Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/28/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, gibt es einige amtliche Mitteilungen. Wir beginnen mit einer rundum erfreulichen Mitteilung: Der Kollege Ernst Burgbacher feiert heute seinen 60. Geburtstag. ({0}) Dazu darf ich Ihnen - ganz offenkundig im Namen des ganzen Hauses - herzlich gratulieren. Gratulieren möchte ich auch dem Kollegen Gert Weisskirchen und der Kollegin Uschi Eid, die am 16. bzw. 18. Mai ähnlich runde Geburtstage gefeiert haben. Auch Ihnen meine ganz besonders herzlichen Glückwünsche! ({1}) - Ich weiß gar nicht, ob solche rührenden Verbrüderungsszenen von den Stenografen erfasst werden. Im Ausnahmefall, finde ich, ist das angemessen; das will ich hiermit angeregt haben. Der Kollege Dr. Frank Schmidt hat mit Wirkung vom 25. Mai 2009 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin begrüße ich herzlich die Kollegin Dr. Erika Ober. ({2}) Herzlich willkommen und gute Zusammenarbeit! Die Fraktion der FDP teilt mit, dass Herr Gerry Kley sein Amt als stellvertretendes Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur niedergelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Christoph Waitz vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Waitz hiermit zum stellvertretenden Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zu den kritischen Äußerungen von EU-Kommissar Günter Verheugen über die Bankenaufsicht in Deutschland ({3}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ({5}) - Drucksache 16/13115 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({6}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen - Drucksache 16/13159 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff ({8}), Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet ({9}) - Drucksache 16/13160 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({10}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Peter Hettlich, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alternativen zum Weiterbau der Bundesautobahn A 100 in Berlin - Drucksache 16/13172 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({12}), Birgitt Bender, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz schaffen - Verbindliches Register für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter einführen - Drucksache 16/13174 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({13}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dopingvergangenheit umfassend aufarbeiten - Drucksache 16/13175 - Überweisungsvorschlag: Sportausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth ({15}), Katrin Göring-Eckardt, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzungsgesetz für UNESCO-Welterbeübereinkommen vorlegen - Drucksache 16/13176 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({16}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz ({17}), Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sport fördert Integration - Drucksache 16/13177 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({18}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({19}) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({20}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union ({21}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck ({22}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Europäische Überwachungsanordnung rechtsstaatlich absichern - Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes - Drucksachen 16/12733, 16/12856 ({23}), 16/13101 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({24}) Mechthild Dyckmans Jerzy Montag ZP 4 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({25}) zu dem Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften - Drucksachen 16/8100, 16/12315, 16/13079, 16/13210

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordneter Wolfgang Zöller ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Cornelia Behm, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rentenwert in Ost und West angleichen - Drucksachen 16/9482, 16/10375, 16/13201 Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({1}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ({2}) - Drucksache 16/13154 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 7 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes - Drucksachen 16/10529, 16/10581 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes - Drucksache 16/31 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 16/13219 - Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Dr. Michael Bürsch Jan Korte Silke Stokar von Neuforn b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Mehr Datenschutz beim so genannten Scoring - Drucksachen 16/683, 16/13219 Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Dr. Michael Bürsch Jan Korte Silke Stokar von Neuforn ZP 8 Beratung des Antrags der Bundesregierung Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias - Drucksache 16/13187 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({6}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Am heutigen Donnerstag werden die Tagesordnungspunkte 8, 20 und 30 abgesetzt. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken jeweils vor. Morgen werden die Tagesordnungspunkte 44 und 45 abgesetzt und die Tagesordnungspunkte 41 und 42 getauscht. Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften - Drucksachen 16/12256, 16/12677 überwiesen: Ausschuss für Gesundheit ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Der in der 220. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz24546 Präsident Dr. Norbert Lammert lich dem Innenausschuss ({9}) und dem Ausschuss für Gesundheit ({10}) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften - Drucksache 16/12784 überwiesen: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Der in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Akkreditierungsstelle ({13}) - Drucksache 16/12983 überwiesen: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Ich habe den Eindruck, auch dazu gibt es Einverneh- men. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 f auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe ({15}) - Drucksache 16/6268 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({16}) - Drucksache 16/13094 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({17}) Joachim Stünker Sevim Dağdelen b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren - Drucksache 16/12310 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren - Drucksache 16/11736 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren - Drucksache 16/4197 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({18}) - Drucksache 16/13095 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({19}) Joachim Stünker Sevim Dağdelen c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten - Drucksache 16/12428 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten - Drucksache 16/11735 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern ({20}) - Drucksache 16/7958 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({21}) - Drucksache 16/13145 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb Siegfried Kauder ({22}) Joachim Stünker Sevim Dağdelen Präsident Dr. Norbert Lammert d) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - Drucksache 16/12321 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck ({23}), Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - Drucksache 16/11434 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({24}) - Drucksache 16/13096 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({25}) Jörg van Essen Jerzy Montag e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Mechthild Dyckmans, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Angemessene Haftentschädigung für Justizopfer sicherstellen - Drucksachen 16/10614, 16/13096 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({27}) Jörg van Essen Jerzy Montag f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts - Drucksache 16/11644 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({28}) - Drucksache 16/13097 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({29}) Dr. Matthias Miersch Sevim Dağdelen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries. ({30})

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit den fünf Gesetzen, die wir heute hier, im Deutschen Bundestag, beschließen, vollenden wir das strafrechtliche Arbeitsprogramm der Großen Koalition. In den vergangenen vier Jahren haben wir knapp 30 Projekte realisiert. Damit haben wir nicht nur den Koalitionsvertrag erfüllt, sondern wir haben auch eine Menge erreicht: Wir haben mehr Sicherheit geschaffen, wir haben Opfer besser geschützt, und wir haben den Rechtsstaat gestärkt. ({0}) Zunächst zur Sicherheit. Immer wieder müssen wir bestehende, neu identifizierte Schutzlücken im materiellen Strafrecht schließen. Das tun wir auch jetzt mit dem GVVG. Künftig kann bestraft werden, wer sich zur Begehung von Terroranschlägen einer Ausbildung unterzieht. Wir stellen auch das Verbreiten von Anschlagsplänen im Internet unter Strafe. Mit diesem Gesetz reagieren wir auf neue Organisationsformen des Terrorismus. Auch Einzeltäter, die wir zunehmend beobachten, können künftig angemessen bestraft werden. ({1}) Polizei und Justiz brauchen außerdem die nötigen Ermittlungsinstrumente. Mit der Vorratsdatenspeicherung haben wir einen wichtigen Schritt unternommen, um Straftaten aufklären zu können. Schließlich brauchen wir auch ein Prozessrecht, das hilft, Anschläge und andere schwere Verbrechen zu verhindern. Deshalb ist die Kronzeugenregelung, die wir heute beschließen, so wichtig. ({2}) Das Verhalten eines Täters nach der Tat, Herr Kollege Ströbele, konnte schon immer strafmildernd berücksichtigt werden. ({3}) Das schreiben wir jetzt ausdrücklich ins Gesetz. Zudem schaffen wir klare Vorgaben, in welchem Umfang Strafen gemildert werden können. Das schafft sehr viel mehr Transparenz und erhöht den Anreiz für eine Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz. ({4}) Trotzdem haben wir dafür gesorgt, dass auch in Zukunft niemand seiner gerechten Strafe entgeht, indem wir im Gesetz zum Beispiel festgeschrieben haben, dass bei Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht unter ein Strafmaß von zehn Jahren erkannt werden darf. Übermäßige Milderungen wird es also nicht geben. Das verhindert das Gesetz. Der Kampf gegen latente Gefahren des Terrorismus ist wichtig. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Menschen vor den konkreten Alltagsgefahren sicher sind und sich sicher fühlen. Auch diesbezüglich hat die Große Koalition gehandelt und zum Beispiel den Schutz vor Stalking verbessert. Inzwischen sind mehrere Tausend Verfahren zu diesem Straftatbestand anhängig. Das zeigt, dass das eine notwendige Maßnahme war. Diese Maßnahme kommt vor allem Frauen zugute; denn mehr als 80 Prozent der Opfer sind Frauen. Wir haben außerdem den Kampf gegen Kindesmissbrauch gestärkt und das erweiterte Führungszeugnis eingeführt. Das erhöht den Schutz der Kinder; denn jeder, der künftig beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten will, muss durch Vorlage eines solchen Führungszeugnisses nachweisen, dass er nicht einschlägig vorbestraft ist. Jugendliche können aber nicht nur Opfer, sondern auch Täter werden. Deswegen haben wir zum Schutz vor jugendlichen Gewalttätern zwischen 14 und 17 Jahren den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherheitsverwahrung ausgedehnt. Wir haben außerdem das Jugendgerichtsgesetz ergänzt. Dort ist nun ausdrücklich festgeschrieben: Bei Jugendlichen geht Erziehung vor Strafe. Das ist ein deutliches Bekenntnis zu einer modernen Kriminalpolitik, und es ist eine klare Absage an jene, die ständig nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts rufen. ({5}) Zu einem fairen Ausgleich von Freiheit und Sicherheit gehört aber auch die Stärkung der Bürgerrechte und des Rechtsstaates. Auch das hat die Große Koalition mit Veränderungen in dieser Legislaturperiode angepackt. Wir haben vor allem mit der Neuregelung der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen gemäß Strafprozessordnung Maßstäbe gesetzt. Wir haben dort die Eingriffsvoraussetzungen verschärft, dem staatlichen Handeln Grenzen gesetzt, den Schutz der Berufsgeheimnisträger gestärkt und den Schutz gegen Überwachungsmaßnahmen ausgebaut. Heute stärken wir den Rechtsstaat erneut: Wir stellen die Beschränkungen für Untersuchungsgefangene, die über die Freiheitsentziehung hinausgehen, zum Beispiel die Postkontrolle, auf eine klare gesetzliche Grundlage. Wir sorgen auch dafür, dass Gefangene Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen haben. Wichtig ist zudem: Künftig müssen die Betroffenen schon bei der Festnahme belehrt werden, und von Beginn der Haft an wird ihnen ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt. Außerdem wird heute durch einen Gesetzesbeschluss die Entschädigung für all jene erhöht, die zu Unrecht hinter Gittern saßen. Die Kosten dafür tragen die Länder; das ist so in diesem föderalen System. Ich bin den Ländern dafür dankbar, dass diese Initiative von ihnen ausgegangen ist. ({6}) Die vorgeschlagene Erhöhung der Entschädigung für den immateriellen Schaden von 11 Euro auf 25 Euro pro Tag ist notwendig und richtig. Richtig ist auch, dass wir pauschal entschädigen, weil Ansehen, Vorleben, Prominenz oder Einkommen an dieser Stelle keine Rolle spielen dürfen. Die Freiheit der Betroffenen muss dem Staat in jedem Falle gleich viel wert sein. ({7}) Um Gleichheit geht es auch bei dem letzten Projekt, das wir heute verabschieden: der Verständigung im Strafverfahren. An dieser Stelle gibt es immer ein großes Missverständnis: Verständigungen sind - entgegen weitverbreiteter Ansicht, vor allen Dingen in der Presse keine Privilegien für Weiße-Kragen-Täter; vielmehr sind sie in unserer Justiz gerade bei „kleinen Fischen“ Alltag. Der Unmut ist auch deshalb entstanden, weil Verfahren zu spektakulären Einzelfällen in der Vergangenheit zu wenig transparent waren. Genau das wollen wir mit unserem Gesetz ändern: Wir wollen die Verständigung aus den Gerichtsfluren und den Hinterzimmern holen und in das Licht der Hauptverhandlung rücken. ({8}) Das sorgt für mehr Transparenz und stärkt auch das Vertrauen in die Justiz. Eines muss klar sein: Egal wie prominent, wie bekannt, wie reich ein Angeklagter ist und egal wie gut seine Anwälte sind: Vor dem Gesetz müssen auch weiterhin alle gleich sein. ({9}) Richtig ist deswegen, dass wir kürzlich die Tagessätze bei Geldstrafen erhöht haben, und zwar von 5 000 Euro auf bis zu 30 000 Euro, je nach Tagesverdienst einer Person. Das heißt: Wir können künftig auch Topverdiener angemessen bestrafen. Meine Damen und Herren, entscheidend bleibt allerdings, dass komplexe Wirtschafts- und Steuerstraftaten von der Justiz vollständig aufgeklärt werden. Deswegen müssen Staatsanwaltschaften und Gerichte personell ausreichend ausgestattet sein. Sie wissen, dass meine Schlussfolgerung zu diesem Thema unter dem Schlagwort steht: Gerechtigkeit braucht eine starke Justiz. ({10}) Dafür hat der Deutsche Bundestag in dieser Wahlperiode eine Menge getan. Ich denke, die Arbeit wird in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt werden. Ich möchte mich bei all denen hier im Hohen Hause, die in den letzten vier Jahren mit ihrem Engagement dazu beigetragen haben, dass wir weitere Erfolge für den sozialen Rechtsstaat erlangen konnten, recht herzlich bedanken. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe erwartet, dass die Bundesjustizministerin hier heute eine Bilanz zieht. Bei den vielen verschiedenen Gesetzentwürfen, die zu einem Paket geschnürt worden sind, bietet es sich tatsächlich an, einen Blick zurück auf diese Legislaturperiode zu werfen. In der Rechtspolitik ist es anders als in vielen anderen Politikbereichen des Deutschen Bundestages. Wir haben immer den Stil gepflegt, dass es zwischen Koalition und Opposition intensive Gespräche über die entsprechenden gesetzgeberischen Vorhaben gegeben hat. ({0}) All das, was wir in anderen Ausschüssen erleben - dass man sich gelegentlich gegenseitig beschimpft, dass man miteinander nicht sachlich umgeht -, ist in der Rechtspolitik, Gott sei Dank, nicht der Fall. Ich bin sehr dankbar dafür und schließe mich deshalb, Frau Ministerin, dem Dank an, dass das in dieser Legislaturperiode in unserem Ausschuss, im Rechtsausschuss, wieder möglich war. ({1}) - Ausnahmen bestätigen die Regel, Herr Kollege; das wissen Sie. Trotzdem möchte ich sagen, dass für uns als Liberale, als FDP-Bundestagsfraktion, die heutige Bilanz sehr unterschiedlich ausfällt. Es gibt Dinge, die wir sehr begrüßen. Am meisten freut mich der Fortschritt, den wir im Bereich des Operschutzes erreicht haben. Ich schaue den Kollegen Kauder an, weil ich weiß, dass er ganz besondere Verantwortung dafür hat, dass wir hier ein Stück vorangekommen sind, und zwar ein gehöriges Stück. ({2}) Ganz herzlichen Dank für Ihr Engagement! Viele andere waren ebenfalls daran beteiligt, dass wir das schaffen konnten. Das findet jetzt zunehmend Kritik - ich bedauere das sehr -, insbesondere in der Anwaltschaft. Wir erhalten sehr viele Schreiben, in denen steht, die Rolle des Beschuldigten werde beeinträchtigt. Genau das ist aus meiner Sicht nicht der Fall. Das Opfer war im Strafprozess bisher immer der Unbekannte, der Nichtinteressierende. Dass das jetzt besser geworden ist, freut mich ganz besonders. ({3}) Es gibt einen zweiten Punkt, den ich kritisch ansprechen möchte. Ich hätte mich gefreut, wenn wir heute im Rahmen dieses umfangreichen Paketes im Bereich des Strafrechts auch eine vernünftige Regelung für die Strafverfolgung von Soldaten aufgrund von Vorfällen, die sich beim Dienst im Ausland ereignet haben, erreicht hätten. ({4}) Ich weiß, wie sehr sich der Bundesverteidigungsminister - er sitzt auf der Regierungsbank - in dieser Frage engagiert hat, wie sehr er mich unterstützt hat. Herr Minister, ganz herzlichen Dank! Aber wir haben immer noch keine vernünftige Regelung. ({5}) Dass ein Ermittlungsverfahren wie das gegen den Oberfeldwebel, der in einer Notwehrsituation geschossen hat, über neun Monate dauert, dass Rekonstruktionen auf einem Übungsplatz der Bundeswehr angeordnet werden, macht deutlich, dass wir in diesem Bereich eine vernünftige Regelung brauchen. Für mich ist klar: Zur Bundeswehr gehört der Staatsbürger in Uniform. Deswegen möchte ich, dass die zivile Justiz erhalten bleibt. Aber: Die Justiz muss einsatzfest sein. Es muss Staatsanwälte und Richter geben, die die Besonderheiten des Auslandseinsatzes kennen. Deshalb wird das - jedenfalls für meine Fraktion - einer der wichtigsten Punkte auf der Agenda der Rechtspolitik in der neuen Legislaturperiode sein. ({6}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem ich ebenfalls bedauere, dass wir nicht zu einer Lösung gekommen sind: Es geht um notwendige Nachsteuerungen im strafrechtlichen Wiederaufnahmerecht. Viele kennen den Fall, dass eine Frau ermordet worden ist, dass ihr Täter aufgrund einer DNA-Analyse feststeht und dass er nicht bestraft werden kann. ({7}) - Ich meine es so, wie ich es hier sage. - Ich teile das Gefühl ganz vieler, insbesondere der Angehörigen des Opfers, die sich mit diesem Zustand nicht abfinden können. ({8}) Deswegen bedauere ich ganz außerordentlich, dass wir hier nicht zu einer Lösung gekommen sind. Auch das muss auf der Agenda bleiben. ({9}) Ich habe gesagt, dass die Bilanz dessen, was heute auf der Tagesordnung steht, für uns unterschiedlich ausfällt. Es gibt von uns Zustimmung, zum Beispiel zum Deal im Strafverfahren. Frau Ministerin, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Das darf nicht nur etwas für Reiche sein, sondern muss ein ganz selbstverständliches Prinzip im Strafprozessrecht werden. Hier gelten alle Vorschriften, die wir haben, zum Beispiel die Vorschrift, dass ein Verfahren bei Zahlung einer Geldbuße wegen Geringfügigkeit eingestellt werden kann. Das setzt Verständigung voraus. Viele ganz normale Bürger profitieren davon. Ich glaube, dass auch hier die Beratungen im Rechtsausschuss zu erheblichen Verbesserungen geführt haben. Es ist klar: Das Konsensprinzip wird nicht eingeführt, und es gibt weiterhin den Amtsermittlungsgrundsatz. Es gibt auch ganz klare Regelungen dafür, dass das Gericht keinen Druck machen darf und dass beispielsweise ein Geständnis nur unter bestimmten Voraussetzungen verwertet werden kann. Es gibt also eine umfangreiche rechtsstaatliche Sicherung. Ich halte das für einen großen Fortschritt. ({10}) Die Rechtsprechung hat sich immer mit dem Deal befasst, hat den Deal immer anerkannt und hat vor allen Dingen immer gesetzliche Regelungen angemahnt. Das begrüßen wir. Ich glaube, dass die heutige Entscheidung eine gute Stunde für die Strafrechtspolitik ist, da wir im Hinblick auf Absprachen im Strafprozess eine vernünftige Regelung gefunden haben. Ich persönlich finde auch die neuen Regelungen gut, die wir im Bereich der Untersuchungshaft treffen. Wie ich sehe, ist heute auch ein Landesjustizminister anwesend, nämlich mein Parteifreund Goll aus BadenWürttemberg. ({11}) Ich weiß, dass aufseiten der Länder Sorgen wegen der Pflichtverteidigerbestellung bei Inhaftnahme bestehen. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben diese Regelung allerdings unterstützt; das sage ich in aller Deutlichkeit. Die Länder befürchten, dass sie die Umsetzung dieser Regelung zu viel kostet. Diese Sorge ist berechtigt, zumal die Länder unter erheblichem finanziellen Druck stehen. Dennoch wäre ich Ihnen, Herr Minister Goll, dankbar, wenn Sie bei Ihren Kollegen dafür werben würden, den Gedanken, der in der Anhörung des Rechtsausschusses vorgetragen worden ist, zu berücksichtigen. Professor Schöch, der als Sachverständiger geladen war, hat sehr beeindruckend dargelegt, dass die Pflichtverteidigerbestellung eine Verkürzung der Untersuchungshaft zur Folge hat. Man kann also sagen, dass diese Regelung für die Länder in finanzieller Hinsicht sogar von erheblichem Vorteil ist. ({12}) Wenn die Pflichtverteidigerbestellung tatsächlich zu einer Verkürzung der Untersuchungshaft führt, dann ist diese Regelung nicht nur unter pekuniären Gesichtspunkten von Bedeutung, sondern hat auch ein Stück weit mehr Gerechtigkeit zur Folge. Untersuchungshaft ist nämlich ein erheblicher Eingriff, und sie darf nur so lange vollzogen werden, wie sie notwendig ist. Wenn die Pflichtverteidigerbestellung dazu führt, dass jemand früher aus der Untersuchungshaft entlassen wird, weil für die Untersuchungshaft keine Notwendigkeit mehr besteht, dann ist das auch ein Sieg für den Rechtsstaat und die Sicherheit in unserem Land. ({13}) Weniger gut finden wir die Regelung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen. Da ich selbst lange Zeit Oberstaatsanwalt war, kann ich Ihnen sagen: Leider kommt es immer wieder vor, dass durch justizielles Handeln Unrecht geschieht, dass zum Beispiel jemand zu Unrecht verhaftet wird oder andere Schäden erleidet. Wenn der Staat Unrecht begangen hat, muss es selbstverständlich sein, dass dieses Unrecht angemessen entschädigt wird. Daher ist die Erhöhung der Entschädigung von bisher 11 Euro auf nunmehr 25 Euro pro Hafttag, wie sie die Länder vorgesehen haben, sicherlich ein Fortschritt. In einem Punkt bin ich allerdings anderer Meinung als Sie, Frau Bundesjustizministerin: Die Einzelfälle unterscheiden sich; man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, vertreten in dieser Frage die gleiche Position wie die Anwälte. Wir befürworten die österreichische Lösung und wollen, dass im konkreten Einzelfall eine individuelle Entscheidung getroffen wird. In Österreich zeigt sich, dass die durchschnittliche Entschädigung pro Hafttag bei konkreter Beurteilung des Einzelfalles viel höher ausfällt. Wie ich gelesen habe, werden in Österreich etwa 100 Euro pro Tag für zu Unrecht erlittene Haft gezahlt. Bei diesem Thema wird sich meine Fraktion enthalten. Die vorgesehene Regelung ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sie geht uns aber nicht weit genug. Nicht zustimmen werden wir der Kronzeugenregelung. Frau Ministerin, Sie haben recht, dass es sich hierbei um ein allgemeines Prinzip handelt. In § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches heißt es, dass bei der Strafzumessung auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat zu berücksichtigen ist, beispielsweise der Umstand, dass er gestanden oder durch Hinweise zur Aufklärung seiner Tat beigetragen hat. Ich persönlich teile nicht die vielfältigen Sorgen, die in der Literatur, aber auch in der Lehre im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung im Allgemeinen geäußert werden. Aber so, wie diese Regelung jetzt ausgestaltet ist, findet sie meine Zustimmung und die Zustimmung unserer Fraktion nicht. ({14}) Nach der vorgesehenen Regelung muss sich ein Angeklagter nicht unbedingt zur eigenen Tat äußern, beispielsweise zu Mittätern; vielmehr kann es, um eine Strafermäßigung zu bekommen, ausreichen, wenn ein Angeklagter Angaben zu einer Tat macht, mit der er nichts zu tun hat. ({15}) Wenn beispielsweise ein Kindesmissbraucher Angaben zu einem Subventionsbetrug macht, dann kann dies eine Reduzierung seiner Strafe zur Folge haben. ({16}) - Nein, natürlich ist das kein Automatismus; ({17}) aber Sie ermöglichen eine solche Reduzierung. Das ist eine Regelung, die wir als FDP-Bundestagsfraktion nicht akzeptieren wollen. ({18}) Wir lehnen die Kronzeugenregelung in der Form, in der sie heute von Ihnen vorgeschlagen wird, ab. Wir lehnen auch das ab, was Sie für den Bereich der Terrorcamps und der entsprechenden Ausbildung vorschlagen. Auch wir als FDP-Bundestagsfraktion sehen selbstverständlich die Gefahren, die aus dem Islamismus hervortreten. Wir sehen auch, dass es immer wieder auch Reisen in Länder gibt, in denen in Terrorcamps ausgebildet wird. Wir sehen ebenfalls die Bedrohung für unser Land. Das, was Sie vorschlagen, ist aus unserer Sicht aber der falsche Weg. ({19}) Es hilft nicht, das sechzehnte Skalpell in einen Operationsraum zu legen, wenn es an Ärzten und Krankenschwestern fehlt. Deshalb ist unser Ansatz auch ein völlig anderer: Wir wollen die Nachrichtendienste, die dort eine ganz wesentliche Bedeutung haben, stärken und deren Möglichkeiten verbessern, insbesondere hinsichtlich der Aufklärung. Dafür sind wir offen. Lieber Herr Danckert, die Lücke, die die Koalition dort sieht, wird von mir und unserer Fraktion aber nicht gesehen. Natürlich gibt es dort auch Einzeltäter. Das ist aber keine neue Entwicklung. Es hat sich in der Vergangenheit doch gezeigt, dass sich überall dort, wo Organisationsdelikte nicht gegriffen haben, beispielsweise bei den Kofferbombern in Köln, keinerlei Lücke hinsichtlich der Möglichkeit gezeigt hat, diese Täter zu bestrafen. ({20}) Beide potenziellen Kofferbomber von Köln sind zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das heißt, die Straflücken, die zu dieser Diskussion geführt haben, sind nicht wirklich vorhanden. ({21}) Ich selbst bin einige Jahre lang in einer Staatsschutzabteilung tätig gewesen. Aus meiner staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit habe ich die Erfahrung mitgebracht, dass es sehr gut ist, dass wir zwischen nachrichtendienstlicher Tätigkeit und Strafverfolgungstätigkeit unterscheiden. ({22}) Diese Unterscheidung wird hiermit gelockert. Auch diese Entwicklung wird von uns nicht unterstützt. Daher gibt es von FDP-Seite ein klares Nein zu Ihren Vorschlägen. Insgesamt zeigt sich also ein gemischtes Bild. Ich denke, dass wir in der Rechtspolitik in nächster Zeit noch einiges zu tun haben - dann hoffentlich mit liberaler Handschrift. Vielen Dank. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Land ist in diesen Tagen 60 Jahre alt geworden. Wir alle haben sicherlich noch die Feierlichkeiten vor unserem geistigen Auge und die vielfältigen Lobgesänge auf unsere Verfassung in unserem Ohr. Nun ist unser Grundgesetz nicht nur an solchen Festtagen, dort vielleicht ganz besonders, von Bedeutung, sondern es gilt natürlich auch im Alltag, und es spielt in nahezu jeder Rechtsdebatte, auch heute wieder, eine Rolle. Ich will darauf hinweisen, dass die Grundrechte zwar klassische Abwehrrechte sind - deswegen will unser Freund Charly Dressel von der SPD ja, dass die Förderung des Sports als Staatsziel im Grundgesetz verankert wird; er will den Sport nämlich abwehren -; ({0}) aber im Moment - ich denke an die Skandale der letzten Zeit in großen Firmen, Stichwort: Datenschutz - werden die Privaten weniger durch den Staat als vielmehr durch die Privaten bedroht. Auch sonst finde ich, dass die Sicht auf die Grundrechte verkürzt wird, wenn man nur eine Bändigung und Zähmung des Staates im Auge hat. Durch die Grundrechte werden vielmehr auch Fürsorge- und Schutzpflichten des Staates begründet, etwa im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts, aber auch im Bereich der inneren Sicherheit. Deswegen ist es sehr missverständlich, Herr von Essen, dass Ihre Kollegin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, unlängst gesagt hat, es gebe kein Grundrecht auf Sicherheit. ({1}) Es mag zwar kein Grundrecht auf Sicherheit geben; aber auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung steht nicht expressis verbis im Grundgesetz, ({2}) sondern das Bundesverfassungsgericht hat es aus der Zusammenschau vieler Grundrechtsartikel entwickelt. Genauso wie es eine grundrechtlich verbürgte Schutzpflicht des Staates gibt - das, Herr Montag, können Sie in mehreren Bänden des Bundesverfassungsgerichts nachlesen; ich empfehle etwa den 80. und den 107. Band -, ({3}) erwächst als Reflex auf diese Schutzpflicht natürlich auch ein Recht des Bürgers darauf, dass er geschützt wird. Nun will ich die Begehrlichkeit hier gar nicht so groß werden lassen und sagen, dass der Staat einen hundertprozentigen Schutz gewährleisten kann; das wäre ja völlig unredlich. Wir müssen aber versuchen, den Schutz so weit wie möglich zu gewähren und die Gefahren so weit wie möglich zu reduzieren. Dass wir dabei vermintes Gelände betreten und uns in einem Spannungsfeld zwischen dem Anspruch auf Sicherheit einerseits und dem Anspruch auf Freiheit andererseits bewegen, ist doch klar. Deswegen haben wir mit dem Gesetzentwurf zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten einen weiteren Schritt hin zur Gewährleistung von Recht und Sicherheit getan. Herr van Essen, Sie haben gesagt, es nütze nichts, das 16. Skalpell in den Operationssaal zu bringen, wenn es zu wenig Ärzte gibt. Es nützt aber auch nichts, einen ganzen Operationssaal voller Ärzte zu haben, wenn Sie ihnen kein Skalpell in die Hand geben. ({4}) Deswegen wollen wir auch Verhaltensweisen, die wirklich nicht sozial adäquat sind, mit einbeziehen. Wer nach Afghanistan, Pakistan oder sonst wohin reist, ({5}) um sich dort im Umgang mit Waffen und Sprengstoff zu schulen, kann uns doch nicht weismachen, dass er das deshalb macht, um hier bei der Kirmes in Zehlendorf Schützenkönig beim „Laufenden Keiler“ zu werden. Das ist aberwitzig. Mit dem Gesetz schaffen wir eine Grundlage, damit gegen die Gefährder ermittelt werden kann. Wir wollen ermitteln, verfolgen und am Ende auf einer sicheren Rechtsgrundlage bestrafen können. ({6}) Deswegen haben wir diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht und werden ihn heute verabschieden. ({7}) Wie immer, wenn die Große Koalition im Begriff ist, Sicherheitsgesetze zu verabschieden, kommt geradezu reflexartig das Argument von der linken Seite, von den Grünen, aber auch von den Freidemokraten ({8}) - genau, das Bundesverfassungsgericht; darauf komme ich gleich zu sprechen -, wir würden wieder den Popanz des „Big Brother is watching you“ aufbauen, und das Bundesverfassungsgericht hebe andauernd unsere Sicherheitsgesetze wieder auf. Mit diesem Märchen möchte ich jetzt aufräumen. ({9}) Das Bundesverfassungsgericht hat eine Reihe von Sicherheitsgesetzen aufgehoben, die zu einer Zeit, als die Grünen Koalitionspartner waren, verabschiedet worden sind. ({10}) Wir sind auch nicht dafür haftbar, dass Landesgesetze aufgehoben werden. Seit dem 18. Oktober 2005, dem Tag der Konstituierung des Bundestages für diese Legislaturperiode, hat das Bundesverfassungsgericht nicht ein einziges Sicherheitsgesetz dieser Koalition aufgehoben. Es hat lediglich am 11. März 2008 im Wege einer einstweiligen Anordnung die Nutzung bereits gespeicherter Daten in einem Teilbereich ausgesetzt. Im Übrigen hat es das Telekommunikationsüberwachungsgesetz unbeanstandet gelassen. Andere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die Sicherheitsgesetze dieser Koalition aufgehoben hätten, wie Sie immer wieder behaupten, gibt es nicht. ({11}) Merken Sie sich das ein für alle Mal. Durch gebetsmühlenhafte Wiederholung, dass von uns erarbeitete Gesetze aufgehoben worden sind, wird diese Behauptung nicht besser oder gar richtig. ({12}) Wenn ich schon bei der Unredlichkeit der Kritik an unserer Rechtspolitik bin, dann will ich - wenn auch sozusagen als Obiter dictum - darauf hinweisen, dass sich in die Phalanx dieser unredlichen Kritiker inzwischen auch ehemalige Verfassungsrichter einreihen. ({13}) So haben Exverfassungsrichter Jentsch und der frühere Vizepräsident Mahrenholz in einer Anhörung zur Wahlrechtsreform - nachdem das Bundesverfassungsgericht die Wahlrechtsvorschriften für verfassungswidrig erklärt hat; freilich hat es dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2011 eingeräumt, um das zu heilen - allen Ernstes die Auffassung vertreten, dass wir, so zunächst Herr Jentsch, wenn wir jetzt die Bundestagswahl auf der Grundlage dieser Normen durchführten, die Erwartung des Bundesverfassungsgerichts enttäuschen würden, wenn wir das nicht noch vorher machen. Noch schlimmer hat es Mahrenholz formuliert, der gesagt hat, die Wahlen wären dann verfassungswidrig. ({14}) Herr Präsident, gestatten Sie auch mir einmal, etwas vorzulesen. Ich weiß, dass es in diesem Hause einen Generaldispens von der Geschäftsordnung gibt, weil wir inzwischen zu einem Vorlesewettbewerb verkommen sind, wie wir nachher noch sehen werden. ({15}) Genauso wie die Lektüre des Gesetzes häufig bei der Rechtsfindung hilft, hilft auch die Lektüre der Entscheidungsgründe eines Urteils weiter. Das Bundesverfassungsgericht hat wörtlich ausgeführt: ({16}) Im Hinblick auf die hohe Komplexität des Regelungsauftrags und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Fristen zur Vorbereitung einer Bundestagswahl erscheint es daher - gut hinhören! unangemessen, dem Gesetzgeber aufzugeben, das Wahlrecht rechtzeitig vor Ablauf der gegenwärtigen Wahlperiode zu ändern. Ein derart kurzer Zeitraum birgt die Gefahr, dass die Alternativen nicht in der notwendigen Weise bedacht und erörtert werden können. Meine Damen und Herren, wenn die Erwartung des Bundesverfassungsgerichts, dass wir das rechtzeitig machen, in dieser Formulierung begründet sein soll und wenn das Bundesverfassungsgericht es ausdrücklich für unangemessen hält, dann halte ich es für unglaublich, dass diese Herrschaften mit der Autorität ihrer früheren Ämter bei den Bürgern den Eindruck erwecken wollen, wenn sie zur Wahl gingen, nähmen sie an einer verfassungswidrigen Wahl teil. Das hilft nicht, die Wahlmüdigkeit zu beenden. ({17}) Wir verabschieden heute neben dem Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten auch erneut die Kronzeugenregelung. Wir hatten schon einmal, zwischen 1989 und 1999, eine, wenn auch viel abgespecktere Form der Kronzeugenregelung - sie ist dann von Rot-Grün nicht weiter verfolgt worden -, ({18}) und wir verabschieden heute sozusagen eine Strafzumessungsregel in § 46 des Strafgesetzbuches, wonach ein Täter in den „Genuss“ einer Strafmilderung oder Strafbefreiung kommen kann, allerdings unter Wahrung schwerster rechtsstaatlicher Kautelen. Es darf nicht etwa der Mörder freigesprochen werden; vielmehr bleiben Tat- und Schuldangemessenheit weiterhin die Richtschnur für dieses Verfahren. Aber wenn ein Täter bei der Aufdeckung oder Verfolgung anderer Straftaten hilft, kann er freigesprochen werden, wenn auch nicht automatisch, ({19}) wie Herr Stünker eben zu Recht dazwischengerufen hat bei dem Beispiel, ob der Kinderschänder freigesprochen werden kann, weil er zur Überführung des Ladendiebes beigetragen hat. Diese Kronzeugenregelung ist ein weiterer Meilenstein bei der Aufklärung komplizierter Straftaten, bei denen man häufig das Instrumentarium, das einem zur Verfügung steht, gar nicht effizient genug einsetzen kann und deshalb auf die Mithilfe von Straftätern angewiesen ist. ({20}) Die Frau Ministerin hat eben auch die Absprachen im Strafprozess angesprochen. Dazu haben wir bereits in der ersten Lesung von der linken Seite unsägliche Vergleiche gehört; das Strafgesetzbuch sei kein Handelsgesetzbuch, wobei, Herr Nešković, auch das Handelsgesetzbuch nicht zur freien Disposition steht, sondern sicherlich ebenso nach bestimmten Rechtsregeln auszulegen ist. Aber dazu ist genug gesagt worden: Pontius Pilatus und Incitatus, eines der Pferde des Kaisers Caligula, das dieser - die schwächste Personalentscheidung - einmal zum Konsul ernannt hat; das ist vergleichbar mit Ihrer Berufung in früherer Zeit zu einem Bundesrichter, ({21}) jedenfalls wenn Sie solche Bemerkungen machen, wie Sie sie hier gemacht haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gehb, ich glaube nicht, dass dies die Art der Auseinandersetzung um die von Ihnen zu Recht als ernsthaft gewürdigten Themen in besonderer Weise befördert. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich nehme das zur Kenntnis. Wenn Sie allerdings die Rede gehört hätten, die mich zu dieser Replik geführt hat, könnten Sie dafür etwas mehr Verständnis aufbringen. Aber ich will gern zugeben, dass ich in der mir eigenen Art der freien Rede gelegentlich dazu neige, über das Maß hinauszuschießen. Das tut mir leid; das passiert auch anderen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich will auf ein ganz wesentliches Element hinweisen. Im Zusammenhang mit der Absprache im Strafprozess ist eben der Begriff Transparenz gefallen. Es ist ganz wesentlich, dass dies aus dem Dunstkreis der Mauschelei, der Heimlichtuerei herausgeholt worden ist. Das ist richtig. Bei dem Stichwort Transparenz fällt mir der Deutsche Anwaltstag ein, der am Donnerstag letzter Woche begonnen hat und bei dem sich der inzwischen ausgeschiedene Präsident Kilger in seiner Eröffnungsrede doch weiß Gott wieder nicht die Aussage verkneifen konnte, dass die Große Koalition ihre Rechtspolitik in intransparenter Geheimnistuerei verabschiede; damit wird sozusagen der Vorwurf des kollusiven Zusammenspiels erhoben. ({1}) - Seien Sie froh, dass Sie nicht da waren, Herr Stünker. ({2}) Dieser Vorwurf ist, nachdem sich Herr Kilger vor einem Jahr dazu hat hinreißen lassen, den deutschen Rechtsstaat mit Guantánamo zu vergleichen, ein weiterer schwerer Fauxpas. Meines Erachtens ist das gesamte Haus aufgerufen, dies zurückzuweisen. Es gibt nicht mehr Transparenz bei der Verabschiedung von Gesetzen als in der Form, wie wir es tun. ({3}) Ebenso wie andere Berufsverbände, etwa der Deutsche Richterbund oder die BRAK, ist auch der Deutsche Anwaltsverein nahezu bei allen unseren Anhörungen mit einem Repräsentanten als Sachverständigem vertreten, wobei von dieser Seite nicht immer die klügsten Einwände kommen. ({4}) Ich denke nur daran, dass in dem Verfahren zur Wiederaufnahme, das Sie angesprochen haben, ein vom DAV entsandter Sachverständiger gesagt hat, das erinnere ihn an Gestapo-Methoden. ({5}) Liebe Repräsentanten des Deutschen Anwaltsvereins, bitte vermeiden Sie Anleihen und Metaphern aus der Nazizeit, Guantánamo, Abu Ghureib oder Ähnlichem. Der deutsche Rechtsstaat muss im Hinblick auf alle anderen Staaten dieser Welt keinen Vergleich scheuen. Ich finde, das müsste unter allen Fraktionen und Parteien in diesem Haus Konsens sein, liebe Freunde. ({6}) Mit den Gesetzentwürfen, die wir heute verabschieden - ich sage das ohne Anspruch auf Vollständigkeit; das Untersuchungshaftrecht und die Erhöhung der Entschädigung für zu Unrecht in Strafhaft gewesene Gefangene wurden schon angesprochen - und die übrigens ein besonderes Anliegen der Unionsfraktion sind, haben wir im Grunde genommen die Koalitionsvereinbarung mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks abgearbeitet. Allen Unkenrufen, dass diese Koalition kraftlos sei und dass sie zerstritten sei, zum Trotz möchte ich für die Rechtspolitik sagen - ich bin der rechtspolitische Sprecher und nicht der Vorsitzende meiner Fraktion -, ({7}) dass das, was wir in den letzten vier Jahren auf dem Gebiet der Rechtspolitik geleistet haben, sowohl in der Art, wie wir menschlich zusammengearbeitet haben - das gilt für meine Beziehungen als rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion zu Herrn Stünker, Herrn Peter Danckert, Charly Dressel, Herrn Körper und insbesondere zur Ministerin und zum Staatssekretär Alfred Hartenbach -, also was den persönlichen Umgang angeht, als auch in der Sache, in Zukunft nicht mehr so schnell geleistet wird und in der Vergangenheit nicht geleistet worden ist. ({8}) Wir werden diese Koalition kraftvoll, ernsthaft, konstruktiv und anständig zu Ende bringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gehb, obwohl es wirklich reizt, Ihnen zu antworten, lässt es meine Redezeit nur zu, auf die Entwürfe der Gesetze zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten sowie zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern einzugehen. Die Bundesregierung will die Vorbereitung von Terroranschlägen unter Strafe stellen. So weit die guten Absichten. Doch die vorliegenden Gesetzentwürfe taugen nicht zu mehr Sicherheit. Sie stellen einen Bruch mit fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien dar. ({0}) Bisher wird jemand für eine Tat bestraft, lieber Herr Kollege, die er auch begangen oder zumindest versucht hat. Doch nun soll bereits eine Tat zur Strafverfolgung führen, die weder begangen noch versucht wurde. ({1}) Nicht einmal konkrete Anschlagspläne müssen für die Strafverfolgung angeblich terroristischer Vorbereitungshandlungen nachgewiesen werden. Ob es sich bei dem Herunterladen von Sprengstoffrezepten aus dem Internet um wissenschaftliches Interesse, bloße Neugier ({2}) oder die Vorbereitung eines Anschlags handelt, ob ein Guerillacamp zu journalistischen Recherchezwecken, aus Abenteuerlust ({3}) - ich freue mich, dass Sie sich so schön aufregen - oder zur Kampfausbildung besucht wird, ob ein Wecker gekauft wird, um nicht zu verschlafen oder um damit einen Zeitzünder für eine Bombe zu basteln, soll sich demnächst aus der politischen und der religiösen Gesinnung einer Person ableiten ({4}) und kann mit bis zu zehn Jahren bestraft werden. Damit findet eine Abkehr vom Tatprinzip im deutschen Strafrecht statt. Tätergesinnung und Täterpersönlichkeit statt des Unrechtsgehalt einer Tat sollen nun bereits der Grund für eine Strafverfolgung sein. ({5}) Das nennen wir Gesinnungsjustiz. ({6}) Um es mit den Worten der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen zu charakterisieren - Zitat, bezogen auf das Gesetz -: Das ist nicht weniger als das Gedankenverbrechen … aus Orwells 1984. Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft wollen durch die vorliegenden Gesetze noch mehr Vollmachten für Lauschangriffe, Bespitzelung und Untersuchungshaft. Darum geht es in Wirklichkeit. Doch es ist rechtsstaatlich unhaltbar, mit Gummiparagrafen neue Straftatbestände zu schaffen, um auf diese Weise Strafverfolgungsbehörden mit weiteren Sondervollmachten auszurüsten. ({7}) Das sollte auch der Justizministerin Zypries klar sein, wenn sie ihre eigenen Gesetze schon als „verfassungsrechtlich auf Kante genäht“ bezeichnet. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Diese Gesetze bereiten nicht nur einer weiteren Gesinnungs- und Schnüffeljustiz den Weg - schlimmer noch, sie schaffen ein illegitimes Feindstrafrecht, das in seiner Konsequenz in der Tat, Herr Gehb, nach Guantánamo führt. Das ist mit uns nicht zu machen, und deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Jerzy Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition hat heute fünf strafrechtspolitische Vorhaben und elf Gesetzentwürfe zu einer gemeinsamen Beratung zusammengefasst. Auch wenn die Rechtspolitik damit endlich einmal bei Tageslicht und zur Primetime diskutiert wird - ich werde den Verdacht nicht los, dass doch wieder nur schnöde Taktik dahintersteckt. Es ist nicht zu übersehen, dass damit höchstproblematische und rechtsstaatlich wirklich abscheuliche Vorhaben im Windschatten von zum Teil oder in Gänze zustimmungsfähigen Gesetzentwürfen segeln sollen. ({0}) Sie wollen Ihre rechtspolitischen Schandtaten ({1}) damit verdecken; aber ich glaube, das wird Ihnen nicht gelingen. Erstens: die Kronzeugenregelung. Was Sie als Strafzumessungsregel für Aufklärungs- und Präventionshilfe heute hier vorlegen, ist tatsächlich ein unwürdiger Handel mit der Gerechtigkeit. ({2}) Straftäter, die den Ermittlungsbehörden ihr Wissen über Straftaten offenbaren, an denen sie selbst in keiner Weise beteiligt waren, sollen erhebliche Strafrabatte erhalten. Selbst Mörder sollen so einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe entkommen können. Ausdrücklich kann eine schuldunangemessen niedrige Strafe verhängt werden; manche können von jeglicher Strafe verschont bleiben. Das ist nichts anderes als ein Judaslohn für Verrat. Besonders schockierend ist, dass selbst Mörder in den Genuss eines solchen zweifelhaften Vorteils kommen können. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dressel?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Montag, Sie haben soeben ausgeführt, selbst Mörder könnten in den Genuss einer geringeren als der lebenslangen Freiheitsstrafe kommen. Ist Ihnen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen bekannt, wonach regelmäßig sogar wegen Mordes zu einer geringeren Freiheitsstrafe als der lebenslänglichen verurteilt wird? Begründet wird das mit Art. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Schuldprinzip. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Dressel, Sie sind offensichtlich schlecht informiert. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Sie kein Strafrechtler sind. Eine solche Rechtsprechung, wonach die Justiz in der Regel verpflichtet wäre, bei Mord keine lebenslängliche Freiheitsstrafe zu verhängen, gibt es nicht. ({0}) Es gibt entgegen der gesetzlichen Regelung, wonach es keine Ausnahmen von lebenslänglich geben kann, eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich auf die Konstellation der Tat bezieht. Ich erinnere Sie an die Tat einer Tochter, die jahrelang von ihrem Vater missbraucht, geschlagen, vergewaltigt wurde und ihren Vater im Schlaf mit dem Hammer erschlug. In einem solchen Fall, so das Bundesverfassungsgericht, kann es das, was im Strafgesetzbuch steht, nämlich auf jeden Fall lebenslänglich, nicht geben. Sie aber wollen in dieses Gesetz hineinschreiben, dass ein Mörder, der über eine Tat, mit der er nichts zu tun hat, etwas aussagt, wegen des Verrats dieses völlig anderen Falles der lebenslänglichen Freiheitsstrafe entgehen kann, auch wenn es für die Ausführung seiner Mordtat keinerlei Milderungsgründe gibt. Das nenne ich eine schuldunangemessen niedrige Bestrafung. ({1}) Es gibt keinen Bedarf für eine solche Regelung. Selbst ein strafrechtlicher Staatsnotstand würde sie nicht rechtfertigen. Wir befinden uns aber bei der Verfolgung und Bekämpfung der Kriminalität in Deutschland nicht in einem Notstand. Den Problemen, die es bei der Prävention zum Schutze der Bevölkerung, bei der Aufklärung von Straftaten und bei einer effektiven, schnellen und rechtsstaatlichen Bearbeitung angeklagter Straftaten gibt, müssen die Länder - das ist ihre Pflicht; eine Flucht in die Kronzeugenregelung ist keine Lösung - mit einer ausreichenden personellen und Sachausstattung der Ermittlungsbehörden begegnen. ({2}) Viele Argumente, die zu Unrecht gegen eine Verständigung im Strafprozess vorgebracht werden, treffen bei der Kronzeugenregelung geradezu ins Schwarze. Alles Entscheidende spielt sich vor Eröffnung des Hauptverfahrens ab, also ohne das Gericht, das später in der Hauptverhandlung nur noch als Notar eines längst ausgehandelten Geschäfts benötigt wird. Der Verrat, als Aufklärungshilfe kaschiert, und der Lohn, nämlich der Strafrabatt, ({3}) werden zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft einerseits und dem Straftäter andererseits ausgehandelt. Das ist wirklich ein schmutziger Deal mit dem Verbrecher, der eigentlich hinter Gitter gehört. ({4}) In der Beschlussempfehlung zur heutigen Debatte heißt es dazu von Ihnen in aller Deutlichkeit - ich zitiere -: Für kooperationsbereite Straftäter … soll deshalb die Möglichkeit … des Absehens von Strafe geschaffen werden, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welche Art von Straftat sie selbst begangen haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Auch der Kollege Kauder würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gestatte sie sehr gerne, aber erst nach dem Satz, den ich jetzt noch sagen will; denn dann bin ich mit dem Thema Kronzeugenregelung fertig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich vermute, darüber werden wir sofort eine Verständigung erreichen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sage Ihnen: Nichts von dem Guten, das heute in die Strafprozessordnung punktuell geschrieben werden soll, kann eine solche Kronzeugenregelung rechtfertigen. Deswegen lehnen wir sie ab. ({0}) Jetzt bitte Herr Kollege Kauder.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Montag, habe ich es richtig verstanden, dass Sie der Auffassung sind, dass über die Strafmilderung eines Angeklagten, der Angaben macht, die Polizei und die Staatsanwaltschaft entscheiden, ohne den Richter einzubinden? ({0}) Ich kenne die Vorschrift des § 46 b StGB, den wir verabschieden wollen, nur so, dass darüber rechtsstaatlich ein Gericht zu entscheiden hat und die Strafmilderung nicht gewähren muss, sondern nach Abwägung aller entscheidenden Strafzumessungsgründe und Strafzumessungstatsachen darüber befindet.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Kauder, auch darüber möchte ich die Öffentlichkeit aufklären. ({0}) - Es gibt nichts zuzugeben, Herr Kollege Danckert. Das, was in der Fragestellung insinuiert wird, ist falsch. Deswegen will ich es auch Ihnen, lieber Kollege Danckert, jetzt noch einmal erklären. Aber vor allen Dingen will ich es Ihnen, Herr Kollege Kauder, erläutern, damit es nicht von meiner Redezeit abgeht. Der entscheidende Punkt ist, dass dieses Geschäft, die Aufklärungshilfe gegen einen Strafrabatt, eingefädelt und beendet sein muss, bevor das Hauptverfahren eröffnet worden ist, bevor also das Gericht mit dem Fall überhaupt befasst worden ist. Eine spätere Erklärung des Beschuldigten führt nach Ihrem Gesetzentwurf eben nicht zu der Möglichkeit dieses Handels. ({1}) Das bedeutet praktisch und faktisch in der Zukunft, dass die Polizei, vielleicht sogar mit einem noch nicht verteidigten Beschuldigten, die Gespräche führen wird, die es heute in Drogensachen schon in jedem Verfahren gibt. Das Allererste, was die Polizei zu einem festgenommenen Drogenbeschuldigten sagt, ist: Grüß Gott - in Bayern - oder guten Tag, das ist § 31 des Betäubungsmittelgesetzes, lesen Sie ihn sich genau durch. Darin steht, welchen Strafrabatt Sie von uns bekommen, wenn Sie Angaben machen. ({2}) - Das ist das, was die Polizei regelmäßig erklärt. - Dann wird dieses Geschäft zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft einerseits und dem Täter andererseits natürlich zustande kommen. Dann - da haben Sie Recht - gehen diejenigen ({3}) - nichts da! -, die das Geschäft verhandelt haben, vor den Richter - rein formal - und sagen mehr oder minder: Du bist der Notar, du bestätigst das nur noch. ({4}) Das wird in der Zukunft die Folge sein. So ist das auch bei § 31 Betäubungsmittelgesetz. Das ist die Praxis. Lieber Kollege Kauder, Sie kennen sie sehr genau. ({5}) Meine Damen und Herren, die neuen Strafvorschriften der §§ 89 a und 89 b StGB stellen jedwede Aufnahme von Beziehungen zu einer Gruppe unter Strafe, wenn dies einer zukünftigen Unterweisung in irgendwelchen, nicht näher bezeichneten Fertigkeiten dienen soll, die wiederum der möglichen zukünftigen, nach Ort und Zeit nicht bestimmten Ausführung einer schweren Straftat dienen sollen. Diese Vorschriften sind viel mehr als nur ein rechtsstaatlicher Kollateralschaden. Die Vorbereitung einer Vorbereitung einer Straftat unter Strafe zu stellen, ist Ausdruck einer Sicherheitsphobie, die keine Grenzen und keine Regeln kennt, sondern nur Erfolg haben will, und dies offensichtlich um jeden Preis. ({6}) Die Bundesjustizministerin hat dies reichlich euphemistisch „ein Gesetz auf Kante nähen“ genannt. Ihre Kollegin, Frau Zypries, die Justizsenatorin von der Aue, SPD, hat am 6. März 2009 dazu im Bundesrat erklärt: Die Straftatbestände sind unbestimmt, konturlos und kaum handhabbar. Die Gefahr, dass unbescholtene Bürger betroffen sein werden, bewegt sich in einem Größenbereich, der nicht vertretbar ist. Der Gesetzentwurf führt die Rechtspolitik auf einen Pfad, an dessen Ende die Gefahr besteht, dass Errungenschaften aufs Spiel gesetzt werden, die uns heute vor Willkür schützen. In Deutschland soll kein Mensch allein für seine Absichten bestraft werden. Das ist die Kritik Ihrer sozialdemokratischen Kollegin an Ihrem Gesetzentwurf, Frau Zypries. ({7}) Ganz bewusst, meine Damen und Herren, wende ich mich jetzt nicht nur an die Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten, sondern auch an die der CDU/CSU. Es gibt Menschen, die aus Habsucht oder aus Gier, aus Hass oder aus grenzenloser Verblendung schreckliche Straftaten vorhaben. Manche denken nur an sie; manche bereiten sich in Gedanken darauf vor, sie irgendwann in Zukunft zu begehen; manche üben sich sogar in Fertigkeiten, die sie in Zukunft vielleicht auch einzusetzen gedenken. All dem ist in einem Rechtsstaat mit den Mitteln des Strafrechts nicht zu begegnen. Strafrecht ist kein Gefahrenbekämpfungsrecht. Genauso, wie wir uns gegenseitig versichern, dass wir uns als Demokraten beim Schutz unserer parlamentarischen Demokratie nicht von Demokratiefeinden auseinandertreiben lassen wollen, rufe ich heute die Rechtspolitiker aller Fraktionen dazu auf, sich nicht von dem Ruf nach größtmöglicher angeblicher Sicherheit und von vermeintlichen neuen Sicherheitslücken in immer neue, fragwürdige Gesetze hineintreiben zu lassen. ({8}) Wir dürfen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafrechts eben nicht scheibchenweise einer trügerischen Sicherheit opfern. Vielmehr müssen wir das beherzigen, was uns allen der Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem am 14. März 2009 auf dem Kongress meiner Fraktion „60 Jahre Grundgesetz - Fundamente der Freiheit stärken“ mit auf den Weg gegeben hat, nämlich: Wir müssen wieder lernen, mit Risiken zu leben. Das, meine Damen und Herren, macht uns nicht wehrlos. Lassen wir uns das doch nicht einreden! Das macht uns gerade gegenüber Straftätern, die unsere freiheitliche, rechtsstaatliche, grundrechtsorientierte Ordnung im Visier haben, stark. Die heute zur Abstimmung stehenden neuen Straftatbestände lehnen wir Grünen ab. ({9}) Es gibt keine Debatte über Reformen des Rechts der Untersuchungshaft ohne den Hinweis, dass es ein großer Fehler war, das Recht der Untersuchungshaft und des Jugendstrafvollzugs in die Länderkompetenz zu geben, aber so ist es geschehen. Jetzt - das hat etwas Tragikomisches, kann man schon sagen - legt der Bund mit den Resten seiner Kompetenz einen Gesetzentwurf zum Untersuchungshaftrecht vor, nachdem er es über Jahrzehnte, als er die Kompetenz hatte, nicht geschafft hat, und zwar bei allen Konstellationen in diesem Haus, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Ich habe in der ersten Lesung dazu schon Grundsätzliches erklärt. ({10}) Darauf will ich Bezug nehmen und an dieser Stelle nur noch einmal sagen, was fehlt. Es fehlt eine feste Frist für das Ende der U-Haft: U-Haft darf in der Regel nur für sechs Monate, höchstens jedoch zwölf Monate verhängt werden. - Einem Gesetz mit einer solchen Regelung hätten wir zustimmen können. ({11}) Die Länder planen einen § 1 ihrer Gesetze zum Untersuchungshaftvollzug mit folgendem Wortlaut - ich hätte es gut gefunden, wenn Sie die Kraft gehabt hätten, eine solche Regelung auch in den hier vorliegenden Gesetzentwurf aufzunehmen -: Die Untersuchungshaftgefangenen gelten als unschuldig. Sie sind so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung einer Strafe festgehalten. Eine solche Regelung, in der die Unschuldsvermutung an erster Stelle genannt wird, wäre auch in Ihrem Gesetz begrüßenswert gewesen. ({12}) Die Pflichtverteidigerbestellung wird erheblich verbessert. ({13}) Aber ich will an dieser Stelle schon noch daran erinnern, dass die Kollegen Danckert und Kauder in der ersten Debatte wie die Löwen gebrüllt haben ({14}) und ausgeführt haben, Pflichtverteidigung ab der ersten Sekunde der vorläufigen Festnahme sei absolut unverzichtbar; aus Zeitgründen kann ich die Zitate nicht mehr vortragen. Es ist ein Fortschritt erzielt worden - wir haben eine bessere Regelung gefunden -, aber trotz Ihres Gebrülls in der ersten Lesung ist es nur ein ganz zaghafter Schritt. ({15}) Meine Redezeit geht zu Ende. Deswegen will ich zu dem Deal im Prozess nur so viel sagen: Ich halte die Kritik daran - heute auch in der Süddeutschen zu lesen für, um ein Wort von Ihnen, Herr Präsident, aufzunehmen, unmaßstäblich. Wir Grünen stimmen diesem Gesetzentwurf zu, und zwar ausdrücklich deswegen, weil darin rechtsstaatliche Regelungen im Bereich der Verständigung im Strafprozess festgeschrieben werden, und das ist richtig so. ({16}) Zuallerletzt zur Haftentschädigung. 11 Euro pro Tag für unschuldig verbüßte Haft, das war jämmerlich. Mit 25 Euro haben wir im europäischen Maßstab, Herr Goll, immer noch die rote Laterne; wir liegen damit an letzter Stelle. Es wird vielleicht nicht als große Notwendigkeit gesehen, die Entschädigung für unschuldig erlittenen Freiheitsentzug großzügig zu regeln, aber für eine gute Rechtspolitik wäre es doch wichtig gewesen. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Danckert ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Montag, der Herrn Kauder und mir vorwirft, gebrüllt zu haben, ({0}) hätte sich etwas sorgfältiger mit der Materie beschäftigen müssen. Hätte er das getan, wäre er zu diesem Hinweis gar nicht erst gekommen. Wir sind in einer seltsamen Mischung aus Generaldebatte und Befassung mit den konkreten Gesetzentwürfen. Mein Fazit der letzten vier Jahre lautet: Wir haben hier eine wirklich hervorragende Rechtspolitik gemacht. ({1}) Das lag nicht nur, wie der Kollege Gehb gesagt hat, an den menschlichen Beziehungen - sie sind die Grundlage dafür -; wir haben auch um die jeweils beste Lösung gerungen. ({2}) Das war nicht immer ganz einfach, aber wir haben gute Lösungen gefunden. Ich bedanke mich daher beim Justizministerium und bei der großen Zahl von Mitarbeitern, die uns im Gesetzgebungsverfahren begleitet haben. Ich will Ihnen, Herr van Essen, obwohl meine Redezeit knapp ist, sagen: Sie haben mich in zwei Punkten wirklich maßlos enttäuscht. Zum einen hat mich Ihr Vorschlag enttäuscht, wie mit Wiederaufnahmetatbeständen umgegangen werden soll. Ich habe in meiner Arbeitsgruppe zu denen gehört, die gefordert haben, zu überlegen, wie wir Wiederaufnahmetatbestände neu fassen können - auch wegen des genannten Falles. Aber was Sie uns hier geboten haben, als Sie hier vom Pult gefordert haben, gewissermaßen als Oberrichter unter Verzicht auf die Unschuldsvermutung, die ja in Ihrer Argumentation sonst immer eine große Rolle spielt, festzulegen, wer schuldig ist, war schon ziemlich starker Tobak. ({3}) Sie sollten sich einmal überlegen, ob es richtig ist, sich in dieser Frage sozusagen zum Oberrichter aufzuschwingen. ({4}) Der DNA-Test ist - das wissen Sie - nach der Rechtsprechung ein Element in einer langen Kette von Beweiselementen und nicht das allein ausschlaggebende. Man kann nicht aufgrund dieses einen Elements sagen, dass jemand schuldig ist. ({5}) Wenn ich jemals einen Grund gehabt hätte, meine Meinung in dieser Frage zu ändern, wäre Ihr Beitrag der Anlass dazu gewesen. So viel dazu. Zum Zweiten hat mich enttäuscht, dass Sie hier gesagt haben, das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Straftaten sei falsch; stattdessen solle man besser die Zahl der Mitarbeiter beim Bundesnachrichtendienst und auch den anderen Diensten aufstocken. Diese Argumentation halte ich für absurd. Dann könnte man ja genauso gut fordern, alle Straftatbestände abzuschaffen und das Heer der Polizisten zu erweitern. ({6}) - Ja, ich weiß, ich kann es besser. Aber Ihr Argument war an dieser Stelle ganz besonders schlecht. Deshalb war diese Replik nötig. ({7}) Zu dem Gesetz zur Kronzeugenregelung will ich nur Folgendes sagen: Wenn wir uns etwas eingehender mit dieser Materie beschäftigen, finden wir im Kontext unseres Strafgesetzbuches viele Fälle, bei denen zum Beispiel aus Gründen der Opportunität auf die Verfolgung schwerster Straftaten verzichtet wird bzw. es gar nicht erst zu einer Verhandlung kommt. ({8}) - Ja, schauen Sie sich doch die Straftatbestände an. Vielleicht wissen Sie es aber auch nicht, weil Sie sich nicht gründlich genug mit dieser Frage beschäftigt haben. Das, was wir hier machen, also die Legalisierung von bestimmten Regelungen, die sinnvoll und gut sind, ist demzufolge der richtige Weg. Wenn Sie hier den Eindruck vermitteln, es käme nun dazu, dass alles schon im Vorfeld zwischen Angeklagten und Staatsanwalt ausgedealt würde, ({9}) dann verschweigen Sie der Öffentlichkeit ein entscheidendes Element, nämlich dass es einer Entscheidung des Gerichts bedarf. Wenn das Gericht dem Deal nicht zustimmt, dann funktioniert all das, was vorher besprochen worden ist, eben nicht. Was Sie hier an dieser Stelle gemacht haben, ist wirklich bösartig. ({10}) Ich akzeptiere ja, dass man in einer solchen Frage anderer Meinung sein kann. Ich kann aber nicht akzeptieren, wenn scheinheilig ({11}) argumentiert wird, indem das Gericht, das letztendlich das Urteil spricht, sozusagen beiseitegeschoben und behauptet wird - auch das ist eine seltsame Auffassung von Rechtsstaatlichkeit -, der Richter sei nur noch Notar. ({12}) Das ist wirklich - da kann ich mich dem Zwischenruf von Herrn Gehb nur anschließen - unglaublich. Jetzt zu den Themen, die mich in besonderer Weise beschäftigt haben. Wir haben hier, wie ich finde, etwas erreicht, was mir am Anfang nicht sinnvoll zu sein schien. Ich war kein Befürworter der Verständigung im Strafverfahren, einfach deswegen, um es kurz und knapp zu sagen, weil dabei die Kunst der Strafverteidigung verloren geht. Die Kolleginnen und Kollegen überlegen dann nur noch, wie sie so rasch wie möglich dealen können, ohne überhaupt die Vorbedingung hierfür erfüllt zu haben, nämlich ein gründliches Aktenstudium. ({13}) Das ist sozusagen die Ausgangssituation. Wir haben aber einen Auftrag mit auf den Weg bekommen, der - 24560

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Danckert, dass Sie geneigt sind, eine Zwischenfrage des Kollegen Montag zu beantworten.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich darüber.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Herr Kollege Danckert, Sie haben das Hohelied auf Ihre Kronzeugenregelung gesungen. Beim Thema „Deal“ erklären Sie nun, dass Sie bisher dagegen gewesen seien, weil, wenn der Deal eingeführt würde, jeder Verteidiger, statt im Rahmen des kontradiktorischen Strafprozesses für seinen Mandaten zu kämpfen, als Erstes daran denken würde, wie man zu einer gütlichen oder besseren Einigung kommen könnte. Ich frage Sie: Trifft diese Argumentation nicht in einem noch stärkeren Maße auf die Kronzeugenregelung zu, die Sie ins Gesetz schreiben wollen? Das bedeutet doch, dass jeder Verteidiger beim ersten Kontakt mit einem Beschuldigten sagen wird: Lassen wir einmal den eigentlichen Tatvorwurf beiseite. Es interessiert nicht, was du gemacht haben sollst. Das Erste, was ich von dir wissen muss, ist: Weißt du irgendetwas über einen anderen? Wenn das der Fall ist, dann kann ich zur Polizei und Staatsanwaltschaft gehen und in einen Deal der Kronzeugenregelung einsteigen. - Das wird die Folge Ihres Kronzeugenparagrafen sein und genau das bestätigen, was Sie beim Thema „Deal“ als Befürchtung geäußert haben. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

War das eine Frage oder eine Feststellung? Die Kronzeugenregelung ist ein rechtstaatliches Verfahren. Am Ende entscheidet das Gericht, und zwar nicht als Notar im Sinne einer Beurkundung einer wie auch immer gearteten Absprache. Das ist die eine Seite. Die Verständigung im Strafverfahren gibt es in der Gerichtspraxis seit 15 bis 20 Jahren. Ich habe mich zwar immer dagegen ausgesprochen, aber am Gesetzgebungsverfahren, das im Übrigen ausgezeichnet war, teilgenommen. Dabei habe ich sozusagen Schritt für Schritt - auch wegen meiner Bedenken am Gesetzgebungsverfahren - entscheidende Hinweise gegeben und entscheidende Veränderungen bewirkt, sodass ich letztendlich diesem Gesetz zustimmen kann und werde. Ich halte es für richtig. Der Große Senat hat uns in seinem Beschluss vom März 2005 einen Auftrag gegeben. Wir haben, nachdem viele Versuche vorher gescheitert sind, den Antrag angenommen und eine, wie ich finde, vernünftige und handhabbare Regelung getroffen. Es ist vor allen Dingen eine Regelung - die Bundesjustizministerin hat darauf hingewiesen -, die die Absprache bzw. den Deal ins Licht der Öffentlichkeit rückt, in die Hauptverhandlung bringt und nicht auf den Fluren des Gerichts verbleiben lässt. ({0}) - Das ist Pech! Sie haben ja auch gar keine Frage gestellt, sondern eine Feststellung getroffen, durch die ich eine kleine Verlängerung meiner Redezeit gewonnen habe. ({1}) Die Verständigung im Strafverfahren ist okay. Sie haben am Ende Ihrer Rede beanstandet, dass es nicht gelungen ist, eine große Reform im Untersuchungshaftrecht auf den Weg zu bringen. Herr Kollege Kauder und ich haben sie angestoßen, weil es einen Grund gab, bestimmte Gedanken einzubringen. Eine große Reform, wie sie Ihnen vorschwebt - und die man sich durchaus vorstellen kann -, wäre in dieser Legislaturperiode nicht fertig geworden. Mir, als ehemaligem Strafverteidiger, und auch Ihnen müsste es eigentlich wichtig sein, dass wir ein fast historisches Ergebnis erzielt haben, indem wir dem in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten sofort die Hinzuziehung eines Pflichtverteidigers ermöglichen. Das hat es in den letzten 100 Jahren nicht gegeben. Die Anwälte haben immer darum gekämpft. Nun haben wir es erreicht. Es ist daher eine seltsame Geschichte, dass die Opposition nun anfängt zu mäkeln und sagt, dass sie an dieser oder jener Stelle noch Veränderungen haben will, anstatt das Ergebnis zu würdigen. Aber das ist Ihr gutes Recht als Opposition. Etwas anderes ist in diesem Zusammenhang auch noch wichtig: Die Rechtsprechung hat uns zur Akteneinsicht gemäß § 147 StPO gewisse Hinweise gegeben. Wir haben hier eine Verbesserung erreicht, indem wir ins Gesetz geschrieben haben, dass derjenige, der sich in Untersuchungshaft befindet, Akteneinsicht - in der Regel über seinen Anwalt - bekommen kann. Das heißt, im neuen Gesetz gibt es in dieser Hinsicht Verbesserungen. Bisher gab es nur den Anspruch auf Informationen, die für den Haftbefehl Voraussetzung waren. Jetzt erhält der Anwalt die Möglichkeit, durch Akteneinsicht - die die Regel sein wird - die Dinge herauszuarbeiten, die möglicherweise zu einer Aufhebung des Haftbefehls führen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Danckert.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist ein großer Fortschritt. Deshalb kann man diesem Gesetz mit gutem Gewissen zustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Siegfried Kauder, CDU/ CSU-Fraktion.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Menschen verbinden Politik auch mit Köpfen. Wenn es um die innere Sicherheit geht, ist der Kollege Montag eher nicht der Kopf, an den man denkt, und die Kollegin Jelpke schon gar nicht. ({0}) Wenn von innerer Sicherheit gesprochen wird, denkt man an Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble, ({1}) der für Sicherheit in diesem Land steht: Ohne ihn gäbe es kein BKA-Gesetz, ohne ihn gäbe es keine Onlinedurchsuchung, ohne ihn gäbe es keine Vorratsdatenspeicherung. ({2}) - An der Reaktion hier im Saal sieht man, dass man leicht die Spreu vom Weizen trennen kann. ({3}) Die CDU bzw. CSU ist die Partei der inneren Sicherheit. ({4}) Innere Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Es geht nicht um Freiheit oder Sicherheit, ({5}) sondern um Freiheit in Sicherheit. Freiheit und Sicherheit bedingen sich wechselseitig. ({6}) Wir werden die Sicherheitsstruktur in Deutschland verbessern, indem wir zwei Gesetzgebungsvorhaben umsetzen. Eine Kronzeugenregelung gab es schon einmal; im Jahr 1999 lief sie aus. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von der SPD, ich habe Verständnis dafür, dass Sie sich in der rot-grünen Koalition in der Rechtspolitik mit den Grünen etwas schwertaten. ({7}) Die Grünen wollten nicht, dass die Kronzeugenregelung fortgesetzt wird, weil es nahezu keine Anwendungsfälle gegeben habe. ({8}) Warum hat es keine Anwendungsfälle gegeben? Weil die Kronzeugenregelung an § 73 d StGB - Erweiterter Verfall - andockte und damit viel zu engmaschig gestrickt war. Wenn Sie die Praktiker gefragt hätten, hätten die Ihnen erklärt: Wir brauchen die Kronzeugenregelung, man muss sie ausweiten. ({9}) Ich empfehle, in der Zeitschrift für Rechtspolitik aus dem Jahr 2000, Seite 121, den Aufsatz von Pfeiffer zu lesen. Dann sehen Sie, dass Sie damals die falsche Entscheidung getroffen haben. Dies korrigieren wir heute in zweiter und dritter Lesung. Die Kronzeugenregelung ist nichts Ungewöhnliches. Eine Kronzeugenregelung gibt es zum Beispiel in § 31 des Betäubungsmittelgesetzes. Lieber Kollege Montag, den Fall, den Sie geschildert haben, dass ein Polizeibeamter einem Inhaftierten zusagt: Wenn du Angaben machst, wirst du eine mildere Strafe bekommen, mag es in der Praxis geben; ({10}) aber das wäre eine unzulässige Vernehmungsmethode und nicht verwertbar. Sie erzählen Humbug aus der Kiste eines Strafverteidigers. Das sind Extremfälle, die es so nicht gibt. ({11}) Die Kronzeugenregelung ist etwas Sinnvolles. Sie sollten § 46 b Abs. 2 unseres Gesetzentwurfes lesen! Dann werden Sie schnell feststellen, dass auch bei Strafmilderung die schuldangemessene Strafe nicht unterschritten werden darf. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein Nachtatverhalten bei der Strafhöhe berücksichtigt wird; das ergibt sich schon aus § 46 StGB, Grundsätze der Strafzumessung. ({12}) - Genau, Herr Kollege Ströbele: Bei Mördern greift § 46 StGB nicht, weil auf Mord lebenslange Freiheitsstrafe steht. Genau deswegen brauchen wir den vorgeschlagenen § 46 b StGB. Denn auch in diesem Bereich ist Aufklärung notwendig. Sie sind da auf dem Holzweg. ({13}) Siegfried Kauder ({14}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wie hat die Kollegin Jelpke, die, weil sie Nichtjuristin ist, mit den Straftatbeständen ein bisschen Probleme hat, ({15}) die Vorschriften zur Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen staatsgefährdender Gewaltdelikte gegeißelt! Ist es denn etwas Ungewöhnliches, dass im Strafgesetzbuch Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt werden? Wie ist es denn in § 30 des Strafgesetzbuches? Dort wird eine Vorbereitungshandlung, die zu einem Verbrechen führt, ganz bewusst unter Strafe gestellt. Denn wir wollen dieses Verbrechen verhindern. ({16}) - Herr Kollege Montag, Sie sollten sich nicht dümmer stellen, als es geboten ist. ({17}) Sie wissen sehr wohl, warum § 30 StGB bei terroristischen Vorbereitungshandlungen nicht greift: weil wir zwei Täter und einen konkreten Tatplan, den wir bei der Aufklärung terroristischer Straftaten noch nicht kennen, brauchen. Das sind doch olle Kamellen; das wissen wir Rechtspolitiker doch seit langem. ({18}) Deswegen brauchen wir die Strafvorschriften, wie sie in § 89 a und § 89 b StGB zukünftig vorgesehen sind. ({19}) Wer in ein Terrorcamp reist, um sich dort ausbilden zu lassen, dem wollen wir bewusst eine Strafe androhen. Herr Kollege Wieland, Strafrecht kann auch - wir haben schon darüber diskutiert - präventiv wirken. Es ist eine verfahrensrechtliche Bezugsnorm, die es in der Tat ermöglicht, ({20}) schon in der Vorbereitungsphase Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchzuführen, damit wir einen terroristischen Anschlag verhindern können, rechtzeitig den Fuß in der Tür haben ({21}) und Ermittlungsansätze gewinnen, um gegen diese Täter vorzugehen. ({22}) Wir bauen aber nicht nur an einer Sicherheitsarchitektur; wir verbessern auch die Voraussetzungen in einem Strafverfahren. Ich bin dem Kollegen van Essen dankbar, dass er den Opferschutz erwähnt hat. Ein Gesetzgebungsvorhaben ist noch nicht umgesetzt: das zweite Opferrechtsreformgesetz. Ich würde mich freuen, wenn wir dies mit vereinter Kraft noch in dieser Legislaturperiode schaffen würden. ({23}) Man darf aber keinen Tunnelblick haben - ich gehe davon aus, dass Sie mir einen solchen auch nicht unterstellen -: Ein Rechtsstaat darf sich nicht nur um die Opfer von Straftaten kümmern; auch die Beschuldigten müssen Rechte haben. Herr Kollege van Essen, ich bin mir dessen bewusst, dass wir, wenn wir über den Opferschutz reden, auch immer prüfen müssen, ob wir mit opferschützenden Vorschriften die Rechte eines Beschuldigten, für den die Unschuldsvermutung gilt, nicht allzu sehr einschränken. Kollege Montag, was war denn unter Rot-Grün? Die Idee, frühzeitig einen Pflichtverteidiger zu bestellen, hätte doch gerade Ihnen kommen können. Sie kam aber offensichtlich nicht. ({24}) - Haben Sie sich nicht durchsetzen können? - Wir jedenfalls werden dies in dieser Legislaturperiode umsetzen. ({25}) Die Rechte des Beschuldigten werden verbessert, indem wir frühzeitig eine Pflichtverteidigerbestellung zulassen. Herr Kollege Danckert und ich durften uns dieses Themas annehmen. Ich bin außerordentlich dankbar dafür, dass wir damit Erfolg hatten. Es ist richtig, was vorgetragen worden ist: Die Bedenken der Länder sind unberechtigt. Die frühzeitige Pflichtverteidigerbestellung führt nach Modellversuchen zu einer deutlichen Verkürzung der Dauer der Untersuchungshaft und somit zu Einsparungen in den Länderhaushalten. ({26}) - Ja, Kollege Ströbele, dies führt auch zu mehr Gerechtigkeit. Auch diese Idee hätte Ihnen unter Rot-Grün kommen können. ({27}) Nun hat Kollege Montag moniert, dass die Haftentschädigung schon immer zu gering gewesen sei. Lesen Sie einmal in den Annalen nach, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, die Haftentschädigung anzuheben. Siegfried Kauder ({28}) Vielleicht stoßen Sie da auf einen bestimmten Namen. Man kann natürlich weiter meckern und sagen, 25 Euro pro Tag seien für eine zu Unrecht verbüßte Haft zu wenig. Folgendes muss man erst einmal klarstellen: Hier geht es um einen sogenannten immateriellen Schaden. Die Justizministerin hat recht: Wenn es um einen immateriellen Schaden, also nicht um einen Vermögensschaden, geht, ist jeder gleichwertig. Da kann es nicht sein, dass jemand eine höhere und ein anderer eine geringere Entschädigung bekommt. Das ist beim materiellen Schaden so, aber nicht beim immateriellen Schaden. ({29}) Deswegen bin ich den Ländern, deren Haushalte knapp bemessen sind, dankbar, dass sie sich dafür verwendet haben, die Haftentschädigung auf 25 Euro pro Tag anzuheben. Zum Abschluss ein Wort - nicht zum Deal, Herr Kollege Montag - zur Verfahrensabsprache im Strafprozess. ({30}) Auch hier bin ich Innenminister Wolfgang Schäuble außerordentlich dankbar, dass er ein Problem angesprochen hat, das wir ebenfalls gelöst haben - gerade Sie, Herr Kollege Montag, der Sie das Beispiel angeführt haben, was alles bei Gericht verhandelt wird, wären der Richtige gewesen, auf dieses Problem aufmerksam zu machen -: nämlich die Frage, wer kontrolliert, dass bei der Verfahrensabsprache die Spielregeln eingehalten worden sind. In der Sachverständigenanhörung zu diesem Thema hat ein Sachverständiger ein nicht gerade gutes Bild von der Justiz gezeichnet. Er sagte, es würden zu viele Deals durchgeführt, was unzulässig sei. Wir brauchen also eine Kontrollinstanz. Eine solche haben wir dadurch eingeführt, dass dann, wenn die Verfahrensabsprache erfolgreich gewesen ist, nicht auf Rechtsmittel verzichtet werden kann, sodass die Staatsanwaltschaft und - Herr Kollege van Essen, das hat vielleicht keiner gemerkt - auch der Nebenkläger Rechtsmittel einlegen können und die Frage, ob die Verfahrensabsprache ordnungsgemäß zustande gekommen ist, prüfen lassen können. Sie sehen also: Wir machen eine Rechtspolitik mit Augenmaß und Vernunft. Wir verbessern die Sicherheitsarchitektur Deutschlands und achten gleichzeitig darauf, dass Strafverfahren rechtsstaatlich sind und bleiben. Ich bedauere es sehr, dass aus diesem Haus die Botschaft nach außen dringt, es gebe Strafverfahren, die diesen Regeln nicht entsprechen würden. ({31})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wolfgang Nešković ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

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, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in insgesamt 90 Minuten über elf Vorlagen. In 90 Minuten kann man über eine solche Fülle parlamentarischer Initiativen, die zudem - der Kollege Montag hat es gesagt - fundamentale Veränderungen unseres Strafsystems vornehmen, nicht verantwortungsvoll beraten. Das ist keine parlamentarische Debatte. Das ist eine Alibiveranstaltung für das Protokoll. Die Menschen in diesem Land haben einen Anspruch darauf, dass sich die Abgeordneten ausreichend Zeit nehmen, um schwierige Probleme in angemessener Zeit hier im Plenum zu debattieren. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Nešković, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen? Sie sollten bei der jetzt zuhörenden Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken, die Beratung hätte heute Morgen erst begonnen und würde heute aufhören. Hier wird eine Beratung, die vorher stattgefunden hat, zum Abschluss gebracht. ({0}) Kritik ist natürlich zulässig, aber es sollte nicht der falsche Eindruck entstehen, dass hier in 90 Minuten fünf Gesetzgebungsvorhaben abschließend beraten würden. ({1})

