes zurückbleibt.
({10})
Sonst spielen wir nur denen in die Hände, die immer und
immer wieder in die Grundrechte eingreifen, und erreichen eben gerade nicht das, was wir erreichen wollen.
Aus unserer Sicht hat Ihr Gesetzentwurf an dieser Stelle
leider handwerkliche Fehler.
({11})
- Och, Herr Bürsch! Ich muss jetzt wirklich nicht die
Grünen verteidigen.
({12})
Ich könnte als Beispiele für handwerkliche Fehler auch
manche Gesetzentwürfe der CDU/CSU nennen. Als Studentin an der Uni habe ich mir das Agieren eines Gesetzgebers anders vorgestellt.
({13})
- Das gilt für Sie also auch. - Damit können Sie sich leider nicht herausreden.
({14})
Wir können dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen. Vielleicht tut sich ja noch etwas.
Dasselbe gilt aus unserer Sicht auch für den quasi in
einer Nacht-und-Nebel-Aktion aufgesetzten Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes. Der abenteuerliche Umgang der
sogenannten Großen Koalition mit den beiden Datenschutznovellen ist wirklich zu einer Farce geworden.
Wie hoch Sie die Bedeutung des Datenschutzes in diesem Haus einschätzen, zeigt sich daran, dass Sie sieben
Monate gebraucht haben, um diesen Gesetzentwurf ins
Parlament einzubringen. Sie haben nicht einmal einen
eigenen Tagesordnungspunkt dafür bekommen, sondern
mussten den Tagesordnungspunkt der Grünen quasi hijacken.
({15})
Das wundert einen aber nicht. Wer Tag und Nacht um
Kleinigkeiten feilscht, hat für die großen Dinge, nämlich
wichtige Gesetze auch im Plenum zu verabschieden,
vielleicht keinen Blick mehr. Ich bin sicher, das hört bald
auf, und ich hoffe, es wird besser.
({16})
Wir begrüßen es jedenfalls, dass wenigstens dieser Teil
jetzt zum Abschluss kommt, auch wenn man nicht sagen
kann: Ende gut, alles gut.
Diese Änderungen des Bundesdatenschutzgesetzes
sind aus unserer Sicht wichtig und richtig. Wichtiger
wäre aus unserer Sicht jedoch gewesen, das gesamte
Bundesdatenschutzgesetz zu novellieren. Der eine oder
andere weiß es vielleicht nicht: Das Bundesdatenschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1978. Es ist zum 1. Januar
1978 in Kraft getreten. Zu der Zeit hatte mein Telefon
noch eine Wählscheibe, und von den vielfältigen Möglichkeiten mobiler Kommunikation, von Handy oder
Laptop hatten wir gar keine Ahnung.
({17})
Wir wussten auch noch nicht, was man alles speichern
kann, wie leicht und wie schnell man etwas speichern
und wie schnell man Millionen von Daten übertragen
kann.
Wir Liberale haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, dass Betroffene und Verbraucher bessere Auskunfts- und Informationsrechte gegenüber den Auskunfteien erhalten. Der ursprünglich vorgelegte
Gesetzentwurf war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist - sicherlich
auch durch den öffentlichen Druck und durch die ganzen
Skandale -, noch erhebliche Verbesserungen vorzunehmen. Das muss man konzedieren. Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf ist immer noch nicht gut, aber er
ist besser als der ursprüngliche Entwurf.
({18})
So ist es nach unserer Auffassung gut, dass die verantwortliche Stelle nunmehr verpflichtet sein soll, den
Betroffenen auf Verlangen die wesentlichen Gründe für
eine Entscheidung des Vertragspartners mitzuteilen. Ein
Fortschritt ist auch, dass künftig die Bedeutung des sogenannten Scorewertes einzelfallbezogen und nachvollziehbar beauskunftet - das heißt wirklich so; es ist ein
schreckliches Wort - werden muss und insbesondere das
unsägliche Gewichten von Adressdaten nur noch eine
untergeordnete Rolle spielen darf. Es ist doch nicht mit
sozialer Politik vereinbar, dass ich eine Leistung oder
eine Ware nicht bekomme oder nicht Vertragspartner
werden kann, nur weil ich eine falsche Adresse habe.
Das war bisher Praxis, und das darf einfach nicht sein.
({19})
- Frau Philipp, Sie haben gleich 15 Minuten Redezeit.
Dann können Sie ganz viel erzählen, keine Sorge.
({20})
Einige aus unserer Sicht entscheidende Punkte haben
indes leider nicht Einzug in den Gesetzentwurf gehalten.
Diese möchte ich kurz darstellen.
Da ist zum einen die fehlende Begrenzung des Scorings auf Rechtsgeschäfte mit zumindest weitgehend
kreditorischen Risiken. Der Anwendungsbereich des
Scorings wird auch nach der Verabschiedung der Novelle zu breit gefasst sein. Nach unserer Einschätzung
kann das Scoringverfahren jedoch nur dort seine Berechtigung finden, wo bei dem abfragenden Unternehmen
besondere finanzielle Ausfallrisiken bestehen. Ich
möchte nicht, dass demnächst auch Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer gescort werden.
({21})
Das könnte hier theoretisch der Fall sein. Der Entwurf
setzt der derzeit zu vernehmenden Ausweitung des
Scoringverfahrens indes nichts entgegen. Das wäre aus
unserer Sicht aber dringend notwendig gewesen.
Als Zweites möchte ich eine kritische Bemerkung zu
Art und Umfang der Informationspflicht der Auskunfteien machen. Im Aufriss des Problems im Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10529
heißt es, dass Verbraucher aufgrund der intransparenten
Verfahrensweisen der Auskunfteien die Entscheidungen
ihrer potenziellen Geschäftspartner nur schwer oder gar
nicht nachvollziehen könnten. Dieser zweifelsohne richtigen Problemanalyse soll eine Stärkung der Informations- und Auskunftsrechte der Betroffenen entgegengesetzt werden. Leider hapert es wie so oft an der
Umsetzung dieses Lösungsansatzes.
Warum, frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der sogenannten Großen Koalition, haben Sie
sich bis zum Ende der Beratungen gegen die Einführung
einer Pflicht zur Offenlegung der Gewichtung der Daten
gesperrt? Das an dieser Stelle gegen ein Mehr an Transparenz oft ins Feld geführte Argument des Schutzes von
Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen kann dabei nicht
überzeugen. Genauso wenig nützt die einseitige Argumentation, es könne zu Manipulationsversuchen durch
den Bürger kommen. Es wird völlig übersehen, dass
Transparenz immer etwas Positives ist. Sie hätten durchaus auch dem alternativen Vorschlag des Bundesdatenschutzbeauftragten folgen können, der die Beauskunftung
von persönlichen Daten in absteigender Reihenfolge ihrer Bedeutung nach vorgeschlagen hat.
Der Gesetzentwurf kann also leider keine größere Begeisterung hervorrufen, weder bei uns noch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Noch viel weniger ist
mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes der
lange Weg zu mehr Datenschutz zu Ende. Insoweit appelliere ich an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU und SPD: Versuchen Sie, eine Einigung auch
bei den anderen Gesetzentwürfen zu erzielen! Es ist an
der Zeit, dass Sie Ihre Scheingefechte bei der Datenschutznovelle aufgeben und endlich Politik für die Verbraucherinnen und Verbraucher machen.
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat nun Kollege Michael Bürsch für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal herzlichen Dank an die grüne Fraktion
für die Gelegenheit, über das Thema Datenschutz einmal
etwas grundsätzlicher zu reden. Das ist in dem vorliegenden Antrag angelegt. Eine Debatte über das Grundrecht Datenschutz bietet, wie ich finde, eine gute Gelegenheit, sich - über den heutigen Tag und einige aktuelle
Anlässe hinaus - über den Datenschutz im
21. Jahrhundert im Allgemeinen ein paar Gedanken zu
machen.
Bevor ich dazu komme, möchte ich zwei kleine Vorbemerkungen machen.
Herr Uhl hat darauf hingewiesen, dass die Datenschutznovelle noch in Arbeit ist. Wir nehmen unsere Arbeit so ernst, dass wir auch den heutigen Tag nutzen. Wir
streben an, die sogenannte Datenschutznovelle - zu der
das Thema Einwilligung statt Widerruf und Ähnliches
gehört - in der nächsten Sitzungswoche wieder auf die
Tagesordnung zu setzen. Die Kollegin Anette Kramme
wird zum Arbeitnehmerdatenschutz etwas sagen, der
Kollege Zöllmer zum Scoring.
({0})
Zur Kollegin Stokar ein etwas ironisches Wort: Datenschutz fängt, meine ich, bei den Mitgliedern des Bundestages an. In diesem Zusammenhang stellt sich die
Frage: Sollte Datenschutz nicht auch die Geheimhaltung
bezüglich der Stimmabgabe bei geheimen Abstimmungen umfassen?
({1})
Das kann man aufgrund Ihrer Einlassung durchaus überlegen.
({2})
Im Übrigen sind Sie ja seit letztem Sonnabend Hospitantin der CDU/CSU-Fraktion. Vielleicht liegt es sogar
nahe, Frau Kollegin Stokar, dass Sie sich mit den politischen Ansichten der CDU/CSU-Fraktion ein bisschen
befreunden. Dann könnte die nächste Rede, die Sie halten, etwas freundlicher ausfallen.
({3})
Genug der Vorrede.
Zum Datenschutz im 21. Jahrhundert möchte ich ein
paar Bemerkungen machen und auch ein paar Grundsätze nennen, an denen sich das orientieren sollte, was
uns aus meiner Sicht in der nächsten Legislaturperiode
beschäftigen sollte.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass das Datenschutzrecht aus den 70er-Jahren, aus 1978, stammt. Am
13. März 1989 - das ist im Grunde der Beginn des neuen
Zeitalters, der digitalen Revolution - legte der Brite Tim
Berners-Lee in Genf den Grundstein für das Datennetz.
Eigentlich wollte er nur die Zusammenarbeit der Forscher in einem Großforschungsinstitut verbessern, doch
heraus kam der sogenannte Hypertext,
({4})
der Informationen auf eine völlig neue Art miteinander
vernetzt. Der erste Browser des Amerikaners Marc Andreessen öffnete dann die Tür zum Massenmarkt.
Heute nutzen über 1 Milliarde Menschen das Internet.
Wofür andere Branchen Jahrzehnte brauchen, vollzieht
sich im Internet im Zeitraffer. Umwälzende Techniken
wie Breitbandverbindungen oder mobile Geräte wie das
iPhone lassen das Leben im Netz pulsieren. Bald werden
alle Telefongespräche über das Internet geführt; auch das
Fernsehen verlagert sich mehr und mehr ins Netz.
Nach den Pionieren sind nun Unternehmen wie Facebook und Twitter die neuen Stars im Web 2.0, das für
viele das wahre Internet darstellt. Nun kommunizieren
Millionen Menschen über das Netz miteinander. Der
große Trend ist zurzeit die Offenheit. Internetunternehmen öffnen ihre Software, Millionen Entwickler entwickeln Zusatzprogramme usw. Was ist mit dem ursprünglichen Erfinder Berners-Lee?
({5})
Berners-Lee ist heute Sir Berners-Lee; er ist mit vielen
Orden dekoriert. Er arbeitet an der dritten Generation
des Netzes, dem sogenannten semantischen Internet.
({6})
Das zur Beschreibung, wohin sich das Ganze entwickelt
hat.
Nun sage ich etwas zu dem, was Sie thematisiert haben, nämlich die Frage der Grundrechte beim Datenschutz und die Frage, was wir, wenn wir das ernst nehmen, berücksichtigen müssen. Ich werde am Ende auch
etwas zu Ihrem Vorschlag sagen, ähnlich wie die Kollegin Piltz es getan hat.
Worauf kommt es beim Datenschutz im 21. Jahrhundert an? Es wird immer wieder gesagt, Datensparsamkeit
müsse das oberste Ziel sein, so stehe es auch im Bundesdatenschutzgesetz. Aber, ich fürchte, das wird jedenfalls
auf Dauer ein frommer Wunsch. Mit Datenflut werden
wir leben müssen. Der Technologietrend, den wir schon
jetzt beobachten, ist, dass immer mehr Informationen
elektronisch gespeichert und ausgetauscht werden. Das
umfasst Zahlen, die wir - wir haben die vier Grundrechenarten gelernt - überhaupt nicht nachempfinden können. Im Jahr 2001 wurden 1015 Bytes und im Jahr 2006
wurden 1018 Bytes bewegt. Für das Jahr 2010 sagen die
Experten voraus, dass 1021 Bytes bewegt werden.
({7})
Inzwischen sind so viele Menschen online - es kommen
täglich neue hinzu -, dass wir uns, wenn wir Datenschutz ernst nehmen und eine Interessensabwägung vornehmen wollen, darauf einstellen müssen.
Wenn wir über Datenschutz im 21. Jahrhundert sprechen, merken wir, dass es einen eklatanten Widerspruch
in der Einstellung der Bürger gibt. Einerseits wünschen
sich 95 Prozent der Deutschen, dass ihre Daten nur mit
ihrer Zustimmung wiedergegeben werden dürfen; das
besagt eine Umfrage von Infratest dimap. Andererseits
gehen sie sehr freigiebig mit ihren Daten um, wenn sie
zum Beispiel in sozialen Netzwerken wie Facebook oder
StudiVZ aktiv sind.
Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ist klar.
Es heißt in dem Verfassungsgerichtsurteil zur Volkszählung: Der Einzelne muss das Recht haben, selbstbestimmt zu entscheiden, wann und innerhalb welcher
Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. - Aber selbst in diesem Verfassungsgerichtsurteil den Zusatz muss man dazu lesen - heißt es: Das gilt
nicht uneingeschränkt. - Das heißt, auch das Verfassungsgericht hat erkannt, dass das, was in § 1 des Bundesdatenschutzgesetzes steht, nicht dem entspricht, was
die Grünen in der Kurzfassung daraus machen, nämlich:
Jeder Bürger hat das Recht auf seine Daten, und niemand anders soll da reinpfuschen. Das ist so leider nicht
durchzuhalten.
Datenschutz - darauf will ich hinweisen - ist, glaube
ich, kein Selbstzweck mehr. Es wird immer eine Interessensabwägung geben müssen, so wie wir das jetzt bei
den Überlegungen zur Datenschutznovelle machen. Wir
müssen auf der einen Seite das informationelle Selbstbestimmungsrecht schützen und den Verbraucherschutz berücksichtigen. Auf der anderen Seite gibt es wirtschaftliche Interessen. Was uns vorgetragen wurde, war zum
Teil abenteuerlich. Das haben wir auch so gekennzeichnet. Ich war überrascht, mit welcher Frechheit zum Teil
der Untergang des Abendlandes an die Wand gemalt
wurde, der stattfinden würde, wenn wir den Zugang zu
Daten nicht zuließen und nicht die Möglichkeit eines ungehinderten und uneingeschränkten Datenhandels
schafften.
In den 35 oder 40 Gesprächen, die Herr Uhl für die
CDU/CSU und ich für die SPD im letzten halben Jahr
geführt haben, sind allerdings auch sehr vernünftige Vorschläge gemacht und Geschäftsmodelle vorgestellt worden, mit denen man sich wirklich beschäftigen muss:
vom ADAC, von der Post und von verschiedenen Zeitungen.
Wir Abgeordnete sind keine Datenschützer mit Tunnelblick. Wir sind auch nicht nur Verbraucherschützer.
Wir müssen vielmehr eine Gesamtabwägung vornehmen. Frau Stokar, das war immer mein Selbstverständnis
als Abgeordneter.
Allerdings - auch darauf will ich hinweisen - hat die
Politik durchaus eine Gewährleistungsverantwortung.
Der Schutz der Daten der Bürger gegen Missbrauch ist
Sache der Politik und Sache des Staates. Hierfür brauchen wir Schutzmechanismen; das ist mir bei der Beschäftigung mit diesem Thema im letzten halben Jahr
immer klarer geworden. Wir brauchen Schutzmechanismen für den Einzelnen, damit er das Selbstbestimmungsrecht besser ausüben kann.
({8})
Wir sollten auch viel mehr als bisher die Techniken
der Verschlüsselung berücksichtigen. Die Weitergabe
von Daten kann nämlich in vielen Fällen, anders als es
bisher der Fall war, in verschlüsselter bzw., wie die
Fachleute sagen, in pseudonymisierter Form durchgeführt werden. All die Fluggastdaten, die von uns Europäern an die Amerikaner in offener Form weitergegeben
werden - einzelne Passagierdaten werden in genau der
Form weitergegeben, in der sie aufgenommen worden
sind -, könnte man verschlüsselt weitergeben, sodass die
Sicherheit trotz Datenweitergabe gewährleistet ist und
die Möglichkeit besteht, potenzielle Straftäter und Terroristen zu entdecken. Die Möglichkeiten, die es in diesem
Bereich gibt, werden aber noch nicht ausgeschöpft. Ich
werbe dafür, diese Möglichkeiten, die technisch immer
weiter entwickelt werden, ins Visier zu nehmen. Dadurch können den Bürgern nämlich technische Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, die missbräuchliche
Nutzung von Daten selbst zu verhindern.
Mein Fazit: Die klassischen Methoden des Datenschutzes wie Datensparsamkeit, Löschung und Nichterhebung im Falle sensibler Daten werden sicherlich nach
wie vor ihre Berechtigung behalten. In unserer immer
stärker vernetzten Welt reichen sie aber weder aus, noch
sind sie die Lösung des Problems; das habe ich versucht
darzustellen.
Die Ergebnisse von Untersuchungen zu Datenverlusten und Datenmissbrauch - zu solchen Vorfällen ist es
im letzten Jahr einige Male gekommen - belegen, dass
bis zu 80 Prozent der Verletzungen des Datenschutzes
nicht durch externe Hacker, sondern durch das eigene
Personal, durch Vertragspartner der Verwaltung und andere Unternehmen begangen werden. Sowohl im Rahmen der prozessübergreifenden als auch im Rahmen der
internationalen Vernetzung müssen insofern neue organisationsumfassende Datenschutzmethoden, -prozesse
und -technologien eingesetzt werden.
({9})
Frau Stokar, das hat auch mit dem Thema des Antrags
der Grünen, der Forderung nach einem Grundrecht auf
Datenschutz, zu tun.
({10})
Was bedeutet das im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung des Datenschutzes in einem umfassenden Sinne,
die übrigens auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme
gefordert hat? Ich bin der Meinung, dass wir den Datenschutz in dem geschilderten umfassenden Sinne nicht,
wie es im Datenschutzrecht gegenwärtig der Fall ist, allein vom Staat her, aber auch nicht allein von der Wirtschaft her definieren dürfen, sondern dass wir den Datenschutz vom Bürger her definieren sollten. Das ist
Sache des Parlaments und, wie ich meine, auch Sache
der Sozialdemokratie.
Auf die Frage, wie sich das Datenschutzrecht auch
mit Blick auf den Grundrechteschutz in den nächsten
fünf bis zehn Jahren entwickeln sollte, würde ich fünf
Prinzipien nennen, die auch als Antwort auf die technologische Entwicklung verstanden werden können.
Das erste Prinzip lautet Transparenz. Das heißt, die
Bürger müssen jederzeit erkennen können, wer wann
und aus welchem Grund auf ihre personenbezogenen
Daten zugegriffen hat.
Das zweite Prinzip lautet Beteiligung. Das heißt, die
Bürgerinnen und Bürger haben umfassende und gesicherte Rechte, über die Nutzung ihrer Daten mitzubestimmen, und sie wissen auch, was sie damit tatsächlich
tun. Wenn man sich vor Augen hält, welch eine Fülle
von Daten in sozialen Netzwerken heutzutage preisgegeben werden, muss man feststellen: Dies ist offensichtlich
eine Frage der Aufklärung.
Das dritte Prinzip hat mit der informationellen Selbstbestimmung zu tun, allerdings in einer etwas anderen
Form als in der, in der sie bis jetzt betrachtet wird. Es
geht um informationelle Selbstbestimmung als Selbstdatenschutz.
Es gibt ein sehr interessantes Projekt der EU, das sich
PRIME nennt. Mit diesem Projekt wird das Ziel verfolgt,
die Bürger zu ermächtigen, private Daten selber effektiv
zu verwalten und zu schützen. Im Moment wird ein
Feldversuch hinsichtlich des zukünftigen, vielleicht in
einigen Jahren zu verwendenden, Personalausweises unternommen. Die Bürger werden also in die Lage versetzt, selber darüber zu entscheiden, welche Daten oder
Teildaten bzw. Eigenschaften beim Datenverkehr preisgegeben werden. Den Daten, die mit ihrer Person zusammenhängen, wird als Schutzvorrichtung praktisch etwas
angehängt, das mit diesen Daten, wo immer sie auftreten, verbunden ist. Jemand Unbefugtes kann diese
Schutzvorrichtung nicht einfach beseitigen. Insofern ist
der Selbstdatenschutz die Antwort auf die Herausforderungen und die technologischen Entwicklungen des
21. Jahrhunderts.
({11})
Das vierte Prinzip ist, dass wir aus meiner Sicht einen
intelligenten Mix brauchen. Wir müssen den Datenschutz so ernst nehmen, dass sich diesem Thema hier
nicht nur 20 oder 25 Kollegen mit voller Leidenschaft
und großer Zuneigung widmen, sondern dass von den
über 600 Abgeordneten irgendwann vielleicht einmal die
Hälfte das Thema so ernst nimmt, wie es das verdient.
Aus den geschilderten Gründen brauchen wir einerseits
eine technologische Entwicklung, die wir unterstützen,
indem wir die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes
entsprechend fördern, andererseits müssen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass man
diesen Selbstdatenschutz betreibt.
Das fünfte Prinzip, das ich nennen will, hat mit etwas
zu tun, was ich an anderer Stelle einen neuen Gesellschaftsvertrag genannt habe. Ich meine, in der Zeit, in
der wir uns im Moment befinden, stehen wir vor enormen Herausforderungen. Das ist nicht nur die Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern das sind auch die Themen Bildung, demografische Entwicklung, Gesundheit
und Integration. Sie können viele Themen nennen, bei
denen der Staat allein die Probleme nicht lösen kann und
bei denen wir in intelligenter Weise eine Mitwirkung
- keine Übernahme - der Wirtschaft und auch eine zielgerichtete Mitwirkung der Zivilgesellschaft brauchen.
Wie gesagt: Sie sollen keine Lückenbüßer für den Staat
sein; das muss vielmehr ein intelligenter Mix aus den
drei Akteuren werden.
Genau das stelle ich mir auch für den Datenschutz
vor. Wir müssen sagen: Der Datenschutz mit all den Elementen, die ich genannt habe, ist in Zukunft nicht etwas,
das allein der Staat sicherstellen kann. Hinsichtlich der
technologischen Entwicklung brauchen wir auch die
Wirtschaft und die Zivilgesellschaft.
Zu dem Vorschlag der Grünen sage ich: Ich kann
mich mit dem Gedanken anfreunden; aber ich habe die
Entwicklung im 21. Jahrhundert deshalb so deutlich vorgetragen, um klarzumachen, dass wir, wenn es ein
Grundrecht auf Datenschutz in der Verfassung geben
soll, dabei aus meiner Sicht eben auch die technologische Entwicklung und die dazugehörigen rechtlichen
Rahmenbedingungen im Auge haben müssen. Unter diesem Gesichtspunkt kann ich mich mit dem Vorschlag anfreunden.
Ein bekannter Journalist - der berühmte Heribert
Prantl - hat vor einiger Zeit einmal geschrieben, dass der
Datenschutz über 20 Jahre lang beschimpft und verächtlich gemacht wurde. Er sagt:
Vor allem aber ist die Aktivierung des Gesetzgebers
notwendig: Datenschutz ist der Schutz der Menschen in der digitalen Welt. Er ist das zentrale
Grundrecht, das Ur-Grundrecht der Informationsgesellschaft. Er schützt nicht abstrakte Daten, sondern
konkrete Bürger.
Dem schließe ich mich vollinhaltlich an.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Kollege Jan Korte für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Auch wir anerkennen erst einmal, dass es wirklich gut ist, eine gesetzliche Grundlage für das Scoring zu haben. Das muss
man hier einfach einmal sagen, wenn man differenziert
Politik betreibt.
({0})
Wir kritisieren aber zum einen, dass es keine Beschränkung auf rein kreditrelevante Vorgänge gibt. Zum
anderen kritisieren wir - das ist in der Tat ein Problem -,
dass das Geoscoring zwar beschränkt - das ist richtig -,
aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird. Grundsätzlich muss ausgeschlossen sein, dass zum Beispiel der
Wohnort in einem sozialen Brennpunkt darüber entscheidet, dass man nicht kreditwürdig ist. Das ist in diesem Gesetzentwurf leider nicht vorgesehen.
({1})
Es ist eine gute Debatte heute, in der wir dies thematisieren. Der Datenschutz als Grundrecht ist von einem
Randthema nun wirklich zu einem massenkompatiblen
Thema geworden. Er bewegt immer mehr Menschen.
Besonders erfreulich ist, dass sich immer mehr Menschen organisieren und dagegen protestieren, wie mit
dem Datenschutz umgegangen wird.
Auf den Antrag der Grünen, den Datenschutz ins
Grundgesetz aufzunehmen, werde ich später eingehen.
Ich glaube, dass eine solche Frage eher am Ende einer
Debatte behandelt werden muss. Das gilt vor allem vor
dem Hintergrund der ganzen Datenschutzskandale der
letzten Zeit. Vieles ist auch schon gesagt worden.
Festzustellen ist, dass insbesondere die großen Unternehmen in diesem Land Datenschutzskandale von der
Ausnahme zur Regel gemacht haben. Ein genauerer
Blick zeigt, dass das System hat. Es hat System, um die
abhängig Beschäftigten an die Kandare zu nehmen. Ich
will vier Beispiele nennen:
Erstens Lidl. Man muss sich klarmachen, was dort geschehen ist. Dort wurde mit Videokameras allen Ernstes
bis in die Umkleidekabinen von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern hineingefilmt und alles minutiös dokumentiert.
Zweitens die Telekom. Das ist sozusagen der Dauerbrenner. Bei allen Sauereien, die man sich im Datenschutz vorstellen kann, liegt die Telekom gefolgt von der
Deutschen Bahn ganz weit vorne. Weil ich nicht alles
aufzählen kann, was dort passiert ist, will ich nur ein
Beispiel nennen: Sie haben auf einmal 17 Millionen Daten verloren. 17 Millionen Daten verschwinden einfach.
Es ist nicht ganz normal, was dort läuft.
Drittes Beispiel ist die Deutsche Bahn. 170 000 und
damit alle Mitarbeiter
({2})
werden durch eine private Firma ausgespitzelt, die in
keiner Weise kontrollierbar ist. Der Hammer bei dem
Ganzen ist, dass die Konzernführung während eines
Streiks angeordnet hat, die E-Mails der GDL-Gewerkschafter zu überwachen. Man muss sich einmal vorstellen, was das für Zustände sind.
Viertens will ich einige weitere Beispiele nennen, die
heute schon angesprochen wurden. Dazu gehören Daimler, Airbus, die Drogeriekette Müller und viele andere.
Das Ganze hat System, wie man sieht. Es sind keine
Ausnahmen.
Deswegen haben sich alle Fraktionen im Bundestag
- ich bin erst seit dieser Legislaturperiode im Bundestag,
weiß aber, dass das selten vorkommt - auf eine gemeinsame Beschlussempfehlung für den Arbeitnehmerdatenschutz verständigt. Das Grundproblem in diesem
Hause besteht offensichtlich darin, dass die Bundesregierung trotz der gemeinsamen Beschlussempfehlung
nicht handelt. Das muss man sich einmal vorstellen: Von
den Linken bis zur CDU/CSU waren sich alle einig. Geschehen ist aber nichts. Das ist kein angemessener Umgang mit diesem wichtigen Thema.
({3})
Deswegen fordern wir, dass noch in dieser Legislaturperiode etwas zu diesem Thema vorgelegt wird.
Denn eines muss klar sein - das muss der Deutsche
Bundestag deutlich machen, und der Gesetzgeber muss
es umsetzen -: Der Datenschutz, die Menschenwürde
und die Grundrechte enden nicht am Werkstor und erst
recht nicht in den Umkleidekabinen der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in den Supermärkten. Das muss deutlich
gemacht werden. Es darf nicht gepennt werden, sondern
man muss handeln. Das müsste heute auf der Tagesordnung stehen.
({4})
Ich will auch begründen, warum ich gerade den Arbeitnehmerdatenschutz für wichtig halte. Wir reden in
der Krise über alles Mögliche. Entscheidend ist aber,
dass der Arbeitnehmerdatenschutz Bestandteil der Mitbestimmung in den Betrieben und Teil einer grundsätzliJan Korte
chen Demokratisierung unserer Wirtschaft ist, für die es
höchste Eisenbahn ist. Das ist eine grundsätzliche demokratische Frage.
Nun will ich einige Anmerkungen zum Staat machen.
Einiges ist bereits angesprochen worden wie die Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchungen, immer neue
Dateien, Fluggastdatenabkommen mit den USA usw.
usf. Selbst eine so üppige Redezeit wie heute reicht
nicht, um das alles aufzuführen.
Ich glaube, dass der Datenschutz in den letzten vier
Jahren eine verheerende Niederlage nach der anderen
einkassiert hat, obwohl sich immer mehr Menschen gegen Missbrauch wehren. Eines ist von zentraler Bedeutung: Die ersten Opfer eines nicht vorhandenen Datenschutzes sind die sozial Schwachen in diesem Land,
nämlich die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger,
die sich vor den Argen nackig machen müssen, und die
Migrantinnen und Migranten. Das müssen wir viel stärker in den Fokus der Politik rücken.
({5})
Vielleicht kann ich - denn darauf ist der Antrag
durchaus angelegt - noch einige grundsätzliche Überlegungen zum Datenschutz anschließen.
Erstens. Wenn das Verhalten der Bürgerinnen und
Bürger immer lückenloser überwacht und registriert
wird, dann stirbt das spontane Handeln. Die praktische
Folge davon ist, dass immer mehr Menschen anfangen,
sich so zu verhalten, wie sie glauben, dass es von ihnen
erwartet wird. Ich glaube, das ist schlecht für die Demokratie. Denn abweichendes Verhalten, Dissidenten und
Anderssein sind Triebkraft einer gesunden Demokratie.
Zweitens. Ich glaube, dass ohne Datenschutz Menschen schleichend - nicht über Nacht - ihre Grundrechte
nicht mehr so stark wahrnehmen werden wie bisher.
Man stellt sich zum Beispiel die Frage, ob es einem
schadet, wenn man in einem Betriebsrat mitarbeitet. Was
wird dann gespeichert? Wird etwa eine Gewerkschaftsmitgliedschaft an US-Stellen übermittelt? Das Thema
stand gestern zu späterer Stunde auf der Tagesordnung;
die Reden wurden zu Protokoll gegeben.
Drittens. Datenschutz heißt übersetzt: Schutz meiner
ganz persönlichen Privatsphäre. Übersetzt bedeutet das
den Schutz der eigenen Lebensplanung und Lebensführung sowie die Möglichkeit, sein Leben anders zu gestalten, als es die Normen vielleicht vorgeben. Zusammengefasst bedeutet Datenschutz dementsprechend die
Unterstützung und Ermöglichung des aufrechten und
selbstbewussten Gangs in einer Gesellschaft. Deswegen
ist diese Debatte richtig.