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, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Lammert, ich habe Ihren Einwand erwartet und daher antizipierend gesagt: in angemessener Zeit öffentlich im Parlament zu debattieren. Ich habe nur die öffentliche Debatte gemeint, die Ausweis unserer Arbeit ist und in der wir der Öffentlichkeit zeigen, wie wir mit diesen elf Vorlagen umgehen. Das habe ich zum Gegenstand meiner Kritik gemacht. Dazu fühle ich mich berechtigt. ({0}) Ich werde mich deswegen in meinen Ausführungen nur auf die Kronzeugenregelung und den Deal im Strafverfahren beschränken müssen. Diese Entwürfe sind falsche Antworten auf eine wichtige Frage. Die wichtige Frage lautet: Wie kann es endlich gelingen, die deutsche Strafjustiz von ihrer Überlastung zu befreien? Die Linke gibt Ihnen eine Antwort darauf, die von den allermeisten Sachverständigen und den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, den Richterinnen und Richtern im Lande, geteilt wird: Einer überlasteten Justiz müssen Sie die personellen und sachlichen Mittel an die Hand geben, die es ihr ermöglichen, ihre verantwortungsvollen Aufgaben in ausreichender Zeit zu erfüllen. In unserem Land haben zu wenig Richter zu wenig Zeit, um zu viel Arbeit zu erledigen. ({1}) Denn es gilt weiterhin: Die Mutter der Wahrheit und der Gerechtigkeit ist die Zeit. Richter brauchen ausreichend Zeit für ihre Arbeit. Das ist die Antwort, die wir für richtig halten. Die Entwürfe zur Kronzeugenregelung und zum Deal geben eine ganz andere Antwort. Sie lautet: Wir geben der klammen Justiz keinen zusätzlichen Cent für ihre verantwortungsvolle Arbeit, sondern wir entlasten die Justiz, indem wir richtige und wichtige Kernprinzipien des Strafrechts preisgeben, weil ihre Beibehaltung zu viel Zeit kosten würde. Dieser falschen Antwort werden Sie nachher Ihre Stimme geben. Sie werden am Ende dieser, wie ich finde, Nichtdebatte Ja sagen zur neuen Kronzeugenregelung. Nach dieser Regelung kann - ich sage: kann - einem Straftäter die Strafe erlassen oder gemildert werden, nur weil er Aufklärungshilfe bei einer ganz anderen Straftat geleistet hat. ({2}) In der Konsequenz kann das dazu führen, dass ein Vergewaltiger künftig deswegen straffrei ausgehen kann oder eine wesentlich mildere Strafe erhält, nur weil er dazu beiträgt, dass Straftaten wie zum Beispiel Geldfälschung, Geldwäsche oder Computerbetrug aufgeklärt werden. ({3}) Dadurch werden Täter bevorzugt, die im kriminellen Milieu tief verstrickt sind und daher Kenntnis von anderen Straftaten haben. Opfer von Straftaten werden entsetzt feststellen, dass man Täter laufen lässt oder milder bestraft, nur weil sie sich für das Gericht in anderer Sache nützlich gemacht haben. Solche Belohnungen für kriminelle Verstrickungen werden Sie den Wählerinnen und Wählern nicht erklären können. Sie werden diesen unwürdigen Handel mit der Gerechtigkeit dennoch in wenigen Minuten hier beschließen. Sie werden ohne Zweifel auch Ja sagen zum Deal im Strafverfahren, und Sie werden damit die Zweiklassenjustiz legalisieren. ({4}) Deals kommen überproportional häufig in komplizierten Wirtschaftsfällen vor. Hier wird die Überlastung der klammen Justiz besonders deutlich. Den Gerichten fehlen die Mittel und das Personal, um trickreich verschleierte Vermögenslagen aufzuklären und komplizierte Geldflüsse nachzuvollziehen. Sie sehen sich dabei Angeklagten gegenüber, die über bestens bezahlte und bestens ausgebildete Anwälte verfügen, die dem Gericht mit langwieriger und anstrengender Konfliktverteidigung drohen. Anstatt nun aber den Gerichten finanziell unter die Arme zu greifen, verführen Sie die Richterinnen und Richter, mit den Angeklagten Handel zu treiben. Der Angeklagte gesteht, sodass sich die Richter die Mühseligkeit einer langen und konfliktreichen Verhandlung ersparen können. ({5}) Als Gegenleistung einigt man sich mit dem Angeklagten auf eine Strafe, die dieser für angemessen hält. Ich wiederhole: Das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch. ({6}) Wer Banken mit einer Feuerwaffe ausraubt und ohne großen Aufwand überführt werden kann, den trifft die volle Härte des Gesetzes. Wenn der Chef derselben Bank aber mit dem Computer trickreich und damit kompliziert seine Kunden betrügt, wird das Gericht künftig mit dem Herrn beraten, welche Strafe ihm denn genehm wäre. ({7}) Wohin dieser Weg führt, den Sie jetzt beschließen wollen, können Sie einer Onlinedarstellung eines bekannten Strafverteidigers aus Essen entnehmen, der so für sich und um seine Mandanten wirbt. Ich zitiere aus diesem Werbeschreiben eines Strafverteidigers. Darin heißt es: Sie haben einen Prozess vor dem Amtsgericht, Schöffengericht oder Landgericht. Dann werden Sie erleben, dass ich schon vor der Hauptverhandlung einen Deal mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht abstimmen kann. Dieser Deal dient einem optimalen Ergebnis für Ihr Verfahren. Bedenken Sie, dass Richter und Verteidiger die gleiche Sprache sprechen und sich häufig aus anderen Verfahren kennen. Dieses Vertrauensverhältnis führt dazu, dass eine gute Gesprächsbasis für Ihren Prozess geschaffen wird. ({8}) - Ich karikiere nicht. Das ist wörtlich im Internet nachzulesen. Strafprozesse werden heute oft außerhalb vom Gerichtssaal geklärt. Absprachen gehören zum Alltag. Der Grund hierfür ist recht simpel zu erklären. Die Staatsanwaltschaften sind dermaßen überlastet, dass sie froh sind, wenn ihnen ein Verteidiger ein vernünftiges Angebot macht. Sie können damit diese Akte schließen und sich der nächsten widmen. So einfach kann das sein. Der Strafprozess wird zum Geben und Nehmen. Das Gleiche gilt für die Hauptverhandlung: Richter wollen ein schnelles Verfahren. Ein geständiger Angeklagter ist die Voraussetzung für eine schnelle Verfahrensbeendigung. Im Gegenzug muss das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft aber auch etwas in die Waagschale legen. ({9}) Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković Dies erfolgt meist in der Form, dass ein mildes Urteil in Aussicht gestellt wird. … Manchmal kann der Angeklagte ein Schnäppchen machen. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Dr. Matthias Miersch ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg eine allgemeine Bemerkung: Herr Kollege Kauder, Sie haben den Minister Schäuble hier als Garanten für die innere Sicherheit dargestellt. ({0}) Ich nehme für die SPD-Fraktion und vor allen Dingen für unsere Justizministerin in Anspruch, dass wir die Kraft sind, die in dieser Großen Koalition innere Sicherheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit miteinander verbinden will. ({1}) Ich glaube, man muss an mehreren Stellen doch ein bisschen auf die Praxis verweisen. Meines Erachtens ist es eine Stärke des Rechtsausschusses - ich bin erst seit dieser Legislaturperiode Mitglied des Rechtsausschusses -, ({2}) dass ihm tatsächlich viele Praktiker angehören, nämlich Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte. Insofern wundert es mich schon, Herr Kollege Montag - vielleicht machen wir einmal eine Strafverteidigung zusammen -, ({3}) dass Sie ein so schlechtes Bild von unserer Berufszunft haben. Wenn Sie glauben, angesichts der Kronzeugenregelung würde die erste Mandantenberatung mit der Frage beginnen, ob der Mandant uns ein anderes Verfahren offenbart, dann haben Sie sich, glaube ich, relativ weit von der aktiven Verteidigung entfernt. ({4}) Ich glaube, dass es zu vernünftigen Regelungen und zu einer größeren Transparenz kommt. Im Übrigen, Herr Kollege Nešković, Sie haben zum Thema Deal eine Internetseite eines Anwalts zitiert. Ja, das, was einer der Berufskollegen dort macht, ist zu kritisieren. Aber man muss doch sagen: Gerade das, was Sie hier zitiert haben, muss Anlass dafür sein, eine solche Regelung des Deals klar und transparent ins Gesetz zu schreiben. ({5}) Ich weiß es; denn ich nehme regelmäßig an Strafverteidigertagen teil. Ich verfolge die Reden sehr aufmerksam. Aber machen wir uns nichts vor: All das, was an der Regelung zur Verständigung kritisiert wird, ist alltägliche Gerichtspraxis. ({6}) Es ist auch nicht von Nachteil, weil jeder der Beteiligten, die im Übrigen zustimmen müssen, sehr genau abwägen kann, ob das, worüber man sich verständigen soll, ein adäquates, ein angemessenes Ergebnis ist. Insofern finde ich es völlig falsch und denke, es geht an der Praxis vorbei, wenn man hier Unrechtmäßigkeit etc. unterstellt. Das Gegenteil ist der Fall. Durch diese Regelung werden Sicherheit und Transparenz geschaffen. ({7}) Mir war es ganz wichtig, dass vor allen Dingen die Verbindung mit dem Rechtsmittelverzicht aufgelöst und nicht Gegenstand der Regelung ist, weil dadurch ein Druckmittel vorhanden wäre, das unter Umständen tatsächlich zu kritisieren gewesen wäre. Insofern, glaube ich, ist das eine sehr gute Regelung. Eine andere Frage, die heute mehrfach angesprochen wurde, stößt auf die Kritik der Bundesländer. Es geht darum - aus meiner Sicht ist dies ein Meilenschritt -, jemandem in Untersuchungshaft schnell einen Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Ich habe ein Schreiben des niedersächsischen Justizministers erhalten. Er schreibt, dass es keine Begründung dafür gibt. Er befürchtet eine hohe monetäre Belastung der Länder. Ich war als Strafverteidiger an einem Projekt in Göttingen beteiligt und kenne die Ergebnisse einer Studie in Hessen, die über drei Jahre untersucht hat, was die frühzeitige Beiordnung eines Verteidigers bedeutet. Ich rate jedem, vor allen Dingen den Länderministern, sich diese Studien sehr genau anzusehen. Die Untersuchungshaft verkürzt sich dadurch um durchschnittlich bis zu 60 Tage. Wenn man bedenkt, dass den Ländern pro Hafttag 100 Euro aufgebürdet werden, ist jeder Tag, der vermieden wird, ein Pluspunkt. Es ist auch ein Pluspunkt für mehr Rechtsstaatlichkeit, weil es um den gravierendsten Eingriff geht, den unser Rechtssystem vorsieht. Die frühzeitige Beiordnung eines Verteidigers ermöglicht es, in kürzester Zeit beispielsweise das familiäre Umfeld zu ergründen, Therapieeinrichtungen zu kontaktieren, das Strafverfahren Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković und einen Haftprüfungstermin richtig und ordnungsgemäß vorzubereiten. Das heißt, die frühzeitige Beiordnung führt auch zur Verfahrensverkürzung. Insofern gibt es nicht nur ein monetäres Argument, sondern auch ein gewichtiges rechtsstaatliches Argument, das diesen Meilenschritt heute rechtfertigt. ({8}) Ein anderes Thema, das die Länder genauso betrifft, ist die Entschädigung der Opfer von Strafverfolgungsmaßnahmen. In der Debatte darüber herrschte 20 Jahre lang Ebbe. Der Kollege Kauder und die Bundesjustizministerin haben die Länder aufgefordert bzw. gebeten, dazu Vorschläge zu machen. Ich glaube, es ist ein Schritt, ({9}) dass wir es nach 20 Jahren schaffen, die Entschädigung auf das Doppelte anzuheben. Aber ich habe auch großes Verständnis für all diejenigen, die sagen, dass wir weiter daran basteln müssen. ({10}) Der niedersächsische Justizminister hat auch dazu einen Brief geschrieben. Er schreibt, es sei abstrus, an Forderungen in Höhe von 100 Euro zu denken, unabhängig davon, dass eine Angemessenheit wahrscheinlich nie erreicht wird. Das, was mit einer Inhaftierung verbunden ist, können sich sicherlich nur diejenigen richtig vorstellen, die einmal in dieser Situation gewesen sind. ({11}) Ich finde es vernünftig, ins europäische Ausland zu schauen und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Rate zu ziehen. Ich habe bei mir im Wahlkreis eine Gruppe, eine Initiative, die sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt und auch die Fälle des europäischen Auslands untersucht hat. Ich denke, wir sollten die Vorschläge aus Berlin, die der Grünen und die der FDP nicht einfach zu den Akten legen. ({12}) Es macht Sinn, heute den vorliegenden Gesetzentwurf als ersten Schritt zu verabschieden; denn er ist die Voraussetzung, um überhaupt voranzukommen. Wir sollten aber auch überlegen, ob man eventuell auch andere Bemessungskriterien anwendet, vom Strafvorwurf bis zur Dauer der Inhaftierung. Ich lade Sie ein, in der nächsten Legislaturperiode, in der wir hoffentlich wieder im Rechtsausschuss Politik machen können, diese Frage gemeinsam mit uns anzugehen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Norbert Geis ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zweifellos ist in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode auf dem Gebiet der Rechtspolitik sehr viel geleistet worden. An dieser Stelle ist ein Dank angebracht: an die Bundesjustizministerin, an die Beamten im Bundesjustizministerium, vor allem aber an die Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss. Hier ist viel Arbeit geleistet worden; das muss man auch einmal vor der Öffentlichkeit kundtun. Dafür herzlichen Dank! ({0}) - Auch die Opposition hätte an dieser Stelle ruhig klatschen können. ({1}) - Danke schön. Ich möchte zu vier Punkten Stellung nehmen: zur Kronzeugenregelung, zum Deal, zum Thema Terrorcamps und zur Untersuchungshaft. ({2}) - Das werde ich morgen tun, Herr Kollege. Ich bitte Sie aber schon jetzt, sich die Ohren zu putzen. ({3}) Lassen Sie mich jetzt ein wichtiges Thema ansprechen. Die Kronzeugenregelung - das haben wir heute Morgen schon gehört - ist im Jahre 1999 ausgelaufen. Das war ein Fehler. Hier bin ich anderer Auffassung als Sie, Herr Montag, und als Sie, Herrn van Essen, auch wenn ich Ihre Meinung sehr schätze, weil Sie einige sehr wichtige Argumente angeführt haben. ({4}) Ich bin der Auffassung, dass die Kronzeugenregelung einen wesentlichen Beitrag zum Schutz unserer Rechtsordnung und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger leisten kann. ({5}) Lassen Sie mich kurz auf die Gründe zu sprechen kommen. Welche Aufgaben hat das Strafrecht? Die wichtigste Aufgabe des Strafrechts ist, die Rechtsordnung zu schützen und den Leuten klarzumachen: Wer gegen ein Gesetz verstößt, der muss mit Strafe rechnen. - Es hat also, wie wir alle wissen, auch eine präventive Bedeutung. ({6}) Wenn es angesichts der Beweislage aber unmöglich ist, ein Verbrechen aufzudecken und die Täter vor Gericht zu bringen, damit sie abgeurteilt werden, dann verliert das Strafrecht an Kraft. Dem wollen wir mit der Kronzeugenregelung entgegenwirken. Wir alle wissen, in welchen Fällen die Kronzeugenregelung in der Regel greift, nämlich bei Wirtschaftsverbrechen, in Fällen der organisierten Kriminalität und im Zusammenhang mit Terrorvereinigungen. Solche Terrorvereinigungen kapseln sich bekanntlich sehr stark ab und haben einen konspirativen Charakter. Es ist kaum möglich, in sie einzudringen. Außerdem ist es völlig ausgeschlossen, dort einen verdeckten Ermittler einzuschleusen. Aus diesen Gründen ist es nicht gerade leicht, ihre Strukturen aufzubrechen. Wir alle wissen auch, warum beispielsweise die Strukturen der Mafia in Italien aufgebrochen werden konnten, nämlich deshalb, weil sich aus der Mitte der Mafia Zeugen gefunden haben, die über die Strukturen und die Hintermänner ausgesagt haben. Ein solches Verhalten wollen wir mithilfe der Kronzeugenregelung erreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Geis, Sie haben erwähnt, dass die Dauer der Prozesse in Wirtschaftsstrafverfahren und ähnlichen Verfahren verkürzt werden könne und darauf hingewiesen, dass die Kronzeugenregelung in solchen Fällen zur Anwendung kommen könne. Aus der Praxis wissen wir - um das festzustellen, muss man nur täglich Zeitung lesen -, dass es in Wirtschaftsstrafverfahren und ähnlichen Verfahren auch heute schon, ohne dass die Kronzeugenregelung gilt, ständig zu solchen Deals kommt. Vorhin ist schon zutreffend auf die eigentliche Bedeutung der Kronzeugenregelung hingewiesen worden, die darin liegt, dass auch Mörder - ich betone: Mörder - in den Genuss kommen können, dass ihre Strafe in erheblichem Umfang gesenkt wird, und zwar bis auf zehn Jahre Freiheitsstrafe. Als die Kronzeugenregelung unter RotGrün ausgelaufen ist, waren die Einzigen, die dies bedauert und sich nach der Kronzeugenregelung zurückgesehnt haben, Mörder, die auf die Möglichkeit eines solchen Deals gewartet haben. Halten Sie es für richtig, dass diese Regelung, die eigentlich nur für diesen Fall etwas Besonderes bringt und notwendig ist, so ins Gesetz aufgenommen wird? Für die ganzen anderen Fälle brauchen Sie sie nicht. ({0}) Diese werden schon heute nach § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches, nach dem das Nachtatverhalten strafmildernd berücksichtigt werden kann, verhandelt.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ströbele, zunächst einmal unterscheide ich natürlich zwischen einem Deal bei Wirtschaftsstrafsachen und der Kronzeugenregelung. Bei der weltweiten kriminellen wirtschaftlichen Tätigkeit der Wirtschaftsgilde - so würde ich fast sagen, weil man schlecht davon sprechen kann, dass es eine Vereinigung ist - ist schon auch ein starkes konspiratives Element vorhanden. Deswegen brauchen wir auch für diesen Bereich die Kronzeugenregelung. Wir brauchen sie aber noch viel mehr für die Bereiche Terror und organisierte Kriminalität. Die Kronzeugenregelung ist ein vorzügliches Instrument, um in diesen Bereichen tätig zu werden. Nun zur Frage, die Sie gestellt haben, ob es richtig ist, dass dann auch ein Mörder mit einer geringeren Strafe davonkommt. Wir haben in den Gesetzentwurf geschrieben: „nicht unter zehn Jahren“. Das ist ja schon einmal ein Vorbehalt. Insofern wird Ihr Aspekt berücksichtigt. Sie müssen aber bedenken, dass wir keinen Kronzeugen bekommen, wenn wir keine Anreize bieten. Durch die Rechtsordnung müssen auch Anreize geboten werden, um die Rechtsordnung zu schützen. Deswegen verteidige ich es auch, dass selbst ein Mörder besser davonkommt, wenn er Strukturen aufdeckt und damit hilft, neue Straftaten zu verhindern. Darum geht es uns. Es geht uns um den Schutz der Menschen. ({0}) Dies sind uns die Abstriche im Rahmen der Strafverfolgung wert. ({1}) Kommen wir zum Deal. Es ist heute hier schon oft genug gesagt worden, welche Bedeutung der Deal hat. Der Deal ist ein Instrument, das im Strafverfahren laufend gebraucht wird, und er ist notwendig geworden. Es ist richtig, dass er jetzt gesetzlich geregelt wird, damit das letztendlich keinen Willkürcharakter hat, wonach ihn der eine bekommt und der andere nicht. Dem haftet ein gewisser Hautgout an. Deswegen ist es richtig, dass wir das heute gesetzlich regeln. Das ist ja auch in zwei wichtigen Entscheidungen des BGH gefordert worden. Die letzte stammt aus 2005, in der er noch einmal eine gesetzliche Regelung gefordert hat. Deswegen wollen wir den Deal, der gängige Praxis ist, gesetzlich regeln. Die Frage ist allerdings - damit habe ich mich schwergetan -, ob man das Geständnis des Täters nicht doch braucht. Wie will ich einen solchen Deal überhaupt verantworten, wenn der Täter keinen reinen Tisch macht? Das hätte ich schon verlangt. Dazu hat man sich im Kompromiss aber nicht durchringen können, wenn ich das so sagen darf. Trotzdem nehme ich diese gesetzliche Regelung so an, wie sie ist. ({2}) - Doch, es ist leider so, wie ich sage. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, sind die Terrorcamps. Natürlich ist schon vieles zur Bekämpfung des Terrorismus gesagt worden. Das ist ein Ungeheuer, das unsere ganze Zivilisation bedroht. Wir müssen uns dazu in der Rechtsordnung einiges einfallen lassen. Es geht nicht an, dass wir an diesem Ungeheuer vorbeiblicken oder versuchen, hindurchzublicken. Es bedroht uns mit aller Gewalt. Deswegen glaube ich, dass es notwendig ist, auch die Täter zu finden und ihrer habhaft zu werden, die sich in solchen islamistischen Terrorcamps ausbilden lassen wollen. Es wird aber sehr schwierig sein. Wenn Sie sich die gesetzliche Regelung genau durchlesen, dann stellen Sie fest, dass sie so kompliziert ist, dass es in der Praxis sehr schwierig sein wird, sie überhaupt justiziabel zu halten, ({3}) weil ich glaube, dass es so, wie sie jetzt gestaltet ist, schwierig sein wird, den Beweis anzutreten. Ich bin der Auffassung - Herr van Essen, das wird Ihnen jetzt nicht gefallen -, dass schon die Teilnahme an einem solchen Terrorcamp strafbar sein müsste. ({4}) Denn alles andere ist einfach zu schwierig, und wir würden in der täglichen Praxis nicht weiterkommen. ({5}) Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Untersuchungshaft. Es ist zwar richtig - das begrüße ich uneingeschränkt -, dass der freie Bürger oder die freie Bürgerin, die in Untersuchungshaft geraten - dabei gilt zunächst die Unschuldsvermutung -, einen Pflichtverteidiger haben müssen, wenn sie nicht so betucht sind wie andere, die sofort einen Verteidiger bestellen können. Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Allerdings weise ich darauf hin, dass in der jüngsten Vergangenheit die Zahl der Verurteilungen von Untersuchungshäftlingen deutlich zurückgegangen ist, auch ohne Bestellung eines Pflichtverteidigers. ({6}) Außerdem erfolgt die Anordnung der Untersuchungshaft - auch das darf man nicht übersehen, Herr Danckert

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- in der Regel nur dann, wenn ein Tatverdacht auf eine schwere Straftat vorliegt oder Fluchtgefahr gegeben ist. Das wird auch dann der Fall sein, wenn ein Pflichtverteidiger bestellt wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dennoch ist es richtig - schon aufgrund des Prinzips der Gleichbehandlung -, dass wir eine Regelung treffen, wie sie in unserem Gesetzentwurf vorgesehen ist. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion. ({0})

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, am Ende dieser sehr lebhaften rechtspolitischen Debatte und auch am Ende dieser Legislaturperiode kann man eine Lehre ziehen: Rechtspolitik darf man nicht mit ideologischen Scheuklappen machen. Diejenigen, die Rechtspolitik mit ideologischen Scheuklappen betreiben, leben in einer anderen Welt und kommen dann zu solchen Reden - es tut mir leid, das festzustellen -, wie Sie sie gehalten haben, Herr Kollege Montag, und auch Sie, Herr Kollege Nešković. ({0}) - Herr Kollege Nešković, wenn Sie mir vorhalten, ich würde heucheln, dann muss ich Ihnen sagen - jetzt muss ich vorsichtig sein, dass ich keinen Ordnungsruf bekomme -: An Heuchelei sind Sie nicht zu überbieten. ({1}) Bei der Rechtspolitik muss man zunächst einmal auch die Rechtswirklichkeit in den Blick nehmen. Mit den Gesetzentwürfen, die wir heute beraten, schreiben wir rechtspolitische Geschichte. Die Regelungen, die wir heute beschließen, werden irgendwann in die Geschichte eingehen. Denn es geht überwiegend um Fragen im Strafrecht und Strafprozessrecht, die über Jahrzehnte streitig waren, die diskutiert worden sind. Dies bringen wir heute zu einem Abschluss. Von daher muss ich, der ich mich fast ein ganzes Leben lang auf verschiedenen Ebenen mit dem Recht beJoachim Stünker fasst habe, feststellen, dass heute ein guter Tag ist. Ich bin stolz darauf, dass wir diese Regelungen verabschieden. ({2}) Ich will kurz auf die einzelnen Punkte eingehen. Der erste Punkt ist die Untersuchungshaft. Ich bin als junger Richter 1981 in das Bundesministerium der Justiz abgeordnet worden - es war nur ein kurzes Gastspiel -, als die Untersuchungshaft neu geregelt werden sollte. Es sollte ein Untersuchungshaftgesetzbuch erarbeitet werden. Ich bin nach einem Dreivierteljahr wieder gegangen, weil ich gemerkt habe, dass niemand das wirklich machen wollte. Es war nicht möglich, das zwischen Bund und Ländern abzustimmen. Heute schaffen wir vor dem Hintergrund der neuen föderalen Zuständigkeiten - das ist richtig - eine Regelung, mit der wir eine Frage lösen, die auch lange streitig war, indem wir festlegen, dass jeder Beschuldigte an dem Tag, an dem ihm ein Haftbefehl zugestellt wird, einen Pflichtverteidiger bekommt. Das ist ein Riesenschritt für die Waffengleichheit im Strafprozess. ({3}) Ich appelliere an die Länder, in dieser Frage nicht dem Versuch zu erliegen, ein Verfahren im Vermittlungsausschuss anzustreben. Es wäre nicht gut, wenn wir die Gewährung rechtsstaatlicher Grundsätze sozusagen nur von finanziellen Voraussetzungen abhängig machen würden. Davor kann ich nur warnen. ({4}) Der zweite Punkt ist die Kronzeugenregelung. Mit den vorliegenden Regelungen entscheiden wir einen 20 Jahre alten Streit. Es ist bereits an die alten Regelungen erinnert worden. Seitens der Länder wurde auch jetzt wieder der Wunsch erhoben, eine bereichsspezifische Regelung mit einzelnen Tatbeständen zu schaffen. Das haben wir Sozialdemokraten immer abgelehnt, und deshalb ist die alte Regelung seinerzeit unter Rot-Grün ausgelaufen. Heute schaffen wir eine Strafzumessungsregelung. Das ist ein riesiger Unterschied. Das hat etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Herr Kollege Montag, das Bild vom deutschen Strafprozess, das Sie hier gezeichnet haben, mag auf bayerische Amtsgerichte zutreffen, gibt aber nicht die Wirklichkeit in deutschen Landen wieder. ({5}) Wir schaffen nämlich eine Regelung, die in der Revision überprüfbar ist, weil das Gericht in seinem Urteil die Strafzumessung begründen muss. Es muss darlegen, auf welchem Weg es zu dieser Strafzumessung gekommen ist, es muss vor dem Hintergrund dessen, was der Angeklagte als Kronzeuge ausgesagt hat, eine angemessene Gewichtung darlegen. Ein Kronzeuge für einen Ladendiebstahl kann keine Strafmilderung für ein Vergewaltigungsdelikt erhalten, wie es hier teilweise erzählt worden ist. Das Ganze wird justiziabel und kann in der Revision überprüft werden. ({6}) Zum nächsten Punkt - das bekämpfen Sie immer, Herr Kollege Montag; ich glaube, Sie haben es nicht verstanden -: ({7}) Wir sagen, der Kronzeuge muss sein Wissen vor Eröffnung des Hauptverfahrens kundtun, im Zwischenverfahren. ({8}) - Nein, das ist genau das Richtige, um Missbrauch einzudämmen! ({9}) Da wird nämlich klar: Er kann nicht in der Hauptverhandlung plötzlich äußern, er wisse da aber etwas, was sich hinterher als falsch herausstellt. Es muss einer sein, der wirklich aus Überzeugung sagt: Ich räume hier auf, ich mache Schluss mit meiner kriminellen Vergangenheit, und darum will ich euch dies und das erzählen, ({10}) um so - sozusagen als Beginn der Resozialisierung - ein neues Leben anzufangen. Mit dieser Regelung wird die Kronzeugenregelung auf ganz wenige, wirklich schwerwiegende Fälle beschränkt. Dies wird also nicht die allgemeine Praxis im Strafprozess in Deutschland sein. An dieser Stelle haben wir also eine rechtsstaatliche Regelung mit hoher Hürde getroffen. ({11}) Lassen Sie mich einen Satz zur Verständigung im Strafprozess sagen. Das Wort Deal mag ich nicht; das mag daran liegen, dass ich 25 Jahre meines Lebens als Richter gearbeitet habe. Ich habe nie gedealt; ich habe viele Verständigungen getroffen. Herr Kollege Nešković und auch andere tun immer so, als sei dies die Folge davon, dass die Strafjustiz so überlastet sei ({12}) und die Länder auf diesem Gebiet ihren Aufgaben nicht nachkämen. Sicherlich ist etwas daran, dass die Strafjustiz überlastet ist; das ist gar nicht zu bestreiten. Ich habe es in der ersten Lesung schon gesagt, wiederhole es heute jedoch: Die Verständigung im Strafprozess ist das Ergebnis einer anderen Kultur im Strafprozess. Als ich im Jahre 1975 als junger Richter als Beisitzer in eine Große Strafkammer kam, wurde dort so verhandelt: Vorn saß das Gericht, überhöht, da vorne tanzten ein paar Figuren herum, da wurden Zeugenvernehmungen durchgeführt, der Angeklagte wurde befragt. Der Vorsitzende machte das nach einem streng formalen Verfahren, keiner verzog eine Miene, keiner sagte, was er von dem ganzen Ding hielt, und zum Schluss kam ein Urteil heraus, angesichts dessen der arme Angeklagte gar nicht wusste, was ihm geschehen war. Dann kam eine andere Kultur in den Strafprozess hinein, nämlich die Kultur des Gesprächs. Sicherlich hat meine Generation mit dazu beigetragen - sowohl Richter als auch Strafverteidiger -, dass es dort zu Veränderungen gekommen ist. In diesem Zusammenhang kam man dann auch zu Absprachen. Das ist der Hintergrund gewesen, nicht die angebliche Ressourcenknappheit in der Justiz. Dass dies selbstverständlich auch zu Missbrauch geführt hat, ist menschlich und stellt die andere Seite dar. Um genau diesen Missbrauch auszuschließen, Grenzen einzuziehen und Regeln zu setzen, verabschieden wir jetzt dieses Gesetz: für mehr Rechtsstaatlichkeit, für mehr Transparenz und dafür, dass das Ganze revisionsrechtlich überprüft werden kann. ({13}) Es tut mir leid, Herr Kollege Nešković: Ich bin immer noch davon überzeugt, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Gewaltenteilung funktioniert. Sie funktioniert gut, aber nicht aus Ihrem ideologischen Blickwinkel. ({14}) Letzte Anmerkung, Herr Präsident; ich bin gleich damit fertig. Ich muss noch zwei, drei Sätze zu den Terrorcamps sagen dürfen, weil behauptet wurde, das Ganze sei Gesinnungsstrafrecht und Ähnliches. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle, dass wir diese Tatbestände für einen ganz eng begrenzten Kreis von Straftätern definieren. Wir wissen, Herr Kollege van Essen, weil wir die Dienste haben, dass unter uns Menschen leben, die deutsche Staatsbürger sind, aber trotzdem im Ausland in entsprechenden Einrichtungen gewesen sind, um sich ausbilden zu lassen und anschließend in diesem Land schwere Anschläge durchzuführen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber wir können nach geltendem Recht nichts dagegen tun; das ist das Problem. Deshalb handeln wir hochverantwortlich, wenn wir diese Regelung, die bei genauer Betrachtung rechtsstaatlich sehr eng gefasst ist, heute verabschieden. Auch ich bedanke mich für vier Jahre hervorragende Rechtspolitik. Man könnte noch viele andere Bereiche nennen. Ich bin sicher: Die Große Koalition wird im Gegensatz zu dem, was Herr Kilger gesagt haben soll, in die Geschichte eingehen. ({0}) Wir haben in der Rechtspolitik sehr viel erreicht. Schönen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 4 a. Wir kommen nun zur Ab- stimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13094, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6268 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erhe- ben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition an- genommen. Tagesordnungspunkt 4 b. Hier geht es um die Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/13095, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12310 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- genommen.1) Weiterhin Tagesordnungspunkt 4 b. Jetzt geht es um die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Ver- 1) Anlage 3 Präsident Dr. Norbert Lammert ständigung im Strafverfahren. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13095, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/11736 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist einvernehmlich so beschlossen. Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt un- ter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf der ge- nannten Drucksache, den Gesetzentwurf des Bundes- rates auf Drucksache 16/4197 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- nung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 4 c. Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten ab. Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Rechtsaus- schuss auf Drucksache 16/13145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12428 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Wer dieser Beschlussemp- fehlung folgt und dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- stimmt, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom- men. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten ab. Hier empfiehlt der Rechtsausschuss unter Buchstabe b seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/13145, den Gesetzent- wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/11735 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Ist jemand an- derer Meinung oder will sich enthalten? - Diese Be- schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern ab. Hier empfiehlt der Rechtsausschuss unter Buchstabe c seiner Be- schlussempfehlung auf der genannten Drucksache, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/7958 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 4 d. Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ab. Der Rechtsaus- schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/13096, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/12321 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung mehrheitlich angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in die- ser Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der genannten Drucksa- che, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/11434 abzulehnen. Die- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt. Damit entfällt die wei- tere Beratung. Tagesordnungspunkt 4 e. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 16/13096 fort. Der Rechtsausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/10614 mit dem Titel „Angemessene Haftentschädigung für Justiz- opfer sicherstellen“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Diese Beschlussempfehlung ist mit Mehr- heit angenommen. Tagesordnungspunkt 4 f. Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/13097, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 16/11644 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ange- nommen. Präsident Dr. Norbert Lammert Damit können wir diesen umfangreichen Tagesord- nungspunkt abschließen. Ich bedanke mich für die Mit- wirkung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung - Drucksache 16/13156 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({0}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schließung kreditwirtschaftlicher Aufsichtslücken - Drucksache 16/12884 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung - Drucksache 16/12885 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({2}) Rechtsausschuss Finanzausschuss d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Florian Toncar, Frank Schäffler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Enteignungen - Drucksache 16/12904 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Federführung strittig e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes - Drucksache 16/12996 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({5}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Otto Fricke, Rainer Brüderle, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Sozialisierung - Drucksache 16/3301 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6}) - Drucksache 16/7729 - Berichterstattung: Abgeordneter Philipp Mißfelder g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mittelstandsförderung sichern - ERP-Vermögen aus der KfW-Bankengruppe herauslösen - Drucksachen 16/8928, 16/11630 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Herbert Schui Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Aussprache eine Stunde dauern. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann können wir das so vereinbaren. Ich eröffne die Aussprache und erteile mit der Bitte, dass diejenigen, die diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr folgen können oder wollen, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortsetzen, als erstem Redner dem Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion das Wort. ({8})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Rheinland und das Oderbruch haben etwas Leidvolles gemeinsam. Jedes Jahr aufs Neue besteht die Gefahr eines Hochwassers. Das ist prinzipiell bekannt. Deswegen gibt es dort Dämme, Überflutungsgebiete, ausreichend Sandsäcke und einen gut vorbereiteten Katastrophenschutz. Trotzdem kann es zu Hochwasserkatastrophen kommen. Die erste Pflicht des Staates ist es dann, den Betroffenen mit allen Kräften rasch und effektiv zu helfen. Dafür ist er da, und daran zweifelt hoffentlich niemand. Die internationale Finanzkrise hatte mehrere Ursachen. Die meisten waren bekannt, aber sie wurden unterschätzt. Es gab keine ausreichenden Dämme und keine Flutungsbecken, vor allem nicht im angloamerikanischen Raum. Die Dynamik und Entwicklung der Krise aber wurden von allen stark unterschätzt. Stichworte sind: der Zusammenbruch von sechs Investmentbanken, 62 Hedgefonds, die Insolvenz von Lehman Brothers, der Interbankenmarkt, toxische Papiere - alles Namen und Begriffe, die mittlerweile geläufig sind, es vor der Krise Carsten Schneider ({0}) aber wahrscheinlich nicht waren -, die Zahlungsunfähigkeit eines Staates, nämlich Islands, andere Staaten, die auf der Kippe stehen, zum Beispiel die Ukraine oder die Staaten im baltischen Raum. Mit diesen Begriffen kann man die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise beschreiben, einer Finanzkrise, die auch heute noch mit ihren Auswirkungen auf das Wachstum der Wirtschaft in der ganzen Welt und vor allen Dingen - durch unsere starke Exportabhängigkeit - in Deutschland zu spüren ist. Wir haben in einem ersten Schritt im Oktober des letzten Jahres mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz erste Dämme eingezogen. Sie haben gewirkt: Das Finanzsystem hat sich zunächst stabilisiert. Keiner braucht mehr Angst um seine Spareinlagen zu haben. Der Zahlungsverkehr funktioniert wieder. Die Kreditversorgung, zumindest nach den aktuellen Zahlen der Bundesbank, ist noch in ausreichendem Maße sichergestellt. Nichtsdestotrotz gibt es einige erkennbare Probleme - darauf gehe ich noch ein -, die mit der hier vorgelegten Novelle des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes aufgegriffen werden. Nicht nur toxische Wertpapiere von Unternehmen sind von einem schlechten Rating betroffen; vielmehr sind mittlerweile selbst die Kurse von Staatsanleihen gefallen. Das hat zur Folge, dass die Eigenkapitalbasis der Banken zunehmend mehr eingeschränkt wird und damit die notwendige Kreditvergabe schwieriger wird, wenn es an einer starken Eigenkapitalunterlegung fehlt. Daher hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt - wir als Fraktion übernehmen ihn und bringen ihn heute hier ein -, der auf diese Fragen eine notwendige Antwort gibt. Uns als Fraktion waren dabei drei Punkte besonders wichtig: Erstens. Es soll keine zentrale Bad Bank für schlechte Papiere geben, sondern jedes Institut ist für die Auslagerung und in letzter Konsequenz für die Verluste selbst verantwortlich. Zweitens. Es fließen keine weiteren Steuergelder oder zusätzliche Staatsgarantien über das hinaus, was wir bereits im Oktober 2008 beschlossen haben. Drittens. Am Ende der Laufzeit dieser Zweckgesellschaften - das ist sehr technisch; umgangssprachlich werden sie „Bad Banks“ genannt, man kann aber auch Rekonstruktionsbanken sagen - zahlen die Alteigentümer, das heißt die Aktionäre, nicht die Steuerzahler. Das ist für meine Fraktion ein entscheidender Punkt. ({1}) Nicht nur die privaten Banken sind betroffen. Auch bei den Landesbanken gibt es erkennbare strukturelle Probleme. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es bei den Eigentümern, in diesem Fall den Sparkassen, die das Problem zum Teil erkannt haben, aber vor allen Dingen bei den Ministerpräsidenten der Länder wie mit den drei Affen ist: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Man versucht schon seit einem Jahr, damit durchzukommen, aber das wird nicht weiter funktionieren. Wenn wir die Regelungen im Gesetzentwurf in Bezug auf die Landesbanken im parlamentarischen Verfahren noch ändern sollten - ich sehe dafür die Notwendigkeit, weil das System, so wie es jetzt ist, in seiner Struktur nicht überlebensfähig ist -, erwarte ich ein klares Konzept seitens der Eigentümer und damit der Länder zu einer Neuaufstellung, das heißt einer Rekonstruktion des Landesbankensektors. Anderenfalls wird meiner Fraktion eine Zustimmung sehr schwerfallen oder nicht möglich sein. ({2}) Die Vertreter der anderen Fraktionen werden sich zum Gesetzentwurf und zu Bad Banks ja noch äußern. Was ich bisher öffentlich von der Linken zu diesem Problem gehört habe, läuft darauf hinaus, dass sie eine Staatsbank gründen und alles selber machen wollen. Dieses System hatten wir schon bis 1990. Das hat nicht funktioniert. Ich glaube, diesen Ansatz kann man ad acta legen. Das gilt auch für den Vorschlag der FDP, zu dem man sagen muss: Dort, wo die FDP nach Markt schreit, schreit der Markt nach dem Staat, zumindest nach Teilverstaatlichung. Banker, die eine Teilverstaatlichung fordern, hätte ich mir vorher nicht vorstellen können. Unser Ziel bleibt ein stabiler Finanzmarkt. Wir wollen kein drittes oder viertes Konjunkturpaket - hier haben wir genügend Maßnahmen ergriffen -, sondern wir wollen - das ist zwingend notwendig - den Geldfluss wieder in Gang bringen. Ich will klar sagen, dass ich noch Bedenken habe, ob die Regelungen in unserem Gesetzentwurf ausreichend sind, um die Einsicht der Banker in die Notwendigkeit dieser Regelungen herbeizuführen. Ich erwarte, dass das Angebot, das wir als Staat machen, angenommen wird. Ich erwarte, dass nicht wieder Eigenkapitalrenditen von 25 Prozent hinausposaunt werden, die im Zweifel nichts weiter als Zahlen auf dem Papier sind, aber der Realität nicht standhalten, mit der Folge, dass am Ende die Kreditversorgung für den Mittelständler, also für den kleinen Unternehmer, aber auch für den großen Unternehmer auf der Strecke bleibt. Das kann und darf nicht sein. ({3}) Dafür werden wir im parlamentarischen Verfahren zu sorgen haben. Die bisherigen Maßnahmen greifen durchaus. In Anbetracht des ersten Halbjahres der Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung bleibt aber eines aufzugreifen: das Problem der Rekapitalisierung von Banken. Banken brauchen Eigenkapital, um Kredite vergeben zu können. Das Eigenkapital wird aber durch Wertberichtigungen und die schlechtere wirtschaftliche Entwicklung aufgezehrt. An dieser Stelle sehe ich die Notwendigkeit, das Eigenkapital der Banken deutlich aufzustocken; wir werden zum gesamten Themenkomplex, unter anderem auch zu diesem Punkt, eine Anhörung durchführen. Die Banken dürfen sich das Geld gern am Markt holen, das heißt Aktien ausgeben. Sollte dies nicht möglich sein, muss der Staat an dieser Stelle - wir haben noch beste24574 Carsten Schneider ({4}) hende Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro - stärker aktiv werden. Im Zweifel müssen wir - so machen es die Engländer und die Amerikaner - den Banken das Geld aufdrängen, ({5}) damit an die Wirtschaft Kredite zu vertretbaren Konditionen vergeben werden können. Die EZB senkt zwar immerzu den Leitzins, allerdings habe ich den Eindruck, dass dies bei den Unternehmen nicht so richtig ankommt. Auch das kann nicht sein. ({6}) Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der für meine Fraktion sehr wichtig ist. Der Gesetzentwurf greift viele unserer Bedenken auf, zum Beispiel die Frage: Wird der Steuerzahler belastet oder nicht? Er wird nicht belastet. Es verbleibt aber ein Restrisiko. Das Restrisiko ist die Insolvenz einer Bank. In dem Falle würden wir, als Vertreter der Bürger, auf den Kosten sitzen bleiben. Das will ich nicht. Das gilt es zu verhindern, indem wir eine Restrisikoumlage einführen. Unsere Partei bzw. unsere Fraktion haben sich bereits auf dem Parteitag im Oktober dafür ausgesprochen. Jeder Finanzmarktakteur profitiert davon, wenn der Staat einen soliden Finanzmarkt garantiert: die Sparkassen, die Genossenschaften und auch die Großbanken. Es profitieren nicht nur diejenigen, die Mittel in Anspruch nehmen, sondern alle, weil Vertrauen geschaffen wird. Wenn eine Bank zusammenbricht, kommt es zu einem Dominoeffekt, der zu Ausfällen und Verlusten führt. Dieses Restrisiko darf daher nicht vom Steuerzahler, also der Allgemeinheit, getragen werden. Es muss eine Restrisikoumlage eingeführt werden, die von allen Marktteilnehmern bezahlt wird und das Restrisiko abschirmt. ({7}) Das ist systemgerecht und ordnungspolitisch sauber, was auch vom Bundesbankpräsidenten bestätigt wurde. Das wäre somit eine gelungene Vervollständigung des Gesetzentwurfs. Ich hoffe, dass wir uns darauf verständigen können. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Toncar von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heute von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf wurde in guter Absicht erstellt. Es geht zu Recht darum, die Vertrauenskrise im Bankensektor einzudämmen. Wenn dies nicht gelingt, wird sich die allgemeine Wirtschaftskrise, die den Alltag der Menschen in Deutschland immer stärker bestimmt, verlängern. Es geht darum, sicherzustellen, dass Unternehmen in Deutschland wieder Kredite zu vernünftigen Konditionen erhalten und dass Investitionen sowie Arbeitsplätze finanziert und gesichert werden. Dies gilt insbesondere für den Mittelstand, der besonders unter der Krise leidet. ({0}) Es ist zugegebenermaßen eine komplexe Aufgabe, sicherzustellen, dass die Bilanzen von Banken bereinigt und gleichzeitig die Risiken für den Steuerzahler begrenzt werden. Es ist nicht leicht, dies miteinander zu vereinbaren. Ich bin durchaus der Meinung, dass man diesen Gesetzentwurf schneller hätte erarbeiten können. Viele Banken haben ihre Papiere heute schon abgeschrieben. Das Eigenkapital dieser Banken ist stark belastet, was sich in den Kreditkonditionen niederschlägt; der Herr Kollege Schneider hat das soeben angesprochen. Die Leitzinsen sind niedrig, aber die Kreditkonditionen haben sich dramatisch verschärft. All das hat mit dem Kapitalschwund vieler Banken zu tun. Deswegen ist es zu spät, diesen Gesetzentwurf erst heute zu beraten. ({1}) Man hätte seit Ende 2008 mit Hochdruck an diesem Gesetzentwurf arbeiten müssen. ({2}) Die ersten Experten haben sich in diesem Zeitraum gemeldet. Es war aber vermutlich Sand im Getriebe der Koalition, der dazu geführt hat, dass es erst jetzt passiert. Es war sogar so, dass die Bundesregierung von ihren eigenen Institutionen dazu gedrängt werden musste. Die Bundesbank hat angefangen, an Vorschlägen zu arbeiten, weil nichts passiert ist. Der SoFFin, die KfW und auch die BaFin haben plötzlich angefangen, eigene Ideen zu entwickeln. Daher kann man sagen, dass dieses Vorhaben politisch leider zu spät angegangen worden ist. Die Bundesregierung ist hier von ihren eigenen Institutionen getrieben worden. Deswegen tragen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ein gutes Stück der Verantwortung für diesen Zeitverzug. Das Modell steht allen deutschen Banken offen. Aber es ist kein Geheimnis, dass es einige gibt, die ganz besonders darauf angewiesen sind, ihre Bilanzen bereinigen zu können. Ich spreche von den staatlichen Banken, von den Landesbanken, die in massiven Problemen stecken. Dieses Gesetz ist faktisch als Rettungsanker gerade für die staatlichen Banken gedacht; sie haben das größte Interesse daran. Aber jedem ist auch klar - der Bundesregierung ebenfalls -, dass der Gesetzentwurf noch geändert werden muss, damit die Landesbanken ihre Bilanzen tatsächlich bereinigen können. Er passt noch nicht so richtig auf die öffentlich-rechtlichen Banken. Das heißt, was heute vorliegt, ist noch gar nicht das Konzept für diejenigen, die die größte Hilfe brauchen, die am dringendsten Hilfe benötigen. Insofern besteht noch kein Grund zum Feiern; es ist allenfalls ein Einstieg in die Lösung des BewerFlorian Toncar tungs-, des Bilanzierungsproblems bei den Landesbanken. ({3}) Niemand verlangt von der Bundesregierung Unmögliches, etwa dass sie die Länder zwingt, sich insoweit vernünftiger zu verhalten und auf eine Konsolidierung der Landesbanken hinzuarbeiten. Ein Gesetz wie das vorliegende sollte aber schon genutzt werden, um Druck auszuüben, um den Druck zu erhöhen, damit in die Landesbanken wirklich wieder Nachhaltigkeit einzieht und ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell entwickelt wird. Es ist leicht, Nachbarn mit starken Worten zu beschimpfen. Ich würde mir wünschen, dass man einmal dort Klartext spricht, wo die Missstände am größten sind: gegenüber den Ministerpräsidenten, gegenüber den Ländern. Sonst besteht das systemische Risiko an unserem eigenen Finanzplatz weiter und wird uns noch lange Sorgen bereiten. ({4}) Die FDP wird den vorgelegten Entwurf prüfen. Wenn er wirksam ist, wenn damit die Probleme bei den staatlichen Banken ernsthaft angegangen werden, werden wir uns überlegen, zuzustimmen. Ich möchte noch auf eine der Vorlagen der FDP eingehen. Sicherlich sind alle sehr diskussionswürdig, aber ein Gesetzentwurf ist mir ganz besonders wichtig. Es geht um das Thema „Parlamentarische Kontrolle“. Was die Informationspolitik der Bundesregierung angeht, so gibt es Defizite, die aus den verschiedensten Fraktionen heraus, auch aus den Regierungsfraktionen heraus, schon heute beklagt werden. Wenn der Koalitionsentwurf so beschlossen wird, wenn diese Zweckgesellschaften eingerichtet werden, dann - das muss uns klar sein - wird der Sonderfonds neben dem Bundeshaushalt noch mindestens weitere 20 Jahre bestehen; das ist garantiert. Er wird nicht vorher liquidiert werden können. Das heißt, mit diesem Gesetzentwurf ist die Verlängerung des Sonderfonds, des zweiten Haushalts, vorprogrammiert. Im Übrigen erhöhen sich die Risiken durch diese Garantien beträchtlich. Die Risiken bei den Zweckgesellschaften sind höher als die Risiken, die durch Garantien herkömmlicher Art bisher eingegangen worden sind. ({5}) Ich glaube, dass das Parlament darauf reagieren muss. Wir schlagen in unserem Gesetzentwurf vor, die parlamentarischen Kontrollrechte klarzustellen und auszuweiten. Dieses Anliegen sollte uns alle einen. Wir sind an diesem Punkt gesprächsbereit, erwarten aber, dass das Parlament mit diesem Gesetzentwurf - damit ist die Verlängerung der Laufzeit des SoFFin um mindestens 20 weitere Jahre verbunden - auch seine eigenen Mitwirkungsrechte stärkt. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vertrauen ist ein zentraler Schlüssel zu wirtschaftlichem Wachstum. An beidem mangelt es leider in der deutschen Wirtschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt. ({0}) Vertrauen wiederherzustellen, in einer befristeten Maßnahme durch den Staat, ist das Gebot der Stunde. Wir müssen alles daransetzen, dass man im Finanzsystem untereinander wieder Vertrauen fasst und dass die Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen in das finanzielle System fassen. Wir sind angesichts der Rezession und der Finanzkrise in den vergangenen Monaten entschlossene Schritte gegangen, um dieses Vertrauen aufzubauen. Am Anfang stand das Sparbuch. Wir erinnern uns kaum noch daran: Die Garantie der Bundeskanzlerin für die Spareinlagen war nicht nur finanziell wichtig; sie war auch ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal dafür, dass wir uns zuvorderst um diejenigen kümmern, die ihr Erspartes gesichert sehen wollen. Erst dann, in einem zweiten Schritt, haben wir uns unter dem Stichwort Finanzmarktstabilisierung an das herangewagt, was gemeinhin als „Bankenrettung“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung „Bankenrettung“ führt aber ein bisschen vom Kern unserer Politik weg. Unsere Politik ist nämlich vor allen Dingen Bürgerrettung; denn jeder ist auf ein funktionsfähiges Finanzdienstleistungssystem angewiesen - der Handwerker, was die Bezahlung seiner Rechnung angeht, oder die Rentnerin bzw. der Rentner, was die Auszahlung der Rente angeht. ({1}) Diese Politik ist im Kern auch Mittelstandsförderung. Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen sind auf diese Dienstleistung angewiesen; ohne diese könnten sie nicht existieren. Deswegen ist das eine Politik nicht nur für die großen, sondern auch für die kleinen und mittleren wirtschaftlichen Akteure, ({2}) und in diesem Sinne letztendlich auch eine Politik der Arbeitsplatzsicherung. Finanzmarktstabilisierung ist Arbeitsplatzsicherung. Die Große Depression in den 30er-Jahren und das damit einhergehende Bankensterben haben zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Unsere Politik führt dazu, dass die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise gemildert werden. Von daher ist sie gelebte soziale Marktwirtschaft und in diesem Sinne ein guter Beitrag der unionsgeführten Bundesregierung zum wirtschaftlichen Fortkommen Deutschlands. ({3}) Wenn wir auf die letzten Wochen und Monate zurückschauen, können wir feststellen: Diese Politik ist auch erfolgreich. Anders als in anderen Ländern ist keine einzige Finanzinstitution in Deutschland gezwungen worden, ihre Türen zu schließen. Das verloren gegangene Vertrauen der Banken untereinander wird schrittweise wieder aufgebaut - für die Techniker: Der Interbankenhandel kommt wieder in Gang; sein Volumen nimmt zu. Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, setzt auf eine qualitative Fortentwicklung dieser notwendigen und erfolgreichen Politik, die im vergangenen Winterhalbjahr unter Mitwirkung des Bundestages, insbesondere des Haushaltsausschusses, innerhalb einer einzigen Woche konsequent umgesetzt worden ist. Bei dieser Bankenpolitik gibt es zwischen folgenden drei Aspekten einen inneren Zusammenhang: Es geht einmal um die Stabilisierung des Bankensystems; zum Zweiten geht es um den Schutz des Steuerzahlers vor Lasten, die er eigentlich nicht tragen muss; drittens geht es um Wachstumsförderung. Der vorliegende Gesetzentwurf zielt im Kern darauf ab, das Problem des Bilanzschrotts in den Bankbilanzen zu lösen. Wie ein Krebsgeschwür hat es sich dort hineingefressen, das Vertrauen der Banken untereinander gefährdet und ihr Eigenkapital ausgezehrt. Dass sie deshalb immer weniger Kredite vergeben, ist nicht in unserem Interesse. Deshalb müssen wir dieses Problem lösen. Vor allen Dingen müssen wir es besser lösen als die Amerikaner, die zwar viel Geld der Steuerzahler ausgegeben haben, um diese Papiere aufzukaufen, aber kein positives Ergebnis erzielt haben, oder als die Engländer, die die Risiken versichert haben. Die deutsche Lösung beruht im Kern auf der Eigentümerverantwortung; die Eigentümer der Banken haften für den Bilanzschrott. Bei maximaler Schonung des Steuerzahlers geben wir den Banken die Möglichkeit, entsprechende Papiere in eine Zweckgesellschaft auszulagern. Dafür werden staatlich garantierte Papiere in die Bilanzen eingestellt. Letztendlich findet also ein Aktivtausch statt. Das entspricht einem Vorschlag, den ich in die Debatte eingeführt habe, und orientiert sich am Grundgedanken der Ausgleichsforderung. Zentral ist es, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass der Bilanzschrott auf Dauer aus den Bilanzen herausgenommen und damit das Problem gelöst wird fachsprachlich: Ein echter Abgang muss erfolgen. Letztlich tragen damit die Aktionäre über die nächsten Jahre die Verluste aus den Papieren. Das ist eine Lösung im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil deutlich wird, wer eigentlich die Verantwortung trägt. Für diese Lösung gibt es sehr viele englische Begriffe. Ich halte sie für wenig zielführend. Ich möchte lieber von einer Beiboot-Lösung sprechen, und zwar in dem Sinne, dass die Banken ein Beiboot zu Wasser lassen, das ihnen zeitweilig hilft, dass das eigentliche Schiff wieder in stabile Lage kommt und Fahrt aufnehmen kann. Erst wenn die ins Beiboot ausgelagerten Probleme abgearbeitet sind, wird dieses von den Banken wieder eingeholt. Die Eigentümerverantwortung ist also das zentrale Anliegen bei dieser Beiboot-Lösung und damit dieses Gesetzentwurfes. Kollege Schneider hat vorhin ein weiteres Problem angesprochen, ein Problem, das im Gesetzentwurf noch nicht geregelt ist, aber für uns ein drängendes Problem ist: die Landesbanken. Hierzu will ich die Position der Unionsfraktion deutlich machen. Landesbanken sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Mittelstandsfinanzierung. Ihre Eigentümerstruktur stellt sich ja so dar: Eigentümer sind nicht nur die Länder, sondern auch die Sparkassen. Wer die Landesbanken nun aus politischen Gründen im Stich lässt, gefährdet eine zentrale Säule der Kreditfinanzierung des Mittelstands und ist mitverantwortlich für eine mögliche Ausweitung der Arbeitslosigkeit. ({4}) Das ist der politische Ausgangspunkt dieser Debatte über die Landesbanken. ({5}) Außerdem möchte ich deutlich machen, dass die Beiboot-Lösung auch eine Option für die Lösung der Probleme der Landesbanken ist. Auch sie können einen Teil ihrer Papiere abwracken. Es gibt aber einen weiteren Bereich, für den derzeit noch eine gesetzgeberische Lösung fehlt. Diese wollen wir im Laufe dieses Verfahrens finden. Dafür wird sich die Unionsfraktion einsetzen. Wir lassen den Mittelstand und die Sparkassen mit der Kreditfinanzierung nicht im Stich. Wir wollen eine Lösung innerhalb dieses Gesetzes. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kampeter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kampeter, mir fehlt ein klares Bekenntnis. Ich stimme vollkommen zu, dass wir die Finanzierung des Mittelstandes sichern müssen und dass hier die Sparkassen und auch die Landesbanken eine Rolle spielen. Mich interessiert Folgendes: Wer bleibt dann nach Meinung der CDU/CSU in der Haftung für den Schrott, den die Landesbanken haben? Sind Sie der Meinung, dass sich die Eigentümer aus der Haftung herausnehmen können, indem der Steuerzahler an anderer Stelle - beispielsweise über Kapitalerhöhungen - den Sparkassen hilft, oder bleibt es dabei, dass diejenigen in der Haftung sind, die bisher Eigentümer sind?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Grundgedanke all unserer Überlegungen zur Bankenrettung ist, dass die Eigentümer für das verantwortlich sind, was in ihren Banken passiert ist. Wenn ich auf die Landesbanken abziele, dann sind die Adressaten einer Lösung selbstverständlich die Eigentümer der Banken. ({0}) Dass war beispielsweise im Fall von Nordrhein-Westfalen der Fall, wo sich die Landschaftsverbände, das Land und die Sparkassen sehr kooperativ zeigen. ({1}) Das gilt auch für viele andere Bereiche. Es kann keine Lösung geben, an der sich die Eigentümer der Landesbank nicht beteiligen. Das ist die Position der Unionsfraktion. Das muss man in aller Klarheit sagen. ({2}) Ich will hinzufügen, Herr Kollege Fricke, dass dadurch, dass wir eine Debatte über die Landesbanken angefangen haben, Bewegung in die Szenerie gekommen ist. Heute lesen wir in den Zeitungen über das Angebot der Sparkassen, enger zusammenarbeiten zu wollen. Das wurde bisher immer infrage gestellt. Manche sprechen jetzt von einer Strukturreform. Wir als Unionsfraktion sind für diese Debatte offen. Wir sind für das eine oder andere Reformmodell durchaus zu haben. Wenn dies so präzise und so konkret von den Ländern, von den Eigentümern der Landesbanken und damit auch der Sparkassen, eingebracht wird, dann bin ich zuversichtlich, dass die Bedenken hinsichtlich einer Lösung des Landesbankenproblems, die es noch in Teilen der SPD-Fraktion gibt, ausgeräumt werden können. Dies ist im Interesse unseres Landes. Daran wollen wir als Unionsfraktion nicht nur mit einzelnen Regelungen, sondern mit dem Gesetzentwurf insgesamt beitragen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nichts hören, nichts sehen, nichts oder nur die Hälfte sagen - so agieren Sie von der Koalition, Herr Schneider. So werden Sie kein Vertrauen schaffen; denn nur wer sich seiner Verantwortung stellt und aus seinen eigenen Fehlern lernt, ist überhaupt befähigt, das Richtige zu tun. ({0}) Sie machen immer nur so weiter. Das ist grob fahrlässiges Verhalten. Gerade die deutsche Politik ist in hohem Maße für die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise verantwortlich. ({1}) Sie haben die Deregulierung der Finanzmärkte massiv vorangetrieben. Um einige Beispiele zu nennen: Erstens. 2004 wurden unter Rot-Grün die Hedgefonds in Deutschland zugelassen. ({2}) - Sie haben sie erstmals in gering regulierter Form zugelassen. ({3}) Zweitens. Sie haben jahrelang nichts, aber auch gar nichts gegen Steueroasen getan. Drittens haben Sie durch die Zulassung von Zweckgesellschaften überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, dass Banken in einer solchen Art und Weise agieren konnten. ({4}) Die Bankenaufsicht, Herr Sanio, erklärte uns, dass sie zum Beispiel bei der Sachsen LB Manndeckung hatten. Alle waren dann völlig überrascht, dass es eine solche Katastrophe gab. ({5}) Es fragt sich, warum Landesbanken und Sparkassen so agiert haben. Das ist ein zweiter großer Verantwortungsbereich, dem Sie sich endlich stellen müssten. Sie haben die Steuerbasis der Kommunen und Länder immer weiter nach unten getrieben. Durch die Steuerreformen ist es seit 1999 bei Kommunen und Ländern zu massiven Steuerausfällen gekommen. ({6}) Das ist die Realität. ({7}) Allein durch die im Rahmen der Unternehmensteuerreform 1999/2000 durchgeführte Senkung der Körperschaftsteuersätze kam es zu jährlichen Ausfällen von rund 10 Milliarden Euro für die Länder und Kommunen. ({8}) Natürlich bekamen die Landesfinanzminister Dollarzeichen in den Augen wie Dagobert Duck, als sie die Möglichkeit sahen, zum Beispiel durch Gründung einer Zweckgesellschaft in Irland hohe Renditen zu erzielen. Sie aber haben diesen Druck erzeugt. Dem müssten Sie sich endlich stellen. ({9}) Wenn man sich vor Augen hält, dass der Anteil der Landesbanken und anderer deutscher Banken wie zum Beispiel der Dresdner Bank an den Hochzins-/Hochrisikofinanzinstrumenten in den USA 2007 - zu einem Zeitpunkt, als sich amerikanische Banken aus diesem Geschäft schon wieder schrittweise zurückzogen - 15 Prozent betrug, erkennt man: In Erwartung hoher Renditen investierten deutsche Unternehmen in die risikoreichsten und zweifelhaftesten Adressen der Wall Street. Die Realität ist: Sie haben sie dorthin getrieben. ({10}) Herr Steinbrück erklärte noch im September 2008: Die Krise ist eine amerikanische und wird uns nicht so interessieren. Frau Merkel verkündet jetzt: Aus der Krise werden wir gestärkt hervorgehen. - Wie denn, wenn Sie nicht bereit sind, aus Ihren Fehlern zu lernen? Jetzt muss eine Stärkung des Kreditsektors das Ziel sein, um ihn überhaupt wieder funktionsfähig zu machen. Die Firmen klagen über extreme Schwierigkeiten bei der Kreditversorgung. Ein aktuelles Beispiel ist Karstadt; Karstadt hat Schwierigkeiten, überhaupt eine Kreditlinie zu bekommen. Es braucht eine Klärung der Eigenkapitalprobleme der Banken; denn die toxischen Papiere fressen die Eigenkapitalbasis der Banken auf, sodass sie keine Kredite mehr vergeben können. Aber wie kann man verhindern, dass am Ende die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür zahlen müssen? Legen die Banken endlich offen, welche toxischen Papiere ihre Bilanzen belasten? Sind Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bereit, die Finanzmärkte zu regulieren? Wenn man sich ansieht, was Regierungskoalition und Regierung machen, muss man leider sagen: Getan wird viel zu wenig, fast nichts. Auch das heute vorgelegte Modell ist eine Mogelpackung. ({11}) Erstens. Wir werden mit einer Teillösung nicht weiterkommen. Eine Teillösung schafft nicht automatisch Vertrauen; denn es bleibt ein Rest in den Bilanzen. Wir wissen noch immer nicht, wie groß dieser Rest ist. Einen Zwang zur Offenlegung, welche toxischen Papiere die Bilanzen belasten, gibt es nicht; das wird den Banken überlassen. Jeder, der staatliche Unterstützung wie Hartz IV beziehen will, muss sich de facto vor dem Amt ausziehen. Die Banken bekommen Garantien und Geld, ohne dass von ihnen Derartiges verlangt wird. Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgehen. ({12}) Ein Zwang zur Offenlegung ist notwendig. Wir können die Bewertung der Papiere doch nicht den Banken überlassen. Das ist doch wohl unsere Pflicht und Aufgabe. Zweitens. Die EZB hat den Leitzins kontinuierlich gesenkt; er liegt derzeit bei 1 Prozent. Was tun die Banken? Geben sie die Zinssenkung an die Wirtschaft, an die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Kredite brauchen, weiter? Nein. Die Kreditzinsen für Unternehmen liegen derzeit bei 6 bis 7 Prozent, und der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken hat vor kurzem verkündet, dass sie absehbar noch steigen werden. Die Banken geben die Senkung des Leitzinses also nicht weiter. Das ist nicht hinnehmbar. ({13}) Drittens. Der Handel mit toxischen und faulen Papieren läuft weiter. Letztendlich tun Sie nichts dagegen. Ihr Agieren bei der Commerzbank spricht eine eindeutige Sprache. Wir als Linke haben Sie gefragt - ich zitiere aus unserer Kleinen Anfrage -: Werden sich die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat dafür einsetzen, die Aktivitäten der Bank hinsichtlich der unter den Fragen 8 und 9 benannten Themen kritisch zu überprüfen und ggf. zu korrigieren? Es geht dabei um Steuerhinterziehung, um das Agieren der Commerzbank in verschiedenen Steueroasen, so zum Beispiel Andorra, den Cayman-Inseln, Liechtenstein, Luxemburg, Malta und Singapur. Was antwortet die Regierung? Die auf Veranlassung des Bundes gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder erfüllen ihre Aufgabe im Rahmen der einschlägigen Vorschriften und im Interesse des Unternehmens. Ich dachte, die sollen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten und nicht die Interessen des Unternehmens. ({14}) Wir sagen Ihnen: Was Sie uns vorgelegt haben, wird die Krise nicht beheben. Es werden nur Teillösungen angestrebt; das funktioniert nicht. Wir haben Ihnen viele Dinge, die jetzt passiert sind, vorausgesagt; doch Sie wollten nicht hören. Es wäre jetzt an der Zeit, dass Sie die Ohren öffnen, um zu hören, nachdenken und dann entsprechend agieren. Das schwedische Modell hat gezeigt, dass es funktionieren kann. Aber es hat nur funktioniert, weil die Banken verstaatlicht wurden. ({15}) Nur dadurch, dass die systemrelevanten Großbanken verstaatlicht werden, ist überhaupt eine demokratische Kontrolle möglich. ({16}) Nur so wird es gelingen, dass die Banken ihre Geschäftstätigkeit auf das zurückführen, wofür sie gegründet wurden: Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Verwaltung der Einlagen und Sparguthaben, kostengünstige und flächendeckende Versorgung der Realwirtschaft. Ich danke Ihnen. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Bonde vom Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in diesen Wochen ein besonderes Schauspiel: Überall dort, wo sich große Aufgaben stellen, verkündet die Koalition eine Lösung, und im Wochentakt wird an dieser Lösung nachgebessert. Wir sehen es am Bundeshaushalt. Hier wurde uns gerade der zweite Nachtrag vorgelegt. Heute haben wir die erste Lesung des zweiten Nachtrages zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Sie haben dieses Gesetz schon neulich nachbessern müssen. Ihre Ursprungslogik war, uns Steuerzahler in eine milliardenschwere Erpressungssituation im Zusammenhang mit Herrn Flowers und anderen im Rahmen der Hypo Real Estate hineinzutreiben. Heute schlagen Sie uns vor, nachzubessern, weil in Ihrer ursprünglichen Konzeption nicht vorgesehen war, wie mit Schrottpapieren umzugehen ist; denn Sie hatten geglaubt, dass Sie mit einem - für die Banken sehr schönen - Verfahren über Bürgschaften durchkommen werden. Die nächste Nachbesserung ist schon angekündigt; denn Sie können bis heute nicht sagen, wie es bei den Landesbanken weitergeht. Selbst bei der Frage der Bad Bank - wir alle wissen, dass es hierbei vor allem um die Landesbanken geht - ist diese Koalition nicht in der Lage, für die Landesbanken einen Weg aufzuzeigen. ({0}) Das Ganze macht deutlich, dass Sie, auch wenn die Notwendigkeit zur Verabschiedung eines Pakets zur Bankenrettung unbestritten ist, mit der falschen Logik an die Sache herangehen. Das holt Sie jetzt bei jedem einzelnen Schritt ein, den Sie im Rahmen Ihrer Nachbesserungen machen. Ein zentraler Strickfehler ist bis heute, dass es an Transparenz fehlt. Als Parlament werden wir mit der Einstufung „Geheim“ unterrichtet - wenn überhaupt. Der Bevölkerung lassen Sie bis heute keine Chance, zu erkennen, wer am Ende von den Rettungsschirmen in Milliardenhöhe profitiert. ({1}) Jetzt wird bekannt, welche Bank welche Bürgschaft bekommt. Aber das Spannende ist doch: Wer sind insgesamt die Profiteure der Rettung, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler finanzieren? ({2}) Ich will es einmal benennen: Die Deutsche Bank bzw. Herr Ackermann wären vielleicht etwas weniger aufgeblasen gewesen, wenn bekannt wäre, wie sehr die Deutsche Bank von den Rettungsmaßnahmen indirekt profitiert ({3}) und an welchen Stellen der Wert ihrer Anteile und ausstehende Zahlungen und Kredite gerettet worden sind. ({4}) Jetzt ist dies per se nicht illegitim, weil auch die Deutsche Bank Bestandteil des Finanzmarktes ist. Aber ich glaube, dass in der Frage, wer die Profiteure sind, ein höheres Maß an Ehrlichkeit nötig ist. Sie sind bis heute nicht bereit, dementsprechend vorzugehen. ({5}) Die Selbstentmachtung des Parlaments in der Bankenrettung, die wir zunehmend erleben, ist offensichtlich. Ich kann Sie von der Koalition nur auffordern, den unhaltbaren Zustand zu beenden, dass das Kernrecht des Parlamentes, nämlich das Haushaltsrecht, im Zusammenhang mit der Entscheidung, ein Paket von 480 Milliarden Euro zu verabschieden, völlig ausgehebelt ist. In dem diesbezüglichen Entwurf der Bundesregierung sind wieder keine zusätzlichen Parlamentsrechte vorgesehen. Ich möchte Sie wirklich auffordern, diesen Zustand zu beenden. Es ist mit der Ehre eines Parlamentes nicht vereinbar, der Bundesregierung - da kann man ihr noch so sehr vertrauen - Blankoschecks auszustellen. Ich appelliere an Ihr Gewissen und an Ihre Ehre als Parlamentarier, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden. ({6}) Zum Thema Bad Banks. Man kann viel darüber diskutieren. Wir glauben, dass man die Situation schon im Herbst hätte angehen müssen. Ich glaube, dass wir heute besser dastünden, wenn wir den Weg einer intelligenten Teilverstaatlichung gegangen wären und nicht den Weg, den Sie gegangen sind. Es geht nicht darum, Banken unbedingt zu verstaatlichen, sondern darum, Sicherheiten für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen und eine Rekapitalisierung auf Basis einer fairen Risikoabschätzung zu ermöglichen. An dieser Stelle sind wir bei der Frage, welcher Logik man bei der Rettung von Banken folgt. Wenn im Zentrum steht, dass man Banken nicht um ihrer selbst willen rettet, sondern, um das System zu erhalten, dann muss man überlegen, ob es Sinn macht, die Banken zu fragen, wie sie gerne gerettet würden. Um es mit den Worten des Kollegen Kampeter zu sagen, der die toxischen Papiere mit Krebsgeschwüren verglichen hat: Ich kenne keinen Arzt, der das Krebsgeschwür interviewt und es fragt: Wie hätten Sie es denn gerne? Wäre Ihnen der komplette Abgang genehm? ({7}) So haben Sie Ihr Bad-Bank-Modell konstruiert. Da Sie keine Bank zu einem Stresstest verpflichten wie in den USA, können Sie auch keine Bank verpflichten, bei einem negativen Ergebnis des Stresstestes eine Bad Bank zu konstruieren. Am Ende heißt das, dass viele Banken, die eigentlich eine solche Konstruktion bräuchten, keine Bad Bank gründen werden, weil sich das für die Bank betriebswirtschaftlich nicht rentiert. Folgt man der betriebswirtschaftlichen Logik, steht nämlich das Interesse des Aktionärs im Vordergrund und nicht die Erhaltung des volkswirtschaftlichen Systems. ({8}) Mit Ihrem Entwurf zur Ausgestaltung der Bad Banks sind Sie wieder einmal den Menschen auf den Leim gegangen, die der Meinung sind, dass Bankenrettung von Bankern oder zumindest von Anwälten, die für Banken arbeiten, gemacht werden muss. Das ist es, was wir kritisieren. Es ist notwendig, dass wir bei den toxischen Papieren vorankommen. Ich glaube aber, Sie befinden sich auf der falschen Spur und folgen der falschen Logik. Ich glaube, die Teilnahme an einem solchen Modell muss für diejenigen Banken verbindlich sein, die einen Stresstest mit realistischen Risikoszenarien nicht bestehen. ({9}) Alles andere würde bedeuten, dass die Banken betriebswirtschaftliche Rettungsszenarien entwickeln, die zur Folge haben, dass genau die Kredite heruntergefahren werden, die der Mittelstand jetzt braucht. Das betrifft den Handwerker genauso, wie es die Frage berührt, wie die Innovationen, die wir heute insbesondere im Bereich der Umwelttechniken brauchen, finanziert werden. Wir alle wissen, dass der Aufschwung nur kommen kann, wenn wir in dieser Krise hochinnovative Produkte entwickeln und in zukünftige Märkte investieren. Genau das verhindern Sie aber mit Ihrer Strategie. Diese Strategie wird dazu führen, dass viele Banken ihre Kreditvolumina herunterfahren, weil sie bezüglich ihrer Eigenkapitalquote unter Druck stehen. Das, was Sie hier machen, ist auch wirtschaftspolitisch falsch. Sie versuchen wieder einmal, mit einem möglichst geringen Einsatz eine harte Maßnahme zu verhindern. Am Ende wird das aber nur dazu führen, dass es nicht bei diesen Korrekturen am Gesetz bleibt, sondern Sie munter weiter korrigieren müssen. Ihre Ansage, dass dieses Modell die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nichts kosten wird, ist längst überholt. Sie haben uns ja auch schon versprochen, dass der Haushalt bis 2011 ausgeglichen sein würde. ({10}) Insofern fürchte ich, dass Ihr Versprechen, dies würde den Steuerzahler nichts kosten, leider nichts wert ist. ({11}) Sie müssen in der Anhörung und im parlamentarischen Verfahren noch erheblich nacharbeiten. So leid es mir tut, aber diese Bad Bank ist auch ein Bad Law. Neben der schlechten Bank ist es also auch ein schlechtes Gesetz. Diese schlechte Gesetzgebung der Bundesregierung ist ein Problem, das wir als Parlament ausbaden müssen. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller das Wort.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lage ist ernst. Deswegen verbietet es sich eigentlich auch für Oppositionsparteien, diese Debatte für billige Polemik zu nutzen. Ich danke den Rednerinnen und Rednern von SPD und CDU/CSU, aber auch Herrn Toncar von der FDP für ihre Beiträge, die zeigen, dass wir darin übereinstimmen, dass die vergangenen Monate eindeutig gezeigt haben, dass die bisherigen staatlichen Rettungsmaßnahmen nicht ausreichen, dass wir mehr tun müssen. ({0}) Jetzt ist der Ton lauter. Allerdings ist mir eine Minute Redezeit verloren gegangen, Herr Präsident; vielleicht bekomme ich sie dazu.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Diese Minute können Sie gerne hinzubekommen. Bitte schön.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich habe gesagt: Die Lage ist zu ernst, als dass man seitens der Opposition, hier insbesondere von der Linken, die zum Teil verwirrt ist und verwirrende Argumente vorbringt und Behauptungen aufstellt, mit billiger Polemik arbeitet. Wir von der SPD, der CDU/CSU und der FDP stimmen darin überein, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen. Kollege Kampeter hat schon darauf hingewiesen, wie das Problem, das auf diesem Globus in einer völlig neuen Dramatik aufgetreten ist, weltweit angegangen wurde. Die Amerikaner haben versucht, zu einer Lösung zu kommen, die im Wesentlichen den Steuerzahler belastet, was nicht das Gelbe vom Ei ist. Die Briten haben es mit einer Versicherungslösung versucht; das hat nicht funktioniert. Wir haben lange darüber nachgedacht und hatten am Schluss noch einen Zielkonflikt zu lösen. Wir wollten nämlich einerseits die Bilanzen der Banken entlasten, andererseits aber den Steuerzahler damit nicht belasten. ({0}) Um dieses Problem doch noch zu lösen, haben wir das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland eingeschaltet, das Verbesserungsvorschläge angebracht hat, die wir in den Gesetzentwurf eingearbeitet haben, den dankenswerterweise heute die Koalitionsfraktionen als Fraktionsinitiative einbringen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege Bonde hat gefragt: Wer sind die Profiteure? Die Profiteure dieser Rettungsaktion sind ({2}) die Handwerker, die Häuslebauer, ({3}) die Selbstständigen, die Unternehmen. ({4}) Wir wollen mit unserem Modell im Interesse des Schutzes und des Erhalts der Arbeitsplätze den Geldkreislauf innerhalb der Bankenwirtschaft wieder in Gang setzen und neue vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen. Das Bad-Bank-Modell funktioniert in folgender Weise: Die bisher unterschiedlich wertberichtigten Papiere werden mit einem zusätzlichen Abschlag von 10 Prozent, den die Bank verkraften muss, in eine Zweckgesellschaft übertragen. Die Bank übernimmt eine Schuldverschreibung dieser Zweckgesellschaft, macht also einen Aktivtausch. Die verbrieften Rückzahlungsverpflichtungen der Zweckgesellschaft werden vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung garantiert. Die Garantie wirkt zugunsten der Bank, die die Schuldverschreibung erworben hat. Der Vorteil ist, dass die Bank diese Schuldverschreibung bei der Bundesbank zur Beschaffung neuen Geldes einreichen kann, was mit den ursprünglichen Wertpapieren nicht möglich war. Damit können wir Eigenkapital freisetzen, das für die Vergabe neuer Kredite an Häuslebauer, Unternehmen, Selbstständige und Handwerker dringend gebraucht wird. Das ermöglichen wir durch diese Maßnahmen. ({5}) Diese Garantie wird für die Banken allerdings nicht zum Nulltarif erhältlich sein. Die Bank muss mehrfach zahlen. Erstens muss sie für die übernommene Garantie eine Garantiegebühr an den SoFFin bezahlen. Sie muss zweitens einen Ausgleichsbetrag in gleichbleibenden Raten über die Garantielaufzeit von maximal 20 Jahren zahlen, der aus der Differenz zwischen dem um 10 Prozent reduzierten Buchwert und dem durch Sonderprüfer noch festzusetzenden vermuteten Endwert dieser Papiere, dem sogenannten Fundamentalwert bei Fälligkeit, ermittelt wird. Die Differenz muss auf der Zeitachse ausgeglichen werden. Drittens muss sie die Ausschüttungen an ihre Anteilseigner - bei Aktiengesellschaft also die Dividenden - sperren und an den Bund auskehren, falls der tatsächliche Marktwert bei Fälligkeit unter dem geschätzten Fundamentalwert liegen sollte. Insofern haben die Koalitionsfraktionen jetzt gemeinsam einen Vorschlag eingebracht, der den Steuerzahler maximal schützt. Es ist auch über die Frage des Kollegen Toncar diskutiert worden: Wie steht es mit dem Konsolidierungsmodell? Richtig ist: Der SoFFin hat sich mit der Erarbeitung dieses Modells Verdienste erworben. Bei der Diskussion hat sich aber gezeigt, welche vielfältigen Fragen noch zu lösen sind, die noch in der Prüfung sind und auf die der SoFFin noch keine Antworten hat. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Es sollen ja nicht nur Risikopositionen ausgelagert werden, sondern auch Geschäftsfelder. Die Eigentümer müssen sich endlich dazu äußern, welche Geschäftsfelder sie auslagern wollen. ({6}) Wenn sie sich geäußert haben, welche Geschäftsfelder sie auslagern wollen, muss geklärt werden, bei wem die politische Verantwortung liegen soll. Ich möchte darauf hinweisen, dass mit manchen Geschäftsfeldern sehr viel Personal verbunden ist. Was geschieht dann mit dem Personal? Wer trägt am Schluss die politische Verantwortung dafür, was mit dem Personal zu geschehen hat? ({7}) All diese Fragen bedürfen einer vertieften Erörterung. Das kann man nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln, Herr Kollege Toncar. ({8}) Wir sind dabei, mit den Ländern und den Sparkassen über die noch offenen Fragen zu diskutieren. Wir wollen Abwicklungsgesellschaften in der Rechtsform von Anstalten des öffentlichen Rechts gründen, auf die die Risikopositionen und ganze Geschäftsbereiche übertragen werden können. ({9}) Wir sind im Übrigen, Herr Kollege Kampeter, guten Willens, Ihnen die Lösungsvorschläge in der nächsten Zeit zu übermitteln, ({10}) damit Sie rechtzeitig vor der Schlussberatung im Haushaltsausschuss über diese Lösungsvorschläge nicht nur nachdenken, sondern auch entscheiden können. ({11}) In diesem Sinne „Glück auf!“ für unser Vorhaben. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele von der FDP-Fraktion. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben es zu Recht angesprochen: Die Lage ist ernst. Es ist kein alltäglicher Vorgang, mit dem wir uns hier heute zu beschäftigen haben. Es sollte auch nicht zur Regel werden. Aber wenn die Notwendigkeit besteht, dann müssen wir uns im Parlament mit dem Problem so auseinandersetzen, wie es heute geschieht. Die FDP hat im Interesse der Aufrechterhaltung des Finanzmarktes für die Bürger in unserem Land dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz zugestimmt. Die FDP ist allerdings der Auffassung, dass neben den kurzfristigen Löschaktionen in diesem Bereich auch die Frage nach der Verursachung der Brände zwingend gestellt werden muss. Denn im Zusammenhang mit der Frage, wer die Verantwortung trägt, ist gleichzeitig Vorsorge dafür zu treffen, dass so etwas nicht wieder geschehen kann. ({0}) Der Finanzsektor - das ist nicht jedem Bürger unseres Landes klar - ist der am stärksten regulierte und beaufsichtigte Bereich unserer Wirtschaft. Im Kreditwesengesetz sind klare Regelungen über die Liquidität und das Eigenkapital der Banken aufgestellt. Trotz dieser Regeln, trotz einer staatlichen Aufsicht durch die Bankenaufsicht und die Bundesbank und trotz einer Aufsicht durch das Bundesfinanzministerium ist unser Finanzsystem in eine Krise geraten, wie sie überhaupt nicht vorstellbar war. Deshalb handelt es sich hier aus unserer Sicht an erster Stelle um Staatsversagen. ({1}) Um es auch hinsichtlich der Landesbanken klarzustellen: Nach Auffassung der FDP sollte der Staat nicht Unternehmer sein. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, private Banken wie die IKB oder Landesbanken zu führen, für deren Verluste in vielen Bundesländern der Steuerzahler einzustehen hat. Wir müssen uns wieder auf die Grundordnung besinnen. Der Staat sollte die Regeln setzen und Schiedsrichter sein, aber nicht Marktteilnehmer. Das sind Grundsätze, die uns die soziale Marktwirtschaft gelehrt hat und auf die wir zurückkommen müssen, damit die Wirtschaft wieder florieren kann. ({2}) Es ist nach wie vor ein Skandal, dass die Hypo Real Estate, die inzwischen über 100 Milliarden Euro staatlicher Gelder erhalten hat, überhaupt nicht der Bankenaufsicht unterlag. Dadurch kam es zu Problemen. Bis heute hat kein Mitglied der Bundesregierung erklärt, dass ein Fehler passiert sei oder dass man Verantwortung habe. Verantwortung in unserem Staat kann nicht so aussehen, dass die Repräsentanten des Staates, die in der Aufsicht, in der Verantwortung sind, sagen: Das ist jetzt alles so gelaufen, jetzt lasst uns nur nach vorne schauen. - Stattdessen müssen wir prüfen, was falsch gelaufen ist und wer die Verantwortung trägt. Die Verantwortlichen müssen klar benannt werden. An der Stelle erwarte ich immer noch ein Wort der Entschuldigung des Finanzministers für das Versagen der Finanzaufsicht, das unter seiner Ägide entstanden ist. ({3}) Das ist bis heute nicht erfolgt. Das ist ein Armutszeugnis von Verantwortung in unserem Land. Das ist nicht hinzunehmen. ({4}) Im Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung ist geregelt, dass die Banken ihre Schrottpapiere - so werden sie umgangssprachlich genannt zum Buchwert minus 10 Prozent abgeben sollen. Diesem Buchwert soll ein Fundamentalwert gegenübergestellt werden. Hier stellt sich schon heute die Frage, ob es bilanztechnisch nicht so sein müsste, dass der Buchwert den Fundamentalwert bereits abbildet. Wenn das so wäre, dann gäbe es nämlich gar keinen Unterschied zwischen Buchwert und Fundamentalwert. Oder sind in den Buchwerten der Banken Werte abgebildet, die in Wirklichkeit schon gar nicht mehr zu erzielen wären? Hier sollte die Bankenaufsicht sehr vorsichtig sein; denn eigentlich dürfte das gar nicht sein. Es gibt also noch viele offene Fragen, mit denen wir uns in einer Anhörung befassen müssen. Ein Gesetzentwurf liegt zwar vor. Ich gehe aber davon aus, dass er massiv verändert werden muss. Eines der Hauptprobleme in diesem Bereich sind die Landesbanken. Weil es unterschiedliche Landesbanken gibt, muss für sie eine Lösung gefunden werden, die institutsspezifisch ist. Insofern stelle ich fest: Wenn man mit diesem Gesetz versuchen möchte, auf dem Finanzmarkt wieder etwas mehr Vertrauen zu schaffen, dann sollte es so formuliert werden, dass es auch angenommen werden kann. Ich habe Zweifel, ob private Banken angesichts der Bedingungen und Kautelen, die mit diesem Gesetz verbunden sind, überhaupt interessiert und in der Lage sein werden, dieses Gesetz anzunehmen, um wieder Kapital zu erhalten und das zu tun, was nötig ist: Kredite an den Mittelstand und die Wirtschaft insgesamt zu vergeben, damit unsere Wirtschaft wieder vorankommt, die Zahl der Arbeitsplätze steigt und die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Rupprecht von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere akute und äußerst dringende Aufgabe ist es, eine Albert Rupprecht ({0}) drohende Kreditklemme für Handwerk, Mittelstand und Industrie im Lande abzuwenden. Die Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben, hängt entscheidend von der Eigenkapitalausstattung ab. Das Eigenkapital ist derzeit dreifach massiv unter Beschuss: Erstens: Die Produkte in den Bilanzen verlieren tagtäglich weiter an Wert. Das wird auch so bleiben, solange unter anderem die Immobilienpreise in den USA fallen. Zum Zweiten: Durch die Wirtschaftskrise fallen Unternehmenskredite aus. Zum Dritten: Die Herabstufung durch Ratingagenturen zwingt Banken nach Basel II, mehr Eigenkapital zu hinterlegen. Weil Banken auf dem Kapitalmarkt derzeit aber kein Kapital bekommen, bleibt ihnen letztendlich nur die Möglichkeit, die Kreditvergabe herunterzufahren. Deswegen ist es eine Schlüsselaufgabe, das Eigenkapital in den Bankbilanzen zu stabilisieren. Sonst kommt es im Laufe des Jahres zu einer breiten Kreditklemme und zu einem weiteren Einbruch von Wachstum und Beschäftigung. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird das Eigenkapital stabilisiert. Giftige Produkte in einem Umfang von 200 Milliarden Euro können in Zweckgesellschaften ausgelagert werden. Die Altlasten werden dort über 20 Jahre abgetragen. Und - das ist entscheidend und war unsere klare politische Vorgabe -: Das verbleibende Defizit wird von den Alteigentümern getragen. Wir haben Wort gehalten: Der Steuerzahler wird nicht zusätzlich belastet. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, Modellrechnungen zeigen uns: Im äußersten Fall kann durch die Auslagerung giftiger Produkte in einem Umfang von 200 Milliarden Euro die Fähigkeit deutscher Banken, Kredite zu vergeben, in einer Größenordnung von 2,5 Billionen Euro steigen. Auch wenn dieses Rechenbeispiel ein Extremfall ist, der in der Praxis nicht eintreten wird, weil nicht alle Banken mitmachen werden und weil nicht jedes giftige Produkt mit 100 Prozent Eigenkapital hinterlegt werden muss, zeigt es die Dimension, um die es beim heute vorliegenden Gesetzentwurf geht. Im Vergleich dazu ist das Konjunkturprogramm II mit seinem Volumen von 50 Milliarden Euro eigentlich nachrangig. Oder andersherum: Ohne die Kraft der Banken, Kredite zu vergeben, wird es kein Ende der Wirtschaftskrise geben. Deswegen ist es auch höchste Zeit, dass der Gesetzentwurf vorliegt. Die Finanzpolitiker der Unionsfraktion haben das bereits im Dezember 2008 gefordert, und zwar in den jetzt vorliegenden Grundzügen. Ich kann mir die Anmerkung an dieser Stelle nicht verkneifen: Minister Steinbrück hat unsere Vorschläge damals massiv abgelehnt und geantwortet: Einige sollten erst nachdenken … Die Einrichtung einer sogenannten Bad Bank würde Deutschland 150 bis 200 Mrd. Euro kosten. In der Tat: Nachdenken kann etwas bewegen. Das gilt auch beim Finanzminister. ({2}) Das vorliegende Modell der Zweckgesellschaft ist in den Grundzügen sehr gut gelungen. Kompliment an die Fachleute in den Ministerien! Im Detail gibt es aber einen Änderungsbedarf zu diskutieren. Zudem fehlt der notwendige zweite Teil für die Landesbanken. Es geht im Konkreten um folgende Punkte: Erstens. Der zehnprozentige Abschlag beim Auslagern in die Zweckgesellschaft kostet manche Bank wertvolles Eigenkapital in Milliardenhöhe. Wir sollten auf diesen Abschlag verzichten. Zweitens. Wieso ist der Stichtag der Wertermittlung der 31. März 2009 und nicht der 31. Dezember 2008? In diesen drei Monaten ist der Wert der Produkte massiv gesunken. Auch das kostet wertvolles Eigenkapital. Drittens. Der Anwendungsbereich. Es macht keinen Sinn, ausschließlich ABS-Papiere zuzulassen. Wenn wir Klarheit in den Bilanzen der Banken und Vertrauen zwischen den Banken erreichen wollen, muss alles, was toxisch ist, offengelegt werden und raus aus den Büchern. Viertens. Die Banken müssen wieder fähig werden, privates Eigenkapital zu bekommen, statt dauerhaft am staatlichen Tropf zu hängen. Das gelingt aber nur, wenn die neuen Aktionäre, zum Beispiel nach Kapitalerhöhungen, frei von Altlasten sind, das heißt, die Altlasten müssen ausschließlich von den Alteigentümern getragen werden und nicht von den Neueigentümern nach Kapitalerhöhungen. Fünftens. Wenn wir die Banken wieder auf gesunde Füße stellen wollen, dann ist es notwendig, dass ganze Geschäftsbereiche, die nicht zukunftsfähig sind, ausgelagert werden können. Das gilt vor allem für die Landesbanken, und das geht weit über die toxischen Assets hinaus. Der SoFFin hat hier bereits vor Monaten Vorschläge für derartige Konsolidierungsbanken vorgelegt. Dazu brauchen wir - das ist unsere feste Überzeugung - einen Gesetzentwurf vonseiten des Finanzministeriums, der bis heute leider nicht vorliegt. Wir brauchen diese Konsolidierung für die Landesbanken, wir brauchen sie aber auch, um Schaden von den regionalen Sparkassen abzuwenden. Es ist der klare Wunsch der Unionsfraktion, dass der Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren um dieses Element erweitert wird. Wir brauchen hier endlich einen Gesetzestext. Wir werden keinen gesetzlichen Zwang zur Auslagerung der giftigen Papiere beschließen. Wir erwarten aber, dass die betroffenen Banken mitmachen. Andernfalls muss die Bankaufsicht mit Druck dafür sorgen. Die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland zu meistern, ist ein Riesenkraftakt für unser Land. Bundesregierung und Gesetzgeber haben das Land in den vergangenen Monaten stabilisiert und das Schlimmste verhindert. Auch der vorliegende Gesetzentwurf hilft, Schaden vom deutschen Volke abzuwehren. ({3}) Albert Rupprecht ({4}) Die Banken sind aber auch gefordert, das Gesetz zu nutzen und im möglichen Rahmen Kredite zu vergeben. Die Banken haben hier ganz klar eine Verantwortung für unser Land. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz von der SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir haben hier zum ersten Mal in den letzten 16 Jahren - seitdem habe ich die Möglichkeit, Gesetzgebung mitzugestalten - das Phänomen einer prozessbegleitenden Gesetzgebung. Das muss auch so sein. Wir haben ein neues Problem, das sich in die eine oder andere Richtung auf eine Art und Weise zuspitzt, die zwei, drei Monate vorher möglicherweise gar nicht erkennbar gewesen ist. Deswegen müssen wir sozusagen just in time eine Feinsteuerung an den grundsätzlich richtigen Instrumenten vornehmen, die wir uns mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz gegeben haben. Das ist der Prozess, und das kann man uns nicht vorwerfen, sondern man müsste uns eigentlich dafür loben, dass wir so klug sind, diese Feinsteuerung vorzunehmen und nicht an Prinzipien festzuhalten, die möglicherweise nicht mehr problemadäquat sind. ({0}) Das gilt auch für das Problem des besonderen Abschreibungsbedarfs für die sogenannten faulen oder toxischen Papiere. Dieser Begriff ist eigentlich völlig falsch. Wir haben bildlich betrachtet einen Hühnerbestand, von dem wir wissen, dass einige der Hühner krank sind. Wir wissen aber nicht genau, welche. Es gibt entweder die Möglichkeit, dass wir uns für Keulung entscheiden - das wäre auf die Banken übertragen eine mittlere Katastrophe -, oder wir entscheiden uns für Quarantäne. Wir haben uns für Quarantäne entschieden. Die infizierten Papiere kommen in Quarantäne. Auf der Zeitachse wird sich zeigen, wo es einen hundertprozentigen Abschreibungsbedarf gibt und wo es eine Wertaufholung gibt. Das ist die Kunst. Deswegen gibt es auch zwei unterschiedliche Buchwerte: einen möglicherweise jetzt und den zweiten zum Zeitpunkt der Schlussabrechnung. Die Differenz wird bewertet. Auch der Vorwurf, wir würden im Zusammenhang mit dem Abschreibungsbedarf keine Transparenz schaffen, ist aus meiner Sicht, ehrlich gesagt, völliger Blödsinn. ({1}) In dem Augenblick, in dem wir Banken die Möglichkeit geben, diese Bestände auszulagern und darüber auch noch eine Garantie zu geben, ist doch völlig klar, dass es von beiden Seiten einen detaillierten Bewertungsprozess geben wird. Es wird auch gestritten werden, um zu einer vernünftigen Bewertung zu kommen. Transparenter wird es nicht sein. Der Staat und der SoFFin sind mit dabei. Insofern ist das, denke ich, ein guter Prozess. In dem Bereich der Auslagerung von besonderem Abschreibungsbedarf sind im Übrigen die Landesbanken voll mit einbezogen. Wir können gar keinen Unterschied zwischen Privatbanken, Landesbanken oder irgendwelchen Bankentypen machen. Sie sind mit dabei. Das Angebot gilt auch für sie.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schultz, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Höll?

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Kollege. - Ich habe eine Frage. Sie haben eben das Bild der infizierten Hühner verwandt. Wie machen Sie das, wenn Sie nicht einmal wissen, welche Hühner infiziert sind? Auf Vermutung hin? Es gibt schließlich keinen Zwang auf Offenlegung.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So ist das bei der Quarantäne, ob beim Hühnerbestand oder in jedwedem anderen Fall, dass man die Kranken sozusagen von den Gesunden isoliert - das gilt für den gesamten Bestand - und beobachtet, wie sich die Dinge entwickeln. Aber man will eine Infizierung weiterer Bestände - in diesem Fall der guten Bank - vermeiden. Deswegen wird die Trennung vorgenommen. Die Transparenz wird dadurch geschaffen, dass bewertet werden muss, welcher Buchwert jetzt bzw. mit einem Abschlag realistisch wäre. Der gesamte Abschreibungsprozess wird dann begleitet werden, und am Ende gibt es einen neuen Wert, den wir noch nicht kennen. Er kann viel gesünder sein - um im Bild zu bleiben -, als wir es uns heute vorstellen; er kann aber auch schlechter sein. Die notwendige Transparenz entsteht innerhalb der Bad Bank durch den beidseitigen Bewertungsprozess, nämlich durch die Bank selber als De-facto-Eigentümer und den Garantiegeber. Zu dem Sonderthema Landesbanken: Man darf es sich, finde ich, nicht ganz so einfach machen, Herr Kampeter. Ich bin immer dafür gewesen, dass wir uns um die Landesbanken kümmern, die eine bedeutende Rolle spielen - 20 Prozent aller Unternehmenskredite, Kredite für Selbstständige usw. laufen nach wie vor über die Landesbanken -, statt nur deshalb nichts zu tun, weil die Landesbanken ausschließlich in den Ländern betroffen sind, wo derzeit sozusagen eine andere Feldpostnummer regiert. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass in den letzten Jahren zum Teil durch die Eigentümer, insbesondere die Landesregierungen, mehr als merkwürdig Reinhard Schultz ({0}) und sträflich mit den Landesbanken umgegangen worden ist. ({1}) Es gab viele Chancen, sie zu sanieren und zu konsolidieren. Das Gegenteil ist gemacht worden. Nach den letzten Krisen Anfang dieses Jahrzehnts hat man sich nicht besonnen, sondern im Grunde genommen weitergemacht, als wäre nichts passiert. Da muss man nach den Verantwortlichkeiten fragen. ({2}) Sind wir dafür verantwortlich oder sind es diejenigen, die in den Bundesländern auch die finanzpolitische Verantwortung tragen? Dass die Sparkassen dabei mit im Boot sind, wissen wir. Wir wissen auch, dass die Sparkassen als Miteigentümer gegenüber einer Landesregierung in einer wesentlich schwächeren Stellung sind. Denn wir haben parallel dazu die Gesetzgebung der Länder im Zusammenhang mit den Landessparkassen als erzieherische Prozesse mit vertikaler Integration und anderem mehr erlebt, die dazu beigetragen haben, dass sich die Sparkassen in ihrer Eigentümerrolle nicht mehr gegen die Länder wehren konnten. Aber wir müssen das Problem lösen. Deswegen bin ich auch froh darüber, dass heute der Sparkassen- und Giroverband sein Papier vorgelegt hat, welche Kernfelder er sich für die künftige Landesbankenstruktur vorstellt, nämlich, um das zu zitieren, Sparkassenzentralbank, komplementäres Mittelstandsgeschäft, Unternehmensgeschäft, Begleitung der heimischen Kunden im internationalen Geschäft und kundenorientiertes Kapitalmarktgeschäft. Dies ist eine abschließende Aufzählung der Felder, über die man gut diskutieren kann. Das Investmentgeschäft und Kapitalmarktgeschäfte genereller Art fallen weg, ebenso Immobilienspezialfinanzierungen und andere Dinge. Das heißt, sie konzentrieren sich auf ein Kernfeld, das auch in Blickweite dessen steht, was die Sparkassen als Miteigentümer zur Verstärkung ihrer Handlungsfähigkeit brauchen. Daraus folgt die zweite Frage: Wie viele Landesbanken brauchen wir? Dazu muss ein klarer Fahrplan her, sodass am Ende nur noch eine passgenaue Kapazität an Landesbanken vorhanden ist, wie sie die Sparkassen als Zentralinstitut und als Mittelstandsbank tatsächlich benötigen, und kein Stück mehr. Wenn dieser Plan vorliegt und die Länder mitmachen, dann ist es doch selbstverständlich, dass wir dafür sind, auch die dann überflüssigen, nicht mehr tragfähigen Geschäftsfelder in eine andere Umgebung zu nehmen und sie sozusagen sozialplanmäßig abzuschmelzen. Diesen hierbei stattfindenden Prozess wollen wir garantieren. Wenn aber mit uns ein Spielchen gemacht werden sollte, indem im Grunde genommen alles beim Alten bleibt und nur eine Holding über die bestehenden Landesbanken errichtet wird, sie aber weitermachen können wie bisher, ({3}) dann werden wir das garantiert nicht mitmachen. ({4}) - Die SPD-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat ihre Schularbeiten gemacht, als sie ihre Krisen hatte, und hat der Regierung Rüttgers eine gesunde WestLB übergeben. ({5}) Wie man in so kurzer Zeit aus einem relativ gesunden Institut einen Todkranken machen kann, ({6}) bei dessen Rettung derzeit die Landesregierung und auch die Präsidenten der regionalen Sparkassen nur deswegen so konstruktiv sind, ({7}) weil sie noch auf dem letzten Drücker aus dem offenen Sarg springen wollen - das ist doch der Grund -, ist mir ein Rätsel. Die WestLB ist im freien Fall; leider, muss man sagen. Wie man das so schnell hinbekommen kann, ist schon ein finanzpolitisches Kunststück. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will zum Ende kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ja, bitte.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich unterstreiche ausdrücklich die Forderung von Carsten Schneider, beim Risiko für den Steuerzahler eine weitere Reißleine einzuziehen. Falls die Situation eintritt, dass einzelne Banken während dieses 20-jährigen Prozesses das Zeitliche segnen, was ich nicht hoffe, und damit das Instrument Dividendenausschüttungssperre nicht mehr greift, muss die Finanzfamilie insgesamt dafür bezahlen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schultz, bitte!

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachgelagerte Restrisikoumlage muss sein; anderenfalls ist dies politisch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar, die das dann letztendlich bezahlen müssten oder die Sorge hätten, es bezahlen zu müssen. Zumindest die großen Volksparteien dürften das nicht vertreten können. Reinhard Schultz ({0}) Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Otto Bernhardt das Wort. ({0})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Schultz: Es ist eigentlich unter Ihrem Niveau, was Sie zur Westdeutschen Landesbank gesagt haben, die Sie geordnet übergeben haben wollen. Es bedürfte eines speziellen Vortrags, dies zurückzuweisen. Ich sage nur ganz klar: Diese Aussagen haben mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun. ({0}) Die Debatte hat Folgendes gezeigt: Wir alle sind davon überzeugt, dass wir etwas tun müssen, um unseren Banken die Möglichkeit zu geben, ihre Bilanzen von den schlechten Papieren zu entlasten. In der Tat ist dies der einzige Punkt, den wir bisher noch nicht gelöst haben; aber dies gilt nicht nur für uns in Deutschland. Auch das Versicherungsmodell in Großbritannien hat nicht zur Entlastung der Bilanzen geführt; ebenso ist der Versuch der Vereinigten Staaten, mit dem Einsatz umfangreicher öffentlicher Gelder Private zu animieren, diese Papiere zu kaufen, zumindest bisher nicht aufgegangen. Natürlich ist der vorliegende Gesetzentwurf nur ein erster Schritt; das wissen wir. ({1}) Aber, meine Damen und Herren, da wir das Ganze am 3. Juli abschließen müssen - wir brauchen bis zur Sommerpause eine gesetzliche Grundlage für dieses Thema -, war es richtig, zunächst einmal diesen ersten Schritt vorzulegen, der natürlich nur das Problem der schlechten Papiere löst. ({2}) Er löst natürlich nicht das Hauptproblem unserer Landesbanken, ganze Bereiche abzugeben. Aber ich gehe davon aus - der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen -, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch Lösungen für diesen Teil gefunden werden. Ich bin sicher, dass wir am 3. Juli etwas verabschieden werden, das auch dieses Problem löst. Die Frage, warum die schlechten Papiere aus der Bilanz genommen werden müssen, kann man einfach mit einem Satz beantworten: Die betroffenen Kreditinstitute sind sonst nicht in der Lage, im notwendigen Umfang neue Kredite zu geben. Wenn sie das nicht können, dann kommt die Realwirtschaft nicht wieder in Gang. Das heißt, dies ist eine Entscheidung für die Realwirtschaft, die wir zwingend treffen müssen. ({3}) Bei der Beantwortung der Frage, um welches Volumen es sich handelt, hat eine Zahl die Öffentlichkeit ein bisschen verunsichert. Bei den 850 Milliarden Euro, die einmal genannt wurden, handelt es sich um Papiere, die die Banken gerne abgeben würden nach dem Motto „Wünsch dir was“. Aber ich glaube, bei den Papieren, die wirklich infrage kommen, bewegen wir uns in einer Größenordnung von 200 Milliarden Euro. Es ist richtig, dass wir beim Prinzip der Freiwilligkeit bleiben. Das heißt, jede Bank muss selbst entscheiden, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Mein Eindruck ist, dass sechs Banken davon Gebrauch machen müssen. Vielleicht kommt noch eine siebte Bank hinzu. Es geht um vier Landesbanken, die Hypo Real Estate und die Commerzbank. Das entscheidende Problem, vor dem wir standen - das hat der Staatssekretär Diller aufgeführt -, war die Beantwortung der Frage, wie wir einen Weg finden, dass auf der einen Seite die Bankbilanzen endgültig entlastet werden und auf der anderen Seite die Risiken nicht vom Steuerzahler, sondern letztlich von den Verursachern getragen werden. Hier gibt es aus meiner Sicht durchaus eine Reihe ungeklärter Fragen und Probleme. Ich nenne als Beispiel den 10-prozentigen Abschlag. Dieser Vorschlag stammt nicht von uns oder vom Finanzministerium, sondern von der EU. Aber ich kann mich damit noch nicht anfreunden; denn das würde bei Papieren mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro einen Abschreibungsbedarf in Höhe von 20 Milliarden Euro bedeuten. Ich weiß nicht, woher die zur Diskussion stehenden Banken das nehmen sollen. Die Bestimmung, dass diejenigen, denen es schlecht geht, wegen der 7-ProzentGrenze nicht abschreiben müssen, erscheint mir unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung sehr problematisch. Das heißt, wer gut gewirtschaftet hat, muss 10 Prozent abschreiben, wer schlecht gewirtschaftet hat, nicht. Das ist für mich eine ganz offene Frage. ({4}) Ich glaube einfach nicht daran, dass noch so gute Fachleute in der Lage sind, den wirklichen Preis der infrage kommenden Papiere zu ermitteln. Den gibt es einfach nicht. Wir stellen aber auf diesen Preis ab. Ich bin noch immer nicht sicher, ob wir wirklich die Risiken aus den Bankbilanzen nehmen können, wenn die Banken selber später für die Risiken zahlen müssen. Wie Sie wissen, gibt es unterschiedliche Auffassungen unter den Wirtschaftsprüfern. Ich habe zurzeit mehr Sorge wegen der Problematik der Konsolidierung. Weil die gesamten Chancen und Risiken aus den „Beibooten“ beim Mutterinstitut bleiben, ist für mich das Thema der Konsolidierung noch nicht aus der Welt. Wir müssen darüber in Ruhe diskutieren. Ich stelle fest, dass ein Aspekt noch nicht angesprochen wurde. Ich möchte das in Form einer Frage tun, obOtto Bernhardt wohl ich vermute, dass dieser Ansatz falsch verstanden wird. Deutsche Banken, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, können unter Umständen 20 Jahre keine Dividenden zahlen. In anderen Ländern übernimmt zum größten Teil der Steuerzahler die Risiken. Ich will das nicht, stelle aber die kritische Frage: Können unsere Kreditinstitute, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, international konkurrieren, wenn sie 20 Jahre keine Gewinne ausschütten können? Das ist eine sehr kritische Frage, mit der wir uns sicherlich auch in der nächsten Legislaturperiode befassen müssen. Ich stelle abschließend fest: Die Große Koalition ist auch in der Lage, das letzte schwierige Problem der internationalen Finanzkrise zu lösen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einen guten ersten Schritt darstellt. Wir werden am 3. Juli einen umfassenden Gesetzentwurf zu dieser Problematik verabschieden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/13156, 16/12884, 16/12885 und 16/12996 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Die Vorlage auf Drucksache 16/12904 soll ebenfalls an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also Federführung beim Finanzausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. ({0}) - Nein, Sie haben sich enthalten. Ich kann es nicht ändern. Wollen Sie gerne, dass wir die Abstimmung wiederholen? Ich bin gerne dazu bereit. ({1}) Also: Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der CDU/CSU und der SPD? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Jetzt stimmt es. Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion der FDP zur Abschaffung der Soziali- sierung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/7729, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3301 abzulehnen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt die dritte Beratung. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Mittelstandsförderung sichern - ERP-Vermögen aus der KfW-Bankengruppe herauslösen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/11630, den An- trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8928 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Frak- tion und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 46 a bis 46 o sowie Zusatzpunkte 2 a bis 2 h auf: 46 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung ({2}) - Drucksache 16/13106 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen - Drucksache 16/13125 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Akkreditierungsstelle ({5}) - Drucksache 16/13126 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 16/13108 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 16/13109 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8}) Rechtsausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Beschlüssen vom 24. September 2004 zur Änderung des Rotterdamer Übereinkommens vom 10. September 1998 über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel im internationalen Handel - Drucksache 16/13110 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über das Schulobstprogramm ({10}) - Drucksache 16/13111 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgeset- zes - Drucksache 16/13112 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz i) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinge- setzes - Drucksache 16/13158 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth ({12}), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bleihaltige Jagdmunition verbieten - Drucksache 16/13173 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({13}) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Mücke, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Rechte der Fluggäste stärken - Drucksache 16/12997 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus l) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung Deutschlands Rolle in der globalen Wissensgesellschaft stärken - Drucksache 16/8338 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({16}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung m) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Masterplan Güterverkehr und Logistik - Drucksache 16/10049 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Hauptgutachten 2007 des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen „Welt im Wandel - Sicherheitsrisiko Klimawandel“ und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 16/11600 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({18}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus o) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat Jahresbericht 2008 - Drucksache 16/12510 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({19}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ZP 2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ({20}) - Drucksache 16/13115 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({21}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen - Drucksache 16/13159 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({22}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff ({23}), Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet ({24}) - Drucksache 16/13160 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({25}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Peter Hettlich, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Alternativen zum Weiterbau der Bundesautobahn A 100 in Berlin - Drucksache 16/13172 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({26}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({27}), Birgitt Bender, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz schaffen - Verbindliches Register für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter einführen - Drucksache 16/13174 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({28}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck ({29}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dopingvergangenheit umfassend aufarbeiten - Drucksache 16/13175 - Überweisungsvorschlag: Sportausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth ({30}), Katrin Göring-Eckardt, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzungsgesetz für UNESCO-Welterbeübereinkommen vorlegen - Drucksache 16/13176 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({31}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz ({32}), Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sport fördert Integration - Drucksache 16/13177 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({33}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/13174 soll federführend beim Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 47 a bis 47 p sowie Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 47 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts - Drucksache 16/11339 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({34}) - Drucksache 16/13099 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Dirk Manzewski Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13099, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/11339 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 47 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/12587 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({35}) - Drucksache 16/13184 Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13184, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12587 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 47 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({36}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sozialverträgliche Beendigung des subventionierten Steinkohlebergbaus beschleunigen - Drucksachen 16/8772, 16/10508 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10508, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8772 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Tagesordnungspunkt 47 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({37}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern ({38}) ({39}) KOM({40}) 887 endg.; Ratsdok. 17564/08 - Drucksachen 16/11819 Nr. A.22, 16/12980 - Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von FDP und den Linken angenommen.1) Tagesordnungspunkt 47 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({41}) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin An- dreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vergaberecht konsequent sozial gestalten - Gemeinnützige Unternehmen nicht benachtei- ligen - Drucksachen 16/12694, 16/13155 - Berichterstattung: Abgeordneter Volkmar Uwe Vogel Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/13155, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/12694, abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenom- men. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 47 f bis 47 p. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. 1) Anlage 4 Tagesordnungspunkt 47 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42}) Sammelübersicht 565 zu Petitionen - Drucksache 16/13004 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 565 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 47 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43}) Sammelübersicht 566 zu Petitionen - Drucksache 16/13005 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 566 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 47 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44}) Sammelübersicht 567 zu Petitionen - Drucksache 16/13006 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 567 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 47 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45}) Sammelübersicht 568 zu Petitionen - Drucksache 16/13007 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 568 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 47 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46}) Sammelübersicht 569 zu Petitionen - Drucksache 16/13008 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 569 ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 47 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47}) Sammelübersicht 570 zu Petitionen - Drucksache 16/13009 24592 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 570 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 47 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({48}) Sammelübersicht 571 zu Petitionen - Drucksache 16/13010 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 571 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP und der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 47 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({49}) Sammelübersicht 572 zu Petitionen - Drucksache 16/13011 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 572 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 47 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({50}) Sammelübersicht 573 zu Petitionen - Drucksache 16/13012 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 573 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und des Bündnisses 90/ Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 47 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({51}) Sammelübersicht 574 zu Petitionen - Drucksache 16/13013 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 574 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von FDP und Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 47 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({52}) Sammelübersicht 575 zu Petitionen - Drucksache 16/13014 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 575 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 3: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({53}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union ({54}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck ({55}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Überwachungsanordnung rechtsstaatlich absichern - Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes - Drucksachen 16/12733, 16/12856({56}), 16/13101 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({57}) Mechthild Dyckmans Jerzy Montag Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12733 mit dem Titel „Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12856 ({58}) mit dem Titel „Europäische Überwachungsanordnung rechtsstaatlich absichern - Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({59}) zu dem Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbu- ches sowie anderer Vorschriften - Drucksachen 16/8100, 16/12315, 16/13079, 16/13210 - Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Zöller Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? - Das ist ebenfalls nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus- schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts- ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs- ausschusses auf Drucksache 16/13210? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen von FDP und Linken angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie Zusatzpunkt 5 auf: 6 a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes ({60}) - Drucksache 16/7035 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({61}) - Drucksache 16/13055 - Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({62}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten gegenüber Älteren in den neuen Bundesländern bei der Überleitung von DDRAlterssicherungen in das bundesdeutsche Recht - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gerechte Alterseinkünfte für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gerechte Lösung für die rentenrechtliche Situation von in der DDR Geschiedenen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schaffung einer gerechten Versorgungslösung für die vormalige berufsbezogene Zuwendung für Ballettmitglieder in der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Regelung der Ansprüche der Bergleute der Braunkohleveredlung - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beseitigung von Rentennachteilen für Zeiten der Pflege von Angehörigen in der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenrechtliche Anerkennung für fehlende Zeiten von Land- und Forstwirten, Handwerkern und anderen Selbstständigen sowie deren mithelfenden Familienangehörigen aus der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenrechtliche Anerkennung von zweiten Bildungswegen und Aspiranturen in der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenrechtliche Anerkennung von DDRSozialversicherungsregelungen für ins Ausland mitreisende Ehepartnerinnen und Ehepartner sowie von im Ausland erworbenen rentenrechtlichen Zeiten - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenrechtliche Anerkennung aller freiwilligen Beiträge aus DDR-Zeiten Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kein Versorgungsunrecht bei den Zusatzund Sonderversorgungen der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Regelung der Ansprüche und Anwartschaften auf Alterssicherung für Angehörige der Deutschen Reichsbahn - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Angemessene Altersversorgung für Professorinnen und Professoren neuen Rechts, Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Dienst, Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, Beschäftigte universitärer und anderer wissenschaftlicher außeruniversitärer Einrichtungen in den neuen Bundesländern - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schaffung einer angemessenen Altersversorgung für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die nach 1990 ihre Tätigkeit fortgesetzt haben - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schaffung einer angemessenen Altersversorgung für Angehörige von Bundeswehr, Zoll und Polizei, die nach 1990 ihre Tätigkeit fortgesetzt haben - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einheitliche Regelung der Altersversorgung für Angehörige der technischen Intelligenz der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Peter Hettlich, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versorgung für Geschiedene aus den neuen Bundesländern verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jan Mücke, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Faires Nachversicherungsangebot zur Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und West - Drucksachen 16/7019, 16/7020, 16/7021, 16/7022, 16/7023, 16/7024, 16/7025, 16/7026, 16/7027, 16/7028, 16/7029, 16/7030, 16/7031, 16/7032, 16/7033, 16/7034, 16/11684, 16/11236, 16/13055 Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({63}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Cornelia Behm, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rentenwert in Ost und West angleichen - Drucksachen 16/9482, 16/10375, 16/13201 Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Ich möchte darauf hinweisen, dass wir über die Vorlagen der Fraktion Die Linke später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Viel ist Wiederholung bei den Vorlagen, über die wir heute im Parlament zu entscheiden haben. Da gibt es den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Verbesserung der Rentenberechnung für hohe Funktionäre der Nomenklatura des Partei- und Staatsapparates der DDR. Ebenfalls zur Entscheidung stehen 16 Anträge derselben Fraktion. Dabei geht es um Einzelfragen der Überleitung des lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts. Ebenso geht es um Einzelfragen der Überführung von Versorgungsansprüchen und Versorgungsanwartschaften, die in der DDR erworben worden sind, in die gesetzliche Rentenversicherung. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Da können Sie ruhig Berufsgruppen nennen: Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern! Ganz irdische Menschen! Dann sprechen wir über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesserung der Alterssicherung von Geschiedenen in den neuen Bundesländern und schließlich über einen von der Fraktion der FDP vorgelegten Antrag betreffend Nachversicherungsangebot zur Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und West; auch das steht zur Abstimmung. ({0}) 19 Jahre nach der Wiedervereinigung und mehr als 17 Jahre nach der Überleitung des lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts sind alle angesprochenen Themen wiederholt im parlamentarischen Verfahren, aber auch durch nationale und internationale Gerichte überprüft worden. Unter dem Strich steht eine klare Erkenntnis: Die politische Grundsatzentscheidung, im wiedervereinten Deutschland ein gemeinsames lohn- und beitragsbezogenes Rentenrecht zu etablieren, war, ist und bleibt richtig. ({1}) Das beweist auch die Entwicklung in den neuen Ländern. Die verfügbare Nettostandardrente Ost betrug 1990 nur rund 40 Prozent der vergleichbaren Westrente. Das hat sich seither erheblich verbessert. ({2}) Durch die anstehende Rentenanpassung zum 1. Juli 2009 erhöht sie sich auf ungefähr 89 Prozent. ({3}) Natürlich waren wir uns immer bewusst, dass mit den Regelungen zur Rentenüberleitung nicht sämtliche Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern erfüllt werden können. Ich will an dieser Stelle nicht noch einmal eine detaillierte Analyse der Ausgangsbedingungen vornehmen, wie sie in der Phase der Wiedervereinigung bestanden, und nicht wiederholen, was alles an Ungerechtigkeiten im damaligen DDR-Rentensystem erkannt worden ist. Allerdings will ich daran erinnern, dass bei der Wiedervereinigung zwei völlig unterschiedliche Rentensysteme mit erheblichen Unterschieden im Rentenrecht zusammenzuführen waren. ({4}) Dazu kamen unterschiedliche Währungen und ein deutlich geringeres Lohnniveau in der ehemaligen DDR. ({5}) Es galt die Vereinbarung, alle Rentenansprüche aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Diese Systementscheidung hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1999 bestätigt. Es hat dabei auch klargestellt, dass der Gesetzgeber die in der DDR zurückgelegten Erwerbsbiografien nicht so stellen kann, als ob sie in der Bundesrepublik zurückgelegt worden wären. Auch bestimmte Besonderheiten des DDRRentenrechts, die mit dem lohn- und beitragsbezogenen Rentenrecht der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren waren, konnten nicht in das gemeinsame Dauerrecht übernommen werden. ({6}) Allerdings ist der berechtigten Forderung der Rentnerinnen und Rentner sowie der rentennahen Jahrgänge in den neuen Ländern nach Vertrauensschutz Rechnung getragen worden, nämlich durch großzügige Übergangsvorschriften, die in die Gesetzgebung Eingang gefunden haben. ({7}) Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben am 4. Mai 2009 zu den Themen, die hier zur Debatte stehen, Sachverständige angehört und mit ihnen ausgiebig diskutiert. ({8}) Die Sachverständigen haben einhellig zum Ausdruck gebracht, dass eine Korrektur der geltenden Regelungen rechtlich nicht geboten sei. Sie haben damit frühere Entscheidungen des Bundestages bestätigt. An dieser Stelle muss auch deutlich gesagt werden, dass in der Vergangenheit die meisten der heute hier wiederum zur Abstimmung stehenden Sachverhalte keine parlamentarischen Mehrheiten gefunden haben. ({9}) Natürlich, die Sachverständigen haben bei einigen wenigen Punkten auch unterschiedliche Bewertungen vorgenommen. ({10}) In jedem Fall wurde aber eingeräumt, dass eine sachgerechte Lösung, ohne dass neue Bewertungswidersprüche und Gleichbehandlungsprobleme aufgeworfen werden, kaum zu erreichen sein wird. ({11}) Die Folge einer Sonderregelung für Männer und Frauen, die ihre Erwerbsleben in der DDR verbracht haben, brächte in der Regel die Schlechterstellung von Personen mit vergleichbaren Lebens- und Berufswegen in der Bundesrepublik Deutschland mit sich. ({12}) So haben in der DDR zum Beispiel Krankenschwestern und Krankenpfleger oder Familienangehörige von Landwirten, Handwerkern und Selbstständigen, die im privaten Betrieb mitgeholfen haben, keine hohen Rentenansprüche erworben. Eine Verbesserung ihrer Situation wäre jedoch nicht mit der Lohn- und Beitragsbezogenheit der Rentenversicherung vereinbar ({13}) und würde zwangsläufig Folgeforderungen von Personen in vergleichbarer Situation in den alten Ländern hervorrufen. Ein klares Nein verdient auch die geforderte Ausweitung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes. Hinter dieser Forderung nach einer entsprechenden Ausweitung verbirgt sich im Kern nichts anderes als eine Neuauflage des sogenannten Intelligenzrentenrechts der ehemaligen DDR. ({14}) Dabei muss man aber berücksichtigen, dass die meisten Beschäftigten - auch viele hochqualifizierte Berufsgruppen - keinen Zugang zu der sogenannten Intelligenzrente hatten. Sie mussten ihre Verdienste über 600 Mark mit zusätzlichen Beiträgen in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung versichern, wenn sie erreichen wollten, dass auch diese Verdienste rentenwirksam werden. ({15}) Diese zusätzlich geleisteten Beiträge führen jetzt zu deutlich höheren Renten. Eine Ausweitung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes auf bestimmte akademische Berufe würde im Ergebnis also zu einem Sonderrecht auf Schließung von Lücken in der Zusatzrentenversicherung führen. ({16}) Das wäre ungerecht. Deswegen war es auch richtig, dass die Mehrheit der Mitglieder des Arbeits- und Sozialausschusses das abgelehnt hat. Realitätsfern ist auch der Vorschlag der FDP-Fraktion, den Personen- und Berufsgruppen, über die wir hier sprechen, sozusagen ein Nachversicherungsangebot zu unterbreiten und ihnen das Recht einzuräumen, nachträglich Beiträge zu entrichten. ({17}) Erstens ist, wie ich glaube, nicht zu erwarten, dass die Betroffenen die notwendigen Eigenleistungen, die zur Verbesserung ihrer Rente zu erbringen sind, aufbringen können oder wollen. ({18}) Zweitens bleibt die Frage unbeantwortet, wie eine Nachzahlung auszugestalten wäre, wenn bereits über Jahrzehnte eine Rente oder auch nur eine abgeleitete Hinterbliebenenrente bezogen wird. Auch die Forderung nach einer Verbesserung der rentenrechtlichen Stellung der vor 1990 in der DDR Geschiedenen ist in der Vergangenheit einer gründlichen Prüfung unterzogen worden. Eine Lösung, die nicht zu neuen Ungerechtigkeiten führen würde und von der Verwaltung auch umgesetzt werden könnte, ist bislang nicht gefunden worden. ({19}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Rentenfragen haben immer auch etwas mit Vertrauen zu tun. Für Vertrauen sind eine solide Politik und bis zum Ende durchdachte Lösungen notwendig. Hier darf man kein aktionistisches Stückwerk machen. ({20}) Da darf man auch nicht schöne Forderungen formulieren, die am Ende dazu beitragen, dass Ungerechtigkeiten in anderen Bereichen entstehen. Deshalb war es, wie ich glaube, richtig, dass die Mehrheit des Ausschusses allen Anträgen eine Absage erteilt hat. ({21}) Letztlich bleibt es dabei: Es war eine historisch einmalige Leistung, wie die rentenrechtlichen Fragen der deutschen Einheit beantwortet worden sind. Vielleicht nicht ganz ohne die eine oder andere gefühlte Unzulänglichkeit, ({22}) aber auf jeden Fall gilt: Es war eine große solidarische Leistung, die hier erbracht worden ist. Diese solidarische Leistung hat auch die Handlungsfähigkeit des Sozialstaates und des deutschen Rentensystems deutlich unterstrichen. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen rentenpolitischen Debatte schauen wir nach vorn, aber auch ein wenig zurück. Wir schauen nach vorn, wenn es um die Vereinheitlichung des Rentenrechts in unserem Lande geht, die auch fast 20 Jahre nach der deutschen Einheit noch offen ist. Wir schauen zurück, wenn wir uns noch einmal die Rentenüberleitung und ihre Wirkungen genauer ansehen und nach Lösungen für Gruppen Betroffener suchen, die sich aus unterschiedlichen Gründen benachteiligt fühlen. Ich will mit der Vereinheitlichung des Rentenrechts beginnen und vorab noch einmal, Herr Staatssekretär Thönnes, sehr klar und deutlich für unsere Fraktion feststellen: Die Rentenüberleitung war und bleibt eine der herausragenden Leistungen der deutschen Einheit und unseres Sozialstaates. ({0}) Ich habe allergrößten Respekt vor denen, die nach der Einheit in sehr kurzer Zeit diese komplexe Reform auf den Weg gebracht haben. Für die Menschen in den neuen Ländern brachte das Rentenüberleitungsgesetz eine Sicherheit im Alter, die sich viele zu DDR-Zeiten so nicht erhoffen konnten, und sie brachte eine enorme Aufwertung der Rente. ({1}) Dass die Rentenberechnung in den alten und den neuen Ländern nach unterschiedlichem Recht erfolgte, war im ersten Jahr nach der Einheit notwendig und sinnvoll, weil nur so die Renten in den neuen Ländern von ihrem zunächst noch niedrigen Niveau angehoben werden konnten. Seit 2004 holt der Rentenwert Ost gegenüber dem Rentenwert West allerdings kaum noch auf. Er liegt seitdem ziemlich konstant bei etwa 12 Prozent unter dem Rentenwert West. Selbst wenn sich zum 1. Juli 2009 noch ein wenig ändert, Herr Staatssekretär, muss man doch feststellen: Der Lückenschluss zwischen Ost und West ist angesichts der geringen Rentenanpassungen der letzten Jahre mit bestehendem Rentenrecht nicht zu erwarten. Es besteht Handlungsbedarf; aber die Regierung tut nichts. ({2}) Das haben Sie, Herr Staatssekretär, mit Ihrem heutigen Beitrag noch einmal unterstrichen. Dazu passt es eben nicht, dass der Kollege Schaaf von der SPD oder der Kollege Peter Weiß von der Union im Ausschuss gestern eingeräumt haben, dass es durchaus Handlungsbedarf gebe und zeitnah etwas geschehen müsse. Aber dann wird nur gemauert; es gibt nichts als Schweigen. Das ist uns, Herr Kollege Weiß, Herr Kollege Schaaf - das geht auch an die Adresse der Bundesregierung -, zu wenig. ({3}) Worauf warten Sie eigentlich? Warten Sie auf besseres Wetter, oder was? Es gibt keinen Grund, zu warten. Wir haben gehandelt. Die FDP hat mit ihrem Antrag für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West als erste Fraktion des Deutschen Bundestages im Juni letzten Jahres ein Konzept zur Vereinheitlichung des deutschen Rentenrechts vorgelegt. ({4}) Danach soll zum 1. Juli 2010, also 20 Jahre nach der deutschen Einheit, in ganz Deutschland ein einheitliches Rentenrecht eingeführt werden, ({5}) mit einheitlichem Rentenwert, einheitlichen Entgeltpunkten und einheitlicher Beitragsbemessungsgrenze. Ab diesem Stichtag passen sich alle Renten entsprechend der Entwicklung des einheitlichen Rentenwertes an. Jeder Euro Rentenbeitrag erbringt ab dem Stichtag im ganzen Bundesgebiet den gleichen Rentenanspruch. Mit diesem von uns vorgeschlagenen Weg wird die Einheit auch im Rentenrecht endlich erreicht. ({6}) Bei der Einführung des einheitlichen Rentenrechts bleiben alle bisherigen Renten und Rentenanwartschaften in Ost und West in ihrem Wert voll erhalten. Der ausstehende künftige Prozess einer Angleichung des Rentenwerts Ost an den Rentenwert West und die Hoffnung auf damit verbundene Rentensteigerungen in der Zukunft werden in die Gegenwart vorgezogen, und die Versicherten werden mit einer Einmalzahlung abgefunden. Alle Versicherten mit Entgeltpunkten Ost erhalten eine solche Einmalzahlung, die versicherungsmathematisch korrekt abgezinst die Erwartung auf die künftige Angleichung widerspiegelt. Die individuelle Höhe der Einmalzahlung orientiert sich an der Zahl der erworbenen Entgeltpunkte und der durchschnittlichen Lebenserwartung des eigenen Jahrgangs. In der Anhörung - ich habe Ihren Zwischenruf sehr wohl gehört, Frau Kollegin Schewe-Gerigk; ich wundere mich, weil Ihr Vorschlag weitgehend von unserem abgeschrieben worden ist, jedenfalls was den Stichtag und die Vereinheitlichung betrifft, auch wenn Sie am Ende den ein oder anderen Baustein angefügt haben - wurde viel Unterstützung für eine Vereinheitlichung des Rentenrechts zum jetzigen Zeitpunkt von der Deutschen Rentenversicherung, von Professor Ruland, geäußert. ({7}) Dass es Kritik an der von uns vorgeschlagenen Einmalzahlung gegeben hat, haben wir sehr wohl zur Kenntnis genommen. Wir halten eine solche Einmalzahlung allerdings für politisch geboten, um die Menschen mitzunehmen. Wir wollen die Einmalzahlung, und wir wollen auch das Optionsrecht. Wir trauen den Menschen zu, eine solche Entscheidung selbst zu treffen. Das unterscheidet uns wahrscheinlich von den anderen Fraktionen hier im Haus. ({8}) Damit komme ich zu dem zweiten Punkt, der kritischen Begutachtung der Rentenüberleitung. Gemeinsamer Kritikpunkt der betroffenen Versicherten - sie haben sich ja in großer Zahl an uns alle gewandt - ist, dass sich bei ihnen Besonderheiten des DDR-Rentenrechts im Zuge der Rentenüberleitung nachteilig auswirken. Dabei ist die Betroffenheit unterschiedlich. Vereinfacht katego24598 risiert sind es drei Gruppen, die sich durch die Vorgehensweise bei der Rentenüberleitung gegenüber anderen Versicherten mit DDR-Arbeitsbiografie benachteiligt fühlen: Es sind erstens solche Versicherte, die aus rechtlichen, politischen oder sonstigen Gründen zu DDR-Zeiten keine Rentenversicherungsbeiträge zur Altersvorsorge leisten konnten; zweitens solche Versicherte, die zu DDR-Zeiten über Ansprüche verfügten, die aber, weil sie mit dem SGB VI nicht kompatibel waren, nicht überführt wurden; und drittens solche Versicherte, deren Anwartschaften im Zuge der Überleitung in das SGB VI und nicht in andere Versorgungssysteme übergeleitet wurden. Eine Lösung dieses komplexen Problems kann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht darin bestehen, einfach allen Forderungen in vollem Umfang nachzugeben. Damit machen Sie es sich etwas zu leicht. ({9}) Denn dies würde zu ungerechtfertigten Besserstellungen gegenüber Versicherten in den alten Bundesländern führen, ({10}) oder es würde sich eine Benachteiligung anderer Versicherter in den neuen Bundesländern ergeben. ({11}) Wir haben - wie wohl Sie alle - eine Vielzahl von Zuschriften erhalten. Ich sage hier für meine Fraktion sehr deutlich: Wir können die Betroffenheit der Menschen, die sich an uns gewandt haben, nachvollziehen, und wir wollen den Menschen helfen. Aber die Beseitigung von Benachteiligungen darf kein Unrecht schaffen. ({12}) Deswegen ist es für uns wichtig, dass eine für alle Versicherten, in Ost und West, gerechte Lösung - auf dem Boden der Beitragsäquivalenz, über eine Nachversicherung bzw. über eine freiwillige nachträgliche Versicherung - gefunden wird. Die Modalitäten der Nachversicherung sind dabei für jede Gruppe einzeln festzulegen. ({13}) Im Anhörungsverfahren ist uns, Frau Kollegin Schewe-Gerigk, von Sachverständigenseite sehr wohl bestätigt worden, dass man dem Anliegen, einen Interessenausgleich herbeizuführen, mit dem Antrag der FDP am nächsten kommt, weil sich damit individuelle Lösungen für die ostdeutschen Interessengruppen erarbeiten lassen, weil auf der Grundlage einer Nachversicherung nicht vom Prinzip der Beitragsbezogenheit in der gesetzlichen Rentenversicherung abgewichen wird ({14}) und weil damit eine gesamtgesellschaftlich gerechte, verfassungskonforme Lösung geschaffen und die bisherige Systematik des SGB VI beibehalten werden kann. Dieser Lösungsansatz ist einfach und pragmatisch. Nachversicherungslösungen hat es auch in der Vergangenheit gegeben. Wir bieten den Betroffenen mit unserem Konzept eine faire Chance, Lücken zu schließen. Die Anträge der Linken werden dieser komplexen Fragestellung nicht gerecht. Die Linke schlägt im Wesentlichen pauschale Besserstellungen vor, ohne danach zu fragen, ob damit nicht neue Probleme geschaffen werden. Das ist aus unserer Sicht systemwidrig. Es ist auch einseitig und reißt Wunden zwischen Ost und West auf, anstatt dass für die notwendige Rechtsangleichung gesorgt wird. ({15}) Zusammenfassend: Wir lehnen den Gesetzentwurf und den Antrag der Linken, die die Versorgung von Mitarbeitern der Staatssicherheit zum Gegenstand haben, ab. ({16}) Bei den anderen Anträgen werden wir uns enthalten, weil wir Handlungsbedarf sehen, aber den Lösungsweg nicht teilen. Wir haben einen anderen, einen systemkonformen Lösungsansatz. Diesen Lösungsweg bitte ich Sie mit uns gemeinsam zu beschreiten. Ebenso bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem Vorschlag für eine Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und West. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gesetzliche Rentenversicherung ist in aller Munde, nicht nur weil wir uns aufgrund der demografischen Entwicklung in unserem Land generell Gedanken über die Zukunft der Rentenversicherung machen müssen, sondern auch weil aufgrund von Arbeitslosigkeit und wegen der konjunkturellen Einbrüche, über die wir in der vorherigen Debatte diskutiert haben, sinkende Beitragseinnahmen drohen. Im 20. Jahr des Falls der Mauer sprechen wir berechtigterweise über die Vereinheitlichung des Rentensystems in Deutschland. Bis heute sind die Bestimmungen für die Rentenberechnung - berechtigterweise - unterschiedlich; der Staatssekretär hat dies ausgeführt. Über das Ziel, in einer überschaubaMaria Michalk ren Zeit eine Vereinheitlichung, also eine Anpassung zu schaffen, sind wir uns grundsätzlich einig. ({0}) Nur der Weg ist nicht klar. Alle hier eingebrachten Vorschläge sind nicht zu Ende gedacht; lieber Herr Kolb, das müssen Sie sich sagen lassen. ({1}) Meistens wird die Behandlung dieses Themas mit der Hoffnung auf eine außergewöhnliche Rentenerhöhung verbunden. In den Anträgen der Linken wird immer wieder auf äußerst populistische Art suggeriert, dass dies passieren muss und finanziell möglich ist, ({2}) ohne dass sich die Linke um die Finanzierungsanteile der Länder und des Bundes kümmert. Diese Anträge sind einfach populistisch. Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein Spiegelbild der beruflichen Entwicklung. Die Höhe der Rente wird durch die geleisteten Beiträge bestimmt. Wir alle wissen, dass zu Zeiten der DDR die Höhe der geleisteten Beiträge der Frauen und Männer, die damals hart gearbeitet haben, fast umgekehrt proportional zur jetzigen Rentenhöhe war. Es war eine Meisterleistung, den beschlossenen Einführungs- und Angleichungsprozess auf der Basis einer außergewöhnlichen Solidaritätsleistung der Versichertengemeinschaft in ganz Deutschland zu vollbringen. ({3}) Denn die Ausgangsrente im Einführungsjahr 1992 ist bis heute immerhin mehr als verdoppelt worden ist. Wer leugnet, dass das eine besondere Leistung ist, der ist nicht in der Realität angekommen. ({4}) Wahr ist aber auch, dass dieser Angleichungsprozess ins Stocken geraten ist und dass die gesetzliche Rentenversicherung nunmehr sowohl in Ost als auch in West nicht immer gewährleistet, dass Versicherte, die langjährig in Vollzeit berufstätig gewesen sind und Pflichtbeiträge gezahlt haben, eine Altersrente erhalten, die höher als die Grundsicherung ist. Einer Pflichtversicherung, die diese Gewähr nicht bietet, droht der Verlust der Legitimation. Diese Fragen haben wir gesamtstaatlich zu beantworten; das ist keine Frage der Ost-West-Angleichung. Die Anträge der FDP, der Grünen und der Linken tragen dazu nichts bei. ({5}) Das aber ist nicht mit den manchmal schwer zu verstehenden Ungereimtheiten zu verwechseln, die sich aus dem komplexen Prozess der Überführung des nach Berufsgruppen differenzierten Rentenversicherungssystems der DDR in das einkommensbezogene Rentensystem der Bundesrepublik ergeben und die oftmals durch Rechtsprechung und Verwaltungspraxis neu gestaltet wurden. Das wurde in der Anhörung an verschiedenen Stellen deutlich. Auf der Grundlage des Renten-Überleitungsgesetzes von Juli 1991 wurden die Anwartschaften und die Ansprüche der Versicherten in den neuen Bundesländern in das gleichermaßen beitragsbezogene und lohndynamische System der Rentenversicherung der Bundesrepublik überführt. Es musste zum einen sichergestellt werden, dass die nach dem Rentenrecht der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in angemessener Weise erhalten bleiben. Zum anderen war der unterschiedlichen Ausgangssituation bei den Einkommensverhältnissen Rechnung zu tragen; das hat mein Vorredner bestätigt. Deshalb wurden zahlreiche spezifische Übergangsregelungen für die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer und Rentner in den neuen Bundesländern in das SGB VI aufgenommen, was den Übergangsprozess natürlich verkompliziert und nach Wegfall der Übergangsregelungen zu weiteren Verstimmungen bzw. weiterem Unverständnis geführt hat. Aber von vornherein war klar, dass es sich hierbei um Übergangsregelungen handelt. Das ist auch systemkonform. Statt aufzuklären, versucht die Fraktion der PDS, jetzt der Linken, kontinuierlich, die Rentenüberführungsregelungen grundsätzlich infrage zu stellen und nach Möglichkeit zu revidieren. Die 17 heute vorliegenden Vorlagen sind ein großer Beweis dafür. ({6}) Wir versuchen stattdessen, für die notwendigen Korrekturen zu sorgen, ({7}) was manchmal schwierig ist. Hierzu ein Beispiel - Sie dürfen nicht übersehen, was zwischenzeitlich passiert ist -: War bis zum 1. Juli 1999 in den neuen wie in den alten Ländern die Nettolohnentwicklung für die Anpassung maßgebend, wurde im Rahmen der Rentenüberleitung die Anpassungsformel für die neuen Länder dahin gehend ergänzt, dass der aktuelle Rentenwert Ost immer in dem Maße anzupassen ist, dass sich in den alten und in den neuen Ländern ein identisches Nettorentenniveau ergibt. Ich will darauf hinweisen, dass 2004 eine Schutzklausel Ost eingeführt wurde, die eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen aktuellem Rentenwert Ost und aktuellem Rentenwert ausschließt. Zunehmende Akzeptanzprobleme des Rentensystems erwachsen nicht aus den unterschiedlich hohen Rentenzahlungen - ich will festhalten, dass die verfügbare Eckrente 2008 in den alten Bundesländern bei 1 078 Euro und in den neuen Ländern bei rund 950 Euro lag -, sondern eher aus einer Ungleichbehandlung gleicher Beitragsleistungen hinsichtlich der damit erworbenen Rentenansprüche. Die Hochwertung der Löhne Ost ist bei erreichter Ost-West-Angleichung der Tariflöhne ebenso auf den Prüfstand zu stellen wie die eine oder andere Verwaltungsvorschrift, die mit der Berechnung der Opferrente in Zusammenhang steht, die zwar außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wird, aber den gleichen Bezugspunkt hat, nämlich das Unrecht der DDR. Ich erwähne das, weil meines Erachtens ein direkter Zusammenhang besteht zu den durch die Sonderversorgungssysteme der DDR Privilegierten und den von ihnen erstrittenen Urteilen, die zu höheren Monatsrenten und erheblichen Nachzahlungen zulasten der Steuer- und der Versichertengemeinschaft geführt haben. Als Krönung will die Linke mit einem der vorliegenden Anträge nun auch noch erreichen, dass den im Partei- und Staatsapparat der DDR tätigen Personen die Entgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze bei der Berechnung der Rentenansprüche zugute kommen. Das ist dreist, wundert aber nicht; denn wir wissen, dass Sonderversorgungsbegünstigte zur Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gehen und sich bestätigen lassen - das ist eine unbegreifliche Tatsache -, dass sie zu dieser Kategorie gehören, um nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz höhere Renten zu bekommen. ({8}) Bei manchen ist das Ausmaß des Pendels der Uhr, das wir Gewissen nennen, nicht wahrnehmbar. Sie haben offenbar kein Gewissen, wenn es ums Geld geht. ({9}) Seit 2005 gilt für herausragende Funktionsträger,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- insbesondere im Parteiapparat der SED und der Regierung der DDR, bei der Begrenzung des rentenrechtlich zu berücksichtigenden Einkommens das Durchschnittseinkommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Michalk, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum soll das falsch sein? Ich stelle fest: Die Anträge sind zum Teil durch Urteile bestätigt. Für einen Teil stehen Urteile noch aus. Andere liegen im Grenzbereich des Renten- und Versorgungsrechts.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden eine generelle Lösung finden ({0}) und all diese Anträge ablehnen. Ich danke Ihnen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, Sie haben hier über die Nomenklatura, Partei- und Staatsfunktionäre geredet. ({0}) Ich habe mir einmal angeschaut, wie die Rentensysteme der DDR und der Bundesrepublik aussahen: Die DDR hatte eine kleine Kirche, die Bundesrepublik aber einen riesigen Dom mit Türmen, von denen man in der DDR nicht einmal geträumt hat. Nun haben Sie die kleine Kirche in das erste Schiff des Doms hineingestellt. ({1}) Jetzt gibt es keine Türme mehr - und Sie behaupten, ein Rentenrecht, das so extrem unterschiedlich ist wie das der Bundesrepublik, sei gerecht. Sie machen mir Spaß! ({2}) Frau Michalk, wenn Sie von Parteifunktionären reden, vergessen Sie immer die Funktionäre der Blockparteien. Die zählen aber auch zu den Funktionären, verstehen Sie? ({3}) Heute geht es gar nicht um die Angleichung des Rentenwerts Ost an den allgemeinen Rentenwert; das haben wir schon beantragt. Das beantragen auch Sie; aber Sie wollen nicht, dass die niedrigeren Osteinkommen höher bewertet werden. ({4}) Sie wollen die Ostdeutschen erheblich benachteiligen. Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. ({5}) Aber unser diesbezüglicher Antrag ist vom Bundestag ja schon abgelehnt worden. Jetzt geht es um 17 Anträge, und zwar zu Überführungslücken, Versorgungsunrecht und Rentenstrafrecht. Dabei geht es nicht nur um die heutigen Rentnerinnen und Rentner, sondern auch um eine große Zahl künftiger Rentnerinnen und Rentner, die noch gar nicht im Rentenalter sind, die davon aber alle betroffen sein werden. Bei Überführungslücken geht es um DDR-typische Regelungen, die einfach ignoriert wurden. Beim Versorgungsunrecht geht es um zusätzliche Versorgungssysteme, in die eingezahlt wurde. Diese zusätzlichen Versorgungssysteme haben Sie einfach nicht anerkannt, und die entsprechenden Leistungen haben Sie gestrichen. Beim Rentenstrafrecht geht es um das, was Frau Michalk hier unter so viel Beifall sagte, aber die Rente ist nicht dazu geeignet, die Biografie eines Menschen zu beurteilen. Rente ist wertneutral, und Sie versuchen immer wieder, eine gegenteilige Auffassung durchzusetzen. Dass das eine Partei macht, die nach 1945 an die Nazibonzen die größten Renten gezahlt hat, ist und bleibt ein Skandal. ({6}) - So ist es. Das kann ich Ihnen beweisen. ({7}) Im Übrigen hat Frau Bundeskanzlerin Merkel Sie, Ihre Fraktion, aufgefordert, bis Ende 2007 eine Liste noch zu klärender Fragen im Osten zusammenzustellen. Sie haben der Bitte der Kanzlerin nicht entsprochen. Nur meine Fraktion hat der Bitte entsprochen und eine solche Liste vorgelegt. Darüber werden wir heute entscheiden. ({8}) Ich weiß - da stimme ich Ihnen sogar zu -, dass die Rentenüberleitung durchaus positiv bewertet werden kann. ({9}) Ich weiß auch, dass viele durch die Überleitung einen höheren Rentenanspruch erhalten haben, als sie ihn in der DDR je erworben hätten. ({10}) Ich weiß ebenfalls, dass die DDR-Renten ziemlich niedrig waren. ({11}) - Ich kann im Unterschied zu Ihnen differenzieren. Sie können das nicht; das ist das Problem. ({12}) Aber ich weiß natürlich auch, dass die Kostenstruktur in der DDR eine ganz andere war. Jetzt geht es um Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen, die wir überwinden müssen. Leider ist meine Redezeit so kurz, dass ich Ihnen diese 17 Anträge nicht vorstellen kann. ({13}) - Ich höre, dass Sie das sehr bedauern. Schlagen Sie der Präsidentin vor, meine Redezeit zu verlängern; dann stelle ich Ihnen alle Anträge vor. ({14}) Es geht darum, dass Sie bestimmte Ansprüche nicht anerkannt haben, und das hat Folgen. Frau Michalk, Sie finden das gerecht. Ich kenne Menschen, die von diesen Folgen betroffen sind; sie kommen zu mir in die Sprechstunden. ({15}) Es gibt eine ganze Reihe von Bürgerinnen und Bürgern, deren Ansprüche nicht anerkannt worden sind und die neben einer ganz kleinen Rente eine Grundsicherung bekommen. Bei jeder Rentensteigerung, egal wie groß sie ist, wird die Grundsicherung entsprechend abgeschmolzen. Seit Jahren bekommen diese Menschen nicht einen halben Euro mehr, obwohl die Preise ständig steigen. Rentensteigerungen sind für diese Menschen in Wirklichkeit regelmäßig nichts anderes als Minusrunden. ({16}) Jetzt nenne ich Ihnen vier Beispiele, zu denen ich gern Erklärungen hätte. Das erste Beispiel betrifft mithelfende Familienangehörige von privaten Handwerkern, meine Damen und Herren von der FDP. ({17}) Diese Personen waren in der DDR automatisch rentenversichert. Hier kannte man das nicht und hat deren Ansprüche einfach gestrichen. Warum sind wir nicht in der Lage, den Rentenanspruch dieser Personen anzuerkennen? Ich begreife es nicht. ({18}) Zweitens. Für geschiedene Frauen und in Ausnahmefällen auch für geschiedene Männer gab es in der DDR keinen Versorgungsausgleich. Wir haben einen Vorschlag für einen solchen Ausgleich gemacht. Sie lehnen diesen Vorschlag ab. Warum wollen Sie Geschiedene so viel schlechter stellen? Ich verstehe es nicht. (Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel [FDP]: Warum haben Sie es in der DDR nicht geregelt? Sie hätten den Versorgungsausgleich in der DDR doch regeln können! Herr Gysi, warum waren Sie eigentlich so ungerecht? Als drittes Beispiel nenne ich die Hausfrauen. Die Hausfrauen - es gab nur wenige Hausmänner - hatten in der DDR die Möglichkeit, monatlich Marken im Wert zwischen 3 und 9 Mark zu kleben - und sie haben sie geklebt. In der DDR hing die Höhe der Rente weniger von der Beitragshöhe, als vielmehr von der Anzahl der Jahre ab, in denen Beiträge gezahlt wurden. Auf diese Weise kamen viele Hausfrauen auf eine große Anzahl von Rentenjahren. Die daraus resultierende Anwartschaft haben Sie einfach mit der Begründung gestrichen, dass Sie das nicht kennen. Das ist arrogant und ignorant. Wir fordern nur, dass Sie diese Entscheidung korrigieren. ({19}) Viertes Beispiel - es folgt die nächste Kritik -: Krankenschwestern. Die Löhne von Krankenschwestern in der DDR waren viel zu gering. ({20}) - Das bestreite ich doch gar nicht. Hören Sie doch erst einmal zu! - Deshalb hat der Gesetzgeber ihnen eine Erhöhung der Rente um den Faktor 1,5 zugesagt. Diese Erhöhung haben Sie gestrichen. ({21}) Wir wollen doch nur, dass die Krankenschwestern den Anspruch wieder erwerben, den sie schon einmal hatten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Dr. Gysi, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bunge aus Ihrer Fraktion zulassen? ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. ({0}) - Jetzt wundern Sie sich; das sollten Sie auch.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Gysi, Sie stellen hier relativ einfache Lösungen vor. Ich habe in der Ausschussarbeit immer sehr viele Gegenargumente gehört. Vielleicht können Sie sich hier dazu einmal positionieren? ({0}) Das erste Gegenargument ist: Das alles müsste die Versichertengemeinschaft bezahlen; das ist zu teuer. Das zweite Gegenargument ist: Wenn das geregelt würde, würde man die Menschen im Osten gegenüber den Menschen im Westen bevorteilen. Das dritte Argument ist: Der Bund ist für die zusätzlichen Versorgungen sowieso nicht mehr zuständig, weil das Ländersache ist. Mich würde interessieren, wie Sie dazu stehen. ({1})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich kann dazu ganz kurz Stellung nehmen. Die in unseren Anträgen vorgesehenen Maßnahmen müssten - abgesehen von denen in einem einzigen Antrag - aus Steuermitteln und nicht aus Versicherungsbeiträgen finanziert werden. Der Einwand ist deshalb falsch. Nur der Ausgleich bei der Überwindung des Rentenstrafrechts müsste tatsächlich aus Versicherungsmitteln finanziert werden. Der zweite Einwand ist nachweislich falsch. Zum Beispiel bezieht heute eine Krankenschwester in den neuen Bundesländern eine Rente in Höhe von 68 Prozent der Rente einer Krankenschwester in den alten Bundesländern. Käme der angesprochene Faktor hinzu, wäre sie noch lange nicht bei 100 Prozent. Zu behaupten, dass sie besser stehe, ist albern. Nehmen Sie die Balletttänzerinnen und Balletttänzer: Deren Versorgungsanspruch ist komplett gestrichen worden. Wir streiten hier übrigens über circa 1 500 Personen. Sie konnten sich nicht nachversichern und sind eindeutig schlechter gestellt. Es geht in keinem einzigen Fall um eine Besserstellung. Was Bund und Länder betrifft: Es geht um Lücken und Fehlleistungen nach Schließen des Einigungsvertrages. Aus dieser Verantwortung kann sich der Bund nicht verabschieden. Er hat diese Probleme zu lösen und kann das Ganze nicht auf die Länder übertragen. ({0}) Lassen Sie mich in meiner Rede fortfahren. Es geht auch - das haben Sie erwähnt - um die Berufsgruppen mit Zusatzversorgungssystemen. Das betrifft die wissenschaftliche, die technische, die medizinische und die künstlerische Intelligenz; es geht um Beschäftigte im Staatsapparat, in sämtlichen Parteien, auch in den Blockparteien, und in gesellschaftlichen Organisationen. Ich sage Ihnen noch einmal: Das Rentenrecht ist nicht das Feld, auf dem man eine Biografie bewertet. ({1}) Das kann man mit dem Strafrecht machen, wenn es dafür Anhaltspunkte gibt, oder mit anderen Mitteln, aber nicht mit dem Rentenrecht. ({2}) Gerade die Union hat das früher immer abgelehnt. Erst nach dem Ende der DDR ist sie dafür eingetreten. Ein weiterer Punkt ist der Ausgleich bei der Überwindung des Rentenstrafrechts. Das gilt für die Personen, die genannt wurden, übrigens wiederum für Angehörige der Blockparteien. Dazu gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts; dessen Vorgaben haben Sie nur zum Teil, also nicht ganz, erfüllt. ({3}) Lassen Sie mich auch noch die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post erwähnen, denen Ansprüche zustanden, die einfach gestrichen worden sind. Sie sind im Verhältnis zu Beschäftigten der Post in der Bundesrepublik oder auch der Deutschen Bundesbahn benachteiligt. Ich verstehe nicht, warum wir das Problem nicht lösen können. Ich sage noch einmal: Uns geht es niemals um eine Besserstellung. Zu behaupten, dass es uns darum geht, ist doch Quatsch. Letztlich wollen wir, dass eine gleiche Lebensleistung zu einer gleichen Rente führt. Das ist doch nicht zu viel verlangt von unserer Gesellschaft. ({4}) - Nein, das ist Quatsch. Der Staatssekretär hat zu Recht gesagt, dass wir schon zum zigsten Mal darüber diskutieren. Solange wir im Bundestag sind, werden Sie in jeder Legislaturperiode diese Anträge vorgelegt bekommen, ({5}) um deutlich zu machen, dass das, was Sie gemacht haben, ungerecht ist. Ich bin doch nicht derjenige, der Leistung nicht würdigen kann. Das, was hier aber geschehen ist, ist ungerecht. Wissen Sie, was mich stört? Sie setzen auf die biologische Lösung. ({6}) Sie wissen, dass jedes Jahr Betroffene sterben und es immer weniger werden, die einen Anspruch haben. Das ist überhaupt nicht hinzunehmen. ({7}) Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Ein weiteres Argument mag ich auch nicht, nämlich das, dass kein Geld da ist. In einer Woche können Sie 480 Milliarden Euro für die Banken bereitstellen, aber diese lächerlichen Beträge haben Sie nicht. ({8}) Stellen Sie endlich Rentengerechtigkeit her! ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Irmingard Schewe-Gerigk hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gysi, 20 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit haben Sie die Mauer wieder hochgezogen, und zwar die Mauer in den Köpfen. ({0}) Wir haben heute über 18 Anträge und einen Gesetzentwurf zu befinden, die sich mit der Überleitung der Alterssicherung in der DDR in gesamtdeutsches Recht befassen. Wir wissen: Es gibt Personengruppen, die Grund haben, mit ihrer finanziellen Situation unzufrieden zu sein. Aber die Vorschläge, die die Linke liefert, sind nicht geeignet, gerechte Lösungen zu finden. ({1}) Angesichts der Vielfalt und Fülle der Anträge haben wir Bündnisgrüne uns folgende Fragen gestellt: Ist es heute, also knapp 20 Jahre nach dem Mauerfall, noch gerechtfertigt, Sachverhalte des DDR-Rechts im deutschen Rentenrecht fortzuführen? Führen gesetzliche Änderungen zugunsten einiger Gruppen nicht zu neuen Ungerechtigkeiten bei anderen? Werden die Versicherten in Ost und West nach gleichen Maßstäben behandelt? Welches sind aus heutiger Sicht die sozialpolitisch dringendsten Prioritäten? Wo besteht in Abwägung all dieser Fragen wirklich Nachbesserungsbedarf? ({2}) Alle drei Oppositionsfraktionen haben Anträge vorgelegt, während die Bundesregierung trotz vollmundiger Ankündigung der Kanzlerin die dringend notwendige Rentenangleichung auf unbestimmte Zeit vertagt hat. Die Große Koalition hat sich hinter der Botschaft verschanzt: Es ist noch viel zu tun, warten wir es ab. Auch Frau Michalk hat angekündigt, in der nächsten Legislaturperiode werde man in diesem Bereich etwas unternehmen. Wir Grüne haben uns nicht für das Aussitzen entschieden, sondern dafür, sozialpolitische Prioritäten zu setzen. Deshalb haben wir unseren Antrag zur Angleichung des Rentenwerts Ost an den allgemeinen Rentenwert in den Bundestag eingebracht. Wir Grüne wollen die Rentenangleichung nicht auf die lange Bank schieben. ({3}) Damit die Beschäftigten eine Perspektive haben, muss jetzt gehandelt werden. Eine Angleichung des Rentenwerts Ost ist kurzfristig möglich. Die Hochwertung wollen wir auf diejenigen Menschen - und zwar in Ost und in West - begrenzen, die wenig verdienen. ({4}) Dabei wollen wir, anders als die Linken, keine neuen Ungerechtigkeiten schaffen. Herr Gysi von der Linken, wie wollen Sie es eigentlich rechtfertigen, dass jemand in Frankfurt an der Oder bei gleicher Vergütung 30 Prozent mehr Rentenanwartschaften erzielen würde als jemand in Frankfurt am Main? Eine solche Politik baut Mauern. ({5}) Ich habe mich heute über Folgendes sehr gefreut: Wir haben eine Stellungnahme des DGB-Landesseniorenbeirates Thüringen - nicht etwa Nordrhein-Westfalen, sondern Thüringen - erhalten. Darin heißt es: Da die Abkopplung der Lohnentwicklung von der Wirtschaftsentwicklung die Zunahme der Altersarmut in ganz Deutschland zu einem Problem macht, ist der Vorschlag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, alle niedrigen Einkommen in Deutschland hochzuwerten, ein zukunftsfähiger, sinnvoller und gestaltungsfähiger Lösungsansatz. So viel zur Stellungnahme des DGB-Landesseniorenbeirates Thüringen. ({6}) Wir haben darüber hinaus einen Antrag zur Verbesserung der Versorgung von Geschiedenen aus den neuen Bundesländern eingebracht, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht. Die Bundesregierung behauptet bisher, hier bestehe kein Handlungsbedarf, weil in der DDR auch Frauen mit Kindern ebenso wie Männer durchgängig erwerbstätig waren und somit auch genügend Rentenanwartschaften aufbauen konnten. Die von uns vorgeschlagene Sachverständige, Professorin Trappe, konnte diese Behauptung in der Anhörung hinreichend widerlegen. Sie hat dargestellt, dass sie in ihren Studien zu dem Ergebnis kam, dass die älteren Frauen, die Kindererziehung zu leisten hatten, diese in den ersten Jahren selbst organisieren mussten. Dies hat zur Folge, dass sie in ihren Erwerbsbiografien Lücken von bis zu acht Jahren haben. Die jüngeren Frauen haben die Doppelbelastung durch vermehrte Teilzeitarbeit ausgeglichen, was bei Männern so gut wie gar nicht vorkam. Wenn man sich mit dem Inhalt des Alterssicherungsberichts befasst, so wird deutlich, warum 37 Prozent der in der DDR geschiedenen Frauen über ein monatliches Nettoalterseinkommen von lediglich 500 bis 750 Euro verfügen - in den alten Bundesländern ist dies nur bei 28 Prozent der Frauen der Fall - und warum das monatliche Nettoalterseinkommen von weiteren 3 Prozent dieser Frauen sogar noch darunter liegt. Warum die Bundesregierung angesichts dessen weiterhin behauptet, die Kindererziehung in der DDR habe im Hinblick auf die Rentenanwartschaften keine Nachteile zur Folge, bleibt ihr Geheimnis - oder ist die Begründung dafür, nichts zu tun. ({7}) Wir haben uns aus sozialpolitischen Gründen für eine Nachbesserung bei der Versorgung von vor 1992 in den neuen Ländern Geschiedenen entschieden. Es kann nicht gerecht sein, dass diejenigen, die Kinder erzogen haben, im Alter armutsgefährdet sind, nur weil die DDR aus ideologischen Gründen den Unterhaltsbedarf von Frauen im Falle einer Scheidung ignoriert hat. Den in der DDR geschiedenen Frauen bleibt auch eine Witwenrente verwehrt, weil das DDR-Recht keine Unterhaltspflicht für Eheleute vorsah. Dass beide Instrumente in Ostdeutschland im Unterschied zum Westen Deutschlands nicht angewendet werden, nährt bei den Geschiedenen das Gefühl, Bürgerinnen zweiter Klasse zu sein. Wir haben den Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst eingeschränkt. Natürlich ist uns klar, dass es auf den ersten Blick so aussieht, als bestehe eine Ungleichbehandlung, da bei den einen der Versorgungsausgleich aus Steuermitteln finanziert wird und bei den anderen dadurch, dass die Altersversorgung des Expartners gemindert wird. Bei näherer Betrachtung stellt man aber fest, dass keine Ungleichbehandlung vorliegt; denn vielen ist der Zugang zum Versorgungsausgleich für immer verwehrt. Um von Ungleichbehandlung sprechen zu können, muss man eigentlich Gleiches mit Gleichem vergleichen. ({8}) Auch das Finanzargument zieht nicht. Wer dreistellige Milliardenbeträge aufbringen kann, um einen Schutzschirm für Banken zu errichten, der sollte die Frauen, die sich in dieser Situation befinden, nicht im Regen stehen lassen. ({9}) Ich komme zur FDP. Die FDP möchte die Überwindung von Benachteiligungen aus der Rentenüberleitung dadurch erreichen, dass sie den Weg für eine Nachversicherung öffnet. Herr Kolb, ich glaube, dass Sie hier ein anderes Ziel im Auge haben. Wir sind der Meinung, dass eine Nachbesserung dann gerechtfertigt ist, wenn die Gruppe andernfalls armutsgefährdet wäre. Sie schlagen vor, dass Rentner und Rentnerinnen ihre Rente mit einer Nachzahlung von Beiträgen aufbessern können. Professor Ruland hat es in der Anhörung gesagt: Man braucht 21 500 Euro, um die Rente um 100 Euro im Monat zu erhöhen. Da frage ich mich wirklich: Haben die betroffenen Menschen wirklich 21 500 Euro auf dem Konto? ({10}) Sie haben eine andere Gruppe im Auge. Sie wollen eine Lösung für Versicherte, die viel Geld haben und deren Lebenserwartung überdurchschnittlich hoch ausfällt. Die Devise der Linken heißt: Wünsch dir was, wir versprechen dir alles! Die FDP sagt: Wir versprechen den Menschen, die viel Geld haben, alles. ({11}) So sieht verantwortliche Politik nicht aus. Weder das Aussitzen der Bundesregierung noch eine Politik des „Wünsch dir was“ ist angemessen. Auch Lösungen lediglich für Gutsituierte sind für uns nicht akzeptabel. Darum bitten wir Sie um Zustimmung zu den Anträgen der Grünen. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Paul Lehrieder. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Gysi, ich habe eine Bitte an Sie: Wenn Bürger aus Ihrem Wahlkreis in Ihr Wahlkreisbüro kommen und eine Rentenauskunft erhalten möchten, dann sprechen Sie bitte mit den Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, bevor Sie diese Bürger mit Falschinformationen heimschicken. ({0}) Sie haben sich hingestellt und ausgeführt, dass eine Rentensteigerung mit der Höhe der Grundsicherung verrechnet wird. Sie haben den Leuten aber nicht die Systematik erläutert. Die Renten steigen zum 1. Juli 2009 entsprechend den Lohnabschlüssen des Vorjahres. Zum 1. Juli 2009 steigen aber auch die SGB-XII- und die Hartz-IV-Leistungen. Das sollte man ehrlicherweise hinzufügen, lieber Herr Kollege Gysi. Probieren Sie es in Zukunft einmal mit der Wahrheit! ({1}) Wie meine Kollegin Maria Michalk schon überzeugend ausgeführt hat, ({2}) werden die DDR-Rentenansprüche innerhalb eines starken und verlässlichen Systems eingelöst, nämlich der gesamtdeutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Die Gründe, warum wir die hier vorliegenden Anträge der Linken ablehnen, hat sie ebenfalls bereits ausführlich erläutert. Was die Linke als Ungerechtigkeiten im Renten-Überleitungsgesetz und im Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatzund Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets bezeichnet hat, hat seine Ursache vor allem in der Willkür im DDR-Rentenrecht. Dort gab es gerade keine eindeutigen, einklagbaren Regeln für die Zusatzrenten. Die Linken sind mit ihren Anträgen allein auf den Effekt aus. Diese Anträge betreffen Einzelgruppen, deren Anliegen bereits von früheren Bundesregierungen immer wieder geprüft worden sind. Wenn wir diese nun pauschal besserstellten, führte dies zwangsläufig zu Ungerechtigkeiten bei anderen Gruppen. Ich bestätige die diesbezüglich gewählte Ausdrucksweise des Staatssekretärs Thönnes ausdrücklich: Es ist schlichtweg aktionistisches Stückwerk. Die Anträge der FDP und der Grünen zur Rentenangleichung zwischen Ost und West haben da schon mehr Substanz. Ja, es stimmt: Viele Menschen verstehen nicht, warum es nach knapp zwei Jahrzehnten deutscher Einheit noch immer unterschiedliche Rentensysteme in Ost und West mit den damit verbundenen unterschiedlichen Rentenberechnungen gibt. Der sogenannte Rentenwert ist im Osten mit 23,34 Euro noch immer niedriger als der im Westen mit 26,56 Euro. Ich habe großes Verständnis für die Forderung, die Rentenwerte zum 1. Juli 2010 zu vereinheitlichen. ({3}) Dies fordert die FDP. Die Grünen haben in ihrem hier vorliegenden Antrag vom 24. September 2008 eine Angleichung bereits zum 1. Januar 2009 verlangt. Die Union will ebenfalls eine grundsätzliche Angleichung; diese Angleichung ist für uns aber kein Selbstzweck. Entscheidend für die Angleichung ist für uns das konkrete Ergebnis für die Beitragszahler und die Rentner. Es geht nicht um eine Vereinheitlichung um jeden Preis im Hauruckverfahren. Mit der Umstellung der Renten auf D-Mark und der Hochwertung früherer Arbeitsentgelte auf Westniveau wurde die Altersversorgung in der ehemaligen DDR zunächst einmal auf eine solide Grundlage gestellt. Dies hat sogar der Kollege Gysi bestätigen müssen. Nahezu für alle ostdeutschen Rentner geht die Rentenüberleitung mit einer erheblichen finanziellen Verbesserung einher. Auch das wurde sogar von der Linken eingeräumt. Beim Rentenzahlbetrag sind sie heute im Vergleich zu den Rentnern im Westen im Durchschnitt bessergestellt. Die monatliche Rente im Osten beträgt durchschnittlich 1 004 Euro für Männer und 684 Euro für Frauen. Im Westen sind es dagegen 967 Euro für Männer und 485 Euro für Frauen. ({4}) Dabei sind die Ostrenten etwa zu 40 Prozent durch Beitragseinnahmen gedeckt. Im Westen sind es 80 Prozent bzw., wie Herr Thönnes gesagt hat, bereits 89 Prozent. Das Problem sind allerdings - wie oben ausgeführt die ungleichen Rentenwerte in West und Ost. Gegen eine vorzeitige Angleichung der Ost- an die Westrenten spricht, dass dann im Gegenzug auch die Hochwertung der im Osten erzielten Arbeitsverdienste auf das Westniveau aufgegeben werden müsste. Im Westen musste im Jahr 2006 ein Arbeitnehmer 29 304 Euro im Jahr verdienen, um einen Entgeltpunkt in der Rentenversicherung gutgeschrieben zu bekommen. Im Osten musste ein Arbeitnehmer lediglich 24 880 Euro verdienen, um ebenfalls einen Entgeltpunkt gutgeschrieben zu bekommen. Sein Einkommen wurde - auch darauf wurde bereits hingewiesen - nämlich für die Rentenberechnung mit dem Wert 1,19 hochgewertet. Die Versicherten im Osten sind somit objektiv durch diese Höherbewertung bessergestellt gegenüber denen im Westen. Wenn wir das beenden, würde den gegenwärtigen Beitragszahlern und künftigen Rentnern im Osten die Aussicht genommen, bei vergleichbarer Erwerbsbiografie jemals gleich hohe Renten wie im Westen zu bekommen. Der derzeitige Lohnabstand würde in den zukünftigen Renten im Osten verfestigt. Die gegenwärtige Rentnergeneration würde auf Kosten der künftigen Rentnergeneration bessergestellt und damit die Generationengerechtigkeit beeinträchtigt, zumal es auch ein Verstoß gegen die Lohn- und Beitragsbezogenheit der Rentenleistungen wäre. Die sofortige oder stufenweise Angleichung der Ostan die Westrentenwerte, abgekoppelt von der Lohnentwicklung, scheidet zudem auch aus finanziellen Gründen aus. Eine Rentenangleichung würde die Rentenkasse zusätzlich mit 6,2 Milliarden Euro belasten. Man könnte einwenden, dass wir schon ein paar Milliarden Euro für anderes ausgegeben haben und es darauf jetzt auch nicht mehr ankommt. Damit würden aber die bisherigen Erfolge bei der Stabilisierung der Lohnnebenkosten weitgehend zunichtegemacht. Die Union will die Renten - ob in West oder Ost auch in Zukunft finanziell vernünftig absichern. Heute wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein interessanter Artikel über den Bundeszuschuss zur Rente veröffentlicht. ({5}) Wie Sie sicherlich wissen, ist der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung mit rund 79,2 Milliarden Euro im Jahr 2009 der mit Abstand größte Ausgabenblock im Bundeshaushalt. Auch Aufwendungen der Rentenkasse für Leistungen, die sich aus der Wiedervereinigung ergeben, werden über den Zuschuss erstattet. Ohne den Bundeszuschuss lägen die Rentenbeitragssätze von derzeit 19,9 Prozent beträchtlich höher als jetzt. Ich könnte noch mehr Gedanken ausführen. Ich darf darauf hinweisen, dass die Rentensteigerung zum 1. Juli dieses Jahres im Osten mit 3,38 Prozent um fast 1 Prozentpunkt höher ausfällt als im Westen. Auch hier wird eine Angleichung angestrebt. Wie Frau Kollegin Michalk ausgeführt hat, arbeiten wir an einer gründlichen, gerechten und finanzierbaren Angleichung der Ost- und Westrenten. Aber dazu braucht es Zeit und nicht solche populistischen und aktionistischen Anträge, wie sie heute vorliegen. ({6}) Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Klaas Hübner hat das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anträge vor allem von der Linkspartei, über die wir heute diskutieren, sind in erster Linie eines: Theater und Show. Sie sind nicht wirklich daran interessiert, Lösungen zu finden. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann ist es der Marathon von namentlichen Abstimmungen, in die Sie uns heute zwingen ({0}) und die dazu beitragen, dass ein, glaube ich, auch für Sie wichtiges Thema - der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit - weit in die Nacht verschoben wird. Daran zeigt sich, dass Sie nicht an einer Lösung interessiert sind. ({1}) In Ihren Anträgen versprechen Sie allen alles, ganz unterschiedlichen Gruppen, angefangen bei dem der Stasi gegenüber weisungsberechtigten Parteisekretär bis zur mithelfenden Ehefrau, vom Balletttänzer bis zum Professor neuen Rechts. ({2}) Das hat mit differenzierter und sozial verantwortungsvoller Politik nichts zu tun. ({3}) Sie sind nicht an einer Lösung interessiert, sondern setzen auf Ablehnung. Nebenbei bemerkt haben Sie interessanterweise eine Gruppe in den uns vorliegenden Petitionen ausgelassen. ({4}) Ich habe sie jedenfalls nicht gefunden. Es sind diejenigen, die Sie wohl immer noch als „Republikflüchtlinge“ ansehen, mithin DDR-Bewohner, die vor dem Fall der Mauer das Land verlassen haben und aus nachvollziehbaren Gründen nicht in die FZR eingezahlt haben. Ausgerechnet für diese Gruppe machen Sie sich nicht zum Anwalt. Das zeigt Ihr veraltetes und überkommenes Denken. ({5}) Sie zeichnen hier ein Bild von Not, Elend und Ungerechtigkeit, das die Wirklichkeit bis ins Absurde verzerrt. Natürlich gibt es Änderungsbedarf. Fast 20 Jahre nach der Rentenüberleitung wäre es ein Wunder, wenn sich keine Bruchstellen zeigten. Zunächst müssen wir jedoch feststellen: Die Rentenüberleitung war eine absolute Erfolgsgeschichte. Der Mehrheit der 4 Millionen Rentner in den ostdeutschen Bundesländern geht es heute weitaus besser, als es ihnen zu DDR-Zeiten jemals gegangen wäre. Das ist eine gewaltige Leistung aller Bürgerinnen und Bürger in Ost und West. ({6}) Ich lasse dabei sogar außer Betracht, ob die DDR überhaupt in der Lage gewesen wäre, die eingegangenen Verpflichtungen auch zu erfüllen. ({7}) Sie erinnern sich, dass zum Ende der DDR-Zeit der Schürer-Bericht erschien, in dem vorgeschlagen wurde, alle Sozialleistungen in der DDR pauschal um 30 Prozent zu kürzen. Demgegenüber geht es uns heute eindeutig besser. ({8}) Der eben vorgelegte Armutsatlas des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bestätigt dieses Bild indirekt. Man mag sich über die angelegten Maßstäbe streiten; überdeutlich aber ist: Eine Einkommensgrenze verläuft entlang der ehemaligen Staatsgrenze der DDR. Nur eine einzige Gruppe fällt heraus. Nirgendwo in Deutschland sind nach einem Bericht des Statistischen Bundesamtes von Mai 2009 aktuell so wenige Menschen von Altersarmut betroffen wie in Ostdeutschland. Auch das ist die Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({9}) Allerdings möchte ich die Gelegenheit ebenfalls dazu nutzen, unsere Vorstellungen für die Zukunft darzulegen, wohl wissend, dass ich mich dabei auf dünnem Eis bewege. Bei jeder Entscheidung ist sorgfältig zwischen den Interessen der ostdeutschen Rentner und denen der ostdeutschen Versicherten - einige Redner haben darauf hingewiesen - abzuwägen. Augenmaß ist hier gefragt. Meines Erachtens brauchen wir hierfür eine Lösung, die Akzeptanz in der gesamten Gesellschaft, in Ost wie in West, findet. Es macht dabei sicherlich wenig Sinn, sich hinter juristischen Argumentationen zu verstecken. 20 Jahre nach der Wiedergewinnung der Einheit und im 60. Jahr des Bestehens des Grundgesetzes sollte sich jeder in unserem Staatswesen aufgehoben und angenommen fühlen. Dafür zu sorgen, ist unsere Aufgabe. Ich weiß, dass wir für die Vollendung der Einheit auch die subjektiv empfundene Wertschätzung der Menschen, ihre Emotionen und ihre soziale Lage in unsere Überlegungen einbeziehen müssen. Aus vielen Begegnungen im Wahlkreis und aus Gesprächen mit Vertretern betroffener Gruppen ist mir durchaus klar, dass sich das Gefühl der Ungerechtigkeit, das Gefühl, kein vollwertiger Bürger unseres Gemeinwesens zu sein, zum guten Teil aus dem unterschiedlichen Rentenwert nährt. Wir können noch so viel über Statistik und Zahlbeträge reden was bleibt, ist dieser unterschiedliche Rentenwert. Sicherlich geht es auch um Zahlen; aber es geht ebenso um ein Gefühl, um das Gefühl der Wertschätzung der persönlichen Lebensleistung. Eine angemessene Lösung ist nach meiner festen Überzeugung in diesem Zusammenhang nur im Rahmen eines ganzheitlichen, umfassenden Rentenüberleitungsabschlussgesetzes möglich. Wir brauchen ein solches Abschlussgesetz, in dem wir politisch festlegen, wie wir in Zukunft damit umgehen wollen. Das ist die entscheidende Forderung meiner Fraktion. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Entschuldigung, Herr Hübner, einen Augenblick. Ich kann verstehen, dass man, wenn man hereinkommt und auf die namentliche Abstimmung wartet, nicht gleich völlig ruhig ist. Dass sich aber Stehgrüppchen im Plenarsaal bilden, finde ich dem Redner gegenüber nicht in Ordnung. Daher bitte ich Sie, die noch notwendigen Absprachen draußen zu treffen. - Herr Hübner, bitte schön.