Der Soziologe Wolfgang Sofsky hat etwas ganz Kluges geschrieben. Er hat den Datenschutz analysiert und
gesagt, dass er so wichtig ist, weil „Menschen nur in einem garantierten Schutzraum ihre intimen Verhältnisse
so gestalten, wie sie es wollen, ohne Einmischung durch
Sittenwächter, ohne den wachsamen Blick der Nachbarn
oder einer Behörde“. Das ist der Kern, um den es beim
Datenschutz geht. Aber der Datenschutz wird in diesem
Land mit Füßen getreten. Hier brauchen wir eine Umkehr. Deswegen ist die heutige Debatte wichtig.
({6})
Der Kollege Uhl und der Kollege Bürsch haben zu
Recht darauf hingewiesen, dass die Bürger darüber nachdenken müssen, was sie selber im privaten Bereich tun
können, um sich vor Datenmissbrauch zu schützen, und
welche Daten sie zum Beispiel in StudiVZ und Facebook preisgeben wollen. Darüber gibt es auch in meinem
Freundeskreis heftige Debatten. Ich finde, dass man dort
bedeutend vorsichtiger sein sollte und darüber nachdenken muss, was man von sich preisgibt. Es gibt aber einen
Unterschied zu dem, was die Bundesregierung und insbesondere Herr Schäuble machen: Man kann zum Beispiel bei Facebook selber entscheiden, was man von sich
preisgeben will und was nicht.
Vierte Anmerkung. Zum Antrag der Grünen auf Aufnahme des Datenschutzes in das Grundgesetz: Es ist gut,
dass wir heute darüber diskutieren. Gleichwohl finde ich
die Politik, die darauf abzielt, ständig irgendetwas in das
Grundgesetz neu aufzunehmen, fragwürdig. In meiner
Fraktion gibt es unterschiedliche Meinungen dazu. Deswegen mache ich heute zum ersten Mal eine Sowohl-als-auch-Aussage. Es spricht einiges dafür. Anderes wiederum kann man kritisch sehen. Es ist aber gut,
dass darüber heute umfangreich diskutiert wird.
Ich fasse zusammen: Wir brauchen ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz und müssen der Datensammelwut
Einhalt gebieten. Danach kann man sich darüber Gedanken machen, ob der Datenschutz in das Grundgesetz aufgenommen werden soll. Man muss sich aber noch über
etwas anderes im Klaren sein - das kommt im Antrag
der Grünen zu kurz -: Analog zum Abriss des Sozialstaates in diesem Land ist die Datensammelwut exorbitant gewachsen. Wir möchten, dass der Bedeutung dieses Zusammenhangs in der Debatte mehr Beachtung
geschenkt wird.
Letzte Anmerkung. Es ist richtig beschrieben, dass
der Datenschutz ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat
und unkontrollierter Wirtschaftsmacht darstellt. Ich
möchte aber noch ein Stück weitergehen und sage, dass
der Datenschutz ein offensives Bürgerrecht ist, das zur
Gestaltung in der sogenannten Informationsgesellschaft
genutzt werden kann und immer wieder sozusagen nach
vorne verteidigt werden sollte. Ich glaube, dieses offensive Bürgerrecht sollte viel offensiver verteidigt werden.
({7})
Schauen wir uns § 3 a des Bundesdatenschutzgesetzes an, der das Gebot der Datenvermeidung und der Datensparsamkeit zum Inhalt hat. Die Realität ist leider
völlig anders. Das ist die Bilanz der Großen Koalition
genauso wie der rot-grünen Vorgängerregierung. Wir
brauchen eine grundlegende Umkehr. Darüber, ob der
Datenschutz in das Grundgesetz aufgenommen werden
soll, kann man trefflich streiten. Wichtig ist das reale Er24890
kämpfen von neuen Datenschutzstandards in diesem
Land, und zwar hier und auf der Straße.
Schönen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Kollegin Anette Kramme für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von den Grünen,
Sie fordern eine Änderung des Grundgesetzes. Sie
möchten ein Grundrecht auf Datenschutz in das Grund-
gesetz aufnehmen. Das ist mit Sicherheit ein sehr beden-
kenswerter Antrag, obwohl das Bundesverfassungsge-
richt schon vor Jahren das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung festgelegt hat, hergeleitet aus dem
Persönlichkeitsrecht. Trotzdem ist es legitim, zwischen
einer Überfrachtung des Grundgesetzes einerseits und
neuen Schutzrechten, die möglicherweise aus dem
Grundgesetz hervorgehen, und einer Bewusstseinsbil-
dung im Zusammenhang mit dem Datenschutz anderer-
seits abzuwägen.
Dringender als die Verankerung des Datenschutz-
rechts im Grundgesetz ist jedoch eine gesetzliche Rege-
lung des Arbeitnehmerdatenschutzes; darüber werden
wir mit Sicherheit nicht streiten. Wir haben in den letz-
ten Wochen und Monaten, im letzten Jahr eine Vielzahl
von Skandalen erlebt, die ihrer Art nach einzigartig wa-
ren. Es ist etwas eingetreten, womit keiner von uns ge-
rechnet hätte; wir hätten nie mit diesem Ausmaß und nie
mit dieser Eingriffsintensität gerechnet.
Lidl überwachte per Videokamera die Umkleideka-
binen; Lidl hat in über 500 Filialen Privatdetektive ein-
gesetzt, die die intimsten Details aus dem Leben der
Mitarbeiter aufzeichneten. Es ging um Liebeskummer,
Scheidungen, Alkoholprobleme, sonstige Krankheiten,
arbeitslose Verwandte, Schweißprobleme. Ein großer
Schlachtbetrieb schaute sogar auf die Toiletten. Burger
King filmte heimlich Betriebsratssitzungen. Die
Deutsche Bahn jongliert mit den Personaldaten von
Hunderttausenden von Mitarbeitern. Eine Baumarktkette
verlangt in ihren Arbeitsverträgen, dass die Mitarbeiter
die Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht befreien.
Täglich werden neue Skandale aufgedeckt. Der Bundes-
beauftragte für den Datenschutz Schaar sagt - die Ein-
schätzung ist sicher berechtigt -, dass das nur die Spitze
des Eisberges ist. Sie alle kennen die Fiktion von George
Orwell „Big Brother is watching You“. Manchmal denkt
man in der aktuellen Situation, dass wir zwar nicht die
Situation „Big Brother is watching You“ haben, aber die
Situation „Big Boss is watching You“.
Was wir dringend brauchen, ist also eine Reform des
Arbeitnehmerdatenschutzes. Die Rechtsgrundlagen für
den Arbeitnehmerdatenschutz sind nicht ausreichend:
a) Es gibt keine einheitliche Rechtsgrundlage - Regelun-
gen finden sich in mehreren Gesetzen -; b) die vorhan-
denen Rechtsgrundlagen sind lückenhaft. Häufig ist ein
Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfor-
derlich. c) Die Rechtsprechung ist unübersichtlich und
vor allen Dingen nicht einheitlich. d) Ich denke, das
Rechtsstaatsprinzip gebietet auch, dass essenzielle
Dinge in einem Gesetz für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nachlesbar sind.
({0})
- Wir sind dabei.
Wichtig ist, bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen,
dass eine Einwilligung keine geeignete Grundlage für
Eingriffe in das Arbeitnehmerdatenschutzgesetz sein
kann. Ich will das an einem einfachen Beispiel zeigen,
nämlich am Beispiel der Einstellungsuntersuchung. Wir
wissen, dass laut Verdi bei über 50 Prozent aller Einstellungen Einstellungsuntersuchungen durchgeführt werden. Wird solch eine Einstellungsuntersuchung abgelehnt, dann ist der Arbeitsplatz mit Sicherheit futsch.
Wir werden noch in dieser Legislaturperiode ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz vorlegen. Es sind allerdings schwierige Abwägungen zu treffen. Natürlich hat
ein Arbeitgeber Interesse an Informationen über Mitarbeiter, deren Leistungsfähigkeit und deren Qualifikation.
Natürlich will ein Arbeitgeber auch sein Eigentum
schützen und Dritte vor Schäden bewahren, wenn von
seinem Betrieb Gefahren ausgehen. Andererseits ist es
das legitime Recht von Arbeitnehmern, die Totalüberwachung am Arbeitsplatz auszuschließen, weil das Arbeiten im Betrieb sonst unerträglich ist. In einer sozial verantwortlichen Gesellschaft muss auch derjenige
Arbeitnehmer eine Chance haben, der weniger leistungsfähig ist. Auch dieser Arbeitnehmer hat einen Anspruch
auf einen Arbeitsplatz. Letztlich geht es ganz viel um
Würde.
({1})
Daraus ergeben sich viele Fragen. Wie viele medizinische Untersuchungen brauchen wir? Obwohl Untersuchungen nur in wenigen Fällen gesetzlich vorgeschrieben sind, finden in der Realität sehr viele medizinische
Untersuchungen statt. Dabei ist der Arbeitgeber durch
die Probezeit, durch die Regelungen zur personenbedingten Kündigung und letztlich auch durch das Krankengeld geschützt. Wie soll man mit psychologischen
Einstellungstests umgehen? Hat der Arbeitgeber wirklich ein Recht darauf, etwas über Wesensmerkmale eines
Arbeitnehmers zu erfahren? Wann dürfen Telefonate von
Arbeitnehmern aufgezeichnet werden? Rechtfertigt die
Leistungskontrolle wirklich derart tiefe Eingriffe in die
Rechte der Arbeitnehmer? Jeder von Ihnen hier im
Hause nutzt wahrscheinlich regelmäßig die Lufthansa.
Sie alle kennen die Ansage auf dem Anrufbeantworter:
Zu Zwecken der Qualitätskontrolle hören wir regelmäßig bei Gesprächen mit. Ist Videoüberwachung auch in
Pausenräumen und Umkleidekabinen, zum Beispiel wegen schwerwiegender Sicherheitsbedenken, zulässig?
Dieser Fragenkatalog kann unendlich verlängert werden.
Ich habe mir die Entwürfe, die hier von den verschiedenen Fraktionen als Eckpunktepapiere vorgelegt worden sind, gründlich angeschaut.
({2})
Viele Aspekte sind darin unklar geblieben. Ich denke,
wir brauchen ein wenig mehr Abwägung. Wir werden jedoch noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorlegen.
({3})
Hans-Günther Sohl, der Ehrenpräsident des BDI, hat
gesagt: Was wir brauchen, ist Mut zum Vertrauen. Deshalb, liebe Arbeitgeber, liebe Arbeitgeberinnen, vertrauen Sie Ihren Mitarbeitern, statt sie auf Schritt und
Tritt zu überwachen!
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Kollegin Beatrix Philipp für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Kramme, die Beschreibung der Probleme, die gelöst
werden müssen, ist korrekt gewesen. Das müssten Sie
jetzt nur noch Herrn Scholz sagen.
({0})
Wir agieren seit elf Jahren in diesem Sinne. Ich bitte um
Nachsicht; ich gebe Ihnen ja nur einen guten Rat. In der
Entschließung, die wir gemeinsam verabschiedet haben
- ich bin schon ein bisschen länger als Sie dabei -, ist
der Wunsch nach Vorlage eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes immer enthalten gewesen.
({1})
Ich werde darauf gleich noch einmal zu sprechen kommen. Frau Stokar hat ihre besonderen Erfahrungen mit
Anliegen, die in einer Koalition nicht durchgesetzt werden können.
Herr Bürsch, ich kann es mir nicht verkneifen, etwas
zu Ihrem Einstieg in Ihre Rede zu sagen. Sie haben gesagt - darüber müsste man vielleicht noch einmal reden -,
der Datenschutz beginne bei den Abgeordneten. Sie haben sich dann darauf bezogen, dass jemand darüber gesprochen hat, wie er gedacht bzw. abgestimmt hat.
({2})
Jetzt muss ich Ihnen einmal ganz ehrlich sagen: Die Zeiten, in denen man nicht sagen konnte oder durfte, was
man dachte oder wie man abgestimmt hat, sind vorbei.
({3})
Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, was ich denke
und wie ich abgestimmt habe.
({4})
- Herr Bürsch, manchmal braucht man dazu Bekennermut; das gebe ich zu. Datenschutz wäre da allerdings
völlig fehl am Platz; aber das mag meine persönliche
Meinung sein.
({5})
Herr Bürsch, natürlich brauchen wir mehr Schutzmechanismen - das ist unbestritten -; aber wir müssen die
Menschen nur dann schützen, wenn sie es selbst nicht
können.
({6})
Das ist etwas, was meine Fraktion und mich von der
SPD immer erheblich unterschieden hat: Wir haben nie
behauptet, wir wüssten, wie die Menschen glücklich
werden. Deswegen haben wir immer gesagt: Es gibt den
mündigen Bürger. Da ist noch ein erheblicher Nachholbedarf. Aber das, was dazu geführt hat, dass wir heute
eben nicht über den gesamten Bereich Datenschutz sprechen können - Sie wissen ja, worüber wir im Augenblick reden -, hat auch etwas mit dem jeweiligen Menschenbild zu tun. Da, wo jemand selbst initiativ werden
kann und wo es zumutbar ist, da sollte er es auch tun; wir
sollten es ihm nicht abnehmen. Frau Piltz, in diesem
Punkt sind wir uns völlig einig.
Ich finde es schon bemerkenswert - das hat vielleicht
mit dem Ende der Legislaturperiode zu tun -, dass meine
Fraktion von Ihnen im Hinblick auf unsere Haltung zum
Datenschutz gelobt wird. Auch wenn ich weiß, dass unsere Haltung Ihnen eigentlich noch nicht weit genug
geht, sage ich für Ihr Lob ausdrücklich: Herzlichen
Dank!
Wie gesagt, hätten wir heute gern über den gesamten
Bereich Datenschutz gesprochen. Dass wir das nun
nicht tun, hat im Übrigen auch dazu geführt - das sage
ich für die Unkundigen -, dass den Rednern relativ viel
Redezeit zur Verfügung steht. Wir haben bis zum letzten Augenblick gedacht: Wir sprechen über Datenschutz insgesamt und auch über die Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz.
({7})
- Frau Piltz, Sie wussten Bescheid, weil Sie Mitglied des
Innenausschusses sind; aber den anderen ist es vielleicht
nicht so ganz klar gewesen.
Dass wir die Hoffnung auf eine gemeinsame Lösung
immer noch nicht aufgegeben haben, das hat auch Herr
Dr. Uhl gesagt. Vielleicht wirkt hier der Heilige Geist
am Wochenende ein bisschen.
({8})
Also, ich glaube an eine gemeinsame Lösung. Das unterscheidet mich wesentlich von manchem in der SPD.
({9})
Wenn wir eine gemeinsame Lösung hätten, dann hätten wir den Menschen im Land wieder einmal an einem
sehr schwierigen Beispiel zeigen können, dass es in der
Großen Koalition - über Fraktionsgrenzen hinweg nicht um Verlierer oder Sieger geht, sondern um einen
gemeinsamen, schwer erarbeiteten Erfolg.
({10})
Ein solcher Erfolg hätte uns gut angestanden. Wie gesagt, wir sind noch auf der Suche. Ich wiederhole: Wir
hätten einen solchen Erfolg gern vorgewiesen - Herr
Bürsch, das wissen auch Sie -; aber irgendjemand hat
auf der Zielgeraden noch einmal Sand ins Getriebe gestreut und neue Bedingungen aufgestellt. Deswegen war
das nicht möglich.
Ich will die Debatte über die Novelle nicht vorwegnehmen - wie Frau Stokar das getan hat -, muss aber sagen: Sie hat die Situation fast richtig beschrieben. Frau
Stokar, in meiner Fraktion wird nicht nur genickt, wenn
etwas aus dem Kabinett herüberkommt, sondern es wird
heftig diskutiert und um Mehrheiten gerungen. Das ist
hier explizit der Fall gewesen und ist es eigentlich auch
noch.
({11})
Dass die Erfahrungen der Grünen mit Ministern in
Koalitionsregierungen offensichtlich völlig andere sind,
({12})
könnte der Grund dafür sein, dass Herr Scholz und vor
ihm Herr Müntefering beim Arbeitnehmerdatenschutz
nicht zu Potte gekommen sind.
Bei dieser Ausgangslage ist das vorliegende Ergebnis
zu Scoring und Auskunfteien umso erfreulicher. Wir
sollten nicht kleinreden, was gelungen ist. Was heute
vorliegt, ist das Ergebnis von mehr als einem Jahr konsequent geführter Verhandlungen in der Koalition. Sie
wissen, dass die Missbrauchsfälle der vergangenen Jahre
- Herr Korte hat noch einmal darauf hingewiesen - ausschlaggebend dafür gewesen sind, dass man sich diesem
Bereich mit besonderer Intensität gewidmet hat.
Frau Stokar, es stand nicht im Koalitionsvertrag; das
ist schon wahr. Aber auch darüber, ob man sehr viel oder
sehr wenig in einen Koalitionsvertrag hineinschreiben
sollte, haben wir schon gesprochen. Dazu gibt es zwei
unterschiedliche Auffassungen. Wenn man möglichst
wenig hineinschreibt, ist der Bereich, in dem man sich
noch bewegen kann, größer, als wenn man sehr viel hineinschreibt und am Schluss vielleicht feststellen muss,
was man alles nicht geschafft hat.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat inhaltlich im Wesentlichen zwei Schwerpunkte: Transparenz für die Verbraucher und Rechtssicherheit für die Unternehmen.
Dass man diese Aspekte in ein ausgewogenes Verhältnis
bringen will, macht die Sache besonders schwierig.
Der zweifellos vermehrte Einsatz von Scoringverfahren hat nicht zuletzt mit Veränderungen im Verbraucherverhalten zu tun. Zu konstatieren sind technologische
Entwicklungen und die damit verbundene zunehmende
Anonymität bei Vertragsabschlüssen. Der gesamte bargeldlose Handel über das Internet ist nur ein Beispiel dafür. Es galt also, Transparenz und Rechtssicherheit, diese
unterschiedlichen Interessen der Vertragspartner, in ein
ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Ich meine, das ist
uns gelungen.
Grundlage beim Scoring sind - das sage ich noch einmal für diejenigen, die sich in dieser Materie nicht so
auskennen - Daten der zu bewertenden Person, die beim
jeweiligen Unternehmen aufgrund bereits bestehender
Vertragsbeziehungen vorliegen. Gibt es noch keine Vertragsbeziehung und kann man die Bonität des potenziellen neuen Kunden noch nicht einschätzen, dann werden
entsprechende Daten in Form von Scores hinzuerworben.
In den Scoringwert gehen viele Variablen ein. Deswegen ist der Hinweis darauf, dass Wohnortdaten bei der
Beurteilung der Bonität eines Kunden nicht ausschlaggebend sein dürfen, zu relativieren. Wenn dieses Merkmal
ein kleines Merkmal unter 150 oder mehr kleinen Merkmalen ist, sollte das zulässig sein. Das haben uns die
Auskunfteien - bis auf eine - sehr ans Herz gelegt.
({13})
Wir waren der Meinung, dass man lieber den vielen folgen soll als der einen, die sagt: Wir brauchen dieses Datum nicht.
({14})
Der Scoringwert ist aufgrund der vielen Variablen, die
in ihn einfließen, nicht gleichbleibend; er variiert mit jedem Vertragsabschluss und mit jeder Veränderung, die
bekannt wird.
Das Verfahren ist auch nicht neu, sondern ein im
Wirtschaftsleben seit Jahrzehnten verbreitetes, anerkanntes Verfahren zur Einschätzung zum Beispiel der
Bonität eines potenziellen Vertragspartners. Es geht um
die Berechnung der Wahrscheinlichkeit dafür, dass die
Vertragsbedingungen erfüllt werden. Es ist also ein Instrument der Risikominimierung. Würde man es nicht
anwenden, müssten alle eine sogenannte finanzielle Risikozulage zahlen, zum Beispiel bei Krediten, weil die
Gefahr besteht, dass diese nicht zurückgezahlt werden,
aber auch bei Abschluss von Verträgen aller Art, etwa
bei Abschluss eines Handyvertrages.
Wir haben innerhalb der Koalition in vielen Einzelfragen unterschiedliche Standpunkte vertreten, uns aber
nach unzähligen Gesprächen - Herr Bürsch hat darauf
hingewiesen - auf den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf
verständigt.
Meine Damen und Herren, eine der Grundvoraussetzungen dafür, auf Scoringverfahren zurückgreifen zu
dürfen, wird zukünftig der Nachweis eines wirtschaftlichen Interesses sein. Wir haben uns bewusst gegen den
Nachweis bzw. die Beschränkung auf kreditorische Risiken gewandt, um die Interessen von Versicherungen,
aber auch von Wohnungsvermietern einzubeziehen.
Zur Frage der Verwendbarkeit von Geodaten habe ich
eben schon etwas gesagt.
Es muss doch eigentlich jedem klar sein, dass die
Wirtschaft ein Interesse daran hat, neue Kunden zu gewinnen. Also wird die Ablehnung eines Vertragsabschlusses nur dann erfolgen, wenn es erhebliche Zweifel
an der Bonität eines Kunden gibt.
({15})
Es ist also richtig, dass man dieses Mittel den Unternehmen an die Hand gibt. Wie gesagt, handelt es sich bei
dem, was vorgelegt worden ist, um einen Kompromiss.
Weiterhin dürfen - auch das ist wichtig - keine automatisierten Entscheidungen getroffen werden; das heißt,
die endgültige Entscheidung muss von einer natürlichen
Person getroffen werden. Das bedeutet, dass weitere Kriterien berücksichtigt werden können. Diesen Grundsatz
verstärken wir mit der in § 6 a des Bundesdatenschutzgesetzes verankerten Regelung; sie enthält eine klare
Definition.
({16})
Vor allem wollten wir zugunsten der Bürgerinnen und
Bürger die Transparenz stärken. Dabei kommt dem
Recht auf Auskunft auf der einen Seite und der Auskunftspflicht auf der anderen Seite besondere Bedeutung
zu. Die Ergänzung der Auskunftspflicht um Einzelfallbezogenheit und Nachvollziehbarkeit dürfte den Interessen der Verbraucher ein großes Stück entgegenkommen,
ohne jedoch - auch das ist wichtig - das Geschäftsgeheimnis der Auskunfteien, die sogenannte Berechnungsformel, durch absurde Offenlegungspflichten zu gefährden. Wir dürfen die Augen davor nicht verschließen. Es
hat mich schon gewundert, dass das eben noch einmal
kritisch beleuchtet wurde.
Man denke daran, dass es in Amerika Score-Doctors
gibt - ich habe das dazwischengerufen -, die nichts anderes tun, als mit der dort herrschenden noch größeren
Transparenz Missbrauch zu betreiben und Tricks zu verraten, wie Scorewerte manipuliert werden können.
({17})
Das war sicherlich nicht ausschlaggebend für die Krise;
aber dass das bei der Entstehung der Krise ganz sicher
eine Rolle gespielt hat, bestreitet eigentlich niemand.
Hierzu hat es, Frau Piltz, ganz interessante Diskussionsveranstaltungen gegeben. Ich meine, dass man nicht einfach vom Tisch wischen darf, was in Amerika in diesem
Bereich geschehen ist.
Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass die Menschen die Daten in Erfahrung bringen können, die für sie
eine Rolle spielen, und auch die Möglichkeit haben, sie
zu korrigieren; aber zugleich haben wir eine klare
Grenze gezogen, indem wir gesagt haben: Wie diese
Werte gewichtet werden, ist einzig und allein Sache der
einzelnen Auskunfteien.
Für diejenigen, die sich mit der Sache beschäftigen,
ist es ganz klar, dass es nicht für eine Person nur einen
ganz bestimmten Scorewert gibt. Wir haben darüber
mehrfach gesprochen. So ist natürlich auch nur der
Scorewert interessant, den man im konkreten Fall hat,
und nicht der durchschnittliche. Es wird sicherlich ein
anderer Scorewert als mein durchschnittlicher zugrunde
gelegt, wenn ich mich um einen Immobilienkredit für einen Hauskauf bemühe. Dass dieser mich mehr als der
durchschnittliche interessiert, ist völlig klar. Aber auch
darüber haben wir im Innenausschuss schon ausführlich
gesprochen.
Es geht also nicht darum, einen „gläsernen Menschen“ zu schaffen, wie immer wieder behauptet wird.
Es geht auch nicht darum, jedem eine konstante Größe
zuzuweisen, die er dann ein Leben lang mit sich herumträgt, wie einige vermutet haben, sondern es geht um die
Anpassung der Rechtsgrundlagen an die veränderten Bedingungen, unter denen heute Verträge geschlossen werden.
Irgendjemand hat im Laufe der Gesetzesberatungen
einmal gesagt: Im Tante-Emma-Laden wurde ich früher
auch gescored, also eingeschätzt, allerdings nicht auf
Basis eines statistisch-mathematischen Verfahrens, sondern allein aufgrund der Tatsache, ob dem Inhaber des
Ladens meine Nase passte oder nicht. Das Verfahren, das
wir jetzt auf den Weg bringen, ist ein statistisch-mathematisches, also ein objektives. Deswegen sollten wir diesem Gesetz und dem darin verankerten Verfahren zustimmen.
Vielen Dank.
({18})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Philipp, noch vor einem Jahr hätte es viel
Mut gebraucht, vorherzusagen, dass Datenschutz in dieser Legislaturperiode noch einmal eine große Rolle spielen wird.
({0})
Eine Reihe von Ereignissen hat dazu geführt, dass wir
uns intensiv mit diesem Thema beschäftigen. Das ist gut
so. Liebe Frau Philipp, vielleicht gelingt es auch ohne
den Heiligen Geist, ein weiteres Gesetz auf den Weg zu
bringen.
({1})
Die politische Vernunft allein sollte ausreichen.
({2})
Die Diskussionen um den Datenschutz und ein Teil
der aktuellen Novellierungen sind, wie wir gehört haben,
noch nicht beendet. Heute steht im Mittelpunkt der Antrag der Grünen, ein Grundrecht auf Datenschutz in das
Grundgesetz aufzunehmen, und wir unterhalten uns über
die Gesetzgebung zum Scoring.
Datenschutz als Grundrecht soll, wie die Grünen in
ihrem Antrag formulieren, „die verbindliche Aufforderung an den Gesetzgeber“ sein, „die notwendige Überarbeitung der Datenschutzgesetze endlich anzugehen“.
Liebe Frau Stokar, ich muss - bei allem Engagement der
Grünen für einen modernen Datenschutz; das konzediere
ich Ihnen - schon sagen: Das Grundgesetz ändern und es
verwenden zu wollen, um Arbeitsaufträge an die Regierung zu richten, das ist aus meiner Sicht nicht in Ordnung.
Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder
und zum Teil hitzig darüber debattiert, ob noch dieses
oder jenes in unserer Verfassung verankert werden
sollte. Wir haben manches in diesem Bereich spezifiziert
und modifiziert. Das war auch richtig so. Wir werden
unsere Verfassung sicherlich auch zukünftig sachgerecht
weiterentwickeln. Ich bin aber entschieden dagegen, permanent an diesem Erfolgsmodell Verfassung herumzudoktern und für jede gesellschaftliche Entwicklung, auch
wenn sie wichtig ist, gleich ein Grundrecht zu verankern.
Dies wäre nach meiner Überzeugung ein inflationärer
Ruf nach Grundgesetzänderungen.
Das von den Grünen geforderte Grundrecht auf Datenschutz käme darüber hinaus einem Placebo gleich. Es
braucht doch nicht einer Grundgesetzergänzung, um zu
der Erkenntnis zu gelangen, dass das Bundesdatenschutzgesetz und die Datenschutzrechte insgesamt weiterentwickelt werden müssen. Sie sehen, wir arbeiten in
dieser Koalition bis zur letzten Sekunde an diesem
Thema.
({3})
Richtig ist, dass sich im Bereich Datenschutz viel verändert hat. Wenn wir heute über Datenschutz reden, diskutieren wir nicht nur über ein Abwehrrecht gegenüber
dem Staat, sondern müssen auch den kommerziellen Gebrauch von privaten Daten berücksichtigen. Unsere Diskussion ist geprägt von gravierenden Datenskandalen in
großen Unternehmen; die Kollegin Kramme und die anderen Kollegen haben das eben deutlich gemacht. Flächendeckende Überwachung und Ausspähung von Arbeitnehmern ist ein Thema, und es geht um Datenklau
im Internet mit der Absicht, ein Profil von Bürgerinnen
und Bürgern zu erstellen.
Überall im Alltag hinterlässt der moderne Mensch
Datenspuren, die Begehrlichkeiten wecken. Längst sind
Daten zur Handelsware geworden. Viele Bürgerinnen
und Bürger verbreiten ihre Daten aber auch äußerst sorglos. Dies gilt - das ist gesagt worden - für das Web 2.0,
aber nicht nur dafür. Es gilt in besonderem Maße für die
Abermillionen Kundenkarten, die in Deutschland in
Umlauf sind.
Die Bürgerinnen und Bürger brauchen Transparenz.
Sie müssen heutzutage in Erfahrung bringen können,
wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie
weiß. Nur dann können sie die datenschutzspezifischen
Auskunfts-, Löschungs-, Berichtigungs- und Sperrungsansprüche und ihre Widerspruchsrechte tatsächlich in
Anspruch nehmen. Dies ist die Zielsetzung, die wir mit
den aktuellen Gesetzesnovellierungen verfolgen. So ist
es gut, dass wir im Bereich der Bonitätsprüfung durch
mathematisch-statistische Verfahren, beim sogenannten
Scoring, zu erheblichen Verbesserungen im Bereich des
Datenschutzes und damit auch zu mehr Verbraucherschutz kommen.
Verbraucherinnen und Verbraucher werden zukünftig
die wesentlichen Gründe einer vertraglichen Entscheidung aufgrund der Bonitätsprüfung erhalten. Sie werden
ihnen nicht nur genannt, sondern auch erläutert. Damit
ist Scoring nicht mehr wie in der Vergangenheit eine
Blackbox für den Konsumenten. Zukünftig wird die Bonitätsprüfung transparent und nachvollziehbar sein. Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten somit die Möglichkeit, vertragliche Entscheidungen zu verstehen. Sie
erhalten die Chance, durch eigenes Verhalten Einfluss
auf ihre Bonität und damit auf die Kreditkosten zu nehmen. Dazu brauchen sie keinen Scoringdoktor. Ich
glaube, es ist das gute Recht der Verbraucher in unserem
Land, dies zu tun.
Wir haben in den Gesetzesverhandlungen auch erreicht, dass es eine Nachberichtspflicht für den Fall der
nachträglichen Änderungen ganz bestimmter Fakten
gibt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Die Zulässigkeit der Verwendung von Georeferenzdaten wird im Scoringverfahren zukünftig eingeschränkt.
Unzulässig werden damit solche Verfahren, die ausschließlich oder fast ausschließlich geodatenbasiert sind.
Damit verhindern wir eine Benachteiligung von Verbraucherinnen und Verbraucher, denen ein Vertragsabschluss allein deshalb verweigert wird, weil sie im falschen Stadtteil wohnen.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir in Bezug auf das
Scoring insgesamt eine Beschränkung auf kreditrelevante Sachverhalte im Gesetzentwurf hätten verankern
können. Das war mit unserem Koalitionspartner leider
nicht möglich. Ich glaube aber, dass der Gesetzentwurf
zum Scoring insgesamt ein gutes Beispiel für die Verbesserung des Datenschutzes in dieser Legislaturperiode ist.
Ich hoffe, dass wir das auch in der noch anstehenden
weiteren Novelle erreichen.