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Kernpunkt dieses Gesetzes müsste sein, nach einem bestimmten Termin in Deutschland ein einheitliches Rentenberechnungssystem gelten zu lassen. Das betrifft sowohl den Rentenwert als auch das Durchschnittsentgelt und die Beitragsbemessungsgrenze. ({0}) Allerdings darf dies nicht nur zulasten der Versicherten gehen; darauf weise ich ausdrücklich hin. Ich glaube durchaus, dass wir flankierend den Hochwertungsfaktor für geringere Einkünfte in Ostdeutschland erst nach und nach abbauen werden. Ein möglicher Stichtag zur endgültigen Angleichung wäre das Auslaufen des Solidarpaktes 2019. Ich weiß auch, dass für die gegenwärtige Rentnergeneration eine solche Vereinheitlichung zunächst keine Verbesserung bedeuten würde. Auch das muss klar gesagt werden. ({1}) Rentensystematisch wäre nur eine rückwirkende Übernahme des aktuellen Rentenwertes für Ostrentner eine saubere Lösung; aber sie ist - das wissen wir alle - weder bezahlbar noch wirklich in der Gesamtgesellschaft vermittelbar. Auch das gehört zur Wahrheit. Diejenigen, die etwas anderes meinen, sollten sich die Stellungnahmen aus der Anhörung ansehen, zum Beispiel diejenige des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der darauf explizit hingewiesen hat. Sicherlich kann man viele Möglichkeiten diskutieren, wie man den Bestandsrentnern helfen kann, zum Beispiel durch Einmalzahlungen oder durch Abschläge. Aber der entscheidende Punkt ist, dass wir das Grundproblem erst dann lösen werden, wenn sich die Entgeltbedingungen in Ost und West angeglichen haben. Deshalb stehen wir dafür ein: Wir brauchen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn für Gesamtdeutschland. ({2}) Wir haben in den letzten zwei Jahren darüber konkret verhandelt. Die Koalitionsfraktionen haben konstruktive Vorschläge gemacht. Das Gesetz wäre im Bundesrat zustimmungspflichtig gewesen. Bedauerlicherweise haben sich nicht alle Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen dazu durchringen können, dem Gesetzentwurf zuzustimmen; das kann man verstehen. ({3}) Aber es bleibt für uns Verpflichtung, für die Zukunft ein neues Konzept aufzuzeigen. Gewisse Brüche waren in der Vergangenheit mit Sicherheit unvermeidlich und sind angesichts der Gesamtleistung zu tolerieren. Wenn wir aber etwas machen wollen, müssen wir uns Kriterien setzen. Für uns Sozialdemokraten wird das Hauptkriterium immer die soziale Bedürftigkeit und die Würdigung der konkreten Lebensleistung der Menschen sein. Die Lebensleistung wurde oft unter schwierigen Bedingungen erbracht. Der ruinöse Zustand der Wirtschaft in der DDR war sicherlich nicht mangelndem Fleiß und Einfallsreichtum ihrer Bürger geschuldet, im Gegenteil. Wir wollen dort nachbessern, wo es möglich ist, Akzeptanz zu finden. Die Akzeptanz in diesem Haus werden wir aber nur erreichen, wenn wir zugleich auch klarmachen, dass damit ein Schlussstrich gegenüber weiteren Ansprüchen gezogen wird. Beides gehört unmittelbar zusammen. Ich will eine Gruppe herausgreifen, an der man meiner Meinung nach exemplarisch klarmachen kann, dass noch Handlungsnotwendigkeit besteht; Sie haben das zum Teil bereits angesprochen. Ich spreche konkret von den Krankenschwestern und Krankenpflegern in Ostdeutschland. Zumeist geht es um Frauen. Sie haben eine sehr schwierige Arbeit bei zum Teil erbärmlicher Bezahlung geleistet. Sie haben ebenso wie die Krankenschwestern in Westdeutschland viel dazu beigetragen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in dem Land aufrechterhalten werden konnte. Ich glaube, es wäre angemessen, dass wir den Ostrentnerinnen ein Stück weit Anerkennung zollen und dass sie heute nicht unter ihrer schlechten Bezahlung zu DDR-Zeiten leiden müssen. Hier besteht für uns Handlungsbedarf. ({4}) In unserem Wahlprogramm steht zu den Ostrenten zwar nur ein Satz, aber ein sehr gewichtiger. Wir sagen: Wir werden die Angleichung der Rentensysteme in Ost und West in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen. ({5}) Ich will Ihnen unsere Vorstellungen dazu skizzieren. Es gilt dabei Vor- und Nachteile abzuwägen und eine Lösung zu finden, die in Gesamtdeutschland akzeptiert wird. Dazu müssen wir zu einem Abschlussgesetz kommen, das auch die Rentenüberleitung klärt. Wir brauchen in Deutschland ein einheitliches Sozialrecht. Wir brauchen dazu einheitliche gesetzliche Mindestlöhne und ein einheitliches Rentenberechnungssystem. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, bitte ich die Hinzugekommenen, die Gesprächsgruppen aufzulösen und nach draußen zu verlagern, damit der letzte Redner die Chance hat, gehört zu werden. Franz Romer erhält jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine der größten Leistungen des wiedervereinten Deutschlands ist ganz sicher die Überführung der Rentenansprüche. Die Menschen in der ehemaligen DDR haben durch Einzahlungen vor der Wiedervereinigung Anspruch auf eine Rente der heutigen gesetzlichen Rentenversicherung erlangt. Wir haben es geschafft, die vielen Sonderversorgungsregelungen der DDR gemäß dem Gleichheitsgrundsatz in Ansprüche auf gesetzliche Rente zu überführen. Wir können stolz darauf sein, dass die heutigen Auszahlungsbeträge sehr viel höher sind als der Wert der Einzahlungen vor der Wiedervereinigung. ({0}) Herr Gysi, hören Sie endlich mit Ihren ketzerischen und teilweise unwahren Behauptungen auf! ({1}) Lassen Sie mich ein paar allgemeine Worte zum Thema Rente sagen. Ich habe in diesem Jahr das zukünftige Renteneintrittsalter von 67 Jahren erreicht. Ich bin froh, dass wir jetzt eine Rentenkürzung dauerhaft ausschließen können. Die umlagefinanzierte Rente ist seit ihrer Einführung 1957 noch nie gekürzt worden. Das bleibt auch in Zukunft so. ({2}) Trotzdem bleibt die Höhe der Rente weiter lohn- und beitragsbezogen. Unterbliebene Kürzungen werden später mit Erhöhungen verrechnet. Die Rente folgt also weiter der allgemeinen Lohnentwicklung. Die Union setzt sich seit jeher für eine vernünftige Rentenpolitik ein. Einerseits müssen Rentnerinnen und Rentner die verdiente Rente mit Erhöhungen erhalten, andererseits treten wir für einen stabilen Beitragssatz ein. Nur die konsequente Reformpolitik der Großen Koalition macht es jetzt möglich, die Renten entsprechend der Lohnentwicklung zum 1. Juli zu erhöhen. Diese Erhöhung ist so stark wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Ich freue mich, dass die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr von der guten Entwicklung der Vorjahre profitieren können. ({3}) Auch bei der Angleichung zwischen Ost und West kommen wir jetzt endlich weiter voran. Durch höhere Lohnsteigerungen in den neuen Bundesländern können hier die Renten prozentual stärker steigen. Die Finanzierung der Rentenkasse bleibt auch mit der Rentenerhöhung stabil. Wir haben eine volle Monatsausgabe als Finanzierungsreserve. Leider sind die prognostizierten Arbeitsmarktzahlen momentan nicht so positiv. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit den Rücklagen im System Teile der Mindereinnahmen im Abschwung abfedern und damit den Beitragssatz langfristig stabil halten können. Immer wieder werde ich von Bürgern aus meinem Wahlkreis auf die Sicherheit unseres Rentensystems in der Finanzkrise angesprochen. Es ist wirklich beruhigend, dass die umlagenfinanzierte Rentenversicherung als wichtigste Säule unserer dreigliedrigen Altersversorgung von einer Finanzmarktkrise nicht betroffen sein kann. Ich will klar sagen: Eine zusätzliche Absicherung eines Teils der Rente über den Kapitalmarkt wie bei der Riester-Rente ist sinnvoll. Das Risiko einer völligen Umstellung der Rente auf Kapitaldeckung ist nicht berechenbar. ({4}) Die Krise, die kaum jemand vorhergesehen hat, zeigt, dass man mit allem rechnen muss. Deshalb dürfen wir langfristig unser krisenfestes System nicht aufgeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. Erlauben Sie mir noch eine kurze persönliche Anmerkung. Ich gehöre diesem Haus nun mit kurzer Unterbrechung seit 1990 an. Ich war damals stolz darauf, Mitglied im ersten gemeinsamen Deutschen Bundestag zu sein. Ich habe den Umzug nach Berlin miterlebt und viele Erfahrungen gesammelt: als meine Fraktion in der Regierung war, später dann in der Opposition und nun zuletzt auch in der Großen Koalition mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Das war für mich die intensivste Zeit meines Lebens. Ich komme als gelernter Mechaniker und Betriebsratsvorsitzender aus der Kommunalpolitik, und dorthin gehe ich jetzt wieder zurück. Der Abschied fällt mir nicht schwer. Ich werde zwar alle vermissen, ({5}) aber auch den Ruhestand mit meiner Frau, meinen Kindern und meinen fünf Enkeln genießen. ({6}) Ich möchte Ihnen allen für eine interessante, erlebnisreiche und spannende Zeit hier im Parlament danken. Ich durfte viele interessante Menschen kennenlernen und Freunde gewinnen, unter den Mitgliedern aller Fraktionen, unter den Mitarbeitern des Hauses, der Fraktionen und der Abgeordneten. Ich wünsche Ihnen für die neue Legislaturperiode, dass Sie weiter so engagiert für die Bevölkerung in unserem Land arbeiten und gerade den jungen Menschen zeigen, dass sich Mitmachen in der Politik immer lohnt. Danke schön. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Romer, im Namen des ganzen Hauses danke ich Ihnen sehr herzlich für Ihre Arbeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Nicht alle finden bei ihrer letzten Rede im Plenarsaal so viele Abgeordnete vor; das ist wirklich etwas Besonderes. ({0}) Letzten Endes haben Sie uns fast das Schönste gesagt, was man uns sagen kann: dass Sie uns alle vermissen werden. Das passiert uns nicht jeden Tag. Herzlichen Dank. ({1}) Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnen bekannt, dass eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt, namentlich der Kolleginnen und Kollegen Iris Gleicke, Dr. Margrit Spielmann, Dr. Peter Danckert, Dirk Manzewski, Volker Blumentritt, Klaus Uwe Benneter, Ernst Kranz, Andreas Weigel, Petra Merkel, Carsten Schneider, Andreas Steppuhn, Hans-Joachim Hacker, Engelbert Wistuba, Petra Heß, Marko Mühlstein, Simone Violka, Rainer Fornahl, Dr. Gerhard Botz und Martin Burkert sowie der Kol- leginnen und Kollegen Kai Wegner, Dr. Michael Luther, Jens Koeppen, Michael Kretschmer, Dr. Peter Jahr, Dr. Hans-Heinrich Jordan, Susanne Jaffke-Witt, Robert Hochbaum, Michael Stübgen, Arnold Vaatz, Marco Wanderwitz, Eckhardt Rehberg, Volkmar Vogel und Ulrich Petzold.1) Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte ich Ihnen noch einige Hinweise zum Abstimmungsverfahren geben. Danach gebe ich Ihnen einige weitere Namen von Abgeordneten bekannt, die nach § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung abgegeben haben; die Namen werden mir gerade vorgelegt. Zunächst zum Verfahren. Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung zu ihrem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes sowie zu ihren weiteren 16 Anträgen zu Korrekturen bei der Überleitung von DDR-Alterssicherungen in das bundesdeutsche Recht verlangt. Es ist verabredet, die insgesamt 17 namentlichen Abstimmungen auf einem Stimmzettel zusammenzufassen. Falls noch nicht geschehen, erhalten Sie den Stimmzettel von den Plenarassistentinnen und -assistenten hier im Saal. Auf diesem Stimmzettel tragen Sie bitte zunächst Ihren Namen und die Bezeichnung Ihrer Fraktion deutlich in Druckbuchstaben ein, also bitte nicht unterschreiben, sondern Druckbuchstaben benutzen, sodass wir diese Angaben später lesen können. Unter der Namensleiste finden Sie eine Auflistung der 17 abzustimmenden Vorlagen. Sie haben die Möglichkeit, jede einzelne Vorlage mit einem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ zu markieren - ein Kreuz bei jeder Vorlage. ({2}) - Nicht jeder nur ein Kreuz, sondern jeder ein Kreuz bei einer Vorlage. - Stimmzettel ohne Namensangabe oder Einzelabstimmungen mit mehr als einem Kreuz je Vor- 1) Anlagen 6 bis 10 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt lage sind ungültig. Sie können die Stimmzettel auf Ihrem Platz ankreuzen. Nachdem Sie den Stimmzettel ausge- füllt haben, werfen Sie ihn bitte hier vorn in die aufge- stellten Urnen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13055 unter den Buchstaben a bis q die Ablehnung der Vorla- gen. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist verabre- det, dass unmittelbar über die Anträge und nicht über die Empfehlungen des Ausschusses abgestimmt wird. Das heißt also: Wenn Sie einem Antrag zustimmen wollen, müssen Sie mit Ja stimmen. Wenn Sie einen Antrag ab- lehnen wollen, müssen Sie mit Nein stimmen. Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss noch weitere einfache Abstimmungen durchführen werden. Bevor Herr Kauder und alle anderen ihre Stimmzettel einwerfen dürfen, bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, sich an die Urnen zu begeben. Währenddessen verlese ich die Namen weiterer Kol- leginnen und Kollegen, die Erklärungen abgegeben ha- ben: Manfred Kolbe, Dr. Marlies Volkmer, Katharina Landgraf, Andreas Lämmel, Dr. Christoph Bergner, Wolfgang Gunkel, Silvia Schmidt, Maik Reichel, Ulrich Adam, Veronika Bellmann, Günter Baumann, Klaus Brähmig, Manfred Grund, Bernd Heynemann, Ingo Schmitt, Katharina Reiche, Uda Heller und Monika Grütters.1) Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an ih- rem Platz und somit alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist die Abstimmung eröffnet. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seinen Stimmzettel nicht abgegeben hat? - Das ist der Fall. Dann warte ich noch ein bisschen. Haben alle Kolleginnen und Kollegen, die an der Ab- stimmung teilnehmen wollten, ihren Stimmzettel nun abgegeben? - Das scheint mir der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Die vollständige Auswertung der Stimmzettel wird erhebliche Zeit beanspruchen. So werden die Schrift- führerinnen und Schriftführer zunächst noch kein zah- lenmäßiges Ergebnis ermitteln, sondern nach Sichtung der Stimmzettel feststellen, ob die Vorlagen angenom- men oder abgelehnt wurden. Das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.2) Bevor wir die Abstimmungen über die Beschluss- empfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/13055 fortsetzen, möchte ich einen Hinweis geben: Für mich wäre es sehr komfortabel, wenn ich sehen könnte, wer wie abstimmt. Durch dieje- nigen, die im Saal stehen, ist die Sicht behindert. 1) Anlagen 6 bis 10 2) Seite 24619 C und Anlagen 31 bis 46 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe r seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11684 mit dem Titel „Versorgung für Geschiedene aus den neuen Bundesländern verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung der Koalition angenommen. Dagegen gestimmt hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die FDP-Fraktion und die Fraktion Die Linke. Unter Buchstabe s seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11236 mit dem Titel „Faires Nachversicherungsangebot zur Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und West“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! Die Enthaltungen! - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung der CDU/CSU, der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Die Fraktion der FDP hat dagegen gestimmt. Zusatzpunkt 5. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13201, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9482 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben wiederum CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Fraktion Die Linke. Die FDP hat dagegen gestimmt. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13201 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10375 mit dem Titel „Rentenwert in Ost und West angleichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen gestimmt. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({4}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({5}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien ({6}) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 - Drucksachen 16/12881, 16/13204

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Eckart von Klaeden Dr. Werner Hoyer Marieluise Beck ({0}) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/13216 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Roland Claus Omid Nouripour Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen. Verabredet ist, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Detlef Dzembritzki für die SPD-Fraktion. ({2})

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sozialdemokraten werden der Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zustimmen. Wir können feststellen, dass sich die Herstellung von Sicherheit in multilateraler Verantwortung bewährt hat. UNMIK und EULEX sind Instrumente, die zwar nicht als total vollkommen bezeichnet werden können, die aber sicherlich dazu beigetragen haben, dass Mord und Totschlag in dieser Region ein Ende gesetzt wurde und sich wieder Stabilität und Sicherheit entwickeln konnten. Wenn man die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten, deren Einsatz mit dem vorliegenden Antrag mandatiert werden soll, mit der in früheren Jahren vergleicht, dann kann man erfreut feststellen, dass die Präsenz im Laufe der Jahre deutlich reduziert werden konnte. Die NATO hatte einmal 50 000 Soldatinnen und Soldaten im Kosovo; heute sind es 13 700. Die Mandatierung, die wir ursprünglich beschlossen hatten, sah 8 900 Soldatinnen und Soldaten vor; nun sind dort noch 2 225 im Einsatz. Damit sind derzeit weniger deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo, als auch die jetzt vorgesehene Mandatierung zulassen würde. Das ist ein gutes Zeichen. Die Signale stehen so, dass wir davon ausgehen können, dass bis zum Jahresende, wenn sich die Präsenz der Polizei und anderer Institutionen dort weiter erhöht haben wird, eine weitere Reduzierung möglich ist. ({0}) Das festzuhalten ist, wie ich glaube, richtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will in diesem Zusammenhang noch einmal Eulen nach Athen tragen. Der Westbalkan liegt im Herzen Europas. In der Region leben 22 Millionen Menschen, in der heutigen Europäischen Union 500 Millionen. Albanien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien, Montenegro und schließlich dem Kosovo sind, wie wir wissen, auf der Konferenz von Thessaloniki 2003 Perspektiven zur Aufnahme in die Europäische Union eröffnet worden. Nach nunmehr sechs Jahren halte ich persönlich es für sinnvoll, noch einmal zu schauen, ob es nicht nach Ratifizierung des Lissabon-Vertrages möglich wäre, einen weiteren Sondergipfel für diese Region durchzuführen. ({1}) Man hätte dadurch die Chance, die bis dahin stattgefundenen Entwicklungen, Konsolidierungen und Stabilisierungen der Demokratien in der Region zu würdigen. Sicherlich müsste man auch die neu entstandene Situation aufgrund der Weltwirtschaftskrise berücksichtigen. Sinnvoll wäre aber doch, ein neues verantwortungsvolles Gesamtkonzept zu erarbeiten, das alle 22 Millionen Menschen in der Region einbezieht, und Beitrittsverhandlungen mit allen betroffenen Staaten mit dem Ziel einzuleiten, nach Möglichkeit alle gleichzeitig aufzunehmen, unabhängig vom jetzigen Verhandlungsstatus. Die Verhandlungen müssten bis dahin natürlich so weit gediehen sein, dass dann auch wirklich die Aufnahmekriterien erfüllt sind. ({2}) Es muss doch verhindert werden, dass sich die Staaten dort gegenseitig ausspielen und die EU gleich mit. Ich glaube, hier müssen entscheidende Schritte gemacht werden. Die EU und auch wir dürfen erwarten, dass die Staaten in dieser Region gegenseitig ihre Souveränität akzeptieren und Erpressungspotenziale nicht nutzen ({3}) ich sage das so deutlich insbesondere mit Blick auf Slowenien und Kroatien -, also nicht versuchen, die Prozesse der Heranführung ihrer Nachbarstaaten an die EU zu stören oder gar aufzuhalten. ({4}) Zur guten Nachbarschaftspolitik in dieser Region gehört auch, ethno-nationalistische Gefühle nicht zu instrumentalisieren. Außerdem gehört dazu, wie ich meine, Kroatien und Serbien die Befugnis zu entziehen, die Pässe für kroatische oder serbische Bürgerinnen und Bürger von Bosnien-Herzegowina auszustellen. Man muss einmal klar sagen, dass wir auch hier einen anderen Stil erwarten. ({5}) Die EU sollte, um diesem Prozess zu neuem Schwung zu verhelfen, im Gegenzug Reisefreiheit ermöglichen, also vom momentanen Visaregime Abschied nehmen und ein neues erlassen, ({6}) und die Vernetzung der dortigen Energie- und Verkehrsnetze mit denen der EU vorantreiben. Die Parlamentarier sollten als Beobachter in das Europäische Parlament eingeladen werden, um Signale zu setzen. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass wir die Zusammenarbeit wollen und dass diese Länder in die Europäische Union gehören. Möglicherweise muss man aufgrund der Weltwirtschaftskrise noch besondere Programme entwickeln. Ich glaube, dass das Europäische Parlament und die Europäische Kommission aufgerufen sind, diesem Erweiterungsprozess, der dem Herzen Europas gilt, eine neue Dynamik zu verleihen. ({7}) Dies wird aller Voraussicht nach meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein. Denn nach drei Wahlperioden werde ich nicht mehr kandidieren. ({8}) Ich muss dem Alter und der Familie Tribut zollen. Das ist eine gute Gelegenheit, ein Stück weit darüber nachzudenken, dass das Bundestagsmandat, wie Sie alle wissen, eine besondere Herausforderung ist. Ich glaube auch, dass es ein besonderes Privileg ist. Ich möchte mich bei Ihnen für die erfahrene Kollegialität über Fraktionsgrenzen hinweg herzlich bedanken. Das war eine besondere Erfahrung. Auch die liebenswerte Zusammenarbeit in der SPD-Fraktion war eine gute Erfahrung. ({9}) - Das habe ich doch gesagt: über Fraktionsgrenzen hinweg. Herr Leibrecht, ich werde die Zusammenarbeit mit Ihnen vermissen, weil sie immer ein Vergnügen war. Wir als Außenpolitikerinnen und -politiker haben in unseren Arbeitsfeldern durch unsere Tätigkeit die besondere Chance, die gute Nachbarschaft in Europa, aber auch den Respekt und die Anerkennung gegenüber Deutschland weltweit erleben zu können. Ich glaube, es ist immer wieder eine Herausforderung für uns alle, zu wissen, dass der Wohlstand der Menschen unseres Landes und der Frieden abhängig von dem Wohlbefinden des globalen Dorfes sind und auch davon, ob Frieden und Verständigung überall erreicht werden und ob der Interessenausgleich zwischen Nord und Süd gelingt. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Unterausschuss „Vereinte Nationen“, lieber Kollege Leibrecht, wir wissen sehr wohl, wie wichtig die multilateralen Instrumente und Institutionen sind. Meine herzliche Bitte an die Kolleginnen und Kollegen, die weitermachen: Vergessen Sie bitte diese multilaterale Verantwortung und die Pflege dieser Institutionen nicht. Sie sind, wie alles, unvollkommen, aber wir haben nichts Besseres, was bei der Ausübung von globaler Verantwortungsbereitschaft für diese Welt zur Verfügung steht. Deswegen bin ich sehr froh, dass ich in diesem Bereich mitwirken konnte. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die weitermachen, noch mehr Erfolg, als ich ihn möglicherweise hatte. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Dzembritzki, nehmen Sie den herzlichen Dank des gesamten Hauses für die Arbeit, die Sie geleistet haben, entgegen und auch dafür, dass Sie einer derjenigen sind, die immer auch einen Blick für andere weit über unsere Grenzen hinaus haben. Herzlichen Dank! ({0}) Bevor ich die nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen mitteilen, dass es eine klare Ablehnung aller Anträge zum Thema „Rentenrecht“ gibt. Die genauen Stimmverteilungen werden später im Stenografischen Bericht öffentlich gemacht. Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Harald Leibrecht für die FDP-Fraktion. ({1})

Harald Leibrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003581, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Detlef Dzembritzki, auch von der FDP-Fraktion und von mir persönlich alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg. Ich danke Ihnen für die tolle Zusammenarbeit. Es hat richtig Freude gemacht. Danke schön. ({0}) Die FDP-Bundestagsfraktion wird der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der KFOR-Mission, über die im Anschluss an diese Debatte abgestimmt wird, zustimmen. Ohne Zweifel besteht die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und besonders Europas für das Kosovo fort. Das gilt auch ein Jahr nach der Erklärung der Unabhängigkeit. Die Erinnerung an das, was Ende der 90er-Jahre im Kosovo passiert ist, ist auch heute noch sehr präsent. Ich erinnere mich noch gut an 2003, als ich erstmals im Kosovo war. Ich habe dort ein zerstörtes, geschundenes Land vorgefunden, ein Land, dessen Menschen einen schrecklichen Krieg hinter sich hatten, deren Leben von Hass, Schrecken und Perspektivlosigkeit geprägt war. Viele Häuser, ganze Dörfer waren zerstört, ihre Bewohner entweder tot oder auf der Flucht. Einstmals friedlich nebeneinanderlebende Serben und Albaner verabscheuten sich. Die Felder und Weinberge konnten nicht bewirtschaftet werden, weil sie vermint waren. Schönste KulHarald Leibrecht turgüter wie Klöster und Kirchen wurden angezündet und zerstört. Die Lage damals war mehr als deprimierend. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage dank der hervorragenden Arbeit unserer Soldaten stark verbessert. ({1}) Doch noch ist die Lage nicht so stabil, dass sich die KFOR-Soldaten der internationalen Gemeinschaft zurückziehen könnten. Aus diesem Grund stimmen wir, die FDP, einer Verlängerung des Mandats mit reduzierter Mannstärke zu. Wir Liberale begrüßen es, dass es darüber hinaus innerhalb der Bundesregierung inzwischen Überlegungen gibt, die Truppenstärke zukünftig noch weiter zu reduzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle hier im Haus bestätigen uns gegenseitig immer wieder, dass Rechtsstaatlichkeit die erste und wichtigste Voraussetzung für ein funktionierendes staatliches Gebilde ist. Das gilt ganz besonders für sogenannte Post-Conflict-Situationen, wie sie auf dem Balkan vorliegen. Deshalb ist es strukturell betrachtet richtig, dass wir im Kosovo mit der EULEX-Mission genau an dieser Stelle ansetzen. Rechtsstaatlichkeit ist für das Kosovo überlebenswichtig. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir das Land eines Tages wirklich sich selbst werden überlassen können. ({2}) Die Probleme, die insbesondere im Norden des Kosovo in den Gebieten mit serbischer Mehrheit bestehen, sind uns allen bekannt, und man darf sie nicht kleinreden. Genauso klar ist aber: Probleme in einem Teil des Kosovo dürfen die Entwicklung im Rest des Landes nicht aufhalten. Die Probleme, die zu lösen sind - insbesondere beim Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption und beim Aufbau einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung - bleiben gewaltig. Wir müssen unseren Partnern im Kosovo immer wieder deutlich machen, dass Unabhängigkeit zuallererst ein hohes Maß an Verantwortung bedingt. Dem müssen die Kosovaren gerecht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Aufmerksamkeit, die das Kosovo in der letzten Zeit - zu Recht bekommen hat, sind wir gut beraten, nicht etwa eine Balkanpolitik für das Kosovo zu schreiben, sondern umgekehrt eine Kosovo-Politik zu betreiben, die der Region insgesamt zugutekommt. Wir müssen die Region insgesamt im Blick behalten. Das heißt nicht zuletzt, dass wir versuchen müssen, die proeuropäischen Kräfte in Serbien zu unterstützen. ({3}) Es spricht in hohem Maße für die serbische Bevölkerung, dass sie sich in der politischen Auseinandersetzung im eigenen Land mehrheitlich nicht hinter jene Kräfte gestellt hat, die die Kosovo-Frage zur entscheidenden nationalen Frage erheben wollten, sondern sich für die Europäer im eigenen Land entschieden haben. ({4}) Diese proeuropäischen Kräfte müssen wir im Interesse des Kosovos wie auch im eigenen Interesse unterstützen. Diese Kräfte brauchen Erfolge; diese Erkenntnis war in der Debatte, die in diesem Hohen Hause vor einem Jahr geführt wurde, weit verbreitet. Inzwischen sind die Bemühungen in dieser Hinsicht ein wenig eingeschlafen und sollten dringend intensiviert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwortung für das Kosovo wird uns noch sehr lange erhalten bleiben. Große Aufgaben gilt es zu bewältigen, nicht nur im Kosovo selbst, sondern in der gesamten Region. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies mit Beharrlichkeit und Entschlossenheit aller Beteiligten gut gelingen wird. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Philipp Mißfelder erhält jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in dieser wichtigen Debatte den Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz ausdrücklich unser aller Dank aussprechen, und zwar aus folgendem Grund: Manch einer mag den Eindruck haben, dass die Verlängerung gerade dieses Mandats, weil es jetzt zum wiederholten Male stattfinden wird, ein Routinevorgang ist. Das ist es aus meiner Sicht nicht. Der Einsatz ist nach wie vor gefährlich. Die Situation ist für die Soldatinnen und Soldaten und gerade auch für ihre Angehörigen sicherlich nicht einfach. Deshalb möchte ich den Betroffenen an dieser Stelle als Erstes einen Dank aussprechen. ({0}) Wir werden heute in namentlicher Abstimmung erneut über eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo abstimmen. Ich möchte zu Beginn meiner Rede die Position unserer Fraktion deutlich machen: Wir werden dieser Mandatsverlängerung zustimmen. 1999 wurde durch die rot-grüne Bundesregierung und die damalige parlamentarische Mehrheit der fast schon historische Beschluss gefasst, sich auf dem Balkan zu engagieren - mit Erfolg, wie man feststellen muss. Denn die Lage im Kosovo ist deutlich besser geworden. Besonders seit der Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar 2008 hat sich die Ent24614 wicklung positiv verstetigt. Erfreulich ist vor allem, dass es an dem Tag, an dem sich die Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung jährte, weder zu einer Eskalation der Situation noch gar zu einer Destabilisierung der militärischen oder politischen Lage gekommen ist. Vielmehr liegt das Wirtschaftswachstum im Kosovo trotz der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise bei über 3 Prozent. Das Kosovo ist mittlerweile Mitglied des Internationalen Währungsfonds und hat deshalb Zugang zu Krediten. Die Voraussetzungen für politische Stabilität sind positiv zu beurteilen, da die ökonomische Stabilität weitaus besser ist, als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Insofern ist dies ein großer Erfolg der Menschen im Kosovo, aber natürlich auch derjenigen Freunde und Partner, die die Menschen und die gemäßigten politischen Kräfte dort unterstützen, also ein Erfolg derjenigen, die Truppen für einen Einsatz im Kosovo bereitstellen. Das Kosovo hat zudem eine Verfassung, die die Minderheitenrechte besonders der Serben ausdrücklich schützt. Das ist natürlich eine Voraussetzung für politische Zusammenarbeit und lässt für die Zukunft hoffen. Insbesondere durch die EULEX-Mission der Europäischen Union wird im Kosovo im Bereich der Polizei und der Justiz mehr Rechtsstaatlichkeit aufgebaut. Gerade dieser Aspekt ist neben dem militärischen Engagement für unseren Ansatz sehr wichtig und lässt uns für die Zukunft optimistisch sein, dass die Situation im Kosovo stabil bleibt. Die Sicherheit ist nicht akut gefährdet; aber sie bleibt dennoch instabil. Deshalb ist dieses Engagement weiterhin notwendig. In Gesprächen mit Menschen aus dem Kosovo, die im Rahmen von Besuchergruppen einzelner Stiftungen zu uns kommen, oder in Gesprächen anlässlich von Besuchen von Partnerorganisationen auf europäischer Ebene stellt man immer wieder fest, dass die Spannungen zwischen den Volksgruppen keineswegs abgebaut sind, selbst wenn jetzt Stabilität herrscht. Deshalb müssen wir darauf achten, dass dieser Einsatz auch in Zukunft Erfolg hat und dass die Grundvoraussetzungen für Stabilität und Zusammenarbeit in dieser Region vorhanden bleiben. Die Verwirklichung von Rechtsstaatlichkeit und politischer Stabilität kann nur dann gelingen, wenn das Kosovo eigene Erfolge hat. Deshalb ist es ein ganz besonders wichtiger Aspekt, dass eigene militärische Kräfte aufgebaut werden. So ist es besonders erfreulich, dass der Aufbau der Kosovo Security Force sehr weit vorangeschritten ist und dass die professionelle Unterstützung beim Aufbau dieser Strukturen und bei der Beschaffung der Ausrüstung sehr stark an NATO-Standards ausgerichtet ist. Das ist ein Vorteil für die Zukunft des Kosovos. Dass der Umfang dieses Engagements jedoch dauerhaft zurückgehen muss, dokumentieren wir in folgender Weise: Wir reduzieren die Personalobergrenze von 8 500 auf 3 500 Soldatinnen und Soldaten. Aktuell sind 2 200 Männer und Frauen, die der Bundeswehr angehören, im Kosovo. Auch daran sieht man, dass unser Engagement auf Dauer - das ist die politische Aussage der Reduzierung der Personalobergrenze - einen anderen Umfang haben wird, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Für die Zukunft der Europäischen Union ist es von entscheidender Bedeutung, dass auf dem Balkan Stabilität herrscht und die Entwicklung auf dem Balkan - innerhalb der einzelnen Länder, aber auch im Miteinander der Staaten - so weit voranschreitet, dass Konflikte nicht wieder auftreten können. Es ist wichtig, dass Deutschland einen Beitrag zur Entwicklung dieser Länder leistet, und zwar in den aufgezeigten Bereichen: Aufbau der Polizeigewalt, Aufbau der Rechtsstaatlichkeit und Aufbau eigener militärischer Strukturen. Eine Unterstützung unsererseits ist weiterhin notwendig. Heute dokumentieren wir, dass dies kein leeres Versprechen ist, sondern dass sich Deutschland auch in Zukunft stark engagieren wird. Es ist keine Kleinigkeit, wenn wir heute beschließen, weiterhin deutsche Soldaten im Ausland zu stationieren. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Monika Knoche spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich vertrete die Position der Linken zum Kosovo. Diese Position unterscheidet sich grundlegend von allen anderen. Weder legitimieren wir im Nachhinein den Angriffskrieg auf Jugoslawien noch sehen wir die politisch-rechtlichen Grundlagen, auf die sich eine Verlängerung des KFOR-Einsatzes stützen könnte. ({0}) Rot-Grün - ich erinnere mich sehr gut - hat vor zehn Jahren mit einem unerträglichen Auschwitz-Vergleich und mit der Lüge vom Hufeisenplan ({1}) das emotionale Feld dafür bereitet, dass sich Deutschland erstmals nach 1945 wieder an einem Krieg beteiligten konnte. Das vergessen wir Linken nicht. Die Menschenrechtsverbrechen der serbischen und der kosovarischen Seite wurden als moralische Legitimation des Bombardements angeführt. In Rambouillet wurde Rugova durch die UCK am Verhandlungstisch ersetzt und eben keine friedliche Lösung gefunden. Wir haben dem Jugoslawien-Krieg damals entschieden widersprochen. Wir haben ihn abgelehnt und in der Folge, im Februar 2008, auch die Abtrennung des Kosovos von Serbien verurteilt. ({2}) Ich erinnere mich auch gut daran, dass die Gewaltbereitschaft auf der Seite der kosovarischen Nationalisten ausschlaggebend in Ihrer Argumentation dafür war, die Abtrennung von Serbien zu befürworten. Das entsprach Ihrer Befriedungsstrategie. Das war und ist unverantwortlich und widerspricht dem europäischen Gedanken der Vielvölkerstaatlichkeit. ({3}) Seither haben nur 60 Staaten der Welt dieses Territorialgebilde anerkannt. ({4}) Die Mehrheit der Staaten der Welt unterstützt Serbien vor dem Internationalen Gerichtshof. Wie man am Beispiel Südossetiens sieht, ist der Völkerrechtsbruch in Sachen Kosovo leider kein Einzelfall geblieben. Es muss uns doch zu denken geben, dass man die völkerrechtlichen Fragen so nachlässig behandelt hat. Es ist falsch, den Völkerrechtsbruch dadurch fortzuschreiben, dass Deutschland weiterhin deutsche Soldaten im Kosovo einsetzt und sich an der KFOR beteiligt. ({5}) Ich hebe noch einmal hervor: Die UN-Resolution 1244 besagt, dass die Statusfrage des Kosovo offen ist. Es gilt daher, bei jedem Engagement die Statusneutralität zu wahren. ({6}) Warum sprechen Sie in diesem Haus nicht davon, dass Spanien, das mit den Basken erhebliche Konflikte austrägt, dass Griechenland, Zypern, Rumänien und die Slowakei die Anerkennung des Kosovo strikt ablehnen? Diese Länder können, wollen und werden eine Anerkennung des Kosovo nicht unterstützen. Wer also hat den europäischen Konsens nicht hergestellt - diejenigen, die auf die europäische Philosophie verweisen und auf eine nichtethnische Separation drängen, oder jene, die sich über die Völkerrechtsfragen hinweggesetzt haben? Als es um Bosnien-Herzegowina ging, sind Sie noch für die Multiethnizität eingetreten. Die Autonomie für das Kosovo wäre die richtige Haltung gewesen und hätte auch eine einheitliche Haltung Europas ermöglicht. Spanien zieht nun die Konsequenzen und zieht seine Truppen komplett ab. England zieht seine Truppen im September ab. Nur Deutschland will bis zu 3 500 Soldaten dorthin beordern. Wir Linke fordern, dass Deutschland mit Spanien und England gleichzieht und die deutschen Soldaten abzieht. ({7}) Ich weise darauf hin, dass Deutschland gerade erst durch die EULEX-Entscheidung von der UN noch einmal vor Augen geführt bekam, dass die UN das zivile Engagement der EULEX weiterhin unter die Statusneutralität stellt. Wir sind also mit unserer Rechtsauffassung nicht allein. Ich sage aber auch: Die UN-Mission UNMIK und die Militärpräsenz KFOR haben sich in den letzten Jahren keine Lorbeeren verdient; denn der zivile Aufbau ist wirklich nicht gestärkt worden. Es herrschen - das wissen alle, die sich damit beschäftigen - albanisch-kosovarische Clanstrukturen, in die Rechtsstaatlichkeit nicht vordringt. Kriegsverbrechen können nicht hinreichend geahndet, Verbrecher nicht vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt werden, weil Zeugen sterben, umgebracht oder mundtot gemacht werden. Mitrovica ist ein Beispiel dafür, dass Roma vertrieben wurden und bis heute nicht wieder zurückkehren können und auch dafür, dass serbische Flüchtlinge nicht wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Ich sage hier wieder und wieder: Kosovo ist in Europa der Dreh- und Angelpunkt des Drogen- und Menschenhandels und Umschlagplatz für Zwangsprostitution von Frauen. Nach wie vor verabsäumt es die Bundesregierung, gemäß der UN-Resolution 1325 die Frauen am Aufbau der zivilen Ordnung zu beteiligen. ({8}) Die Menschenrechtsstandards werden bei der Vergabe von Geldern an die Eliten im Kosovo ebenfalls nicht zwingend angewandt. Ich bin der Meinung, der Westen muss endlich mehr Mut zeigen, um die Machthaber im Kosovo in ihre Schranken zu verweisen; denn die Rechtsstaatlichkeit ist in Europa unteilbar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es sind viele politische und auch rechtliche Gründe, die dazu geführt haben, dass wir die Zustimmung versagen werden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Marieluise Beck ist die nächste Rednern für Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund dieser Selbstgerechtigkeit, mit der Sie hier auftreten, Frau Knoche, stellen Sie sich natürlich nie die Frage, wie viele Kosovo-Albaner heute überhaupt noch im Kosovo leben könnten oder würden, wenn es die Intervention der KFOR nicht gegeben hätte. ({0}) Marieluise Beck ({1}) Ich möchte dem Kollegen Dzembritzki noch einmal meinen Dank aussprechen. Sie haben uns hier ja den Auftrag gegeben, nicht nur auf die einzelnen Länder auf dem Balkan zu schauen, sondern auf die Region. Das möchte ich sehr unterstützen. Natürlich haben wir bei der Frage der europäischen Perspektive, also der EU-Perspektive, einen Acquis, aber wir sollten nicht vergessen, dass wir in ganz schwieriges Fahrwasser kommen, wenn wir diese Länder nur einzeln betrachten. Unter anderem geht es - Sie wissen, dass mir das besonders am Herzen liegt - um Bosnien-Herzegowina. Diesem Staat hat die internationale Gemeinschaft eine Verfassung gegeben, die ihn kaum lebensfähig macht. Wenn nun die Nachbarstaaten Bosniens der EU beitreten können, aber Bosnien außen vor bleibt - unter anderem auch, weil es durch uns eine so schlechte Verfassung bekommen hat -, dann sollten wir doch noch einmal an unsere Verantwortung denken. Es geht um die Region und nicht nur um einzelne Länder, und wenn wir heute über das Kosovo und KFOR sprechen, sprechen wir auch über die Region. Deswegen möchte ich meinen Blick heute noch einmal auf Serbien richten. Wir wissen, dass weite Teile Serbiens sich unendlich schwer damit tun, die Realität, die mit der Unabhängigkeit des Kosovos geschaffen worden ist, anzuerkennen. Und die Realität ist: Serbien hat das Kosovo durch eigenes Zutun verloren. Nicht nur hatte Milosevic in den 90er-Jahren ein brutales Apartheid-Regime gegenüber den Kosovo-Albanern errichtet, ihnen die Autonomie genommen und auch noch Truppen in Bewegung gesetzt, sondern dieses Regime hatte auch in den Jahren zuvor gegen Teile seines eigenen Landes und seiner eigenen Bevölkerung Krieg geführt, und diese Aggression hatte ihren Preis. ({2}) Das Serbien von heute ist nicht mehr das Serbien von Milosevic und Karadzic. Wir sollten anerkennen, dass die Regierung in Belgrad ihren Blick in Richtung EU richtet und sich Mühe gibt, auch den Blick der Bevölkerung dorthin zu lenken. Dennoch - das wissen wir - stecken Politik und Gesellschaft in dem bitteren Prozess, sich mit ihrem historischen Erbe auseinanderzusetzen. Wir wissen, dass von manchen Serben die Abtrennung des Kosovo als Demütigung Serbiens empfunden wird. Aber es geht nicht um Demütigung und auch nicht um Schuld, sondern um die Übernahme einer historischen - ich betone das - Verantwortung für vergangenes Unrecht. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Bevölkerung und den radikalen Verführern in ihrem Land wird der serbischen Politik nicht erspart bleiben. Deswegen ist es unerträglich - ich sage das heute noch einmal -, dass der Schlächter von Srebrenica, General Mladic, immer noch in Serbien Unterschlupf finden kann. ({3}) In Deutschland weiß man, was es bedeutet, einen Teil des eigenen Staatsgebietes, des eigenen Landes zu verlieren. Hier hat es Jahrzehnte gedauert, bis dies von der Mehrheit der Gesellschaft und der Politik akzeptiert worden ist. In Deutschland weiß man, dass es deutsches Verschulden war, das zu diesem Verlust geführt hatte. Diese eigenen Erfahrungen und Kenntnisse sollten wir in den Umgang mit unseren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern in Serbien einfließen lassen. Manches deutet darauf hin, dass von den radikalen Kräften in Serbien nach wie vor mit dem Gedanken gespielt wird, zumindest den Norden Mitrovicas aus dem Kosovo faktisch herauszulösen. Wir müssen Belgrad sehr deutlich machen: Eine Teilung des Kosovos wird vom Westen nicht akzeptiert. Man bedenke nur, welche Büchse der Pandora aufgemacht würde, wenn das Kosovo von einem multiethnischen Staat in einen ethnisch sortierten überführt werden würde. Die Zukunft des Presevo-Tals in Serbien und die Teilung Bosniens stünden als Nächstes auf der Tagesordnung. Wir alle wissen das. Dieselbe Botschaft geht an die Regierung in Pristina, die unsere Unterstützung nur dann erwarten kann, wenn sie mit aller Kraft die serbische Minderheit integriert und versucht, sie zu halten, sich also wirklich bemüht, allen Menschen jeder Herkunft und jeder Religion in ihrem Land Raum zu geben. Eine klare Botschaft darf allerdings keiner Belgrader Regierung erspart bleiben: Wer in Belgrad der Bevölkerung weismacht, der Weg in die EU und eine Blockade bei der Kosovo-Frage wären miteinander vereinbar, streut der serbischen Bevölkerung Sand in die Augen. ({4}) Wir beschließen heute noch einmal die Verlängerung des KFOR-Mandats, weil wir wissen, dass ein Konflikt, wenn er erst einmal ausgebrochen ist und sich ausbreiten konnte, fürchterliche und tiefe Gräben und Wunden hinterlässt, die nur schwer zu heilen und zu schließen sind. Die Lektion der Balkan-Kriege lautet: Nichts ist schlimmer, als wenn Aggression offen wüten kann. Frau Knoche, wenn die Wunden erst einmal sehr tief sind, ist die Versöhnung extrem schwierig. Deswegen lohnt sich jede präventive Maßnahme. Dazu gehört der KFOR-Einsatz. Daher stimmt Bündnis 90/Die Grünen diesem Einsatz zu. Schönen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Uta Zapf hat jetzt das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zehn Jahren stehen die KFOR-Truppen im Kosovo. Das Gespenst des Krieges wurde gebannt - das hat Frank-Walter Steinmeier bei der Einbringung des AntraUta Zapf ges gesagt. Das Gespenst mag gebannt sein. Dennoch wissen wir, dass auf KFOR noch nicht verzichtet werden kann. Es wird sicherlich zu Truppenreduzierungen kommen; das ist schon erwähnt worden. Wir sollten aber vorsichtig sein; denn auch die Unruhen vom März 2004 sind noch nicht vergessen. Ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung haben 60 Staaten das Kosovo anerkannt. Allerdings ist das unabhängige Kosovo alles andere als vollkommen souverän, die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates gilt nach wie vor - sie wurde durch keine neue Entscheidung abgelöst -, und UNMIK vertritt das Kosovo in internationalen Organisationen. Dass die Situation immer ein bisschen in Bewegung ist, sieht man daran, dass 44 Staaten, die offensichtlich für den Beitritt zum IWF gestimmt haben, bisher noch nicht ihre Anerkennung ausgesprochen haben und dass Russland in die Kontaktgruppe zurückgekehrt ist. Ich glaube, wir brauchen noch Geduld. Es geht zwar nur langsam voran, aber es wird eine Lösung geben. Ich glaube, im Hinblick auf diese Lösung ist die europäische Perspektive des Kosovo, aber auch des gesamten Westbalkans von sehr großer Wichtigkeit. Auch für Serbien ist sie wichtig, und die Serben wissen das. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste Jahrestag der Unabhängigkeit wurde gefeiert, und er verlief friedlich. Dass an der Sondersitzung des Kosovo-Parlaments weder die serbischen Abgeordneten noch die Abgeordneten der anderen Minderheiten teilnahmen, zeigt, dass noch viel getan werden muss, um die Serben, die Albaner und die anderen Minderheiten zu einem friedlichen Zusammenleben zu führen. Der KFOR-Einsatz wurde vor zehn Jahren beschlossen. Zehn Jahre, das ist eine unendlich lang erscheinende Zeit. Die Entscheidung zum Einsatz der KFOR als Schutztruppe, um ein Aufflammen von Kämpfen zwischen albanischen und serbischen Gruppen zu verhindern und die serbische Bevölkerung zu schützen, war als logische Folge des Eingreifens der NATO nicht das größte Problem. Der vorherige Beschluss, an der völkerrechtlich umstrittenen Intervention teilzunehmen, war allerdings eine quälende und schwere Entscheidung. Ich glaube, niemand von uns hat sie sich leicht gemacht. ({0}) Warum haben wir damals geholfen? Warum haben wir diese Entscheidung getroffen? Die Vertreibungen und der Mord an der albanischen Bevölkerung, die unendlichen Flüchtlingsströme und die Lage in Mazedonien, die wir jeden Tag im Fernsehen verfolgt haben, machten deutlich, dass ein Verbrechen an der eigenen Bevölkerung begangen wurde. Die völkerrechtliche Legitimität des Eingreifens der NATO war umstritten, obwohl - ich sage deutlich: obwohl - die UNO die Vertreibungen, die Menschenrechtsverletzungen und die Verbrechen in Jugoslawien ausdrücklich als Bedrohung des Weltfriedens bezeichnet hat. Hier prallen zwei völkerrechtliche Prinzipien aufeinander, die bis heute in einem ungelösten Widerspruch zueinander stehen: die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates und die Verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft, Menschenrechte zu schützen und ethnische Vertreibungen sowie Genozid nicht untätig hinzunehmen. „The Responsibility to Protect“, die Schutzverantwortung der Staaten, lautete der Titel des Berichts einer internationalen Kommission vom Dezember 2001, in dem sie sich mit der Staatssouveränität und dem Recht oder der Pflicht zur Intervention auseinandersetzte. Die umstrittene Intervention im Kosovo veranlasste Kofi Annan, die internationale Staatengemeinschaft im Jahre 1999 und dann noch einmal im Jahre 2000 aufzufordern, in dieser Frage einen Konsens zu finden. Ich zitiere Kofi Annan: Wenn humanitäre Interventionen in der Tat ein unakzeptabler Anschlag auf die Souveränität sind, wie sollen wir dann auf Ruanda, auf Srebrenica antworten - auf schlimme und systematische Verletzungen der Menschenrechte, die jede Vorstellung unserer Humanität verletzen? Bis heute gibt es keine schlüssige Antwort auf diese Frage von Kofi Annan. Nach Ruanda und Srebrenica sehen wir in Darfur im Sudan und in Simbabwe hilflos zu, wie Regierungen ihre Schutzpflicht gegenüber der eigenen Bevölkerung grob vernachlässigen, internationale Konventionen verachten, Menschenrechte mit Füßen treten, Vertreibung, Mord und Genozid zulassen oder auch ausüben. Im Jahre 2004 legte das High Level Panel on Threats, Challenges and Change einen Bericht mit dem Titel „Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung“ vor. Diesem Bericht folgte ein Bericht des Generalsekretärs mit dem Titel „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“. In allen diesen drei Berichten - inklusive der „Responsibility to Protect“ - hat man sich genau mit dieser Diskrepanz auseinandergesetzt. Es wurden auch Vorschläge zur Lösung gemacht, die dann eine völkerrechtliche Grundlage sicherer Art werden. In allen Berichten wird aus der Verpflichtung der souveränen Staaten, seine eigenen Bürgerinnen und Bürger vor Not, Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung und Genozid zu schützen, die Verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft zur Intervention abgeleitet, sollte dieser Staat nicht in der Lage oder willens sein, dieser Schutzpflicht nachzukommen. Drei Grundsätze wurden aufgestellt: Erstens. Prävention. Die Mittel haben wir, aber sie funktionieren noch nicht in ausreichendem Maße. Zweitens. Die Verantwortung, zu handeln. Dies muss notfalls mit Zwangsmaßnahmen und im Falle der Ultima Ratio mit militärischen Mitteln geschehen. Drittens. Die Verantwortung für den Wiederaufbau, für die Beseitigung der Ursachen der Konflikte und für die volle Unterstützung bei der Versöhnung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles haben wir im Kosovo getan. Wir tun dies noch, und wir werden dies so lange tun, bis die Region befriedet ist. Eines haben wir noch nicht geleistet, nämlich die unaufgelöste Spannung zwischen der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates und unserer „Responsibility to Protect“ aufzulösen. Ich wünsche mir von Herzen, dass wir diese Diskussion endlich vertieft und ohne Eifer und Zorn hier in diesem Hause führen. Ich danke Ihnen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Robert Hochbaum spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche mögen sich noch erinnern können: Es sind jetzt fast auf den Tag genau zehn Jahre, seitdem sich Deutschland am Einsatz im Kosovo beteiligt. Am 11. Juni 1999 hat der Deutsche Bundestag das KosovoMandat im Rahmen der NATO-Mission zum ersten Mal beschlossen. Sicherlich war dies damals wie heute für alle keine einfache Entscheidung. Die Tatsachen aber, die man im Kosovo vorfand, sprachen eine eindeutige Sprache - ich glaube, das haben Sie, werte Frau Knoche, vergessen -: ({0}) 1,4 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, 1,8 Millionen obdachlose Menschen, Massenhinrichtungen, Massenvergewaltigungen und brutalste Waffengewalt waren an der Tagesordnung. Der damalige Kommandeur im Kosovo, General Fritz von Korff, beschrieb die Lage gegenüber Journalisten mit den Worten: Es gibt keine innere Ordnung, es gibt nur Hass. Heute entscheiden wir zum elften Mal darüber, ob wir unser Engagement im Kosovo fortführen. In diesen Tagen hören wir von einer Lage, die sich zumindest im Vergleich zu der von damals deutlich verbessert hat. Selbst die Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 und die damit verbundenen düsteren Prognosen führten zu keiner Eskalation und auch nicht zu einer deutlichen Destabilisierung der Lage im Land. Gegenwärtig erkennen 60 Staaten, darunter zum Beispiel auch Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, die Unabhängigkeit des Kosovos an. Das ist für mich und wohl auch für Sie ein Zeichen, dass die beteiligten Regierungen nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation setzen. Es ist auch ein deutliches Zeichen für die Menschen vor Ort, liebe Frau Knoche. Sie werden dadurch ermuntert, aufeinander zuzugehen, sich die Hände zu reichen und sich zu versöhnen. Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Demokratisierung ist das Inkrafttreten der kosovarischen Verfassung im vergangenen Jahr. Sie ist das Fundament für Rechtsstaatlichkeit und daher von enormer Wichtigkeit für die Menschen im Land. Ihr Zustandekommen stellt einen wesentlichen Baustein aller internationalen und kosovarischen Bemühungen zur Friedenssicherung dar. Wenn wir Vergangenheit und Istzustand im Kosovo miteinander vergleichen, dann ist augenscheinlich, dass der Einsatz der NATO und damit der Einsatz unserer Bundeswehr zu weitestgehend stabilen Verhältnisse im Kosovo beigetragen haben. ({1}) Ohne diesen Einsatz wäre keine Stabilisierung des Landes möglich gewesen. Deutschland hat dazu einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet. Mit bisher insgesamt über 100 000 Soldatinnen und Soldaten konnte der Auftrag, im Kosovo ein rechtsstaatliches und demokratisches Umfeld herzustellen, inzwischen schon in großem Umfang erfüllt werden. Auch wenn es hier und anderswo schon öfters angeklungen ist, so möchte ich es an dieser Stelle gerne wiederholen; weil ich denke, dass es nicht oft genug gesagt werden kann: Allen beteiligten Soldatinnen und Soldaten gebührt unser Dank. Sie stehen für Frieden, Freiheit und Demokratie im Kosovo und für eine friedliche Perspektive in ganz Europa. ({2}) Die Fortschritte, die das Kosovo hin zu einer friedlichen Entwicklung gemacht hat, sind beachtlich. Dennoch steht es - man darf da nicht blauäugig sein - vor Herausforderungen, die nicht zu unterschätzen sind und von uns ernst genommen werden müssen. So muss beispielsweise die sehr junge Verfassung von den dort lebenden Menschen - und zwar von allen - erst noch in vollem Umfang angenommen werden. Sie muss gelebt und verinnerlicht werden. Ein weiteres Problem stellt der wirtschaftliche Aufbau des Landes dar. In Zeiten der weltweiten Finanzund Wirtschaftskrise ist dies kein leichtes Unterfangen und benötigt - wie zurzeit überall auf dieser Welt - ökonomisches Fingerspitzengefühl. Aber auch die Sicherheitsstrukturen müssen noch weiter entwickelt und ausgebaut werden. Mit EULEX, der Rechtsstaat- und Polizeimission Europas, und dem Aufbau der Kosovo Security Force ist man gut vorangekommen. Es wurden schon viele Sicherheitskräfte ausgebildet. Weitere - und zwar sehr viele - befinden sich in der Ausbildung. Dies gilt es weiter fortzuführen und zu unterstützen. Nur effektive Sicherheitsstrukturen soRobert Hochbaum wie rechtsstaatliche Instrumentarien sind Garanten für einen fortwährenden Frieden. Die Entwicklung mit EULEX und der Kosovo Security Force lässt die Gewährleistung der Sicherheit in Eigenverantwortlichkeit der kosovarischen Kräfte in greifbare Nähe rücken. Damit sind wir auf dem richtigen Weg, was im Übrigen auch die heute zur Debatte stehende Reduzierung der Truppenstärke ermöglicht hat. Aber - das ist entscheidend - der Aufbau der Sicherheitsstrukturen und die Ausbildung der Polizei- und Militärkräfte müssen mit Geduld, höchster Gewissenhaftigkeit und vor allem Nachhaltigkeit vollzogen werden. Es wäre ein Kardinalfehler und äußerst fatal, Erreichtes durch zu schnelles und unüberlegtes Handeln zu gefährden und somit eine mögliche Destabilisierung einer ganzen Region hervorzurufen. Das zarte Pflänzchen der Stabilität im Kosovo muss weiter gesichert, gefestigt und ausgebaut werden. Forderungen nach einem schnelleren bzw. gänzlichen Rückzug unserer Truppen sind dabei wenig zielführend und meiner Meinung nach verantwortungslos. ({3}) Wenn wir heute - ich hoffe, mit großer Zustimmung des Hauses - die weitere friedliche Entwicklung des Kosovos unterstützen, dann tun wir dies nicht gegen den Wunsch der Kosovaren. Unmissverständlich hat auch der dortige Präsident Sejdiu mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass die Unterstützung der KFOR gewünscht, gewollt und willkommen ist. Unterstützen wir ihn, vor allem aber die Menschen im Kosovo bei ihrem Streben nach Frieden, Freiheit und Demokratie! Herzlichen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Ich komme kurz zurück auf die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b. Ich hatte Ihnen schon mitgeteilt, dass die Schriftführerinnen und Schriftführer für den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/7035 und die Anträge auf den Drucksachen 16/7019 bis 16/7034 eine Mehrheit von Neinstimmen festgestellt haben. Es ist noch zu sagen, dass damit der Gesetzentwurf in zweiter Lesung sowie die 16 Anträge der Fraktion Die Linke abgelehnt sind. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 52 nein: 513 enthalten: 1 Ja FDP DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({0}) ({1}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({2}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({4}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({5}) Dirk Fischer ({6}) Axel E. Fischer ({7}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({8}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({9}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({10}) Eckart von Klaeden Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({11}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({12}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({13}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({14}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({15}) Stefan Müller ({16}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche ({17}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({18}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({19}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({20}) Andreas Schmidt ({21}) Ingo Schmitt ({22}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({23}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({24}) Gerald Weiß ({25}) Karl-Georg Wellmann Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({26}) Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({27}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({28}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({29}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({30}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({31}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({32}) Frank Hofmann ({33}) Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({34}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({35}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({36}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({37}) Michael Müller ({38}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({39}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({40}) Michael Roth ({41}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({42}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({43}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({44}) Silvia Schmidt ({45}) Renate Schmidt ({46}) Heinz Schmitt ({47}) Carsten Schneider ({48}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({49}) Swen Schulz ({50}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({51}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({52}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({53}) Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({54}) Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({55}) Cornelia Pieper Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({56}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({57}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({58}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Markus Kurth Undine Kurth ({59}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({60}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({61}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler Enthalten CDU/CSU Uda Carmen Freia Heller Ich komme jetzt zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/13204 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicher- heitspräsenz im Kosovo. Hierzu liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollegin Waltraut Wolff vor.1) Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksache 16/12881 zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen 1) Anlage 11 einzunehmen. - Sind jetzt alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben.2) 2) Ergebnis Seite 24623 D Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir setzen die Abstimmungen fort.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13224. Wer stimmt für den Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Fraktion Die Linke und CDU/CSU gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 16/13105 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - Drucksache 16/12280 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 16/13217 - Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Gisela Piltz Wolfgang Wieland b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/12279 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/13107 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften - Drucksache 16/11608 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) - Drucksache 16/13213 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Königshofen Jan Mücke Winfried Hermann c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich ({5}), Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zukunft der Flugsicherung verfassungskonform gestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothée Menzner, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Deutsche Flugsicherung europarechtlichen Rahmenbedingungen anpassen - Drucksachen 16/7133, 16/3803, 16/11168 Berichterstattung: Abgeordneter Uwe Beckmeyer Zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 87 d des Grundgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes werden wir später in dritter Beratung namentlich abstimmen. Ich mache darauf aufmerksam, dass zur Annahme dieses Gesetzentwurfs die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erforderlich ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Uwe Beckmeyer, SPD-Fraktion. ({6})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Legislaturperiode befassen wir uns mit dem zur Diskussion stehenden Thema das zweite Mal. Ich bin überzeugt, dass unser Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes auch das positive Votum des Bundespräsidialamtes finden wird. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union streben eine engere Zusammenarbeit im Luftverkehr an. Ziel der Kooperation ist, die Verkehrsströme auch in der Luft effektiver zu organisieren. Während wir am Boden mit dem Schengen-Abkommen zwischen den europäischen Staaten die Freizügigkeit von Personen- und WarenverUwe Beckmeyer kehr verwirklicht haben, leisten wir uns am Himmel noch immer nationale Kleinstaaterei. Flugzeuge müssen an den nationalen Grenzen bei der jeweiligen Flugsicherungsorganisation im grenznahen Raum teilweise im Minutentakt an- und wieder abgemeldet werden. Das zwingt vielfach dazu, das Flugziel nicht auf direktem Weg anzusteuern, sondern Umwege in Kauf zu nehmen. Das bedeutet einen erhöhten Kerosinverbrauch, erhöht die Flugkosten und verteuert damit die Preise für den Verbraucher. Auch die CO2-Emissionen steigen unnötigerweise. Im Jahr 2004 hat die Europäische Union mit einem ersten Verordnungspaket die Errichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums - Single European Sky beschlossen. Damals wollte man - wir wollen das weiterhin - Flugtrassen optimieren und die Schadstoffemissionen der Flugzeuge reduzieren. In grenzüberschreitenden Luftraumblöcken ist nun eine Zusammenarbeit der nationalen Flugsicherungsorganisationen der europäischen Mitgliedstaaten vorgesehen. Ohne den Beschluss der vorliegenden Gesetzentwürfe kann sich Deutschland nicht aktiv an der Ausgestaltung eben dieses Single European Sky und an der Gründung eines einheitlichen Luftraumblocks zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz beteiligen. Das wäre ein fatales Zeichen in Richtung Brüssel, und das wäre ein fatales Zeichen für die Umwelt. Im Herbst stehen weitere Beschlüsse der Europäischen Union an, die für die Mitgliedstaaten gerade in diesem Zusammenhang von großer Wichtigkeit sind, die unmittelbar geltendes Recht sein werden und die Mitgliedstaaten auch zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit in Europa im Luftverkehr zwingen werden. Im grenznahen deutschen Luftraum und an Regionalflughäfen sind schon heute aus praktischen Gründen ausländische Flugsicherungsorganisationen wie Austro Control tätig. Die regionalen Gegebenheiten im Verlauf der Grenzen zu unseren Nachbarstaaten lassen es im Sinne einer lückenlosen Luftraumüberwachung nicht zu, dass die Tätigkeiten von Flugsicherungsorganisationen jeweils an den nationalen Grenzen enden. Der Bundespräsident hat ja - er hat das 2006 in seiner Begründung zur Nichtausfertigung des vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung deutlich gemacht - verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Europäische Vorgaben zur Trennung von Aufsicht und Durchführung der Flugsicherung durch die Errichtung eines Bundesamtes für Flugsicherung werden wir ebenfalls umsetzen. Jede Tätigkeit im Bereich Flugsicherung in Deutschland steht zukünftig unter der Aufsicht des Staates, vertreten durch das neu zu errichtende Bundesamt für Flugsicherung. Mit der Grundgesetzänderung wird geregelt, dass die Luftverkehrsverwaltung in Deutschland eine hoheitliche Aufgabe des Bundes bleibt, jedoch auf dem Wege der Beleihung auch in mittelbarer Bundesverwaltung ausgeübt werden kann. ({0}) Diese Klarstellung in der Verfassung ist notwendig, da der Bundespräsident im Jahr 2006 verfassungsrechtliche Bedenken geäußert hat, ob die seit Jahren geübte Praxis der Beleihung der Deutschen Flugsicherung von der bisherigen Formulierung im Grundgesetz gedeckt ist. Wir kommen also dieser Anregung des Bundespräsidenten nach. Wir schreiben mit dem Gesetz zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften fest, dass auch in Zukunft die Deutsche Flugsicherung die bestimmende Flugsicherungsorganisation in Deutschland bleiben wird, und das als zu 100 Prozent bundeseigene Institution. Eine Privatisierung ist ausgeschlossen. In grenznahen Bereichen schaffen wir die rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass durch Kooperation auch ausländische Flugsicherungsorganisationen, allerdings nur als Unterauftragnehmer der Deutschen Flugsicherung, tätig werden können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Beckmeyer.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss, meine liebe, verehrte Präsidentin. ({0}) Ich will am Ende noch eines sagen. Wir haben nach der Anhörung diverse Vorschläge, zum Beispiel der Gewerkschaft der Flugsicherung in Bezug auf den Erhalt der Erlaubnispflicht für flugtechnisches Personal, mit aufgenommen, auch mit Blick auf die Sicherheitsstandards.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Beckmeyer, Sie reden jetzt auf Kosten Ihrer nachfolgenden Kollegen. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Noch ein letzter Gedanke: Wir werden uns bei der Umsetzung der jeweiligen Errichtungsgesetze zum Beispiel auch die Zuweisung von Personal und die Dienstvorgesetztenbefugnisse der Deutschen Flugsicherung anschauen. Herzlichen Dank. - Ich bitte um Entschuldigung, verehrte Frau Präsidentin. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie müssen sich bei Ihren Kollegen entschuldigen, nicht bei mir. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 7 zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo bekannt: abgegebene Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 503, mit Nein haben gestimmt 54, Enthaltungen 8. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 565; davon ja: 503 nein: 54 enthalten: 8 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({1}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Andreas Jung ({6}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Eckart von Klaeden Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Philipp Mißfelder Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Dr. Gerd Müller Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche ({14}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({17}) Andreas Schmidt ({18}) Ingo Schmitt ({19}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({20}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Marcus Weinberg Peter Weiß ({21}) Gerald Weiß ({22}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({23}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({24}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({26}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Gerd Höfer Iris Hoffmann ({28}) Frank Hofmann ({29}) Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({30}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({32}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({33}) Michael Müller ({34}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({35}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({36}) Michael Roth ({37}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({38}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({39}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({40}) Silvia Schmidt ({41}) Renate Schmidt ({42}) Heinz Schmitt ({43}) Carsten Schneider ({44}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({45}) Swen Schulz ({46}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({47}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({49}) Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({50}) Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({51}) Cornelia Pieper Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({52}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({53}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({54}) Thilo Hoppe Fritz Kuhn Undine Kurth ({55}) Markus Kurth Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({56}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({57}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({58}) Dr. Peter Gauweiler Willy Wimmer ({59}) SPD Gregor Amann Petra Hinz ({60}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner FDP Dr. h. c. Jürgen Koppelin DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Dr. Martina Bunge Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kersten Naumann Wolfgang Nesković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({61}) ({62}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Enthalten CDU/CSU Dr. Wolf Bauer SPD Waltraud Wolff ({63}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Anton Hofreiter Monika Lazar Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Jan Mücke, FDP-Fraktion. ({64})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut, möchte man meinen. Nachdem wir uns mit dem Prozess der Privatisierung der Flugsicherung seit 1990 beschäftigen, haben wir heute den schönen Zustand, dass wir uns zumindest ganz überwiegend einig sind, heute diese Grundgesetzänderung zu beschließen. Dies geschieht aus zwei Gründen: Erstens. Wir wollen es der Deutschen Flugsicherung ermöglichen, in Europa tätig zu werden. Die beste Flugsicherung der Welt hat auch einen europäischen Anspruch. Es ist gut, dass wir die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für funktionale Luftraumblöcke in Europa schaffen. ({0}) Damit wird es möglich sein, in Europa von Punkt zu Punkt zu fliegen. Es ist doch nicht normal, dass wir in der Luft aufgrund von nationalen Flugsicherungsgrenzen mehrere Umwege fliegen müssen, sodass beispielsweise ein Flugzeug auf einem Flug von Madrid nach Frankfurt praktisch ein Drittel der Flugstrecke zusätzlich unterwegs ist, um nationale Flugsicherungsgrenzen zu umgehen. Das ist keine vernünftige Politik. Dies ist umso unvernünftiger, weil wir CO2 einsparen, mit den knappen natürlichen Ressourcen sparsam umgehen und Zeit sparen wollen und auch das Fliegen langfristig erschwinglich bleiben soll. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir heute diese Änderung des Grundgesetzes und die Ausführungsgesetze, die mit zu diesem Paket gehören, beschließen. ({1}) Zweitens. Wir haben seit über 50 Jahren in den Grenzgebieten von Deutschland einen quasi rechtswidrigen Zustand - das ist für die FDP-Fraktion ein zwingender Grund, zu handeln -; denn dort gilt nicht das, was in Art. 87 d des Grundgesetzes steht, dass nämlich die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung zu erfolgen hat. Skyguide, Austro Control und einige andere Flugsicherungsorganisationen gehören eben nicht zur bundeseigenen Verwaltung. Deshalb besteht dringender Bedarf, hier die Rechtslage zu ändern, um den bestehenden technischen Möglichkeiten Rechnung zu tragen. Ich möchte ganz klar sagen, dass dieses Gesetzespaket, das heute zur Abstimmung im Deutschen Bundestag steht, keine Lex Skyguide ist, obwohl ich weiß, dass der eine oder andere Kollege das möglicherweise so sieht. Das Gegenteil ist richtig: Nicht nur die Schweiz ist darauf angewiesen, dass wir rechtmäßige Zustände schaffen, sondern umgekehrt sind wir als Europäer genauso darauf angewiesen, mit der Schweiz zu kooperieren, wenn wir funktionale Luftraumblöcke und damit Punktzu-Punkt-Flugverbindungen in Europa schaffen wollen. ({2}) Im Gegenzug muss es möglich sein, dass wir über Schweizer Territorium fliegen. In Europa müssen wir auf Flügen, beispielsweise von Großbritannien oder Holland nach Italien oder von Südfrankreich nach Deutschland, den Schweizer Luftraum nutzen können. Deshalb ist das, was wir heute hier beschließen, ein Geben und Nehmen zugleich. Die Regelungen, die vorgeschlagen werden, finden bis auf das Gesetz zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften unsere Zustimmung. Es ist ganz klar: Wenn eine Flugsicherungsorganisation vom Staat mit der Aufgabe der Flugsicherung beliehen wird, dann muss es dafür eine staatliche Aufsicht geben. Das sehen auch wir Liberale so. Dennoch gehen wir davon aus, dass der ganz überwiegende Teil von Flugsicherungstätigkeiten keine hoheitlichen Tätigkeiten originärer Art sind, sondern dass diese Tätigkeit eine Dienstleistung ist. Das sieht im Übrigen auch die Europäische Union so. Deshalb macht die Europäische Union keine Vorschriften, ob Flugsicherung zwingend staatlich oder supranational organisiert werden muss, sondern die Europäische Union geht davon aus, dass das auch privat erfolgen kann. Genau deshalb können wir dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften nicht zustimmen. ({3}) Mit diesem Gesetzentwurf soll ausgeschlossen werden, dass die DFS als momentan noch zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindliches Unternehmen jemals etwas an diesen Eigentumsverhältnissen ändern kann. Das halten wir für nicht richtig; denn wir wollen auch bei der Flugsicherung mehr Wettbewerb erreichen und damit bessere Leistungen ermöglichen. Die Deutsche Flugsicherung bestätigt im Übrigen diese unsere Ansicht; denn sie hat, seitdem sie in privater Rechtsform geführt wird, eine gute Leistungsbilanz vorgelegt. Darauf können wir mit Recht stolz sein. ({4}) - Lieber Herr Kollege Benneter, ich will Ihnen dazu einmal eine Zahl nennen. ({5}) Die DFS macht für jedes Jahr eine Aufstellung darüber, wie viele aller Flüge pünktlich ankommen. Anfang der 90er-Jahre oder in den 80er-Jahren haben wir katastrophale Verspätungszeiten gehabt, und das bei weniger Flugbewegungen. Heute finden in Deutschland und in Europa sehr viel mehr Flüge statt, und trotzdem liegt die Pünktlichkeit bei 97,7 Prozent. Das ist eine ganz tolle Leistung. ({6}) Wir wollen, dass die Deutsche Flugsicherung auch langfristig auf festen Grundlagen steht, dass sie gut arbeiten kann, dass sie international tätig werden kann. Wir wollen vor allen Dingen erreichen, dass wir in Europa CO2 einsparen. Dieses Instrument ist viel wichtiger als beispielsweise die komplizierte Einführung von Emissionshandelssystemen, und es kann sofort eingeführt werden und führt auch sofort zu Ergebnissen. Deshalb werden wir als FDP-Bundestagsfraktion heute der Grundgesetzänderung und auch der Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung zustimmen. ({7}) Wir wollen allerdings nicht, dass eine Privatisierung über das Luftverkehrsgesetz ausgeschlossen wird. ({8}) Es bleibt unser langfristiges Ziel, dass die DFS auch privat geführt werden kann. Hinzu kommt, dass wir uns auf das verlassen, was uns die Verfassungsressorts bei der Behandlung der Gesetzesvorlage gesagt haben: Die Verfassungsressorts gehen davon aus, dass die Deutsche Flugsicherung auch mit der jetzt vorliegenden Formulierung der Änderung des Grundgesetzes zu einem späteren Zeitpunkt privatisiert werden kann. Das ist auch der Grund für uns, weshalb wir hier zustimmen können. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Königshofen, CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Mitte des 19. Jahrhunderts von Berlin nach Lissabon mit der Kutsche fuhr, ({0}) hatte viele Grenzen zu überwinden, Kontrollen über sich ergehen zu lassen und war froh, wenn er irgendwann ankam. Heute können Sie mit dem Wagen von Berlin nach Lissabon fahren und kommen womöglich ohne eine einzige Kontrolle dort an. ({1}) In der Luft haben wir allerdings Verhältnisse wie vor 150, 200 Jahren. ({2}) Piloten hangeln sich von Flugsicherung zu Flugsicherung, Zickzackflüge - das ist ja schon erwähnt worden -, das alles ist heute noch normal. Das kostet Zeit, das kostet Geld. Von der Umweltverschmutzung möchte ich gar nicht reden. Daher unternehmen wir jetzt den zweiten Anlauf zur Neuorganisation der Flugsicherung in Deutschland. Wir berücksichtigen dabei die Kritik und die Anregungen des Bundespräsidenten. Wir werden das Grundgesetz anpassen. Wir werden auf die Kapitalprivatisierung der DFS verzichten. Wir konzentrieren uns auf das, was für die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Luftraumes notwendig ist. So beraten und beschließen wir heute die Änderung des Grundgesetzes, die Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften, und wir beraten das Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes. Die Errichtung des Bundesaufsichtsamtes - das ist gesagt worden - ist Vorgabe der entsprechenden europäischen Richtlinien. Der operative und der regulative Be24628 reich bei der Flugsicherung sollen getrennt werden. Die Staaten sollen den regulativen Bereich hoheitlich wahrnehmen - auf europäischer Ebene wird das Eurocontrol übernehmen -, allerdings verlieren sie den operativen Bereich. Dieser wird künftig von den Flugsicherungsorganisationen wahrgenommen. Deswegen ist heute der Beschluss über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung erforderlich. Es ist schon gesagt worden: Die aktuellen Gegebenheiten in der Bundesrepublik machen auch eine Anpassung des Grundgesetzes notwendig. In den Grenzregionen im Norden, im Westen und im Süden arbeiten Nachbarorganisationen, beispielsweise in Südbaden die beliebte Skyguide. Auf Regionalflughäfen sind Fluglotsen von Austro Control tätig. Das Grundgesetz schreibt allerdings eine bundeseigene Verwaltung vor. Nur, wir werden in den Grenzregionen die Nachbarorganisationen nicht vertreiben können, und wir wollen es auch nicht. Wir können beispielsweise in Südbaden nicht die Deutsche Flugsicherung bis zur Grenze tätig werden lassen, um dann 12 Kilometer vor der Landung in der Schweiz an den Schweizer Kollegen zu übergeben. Ich möchte mal wissen, welchen Aufschrei es in Südbaden gäbe, wenn es dort zu einem weiteren Unfall käme! Das Verfahren wird also so bleiben müssen; es muss nur besser geregelt werden als bisher. Dazu wird uns die heute zu verabschiedende Gesetzgebung die Möglichkeiten geben. Es wird Beauftragungen geben. Es wird eine Aufsicht geben. Es wird im Rahmen von SES Staatsverträge geben. Man wird die Haftung und sicherlich auch den Regress regeln können. Die Grundgesetzänderung soll aber auch dazu beitragen - das ist mein Hauptanliegen -, dass wir an der Spitze stehen, wenn es darum geht, auf europäischer Ebene den Einigungsprozess im Luftraum voranzutreiben. Es gibt 60 Luftraumkontrollstellen, 27 nationale Flugsicherungen, 22 unterschiedliche Systeme, 30 Programmiersprachen - doppelt so viele wie in den USA bei nur halb so großem Luftverkehrsaufkommen. Das ist antiquiert. Das muss beseitigt werden. Dazu brauchen wir neue Wege. Deswegen soll es in Europa zur Bildung von Luftraumblöcken kommen. Beispielsweise werden wir mit der Schweiz, mit Frankreich und mit den Beneluxstaaten zusammen einen Luftraumblock bilden, nämlich den Luftraumblock Europe Central, in dem dann natürlich nicht nur Deutsche tätig sein können. So wie die DFS im Ausland tätig wird, müssen, jedenfalls theoretisch, auch bei uns andere tätig sein können. Dazu brauchen wir ebenfalls eine Grundgesetzänderung. Immer dann, wenn die Vertreter der Regierungen zusammengekommen sind, mussten wir sagen: Wir sind zwar im Prinzip dafür, aber das Grundgesetz steht dem entgegen. Das müssen wir erst noch ändern. - So zuletzt geschehen im März dieses Jahres. Im Oktober kommt es zum Schwur, kommt es zur endgültigen Beschlussfassung. Ich möchte, dass die Deutschen da voranschreiten. Wir sind diejenigen, die Europa immer wieder gefordert haben, die Europa wollen; wir sind auch Nutznießer von Europa. Wir wollen nicht an der Seite stehen. Wir haben die beste Flugsicherung der Welt. Es wäre lächerlich, wenn sie da an der Seite stünde und die anderen das machten. Wer kann das wollen? Die Deutschen müssen also mitmachen. Am besten ist es, wenn unsere erprobten Systeme von den anderen gewürdigt und, soweit das möglich ist, übernommen werden. ({3}) Eine Privatisierung - das ist auch schon angesprochen worden - sieht das Gesetzespaket nicht vor. Wir schreiben fest: Die Anteile müssen im Besitz der Bundesrepublik bleiben. - Angesichts dessen sind Befürchtungen, es käme zu einem Ausverkauf der DFS, nicht gerechtfertigt. Der einheitliche europäische Luftraum wird eine wesentliche Verbesserung im ökonomischen wie auch im ökologischen Sinne bringen. Wir werden damit Flugzeiten verkürzen und den Kerosinverbrauch senken können. Das spart Kosten und reduziert sehr wahrscheinlich auch den Flugpreis. Schließlich werden wir auch beim Umweltschutz einen Schritt nach vorne machen, der eigentlich nichts kostet. Experten sagen eine Senkung der Kerosinkosten um bis zu 20 Prozent und eine Senkung des CO2-Ausstoßes um bis zu 12 Prozent voraus. Überlegen Sie einmal, wie sehr wir feilschen, wenn es nur um eine 1-prozentige Reduktion in anderen Bereichen geht. Hier ist mit geringem Aufwand ganz leicht eine Reduktion möglich. Herr Hunold, der Chef von Air Berlin, hat in der Anhörung gesagt, es handle sich um ein riesiges Konjunkturpaket, das nichts kostet. Recht hat der Mann. Ich möchte mich zum Schluss bei allen bedanken, die mitgeholfen haben, dass das heute möglich wurde, insbesondere bei meinen Kollegen Dirk Fischer und HansPeter Friedrich, bei Uwe Beckmeyer und Christian Carstensen von der SPD, bei Horst Friedrich und Jan Mücke, den wir ja gerade erleben durften, von der FDP. Ich möchte aber auch Winfried Hermann Dankeschön sagen. Ihre Fraktion stimmt zwar heute nicht zu, sondern enthält sich. Aber Sie waren bei der ganzen Diskussion immer sehr konstruktiv, auch wenn Sie die letzte Hürde nicht nehmen. Ich weiß ja, dass der Wahlkampf kommt und die Grünen, die wieder in den Bundestag kommen wollen, damit Punkte bei ihren Wählern machen wollen. ({4}) Ein Letztes, meine Damen und Herren. Es handelt sich wohl um meine letzte Rede im Bundestag. Ich darf mich deswegen bei Ihnen allen bedanken, die Sie mich ertragen haben, die Sie mich unterstützt haben, die Sie mit mir gestritten haben. Es war eine interessante und spannende Zeit. Ich wünsche Ihnen, dass Sie im nächsten Bundestag die Aufgaben, die auf Sie zukommen, mit Erfolg meistern. Es wird ja ein gewaltiger Berg sein, der da abzutragen ist. Viel Erfolg, Gottes Segen und Ihnen allen eine gute Zukunft! ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Königshofen, ich danke Ihnen im Namen aller Mitglieder des Hohen Hauses recht herzlich für Ihre Arbeit hier im Parlament und im Haushaltsausschuss. Sie waren ja Berichterstatter für unseren Etat. Herzlichen Dank und für die Zukunft alles Gute! ({0}) Für die Linke gebe ich das Wort der Kollegin Dorothée Menzner. ({1})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir Linken begrüßen im Grundsatz die Idee eines Single European Sky. Wir begrüßen die Schaffung eines zentraleuropäischen Luftraums. ({0}) Es ist unstrittig, dass deswegen Anpassungen von Gesetzen an europäische Realitäten notwendig sind. Da es aber beim BAF-Gesetz im Detail doch Dissenspunkte gibt, werden wir uns an der Stelle heute enthalten. Hinsichtlich der anderen Punkte, zu denen heute eine Beschlussfassung erfolgt, haben wir einen grundlegenden Dissens. Das bezieht sich zum einen auf das Gesetz zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften und zum anderen auf das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes. Um das Ziel eines Single European Sky zu erreichen, würde die Schaffung zwischenstaatlicher Einrichtungen, die auf zwischenstaatlichen Abkommen beruhen, ausreichen. Wie schon beim ersten Anlauf, der zur Privatisierung der Flugsicherung unternommen wurde, haben wir auch gegenüber den heute zur Abstimmung stehenden Vorlagen grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken. ({1}) Letzte Woche haben wir alle gemeinsam das Grundgesetz gelobt und gefeiert. Nun erleben wir einen erneuten Anlauf von CDU/CSU, SPD und FDP, dieses Grundgesetz auszuhöhlen. Es ist sozusagen eine Grundgesetzänderung auf Vorrat; denn die neue Fassung - das hat Kollege Mücke eben deutlich gemacht - ermöglicht sehr wohl in einem späteren Schritt die Privatisierung der Flugsicherung, und das mit einfacher Mehrheit des Bundestages. ({2}) Dabei gibt es Beschlussfassungen vieler Parteien, aus denen hervorgeht, dass das nicht sein soll. Ich möchte einen Beschluss der SPD vom Hamburger Parteitag im Oktober 2007 zitieren, in dem es heißt: Die Mitglieder der Bundestagsfraktion - gemeint ist die SPD-Bundestagsfraktion werden aufgefordert, keinesfalls einer nochmaligen Gesetzesinitiative zur Privatisierung der für die Luftsicherheit und die Lenkung des Flugverkehrs zuständigen Behörde und insbesondere keiner dafür erforderlichen Änderung des Grundgesetzes zuzustimmen. ({3}) Wie hoch die Messlatte für eine Änderung des Grundgesetzes hängt, haben wir in den zurückliegenden Wochen im Ausschuss mehrfach diskutiert. Wir alle kennen die Begründung aus dem Bundespräsidialamt von der ersten Ablehnung 2006. Anders als 2006 stehen wir Linke mit der Ablehnung der Änderung des Grundgesetzes diesmal nicht alleine da. Das wurde in der Anhörung deutlich, und das wird auch in Publikationen von Juristen deutlich. Ich möchte Professor Hobe von der Universität Köln zitieren, der meint, dass es einen Kernbestand staatlicher Aufgaben gibt, der nach Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 des Grundgesetzes verfassungsfest geschützt ist und zu dem auch die Luftverkehrssicherheit als sonderpolizeiliche Aufgabe gehören könnte. Dann wäre die Änderung unzulässig. Sie mögen einwenden, dass sich für jede Meinung ein Jurist findet, der sie bestätigt. Von daher möchte ich nur anfügen, dass der Professor für Verfassungsrecht Peter Huber von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität diese Bedenken teilt. Das ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Mai nachzulesen. Dazu kann man einen ausführlicheren Text finden. ({4}) Werte Kollegen der SPD, wie Sie die von Ihnen vorgesehene Beschlussfassung vor Ihren Mitgliedern und Ihrer Wählerschaft rechtfertigen, soll nicht das Problem der Linken sein. Aber ich möchte Ihnen allen sagen: Eine abermalige Nichtunterzeichnung durch den Bundespräsidenten oder aber ein Normenkontrollverfahren - und wir wissen, dass mehrere Bundesländer darüber nachdenken wäre ein peinlicher Vorgang für den gesamten Bundestag. Die Linke hält es für unzulässig, in der vorgeschlagenen Art und Weise am Grundgesetz herumzuschrauben. ({5}) Diesen Verfassungsbruch macht die Linke nicht mit. Wir Linke sagen aber nicht nur, was wir nicht mitmachen, was nicht geht, und begründen das. Wir machen auch Vorschläge, wie es gehen kann, weil - ich sagte es eingangs - Single European Sky vom Ansatz her eine durchaus sinnvolle und erstrebenswerte Sache ist. Ich empfehle Ihnen, noch einmal einen Blick in unsere Entschließungsanträge zu werfen. Sie zeigen einen Weg auf, wie wir Single European Sky näherkommen können, ohne das Grundgesetz weiter auszuhöhlen. Ich danke. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Rednerinnen und Redner haben es deutlich gemacht: Die derzeitige Situation am Himmel von Europa ist absolut anachronistisch. Wir haben nationalstaatliche Regelungen und Regulierungen in einem internationalen Verkehrssystem; das kann nicht mehr zeitgemäß sein. Insofern sage ich für uns Grüne: Wir unterstützen das Projekt des einheitlichen europäischen Himmels, und dafür ist es sinnvoll, gesetzgeberisch aktiv zu werden. ({0}) Das Projekt ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll. Ich füge aber hinzu - weil ich dies immer wieder in den Reden höre -: Es ist keine Wunderwaffe zur Bekämpfung des Klimawandels. Wenn alle Flugverkehre effizienter geregelt sind und mehr geflogen wird, wird das dem Klima nicht helfen. Man sollte sich da nichts vormachen. ({1}) Eine Änderung des Grundgesetzes ist auch deswegen notwendig, weil wir heute im Grenzbereich, insbesondere in Süddeutschland, Zustände haben, die nicht von der Verfassung abgedeckt sind. Man kann Skyguide beim besten Willen nicht als „bundeseigene Verwaltung“ bezeichnen. Auch Austro Control kann nicht als solche gewertet werden. Hier besteht zwingend Handlungsbedarf. ({2}) Das ist der Grund, weshalb wir all die Jahre konstruktiv mitgearbeitet haben. Vielen Dank für das Kompliment, Kollege Norbert Königshofen; ich gebe es gerne zurück. Wir haben es uns auch heute nicht leicht gemacht, unsere Position zu finden. Wahlkampftaktisch hätten wir einfach Nein sagen können. Es kommt ja immer gut, zu sagen: Wir sind an der Spitze der Gegner von Fluglärm. - Aber das war uns zu billig. Wir haben uns die Mühe gemacht, uns die Sache genau anzuschauen und zu argumentieren. Entscheidend ist, ob der jetzt vorliegende Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes tauglich ist, ob er zielführend, haltbar und eindeutig ist. Das sind für uns wichtige Kriterien. Daran messen wir, ob wir ihm zustimmen können. Ich muss Ihnen sagen: Wir haben erhebliche Bedenken; deswegen können wir nicht zustimmen. Wir enthalten uns, weil wir der Meinung sind, dass etwas geschehen muss; aber wir brauchen eine bessere Regelung. ({3}) Was sind unsere Kritikpunkte im Einzelnen? Es ist immer wieder danach gefragt worden, ob einer Privatisierung der Deutschen Flugsicherung mit der jetzt vorgeschlagenen Regelung Tür und Tor geöffnet wird. Sie haben diese Frage, wie ich finde, elegant umschifft, sie nicht benannt, aber trotzdem geregelt. Ich will Ihnen auch sagen, wie und warum. Wir reden heute allgemein über die Notwendigkeit einer Neuregelung, nicht aber darüber, dass der durchaus bedeutende Passus, der in unserer Verfassung steht, dass über die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisationsform der Luftverkehrsverwaltung durch Bundesgesetz entschieden wird, gestrichen werden soll. Dadurch wird noch keine Privatisierung der Deutschen Flugsicherung eingeleitet; aber Sie räumen die verfassungsmäßige Hürde, die bisher besteht, ab. Im Begleitgesetz heißt es jedoch, dass die Deutsche Flugsicherung zu 100 Prozent in Bundeshand bleibt. Damit unterbreiten Sie ein doppeldeutiges Angebot: Diejenigen, die die Deutsche Flugsicherung auf gar keinen Fall privatisieren wollen, können Sie auf das Begleitgesetz verweisen; denjenigen, die die Deutsche Flugsicherung privatisieren wollen, können Sie sagen, dass zur Privatisierung zukünftig eine einfache Mehrheit ausreicht. Insofern ist Ihr Gesetzentwurf kein Beitrag zu einer klaren Entscheidung. Sie drücken sich um eine Entscheidung; Sie konnten sie in Ihren Fraktionen nicht fällen. Aber Sie schaffen Raum für eine Privatisierung, noch dazu für eine undifferenzierte. Ohne weitere Vorgaben wollen Sie Hoheitsrechte an die Schweizer Skyguide abgeben. ({4}) Verfassungsrechtlich ist das hochproblematisch. Das ist unser nächster Einwand. In der Expertenanhörung ist gesagt worden, dass es natürlich wichtige, hoheitliche Aufgaben gibt, die ein Staat für sich definieren muss. Selbstverständlich gibt es im Luftverkehrsrecht, im Luftsicherheits- und -steuerungsrecht hoheitliche Aufgaben. Die Experten haben immer wieder gesagt, dass ein großer Teil, die klassischen Dienstleistungen, privatisiert werden kann, dass aber ein hoheitlicher Bereich beim Staat verbleiben muss. Selbst der Experte Ronellenfitsch, der an sich sehr für Privatisierung ist, hat gesagt: Wir müssen den hoheitlichen Kern klar definieren. Er hat den Vorschlag gemacht, in die Verfassung zu schreiben: Soweit hoheitliche Aufgaben nicht zwingend erledigt werden müssen, kann man privatisieren. - Genau das haben Sie nicht gemacht. Stattdessen haben Sie diesen Bereich allgemein geöffnet. Im Falle der ausländischen Beleihung haben Sie gar keine Barriere eingeführt. Dabei können Sie nicht behaupten, dass man auf Skyguide die gleichen Zugriffsrechte hat wie auf die Deutsche Flugsicherung. ({5}) Wir sehen ja an dem Rechtsstreit über den Flugverkehrsunfall von Überlingen, dass man weder bei der Kontrolle noch bei der Haftung direkten Zugriff auf Skyguide hat. Das ist ein Riesenproblem. Verfassungsexperten haben gesagt: Man muss sich vor verfassungswidriger Korrektur des Grundgesetzes hüten. Das ist ein, wie ich finde, schwerwiegender Einwand und für uns der Hauptgrund, warum wir nicht zustimmen können. Der Deutsche Bundestag kann es sich nicht leisten, in dieser Frage ein drittes Mal peinlich zu scheitern. Eine Reihe von Juristen mag sagen, dass die Regelung wasserdicht ist. Es gibt aber genügend, die mahnen: Halt, so geht es nicht! Die Große Koalition schlägt diese Warnung in den Wind, weil man kurz vor Toresschluss eine Last-Minute-Entscheidung herbeiführen möchte - auch in der Hoffnung, dass nicht alle genau hinschauen, weil wir heute 25 namentliche Abstimmungen haben und nicht jeder das Ganze durchschaut. Ich will zum Schluss sagen: Wir stimmen der Einrichtung eines Bundesaufsichtsamtes ausdrücklich zu. Diese neue Regelung ist auf europäischer Ebene und somit auch für Deutschland sinnvoll. Wir wollen an dieser Stelle konstruktiv mitwirken. In den beiden anderen Fällen können wir uns nur enthalten, da unsere Bedenken zu schwerwiegend sind. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick. ({0})

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag entscheidet heute über ein zentrales Projekt der Bundesregierung, das große Auswirkungen auf die Gestaltungsmöglichkeiten Deutschlands innerhalb der Europäischen Union haben wird. Sie entscheiden heute, wie die Bundesregierung im Herbst votiert, wenn es darum geht, ob wir dem SES-II-Paket zustimmen oder nicht. Die Mehrheit im Deutschen Bundestag ermutigt uns zu der begründeten Hoffnung, dass wir Europa an führender Stelle mitgestalten werden können. Der jetzige Zustand, insbesondere in den Grenzregionen, entspricht nicht der deutschen Verfassung. Dass die Flugsicherung durch Organisationen wie Skyguide betrieben wird, widerspricht dem Grundgesetz. Das ist einer der Gründe, warum Handlungsbedarf besteht. Der eigentlich entscheidende Grund ist - das wurde von Norbert Königshofen und Uwe Beckmeyer gesagt -, dass wir ein deutlich effektiveres System brauchen. Wenn Sie in den Vereinigten Staaten von der Ostküste zur Westküste fliegen, betreut Sie nur eine Flugsicherungsorganisation. Wenn Sie von Brüssel nach Paris fliegen, werden Sie von neun verschiedenen Flugsicherungsorganisationen betreut. Das ist nicht sinnvoll organisiert. Ich möchte auf die eben von Winfried Hermann dargestellte Begründung eingehen, warum die Grünen die Grundgesetzänderung ablehnen. Die Grundgesetzänderung und die Einrichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung bedeuten eine höhere Sicherheit als in der Vergangenheit, so zum Beispiel in Fragen der Haftung. Es wird dann völlig klar sein, dass derjenige, der beleiht, auch haftet; in diesem Falle ist das die Bundesrepublik Deutschland. Das ist klarer geregelt, als dies gegenwärtig der Fall ist. Die Durchgriffs- und Kontrollrechte, die die Bundesregierung gegenüber den beliehenen Organisationen hat, werden ebenfalls klarer geregelt sein. Sie wissen, dass wir mit unseren Nachbarstaaten, mit denen wir schon jetzt zusammenarbeiten, diesbezüglich Staatsverträge vorbereiten und Verabredungen treffen. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird genau diese Aufgabe haben. Außerdem werden nur solche Organisationen in den Grenzregionen Deutschlands Flugsicherung betreiben dürfen, die nach europäischen Standards zertifiziert sind. Wir lassen nicht irgendwelche Organisationen in unser Hoheitsgebiet, sondern nur die, mit denen wir uns auf europäischer Ebene verständigt haben und die nach europäischen Standards zertifiziert sind. Es liegt allerdings in unserem Interesse - das wurde bereits gesagt -, dass die stärkste Flugsicherungsorganisation, die wir in Europa haben, an führender Stelle Flugsicherungsdienste anbietet. Abschließend möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die in den letzten drei Jahren mitgeholfen haben, diesen nicht einfachen Prozess zu gestalten. Ich danke den Berichterstattern und all denjenigen, die sich an der Anhörung beteiligt haben. Ich danke den Gewerkschaften, den Unternehmen, den Wissenschaftlern und den politischen Beratern. Es war kein einfacher Prozess. Wir glauben, dass die sich abzeichnende Mehrheit, die sich hier im Deutschen Bundestag für die Grundgesetzänderung, für die Einrichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und für die notwendigen Begleitgesetze ausspricht, Europa ein großes Stück nach vorne bringt. Dies ist ein großer Schritt zu mehr Klimaschutz und zu mehr Umweltschutz. Wir können mehr für die Unternehmen, die Flugleistungen und Flugsicherung anbieten, tun. Wir können einen Beitrag dazu leisten, dass Europa noch weiter zusammenwächst. Dafür habe ich mich bei Ihnen zu bedanken. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dirk Fischer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es heute? Wir wollen die Steuerung des Luftverkehrs in Deutschland und in Europa verbessern. Wir hatten in Deutschland bis 1992 die Bundesanstalt für Flugsicherung. Dann haben wir das Grundgesetz geändert und den heutigen Art. 87 d Grundgesetz geschaffen. Wir haben die zivil-militärische Flugsicherung integriert. Das geschah übrigens auch damals in zwei Runden; das hat bei der Flugsicherung wohl mittlerweile Tradition. Seit dem 1. Januar 1993 gibt es die Deutsche Flugsicherung GmbH. Was die finanziellen Konsequenzen anbelangt, ist zu sagen: Vorher musste der deutsche Steuerzahler mit jedem Bundeshaushalt Geld in das System pumpen; heute werden von der DFS jedes Jahr Gewinne an den Bundeshaushalt abgeführt. Das ist der wesentliche finanzielle Unterschied. ({0}) Die Effizienz des deutschen Systems ist nachhaltig verbessert worden. Ein Kollege hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass die IATA der Deutschen Flugsicherung GmbH den Eagle Award verliehen und sie damit als beste Flugsicherungsgesellschaft der Welt ausgezeichnet hat. Ich kann nur sagen: Wir können mit Stolz auf die Leistung der Geschäftsführung und der Mitarbeiter der DFS schauen. Das freut uns sehr. ({1}) Aus sehr guten und nachvollziehbaren Gründen hat die Europäische Union 2004 mit vier Verordnungen den Einheitlichen Europäischen Luftraum, den Single European Sky, ins Werk gesetzt. Zunächst entstand Single European Sky I. Das war eine Grundsatzentscheidung, an der sich Deutschland inhaltlich stark beteiligt hat. Damit sollte der europäischen Kleinstaaterei im Luftverkehr ein Ende bereitet werden. Die Absurdität, dass der Himmel frei ist, wir in Europa aber an unseren kleinstaatlichen Grenzen entlangfliegen, sollte beendet werden. ({2}) Das Vorbild war Nordamerika, wo die FAA mit einem einheitlichen System den ganzen nordamerikanischen Subkontinent hocheffizient steuert. Das wollen wir auch in Europa realisieren. In 2009 entscheidet die Europäische Union. Das Europäische Parlament hat der Vorlage zugestimmt; der Ministerrat hat sie zustimmend zur Kenntnis genommen. Anfang Oktober wird der Ministerrat seine endgültige Entscheidung treffen. Heute geht es auch darum, ob 26 Staaten Ja sagen, während Deutschland sagen muss: „Wir können wegen unseres Grundgesetzes nicht zustimmen“, oder ob wir diese Blamage Deutschlands vermeiden, indem wir unser Grundgesetz zwischenzeitlich EU-konform gestalten und diesem sinnvollen Prozess zustimmen. ({3}) Zunächst werden - dies ist wahrscheinlich nur ein Zwischenschritt - neun funktionale Luftraumblöcke eingerichtet. Deutschland wird dann mit Frankreich, der Schweiz und den Beneluxstaaten im sogenannten FABEC, im funktionalen Luftraumblock Zentraleuropa, verbunden. Aus 60 Luftraumkontrollstellen und 27 nationalen Flugsicherungsorganisationen wird ein konzentriertes System gebildet. Das Thema der materiellen Privatisierung ist vom Tisch. Das Gesetz enthält die Formulierung, dass die Flugsicherungsorganisation bei uns in Form einer GmbH geführt und beliehen wird, deren Anteile ausschließlich vom Bund gehalten werden. Das ist nach meiner Auffassung vertretbar, weil der Alleingesellschafter Bund in der Zwischenzeit § 2 des Gesellschaftsvertrages der DFS geändert hat. Der Gesellschaft ist es jetzt möglich, Flugsicherungsdienste in Europa und damit verbundene Nebengeschäfte im In- und Ausland anzubieten, Zweigniederlassungen zu errichten und sich an anderen Unternehmen zu beteiligen bzw. solche zu erwerben oder zu errichten. Das heißt, die bisher ergebnisschädliche Selbstblockade der DFS und unseres Landes in diesem Bereich ist aufgelöst worden. Diese Selbstblockade war ein wesentlicher Grund, warum die Geschäftsleitung der DFS gesagt hat, dass wir den Einstieg in die materielle Privatisierung brauchen. Aufgrund dieser Änderung wird dies nicht mehr als notwendig erachtet. Die Grundgesetzänderung ist unerlässlich, damit Deutschland an der SES-Entwicklung teilhaben kann. Kein anderer EU-Mitgliedstaat hat Verfassungsprobleme wie Deutschland. In der Regel ist die Flugsicherung überhaupt nicht in den Verfassungen geregelt. In Deutschland ist das dem Föderalismus geschuldet. Wir sind für SES, weil das für die Passagiere, die Airlines und die Umwelt gut ist: direkte Flugrouten, kürzere Flugzeiten, weniger Treibstoff, geringere Kosten, 10 bis 12 Prozent weniger CO2-Emissionen in Europa. Dies ist eines der größten und wichtigsten Ökologieprojekte in Europa. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. ({4}) Wir wollen erreichen, dass das großartige Know-how und die großartige Qualität unserer DFS GmbH in Europa noch wirksamer werden können. Auch deswegen sind wir für diesen Prozess. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 7. Juni ist Europawahl. Dies ist eines der überzeugendsten europäischen Gemeinschaftsprojekte. Deswegen die herzliche Bitte: Stimmen Sie zu! ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Klaus Uwe Benneter, SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man über Luftverkehrsverwaltung in Deutschland spricht, tut man das nicht nur als Verkehrspolitiker, sondern auch als Verfassungsrechtler. Das haben wir in der Anhörung getan. Frau Menzner, ich weiß nicht, ob Sie der ganzen Anhörung gefolgt sind oder folgen konnten. Jedenfalls ist in der Anhörung dargelegt worden, wie man es regeln kann, dass die Luftverkehrsverwaltung nicht privatisiert wird, sondern unter hoheitlicher Bundesverwaltung verbleibt. Wir als SPD haben das auf unserem Parteitag in Hamburg nicht etwa deshalb beschlossen, weil wir unbedingt dagegen sind, dass etwas privatisiert wird. Wir wollen allerdings nicht so wild privatisieren wie die FDP, geht es doch bei der Luftverkehrsverwaltung um die Sicherheit der Menschen in der Luft. Viele Tausende sind über Deutschland in der Luft. Ihnen müssen wir garantieren, dass der Staat ein Auge auf die Luftsicherheit hat, dass die Luftverkehrsverwaltung im Wesentlichen eine staatliche, eine hoheitliche Aufgabe bleibt. Das haben wir richtig gelöst. ({0}) Wir haben in Hamburg auch deshalb beschlossen, diesen Bereich nicht zu privatisieren, um den Sicherheitssektor nicht privaten Profitinteressen zu überlassen. Winfried Hermann, wir haben nach der Anhörung eine Änderung durchgesetzt, der alle Ressorts zugestimmt haben. Die Bundesregierung hatte eine Grundgesetzänderung mit dem Halbsatz „soweit Recht der Europäischen Gemeinschaft nicht entgegensteht“ vorgesehen. Das wäre eine sehr weit gehende Öffnung gewesen; man hätte dann unter Umständen den Umweg über Europa nutzen können. Aber gerade diesen Halbsatz haben wir gestrichen. ({1}) Der von den Grünen vorgeschlagene Sachverständige für Verfassungsrecht hat mir ausdrücklich bestätigt, damit sei auch garantiert, dass eine Privatisierung, die ursprünglich einmal vorgesehen war, nicht mehr erfolgen kann. Das wird jetzt einfachgesetzlich untermauert. Insofern müsste es auch Ihnen, den Grünen, möglich sein, dieser wesentlichen Verbesserung zuzustimmen. ({2}) - Nein, stimmen Sie nicht mit Weiß; Blau ist jetzt angesagt. Ich kann Ihnen und allen meinen Kolleginnen und Kollegen nur empfehlen: Unterstützen Sie dieses nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch wichtige Unternehmen und stimmen Sie mit Blau. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bun- desregierung sowie den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Ände- rung des Grundgesetzes, Art. 87 d. Dazu liegen mir mehrere persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung vor.1) Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/13217, die Gesetzent- würfe der Bundesregierung sowie der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf den Drucksachen 16/13105 und 16/12280 zusammenzuführen und in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung von Bünd- nis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfes die Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er- forderlich ist. Das sind mindestens 408 Stimmen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Jetzt sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, wieder die Plätze einzunehmen. - Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 16/13225. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/ Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- derung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften. Der Aus- schuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/13213, den Gesetzentwurf der Fraktionen der 1) Anlagen 12 und 13 2) Ergebnis Seite 24634 D Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12279 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13226? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion der FDP mit dem Rest der Stimmen des Hauses abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Ergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13227. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13213, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/13107 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13213, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/11608 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/11168. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7133 mit dem Titel „Zukunft der Flugsicherung verfassungskonform gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3803 mit dem Titel „Deutsche Flugsicherung europarechtlichen Rahmenbedingungen anpassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Enthaltung der Fraktion der FDP und bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Milch-Exportsubventionen sofort stoppen Weitere Zerstörung der Märkte in Entwicklungsländern verhindern - Drucksachen 16/12308, 16/13119 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Röring Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Bevor ich den ersten Redner aufrufe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - bekannt: abgegebene Stimmen 562. Mit Ja haben gestimmt 459, mit Nein haben gestimmt 59, Enthaltungen 44. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 562; davon ja: 459 nein: 59 enthalten: 44 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({2}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Anke Eymer ({4}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({5}) Dirk Fischer ({6}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Eckart von Klaeden Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Dr. Gerd Müller Bernd Neumann ({14}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({15}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Gerald Weiß ({22}) Karl-Georg Wellmann Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({23}) Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({24}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({25}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({27}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({28}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({32}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({40}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({42}) Silvia Schmidt ({43}) Renate Schmidt ({44}) Heinz Schmitt ({45}) Carsten Schneider ({46}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz ({47}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({48}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({49}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({50}) Uwe Barth Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({51}) Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({52}) Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Markus Löning Dr. Erwin Lotter Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({53}) Cornelia Pieper Dr. Konrad Schily Marina Schuster Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({54}) fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Nein CDU/CSU Michael Brand Thomas Dörflinger Ute Granold Andreas Jung ({55}) Siegfried Kauder ({56}) Peter Weiß ({57}) Anette Widmann-Mauz SPD Peter Friedrich Rita Schwarzelühr-Sutter FDP Ernst Burgbacher Sibylle Laurischk Patrick Meinhardt DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Maurer Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({58}) ({59}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bettina Herlitzius Enthalten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({60}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({61}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({62}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({63}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({64}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion. ({65})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Bäuerin. ({0}) Wer in diesem Hohen Hause kann das von sich sagen? Ich bin Bäuerin, und ich bin seit vielen Jahren als Landfrau im Ehrenamt engagiert und verankert. Das heißt, ich kenne das Innenleben und vor allem das Berufsleben unserer Bäuerinnen und Bauern. ({1}) Meine langjährige Beobachtung als Milchbäuerin war eigentlich immer die Gleiche: Wir arbeiten gerne, wir jammern nicht über eine Siebentagewoche. Wir arbeiten auch deshalb gerne, weil wir in und mit unserer Familie arbeiten. Der Arbeitsplatz Bauernhof ist für mich hochinteressant, und ich rate allen, die es noch nicht getan haben, die Chance auf ein Praktikum auf unseren Bauernhöfen zu nutzen. Sie werden sehen, dass Sie mit ganz anderen und positiven Erkenntnissen zurückkommen. Auf diese Idee ist jetzt übrigens auch die zuständige EU-Kommissarin Fischer Boel gekommen, die ihre Mitarbeiter in der Sommerpause ebenfalls auf unsere Bauernhöfe schicken will. ({2}) Ich sage es noch einmal: Sie werden aufgrund der Vielfalt unserer Landwirtschaft in Deutschland platt sein. Platt sind im Moment allerdings unsere Milchbäuerinnen und Milchbauern selber. Wir erinnern uns an die Hochpreisphase, an den kurzen Höhenflug bei den Milchpreisen und an den steilen Sinkflug. Spätestens jetzt, da die Abschlüsse des Lebensmitteleinzelhandels mit den Molkereien festgezurrt worden sind, können wir von einem wirklichen Absturz sprechen. Es sind Preise wie vor 50 Jahren: Der Liter Milch kostet im Supermarkt 42 Cent, der Bauer erhält 20 Cent. Um einen kleinen Vergleich herzustellen: Ein Glas Mineralwasser kostet 20 Cent, ein Glas Milch kostet 4,2 Cent. Diese wenigen Zahlen machen deutlich: Der Hilfeschrei der Bäuerinnen und Bauern ist berechtigt; denn das ist längst kein Problem mehr von großen oder kleinen Betrieben. Dieser niedrige Milchpreis trifft viele Existenzen. ({3}) Dabei ist und bleibt die Landwirtschaft - das vergessen viele - die Basis unseres Seins. Die Agrikultur ist die Mutter aller Kulturen, und wir brauchen sie auch in Zukunft. Wir - meine Arbeitsgruppe - wollen die Landwirtschaft nicht nur in Gunstlagen, sondern wir wollen die Landwirtschaft flächendeckend. Wenn der Bund und Europa bestimmte Dinge nicht ausgleichen können, dann sind aus meiner Sicht nach wie vor die Bundesländer gefragt. Ich kann für mein Bundesland, für Bayern, sprechen: Bayern hat die Landwirtschaft vor Ort in den vergangenen Jahrzehnten ganz toll unterstützt. Ob Lebensmittelerzeugung, Energieerzeugung oder Klimaschutz: Die Landwirtschaft spielt für mich eine Schlüsselrolle. Viele Fragen, die unsere Zukunft betreffen, kann nämlich nur die Pflanze beantworten. Das gilt weltweit. An der Stelle ein herzliches Dankeschön an die Arbeitsgruppe AWZ, also an die Arbeitsgruppe für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Mit dieser und unserer Arbeitsgruppe für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz haben wir ein gemeinsames Positionspapier mit dem Titel „Globale Herausforderungen - Sicherung der Welternährung“ erstellt. Ein Fazit lautet: Die Bauern in Europa und in den Entwicklungsländern dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. ({4}) Weltweit müssen in Zukunft mit immer weniger Ackerflächen immer mehr Menschen ernährt werden. Das heißt, unser Boden muss so gepflegt, ernährt und versorgt werden, dass er uns alle ernähren kann. Ich sage das, weil heute ein Antrag vorliegt, der aus meiner Sicht so gnadenlos und einseitig schlecht ist, dass man ihn nur ablehnen kann. Das werden wir auch tun. ({5}) Die Behauptungen über die Zerstörung anderer Märkte sind - ich zitiere unseren Staatssekretär Dr. Gerd Müller aus der gestrigen Ausschusssitzung - aus europäischer Sicht geradezu aberwitzig. ({6}) Mit Ihrem Antrag wollen sie offensichtlich als Gutmenschen oder vielleicht auch als Schein-Heilige in die Geschichte eingehen. Wir wollen nicht als Gutmenschen, sondern als Problemlöser in die Geschichte eingehen. ({7}) Dabei lassen wir uns von niemandem überbieten, und ich als Bäuerin schon gar nicht. Wir setzen auf Wahrheit und Klarheit. Ich lebe zwar auf dem Dorf, aber ich lebe auch in Europa, und als Agrarpolitikerin und Bäuerin weiß ich, dass seit Jahrzehnten Agrarpolitik in Europa gemacht wird ({8}) und dass auch Frau Künast in ihrer Regierungszeit viele Beschlüsse mitgetragen hat. Ich erinnere an die Halbzeitbewertung - Mid-Term-Review - der Agrarreform und an die festgelegte Absenkung der Interventionspreise für Magermilchpulver und Butter mit ihren jetzt verheerenden Auswirkungen. Ich erinnere aber auch an unsere Ministerin Ilse Aigner, die alle Register gezogen hat, um auf deutscher oder europäischer Ebene eine Mengenkürzung zu erreichen, aber weder in Deutschland noch in Europa eine Mehrheit gefunden hat. Aber gerade weil wir die Rahmenbedingungen kennen, können wir uns nicht künstlich dumm stellen. Wenn wir unsere Märkte ernsthaft stabilisieren wollen, müssen wir uns jetzt auf die Maßnahmen konzentrieren, die schnell und konkret wirken, also auf das Machbare. Dazu gehören auch Exporterstattungen. ({9}) Sie verschweigen außerdem in Ihrem Antrag, dass Europa diese Erstattungen in den letzten Jahren massiv abgebaut hat. Aber in dieser Krisenzeit ist jetzt ein Notfall eingetreten. Solange dieses Instrument des Welthandels rechtlich erlaubt ist, müssen wir es auch nutzen. Alles andere wäre unverantwortlich. ({10}) Wer in dieser Krise Exporterstattungen zum Wohle anderer Menschen ablehnt, muss sich auch fragen lassen, für wen er eigentlich arbeitet. ({11}) Ein Verzicht hilft weder Burkina Faso noch unseren Bauern in Deutschland und in Europa. Im Gegenteil, wir verlören Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Wer allerdings wie die Kommission die Milchquoten in der Vergangenheit nur erhöht hat und bis heute keine Gesamtstrategie auf den Tisch gelegt hat, ist wenig glaubwürdig. Deshalb ist es mehr als richtig, dass die Kommission im Januar die private Lagerhaltung auf den Weg gebracht und im März die öffentliche Intervention ermöglicht hat. Ich nenne nur stichpunktartig die Themen Verfütterungsbeihilfen, Schulmilchabsatz und Verwertungsbeihilfen. All das sind Instrumente, die uns helfen müssen. Ganz besonders wichtig ist, dass die Direktzahlungen so schnell wie möglich vorgezogen werden; dafür kämpfen wir. ({12}) Ich begrüße außerdem das Liquiditätshilfeprogramm der Landwirtschaftlichen Rentenbank sowie alle Möglichkeiten, die der Milchfonds bietet, das EU-Konjunkturprogramm und die Absatzförderung Export. In unser Speiseeis muss außerdem wieder Milch, auf unsere Pizza muss wieder echter Käse. Meine Damen und Herren, bevor es heute keiner sagt: Einen tollen Erfolg haben wir in der Großen Koalition doch schon erreicht, indem wir in dieser Woche die eklatante Wettbewerbsverzerrung beim Agrardiesel zumindest abgemildert haben. Wir nehmen zweimal 250 Millionen Euro in die Hand, damit die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber unseren wichtigsten Mitbewerbern wieder einigermaßen ins Gleichgewicht kommen. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Mortler, ich erinnere Sie daran, dass Sie zum Ende kommen müssen.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende. - Dafür erwarten wir und auch ich von allen Akteuren, dass nicht nur wir Politiker, sondern auch alle anderen Beteiligten ihre Hausaufgaben machen, dass die Landwirte ihre Kosten optimieren, die Molkereien mit Produktinnovationen und damit mehr Wertschöpfung in die Märkte gehen, dass der Lebensmitteleinzelhandel seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nachkommt, aber ebenso die Kommission und die Verbraucher.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin!

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nicht grüne Schauanträge entscheiden über die Zukunft - das muss jetzt noch sein, Frau Präsidentin -, ({0}) sondern verantwortliches Handeln. Die Zukunft braucht nicht unsere Angst, sondern unser Handeln. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In fünf Minuten hier etwas zu sagen, ist grundsätzlich schwer; heute ist es besonders schwer, weil das Abstimmungsverhalten für die Bürgerinnen und Bürger, die vielleicht am Fernseher zuschauen oder die da oben sitzen, teilweise kaum erkennbar ist. Ich will es zu erklären versuchen. Man bekommt einen Antrag in die Hand. Dessen fettgedruckte Überschrift heißt: „Milchexportsubventionen sofort stoppen - Weitere Zerstörung der Märkte in Entwicklungsländern verhindern“. Eigentlich jeder, der zum Nachdenken kommt, sagt: Es kann nicht angehen, dass wir unsere Milchmarktprobleme auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Gesellschaft, nämlich dem der armen Menschen in Afrika, austragen. ({0}) Jeder wird sofort sagen: Ich stimme der Idee zu, die hier zum Ausdruck gebracht wird, wie man sie im Detail auch gewichtet. Die Tatsache, dass viele Probleme der afrikanischen Staaten nicht etwas mit unserer Subventionspolitik, sondern mit den dortigen politischen Verhältnissen zu tun haben, kommt hinzu. Aber Fakt ist: Es ist unlauter, es ist meiner Meinung nach unmoralisch und unethisch, wenn man Exportsubventionen sozusagen zur Bereinigung des eigenen Marktes in die Welt schmeißt und dadurch sich entwickelnde Märkte zerstört. ({1}) Insofern wäre ich selbstverständlich sehr geneigt, dem Antrag der Grünen zuzustimmen. Aber, Kollegin Höfken - jetzt muss ich aufpassen; wahrscheinlich werde ich jetzt gerügt -, die Schweinerei, die Sie in diesem Antrag anlegen, findet sich im vierten Punkt. Im Grunde genommen geht es Ihnen überhaupt nicht um die Milchexportsubventionen, die wir im Ausschuss lang und breit erörtert haben. Vielmehr geht es Ihnen um ein politisches Signal gegenüber dem BDM. ({2}) Der Bund Deutscher Milchviehhalter ist der Meinung, dass man unsere offenen Märkte dadurch regulieren kann, dass man ein flexibles Mengensteuerungssystem einführt. Alle Leute, die darüber nachgedacht haben, empfinden die Idee des BDM als unrealistisch. Was machen Sie? Sie schreiben zunächst: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass ab sofort keine Exportsubventionen für Agrarexporte gewährt werden; sich dafür einzusetzen, dass die Festsetzung von Exporterstattungen für Milch und Milcherzeugnisse rückgängig gemacht wird; … Viertens heißt es dann: sich für die Entwicklung und Einführung eines flexiblen Steuerungsinstruments für die Milchmenge in der EU einzusetzen. Frau Höfken, es ist enttäuschend unaufrichtig von Ihnen, ({3}) dass Sie in einen Antrag etwas hineinbringen, was in diesem Zusammenhang überhaupt nichts zu suchen hat, sondern reines Anbiedern an den BDM und in meinen Augen Verführen ist. Ich bin davon überzeugt, Frau Höhn - ich habe sie vorgestern Abend bei einer Veranstaltung des BDM erlebt - ist nicht dumm genug, um nicht zu wissen, dass der BDM mit seiner Position falsch liegt. Daher ist es unlauter und fast bösartig, wenn man den Menschen politisch Hoffnung macht, dass ein sensibles Mengensteuerungssystem innerhalb der EU und auf einem globalen Markt möglich ist. Sie wissen, dass das gar nicht möglich ist. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/ Die Grünen, ich glaube, ihr habt es nicht nötig, solche Anträge einzubringen. Das ist nichts anderes als blindes Anbiedern und im Grunde Missbrauch einer Situation, die für die Entwicklungsländer hochdramatisch ist. Da der Name des Kollegen Hoppe, der Vorsitzender des Entwicklungshilfeausschusses ist, im Kopf Ihres Antrags aufgeführt wird, kann ich nur sagen - darüber müssen Sie sich im Klaren sein -: Sie missbrauchen im Grunde genommen Ihre eigenen Leute. Sie wissen das genau; denn Sie kommen auf die in Ihrem Antrag enthaltene Position mit keinem einzigen Wort in der Begründung zurück. Aus unserer Sicht gilt Folgendes: Wir müssen die Milchprobleme auf unserem nationalen Markt selbst lösen. Die Korrektur der Agrardieselbesteuerung war nö24640 tig. Aber sie ist ein fauler Kompromiss. Wer die Regelungen zur Agrardieselbesteuerung nur für zwei Jahre mit der Begründung „Wir gehen in die Zeit vor Frau Künast zurück“ ändert, hat nicht verstanden, dass es hier im Grunde genommen um europäische Harmonisierung und Wettbewerbsbedingungen geht. ({5}) Wir können in diesem Bereich gerne konsequent und geradlinig weiterarbeiten. Hier können wir natürlich das aufgreifen, was Kollegin Mortler gesagt hat: Gewährung von Überbrückungshilfen, Vorziehen der Direktzahlungen und Auflegung von Schulmilchprogrammen. Das alles kann man machen, aber erstens nicht auf dem Rücken der Entwicklungsländer und zweitens nicht in der meiner Meinung nach bösartigen Form, die Sie in Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen. Deswegen werden Sie für einen solch verlogenen Antrag - eigentlich müsste es unser gemeinsames Anliegen sein, dafür zu sorgen, dass Märkte in den Entwicklungsländern entstehen, die die Menschen vor Ort ein Stück glücklicher machen - keine Zustimmung von uns bekommen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Marlene Mortler, ich möchte drei, vier Sätze aus einem Auszug von Spiegel Online zitieren: Eigentlich müsste die CSU den Bauern erklären, dass sie die Macht über den Milchpreis verloren hat. Es wäre die Wahrheit … Seehofer tut so, als gäbe es ein Zurück zur alten Planwirtschaft. Dabei weiß er, dass sich nicht einmal die deutschen Ministerpräsidenten darauf einigen können, die Milchmenge zu begrenzen. Er ist im Moment der größte Illusionskünstler der deutschen Politik. Doch die Bauern glauben seinen Tricks nicht. So weit Spiegel Online. Ich kann nur sagen: Sie haben recht. Es sind viele schöne Worte gefunden worden, als es darum ging, die gegenwärtige Welthandelsrunde der WTO als Runde für die Entwicklungsländer zu beschreiben und Zugeständnisse der entwickelten Länder für die armen Länder zu fordern. Es sollte faire Handels- und Entwicklungschancen gerade für die armen Länder geben. Ich hatte die Möglichkeit, die Verhandlungen der WTO in Hongkong vor Ort zu verfolgen. Es gab viele Probleme in einem sehr komplexen Interessengeflecht. Eines der zentralen Problemfelder für viele Entwicklungsländer waren die Exporterstattungen der EU für Agrarprodukte; denn Exporterstattungen verzerren Preisrelationen auf den Weltmärkten. Sie können zu Dumpingangeboten führen mit der Folge, die heimische Produktion in den betroffenen Ländern zu strangulieren. Dafür gibt es in der Vergangenheit viele gravierende Beispiele. Sinkende Einkommen und steigende Armut sind häufig die Folge. Die Entwicklung der Landwirtschaft spielt eine zentrale Rolle bei der Armutsbekämpfung. Deshalb hat es in Hongkong die Zusage der EU gegeben, Exporterstattungen im Zuge der Verhandlungen bis 2013 abzuschaffen. Auch Bundespräsident Köhler hat sich im Übrigen für eine Abschaffung der Exportsubventionen starkgemacht. Warum hat es nun diesen Rückfall bei der Milch gegeben? Was soll das, wem hilft das eigentlich? Es ist bekannt - Marlene Mortler hat darauf hingewiesen -, dass es einen gravierenden Preisverfall auf dem Milchmarkt gegeben hat. Es gibt ein deutliches Überangebot an Milch nicht nur auf dem deutschen Markt. Nun wird wie bei ähnlichen Überproduktionskrisen in der Vergangenheit der Versuch gemacht, diese Mengen mithilfe von Exporterstattungen auf dem Weltmarkt abzusetzen. Auch wenn die schädlichen Auswirkungen auf den Märkten der Entwicklungsländer bisher gering sind, auch wenn es sich formal um ein welthandelsrechtlich zulässiges Instrument handelt, es ist politisch falsch, es ist gefährlich. ({0}) Gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise, die auch den Handel stark infiziert hat, macht es wenig Sinn, jetzt in die Mottenkiste der Handelspolitik zu greifen und ein völlig verstaubtes Instrument wieder ans Tageslicht zu holen. Es hilft den Milchbauern nicht. Die Praxis zeigt das. Die Milchbauern lehnen ein solches Instrument nachdrücklich ab. Ich darf noch einmal zitieren: Ein bizarrer Widerspruch: Deutschland stellt erhebliche Mittel für den Aufbau einer marktfähigen Landwirtschaft in Schwellen- und Entwicklungsländern bereit - und gleichzeitig überfluten wir die lokalen Märkte mit künstlich verbilligter Milch. So weit aus einer Publikation des BDM. Aber auch wenn es nicht zu verheerenden Wirkungen auf den Märkten vieler Entwicklungsländer kommt: Dies ist ein völlig falsches Signal. Es ermutigt all diejenigen Länder, die Protektionismus für ein legitimes handelspolitisches Instrument halten. Protektionismus hat viele Gesichter. Es wäre für uns verheerend, wenn diese protektionistischen Bestrebungen weiteren Auftrieb erhalten würden. Deutschland wäre der große Verlierer all dieser Wettläufe. Wir als Exportnation Nummer eins haben ein großes Interesse an einem Abschluss der laufenden Doha-Handelsrunde. Wir sollten alles unterlassen, was diesen Abschluss behindert. Neue Exportsubventionen behindern den Fortgang der WTO-Verhandlungen. Das ist etwas, was wir überhaupt nicht gebrauchen können. ({1}) Warum werden wir den vorliegenden Antrag der Grünen trotzdem ablehnen? Dazu ist schon einiges gesagt worden. Die Grünen haben in ihrem Antrag nicht nur gegen die Milchexportsubventionen Stellung bezogen - diese Position unterstützen wir Sozialdemokraten, wie ich deutlich gemacht habe -, sie haben gleichzeitig auch Vorschläge zur Regulierung des Milchmarktes gemacht, die wir nicht für zielführend halten. Damit werden zwei Aspekte miteinander vermischt, die nur zufällig etwas miteinander zu tun haben. Die in dem Antrag der Grünen geforderte Steuerung der Milchmenge entspricht nicht dem Weg, den die EU beschlossen hat. Danach werden die Milchquoten auslaufen. Das ist auch richtig so. Die Forderung nach neuen Quoten läuft in die Irre. Die Quotenregelung der Vergangenheit hat das Problem auf dem Milchmarkt nicht verhindert. Im Gegenteil: Neue Quoten würden neue Probleme schaffen. Das wollen wir nicht. Deshalb werden wir gegen den Antrag stimmen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die Linke gebe ich das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche hat die Bundesregierung den Milchbauern einen Teil der Mineralölsteuer erlassen. Schon im Januar wurden nach anderthalb Jahren Aussetzung die Exportsubventionen für Milchprodukte wieder eingeführt. In Deutschland liegen damit die Exportpreise für Milchprodukte im Durchschnitt 52 Prozent unter den tatsächlichen Produktionskosten. Durch Subventionen wie den Mineralölsteuererlass kann man keine fairen Preise erzielen. Die Probleme auf dem europäischen Agrarmarkt bleiben damit weiterhin ungelöst. Butter, Käse und Milchpulver werden zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist das ein Irrsinn. In einem Beschluss vom 5. März 2009 hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, sich für die Abschaffung der Agrarsubventionen einzusetzen. Auch die Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unterstützte diese Forderung. Das Versprechen der Landwirtschaftsministerin Aigner, dass keine Exporte in die ärmsten Entwicklungsländer subventioniert werden, wurde gebrochen. Die Behauptung von CDU/CSU und Teilen der SPD, dass die Situation des deutschen Milchmarktes nichts mit den Exporterstattungen und der WTO zu tun hat, ist blanker Unsinn. ({0}) Wenn subventioniertes Milchpulver billiger als die Milch der lokalen Bäuerinnen und Bauern ist, dann werden Existenzen in den Entwicklungsländern vernichtet. ({1}) - Hören Sie zu! - 2005 war 1 Liter Milch auf Basis europäischen Milchpulvers in Burkina Faso 15 Cent billiger als die heimische Frischmilch. Dieses Phänomen lässt sich in vielen Staaten Subsahara-Afrikas beobachten. Das hat dort Leben zerstört. ({2}) In Sambia ist Milch seit wenigen Jahren eine Einkommensquelle, auch dank deutscher und europäischer Entwicklungshilfe. John Mwemba, Vorsitzender einer Milchkooperative, sagt: Mit Kühen gelingt es …, jeden Monat Geld für Essen, Schule und Medizin zu erwirtschaften. Die sambischen Milchbauern erhalten kaum Subventionen. Der Milchkonzern Campina dagegen hat in den letzten fünf Jahren in Deutschland 12,7 Millionen Euro an Agrarsubventionen geschenkt bekommen. Das muss aufhören! ({3}) Sollte zudem in Sambia der ohnehin niedrige Zoll auf Milchpulverimporte noch weiter sinken, könnte der Albtraum von Herrn Mwemba Wirklichkeit werden: „… wir werden wieder arm sein“. Die afrikanischen Länder forderten deshalb, dass 40 Prozent der Produkte mit Zöllen belegt werden dürfen. ({4}) Die EU hat gegenüber den Entwicklungsländern, den armen Ländern in Afrika, eine Höchstgrenze von 20 Prozent durchgeboxt. ({5}) Natürlich wollen wir faire Preise für die europäischen und deutschen Milchproduzenten. Die EU hat jedoch durch Anhebungen der Milchquote Überschüsse in der Produktion und gesunkene Preise mitverursacht. Unsere agrarpolitische Sprecherin Kirsten Tackmann sagt ganz richtig: Von 24 Cent und weniger für einen Liter Milch kann kein Betrieb auf Dauer leben. ({6}) Wir brauchen einen agrarpolitischen Richtungswechsel hin zu einer Stabilisierung der regionalen Märkte mit kostendeckenden Preisen. Dabei müssen wir vor allem über die Marktmacht des Einzelhandels und der Großmolkereien sprechen. Der Antrag der Grünen zur Abschaffung der Exportsubventionen für Milch kommt zum richtigen Zeitpunkt. Sicher sind einige Ungereimtheiten im Feststellungsteil zu bemängeln. Die Grünen sprechen vom „Geist der Verhandlungen auf der WTO-Ebene“. Die Absenkung der Schutzzölle ist ein Ergebnis der WTO-Verhandlungen. Insofern kann man das Scheitern der Verhandlungen nicht bedauern. Auch die Behauptung, dass die meisten Exporte nach Afrika gingen, ist so nicht richtig. Richtig ist natürlich, dass der Export von 1,2 Prozent der deutschen Agrarprodukte in afrikanische Länder einen unmenschlich hohen Schaden anrichtet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Die Behauptung der Koalition, dass die Subventionen deutscher Milchexporte für den globalen Markt unerheblich seien, ist beschämend, kurzsichtig und einfach falsch. ({0}) Deshalb werden wir, die Entwicklungspolitiker und viele andere aus meiner Fraktion, dem Antrag der Grünen zustimmen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Aydin, was Sie hier erzählen, ist natürlich Quatsch. Ohne Übermengen brauchten wir keine Exportsubventionen. Insofern gibt es durchaus eine Verbindung. ({0}) Ich hätte Frau Mortler gern gefragt - das durfte ich aber nicht -, ob sie eigentlich den Anträgen des Bundeslandes Bayern zustimmt: 5 Prozent Mengenabbau, Veränderung des Umrechnungsfaktors, Abschaffung der Molkereisaldierung, Einbehaltung der Erhöhungsmengen in der nationalen Reserve. Dazu hat sie keinen Ton gesagt. Übrigens wäre es lohnend, auf den CDU-Minister Hauk zu verweisen, der auch für Mengenregulierungen ist; ({1}) auch Frankreich und Österreich sind dafür. Die Front bröckelt also. Man muss klar sagen: Die Milchpolitik der Bundesregierung bringt das Fass zum Überlaufen. Ich bekomme Hunderte von Briefen aus allen Teilen Deutschlands - Börtlingen, Detern, Windhagen - in denen es heißt: 5 000 Euro Verlust, 2 500 Euro Verlust, 4 000 Euro Verlust pro Monat. ({2}) Das ist die Situation, in die Sie die Betriebe gebracht haben und noch bringen. Statt den Milchhahn endlich zuzudrehen, verplempern Bundesregierung und EU-Kommission Steuermilliarden für Exportsubventionen, um die selbst herbeigeführten Übermengen loszuwerden. Das geht auf Kosten der Bauern in den Entwicklungsländern. ({3}) Das hat mein Vorredner schon dargestellt. Ich nenne nur das, was der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und zwar auch mit den Stimmen von CDU/CSU, beschlossen hat: Der Ausschuss bittet die Bundesregierung eindringlich, sich weiterhin gegenüber der Europäischen Kommission dafür einzusetzen, keine Exportsubventionen für Agrarexporte in Entwicklungsländer zu gewähren. Also auch von dieser Seite Zustimmung zu unserem Antrag. ({4}) Mit den bisherigen Maßnahmen konnte eine Entlastung des Marktes auf jeden Fall nicht erreicht werden, und das Vorziehen der Direktzahlungen ist auch Milchschaumschlägerei. Das geht ebenso an der Problemursache vorbei. Was machen die Leute denn in einem halben Jahr? Steuerentlastung beim Agrardiesel: Über vier Jahre hat diese Bundesregierung mit der Mehrwertsteuer den Agrardiesel noch verteuert. Jetzt kommt plötzlich eine marginale Absenkung. Bei 42 000 Euro Verlust eines durchschnittlichen Milchviehbetriebs in Rheinland-Pfalz sind 350 Euro wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und das Geld für notwendige Maßnahmen ist weg, ganz abgesehen davon, dass das Ganze sowieso absolut ungerecht ist. ({5}) Die Rechnung darf dann auch noch die neue Bundesregierung bezahlen. Um die Übermengen loszuwerden, soll die Milch jetzt in die Schulen fließen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass der Bundesfinanzminister, genauso wie die Finanzminister der Bundesländer, diesem Vorhaben die Finanzierung verweigern wird. Das Geld wird überhaupt nicht abgerufen. Wir verlangen von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie diese Mittel für Schulobst, Schulmilch und Armenspeisung endlich in ein vernünftiges Konzept zur gesunden Ernährung in den Schulen und in den Kindergärten überführen. Dann kann man Sie auch ernst nehmen. ({6}) Fusionierung der Molkereien: Auch das macht die Situation eher schlimmer. Jedenfalls muss der Milchhahn zugedreht werden, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die gleiche Entwicklung hatten wir doch beim Weinmarkt, ehe wir über Fraktionsgrenzen hinweg endlich eine Mengenregulierung herbeigeführt haben. Erst dann konnten wir sagen: Der Markt entwickelt sich jetzt wieder gut. ({7})

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„Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt …“ Das muss auch für den Milchmarkt gelten. ({0}) Ich will ganz ernsthaft sagen: Die Herausforderungen der kommenden Jahre sind die Märkte für Energie und für Lebensmittel. Genauso wie bei den erneuerbaren Energien - zum Beispiel beim EEG - muss die Politik bei der Lebensmittelerzeugung für Unabhängigkeit und für Sicherheit der Versorgung sorgen. Denn kommende Eskalationen im Ernährungsbereich kann keine Politik durchstehen, und Sie am allerwenigsten. Bündnis 90/Die Grünen wollen eine am Bedarf ausgerichtete, nachhaltige, qualitativ hochwertige und umweltgerechte Milchproduktion, die faire Erzeuger- und Verbraucherpreise ermöglicht. Wir fordern die Kanzlerin auf, morgen, wenn sie sich endlich einmal mit den Bäuerinnen trifft - ihr ist wahrscheinlich eingefallen, dass das Wählerinnen sind -, die Notbremse zu ziehen. ({1}) Wir wollen die sofortige Abschaffung der Exportsubventionen. Wir wollen die sofortige Mengenbegrenzung. ({2}) Es ist verantwortungslos, bei einem so bedeutenden Bereich wie der Lebensmittelerzeugung den Steuerhebel aus der Hand zu geben und die Milcherzeugung zu zerschlagen. Wir brauchen eine neue Diskussion über die Milchproduktion. Danke. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ulrich Kelber, SPD-Fraktion. ({0}) - Ich bitte, dem Kollegen Ulrich Kelber noch zuzuhören.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen von meinem Freund Kangwa erzählen. Kangwa ist fünf Jahre alt und geht schon zur Schule. Er lebt mit seinem Bruder und zwei Cousins, die Aidswaisen sind, zusammen mit seiner Mutter, seinem Onkel und seiner Großmutter auf einer 1,5 Hektar großen Farm in der Copperbelt-Region in Sambia an der Grenze zum Kongo. Ich hatte das Privileg, Ende März/Anfang April auf Einladung der christlichen Organisation „Justitia et Pax“ einige Tage mit dieser Familie auf der Farm zu leben und zu arbeiten. Ich habe mir anschauen können, was die Milchviehwirtschaft für diese Familie bedeutet. Die Familie hat vor drei Jahren mit einer geschenkten Kuh im Rahmen des Heifer-Programms damit begonnen. Es ist die Chance, Ernährung und Einkommen zu sichern. Die Familie betreibt diese Milchviehwirtschaft unter schwersten Bedingungen: massiver Mangel an Wasser - Wasser muss mit reiner Muskelkraft aus einem tiefen Erdloch geholt werden -, Mangel an Geräten, Fehlen von Strom, keinerlei Mobilität; noch nicht einmal ein Fahrrad kann sich diese Familie leisten. Die Milch ist wichtig, erstens um Mangelernährung bei den vier Kindern zu verhindern und zweitens um ein zusätzliches kleines Einkommen zu erzielen. Nur mit dieser Chance auf zusätzliches Einkommen kann das Schulgeld für die vier Kinder bezahlt werden. Wird das Schulgeld nicht rechtzeitig bezahlt, werden die Kinder ab dem nächsten Tag von den Lehrerinnen und Lehrern nach Hause geschickt. Um dieses Geld zu erwirtschaften, geht Frau Malama, die 60-jährige Hofpatronin, täglich bis zu 22 Kilometer zu Fuß mit der Milchkanne zur Milchsammelstelle, um die Milch dort abzugeben. Ich habe sie an einem Tag auf diesem Weg begleitet. Für 3 Liter Milch - 1 Liter wird für den Eigenkonsum abgezweigt - geht sie 5,5 Kilometer hin und 5,5 Kilometer zurück - für einen Erlös von rund 60 Cent. Ohne dieses Geld ist der Schulbesuch der Kinder nicht möglich. Ohne dieses Geld kann die veterinärmedizinische Versorgung der Kühe nicht gewährleistet werden. Würde die Kuh geschlachtet, könnte die Familie mit dem Erlös zwar einige Wochen und Monate überleben; jegliche Chance auf Entwicklung wäre aber vernichtet. Was hat Sambia mit Milchexportsubventionen zu tun? Wir haben doch festgelegt, dass nur in Schwellenländer, nicht aber in Entwicklungsländer geliefert wird. Sambia ist in einer Zollunion mit Südafrika. Nach Südafrika wird geliefert, nicht nur aus Europa, sondern auch aus Ländern außerhalb Europas. In der Größenordnung, in der Milchpulver nach Südafrika geliefert wird, liefert Südafrika Milchpulver nach Botswana, nach Sambia und in andere Staaten. Der Milchpreis dort fällt in der Geschwindigkeit, in der der Preis für das exportierte Milchpulver fällt. Das vernichtet dort Existenzen. Alle Chancen, Milchviehwirtschaft aufzubauen, Mangelernährung bei den Kindern zu verhindern und Einkommen zu erzielen, sind damit weg. Deswegen, Frau Ministerin, fordere ich Sie auf - ich bitte Sie nicht nur darum -, so manchen Klientelwünschen nicht nachzugeben, sondern im Europäischen Rat mit Nein zu stimmen, wenn es um die Verlängerung der Gewährung von Exportsubventionen für Milch geht. Es geht um Existenzen und das Leben von Menschen. ({0}) Der Kollege Zöllmer hat dargestellt, warum die SPD einem Antrag, der eine Reihe von Forderungen enthält, nicht zustimmen kann; wir lehnen einige davon eben ab. Als ich jene Farm verlassen habe, habe ich der Familie und mir allerdings eines versprochen: Ich kann nicht gegen einen Antrag stimmen, der das Ziel hat, Milchexportsubventionen zu beenden. Ich werde mich daher heute enthalten. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Milch-Exportsubventionen sofort stoppen - Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick- lungsländern verhindern“. Zu dieser Abstimmung liegen mir etliche Erklärungen nach § 31 GO vor.1) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/13119, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12308 abzu- lehnen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament- lich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich er- öffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.2) Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Carola Reimann, Detlef Parr, Frank Spieth und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur diamorphinge- stützten Substitutionsbehandlung - Drucksache 16/11515 - - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die diamorphingestützte Substitutionsbehandlung - Drucksache 16/7249 - - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Chris- tian Ahrendt und weiteren Abgeordneten einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung 1) Anlagen 14 und 15 2) Ergebnis Seite 24646 D des Betäubungsmittelgesetzes und anderer Vorschriften - Drucksache 16/4696 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({0}) - Drucksache 16/13021 - Berichterstattung: Abgeordnete Maria Eichhorn Detlef Parr Dr. Harald Terpe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Spahn, Maria Eichhorn, Dr. Hans Georg Faust und weiterer Abgeordneter Ausstiegsorientierte Drogenpolitik fortführen - Künftige Optionen durch ein neues Modellprojekt zur heroingestützten Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger evaluieren - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetzliche Voraussetzungen für heroingestützte Behandlung Schwerstabhängiger schaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Ulla Jelpke, Frank Spieth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Heroinmodell in die Regelversorgung überführen und Therapiefreiheit der Ärztinnen und Ärzte schützen - zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr ({2}), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kontrollierte Heroinabgabe in die Regelver- sorgung aufnehmen - Drucksachen 16/12238, 16/2075, 16/2503, 16/3840, 16/13021 - Berichterstattung: Abgeordnete Maria Eichhorn Detlef Parr Dr. Harald Terpe c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({3}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner - zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr ({4}), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Regelung zur Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger praxisnah gestalten Rechtssicherheit für substituierende Ärzte schaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versorgungsqualität der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige verbessern - Drucksachen 16/6795, 16/8212, 16/12513 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Margrit Spielmann Über die Vorlagen werden wir später in einer oder zwei namentlichen Abstimmungen - das ist abhängig vom Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung und in mehreren einfachen Abstimmungen entscheiden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort der Kollegin Carola Reimann, SPD-Fraktion. ({5})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend den überfraktionellen Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, halten Sie bitte noch etwas inne. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen oder ihren Platz einzunehmen. ({0}) Es dauert noch eine Dreiviertelstunde, bis die nächste namentliche Abstimmung stattfindet. Diese Zeit sollten wir nutzen, um den Ausführungen der Rednerinnen und Redner zu folgen. Jetzt, bitte.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, lehnt sich eng an die entsprechende Bundesratsinitiative an und wird von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/ Die Grünen unterstützt. Ich möchte mich bei all den Unterstützerinnen und Unterstützern hier im Hause ganz herzlich bedanken. Es spricht für die politische Kultur in diesem Haus, dass wir bei aller Konkurrenz und Auseinandersetzung auch in der Lage sind, bei einzelnen Sachfragen über Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam Gesetze auf den Weg zu bringen. ({0}) Die breite Unterstützung für unseren Entwurf und die Einsicht in die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung setzen sich auch außerhalb des Parlaments fort: in Fachkreisen, in der Wissenschaft und vor Ort in den Kommunen. Experten, Betroffene, Praktiker sowie auch CDU-geführte Städte und Länder stehen hinter dem Entwurf. Erst letzte Woche habe ich ein Schreiben der Stadt Frankfurt/Main erhalten - ich gehe davon aus, dass das auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen zugegangen ist -, in dem noch einmal nachdrücklich für unseren Gesetzentwurf geworben wird. Falls Ihnen das Schreiben nicht zugegangen ist, gebe ich gerne eine Kopie weiter. Was wollen wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen? Es geht darum, Schwerstheroinabhängigen mit massiven Gesundheitsproblemen wieder eine Perspektive zu eröffnen. Es handelt sich hierbei meist um Menschen meines Alters, die bereits eine traurige, langjährige Drogenkarriere hinter sich haben und in einem entsprechend schlechten, zum Teil lebensbedrohlichen Gesundheitszustand sind. Wir sind verpflichtet, diesen Menschen, die schon mehrere erfolglose Therapien hinter sich haben, eine weitere Chance zu geben, ins Leben zurückzufinden. Denn - man muss es so deutlich sagen - allzu viele Chancen eröffnen sich für Abhängige in diesem Stadium der Erkrankung nicht mehr. Die Behandlung mit Diamorphin ist für viele eine allerletzte Chance. Dass sie erfolgreich ist, belegt auch die wissenschaftliche Begleitstudie des Modellprojekts. In dieser klinischen Studie wurde klar nachgewiesen, dass die Diamorphinbehandlung den Gesundheitszustand und die Lebensumstände der Schwerstopiatabhängigen verbessert. Die Ergebnisse wiesen in allen Bereichen eine statistisch signifikante Überlegenheit der diamorphingestützten Behandlung gegenüber der Methadonbehandlung auf. Das heißt, in den Modellprojekten haben Schwerstabhängige wieder ins Leben zurückgefunden. Daher wollen wir nun, nach Auslaufen der Modellprojekte, die Behandlung mit Diamorphin auf eine gesicherte gesetzliche Grundlage stellen, damit die Versorgung in den Einrichtungen fortgesetzt werden kann. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf geben wir den Schwerstabhängigen wieder eine Perspektive. Wir legen aber auch strenge Kriterien für die Behandlung mit Diamorphin fest. Wir wissen, dass es sich nicht um irgendeine Substanz handelt. Deshalb finden sich in unserem Entwurf für die kontrollierte Abgabe strikte Vorgaben, beispielsweise zum Personenkreis. Für eine Behandlung kommen nur Personen infrage, die über 23 Jahre alt sind. Sie müssen seit über fünf Jahren opiatabhängig sein, verbunden mit schwerwiegenden körperlichen und psychischen Erkrankungen. Sie müssen bereits zwei Therapien erfolglos hinter sich haben. Hier kommt also niemand einfach so an Heroin auf Rezept, wie von Einzelnen wenig kenntnisreich behauptet wird. Genauso unsinnig ist die Behauptung, dass durch die Überführung der diamorphingestützten Behandlung in die Regelversorgung mit Zehntausenden von Patienten zu rechnen sei. ({2}) Berücksichtigt man die eben genannten Anforderungen und auch die Erfahrungen, die in unseren Nachbarländern, den Niederlanden und der Schweiz, nach der Einführung der Diamorphinbehandlung in die Regelversorgung gemacht wurden, so ist mit 2 000 bis 3 000 behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten zu rechnen, mehr nicht. Von einem Ansturm kann also keine Rede sein. Dieser Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit, er formuliert klare Regeln für die Diamorphinabgabe und begrenzt den Personenkreis auf diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Er basiert auf den positiven Ergebnissen einer anerkannten klinischen Studie. Wie bereits erwähnt, wird er von einer breiten Mehrheit innerhalb und außerhalb des Parlaments getragen, eben weil die Ergebnisse der Studie und vor Ort so eindeutig sind. ({3}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/ CSU, kann ich nicht nachvollziehen, warum Sie diesen überfraktionellen Entwurf nicht mittragen. ({4}) Schon seit langer Zeit liegen die Ergebnisse auf dem Tisch. Seit 2007 reden wir über das Thema. Erst jetzt, zwei Jahre später, nach monatelangen Gesprächen und nach der Einbringung eines überfraktionellen Entwurfs, präsentieren Sie kurz vor knapp einen eigenen halbherzigen Antrag, der uns keinen einzigen Schritt weiterbringt. ({5}) Denn er belässt Betroffene wie Mitarbeiter in den Drogenambulanzen weiter in unsicheren Provisorien, obwohl es dafür keinen einzigen sachlichen Grund gibt. Genau das merkt man Ihrem Antrag an. Denn statt überzeugender Argumente streuen Sie Zweifel, reden von Horrorzahlen und stellen Fragen, die schon längst geklärt sind. ({6}) Das, was Sie vorgelegt haben, ist keine Alternative, nicht für uns und schon gar nicht für die Schwerstabhängigen, die dringend Hilfe brauchen. ({7}) Aus diesem Grund kann ich nur noch einmal eindringlich dafür werben, heute den überfraktionellen Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung zu unterstützen. Es wird höchste Zeit, dass das erfolgreich erprobte Modell auf eine gesicherte gesetzliche Grundlage gestellt wird, damit die Versorgung fortgesetzt werden kann. ({8}) Die Schwerstabhängigen, die alle Kraft zusammennehmen, um wieder in ein geregeltes Leben zurückzufinden, und auch diejenigen, die ihnen im Rahmen der Projekte dabei helfen, haben es verdient, dass wir nach den jahrelangen Debatten endlich Klarheit schaffen. Danke. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 9 und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag „Milch-Exportsubventionen sofort stoppen - Weitere Zerstörung der Märkte in Entwicklungsländern verhindern“ bekannt: abgegebene Stimmen 548. Mit Ja haben gestimmt 450, mit Nein haben gestimmt 65, Enthaltungen 33. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 548; davon ja: 450 nein: 65 enthalten: 33 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Andreas Jung ({7}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({15}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({24}) Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({26}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({27}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({28}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({29}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({30}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Eike Hovermann Johannes Jung ({33}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({35}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({36}) Michael Müller ({37}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Steffen Reiche ({38}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({39}) Michael Roth ({40}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({41}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({42}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Ulla Schmidt ({43}) Silvia Schmidt ({44}) Renate Schmidt ({45}) Heinz Schmitt ({46}) Carsten Schneider ({47}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz ({48}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({49}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({50}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({51}) Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({52}) Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({53}) Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({54}) Cornelia Pieper Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({55}) fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Nein CDU/CSU Josef Göppel SPD Christel Humme DIE LINKE Sevim Dağdelen Heike Hänsel Cornelia Hirsch Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Ulrich Maurer Dr. Norman Paech Paul Schäfer ({56}) ({57}) Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({58}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({59}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({60}) Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({61}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({62}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler Enthalten SPD Gabriele Groneberg Dr. Bärbel Kofler Gesine Multhaupt Dr. Erika Ober Christel RiemannHanewinckel Otto Schily Dr. Wolfgang Wodarg DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Dr. Barbara Höll Dr. Lukrezia Jochimsen Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Bodo Ramelow Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Der nächste Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDPFraktion. ({63})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick in den Koalitionsvertrag von Union und SPD zeigt: Die Sucht- und Drogenpolitik spielt bei den Koalitionsfraktionen im Gegensatz zur öffentlichen Aufmerksamkeit nur eine untergeordnete Rolle; ganze drei Sätze ist sie ihnen wert. ({0}) Kein Wunder, dass über die Jahre auch im Bereich der diamorphingestützten Substitutionsbehandlung Schwerstabhängiger nicht viel passiert ist. Wir scheinen hier in Berlin weit weg zu sein von den Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, in die Abhängigkeit gerutscht sind und persönlich und materiell in Elend leben. Wie sonst erklärt sich, dass wir als Bund uns zusammen mit den Bundesländern an Modellversuchen in sieben deutschen Großstädten finanziell und ideell beteiligt haben, jetzt aber den letzten Schritt - die nachgewiesenermaßen erfolgreiche Behandlungsmethode in die Regelversorgung aufzunehmen scheuen? Sicherlich bleiben, wie bei allen wissenschaftlichen Studien, Fragen offen. ({1}) Die können wir aber auch nach Verabschiedung des Gesetzes im Alltagsablauf beantworten. Formale Streitigkeiten sollten nicht länger auf den Schultern der Betroffenen ausgetragen werden. ({2}) Wer zum Beispiel in der Nähe unserer Bahnhöfe Menschen antrifft, die mehr oder weniger versteckt in tiefer persönlicher Not sind, sich offensichtlich selbst nicht mehr helfen können und der verantwortungslosen, gnadenlosen Verführung krimineller Dealer ausgesetzt sind, darf nicht wegschauen. ({3}) Alle medizinischen Möglichkeiten müssen genutzt werden, um den Gesundheitszustand dieser Menschen zu stabilisieren, sie vom Rand der Gesellschaft schrittweise wieder in die Mitte der Gesellschaft zu führen und sie zur Aufnahme weiterführender Therapien zu motivieren. Diese humanitäre Verantwortung haben die Modellstädte Bonn, Frankfurt am Main, Hannover, Hamburg, Köln, Karlsruhe und München auch für uns auf sich genommen. Nun gilt: Berlin, übernehmen Sie! Heute sind wir als Gesetzgeber gefordert, die Schwerstabhängigen, aber auch die Wissenschaftler, die Sozialarbeiter und die ehrenamtlich Tätigen, die in diesem Modellprojekt aufopfernd gearbeitet haben, nicht im Stich zu lassen. Sie sind mit ihren Erfahrungen offensichtlich viel weiter als mancher Abgeordnete, viel näher an den Menschen, denen auch wir verpflichtet sind. ({4}) Es sollte eigentlich unstrittig sein, dass sich die diamorphingestützte Substitutionsbehandlung nahtlos in die Reihe niedrigschwelliger Angebote der Suchtbekämpfung einreiht, die sich - darüber besteht über die Parteigrenzen hinweg Konsens - bewährt haben: Drogennotrufe, anonyme Telefonberatung, Konsumräume, Krisenzentren, mobile aufsuchende Projekte, Methadonambulanzen - und nun, als Ergebnis einer ganz natürlichen Weiterentwicklung, die Einführung einer neuen Behandlungsmethode. Das ist konsequente Politik, die sich an den Notwendigkeiten orientiert und individuelle Hilfen anbietet. ({5}) Wichtig ist, den betroffenen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleingelassen werden, dass wir sie nicht tiefer in die Enge der Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit treiben. Die Zahl der Drogentoten darf nicht weiter steigen. ({6}) Mit dem Modellversuch ist einer überschaubaren Zahl von Schwerstkranken Hilfe angeboten worden, und es ist Vertrauen aufgebaut worden. Diese Basis durch Ablehnung unseres Gesetzentwurfes zu zerstören, wäre ein Armutszeugnis. Die Kommunen und Städte, die an dem Modellprojekt beteiligt waren, haben ihre Hilfsangebote für Drogenabhängige in den letzten Jahren differenziert und ausgeweitet. Prävention, Beratung, Therapie und Überlebenshilfe sind die Säulen, auf denen die Städte ihre Drogenpolitik aufgebaut haben. Das entspricht den Leitlinien der Sucht- und Drogenpolitik der FDP-Bundestagsfraktion, die wir erst kürzlich verabschiedet haben. ({7}) Wir brauchen weitere gesetzliche Rahmenbedingungen, um diese grundlegende Arbeit der Kommunen und Städte zu unterstützen. Heute geht es darum, die Bedingungen für den konkreten Baustein „diamorphingestützte Substitutionsbehandlung“ zu schaffen. Damit soll den Modellstädten gezeigt werden, dass ihre Arbeit unterstützt und erleichtert wird und dass sie auf dem richtigen Weg sind. Den Betroffenen soll die Perspektive vermittelt und die Sicherheit gegeben werden, dass die für sie lebenswich24650 tige Behandlung fortgeführt wird. Das sind Impulse, die bundesweit ausstrahlen sollen. Abschließend möchte ich betonen: Wir wollen kein Heroin auf Krankenschein. Wir haben hohe Hürden gegen einen möglichen Missbrauch und Sonderregelungen, die bei der Vergabe berücksichtigt werden müssen, in den Gesetzentwurf eingearbeitet. In Ergänzung zu dem, was Frau Kollegin Reimann gesagt hat, möchte ich weitere drei - für uns wichtige - Punkte nennen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Parr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eisel?

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. Stephan Eisel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003886, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, gerade weil ich aus Bonn, also einer der Modellstädte, komme, habe ich folgende Fragen: Erstens. Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass in den Modellstädten und auch beim Experten-Hearing die Meinungen der Ärzte hinsichtlich des Erfolgs des Modellversuchs sehr unterschiedlich und sogar kontrovers waren? Zweitens. Würden Sie in Ihrer Argumentation zugestehen, dass wir uns, auch wenn man einen Weg für sinnvoll hält, der anders ist als der, den Sie vorschlagen, gegenseitig den Respekt nicht absprechen sollten, dass wir - Sie durch eine gesetzliche Regelung, wir durch Fortsetzung des Modellversuches - das Beste für die Betroffenen erreichen wollen? ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben recht: Bei einer solch schwierigen Frage, die hier im Bundestag unterschiedlich beantwortet wird, vertreten natürlich auch die Fachleute unterschiedliche Auffassungen. ({0}) Allerdings gilt: Es handelt sich um einen Modellversuch mit validen Ergebnissen. Diese validen Ergebnisse führen zu einer Mehrheit, die dem Versuch, diese Behandlung in die Regelversorgung zu überführen, positiv gegenübersteht. Man muss die weiteren Erfahrungen abwarten. Die Mehrzahl der Stimmen fordert: Wir müssen heute entscheiden. ({1}) Ich möchte auf drei Punkte eingehen, die für uns im Hinblick auf die Hürden wichtig sind. Erstens. Diamorphin darf ausschließlich zur Substitutionsbehandlung und nicht zur Schmerzbehandlung verschrieben werden. Zweitens. Die Behandlung darf nur in bestimmten Einrichtungen vorgenommen werden, deren Betrieb einer Erlaubnis der Landesbehörde bedarf, die über eine besondere personelle und sachliche Ausstattung verfügen und die strenge Sicherheitsbedingungen erfüllen. Drittens. Das benötigte Diamorphin darf nur auf einem Sondervertriebsweg geliefert werden. Der Vorwurf, es gebe Heroin auf Krankenschein, läuft also ins Leere. Die Zeit ist reif für eine Entscheidung. Auch wenn der Kollege Spahn in einem Schreiben an alle Kollegen im Bundestag gestern behauptete, der jetzige Zeitpunkt sei der falsche, sage ich: Es ist an der Zeit, endlich Klarheit zu schaffen. ({2}) Lieber Kollege Spahn, Ihr Schreiben kann man nur als einen letzten verzweifelten Versuch der Beeinflussung bewerten. Auch Sie gehen im Stillen davon aus, dass sich die Mehrheit in diesem Hause jetzt für eine klare Entscheidung ausspricht. ({3}) Die Fortsetzung der Modellprojekte, wie Sie sie fordern, ist keine Alternative zu unserem Gesetzentwurf, sondern nur ein überflüssiges Spiel auf Zeit. ({4}) Deswegen lassen wir uns nicht in die Irre führen. Gehen wir heute mutig einen neuen Weg! Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass auf der Besuchertribüne acht Kollegen aus dem US-Kongress in Begleitung unseres Kollegen Hans-Ulrich Klose Platz genommen haben. Wir begrüßen sie recht herzlich hier im Hause. ({0}) Nun hat der Kollege Jens Spahn für die Unionsfraktion das Wort.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Parr, ich muss sagen: Wir waren in dieser Diskussion schon einmal weiter. ({0}) Ich finde das, was Sie hier gerade gemacht haben, unglaublich. Sie können nicht einerseits diese Abstimmung zu einer Gewissensfrage hochstilisieren - das ist der Grund, warum diese Debatte heute in dieser Form stattfindet -, ({1}) und andererseits, wenn Ihnen und anderen Kollegen ein Papier mit Argumenten zugeschickt wird, in dieser Art und Weise mit der Meinung des anderen umgehen. Ich finde, das war nicht besonders liberal, Herr Kollege Parr. Das war völlig inakzeptabel! ({2}) Wir sollten uns nicht gegenseitig absprechen - das haben Sie gerade unterschwellig getan -, dass wir alle das Beste für die Schwerstabhängigen in diesem Land wollen. Wir streiten über das Wie und nicht über das Ob. Auch das muss klar sein, Herr Kollege Parr. ({3}) Es muss trotz aller Zwischenrufe möglich sein - das müssen Sie ertragen -, die noch offenen Fragen, die in der Anhörung von den Experten ziemlich deutlich formuliert worden sind, vorzubringen. Man muss sagen dürfen, dass man diese Fragen weiter untersuchen will. Darum geht es in unserem Modellprojekt. Es gibt eine ganze Reihe offener Fragen. Ich will einige wenige nennen: Die Einschlusskriterien sind schon mehrfach genannt worden. Dabei geht es um die Frage, wer für diese Behandlung überhaupt infrage kommt. In Ihren Gesetzentwurf haben Sie keine Zahlen hineingeschrieben. Öffentlich haben Sie von 1 000 bis 2 000 Schwerstabhängigen gesprochen. Es gibt allerdings Experten des GKV-Spitzenverbandes und der verfassten Ärzteschaft, die gesagt haben - das sind keine Zahlen, die wir uns ausgedacht haben -, dass bis zu 80 000 Menschen infrage kommen. Selbst wenn die Wahrheit in der Mitte liegt, besteht ein Riesenunterschied zu den Zahlen, die Sie hier nennen. Angesichts dessen muss es doch erlaubt sein, bestimmte Fragen zu stellen. ({4}) In der Debatte im Ausschuss haben Sie sich auf eine zahlenmäßige Begrenzung der Plätze, wie sie die Niederlande oder die Schweiz vorgenommen haben, nicht eingelassen. ({5}) Ein zweiter Punkt, der nicht Bestandteil der Studie gewesen ist, ist die Ausstiegsorientierung. Natürlich ist uns allen klar, dass es bei Schwerstabhängigen nicht innerhalb von Wochen oder Monaten gelingen kann - wenn das überhaupt möglich ist -, zu einer Abstinenz zu kommen. Das ist uns bewusst. Nichtsdestotrotz muss eine solche Studie Ergebnisse zur Abstinenzorientierung liefern, bevor man sich für eine Regelversorgung entscheidet. Dies ist eine Frage, die wir weiter untersuchen wollen. Es gibt Fragen zum Beikonsum. Es muss doch erlaubt sein, die Frage zu stellen, warum jemand, der vom Staat pures Heroin bekommt, weiter in prozentual großem Umfang Straßenheroin oder Kokain konsumiert. Es muss ebenfalls erlaubt sein, die Frage zu stellen, ob das zum Erfolg des Modellprojektes beiträgt. Wissen Sie, was der entscheidende Punkt ist? Sie ignorieren folgenden Sachverhalt - das ist es, was mich an Ihrem Gesetzentwurf am meisten verwundert -: Es gab in dieser Studie zwei Gruppen - diejenigen, die weiterhin Methadon erhalten haben, und diejenigen, die Heroin im Original erhalten haben. Alle, die in das Projekt gekommen sind, waren, und zwar in beiden Gruppen, sogenannte Methadonversager, sind durch die Regelversorgung mit Methadon also nicht erreicht worden. Obwohl sie vorher durch die Regelversorgung mit Methadon nicht erreicht worden sind, ist es selbst in der Methadonvergleichsgruppe gelungen, bei 74 Prozent der Probanden den Gesundheitszustand zu verbessern, bei 55 Prozent den illegalen Konsum weiterer Drogen zu reduzieren und bei 40 Prozent zu erreichen, dass kein weiterer Kontakt zur Drogenszene besteht. Zugegebenermaßen sind die Zahlen bei der Heroingruppe ein wenig besser. Aber die Frage, die zu stellen ist, ist doch, ob der Stoff, den wir abgeben, zum Erfolg führt oder ob nicht vielmehr die intensive psychosoziale Betreuung in dem Modellprojekt zum Erfolg führt. Zumindest muss man sich einmal die Frage, was der eigentliche Erfolgsfaktor ist, stellen. ({6}) Sie blenden vollständig aus - und das schon seit Monaten -, dass es bei der Methadonvergleichsgruppe enorme Erfolge gegeben hat. ({7}) Es stellt sich die Frage, ob man erst einmal die Regelversorgung mit Methadon verbessern sollte, bevor man unsicheren Schrittes weitergeht. ({8}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, schlagen wir vor, die von mir aufgeworfenen Fragen und weitere offene Fragen, die auch in der Anhörung diskutiert worden sind, in einem Modellprojekt zu klären. Frau Kollegin Reimann, wir haben das Angebot, dieses Modellprojekt fortzusetzen, tatsächlich erst vor einigen Monaten verschriftlicht; aber das mündliche Angebot von mir und anderen Kollegen hier im Parlament gab es schon vor einem oder anderthalb Jahren. Tun Sie nicht so, als wäre das Angebot erst auf den letzten Drücker gekommen. Sie hätten es schon lange annehmen können. ({9}) Dass Sie es nicht getan haben, ärgert mich umso mehr, als eine Fortsetzung des Modellprojektes im Grunde allen Seiten gerecht geworden wäre. Wir hätten den beteiligten Städten ermöglicht, weiterzumachen - das ist deren Ziel -, und sie hätten auch neue Probanden - in der Ihnen vorschwebenden Größenordnung von 1 000 bis 2 000 - aufnehmen können. Wir hätten es möglich gemacht, in diesem Modellprojekt mit anderen Schwerpunkten und Fragestellungen neue Erkenntnisse zu gewinnen und insbesondere die von mir aufgeworfenen Fragen noch einmal anzugehen. Dann wäre es vielleicht auch mehr Mitgliedern dieses Hauses möglich gewesen, den Schritt in eine andere Richtung zu gehen. Ich zumindest möchte gerne so viel wie eben möglich wissen, bevor ich eine solch grundlegende Entscheidung treffe. Übrigens blenden Sie in manchen öffentlichen Aussagen aus, dass es dieses Kompromissangebot gab. Sie tun so, als würden wir einfach nur Njet, also Nein, sagen und nichts anbieten. Das tun wir eben nicht. Wir hätten diesen Konflikt in dieser wichtigen gesellschaftspolitischen Frage vermeiden können. Wir hätten die Chance gehabt, mit einem solchen Modellprojekt im Konsens weitere Erkenntnisse zu gewinnen und sowohl den Probanden als auch den beteiligten Städten zu helfen. Die SPD hätte es nicht nötig gehabt, an dieser Stelle den Koalitionsvertrag zu brechen. ({10}) - Das ist es doch. Lesen Sie einmal den Koalitionsvertrag. Sie stimmen anders ab als vereinbart. Das eigentlich Bedauerliche ist - ({11}) - Dass Sie so schreien, zeigt mir, dass ich recht habe, Frau Kollegin Hendricks. - Das einzig wirklich Bedauernswerte ist, dass Sie, indem Sie das Kompromissangebot, das den Interessen aller Beteiligten eigentlich gerecht würde, ausschlagen, bei der Beantwortung einer grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Frage einen Konflikt wie den zulassen, mit dem wir es heute zu tun haben. ({12}) Es hätte auch anders gehen können, und ich bedauere, dass es nun so abläuft. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich kann ehrlichen Herzens sagen: Es ist für mich als drogenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke ein wunderbarer Tag. Es ist ein exzellenter Anlass für alle Kolleginnen und Kollegen, die sich zu einem gemeinsamen gesetzlichen Vorhaben entschieden haben, ({0}) sich gegenseitig zu gratulieren; denn das ist der Tag einer humanen, rationalen und diskriminierungsfreien Drogenpolitik in Deutschland. ({1}) Es ist ein Meilenstein. Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Initiative, die ich für die Linke schon sehr früh, im Jahr 2002, ergriffen habe, nämlich gemeinsam mit den beiden anderen Oppositionsfraktionen, Grüne und FDP, einen bestimmten Weg zu beschreiten, dazu geführt hat, dass wir endlich - nach drei oder vier Legislaturperioden, in denen wir über den Umgang mit von Heroin Schwerstabhängigen diskutiert haben - zu parlamentarischen Mehrheiten finden konnten. Vielen Dank dafür! ({2}) Es ist kein Koalitionsbruch. Ich muss die Koalition nicht verteidigen, wenn ich sage: Im Koalitionsvertrag steht gar nichts über Heroinsubstitution. ({3}) Es ist deshalb sehr erfreulich, dass die SPD den Weg gewählt hat, diese Entscheidung heute gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen zu treffen. Das wäre ohne das nachhaltige Engagement der deutschen Städte nicht möglich gewesen. Die Städte sind in Modellprojekten das Wagnis eingegangen, diese Studien durchzuführen. Sie konnten nämlich eines nicht mehr ertragen: die mutwillige medizinische Unterversorgung, das medizinische Leid, das Menschen erfahren, die von illegalen Spritzdrogen abhängig sind. Sie konnten die Zerstörung der Familien als Folge dieser Kriminalisierung nicht mehr erdulden. ({4}) Wir sprechen heute über eine Arzneimittelzulassung. ({5}) Wir sprechen nicht darüber, Heroin anstatt Methadon zu verabreichen, sondern darüber, eine Therapievielfalt zu ermöglichen und denjenigen, die mit Methadon ärztlich nicht umfassend versorgt werden können, eine Therapiealternative zu geben. ({6}) Das ist medizinethisch das Einzige, woran wir uns als Abgeordnete zu halten haben. Wir haben als Abgeordnete nicht das Recht, gesetzliche Änderungen zu verweigern, weil man ein ideologisches Drogenabstinenzdogma im Kopf hat. ({7}) Ich komme aus Karlsruhe und begleite als Drogenpolitikerin das dortige Projekt seit 20 Jahren. Das Phänomenale in Karlsruhe ist geschehen: Personen sind nach 30 Jahren Heroinabhängigkeit in die Abstinenz gegangen. Auch ist erreicht worden, dass Menschen trotz ihrer Sucht alt geworden sind. Es ist ein unglaublich hoher ethischer Wert, dass Menschen aus ihrer Verelendung heraus wieder eine Lebensperspektive finden. ({8}) Ein Betroffener ist in ein Altenheim gegangen und führt dort diese Substitutionsbehandlung weiter. Diese medizinische Behandlung verlangt enorme Disziplin: Man muss Einrichtungen dieser Art täglich aufsuchen. Viele Menschen, die aus schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen in die Abhängigkeit von Heroin geraten sind, können jetzt nicht nur ihre Sucht, sondern sogar ihre Primärerkrankung behandeln lassen. Sie werden endlich in eine umfassende verantwortungsvolle medizinische Versorgung eingebunden, die die somatischen und psychiatrischen Seiten umfasst. Sowohl bei Methadon als auch bei Heroin ist die psychosoziale Betreuung ein Muss. Das steht im Gesetzentwurf. Es war bei der Methadonsubstitution nicht anders. ({9}) Verdrehen Sie also nicht die Tatsachen, und erzählen Sie der Bevölkerung keine Schauermärchen darüber! ({10}) Bei dem, was wir hier tun, handeln wir sehr verantwortungsbewusst. Für die medizinischen Einrichtungen, die diese medizinisch hochinteressanten Personen auf ihrem Weg in ein besseres, gesünderes Leben begleiten, sind absolut strikte Begrenzungen vorgesehen. Wir geben nichts frei. Es werden vielleicht 1 000 oder 2 000 Menschen davon profitieren. ({11}) Ich bin glücklich, dass wir heute darüber abstimmen können. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Knoche, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spahn?