Datenschutz ist auch Verbraucherschutz. Dies muss
gesetzlich berücksichtigt werden. Dies wird auch ohne
eine Grundgesetzänderung unsere dauernde Aufgabe
bleiben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/13170 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf ei-
nes Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Änderung des Grundgesetzes, Art. 2 a, 5 a, 13 a, 19. Der
Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13218, den Gesetzentwurf der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9607
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen bei
Stimmenthaltung der FDP und der Linken abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes. Der Innen-
ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13219, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksachen 16/10529 und 16/10581
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen
bei Stimmenthaltung der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/13233. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP bei
Stimmenthaltung der Fraktionen der Linken und der
Grünen abgelehnt.
Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13219, den Gesetzent-
wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/31 abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Mehr Datenschutz beim so genannten Scoring“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13219, den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/683 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei
Stimmenthaltung der FDP angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,
Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Thomas Oppermann, Joachim
Stünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 16/12412 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,
Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Thomas Oppermann, Joachim
Stünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle
der Nachrichtendienste des Bundes
- Drucksache 16/12411 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Kontrollgremiumgesetzes
- Drucksache 16/1163 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck
({1}), Monika Lazar, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver24896
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
besserung der parlamentarischen Kontrolle
der Geheimdienste sowie eines Informationszugangsrechts
- Drucksache 16/12189 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Nešković, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Dr. Norman Paech, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines … Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes
- Drucksache 16/12374 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 16/13220 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl
Michael Hartmann ({3})
Wolfgang Nešković
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Bodo Ramelow, Ulla
Jelpke, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Überwachung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz beenden
- Drucksachen 16/5455, 16/13220 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl
Michael Hartmann ({5})
Wolfgang Nešković
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD und der FDP zur Änderung des Grundgesetzes,
über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt
ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste erfordert zunächst eine Beschäftigung mit den
Nachrichtendiensten selbst und ihrer Bedeutung in der
heutigen Zeit. Nach dem 11. September 2001 haben wir
alle gelernt, dass die Nachrichtendienste für die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit eine eminent
wichtige Bedeutung - sie wurde sehr viel wichtiger, als
es bis dahin der Fall war - erhalten haben. Deswegen
war es richtig, dass wir und andere Nationen gesagt haben: Wir müssen die Nachrichtendienstler mit mehr Ressourcen für Sachmittel und Personal und auch mit mehr
rechtlichen Befugnissen ausstatten. Wir haben gewissermaßen ihre gesetzlichen Aufgaben erweitert. Wer das
tut, muss sich unverzüglich Gedanken über die Kontrolle
solchermaßen ausgeweiteter Zuständigkeiten der Nachrichtendienste machen. Das haben wir getan.
({0})
FDP, SPD und die Union haben sich dies nicht leicht
gemacht; denn wir wissen um die fast riskante Vorgehensweise, einerseits die Nachrichtendienste zu schützen, zu stützen und auszubauen und sie andererseits zu
kontrollieren. Man kann durch eine unsachgemäße Kontrolle und die Veröffentlichung bestimmter Ergebnisse
die Arbeit der Nachrichtendienste nachhaltig stören und dies zum Schaden Deutschlands. Das ist uns immer
bewusst gewesen. Das will keiner von uns.
Wer die Rechte des zuständigen Gremiums stärkt - das
wollen wir -, muss sich den Spielregeln der Dienste, die
kontrolliert werden, unterwerfen. Das heißt, das Gremium muss genauso geheim arbeiten wie die Dienste
selbst. Die Dienste arbeiten geheim und müssen dies
auch immer tun können. Das birgt natürlich insoweit
eine Gefahr in sich, als eine Ermittlungstätigkeit zu erheblichen Grundrechtseinschränkungen führen kann.
Deswegen ist es so wichtig, diese Tätigkeit zu kontrollieren.
Sie erinnern sich an folgenden Fall: Nachdem
bekannt wurde, dass eine Spiegel-Redakteurin in ihrem
E-Mail-Verkehr mit einem afghanischen Minister in einer Art und Weise abgehört wurde, die man nicht billigen kann, haben wir erfahren, dass dies dem Präsidenten
des Dienstes zum richtigen Zeitpunkt nicht bekannt war,
sondern erst später bekannt wurde, weswegen er im
Kanzleramt keine Meldung erstatten konnte und uns das
Kanzleramt auch nicht unterrichten konnte.
({1})
- Nein, Herr Oppermann, keine Sorge. Ich kapriziere
mich nicht auf die Person, deren Schutz Sie im Auge haben, sondern mir geht es um die Sache, nämlich die
Kontrolle dieses Dienstes.
({2})
Lassen Sie mich Folgendes herausarbeiten: Es geht
uns darum, dass dieses Gremium kein Ausschuss üblicher Art ist, sondern ein Gremium sui generis, das seine
Mitgliederzahl und Arbeitsweise selbst definiert. Dieses
Gremium ist eminent wichtig geworden, weil die
Dienste wichtig geworden sind. Deswegen sollte dieses
Gremium im Grundgesetz in der Weise Erwähnung finden, dass das Parlament sich dieses Gremium schaffen
muss. Das Parlament bringt damit zum Ausdruck, dass
es keine exekutive Gewalt geben darf, die sich außerhalb
der parlamentarischen Kontrolle bewegt. Das ist der
Kern, um den es geht.
({3})
Nur so können wir das Vertrauen herstellen, das auch
die Dienste brauchen. Die Dienste müssen darauf vertrauen können, dass das Parlament zu ihnen steht. Die
Bevölkerung muss darauf vertrauen können, dass wir im
Gremium die Dienste kontrollieren. Wir, die neun Mitglieder dieses Gremiums, sind gleichsam die legitimatorische Verknüpfung zwischen Bevölkerung und Nachrichtendienst.
Ich komme jetzt zu einigen Veränderungen, die uns
wichtig sind: Wir brauchen einen Fraktionsmitarbeiter,
der uns zuarbeiten und helfen kann, Dokumente zu lesen, der uns darauf hinweist, was passiert ist, und der
Sachverhalte zusammenfasst, damit wir die richtigen
Fragen im Rahmen unserer Kontrolltätigkeit stellen können. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Wir können natürlich auch Eingaben aus dem Dienst
heraus bearbeiten. Das ist aber nicht so neu; das gab es
bisher schon.
({4})
Aber wir müssen natürlich den richtigen Umgang finden. Wenn Eingaben aus dem Dienst bei uns eingehen,
sei es namentlich oder anonym, müssen wir uns mit den
Dingen befassen, allerdings nicht ohne die Dienstvorgesetzten vorher befragt zu haben. Wir dürfen nicht in den
Dienst hineinregieren; wir kontrollieren den Dienst. Die
Sorge, dass wir uns in laufende Verfahren - zum Beispiel Verfahren anlässlich einer Entführung, einer Piraterie - einmischen, ist völlig unbegründet; denn wir lassen
solche Verfahren immer zum Abschluss kommen, um
uns danach berichten zu lassen. Wir wollen nicht exekutiv tätig werden, wir wollen kontrollieren und nichts anderes.
({5})
Die Sorge, dass der Dienst dadurch geschwächt werden könnte, dass wir kontrollieren und der Dienst deshalb von befreundeten Diensten abgekoppelt werden
könnte und von ihnen keine Informationen mehr bekäme, ist völlig unbegründet. Die Nachrichtendienste
können nicht alles wissen, auch unsere nicht; sie leben
vom Austausch von Informationen mit den amerikanischen, französischen, englischen und anderen Diensten.
Das heißt, hier muss ein vertrauensvoller Austausch von
Informationen möglich sein. Dieses Vertrauen müssen
wir mittragen und dürfen es keineswegs stören. Dies ist
uns allen bewusst, und niemand will sich dagegen verwehren, dieses Vertrauen zu unterstützen. Austausch ist
wichtig.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Erhöhung
der Legitimität der Nachrichtendienste durch Aufnahme
unseres Gremiums in das Grundgesetz ist ein eminent
wichtiges Signal. Wir brauchen unsere Nachrichtendienste mehr denn je. Ein Terroranschlag kann nur durch
nachrichtendienstliche Tätigkeit verhindert werden. Sobald Terroristen mit einer Bombe losmarschiert sind, ist
für den Staat jede Chance vertan, den Anschlag verhindern zu können. Nur Nachrichtendienste können im Vorfeld, bei der Planung eines Anschlages, zum Schutz der
Bevölkerung wirksam tätig werden. Weil wir dies wissen, werden wir diese Arbeit niemals stören.
Wir werden unsere Rechte und unsere Pflichten gewissenhaft wahrnehmen. Sollte es tatsächlich einmal
zum Streit mit der Bundesregierung kommen, können
wir - diese Möglichkeit haben wir geschaffen - das Bundesverfassungsgericht anrufen, allerdings nur mit Zweitdrittelmehrheit der Mitglieder des Gremiums. Auch dies
ist eine Einrichtung, die ich für sinnvoll und sachgemäß
halte.
Unterstützen Sie uns bitte bei diesem Vorhaben. Ich
glaube, es ist verantwortungsbewusst, systemgerecht,
ohne Bruch und sehr durchdacht. Das ist zum Wohle der
Dienste, zum Wohle der inneren und äußeren Sicherheit
der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Das Wort hat Kollege Max Stadler für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 haben die Nachrichtendienste auch in der Bundesrepublik Deutschland so viele Befugnisse erhalten
wie nie zuvor. Für die FDP war immer klar: Je mehr Befugnisse Geheimdienste haben, umso besser muss die
parlamentarische Kontrolle ausgestaltet werden.
({0})
Daran hat es bisher aber gemangelt. Diese Kontrolldefizite werden mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz
verringert.
Erinnern wir uns: Einsatz von BND-Agenten während des Irak-Kriegs in Bagdad trotz gegenteiliger
Selbstdarstellung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, rechtswidrige Bespitzelung von Journalisten,
fragwürdige Amtshilfe des Nachrichtendienstes gegenüber Polizeibehörden. All diese Vorgänge sind in der
Vergangenheit am dafür berufenen Parlamentarischen
Kontrollgremium vorbeigegangen. Das war nicht länger
akzeptabel. Das wissen alle in diesem Hohen Haus zwar
seit Jahren.
({1})
Aber nur die FDP-Fraktion hat schon am 6. April 2006
einen Reformentwurf in den Bundestag eingebracht.
({2})
- Ja, weil wir daraus jetzt ein Gesetz machen. Das ist genau der Gedankengang, den ich vortragen wollte, lieber
Herr Kollege Ströbele. - Wir sind sehr zufrieden, dass es
jetzt nach dreijähriger Debatte gelungen ist, obwohl die
Koalition das Thema jahrelang nicht angepackt hat, die
Regierung „not amused“ war und nichts voranzugehen
schien, zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf von
CDU/CSU, SPD und FDP zu kommen.
Es passiert nicht jeden Tag, dass man aus der Opposition heraus gemeinsam mit den Regierungsfraktionen einen Gesetzentwurf initiieren kann.
({3})
Das wäre auch in diesem Fall nicht möglich gewesen,
wenn sich nicht einzelne Abgeordnete der Koalitionsfraktionen des Themas besonders angenommen hätten.
Das sind Kollege Uhl, der gerade gesprochen hat, Kollege Röttgen und Kollege Oppermann. Ich will in aller
Deutlichkeit sagen, dass auch die Diskussionsbeiträge
des Kollegen Ströbele von den Grünen und des Kollegen
Nešković von der Linkspartei die Reformdebatte befruchtet haben.
Dagegen lesen wir in seriösen Zeitungen, dass offenbar mehrere Minister der amtierenden Bundesregierung
hinhaltenden Widerstand gegen diesen ohnehin moderaten Gesetzentwurf geleistet haben.
({4})
Es ist nicht dementiert worden, dass die Minister
Schäuble, Steinmeier und Jung wieder einmal das Argument benutzt haben, dass eine stärkere parlamentarische
Kontrolle die Arbeit der Geheimdienste erschweren und
unsere Sicherheit gefährden würde.
({5})
Das ist völliger Unsinn. Wir sagen dazu: Für die FDP
kam es überhaupt nicht infrage, diesem Druck, der offenbar von der Regierung auf das Parlament ausgeübt
werden sollte, in irgendeiner Weise nachzugeben.
({6})
Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf ist nach einer Sachverständigenanhörung, die am Montag stattgefunden hat,
im Ausschuss noch deutlich verbessert worden. Ich
nenne folgende Punkte: Mit diesem Gesetzentwurf wird
erstmals in den Fällen, in denen das Gremium Vorgänge
öffentlich bewertet - das ist allerdings die Ausnahme,
weil es weiterhin prinzipiell nicht öffentlich tagt -, das
Recht der Opposition auf ein Sondervotum bei diesen
Bewertungen festgeschrieben. Das ist ein erheblicher
Fortschritt. Allerdings findet sich im Gesetzentwurf eine
wirklich unpassende Formulierung, nach der solche Sondervoten der Opposition dem Gremium vorher vorzulegen sind. Wir haben nicht das Bedürfnis, diejenigen, die
wir kontrollieren wollen und nach dem gesetzlichen
Auftrag kontrollieren müssen, vorher um Erlaubnis zu
bitten. Es ist klargestellt, dass diese Passage, die ohnehin
nicht im Gesetz stand, sondern nur in der Begründung,
keine Bedeutung hat.
({7})
Ich nenne einen zweiten Punkt: Wir haben in den letzten Beratungen in dieser Woche erreicht, dass die Mitarbeiter, die uns neu zuarbeiten können, weil vier Augen
nun einmal mehr sehen als zwei Augen, auf Beschluss
des Gremiums auch Zugang zu den Sitzungen und damit
zu der mündlichen Unterrichtung der Abgeordneten haben.
({8})
Das wird ebenfalls die Kontrollmöglichkeiten deutlich
verbessern und ist ein Fortschritt gegenüber dem, was zu
Beginn unserer Beratungen im Gesetzentwurf vorgesehen war.
Nun ist mir eines noch besonders wichtig, meine Damen und Herren; auch dies hat die FDP mit Unterstützung
von CDU/CSU und SPD im Innenausschuss klargestellt:
Erstmals wird das Parlamentarische Kontrollgremium
auch in der Verfassung selbst verankert. Mit dieser besonderen Hervorhebung des Gremiums werden aber die
Rechte einzelner Abgeordneter oder sonstiger Parlamentsausschüsse wie etwa Innenausschuss oder Rechtsausschuss in keiner Weise beeinträchtigt. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist in besonderem Maße zur
Kontrolle befugt, aber andere Ausschüsse haben ebenfalls ihre Rechte, etwa wenn Polizeien wie das Bundeskriminalamt gemeinsam, womöglich unter Verletzung
des Trennungsgebotes, mit Geheimdiensten tätig sind.
({9})
Für uns ist klar, dass die Rechte des Parlaments unberührt bleiben. Es kommt im Gegenteil insgesamt zu einer
verbesserten Kontrolle.
Auch die FDP sagt: Wir brauchen die Dienste, aber
die Dienste brauchen auch uns Kontrolleure; denn eine
Tätigkeit, die sich im Geheimen abspielt, kann nur Vertrauen beanspruchen, wenn es eine ausreichende Kontrolle gibt. Da könnte man sich immer noch mehr vorstellen - das weiß jeder -; trotzdem sage ich in der
Gesamtabwägung: Mit diesem Gesetz, das wir heute beschließen, wird die notwendige Kontrolle ein gutes
Stück vorangebracht.
({10})
Das Wort hat nun Kollege Thomas Oppermann für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen!
Mit dem neuen Gesetz über die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste erreichen wir das gute Ende eines langen verfassungspolitischen Prozesses, der seinen
Ausgang in der jungen Bundesrepublik hatte. Über die
geheimdienstlichen Aktivitäten in der Adenauer-Zeit
wurde das Parlament nicht regelmäßig unterrichtet. Es
hing von der Gunst Konrad Adenauers ab, ob und was
das Parlament darüber erfuhr. Es gab aber Fortschritte.
Ende der 70er-Jahre gab es eine gesetzliche Grundlage,
das Parlamentarische Kontrollgremium wurde eingeführt, und heute schaffen wir die verfassungsrechtliche
Verankerung der parlamentarischen Kontrolle. Das ist
ein großer verfassungspolitischer Fortschritt. Regierung
und Parlament handeln jetzt auf gleicher Augenhöhe.
({0})
Diese verfassungsrechtliche Verankerung der parlamentarischen Kontrolle darf natürlich nicht zu der Fehlvorstellung verleiten, Regierung und Parlament hätten in
diesem Bereich die gleichen Aufgaben. Aufgabe der Regierung ist es, funktionierende Geheimdienste bereitzustellen, die wir brauchen, um die Sicherheit der Menschen, die Sicherheit wichtiger Rechtsgüter und auch die
Sicherheit des Staates und der demokratischen Institutionen in diesem Lande zu gewährleisten. Wir brauchen
nachrichtendienstliche Informationen, um präventiv
handeln und uns gegen solche Gefahren schützen zu
können. Also brauchen wir funktionierende Dienste.
Aber wir brauchen eben auch eine effektive Kontrolle. Effektive Kontrolle darf man jedoch nicht verwechseln mit der Dauerskandalisierung der verdammt
schwierigen und nicht selten gefährlichen Arbeit der Geheimdienstmitarbeiter. Das will ich an dieser Stelle einmal feststellen.
({1})
Die Dienste haben einen Anspruch auf eine kritische,
aber faire Bewertung ihrer wahrhaftig nicht einfachen
Arbeit.
Aber es gibt auch Grenzen der Kontrolle, und es war
die Sorge der von Ihnen genannten Minister, Herr
Stadler - es sind aber nicht nur die Minister Jung,
Steinmeier und Schäuble; dazu gehört auch mein Kollege Otto Schily -, ob wir die Dienste durch effektive
Kontrolle nicht zu sehr schwächen.
Nun hat das Gremium ohnehin Grenzen. Eine Grenze
besteht durch das Prinzip der Verantwortlichkeit der Regierung. Das bedeutet, dass das Gremium nicht das
Recht und die Zuständigkeit hat, sich in laufende geheimdienstliche Operationen einzumischen, und zwar
aus zwei Gründen: Erstens sitzen in dem Gremium keine
professionellen Geheimdienstleute - vielleicht mit Ausnahme von Herrn Ströbele, der schon so lange dabei ist,
dass eine gewisse Professionalisierung erfolgt ist.
({2})
- Herr Nešković auch, ja. - Der Sachverstand wäre nicht
vorhanden; es fehlte an professionellem Können. Zweitens entspräche es aber auch nicht dem Verantwortlichkeitsprinzip. Wenn Parlamentarier sich in laufende Operationen einmischen, dann kann der Präsident des
Dienstes oder auch die Bundesregierung dafür nicht
mehr die Verantwortung übernehmen.
({3})
Damit gerieten wir in einen Zustand geteilter Verantwortung, und einen solchen Zustand wollen wir nicht.
Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle sind
deshalb im Prinzip nur abgeschlossene oder zum Teil abgeschlossene Vorgänge, was nicht ausschließt, dass die
Regierung manchmal über laufende Vorgänge berichtet;
das liegt dann in ihrem Ermessen.
Es gibt eine zweite Grenze der Kontrolle, und zwar
sowohl im alten Gesetz als auch im neuen Gesetz. Sie ist
in § 6 Abs. 1 des Kontrollgremiumgesetzes festgelegt.
Dort heißt es: Die Pflicht, das Gremium zu unterrichten,
„erstreckt sich nur auf Informationen, die der Verfügungsberechtigung der Dienste unterliegen“. - Mit anderen Worten: Brisante Informationen, die der BND von
wichtigen Partnerdiensten mit der Einschränkung bekommt, dass sie nicht weitergegeben werden dürfen,
dürfen natürlich auch nicht Gegenstand politischer Erörterungen in dem Gremium sein. Das ist unabänderlich,
wenn wir weiter leistungsfähige und partnerschaftsfähige Dienste haben wollen.
Ich fasse zusammen: Mit den neuen Zutritts-, Akteneinsichts- und Befragungsrechten schaffen wir eine angemessene Balance zwischen Sicherheit und Freiheit.
Um Sicherheit durch Prävention zu erreichen, brauchen
wir die Arbeit der Dienste, die sich naturgemäß im Geheimen bewegt. Wir brauchen leistungsfähige Dienste.
Um die Freiheit zu gewährleisten, brauchen wir eine besondere Kontrolle, die die Freiheitsrechte der Bürger im
Auge hat und die das Vertrauen der Bürger in die Lauterkeit und Gesetzmäßigkeit des Handelns der Dienste begründet und rechtfertigt.
Das alles wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
erreicht. Ich freue mich darüber, Herr Stadler, dass hier
Regierungs- und Oppositionsparteien gemeinsam handeln, um eine verfassungsgemäße und dauerhaft tragfähige Grundlage für die parlamentarische Kontrolle unserer Nachrichtendienste zu schaffen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Nešković für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Als die deutsche Demokratie noch
in der Wiege lag, hatte Wilhelm II. den deutschen
Reichstag als Quasselbude bezeichnet. Dem Monarch
missfiel die in Gang kommende Machtbegrenzung, die
das ganze Gequassel für ihn bedeutete. Denn der Reichstag verstand sich in seiner Gesamtheit als Gegengewicht
zur monarchischen Regierung. Hier lag damals das natürliche politische Spannungsverhältnis.
In einer parlamentarischen Demokratie hingegen liegen die Dinge ganz anders. Ich zitiere aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:
Das ursprüngliche Spannungsverhältnis zwischen
Parlament und Regierung, wie es in der konstitutionellen Monarchie bestand, hat sich in der parlamentarischen Demokratie, deren Parlamentsmehrheit
regelmäßig die Regierung trägt, gewandelt. Es wird
nun vornehmlich geprägt durch das politische
Spannungsverhältnis zwischen der Regierung und
den sie tragenden Parlamentsfraktionen einerseits
und der Opposition andererseits. Im parlamentarischen Regierungssystem überwacht daher in erster
Linie nicht die Mehrheit die Regierung, sondern
diese Aufgabe wird vorwiegend von der Opposition
- und damit in der Regel von einer Minderheit wahrgenommen.
({0})
Der Kaiser ist tot. Ihr Entwurf entspricht dennoch der
Logik der konstitutionellen Monarchie. Er enthält nämlich keine ausreichenden Minderheitenrechte. Nach ihm
sind es allein die Mitglieder der Regierungsfraktionen,
die über das Ausmaß und den Umfang der Kontrolle bestimmen. Sämtliche Kontrollbefugnisse des Gremiums
sind von Mehrheitsbeschlüssen abhängig. Damit sind es
allein die Mitglieder der Regierungsfraktionen, die mit
einfacher oder sogar Zweidrittelmehrheit über Folgendes
entscheiden: Besuchsrechte bei den Diensten, Akteneinsichtsrechte, Anhörungen von Mitarbeitern der Geheimdienste, die Inanspruchnahme von Amtshilfe, die Einschaltung eines Sachverständigen, die Anwesenheit von
Fraktionsmitgliedern im Gremium und öffentliche Kritik
an der Regierung.
Wenn also ein Mitglied einer Oppositionsfraktion die
Regierung kontrollieren möchte, zum Beispiel durch
Akteneinsicht, muss er oder sie die Regierungsfraktionen vorher untertänigst um Erlaubnis bitten.
({1})
Die Regierungsfraktionen haben es also in der Hand, ob
die Regierung in Bedrängnis gerät oder nicht. Dazu werden die Regierungsfraktionen naturgemäß wenig Neigung verspüren.
({2})
Naturgemäß bringt allein die Opposition den notwendigen Biss auf, um die Regierung wirkungsvoll zu kontrollieren.
({3})
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren und
meine liebe Öffentlichkeit, entspricht gesicherter parlamentarischer Erfahrung.
({4})
Deswegen sind die Minderheitenrechte für eine effiziente Kontrolle unentbehrlich. Der Mangel an Minderheitenrechten ist nicht der einzige schwerwiegende Mangel dieses Entwurfes. Ich nenne drei Beispiele.
Erstens. Laut dem Entwurf kann die Regierung die
Herausgabe von Informationen - Herr Oppermann sagte
das schon - an das Kontrollgremium verweigern, wenn
dadurch die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten betroffen wäre.
({5})
Das bedeutet nichts anderes, als dass sich die Nachrichtendienste des Bundes und die ausländischen Nachrichtendienste darüber einigen können, welche Informationen dem Gremium vorenthalten werden. Das wäre ein
verfassungsrechtlich unzulässiger Vertrag zulasten der
parlamentarischen Kontrolle und damit unserer Demokratie.
({6})
Zweitens. Noch immer liegt es - im Ergebnis - im
Belieben der Regierung, über welche Vorgänge sie im
Gremium informiert. Das ist absurd: Derjenige, der kontrolliert werden soll, entscheidet über den Umfang der
Kontrolle. Ebenso gut könnte der Angeklagte in einem
Strafprozess über den Umfang der Beweisaufnahme entscheiden. Der Freispruch wäre garantiert.
Drittens. Besonders feierlich geben sich die Verfasser
des Entwurfs aufgrund der neuen Befugnis des Gremiums, mit einer Zweitdrittelmehrheit das Bundesverfassungsgericht anrufen zu können. Das ist überhaupt
nicht feierlich, sondern absolut lächerlich. Man benötigt
schon eine gehörige Abneigung gegen die Wirklichkeit,
um sich eine Situation vorzustellen, in der die Abgeordneten der Regierungsfraktionen mit ihrer Stimmenmehrheit vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um dort
die eigene Regierung zu verklagen. So viel Fantasie
habe ich nicht; aber Sie haben sie offensichtlich.
Wer von diesem Gesetzentwurf eine wirkungsvolle
parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste erwartet,
ist naiv. Wer dies dennoch behauptet und nicht naiv ist,
darf sich nicht ärgern, wenn das Gremium in der öffentlichen Wahrnehmung, um in der Sprache des Kaisers zu
bleiben, in den Ruf einer Quasselbude gerät.
({7})
Ich fasse zusammen: Auch nach diesen Gesetzesänderungen bleibt das Gremium ein blinder Wächter ohne
Schwert.
Ich danke Ihnen.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Ströbele für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Kollege Uhl hat
ja recht,
({0})
nach dem 11. September 2001 haben wir neue Erfahrungen gemacht, und unsere Nachrichtendienste, unsere Sicherheitsdienste haben - darauf hat Kollege Stadler hingewiesen - umfassende neue Befugnisse, Manpower
und Möglichkeiten bekommen.
Wir haben nach dem 11. September aber auch ganz
schlimme Erfahrungen gemacht, Herr Uhl. Wir haben
die Erfahrung gemacht, dass selbst in etablierten alten
parlamentarischen Demokratien vieles außer Kontrolle
geraten ist und offizielle Nachrichtendienste einiger
Länder, nicht zuletzt der USA, so außer Kontrolle geraten sind, dass sie weltweit mit der Verschleppung von
Menschen, mit Folter und mit schweren Verstößen gegen
rechtsstaatliche und völkerrechtliche Prinzipien die
Menschenrechte im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten haben. Diese ganz schlimme Erfahrung haben wir gemacht.
Nicht ohne Grund beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages seit inzwischen mehr als drei Jahren mit der Frage: Inwieweit waren deutsche Nachrichtendienste, deutsche Politik,
deutsche Politiker und deutsche Bundesregierungen mit
dieser schlimmen weltweiten Praxis in irgendeiner
Weise verbandelt und daran beteiligt?
({1})
Das ist aber ein anderes Thema.
Jetzt fragt man sich: Welche Schlussfolgerungen zieht
man daraus? Man kann nur zu einer einzigen Schlussfolgerung kommen: Das darf nie wieder passieren, weder
weltweit noch in Deutschland.
({2})
Wie können wir das verhindern? Ich sage Ihnen - das
ist der Grund, warum wir gegen die Grundgesetzänderung
stimmen -: Wir wollen nicht das gesamte Parlament, also
alle zuständigen Ausschüsse - den Innenausschuss, den
Auswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss
und mögliche Untersuchungsausschüsse - und jeden einzelnen Abgeordneten aus der Verantwortung für die
Kontrolle der Nachrichtendienste entlassen.
({3})
Wir wollen, dass auch einzelne Abgeordnete, die beispielsweise erfahren, dass zwei Agenten des Bundesnachrichtendienstes während des Irak-Krieges in Bagdad
waren, die Bundesregierung fragen können: Liebe Bundesregierung, stimmt das? Was haben die da gemacht?
Haben die den Krieg unterstützt? - Wir wollen, dass sie
in diesem Fall von der Bundesregierung nicht die Antwort bekommen: Das wollen wir Ihnen in der Öffentlichkeit nicht beantworten. Das beantworten wir nur im
zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium. - Das
darf nicht sein.
({4})
Wir sind dagegen, dass ins Grundgesetz die Vorschrift
aufgenommen wird:
Der Bundestag bestellt ein Gremium zur Kontrolle
der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes.
Gemeint ist damit die gesamte nachrichtendienstliche
Tätigkeit des Bundes. Diese Formulierung bezieht sich
darauf, dass Sie diesem Gremium ursprünglich auch die
Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des
BKA und des Bundespolizeiamtes übertragen wollten.
Diese Vorschrift konterkariert die Verantwortung des gesamten Deutschen Bundestages. Wir halten sie für falsch
und gefährlich, weil sich die Bundesregierung dann
möglicherweise noch öfter auf sie beruft.
({5})
In einem anderen Punkt sind wir grundsätzlich derselben Auffassung wie Sie. Auch wir sind der Auffassung,
dass die Möglichkeiten des Parlamentarischen Kontrollgremiums erheblich ausgeweitet werden müssen.
({6})
Wir freuen uns darüber, dass dieses Thema im Plenum
des Deutschen Bundestages aufgegriffen wird und wir
über entsprechende Gesetzentwürfe diskutieren können.
Ihren Gesetzentwurf halten wir allerdings für unzulänglich und nicht ausreichend. Sie bleiben auf halbem Wege
stehen und geben Steine statt Brot.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Stadler?
Ja. Jetzt darf der Kollege Stadler eine Zwischenfrage
stellen.
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Bitte sehr.
Herr Kollege Ströbele, zum Verhältnis zwischen dem
Parlamentarischen Kontrollgremium und den Rechten
einzelner Parlamentarier und der Ausschüsse habe ich in
meinem Redebeitrag bereits Ausführungen gemacht, um
klarzustellen, dass es nicht angeht, dass die Bundesregierung unter Verweis auf das Kontrollgremium Auskünfte
verweigert, beispielsweise dann, wenn das Bundeskriminalamt tätig gewesen ist.
Meine Frage an Sie lautet, ob Sie bereit sind, zuzugestehen, dass in dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf ein § 1 Abs. 2 zu finden ist - ursprünglich was es
§ 1 Abs. 3; um Klarheit zu schaffen, haben wir eine vielleicht etwas verwirrende Vorschrift aus § 1 Abs. 2 gestrichen -, der lautet:
Die Rechte des Deutschen Bundestages, seiner Ausschüsse und der Kommission nach dem Artikel-10Gesetz bleiben unberührt.
({0})
Sind Sie bereit, auch zuzugestehen, dass diese Aussage durch die Rechtsänderungen, die heute zur Debatte
stehen, um kein Jota verändert wird, sodass die Sorge,
die Sie zu Recht geäußert haben, im Ergebnis unbegründet ist?
({1})
Nein, Herr Kollege Stadler; dagegen spricht die von
mir bereits angesprochene Erfahrung mit der Praxis der
Bundesregierung.
({0})
Es ist sogar ein Rechtsstreit beim Bundesverfassungsgericht anhängig, in dessen Rahmen wir versuchen, die
Rechte der einzelnen Abgeordneten auf Auskunftserteilung durch die Bundesregierung in diesem Bereich
durchzusetzen.
({1})
Heute ist es doch so, dass eine solche Auskunft generell verweigert wird. Berechtigt wäre eine Auskunftsverweigerung allenfalls dann, wenn die Nachrichtendienste
nachrichtendienstlich tätig sind und geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte vorliegen. Dann wäre der Verweis
auf das Parlamentarische Kontrollgremium richtig. Die
zu treffende Regelung darf aber nicht die gesamte nachrichtendienstliche Tätigkeit umfassen.
({2})
Das ist der Fehler.
Sie kommen nicht daran vorbei, dass in dem Grundgesetzartikel, den Sie in den Gesetzentwurf aufnehmen
wollen, ganz allgemein von der „nachrichtendienstlichen
Tätigkeit des Bundes“ die Rede ist. Darunter könnte man
auch die entsprechende Tätigkeit des Bundeskriminalamtes oder des Zollamtes verstehen. Das beruhigt mich
also gar nicht, Herr Kollege Stadler.
Mich beruhigt auch überhaupt nicht, dass Sie auf diesen Gesetzentwurf umgeschwenkt sind und dass Sie von
Ihrer berechtigten Forderung, die in Ihrem Gesetzentwurf stand und wonach ich als Abgeordneter etwas
Selbstverständliches tun können muss, nämlich meine
Fraktionsvorsitzenden zu unterrichten, wenn ich im Gremium von einem Skandal des Bundesnachrichtendienstes erfahre, Abstand genommen haben. Das haben Sie in
Ihren Gesetzentwurf ja zutreffend hineingeschrieben. In
dem Gesetzentwurf, den Sie jetzt unterstreichen und
dem Sie jetzt zustimmen wollen, steht das nicht mehr.
Das gilt auch für einige andere wichtige Bereiche.
Ich komme zu der Konklusion: Zu dem wichtigen Bereich, dass die Bundesregierung gezwungen wird, über
besondere Vorkommnisse von besonderer Relevanz zeitnah zu berichten, findet sich in Ihrem Gesetzentwurf
nichts. Es gibt keinerlei Vorschrift und keinerlei Hinweis. Sie haben sich nicht einmal dazu durchgerungen,
hineinzuschreiben, dass die Bundesregierung zeitnah informieren soll, sodass nun die Praxis der Vergangenheit
fortgeführt werden kann. Danach wurden wir im Gremium immer erst dann mit allen Skandalen des Bundesnachrichtendienstes, die uns in den letzten Jahren beschäftigt haben, befasst, nachdem sie groß und breit im
Spiegel, in der Süddeutschen Zeitung oder in der Berliner Zeitung gestanden haben.
Allein das ist ein Skandal, gegen den Sie nicht angehen. Sie tun überhaupt nichts dagegen, außer dass Sie
schreiben, dass das in den später - nach einem Jahr - zu
erstellenden Bericht des Gremiums aufgenommen werden soll. Das ist völlig unzureichend.
Auch in den anderen Vorschriften, die Sie formuliert
haben, geben Sie uns Steine statt Brot, zum Beispiel, indem Sie sagen, dass der Abgeordnete Ströbele und der
Abgeordnete Röttgen in Zukunft einen Mitarbeiter mit
der Unterstützung der Arbeit beauftragen können.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Wenn er nicht auch mit mir in dem Gremium sitzen
darf und an den Sitzungen teilnehmen kann, dann ist
eine unterstützende Tätigkeit so gut wie überhaupt nicht
möglich. Deshalb ist das, was Sie vorgeschlagen haben,
unzureichend.
Herr Kollege, Sie haben die Redezeit überschritten.
Ich komme zum Schluss. - Ich werde von der Frage
umgetrieben - seit ein paar Jahren beschäftige ich mich
damit -, wie wir es in Zukunft verhindern können, dass
das, was wir jetzt im Untersuchungsausschuss wieder
festgestellt haben, auf der Welt und in Deutschland noch
einmal passiert.
Auf diesem Wege wird uns mit Ihrem Gesetzentwurf
leider nicht geholfen. Sie haben über unseren nicht ernsthaft diskutiert, und wir sind deshalb gegen Ihren Gesetzentwurf. Wir werden dagegen stimmen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesetzentwürfe zur Stärkung und Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes und der Gesetzentwurf zur Änderung
des Grundgesetzes, in denen eine verfassungsrechtliche
Anerkennung und Aufwertung der parlamentarischen
Kontrolle der Geheimdienste vorgesehen ist, sind Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlamentes, aus der
Mitte des Bundestages.
({0})
Das ist auch richtig so, weil es darum geht, die Instrumente und Regeln der parlamentarischen Kontrolle, denen wir die Bundesregierung unterwerfen wollen, selber
festzulegen. Man kann nicht erwarten, dass die Regierung ihre Kontrolle selber regelt.
({1})
Ich glaube, das wäre noch nicht einmal wünschenswert.
Darum entspricht es unserem Selbstverständnis, diese
Regeln zu machen.
({2})
An diesem Punkt bin ich dann auch bei der Kritik an
den Kollegen Ströbele und Nešković. Sie kritisieren, das
sei viel zu wenig. Es geht hier nicht um wenig oder
mehr, sondern es geht um das richtige Verhältnis zwischen den Gewalten. Sie leiden - das gilt für beide - bei
Ihrer Kritik, das sei zu wenig, an einem persönlichen
Glaubwürdigkeitsmangel.
Herr Ströbele und die gesamte Fraktion der Grünen,
Sie müssen sich vorhalten lassen, dass Sie, als Sie über
sieben Jahre hinweg in der Regierungsmehrheit waren,
nichts von dem umgesetzt haben, was Sie heute fordern.
({3})
Darum sind Sie ein Maulheld, Herr Kollege Ströbele. Sie
haben gegen Steinmeier, Fischer und Schily nichts vom
dem realisiert, was Sie heute beanstanden und verlangen.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, gerne.
Herr Kollege Röttgen, es geht jetzt nicht um Maulhelden. Wir wollen uns den Tatsachen stellen und die Wahrheit darin suchen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass nach 16 Jahren Regierung Kohl
({0})
die damalige neue rot-grüne Koalition zum ersten Mal
überhaupt ein Gesetz für das parlamentarische Gremium
zur Kontrolle der Geheimdienste - das damals seinen
Namen bekommen hat - geschaffen hat und dass in diesem damals sehr fortschrittlichen Gesetz unter anderem
erstmals geregelt war, dass mit Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit von der Geheimhaltung abgewichen werden darf? Eine kleinere Mehrheit war nicht durchzusetzen. Das war damals ein riesiger Fortschritt.
Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
wir vieles von dem, was wir heute über Menschenrechtsverletzungen nach dem 11. September wissen, durch die
Tätigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums, aber
auch durch den Untersuchungsausschuss erfahren haben? Heute wissen wir vieles, was wir damals nicht gewusst haben.
({1})
Deswegen war es uns 2004 oder 2005 nicht möglich, ein
tolles Gesetz zu machen, so wie Sie es jetzt auch nicht
hinbekommen haben.
({2})
Herr Kollege Ströbele, Ihre Frage verdeutlicht den
Unterschied, den es zwischen uns gibt. Sie sagen, 1999
sei einmalig ein Gesetz erarbeitet worden, und dann sei
auf Jahre alles gut gewesen. Wir sind der Auffassung,
dass es gar nicht gut gewesen ist. Das Gesetz ist unzulänglich, und darum verbessern wir es jetzt.
({0})
Das ist der Unterschied zwischen uns. Sie sind sehr
selbstzufrieden. Wir hingegen sind nicht zufrieden mit
dem, was Sie angerichtet haben. Sie wissen selbst, was
die Wahrheit ist. Sie haben sich nicht durchsetzen können.
({1})
Denn bei diesem Gesetzentwurf geht es um das Selbstverständnis des Parlamentes auch gegenüber - nicht etwa
gegen sie - der Exekutive. Die Wahrheit der rot-grünen
Koalition ist, dass die Grünen in dieser Koalition nicht
viel zu sagen hatten. Das mag Sie heute noch schmerzen,
aber es ist ein Teil der Wahrheit.
({2})
Ähnlich ist es, wenn ich mich dem Kollegen Nešković
zuwende, der auch kritisiert, dass hier viel zu wenig geschehe. Der Kollege Nešković hat vor einem Jahr einen
30-seitigen Gesetzentwurf vorgestellt.
({3})
Er hat seitenlange Vorschläge gemacht und sich an die
Presse gewandt. Die Reaktion seiner Fraktionsführung
auf Ihre Vorschläge war - ich zitiere den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Ramelow aus der taz -:
„Nešković war wohl zu lange in der Sonne.“
({4})
Das ist bis auf den heutigen Tag offensichtlich nicht
völlig falsch, Herr Ramelow. Der entscheidende Punkt
ist aber, dass sich Herr Ramelow durchgesetzt hat. Denn
Sie bringen heute nichts ein.
({5})
Sie bringen einen kleinen Gesetzentwurf mit einem kleinen Paragrafen ein, der sich um die Beobachtung von
Abgeordneten kümmert. Sie sind schon in Ihrer eigenen
Fraktion auf der ganzen Linie gescheitert, Herr Kollege
Neškovi_, und werfen jetzt uns vor, wir würden zu wenig machen. Vielleicht liegt das daran, dass in Ihrer
Fraktion viel zu viele leider viel zu viel von Geheimdiensten verstehen, aber zu wenig von Geheimdiensten
in einem demokratischen Rechtsstaat. Das mag der
Grund dafür sein, warum Sie als Maulheld vorgeschickt
werden, aber in der eigenen Fraktion nichts erreichen.
({6})
Herr Kollege Röttgen, jetzt haben Sie den Herrn
Nešković provoziert. Er - nein, Herr Ramelow möchte
dazu gerne eine Zwischenbemerkung machen.
Gerne.
Herr Kollege Röttgen, ich stelle mich demonstrativ
neben meinen Kollegen Nešković. Sie tun sich sehr
leicht, Herr Röttgen. Ich bin derjenige, der seit mehreren
Jahren von all den Geheimdiensten belästigt wird, über
die hier geredet wird.
({0})
- Sie können alle darüber lachen. Da Sie ja an den
Rechtsstaat glauben, darf ich darauf hinweisen, dass ich
bisher alle Prozesse gewonnen habe und rechtsstaatswidrig von den Geheimdiensten beobachtet und belästigt
worden bin.
({1})
Es ist nicht zulässig, so mit Abgeordneten umzugehen.
Ihr Zitat, Herr Kollege Röttgen - bevor Sie sich jetzt
zehn Minuten darüber freuen -, bezog sich auf etwas
völlig anderes.
({2})
Es hatte mit den Geheimdiensten und der Geheimdienstkontrolle nichts zu tun. Da standen Sie jetzt wohl zu
lange in der Sonne, Herr Kollege Röttgen. Der Kollege
Nešković hat mein volles Vertrauen. Ich glaube, die Geheimdienste in Deutschland müssen besser kontrolliert
werden.
({3})
Herr Kollege Ramelow, Sie bestreiten nicht, dass Sie
bezüglich Ihres Fraktionskollegen die Diagnose gestellt
haben, er sei zu lange in der Sonne gewesen. Wenn man
zu lange in der Sonne war, dann wirken sich die Schäden
nicht nur partiell auf die Gehirnfunktionen aus, sondern
generell auf die geistige Leistungsfähigkeit.
({0})
Darum können Sie das leider nicht nur partiell betrachten.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Vorschläge, die Herr Nešković gemacht hat, in Ihrer Fraktion komplett abgelehnt worden sind. Das ist hier dokumentiert. Ich finde, politische Kritik hat immer eine
Sachdimension und eine Dimension persönlicher Glaubwürdigkeit. Diese fehlt beiden Kritikern. Das wollte ich
sagen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ramelow?
Jetzt ist es genug.
Ich möchte auf zwei weitere Gesichtspunkte der Gesetzentwürfe eingehen. Es gibt einen Grundkonflikt, auf
den die Gesetzentwürfe abstellen und der einen Dissens
in der Debatte darstellt. Es gibt drei Meinungen. Eine davon hat sich durchgesetzt; wir haben sie heute zum Teil
gehört. Die eine Meinung über das Verhältnis von Parlament zu Nachrichtendiensten ist, dass parlamentarische
Kontrolle eigentlich eine Sache der Minderheit ist. Ihr
demokratisches Verständnis, da die Mehrheit gar nicht
kontrollbereit sei, sei Kontrolle eine Aufgabe der Minderheit des Parlamentes, teilen wir nicht. Auch die
Mehrheit ist Teil des Parlaments und stellt eine Kontrollinstanz gegenüber der Exekutive dar. Ihr Demokratieverständnis entspricht ganz sicher nicht unserem Parlamentsverständnis.
({0})
Die zweite Haltung, die in dieser Debatte eine Rolle
spielt - sie ist der Grund, warum Sie in Ihrer Regierungszeit nichts bewirkt haben, meine Damen und Herren von
den Grünen -, ist: Je mehr sich Geheimdienste - auch
gegenüber dem Parlament - abschotten, desto wirksamer
sind sie. Auch diese Haltung existiert. An dieser Haltung
sind Sie, Herr Ströbele, sieben Jahre gescheitert. Diese
Haltung ist ebenfalls falsch. Auch in einem demokratischen Rechtsstaat brauchen wir Geheimdienste.
({1})
Geheimdienste sind legitimer Teil des demokratischen
Rechtsstaates. Aber sie bedürfen der parlamentarischen
Kontrolle und üben keine kontrollfreie exekutivfreie Tätigkeit aus. Das ist unser Verständnis der Nachrichtendienste.
({2})
Nachrichtendienste, die sich kontrollfrei abschotteten,
würden über kurz oder lang die Legitimation und Akzeptanz in der Gesellschaft verlieren. Deshalb sind die Kontrolleure keine Gegner der Nachrichtendienste. Vielmehr
können sie die Nachrichtendienste unterstützen. Sie sind
die Bedingung für Akzeptanz und Legitimation der
Nachrichtendienste im demokratischen Rechtsstaat.
({3})
Ich möchte auf die Verfassungsänderung eingehen,
die wir beschließen. Der neue Art. 45 d Abs. 1 des
Grundgesetzes lautet:
Der Bundestag bestellt einen Ausschuss zur Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des
Bundes.
Ich stelle fest, dass diese Regelung erfreulicherweise
schon in sprachlicher Hinsicht dem puristischen Duktus
des Grundgesetzes entspricht. Kurz und knapp wird eine
Aufgabe des Parlamentes definiert. Diese Regelung
stellt aber auch einen verfassungspolitischen Fortschritt
dar; denn die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste stellt einen Sonderfall im Gesamtsystem der
parlamentarischen Kontrolle der Exekutive dar. Sie
weist zwei Besonderheiten auf, die man ausgleichen
muss. Eine Besonderheit ist: Wer Nachrichtendienste
will, muss Geheimhaltung und Geheimschutz akzeptieren. Das gehört wesenhaft zu Nachrichtendiensten.
({4})
Das zu bestreiten, heißt, dass man gegen Nachrichtendienste ist. Aus dieser Besonderheit der parlamentarischen Kontrolle, die nicht so erfolgen kann wie die übliche Kontrolle, die auf Öffentlichkeit abzielt, ziehen wir
aber nicht die Konsequenz, dass es keine Kontrolle des
Parlaments geben darf. Vielmehr gibt es ein besonderes
Gremium, das stellvertretend die Kontrollrechte - nicht
einer Minderheit, sondern des gesamten Parlamentes wahrnimmt. In diesem Gremium sitzen nur einige wenige Abgeordnete, die das Vertrauen des gesamten Parlamentes genießen. Darauf ist dieses Gremium angewiesen.
Dafür bedarf es der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Besonderheit dieser parlamentarischen Kontrolle und wirksamer Instrumente, damit das Versprechen,
dass diese Abgeordneten stellvertretend parlamentarische Kontrolle der Exekutive ausüben, wirklich eingelöst wird.
Ich komme zum Schluss. Der Gesetzentwurf zu den
Nachrichtendiensten und der Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes, die wir vorlegen, beinhalten eine Stärkung des Parlaments, eine Stärkung der Instrumente zur Kontrolle der Regierung, eine verfassungsrechtliche Absicherung und damit die Legitimation
der parlamentarischen Tätigkeit. Darum sind beide Gesetzentwürfe im Hinblick auf das Selbstverständnis des
Parlaments, aber auch im Hinblick auf die Gewährleistung seiner Funktion, die Regierung zu kontrollieren,
gute Gesetzentwürfe. Wir bitten um Zustimmung und
freuen uns darüber - das will ich noch einmal abschließend bekunden -, dass eine der Oppositionsfraktionen,
nämlich die FDP-Fraktion, erklärt hat, dass dieses
Thema das institutionelle Selbstverständnis betreffe und
sie daher keine oppositionelle Haltung einnehme, sondern konstruktiv und kooperativ mitarbeite. Sie hat ihre
Vorstellungen eingebracht und umgesetzt. Wir werden
die Gesetzentwürfe mit breiter Mehrheit beschließen,
wofür wir uns bedanken.
({5})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will
ich darauf hinweisen, dass während der Rede des Kollegen Röttgen aus den Reihen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen - wenn ich es richtig lokalisiere, war es der
Kollege Hofreiter - der Begriff „Oberheuchler der
CDU“ gefallen ist. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ein solcher Ausdruck hat in der parlamentarischen
Auseinandersetzung in unserem Haus keinen Platz.
({0})
Ich erteile Ihnen, Herr Kollege, eine Rüge.
({1})
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
- Wie dieses bewertet wird, ist meine Angelegenheit.
({2})
Nun erteile ich zur weiteren Beratung dem Kollegen
Michael Hartmann für die SPD-Fraktion das Wort.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist immer ein Privileg, wenn man am Ende
einer Sitzungswoche an einem Freitagnachmittag, wenn
alle berechtigterweise in ihre Wahlkreise oder nach
Hause wollen, der Schlussredner vor einer namentlichen
Abstimmung sein darf. Der Saal ist immerhin voll, die
Zuhörerschaft aber woanders. Ich will dennoch den Versuch machen, einige Punkte zu ergänzen, die mir in der
bisherigen Debatte entweder zu kurz gekommen sind
oder die ganz fehlten.
Erstens. Wir haben viel über unsere geheimen Nachrichtendienste geredet, und wir haben viel darüber gesprochen, wie relevant, wichtig und notwendig es doch
ist, diese zu kontrollieren. Wohl wahr. So richtig, wie
diese Feststellung ist, ist aber auch die Feststellung richtig, die mir bisher gänzlich fehlt, nämlich dass wir mit
unseren geheimen Nachrichtendiensten in diesem
Rechtsstaat ein großes Pfund haben, mit dem wir wuchern können, um unsere innere und äußere Sicherheit
zu gewährleisten. Die Menschen, die dort ihre Arbeit
- nicht hoch bezahlt - tun, haben ein Dankeschön verdient.
({0})
Ihnen ist während der letzten Jahre nicht wenig zugemutet worden, nicht nur durch Skandalisierungen, die
zum Teil von den Diensten selbst zu verantworten waren, ihnen zum Teil aber auch von außen zugeschrieben
wurden, sondern auch durch notwendige und unvermeidliche Reformen und organisatorische Umstellungen. Ich glaube, dass man all das im Auge haben muss,
wenn man über unsere Dienste immer nur so diskutiert,
als seien diese ein einziger Verein, der bloß Skandale
produziert, aber keine Ergebnisse. Wir brauchen in
Wirklichkeit diese gut funktionierenden Dienste, insbesondere unseren geheimen Auslandsnachrichtendienst,
den BND, zum Beispiel um in Situationen, wie sie mittlerweile gang und gäbe sind, den Schutz von Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr zu ermöglichen,
Herr Verteidigungsminister. Das alles soll nicht vergessen werden, auch nicht in der heutigen Debatte. Ich schicke das ausdrücklich vorweg; denn ich glaube, dass das
genauso wichtig ist wie die Tatsache, dass das Fehlverhalten, das es dort gab und das schon angesprochen worden ist, angeprangert wird. Allerdings muss man sich ungerechtfertigte Kritik nicht gefallen lassen. Nicht jeder
Beitrag aus der Politik hat nur stabilisierend in den
Dienst hineingewirkt.
Es ist deshalb gut, dass wir mit dem neuen Gesetz
durch mehr Transparenz und Kontrolle für das Parlamentarische Kontrollgremium zur Versachlichung mancher Debatten beitragen, indem beispielsweise durch
mehr Mitarbeiter als bisher, durch eine erweiterte Aktenvorlage, durch Zutrittsrechte, durch Veröffentlichungsrechte und durch die sogenannte Whistleblower-Regelung diese Kontrolle vernünftig ausgeweitet wird.
Insofern verstehe ich nicht, warum Sie, Herr Ströbele,
der Sie ja vorhin ausgeführt haben, dass wir unter RotGrün einen guten Weg begonnen haben, jetzt nicht sagen
können - so sieht die FDP das ja -, dass dieser gute Weg
nun weiter beschritten wird und die Kontrolle der Nachrichtendienste in unserem demokratischen Verfassungsstaat weiter verbessert wird. Eigentlich müssten Sie von
der Logik Ihrer eigenen Argumentation her diesem Gesetz bedingungslos zustimmen, Herr Ströbele.
({1})
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen,
der ja in der Debatte eine Rolle gespielt hat. Herr
Nešković, Sie haben unter anderem bemängelt, dass die
vorgesehene Zwei-Drittel-Hürde so sehr binden und die
Möglichkeiten einschränken würde, dass es der faktisch
allein kontrollierenden Opposition gar nicht möglich sei,
eine Kontrolle auszuüben und Rechte gegenüber der Öffentlichkeit wahrzunehmen.
Ich bitte Sie, darüber noch einmal einen Moment
nachzudenken. Denn zum einen hat der Kollege Röttgen
sehr richtig ausgeführt, dass auch Regierungsabgeordnete kontrollierende Abgeordnete sind, und wer die Debatten gerade über dieses Gesetz vor und hinter den Kulissen mitbekommen hat, weiß nur zu gut, dass hier ein
selbstbewusstes Parlament bis in die letzte Sekunde einer ebenfalls selbstbewussten Regierung gegenüberstand. Schon das ist ein Beleg dafür, dass eine Kontrolle
möglich ist.
Ich will aber noch ein anderes Argument anfügen, das
Sie vielleicht weniger nachvollziehen können, von dem
ich aber überzeugt bin. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist nicht vergleichbar mit jedem beliebigen anderen Ausschuss - nicht nur wegen der Sachverhalte, die
da notwendigerweise geheim behandelt werden müssen,
sondern noch aus einem ganz anderen Grund. Die Fragen, die im Kern berührt werden, das Staatswohl, der
Schutz von Leib und Leben, verlangen, dass man einen
eigenen Komment in diesem Gremium herausbildet und
feststellt, was geht und was nicht geht.
Das ist ja nun wahrhaftig gerade in dieser Wahlperiode geschehen. Der Untersuchungsausschuss ist an die
Öffentlichkeit getreten. Es gab Minderheitenvoten, und
es gab auch Rügen, die so deutlich wie nie zuvor in der
Parlamentsgeschichte auch offenkundig und ruchbar
wurden. Das alles, Herr Nešković, ist eben Zeugnis dafür, dass man sich bewusst ist, dass es zwar um die Kontrolle der Dienste geht, aber nicht etwa um eine Dauerskandalisierung aller möglichen Sachverhalte oder
eine permanente Begleitkontrolle der geheim arbeitenden Nachrichtendienste.
({2})
Das kann, darf und wird nicht sein.
Michael Hartmann ({3})
Achten Sie doch darauf, dass bei der Kontrolltätigkeit
dieser gute Komment weiterhin gewahrt wird - Sie haben ja alle Chancen dazu -, aber achten Sie auch darauf,
dass nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf gejagt
wird, was es unmöglich macht, dass unsere Dienste
überhaupt noch arbeiten können.
({4})
- Herr Ströbele, Sie haben vorhin ja schon dunkle Andeutungen zum Thema Untersuchungsausschuss gemacht. Das Parlamentarische Kontrollgremium hatte zu
allen Sachverhalten, mit denen sich der Untersuchungsausschuss befasst hat, Feststellungen getroffen.
({5})
Wissen Sie was? - Der Untersuchungsausschuss hat mit
seinen weiterreichenden Mitteln keinen Deut mehr herausgearbeitet als das Parlamentarische Kontrollgremium.
({6})
Was ist eigentlich Ziel Ihrer Kritik? - Das Parlamentarische Kontrollgremium, weil es so gut war, oder der
Untersuchungsausschuss, weil er nicht gut genug
war? Vielleicht liegt die Wahrheit darin: Es ist nichts
dran an all diesen Skandalen, die Sie permanent unterstellen.
({7})
Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Der
müssen Sie sich wohl oder übel stellen.
Ich würde mir wünschen, dass die Regierung keine
Angst vor dem Parlament hat, das jetzt und in Zukunft
souverän, aber auch staatsbewusst kontrollieren wird,
und ich würde mir wünschen, dass manche Seite des
Hauses keine Angst vor Nachrichtendiensten hat, die in
einem demokratischen Rechtsstaat ihre Pflicht tun, und
vor allem, meine Damen und Herren von den Grünen
und noch mehr den Linken, dass in einem demokratischen Rechsstaat manche Seite keine Angst vor Worten
wie „Staatswohl“ und „Staatsräson“ hat.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes;
Art. 45 d. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13220, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und
FDP auf Drucksache 16/12412 in der Ausschussfassung
anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13234? -
Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsan-
trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-
forderlich ist. Das sind mindestens 408 Stimmen.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-
gen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, ihre Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen
besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
Platz zu nehmen, damit die Lage für mich übersichtli-
cher wird; wir haben noch eine Reihe von Abstimmun-
gen durchzuführen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten
Gesetzentwurf zur Fortentwicklung der parlamentari-
schen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13220, den Gesetzent-
wurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf
Drucksache 16/12411 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei
der zweiten Lesung angenommen.
1) Ergebnis Seite 24910 C
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der
FDP zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13220, den Gesetzent-
wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1163 für
erledigt zu erklären. Auch über diese Beschlussempfeh-
lung müssen wir abstimmen. Wer also dieser Beschluss-
empfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Hand-
zeichen. - Ist jemand dagegen? - Enthält sich jemand? -
Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmi g ange-
nommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesse-
rung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste
sowie eines Informationszugangsrechts. Der Innenaus-
schuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13220, den Gesetzentwurf der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12189
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion der FDP gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die
Linke zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 5 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13220, den Gesetzentwurf
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12374 abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt auch hier
die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 38 b. Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel: „Überwachung von Abgeordneten durch
den Verfassungsschutz beenden“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13220, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/5455 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der
zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform
- Drucksache 16/12409 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen
Vorschriften des Heimgesetzes nach der
Föderalismusreform
- Drucksache 16/12882 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({0})
- Drucksache 16/13209 Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Angelika Graf ({1})
Sibylle Laurischk
Elke Reinke
Britta Haßelmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg,
Britta Haßelmann, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Betreutes Wohnen für ältere Menschen - Qualitätskriterium Nutzerorientierung
- Drucksachen 16/12309, 16/13209 Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Angelika Graf ({3})
Sibylle Laurischk
Elke Reinke
Britta Haßelmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Markus Grübel für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Durch die Föderalismusreform I, in Kraft getreten am 1. September 2006, sind die öffentlich-rechtlichen Zuständigkeiten des Heimrechts, Stichwort
„Heimaufsicht“, auf die Länder übergegangen. BadenWürttemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen haben
inzwischen Landes-Heimgesetze erlassen.
Dass die Zuständigkeit auf die Länder übergeht, war
nicht unstreitig. Auch ich hätte es lieber gesehen, wenn
das Heimrecht in Bundesverantwortung geblieben und
so einer Rechtszersplitterung vorgebeugt worden wäre.
Aber das war Teil eines Kompromisses, wie ihn jeder
verantwortungsvolle Politiker gelegentlich eingehen
muss, um eine insgesamt gute Sache wie die Föderalismusreform I auf den Weg zu bringen.
Beim Bund verblieb die Zuständigkeit für den zivilrechtlichen Teil des Heimrechts. Hier sind insbesondere
die §§ 5 bis 9 und § 14 des jetzigen Heimgesetzes des
Bundes betroffen. Es ist gut und sachgerecht, dass das
Bürgerliche Recht und Nebengesetze beim Bund verbleiben - da sind Zuständigkeiten des Bundes gegeben und zumindest in diesem Bereich keine Rechtszersplitterung vorliegt. Auch im Hinblick auf den Verbleib dieser
Zuständigkeit gab es unterschiedliche Meinungen. So
haben zwei Bundesländer im Bundesrat eine andere
Meinung vertreten. Ich denke aber, diese Diskussion ist
ausgestanden.
Ziel unseres Gesetzes ist mehr Verbraucherschutz für
ältere Menschen, für Menschen mit Behinderung und für
pflegebedürftige Menschen; diese Personengruppen sind
besonders schutzwürdig. Es geht aber auch um die Menschen, die um die älteren, behinderten und pflegebedürftigen Menschen herum ihr Leben organisieren müssen.
Darum ist es nötig, ein besonderes Gesetz dafür zu machen.
Betroffen sind in Deutschland mehr als 700 000 Menschen in rund 10 000 Heimen, aber auch Menschen, die
in anderen Wohnformen, in sogenannten betreuten
Wohnformen leben.
Auf den ersten Blick sind die zivilrechtlichen Vorschriften des Heimrechts eine trockene Materie, eine
Materie für Rechtspolitiker. Tatsächlich ist dies ein spannendes Politikfeld, ein seniorenpolitisches, aber auch gesellschaftspolitisches Arbeitsfeld, weil es letztendlich
darum geht, das Wohnen im Alter bzw. Betreuung und
Pflege zu regeln. Es ist gut, dass die Zuständigkeit beim
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend und damit beim Familienausschuss liegt, weil
wir uns mit solchen Themen intensiv befassen.
Ziel dieses Gesetzes ist es, das Heimrecht zu einem
modernen Verbraucherschutzrecht weiterzuentwickeln.
Sie merken schon: Die Begrifflichkeiten haben sich geändert. Aus dem „Bewohner“ ist der „Verbraucher“ geworden. Auf der anderen Seite steht der Unternehmer.
Das klingt kalt, wird aber dem Anliegen des Verbraucherschutzes von der Sprache her besser gerecht. Sektorales Denken wie „Hier das Heim, dort die anderen Betreuungs- und Wohnformen“ wird aufgehoben. Dadurch,
dass wir nicht mehr am Begriff „Heim“ bzw. an der Institution Heim anknüpfen, bedarf es künftig keiner Experimentierklausel mehr. So werden neue Wohnformen
möglich und können in der Praxis weiterentwickelt werden, ohne dass das Gesetz angepasst werden muss.
Das Gesetz gilt für volljährige ältere Menschen, für
Menschen mit Behinderung und für pflegebedürftige
Menschen. Das Gesetz gilt dann, wenn Wohnraum überlassen wird in Verbindung mit Pflege und Betreuung. Es
gilt nicht, wenn bei Wohnraumüberlassung nur allgemeine Unterstützungsleistungen erbracht werden, zum
Beispiel Hausmeisterdienste, Vermittlungsdienste und
Ähnliches.
Spaßeshalber habe ich beim ersten Entwurf gesagt:
Wenn wir nicht aufpassen, sind auch die Kollegen, die in
der Bundesschlange wohnen, betroffen und müssen
künftig nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz
einen Vertrag abschließen; denn in der Bundesschlange
werden ja auch gewisse Dienstleistungen - Hausmeisterdienste, Conciergendienste usw. - mitgebucht.