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin mit meiner Rede fertig; aber fragen Sie ruhig, Herr Spahn.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist freundlich von Ihnen, Frau Kollegin. - Ich habe eine relativ einfache Frage. Sie haben gerade die Bedeutung der psychosozialen Betreuung hervorgehoben.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie kommt es dann, dass sich die Antragsteller geweigert haben, den Zeitraum von sechs Monaten zu verlängern, obwohl wir im Ausschuss darauf hingewiesen haben, dass es nicht sein kann, die psychosoziale Betreuung bei der Behandlung nur für sechs Monate - das ist ein relativ kurzer Zeitraum für Schwerstabhängige - verpflichtend vorzusehen? Wenn die psychosoziale Betreuung so wichtig ist und wenn es nicht nur um eine dauerhafte Abgabe des Stoffes gehen soll, warum begrenzen Sie die Verpflichtung dann auf sechs Monate? ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Frage beantworte ich Ihnen gerne: Auch der suchtabhängige Mensch ist ein autonomer und selbstbestimmter Mensch ({0}) und hat unseren Respekt verdient. Die Studien haben gezeigt, dass die Stabilisierung recht rasch vonstatten geht. Was suchtabhängige Menschen danach brauchen, hält unser gesamtes medizinisches Versorgungssystem bereit. Sie können all die Hilfen, die sie brauchen, um diese Therapie erfolgreich fortführen zu können, ambulant bekommen. ({1}) Führen Sie keine Zwangsmaßnahmen ein! Respektieren Sie die Würde auch dieser Menschen, und stellen Sie sie nicht unter staatliche Kuratel. Das wäre falsch, und das würde ich nie befürworten. ({2}) - Ja, das sage ich Ihnen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wende mich zunächst einmal ausdrücklich an diejenigen Kolleginnen und Kollegen der Union, die ihren Wahlkreis in einer der Städte haben, die den Modellversuch zur Diamorphinbehandlung erfolgreich durchgeführt haben. ({0}) Ich weiß, dass es auch unter Ihnen Abgeordnete gibt, die genau wissen, dass die gesetzliche Regelung der Diamorphinbehandlung für die schwer opiatabhängigen Patientinnen und Patienten und für die jeweilige Kommune positive Auswirkungen hat. ({1}) Ich wende mich an Sie, weil ich möchte, dass die Diamorphinbehandlung auch mit Ihrer Unterstützung zu einem Bestandteil der Regelversorgung wird. ({2}) Helfen Sie mit, dass sich die Diamorphinbehandlung auf gesetzlicher Grundlage zu einem wichtigen Baustein in der Therapie schwerstopiatabhängiger Menschen entwickeln kann! Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf stellt nur einen ersten, wenn auch entscheidenden Schritt dar, um die Versorgung dieser schwerkranken Menschen zu verbessern. Ich will darauf verzichten, die Argumente für die Diamorphinbehandlung in epischer Breite vorzutragen. Ich will nur darauf hinweisen: Die Diamorphinbehandlung eröffnet nicht nur die Möglichkeit auf ein Leben nach Heroin, und zwar bis zur Erlangung der Abstinenz, sondern sie ist oftmals auch die letzte Chance auf ein Weiterleben überhaupt. ({3}) Das muss man wissen, wenn man von - Zitat - „möglicherweise statistisch relevanten Vorteilen der Diamorphingabe im Vergleich zur Methadonsubstitution“ spricht, wie es der Kollege Spahn in seiner gestern verschickten freundlichen Hilfestellung für eine persönliche Erklärung getan hat. ({4}) Hinter diesen „möglicherweise statistisch relevanten Vorteilen“ stehen persönliche Schicksale und konkrete Überlebenschancen schwerkranker Menschen. ({5}) Ich glaube, manch einem in diesem Hause ist das noch immer nicht bewusst. ({6}) Im Übrigen finde ich es von den Kolleginnen und Kollegen der Union unredlich, die Methadonbehandlung gegen die Diamorphinbehandlung auszuspielen. ({7}) Wir brauchen beide Therapieformen, um den Opiatabhängigen optimal helfen zu können: im Regelfall die Methadonbehandlung und für die Patientinnen und Patienten, denen wir nicht anders helfen können, die Diamorphinbehandlung. Die Union spielt aber nicht nur Methadonbehandlung und Diamorphinbehandlung gegeneinander aus. Sie hat, zumindest bislang, auch nichts Entscheidendes getan, um die Versorgungsqualität im Rahmen der Methadonbehandlung zu verbessern. ({8}) Auch bei der Methadonbehandlung liegt nämlich einiges im Argen. ({9}) Die Methadonbehandlung und die Bedingungen der psychosozialen Betreuung opiatabhängiger Menschen in Deutschland sind verbesserungswürdig. Auf der einen Seite steigt die Zahl der zu behandelnden Patientinnen und Patienten; auf der anderen Seite stagniert die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die eine solche Behandlung vornehmen. Die Folge ist ein immer ungünstiger werdendes Betreuungsverhältnis. Viele Ärzte fühlen sich zudem in ihrer ärztlichen Therapiefreiheit behindert. Die Versorgungsqualität im Rahmen der Methadonbehandlung ist in zahlreichen Bundesländern nicht ausreichend, insbesondere in den ländlichen Räumen und im Strafvollzug. Vor allem in den Ländern, in denen die Union das Sagen hat, ist die Substitutionsbehandlung beispielsweise im Strafvollzug gar nicht oder nur unzureichend ausgebaut. ({10}) Wir wissen, dass es auch bei der psychosozialen Betreuung Probleme gibt; auch diese Probleme dürfen nicht übersehen werden. ({11}) Trotz großer Anstrengungen vieler Kommunen wird sie noch nicht in ausreichendem Maße finanziert. ({12}) Außerdem gibt es keine einheitlichen Qualitätsstandards. Statt als Mittel zur Verhinderung einer gesetzlichen Regelung neue Forschungsprojekte zu fordern, hätte die Union in ihrem Antrag lieber konkret schreiben sollen, wie sie die psychosoziale Betreuung für Opiatabhängige verbessern will. ({13}) Aber wenn es um dieses Thema geht, schweigen Sie. Darüber hinaus ist nicht zu erklären, warum Sie in Ihrem Antrag schreiben, dass Sie restriktive Regelungen zur Therapiebegrenzung anstreben. Die Rede ist unter anderem von der Einführung eines Höchstalters der Patientinnen und Patienten. Außerdem streben Sie eine Begrenzung der Dauer der Behandlung auf fünf Jahre an. ({14}) Sie wollen sogar bestimmte Vorerkrankungen definieren, was zur Folge hätte, dass Opiatabhängige von einer Diamorphinbehandlung ausgeschlossen würden. Diesen Vorschlägen reden Sie das Wort. ({15}) Ich kann mich noch gut an die berechtigte Kritik erinnern, die auch aus Ihrer Fraktion geäußert wurde, als Ihr Kollege Mißfelder vor einigen Jahren vorschlug, 85-jährigen Patientinnen und Patienten keine künstlichen Hüftgelenke mehr auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen einzusetzen. ({16}) - So war es nun einmal, Herr Spahn. - Ich meine, Ihr Vorschlag, ein Höchstalter für die Diamorphinbehandlung festzulegen und die Behandlungszeit zu begrenzen, geht leider in diese Richtung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um breite Zustimmung zu dem gemeinsamen Gesetzentwurf; dafür stehen die Namen Reimann, Parr, Spieth und auch mein Name. Der Gesetzentwurf umfasst auch die Vorschläge des Bundesrates, das möchte ich hier noch einmal betonen. ({17}) Durch seine Verabschiedung wird die jahrelange Diskussion über die Diamorphinbehandlung endlich zu einem für die Betroffenen guten Ende gebracht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kenne alle sieben Standorte, an denen der Modellversuch Diamorphin durchgeführt wird. Ich war mehrfach an diesen Standorten. Mich haben die positiven Ergebnisse dort überzeugt. ({0}) Herr Kollege Spahn, auch ich war am Anfang - der Modellversuch trägt noch meine Unterschrift als Drogenbeauftragte - ausgesprochen skeptisch, ob bei diesem Modellversuch positive Ergebnisse erzielt werden. Wir haben damals dafür gesorgt, dass dieser Modellversuch ergebnisoffen angelegt wird. ({1}) Es sollte eine Kontrollgruppe mit der gleichen psychosozialen Betreuung geben. Es sollte zum einen eine Methadongruppe und zum anderen eine Diamorphingruppe geben. Wir - die sieben Standorte und die Bundesländer, die das Ganze mitfinanziert haben und auch Antragsteller sind; es soll jetzt endlich Rechtssicherheit geschaffen werden - haben immer gemeinschaftlich verabredet: Wenn die Ergebnisse positiv sind, wird diese Therapie Teil der Regelversorgung. ({2}) Jetzt sind die Ergebnisse positiv; das darf man nicht künstlich kleinreden. Damit wird man der Dramatik der Situation gar nicht gerecht. Wir diskutieren über das Ganze seit mittlerweile sieben Jahren. 2002 startete der Modellversuch; 2005 hatten wir erste Ergebnisse. Ab 2006 haben wir darüber diskutiert, wie es weitergeht. Herr Kollege Spahn, jetzt möchte ich Sie mit einem konkreten Fall konfrontieren: Es geht um die 26-jährige Tanja R. aus Karlsruhe, die mit 12 Jahren anfing, Heroin zu nehmen. Sie war schwer drogenabhängig. Zur Finanzierung der Sucht hat sie sich prostituiert. Mehrfach wurde sie wegen Beschaffungskriminalität aufgegriffen. Sie war in zwei Therapien, einmal in einer Methadontherapie und einmal in einer Abstinenztherapie. Beide Therapien wurden abgebrochen; nichts half. Sie ist immer tiefer abgerutscht. Das ging bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen; Schlimmeres konnte nur knapp abgewendet werden. Sie ist zur Diamorphinbehandlung in Karlsruhe gekommen. Sie ist seither nicht mehr strafauffällig und praktiziert auch keinen Beikonsum mehr. Wenn man sie fragt, worin für sie der Unterschied zum vorherigen Leben besteht, dann antwortet sie: Ich fühle mich das erste Mal wie ein vollwertiger Mensch. ({3}) Sie hat jetzt überhaupt erst einmal die Chance, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Jetzt geht es darum, dass man nach einer Modellphase sagt: Jawohl, wir ergänzen unser gutes Angebot in der Drogentherapie um ein weiteres Überlebenselement. Nur derjenige, der überlebt, kann aussteigen. Wir bieten hiermit eine weitere Überlebenshilfe an; denn diese Therapie hat sich bewährt. ({4}) Hier wird argumentiert: Das reicht noch nicht aus; wir brauchen ein weiteres Modell. Wie lange sollen die betroffenen Städte und auch die Bundesländer eigentlich noch in einer rechtlichen Unsicherheit gehalten werden? Wie lange soll das Ganze eigentlich noch gehen? ({5}) Herr Kollege Spahn, Sie haben am Anfang gefordert, den Modellversuch einzustellen; das war nicht ganz redlich. Danach gab es sehr viel Protest aus den Standortgemeinden, ({6}) und es gab sehr viele Diskussionen, auch mit den Bundesländern, die dieses Modellprojekt getragen haben. Ich nenne nur der guten Ordnung halber noch einmal das Abstimmungsergebnis im Bundesrat: Es gab 1 Gegenstimme, und zwar aus Bayern; es gab 2 Enthaltungen - man konnte sich aus Gründen der Koalitionsdisziplin nicht einigen - und 13 Jastimmen. ({7}) Das ist das Ergebnis. Das heißt, wir haben die Situation, dass wir das gemeinschaftlich erreichen wollen. In den Standortgemeinden gibt es eine große Mehrheit dafür, und die Bundesländer wollen es auch. Deswegen ist es unredlich, Herr Kollege Spahn, jetzt das Thema Koalitionsbruch zu diskutieren. ({8}) Ich bitte Sie herzlich - auch Sie, Herr Kollege Fraktionsvorsitzender -: Wir haben uns darauf geeinigt, dass es Themen gibt, die jenseits der Fraktionsdisziplin zu diskutieren sind. ({9}) Weil es sich um ein ethisch sehr anspruchvolles Thema handelt, haben wir dazu Gruppenanträge und -gesetzentwürfe vorgelegt. ({10}) Sie wurden in Ihrem Debattenbeitrag dieser ethischen Dimension in keinem Punkt gerecht. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen im Bundestag: Geben Sie den Weg frei! Versuchen Sie, mit Ihrem Abstimmungsverhalten dazu beizutragen, dass für die Standortgemeinden Klarheit herrscht und wir ein weiteres Element der Überlebenshilfe installieren, das sich bewährt hat. Schönen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Annette Widmann-Mauz das Wort. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Viele Betroffene, vor allem auch viele Angehörige von Heroinabhängigen, verbinden mit jeder Drogentherapie die Hoffnung, einen nahen Menschen - vielleicht den Sohn oder die Tochter - nach Jahren des Leids wieder in ein menschenwürdiges Leben zurückzuführen. Sie haben viele Momente der Verzweiflung und manchmal der Hoffnung erlebt und immer wieder Rückschläge erlitten. Diesen schwerkranken Menschen zu helfen, sie vor der Verelendung zu bewahren, zu stabilisieren und wieder starkzumachen, um von der Sucht loszukommen, ist unser aller Aufgabe und Ziel in diesem Haus. ({0}) Deshalb empfinde ich es als befremdlich, in welcher Art und Weise heute Nachmittag denjenigen, die Ihren GeAnnette Widmann-Mauz setzentwurf nicht unterstützen, jegliche Empathie und Hilfsbereitschaft abgesprochen wird. ({1}) Das ist nicht der Stil, den wir in Gewissensfragen - zu denen erklären Sie die anstehenden Fragen - und ethisch relevanten Fragen pflegen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Arbeit in den Modellprojekten anerkennen. ({2}) Was von den Ärzten, Psychotherapeuten und Sozialarbeitern in der Prävention, Therapie und Begleitung geleistet wurde, ist ausdrücklich zu würdigen. Dank gilt denjenigen, die sich mit viel Mühe und Herzblut engagiert haben. Nichtsdestotrotz müssen wir als Politiker heute, wenn wir entscheiden, ob die Substitutionsbehandlung mit Heroin in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden soll, offene Fragen ansprechen. Wir dürfen uns nicht drücken. Es gilt nämlich, verantwortungsbewusst zu handeln: gegenüber den Betroffenen, die schwerkrank sind und die wir nicht im Stich lassen dürfen, gegenüber den Versicherten, mit deren Beitragsgeldern wir sorgfältig umgehen müssen, gegenüber anderen kranken Menschen, die auch einen Anspruch und ein Anrecht auf Behandlung mit adäquaten Therapien haben, und gegenüber der Gesellschaft, wenn wir bei der Vergabe des Suchtmittels Heroin auch in der Drogenprävention weiterhin glaubwürdig sein wollen. Wir müssen uns auch der Frage stellen, ob die gewonnenen Erkenntnisse ausreichen, um die Aufnahme von Heroin als Substitut in die Regelversorgung zu rechtfertigen. Wir müssen uns doch fragen, ob die Kriterien und Vorgaben, die Sie im Gesetzentwurf vorschlagen, sachgerecht und richtig gewählt sind. Sie, die Unterstützer des Gesetzentwurfes, berufen sich darauf, die Studie habe eindeutig die „Überlegenheit der Diamorphinbehandlung“ gegenüber der Methadonbehandlung bewiesen. Tatsächlich gibt es einen wahrnehmbaren Unterschied. Aber die Unterschiede zwischen der Heroinvergabe und der Methadonvergabe im Projekt sind weit weniger groß, als Sie es auch heute Nachmittag wieder dargelegt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Widmann-Mauz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nouripour?

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen; denn ich glaube, dass die Argumente im Zusammenhang gehört werden müssen. Mein Kollege Spahn hat darauf hingewiesen: 74 Prozent der sogenannten Methadonversager verzeichnen erhebliche gesundheitliche Verbesserungen, ebenso 80 Prozent derjenigen in der Heroingruppe. 74 Prozent derjenigen, die als eigentlich nicht erreichbar galten, erreichten also erhebliche Verbesserungen. Wenn allein bei dieser Personengruppe unter Modellprojektbedingungen auf einmal ein solcher Behandlungserfolg zu registrieren ist, dann lässt dies doch den Schluss zu, dass eben nicht nur der Stoff wichtig war, sondern vor allen Dingen die Rahmenbedingungen eine ganz entscheidende Rolle gespielt haben. Dabei müssen wir uns insbesondere auf die psychosoziale Betreuung einlassen; wir können hier nicht so tun, als ob dies keine Relevanz gehabt hätte. Vor allen Dingen müssen wir uns fragen, welche Schlussfolgerungen aus dieser Erfolgsquote für Methadonpatienten zu ziehen sind, und zwar für diejenigen in bestehenden Methadonsubstitutionstherapien. Das ist die Regel; die meisten Drogenabhängigen werden doch genau in diesen Therapieformen behandelt. Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen sind offenbar verbesserungswürdig. Darüber wurde von Ihrer Seite kein Wort gesagt. Aber den betroffenen Menschen wird in Ihrem Gesetzentwurf zugemutet - das sind nämlich die Kriterien, um überhaupt mit Heroin behandelt zu werden -, zweimal eine Therapie abgebrochen zu haben. Sie, Frau Staatssekretärin, haben gerade ein solches Beispiel einer abgebrochenen Methadontherapie erwähnt. Wir können es doch nicht zulassen, dass als Bedingung formuliert wird, dass zuerst nicht ausreichende Methadontherapien abgebrochen werden müssen, damit die Betroffenen anschließend in der Herointherapie die adäquate psychosoziale Betreuung erhalten. Das kann nicht in unserem Interesse sein. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Widmann-Mauz, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, notwendige Absprachen vor der gleich folgenden Abstimmung außerhalb des Saales zu treffen und der Kollegin Widmann-Mauz die ihr gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darüber hinaus war ich erstaunt, wie Sie wiederum zu der Zahl von einigen Hundert Menschen kommen, die nach Ihrer Ansicht in diesem Projekt Berücksichtigung fänden. Die Anhörung ergab klar etwas anderes: In der Bundesrepublik Deutschland verzeichnen wir zwischen 120 000 und 190 000 Heroinabhängige. Nach den Kriterien, die Sie im Gesetzentwurf vorgeben, kommen davon 60 000 bis 80 000 Abhängige infrage. Was ermutigt Sie eigentlich zu der Aussage, dass nur 1 000 bis 2 000 Menschen diese Therapie nachfragen werden? Sie haben entsprechende Bedingungen, beispielsweise die Zahl der Plätze zu begrenzen, nicht vorgesehen. Ich kann es mir nur so vorstellen, dass Sie an dieser Stelle keine weiteren Plätze wollen, jedoch im Gesetzentwurf den Anspruch auf flächendeckende Versorgung formulieren. Wir wollen das Ziel des Ausstiegs aus der Drogensucht nicht aufgeben, auch wenn wir wissen, wie schwierig dies ist und wie langwierig der Weg aus der Sucht ist. Aber gerade deshalb, weil sich zu viele Suchtkranke in der Dauersubstitution befinden, müssen wir die bestehenden Substitutionsbehandlungen verbessern und ausstiegsorientierte Verfahren stärken. Ich kann nur Folgendes sagen: Ich empfinde es als ausgesprochen schade, dass Sie gerade der Bedeutung der psychosozialen Beratung keinen Stellenwert eingeräumt haben. Sie sehen dafür nur sechs Monate vor; im Modellprojekt hingegen war sie dauerhaft gewährleistet. Ich kann mir eine solche Regelung nur unter der Voraussetzung vorstellen, dass Sie hierbei in finanzieller Hinsicht auf die Bundesländer Rücksicht genommen haben. Ich bedaure es außerordentlich, dass Sie die letzten zwei Jahre nicht genutzt haben, obwohl dieses Angebot von unserer Fraktion immer wieder gemacht wurde, genau denjenigen Fragen, die wir nach wie vor als offen ansehen, im Rahmen einer Erweiterung des Modells und unter Anwendung erweiterter Kriterien nachzugehen. ({0}) Wir fordern Sie deshalb auf: Lassen Sie uns die bestehenden Modellprojekte auch an weiteren Standorten sowie mit neuen Teilnehmerinnen und Teilnehmern weiterführen, um diese offenen Fragen zu klären, um anschließend guten Gewissens entscheiden zu können. Ich kann Ihnen wirklich nur sagen: Es gilt, verantwortungsbewusst zu handeln; es reicht nicht aus, hierbei das Gewissen zu entlasten. Vielmehr müssen wir gewissenhafte Entscheidungen im Interesse der Menschen, der Schwerstkranken in unserem Land, treffen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Mir liegt eine große Anzahl von Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir nehmen diese zu Protokoll.1) Bevor wir mit den Abstimmungen beginnen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ab- stimmungsverfahren. Dazu wäre es für alle Kolleginnen und Kollegen hilfreich, wenn es möglich wäre, dass meine Stimme bis zur letzten Reihe durchdringt. Wir kommen gleich zu den Abstimmungen über neun Vorlagen zur Substitutionsbehandlung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13021, über den Gesetzentwurf Dr. Reimann auf Drucksache 16/11515, den Gesetzent- wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/7249 und den Gesetzentwurf Ackermann auf Drucksache 16/4696 so- wie den Antrag Spahn auf Drucksache 16/12238, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/2075, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2503 und den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3840 einen Beschluss herbeizu- führen. Eine darüber hinausgehende Beschlussempfeh- lung hat der Ausschuss dazu nicht abgegeben. 1) Anlagen 17 bis 20 Hierzu wurde vereinbart: Zunächst wird über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Carola Reimann in zweiter Lesung namentlich abgestimmt. Danach müssen wir die Sitzung zur Auszählung des Abstimmungsergebnisses unterbrechen. Sollte dieser Gesetzentwurf die Mehrheit finden, ist über die anderen unter Tagesordnungspunkt 12 a genannten Gesetzentwürfe sowie über die unter Tagesordnungspunkt 12 b genannten Vorlagen nicht mehr abzustimmen. Diese hätten sich erledigt. Wir würden dann mit Tagesordnungspunkt 12 c fortfahren. Erhält der Gesetzentwurf Dr. Reimann nicht die erforderliche Mehrheit, wären die beiden anderen unter Tagesordnungspunkt 12 a genannten Gesetzentwürfe ebenfalls erledigt. Wir kämen dann jedoch zu einer weiteren namentlichen Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Jens Spahn und weiterer Abgeordneter. In diesem Fall würden wir außerdem über die weiteren unter Tagesordnungspunkt 12 b genannten Vorlagen sowie über die unter Tagesordnungspunkt 12 c genannten Vorlagen abstimmen. - Ich sehe, Sie sind mit diesem vereinbarten Vorgehen einverstanden. Dann verfahren wir so und kommen zu den Abstimmungen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Dr. Carola Reimann, Detlef Parr, Frank Spieth und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung auf Drucksache 16/11515. Wir stimmen über den Gesetzentwurf namentlich ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehen Plätze einzunehmen. - Sind alle besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte Sie, zur Entgegennahme des Abstimmungsergebnisses wieder Platz zu nehmen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Abgeordneten Dr. Carola Reimann und weiteren Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung auf Drucksache 16/11515 bekannt: abgegebene Stimmen 550. Mit Ja haben gestimmt 349 Kolleginnen und Kollegen, ({0}) mit Nein haben gestimmt 198 Kolleginnen und Kollegen, und 3 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Vizepräsidentin Petra Pau Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 550; davon ja: 349 nein: 198 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Ursula Heinen Norbert Königshofen Stefan Müller ({1}) Rita Pawelski Dr. Heinz Riesenhuber Uwe Schummer Bernd Siebert Gerald Weiß ({2}) Elisabeth WinkelmeierBecker SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({3}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({4}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({5}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({6}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({7}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({8}) Iris Hoffmann ({9}) Frank Hofmann ({10}) Eike Hovermann Christel Humme Johannes Jung ({11}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({12}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({13}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({14}) Michael Müller ({15}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({16}) Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({17}) Michael Roth ({18}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({19}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({20}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({21}) Silvia Schmidt ({22}) Renate Schmidt ({23}) Heinz Schmitt ({24}) Carsten Schneider ({25}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({26}) Swen Schulz ({27}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({28}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({29}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({30}) Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({31}) Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({32}) Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Vizepräsidentin Petra Pau Dirk Niebel Cornelia Pieper Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({33}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Diana Golze Heike Hänsel Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({34}) ({35}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({36}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({37}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({38}) Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({39}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({40}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({41}) Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({42}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({43}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({44}) Dirk Fischer ({45}) Axel E. Fischer ({46}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({47}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Andreas Jung ({48}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({49}) Eckart von Klaeden Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({50}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({51}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({52}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({53}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Carsten Müller ({54}) Dr. Gerd Müller Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({55}) Klaus Riegert Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Vizepräsidentin Petra Pau Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({56}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({57}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({58}) Andreas Schmidt ({59}) Ingo Schmitt ({60}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Johannes Singhammer Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({61}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({62}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({63}) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Gerd Höfer fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Enthalten CDU/CSU Andreas Storm FDP Hans-Joachim Otto ({64}) Der Gesetzentwurf ist angenommen, und das in zweiter Beratung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind mit diesem Gesetzgebungsverfahren noch nicht fertig. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte wiederum die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt noch stehen, Platz zu nehmen oder, wenn sie an dieser Abstimmung nicht teilnehmen können, den Saal zu verlassen. Wie Sie wissen, stimmen wir in der dritten Beratung und Schlussabstimmung durch Erheben von unseren Plätzen ab. Ich würde das Abstimmungsergebnis gern zweifelsfrei für alle feststellen können. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem vorher festgestellten Stimmenergebnis mehrheitlich angenommen. Mit der Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf entfällt, wie vereinbart, die Abstimmung über die beiden Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/7249 und 16/4696 sowie über die Anträge auf den Drucksachen 16/12238, 16/2075, 16/2503 und 16/3840. Wir setzen nun die Abstimmungen mit Tagesordnungspunkt 12 c fort. ({65}) - Auch dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich, die Gratulationen und den Austausch von Meinungen über das gerade festgestellte Abstimmungsergebnis nicht hier vorn vor dem Präsidium fortzusetzen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 16/12513. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6795 mit dem Titel „Regelung zur Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger praxisnah gestalten - Rechtssicherheit für substituierende Ärzte schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8212 mit dem Titel „Versorgungsqualität der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({66}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich ({67}), Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Konjunktur jetzt stärken - Überlange Planungszeiten verhindern - Drucksachen 16/11750, 16/13120 Berichterstattung: Abgeordneter Georg Brunnhuber Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jörg Vogelsänger für die SPD-Fraktion. ({68})

Jörg Vogelsänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt einmal einen Tagesordnungspunkt ohne namentliche Abstimmung. Das soll es heute auch noch geben. ({0}) Nichtsdestotrotz ist das Thema Verkehrsinfrastruktur und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ein sehr wichtiges Thema. Die Entwicklungschancen von Deutschland hän24662 gen davon ab, und gerade in der jetzigen Krise merkt man, wie wichtig der dadurch bestehende Standortvorteil für Deutschland ist. Deshalb glaube ich, dass wir fraktionsübergreifend ein Interesse daran haben, dass Planungszeiten verkürzt werden, dass beschleunigt wird. Das ist sicherlich ein Anliegen, das auch mit dem Antrag der FDP verfolgt wird. Nur halten wir den Weg, der darin von der FDP vorgezeichnet wird, für falsch. Ich will das auch gern begründen. In Vorbereitung auf meine Rede war ich beim zuständigen Straßenbauamt, das man als Verkehrspolitiker immer mal wieder besuchen sollte. Da habe ich mir aufzeigen lassen, wie lange solch ein Planungsprozess dauert, also vom Beginn des Raumordnungsverfahrens über das Linienbestimmungsverfahren und das Planfeststellungsverfahren bis hin zur Erstellung der Vergabeunterlagen und zu der Vergabe. Bei keinem der Projekte sind wir auf einen Zeitraum von weniger als sieben bis acht Jahren gekommen. Ich glaube, dass das verbesserungsbedürftig ist. ({1}) Sieben bis acht Jahre braucht man also schon, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen. Hinzu kommen noch die Klageverfahren. Das dauert mitunter Jahre. Ein Kollege im Verkehrsausschuss hat von Jahrzehnten gesprochen. Ich denke, die Beispiele kennt jeder. Deshalb war es richtig, dass wir für besonders wichtige Verkehrsprojekte - es sind 85 - festgelegt haben: Für Klagen gegen diese Projekte ist nur das Bundesverwaltungsgericht zuständig. Das halten wir für einen richtigen Schritt. Über eines muss man sicherlich diskutieren, nämlich darüber, ob die personelle Ausstattung beim Bundesverwaltungsgericht dafür ausreichend ist. Diese Frage muss erlaubt sein. Ich muss selbstkritisch anmerken: Wir Politiker neigen dazu, immer wieder neue Gesetze und Verordnungen auf den Weg zu bringen. Der Vollzug muss dann natürlich auch gewährleistet sein. Dazu gibt es sicherlich noch Diskussions- und Handlungsbedarf. Der Weg, den die FDP vorschlägt - für Klagen sollen in erster Instanz wieder Verwaltungsgerichte der Länder zuständig sein -, bringt uns keinen Schritt weiter. Was die Verfahrensdauer angeht, ist es dort nicht besser. Das gilt auch in den Ländern, in denen die FDP mitregiert. Wir sollten die Zuständigkeit dafür beim Bundesverwaltungsgericht belassen, sollten uns allerdings schon ansehen, ob die Verfahren dort entsprechend durchgeführt werden. Noch einmal allgemein zum Planungsrecht. Wir haben in Deutschland ein sehr ausgefeiltes Planungsrecht; ich habe das schon dargestellt. Wir versuchen, alle Betroffenen in den Planungsprozess einzubeziehen. Das ist sicherlich gut und richtig so. Trotzdem sollten wir überlegen, ob wir Planungsprozesse weiter straffen können, ob wir bei den Raumordnungsverfahren, Linienbestimmungsverfahren und Planfeststellungsverfahren manches zusammenfassen können. Ich bin nämlich der festen Überzeugung: Der Ausbau der Infrastruktur in Deutschland ist so wichtig, dass wir uns eine Planungsdauer von sieben bis acht Jahren für ein Verkehrsprojekt einfach nicht leisten können. ({2}) Jetzt komme ich noch einmal zur Rolle der Gerichte. Wir Verkehrspolitiker machen in den Wahlkreisen und bei den Projekten, die wir begleiten, die Erfahrung: Es wird immer Befürworter und Gegner von Verkehrsprojekten geben. Wer glaubt, dass dieses Problem durch ein Gericht gelöst werden kann, der irrt. Es wird immer Bürger geben, die mit einem Verkehrsprojekt nicht einverstanden sind oder die mit einer Entscheidung nicht zufrieden sind. Deshalb sollte man grundsätzlich überlegen, ob man mehrere Klageinstanzen zulassen muss oder ob eine Klageinstanz ausreichend ist. Für die Betroffenen sind mehrere Instanzen nicht unbedingt besser; es herrscht dann jahrelang Ungewissheit über die Verfahren und darüber, ob das Verkehrsprojekt entsprechend realisiert wird. Wir sind uns im Ziel einig: Beschleunigung der Verfahren. Eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf die Ländergerichte lehnt die SPD-Fraktion aber ab. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Horst Friedrich das Wort.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem, was der Kollege Vogelsänger ausgeführt hat, hat er sich nicht auf unseren Antrag bezogen; denn darin geht es nicht um die Planungsverfahren, Herr Kollege Vogelsänger, sondern - ich sage es noch einmal zum Mitschreiben - es geht um die spannende Frage, ob das Gesetz, das Sie hinsichtlich der 85 oder 86 sogenannten Leuchtturmprojekte beschlossen haben ({0}) und nach dem für diese Projekte die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gegeben ist, die juristische Klärung beschleunigt. In der Praxis bewirkt Ihr Gesetz das genaue Gegenteil; denn die durchschnittliche Dauer von Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist nicht kürzer geworden, sondern länger. ({1}) Sie ist, wenn die Angaben stimmen, von 6 Monaten und 22 Tagen auf 10 Monate und 19 Tage im Jahr 2008 angestiegen. Das ist ein Ergebnis Ihres Gesetzes. Es gibt noch einen zweiten spannenden Punkt. Wir haben häufig über das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz diskutiert, das wir richtigerweise geschaffen haben - das sage ich auch für die FDP -, weil es in den neuen Ländern eben keine Oberverwaltungsgerichte Horst Friedrich ({2}) gab, und das für bestimmte Verkehrsprojekte im Zuge der deutschen Einheit die Einzügigkeit des Instanzenweges auf das Bundesverwaltungsgericht festschrieb. Weil man sich nicht traute, es anders zu machen, hat man die Gültigkeitsdauer mehrfach verlängert. Als das nicht mehr ging und die Geltungsdauer des Gesetzes endgültig abgelaufen war, hat man, anstatt sich einen Ruck zu geben und ein einheitliches Planungsrecht für ganz Deutschland zu installieren, ({3}) nun wiederum ein spezielles Planungsrecht geschaffen. ({4}) Dieses gilt für 85 Projekte, unabhängig von deren Wichtigkeit für ganz Deutschland; es schließt ja sogar Ortsumgehungen in Brandenburg ein. Für den Rest des Landes gilt das normale Planungsrecht. Im Rest des Landes beschwert sich allerdings keiner. Als wir zu diesem Thema eine Anhörung durchgeführt haben, haben uns alle Praktiker aus den Ländern händeringend gebeten, beim Instanzenweg die Oberverwaltungsgerichtsinstanz zu belassen; denn, Herr Kollege Vogelsänger - auch das zeigt die Praxis -, nur 5 Prozent der entsprechenden Fälle, die vor Oberverwaltungsgerichten behandelt werden, gehen überhaupt in die zweite Instanz. In vielen Fällen wird Revision gar nicht zugelassen; in anderen wird sie gar nicht beantragt. Genau um diese 5 Prozent geht es nun. Sie ziehen diese nun aber als angeblichen Beleg für eine unbotmäßige Verlängerung von Planungszeiten heran. Entweder haben Sie das Problem nicht begriffen, ({5}) oder Sie täuschen hier eine falsche Situation vor. ({6}) Vor diesem Hintergrund möchten wir - das ist auch aus liberaler Sicht interessant - nun nach Jahren des Aufbaus in den neuen Ländern durchsetzen, dass betroffene Bürger - jede Verkehrswegeplanung, die Private betrifft, ist auch ein Eingriff in das persönliche Eigentum die Chance haben, eine weitere Gerichtsinstanz zur Überprüfung einer Gerichtsentscheidung anzurufen. Das, was wir vorgelegt haben, ist, liebe Kollegen der Union, in Konsequenz ja das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, deren Federführung Ministerpräsident Koch meinem Freund und Kollegen Dieter Posch - jetzt wieder Verkehrsminister in Hessen, damals „nur“ Parlamentarier - mit der Maßgabe übertragen hat, die Planungsverfahren zu beschleunigen. Auch er fordert: Lasst uns die Oberverwaltungsgerichtsinstanz! Nun kann man ja sagen, es interessiere nicht, was die Länder machen; aber, liebe Freunde, die Länder sind eigentlich diejenigen, die gemäß unserer Gesetzgebung die Planung auszuführen haben. ({7}) Nach unserer Rechtsordnung fällt es in die Zuständigkeit der Länder, für Baurecht zu sorgen. Was um Himmels willen hindert uns dann daran, uns der Auffassung der Länder anzuschließen und die Oberverwaltungsgerichtsinstanz zu belassen? Das würde drei Probleme lösen: Erstens. Über die Masse der Projekte würden ortsnah, zeitnah und vor allen Dingen mit Sach- und Fachkenntnis die Richter vor Ort entscheiden. ({8}) Zweitens. Das geht mindestens so schnell wie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Oberverwaltungsgerichte haben nämlich eine personelle Ausstattung, die das Bundesverwaltungsgericht in dieser Form nicht hat. Drittens. Im Falle eines für den Kläger negativen Gerichtsurteils besteht die Möglichkeit, dieses durch eine weitere Gerichtsinstanz überprüfen zu lassen. Das erachten wir aus unserer Sicht schon für notwendig. Das würde nichts, aber auch gar nichts am Zeitrahmen verändern. Das, was Sie, Herr Vogelsänger, angesprochen haben, betrifft eine völlig andere Ebene. Darüber kann man reden. Aber darum geht es in unserem Antrag nicht. Das bestehende Problem haben auch Sie nicht gelöst; denn Sie haben in Ihrem Gesetz ja nur die Einzügigkeit festgelegt. Es wäre deshalb sehr schön, wenn Sie einmal von dem Schema: „Der Antrag ist von der FDP, also lehnen wir ihn ab“ abweichen und über das nachdenken würden, was die Länder sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Erwartung, dass Sie den Antrag doch ablehnen, und vor dem Hintergrund, dass ich nicht weiß, ob wir Verkehrspolitiker in den nächsten zwei Sitzungswochen noch gefragt sind, möchte ich darauf hinweisen, dass dieses durchaus meine letzte Rede gewesen sein könnte, weil ich mich, nachdem ich fünf Wahlperioden lang Abgeordneter war, entschlossen habe, nicht wieder zu kandidieren. Sollte ich irgendjemandem in diesem Hause bei meinen zahlreichen Darbietungen zu nahe getreten sein, bitte ich das zu entschuldigen. Es war nie persönlich gemeint, sondern immer an der Sache orientiert. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Beifall beweist es: Die guten Wünsche des gesamten Hauses begleiten Sie. Das Wort hat nun die Kollegin Renate Blank für die Unionsfraktion. ({0})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Horst Friedrich, wir waren seit 1990 gemeinsam im Ausschuss tätig. Zum Abschluss unserer Bundestagstätigkeit muss ich nun leider der FDP widersprechen. ({0}) Ich bin zwar der Meinung, dass sich euer Antrag „Konjunktur jetzt stärken“ in Wahlkampfzeiten gut anhört. ({1}) Er ist aber aus unserer Sicht im Grunde genommen gegenstandslos, weil es sich bei den Maßnahmen in den Konjunkturprogrammen ausschließlich um Projekte handelt, bei denen Baurecht besteht bzw. Baurecht in Kürze zu erwarten ist. Ihr Antrag ist aus unserer Sicht daher überflüssig. Deutschland ist seit 2006 in den Planungen schneller geworden. Diese Feststellung ist zum einen erfreulich, zum anderen aber nicht vom Himmel gefallen. Vielmehr ist sie ein gegen die Widerstände aus der Opposition durchgesetztes Zeichen politischer Glaubwürdigkeit dieser Koalition. Wir haben Wort gehalten und mit dem Ende 2006 nach langer Diskussion verabschiedeten Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben den Koalitionsvertrag umgesetzt. Die Diskussion war langwierig - sie dauerte weit über ein Jahr - und mit vielen Anhörungen verbunden. In diesem Koalitionsvertrag war festgelegt, dass mit einem Planungsbeschleunigungsgesetz die Voraussetzung für eine bundesweit einheitliche Straffung, Vereinfachung und Verkürzung der Planungsprozesse zu schaffen ist. Denn gerade der Faktor Zeit nimmt seit Jahren im internationalen Wettbewerb an Bedeutung stetig zu. Deshalb stellen verkrustete Strukturen gerade im Planungsrecht ein Investitionshemmnis erster Kategorie dar, die einen bedarfsgerechten und vor allem zeitnahen Ausbau der Infrastruktur behindern. Deshalb haben wir gehandelt. Wir reden hier wohlgemerkt über eine Beschleunigung von Jahren, nicht nur von Wochen oder Monaten. Diese schnellere Planung erspart Zeit und Geld. ({2}) Kollege Horst Friedrich, wir haben, was die A 7 betrifft, 30 Jahre gebraucht. So etwas würde mit diesem Gesetz nicht mehr passieren. ({3}) Es waren 30 Jahre: vom Anfang bis zum Ende. Das Gesetz von 2006 gehört daher aus unserer Sicht zu den großen Erfolgen dieser Koalition. Wir haben bestehende Rechtsunsicherheiten beseitigt, Verfahren vereinfacht und beschleunigt. Leistungsfähige Verkehrsund Energieinfrastrukturen sind unbestritten wichtige Standortfaktoren und Voraussetzung für ein produktives und wachstumorientiertes Deutschland. Der vergleichsweise schnelle Aufbau moderner Infrastrukturen in den neuen Bundesländern hat uns doch gezeigt, dass Baurecht auch in ganz Deutschland in angemessenen Zeitabschnitten geschaffen werden kann. ({4}) Zur Erinnerung: Im Straßenbau liegen die Planungszeiten bei circa 2 Jahren. Hinzu kommen noch die Jahre für die Planfeststellung und Genehmigung. Bei Schieneninfrastrukturprojekten beträgt der durchschnittliche Zeitaufwand für das Raumordnungsverfahren circa 6 bis 12 Monate, für die Planfeststellung etwa 12 bis 24 Monate und für die Plangenehmigung circa 6 bis 9 Monate. Ich glaube, das sind im Vergleich zu früher keine schlechten Werte. Im Gesetz von 2006 wurden auch Erleichterungen für Projektzulassungsverfahren unter anderem im Bundesfernstraßenbereich, für die Schienenwege und für den Bereich der Bundeswasserstraßen geschaffen. Eine der vorgenommenen Änderungen betraf die Verkürzung des gerichtlichen Instanzenzuges. Seitdem besteht in Deutschland einheitliches Planungsrecht, ohne die Belange von Bürgerinnen und Bürgern einzuschränken. ({5}) Um zum jetzigen Zeitpunkt belastbare Aussagen zur Handhabung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz treffen zu können, ist der Betrachtungszeitraum noch zu kurz. Natürlich erwarten wir zum gegebenen Zeitpunkt einen Erfahrungsbericht der Bundesregierung, damit wir über die Weiterentwicklung des Kriterienkatalogs und der Vorhabensliste befinden können. Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nachdem Sie sich im Jahr 2006 gegen das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ({6}) und jetzt auch gegen Konjunkturprogramme ausgesprochen haben, ({7}) mangelt es mir an Verständnis für Ihren Antrag. Natürlich schönen Sie Ihre Argumentation, indem Sie verschweigen, dass in den Jahren 2005 und 2006 zahlreiche auf EU-Recht beruhende Regelungen den Prüfungsumfang erheblich erhöht haben. ({8}) Dadurch hat sich im Bereich der Infrastrukturplanung die Dauer der erstinstanzlichen Verfahren allgemein verlängert. Alle Ergebnisse der Anhörung sind damals in das Gesetz einbezogen worden. Die Anhörung hat auch ergeben, dass verfassungsrechtliche Bedenken, nämlich dass der Rechtszug bei bestimmten Projekten auf das Bundesverwaltungsgericht beschränkt wird, nicht gerechtfertigt sind. Deshalb verstehe ich Ihr Argument nicht. ({9}) - Nein, das stimmt nicht, Herr Kollege. Im Jahr 2007 lagen wir bei zwei Monaten und sechs Tagen, im Jahr 2008 bei sieben Monaten und siebenundzwanzig Tagen - wohlgemerkt: Monaten und nicht, wie früher, Jahren. ({10}) Zur Erinnerung: Die tatsächlichen Kosten für den Bau von beispielsweise 1 Kilometer Autobahn belaufen sich auf circa 26 Millionen Euro. Davon entfallen nur rund 25 Prozent auf die reinen Investitionskosten. 19 Prozent werden für begleitende Investitionen in Lärmschutz, in Telematik usw. aufgewandt. Allein die Verwaltungskosten während der Genehmigungsphase machen 35 Prozent der Kosten aus. Auf weitere Behörden und Verbände mit Kostenerstattung sowie auf weitere von öffentlichen Körperschaften getragene Gutachterkosten entfallen 21 Prozent der Kosten. Das konnte nicht so weitergehen. Wir müssen doch auch bei den Planungskosten einsparen. Meine Damen und Herren, Fazit ist, dass Deutschland in den Planungen schneller geworden ist. Wir alle profitieren davon. Mobil bleiben, die Umwelt schonen, Wohlstand sichern: Darum geht es gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise. Den Antrag der FDP halten wir aus den genannten Gründen für unnötig; deshalb lehnen wir ihn ab. Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch ein paar persönliche Worte sagen. Ich scheide im Herbst freiwillig aus dem Parlament aus. Ich will ein bisschen mehr Freizeit haben. Seit 19 Jahren betreibe ich Verkehrspolitik, seit 1998 auch Baupolitik. Es war, auch aufgrund der deutschen Einheit, eine sehr spannende, aber natürlich auch arbeitsreiche Zeit. Ich bedanke mich bei meiner Familie, die meine politische Arbeit immer kritisch begleitet hat. Ich bedanke mich auch bei meinen persönlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der CDU/CSU-Arbeitsgruppe und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusses. Es war immer eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dank geht natürlich auch an die Mitglieder meiner Arbeitsgruppe, die mich - als momentan einziges weibliches Wesen - 19 Jahre lang ertragen haben. Ich glaube, es war nicht verkehrt, dass auch in der Verkehrsarbeitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion eine Frau saß. Ich bedanke mich natürlich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen. Die Zusammenarbeit war immer gut. Die persönliche Zusammenarbeit hat über die Parteigrenzen hinweg reibungslos funktioniert. Ich will noch an Folgendes erinnern: Das Parlament hat auch gegenüber der Bundesregierung manches durchgesetzt. Der letzte Streich war die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure. Ohne das Parlament wäre diese Honorarordnung gestrichen worden. Wir haben - parteiübergreifend - unseren Einfluss geltend gemacht und dafür gesorgt, dass es weiter eine Honorarordnung für Architekten und Ingenieure gibt. ({11}) Ich bedanke mich daher bei allen Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit. Noch einen kurzen Hinweis an die Grünen: Ich habe mich immer bemüht, im Parlament, gerade was die Fach- und Sachpolitik angeht, niemanden zu ärgern. Einmal habe ich mich aber wahnsinnig geärgert und hätte fast die Contenance verloren: als nämlich die Grünen einen Antrag zu weiblicher und männlicher Verkehrspolitik stellten. Da habe ich hier an diesem Rednerpult gesagt: Es gibt keine weibliche oder männliche, es gibt nur eine gute oder schlechte Verkehrspolitik. In diesem Sinne wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode wieder dabei sind, viel Erfolg. Ich wünsche auch, dass Sie im Interesse der Verkehrspolitik gute Arbeit leisten. Ich wünsche mir außerdem von unseren Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, dass die Verkehrspolitik ein bisschen mehr Bedeutung bekommt und die Debatten zu besseren Zeiten stattfinden werden, also nicht immer in den Abendstunden, wo immer sehr viel zu Protokoll gegeben wird. Über die Verkehrs- und Baupolitik muss hier im Parlament breit diskutiert werden. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Blank, die guten Wünsche des gesamten Hauses begleiten Sie. Möge auch Ihr Wunsch nach Freizeit in Erfüllung gehen. Ihre fraktionsübergreifenden Wünsche an die Adresse der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer werden im amtlichen Protokoll des Deutschen Bundestages für die nachfolgenden Generationen der Verkehrspolitiker und Geschäftsführer nachzulesen sein. Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lutz Heilmann das Wort. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! „Es ist etwas faul im Staate Dänemark“, stellte einst der Dänenprinz Hamlet fest. Heute stelle ich fest: Es ist etwas faul im Staate Deutschland. Warum? Im Sommer 1998, also rund 400 Jahre nach Shakespeares Hamlet, schien in Dänemark alles wieder in bester Ordnung zu sein. Da saßen im dänischen Århus viele Vertreter von Ländern zusammen, berieten und unterzeichne24666 ten am Ende die Århus-Konvention, die allen Menschen umfangreiche Rechte im Umweltbereich gewährt. Die durch die Århus-Konvention gewährten Rechte bestehen in der Informationsbeschaffung, in der Beteiligung am Verwaltungsverfahren und in der Möglichkeit, Klage gegen Umweltbeeinträchtigungen zu führen. Damals wurde richtig erkannt: Wer die Umwelt schützen will, braucht Informationen. Wer sie erhalten will, braucht Beteiligungsrechte. Wer Rechte durchsetzen will, braucht den Zugang zu Gerichten. Nun zu Deutschland. Hier haben sich SPD und CDU/ CSU daran gemacht, diese Rechte nicht nur nicht auszubauen, sondern unter dem Deckmantel, die Planungszeiten zu beschleunigen, eher einzuschränken. Die Beschleunigungsgesetze dieser Legislaturperiode, das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, über das wir jetzt diskutieren, und die Beschleunigung im Immissionsschutzrecht sind Beispiele dafür. Nur, meine Damen und Herren, wird hier am falschen Ende Zeit gespart. Statt einer frühzeitigen Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Projekten können sich diese erst sehr spät zu Projekten äußern und sich gegen deren Auswirkungen wehren. Dies führt zu zähen Verhandlungen und langjährigen Gerichtsverfahren. Sie haben nicht verstanden, dass es um eine frühzeitige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger geht. Denn gerade diese steigert die Akzeptanz für Entscheidungen im Infrastrukturbereich. ({0}) Die Akzeptanz einer Entscheidung hängt nicht allein vom Ergebnis ab. Sie hängt davon ab, inwieweit das Verfahren als fair angesehen wurde. Wenn ein Verfahren von den Bürgerinnen und Bürgern als gerecht eingestuft wird, weil sie sich frühzeitig beteiligen konnten und Informationen erhalten haben, dann sind sie unter Umständen mit einem Ergebnis einverstanden, das nicht unbedingt ihre ursprüngliche Meinung widerspiegelt. Einen weiteren Gewinn an Zeit hatten Sie sich - das wurde heute schon diskutiert - durch die eininstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts erhofft. Wie vorhergesehen - die FDP hat das deutlich gemacht ist das Gegenteil eingetreten. Das hat nun auch die FDP erkannt. Ich kann nur sagen: Gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! ({1}) Bleiben Sie aber bitte ehrlich. Auf zwei Seiten in Ihrem Antrag erklären Sie, dass Sie schon vorher von einem Flaschenhalseffekt und einem möglichen Stau beim Bundesverwaltungsgericht gewarnt hätten. ({2}) Das ist aber falsch, lieber Kollege Friedrich. ({3}) Das hat der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts bei der Anhörung deutlich gemacht. Aber Ihr Kollege Mücke hat in seiner Rede zum Planungsbeschleunigungsgesetz betont - ich zitiere -, dass „dieser Verstopfungseffekt“ gar „nicht das eigentliche Kriterium ist, das für uns eine Rolle spielt“. ({4}) Das sind die Worte Ihres Kollegen. Er hat das verfassungsrechtliche Problem und eben nicht den Verstopfungseffekt betont. ({5}) Sie geben immer vor, eine Partei der Bürgerrechte zu sein. Schlagwörter wie „Bürgerfreiheit“, „Demokratie wahren“ und „Rechte stärken“ gehören zu Ihrem alltäglichen Wortschatz. Ihr Kollege hat weiter gesagt - Sie haben das heute noch einmal bestätigt -, dass es richtiger gewesen wäre, beim Verwaltungsverfahrensgesetz anzusetzen, um dort die Änderung und Verkürzung des Planungsrechts einheitlich zu regeln. ({6}) Das heißt letztendlich, dass Sie die ganze Verschlechterung, die die Große Koalition von SPD und CDU/CSU herbeigeführt hat, auf das allgemeine Planungsrecht ausdehnen wollten. Das ist letztendlich das, was Sie erreichen wollten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. ({7}) Das steht der Århus-Konvention und dem entgegen, was Sie tagtäglich in der Öffentlichkeit verbreiten, nämlich der Aussage, dass Sie eine Partei der Bürgerrechte seien. ({8}) Trotz dieser Kritik wird meine Fraktion Ihrem Antrag zustimmen, weil Sie einen wichtigen Punkt dieses grauenvollen Planungsbeschleunigungsgesetzes richtigerweise angreifen. Die Linke bleibt aber bei der Feststellung: Deutschland ist von einer Umsetzung im Geiste der Århus-Konvention meilenweit entfernt. Ich bleibe dabei: Es ist etwas faul im Staate Deutschland. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Peter Hettlich das Wort.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die meisten von Ihnen wissen, dass ich für die nächste Legislaturperiode nicht mehr zur Wahl antreten werde, erspare ich Ihnen jetzt meine AbPeter Hettlich schiedsrede. Ich muss nämlich heute Abend noch einmal ran, wenn wir über den Stand der Deutschen Einheit debattieren, und sehr wahrscheinlich auch noch einmal in der letzten Sitzungswoche. Wir sehen uns hier also in trauter Runde noch einmal wieder. ({0}) Ich hoffe, dass ich dann ebenso wie die Kollegin Renate Blank Gelegenheit bekomme, meine Redezeit zu überziehen. Zum Thema: Wir haben schon in der Ausschusssitzung deutlich gemacht, dass wir den Antrag der FDP voll und ganz unterstützen. Wir haben schon im Gesetzgebungsverfahren immer wieder gesagt, was die unserer Ansicht nach zentralen Fragen sind: die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Århus-Konvention und der Flaschenhalseffekt. Sie alle zitieren aus der Antwort auf die schriftliche Anfrage, die ich an die Bundesregierung gestellt habe. Ich muss das jetzt nicht wiederholen. Ich möchte aber sagen, dass aus den Zahlen eindeutig hervorgeht, dass sich die Anzahl der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht mindestens verdoppelt hat. Das spricht für sich. Dem muss ich nichts hinzufügen. Das scheint nicht der Effekt zu sein, den Sie alle sich erhofft haben. Wenn man fragt, warum Planungsverfahren lange dauern, dann muss man ins Detail gehen. Ich könnte Ihnen jetzt aus der Lamäng über einige Projekte berichten. An der A 14, der A 72 in Sachsen oder der A 143 sieht man, dass es auch andere Ursachen gibt: Es liegt an fehlenden Planungskapazitäten; nach wie vor wird zu viel gleichzeitig geplant; es liegt daran, dass die Länder keine Prioritäten setzen, und daran, dass allen alles versprochen wird, und zwar gleichzeitig und vor allem vor Bundes- und Landtagswahlen. Diese Versprechen muss man nach der Wahl natürlich halten. Dann fängt man irgendwo an zu planen, lässt das Projekt aber liegen, weil die Länder, die die Projekte vorfinanzieren müssen, nicht das notwendige Geld haben. Das ist das Dilemma. Wenn wir über Planungsbeschleunigung sprechen, müssen wir auch über Ehrlichkeit bei den Verfahren sprechen. ({1}) Beim Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz denke ich vor allen Dingen an die ominöse 85er-Liste. Lieber Jörg Vogelsänger, ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, die Ortsumfahrungen in Brandenburg auf diese Liste gesetzt zu bekommen. Die bundespolitische Bedeutung, um in die Projektvorrangliste aufgenommen zu werden, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Vielleicht kannst du mir das nach meinem Ausscheiden aus dem Bundestag einmal bei einem Bier erklären. ({2}) - Ja, das ist vermutlich ein Restant aus der Zeit von Stolpe, der das damals mit hinübergezogen hat. Aus meiner Sicht gibt es noch ein paar ganz andere Faktoren. Wir sprechen hier über Planung, aber überhaupt nicht über den Bau. Wer spricht denn von den Vergabeklagen, die in letzter Zeit häufig erhoben werden? Vergabeklagen sind auch eine Folge von Planung. Es hat beispielsweise mehr als zwei Jahre gedauert, bis der Lückenschluss bei der A 38 in Sachsen-Anhalt fertig war, weil unterlegene Mitbieter zu Recht geklagt haben und Recht bekommen haben, was zur Folge hatte, dass das ganze Vergabeverfahren neu aufgerollt werden musste. Das ist eine Sache, über die hier überhaupt nicht diskutiert wird. Wer spricht denn von der Unterfinanzierung beim Bau? Die A 72 in Sachsen sollte zur Fußballweltmeisterschaft in Deutschland fertig sein. Wie es jetzt aussieht, wird sie nicht einmal zur übernächsten Fußballweltmeisterschaft fertig sein - ich meine nicht die übernächste in Deutschland, sondern in irgendeinem anderen Land -, einfach deswegen, weil das Geld fehlt. Der Freistaat Sachsen hat sein Geld an anderer Stelle ausgegeben. Wir alle wissen, dass das Budget gedeckelt ist und man deswegen mit dem Geld auskommen muss, das man zur Verfügung hat. Wenn man das Geld nicht hat, muss man halt strecken und dehnen. Das gehört eben auch zur Ehrlichkeit beim Bauen von Straßen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP und wir Grünen werden Sie wohl nicht überzeugen und dazu bringen, dass Sie dem Antrag der FDP zustimmen. Aber ich möchte Ihnen noch einmal ins Stammbuch schreiben: Bleiben Sie einfach offen auch für die Argumente von kleinen Oppositionsfraktionen. ({3}) - Überwiegend klein oder temporär klein. - Wir haben vielleicht manchmal nicht diese Scheuklappen wie die Abgeordneten in großen Fraktionen. Ich kann Ihnen übrigens noch etwas ins Stammbuch schreiben: Ein gerade aus Klageverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht recht bekannter Anwalt hat uns gesagt, dass als Folge der Verschärfungen im Bereich der Beteiligung von Bürgern, aber auch durch die Möglichkeit, nur noch an einer Instanz zu klagen, die eingereichten Klagen heute von einer derart hohen Qualität sind, dass man sich beispielsweise beim Bundesverwaltungsgericht manchmal schon fast den Gutachter sparen kann, einfach weil die Würdigung vieler Aspekte schon im Vorfeld vorgenommen wird. Wenn Sie das gewollt haben - okay, ich habe nichts dagegen. Wir sehen ja, dass das Bundesverwaltungsgericht an der Stelle absolut autonom und frei von politischer Einflussnahme entscheidet. Vielleicht gewinnen Sie irgendwann einmal die Erkenntnis, dass Sie mit diesem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz einen Irrweg eingeschlagen haben. Das wäre ja wenigstens etwas. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Konjunktur jetzt stärken - Überlange Planungszeiten verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13120, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11750 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungsfonds“ - Drucksache 16/12662 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) - Drucksache 16/13214 Berichterstattung: Abgeordnete Ute Berg Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/13215 Berichterstattung: Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Volker Kröning Ulrike Flach Anna Lührmann Zu dem Gesetzentwurf, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg für die Unionsfraktionen. ({2})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wie sah die Situation in der deutschen Automobilindustrie, in der Zulieferindustrie und im Kraftfahrzeuggewerbe zum Ende des letzten Jahres und zu Beginn dieses Jahres aus? Wir hatten bei den Kfz-Neuzulassungen im vierten Quartal 2008 einen Rückgang um 23 Prozent zu verzeichnen. Nach den Aussagen des Kraftfahrzeuggewerbes in der Anhörung am 13. Mai 2009 hat sich in den Autohäusern bis Ende Januar nichts bewegt, und die Hoffnung auf Zuwächse im Servicebereich, auch aufgrund der Altersstruktur der Fahrzeuge, hat sich mitnichten erfüllt. Angesichts der Gesamtstruktur der deutschen Automobilindustrie mit 750 000 Beschäftigten, der Zulieferindustrie und des Kfz-Handwerks mit insgesamt 2 Millionen Beschäftigten - das sind rund 5 Prozent der Beschäftigten insgesamt in Deutschland - musste man schon in Sorge sein, dass es zu gravierenden Auswirkungen kommt, wenn der Staat nichts unternimmt. Deswegen war es nach meinem Dafürhalten richtig, dass wir zu Beginn dieses Jahres entschieden haben, eine Umweltprämie für die Verschrottung von Pkws zu zahlen, die älter als neun Jahre sind. Nun hat sich relativ schnell gezeigt, dass der Ansturm wider Erwarten sehr groß ist. Deswegen ist es nach unserer Auffassung geboten, eine Aufstockung vorzunehmen. Gleichzeitig muss man an dieser Stelle deutlich machen: Das sind jetzt 5 Milliarden Euro für 2 Millionen Fahrzeuge. Das muss - jedenfalls nach meinem Dafürhalten - das Ende der Fahnenstange sein. Der BAFA liegen gegenwärtig 1,5 Millionen Anträge vor; für 250 000 davon sind die Prämien bereits ausbezahlt. Jeder kann sich ausrechnen, dass bei kalendertäglich knapp 10 000 Neuanträgen in rund zwei Monaten der Topf leer ist. Wir können, so meine ich, keine weiteren Aufstockungen mehr vornehmen. Wir machen im Rahmen dieser Änderung noch eines: Insbesondere zum Beispiel für Behinderte wird die Frist, innerhalb derer die Zulassung erfolgen muss, von sechs auf neun Monate verlängert werden, um entsprechende Umbaumaßnahmen vornehmen zu können. Am 30. Juni 2010 wird ein Endpunkt gesetzt; spätestens dann muss das Neufahrzeug zugelassen sein. Gleichzeitig ist klar, dass beim zweimillionsten Antrag Schluss ist. Hier besteht Rechtssicherheit, und zwar insofern, als die 5 Milliarden Euro, die Maßgabe des Haushaltes, die Begrenzung darstellen. Ich bin nicht so glaubenshungrig, dass ich der IG Metall in der Anhörung jeden Punkt ihrer Ausführungen zur volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser Umweltprämie geglaubt habe. Aber manches ist nachvollziehbar. Es ist nachvollziehbar, dass die Mehrwertsteuer zurückfließt. ({0}) - Wissen Sie, in dieser kurzen Zeit noch eine Debatte mit 16 Bundesländern zu führen - mit Ländern, in denen eher Premiumklassen gebaut werden, mit Ländern, in denen eher Mini- oder Kompaktklassen gebaut werden, oder Ländern, in denen es gar keine Automobilindustrie gibt, halte ich für abwegig. Hier galt es, schnell zu hanEckhardt Rehberg deln. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben schnell gehandelt. ({1}) Hier fließt also Geld zurück. Mehr als 50 Prozent der Neuzulassungen sind Wagen deutscher Hersteller, insbesondere Opel, Ford und VW. Der Verband der Automobilindustrie hat ausgeführt, dass die Zulieferteile des VW Polo, der in Spanien gebaut wird, zu 60 Prozent von deutschen Zulieferern kommen. Daher zieht das ständig vorgetragene Argument nicht, dass das Geld der deutschen Steuerzahler überwiegend ausländischen Fabrikaten zugutekommt. Ganz im Gegenteil: Wenn Sie ein Zulieferwerk wie das Airbagwerk in Laage besuchen, das im Januar und Februar dieses Jahres massiv Kurzarbeit angeordnet hatte, und Sie sehen, für welche Produkte zugeliefert wird, dann erkennen Sie, dass das Fabrikate sind, die weltweit hergestellt werden. Ich habe ganz bewusst den Begriff Umweltprämie gebraucht, weil die Daten, die uns vorliegen, zeigen, dass mit der Umweltprämie ein Rückgang der CO2-Emissionen in Gramm pro Kilometer um 6 Prozent erreicht wurde. Das liegt auch daran, dass ein neun Jahre altes Auto, das jetzt verschrottet wird, natürlich schlechtere Emissionswerte hat als jedes Auto, das heute gebaut wird. Dass in der Klasse bis 120 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer ein Zuwachs der Neuzulassungen um 100 Prozent und in der Klasse zwischen 120 und 160 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer ein Zuwachs der Neuzulassungen um knapp 50 Prozent erreicht wurde, zeigt, dass von den Verbrauchern insbesondere umweltfreundliche, umweltschonende Autos gekauft werden. Die Anhörung hat auch sehr deutlich gezeigt: Die Umweltprämie trägt mitnichten dazu bei, dass Forschung und Entwicklung in irgendeiner Form zurückgestellt werden. Ganz im Gegenteil: Es wird weiter intensiv geforscht, und die Ausgaben der deutschen Automobilhersteller in diesem Bereich werden eher zu- als abnehmen. Es ist richtig, dass auch die Europäische Investitionsbank Kredite zur Verfügung stellt. Andere Länder haben mittlerweile nachgezogen, weil sie zur Kenntnis genommen haben, dass die Maßnahmen, die wir in Deutschland durchführen, für eine wichtige Industrie eine Brückenfunktion erfüllen. In England werden seit Ende April dieses Jahres sogar 2 000 Pfund Abwrackprämie für ein zehn Jahre altes Auto gezahlt. ({2}) - Es werden 2 000 Pfund gezahlt, 1 000 Pfund vom Hersteller und 1 000 Pfund vom Staat. Das ist ganz simpel. ({3}) Auch in Österreich ist man diesen Schritt gegangen, in Frankreich sogar schon Ende 2008. Auch die Regierungen in China und Japan sowie in Brasilien und Russland setzen sich dafür ein, diese Brückenfunktion im Interesse der Automobilhersteller wahrzunehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass es keine Alternative zur Umweltprämie gegeben hat. ({4}) Die Alternative wäre nämlich gewesen, nichts zu tun. Hätten wir nichts getan, hätte ich gerne einmal die Debattenbeiträge gerade der Linken und der Grünen im Deutschen Bundestag erlebt und gehört, welche Vorwürfe Sie uns dann gemacht hätten. ({5}) - Frau Kollegin, die Stelle, an der wir ansetzen, ist genau die richtige. Es ist auch richtig - das ist die feste Überzeugung der CDU/CSU-Fraktion -, diese 2 500 Euro als Einkommen zu werten und Hartz-IV-Empfänger davon auszuschließen. Mit dem, was Sie in Ihrem Änderungsantrag schreiben, berauben Sie sich Ihrer eigenen Argumente, warum die Umweltprämie kein Einkommen sein soll. Sie wollen nämlich nicht, dass dieses Geld als Einkommen angerechnet wird. Die beschriebene Brücke für die deutsche Automobilindustrie hat nicht nur direkt in der Automobilindustrie, sondern auch weit darüber hinaus Arbeitsplätze gesichert. Deswegen bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede des Kollegen Rainer Brüderle für die FDP- Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat die Kollegin Ute Berg für die SPDFraktion.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Ich bin etwas irritiert, dass ich nicht nach Herrn Brüderle bzw. nicht nach einem Vertreter der FDP rede. Denn ich war eigentlich darauf eingestellt, in meiner Rede all Ihre Vorwürfe und Ihre Fundamentalkritik zurückzuweisen. ({0}) Da ich das nun nicht tun muss, kann ich meine eigenen Argumente vortragen. Allerdings kann ich es der Opposition nicht ersparen, zu Beginn meiner Rede kurz auf sie einzugehen. Ich muss nämlich Ihre Unkenrufe, die Sie im Zusammen- 1) Anlage 26 hang mit der Umweltprämie immer wieder geäußert haben, zurückweisen. Diese Prämie hat sich als hervorragendes Mittel zur Stimulierung der Nachfrage erwiesen. Sie ist genau das, was wir uns von ihr versprochen haben: eine Konjunkturspritze ersten Ranges. ({1}) Das bestätigen die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum ersten Quartal 2009. Während die Wirtschaftsleistung insgesamt in den ersten drei Monaten dieses Jahres gegenüber den letzten Monaten des letzten Jahres um 3,8 Prozent zurückging, wirkt die Binnennachfrage auf die Konjunktur in Deutschland stabilisierend. Der private Konsum ist sogar leicht gestiegen, und zwar um circa 0,5 Prozent. Das liegt zum einen natürlich an der niedrigen Inflationsrate, ist zum anderen aber auch das Ergebnis unserer Konjunkturmaßnahmen, allen voran der Umweltprämie; ({2}) das sage ich ganz bewusst in dem Sinne, in dem es Herr Rehberg bereits ausgeführt hat. Wenn es um Maßnahmen zur Stärkung der Konjunktur geht, verweisen Ökonomen grundsätzlich auf die drei T: Sie müssen timely, targeted und temporary sein. Das heißt, sie müssen schnell wirken, sie müssen gezielt wirken, und sie müssen zeitlich befristet sein. Alle drei Kriterien erfüllt die Umweltprämie. ({3}) - Wenn Sie das meinen, ist das in Ordnung. Befristet müssen solche Maßnahmen nämlich auch sein. Wenn Sie dieses Kriterium befürworten, ist das schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. ({4}) Die von Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagene Prämie hat die Branche spürbar angeschoben. Sie hat viele Händler und Zulieferbetriebe und damit Tausende von Arbeitsplätzen gerettet. ({5}) - Kollege Fricke möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, Sie gestatten die Zwischenfrage. - Herr Fricke, dann haben Sie das Wort.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Kollegin Berg, auch wenn Sie den Kollegen Brüderle sicherlich sehr zu Recht vermissen, möchte ich doch noch etwas ergänzend fragen. Sie haben gerade gesagt, dass die Befristung richtig ist. War eine Verlängerung der Befristung dann falsch, oder war die Verlängerung der Befristung auch richtig? Ich darf Sie auch fragen - das ist mir sehr wichtig -: Kann ich davon ausgehen, da Sie sagen, dass die Befristung gut ist, dass es die Position der SPD ist, die Abwrackprämie nicht über das Ende dieses Jahres hinaus zu verlängern?