({0})
Viele Formen des sogenannten betreuten Wohnens
oder Servicewohnens fallen also nicht unter dieses Gesetz. Das ist gewollt. Entscheidend ist, dass der Verbraucher, der Mieter frei ist, die Anbieter zu wählen. Der
Verbraucherschutz wird insbesondere dadurch gewährleistet, dass vorvertragliche Informationspflichten bestehen. Die Informationen müssen - bezogen auf die Zielgruppe ist das besonders wichtig - leicht verständlich
sein, sie müssen Einzelheiten zur Ausstattung und Lage
der Räume und des Gebäudes umfassen. Die Leistungen
und Entgelte müssen beschrieben werden, es muss angegeben werden, wie sich Entgelterhöhungen begründen,
und das Ergebnis der Qualitätsprüfung nach SGB XI
muss enthalten sein.
Diskutiert haben wir auch, ob wir die Tages- und
Nachtpflege und die Kurzzeitpflege in den Anwendungsbereich aufnehmen. Dagegen spricht, dass die
Menschen bei der Tages- und Nachtpflege und der Kurzzeitpflege in ihre alte vertraute Umgebung entweder täglich oder nach gewisser Zeit wieder zurückkehren. Dafür
sprechen Gründe des Verbraucherschutzes. Wir haben
uns im Ausschuss dafür entschieden, auch diese Gruppe
in den Schutzbereich aufzunehmen. Aber wir merken
uns das für den Fall, dass wir das Gesetz reformieren.
Dann werden wir sehen, ob sich diese Regelung in der
Praxis tatsächlich bewährt hat und nötig ist.
Wir stimmen nicht nur über das Gesetz, sondern auch
über einen Antrag der Grünen ab, auf den ich nun kurz
eingehen möchte. Durch das moderne Verbraucherschutzgesetz, also das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, hat sich der Antrag der Grünen weitgehend erledigt.
({1})
Die anderen gestellten Forderungen beziehen sich auf
ordnungsrechtliche Maßnahmen. Die diesbezüglichen
öffentlich-rechtlichen Bestimmungen sind aber nicht
mehr in der Zuständigkeit des Bundes. Von daher ist die
Umsetzung dieses Antrags gar nicht möglich; es sei
denn, die Grünen würden gleichzeitig eine Verfassungsänderung beantragen und dann diese Regelungen als
Folge der Verfassungsänderung wieder in die Zuständigkeit des Bundes übertragen. Daher erfolgt hier die Ablehnung.
({2})
Ich möchte noch einen kurzen Ausblick geben. Beim
Heimvertragsrecht haben wir nun nach der Föderalismusreform I unsere Hausaufgaben gemacht. Wichtige
Aufgaben bleiben aber im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in Deutschland und dem Älterwerden der Gesellschaft. Wir werden im Schnitt jedes
Jahr um rund drei Monate älter. Das stellt Herausforderungen an die Gesellschaft, weil ältere Menschen stärker
pflegebedürftig und in der Beweglichkeit eingeschränkt
sind.
Wir brauchen zukünftig mehr barrierearmen Wohnraum in Deutschland, insbesondere dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge das betreffende Alter erreicht
haben. Wir müssen die Wohnformen weiterentwickeln,
die es älteren und behinderten Menschen ermöglichen,
in ihrem angestammten Wohnquartier leben und wohnen
zu bleiben, am besten in ihren eigenen vier Wänden.
({3})
Zum Schluss möchte ich mich bei allen Berichterstattern, insbesondere bei den Berichterstattern unseres Koalitionspartners, Frau Graf und Herrn Spanier, ganz
herzlich bedanken. Der Gesetzentwurf ist in sehr sachlicher Atmosphäre beraten worden. Mein Dank geht auch
an unsere Mitarbeiter, die sehr geholfen haben, und an
das Familienministerium. Herr Staatssekretär, mit Ihnen
und Ihren Mitarbeitern war es wirklich eine sehr angenehme und konstruktive Zusammenarbeit.
An den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf hat man
auch gesehen, dass das Arbeitsklima in der Großen Koalition zum Wohle der älteren Menschen sehr gut und
sehr konstruktiv sein kann. Gestern hat man bei so einem
kleinen Foul vermuten können, dass es in der Großen
Koalition Streit gibt. Dieser Gesetzentwurf belegt: Wir
können gut miteinander arbeiten, wenn es um das Wohl
der Menschen geht.
Herzlichen Dank.
({4})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile,
komme ich auf den Tagesordnungspunkt 38 a zurück
und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 45 d - das sind die Drucksachen 16/12412
und 16/13220 -, bekannt: abgegebene Stimmen 528. Mit
Ja haben gestimmt 445, mit Nein 54. Es gab 29 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen
Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 528;
davon
ja: 445
nein: 54
enthalten: 29
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({11})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
({28})
Nina Hauer
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({32})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Erika Ober
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({40})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Renate Schmidt ({44})
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({47})
Swen Schulz ({48})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({49})
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({50})
Heidi Wright
Uta Zapf
Brigitte Zypries
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({51})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({52})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
({53})
Detlef Parr
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({54})
Nein
DIE LINKE
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Elke Reinke
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({55})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({56})
Dr. Anton Hofreiter
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Markus Kurth
Undine Kurth ({57})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({58})
Brigitte Pothmer
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Enthalten
SPD
Markus Meckel
Otto Schily
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dr. Norman Paech
Paul Schäfer ({59})
Volker Schneider
({60})
Dr. Herbert Schui
Frank Spieth
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
Wir kommen zurück zur Debatte. Die Kollegin
Sibylle Laurischk hat ihre Rede zu Protokoll gegeben1),
sodass ich nun der Kollegin Angelika Graf für die SPDFraktion das Wort erteile.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Grübel hat es eben schon dargestellt: Die Verlagerung des Heimrechts auf die Länder im Jahre 2006 war
sehr umstritten, nicht nur innerhalb der SPD-Fraktion,
sondern auch - das denke ich - bei der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Wir gleichen nun die beim Bund verbliebenen zivil-
rechtlichen Regelungen des ehemaligen Heimrechts der
neuen Rechtslage und den modernen Wohnformen an,
die veränderte Bedürfnisse bei den Verbraucherinnen
und Verbrauchern auch bezüglich der rechtlichen Rege-
lungen hervorgerufen haben.
1) Anlage 19
Die neuen rechtlichen Regelungen betreffen also - ich
möchte das ausdrücklich sagen - nicht das Ordnungsrecht mit seinen Vorgaben zur Qualität der Unterbringung, zu Heimbeiräten etc., sondern allein die vertraglichen Rahmenbedingungen. Obwohl der Bund immer die
Kompetenz für das Heimvertragsrecht beansprucht hat,
haben einige Bundesländer - das hat wohl auch damit
etwas zu tun, dass dieses Thema lange im Ministerium
liegen geblieben ist - inzwischen eigene Heimgesetze
beschlossen, welche zum Teil auch zivilrechtliche Regelungen enthalten. Andere Länder basteln gerade daran
herum. Wenn wir weiter zugeschaut hätten, dann würde
es wohl nicht nur einen heimrechtlichen Flickenteppich
für die Verbraucherinnen und Verbraucher geben. Vielmehr wäre aus diesem heimrechtlichen Flickenteppich
ein undurchschaubares Gestrüpp bezüglich aller vertraglichen Regelungen entstanden. Es war überfällig, dass
die Bundesseite Verbrauchern und Unternehmern einheitliche zivilrechtliche Regelungen vorlegt.
In den letzten Wochen haben wir diesen Entwurf in
vielen Gesprächsrunden und auch im Rahmen einer Ausschussanhörung trotz des Zeitdrucks intensiv auf seine
Praktikabilität und seine Schwachpunkte abgeklopft.
Wir haben wenige Schwachpunkte gefunden.
Angelika Graf ({1})
({2})
Diejenigen, die wir gefunden haben, haben wir zu verändern versucht.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Sachverständigen, den Verbänden, den Verbraucherschützern, den
Vertretern von Einrichtungen, die an der Anhörung teilgenommen haben, sowie insbesondere beim Koalitionspartner und den Mitarbeitern der beteiligten Ministerien
für die gute Kooperation.
({3})
Das Ergebnis der Mühen ist ein Verbraucherschutzgesetz - Herr Grübel hat es schon dargestellt -, das älteren
Menschen, pflege- und betreuungsdürftigen Personen
sowie behinderten Volljährigen einen besonderen Verbraucherschutz - auch bei den neuen betreuten Wohnformen - einräumt. Durch das WBVG erhalten diese
Personengruppen und die jeweiligen Anbieter eine bundeseinheitliche vertragliche Grundlage.
Ziel unseres Gesetzes ist es, die Selbstständigkeit und
die Selbstbestimmung auch bei besonderem Hilfebedarf
zu sichern und dazu beizutragen, dass diese Personengruppe selbstständig den Alltag meistern und selbstbestimmt Entscheidungen bezüglich ihrer Unterbringung
und der benötigten Leistungen treffen kann. Das wird
nicht in allen Fällen möglich sein; aber der Gesetzentwurf ist zumindest ein Beitrag für mehr selbstständige
Teilhabe, da er durch die Festlegung der rechtlichen
Rahmenbedingungen Rechtssicherheit gewährt.
Ich bin froh, dass wir in den parlamentarischen Beratungen die Formulierungen hinsichtlich des Anwendungsbereiches weiter konkretisiert haben. Herr Grübel hat
schon darauf hingewiesen: Die Bereitstellung eines
Hausmeisters fällt nicht unter die vertragsrechtlichen
Regelungen. Auch die Einrichtung eines Notrufknopfes
in der Wohnung verpflichtet nicht zur Unterzeichnung
eines solchen Vertrages. Wer allerdings in einer Einrichtung wohnt und auf Pflegedienste zurückgreift - und
wenn diese miteinander verbunden sind -, muss rechtlich über einen entsprechend transparenten Vertrag abgesichert sein. Herr Grübel, wenn Sie in der „Bundesschlange“ solche Dienstleistungen anmieten und eine
solche Kombination gegeben ist, dann, denke ich, findet
das Heimvertragsrecht auch im Falle der „Bundesschlange“ Anwendung.
({4})
Die SPD hat sich zudem dafür eingesetzt, dass die
Einrichtungen nicht holterdiepolter über die Sommerferien neue Verträge vorlegen müssen, und hat deswegen
das Inkrafttreten nach hinten verschieben können.
Wir werden das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz
weiterhin begleiten und haben aufgrund der Schnittstellen mit dem SGB XI und dem SGB XII Anregungen aus
der Anhörung zu möglichen Veränderungen, zum Beispiel zu Ausnahmen für die Tag- und Nachtpflege, die
Kurzzeitpflege oder für suchtkranke Personen, auf der
Agenda, die in der Kürze der Zeit nicht durchgesetzt
werden konnten.
Doch heute freue ich mich, dass wir nun ein bundeseinheitliches Heimvertragsrecht verabschieden können
und der Bundesgesetzgeber im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher seine Rechte wahrt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Ilja Seifert für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wer von Ihnen möchte denn
gern im Heim leben? - Das ist übersichtlich: offensichtlich niemand. Das kann ich auch verstehen. Aber wieso
denn eigentlich nicht nach diesem tollen Gesetz? - Immer noch nicht? Das kann ich immer noch verstehen.
Denn wenn die wichtigste Veränderung darin besteht,
dass man künftig nicht mehr Bewohner oder Bewohnerin ist, sondern Verbraucher, dann ist das wirklich ein
bisschen schwach.
({0})
Die wirklichen Probleme von Menschen, die auf Pflege,
Hilfe und Assistenz angewiesen sind, ob im Alter oder
wegen Behinderung, werden mit diesem Gesetz bedauerlicherweise nicht gelöst.
Unabhängig davon verkenne ich nicht, dass es notwendig ist, bestimmte Regelungen zu treffen. Das liegt
aber daran, dass Sie vor drei Jahren das Heimrecht weitgehend in die Länderhoheit gegeben haben und sich
heute wundern, dass Sie nichts mehr zu sagen haben.
({1})
Wir haben damals schon davor gewarnt und gesagt, dass
dies falsch sei. Nun hat Herr Struck zumindest in einem
anderen Zusammenhang einmal gesagt, dass bei der
Föderalismusreform I einige Fehler begangen worden
seien. Hier ist ein weiterer. Jetzt müssen wir retten, was
zu retten ist.
Wie gesagt, die Föderalismusreform war vor drei Jahren. Daher finde ich es erstaunlich, dass die SPD-Fraktion jetzt sagt, in der Kürze der zur Verfügung stehenden
Beratungszeit hätten die erforderlichen Veränderungen
nicht mehr ausgearbeitet werden können. Drei Jahre sind
reichlich Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen; wir müssen schon einmal die Kirche im Dorf lassen. Sie wissen
so lange wie ich, welche Probleme auf der Tagesordnung
stehen, und Sie hätten so lange wie wir die Zeit gehabt,
die Beamten im Ministerium damit zu beauftragen, entsprechende Texte auszuarbeiten. Diese Ausrede hilft den
Betroffenen wirklich nicht.
({2})
Der Maßstab auch für dieses Gesetz muss die UNKonvention über die Rechte für Menschen mit Behinderungen sein, die inzwischen innerstaatlich geltendes
Recht ist. Dort steht zum Beispiel in Art. 19, dass nie24914
mand gezwungen werden darf, gegen seinen Willen mit
jemandem, den er nicht kennt oder nicht mag, ein Zimmer zu teilen.
Was haben wir denn jetzt wirklich erreicht? Was haben die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig für
tolle Rechte? Sie haben immer noch keinen eigenen
Schlüssel. Angesichts dessen braucht man nicht mehr
von Selbstbestimmung zu reden.
({3})
Sie haben immer noch nicht das ausdrückliche Recht auf
geschlechtergleiche Assistenz und Pflege. Sie haben immer noch keine vernünftige Regelung, aufgrund derer
sie selbst bestimmen könnten, welches Haustier sie haben möchten. Bitte schön, wenn wir von Selbstbestimmung und von den Bedürfnissen der Menschen reden,
dann ist dies etwas, was man niemandem verwehren
sollte. Es gibt noch nicht einmal ein uneingeschränktes
Besuchsrecht. Wenn ich irgendwo wohne und mir nicht
aussuchen kann, wer mich wann und wie lange besucht,
dann hat dies mit Selbstbestimmung nicht viel zu tun,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich sage ausdrücklich, dass Regelungen sein müssen.
Der jetzige Zustand ist unhaltbar. Insofern werden wir
nicht gegen Ihr Gesetz stimmen, obwohl wir so viele
Kritikpunkte haben, sondern wir werden uns der Stimme
enthalten. Damit bringen wir ganz klar zum Ausdruck,
dass wir nicht den Weg verwehren, bestimmte notwendige Regelungen zu schaffen. Aber ein Beitrag zu dem
in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag versprochenen Paradigmenwechsel ist dieses Gesetz nicht.
({4})
Insofern gehört es zum Ende der Legislaturperiode nicht
auf die Haben-, sondern auf die Negativseite Ihrer Bilanz. Es tut mir leid, dass man das so sagen muss.
Ich hoffe, dass die Menschen eines Tages auf die
Frage „Möchten Sie in einer Wohnung oder in einem
Zimmer wohnen, das unter das Heimgesetz fällt?“ sagen: Ja, davor habe ich keine Angst mehr. Momentan
wollen dies weder Sie noch ich noch vermutlich irgendjemand auf der Tribüne. Das müssen wir wirklich ändern.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe,
dass Sie diese Dinge demnächst wirklich einmal berücksichtigen werden.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth
Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
Heimgesetzes verspricht uns ein wahres Reformfeuerwerk. Es verspricht uns ein Umdenken gegenüber der alten Regelung. Je genauer wir hinschauen, desto klarer
wird uns aber, dass das ein Scheinriese ist; denn es ist
beim Versuch geblieben, den Verbraucherschutz in die
alte Systematik einfließen zu lassen. Die Koalition versäumt somit einen wichtigen Schritt hinsichtlich der umfassenden Schutzstellung von Verbraucherinnen und
Verbrauchern in ähnlichen Wohn- und Betreuungsformen, im sogenannten betreuten Wohnen.
({0})
Versäumt hat die Große Koalition auch den richtigen
Zeitpunkt; das wurde eben erwähnt. Viele Bundesländer
haben ihre Hausaufgaben schon lange gemacht.
({1})
Sie haben die ihnen zugeteilte ordnungsrechtliche Regelungsrolle nach der Föderalismusreform wesentlich
schneller umgesetzt als die Bundesregierung. Dadurch
kam es hier zu unschönen Überschneidungen, zu Überregulierungen und zu Unstimmigkeiten. Wir haben dieses Dilemma bei der Föderalisierung des Heimgesetzes
prophezeit und - leider - recht behalten.
({2})
Die Große Koalition hat zudem die Zeichen der Zeit
nicht erkannt. Das Gesetz ist von seiner Denkweise
nichts weiter als ein lauwarmer Aufguss des alten Heimgesetzes.
({3})
Das ist uns Grünen nicht genug. Wir fordern die stärkere
Durchlässigkeit und die Verschränkung der unterschiedlichen Bereiche.
Wir müssen für die Zukunft in neuen Dimensionen
denken. Das ist gerade im Hinblick auf den sich verändernden Bedarf und das neue Selbstverständnis von Älteren und von Menschen mit Behinderung ganz besonders wichtig. Es ist doch klar: Wir wollen keine
Überregulierung von alternativen und sich neu entwickelnden Wohnformen. Was wir wollen, ist Verbraucherschutz für all diejenigen, die einen erhöhten Hilfe- und
Betreuungsbedarf haben. Das trifft auch auf die Klientel
des sogenannten betreuten Wohnens zu.
({4})
Wir alle hier wissen doch: Die Inhalte der Angebote,
zum Beispiel beim betreuten Wohnen, sind häufig völlig
unklar. Warum schaffen Sie als Große Koalition nicht
die notwendige Klarheit für die Verbraucherinnen und
Verbraucher? Wir sollten die Drohgebärde der Unternehmer vom Ausstieg aus dem Segment „Betreutes Wohnen“ ignorieren. Glauben Sie mir, dieser Bereich ist äußerst attraktiv und verspricht in den nächsten Jahren ein
deutliches Wachstum. An Ausstieg denkt hier im Unternehmerbereich wirklich kein Mensch.
({5})
Uns sollte es um die Menschen gehen, die in die Irre
geführt werden. Oft genug versprechen Angebote eine
Betreuung, halten dieses Versprechen aber nicht.
({6})
Stellen Sie sich doch einmal vor: Sie sind 79 Jahre alt.
Sie wohnen alleine. Sie bemerken, es ist keiner für Sie
da, ansprechbar, wenn Sie im Krankheitsfall Unterstützung brauchen. Sie treffen den Entschluss zum Umzug
in eine geeignete, altengerechte Wohnform. Sie stellen
sich vor, dass das der letzte Umzug in Ihrem Leben ist.
Damit stellt sich für Sie die Frage: Wohin? Betreutes
Wohnen klingt gut. Da scheint es Wohnen mit Betreuung
zu geben, und genau das suchen Sie doch eigentlich. Der
Vertrag ist schnell unterzeichnet. Fragen stellen Sie vielleicht einige, aber es waren, wie sich nach dem Umzug
zeigt, nicht die richtigen oder zu wenige Fragen. Die vermeintliche Betreuung gibt es gar nicht, und wenn doch,
dann nur gegen Zahlung einer meist teuren Zusatzpauschale. Aber nun sind Sie einmal umgezogen und können nicht mehr zurück. Noch dazu bemerken Sie bei
Eintritt der Pflegebedürftigkeit, dass Sie hier nicht bleiben können und dürfen. Ein erneuter Umzug steht an.
Gesagt hat Ihnen das vor Einzug niemand, aber vielleicht stand das ja im unverständlichen Kleingedruckten.
Sie sehen die Problematik, und das ist kein Einzelfall.
Das war für uns Veranlassung, unseren Antrag zu stellen.
({7})
Anbieter und Verbraucherinnen und Verbraucher assoziieren etwas völlig Unterschiedliches mit der Wohnform
„betreutes Wohnen“. Das Einzugsalter liegt derzeit zwischen 75 und 79 Jahren, Tendenz steigend. Die gesundheitliche Einschränkungen in dieser Gruppe sind deutlich erhöht: 70 Prozent der Menschen, die betreutes
Wohnen in Anspruch nehmen, gelten als chronisch krank
und 70 Prozent als eingeschränkt mobil. Das zeigt uns
doch ganz klar, dass hier ein erhöhter Hilfe- und Schutzbedarf vorhanden ist. Der Markt ist vollkommen undurchsichtig. Wegen mangelnder Mindeststandards können Angebote kaum miteinander verglichen werden. Das
schwächt die Rolle der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die älteren Menschen müssen selbst zusehen, wie
sie an verfügbare Informationen kommen, sofern ein Zugriff darauf überhaupt möglich ist.
Die Verbraucher haben einen Anspruch auf Information vor Vertragsabschluss; das ist übrigens ein Zitat der
CDU/CSU.
({8})
Aber leider gilt dieser Anspruch bei der Großen Koalition nur begrenzt. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Das ist durch die Anhörung, durch Äußerungen von
Vertretern des Verbraucherschutzes nur noch deutlicher
geworden.
Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit?
Ich komme zum Ende.
Wir Grünen fordern einen Verbraucherschutz, der auf
den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher - und
nicht auf den der Unternehmer - abzielt. Die diesbezügliche Änderung des Referentenentwurfs war das falsche
Zeichen.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Spanier für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und richtig, dass
wir heute diese Debatte führen, aber noch wichtiger ist,
dass wir die Debatte zu den richtigen Themen führen.
Bei allem Verständnis für vieles von dem, was Sie hier
gesagt haben, Herr Dr. Seifert: In Ihren Ausführungen
ging es um etwas ganz anderes, nämlich um Standards
und Qualitätsanforderungen, und die werden nun einmal
im ordnungsrechtlichen Bereich geregelt, für den der
Bund nicht zuständig ist. Wir müssen das zur Kenntnis
nehmen.
({0})
Viele Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker aus mehreren Fraktionen haben damals Einsprüche gegen die
Übertragung dieses Verantwortungsbereichs eingelegt,
aber alle 16 Bundesländer waren sich einig, ganz unabhängig von den jeweiligen Koalitionen in den Bundesländern. Auch Nordrhein-Westfalen, Frau Scharfenberg,
Frau Haßelmann, das damals noch eine rot-grüne Regierung hatte, war dafür. Das muss man noch einmal erklären, damit hier nicht Legenden gesponnen und überflüssige und falsche Schuldzuweisungen ausgesprochen
werden.
({1})
Wir müssen mit diesem Faktum umgehen. Deswegen
ist es richtig und notwendig, dass wir den schmalen Bereich, in dem es nur um die zivilrechtliche Regelung des
Vertragsrechts geht, inhaltlich ausfüllen. Das haben übrigens, Frau Scharfenberg, die Verbraucherschutzverbände durchaus bestätigt. Selbstverständlich gab es kritische Anmerkungen zu dem einen oder anderen Detail.
Um auf das von Ihnen angeführte Beispiel „betreutes
Wohnen“ zu kommen: Wenn es um die Überlassung von
Wohnraum plus Pflege- und Betreuungsleistungen geht,
dann gelten die Grundsätze für die Vertragsregelung, die
wir jetzt gleich beschließen werden. Das ist damit abgedeckt, und das ist auch gut so. Natürlich gibt es Wohnformen - die Begriffe sind häufig unklar: betreutes Wohnen, Service-Wohnen -, bei denen nur unterstützende
Haushaltsdienstleistungen angeboten werden, zum Beispiel Putzhilfe, wo von Pflege und Betreuung im eigent24916
lichen Sinne überhaupt nicht die Rede ist. Dass auch in
solchen Fällen, in denen es nur um reine Haushaltsdienstleistungen geht, diese heimvertraglichen Regelungen gelten müssen, halten wir für überflüssig. Die Bereiche sind manchmal schwierig abzugrenzen - das will ich
gerne einräumen -,
({2})
aber in dem entscheidenden Bereich, wo beides zusammenkommt, die Überlassung von Wohnraum plus
Pflege- und Betreuungsleistungen, und die Gefahr einer
doppelten Abhängigkeit besteht, greift diese Regelung,
die wir heute beschließen.
Alle Sachverständigen und einschlägigen Verbände
und Organisationen haben uns ausdrücklich bestätigt,
dass hier ein vernünftiger Gesetzentwurf zustande gekommen ist. Das entscheidende Ziel war, mehr Information und mehr Transparenz zu erreichen. Dieses Ziel
wird durchaus erreicht. Dies geht auch einher mit der
grundsätzlichen Anforderung der Selbstbestimmung,
Herr Dr. Seifert, aber nur in diesem schmalen Bereich.
Es gibt andere - ich gebe gerne zu: viel wichtigere - Bereiche, in denen wir das noch durchsetzen müssen. Aber
das ist doch kein Grund, gegen dieses Gesetz, das nur
diesen schmalen Bereich regelt, zu argumentieren und
ihm möglicherweise sogar nicht zuzustimmen. Das ist
überhaupt nicht nachvollziehbar.
({3})
Meine Damen und Herren, auch wenn wir es heute in
parlamentarischer Routine abhandeln, ist es schon ein
bedeutsames Gesetz. Es betrifft - Herr Grübel hat die
Zahl vorhin genannt - etwa 700 000 Menschen, und
diese Zahl wird wachsen. Es ist wahrscheinlich nicht nur
in unserem heimischen Ostwestfalen so, dass die Zahl
der Hochbetagten, der über 80-Jährigen, bis 2020 um
20 Prozent steigen wird. Das heißt, immer mehr Menschen kommen in die Situation „Wohnen plus Pflegeund Betreuungsleistungen“. Deshalb ist es ganz wichtig,
dass hier endlich die Informationspflichten verstärkt
werden, der Status als Verbraucher betont wird und der
Verbraucherschutz ein deutlich höheres Gewicht bekommt.
Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes sagen: Ganz
wichtig ist, dass dieses Gesetz die Vielfalt der Wohnformen im Alter - ich weiß, wovon ich rede - nicht behindert, sondern stärkt. Ich bin aber ganz sicher: Auch dieses Gesetz ist nicht für die Ewigkeit gemacht. Auch hier
wird man die rasante Entwicklung der nächsten Jahre beobachten müssen. Ich hoffe, dass dieses Gesetz dann
wieder auf den Prüfstand kommt und an die gesellschaftliche Wirklichkeit angepasst wird.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst im
Rahmen des Tagesordnungspunktes 39 a über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13209, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD auf Drucksache 16/12409 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
bei der zweiten Beratung angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu
dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13209,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12882 für erledigt zu erklären. Gleichwohl
müssen wir über diese Beschlussempfehlung abstimmen. Wer ist dafür? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 39 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Betreutes Wohnen
für ältere Menschen - Qualitätskriterium Nutzerorientierung“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13209, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12309 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 40 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Waitz, Hans-Joachim Otto ({1}), Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbehörden und Bundestag enttarnen - Aufarbeitung des Stasi-Unrechts stärken
- Drucksachen 16/9803, 16/12982 Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk
Christoph Waitz
Katrin Göring-Eckardt
Für die Beratung ist interfraktionell eine halbe Stunde
vereinbart. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Maria Michalk für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor fast einem Jahr, am 25. Juni 2008, hat die
FDP den Antrag gestellt, der die Überschrift trägt: „Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbehörden und Bundestag enttarnen - Aufarbeitung des
Stasi-Unrechts stärken“. In der ersten Lesung zu diesem
Antrag, am 17. Oktober letzten Jahres, habe ich für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärt, dass das in der
Überschrift des Antrages erklärte Ziel richtig ist und von
uns voll unterstützt wird.
({0})
Das gilt nach wie vor und bleibt ein Auftrag für die Zukunft. Die Überschrift ist in Ordnung. Sie ist quasi ein
Motto, das Sie auch überall in unseren Programmen finden.
({1})
Im Rahmen der Diskussion über die Forschreibung
des Gedenkstättenkonzeptes des Bundes haben wir, die
Koalition, Erfolge, aber auch Defizite erkannt, aufgenommen und festgeschrieben. Jetzt kommt es auf die
Umsetzung an. Da sind alle gefragt: Politik auf allen
Ebenen, Medien, Schulen, Zeitzeugen und die Wissenschaft. Besser wäre auch, die Täter sagten selbst, was
war, und ließen sich nicht immer von Gerichten oder der
Öffentlichkeit die notwendigen Informationen aus der
Nase ziehen.
({2})
Aber das wird wohl eine Hoffnung bleiben.
({3})
Dass die Aufarbeitung intensiver werden muss und
eine Zukunftsaufgabe bleibt, die wir ernsthaft betreiben,
wird zum Beispiel durch die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes verdeutlicht. Die Pflicht zur Überprüfung herausgehobener Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens ist weiterhin gesetzlich geregelt. Wir werden in
der nächsten Wahlperiode sicherlich die Frage zu beantworten haben, was nach dem Jahr 2011 passieren soll.
Wenn es die FDP mit ihrer in Punkt 5 erhobenen
Forderung hinsichtlich einer flexibleren Regelung zur
Überprüfung der Stasimitarbeit von Beamten und Angestellten der Bundesministerien und nachgeordneten
Bundesbehörden im Sinne einer Verdachtsprüfung ernst
meint, dann bin ich auf den konkreten Vorschlag der
FDP zur Ausgestaltung dieser Regelung gespannt. Es ist
ja nur eine Absicht. Aus den vergegangenen sieben Novellen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz ist mir keine einzige
Initiative der FDP in dieser Richtung in Erinnerung, eher
umgekehrt.
({4})
Die Ernsthaftigkeit der Aufarbeitung in der CDU/
CSU-Fraktion wird unter anderem durch unsere Hartnäckigkeit bei der gesetzlichen Gestaltung der Opferrente
verdeutlicht. Wir waren es, die Täter und Opfer immer
wieder in Relation gesetzt haben.
({5})
Ein Schlussstrich unter die Aufarbeitungsdebatte
kommt für uns also nicht infrage.
({6})
Das lassen wir uns auch von niemandem unterstellen.
({7})
Dafür setzen sich unsere Vertreter in den entsprechenden
Gremien ein, zum Beispiel im Beirat der Birthler-Behörde und bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur.
Gerade ist der neue Bildungskatalog erschienen. Die
Materialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit werden immer besser und vollständiger; sie
müssen aber auch genutzt werden.
Der Vollständigkeit halber erwähne ich auch die Regelung zur Überprüfung von uns Bundestagsabgeordneten, die auf der Grundlage einer persönlichen Einwilligung erfolgt. In einer für jedermann zugänglichen
Drucksache des Deutschen Bundestages wird das Ergebnis veröffentlicht. Wir sorgen für Transparenz. Ich empfehle allen, einen Blick in die veröffentlichten Ergebnisse der Überprüfung der Abgeordneten der letzten
beiden Legislaturperioden zu werfen. Will man die
Überprüfung aller ehemaligen Abgeordneten erreichen,
wie es vorgeschlagen ist, muss die persönliche Einwilligung eingeholt werden. Auch die FDP kann sich in dieser Frage nicht über die Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichtes hinwegsetzen.
Heute blicken wir auf beinahe 19 Jahre Aufarbeitungsgeschichte zurück. Vieles ist gut gelungen; dies
zeigt zum Beispiel der jüngst vorgestellte Neunte Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten. Nach wie vor gibt
es ein intensives Interesse, persönlich Akteneinsicht zu
nehmen. Ich will hier offen meinen Wunsch aussprechen, dass die Menschen in unserem Land den Mut finden, in ihre Akte zu schauen, weil manchmal nur durch
Querverbindungen und das eigene Erinnern und Wissen
über eine konkrete Situation etwas zum Vorschein
kommt. So werden Verstrickungen aufgedeckt, von denen wir sonst vielleicht nie erfahren würden. Jeder Einzelne sollte einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten. Das
gilt auch für Abgeordnete, und zwar aus Ost und West;
dafür brauchen wir ihre Einwilligung zur Überprüfung.