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen die drei Fragen, die Sie gestellt haben, gerne beantworten: Ja, die Verlängerung der Befristung war richtig. Ja, wir werden die Prämie nicht über das Jahr 2009 hinaus verlängern. Allerdings werden wir es gestatten, dass bis zum 30. Juni 2010 ausgeliefert wird. Darauf komme ich aber gleich noch zu sprechen. An die dritte Frage in diesem ganzen Kuddelmuddel erinnere ich mich nicht mehr. ({0}) Noch einmal zurück: Durch die von Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagene Prämie wurde die Branche spürbar angeschoben - das hatte ich eben schon gesagt -, und es wurden alle entlastet und Arbeitsplätze gesichert. Vielleicht sollten wir auch einmal andersherum fragen: Was hätte es uns gekostet, wenn wir die Prämie nicht eingeführt hätten? Das ist in unserer Expertenanhörung sehr deutlich geworden: Durch die Prämie werden etwa 200 000 Arbeitsplätze in der Automobilbranche gesichert, die ohne sie weggefallen wären, und die bereits angekündigte Kurzarbeit musste nicht eingeführt werden. Kurzarbeiteranteile oder gar Arbeitslosengeld fallen nicht an. Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge werden weiter bezahlt. Nicht zu vergessen sind die zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer für die zusätzlich verkauften Autos. ({1}) Fazit: Mit der Umweltprämie haben wir dafür gesorgt, dass Steuern fließen und der Staat Geld für die Finanzierung von Arbeit und nicht von Arbeitslosigkeit ausgeben kann. Neben den zusätzlichen Autokäufen, die durch die Prämie nachweislich befördert werden, sind auch - das haben einige leider noch immer nicht verstanden - die vorgezogenen Käufe durchaus eine beabsichtigte Wirkung, die mit der Prämie erzielt werden soll, um das Konjunkturloch im Export jetzt schnellstmöglich abzufedern. Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Änderungsantrag verlängern wir heute auch die Reservierungszeit für die Umweltprämie auf neun Monate. Das haben wir von SPD-Seite aus angeregt, weil einzelne Hersteller nicht innerhalb der zunächst vorgesehenen sechs Monate nach Kaufvertragsunterzeichnung liefern können. Das gilt vor allem dann, wenn Sonderanfertigungen anfallen - Herr Rehberg hat das schon erwähnt -, beispielsweise auch für Menschen im Rollstuhl. Der 30. Juni 2010 - das kann ich Ihnen versprechen, Herr Fricke - ist dann allerdings wirklich das Enddatum. Bis zu diesem Termin müssen dann auch diese Autos ausgeliefert sein. Abschließend noch eine dringende Bitte in Bezug auf die Abwicklung der Prämie. Es sind über 1,5 Millionen Anträge beim Bundesamt für Wirtschaft und AusfuhrUte Berg kontrolle eingegangen. Leider ist die Situation bei der Bearbeitung der Anträge noch sehr unbefriedigend. Viele Käufer sind berechtigterweise verärgert darüber, dass sie auf die Auszahlung der Prämie so lange warten müssen. Uns erreichen inzwischen auch Briefe von Händlern, die ihren Kunden die Prämie vorgestreckt haben und dadurch wirklich in die Bredouille geraten sind. Das BAFA ist deutlich überlastet. Deshalb möchte ich das zuständige Bundeswirtschaftsministerium auffordern, für ausreichend Personal beim BAFA zu sorgen, damit die Leute nicht zu lange auf ihr Geld warten müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Berg, achten Sie bitte auf die Redezeit und das Signal.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum letzten Satz. - Es ist heute ein guter Tag für Automobilhändler, für Beschäftigte und für Kunden, weil wir die Umweltprämie verbessert und ausgebaut haben. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Ulla Lötzer das Wort. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau Berg, ich bleibe dabei: Die Abwrackprämie ist wirtschaftlich fragwürdig, ökologisch unsinnig und sozial ungerecht. ({0}) Sie ist wirtschaftlich fragwürdig, weil die Probleme der Automobilindustrie damit nur in die Zukunft verschoben, aber nicht gelöst werden. Die Verlängerung der Prämie ist doch der erste Beweis dafür, dass Sie die Automobilindustrie zwar an den Tropf gelegt haben. Sie können ihn aber nicht mehr entfernen, ohne den Patienten ganz über die Wupper gehen zu lassen. ({1}) Kollegin Berg, selbstverständlich bestreiten auch wir nicht den kurzfristigen konjunkturellen Effekt. Die Nachfrage wird jetzt europaweit angeheizt. Autokäufe werden vorgezogen. Aber was kommt danach? Unsere Befürchtung ist, dass der Einbruch dann umso stärker und die Situation in der Automobilindustrie umso schlimmer wird. Was ist mit den anderen Branchen? Sie stützen mit der Abwrackprämie einseitig die Automobilindustrie auch auf Kosten von anderen Branchen. Viele, die jetzt ein neues Auto kaufen, sparen dafür an anderen Dingen, oder - was noch schlimmer ist - sie überschulden sich, um das neue Auto bezahlen zu können. Es grenzt schon an Volksverdummung, Herr Rehberg, das Ganze noch als Umweltprämie zu bezeichnen. ({2}) Die Kopplung an die Abgasnorm Euro 4 ist ein Witz. Schließlich gibt es kaum noch ein Fahrzeug, das diese Norm nicht erfüllt. Auch die deutsche Automobilindustrie hat, verschuldet durch Ihre Regierung, die Entwicklung umweltfreundlicher Fahrzeuge und Verkehrssysteme massiv verschlafen. Jetzt zementieren Sie mit der Ausgestaltung der Abwrackprämie diese Entwicklung, statt eine Umkehr einzuleiten. Es ist ein Skandal - das richte ich vor allem an die Kolleginnen und Kollegen der SPD -, dass Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher nach wie vor ausgeschlossen werden. ({3}) Unabhängig davon, dass sie ein falsches Mittel ist, ist diese Vorgehensweise zutiefst diskriminierend und entwürdigend. Deshalb geben wir Ihnen mit unserem Änderungsantrag die Gelegenheit, wenigstens diesen Fehler zu korrigieren. Noch besser wäre allerdings, mit der Anhebung von Hartz IV und mit einem gesetzlichen Mindestlohn eine dauerhafte Kaufkraftstärkung vorzunehmen. ({4}) Ihrer Abwrackprämie setzen wir unseren Zukunftsfonds entgegen. Die Automobilindustrie ist in einer strukturellen Krise. 25 Prozent Überkapazitäten erfordern politische Antworten, die statt eines Strohfeuers einen Strukturwandel einleiten. ({5}) Wir wollen mit Beteiligungen aus dem Industriefonds den sozialen und ökologischen Umbau der Automobilindustrie wie auch anderer Branchen vornehmen. Nur auf diese Weise können auch mittel- und langfristig Arbeitsplätze gesichert werden. ({6}) Die gesamte Branche muss in Richtung umweltfreundlicher Verkehrskonzepte umgebaut werden. Statt eines Strohfeuers wie der Abwrackprämie sollten Sie - das sage ich Ihnen gerade heute - endlich bei Opel damit anfangen, Arbeitsplätze zu sichern. Beteiligen Sie sich mit den Ländern an Opel, statt das Problem auf einen privaten Treuhändler abzuschieben, auf die Insolvenz zu spekulieren, wie es Herr zu Guttenberg permanent tut, oder das unwürdige Geschacher der letzten Nacht fortzusetzen! ({7}) Leiten Sie einen ersten Schritt zu einer Entwicklung ein, aus Opel einen Musterkonzern für umweltfreundliche Verkehrsmittel zu machen! Übernehmen Sie Verantwortung für Steuergelder und Arbeitsplätze bei Opel! Das wäre ein Schritt, um Arbeitsplätze und die Zukunftsfähigkeit der Branche zu sichern. Mit der Abwrackprämie ist das nicht möglich. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Dr. Thea Dückert das Wort. Ich wiederhole meinen Hinweis von vor einer Stunde: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt so zahlreich herbeiströmen, bitte geben Sie auch den letzten beiden Rednern in dieser Debatte die Chance, mit ihren Argumenten zu Ihnen durchzudringen. Wir kommen danach zur namentlichen Abstimmung. Sie haben das Wort.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um die Abwrackprämie offenbart ein sehr großes Jammertal der Großen Koalition, weil Sie sich beständig weigern, zu begreifen, dass in dieser großen ökonomischen Krise und in der drohenden Klimakrise jeder Euro, den wir für Krisenbewältigung ausgeben, so eingesetzt werden muss, dass eine doppelte Dividende erzielt wird. Er muss doppelt in die Zukunft hineinwirken, und zwar ökonomisch und ökologisch. ({0}) Hier werden über 5 Milliarden Euro als Wahlgeschenk verteilt; sie wirken eben nicht als ein Element der Krisenbewältigung. ({1}) Diese Debatte ist zutiefst unehrlich, und dies in dreifacher Hinsicht. Der erste Punkt: Haushaltspolitisch ist dies ein einfacher Taschenspielertrick. Was machen Sie? Sie stocken die Prämie um 3,5 Milliarden Euro auf, aber dieser Betrag taucht im Nachtragshaushalt, der in dieser Woche ebenfalls vorgelegt wird, überhaupt nicht auf. ({2}) Gleichzeitig ist jedoch völlig klar, dass die Auszahlung dieses Geldes eine höhere Verschuldung bedeutet. Die Rechnung werden die zukünftigen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen müssen. Die zweite Unehrlichkeit: Sie reden von Umweltprämie, aber sie ist hinsichtlich des Kaufs eines Neuwagens an kein einziges ökologisches Kriterium gebunden. Es werden keine CO2-Grenzen vorgegeben. Die Erfüllung der Abgasnorm Euro 4 als Kriterium ist der große Witz, der schon angesprochen wurde. Die genannte Norm läuft in diesem Jahr aus. Ab 1. September 2009 gilt die Abgasnorm Euro 5. Sie legen hier ein veraltetes Kriterium zugrunde und behaupten noch, dies belege die ökologische Orientierung. Das ist nichts als ein schlechter Witz. ({3}) Sie fördern auch kaum Elektroautos, höchstens mit ganz geringen Mitteln. Sie verweisen darauf, dass andere Länder eine ähnliche Prämie haben. An Ihrer Stelle, Herr Rehberg, wäre ich da ganz still, weil kein anderes Land auf jegliche ökologische Lenkungswirkung verzichtet hat. Jedes andere Land hat die Prämie an die Erfüllung ökologischer Kriterien gekoppelt, nur Deutschland nicht. Meine Damen und Herren, Sie behaupten, der Umwelteffekt erzielte sich quasi von allein, weil neue Autos besser sind als alte. Dafür führen Sie als Beweis an, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß bei Neuwagen in diesem Jahr gesunken sei. Aber auch hier argumentieren Sie wieder unehrlich; denn in diesem Jahr gab es einen Einbruch vor allen Dingen bei Premiumwagen. Weil der Durchschnitt der Abgasemissionen bezogen auf die gesamte Flotte berechnet wird - das sagen Sie eben nicht -, ergibt sich völlig automatisch als statistischer Effekt, dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß sinkt, wenn die dicken Autos nicht mehr nachgefragt werden. Das hat aber überhaupt nichts mit technologischer Entwicklung zu tun, sondern mit einem konjunkturbedingten Einbruch auf einem Teil des Marktes. Das ähnelt der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Storchflug und Geburtenrate; nichts anderes ist das. ({4}) Die dritte Unehrlichkeit in Ihrer Argumentation betrifft die angeblich nachhaltige konjunkturelle Wirkung. In der Anhörung ist Ihnen dargelegt worden, dass die Abwrackprämie einen Mitnahmeeffekt von 75 Prozent hat. Das bedeutet, dass auf ein neu gekauftes Auto drei Autos kommen, die auch ohne die Prämie gekauft worden wären. Somit werden durch die Abwrackprämie von 2 500 Euro für ein neues Auto insgesamt 10 000 Euro Subventionen losgetreten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Dückert, achten Sie bitte auf die Zeit?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist eine Milchmädchenrechnung - ich achte auf die Zeit -, die Sie uns hier vorgelegt haben. Gerade aufgrund dessen behauptet kein einziger Ökonom in der Bundesrepublik, der nicht der Autolobby zugerechnet werden kann, dass hieraus ein nachhaltiger ökonomischer Effekt hinsichtlich der Kaufkraft resultiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Dückert, Sie sind weit über die Zeit.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Alle seriösen Ökonomen sagen, es handele sich um ein Strohfeuer, das nicht nachhaltig sei. Es ist eher ein nachhaltiger Offenbarungseid der Regierung. ({0}) Ich danke Ihnen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich vor der Sitzung davon überzeugt, dass nach der Bundesversammlung alle Stühle wieder in den Plenarsaal gebracht wurden. Wir haben zugegebenermaßen nicht alle Tische zur heutigen Sitzung herbeischaffen können. Aber für jeden Kollegen und jede Kollegin ist ein Sitzplatz vorhanden. Ich bitte Sie, auch dem letzten Redner in dieser Debatte die notwendige Aufmerksamkeit zuzuwenden und Ihre Plätze vor den Abstimmungen einzunehmen. Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin für die SPDFraktion. ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Thea Dückert, Sie haben davon gesprochen, dass der Fonds ein Beweis für das Jammertal sei. Ich finde es tragisch, dass die Grünen genauso wie die Linkspartei - auf die FDP müssen wir heute in dieser Debatte verzichten - nur jammern, anstatt einmal, auch gegenüber der deutschen Öffentlichkeit, zum Ausdruck zu bringen, dass hier ein effektives Instrument gefunden worden ist, das Arbeitsplätze sichert und Kurzarbeit in den betroffenen Betrieben verhindert. ({0}) Es wird nur gejammert! ({1}) Hier werden Pappkameraden aufgebaut, als ob es bei diesem Instrument darum ginge, die gesamte Industriegesellschaft neu auszurichten. Darum ging es bei diesem Instrument von Anfang an nicht. Vielmehr ist dieses Instrument dafür da, die Nachfrage in der Automobilindustrie und bei den Zulieferern, die sich im Dezember auf einem Tiefpunkt befand, anzukurbeln. Genau dieses Ziel des Maßnahmenpaketes ist erreicht worden. Wir reden heute über eine Aufstockung, weil die Menschen entgegen den Prognosen vieler gerade von Ihnen zitierten Ökonomen und Professoren, die wir in allen Talkshows sehen, anders entschieden haben. Sie haben gesagt: Das ist ein Instrument, das mir den Kauf eines Neuwagens ermöglicht. Deswegen nehme ich dieses Instrument in Anspruch. - Wir sollten daher nicht auf die Prognosen von Professoren setzen, sondern zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen entschieden haben, dieses Instrument in Anspruch zu nehmen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Sie versuchen seit einiger Zeit, sich quasi als Gewerkschaftspartei zu gerieren. ({3}) Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, Folgendes zur Kenntnis zur nehmen: Ich wohne an einem Automobilstandort und habe dort in den letzten Jahren als Sozialdemokrat viele spannende Diskussionen mit der IG Metall geführt. Wenn Sie in der Anhörung, die wir in der letzten Woche durchgeführt haben, gut zugehört haben, dann muss Ihnen klar sein: Die IG Metall war zusammen mit Frank-Walter Steinmeier und anderen der Urheber der Abwrackprämie und steht voll und ganz dahinter. Deswegen stehen Sie hier völlig im Abseits. Das wissen die Kolleginnen und Kollegen auch. ({4}) Es gibt eine Reihe von Vorurteilen. So heißt es, es gebe nur Vorzugseffekte. Man muss zur Kenntnis nehmen - das besagt jede Untersuchung -, dass sehr viele Menschen, die sich von altem Gebrauchtwagen zu altem Gebrauchtwagen gehangelt haben und nie einen Neuwagen gekauft hätten, nun Neukunden geworden sind. Es gibt des Weiteren das Vorurteil des Missbrauchs. Diesen haben wir durch entsprechende Regelungen sehr schnell in den Griff bekommen. Was die ökologische Lenkungswirkung angeht, liebe Thea Dückert: Wir wollen nicht darüber reden, dass man vielleicht hätte mehr machen können. Neben der Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2Ausstoß bedarf es vieler weiterer Instrumente, um in diesem Bereich voranzukommen. Trotzdem darf man nicht negieren, dass ein zehn Jahre altes Auto im Schnitt 182 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt, während ein jetzt gekauftes Auto im Schnitt 155 Gramm CO2 ausstößt. Das entspricht einer Senkung von 15 Prozent. Deswegen ist der Begriff „Umweltprämie“ richtig. Wir sollten das nicht kleinreden, sondern in den Mittelpunkt stellen. ({5}) Abschließend: Es ist so viel von den Nebenwirkungen der Abwrackprämie die Rede. Es ist richtig: Es gibt in der Tat auch Nebenwirkungen. Es gibt Bereiche - ich nenne zum Beispiel die Gebrauchtwagenhändler -, in denen es jetzt Probleme gibt. Das wird überhaupt nicht bestritten. Aber das Ziel war es, die Kurzarbeit und die Entlassung von Menschen in der Automobilindustrie zu verhindern. Dieses Ziel ist erreicht worden. Wer einen Brand löschen will und nur über die Wasserschäden spricht, der geht an dem Thema vorbei. Deswegen ohne Wenn und Aber: Diese Abwrackprämie ist ein Erfolg gewesen ({6}) und wird es auch weiterhin sein. Die Aufstockung der Abwrackprämie ist richtig, und deswegen werden wir jetzt mit Ja stimmen. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge- setzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungs- fonds“. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/13214, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12662 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13228? - Die Gegenstimmen! - Ent- haltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stim- men der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- nen mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi- tion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun auf Verlan- gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind jetzt alle Ur- nen besetzt? - Das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröffnet. Bevor ich die Abstimmung schließe, gebe ich be- kannt, dass es Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gibt, und zwar der Kolleginnen und Kollegen Steffen Kampeter, Dr. Stephan Eisel, Dr. Axel Berg, Gitta Connemann und Josef Göppel.1) Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis geben wir später bekannt.2) Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13229? - Wer ist dagegen? - Enthaltun- gen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt, bei Zustimmung durch die einbringenden Fraktion; die Ko- alitionsfraktionen haben dagegen gestimmt, Bündnis 90/ Die Grünen und die Fraktion Die Linke haben sich ent- halten. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Nešković, Ulla Jelpke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 1) Anlagen 21 bis 24 2) Siehe Seite 24676 C Teilhabe ermöglichen - Kommunales Wahl- recht einführen - Drucksache 16/13165 - b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({0}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - Drucksache 16/6628 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 16/13033 Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Wellenreuther Rüdiger Veit Hartfrid Wolff ({3}) Josef Philip Winkler c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Katrin Kunert, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen - Drucksachen 16/5904, 16/13033 Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Wellenreuther Rüdiger Veit Hartfrid Wolff ({5}) Josef Philip Winkler Über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5904 werden wir später wiederum namentlich abstimmen. Für die Debatte ist eine halbe Stunde verabredet. - Da sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort gebe ich an die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. ({6})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unserem Antrag zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige möchten wir heute in diesem Parlament vor allen Dingen NichtEU-Bürgerinnen und -Bürgern eine Chance geben und endlich die Ungleichbehandlung von Nicht-EU-Bürgern und EU-Bürgern aufheben. In der Bundesrepublik Deutschland leben circa 6,7 Millionen Menschen nicht deutscher Staatsangehörigkeit, von denen 4,6 Millionen nicht aus den Ländern der Europäischen Union stammen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer dieser Drittstaatenangehörigen beträgt 17 Jahre und ist im europäischen Vergleich überdurchschnittlich lang. Dem demokratischen Grundsatz, dass die Betroffenheit von der Staatsgewalt der Anknüpfungspunkt für die Wahlberechtigung ist, wird durch den Ausschluss der Drittstaatenangehörigen vom kommunalen Wahlrecht nicht Genüge getan. Diese fehlende Möglichkeit einer Beteiligung am Kernstück einer Demokratie, an den Wahlen, also das fehlende Wahlrecht, stellt ein erhebliches Demokratiedefizit dar, dem wir Abhilfe schaffen wollen, indem wir diesen Menschen die Möglichkeit geben, an den Wahlen teilzunehmen. ({0}) - Ich komme zu diesem Punkt noch. Die Mehrheit der europäischen Länder erkennt neben EU-Bürgerinnen und -Bürgern auch Drittstaatenangehörigen ein Wahlrecht auf lokaler Ebene zu. In ganzen 16 Ländern der Europäischen Union gibt es bereits ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige. Ich finde, Deutschland - die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Kanzlerin Merkel sprechen vom „Integrationsland Deutschland“ - sollte mit der Ungleichbehandlung aufhören und diesen Menschen aus Drittstaaten die Möglichkeit geben, an den Wahlen teilzunehmen. ({1}) Was bedeutet aber dieses Abstrakte, diese 4,6 Millionen Menschen, konkret? Ich möchte Ihnen das erklären. Eine Nachbarin aus meinem Wahlkreis, Aylin K., ist 46 Jahre alt, hat zwei Kinder. Sie ist im Ausländerbeirat, engagiert sich im Elternverein vor Ort, engagiert sich im Sportverein für ihre Kinder und engagiert sich natürlich auch kommunalpolitisch. Weil sie aber nicht EU-Bürgerin ist und weil sie keine deutsche Staatsangehörige ist, ({2}) darf sie nicht auf kommunaler Ebene an den Wahlen teilnehmen. ({3}) Ein anderer, der seit drei Monaten in demselben Viertel in derselben Stadt wohnt und die Unionsbürgerschaft hat, darf dort an den Wahlen teilnehmen. Ich finde, es ist ungerecht, ({4}) wenn jemand, der sich in der Stadt engagiert, in der er seit 30 Jahren lebt, nicht an den Wahlen teilnehmen kann, aber jemand, der drei Monate dort lebt, an den Wahlen teilnehmen kann. Diese Ungerechtigkeit muss beendet werden. ({5}) Herr Grindel, Sie haben gesagt: Warum sind die nicht eingebürgert? Sollen sie sich doch einbürgern! ({6}) Wenn Sie und andere das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige mit dem Verweis ablehnen, die Migrantinnen und Migranten könnten doch durch Einbürgerung gleiche Rechte erlangen, dann ist das angesichts der Einbürgerungszahlen wirklich zynisch und heuchlerisch. ({7}) Der Rückgang seit 2000, seit der Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, beträgt nämlich ganze 50 Prozent. Gegenüber 2000 kann bzw. will jetzt nur noch die Hälfte aller Menschen eingebürgert werden. In der Regierungszeit der Großen Koalition, 2006 bis 2008, ist die Einbürgerungszahl um circa 22 Prozent gesunken. Da kann die Integrationsbeauftragte noch so viel von Willkommenskultur schwafeln oder auch fabulieren, ({8}) Ursache für den dramatischen Rückgang sind die gezielten Verschärfungen im Einbürgerungsrecht. Deshalb kann man die Menschen nicht darauf verweisen, sie sollten sich doch einbürgern lassen, wenn man ihnen immer wieder den Weg dorthin erschwert hat. Zudem verweise ich noch einmal auf die 16 Länder in der Europäischen Union, die das kommunale Wahlrecht für die Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger eingeführt haben. ({9}) Die massiv rückläufigen Einbürgerungszahlen sind gerade ein weiteres Argument für die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige, weil wir verhindern wollen, dass es in Deutschland demokratiefreie Zonen gibt, weil in Stadtteilen immer größere Bevölkerungsteile nicht wählen dürfen. Ferner wollen wir vermeiden, dass es in den kommunalen Stadträten, in den kommunalen Parlamenten eine Legitimationskrise gibt, weil sie von 30 Prozent der Bevölkerung in einer Stadt gar nicht gewählt werden können, obwohl diese 30 Prozent mit den Entscheidungen, die diese kommunalen Parlamente treffen, leben müssen. Ich möchte ganz bewusst etwas an die Adresse der SPD sagen: Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass mehrere Politikerinnen und Politiker der SPD gerade in der letzten Zeit gegenüber türkischsprachigen Medien sagen, dass sie das kommunale Wahlrecht einführen wollen. ({10}) Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Jetzt, wenn Sie hier reden, werden Sie darauf verweisen, dass der Koalitionspartner das nicht möchte. ({11}) Deshalb könne man das nicht einbringen, ({12}) und deshalb könne man das nicht beschließen. Ich erinnere mich daran, dass im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 die SPD Nein zu der „MerkelSteuer“ gesagt hat und dann mit der CDU/CSU eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozent beschlossen hat. ({13}) Wenn Sie das nicht wollen, der politische Wille also nicht da ist, dann sagen Sie das ehrlich. Seien Sie nicht zynisch und heuchlerisch und gehen vagabundieren und sagen: „Wir wollen das kommunale Wahlrecht“, obwohl Sie die Chance nicht nutzen, im Bundestag ein Zeichen zur Förderung der demokratischen Kultur und eines gesellschaftlichen Konsenses zu setzen, den es bereits gibt. Vielen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungsfonds“ bekannt: Abgegeben wurden 534 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 397 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 132 Abgeordnete; es gab 5 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 534; davon ja: 397 nein: 132 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Andreas Jung ({7}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Eckart von Klaeden Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({12}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Katherina Reiche ({15}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Willy Wimmer ({24}) Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Petra Bierwirth Lothar Binding ({26}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({27}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({28}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({29}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({30}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Eike Hovermann Christel Humme Johannes Jung ({33}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Waltraud Lehn Helga Lopez Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({35}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({36}) Michael Müller ({37}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({40}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({42}) Silvia Schmidt ({43}) Heinz Schmitt ({44}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({45}) Swen Schulz ({46}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({47}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({48}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Nein CDU/CSU Gitta Connemann Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Michael Fuchs Josef Göppel Friedrich Merz Peter Rzepka Christian Freiherr von Stetten Klaus-Peter Willsch SPD Dr. Axel Berg Dr. Wolfgang Wodarg FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({49}) Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({50}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Dr. Erwin Lotter Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({51}) Cornelia Pieper Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({52}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Diana Golze Heike Hänsel Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Ulrich Maurer Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({53}) ({54}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({55}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({56}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({57}) Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({58}) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth ({59}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Enthalten SPD DIE LINKE Werner Dreibus Klaus Ernst Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion. ({60})

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir debattieren heute über die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts. Den Befürwortern geht es dabei um die Integration der seit Jahren hier lebenden Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. Im Kern geht es ihnen aber um das Prinzip „Integration durch Wahlrecht“. Für unsere Fraktion hat das Thema Integration in der Großen Koalition eine ganz besonders entscheidende Rolle gespielt. Die Union mit der Kanzlerin hat sich hier an die Spitze der Bewegung gesetzt. ({0}) Dabei wurden vier entscheidende politische Weichenstellungen vorgenommen: Erstens. Die Integration wird durch Staatsministerin Böhmer aus dem Kanzleramt heraus geleitet. Zweitens. Mit dem Nationalen Integrationsplan setzen wir erstmals in einem Gesamtkonzept auf echte Partnerschaft mit den Migranten. ({1}) Drittens. Innenminister Schäuble hat die Deutsche Islam-Konferenz ins Leben gerufen. Wir führen damit den Dialog mit dem Islam in Deutschland. ({2}) Klar ist natürlich, dass Integrationswille und Erlernen der deutschen Sprache dabei Grundvoraussetzungen sind. Viertens. Mit der Novelle des Zuwanderungsrechts ist nunmehr der Nachzug ausländischer Ehegatten an Grundkenntnisse der deutschen Sprache gekoppelt. ({3}) Konkret bietet der deutsche Staat Zuwanderern deshalb Sprachkurse und nachfolgende Orientierungskurse an. Sie vermitteln Kenntnisse über die Grundlagen des deutschen Staates, der deutschen Geschichte und der deutschen Gesellschaft. Sie schaffen die notwendigen Voraussetzungen, um Bildungschancen und Angebote auf dem Arbeitsmarkt nutzen, den Einbürgerungstest bestehen und schlussendlich die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben zu können. Wie wichtig wir Integration nehmen, zeigt auch der symbolische Akt am 12. Mai. Da haben Migrantinnen und Migranten erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ihre Einbürgerungsurkunde im Kanzleramt erhalten. ({4}) Verbunden ist damit die eindeutige Einladung an viele weitere Migranten, sich einbürgern zu lassen. Das alles macht ganz deutlich: Wir haben Integration zu einer nationalen Aufgabe erhoben. Entscheidend ist also, dass wir uns intensiv um eine gelungene Integration bemühen und nicht so tun, als ob infolge der Gewährung des Wahlrechts Integration funktioniere. ({5}) - Genau, Herr Veit. Das Wahlrecht bildet das Kernstück der politischen Beteiligung in einer Demokratie. Das ist einer der wenigen richtigen Sätze im Antrag der Linken, Frau Dağdelen. Wie so oft ziehen Sie falsche Rückschlüsse. Die richtige Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist, dass das Wahlrecht einer Integration nachfolgen muss und nicht an deren Anfang stehen darf. ({6}) Nur wer sich nach einer gelungenen Integration zu unserem Land, zu unserer Werteordnung, zu unserem Grundgesetz bekennt und sich deshalb einbürgern lässt, kann auch mit das größte Privileg unserer Demokratie, das Wahlrecht nämlich, für sich in Anspruch nehmen. ({7}) - Dazu komme ich gleich, Herr Winkler. Es ist vollkommen falsch, so zu tun, als seien Migranten ohne Wahlrecht von unserer Gesellschaft ausgeschlossen. Die gesellschaftliche Teilhabe vollzieht sich durch das Zusammenleben in den Städten und Stadtteilen, durch das Mitwirken in Vereinen und Verbänden und bei öffentlichen Veranstaltungen. Migranten bereichern unser soziales Leben, indem sie ihre Traditionen, Bräuche und Kultur pflegen. Unser Land lebt von der Vielfalt der Menschen, die hier wohnen. Dem widerspricht es in keiner Weise, das Privileg des Wahlrechts an die Einbürgerung zu knüpfen. Trotzdem haben wir uns intensiv mit den politischen und rechtlichen Fragen des kommunalen Ausländerwahlrechts auseinandergesetzt. So war es im Koalitionsvertrag beschlossen. Wir haben diesen Beschluss insbesondere mit der Sachverständigenanhörung im letzten Herbst auch erfüllt. ({8}) Aus dieser Expertenanhörung habe ich für mich und für unsere Fraktion den Schluss gezogen, Herr Veit, dass eine Änderung des Art. 28 Grundgesetz wodurch auch Drittstaatenangehörigen die Möglichkeit eines kommunalen Wahlrechts eingeräumt werden soll, wegen eines Verstoßes gegen Art. 20 Grundgesetz verfassungswidrig ist. ({9}) In Deutschland wird die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung ausgeübt. Dieses Prinzip der Volkssouveränität gehört unstrittig, meine ich, zu den Grundsätzen des Art. 20 Abs. 2, wonach das Staatsvolk die Staatsgewalt innehat, zu Grundsätzen, die durch die Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 geschützt sind. ({10}) Dieses Staatsvolk wird nach einer unter den Sachverständigen und Rechtsgelehrten stark vertretenen Auffassung von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 gleichgestellten Personen gebildet und nicht durch die Gesamtheit der auf Dauer hier lebenden Bevölkerung. ({11}) Die Eigenschaft als Deutscher ist also der Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zum Volk im Sinne des Art. 20 als Träger der Staatsgewalt, die wiederum durch Wahlen ausgedrückt wird. ({12}) - Dazu komme ich gleich. - Wer Deutscher ist, kann der Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht regeln. Der sogenannten Herrschaft in Deutschland unterworfen zu sein, sich an Gesetze halten zu müssen und Steuern zu zahlen, ist allerdings kein Kriterium. ({13}) Das Gleiche gilt für die Ebene der Länder, der Städte und der Gemeinden. Auch dort wird die Staatsgewalt nur vom Volk, das heißt, den deutschen Staatsangehörigen, ausgeübt, die die jeweilige Vertretung zu wählen haben. Jetzt komme ich zu Ihrem Einwand. Auf kommunaler Ebene besteht tatsächlich eine Ausnahme. EU-Bürger genießen seit 1992 eine Sonderbehandlung und haben einen anderen Status. Das hat allerdings nicht mit einer angeblich unerträglichen und ungerechten Ungleichbehandlung zu tun und ist ebenso wenig skandalös, sondern ist im Auftrag der europäischen Integration, der schon seit 1949 in der Präambel des deutschen Grundgesetzes steht, begründet. ({14}) Genau das und nur das hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil aus dem Jahre 1990 erwähnt. Bezogen auf Drittstaatenangehörige hat das Bundesverfassungsgericht keine entsprechende Äußerung gemacht. ({15}) Insoweit schafft Art. 23 des Grundgesetzes eine ganz besondere Legitimationsgrundlage für ein kommunales Wahlrecht für EU-Ausländer. ({16}) Deshalb liegt darin gerade auch kein Verstoß gegen Art. 3; denn - das haben Sie, Herr Grindel, vorhin schon eingeworfen - es gilt der alte Rechtsgrundsatz, wonach man Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln muss. Die beabsichtigte Grundgesetzänderung ist auch nicht schon deshalb tolerabel, weil es ja allein um die kommunale Ebene gehe und das damit nicht so schlimm sei. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich entschieden, dass Kommunen gegenüber den Ländern und dem Bund keine Sonderstellung genießen. Die Ausübung der Staatsgewalt in Kommunen ist genauso Ausübung von Staatsgewalt wie jede andere auch. Deshalb benötigen wir für die Ausübung von Staatsgewalt eine einheitliche Legitimationsgrundlage, nämlich die Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk. ({17}) Selbstverständlich besteht ein Menschenrecht auf politische Teilhabe; auch dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits ausgesprochen, und zwar als Auftrag an den jeweiligen Staat. Nur hat es auch gesagt, dass der Weg, den unsere Verfassung vorzeichnet, um diesen Anspruch einzulösen, der Weg über die Einbürgerung ist. Die Verleihung des politischen Mitbestimmungsrechtes ist die Krone der Einbürgerung. So haben es die Sachverständigen formuliert. ({18}) - Was soll denn Einbürgerung, Frau Dağdelen, sonst noch bedeuten? Gerade der Akt der Einbürgerung macht den Unterschied aus: Durch ihn wird man vom bloßen Mitglied der Zivilgesellschaft zum Mitglied der politischen Gemeinschaft. ({19}) Im Gegensatz zu den Befürwortern des kommunalen Ausländerwahlrechts hält unsere Fraktion die Integration für einen Prozess, an dessen Ende die Erteilung des Wahlrechts steht, geknüpft an die Verleihung der Staatsbürgerschaft. Zum Ende möchte ich noch auf den Einwand eingehen, dass sich aus der „Betroffenheit durch Staatsgewalt“ angeblich ein kommunales Wahlrecht ableiten lasse. Auch dieses Argument ist meines Erachtens schief und unpassend. Unstreitig am meisten betroffen sind nämlich Drittstaatenangehörige durch die bundesgesetzlichen Regelungen des Ausländerrechtes. Deshalb würde sich danach, wenn schon, insgesamt ein Wahlrecht ableiten lassen. Dass dies nicht unserem Grundgesetz entspricht und verfassungswidrig wäre, habe ich vorhin schon ausgeführt. ({20}) Das Bundesverfassungsgericht hat klargemacht, dass es mit dem Begriff des Volkes durchgängig das deutsche Volk meint, definiert über die Staatsangehörigkeit, und nicht die mitbetroffenen Anwesenden auf deutschem Staatsgebiet. ({21}) Meine Damen und Herren, ebenso wenig Maßstab für die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts kann die Tatsache sein, dass 16 EU-Staaten ein solches Wahlrecht gewähren. Im Übrigen zeigen gerade die Zahlen aus Dänemark oder Holland, dass dieses kommunale Wahlrecht nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung führt, sondern eher das Gegenteil der Fall ist. ({22}) Das heißt also, die Verleihung eines kommunalen Wahlrechts führt dort offenbar gerade nicht zu einer stärkeren politischen Teilhabe. ({23}) Zusammenfassend ist zu sagen, Frau Dağdelen: Es sprechen sowohl politische als auch rechtliche Argumente gegen die vorgeschlagene Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts. Wir als CDU/CSU-Fraktion lehnen daher die Anträge ab und werden uns weiterhin mit besten Kräften dafür einsetzen, dass Integration in unserem Land gelingt. ({24}) Herzlichen Dank. ({25})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Sibylle Laurischk ist die nächste Rednerin für die Fraktion der FDP. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Partizipation am demokratischen Prozess ist ein Eckpfeiler unserer Demokratie. Das aktive und passive Wahlrecht ist ein zentrales Bürgerrecht. In Wahlen bringen die Bürger ihre Meinung und ihren Willen zum Ausdruck. Wahlen sind die notwendige Rückkopplung des einzelnen Bürgers an die politisch Handelnden. Es sollten sich also möglichst viele Menschen aktiv wie passiv an Wahlen beteiligen können. In Deutschland ist dies Deutschen ab dem 18. Lebensjahr uneingeschränkt möglich. Zusätzlich sind Bürger aus den EU-Ländern bei Kommunalwahlen stimmberechtigt und wählbar. Dem steht gegenüber, dass Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern in der Kommune zwar die gleichen Pflichten wie alle Mitbürger haben, aber nicht mitbestimmen dürfen. Wieder stellt sich die Frage, ob das Wahlrecht am Anfang oder am Ende des Integrationsprozesses stehen soll. Die FDP ist der Meinung, dass die Gewährung eines kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländer grundsätzlich ein sinnvoller Schritt auf dem Weg zu einer gelungenen Integration sein kann. ({0}) Allerdings sind eine bestimmte Aufenthaltsdauer und die Integration in die Gesellschaft erforderlich. Dann kann das kommunale Wahlrecht eine Ermutigung sein, den Weg über eine gelungene Integration zur Einbürgerung zu gehen. ({1}) Ein erster Schritt kann dabei sein, ein Mitentscheidungsrecht auf kommunaler Ebene ausgeübt zu haben. Es ist ein Zeichen an die Migranten, dass sie als Bürger einer Stadt oder einer Gemeinde dazugehören sollen und ernst genommen werden. ({2}) Dies scheint mir sogar der wichtigste Aspekt bei dieser Diskussion zu sein. Nur wer ein echtes Mitbestimmungsrecht hat, ist auch anderweitig an der Entwicklung der Gesellschaft interessiert, in der er dieses Recht hat und ausübt. Exemplarisch ist die traditionell niedrige Wahlbeteiligung bei den Europawahlen im Vergleich zu den Bundestagswahlen. Viele Menschen sehen offenbar zu wenig Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen der EU. Gerade als Zuwanderungsland brauchen wir eine offene Haltung gegenüber Zuwanderern, die wir für die Weiterentwicklung dieses Landes brauchen. Menschen, die zu uns kommen, brauchen ein klares Signal, dass sie willkommen sind. ({3}) Ein solches Signal kann das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer sein. Allerdings können wir das kommunale Wahlrecht auch nicht verschenken. ({4}) Beim vorliegenden Gesetzentwurf sind die Hürden zur Gewährung des kommunalen Wahlrechts so gering gesetzt, ({5}) dass es keine Prüfung mehr darstellt, ob die Betreffenden sich tatsächlich als Bürger ihrer Kommune verstehen, in der sie leben und für ihre Mitbürger wirken wollen. ({6}) Wir lehnen daher den vorliegenden Antrag und den Gesetzentwurf ab. Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der meiner Meinung nach bei der Diskussion über die Beteiligung von Zuwanderern an den kommunalen Wahlen leicht übersehen wird, nämlich die Beteiligung von Aussiedlern. Wir haben zurzeit in verschiedenen Bundesländern Kommunalwahlen. Es ist festzustellen - ich weiß das in meiner kommunalpolitischen Praxis -, dass sich gerade Deutsche, die aus dem Gebiet der Russischen Föderation zugewandert sind, zu wenig an kommunalen Wahlen beteiligen. Das ist meiner Ansicht nach ein Problem, das wir auch ansprechen müssen, wenn wir über die Möglichkeit sprechen, Zuwanderern das kommunale Wahlrecht zu gewähren. Wir als Parteien sind gefordert, die Menschen, die zu uns kommen, aufzufordern, zu kandidieren und sich an den Wahlen auf der ersten Ebene, den kommunalen Wahlen, zu beteiligen. Ich glaube, dass wir in diesem Bereich noch zu wenig Anstrengungen unternehmen. Hier können wir ein wichtiges Signal setzen. Wir alle sind aufgefordert, in der nächsten Legislaturperiode in der Frage des kommunalen Wahlrechts endlich eine Lösung zu finden und es in breitem Konsens einzuführen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Klaus Uwe Benneter ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir von der SPD-Fraktion haben vollstes Verständnis für das, wofür die Linken und auch die Bündnisgrünen eintreten. Die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländer ist schon lange ein Anliegen von uns Sozialdemokraten; da gab es weder die Grünen noch die Linken. ({0}) Warum wir den Vorlagen heute dennoch nicht zustimmen können, hat Frau Kollegin Dağdelen schon ausgeführt. Wir haben einen Koalitionspartner, der trotz langen Drängens und trotz aller Versuche in den Koalitionsvereinbarungen nicht mitgemacht hat. ({1}) Warum, das ist eben vorgetragen worden. ({2}) Vielleicht noch einmal kurz zu dem rechtlichen Argument, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Dies ist ja vom Bundesverfassungsgericht dahin gehend interpretiert worden, dass es nur um das deutsche Volk gehe. Zum Glück haben wir einen Künstler gefunden, der uns hier im Hof vor Augen hält, dass wir mehr sind als nur das deutsche Volk, dass eigentlich die ganze Bevölkerung gemeint ist. ({3}) Darum geht es: Hier sollte nicht nur das deutsche Volk vertreten sein - dies gilt erst recht in den Kommunen -; vielmehr ist die ganze Bevölkerung zur Teilhabe und damit zur Mitsprache und zur Mitentscheidung aufgerufen. Wir haben nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verfassung an dieser Stelle korrigiert: Wir haben EU-Ausländern das kommunale Wahlrecht eingeräumt. Das ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Situation, als das Bundesverfassungsgericht darüber zu entscheiden hatte. Ich denke, wir haben hier ein klares Signal gesetzt. Mir fehlt aber jegliche Argumentation, einen Unterschied zu machen zwischen einem Portugiesen, der, wenn er wenige Wochen seinen Wohnsitz hier hat, mitwählen darf, und einem Norweger, der dieses Recht nicht hat, auch wenn er schon zehn Jahre hier wohnt. ({4}) Wenn es um die Entscheidung zum schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht geht, muss man hinzufügen, dass das Bundesverfassungsgericht klargemacht hat, dass ein Landesgesetzgeber Derartiges nicht entsprechend regeln könne. Deshalb gehen der Gesetzentwurf der Grünen und die Anträge der Linken, den Bundesgesetzgeber aufzufordern, das in der Verfassung und einzelgesetzlich zu korrigieren, in die richtige Richtung. ({5}) Von denen, die ihre latente Fremdenfeindlichkeit immer ein bisschen mitschwingen lassen, ({6}) kommt immer das Argument, die Ausländer könnten jederzeit wieder nach Hause gehen; sie müssten ja nicht wie wir Deutschen hier am Ort verharren. ({7}) Man könne ihnen kein kommunales Wahlrecht geben, weil sie von der deutschen Politik nicht dauerhaft betroffen seien. Ich meine, dass von den Kindergartenbeiträgen, die in der Kommune beschlossen werden, wie von den Schlaglöchern auf den Straßen der Kommune alle gleichermaßen betroffen sind, egal ob Nicht-EU-Ausländer, EU-Ausländer oder Deutsche. ({8}) Es ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein Grundanliegen, dass endlich erkannt wird, dass es auch eine Frage der Menschenwürde - Art. 1 unseres Grundgesetzes - ist, wie wir mit diesen Menschen umgehen. ({9}) Die Union schämt sich nicht einmal, die Symbolshow, die im Kanzleramt zur Einbürgerung veranstaltet wird, als gutes Beispiel für Integration vorzuführen. ({10}) Also wirklich! Wenn Sie in Sachen Einbürgerung etwas tun wollen, dann schaffen Sie endlich die Optionsregelung ab und geben Sie den Leuten die Möglichkeit, ihre Staatsbürgerschaft zu behalten. ({11}) Das ist es, was wir meinen, wenn wir sagen, dass wir nicht dauernd neue Gipfel brauchen, sondern konkrete Verbesserungen für die Menschen. ({12}) Das ist besser als Sonntagsreden, das ist konkrete Integration. ({13}) Wenn es um das kommunale Wahlrecht geht, sage ich: Man muss mitentscheiden können, was vor der eigenen Haustür passiert. ({14}) Diese Form der Teilhabe ist ein Menschenrecht. Ich habe schon darauf hingewiesen: Durch Teilhabe wird die Bereitschaft gesteigert, sich einzubringen und mitzuwirken. Dadurch wird ein neues Zugehörigkeitsgefühl geschaffen. Insofern sind wir alle aufgerufen, die guten Beispiele für Integration, die es in Schweden und in den Niederlanden gibt, aufzugreifen. Auch das sollte man sich merken: Dort gibt es nicht nur ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer, dort gibt es auch die meisten Einbürgerungen. Das heißt, das Wahlrecht befördert die Einbürgerungsbereitschaft und kommt unseren Integrationsbemühungen entgegen. Wir wollen die Leute nicht draußenhalten; diesen Eindruck bekommt man von der CDU/CSU. Wir wollen sie integrieren. Wir wollen sie bei uns haben, und wir wollen, dass sie sich hier möglichst zugehörig und zu Hause fühlen. Daher brauchen wir das kommunale Wahlrecht. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Benneter, der Applaus gibt mir Gelegenheit, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter zulassen.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Genosse Benneter! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das ist kein unparlamentarischer Ausdruck. Das muss ich nicht rügen.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich hoffe, Sie bekommen mit Ihrem Koalitionspartner jetzt nicht zu viel Ärger. Nun zu meiner Frage. Ich habe Ihrer wohlwollenden Rede zum Kommunalwahlrecht sehr genau zugehört. Sie haben ausgeführt, dass das Kommunalwahlrecht ein jahrelanges Anliegen der Grünen sei. Ich erinnere mich aber, dass Rot-Grün in der letzten und vorletzten Legislaturperiode an der Regierung war. ({0}) Wenn das tatsächlich ein Anliegen von Rot-Grün war, interessiert mich, warum es nicht durchgesetzt wurde. ({1}) Ich erinnere mich, dass die PDS im Jahre 1998 in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten war. Wir hätten dem damals natürlich zugestimmt. ({2})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie wissen ganz genau, dass die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1990 gefällt wurde. Wir haben das Wahlrecht für EUAusländer erst später eingeführt. Das halte ich für einen ganz wesentlichen Punkt. Heute wäre es möglich, ein solches kommunales Wahlrecht auch sozusagen gegen den Wortlaut der ursprünglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in die Verfassung einzubringen. ({0}) Insofern muss man akzeptieren, dass sich zwischen 1990 und 2009 überall etwas getan hat. ({1}) Nachdem wir den Beitrag von Frau Laurischk gehört haben, können wir sicher sein, dass wir nach der Bundestagswahl die ausreichende Mehrheit in diesem Hause haben werden, um einen wichtigen und konkreten Schritt für die Integration von Nicht-EU-Ausländern zu machen und das kommunale Wahlrecht auch für sie durchzusetzen. ({2}) Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Insofern können wir das heute als Vorbereitung begreifen. Wir müssen deutlich machen, dass CDU und CSU an dieser Stelle immer wieder latent versuchen, ihre Fremdenfeindlichkeit zum Ausdruck zu bringen. ({3}) Das müssen wir hier einmal ganz deutlich machen. Sie versuchen immer, mit unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Wahlkampf zu machen. ({4}) Lassen Sie das! Wir werden die Mehrheit dagegensetzen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe zunächst dem Kollegen Kauder zu einer Kurzintervention das Wort.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Benneter, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion direkt angesprochen haben. ({0}) Ich muss sagen: Aus der Sicht eines Koalitionspartners ist es schon unhaltbar, was Sie hier abgeliefert haben. ({1}) Ich weise Ihre Aussage, dass man fremdenfeindlich ist, wenn man Ihrem Vorschlag nicht folgt, in aller Form zurück. Das war eine böse Entgleisung, die Sie sich hier geleistet haben, Herr Benneter. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Benneter zur Antwort, bitte schön.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kauder, den Zusammenhang, den Sie geschildert haben, habe ich so nicht hergestellt. ({0}) Ich habe davon gesprochen, dass ich es - nach meinem Empfinden - als latente Fremdenfeindlichkeit empfinde, ({1}) wenn hier immer, gerade in Wahlkämpfen, der Versuch unternommen wird - wir versuchen die Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland zu integrieren, ({2}) ihnen die gleiche Menschenwürde und das gleiche Menschenrecht auf Teilhabe in Deutschland zu gewähren -, in dieser Art und Weise gegenzuhalten. In diesen Zusammenhang habe ich das gestellt. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich erteile als Nächstem dem Kollegen Josef Winkler für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass die eben so gelobte Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, die es nicht für nötig befunden hat, der Debatte beizuwohnen, inzwischen eingetroffen ist. Herzlich willkommen! ({0}) Ich habe es jetzt ein bisschen schwer, weil die schlimmsten Beschimpfungen alle schon gekommen sind: Zynisch! Heuchlerisch! Fremdenfeindlich! - Nun gut. ({1}) Wer dauerhaft in Deutschland lebt, soll ({2}) demokratisch mitbestimmen dürfen. Deshalb setzen wir von Bündnis 90/Die Grünen uns für ein kommunales Ausländerwahlrecht ein. ({3}) Herr Kollege Grindel, weil Sie immer sagen, man solle sich einbürgern lassen, muss ich Ihnen sagen: Sie wirken halt ein bisschen abschreckend. ({4}) Manche wollen nicht mit Ihnen die Staatsbürgerschaft teilen. Es wird immer eine gewisse Minderheit geben, die das so sieht. ({5}) Bereits im Jahre 1986 stellte der heutige Bundesverfassungsrichter Brun-Otto Bryde die grundlegende Frage, ob unsere Demokratie auf Dauer einen erheblichen Teil ihrer Wohnbevölkerung von demokratischer Partizipation ausschließen kann. Unsere Antwort hierauf ist ganz eindeutig: Nein. ({6}) In Deutschland lebende Franzosen, Spanier und Polen dürfen bereits an den Wahlen zu Stadt- und Gemeinderäten teilnehmen. Wer aber einen türkischen, vietnamesischen oder amerikanischen Pass hat, hat in der Kommunalpolitik bisher kein Stimmrecht. Frau Kollegin Laurischk, wir sehen natürlich eine Mindestaufenthaltsdauer vor. Das Wahlrecht soll nur für diejenigen gelten, die ein Daueraufenthaltsrecht besitzen, und dafür muss man bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Um die bestehende Ungleichbehandlung zu verändern, ist eine Änderung des Art. 28 des Grundgesetzes erforderlich. Wir haben einen entsprechenden Vorschlag präsentiert. In der Anhörung, Herr Kollege Wellenreuther, die Sie erwähnt haben, befanden Sie sich mit der Position, die Sie vertreten haben, absolut in der Minderheit. Das hätten Sie eben ehrlicherweise hinzufügen können. ({7}) Dass wir nicht sehenden Auges verfassungswidrige Gesetzentwürfe einbringen, davon dürfen Sie zunächst einmal ausgehen. Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der vom Bundesrat bereits 1987 beraten wurde. Auch in dieser Legislaturperiode liegt eine gleichlautende Bundesratsinitiative meines Heimatlandes Rheinland-Pfalz vor. Diese haben wir aufgegriffen. Sie werden doch wohl nicht im Ernst behaupten wollen, dass mein Landesvater, Kurt Beck, ein Antidemokrat ist, der die Verfassung nicht achtet. ({8}) - Klatschen Sie ruhig, meine Damen und Herren von der SPD. Gleich haben Sie keine Gelegenheit mehr dazu. ({9}) Herr Kollege Benneter, Sie haben Bemerkenswertes gesagt. Im Innenausschuss haben Sie eine Rede gehalten, die den Tenor hatte: Wir finden Ihren Gesetzentwurf super, aber wir lehnen ihn trotzdem ab. Das ist für mich ein bisschen zu dialektisch. Als Krankenpfleger bin ich nicht so ausgebildet wie Sie als Genosse, aber das ist in meinen Augen unlogisch. ({10}) Noch ulkiger wird es, wenn man sieht, dass Sie ein solches kommunales Wahlrecht in Ihrem Bundestagswahlprogramm versprechen. Es tut mir leid. Ich glaube, das Versprechen nimmt Ihnen niemand ab. ({11}) Jetzt zur FDP: In der Anhörung hat Ihr Sachverständiger, der ehemalige Bundesminister Schmidt-Jortzig, die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts für zulässig erklärt. Sie haben eben begründet, dass Sie da keinen Widerspruch sehen, aber eine Mindestaufenthaltsdauer fordern. Sie versprechen in Ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl die Einführung eines solchen Wahlrechts auf der Ebene der Kommunen, hier aber stimmen Sie gegen einen gut begründeten Gesetzentwurf und zwei Anträge. Das nimmt Ihnen auch niemand aus der betroffenen Bevölkerungsgruppe ab. ({12}) Integration ist mehr als nur Sprachförderung. Es geht um eine gleichberechtigte Teilhabe für die Menschen, die hier eine Heimat gefunden haben. Das kommunale Wahlrecht fördert die Identifikation mit unserem Gemeinwesen und sorgt damit für mehr Integration. Herr Kollege Wellenreuther, Sie hatten es eben für nötig befunden, darauf hinzuweisen, in zwei der 16 EUStaaten, die das kommunale Wahlrecht eingeführt haben, sei die Wahlbeteiligung in dieser Bevölkerungsgruppe - salopp gesagt - nicht so doll. Insgesamt haben es aber 16 Staaten eingeführt. Es wird einen Grund dafür geben, dass Sie die anderen 14 Staaten nicht erwähnt haben. Damit haben Sie sich in Ihrer Argumentation quasi selbst überführt. ({13}) Außerdem wollen wir keine Wahlpflicht, sondern ein Wahlrecht. Integration kann auf verschiedenen Wegen gelingen. Beim einen gelingt Integration dadurch, dass er sich am Ende eines langen Prozesses einbürgern lässt, während ein anderer aus verschiedensten Gründen, die man nachvollziehen kann oder nicht, eine fremde Staatsangehörigkeit behalten und gleichwohl den Rest seines Lebens in unserem Land verbringen möchte. Wir wollen das ermöglichen und sind der Meinung, dass man sich trotz Beibehaltung der anderen Staatsbürgerschaft in unserem Gemeinwesen auf kommunaler Ebene engagieren können soll, nicht auf weiteren Ebenen, Herr Kollege Benneter. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13165 mit dem Titel „Teilhabe ermöglichen - Kommunales Wahlrecht einführen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die übrigen Fraktionen haben den Antrag abgelehnt. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Grundgesetzes ({0}). Der Innenaus- schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt auf Drucksache 16/13033, den Gesetzentwurf der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6628 ab- zulehnen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Ver- langen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Damit Sie sich darauf einstellen können, weise ich darauf hin, dass wir später noch eine weitere namentli- che Abstimmung durchführen werden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be- setzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das nicht die Gelegenheit hatte, seine Stimme abzugeben? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Ab- stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.1) Wir setzen die Abstimmungen fort. Es geht um die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Druck- sache 16/13033. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5904 mit dem Titel „Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehö- rige einführen“. Wir stimmen über die Beschluss- empfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze erneut einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? - Ich schließe die Ab- stimmung. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer erneut, mit der Auszählung zu beginnen. Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP Vereinbarung über Zusammenarbeit in Ange- legenheiten der Europäischen Union ist einzig- artig in Europa - Auslegungsfragen müssen geklärt, noch bestehende Defizite beseitigt werden - Drucksache 16/13169 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Manuel Sarrazin, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1) Ergebnis Seite 24690 A 2) Ergebnis Seite 24688 A Zwei Jahre Europa-Vereinbarung - Bundesregierung muss ihre Verpflichtungen unverzüglich vollständig erfüllen - Drucksachen 16/12109, 16/13205 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Stübgen Michael Roth ({2}) Dr. Diether Dehm Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache, indem ich das Wort dem Kollegen Michael Roth für die SPD gebe. ({3})