Über den FDP-Antrag wurde im Ausschuss diskutiert.
Die Hoffnung, dass jetzt noch ein Sonderkündigungsrecht für die Bediensteten der obersten Behörden durchsetzbar ist, hat die FDP offensichtlich selbst nicht. Dies
aber wäre die Voraussetzung, um nach einer Prüfung
eventuelle Konsequenzen arbeitsrechtlicher Art ziehen
zu können.
({8})
Was bleibt, ist das bekannte Dienstrecht, das auch genutzt wird. Insofern bezeichne ich die Forderung der
FDP als etwas populistisch.
({9})
Richtig ist die Forderung, die Aktenaufbewahrung,
die Aktenaufarbeitung und die unabhängige wissenschaftliche Arbeit zu verstärken. Hätten wir als CDU/
CSU kein Interesse daran, würden wir zum Beispiel
nicht so vehement das Aktenrekonstruktionsverfahren,
im Volksmund „Schnipselmaschine“ genannt, vorantreiben.
({10})
Es ist schade, dass in der Öffentlichkeit aktuell eine
für meine Begriffe irreführende Debatte geführt wird, in
der suggeriert wird, dass der Fall Kurras, wenn alle Forderungen des FDP-Antrags erfüllt wären, viel eher aufgedeckt worden wäre.
({11})
Die Überprüfungsanforderungen der FDP beziehen sich
auf Mitarbeiter der Bundesbehörden. Kurras aber war
ein Berliner Polizist.
({12})
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Vielmehr
hätte man eher auf die Idee kommen können, den Tod
von Benno Ohnesorg näher auf Stasiverstrickungen zu
untersuchen. Mit den bereits vorhandenen Regelungen
wäre dies nämlich möglich gewesen. Das Positive an
dieser Debatte könnte sein - das hoffen wir jedenfalls -,
dass sich in Zukunft vielleicht mehr Wissenschaftler diesem speziellen Thema widmen, weil sie durch die Enthüllung stärker für Spezialfragen sensibilisiert sind. Die
Politik formuliert keine Forschungsaufträge für die freie
Wissenschaft. Sie organisiert lediglich die dafür erforderlichen Instrumente. In diesem Fall sind sie vorhanden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im zwanzigsten Jahr nach dem Mauerfall gibt es Gott sei Dank
überall in unserem Land Projekte, Veranstaltungen und
Angebote, sich zu erinnern, was damals war, wie es war
und welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Ich will
ein Beispiel nennen: In Kooperation mit der Gedenkstätte Bautzen führt das Deutsch-Sorbische Volkstheater
im dortigen ehemaligen Stasigefängnis, also an einem
authentischen Ort, eine Inszenierung auf, die ich bemerkenswert finde und die das aufgreift, worüber wir heute
diskutieren. Auf der Grundlage der Aussagen von Schülern, wie sie den Begriff „Freiheit“ definieren, und dem
historischen Sophokles-Stück Antigone wird quasi von
außen ein Blick auf die Erinnerungskultur der Deutschen
gerichtet. Eine Chinesin formuliert:
Freiheit ist, wenn man sich nicht verstellen muss.
Sie stellt fest:
In Deutschland erinnert man sich an alles und nicht,
wie offiziell in China, nur an die Gewalttaten feindlicher Nationen.
Sie wiederholt immer wieder den Satz:
Die Deutschen sind sich nicht einig beim Erinnern;
denn jeder hat seine eigene Version von der Vergangenheit.
Vielleicht ist es gerade das, was diese Debatte oftmals
so schwer für uns macht. Dennoch sollten wir auf der
Basis rechtsstaatlicher und wissenschaftlicher Kriterien
und mit menschlichem Anstand auch in Zukunft vehement vorgehen. Diesem Ziel trägt Ihr vorliegender Antrag leider nicht Rechnung. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Waitz für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen in
diesem sehr überschaubaren Plenum am Freitagnachmittag!
({0})
Ich habe mich sehr über die Äußerungen unseres Kollegen Ströbele gefreut, der gestern in einem Interview bei
Radio Eins gesagt hat, dass seine Fraktion unseren Antrag unterstützt und dass ihn heute hoffentlich auch der
Deutsche Bundestag annehmen wird.
({1})
Ich hoffe inständig, dass es zu diesem Ergebnis kommt,
und bin auf die Rede des Kollegen Wieland sehr gespannt.
Worum geht es der FDP? Wir wollen das Wirken des
Staatssicherheitsdienstes in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990 aufarbeiten. Wir wollen nichts anderes als
die fundierte und wissenschaftliche Klärung, in welchem
Ausmaß politische Entscheidungen hier im Bundestag
beeinflusst wurden. Ganz besonders wollen wir die
Gleichbehandlung von Ost und West bei der Aufarbeitung des Stasiunrechts.
({2})
Es ist nicht ausreichend, Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung immer nur von anderen zu fordern.
Der Deutsche Bundestag hat eine Vorbildfunktion.
({3})
Deshalb müssen wir uns unserer eigenen Vergangenheit
stellen.
({4})
Kollege Waitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wolfgang Börnsen?
Aber gerne, Wolfgang.
Bitte sehr.
({0})
Verehrter Christoph Waitz! - Er schon etwas gesagt,
er hat nämlich gesagt, wir müssen uns der Vorbildfunktion stellen. Das ist richtig. Viele Kollegen haben das in
der Vergangenheit getan und sich freiwillig einer Untersuchung unterzogen. Der Kollege Otto zum Beispiel in
dieser und der letzten Wahlperiode.
({0})
Ich würde gerne fragen, wie es dem Kollegen Waitz
bei seiner Untersuchung ergangen ist. Er will ja, dass der
Bundestag und auch die jetzt aktiven Abgeordneten eine
Vorbildfunktion haben. Hier möchte ich gerne nachfragen: Warum hat sich ein Drittel der FDP-Abgeordneten
dieser freiwilligen Untersuchung bisher nicht unterzogen?
({1})
Wenn man schon Vorbild sein will, lieber Christoph,
dann wäre es doch hilfreich, dass man sich selbst an die
Spitze der Bewegung stellen und uns das nicht zum Vorwurf machen würde; denn wir alle wollen ohne Frage
eine Aufklärung und Aufarbeitung. Ich glaube schon,
dass wir auf diese persönliche Einschätzung eingehen
sollten.
({2})
Lieber Wolfgang Börnsen, ich weiß nicht, woher
deine Erkenntnisse stammen, die du jetzt aus dem Hut
gezaubert hast, ich weiß nur, dass die FDP-Fraktion allen Bundestagsabgeordneten empfiehlt, nicht nur sich
selbst überprüfen zu lassen, sondern auch sämtliche Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros. Nach meinem
Kenntnisstand haben das auch alle getan.
({0})
Darüber hinaus wird in vielen Fällen ja auch nicht nur
das Amt des Bundestagsabgeordneten ausgeübt, sondern
wir sind unter Umständen auch im Beirat der Stasi-Unterlagen-Behörde oder kommunalpolitisch tätig. Zumindest diejenigen, die in Ostdeutschland kommunalpolitisch tätig sind, werden regelmäßig überprüft. Wenn es
dich besonders interessiert, bin ich gerne bereit, dir die
entsprechenden Auskünfte bei Gelegenheit einmal zu
zeigen.
({1})
Jetzt will ich aber mit dem eigentlichen Thema weitermachen, nämlich der Vergangenheit bis 1989. Über
die gegenwärtige Situation müssen wir zu einem anderen
Zeitpunkt noch einmal vertieft sprechen.
Frau Birthler wiederholt seit Monaten formelhaft,
dass die Aufarbeitung der Stasitätigkeit in den Bundestagen von 1949 bis 1990 - um diesen Zeitraum geht es uns
in unserem Antrag - keine wesentlichen neuen Erkenntnisse bringen würde und dass die Westaktivitäten der
Staatssicherheit besonders gründlich untersucht worden
seien. Tatsächlich sind von den 50 Kilometern Stasiakten, die die Staatssicherheit selbst archiviert hat, nach
meinem Kenntnisstand bislang erst wenige Prozent aufgearbeitet und erschlossen worden.
Aus diesen Beständen - das wird Sie nicht überraschen - stammt auch die Akte Kurras, über die wir in
den letzten Tagen so viel gehört haben. Ich denke, der
Fall Kurras zeigt uns ganz deutlich, welche Brisanz noch
in diesen Archiven schlummert. Eine systematische Untersuchung dieser Bestände hat noch nicht stattgefunden,
und wir dürfen uns vor dieser Aufgabe, dieser Recherche, nicht einfach wegducken.
({2})
Die Staatssicherheit wollte dauerhaft und zuverlässig
wissen, was in der Bundesregierung, den Parteien und
den Fraktionsvorständen gedacht und geplant wurde und
welche Konflikte dort die Debatten beherrschten. Wir
wissen, dass die DDR-Führung ein vitales Interesse daran hatte, bestimmte politische Kräfte im Bundestag zu
fördern. Inzwischen gilt es als sicher, dass Bundeskanzler Willy Brandt das konstruktive Misstrauensvotum gegen den CDU-Herausforderer Rainer Barzel nicht ohne
die Hilfe der Staatssicherheit überstanden hätte.
Frau Birthler geht davon aus, dass fünf Abgeordnete
der 6. Legislaturperiode als IM für die Staatssicherheit
gearbeitet haben. Wissenschaftler ihrer eigenen Behörde
nennen zehn bis elf Abgeordnete.
({3})
In Anbetracht dieses Ergebnisses, also der Verdoppelung
der Anzahl - wir reden gegenwärtig über zehn bis elf IM -,
halten wir es für geboten, dass die Birthler-Behörde den
Einfluss der Stasi auf den Bundestag insgesamt klären
muss.
Jetzt höre ich aus vielen Richtungen, unser Antrag sei
abzulehnen. Herrn Wiefelspütz geht unser Antrag nicht
weit genug. Herrn Thierse geht unser Antrag zu weit.
Für den Kollegen Kauder ist unser vor einem Jahr in den
Bundestag eingebrachte Antrag ein Reflex auf den Fall
Kurras.
({4})
Wenn Sie bessere Vorschläge haben als wir, dann hätten Sie sie bei unzähligen Gelegenheiten in das parlamentarische Verfahren einbringen können. Bis zum heutigen Tag liegen diese Anträge nicht vor. Das macht Ihr
Bekenntnis zur Vergangenheitsbewältigung des Bundestages in meinen Augen nicht glaubwürdiger.
Lesen Sie unseren Antrag doch einmal richtig!
({5})
Er verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch
gegen allgemeine Persönlichkeitsrechte, und niemand
will wieder eine verdachtsunabhängige Regelüberprüfung einführen.
Aber um konkret zu werden: Es muss doch möglich
sein, heute einen verbeamteten Stasispitzel bei einem
konkreten Verdacht zu überprüfen.
({6})
Niemand kann ernsthaft wollen, dass heute diese ehemaligen West-IM an sensiblen Stellen eines Bundesministeriums arbeiten.
({7})
Wir Abgeordneten haben mit § 44 c des Abgeordnetengesetzes eine Regelung gefunden, die auch auf Mitarbeiter in Bundesministerien und Bundesbehörden übertragen werden kann. Zwingend ist nach dieser Vorschrift
das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für den
Verdacht einer Stasitätigkeit. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was an dieser extrem engen Regelung unangemessen sein sollte.
({8})
Heute gilt es, Farbe zu bekennen. Die Menschen verstehen nicht, warum mit Stasi-IM im Westen anders umgegangen werden sollte als im Osten.
({9})
Ich appelliere an alle, die für die Aufklärung der Stasiverstrickungen sind: Stimmen Sie heute unserem Antrag
zu! Die Menschen in unserem Land erkennen sehr genau, für wen die Aufarbeitung ein Thema von Sonntagsreden ist, oder wer es damit ernst meint und bei sich
selbst beginnt.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Thierse für
die Fraktion der SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist eigentümlich, Herr Kollege Waitz: Ich
habe nicht den Eindruck, dass Sie über Ihren Antrag gesprochen haben.
({0})
Sie wollen alle Bundesbehörden und alle Bundestagsabgeordneten untersuchen lassen, unabhängig von Verdacht und konkretem Anlass.
({1})
Heute haben Sie etwas anderes gesagt. Ich bitte Sie sehr,
Ihren eigenen Antrag ernst zu nehmen. Darin steht etwas
anderes. Genau deshalb lehnen wir ihn ab.
Mit Blick auf die Aufregung um den IM Kurras hat
der FDP-Antrag vermeintlich an Aktualität gewonnen.
Die jetzige Diskussion macht Ihren Antrag gleichwohl
nicht besser, Herr Waitz. Sie ändert nichts an den Argumenten, die wir im Kulturausschuss ausgetauscht haben.
In der Sitzung am 25. März hat die Bundesbeauftragte
für die Stasi-Unterlagen, Frau Birthler, zu Ihrem Antrag
ausführlich Stellung bezogen. Einige Punkte aus der Debatte im Ausschuss möchte ich herausgreifen.
Doch zuvor empfehle ich Ihnen die Lektüre der Tätigkeitsberichte der Stasi-Unterlagen-Behörde. In Ihrem
Antrag heben Sie darauf ab, dass die Westarbeit des MfS
bisher zu wenig erforscht sei. Im Achten Tätigkeitsbericht zum Beispiel können wir lesen, dass der Forschungsschwerpunkt Westarbeit des MfS dort ausführlich dargestellt und auf entsprechende - und zwar nicht
wenige - Publikationen der Behörde verwiesen wird. In
der genannten Sitzung des Kulturausschusses hat Frau
Birthler die Erforschung der Westarbeit des MfS sogar
als eines der am besten erforschten Fachgebiete der Behörde bezeichnet.
Nun zu Ihrem Antrag: Sie fordern eine umfassende
Untersuchung, wie viele ehemalige Stasimitarbeiter
heute noch in den Bundesministerien und nachgeordneten Bundesbehörden arbeiten. Dies ist nach geltendem
Stasi-Unterlagen-Gesetz, das vor drei Jahren auch mit
Ihren Stimmen - mit den Stimmen der FDP - novelliert
wurde, gar nicht mehr möglich. Wir sollten nichts
rechtsstaatlich Problematisches versuchen, lieber Kollege Waitz. Darin vor allem besteht unsere Vorbildfunktion.
Außerdem fordern Sie eine Überprüfung aller Bundestagsabgeordneten bis 1989. Dem möchte ich drei Argumente entgegenhalten. Erstens ist Ihr Antrag selbst
das beste Argument gegen diese Forderung. Sie sprechen von 43 Bundestagsabgeordneten der 6. Legislaturperiode, die als Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi registriert gewesen seien. Frau Birthler hat in der
Kulturausschusssitzung erneut klargestellt, dass es sich
bei dem größten Teil dieser Abgeordneten nicht um IMs
im Sinne des Stasi-Unterlagen-Gesetzes handelt, sondern um Registrierungen auf IM-Vorgänge, was etwas
ganz anderes ist. Die Unkultur der Verdächtigung sollte
von uns nicht neuerlich angeheizt werden; denn sie schadet der ehrlichen und kritischen Auseinandersetzung mit
der Vergangenheit.
({2})
Zweitens hat Frau Birthler mehrfach vor allzu großen
Erwartungen an eine solche Studie gewarnt. Ihre Sachkenntnis sollte man ernst nehmen. Der Erkenntnisgewinn wäre außerordentlich gering, sagt sie. Die Unterlagen der BStU inklusive der Rosenholz-Dateien wurden
bereits Anfang der 90er-Jahre von Ermittlungsbehörden
genutzt und waren Grundlage für mehr als 5 000 Ermittlungsverfahren.
Drittens warnt Frau Birthler, dass der zu erwartende
Erkenntnisgewinn in keinem Verhältnis zum erforderlichen Aufwand stehe. Sie hat am Dienstag dieser Woche
bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Neunten Tätigkeitsberichts auf Nachfragen eines Journalisten gesagt, dass dann alle anderen Forschungsprojekte zurückgestellt werden müssten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Waitz?
Aber natürlich.
Bitte sehr.
Lieber Kollege Thierse, um den inhaltlichen Zusammenhang nicht vollkommen abreißen zu lassen: Sie haben im Wesentlichen Argumente von Frau Birthler aus
der improvisierten Anhörung zu unserem Antrag referiert. Diese kenne ich natürlich sehr gut. Mich hätten eigentlich mehr Ihre Argumente zu unserem Antrag interessiert. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
die fünf IM - diese Zahl nennt Frau Birthler immer wieder öffentlich - nicht der tatsächlichen Zahl entsprechen? Mittlerweile hat sich insbesondere durch die Recherchen des verdienstvollen Historikers MüllerEnsberg in der Birthler-Behörde herausgestellt, dass es
insgesamt zehn oder elf Inoffizielle Mitarbeiter waren,
die in dieser Legislaturperiode tätig gewesen sind. Diese
Angaben sind auch in Veröffentlichungen der BirthlerBehörde nachzulesen.
Ich selber habe eben gar keine Zahl genannt. Ich war
vorsichtig und habe gesagt, dass die Mehrzahl keine IM
war. Sie behaupten, dass es sich um 43 Stasi-IM handelt.
So steht es in Ihrem Antrag. Das halte ich für nicht verantwortlich. Nun rudern Sie zurück. Ich rede gar nicht
über die Zahl. Aber die Behauptung, es seien 43 IM, ist
nachweislich falsch. Nach den Kriterien des Stasi-Unterlagen-Gesetzes waren es keine IM. Wir sollten das Spiel
der Verdächtigungen nicht fortsetzen.
({0})
Frau Birthler weist, wie gesagt, auf die Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen hin. Wenn das auf
die Untersuchung von Bundestagsabgeordneten zutrifft,
gilt das erst recht für die Forderung der FDP, alle Fälle
und die Auswirkung von Stasispionage in Bundesministerien und nachgeordneten Bundesbehörden in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik aufzuklären. Was
soll ein Wissenschaftler mit einer solchen Fragestellung
anfangen? Vielmehr müsste präzise formuliert werden,
was genau das Ziel einer Untersuchung sein soll.
({1})
Ich kann mir solche Untersuchungen vorstellen. Zum
Beispiel könnten Wissenschaftler untersuchen, ob die
Stasi versucht hat, Einfluss auf die Abstimmung über
den NATO-Doppelbeschluss zu nehmen, oder ob es bei
der Entführung von Hanns Martin Schleyer Versuche der
Stasi gab, Einfluss auf die von den Entführern geforderte
Freilassung von RAF-Häftlingen zu nehmen. Solche
präzisen Untersuchungen kann ich mir vorstellen. Solche Fragestellungen müssten übrigens nicht zwingend
von den Forschern der BStU untersucht werden. Sie
könnten genauso von behördenexternen Wissenschaftlern bearbeitet werden.
An dieser Stelle sei - wiederum Bezug nehmend auf
die aktuelle Diskussion - angemerkt, dass nach Aus24922
kunft von Frau Birthler kein einziger Wissenschaftler
oder Journalist die Akte von Kurras angefordert hat, obwohl es mehrere Publikationen und Untersuchungen zur
Studentenbewegung und zum Tode von Benno Ohnesorg
gegeben hat. Deshalb ist es unredlich, allein der BStU
den Schwarzen Peter für die späte Entdeckung des Faktums zuzuschreiben. Die behördeninternen Wissenschaftler konzentrieren sich richtigerweise auf die Fragestellungen, die den privilegierten Zugang zu den Akten,
die sie haben, erfordern. Davon profitieren auch andere
Wissenschaftler und Journalisten.
Im Übrigen - auch das wissen Sie - ist die Forschungsarbeit nur ein Bereich der Aufgaben der Behörde. Sie wurde vor allem gegründet, um in erster Linie
den Betroffenen, den Verfolgten und den Opfern der
Stasi den Aktenzugang zu ermöglichen. Jeder sollte das
Recht haben, zu erfahren, welche Information die Stasi
über ihn gesammelt hat. Davon wird nach wie vor rege
Gebrauch gemacht, wie der neue Tätigkeitsbericht der
Behörde zeigt. Seit 1991 sind 2,6 Millionen Anträge auf
persönliche Akteneinsicht gestellt worden. Im letzten
Jahr gingen 87 000 Anträge ein, in den ersten drei Monaten dieses Jahres bereits fast 29 000. Zwei Drittel der
Anträge sind Erstanträge. Das sind beeindruckende Zahlen, die belegen, wie gut die Behörde arbeitet und wie
notwendig sie weiterhin ist. Weitere Aufgaben der Behörde sind die Bearbeitung von Anfragen anderer Behörden, zum Beispiel zu den Opferrenten, aber auch Bildungsarbeit und Aufklärung der Öffentlichkeit über die
Tätigkeit des MfS sowie natürlich die Erschließung der
Akten. Bei 114 Kilometern Akten ist das eine wahnsinnige Aufgabe, wie wir wissen.
Ich vermute übrigens, mit einem wirklich neuen Erkenntnisgewinn ist erst zu rechnen, wenn die mehr als
15 000 Säcke mit zerstörten Akten rekonstruiert sind.
Das wird leider noch einige Zeit dauern; denn das Pilotprojekt zur Rekonstruktion der Schnipsel verzögert sich.
Immerhin sind, wie Frau Birthler am Dienstag gegenüber den Medien versichert hat, die für die Aufklärung
der Westarbeit relevanten zerstörten Akten der HVA
komplett in das Pilotprojekt einbezogen. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse sollten wir deshalb etwas gelassener
und zugleich sicher sein, dass es noch manche spektakuläre Entdeckung geben wird, über die wir uns miteinander aufregen können.
Die SPD-Bundestagsfraktion bleibt dabei: DDR-Unrecht muss vorbehaltlos aufgeklärt werden. Deshalb hat
sich die SPD-Bundestagsfraktion dafür eingesetzt, der
Stasi-Unterlagen-Behörde eine verlässliche Perspektive
zu geben, wie sie jetzt im Gedenkstättenkonzept des
Bundes verankert ist. Deshalb hat sich die SPD-Bundestagsfraktion bei der Novellierung des Stasi-UnterlagenGesetzes dafür stark gemacht, dass auch weiterhin eine
Überprüfung von Personen in herausgehobenen Positionen möglich ist und der Zugang für Forschung und Medien zu den Stasiunterlagen erleichtert wurde.
Meine Damen und Herren, die Aufarbeitung der Vergangenheit kann nicht gelingen, wenn sie auf Aktionismus und Verdächtigungen beruht. Eine differenzierte gesamtdeutsche Debatte bleibt dafür notwendig. Dann
können und sollten wir uns am Beginn der kommenden
Legislaturperiode über einen klar definierten, präzise
umrissenen Forschungsauftrag verständigen, der Bundestag und Bundesbehörden betrifft und der realistischerweise auch eingelöst werden kann und deshalb
mehr und anderes sein muss als eine allgemeine Verdächtigung.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, will
ich dem Kollegen Ströbele die Gelegenheit geben, auf
das vorhin zitierte Radiointerview mit ihm einzugehen.
Herr Kollege Waitz, ich hatte mich schon bemüht, einen Zwischenruf zu machen, aber ich glaube, er ist nicht
angekommen, weil ich weiter hinten sitze.
Ich gebe zu, dass 8 Uhr morgens ein früher Zeitpunkt
ist, jedenfalls für mich, aber Sie müssen da etwas missverstanden haben. Ich habe in diesem Radiointerview
gesagt, dass ich es für richtig halte - ob man dem Antrag
zustimmen oder ihn ablehnen soll, dazu habe ich gar
nichts gesagt -, dass nicht nur die Abgeordneten des
Deutschen Bundestags nach der Wende, sondern auch
die Abgeordneten vor der Wende, also von 1949 bis
1989, die auch Ihnen am Herzen liegen, „gegauckt“ oder
„gebirthlert“, also überprüft werden. Ich habe aber auch
hinzugefügt, dass sie dem selbstverständlich zustimmen
müssen. Darauf haben auch Sie vorhin schon hingewiesen. Das heißt, ich habe nicht gesagt, aus den vielen
Gründen, die hier schon dargelegt worden sind, dass ich
dafür bin, Ihrem Antrag zuzustimmen; denn er hat erhebliche Schwächen, in einigen Punkten ist er viel zu
weitgehend, und er enthält Behauptungen, die ich nicht
mittragen möchte. Ich habe mich inhaltlich dafür eingesetzt, dass man auch die Abgeordneten aus diesen soeben genannten Jahren überprüft.
Herr Kollege Waitz, wollen Sie erwidern? - Bitte
sehr.
Lieber Kollege Ströbele, es enttäuscht mich natürlich
maßlos, dass ich das jetzt in dieser Form von Ihnen gesagt bekomme. Ich muss das akzeptieren. Ich habe den
Beitrag mehrfach gehört. Daran sieht man, wie missverständlich das ist, was wir ab und zu im Radio sagen.
({0})
Ich glaube, dabei sollten wir es bewenden lassen.
Vielen Dank.
Nun hat die Kollegin Lukrezia Jochimsen für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Grundsätzliche vorweg. Die Fraktion Die Linke war
stets und ist auch noch heute für eine Aufarbeitung der
Stasi-Unterlagen.
({0})
Wir sind für eine schnellere, für eine bessere, vor allem übrigens aber weniger zufällige, also wissenschaftliche Aufklärung. Deswegen fordern wir seit langem, dass
der Aktenbestand aus der undurchschaubaren Behörde
ins Bundesarchiv in die Hände professioneller Archivare
und Wissenschaftler überführt wird.
({1})
Aufklärung nach wissenschaftlichen, nicht nach denunziatorischen Kriterien wollen wir erreichen. Das war
unsere Position 2006 bei der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, und das ist sie auch heute. Deswegen
lehnen wir den FDP-Antrag ab. Denn was wird da gefordert? Nachdem es ja wohl eine Unsicherheit gibt, was
darin eigentlich steht, erlaube ich mir, ganz kurz Ihren
Originaltext zu zitieren. Sie wollen
eine flexiblere Regelung zur Überprüfung der StasiMitarbeit von Beamten und Angestellten der Bundesministerien und nachgeordneten Bundesbehörden im Sinne einer Verdachtsüberprüfung nach
§ 44 c des Abgeordnetengesetzes …
Also Nachforschungen im Sinne einer Verdachtsüberprüfung. Da frage ich Sie: Was heißt das denn anderes
als das Setzen auf Denunziation, auf Gerüchte, auf Andeutungen, auf Informationen von Dritten und über
Dritte, um dann bei einem so erbrachten Nachweis - ich
zitiere wieder aus Ihrem Antrag alle dienstrechtlichen Möglichkeiten zu prüfen und
[für] Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder …
Versetzung … zu sorgen …
Ich frage Sie also - das fordern Sie -: Wo sind wir da
wieder angelangt? Der Kollege Thierse hat Ihnen schon
gesagt, dass das nach unserem heutigen geltenden Recht
gar nicht möglich ist. Also: Wohin wollen Sie denn zurück?
Zyniker könnten sagen: Zurück in den Stasistaat. Da
werden Sie jetzt wieder höhnen, aber ich sage Ihnen
trotzdem: Gerade die Linke macht so etwas nicht mit.
({2})
Generalverdacht per Gesetz: Nein. Wissenschaftliche
Aufarbeitung: Ja, und zwar hoffentlich bald dort, wo sie
20 Jahre nach der Vereinigung besser geleistet werden
kann als bisher in der Behörde mit ihren Arbeitsmethoden nach dem Zufallsprinzip und der politischen Opportunität und in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit. Die einen sagen, die Behörde ist eine Bürgerauskunftsbehörde,
die anderen sagen, sie ist ein Forschungsapparat, die
Dritten sagen, ein großer Teil der 160 Kilometer Papier
wurde bis heute kein einziges Mal angeschaut. Ja, was
ist denn das nun eigentlich für eine Behörde und für ein
Aufarbeitungsapparat?
Was nun die Forderung im Antrag betrifft, alle Bundestagsabgeordneten von 1949 bis 1990 umfassend zu
überprüfen, in welchem Umfang sie willentlich und wissentlich für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR tätig waren, das soll nun ausgerechnet auch wieder von der
Birthler-Behörde untersucht werden. Ich finde, da hat
Marianne Birthler vorgestern schon ziemlich Richtungweisendes erklärt: Bei einer seriösen Erforschung - Achtung, „seriösen Erforschung“! - müsse man sehr, sehr
große Kreise ziehen und auch die zweite und dritte Reihe
des Parlamentsbetriebes untersuchen.
Das wird sozusagen ein Auftrag für die Ewigkeit.
2 073 Bundestagsabgeordnete gab es in der Zeit von
1949 bis 1990, 1 416 davon sind verstorben. Die zweite
und dritte Reihe aber machte mindestens das Zehnfache
aus, also weit über 20 000 Fälle. Nehmen wir die Lebendigen und die Toten. Das wird ein großer Auftrag.
Ehrlich gesagt: Die Stasiverstrickung von Konrad
Adenauer würde mich schon interessieren, obwohl wesentliche Erkenntnisse wahrscheinlich kaum zu erwarten
sind.
Danke.
({3})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Debatten habe ich immer die gleichen zwei Probleme: Erstens. Ich habe vier Minuten Redezeit. Zweitens. Ich muss nach der Linksfraktion reden.
({0})
Ja, Frau Jochimsen, es ist schrecklich, diese Süffisanz
von Ihnen als Vertreterin der Fraktion, die diese Akten
angelegt hat - das wollen wir nicht vergessen -, zu hören.
({1})
- Sie können sich umbenennen, wie Sie wollen. Ihre Partei ist es gewesen, die dies alles angerichtet hat. Ihre
Kolleginnen und Kollegen im Bundestag und in den
Landesparlamenten sind es, die aus ihrer Enttarnung als
Spitzel keine Konsequenzen gezogen haben.
({2})
Ihr Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi hat sich noch in
dieser Woche in der Bild-Zeitung echauffiert und gefragt: Was leistet denn diese Behörde eigentlich? Er
macht sich angeblich Sorgen um die Effizienz einer Behörde. Aber sobald deren Ergebnisse ihn betreffen, lässt
er sie jedes Mal von seiner Pressekammer in Hamburg
sperren und hängt den Journalistinnen und Journalisten
Maulkörbe um.
({3})
Ich darf hier den Begriff „Oberheuchler“ nicht verwenden, wie ich heute gelernt habe, aber mir fällt zu Ihnen
kein anderer Begriff ein.
({4})
- Es sind immer die Getroffenen, die bellen. Das nehme
ich bei Ihnen zur Kenntnis.
({5})
- Ich rege mich über Sie auf, weil Sie hier so einfach sagen, diese Behörde versage, und von Bergen unaufgeklärter Akten reden. Die Hauptfunktion der Behörde ist,
den Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR
Akteneinsicht zu gewähren, und die leistet sie hervorragend. Immer mehr wollen auch nach vielen Jahren noch
Informationen, weil es ihnen ein Bedürfnis ist. Ich habe
von niemandem gehört, dass er sich dort nicht gut betreut und begleitet sieht; das muss man zunächst einmal
anerkennend zu der Behörde sagen.
({6})
Man kann darüber reden - das tun wir auch -, ob die
Forschungsarbeit nicht verstärkt werden muss. Das sehen auch wir so. Wir teilen sogar die Intention der FDP,
das zu tun, müssen aber aus den gleichen rechtlichen
Gründen, die Vizepräsident Thierse hier genannt hat, leider sagen: So geht es nicht.
({7})
Lieber Herr Waitz, wenn Sie nicht mehr wissen, was
Sie zu Papier gebracht haben, dann lese ich Ihnen diese
beiden Sätze vor - das ist offenbar notwendig:
Die BStU hatte zuvor festgestellt, dass über 49 Bundestagsabgeordnete der 6. Legislaturperiode von
1969 bis 1972 Informationen bei der BStU vorlagen. 43 Bundestagsabgeordnete waren als Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes registriert worden.
Es waren sogenannte IMA, Inoffizielle Mitarbeiter
mit Arbeitsakte, die eben nicht alle zugearbeitet haben,
die im Wesentlichen abgeschöpft wurden. Wer so etwas,
wie in Ihrem Antrag steht, einfach hinschreibt und in der
Boulevardpresse auch noch den Eindruck verstärkt, da
habe es eine ganze Stasifraktion gegeben, muss sich
diese Kritik gefallen lassen; sie ist leider notwendig.
({8})
Eigentlich wollte ich als jemand, der als Student vor
der Deutschen Oper dabei war, etwas über Karl-Heinz
Kurras sagen. In der BZ kann man unter der Überschrift
„Warum zeigt Kurras keine Reue?“ lesen:
Wenn Kurras doch wenigstens Reue und einen
Hauch von Selbstkritik zeigen könnte. Stattdessen
bestreitet er alles, obwohl die Belege erdrückend
sind. Genau darum fällt es uns so schwer, zu verstehen und zu vergeben.
Das ist dieselbe Zeitung, die damals den Polizisten empfahl, den Gummiknüppel einzusetzen, um „etwa vorhandenes Resthirn bei den Studenten locker zu machen“.
Angesichts dessen vermissen wir zunächst einmal Reue
über den Tod von Benno Ohnesorg; die steht bis heute
aus.
({9})
Erst wenn sie ausgesprochen wird, können wir gegenüber dieser Art von Journalismus an Vergeben denken.
Hier ist für uns eine Menge aufzuarbeiten, auch konkret am Fall Kurras. Wir wollen wissen: Was hat die
Stasi sonst noch gewusst? Wenn sie Kurras entgegenhält: „Das kann nicht stimmen, was Sie uns sagen; da haben wir andere Aussagen“, dann wollen wir wissen, von
wem und welche. Hier bleibt eine Menge Aufarbeitungsbedarf.
Dass in den alten Fronten die Birthler-Behörde
schlechtgemacht wird und man von interessierter Seite
immer wieder die Gleichen sagen lässt, dass sie versagt,
hängt uns zum Halse heraus. Wir erwarten, dass der
Deutsche Bundestag tätig wird. Ich spreche damit alle
an, die sich hier zu Wort gemeldet haben. Volker Kauder,
ich weiß, wie emotional Sie das in Ihrer Fraktionssitzung
diskutiert haben - zu Recht. Daraus muss auch etwas
folgen. Dieses dem Westen zugewandte Gesicht müssen
wir wissenschaftlich noch genauer untersuchen. Dann
brauchen wir Geschichte nicht umzuschreiben. Vielmehr
können wir sie dann erstmals präzise schreiben. Das ist
auch notwendig.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Otto.
Zunächst einmal, Herr Kollege Wieland, ist zu sagen:
Das war eine gute Rede.
({0})
Nach dieser in all ihren Teilen sehr guten Rede und all
dem, was Sie hier zu Recht gesagt haben, verstehe ich
Hans-Joachim Otto ({1})
aber nicht, warum Sie dem Antrag der FDP nicht zustimmen wollen. Das ist schwer verständlich.
({2})
Diese Frage richtet sich auch an die übrigen Redner, die
hier gesprochen haben.
Es war ja eine bemerkenswerte Debatte. Jeder der
Redner, inklusive der Rednerin der Linksfraktion, sagte:
Der FDP-Antrag verfolgt ein sehr unterstützenswertes
Anliegen. Auch wir wollen nicht, dass es eine Ungleichbehandlung zwischen West und Ost gibt.
({3})
Auch wir wollen Transparenz und Forschung.
Meine Güte, warum stellen Sie nun aber, 20 Jahre
nach dem Ende der DDR, nicht selber einen Antrag, in
dem Sie darlegen, was Sie wollen?
Herr Kollege, darf ich Sie darauf hinweisen, dass eine
Kurzintervention nicht dazu dient, die Redezeit Ihrer
Fraktion zu verlängern.
Nein, aber ich erwidere auf die Bemerkungen des
Kollegen Wieland und auch auf Bemerkungen anderer
und stelle die Frage - das ist zulässig -, warum die anderen Fraktionen diesem Antrag nicht zustimmen wollen.
Frau Präsidentin, ich glaube, dass ich das darf, und
denke, dass ich das auch innerhalb der Zeit schaffen
werde.
({0})
Letzte Bemerkung. Ich bringe es noch einmal auf den
Punkt: Wenn sich erstaunlicherweise alle fünf Fraktionen über die Intention einig sind, dann wäre es doch nur
konsequent, wenn alle fünf zusammen oder wenigstens
vier von den fünf einen Antrag erarbeiten, der dann auch
von allen mitgetragen wird. Einfach den Antrag der FDP
abzulehnen, ist, wie ich finde, ein bisschen zu wenig,
meine Damen und Herren Kollegen.
({1})
Herr Kollege Wieland.
Herr Kollege Otto, ich hatte Ihnen doch gesagt: Wir
enthalten uns heute ebenso, wie wir uns auch in den
Ausschüssen enthalten haben. Wir müssen nämlich leider
feststellen, dass Ihre an sich richtige Intention dadurch,
dass Sie so über das Ziel hinausschießen und begrifflich
leider nicht scharf zwischen wissenschaftlicher Forschung
und sozusagen einer nachträglichen „Gauckung“ großer
Teile des öffentlichen Dienstes trennen, in den Hintergrund tritt und dieser Antrag damit auf eine falsche
Schiene gesetzt wird, von der wir ihn auch nicht wieder
herunterbekommen.
({0})
Das, was wir wollen, ist auf der Grundlage des geltenden Stasi-Unterlagengesetzes ohne Frage möglich. Es
muss nur gemacht werden. Das Land Berlin hat seinerzeit über 2 000 Polizisten überprüfen lassen. Es ist ja
nicht nichts geschehen. Pensionäre wie Herrn Kurras hat
man seinerzeit tatsächlich nicht überprüft. Das hat aber
auch niemand, nicht einmal die FDP, gefordert. Es kann
jetzt nicht darum gehen, noch einmal eine Massenüberprüfung durchzuführen. Wir wollen das aus rechtsstaatlichen Gründen nicht und auch deswegen nicht, weil wir
meinen, dass man 20 Jahre nach dem Fall der Mauer
nicht so tun kann, als sei das gestern gewesen. Seitdem
ist nämlich viel Zeit vergangen.
Die weitere Forschung und die zwangsläufig damit
verbundene Enttarnung von weiteren IMs wollen wir jedoch forcieren. Um das zu schaffen, müssen wir uns fragen, wie man das umsetzen kann und welche Kapazitäten dafür bereitgestellt werden, brauchen aber keine
Gesetzesänderung vorzunehmen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu
dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel: „Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbehörden und Bundestag enttarnen - Aufarbeitung des
Stasi-Unrechts stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12982, den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9803
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
({0})
- Entschuldigung, ich werde gerade darauf aufmerksam
gemacht, dass zwei Kollegen aus der SPD-Fraktion und
ein Kollege aus der CDU/CSU-Fraktion gegen die Beschlussempfehlung gestimmt haben. Dann haben wir das
jetzt gemeinschaftlich festgestellt; ich bedanke mich.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias
- Drucksache 16/13187 24926
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Staatsminister Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum zweiten Mal in weniger als einem halben Jahr debattieren wir heute über Piraten, die vor der somalischen
Küste ihr Unwesen treiben.
Im Dezember hat der Bundestag mit großer Mehrheit
den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der europäischen Mission „Atalanta“ beschlossen. Seither hat
Deutschland einen beachtlichen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika geleistet. Die gerade für die Exportnation Deutschland wichtigen Seerouten sind dadurch sicherer geworden.
Zwar kann niemand behaupten, dass das Problem gelöst sei; aber die Operation „Atalanta“ ist schon jetzt ein
Erfolg. So hat „Atalanta“ - dies ist besonders wichtig seit dem Beginn der Operation alle Schiffe des Welternährungsprogramms sicher nach Somalia geleitet. Dies
ist eine der Hauptaufgaben der Operation, und diese
Aufgabe erfüllt sie zuverlässig. Weit über 1 Million notleidende Menschen konnten auf diese Weise mit Nahrungsmitteln versorgt werden.
Gemeinsam mit den internationalen Streitkräften vor
Ort haben die europäischen Marinekräfte zudem die
Durchfahrt durch den Golf von Aden sicherer gemacht.
Für Piraten ist es heute deutlich schwieriger und gefährlicher, Handelsschiffe zu kapern, die sich den angebotenen Konvois anschließen.
Der Erfolg von „Atalanta“ im Golf von Aden hat allerdings dazu geführt, dass die Piraten zunehmend in
Gegenden ausweichen, in denen sie mit weniger Risiko
auf Kaperfahrt gehen können. Nach mehreren Überfällen in den Gewässern um die Seychellen hat sich der Inselstaat mit der Bitte um Hilfe an die Europäische Union
gewandt. Die EU war sich einig, dass „Atalanta“ reagieren muss. Das Operationsgebiet der Mission wurde daraufhin an das Operationsgebiet der Piraten angepasst.
Insgesamt stehen heute auch mehr Einsatzkräfte im Operationsgebiet zur Verfügung als bisher.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe auf Ihre
Unterstützung für den Antrag der Bundesregierung auf
eine entsprechende Erweiterung des Einsatzgebietes der
Bundeswehr.
Die ersten Monate von „Atalanta“ haben uns vor Augen geführt, dass es nicht nur darauf ankommt, Akte der
Piraterie zu verhindern. Ganz wesentlich ist, dass den Piraten der Prozess gemacht wird. Nach dem Briefwechsel
zwischen der Europäischen Union und Kenia ist es uns
erlaubt, Piraten zur Strafverfolgung den kenianischen
Behörden zu übergeben. Wir haben uns davon überzeugt
- und tun das weiterhin -, dass die Verfahren ordnungsgemäß ablaufen. Wir sind Kenia für seinen Beitrag zur
Bekämpfung der Piraterie dankbar. Die Strafverfolgung
somalischer Piraten ist für Kenia natürlich auch eine Belastung. Daher unterstützen die Europäische Union und
Deutschland das Land und seinen Justizsektor bei der
Bewältigung dieser zusätzlichen Aufgaben.
Unabhängig davon ist uns klar, dass wir nicht dauerhaft alle Piraten zur Strafverfolgung nach Kenia bringen
können. Wir setzen uns daher für eine internationale Pirateriegerichtsbarkeit ein, die am besten in der Region
angesiedelt werden sollte. Wir sind damit bei einigen unserer Partner auf Skepsis gestoßen, auch weil dieses Vorhaben nicht kurzfristig realisierbar und weil es teuer sei.
Bei anderen findet unsere Idee aber Unterstützung. So
sprach sich vor wenigen Wochen der russische Präsident
Medwedew dafür aus. Wir werden weiterhin aktiv für
diese bessere Alternative werben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben stets betont, dass eine grundsätzliche Lösung des Piraterieproblems nicht auf See liegt. In Mogadischu ist im Winter
eine neue somalische Regierung angetreten,
({0})
mit der viele Menschen vor Ort große Hoffnungen verbinden. Diese Regierung unter Sheikh Sharif hat unsere
Unterstützung. Wir sehen mit großer Sorge, dass der militante Widerstand in Süd- und Zentralsomalia mit allen
Mitteln zu verhindern sucht, dass Frieden und Sicherheit
zurückkehren. Frieden und Sicherheit in Somalia brauchen funktionierende Sicherheitskräfte. Deshalb hat
auch die internationale Geberkonferenz in Brüssel dem
Wiederaufbau des somalischen Sicherheitssektors erste
Priorität eingeräumt. Wir unterstützen diese Zielrichtung
ausdrücklich und werden uns dabei mit unseren Partnern
eng abstimmen.
Wir haben mit Sympathie und Interesse den französischen Vorschlag für eine europäische Initiative zur Ausbildung somalischen Militärs in Dschibuti aufgenommen. Wir werden gemeinsam mit unseren europäischen
Partnern prüfen, ob und wie eine solche Initiative umgesetzt werden kann.
({1})
Die internationale Gemeinschaft hat auf das Piratenproblem rasch und entschlossen reagiert. Deutschland
leistet dabei einen wichtigen Beitrag.
({2})
Die Zusammenarbeit auf See funktioniert auch dank der
internationalen Kontaktgruppe zur Pirateriebekämpfung
vor Somalia gut, an der wir uns aktiv beteiligen. Wir
werden uns im europäischen und internationalen Rahmen dafür einsetzen, dass auch an Land Frieden und Sicherheit zurückkehren.
({3})
Dies ist nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit Somalia. Es liegt auch in unserem eigenen Interesse.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({4})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Rainer
Stinner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute diesem Antrag zur Erweiterung
des Mandats zustimmen. Wir möchten aber sehr deutlich
sagen, dass die Ausweitung des Operationsgebietes vor
allem deshalb notwendig ist, weil die Bundesregierung
das bisherige Mandat einfach nicht richtig ausgeschöpft
und ausgenutzt hat; denn nur dadurch konnten die Piraten ihre Operationsgebiete ausdehnen.
Wir sind der Meinung, dass die an diesem Mandat
„Atalanta“ beteiligten deutschen Soldaten der deutschen
Marine ihre Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen
tatkräftig erfüllen. Dafür möchten wir ihnen Dank und
Anerkennung spenden.
({0})
Allerdings, sehr geehrter Herr Staatsminister, das,
was Sie hier vorgetragen haben, war eine Beschönigungsrede allerersten Grades. Diese könnte man vergolden, wenn es einen Wettstreit für Beschönigungsreden
gäbe. Dass die Bundesregierung dieses Mandat als Erfolg wertet, kann ich nur als Hohn bezeichnen. Die Diskussion, die wir seit über einem Jahr führen, ist der
schlagende Beweis für die eindeutige Handlungsunfähigkeit und Handlungsunwilligkeit der Bundesregierung
in diesem Falle.
Wir erinnern uns alle an die geradezu bizarre Diskussion vor einem Jahr, ob wir denn überhaupt gegen Piraten vorgehen dürften. In den heute vorliegenden Antrag
zur Erweiterung des Mandats hat die Regierung erstmals
das Völkergewohnheitsrecht als Rechtsgrundlage aufgenommen. Wir waren von Anfang an dieser Meinung. Innenministerium und Verteidigungsministerium waren
anderer Meinung. Heute steht genau das im Antrag; das
ist gut so.
Wir erinnern uns daran, dass die Bundesregierung
monatelang nicht in der Lage war, ein Konzept vorzulegen, wie denn mit gefangen genommenen Piraten umgegangen werden soll. Wir erinnern uns an das Abstimmungschaos in der Bundesregierung, als es um die
angedachte Befreiung der „Hansa Stavanger“ ging. Wir
kritisieren nachdrücklich, und zwar vom ersten Tage an
bis heute, dass die Bundesregierung die Ermächtigung,
die wir, der Bundestag, ihr gegeben haben, nicht ausnutzt.
Die Regierung - das hat auch der Staatsminister getan klopft sich dafür auf die Schulter, dass sie 24 Schiffe des
World Food Programme begleitet hat. Das ist richtig; das
ist gut. Aber das ist circa 1 Promille der jährlichen
Schiffsbewegungen am Horn von Afrika. Es als Erfolg
zu bezeichnen, dass wir 1 Promille geschützt haben,
kann man doch nur als Schönfärberei kennzeichnen.
({1})
Die Piraterie geht munter weiter. Dutzende von Schiffen
sind in den Händen von Piraten. Am 12. Mai 2009 meldete das Internationale Marinebüro - eine sehr verlässliche Quelle -, dass bereits jetzt, am 12. Mai, die Zahl der
Piratenüberfälle die für das Gesamtjahr 2008 überschritten hat. Und da redet unsere Regierung von einem Erfolg. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Dabei bestand die Bundesregierung in dem Antrag für
das Mandat, dem wir zugestimmt haben, ausdrücklich
auf der Ermächtigung, aktiv gegen Piraten vorzugehen,
Piratenschiffe aktiv zu bekämpfen, diese Schiffe zu beschlagnahmen und die Piraten festzunehmen. Das steht
alles deutlich im Mandat. Wir haben dem zugestimmt.
Aber die Bundesregierung nimmt diese durch das
Mandat erfolgte Ermächtigung bis heute nicht wahr.
({2})
Im Mandat wird wörtlich von der „Beschlagnahme von
Seeräuberschiffen“ gesprochen. Die Piratenakte, sehr
geehrter Herr von Klaeden, finden, wie wir alle wissen,
über 500 Seemeilen von der Küste entfernt statt. Wir alle
wissen, dass es völlig unmöglich ist, dass die Schlauchboote von Land aus bis dahin fahren. Die haben natürlich Mutterschiffe. Wir alle wissen, wo diese liegen - wir
wissen das nicht von allen, aber von einigen -, spätestens dann, wenn wir das machen würden, was geboten
wäre, nämlich die Boote bei abgewehrten Piratenangriffen zu verfolgen und zu beobachten, wohin sie fahren.
Sie fahren nämlich nicht an die Küste, sondern zu ihren
Mutterschiffen. Wenn wir so vorgehen würden, dann
wüssten wir, wo die Mutterschiffe liegen. Andere Nationen machen das. Wir tun das bisher nicht.
Als verantwortliche Politiker müssen und können wir
doch hoffentlich davon ausgehen, dass die Ermächtigung, die wir der Bundesregierung erteilt haben, von
dieser auch genutzt wird; ansonsten bräuchten wir keine
Mandatsanträge zu verabschieden. Die Bundesregierung nutzt diese bisher eindeutig nicht.
Ich sage hier ausdrücklich: Wie die Bundesregierung
dieses Mandat erfüllt, darüber zu entscheiden, ist nicht
unsere Aufgabe. Wir stehen nicht auf dem Feldherrenhügel. Wie Sie das umsetzen, das zu entscheiden, ist Ihre
Aufgabe. Dazu haben Sie gut ausgerüstete und ausgebildete Soldaten und andere Kräfte, die das tun. Dies ist
Ihre Obliegenheit.
Bei 24 000 Schiffsbewegungen pro Jahr ist es eben
nicht ausreichend, sich auf die Begleitung von Schiffen
im Rahmen des World Food Programme zu beschränken.
Begleitung ist zwar gut und richtig. Aber angesichts der
Größe des Seegebietes und angesichts des Einsatzes von
circa 30 Schiffen weltweit - davon 8 im Rahmen von
„Atalanta“ - ist es völlig undenkbar, alle Schiffe begleiten zu wollen. Deshalb müssen wir aktiv gegen Piraterie
vorgehen.
Daher sagen wir: Die Ausweitung des Mandatsgebietes ist geboten. Wenn wir aber in der Vergangenheit aktiv
gegen Piraterie vorgegangen wären, hätten wir die Operationsbasis der Piraten eindeutig einschränken können.
Deshalb verknüpfen wir - Frau Präsidentin, ich komme
zum Schluss - unsere heute Zustimmung mit der eindeutigen Erwartung an die Bundesregierung, dass sie jetzt
endlich das tut, was geboten ist, nämlich aktiv gegen Piraterie vorzugehen. Piraten auf hoher See sind Schwerstkriminelle. So müssen sie auch behandelt werden. Wir
fordern Sie auf, endlich zu agieren.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Stinner, ich will zunächst die Kritik, die Sie am Einsatz der deutschen Marine am Horn von Afrika im
Rahmen des Mandats „EU-Atalanta“ geübt haben, mit
Nachdruck zurückweisen.
({0})
Ich halte dies für eine Diskreditierung unserer Soldatinnen und Soldaten
({1})
- Kollege Stadler, ich begründe das: Der Einsatz im
Rahmen von „Atalanta“ ist erfolgreich. Denn was ist die
Aufgabe, die dieses Parlament beschlossen hat? Erstens
die Begleitung der Schiffe im Rahmen des World Food
Programme, zweitens die Begleitung der Handelsschiffe
unter EU-Flagge und drittens die Verfolgung, die hier
teilweise dargestellt worden ist.
Man muss schon zur Kenntnis nehmen, dass mittlerweile 180 000 Tonnen Lebensmittel und 150 Handelsschiffe, die sich ordentlich angemeldet haben, sicher in
die Häfen begleitet worden sind, dass 27 Piratenangriffe
abgewehrt worden sind und 68 Piraten festgenommen
und vor Gericht gebracht worden sind. Lieber Herr Kollege Stinner, ich finde schon, dass diese Bilanz deutlich
macht, dass unsere Soldatinnen und Soldaten ihren Auftrag gut erfüllen. Deshalb bin ich ihnen für das Engagement im Rahmen des Mandats „EU-Atalanta“ dankbar.
({2})
Es geht hier um den Einsatz der deutschen Marine; Kollege Stinner, daran können Sie nicht vorbeireden.
({3})
Ich will Folgendes hinzufügen: Sie haben natürlich
recht, wenn Sie sagen, dass das Seegebiet neunmal so
groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Aber unser Problem ist doch zurzeit, dass Schiffe unangemeldet
in dieses Seegebiet fahren und man sich dann wundert,
dass man Piratenangriffen ausgesetzt ist, oder dass Segelregatten in diesem Seegebiet durchgeführt werden
und man sich wundert, dass man Opfer von Piratenangriffen und auch von terroristischen Aktivitäten wird.
Ein solches Verhalten hat aus meiner Sicht in diesem
Seegebiet derzeit nichts verloren. Deshalb kann ich jedem Reeder nur raten, dass er sich entsprechend dem
Konzept zur vernetzten Sicherheit anmeldet und entsprechend begleitet wird.
({4})
Meine Damen und Herren, warum beschließen wir
denn heute die Erweiterung des Mandats? - Weil die Piraten darauf reagiert haben. Da wir im Golf von Aden
und vor der Küste Somalias im Rahmen dieses Mandats
effektiv sind, sind sie in ein weiteres Gebiet im Indischen Ozean bis hin zu den Seychellen ausgewichen.
Kollege Stinner, was das Argument der Mutterschiffe
angeht, so fahren sie dort nicht mit Piratenflagge. Vielmehr hat man private Transportschiffe gekapert. Sie wissen doch ganz genau, was unseren indischen Kameraden
passiert ist: Sie haben ein derartiges Schiff versenkt, und
dann hat sich herausgestellt, dass thailändische Fischer
an Bord waren. So etwas ist doch nicht Sinn und Zweck
der Übung. Deshalb muss man hier schon sehr differenziert vorgehen und verhältnismäßig reagieren, das heißt,
einerseits den Auftrag erfüllen und andererseits keine
Unbeteiligten in Gefahr bringen, die auf privaten Schiffen unterwegs sind.
({5})
„EU-Atalanta“ ist jetzt mit etwa 13 Schiffen in diesem Mandat, von denen wir drei stellen. Wir leisten mit
dem Seefernaufklärer „Orion“ einen wichtigen Beitrag.
Insgesamt sind jetzt 40 Schiffe im Seegebiet, und es ist
eine Kontaktgruppe eingerichtet worden, um eine entsprechende Koordinierung vorzunehmen. Es ist nämlich
auch sinnvoll, dass nicht jede Nation nur auf ihren eigenen Bereich schaut, sondern dass wir hier gemeinsam
operieren, um Seesicherheit und freien Seehandel herzustellen.
Wenn in dieser Debatte gesagt wird, dass es sich bei
den Piraten um arme Fischer aus Somalia handele, muss
ich dem mit Nachdruck widersprechen. Dort findet organisierte Kriminalität statt. Sie müssen einmal sehen, in
welcher Art und Weise dort vorgegangen wird: Nachdem wir Piraten festgenommen und vor ein Gericht in
Kenia gebracht hatten, wurde die Bundesregierung mit
Klagen wegen Freiheitsberaubung der Piraten überzogen. Dies zeigt doch, wie absurd hier zum Teil agiert
wird. Deshalb müssen wir unseren Auftrag, gegen die
Piraterie vorzugehen, wirkungsvoll erfüllen.
({6})
Ich bin dankbar, dass wir - Kollege Erler hat es hier
vorgetragen -, die Piraten in Kenia vor Gericht bringen
können. Ich halte es auch für richtig, dass wir uns weiterhin darum bemühen und Russland es auch unterstützt,
dass ein internationaler Gerichtshof zur Pirateriebekämpfung in der Region errichtet werden kann. Unsere
niederländischen Kollegen haben gerade Folgendes erlebt: Als sie die Piraten vor ein niederländisches Gericht
gestellt haben, haben diese die Bitte ausgesprochen,
möglichst lange in den Niederlanden bleiben zu dürfen,
und haben im Grunde schon um Asyl gebeten. Dies ist
auch nicht Sinn und Zweck einer solchen Bestrafung, die
letztlich eine Bekämpfung der Piraterie darstellen soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es
schon für richtig, dass wir auch in diesem Bereich unser
Konzept der vernetzten Sicherheit umsetzen. Ich habe
gesagt: Schiffe anmelden, damit begleitet werden kann,
aber auch eine Entwicklung in Somalia unterstützen, die
möglichst wieder zu stabileren Verhältnissen führt. Die
internationale Gemeinschaft hat jetzt ein Programm von
200 Millionen Euro beschlossen, damit auch von Land
her wirkungsvoller gegen Piraterie vorgegangen und gewissermaßen parallel ein gemeinsamer Erfolg erzielt
werden kann.
Aus der Tatsache, dass wir effektiv handeln, folgte,
dass sich die Piraterie in den Indischen Ozean ausgedehnt hat. Deswegen ist vom Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der Europäischen Union am
19. Mai der Beschluss gefasst worden, den Operationsplan zu verändern. Damit wird das Seegebiet von
3,5 Millionen Quadratkilometern auf 5 Millionen Quadratkilometer ausgedehnt, wie gesagt, bis zu den Seychellen. Das Bundeskabinett hat dieser Erweiterung am
27. Mai zugestimmt.
Es ist richtig und notwendig, dass der Deutsche Bundestag dieser Erweiterung des Operationsgebiets seine
Zustimmung gibt, worum ich ausdrücklich bitte. Dann
werden wir auch weiterhin mit der deutschen Marine unseren Beitrag im Rahmen der Operation „EU-Atalanta“
leisten und in möglichst großem Umfang Seesicherheit
herstellen und freien Seehandel gewährleisten können;
denn bis zu 90 Prozent unserer Produkte werden teilweise auf See transportiert. Daher liegt es auch im Interesse Deutschlands, dass unsere Soldatinnen und Soldaten einen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie und zur
Herstellung eines freien Seehandels leisten. Ich bitte Sie
um Unterstützung für dieses Mandat, damit wir einen
wirkungsvollen und effektiven Beitrag leisten können,
um die Geißel der Piraterie in diesem Seegebiet zu bekämpfen.
Recht schönen Dank.
({7})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Stinner
das Wort.
Vielen Dank. - Auch wenn ich von der Regierungsbank „Herrje!“ höre, nachdem Sie mich ausdrücklich angesprochen haben, Herr Minister, möchte ich mein parlamentarisches Recht wahrnehmen und erwidern. Ich
habe den Äußerungen entnehmen können, dass das der
Regierungsbank nicht gefällt.
Herr Minister, zunächst einmal Folgendes: Ich habe
sehr deutlich gesagt, dass ich den Einsatz der Soldaten
wertschätze, ich den Soldaten meine Anerkennung ausspreche und sie nicht kritisiere. Ich finde es den Soldaten
gegenüber nicht fair, dass Sie die Kritik, die ich an Ihnen, Herr Minister, und an der Bundesregierung geäußert habe, auf die Soldaten umlenken. Das haben unsere
Soldaten nicht verdient.
({0})
Zweitens. Sie haben wieder einmal auf die 150 und
die 24 Schiffe hingewiesen. Ich wiederhole es: Das entspricht 1 Promille. Bei 1 Promille Sicherheit können wir
nicht von einem Erfolg der Pirateriebekämpfungsaktion
reden.
Drittens: Mutterschiffe. Ich war im maritimen NATOHauptquartier in Neapel. Dieselben Informationen sind
mir vom Flottenkommando gegeben worden. Wir wussten und wissen, wo die Mutterschiffe liegen. Sie sind bis
auf 100 Meter genau identifiziert und mir gezeigt worden. Ich weise noch einmal auf den Vorschlag hin: Wenn
Sie die Schlauchboote verfolgen würden, wüssten Sie,
wo die Mutterschiffe sind. Sie sind eindeutig gekennzeichnet.
Mein letzter Punkt: Eine Ausweitung ist richtig.
Wenn Sie aber nichts gegen die Piraterie tun, werden Sie
das Gebiet alle sechs Monate ausweiten müssen, bis zum
Ende der Welt. Sie müssen gegen Piraterie aktiv vorgehen, sonst nützt die Ausweitung überhaupt nichts.
({1})
Möchten Sie erwidern, Herr Minister?
Herr Kollege Stinner, ich will meine Argumente nicht
wiederholen. Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass die
Bundesregierung diese Operation gemeinsam mit den
militärisch Verantwortlichen durchführt. Dadurch, dass
Sie die Operation kritisieren, kritisieren Sie letztlich natürlich auch unsere Soldatinnen und Soldaten. Wir stehen unter einem europäischen Mandat. Wir haben einen
europäischen Kommandeur in Northwood, wie Sie wissen. Wir haben ein Force Headquarter vor Ort. Das ist
ein Einsatz, der europäisch geleitet wird. Ich finde - das
entspricht übrigens auch der Beurteilung meiner europäischen Kollegen -, dass das Mandat „EU-Atalanta“
bisher erfolgreich umgesetzt wurde.
Ich sage Ihnen noch einmal: 180 000 Tonnen Lebensmittel und 150 Handelsschiffe sind kein Pappenstiel.
Wenn die Schiffe angemeldet werden, kommen sie si24930
cher in die Häfen. Dass wir das Mandat heute ausdehnen
müssen, zeigt aus meiner Sicht die Effektivität der Umsetzung des Mandats. Deshalb wollen wir unseren Auftrag weiterhin in dieser Art und Weise erfüllen.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Norman Paech für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Erler und Herr Jung, ich kann ja verstehen, dass Sie optimistisch sein und sich ein schönes Bild
malen müssen. Ich bin aber sehr viel mehr bei Herrn
Stinner, der realistisch aufgezeigt hat, was dort wirklich
geschehen ist.
Ich will nur zwei Zahlen nennen. Sie können es im
Augenblick vielleicht als Erfolg werten, dass 2008 nur
42 Schiffe erfolgreich gekapert worden sind und 2009
bis jetzt nur 29. Warten Sie aber die kommenden Monate
ab. Die Rechnung wird am Schluss gemacht. Sie werden
sehen, dass in 2009 sehr viel mehr Schiffe gekapert werden.
({0})
Im Grunde ist Ihnen allen doch klar, dass diese Art
der Piratenjagd gar keinen Erfolg haben kann. Jetzt wollen Sie das Einsatzgebiet von 3,5 Millionen Quadratkilometern auf 5 Millionen Quadratkilometer ausweiten.
Das ist ungefähr 14-mal so groß wie die Bundesrepublik.
Sie wissen ganz genau, dass diese paar Dutzend Schiffe
auf diesem Gebiet noch weniger ausrichten können als
bisher.
Schon kommen der Verband Deutscher Reeder, aber
auch die FDP - das war vorauszusehen - mit der Forderung nach mehr Schiffen. 150 Schiffe bringt Frau
Homburger schon ins Spiel. Der „Atalanta“-Kommandeur Philipp Jones spricht von Hunderten Schiffen, die
notwendig wären.
Jetzt haben Sie erst einmal die Seychellen im Visier,
und dann kommt natürlich irgendwann Madagaskar
hinzu. Das hat doch alles keinen Sinn. Sie kaschieren
Ihre Hilflosigkeit durch militärische Muskeln. Das erinnert mich historisch ein wenig an Wilhelm II., der einmal vor Marokko aufkreuzte.
({1})
Im neuesten Friedensgutachten der fünf größten Forschungsinstitute stehen zu unserem Thema zwei bemerkenswerte Aussagen, die ich zitieren möchte:
Eine fast kriminell zu bezeichnende Untätigkeit der
entwickelten Länder hat mit dazu beigetragen, dass
sich ein zunächst unbedeutendes lokales Ärgernis
zu einer internationalen wirtschaftlichen Bedrohung auswirken konnte.
Und:
Piraterie ist ein ständiges Phänomen, sie reagiert
vor allem auf fehlende Regierungsführung, extreme
Einkommensunterschiede und auf politische Missstände.
({2})
Das ist der Kern des Problems und auch der Schlüssel
für eine nachhaltige Lösung.
Es gibt im Grunde drei Arten internationaler Kriminalität vor Somalia, die von dem Zerfall dieses Staates profitiert haben und profitieren. Das sind der illegale Fischfang durch industrielle Fangflotten, die Verklappung von
Giftmüll und die Piraterie. Alle drei sind sehr eng miteinander verbunden, und für alle drei Probleme sind die
großen Industrieländer hauptverantwortlich.
({3})
Wessen Schiffe waren es denn, die den Fisch aus dem
Meer geholt und stattdessen Unmengen von Giftmüll
dort verklappt und versenkt haben? Erst die Angriffe auf
die Schiffe der großen Industrienationen haben für öffentliche Empörung gesorgt und das Militär auf den Plan
gebracht.
In der Debatte vor ungefähr 14 Tagen wollten Sie
nichts von dem illegalen Fischraub hören. Deshalb hier
noch einmal zwei Zahlen: Schon 2005 belief sich der
jährliche Verlust für die somalische Wirtschaft auf 94 Millionen Dollar, und 2008 haben Europäer und Asiaten
Fisch im Wert von 300 Millionen Dollar aus den Gewässern vor Somalia geholt. Was blieb den armen Küstenbewohnern eigentlich noch übrig? Sie konnten entweder
flüchten und auf dem Meer sterben oder angreifen.
Um nicht missverstanden zu werden: Piraterie darf
die Seeschifffahrt nicht gefährden und muss bekämpft
werden. Aber solange Sie nicht mit zivilen Mitteln an
die Wurzeln herangehen, ist jede militärische Aktion
sinnlos und destabilisiert die gesamte Region. Deswegen
lehnt die Linksfraktion dieses ganze unsinnige Unternehmen ab.
({4})
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der UN-Sicherheitsrat hat unverändert recht: Die Piraterie vor Somalia ist eine Bedrohung internationaler Sicherheit. Diese Bedrohung betrifft übrigens zum großen
Teil Seeleute aus der sogenannten Dritten Welt, zumindest was die Schiffsbesatzungen angeht. Die Staaten sind
deshalb aufgerufen, die Piraterie mit einem Bündel von
kurzfristig, mittelfristig und langfristig wirkenden Maßnahmen zu bekämpfen und einzudämmen. Es wäre ein
sicherheitspolitischer Albtraum, würde die heutige organisierte Kriminalität der Piraterie sich mit transnationalem Terrorismus verbinden.
Ausgehend vom Beschluss des Europäischen Rates
legt die Bundesregierung mit ihrem heutigen Antrag eine
Klarstellung und Präzisierung zum Einsatzgebiet vor. Es
ist gesagt worden, dass das reale Einsatzgebiet von
3,5 Millionen auf 5 Millionen Quadratkilometer erweitert wird. Das ist eine unvorstellbar große Fläche. Angesichts der realen Verlagerung der Piratenaktionen ist
diese Ausweitung zunächst einmal plausibel. Aber ist
diese Maßnahme auch geeignet, zu einer wirksameren
Piratenbekämpfung beizutragen?
Kurze Zwischenbilanz: Alle Transporte - die Zahlen
sind schon genannt worden - des World Food Programme
mit über 150 000 Tonnen Hilfsgütern sind sicher nach
Somalia gekommen. 24 Group-Transits sind sicher
durch den Golf von Aden geleitet worden. Die Befürchtung, die nicht wenige hatten, nämlich dass es auch zu
Militäroperationen an Land kommt und dadurch eine unberechenbare Eskalation in Gang gesetzt wird, hat sich
nicht bewahrheitet. So weit ist ein Teilerfolg zu verzeichnen.
Aber zu der Bilanz gehören auch andere Zahlen, die
ebenfalls schon genannt worden sind. Im vorigen Jahr
hat es insgesamt 111 Piratenüberfälle und 42 Kaperungen gegeben. In diesem Jahr waren es bis Anfang Mai
insgesamt 114 Überfälle und 29 Kaperungen. Man muss
sehen, dass in diesem Raum Abertausende von Schiffen
unterwegs sind. Von einer wirksamen Eindämmung der
Piraterie ist die Staatengemeinschaft noch sehr weit entfernt.
Vor Ort sind im Rahmen von drei Operationen mehr
als 40 Kriegsschiffe im Einsatz, darüber hinaus etliche
unter nationalem Kommando. Hier kann man nicht von
einem effektiven Multilateralismus sprechen, sondern
nur von einem ausdrücklich ungeordneten Multilateralismus. Die wichtigste Aufgabe ist, dass wenigstens die
vorhandenen Kräfte viel besser organisiert werden und
- der Vorschlag ist nicht neu - alles unter ein UN-Kommando gebracht wird. Dadurch würde die Effektivität sicher steigen.
({0})
Zum Schluss möchte ich Maßnahmen ansprechen, die
ausschlaggebend sind - dazu gehört die Militäroperation
nicht -, aber fast gar nicht berücksichtigt werden. Erstens. Was geschieht international gegen die Hintermänner, Planer und Finanziers?
({1})
Zweitens. Der Dreh- und Angelpunkt ist die kaputte
Staatlichkeit an Land, vor allem in Somalia. Hier sind in
den letzten Monaten erste Schritte gemacht worden:
Eine Kontaktgruppe hat sich gebildet. Die äthiopischen
Truppen sind abgezogen, was sehr wichtig war, um die
Chancen für eine politische Konfliktlösung zu erhöhen.
Außerdem hat im April dieses Jahres eine Geberkonferenz in Brüssel stattgefunden.
Die sehr schwache Übergangsregierung in Mogadischu und die sogenannten Behörden in Puntland und
Somaliland im Norden haben jeweils als Drängendstes
von der Staatengemeinschaft gefordert: Bitte helft uns
beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen und von ein wenig Staatlichkeit! - Dafür soll ein Großteil der Gelder
der Geberkonferenz, die 213 Millionen Euro zugesagt
hat, verwandt werden.
Hier stehen wir wieder vor einem Problem: Das Geld
steht zur Verfügung. Alle sagen, der Aufbau von solchen
Strukturen und von zumindest ein wenig funktionierender Staatlichkeit sei elementar. Aber dafür braucht man
auch die entsprechenden Personalkapazitäten.
Kollege Nachtwei, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich komme zum Schluss. - Es darf nicht wieder so ablaufen wie zum Beispiel im Kongo bei den Missionen
EUSEC und EUPOL, wo es von deutscher Seite hieß:
Wir haben nicht genügend Soldaten und Polizisten, die
Französisch sprechen. - Jetzt kann man diese Leute aus
Sicherheitsgründen noch nicht dort hinschicken. Aber
wenn die politische Konfliktlösung etwas weiter vorangeschritten ist, dann muss man auch Ausbilder, Berater
usw. - keine Soldaten - hinschicken können. Dafür müssen jetzt die Kapazitäten aufgebaut werden, damit man
in einem halben Jahr oder in einigen Monaten wirklich
entsprechend helfen kann.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/13187 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
abweichend von der Tagesordnung nicht gemäß § 96 der
Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss überwie-
sen werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 40. Dazu
liegen mir zahlreiche Erklärungen gemäß § 31 unserer
Geschäftsordnung vor. Wie vereinbart, nehmen wir diese
Erklärungen zu Protokoll.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:
Beratung des Berichts des Rechtsausschusses
({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts-
ordnung zu dem von den Abgeordneten Jan
Korte, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiteren Ab-
1) Anlagen 12 bis 15
Vizepräsidentin Petra Pau
geordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({1})
- Drucksachen 16/3139, 16/13032 Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Schmidt ({2})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jan Korte für die Fraktion Die Linke.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Grund, aus dem wir heute hier diskutieren, ist der,
dass bereits vor drei Jahren ein Gesetzentwurf zur Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter von uns in den
Bundestag eingebracht wurde. Dies ist eine Opfergruppe, die bis heute nicht rehabilitiert wurde und die
Hunderte, wenn nicht gar Tausende Opfer der Nazijustiz
umfasst. Wir wollen sie rehabilitieren. Grund für diese
Debatte ist, dass wir seit drei Jahren keine Beschlussempfehlung des federführenden Rechtsausschusses bekommen, und das, obwohl wir eine Anhörung des Rechtsausschusses durchgeführt haben, der Wissenschaftliche
Dienst ein Gutachten vorgelegt hat, es diverse Gutachten
und Stellungnahmen von Wissenschaftlern gegeben hat
und wir zuletzt sogar ein, wie ich finde, sehr aufschlussreiches Gutachten von Hans Hugo Klein, Mitglied der
CDU und Bundesverfassungsrichter a. D., das vom BMJ
in Auftrag gegeben wurde, bekommen haben.
Wir wollen uns heute damit beschäftigen, warum die
Rehabilitierung in diesem Hause nicht zustande kommt.
Denn - das ist entscheidend - es gibt bis in die Reihen
der CDU eine übergroße Mehrheit für diese Rehabilitierung. In diesem Jahr jährt sich zum siebzigsten Mal der
Beginn des Zweiten Weltkrieges. Wir von der Linken sagen: Die Rehabilitierung muss noch in dieser Legislaturperiode geschehen. Wir sind weiter zu aller Kooperation
bereit, die dazu führt, dass wir das erreichen.
({0})
Hans Hugo Klein hat in seinem Gutachten Folgendes
zu den Kriegsverratsbestimmungen geschrieben: Sie
verstießen fundamental „gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsprinzip“ und waren Grundlage für „in die äußere Form von Gerichtsurteilen gekleideten Tötungsverbrechen“. Sie hatten nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu
tun. Der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung
schreibt dazu: In diesem Fall stehen die bislang vorgebrachten Sachargumente einer entsprechenden Gesetzesänderung nicht entgegen, sodass es von hier aus keine
Vorbehalte dagegen gibt. Dies habe ich dem Kollegen
Geis mit Schreiben vom 17. März 2009 mitgeteilt.
Ebenso dafür sind - das konnte man heute nachlesen Joachim Gauck, Bischof Huber, die EKD, Pax Christi,
Richtervereinigungen, vor allem Opfergruppen und nun
auch - das ist sehr erfreulich - die Sozialdemokratische
Partei Deutschlands; denn besonders viele Opfer unter
den Kriegsverrätern waren Sozialdemokraten, die unter
den Fallbeilen der Nazijustiz zu Tode gekommen sind.
Ich glaube, dass es bis in die CDU hinein - Franz
Josef Jung ist Mitglied der CDU - Unterstützung dafür
gibt. Allerdings müssten Sie, Herr Gehb, einmal erklären, wie Sie zu den Aussagen Ihres Kollegen Geis stehen. In der FR wird zitiert:
Darüber hinaus sei eine solche pauschale Aufhebung unerträglich für ihn,
- also Geis weil damit die Arbeit von Juristen in der NS-Zeit
pauschal verunglimpft würde.
Weiter lässt er sich zitieren:
„Alle Urteile würden damit zu Unrechtsurteilen.“
Wenn irgendetwas Unrecht gewesen ist, dann doch
das. Darüber gibt es in der Wissenschaft, der Publizistik
und, ich glaube, auch hier im Bundestag nach so vielen
Jahren und Jahrzehnten des Kampfes keinen Dissens
mehr.
({1})
Ich frage mich, wie lange solche Positionen hier noch
vorgetragen werden dürfen und wie lange der Versuch
gemacht werden soll, die Nazijustiz vom Nationalsozialismus abzutrennen. Es kann hier keine Trennung geben.
Die Nazijustiz und in besonderer Weise die Nazimilitärjustiz waren substanzieller Bestandteil des nationalsozialistischen Terror- und Willkürregimes.
({2})
Es gibt keine Anhaltspunkte, die dagegensprechen.
In diesem Sinne erinnern wir uns daran, dass auch die
Rehabilitierung der Widerstandskämpfer des 20. Juli
1944 bitter erkämpft werden musste. Wir erinnern uns an
den Sozialdemokraten Fritz Bauer, den hessischen Generalstaatsanwalt, der im Remer-Prozess maßgeblich dafür
gesorgt hat. Er endete damals sein Schlussplädoyer, indem er mit Blick auf den 20. Juli sagte: „Unrecht kennt
keinen Verrat.“ Was, bitte schön, soll daran Unrecht sein,
wenn man einen der barbarischsten Vernichtungs- und
Angriffskriege in der Geschichte der Menschheit verrät?
Das müssen Sie erklären.
Es wäre schön, wenn wir heute, fast 70 Jahre nach
Beginn des Zweiten Weltkrieges, diese letzte Opfergruppe rehabilitieren würden. Damit würden wir deutlich machen, dass diese Personen in unserem Sinne gehandelt haben. Denn jeder Verrat trug dazu bei, dass
Auschwitz, die industrielle Massenvernichtung nicht
länger laufen konnten. Jeder Verrat führte dazu, dass die
Dauer dieses Krieges, der jeden Tag Tausende oder teilweise sogar Millionen von Opfern gefordert hat, verkürzt wurde.
Ich würde mich sehr freuen, wenn in dieser Legislaturperiode endlich die erforderliche parlamentarische
Mehrheit, die es in diesem Hause gibt, zustandekommen
würde, damit wir den Angehörigen der Opfer das Zeichen geben könnten, dass ihre Väter und Großväter nicht
vorbestraft sind, sondern unseren Respekt haben.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute nicht die Aufhebung von NS-Urteilen
wegen Kriegsverrats.
({0})
Gegenstand dieses Tagesordnungspunktes ist vielmehr
der Bericht des Rechtsausschusses nach § 62 Abs. 2 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu der
Frage, warum sich der Rechtsausschuss zehn Sitzungswochen nach der Überweisung in der Sache immer noch
nicht abschließend geäußert hat.
Der Deutsche Bundestag hat sich bereits zweimal,
nämlich 1998 und 2002, sehr umfangreich mit der Frage
der pauschalen Aufhebung der NS-Urteile wegen
Kriegsverrats beschäftigt. Er hat die pauschale Aufhebung jeweils mit großer Mehrheit abgelehnt.
({1})
Offenbar hält auch die Bundesregierung an dieser Auffassung fest. Jedenfalls hat das Bundesministerium der
Justiz, geführt von der der SPD angehörenden Bundesministerin Brigitte Zypries, auf eine Kleine Anfrage der
Fraktion Die Linke auf Bundestagsdrucksache 16/1849,
({2})
in der es um die Frage geht, ob der Kriegsverrat im Nationalsozialismus verurteilenswert sei, mit Schreiben
vom 15. Juni 2006 wie folgt geantwortet - ich zitiere -:
Die Frage lässt sich nur im konkreten Einzelfall beantworten. Dabei kommt es darauf an, ob infolge
des Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevölkerung und/oder deutschen Soldaten zu beklagen
waren oder ob infolge des Verrats derartige Opfer
gerade vermieden wurden. Der Gesetzgeber hat
sich deshalb nach Auffassung der Bundesregierung
zu Recht dafür entschieden, bei der Änderung des
Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege … für diese
Fälle eine pauschale Aufhebung abzulehnen und es
bei der Einzelfallprüfung zu belassen.
({3})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht keinerlei Anhaltspunkte, weder im Hinblick auf den Sachverhalt - er
ist ja abgeschlossen - noch in rechtlicher Hinsicht, die
an dieser Bewertung irgendetwas ändern könnten;
({4})
bei unserem Koalitionspartner scheint das offenbar nicht
der Fall zu sein. Sowohl der Koalitionsvertrag als auch
die Kooperationsvereinbarung der Koalitionsfraktionen
verlangen ein einheitliches Abstimmungsverhalten.
({5})
Da ein einheitliches Abstimmungsverhalten bisher nicht
zu erzielen war, hat der Rechtsausschuss von einer Beschlussempfehlung, wie sie in § 62 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehen
ist, abgesehen.
({6})
Die Rede des Kollegen Jörg van Essen für FDP-Frak-
tion nehmen wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
denke, über diesen Tagesordnungspunkt kann man nicht
reden, ohne sich auch über die materielle Frage, die Rehabilitierung der wegen sogenannten Kriegsverrats Verurteilten, zu unterhalten. Die Zahl der während des Naziterrors in Deutschland begangenen Verbrechen ist
Legion. Wenn man sich die Bewusstwerdung und die
Reflexion des in Deutschland seit 1945 Geschehenen vor
Augen hält, stellt man fest: Es gibt unterschiedliche Phasen, und es gibt unterschiedliche Lernprozesse.
({0})
1) Anlage 16
Das hat sich auch in diesem Hohen Hause, wenngleich
nicht an dieser Stelle, sondern noch in Bonn, bei den
Verjährungsdebatten in den Jahren 1965, 1969 und 1979
deutlich gezeigt.
Wir haben diesen Lernprozess allerdings noch nicht
abgeschlossen. Wir brauchen eine langfristige Reflexion
dieses dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte.
Aber diese Langfristigkeit und dieses Tempo sind aus
der Sicht der Opfer nur schwer erträglich; denn die Opfer mussten noch lange nach dem Ende des Naziregimes
den Makel verurteilter Straftäter tragen.
({1})
Mit Recht werden wir auch in diesen Tagen wiederholt
darauf hingewiesen.
Durch das Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen aus dem Jahre 1998 in der Fassung seiner Ergänzung im Jahre 2002 wurde viel für viele Opfer erreicht und ihre Ehre wiederhergestellt. Dabei ging es
auch um Tatbestände des Militärstrafgesetzbuches. Die
Bestimmungen zum Kriegsverrat wurden hiervon allerdings ausgenommen. Sie wurden bewusst nicht in die
Liste aufgenommen, da damals zumindest theoretisch
noch davon ausgegangen wurde, dass die sogenannten
Kriegsverräter im Einzelfall auch eigene Kameraden gefährdet haben. Daher gilt immer noch die Regelung, dass
eine Einzelfallprüfung nötig ist.
Grundlage hierfür war das, was man unter Historikern
und Juristen eine gefestigte herrschende Meinung nennt.
Durch die Untersuchungen wurde aber gezeigt, dass die
gefestigte herrschende Meinung nicht nur infrage zu
stellen, sondern widerlegt ist.
({2})
Seit nunmehr zwei Jahren liegen mit dem Buch Das
letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat von Wolfram Wette neue, gefestigte, wissenschaftlich fundierte
Erkenntnisse über diese Thematik vor. An dieser Studie
haben renommierte Militärhistoriker wie Manfred Messerschmidt und Detlef Vogel mitgewirkt. Dadurch wurden wir veranlasst, zu prüfen, ob es geboten ist, nun auch
diese Ausnahme zu beseitigen und diese Verurteilungen
wegen Kriegsverrats ebenfalls pauschal aufzuheben.
Nach dieser Prüfung haben wir Veranlassung, zu sagen,
dass diese Ausnahme keinerlei Rechtfertigung mehr hat.
({3})
Kollege Gehb hat etwas sehr Richtiges getan, er hat
nämlich Bundesministerin Zypries zitiert, allerdings aus
dem Jahre 2006. Ich zitiere Brigitte Zypries mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, vom 21. Juni 2007 mit den
Worten:
Ich meine, diese Studie gibt dem Gesetzgeber Anlass, neu darüber zu diskutieren, ob man nicht auch
die Verurteilungen wegen Kriegsverrats pauschal
aufheben sollte.
({4})
Ich zitiere abermals Brigitte Zypries, und zwar vom
16. Juni 2008:
Ich meine, es wäre konsequent, auch Kriegsverrat
in die lange Liste der Delikte aufzunehmen, bei denen NS-Urteile nicht mehr im Einzelfall auf ihren
Unrechtscharakter geprüft werden müssen, sondern
pauschal aufgehoben sind.
({5})
Auf Antrag meiner Fraktion wurde am 5. Mai 2008
eine Anhörung durchgeführt. Die von meiner Fraktion
benannten Sachverständigen Professor Wette und Professor Messerschmidt haben ihre Positionen überzeugend dargestellt. Wir konnten uns von der Belastbarkeit
der aktuellen Forschungsergebnisse überzeugen. Alle
abweichenden Expertenmeinungen sehen wir damit als
widerlegt an.
Damit liegt uns sowohl auf historischer als auch auf
juristischer Seite durch das Gutachten von Professor
Hans Hugo Klein eine klare wissenschaftliche Stellungnahme zum Thema Kriegsverrat vor, der man aus meiner
Überzeugung nicht mehr widersprechen kann. Das ist
das Novum in dieser Auseinandersetzung.
({6})
Hans Hugo Klein führt mit Recht aus, dass dieser
Straftatbestand mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht
vereinbar war, und zwar von Anfang an, seit seiner Einführung im Jahre 1934. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen der Weite der Tatbestandsvoraussetzungen - ganz klares NS-Recht - einerseits und der
absoluten Androhung nur einer Strafe, nämlich der Todesstrafe, andererseits, wodurch die Richter nach den
überzeugenden Ausführungen von Professor Klein gezwungen waren, die Todesstrafe zu verhängen, selbst
wenn ihnen diese zu hart war. Es bedarf keiner großartigen intellektuellen Anstrengung, festzustellen: Wenn das
Gesetz rechtsstaatswidrig war, dann kann auch die auf
diesem Gesetz basierende Urteilspraxis nichts anderes
sein als rechtsstaatswidrig, mithin Unrecht.
({7})
Mit den Worten von Professor Klein, der den BGH zitiert:
Die Grausamkeit, die das Bild der Justiz in der NSZeit prägt, gipfelte in einem beispiellosen Missbrauch der Todesstrafe. § 57 des Militärstrafgesetzbuches hat nach Tatbestand und Rechtsfolge die
Weichen für diesen Missbrauch gestellt. Er bot die
Grundlage für eine Vielzahl von in die äußere Form
von Gerichtsurteilen gekleideten Tötungsverbrechen.
({8})
Aus diesen Gründen - historisch-politisch wie auch
juristisch - ist die Beendigung der Ausnahme aus Sicht
meiner Fraktion und dankenswerterweise, Herr Staatssekretär Hartenbach, auch aus Sicht des Bundesministeriums der Justiz geboten. Ich nutze die Gelegenheit, Ihnen und Frau Bundesministerin Zypries für Ihre Unterstützung in dieser Sache zu danken.
({9})
Wir würden sehr gerne einen entsprechenden Koalitionsgesetzentwurf einbringen. Damit sind wir beim von
Jürgen Gehb zu Recht zitierten Koalitionsvertrag. Aber
leider konnten wir die Fraktion der CDU/CSU noch
nicht vollends überzeugen. Ich finde leider keinen nachvollziehbaren Grund. Das, was zum Beispiel am Mittwoch in der taz vom Kollegen Geis zu lesen war, stößt
auf mein Unverständnis. Denn es gibt keinen einzigen
nachgewiesenen Fall, demzufolge als Kriegsverräter
Verurteilte eigennützig ihre Kameraden verraten haben.
Die Fakten sprechen für das Gegenteil.
Ich bedaure, dass Bundesminister Jung nicht mehr
hier ist. Denn laut Presseberichten hält auch er eine pauschale Aufhebung der Urteile für möglich und widersetzt
sich nicht mehr. Das Schreiben ist heute schon angeführt
worden. Ich würde mich freuen, wenn wir in diesem
Sinne eine Lösung erreichen.
Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung,
Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung kommt nach bestehender Gesetzeslage keine Rechtswirksamkeit zu,
weil diese Verurteilungen von Anfang an Unrecht waren
und von Richtern gefällt wurden, die nicht unabhängig
waren.
Der sogenannte Kriegsverrat bildet meiner Ansicht
nach in diesem Zusammenhang keine Ausnahme. Ich
wäre Ihnen sehr verpflichtet, meine Kolleginnen und
Kollegen von der Union, wenn Sie Ihre Position nochmals überdenken könnten, um den von Jürgen Gehb gestern mit Recht zitierten Erfolgsbilanzen der Großen Koalition in der Rechtspolitik der 16. Wahlperiode noch einen Punkt hinzuzufügen. Lassen Sie uns gemeinsam die
Ehre der NS-Opfer wiederherstellen, in dem Sinne, in
dem sich Joachim Gauck heute in der taz geäußert hat:
Man muss darauf hoffen, dass auch Konservative
die Arbeiten von Wette zur Kenntnis nehmen. Nur
so können die unbegründeten Vorurteile gegen
Kriegsverräter ausgeräumt werden.
Den Worten von Joachim Gauck habe ich nichts mehr
hinzuzufügen. Ich hoffe, dass wir in der 16. Wahlperiode
doch noch zu einer Regelung kommen. Ich hoffe auf
gute Zusammenarbeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Film Die weiße Rose, in dessen Nachspann steht, dass
die Verurteilung der Geschwister Scholl und ihrer Mitstreiter noch heute gültig ist, hat dazu geführt, dass hier
im Bundestag debattiert wurde und dass schließlich die
Urteile des Volksgerichtshofes in toto als nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben wurden. Dies geschah
spät, aber es geschah immerhin.
({0})
Herr Kollege Gehb, ich höre Ihnen sonst gerne zu
- weniger weil ich mit Ihnen übereinstimme -: Von Ihrem „Caligulas Pferd“ bis hin zu Ihren lateinischen Sentenzen argumentieren Sie in der Regel in der Sache.
Heute gab es allerdings kein einziges Argument in der
Sache. Sie haben lediglich rein formal argumentiert, auf
den Koalitionsvertrag verwiesen und gesagt, der Bundestag habe seinerzeit Kriegsverräter ausgenommen basta! Nun will ich, vorpfingstlich milde gestimmt, positiv bewerten, dass Norbert Geis uns hier nicht wieder erzählt hat, so etwas sei unglaublicher Verrat an den Kameraden gewesen - sodass man den Eindruck gewinnt,
dass man noch heute bestrebt sein müsste, den Weltkrieg
auf deutscher Seite zu gewinnen - und die Wehrmacht
sei im Kern sauber gewesen. Das alles ist uns heute erspart geblieben.
({1})
Ich erwarte aber, dass jetzt noch etwas kommt. Wir
haben nicht mehr viel Zeit. Die Militärjustiz in der NSZeit hat sich von den Mördern in Richterrobe am Volksgerichtshof durch gar nichts unterschieden; beide Seiten
waren Mordmaschinen. Die Militärjustiz hat zum Ende
hin sogar noch schlimmer gewütet. Es gab dann sogenannte Fliegende Standgerichte; der Strick hing schon
am Baum, bevor das sogenannte Gericht überhaupt zusammengetreten war. Das war nur noch eine Farce von
Justizförmigkeit. 17- und 18-Jährige sind dabei auf der
Strecke geblieben. Ich empfehle Ihnen allen, sich das
Wehrmachtsgefängnis in Anklam anzusehen, wo junge
Leute - genauso wie an vielen anderen Orten - auf ihre
Hinrichtung warten mussten.
Als ich die Sachverständigen gehört habe, fühlte ich
mich zum Teil wie in einer Zeitmaschine. So wurde beispielsweise gesagt - das ist eine gespenstische Argumentation -, ein von Kriegsgefangenen verratener Torpedo habe nicht etwa den Krieg verkürzt, sondern sei ein
sogenannter Verteidigungstorpedo gewesen, weswegen
es schändlich gewesen sei, so etwas zu tun. Diese Logik
lässt außer Acht, dass unsere damaligen Berufskollegen
in Militärrichterrobe dazu beigetragen haben, dass der
Wahnsinn bis in den Mai 1945 fortgesetzt werden konnte
und alliierten Befreiern sowie ganz jungen deutschen
Soldaten das Leben gekostet hat. Das ist eine Schande
für unseren Berufsstand, die endlich benannt werden
müsste und aus der endlich Konsequenzen gezogen werden müssten, Herr Kollege Gehb.
({2})
Ich freue mich, dass sich die SPD-Fraktion im Verlauf
dieser Debatte immer entschiedener hinter das Anliegen
der Linksfraktion gestellt hat.
({3})
- Ich sage es einfach so. - Noch in der Anhörung hat der
Kollege Stünker gemeint, alle nationalsozialistischen
Unrechtsurteile seien schon aufgehoben und hätten keinen Bestand mehr, sodass man offene Türen einrenne. Es
ziert Sie, wenn Sie dazulernen. Das gilt auch für die
Bundesjustizministerin. Ich sage das wirklich ohne
Häme.
Das Gleiche erwarte ich aber auch von konservativer
Seite. Es war seinerzeit falsch, die sogenannten Kriegsverräter auszunehmen. In der Anhörung wurde - sogar
mit gefälschten Beispielen - versucht, irgendein Urteil
zu finden, das sich heute materiell verteidigen ließe.
Man hat aber kein einziges Kriegsverratsurteil gefunden.
Es ist nun überfällig, den letzten Schritt zu tun.
In letzter Zeit gab es hier sehr oft Gewissensentscheidungen, zum Beispiel bei der Abstimmung über die Heroinabgabe an Schwerstabhängige. Meines Erachtens ist
die Beantwortung der Frage, ob wir uns endlich zur
Klarheit darüber durchringen wollen, welches die gerechte und welches die ungerechte Seite in diesem Krieg
war, längst überfällig. Auch hier handelt es sich um eine
Gewissensentscheidung. Diese Entscheidung zu treffen,
kann nicht über das Ende dieser Legislaturperiode hinaus vertagt werden.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert
Liebing, Ulrich Adam, Peter Albach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Kurt Bodewig, Franz
Thönnes, Dr. h. c. Gerd Andres, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Ostseestrategie voranbringen und unterstüt-
zen
- Drucksache 16/13171 -
b) Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Ostseeparlamentarierkonferenz
17. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 31. August bis 2. September
2008 in Visby, Schweden
- Drucksache 16/12399 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Interfraktionell ist vereinbart, dass die Reden zu Pro-
tokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Reden
der Kollegen Ingbert Liebing von der Unionsfraktion,
Franz Thönnes und Kurt Bodewig von der SPD-Frak-
tion, Markus Löning von der FDP-Fraktion, Lutz
Heilmann von der Fraktion Die Linke und Rainder
Steenblock von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
16/13171 mit dem Titel „Ostseestrategie voranbringen
und unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion
und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 41 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/12399 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:
Vereinbarte Debatte
25 Jahre Parlamentarisches Patenschafts-Pro-
gramm
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Wolfgang Börnsen von der Unionsfraktion, Dagmar
Freitag und Bernd Scheelen von der SPD-Fraktion, Ernst
Burgbacher von der FDP-Fraktion, Volker Schneider
von der Fraktion Die Linke und Anna Lührmann von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf Mittwoch, den 17. Juni 2009, ein.
An diesem Tag findet um 12 Uhr hier im Plenarsaal
die Gedenkveranstaltung „17. Juni 1953“ statt. Aus diesem Grund beginnt die Plenarsitzung erst um 13.30 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen frohe Pfingsten.