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind heute zusammengekommen, um eine Zwischenbilanz eines für den Deutschen Bundestag großen Erfolgsprojekts zu ziehen, nämlich der Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir können zu Recht stolz auf diese Vereinbarung sein. Sie ist gut für Deutschland, und sie ist gut für Europa, weil sie die parlamentarische Legitimation des europäischen Gesetzgebungsprozesses stärkt. Sie wird offensichtlich auch von den nationalen Parlamenten vieler anderer Staaten als gut bewertet, die sich in den vergangenen Monaten und Jahren mit uns in Verbindung gesetzt haben, um uns zu fragen: Wie habt ihr das erreicht? Wie sieht die konkrete Umsetzung aus? - Es ist hilfreich, dass wir uns immer wieder darüber verständigen, was aus dieser Vereinbarung werden kann und werden muss. Es ist festzustellen: Hier bestehen nicht die klassischen Spannungsverhältnisse zwischen der Mehrheitsfraktion oder den Mehrheitsfraktionen einerseits und der Opposition andererseits, sondern es besteht ein klassisches Spannungsverhältnis zwischen dem Deutschen Bundestag als Ganzem auf der einen Seite und der Bundesregierung auf der anderen Seite. Diesem Spannungsverhältnis müssen wir gerecht werden. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, die bereit sind, das hohe Maß an Geschlossenheit, das ich für notwendig erachte, auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Ich bedaure sehr, dass die geschätzten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen nicht bereit waren, diesen Schritt der Gemeinsamkeit mitzugehen. Beispielhaft möchte ich drei Defizite ansprechen - ich bin allerdings sehr optimistisch, dass wir diese drei Defizite nach der Klarstellung durch ein Schreiben der Bundesregierung werden beheben können -: Erstens haben wir es nunmehr hoffentlich geschafft, dass die Herstellung des Einvernehmens, die als Bemühenszusage seitens der Bundesregierung in der VereinbaMichael Roth ({0}) rung festgelegt wurde, durch ein verbindliches Verfahren geregelt wird und wir damit die Unklarheiten, die sich aus der etwas vagen Formulierung der Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung ergeben haben, beheben können. ({1}) Der zweite Aspekt ist die Unterrichtung durch die Arbeitsgruppen des Rates. Das Auswärtige Amt hat uns vor einigen wenigen Jahren selbst mitgeteilt, dass 100 von 141 Ratsarbeitsgruppen im sogenannten Hauptstadtformat tagen. Dahin gehend erwarte ich, dass die Unterrichtung spätestens in der nächsten Legislaturperiode im Sinne des Deutschen Bundestages verbindlich geregelt wird. In dem Schreiben der geschätzten Kollegen der Bundesregierung wird davon gesprochen, dass man hier mittel- bis langfristig eine Regelung treffen wird. Das ist mir zu wenig. ({2}) - Ich suche schon ständig. Sie sind gar nicht da. ({3}) - Das ist schade, aber wir schätzen die beiden Kollegen trotzdem. ({4}) Drittens - hier bin ich auch den Mitstreitern der FDP dankbar, dass sie noch einmal den Finger in die Wunde gelegt haben - geht es uns insbesondere um eine bessere Unterrichtung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Hier ist uns nunmehr eine indikative Vorausschau zugesagt worden. Das kann hilfreich sein, weil wir alle wissen, dass die parlamentarische Dimension auf EU-Ebene im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik leider noch am schwächsten ausgeprägt ist. Hier ist eine starke Einbeziehung der nationalen Parlamente, vor allem auch des Deutschen Bundestages, wichtig und hilfreich. ({5}) Natürlich sind die Verhandlungen und die Gespräche zwischen uns und der Bundesregierung niemals einfach, weil natürlich jeder seine Verantwortung wahrzunehmen hat. Ich sage aber allen Skeptikern, die leider nicht nur in der Bundesregierung sitzen: Die BBV hat uns geholfen, vor allem auch bei unseren Verhandlungen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. ({6}) Ich bin mir sicher, dass das ein ganz wichtiges Argument für die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts dafür war, die demokratische Legitimation auch durch den Deutschen Bundestag beim Vertrag von Lissabon als garantiert anzusehen. ({7}) Deswegen ist die Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung eine Chance für mehr Europa. Sie stärkt unsere Rolle und ist damit auch eine Hilfe für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht auch alsbald eine Entscheidung treffen wird. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind besser geworden, aber wir sind noch nicht gut genug. Deswegen hoffe ich, dass dieser Zwischenbilanz, die wir heute hier ziehen, immer wieder weitere Zwischenbilanzen, Evaluationen, Kontrollen und gemeinsame Gespräche folgen. Ich möchte mich dabei ausdrücklich auch bei denjenigen bedanken, die uns hinter den Kulissen helfen, zum Beispiel auch bei dem neu eingerichteten Europareferat der Bundestagsverwaltung. Ich habe den Eindruck, dass nicht nur wir als Europapolitiker, sondern auch die Fachausschüsse mehr einbezogen werden und dass die Informationen, die wir auch von den Kolleginnen und Kollegen Mitarbeitern in Brüssel erhalten, hilfreich für unsere Arbeit sind. Zum Schluss will ich mich - mir sei das gestattet auch noch einmal ausdrücklich bei einem unserer Mitarbeiter bedanken, der uns am Samstag in Richtung Vereinigte Staaten von Amerika leider verlassen wird, nämlich bei Christoph Thum. Er ist einer der Mitarbeiter, die über Fraktionsgrenzen hinweg sicherlich ein hohes Ansehen genießen. Er hat auf der Mitarbeiterebene sehr dazu beigetragen, dass diese BBV parlamentsfreundlich formuliert worden ist. Ich bedauere, dass er uns für vier Jahre verlässt. Ein guter Europäer wird aber sicherlich auch in den Vereinigten Staaten von Amerika gebraucht. Ich wünsche ihm alles Gute. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich möchte Ihnen jetzt zunächst die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Erstens. Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Katrin Kunert, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen“ - es geht um die Drucksachen 16/5904 und 16/13033 -: abgegebene Stimmen 528. Mit Ja haben gestimmt 442, mit Nein haben gestimmt 84. Es hat 2 Enthaltungen gegeben. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 528; davon ja: 443 nein: 83 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Eckart von Klaeden Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({14}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({17}) Andreas Schmidt ({18}) Ingo Schmitt ({19}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({20}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({21}) Gerald Weiß ({22}) Karl-Georg Wellmann Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({23}) Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({24}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({25}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({27}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({28}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Christel Humme Johannes Jung ({32}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Waltraud Lehn Helga Lopez Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Gerold Reichenbach Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({40}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({41}) Silvia Schmidt ({42}) Heinz Schmitt ({43}) Olaf Scholz ({44}) Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({46}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({47}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({49}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({50}) Cornelia Pieper Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({51}) fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Nein DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Ulrich Maurer Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({52}) ({53}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({54}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({55}) Thilo Hoppe Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Sylvia Kotting-Uhl Markus Kurth Undine Kurth ({56}) Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({57}) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth ({58}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler SPD Dr. Reinhold Hemker Christel RiemannHanewinckel Christoph Strässer Enthalten SPD Ottmar Schreiner Dr. Wolfgang Wodarg Zweitens. Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({59}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({60}). Es geht um die Drucksachen 16/6628 und 16/13033. Hier wurden abgegeben 531 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 88, mit Nein haben gestimmt 438. Es gab 5 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 531; davon ja: 88 nein: 437 enthalten: 6 Ja SPD Dr. Lale Akgün Dr. Reinhold Hemker Josip Juratovic Christel RiemannHanewinckel Christoph Strässer DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Heike Hänsel Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Ulrich Maurer Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Paul Schäfer ({61}) ({62}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({63}) Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({64}) Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({65}) Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({66}) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth ({67}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({68}) Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({69}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Anke Eymer ({70}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({71}) Dirk Fischer ({72}) Axel E. Fischer ({73}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({74}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Andreas Jung ({75}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({76}) Eckart von Klaeden Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({77}) Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({78}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({79}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Carsten Müller ({80}) Stefan Müller ({81}) Dr. Gerd Müller Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({82}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({83}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({84}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({85}) Andreas Schmidt ({86}) Ingo Schmitt ({87}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({88}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({89}) Gerald Weiß ({90}) Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({91}) Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({92}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({93}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({94}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Angelika Graf ({95}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({96}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({97}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({98}) Frank Hofmann ({99}) Eike Hovermann Christel Humme Johannes Jung ({100}) Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({101}) Waltraud Lehn Helga Lopez Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({102}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Detlef Müller ({103}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dr. Erika Ober Thomas Oppermann Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({104}) Michael Roth ({105}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({106}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({107}) Silvia Schmidt ({108}) Heinz Schmitt ({109}) Olaf Scholz ({110}) Swen Schulz ({111}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({112}) Hildegard Wester Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({113}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({114}) Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({115}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({116}) Cornelia Pieper Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({117}) fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Enthalten SPD Karin Kortmann Markus Meckel Michael Müller ({118}) Marlene Rupprecht ({119}) Ottmar Schreiner Dr. Wolfgang Wodarg Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich erteile dem Kollegen Markus Löning für die FDP-Fraktion das Wort. ({120})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, was mich mehr mit Misstrauen erfüllen soll. Der erste Punkt ist das Lob, das wir vonseiten der SPD für die FDP hören. Dafür bedanke ich mich in aller Form; darüber freue ich mich sehr. ({0}) Denn ich muss ganz ernsthaft feststellen, dass es uns und auch mir persönlich in dieser Legislaturperiode ein großes Anliegen war, dass sich der Deutsche Bundestag in Sachen der Europäischen Union und bei der Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union deutlich nach vorne bewegt hat. Ich will uns nicht selber auf die Schulter klopfen, aber ich glaube, die FDP hat in dieser Legislaturperiode ein Stück dazu beigetragen, dass auch die Koalitionsfraktionen, die das eine oder andere Mal zum Jagen getragen werden mussten, jetzt die Rechte des Parlamentes sehen. Sie müssen eingefordert und kodifiziert werden, aber sie müssen selbstverständlich auch umgesetzt werden. Wir brauchen den politischen Willen - selbstverständlich auch in der jeweiligen Regierungsmehrheit -, dass die Rechte, die das Parlament hat, auch wahrgenommen werden. ({1}) Der zweite Punkt, der mich ein bisschen misstrauisch macht, ist, dass aus dem Auswärtigen Amt jetzt gar keiner zuhören mag. ({2}) - Es mag sein, dass sie auswärts sind. - Aber wir alle wissen, wie schwer es dem Auswärtigen Amt insbesondere bei der Frage der Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundestag gefallen ist. Das ist in der BBV eindeutig geregelt. Da gibt es kein Zurück. Es ist klar, dass vor der nächsten Vertragsverhandlung und vor der nächsten Erweiterungsverhandlung das Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag hergestellt werden muss. Es tut mir leid, wenn dann von der Bundesregierung Briefe kommen, die zumindest in diesem Punkt aus meiner Sicht windelweich formuliert sind. Wir sollten als Bundestag ganz klar sagen: Wir lassen uns Rechte, die wir haben, nicht durch windelweiche Briefe wieder absprechen. Der Bundestag ist zu beteiligen. Bei Vertragsverhandlungen und Erweiterungsverhandlungen ist Einvernehmen herzustellen. Davon ist an dieser Stelle kein Jota abzustreichen. ({3}) Wir werden es bald schon in der Frage Island erleben. Dann wird sich die Frage stellen, inwieweit Einvernehmen hergestellt wird. Ich halte es auch für ein Gebot der politischen Klugheit, zu sagen: „Wir binden euch Volksvertreter, die ihr am Ende des Prozesses das Ergebnis ratifizieren müsst, von Anfang an ein; wir reden mit euch über den Verhandlungsgegenstand und die Eckpunkte der Verhandlungen, und wir stellen ein Einvernehmen her.“ Das erleichtert den politischen Prozess ungemein, und es ist ein hoher Gewinn an Transparenz. Einen Gewinn an Transparenz brauchen wir in europäischen Angelegenheiten ganz bestimmt. Die Rechte, die der Deutsche Bundestag aus der BBV hat und die letztlich auf Art. 23 des Grundgesetzes fußen, sind auch Verpflichtungen. Wir haben Informationsrechte, die deutlich ausgebaut worden sind und die wir für unsere Arbeit brauchen. Aber wir sollten in Zukunft Art. 23 auch als Verpflichtung verstehen, dass wir uns als Vertreter des deutschen Volkes frühzeitig um die demokratische Kontrolle von Rechtsetzung auf europäischer Ebene kümmern. Nur wenn wir dies tun, werden wir die nötige Transparenz herstellen. Nur wenn wir Rechtsetzungsvorhaben im Plenum, in den Ausschüssen und in öffentlichen Anhörungen debattieren, wird die deutsche Öffentlichkeit über Pläne und Gesetzgebungsvorhaben informiert werden. Nur dann werden wir auch in der europäischen Politik ausreichend Transparenz und Öffentlichkeit herstellen. Das wird unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag sein. Es wird auch die Aufgabe der Kolleginnen und Kollegen in der nächsten und der übernächsten Legislaturperiode sein, diese Dinge ganz herausragend in die Öffentlichkeit und in die politische Debatte zu tragen, solange sie in der Planungsphase sind. Es geht nicht an, erst am Ende, wenn die fertige Richtlinie hier ankommt, darüber zu meckern, dass schon wieder eine Richtlinie komme, die umgesetzt werden müsse, obwohl man nichts mehr tun könne. Diese Zeiten sind aufgrund der BBV vorbei. Wir sollten die Rechte und Pflichten, die uns daraus erwachsen, in Zukunft noch erheblich ernster nehmen. ({4}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum Schluss noch sagen: Die Forderung, diese Rechte ernst zu nehmen, richtet sich an jeden einzelnen Fachabgeordneten. Sie richtet sich nicht nur an die Kollegen aus dem Europaausschuss. Vielmehr ist es im Wesentlichen die Aufgabe der Kolleginnen und Kollegen in den zuständigen, den federführenden Fachausschüssen, dass sie Informationen, die vorliegen, wahrnehmen und in den politischen Prozess einführen, damit rechtzeitig aufgenommen wird, welche politischen Debatten und welche Entwürfe es in Brüssel gibt, was die Kommission plant, was im dortigen Parlament und im Ministerrat debattiert wird. Obwohl die Kolleginnen und Kollegen in den Fachausschüssen dies inzwischen teilweise sehr gut machen, bin ich der Auffassung, dass es noch den einen oder anderen Nachholbedarf gibt. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Stübgen hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bemühe mich, eine ebenso gute Rede wie beim letzten Mal zu halten, wie der Kollege von den Grünen gerade gesagt hat. Die Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union - so heißt dies sehr technisch - ist seit drei Jahren in Kraft. Seitdem hat sich, was europapolitische Arbeit des Bundestags betrifft, sehr viel geändert. Ich bin der Überzeugung: Diese Vereinbarung hat sich nachhaltig bewährt. Wir können feststellen, dass bezüglich der Informationsrechte und Mitwirkungsrechte eines nationalen Parlaments in europapolitischen Angelegenheiten eine solche Vereinbarung in der Europäischen Union bislang singulär ist. Es erfüllt mich auch mit einem gewissen Stolz, dass viele nationale Parlamente in der Europäischen Union unsere Vereinbarung zugrunde gelegt haben, um selbst stärkere Mitwirkungs- und Informationsrechte in europapolitischen Angelegenheiten zu bekommen. Das heißt, wir haben hier vor drei Jahren einen sehr richtigen Weg beschritten. Darauf sollten wir auch stolz sein. Selbstverständlich handelt es sich bei den genannten Angelegenheiten um sehr komplexe Bereiche. Deswegen gab es, wie jeder von uns noch in Erinnerung hat, bei der Umsetzung der Vereinbarung hinsichtlich bestimmter Erfordernisse Auslegungsprobleme, einerseits innerhalb des Bundestages, andererseits vor allen Dingen zwischen Bundestag und Bundesregierung. Teilweise ist es notwendig, darüber nachzudenken, wie man die praktische Umsetzung effizienter gestalten kann. Ebenso haben wir festgestellt, dass teilweise schlicht einiges fehlt, was notwendig ist. Für alle drei Dinge gibt es Beispiele. Wir haben deshalb sinnvollerweise vor zwei Jahren damit begonnen, einen Monitoring-Prozess einzuleiten. Das heißt, das Europareferat PA 1 der Bundestagsverwaltung erstellt jährlich einen Monitoring-Bericht, in dem es analysiert, auf welchen Gebieten die Vereinbarung funktioniert und bei welchen Punkten es Defizite gibt. Der zweite Monitoring-Bericht, der im Oktober letzten Jahres vorgelegt wurde, stellte fest, dass sie in weiten Teilen funktioniert, und zwar besser als noch ein Jahr zuvor. Dennoch kristallisierten sich drei Defizite schwerpunktmäßig heraus; wir haben begonnen, zu versuchen, diese Probleme zu lösen. Leider - das hat schon der Kollege von der SPD gesagt - sind die Grünen mit einem Schnellschuss ausgeschert, indem sie einen eigenen Antrag gestellt haben; das Wahljahr lässt grüßen. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben in bewährter Zusammenarbeit mit der FDP versucht, auch in der Auseinandersetzung zu Lösungen zu kommen, teilweise auch im Streit mit der Bundesregierung. Diese Lösungen liegen jetzt in unserem Antrag vor, ebenso bereits in einem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Hintze und des Staatsministers Gloser mit Zusicherungen für verändertes Verhalten der Bundesregierung in bestimmten Dingen. Ich glaube, dass es erfolgreich ist. Ich kann nicht mehr auf die drei wesentlichen Punkte eingehen. Ich will nur einen Punkt herausgreifen. Das folgende Beispiel zeigt, dass wir im Umsetzungsprozess weiter an und mit dieser Vereinbarung arbeiten müssen. Als wir 2006 diese Vereinbarung ausgehandelt haben, war mir persönlich als federführendem Verhandler der CDU/CSU-Fraktion zum Beispiel nicht klar, dass keine Vertreter unserer Ständigen Vertretung an den Sitzungen der Ratsarbeitsgruppen - damals waren es 150; mittlerweile sind es wohl 250 bis 350 - teilnehmen. Da so keine Berichte verfasst werden können, können bei uns auch keine ankommen. Solche Berichte sind nicht als Erfordernis in der Vereinbarung enthalten. Deswegen haben wir bisher keine Informationen über die Ratsarbeitsgruppen. Wir haben es nun mit der Zusicherung der Bundesregierung geschafft, dass wir zunächst in den sogenannten High Level Groups in der Regel auf Abteilungsleiterebene einsteigen und dort die Berichte bekommen. Ich glaube, wir müssen an diesem Thema weiterarbeiten. Wir brauchen sicherlich nicht jedes Papier über die Tagungen der 300 oder 350 Ratsarbeitsgruppen; denn wir können nicht mit allem etwas anfangen. Wir müssen vielmehr sehen, dass wir das so strukturieren, dass wir die wesentlichen Berichte bekommen. Hier hat sich die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung bewährt. Obwohl dies in der Vereinbarung nicht explizit erwähnt ist, bekommen wir einen Einstieg in diese wichtige Unterrichtung. Wir werden in den nächsten Jahren sehen, wie wir damit umgehen. Gestatten Sie mir noch zwei kurze Bemerkungen. Ich freue mich über den Brief, den der Parlamentarische Staatssekretär uns geschrieben hat; denn er enthält das, was wir verabredet haben, als Zusicherung. Ich möchte nicht mäkeln, wohl aber darauf hinweisen, dass ich es für besser gehalten hätte, wenn sich die Bundesregierung hätte durchringen können, den Brief dem Parlamentspräsidenten und nicht dem Ausschussvorsitzenden zu schicken, nicht weil ich Letzteren nicht mag und nicht mit ihm auskomme - wir sind sogar befreundet -, sondern weil es um die Rechte des Bundestages geht. Diese repräsentiert der Bundestagspräsident besser. Wir werden dafür sorgen, dass er das Schreiben bekommt. Die Bundesregierung schreibt: Aus Sicht der Bundesregierung sind damit die entscheidenden noch offenen Fragen zur Auslegung der BBV abschließend geklärt. Ich habe den Eindruck, dass dies ein frommer Wunsch bleiben wird. Wir müssen im Prozess der Umsetzung weiter an diesem Thema arbeiten. Wir werden sicherlich auch neue Themen finden und weiterhin mit der Bundesregierung gut zusammenarbeiten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Alexander Ulrich spricht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vereinbarung, die die fünf Fraktionen vor etwa drei Jahren beschlossen haben, stellt einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Zusammenarbeit des Parlaments mit der Bundesregierung dar; das haben die Vorredner schon erwähnt. Aber wie so oft gibt es einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wenn es eines Beispiels bedürfte, das zeigt, dass es in der Praxis noch hapert, dann, dass kein Vertreter der zuständigen Ministerien in dieser Debatte anwesend ist. Das ist ein Stück weit ein Beispiel dafür, dass man diese Sache nicht ernst genug nimmt. Sie dürfen nicht nur Briefe schreiben, sondern Sie hätten heute Abend auch anwesend sein müssen. ({0}) Wichtig für eine gute Zusammenarbeit ist die Arbeit, die im Europareferat geleistet wird. Ich möchte hier ausdrücklich allen Mitarbeitern des Referats PA 1 danken, die mit ihrer Tatkraft dazu beigetragen haben, dass wir schon einige Schritte vorangekommen sind. Vielen Dank an die Mitarbeiter in diesem Referat. ({1}) Die Monitoring-Berichte von PA 1 haben die Praxis der Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung überprüft und vorhandene Mängel und Unzulänglichkeiten seitens der Bundesregierung bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der BBV offengelegt. Daran knüpft der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen an. Der Antrag würdigt die positiven Seiten der Vereinbarung und die Verbesserung der EU-Arbeit des Bundestags. Aber auch Mängel werden beschrieben, und Abhilfe wird gefordert. Der Antrag ist sicherlich nicht vollständig - das weiß jeder, der mit dieser Materie zu tun hat -, weist aber in die richtige Richtung. Wir können als Linke diesem Antrag zustimmen. ({2}) Kurzfristig zu unserer heutigen Debatte haben der Vorsitzende und die Obleute des EU-Ausschusses ein Schreiben von Staatsminister Gloser und dem ParlamenAlexander Ulrich tarischen Staatssekretär Hintze erhalten. Dort wird in zwei Punkten vonseiten der Bundesregierung Besserung gelobt. Man merkt den guten Willen, aber auch das schlechte Gewissen und den Druck durch die heutige öffentliche Debatte. Leider ist aber zum Inhalt des Briefes festzustellen: Auch die jetzigen Zusicherungen reichen in beiden Punkten nicht aus. Erstens. Der Bundestag muss aus allen Ratsarbeitsgruppen gründlich informiert werden. Nicht nur dann, wenn die Vertretung in Brüssel an den Sitzungen teilnimmt, hat der Bundestag ein Recht auf Information. Zweitens. Bei beabsichtigten Vertragsänderungen will die Bundesregierung dem Bundestag künftig mitteilen, dass es jetzt dem Deutschen Bundestag obliege, zu entscheiden, ob er zu dieser Unterrichtung Stellung nehmen wolle. In der Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung heißt es demgegenüber: Vor der abschließenden Entscheidung im Rat bemüht sich die Bundesregierung, Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag herzustellen. Das bedeutet doch eine Verpflichtung der Bundesregierung, sich aktiv um die Zustimmung des Bundestags zu bemühen. Das ist nun wirklich etwas anderes, als den Bundestag auf seine angeblichen Obliegenheiten hinzuweisen. Wenn das nicht eine bloße Ungeschicklichkeit sein könnte, müsste man das als Provokation verstehen. ({3}) Abschließend möchte ich noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen, der in beiden Anträgen nicht angesprochen worden ist. Trotz manch positiver Entwicklungen bleibt der Zweifel, ob eine Vereinbarung das richtige Instrument ist, die Pflichten der Regierung gegenüber dem Parlament festzulegen. Wir sehen uns durch die aufgetretenen Probleme in der Auffassung bestätigt, dass hier durch gesetzliche Regelungen Abhilfe möglich wäre. Wir sollten versuchen, dies gemeinsam in der nächsten Wahlperiode anzugehen. Ich bin ganz sicher, dass wir in der Zwischenzeit eine Hilfestellung von dritter Seite bekommen werden, vom Bundesverfassungsgericht. Das Urteil, das demnächst ergeht, wird - darin waren sich alle Prozessbeobachter einig - Leitplanken enthalten, die die demokratische Legitimation des Handelns in der EU sichern sollen, Leitplanken, die mehr Einfluss der nationalen Parlamente, auch des Bundestags, beinhalten. Das wird die Qualität der EU-Arbeit des Deutschen Bundestags ganz erheblich steigern, und manche in diesem Haus, die uns kritisiert haben, dass wir nach Karlsruhe gegangen sind, werden vielleicht noch glücklich darüber sein. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Rainder Steenblock hat jetzt das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist überhaupt keine Frage, dass auch die Grünen diese Zusammenarbeitsvereinbarung, die alle Fraktionen des Bundestages mit der Bundesregierung geschlossen haben, als richtigen und wichtigen Schritt bezeichnen. Wir haben sehr viel Engagement und Arbeit in das Zustandekommen dieser Vereinbarung gesteckt. Mit allen anderen haben wir daran sehr solidarisch und sehr konstruktiv gearbeitet. Aber was jetzt die Zwischenbilanz betrifft, so ist es nicht richtig, dass wir einem vorliegenden Antrag der Koalition nicht zustimmen wollten. Vielmehr ist der Antrag der Grünen schon seit Monaten im Verfahren. Nicht einmal im Ausschuss, als diese Punkte beraten wurden, konnte die Koalition einen Antrag vorlegen. Jetzt, in letzter Sekunde ist ein Antrag zusammengeschustert worden. Das ist die historische Wahrheit zum Zustandekommen dieses Antrags. Wir haben in Gesprächen dazu immer deutlich gesagt: Wir brauchen die Solidarität aller Fraktionen. Wir müssen uns unterhaken, weil es hier um Rechte des Parlaments gegenüber der Bundesregierung geht. Deshalb haben wir es für falsch gehalten, einen Antrag vorzulegen, der die Bundesregierung kuschelig lobt und all das, was bisher nicht erreicht worden ist, beschönigend darstellt. So geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wenn wir etwas erreichen wollen, dann müssen wir hier zusammenhalten. Wir haben sehr viel erreicht, und unsere Arbeit ist besser geworden. Herr Kollege Ulrich hat das Referat PA 1, das gut arbeitet, und das Brüsseler Büro erwähnt. Unsere Arbeit ist sehr viel europatauglicher geworden. Aber die Regierung hat eine ganze Reihe von Punkten, die wir vereinbart haben, nicht eingehalten. Ich finde, das muss man hier sehr deutlich sagen. Wenn die Regierung die Vereinbarungen nicht einhält, dann muss das von uns allen kritisiert werden; denn das berührt existenzielle Rechte des Bundestages bei der Zusammenarbeit mit den europäischen Strukturen. Wir haben immer deutlich gemacht, dass wir als Bundestag, als nationales Parlament, Einfluss auf Entscheidungen in Brüssel nehmen wollen. Wir wollen die Bundesregierung auch binden; denn sowohl die Einvernehmensregelung als auch die Möglichkeit des Parlamentsvorbehalts - das sind die schärfsten Waffen, die wir haben - werden von der Bundesregierung ständig infrage gestellt. Dagegen müssen wir uns wenden. Jetzt will die Bundesregierung nicht das Einvernehmen mit uns herstellen, sondern sie interpretiert die Vereinbarung so, dass der Bundestag, wenn er eine Stellungnahme abgeben möchte, diese abgeben kann. Es ist umgekehrt vereinbart: Die Bundesregierung muss Einvernehmen herstellen. Das hat sie nicht gemacht. ({1}) An dieser Stelle sollten wir gar nicht anfangen, irgendetwas zu beschönigen. Hier geht es um zentrale Rechte der Mitgestaltung europäischer Politik, die wir einfordern. Kollege Stübgen, Ihre heutige Rede war viel besser als der Antrag. ({2}) Schon in Ihrer letzten Rede haben Sie deutlich gesagt: Es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass einzelne Aspekte nach wie vor noch nicht in ausreichendem Maße umgesetzt worden sind; teilweise kann man gar nicht erklären, warum das noch nicht geschehen ist. Das ist sehr richtig. Sie hätten so etwas auch in Ihrem Antrag sagen können. Weil das nicht geschehen ist, werden wir diesem Antrag nicht zustimmen können. Wir werden ihn nicht ablehnen, sondern uns enthalten, weil der Antrag an vielen Stellen das Richtige enthält. Wir müssen die Bundesregierung aber, gerade was die Frage des Einvernehmens und den Parlamentsvorbehalt angeht, vor uns hertreiben; das ist unsere Aufgabe als Parlamentarier. Wenn wir unsere Rechte wahrnehmen wollen, sollten wir gemeinsam dafür kämpfen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPDFraktion.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, wenn man sich in einer Debatte in diesem Haus ziemlich einig ist. Trotzdem ist es notwendig, auf ein paar Unterschiede hinzuweisen, vor allen Dingen, wenn bereits hochgegriffene Stichworte wie „historische Wahrheiten“ gefallen sind und das Bundesverfassungsgericht bemüht wurde. Die Vorgehensweise bei dem, was wir, im Parlament, vertreten durch die Regierungskoalition, in den letzten Monaten mit den Regierungsvertretern ausgehandelt haben, entspricht genau den Vorgaben der BBV: Das Parlament kämpft Stück für Stück um seine Rechte; die Regierung sagt natürlich nicht von sich aus, dass alle Rechte zugestanden werden. ({0}) - Lieber Rainder Steenblock, das liegt daran, dass die Regierung - ob Rot, Schwarz, Grün oder Gelb-Blau immer ein Stück weit darauf achten wird, „exekutiven Kernbereich“ zu verteidigen; er soll möglichst groß sein. Deshalb wird es immer diese Form von institutionellen Konflikten geben, egal wer an der Regierung ist. Es ist gut, dass wir noch vor der Bundestagswahl mit einer hoffentlich breiten Mehrheit hier entsprechend Pflöcke einschlagen. Es ist bedauerlich, dass die Grünen, obwohl wir viele Ihrer Vorschläge übernommen haben, dem Antrag nicht beigetreten sind. Ich glaube, wir werden trotzdem gut daran weiterarbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, eines läuft aber nicht: nach Karlsruhe zu gehen, weil man das nicht haben will, was die europäische Demokratie verbreitert und den nationalen Parlamenten mehr Rechte gibt, aber angesichts dessen, dass man in Karlsruhe scheitert, zu sagen, irgendetwas Gutes werde für den Bundestag noch herauskommen. Das ist eine doppelte Moral; man muss das benennen, was Sie da praktizieren. ({1}) Wir haben beim Zustandekommen der BBV auch Sie von der Linken einbezogen. Es gab also eine große Übereinstimmung im Parlament. Das war auch gut so. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen wollen, müssen wir auch fragen: Wie weit sind wir als Parlament in jeder einzelnen Fraktion und jeder Facharbeitsgruppe gekommen, dass sich diese Form der Europäisierung schon durchgesetzt hat, dass die europäische Dimension, die Einmischung, als selbstverständlich genommen wird?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Schneider würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das? ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn ich danach noch ein bisschen weiterreden darf. 15 Sekunden, bitte schön.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Schäfer, Sie haben eben von doppelter Moral gesprochen. In diesem Zusammenhang würde mich eines interessieren. In Art. 63 des Lissabonner Vertrags ist geregelt, dass „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs … verboten“ sind. Da gibt es keine vagen Formulierungen. Das betrifft sowohl den Kapitalverkehr der Länder der EU untereinander als auch mit Drittländern. Ist es dann nicht auch eine doppelte Moral, wenn Sie hier zum offenen Bruch des Lissabonner Vertrags auffordern, indem Sie zum Beispiel ein Verbot von Hedgefonds fordern? ({0}) - Entschuldigung, der Vertrag ist, wie er ist. Ich hoffe doch sehr, dass Sie wissen, was die Bundeskanzlerin unterschrieben hat und was in den einzelnen Artikeln steht. - Von daher würde mich interessieren, ob Sie das als doppelte Moral betrachten. ({1})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Schneider, das Problem Ihrer Fraktion ist, dass Sie bis hin zum Thema Todesstrafe das Absurdeste in diesen Vertrag hineinlesen, obwohl es nicht darin steht. Das trifft leider auch in diesem Fall zu. ({0}) Deshalb bleibe ich bei dem Begriff „doppelte Moral“ der Linkspartei. Das Letzte - weil man sich auch an die eigene Nase fassen muss, wenn man über Demokratisierung redet -: Wenn wir erwarten, dass wir stärker öffentlich über Europa diskutieren, muss die Frage im Bundestag gestellt werden, warum wir nicht generell unsere Ausschussarbeit öffentlich machen und die Öffentlichkeit nur in bestimmten Ausnahmen oder besonderen Situationen ausschließen. Ich glaube, das gehört dazu. In anderen Parlamenten ist das üblich. Vielleicht könnte der Europaausschuss gerade aufgrund der Entschließung, die wir heute fassen, und aufgrund der Fortschritte, die wir bei der Demokratisierung erzielt haben, hier im Deutschen Bundestag mit gutem Beispiel vorangehen. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Silberhorn spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir in dieser Legislaturperiode den Vertrag zwischen Bundestag und Bundesregierung über die Zusammenarbeit in EU-Angelegenheiten geschlossen haben und in derselben Wahlperiode auch eine Evaluierung vornehmen, ist, wie ich meine, ein gutes Zeichen, mit dem wir zum Ausdruck bringen, dass wir unsere Rolle in europäischen Angelegenheiten sehr ernst nehmen. Manches hat sich auch erst durch die praktische Anwendung dieses Vertrages in Erfahrung bringen lassen, beispielsweise die schon erwähnten sogenannten Hauptstadtformate, von denen wir bisher nichts wussten und die deutlich machen, in welchem Ausmaß uns die Bundesregierung bisher schlicht über das in Unkenntnis gelassen hat, was sie in Brüssel verhandelt. Es sind hier zwar eine Reihe von Verbesserungen in Aussicht gestellt; aber ich möchte doch betonen, dass ich mit dem einen Punkt nicht einverstanden sein kann, bei dem es um die Frage geht, wie sich jetzt die Bundesregierung um das Einvernehmen mit dem Bundestag bemühen muss, wenn es um die Aufnahme von Verhandlungen über Beitritte und Vertragsänderungen geht. ({0}) Die Zusammenarbeitsvereinbarung sieht ausdrücklich vor, dass sich die Bundesregierung um Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bemühen muss. ({1}) - Sie muss es übrigens nicht herstellen - Herr Kollege Steenblock, ich hätte das gern; die Union hat dazu auch einmal einen Gesetzentwurf eingebracht -, aber sie muss sich zumindest bemühen. Das, was uns jetzt vorliegt, ist ein Schreiben der Bundesregierung, in dem sie uns schlicht auf die entsprechende Ziffer der Vereinbarung hinweist und in dem von dem Begriff „Einvernehmen“ überhaupt keine Rede ist. ({2}) Meine Damen und Herren, ein derart lausiges Schreiben der Bundesregierung wird ihrer Verpflichtung aus dieser Zusammenarbeitsvereinbarung nicht gerecht. ({3}) - Herr Kollege Schäfer, es ist nicht die Frage, ob das meine oder Ihre oder unsere Bundesregierung ist, ({4}) ich bin ein frei gewählter Abgeordneter dieses Hauses, und meine Aufgabe ist es auch als Mitglied einer Regierungsfraktion, eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung wahrzunehmen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe in diesem Haus. ({5}) Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, ihre vertraglichen Verpflichtungen umzusetzen, die sie eingegangen ist, dann kann ich nur sagen: Transparenz, Verlässlichkeit und Parlamentsfreundlichkeit schauen anders aus. Die Bundesregierung dokumentiert mit ihrem Schreiben schlichtweg, dass sie ihre vertraglichen Verpflichtungen aus der Zusammenarbeitsvereinbarung missachtet. Dass sie auch dieses Haus missachtet, dokumentiert sie durch die mangelnde Anwesenheit bei dieser Debatte. ({6}) Ich meine, dass das nicht ganz ohne Konsequenzen bleiben kann. Dass die Bundesregierung ein solches Verhalten mit Schreiben dokumentiert, kurz bevor die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Vertrag von Lissabon ansteht, ist schon sehr verwegen. Ich werde mir erlauben, das Bundesverfassungsgericht von diesem Schreiben der Bundesregierung in Kenntnis zu setzen, weil ich denke, dass es durchaus Erhellung bieten kann, wie die Bundesregierung unsere Zusammenarbeitsvereinbarung versteht. ({7}) Es gibt Nachbarstaaten, die in solchen Fragen mittlerweile deutlich mutiger sind als wir. Das tschechische Abgeordnetenhaus und der tschechische Senat haben Mitte März ihre Geschäftsordnungen geändert und in wichtigen Fragen für sich selbst ausdrückliche Zustimmungsvorbehalte verankert - übrigens genau in den Fragen, die auch Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht in Sachen Lissabon-Vertrag sind. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Union in einem Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode Ähnliches gefordert hat. Meine Damen und Herren, wir sind bei der Zusammenarbeitsvereinbarung deutlich weitergekommen, was die Unterrichtung des Parlaments angeht; aber wir haben noch eine Menge zu tun, was die aktive Mitwirkung des Parlamentes und die Einflussnahme auf Entscheidungen der Bundesregierung in Brüssel angeht. Ich bitte darum, dass wir die Gemeinsamkeit der Parlamentarier pflegen, auch in der Kontrolle der eigenen Regierung, und dass wir unsere Mitverantwortung in europäischen Fragen genau dadurch zum Ausdruck bringen. Wir haben die Chance, dass europäische Integration gelingt und dass europäische Entscheidungen auf mehr Akzeptanz stoßen, als das bisher der Fall ist, wenn wir eine breite öffentliche Diskussion unter maßgeblicher Einbeziehung des Bundestages führen können. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Druck- sache 16/13169 mit dem Titel „Vereinbarung über Zu- sammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union ist einzigartig in Europa - Auslegungsfragen müs- sen geklärt, noch bestehende Defizite beseitigt werden“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Damit ist der Antrag bei Zustimmung der einbringenden Fraktionen angenommen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke ha- ben sich enthalten. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zwei Jahre Europa-Vereinbarung - Bundesregierung muss ihre Ver- pflichtungen unverzüglich vollständig erfüllen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13205, den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12109 abzuleh- nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koali- tionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die Fraktion der FDP hat sich enthalten. Es liegen drei Erklärungen nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung vor, und zwar der Kollegen Löning, Link und Volk.1) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothée Menzner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Schnellstmögliche Einführung eines generel- len Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf Bundesautobahnen - zu dem Antrag der Abgeordneten Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einführen - Drucksachen 16/6932, 16/6894, 16/9321 - Berichterstattung: Abgeordneter Gero Storjohann Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Kollegen Jörg Vogelsänger, Patrick Döring und Gero Storjohann haben ihre Reden zu Protokoll gege- ben,2) sodass ich das Wort der Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke erteile. ({1})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Tempolimit, die Dritte! Dies ist die dritte Debatte seit 2007 zu dem Thema „Höchstgeschwindigkeiten auf Bundesautobahnen einführen“. Wiederholt haben wir die Argumente pro und kontra ausgetauscht. Ich möchte die Argumente für ein allgemeines Tempolimit aber wenigstens noch einmal kurz nennen: die Senkung von Unfallund Opferzahlen - eine geringere Spreizung der Geschwindigkeiten auf Autobahnen minimiert Gefahren -, ({0}) 1) Anlage 25 2) Anlage 27 die Möglichkeit, schnell und ohne Kosten den CO2-Ausstoß zu senken, geringerer Anreiz, stark motorisierte und schwere Fahrzeuge zu kaufen, Lärmschutz und demografischer Wandel; gerade die Höchstgeschwindigkeiten, die auf unseren Autobahnen gefahren werden, sind für ältere Verkehrsteilnehmer ein Hemmnis, Autobahnen überhaupt zu nutzen. In diesem Hause ist eigentlich längst eine breite Mehrheit für ein Tempolimit vorhanden: Die Grünen haben das beschlossen und einen entsprechenden Antrag eingebracht, wir legen ebenfalls einen entsprechenden Antrag vor, und auch die SPD hat auf ihren Parteitagen immer wieder bekundet, dass sie eigentlich für ein allgemeines Tempolimit ist. Ohne die Parteien mit dem „C“ im Namen hätten wir also längst ein Tempolimit. Ich frage die Kolleginnen und Kollegen: Wäre es nicht, zumindest an dieser Stelle, ehrlicher, das „C“ durch ein „W“, das für Wirtschaft steht, zu ersetzen? Deswegen ein „W“, weil hauptsächlich die großen Autokonzerne wie Daimler, BMW und Porsche weiter ungestört schnelle, schwere, hochmotorisierte Fahrzeuge verkaufen wollen. ({1}) Wie gesagt, auch in der SPD hat sich die Erkenntnis der Sinnhaftigkeit eines Tempolimits längst durchgesetzt. Auf dem Hamburger Parteitag von 2007, den ich heute schon einmal ansprach, war das ein Thema; es gab einen Antrag und einen entsprechenden Beschluss. Deswegen fordere ich Sie von der SPD dazu auf, hier diesen Beschluss umzusetzen. Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass der Antrag, den wir heute einbringen, ursprünglich aus Ihrer Fraktion stammt. Nachdem Sie ihn zurückgezogen haben, haben wir ihn wortgleich aufgegriffen. Allen, die sagen, man wisse nicht, ob ein Tempolimit wirklich den gewünschten Effekt hat, entgegne ich: Im Antragstext, den wir zur Abstimmung stellen, steht, dass wir nach drei Jahren schauen wollen, was das Tempolimit gebracht hat. Wir wollen eine Evaluation durchführen und dann mögliche Schlussfolgerungen daraus ziehen. Von daher gehen wir kein Risiko ein, wenn wir heute hier ein Tempolimit beschließen. Wir können es testen. ({2}) Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, sich einmal zu überlegen, ob Sie nicht doch im Sinne der Mehrheit Ihrer Parteimitglieder abstimmen. Ich danke Ihnen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Anton Hofreiter hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Argumente für ein Tempolimit sind bekannt: Wir sparen Millionen Tonnen CO2 ein, es entstehen uns keine Kosten. Wenn es allgemein eingeführt wird, müssen höchstens einige wenige Schilder aufgestellt werden. Ein allgemeines Tempolimit würde dafür sorgen, dass die zwei- bis dreifache Menge an CO2 eingespart wird, die durch das milliardenschwere Gebäudesanierungsprogramm eingespart wird. ({0}) Wir feiern uns gerne für das milliardenschwere Gebäudesanierungsprogramm. Dieses Programm ist auch richtig und wichtig; aber dafür geben wir 1 Milliarde Euro pro Jahr aus. Durch ein Tempolimit könnten wir für 0 Cent die doppelte Menge an CO2 einsparen. Warum tun wir dies nicht? Das frage ich die Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition. Des Weiteren gab es auf Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen im Jahr 2007 über 400 Tote. Die Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland ist eine große Erfolgsgeschichte. Die Anzahl der Toten und Schwerverletzten ist seit dem Höhepunkt in den 70er-Jahren stark zurückgegangen. Aber das Nichtvorhandensein eines Tempolimits hindert uns daran, in diesem Bereich noch weitaus bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir wissen ja: Abschnitte ohne Geschwindigkeitsbegrenzung sind im Vergleich zu Abschnitten mit Geschwindigkeitsbegrenzungen weitaus unfallträchtiger. Die Aussage, die Autobahn ist die sicherste aller Straßen, die immer wieder von den Gegnern eines Tempolimits vorgebracht wird, ist bezüglich des Tempolimits nicht überzeugend. Es ist ja nichts anderes als ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen, wenn man eine Autobahn, auf der es keine Fußgänger und Fahrradfahrer sowie keine Kreuzungen und Ampeln gibt, mit einer Bundesstraße vergleicht, auf der es all das gibt. Was muss man wirklich vergleichen? Man muss einen Autobahnabschnitt mit Tempolimit mit einem Autobahnabschnitt ohne Tempolimit vergleichen. Die sehr alten Versuche aus der Vergangenheit - die entsprechende Forschung wurde von der Bundesregierung eingestellt - zeigen uns: Abschnitte mit Tempobeschränkungen sind verkehrssicherer. Deshalb lasst uns auch aus diesem Grunde ein Tempolimit einführen. ({1}) Es ist bereits angesprochen worden, dass wir hier im Hause eine Mehrheit hätten. Die Linke ist für ein Tempolimit, die Basis der SPD hat beschlossen, dass ein Tempolimit aus den bekannten Gründen sinnvoll wäre, und auch wir sind für ein Tempolimit. Das ist eine ganz klare Mehrheit. Warum können wir, nachdem sich heute ohnehin bei einigen Auseinandersetzungen gezeigt hat, dass eine Mehrheit der Vernunft in diesem Parlament vorhanden ist - ich sage nur: kommunales Ausländer24700 wahlrecht, der Umgang mit schwerst Heroinabhängigen -, nicht noch einmal die Mehrheit der Vernunft Wirklichkeit werden lassen? ({2}) An die Vertreter der SPD: Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie unseren sinnvollen Argumenten zu. Warum haben Sie so große Probleme mit der Einführung dieser Maßnahme? Ich glaube, das ist nur psychologisch zu erklären. Wir hatten einen Psychologen zu Gast. Er hat uns erklärt, dass bei sehr hohen Geschwindigkeiten eine Art Temporausch auftritt. Dabei wird der sogenannte Frontallappen des Gehirns schwächer durchblutet. Das ist der Teil des Gehirns, in dem das logische Denken angesiedelt ist. ({3}) Geben Sie sich einen Ruck. Im Moment sitzen Sie bequem, die Durchblutung des Gehirns funktioniert hervorragend. Deshalb: Stimmen Sie unserem Antrag zu. ({4}) Wir haben die Mehrheit hier im Plenum, und ich bitte Sie, sich jetzt diesen Ruck zu geben. Stimmen Sie unseren Anträgen zu. Man kann sowohl dem Antrag der Linken als auch unserem Antrag zustimmen. Dann hätten wir heute etwas Sinnvolles für den Klimaschutz und die Verkehrssicherheit getan. Danke. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/9321. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6932 mit dem Titel „Schnellstmögliche Einführung eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf Bundesautobahnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6894 mit dem Titel „Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit dem gleichen Ergebnis wie die vorherige. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Satzung vom 26. Januar 2009 der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien - Drucksachen 16/12789, 16/13122 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - Drucksache 16/13202 Berichterstattung: Abgeordente Dr. Maria Flachsbarth Michael Kauch Hans-Josef Fell Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Dr. Hermann Scheer für die SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit 1956 gibt es die Internationale Atomenergie Agentur. Seit 1974 - also seit nunmehr 35 Jahren - gibt es die Internationale Energieagentur. Seit 1957 gibt es Euratom als eine auf Europa bezogene - seinerzeit vorwiegend auf Westeuropa bezogene - internationale Regierungsorganisation zur Förderung der Atomenergie. Es gibt bei der Internationalen Energieagentur noch einmal eine Unteragentur, die Nuclear Energy Agency. Diese Hinweise zeigen, warum es in der Welt über viele Jahrzehnte hinweg eine derart einseitige Ausrichtung bezogen auf fossile und atomare Energien und eine jahrzehntelange Ignoranz gegenüber den Möglichkeiten der erneuerbaren Energien gegeben hat. Dies hängt nicht alleine, aber wesentlich damit zusammen, dass es auf der institutionellen Ebene internationaler Regierungsorganisationen keine Agentur bzw. keinen Advokaten für die Ausrichtung auf erneuerbare Energien gab. Nun haben wir die Situation, dass die Welt von Jahr zu Jahr immer mehr erkennt und dass inzwischen kaum mehr bestritten wird, dass sich alle Länder, nicht nur Deutschland, generell in Richtung erneuerbare Energien ausrichten müssen. Gestritten wird allenfalls noch über die - allerdings nicht unwesentliche - Frage, wie lange wir brauchen, um dorthin zu kommen. Diese Frage wird sich natürlich umso positiver beantworten lassen, je mehr Länder angefangen haben, ihre Energiepolitik tatsächlich so auszurichten. Das geschieht allerdings nicht von selbst. Es kann nicht von selbst geschehen; denn im Hinblick auf die Nutzung der erneuerbaren Energien gibt es - außer bei Großwasserkraft und bei bestimmten Formen der Bioenergie, die in vielen Ländern der Dritten Welt noch sehr konventionell genutzt wird - im Grunde genommen keine Erfahrungen, auf die man zurückgreifen könnte, und die Technologien aus dem herkömmlichen Spektrum lassen sich nicht übertragen. Das heißt, hier muss neu gelernt werden, hier muss ausgebildet werden. Darauf muss man vorbereitet sein. Es ist unglaublich wichtig, dass das, was über Jahrzehnte versäumt worden ist, schnell nachgeholt wird. Dafür muss es entsprechende Unterstützung geben. Es wird notwendig sein, dass die Internationale Agentur für erneuerbare Energien ein Äquivalent gegenüber dem international und übrigens auch in vielen Ländern selbst einseitig ausgerichteten Institutionensystem wird, ein Äquivalent, das es allen Ländern ermöglicht, die Entwicklung zur Nutzung der erneuerbaren Energien schnell in die eigenen Hände zu nehmen und das technologische Know-how dafür zu bekommen. Zum technologischen Know-how gehört, dass jedes Land selbst viele ausgebildete Menschen und die richtigen Konzeptionen hat - dafür gibt es Lernerfahrungen aus anderen Ländern -, um die Energiewende, die eine historische sein wird, schnell vorantreiben zu können. Das beschreibt im Wesentlichen die Aufgaben der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien. Wir haben hier eine besondere Möglichkeit und eine besondere Verantwortung. Die besondere Möglichkeit ist, dass wir zu den ganz wenigen Ländern gehören, die aufgrund der politischen Entscheidungen der letzten 20 Jahre auf dem Weg zur Nutzung der erneuerbaren Energien Stück für Stück vorangeschritten sind, rascher als alle anderen und mit wachsendem Tempo, insbesondere seit der Verabschiedung des Erneuerbare-EnergienGesetzes im Jahr 2000. Es gibt auch andere Maßnahmen, die dieses vorangetrieben haben. In Deutschland gibt es mittlerweile 81 Bachelor-Studiengänge und mehr als 60 Masterstudiengänge für erneuerbare Energien. Das ist mehr als in jedem anderen Land. Viele junge Menschen wollen in diese Richtung gehen, wollen ihren Beruf hier finden. Das heißt, wir haben ein großes menschliches Potenzial. Dieses menschliche Potenzial, was ja auch ein politisches Potenzial ist, haben wir dafür genutzt, die Initiative für die Gründung einer Internationalen Agentur für erneuerbare Energien zu ergreifen. Damit haben wir etwas in die Hand genommen, was für das ganze internationale System von Institutionen meines Erachtens für Jahrzehnte von wesentlicher, tragender Bedeutung sein wird. ({0}) Es ist ein Meilenstein, den wir gesetzt haben. Viele waren skeptisch, ob das überhaupt gelingen kann, ob überhaupt Bedarf für eine solche Agentur besteht. Die Skeptiker sind widerlegt worden: Mittlerweile haben 83 Länder unterzeichnet. Wenn die Internationale Agentur für erneuerbare Energien Ende Juni ihre Grundentscheidungen personeller Art und im Hinblick auf den Standort getroffen hat, werden es wahrscheinlich mehr als 83 sein. Die Zahl der Mitglieder der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien wächst schneller, als die jeder anderen bisher gegründeten internationalen Organisation gewachsen ist, und zwar weil ihre Bedeutung erkannt wird. Es ist gut, dass Deutschland - dessen Regierung, nachdem dieses Parlament sie über viele Jahre hinweg mit mehreren Resolutionen dazu gedrängt hatte, die Initiative zur Gründung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien ergriffen hat - das erste Land sein wird, das die Ratifizierung dieses Vertragswerks vornimmt. Wir gehen dadurch weiter mit gutem Beispiel voran und setzen ein Zeichen internationaler Solidarität mit all denen, die bisher noch keine ausreichenden Schritte getan haben, um die Energiewende zu realisieren. Deswegen bin ich froh, dass es uns heute mit hoher Wahrscheinlichkeit gelingt, diese Ratifizierung einstimmig zu vollziehen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Kauch hat seine Rede zu Proto- koll gegeben.1) Somit erteile ich nun das Wort der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er- neuerbare Energien sind - wer sollte das bezweifeln? - ein Schlüsselelement für eine nachhaltige Energieversor- gung. Sie erweisen sich in einer Zeit steigender Energie- preise, des fortschreitenden Klimawandels und sich im- mer weiter verschärfender Ressourcenkonkurrenzen mehr und mehr als ein großer Hoffnungsträger für un- sere Zukunft. Deutschland hat international eine Vorreiterrolle im Bereich der erneuerbaren Energien eingenommen. Es ist gut und richtig, dass wir diese Position in Verbindung mit dem Ziel größerer Energieeffizienz kräftig ausbauen. Die Bundesregierung bringt mit den Maßnahmen des In- tegrierten Energie- und Klimaprogramms die Erreichung der ehrgeizigen deutschen Klimaschutzziele auf den Weg, die auf den Beschlüssen des Europäischen Rates aus dem Jahr 2007 gründen. Als zentrales Element be- inhalten sie die verstärkte Nutzung der erneuerbaren En- ergien und erhöhte Energieeffizienz. Mit diesen Regelungen wird nicht nur ein wichtiger Schritt zur Erreichung der Klimaziele der Bundesregie- rung getan; gleichzeitig werden mit dem Ausbau und der technologischen Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien sowie der verstärkten Energieeffizienz Poten- ziale erschlossen, die es ermöglichen, den Energiever- brauch von den ständig steigenden Kosten für Strom, Öl und Gas abzukoppeln. Diese Maßnahmen haben das Potenzial, kostendämp- fend zu wirken. Zudem leisten sie einen Beitrag, um Deutschland von den Energieimporten unabhängiger zu 1) Anlage 28 machen und die Wertschöpfung in diesem Bereich sowie die Anzahl der Arbeitsplätze in Deutschland auszubauen. Gerade das Handwerk und der Mittelstand erhalten mit diesen Gesetzen zusätzliche wirtschaftliche Perspektiven. Darüber hinaus wird konkret zur Generationengerechtigkeit beigetragen, indem endliche Ressourcen zugunsten nachfolgender Generationen geschont werden. Den größten Beitrag zur Einsparung der vorgesehenen 270 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 wird das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Strombereich leisten, das zum 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist. Dadurch werden 55 Millionen Tonnen Emissionen eingespart. Es wurde im letzten Jahr auf der Basis der ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung sowie im Dreiklang von Umweltschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit novelliert. Das Integrierte Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung ist nicht nur in der Geschichte der deutschen Klimapolitik, sondern auch international einmalig. Es gibt kein vergleichbares Industrieland mit einem ähnlich ambitionierten und konkret ausgestalteten Programm. Deutschland hat seine Hausaufgaben in puncto erneuerbare Energien und Klimaschutz gemacht. Mit dem Eneuerbare-Energien-Gesetz hat es auch im internationalen Vergleich ein besonders effizientes Instrument für einen zügigen Ausbau von erneuerbaren Energien etabliert. Dies bescheinigt uns zum Beispiel die EU. Jetzt gilt es, den zunehmenden Ausbau der regenerativen Energien auch auf dem internationalen Parkett zu begleiten. Voraussetzung für die friedliche Weiterentwicklung unserer Menschheit und das Wachstum unserer Wirtschaft ist, dass wir auf eine sichere, erschwingliche, saubere, zuverlässige und nachhaltige Energieversorgung zählen können. Dabei stehen wir vor enormen Herausforderungen: der globalen Erderwärmung, den schwindenden natürlichen Ressourcen, dem Bevölkerungswachstum, zunehmendem Energiebedarf und der ungleichen Verteilung der Energiequellen auf unserer Erde. Diese Vielzahl von Faktoren zeigt, dass es notwendig ist, die jetzt noch auf fossilen Brennstoffen basierende Energieversorgung zukünftig vermehrt auf eine Basis zu stellen, die stärker Gewicht auf Energieeffizienz und regenerative Energien legt. Erneuerbare Energien sind die entscheidende Antwort auf die Herausforderungen einer zukünftigen globalen Energieversorgung. Viele Länder setzen schon heute auf regenerative Energiequellen. Sie wissen um die Notwendigkeit, in der Energieversorgung neue Wege einzuschlagen, und fördern die Produktion und Nutzung erneuerbarer Energien anhand verschiedener politischer und wirtschaftlicher Programme. Allerdings wird das enorme Potenzial erneuerbarer Energien derzeit noch längst nicht ausgeschöpft. Es gibt viele Hindernisse, langwierige Genehmigungsverfahren, technische Barrieren, Einfuhrzölle, unsichere Finanzierungsmöglichkeiten und bei vielen Energieprojekten mangelnde Kenntnisse darüber, welche Chancen erneuerbare Energien bieten. An diesen Schwachstellen setzt die Internationale Agentur für erneuerbare Energien, IRENA, an. Sie soll eine treibende Kraft bei der Förderung der nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Energien werden. Um den Ausbau der erneuerbaren Energien international voranzutreiben, verfolgt die Bundesregierung entsprechend der Koalitionsvereinbarung das Ziel, eine solche internationale Agentur zu initiieren. Das ist sinnvoll, da es bislang noch keine internationale Institution gibt - der Kollege Hermann Scheer hat es eben gesagt -, die sich hauptsächlich mit dem Ausbau regenerativer Energien, dem Informationsaustausch und der Aus- und Fortbildung im Bereich der erneuerbaren Energien beschäftigt. Die Organisation soll von einer möglichst breit aufgestellten Gruppe großer und kleiner Staaten, aber auch von Industrie- und Entwicklungsländern gegründet werden. Kernziel von IRENA ist die Förderung des weltweiten Einsatzes erneuerbarer Energien. Dazu gehören zum Beispiel verbesserte ordnungspolitische Rahmenbedingungen für regenerative Energien durch politische Beratung, verbesserte Technologietransfers, die Weiterentwicklung von Kompetenzen und die Vermittlung von Know-how bezüglich erneuerbarer Energien, aber auch eine verbesserte Information durch Politikforschung. IRENA ist auch für internationale Information und Kommunikation über erneuerbare Energien sowie für die Zertifizierung und Standardisierung von Technologien im Bereich erneuerbarer Energien zuständig. Die Organisation soll zur Entlastung endlicher Energiequellen und zur langfristigen Stabilisierung der Energiepreise beitragen. Gerade ärmere Länder sollen einen verbesserten Zugang zu Energie erhalten. Schließlich wollen wir den Klimawandel international noch wirksamer bekämpfen. Es ist wichtig, zu betonen, dass IRENA ihre Leistungen nur auf Nachfrage der Mitgliedstaaten bereitstellen soll. Ihr Auftrag wird es nicht sein, internationale Verträge unmittelbar auf den Weg zu bringen. Über sämtliche Aktivitäten entscheiden vielmehr allein die Mitglieder. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt nachdrücklich, dass die Bundesregierung am 14. Januar die Unterzeichnung der Satzung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien beschlossen hat. Auf der anschließenden Gründungskonferenz am 26. Januar in Bonn hat die Bundesrepublik Deutschland diese Satzung gezeichnet. Das Treffen mit 125 Teilnehmerländern war überaus erfolgreich. Bis heute unterschrieben 83 Länder das Gründungsstatut. Allerdings fehlen noch einige wichtige Länder - auch das muss man sagen -, beispielsweise die USA, China, Russland, Japan, Kanada, aber auch Brasilien, Südafrika, Saudi-Arabien und Indonesien. Schließlich haben bisher nicht alle EU-Staaten unterzeichnet - ich verweise auf das Vereinigte Königreich -, ich hoffe: noch nicht unterzeichnet. Die Bundesregierung hat am 14. Januar 2009 ebenfalls entschieden, sich mit dem Standort Bonn für den Sitz der Organisation zu bewerben. Die zweite Sitzung der Vorbereitungskommission wird am 28. und 29. Juni dieses Jahres in Scharm al-Scheich in Ägypten stattfinDr. Maria Flachsbarth den. Dort wird neben weiteren Personal- und Finanzfragen über den Sitz der Organisation sowie über den ersten Generaldirektor bzw. die erste Generaldirektorin entschieden. Vor diesem Hintergrund ist eine zügige Ratifikation durch das Parlament der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiges politisches Signal. Deutschland soll bei den anstehenden Entscheidungen zu IRENA voll handlungsfähig sein. ({0}) Wir unterstützen den Bundesumweltminister nachdrücklich, wenn er sich um einen Sitz der neuen Organisation in der Bundesstadt Bonn bemüht. ({1}) - Der Abgeordnete Kelber aus Bonn kann da in großkoalitionärer Einigkeit nur applaudieren. - Dies wäre eine gute Entscheidung für die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien weltweit und für den Weltmeister im Bereich der erneuerbaren Energien, für Deutschland. Erneuerbare Energien sind ein Schlüsselinstrument für die nachhaltige Energieversorgung. Mit IRENA werden wir eine Organisation ins Leben rufen, die helfen wird, das enorme Potenzial der erneuerbaren Energien zu erschließen. IRENA soll als unabhängige Institution für Chancengleichheit in der Welt sorgen und die Weiterentwicklung erneuerbarer Energien bewirken. Sie soll insbesondere denen helfen, die heute noch keinen Zugang zu Elektrizität haben und ihre Entwicklungschancen deshalb nur eingeschränkt wahrnehmen können. Das wird gut sein für den Klimaschutz. Das bringt den Menschen Versorgungssicherheit. Das trägt zu einer langfristigen Stabilisierung der Energiepreise bei, und das trägt zur Generationengerechtigkeit bei. Wir bringen eine internationale Institution auf den Weg, die die Brücke zur Zukunft der Menschheit in entscheidender Weise mitbauen wird. Herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erneuerbare Energien sind ein Garant für bezahlbare Energie, Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Friedenssicherung. 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien, das ist bis 2040 machbar. Bereits in zehn Jahren wird im Bereich der Stromerzeugung der Anteil von Wasserkraft, Windenergie, Solarstrom, Bioenergie und Erdwärme auf fast die Hälfte steigen; dessen bin ich mir gewiss. Das gelingt aber nur, wenn wir die fossilen Energiekonzerne und auch deren politische Kettenhunde in die Schranken weisen, werte Kolleginnen und Kollegen. Die Verabschiedung der Satzung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien, IRENA, ist deshalb längst überfällig. Energiepolitisch stehen wir jetzt vor einer Richtungsentscheidung: Fortführung der fossil-atomaren Energiewirtschaft oder Durchsetzung einer nachhaltigen Energiepolitik, basierend auf erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Bleiben wir bei Kohle und Atom, nehmen die Risiken und Gefahren für Mensch und Umwelt durch Reaktorpannen, aber auch durch das trojanische Pferd der CO2-Verklappung zu. Die Kosten der Energienutzung steigen massiv an. Die Folge wird auch ein Versagen im Klimaschutz sein. Mithilfe der erneuerbaren Energien können wir hingegen die erforderliche Minderung der Treibhausgase erreichen, die Importabhängigkeit beenden, eine sichere Versorgung gewährleisten, die Energiepreise senken und letztlich Hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen. Um Sonne und Wind werden keine Kriege geführt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Erneuerbare Energien sind ein wesentlicher Beitrag zur Friedenspolitik. Der Gesetzentwurf für die Errichtung der IRENA ist eine klare Richtungsbestimmung zugunsten einer zukunftsfähigen Energiepolitik, und zwar im krassen Widerspruch zum tatsächlichen Regierungshandeln. Union und Sozialdemokraten bejubeln den Zubau riesiger Kohlegroßkraftwerke, anstatt auf dezentrale Strukturen mit Kraftwärmekopplung zu setzen. ({1}) Selbst in der SPD, Herr Kelber, wird mittlerweile hinter vorgehaltener Hand mit einer Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke gerechnet; so ist es doch. Wir werden daher sorgfältig darauf achten, dass die IRENA mit Leben gefüllt und gegen Anwürfe der Energiekonzerne - sie wollen eine rückwärtsgewandte Energiepolitik geschützt wird, Herr Kelber. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Hans-Josef Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Prozess der Gründung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien, kurz: IRENA, tritt in die entscheidende Phase. Für viele Menschen ist es erstaunlich, dass sich seit der Gründungsversammlung An24704 fang dieses Jahres in Bonn schon mehr als 80 Nationen bereit erklärt haben, der IRENA beizutreten. Damit wurden wohl auch die letzten Zweifler und Verhinderer überzeugt, diejenigen, die durch jahrelanges Belachen und Verhindern der erneuerbaren Energien auch die IRENA verhindern konnten. Sie wurden davon überzeugt, dass der Gedanke der erneuerbaren Energien längst die gesamte Welt erobert hat. ({0}) Seit fast zwei Jahrzehnten kämpft EUROSOLAR - ich will deutlich sagen: vor allem in der Person ihres Präsidenten, Hermann Scheer - um die Umsetzung des Vorschlages, IRENA zu gründen. ({1}) Wir Grünen haben die Gründung der IRENA immer unterstützt. Wir hatten diese Forderung frühzeitig, lange vor anderen Parteien, in unseren Wahlprogrammen, und wir haben sie in Bundestagsanträgen vielfach zum Ausdruck gebracht. ({2}) Den Nationen, die den Gründungsprozess im Vorfeld unterstützt und vorangetrieben haben, vor allem Deutschland, aber auch Dänemark und Spanien, sei an dieser Stelle für ihren Einsatz gedankt. ({3}) Sosehr wir uns freuen, dass IRENA gegründet wurde: Wir machen uns Sorgen, dass der interne Streit in der Bundesregierung dazu führt, dass Deutschland am Ende weder den Standort noch den Generalsekretär der IRENA stellt. ({4}) Es wäre eine Torheit, wenn es aufgrund taktischer Ungeschicklichkeiten bei der Bewerbung um den Sitz von IRENA dazu käme, dass Deutschland als Vorreiter der erneuerbaren Energien und Wegbereiter der IRENA am Ende mit leeren Händen dastünde. ({5}) Falls die Entscheidung für den Sitz nicht auf Bonn fällt - für Bonn kämpfen wir alle gemeinsam intensiv und Abu Dhabi den Zuschlag bekommt, dann hat die Bundesregierung nicht einmal einen Vorschlag für einen geeigneten Generalsekretär. ({6}) Es dürfte keinen Zweifel geben, dass es hierzulande profilierte, geeignete Kandidaten gibt. Wir Grünen fordern daher die Bundesregierung auf, den internen Streit schnell zu beenden und einen Kandidaten zu präsentieren, der unter den Mitgliedsnationen bekannt ist und akzeptiert werden kann. ({7}) Entscheidend wird sein, dass die IRENA klar die Interessen des Ausbaus erneuerbarer Energien vertritt und nicht von den Interessen der konventionellen, fossilen und atomaren Energiewirtschaft verwässert wird. Nur dann kann IRENA den weltweiten Ausbau der erneuerbaren Energien wirkungsvoll beschleunigen. Es ist daher erfreulich, dass in der der heutigen Entscheidung zugrundeliegenden Satzung, konkret: in Art. 3 der Satzung vom 26. Januar 2009 der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien, ganz klar nur erneuerbare Energien als Gegenstand von IRENA definiert sind. Dies war nicht selbstverständlich. In manchen Nationen, etwa in Russland, wird beispielsweise versucht, die Atomenergie als erneuerbare Energie zu definieren, sie also umzudefinieren. Dies ist absurd und völlig unverständlich; denn Uran ist bekanntlich ein endlicher und sehr begrenzter Rohstoff. Auch die Begehrlichkeiten der fossilen Energiewirtschaft, ihre Interessen bei der IRENA unterzubringen, konnten erfolgreich abgewehrt werden. Das ist gut so, und das begrüßen wir. ({8}) Aufgabe der IRENA wird sein, das Wissen über erneuerbare Energien zusammenzutragen, auf dem aktuellsten Stand zu halten und den Transfer von Wissen, zum Beispiel über Konferenzen und Internetauftritte, zu organisieren. Dies gilt nicht nur für technologische Inhalte im Bereich der Bildung und Ausbildung von Ingenieuren und Facharbeitern, sondern auch für entscheidende Politikmaßnahmen - zum Beispiel für zielführende Gesetze wie das deutsche Erneuerbare-EnergienGesetz -, um Regierungen und Parlamente entsprechend zu informieren und zu beraten. Dies gilt genauso für Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung, damit eine breite Akzeptanz für den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien in allen Sektoren entstehen kann. Die IRENA wird dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. Deshalb stimmen wir Grünen heute diesem Gesetzentwurf zu. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind bei IRENA in der Tat weit gekommen. Am Anfang stand die Initiative von Hermann Scheer in diesem Parlament, um den sich dann einige andere Abgeordnete - Hans-Josef Fell, Josef Göppel und auch ich geschart haben. Wir haben am Anfang für Mehrheiten in unseren Fraktionen gekämpft. Wir hatten eine Mehrheit in der rot-grünen Koalition. Wir haben mit dem damaligen Umweltminister durchaus ringen müssen. ({0}) Wir haben jetzt eine breite Mehrheit im Parlament, und die drei zuständigen Minister - Steinmeier, Wieczorek-Zeul und Gabriel - haben dank der Hilfe von Sonderbotschaftern mit der Vorbereitung der Konferenz dazu beigetragen, dass IRENA zustande gekommen ist. In der Tat hat sie nun in der gesamten Welt Mitglieder. ({1}) Als Bundestagsabgeordneter aus Bonn möchte ich mich für das Vertrauen bedanken, im Wettbewerb um den Sitz der IRENA mit der Bundesstadt Bonn anzutreten. Wir haben ein starkes Angebot gemacht; das mögliche Umfeld ist bestens. Wir bieten die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, die IRENA braucht: Die zuständigen UN-Organisationen, der Weltrat für Erneuerbare Energien, EUROSOLAR und der Welt-Windenergie-Verband sitzen in Bonn. Wir haben in NRW die weltweit dichteste Wissenschaftslandschaft auf diesem Gebiet. Wir bieten in Deutschland entsprechende Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten. Deutschlands Politik insgesamt setzt klar Priorität auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Die nordrhein-westfälische Landesvertretung als möglicher Sitz ist ein fantastisches Gebäude, das direkt am Rhein liegt, direkt neben dem UN-Hauptquartier, direkt neben dem Kongresszentrum und direkt neben dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das kann kein anderer auf der Welt bieten. Ich bitte, diese starke Bewerbung zu kommunizieren, und zwar auch in der Hauptstadtpresse, die von den Diplomatinnen und Diplomaten gelesen wird. Es gibt auch starke Bewerbungen außerhalb Deutschlands. Wir haben starke Konkurrenz: Wien, Kopenhagen, vor allem aber Abu Dhabi. Da Abu Dhabi seine Bewerbung bereits ins Internet gestellt hat, wissen wir, dass die Vereinigten Arabischen Emirate deutlich mehr Geld bieten. Sie zahlen auch einen wesentlich höheren Mitgliedsbeitrag. Wenn die Gerüchte, die man hört, stimmen - sie hören sich ziemlich eindeutig an -, bieten sie auch eine Reihe von Koppelgeschäften an, nach dem Motto: Wenn du für Abu Dhabi stimmst, kaufe ich bei dir ein Atomkraftwerk. Es ist wichtig, zu wissen, dass die Konkurrenz so vorgeht. Ich glaube, dass wir uns nicht verstecken müssen. Wir setzen klar Priorität auf erneuerbare Energien. Abu Dhabi tut dies nicht: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben angeboten, 50 Millionen Euro zur Förderung erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Deutschland gibt für die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in Entwicklungsländern bereits heute 1 Milliarde Euro pro Jahr aus. Abu Dhabi hat angekündigt, wissenschaftliches Know-how zur Verfügung zu stellen. Wir haben es schon. Außerdem wurde angekündigt, Gesprächspartner bereitzustellen. Wir bieten sie schon. Unser Hauptproblem wird in der Tat darin bestehen, dass wir gegen den harten Brocken der Koppelgeschäfte angehen müssen. Als Bonner Abgeordneter darf ich es mehr als andere zuspitzen: Wir gehen mit Zuversicht in die Auseinandersetzungen, nach dem Motto: Kompetenz und Engagement gegen Petrodollars. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu der Satzung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13202, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/12789 und 16/13122 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, Michael Kauch, Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern in Deutschland und weltweit schützen - Drucksache 16/12886 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({0}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Jürgen Klimke, Angelika Graf, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Barbara Höll und Thilo Hoppe.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12886 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie ({1}) - Drucksache 16/11642 - 1) Anlage 29 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 16/13098 Berichterstattung: Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Mechthild Dyckmans Jerzy Montag Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker und Klaus Uwe Benneter vor. Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Elisabeth WinkelmeierBecker, Klaus Uwe Benneter, Mechthild Dyckmans, Wolfgang Nešković, Dr. Gerhard Schick und der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute abschließend über die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie und über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Einführung erstinstanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten. Durch die Umsetzung der EU-Richtlinie machen wir das Recht der Hauptversammlungen fit für die Zukunft: Die Anteilseigner können, wenn die Satzung es so vorsieht, zukünftig online oder per Briefwahl an den Hauptversammlungen teilnehmen; die für die Hauptversammlung erforderlichen Unterlagen kann die Aktiengesellschaft auf ihre Seite im Internet stellen. Damit ermöglichen wir die grenzüberschreitende Durchführung von Hauptversammlungen und erhöhen gleichzeitig die Teilnehmerzahlen und damit die demokratische Legitimationsgrundlage für Beschlüsse. Zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes regeln wir in Anlehnung an das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen ({0}) Ausnahmen von der bisherigen obligatorischen Gründungsprüfung bei Kapitalerhöhungen mit Sacheinlagen. Wenn also beispielsweise Vermögensgegenstände eingelegt werden sollen, für deren Bewertung eindeutige Anhaltspunkte vorliegen, kann von dieser Erleichterung Gebrauch gemacht werden. Die Gründungsprüfung bleibt allerdings obligatorisch, wenn aufgrund besonderer Umstände, wie bei dem zwischenzeitlichen Aussetzen des Handels mit den betreffenden Papieren, eine sichere Bewertung der Einlagengegenstände im Einzelfall nicht möglich ist. Ein weiterer Gegenstand der Richtlinie ist die Deregulierung der Fälle, in denen sich Aktionäre mit ihren Stimmrechten durch Kreditinstitute vertreten lassen - das sogenannte Depotstimmrecht. Den Aktionären bleibt die Möglichkeit erhalten, durch eine Dauervollmacht einen unbürokratischen Weg zur Stimmrechtsausübung zu wählen. Einzelweisungen sind dementsprechend zur Stimmrechtsausübung nicht erforderlich. Dem Vorschlag, dass Banken bei fehlender Einzelweisung einfach dem Abstimmungsverhalten der Unternehmensverwaltung folgen müssten, sind wir aus guten Gründen nicht nachgekommen. Nach der neuen Regelung hat das depotführende Kreditinstitut zwei Möglichkeiten, die Vollmacht für Fälle fehlender Einzelweisung zu gestalten: Entweder es erarbeitet eigene Abstimmungsvorschläge in Anlehnung an die geltende Rechtslage und stimmt bei fehlender Einzelweisung in diesem Sinne, oder das Kreditinstitut lässt sich eine generelle Weisung geben, nach der es im Sinne der Verwaltung bzw. bei abweichenden Verwaltungsvorschlägen im Sinne des Aufsichtsrats abstimmt. Auch dies sind praktikable Vorgaben, die zu begrüßen sind. Viel mehr als die eher technischen und weitgehend unstreitigen Änderungen durch die Aktionärsrechterichtlinie hat uns im Rechtsausschuss die Frage bewegt, wie die einhellig beklagte Anhäufung von Unzulänglichkeiten des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts zumindest teilweise zu reparieren ist. Hier stehen die Praktiken des sogenannten räuberischen Aktionärs im Schlaglicht. In den letzten Jahren hat sich eine Anfechtungsindustrie von einigen wenigen Aktionären etabliert. Dabei werden Hauptversammlungsbeschlüsse mit der Wirkung angefochten, dass ihre Eintragung und damit die Ausführung der beschlossenen Maßnahmen verschleppt wird. Die betreffenden Aktionäre lassen sich die Rücknahme ihrer Anfechtungen meist in Vergleichen teuer bezahlen. Es geht ihnen folglich nicht um die Einhaltung von Aktionärsrechten, sondern lediglich um das Erlangen hoher Geldbeträge. Daher wäre der „räuberische Aktionär“ wohl treffender als „erpresserischer Aktionär“ zu bezeichnen. Und dieses Geschäft lohnt sich: Ist der gerichtliche Streitwert bei aktienrechtlichen Gegenständen noch auf 500 000 Euro begrenzt, so sind schon die Vergleichssummen im zweistelligen Millionenbereich keine Ausnahme. Grund ist der sogenannte Vergleichsmehrwert, durch den mit horrenden Vergütungsforderungen von Rechtsanwälten ein künstlicher Schaden erzeugt wird, den die Gesellschaft durch Vergleichszahlungen kompensiert. Diesen Praktiken sagen wir mit dem Gesetz nun den Kampf an. Dabei versuchen wir, mit verschiedenen Mitteln anzusetzen: Zum einen korrigieren wir einige Regelungen zum aktienrechtlichen Freigabeverfahren. Durch dieses Verfahren, welches mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts ({1}) im Jahr 2005 eingeführt wurde, besteht für die Gesellschaft die Möglichkeit, trotz erfolgter Anfechtung in bestimmten Fällen zur Umsetzung des Beschlusses zu gelangen. Mit einem Quorum im Freigabeverfahren soll nun erreicht werden, dass Trittbrettfahrern von Klägern die Arbeit erschwert wird. Die Anteilseigner müssen zukünftig einen Aktienanteil im Nennwert von 1 000 Euro halten, damit die Gesellschaft im aktienrechtlichen Freigabeverfahren den Hauptversammlungsbeschluss nicht trotz erfolgter Anfechtung umsetzen kann. Dies entspricht im Regelfall einem Börsenwert von 10 000 bis 20 000 Euro. Bei der Bemessung der Höhe des Quorums besteht der Zielkonflikt, einerseits den missbräuchlich klagenden Aktionären die Fortsetzung ihrer erpresserischen Strategie zu erschweren, andererseits nicht mit einem Federstrich sämtlichen redlichen Klein- und einer Vielzahl von MinElisabeth Winkelmeier-Becker derheitsaktionären die Möglichkeit aus der Hand zu nehmen, auch im Freigabeverfahren eine Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses zu verhindern. Denn eines muss uns auch bewusst sein: Die redlichen Anfechtungen haben seit jeher auch auf Schwachstellen und Lücken im Aktienrecht hingewiesen und somit zu einem stetigen Korrekturprozess im Aktienrecht beigetragen. Die unredlichen - weil aus rein sachfremden Erwägungen erfolgenden - Anfechtungen sind hier ein schwer zu isolierendes Phänomen. Der entscheidende Aspekt, den die erpresserischen Aktionäre ausnutzen, ist die zeitliche Verzögerung, die der gerichtliche Instanzenzug mit sich bringt. Dies betrifft wiederum in besonderem Maße das Freigabeverfahren. Folglich bestand in den Beratungen ein breiter Konsens zwischen den Fraktionen, dass das Freigabeverfahren auf eine Instanz beschränkt werden muss. Ich bin froh, dass wir - anders, als es der Regierungsentwurf vorsah - die Oberlandesgerichte mit dieser Zuständigkeit betrauen werden. Dies entspricht dem gleichlautenden Gesetzentwurf des Bundesrats. Schließlich sind es dieselben Senate, welche neben dem Freigabeverfahren auch im Hauptsacheverfahren letztinstanzlich entscheiden werden, da in der Vergangenheit kaum ein einschlägiger Rechtsstreit in der ersten Instanz beendet wurde. Es wäre ein zumindest unglücklicher Zustand, sollte das Oberlandesgericht eine Entscheidung in der Hauptsache treffen, die vom Landgericht im Freigabeverfahren völlig anders bewertet wird. Es ist sinnvoll, hier nach drei Jahren eine Evaluierung vorzunehmen und zu überprüfen, ob die Neuregelung tatsächlich zu kürzeren Verfahrensdauern und schnellerer Rechtssicherheit für Gesellschaften und Aktionäre geführt hat. Das Ergebnis sollte in eine größere Reform des Beschlussmängelrechts Eingang finden. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses enthalten folglich gleich zwei Aufforderungen an den 17. Deutschen Bundestag: erstens die Evaluation der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im aktienrechtlichen Freigabeverfahren bis Ende 2011; zweitens die Aufforderung an den nächsten Deutschen Bundestag, eine umfassende Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts auf den Weg zu bringen. So müssen wir dem Missbrauch von Anfechtungsund Klagemöglichkeiten im Recht der Aktiengesellschaften weiteren Boden entziehen. Im Hinblick auf diese notwendige Reform möchte ich einige Stichpunkte nennen, die in der Großen Koalition bisher kontrovers diskutiert werden: Zu nennen ist die Befristung der Nichtigkeitsklagen. Aktuell ist die Praxis zu beobachten, dass sich klagende Aktionäre bis zu einem späteren Zeitpunkt Nichtigkeitsgründe „aufsparen“, um nach dem Verstreichen mehrerer Monate erneuten Druck auf die Gesellschaften ausüben und weiter erpresserisch tätig werden zu können. Wenn wir es ernst meinen mit dem Schutz redlicher Aktionäre und der Gesellschaften, so muss auch hier eine sinnvolle Regelung gefunden werden. Auch die Frage, ob in der im Freigabeverfahren durchzuführenden Interessenabwägung nicht auch die Interessen der nichtklagenden, aber dennoch vom jeweiligen Beschluss betroffenen Aktionäre gewichtet werden, muss neu beantwortet werden. Schließlich sind weiterreichende Ansätze wie die Trennung der vorzeitigen Eintragung von der dauerhaften Bestandskraft zu diskutieren. Dann wäre es möglich, dass die Rechtsfolgen erfolgreicher Anfechtungen nicht auf Schadenersatzzahlungen beschränkt sind, sondern dass die Umsetzung rechtswidriger Beschlüsse auch - zumindest ex nunc - rückgängig gemacht werden kann. Es bleibt trotz des heute zu verabschiedenden Gesetzes also viel zu tun im Beschlussmängelrecht. Mit dem ARUG ist der große Wurf im Beschlussmängelrecht nicht geschafft. Sicher ist dieses Gesetz aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ein kleiner Kritikpunkt bleibt: Leider hat es das zuständige Bundesministerium der Justiz nicht vermocht, bis zum Tag der abschließenden Beratungen im Rechtsausschuss eine Bewertung der Bürokratiekosten für den Gesetzentwurf vorzunehmen. Die entsprechende Zusage der Bundesregierung gegenüber dem Normenkontrollrat muss natürlich eingehalten werden. Auch wenn mit der Umsetzung des Gesetzes sicher keine Steigerung der Bürokratiekosten verbunden ist, so geht es doch nicht an, diese Zusage gewissermaßen wortlos am Parlament vorbei im Sande verlaufen zu lassen. Diese Praxis darf nicht „Schule machen“ - daher spreche ich diesen Punkt an dieser Stelle ausdrücklich an.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie, das wir heute verabschieden, enthält einige wichtige Änderungen gegenüber dem eingebrachten Gesetzentwurf. Die Änderungen betreffen unter anderem die Regelungen zur verdeckten Sacheinlage. Hier geht es um die Fälle, in denen die Gesellschafter vereinbaren, dass Bareinlagen geleistet werden und dies auch so in der Satzung der Aktiengesellschaft festgelegt wird. In Wahrheit werden aber in diesem Zusammenhang Absprachen getroffen, wonach die Gesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise einen Sachwert erhält. Nach den jetzt vorgenommenen Änderungen bleibt es dabei, dass vorsätzliche Falschangaben zu der Art der vereinbarten Einlagen strafbar sind; erkennt das Registergericht die verdeckte Sacheinlage, darf die Aktiengesellschaft nicht eingetragen werden. In der Insolvenz ist es aber künftig so, dass der Wert der Sacheinlage auf die bestehende Bareinlagepflicht angerechnet wird. Damit ist sichergestellt, dass jeder seine Einlage zwar voll erbringen muss, aber auch nicht mehr. Wichtig ist dabei: Die Beweislast für die Werthaltigkeit seiner Sacheinlage trägt allein der Aktionär in vollem Umfang. Wir haben damit die Lösung, die wir bereits im GmbH-Recht für die verdeckten Sacheinlagen gefunden haben, auf das Aktienrecht übertragen. Alle Sachverständigen, die wir als Berichterstatter bei unseren Beratungen hinzugezogen haben, haben dies begrüßt. Auch das Cashpooling, also das Hin- und Herzahlen von Bareinlagen, haben wir parallel zum neuen GmbHZu Protokoll gegebene Reden Recht geregelt. Fließt die an die neue Konzerntochter gezahlte Einlage beispielsweise sofort wieder an die Konzernmutter zurück, so ist die Bareinlageforderung künftig dennoch erfüllt, wenn der Tochter ein vollwertiger Rückgewähranspruch zusteht. Damit gehen wir - wie im GmbH-Recht - jetzt auch im Aktienrecht zu einer bilanziellen Betrachtungsweise über. Auch das haben die Sachverständigen einhellig begrüßt. Weiter haben wir kleinere Änderungen am VW-Gesetz vorgenommen, die sich auf Einzelheiten der Vollmachtserteilung und -ausübung in der Hauptversammlung beziehen. Diese Änderungen waren zum einen notwendig, um die Aktionärsrechterichtlinie auch im VW-Gesetz umzusetzen. Zum anderen waren sie eine Folge der EuGHRechtsprechung, die uns dazu zwang, bei entsprechend hohem Aktienbesitz Stimmrechte auch über 20 Prozent hinaus zuzulassen. Infolge der alten Rechtslage war geregelt, dass niemand in der Hauptversammlung das Stimmrecht für mehr als ein Fünftel der Grundkapitals ausüben durfte. Wenn aber ein Aktionär künftig mehr als 20 Prozent Stimmrechte haben darf, ist es unsinnig, ihm die Ausübung dieser Stimmrechte durch mehrere Vertreter in der Hauptversammlung vorzuschreiben. Künftig kann sich also der Großaktionär auch durch einen einzigen Vertreter in der Hauptversammlung vertreten lassen. Am meisten haben uns aber die Regelungen zur Bekämpfung missbräuchlicher Aktionärsklagen beschäftigt. Wir wissen, dass sich seit vielen Jahren eine wachsende Branche von Berufsklägern entwickelt hat, die wichtige Beschlüsse der Hauptversammlung anfechten und damit die Eintragung der Beschlüsse verhindern. Auswertungen des elektronischen Bundesanzeigers haben ergeben, dass die zehn fleißigsten Aktionärskläger innerhalb von 14 Monaten insgesamt 121-mal vor Gericht gezogen sind. Sie können damit Kapitalerhöhungen oder Fusionen blockieren, und zwar über eine längere Zeit. Denn das Freigabeverfahren erstreckt sich derzeit über zwei Instanzen. Weil deshalb wichtige Strukturentscheidungen nicht umgesetzt werden können, bieten die Aktiengesellschaften erhebliche Summen, um die Kläger zu einer Klagerücknahme zu bewegen. Am Ende steht dann häufig ein Vergleich. Es gibt Kläger, die verdienen auf diese Weise jährlich viele Millionen Euro. Der „Deutschlandfunk“ hat zu diesem Thema einen sehr aufschlussreichen Hintergrundbericht von Detlef Grumbach gesendet. Sie finden ihn im Internetarchiv des „Deutschlandfunks“. Ich empfehle ihn zum Nachhören. Überschrift und Schlusswort, gesprochen von einem der bekanntesten VielfachAnfechtungskläger: „Der Gruß des Kaufmanns ist die Klage.“ Ein solcher Klagegruß kann, wie gesagt, sehr teuer sein. Das ist die eine Seite. Wir haben aber von dem Sachverständigen Professor Heribert Hirte gehört, dass derartige Aktionärsklagen in der Vergangenheit häufig in der Sache begründet waren, dass sie sogar Anlass für positive gesetzliche Änderungen waren und dass die Möglichkeit solcher Anfechtungsklagen auch vorbeugend wirkt. Die Aktiengesellschaften achten sehr darauf, dass keine Aktionärsrechte verletzt werden, um keine Angriffspunkte zu geben. Das ist die andere Seite. Mir war wichtig, erpresserischen Rechtsmissbrauch zu erschweren, aber dennoch weiterhin angemessene Rechtsschutzmöglichkeiten für redliche Kleinaktionäre zu erhalten. Das Gesetz sieht nun vor, dass ein Freigabebeschluss ergeht, wenn der Kläger nicht mindestens einen anteiligen Betrag von 1 000 Euro an der Aktiengesellschaft hält. Damit wird Trittbrettfahrern, die sich bisher mit minimalem Aktienbesitz ohne eigenen Sachvortrag an Klagen beteiligen, das Aufspringen erschwert. Außerdem wird im Freigabeverfahren künftig erst- und letztinstanzlich vom Oberlandesgericht entschieden. Eine Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Wir erhoffen uns dadurch eine schnellere Entscheidung bei hoher Entscheidungsqualität. Das Bundesjustizministerium haben wir gebeten, bis Ende 2011 zu untersuchen, ob sich diese Regelung - im Vergleich zu den heutigen Verfahrensdauern - tatsächlich bewährt hat. Schließlich haben wir uns im Einzelnen mit der Formulierung der Freigabeklausel beschäftigt. Dort ist geregelt, wann trotz Anfechtungsklage ein Beschluss der Hauptversammlung eingetragen und vollzogen werden kann. Hier ist wichtig, dass dabei nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Aktiengesellschaft auf der einen Seite und die wirtschaftlichen Interessen des Aktionärs auf der anderen Seite gegeneinander abgewogen werden. Vielmehr stellt das Gesetz jetzt klar, dass bei Geltendmachung und Glaubhaftmachung eines besonders schweren Rechtsverstoßes unabhängig von wirtschaftlichen Abwägungen die Freigabe nicht erteilt werden darf. Das gilt zum Beispiel dann, wenn zu befürchten ist, dass elementare Aktionärsrechte verletzt wurden. In solchen Fällen muss der Ausgang der Anfechtungsklage abgewartet werden. Insgesamt haben wir damit eine ausgewogene Regelung gefunden.

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nachdem bereits die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf zu Protokoll gegangen ist, ereilt uns dieses Schicksal nun auch in der zweiten und dritten Lesung. Verantwortlich für den Zeitdruck, der eine mündliche Debatte verhindert, ist auch die späte Vorlage des Gesetzentwurfs. Ärgerlich ist dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Frau Ministerin Zypries in mehreren Presseerklärungen auf die große Bedeutung dieses Gesetzesvorhabens hingewiesen hat. Aber reden und tun sind eben zweierlei Dinge. Schon im Oktober 2007 hatte die FDP-Bundestagsfraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet mit dem Titel „Umsetzungsfahrplan der Aktionärsrichtlinie in nationales Recht“ - Bundestagsdrucksache 16/6860. Erst am 29. Januar 2009 fand dann endlich die erste Lesung im Bundestag für ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie statt, in welchem auch die EU-Kapitalrichtlinie berücksichtigt wird. Mit dem Entwurf sollen folgende Ziele verfolgt werden: Verbesserung der Aktionärsinformationen, Erleichterung der grenzüberschreitenden Ausübung von Aktionärsrechten, Modernisierung, Deregulierung und Flexibilisierung, Neugestaltung der Kapitalaufbringung durch Zu Protokoll gegebene Reden Sacheinlagen und Eindämmung missbräuchlicher Aktionärsklagen. Zu Zeiten einer Großen Koalition ist es nicht selbstverständlich, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch wesentliche Verbesserungen an einem Gesetzentwurf erreicht werden können. Aus diesem Grunde möchte ich heute die wirklich gute fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in den Berichterstattergesprächen des Rechtsausschusses loben. Diese Beratungen haben dazu beigetragen, dass für meine Fraktion wesentliche Punkte, die ich auch schon in meiner Rede am 29. Januar 2009 erläutert habe, in die uns heute vorliegende Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages mit eingeflossen sind. Somit kann ich schon an dieser Stelle sagen, meine Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem die Regelungen zur Eindämmung missbräuchlicher Anfechtungsklagen nur einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellen können. In der nächsten Wahlperiode wird sich der Deutsche Bundestag erneut umfassend mit einer Reform des Beschlussmängelrechts befassen müssen. Denn die Bedeutung dieses Themas für die deutschen Aktiengesellschaften ist nicht zu unterschätzen. Dies gilt umso mehr in den Zeiten der Finanzund Wirtschaftkrise. Die Reduzierung von Aktionärsklagen wird zu spürbaren Kostenreduzierungen führen quasi ein kleines Konjunkturpaket, das den Staat keinen Cent kostet. Die Studie von Professor Baums aus dem Jahre 2007 dürfte inzwischen allseits bekannt sein, sodass an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden muss. Es bleibt festzuhalten, dass sogenannte Berufskläger auf der Grundlage nur weniger Aktien die mit der Klageerhebung verbundene Sperre für Handelsregistereintragungen nutzen, um sich ihr Klagerecht von der Gesellschaft gegen horrende Beträge „abkaufen“ zu lassen. In einem ersten Schritt zur Eindämmung missbräuchlicher Aktionärsklagen hat sich die FDP-Bundestagsfraktion erfolgreich für einen weitergehenden Schutz eingesetzt, als es der Regierungsentwurf zunächst vorsah. Damit wird nicht nur die Position der Aktiengesellschaften, sondern insbesondere auch die Position der großen Mehrheit der Aktionäre, also der Eigentümer der Gesellschaft, gestärkt. Denn die in den letzten Jahren zu beobachtenden hohen Vergleichzahlungen an die Berufskläger haben diese Eigentümer viel Geld gekostet. Die Verbesserungen schlagen sich vor allem in zwei Punkten nieder: zum einen in der Erhöhung des Quorums im Freigabeverfahren auf 1 000 Euro und in der Einführung der erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Freigabeverfahren. Es freut mich besonders, dass wir uns insoweit mit einer von der FDP in Bund und Ländern vertretenen Ansicht durchsetzen konnten. Leider ist es uns nicht gelungen, auch die Einführung einer Klagefrist für Nichtigkeitsklagen bereits in diesem Gesetzentwurf mit zu regeln. Die Einführung eines Quorums von 1 000 Euro ist dabei meiner Ansicht nach eher von untergeordneter Bedeutung. Ein Quorum von 1 000 Euro Nennbetrag entspricht einem Börsenwert von etwa 10 000 bis 20 000 Euro - ein nicht geringer Betrag, aber eben auch ein Betrag, der von den Berufsklägern wohl nicht allzu schwer zu erreichen sein wird. Auch die Vertreter des Bundesjustizministeriums haben im Rahmen der Berichterstattergespräche eingeräumt, dass ein solches Quorum kaum dazu geeignet sei, Berufskläger fernzuhalten. Vielmehr diene es dazu, „Trittbrettfahrer“ fernzuhalten. Dies ist ein anderes, aber auch ein nachvollziehbares Motiv. Auf der anderen Seite wird der Rechtsschutz der Kleinaktionäre nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Zwar können sie Hauptversammlungsbeschlüsse nicht mehr blockieren, sie haben aber weiterhin Anspruch auf Schadensersatz. Viel wichtiger und für die Praxis von großer Bedeutung ist jedoch die Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit beim Oberlandesgericht im Rahmen des Freigabeverfahrens. Denn das eigentliche Erpressungspotenzial der Berufskläger ist darin zu sehen, dass diese die Verfahren in die Länge ziehen können. Durch diese Zuständigkeitsverlagerung wird es zu zeitlich kürzeren Verfahren kommen. Das Erpressungspotenzial der Berufskläger wird damit deutlich eingeschränkt werden. Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich noch kurz positiv die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie und der Kapitalrichtlinie erwähnen. Die Rechte der Aktionäre werden gestärkt, die Stimmrechtsausübung aus dem Ausland erleichtert und Überregulierungen werden abgebaut. Die Stärkung der Satzungsautonomie ist dabei für die FDP-Bundestagsfraktion ein zentraler Gesichtspunkt gewesen. Sehr zu begrüßen ist auch, dass wir nun auch Regelungen zur verdeckten Sacheinlage für die Aktiengesellschaften aufgenommen haben. Dies entspricht einer Forderung der Praxis und gewährleistet eine einheitliche Rechtslage bei Aktiengesellschaften und GmbHs. Insgesamt ist das also ein zustimmungsfähiges Gesetz. Der Probleme des geltenden Beschlussmängelrechts wird sich meine Fraktion in der nächsten Wahlperiode erneut intensiv annehmen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie“ setzt im Kern EU-Richtlinien um. Er enthält eine lange Liste von Detailregelungen, die für sich genommen weniger interessant sind, als der Gesamteindruck, der sich aus ihnen ergibt. Der Entwurf zementiert erneut ein rechtspolitisch verfehltes Prinzip, nach dem die Justizministerin und die Koalitionsfraktionen arbeiten. Das Prinzip lautet: Nicht das Problem wird bekämpft, sondern lediglich seine Symptome. Um welches Problem geht es vorliegend? Der Gesetzentwurf müht sich, dem Problem sogenannter räuberischer Aktionäre entgegenzutreten. Gemeint sind Aktionäre, die rechtsmissbräuchlich Hauptversammlungsbeschlüsse durch Anfechtungsklagen angreifen. Warum gibt es dieses Phänomen? Warum sollte jemand klagen, obwohl ihn der Beschluss inhaltlich doch gar nicht interessiert? Warum kann man damit Geld verdienen können? Die Antwort ist einfach. Der Justiz fehlen die persoZu Protokoll gegebene Reden nellen und sachlichen Mittel, um die Anfechtungsverfahren zügig abschließen zu können. Der Zeitfaktor ist das Druckmittel des räuberischen Aktionärs. Wer nicht Symptome bekämpfen will, sondern Ursachen, muss Aktionäre, die das Recht missbrauchen, zur Verantwortung ziehen. Das ist sogar die naheliegendste Lösung. Ein wehrhaftes Recht eines modernen Rechtsstaates sollte dazu auch in der Lage sein. So entschied das OLG Frankfurt am Main 2009 in einer einsamen und mutigen Entscheidung auf Schadensersatz gegen einen solchen Aktionär. Das stumpfe Schwert des § 826 BGB ließe sich durch den Gesetzgeber schärfen. Doch diese Wege wollte man schon nicht mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts ({0})“ gehen. Obwohl sich die Hoffnungen dieses Gesetzes nicht erfüllten, wird im ARUG an ihm weiter Feintuning betrieben. Das Ergebnis liegt Ihnen vor. An seine Tauglichkeit glauben - ausweislich der Gesetzesbegründung - nicht einmal die Entwurfsverfasser selbst. Nach dem Gesetz kann ein Hauptversammlungsbeschluss durchgesetzt werden, wenn der klagende Aktionär Aktien zu einem Anteil unter 1 000 Euro hält. Das sei eine Grenze, ab der ein vernünftiges finanzielles Engagement gegeben sei, das auf ein ernsthaftes Interesse schließen lasse. Nur entspricht dieser Anteilswert einem durchschnittlichen Börsenwert von 20 000 Euro und kann sich in Einzelfällen auch auf Millionenwerte belaufen. Nach dem Gesetzentwurf soll keine Rolle spielen, welcher Rechtsverstoß überhaupt angegriffen wird und wie gravierend er ist. Auch soll der Beschluss nicht rechtsmittelfähig sein. Die pfiffigen Juristen des Bundesjustizministeriums wollen darin aber keine Beschneidung des Anfechtungsrechts sehen. Anfechten könne man ja weiterhin. Das Ergebnis spielt nur dann für die Wirkung des Hauptversammlungsbeschlusses selbst keine Rolle mehr. Hatte der Aktionär recht, wird er mit einem Schadensersatzanspruch getröstet. Das falsche Prinzip des „Dulde und liquidiere“ wird somit salonfähig. Der Gesetzentwurf wurde von den Interessenvertretern aus der Wirtschaft bejubelt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nach intensiven Beratungen liegt nun eine Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der europäischen Aktionärsrechterichtlinie, ARUG, vor. In der Gesamtschau handelt es sich dabei um das Bemühen, die Aktionärsrechte zu stärken. Wir stimmen dem Gesetz daher zu. Ich spreche dennoch bewusst von Bemühungen um Aktionärsrechte, weil das Gesetz in vielen Bereichen lediglich optional Satzungsänderungen ermöglicht, deren tatsächliche Gebrauchmachung in der Praxis für uns Grüne mehr als fraglich bleibt. Die sogenannte virtuelle Hauptversammlung wird somit sicherlich noch auf sich warten lassen. Aber auch in weiteren Punkten haben wir Bedenken. Diese betreffen insbesondere den Regelungsbereich zur Eindämmung missbräuchlicher Anfechtungsklagen. Auch wir Grüne erkennen die Bürde für die Unternehmen, welche aus unsinnig erhobenen Klagen resultiert, die ausschließlich zum eigenen finanziellen Vorteil der Anfechtungskläger initiiert werden. Gleichwohl sind beim Umgang mit diesem Problem Behutsamkeit und Augenmaß gefordert, weil es immerhin ein zentrales Minderheitenrecht im Aktiengesetz tangiert. Überregulierung kann hier schnell zur Beschneidung essenzieller Aktionärsrechte führen. Denn wir wollen ausdrücklich kritische Aktionäre, die Vorständen auf die Finger schauen und entsprechend des Normengefüges im Aktienrecht einen wichtigen Bestandteil im System der checks and balances bedeuten. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah ein Maßnahmenbündel vor, das gezielt und fein justiert an verschiedenen Stellschrauben ansetzte und in toto eine ausgewogene gesetzgeberische Lösung bot. Im Zuge der Beratungen hingegen wurden diese einzelnen Stellschrauben isoliert diskutiert und so intensiv nachgebessert, als müsste jede Stellschraube für sich besehen das Problem lösen. So wurde beispielsweise aus einem anfänglichen Quorum von 100 Euro für das Freigabeverfahren, das ausweislich der Gesetzesbegründung nur Trittbrettfahrer abhalten sollte, ein Quorum auf dem Nennwert von 1 000 Euro. Das entspricht bei normalen Börsenwerten im Mittelmaß etwa 10 000 bis 20 000 Euro Anlagevolumen. Damit wird zwar nicht die Anfechtung mit einer Aktie unmöglich, durch die fehlende Einbeziehung ins Freigabeverfahren wird allerdings die Effektivität der Kontrolle empfindlich gemindert. Diese Regelung sehen wir äußerst kritisch. Es wird nunmehr allenfalls Aktionärsvertretungen, nicht aber kritischen Privatpersonen gelingen, dieses Quorum aufzubringen. Auch sind wir sehr skeptisch, was den neuen Instanzenzug mit Eingangsinstanz Oberlandesgericht anbelangt. Bei aller bemühten Dogmatik und Verrenkung in der Begründung steht unter dem Strich doch die bedenkliche Tendenz, eine Art Zweiklassenjustiz zu etablieren, in der den Landgerichten nicht der Sachverstand zugetraut wird, mit entsprechenden Spezialmaterien angemessen umzugehen. Es wäre sinnvoll, wenn sich der Rechtsausschuss Ende 2011 bei der Auswertung der in Auftrag gegebenen Untersuchung zu dieser Neuregelung mit den skizzierten Bedenken auseinandersetzte. Kurzum, beim lebhaft diskutierten Bereich der rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklagen schien die Bundesregierung wie traumatisiert zu sein, dass es nach dem UMAG auch in einem zweiten Anlauf mit der Eindämmung solcher Klagen nicht klappen könnte. Daher ist man vorsichtshalber grobschnitzig zu Werke gegangen und hat dabei die Aktionärsrechte bedenklich stark gestutzt. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Übergang zur elektronischen Informationsübermittlung durch die Aktiengesellschaften. Wir Grüne anerkennen die Bemühungen, die Kommunikation zwischen Gesellschaft und Aktionär - gegebenenfalls über den Zwischenschritt Depotbank - mittelfristig elektronisch zu gestalten und damit sowohl Bürokratie abzubauen als auch Papierressourcen zu sparen. Gleichwohl muss dieser Prozess mit Umsicht stattfinden. Priorität hat nach wie vor, dass die Zu Protokoll gegebene Reden Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković Aktionäre die Möglichkeit der Informationserlangung haben. Vor diesem Hintergrund erscheint uns die Regelung in den §§ 125, 128 AktG n. F. problematisch, wonach die Satzung der Gesellschaften festlegen kann, dass die Zustellung der Hauptversammlungsunterlagen auf den elektronischen Weg beschränkt werden kann. Statistische Erhebungen belegen, dass nur eine geringe Prozentzahl an Aktionären momentan ihre Unterlagen elektronisch beziehen. Zudem sind die elektronischen Übermittlungswege zwischen Depotbank und Aktionär hierfür noch nicht sicher genug. Die Kunden müssten nämlich entsprechende Onlinebankingzugänge haben. Eine reine Übermittlung via E-Mail kommt nicht infrage. Damit besteht die Gefahr, dass ein Großteil gerade der Kleinaktionäre keine Kenntnis von der Einberufung der Hauptversammlung erhält. Das grundsätzlich nachvollziehbare Argument der Kostenersparnis und Ressourcenschonung für die Aktiengesellschaften sollte nicht zulasten der Kleinaktionäre gehen. Wir werden daher die Entwicklung in diesem Bereich sehr kritisch verfolgen. Schließlich sehe ich auch den Bereich des Depotstimmrechts nur ungenügend reformiert. Wichtig ist es, Anreize und Strukturen für eine kritische Stimmrechtsvertretung gesetzlich zu installieren. Grünes Anliegen ist es, die kritische Kontrolle durch Aktionäre in der Hauptversammlung zu stärken. Daher befürworten wir Strukturen, nach denen Aktionärsvertretungen zunehmend Stimmrechte delegiert erhalten, um diese gebündelt und kritisch in der Hauptversammlung einzusetzen. Grundsätzlich begrüßen wir es auch, wenn das Depotstimmrecht reformiert wird, damit beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute diese Dienstleistung überhaupt wieder anbieten. Allerdings ist der neue § 135 AktG mit einer fakultativen Kannregelung ausgestaltet. Wir haben große Zweifel, dass die geschaffenen Anreize genügen, um Banken wieder vermehrt zur Stimmrechtsvertretung zu bewegen beziehungsweise um die - kritische - Hauptversammlungspräsenz zu steigern. Wir hätten uns die Einführung eines verpflichtenden Angebots der Stimmrechtsvertretung von Depotbanken gewünscht. Wenn in den abschließenden Beratungen anklang, man müsse sich für die kommende Legislatur etwa das Beschlussmängelrecht nochmals konzeptionell vorknüpfen, dann möchte ich abermals auf eine Sache hinweisen: Wesentlich wichtiger wäre es, endlich ein effektives Haftungssystem im Aktiengesetz zu entwickeln, demzufolge begründete Ansprüche gegen Führungsorgane auch tatsächlich durchgesetzt werden. Hier besteht ein eklatantes Durchsetzungsdefizit, das gerade im Rahmen der Finanzmarktkrise abermals deutlich wird.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Anlass für den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie - kurz ARUG - ist zunächst einmal die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom Juli 2007. Diese Umsetzung muss bis 3. August 2009 erfolgen. Auf die Einzelheiten dieser Richtlinie möchte ich hier nicht noch einmal eingehen, sondern es bei der Feststellung belassen, dass die grenzüberschreitende Information und Stimmrechtsausübung der Aktionäre erleichtert und dadurch das deutsche Aktienrecht der Internationalisierung der Kapitalmärkte angepasst wird. Die Internetseite der Gesellschaften wird zum zentralen Informationsmedium ausgebaut, und elektronische Kommunikation, wie etwa die Onlineteilnahme von Aktionären oder die Abstimmung durch elektronische Briefwahl, wird ermöglicht. Neben der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie verfolgen wir mit dem ARUG vor allem drei weitere Ziele: die teilweise Umsetzung der geänderten Kapitalrichtlinie durch Deregulierungen bei der Sachgründung; eine Vereinfachung des Depotstimmrechts der Kreditinstitute und schließlich Maßnahmen gegen missbräuchliche Aktionärsklagen. Im parlamentarischen Verfahren kam mit den Regelungen zur verdeckten Sacheinlage noch ein weiterer wichtiger Punkt dazu. In das GmbH-Recht hatten wir entsprechende Regelungen bereits durch das MoMiG eingefügt, die von der Praxis und der Wissenschaft überwiegend gut aufgenommen wurden. Nach Prüfung der aktien- und europarechtlichen Rahmenbedingungen übernehmen wir diese Regelungen nun in das Aktienrecht und beseitigen damit Rechtsfolgen, die in der Praxis häufig als unangemessen empfunden wurden. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Neuordnung des gesamten Fristenregimes im Vorfeld der Hauptversammlung. Das ist für die Hauptversammlungspraxis ein besonders wichtiger Punkt, weil es hier seit jeher Zweifelsfragen gab, was zu Fehlern und schlimmstenfalls zur Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen geführt hat. Künftig werden alle Fristen und Termine nach einem einheitlichen Muster von der Hauptversammlung zurückberechnet, alle Fristen sind aufeinander abgestimmt und harmonisiert. Die praktische Bedeutung dieses eher technisch klingenden Details ist nicht zu unterschätzen. Die größte Aufmerksamkeit in der öffentlichen Diskussion haben wohl die Maßnahmen gegen die sogenannten räuberischen Aktionäre erfahren. Gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten müssen zum Beispiel Sanierungsschritte rasch durchgeführt werden können; dabei zählt oft jeder Monat. Es ist aus diesem Grund wichtig, die Dauer der Freigabeverfahren abzukürzen, weil das hauptsächliche „Erpressungspotenzial“ in einer langen Verfahrensdauer liegt. Für eine solche Beschleunigung haben wir mehrere Maßnahmen in das ARUG aufgenommen. Im parlamentarischen Verfahren haben wir uns darüber hinaus nach intensiver Diskussion dafür entschieden, als erste und einzige Instanz für das Freigabeverfahren das Oberlandesgericht vorzusehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir durch die Gesamtheit der Maßnahmen das fragwürdige Geschäftsmodell der räuberischen Aktionäre erheblich erschweren. Zusammenfassend kann man sagen, dass das ARUG den Aktiengesellschaften das Leben erleichtern wird. Und das ist vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzkrise besonders wichtig, weil ein stabiles und in der Praxis gut handhabbares Aktienrecht ein bedeutender Standortfaktor für die Wirtschaft ist. Zu Protokoll gegebene Reden

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13098, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/11642 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker und Klaus Uwe Benneter ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13212? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, dass trotz der Annahme einer Änderung sofort in die dritte Beratung eingetreten wird. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so verfahren. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der zweiten Lesung angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Soziale Fortschrittsklausel in die EU-Verträge einfügen - Drucksache 16/13056 Überweisung: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Hierzu ist eine Debattenzeit von einer halben Stunde vereinbart. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Europäischen Union müssen um die niedrigsten Löhne konkurrieren. Die Lohnentwicklung ist eine zentrale Ursache der Wirtschaftskrise, wie wir mittlerweile wissen. Wenn Arbeitnehmer nicht konsumieren, werden Unternehmen nicht investieren und Banken das Kapital weiter ins Kasino tragen. Durch die europäischen Verträge wird der dramatische Rückgang der Lohnquote in der Europäischen Union gefördert, und damit wird die Wirtschaftskrise verlängert. Der Europäische Gerichtshof untersagte etwa dem Land Niedersachsen, bei öffentlichen Aufträgen die ortsüblichen Tariflöhne zu verlangen. Polnische Arbeitnehmer hätten auf einer deutschen Baustelle höchstens Anspruch auf Mindestlöhne. Mindestlöhne werden so zu Höchstlöhnen. Mit dieser Rechtsprechung wird gegen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und damit gegen Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstoßen. Sie ist auch europafeindlich, weil durch sie die Menschen in der EU gegeneinander ausgespielt werden. ({0}) Wenn ein deutsches Unternehmen nach Polen geht, zahlt es selbstverständlich die niedrigeren polnischen und nicht die deutschen Löhne. Umgekehrt soll dies nicht gelten. Das in der Bolkestein-Richtlinie formulierte Herkunftslandprinzip erhält so über den Gerichtssaal wieder Geltung. Dies ist auch ökonomischer Unsinn: ({1}) Erstens wird das Wachstum durch sinkende Löhne gebremst. Zweitens werden heimische Unternehmen gegenüber Entsendeunternehmen bei der Auftragsvergabe zukünftig diskriminiert: Sie müssen Tariflöhne zahlen, die anderen nicht. Drittens schaden diese Urteile auch den Osteuropäern: Wenn die Löhne beim Exportweltmeister Deutschland sinken, dann haben wir einen weiteren Wettbewerbsvorteil gegenüber den EU-Nachbarn. Diese Rechtsprechung hat ihre Ursache in europäischen Verträgen. Durch den Vertrag von Lissabon wird hieran nichts geändert. Dem Europäischen Gerichtshof wird somit weitere Munition für eine arbeitnehmerfeindliche Rechtsprechung geliefert. Durch Art. 52 der Grundrechte-Charta werden - trotz vieler positiver Aspekte dieser Charta - zahlreiche Rechte beschränkt. Die Freiheiten des Binnenmarktes haben weiter Vorrang vor den politischen und sozialen Rechten der Arbeitnehmer. Der Europäische Gerichtshof geht sogar so weit, die laut Grundgesetz unantastbare Menschenwürde gegen unternehmerische Freiheiten abzuwägen. Deswegen haben wir, die Linke, gegen den Vertrag von Lissabon geklagt. Nun hat auch die SPD das Problem erkannt, und sie fordert zu unserer Überraschung eine Änderung des Vertrags von Lissabon durch ein Sozialprotokoll. Wenn die SPD ihre Forderung ernst nimmt, kann der Vertrag so nicht ratifiziert werden. ({2}) Sie haben unsere Forderung nach einem Sozialprotokoll bereits zweimal abgelehnt: einmal am 22. Oktober 2008 im Europäischen Parlament und am 20. Dezember 2008 im Bundestag. Die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer werden die SPD aufmerksam beobachten. Sie wissen nach elf Jahren Regierungsverantwortung der SPD, dass etwas heiße Luft gegen soziale Kälte nicht schaden kann und nicht schaden wird. Die Linke wirkt. ({3}) Es wird sich zeigen, ob Sie Ihr Wahlversprechen genauso ernst nehmen, wie Sie es zuvor bei den Mindestlöhnen, der Mehrwertsteuer oder der Vermögensteuer getan haben. Die parlamentarischen Mehrheiten für diese Dinge sind da. Diese Mehrheiten wurden unter Gerhard Schröder immer genutzt, wenn es darum ging, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu schaden; Hartz IV und Agenda 2010 sind Beispiele dafür. Sie können diesmal beweisen, dass Sie diese Mehrheiten nutzen, um etwas für die Menschen in Europa zu tun. ({4}) Kollege Axel Schäfer, in der letzten Debatte haben Sie etwas von Doppelzüngigkeit gesagt. Wer wie die SPD immer für die europäischen Verträge war und sich jetzt hinstellt und eine gemeinsame Erklärung mit dem DGB abgibt, der ist doppelzüngig. Sie hätten während der Vertragsverhandlungen, spätestens nach dem Scheitern der Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden, sagen müssen: Jetzt muss das in den Verträgen verankert werden. Sich jetzt, vor den Europawahlen, hinzustellen und so etwas gemeinsam mit den Gewerkschaften zu erklären, ist doppelzüngig. Das werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht vergessen. ({5}) Die SPD muss beantworten, ob es am 7. Juni bei den Europawahlen heißt: „Pinocchio würde SPD wählen.“ Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antragsteller suggeriert mit seinem Antrag, die Europäische Union wäre allein wirtschaftlichen Interessen verpflichtet ({0}) und würde soziale Belange der Arbeitnehmer und der Gesellschaft missachten. Das ist die übliche Verschwörungstheorie, die völlig an der Realität vorbeigeht. Die europäische Integration und gerade der Binnenmarkt in der Europäischen Union ist in den letzten Jahrzehnten ein Motor für Wachstum, Beschäftigung und sozialen Wohlstand gewesen. ({1}) Wir haben heute die Situation, dass die Europäische Union über 35 Prozent ihrer Mittel für Sozialpolitik, sozialen Zusammenhalt, Wachstum und Beschäftigung ausgibt. Das sind über 300 Milliarden Euro in der Finanzperiode 2007 bis 2013. Das ist eine große Leistung der europäischen Integration. ({2}) Für die Union ist klar: Wir sind für eine Europäische Union, die die Rechte der Arbeitnehmer achtet und auch den sozial Schwachen die Chancen der europäischen Integration offenhält. Soziale Politik ist aber in erster Linie auch eine nationale Aufgabe. Das Anliegen, eine generelle Zuständigkeit der Europäischen Union für solche Fragen zu begründen, lehnen wir ab. Europa muss Grenzen haben, und zwar auch in dieser Frage. ({3}) Wer einer immer stärkeren Zentralisierung der Sozialpolitik das Wort redet, der muss auch die ganze Wahrheit sagen. Er muss dazusagen, dass eine Harmonisierung der Standards auf europäischer Ebene im Ergebnis eine Abwertung der hohen deutschen Schutzstandards bewirkt. Das ist die Realität. ({4}) Deswegen sind wir für sozialen Ausgleich und soziale Rechte in der Europäischen Union. Wir sind aber nicht für eine zentralisierte und harmonisierte Sozialpolitik, die nicht unseren Interessen entspricht. ({5}) Mir bleiben jetzt noch sechseinhalb Minuten meiner Redezeit von neun Minuten. Betrachten Sie es als meinen Beitrag zum sozialen Fortschritt in diesem Hause, dass ich davon nicht erschöpfend Gebrauch mache. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Markus Löning. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich habe nicht einmal sechseinhalb Minuten Redezeit. Aber der Kollege Silberhorn hat im Tenor vieles von dem getroffen, was ich auch sagen würde. ({0}) Herr Ulrich, Sie haben in Ihrer Rede von ökonomischem Unsinn geredet. Das ist eine treffende Beschreibung sowohl Ihres Vortrages als auch Ihres Antrages: ökonomischer Unsinn. Sie versuchen nämlich, einen Gegensatz herzustellen. Das ist das Demagogische und Populistische an der Politik, die Sie hier vertreten. Sie versuchen, einen Gegensatz zwischen Marktwirtschaft und Sozialem herzustellen. ({1}) Sie verstehen nicht, Sie wollen nicht verstehen - und Sie streuen den Menschen Sand in die Augen -, dass die Marktwirtschaft, der Binnenmarkt und das Zusammenarbeiten gerade in ökonomischen Belangen innerhalb der Europäischen Union erst die Grundlage für den Wohlstand und den Sozialstaat in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen haben und immer noch schaffen. ({2}) - Selbstverständlich. Ich bleibe aber dabei, dass Sie mit Ihrer Art der Darstellung des Gegensatzes den Leuten Sand in die Augen streuen und versuchen, sie zu verulken, um es freundlich und parlamentarisch auszudrücken. Mir würde an anderer Stelle vielleicht noch etwas anderes einfallen. ({3}) Lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema Mindestlohn verlieren. Bei diesem Thema sind nicht alle Kollegen - auch der anderen Fraktionen - derselben Meinung. ({4}) Auch beim Mindestlohn streuen Sie den Leuten Sand in die Augen. Zu wessen Lasten geht denn Ihre Forderung nach dem Mindestlohn? Wir sind uns doch einig, dass die Menschen in unserem Land einen menschenwürdigen Mindeststandard brauchen; das steht völlig außer Frage. ({5}) Die Frage ist immer: Wer bezahlt es? Wir sagen: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dass Menschen, die aufgrund ihrer Qualifikation, ihrer Arbeitsleistung nicht in der Lage sind, bestimmte Werte zu erarbeiten, vom Steuerzahler, von uns allen unterstützt werden. ({6}) Ihre Forderung nach dem Mindestlohn ist zutiefst unsozial. Damit grenzen Sie Leute mit geringer Qualifizierung aus dem Arbeitsmarkt aus. Das ist die Wahrheit über Ihre Politik, die Wahrheit in Bezug auf die Frage des Mindestlohns. ({7}) - Das mit den Dumpinglöhnen wird hier irgendeiner anderen Partei zugeschrieben. Herr Ulrich, Sie sollten sich in Bezug auf diese Frage sehr viel ernsthafter damit auseinandersetzen, was es tatsächlich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für den Arbeitsmarkt, für Geringqualifizierte bedeutet, wenn Sie gesetzliche Mindestlöhne vorschreiben. Das, was Sie hier vertreten, ist ein Schlag ins Kontor, ein Schlag gerade gegen gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({8}) Quatschen Sie nicht so einen Unfug, was die Mindestlöhne angeht! ({9}) Meine Damen und Herren, auch ich möchte meine Redezeit nicht vollständig ausschöpfen. Aber lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, der aus meiner Sicht wiederum den Populismus der Linkspartei und ebenso deren Unehrlichkeit deutlich macht. Sie reden Unfug wider besseres Wissen über das Thema LissabonVertrag. Wenn mich als Liberalen an dem Lissabon-Vertrag eines stört, dann ist es die Tatsache, wie wenig die Marktwirtschaft und der Binnenmarkt darin betont werden. Es stört mich, wie weit soziale Fragen darin in den Vordergrund gestellt wurden. ({10}) Trotzdem stimme ich als Liberaler dem Lissabon-Vertrag zu, weil er meiner Meinung nach Europa in der Summe nach vorn bringt. Sie versuchen auch an dieser Stelle, den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Sie sagen die Unwahrheit über das, was der Lissabon-Vertrag für die Menschen bedeutet. Die Linke ist und bleibt eine populistische Partei, die versucht, mit Demagogie Leute hinter sich zu bringen. Dieser Versuch wird misslingen. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD-Fraktion.

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Absicht des Antrags der Fraktion Die Linke ist klar: Die Linke möchte als Partei wahrgenommen werden, die das soziale Europa voranbringt. Das aber wird nicht gelingen, schon gar nicht mit diesem Antrag; denn es ist völlig klar, dass die Linke in den Debatten über Europa immer wieder versucht, der europäischen Zusammenarbeit zu schaden. Sie versucht, den globalen Herausforderungen und den internationalen Problemen, vor denen wir stehen, mit nationaler Politik und plumpem Populismus zu begegnen. ({0}) Das ist ebenso aussichts- wie erfolglos. Diese Politik ist zum Scheitern verurteilt. Ich sage hier für die SPD ganz deutlich: Eine internationale Partei wie die SPD, die sich seit 1925 zu den Vereinigten Staaten von Europa bekennt, lässt sich hier im Deutschen Bundestag von der Linkspartei nicht erklären, was gute europäische Politik und was ein soziales Europa ist. ({1}) Wir stehen für das soziale Europa, und wir beweisen das durch unser Engagement und vor allen Dingen durch verantwortungsvolle Politik. Das ist eben keine heiße Luft, sondern sie bringt frischen Wind und gute Ideen, die Europa sehr gut tun. ({2}) Die Linkspartei, liebe Kolleginnen und Kollegen, lehnt den Vertrag von Lissabon ab und klagt sogar vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen. Jetzt fordert sie plötzlich Verbesserungen für den Vertrag von Lissabon. Wie passt das zusammen? Das passt überhaupt nicht zusammen. Ich kann es mir nur so erklären: Die Linke ist etwas verzweifelt und merkt, dass sie sich mit der Ablehnung des Lissabon-Vertrages in eine Sackgasse manövriert hat. Ich will kurz daran erinnern, dass eine prominente Politikerin der Linkspartei, Sylvia-Yvonne Kaufmann, eine kluge und engagierte Frau, ({3}) aus der Linkspartei ausgetreten ist, eine Frau, liebe Kolleginnen und Kollegen, die sich für Europa und für den Lissabon-Vertrag sehr engagiert hat und sich um die europäische Einigung sehr verdient gemacht hat. ({4}) Sie hat aus echter Überzeugung an dem Lissabon-Vertrag mitgearbeitet. Für meine Partei kann ich sagen: Wir sind froh, dass sie den Weg in unsere Partei gefunden hat. ({5}) Das zeigt sehr deutlich, dass die Linkspartei auf dem Holzweg ist und keine Konzepte für ein soziales Europa hat. Ich komme noch einmal zu dem hier angesprochenen Positionspapier. Anfang Mai hat die SPD zusammen mit den Gewerkschaften ein Positionspapier „Für ein Europa des sozialen Fortschritts“ veröffentlicht. Darin sprechen wir uns für eine Ergänzung des EU-Primärrechts durch eine Fortschrittsklausel aus. ({6}) Wir haben gute Gründe dafür, dass wir das tun: Damit soll klargestellt werden, dass die EU nicht nur dem wirtschaftlichen, sondern auch dem sozialen Fortschritt verpflichtet ist. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Klausel in einem rechtlich verbindlichen Protokoll zum sozialen Fortschritt ein Bestandteil der europäischen Verträge wird. ({7}) - Wir sind das Original. ({8}) Wir möchten mit dieser Klausel deutlich machen - wir sind sehr froh, dass wir hier die Gewerkschaften an unserer Seite haben -, dass Soziales und Wirtschaft keine Gegensätze sind - der Kollege Löning hat das schon gesagt -, sondern untrennbar miteinander verbunden sind. Aber wir wollen auch deutlich machen, dass im Konfliktfall - im Gegensatz zu den jüngsten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs - nicht die wirtschaftlichen Grundfreiheiten Vorrang haben, sondern die sozialen Grundrechte und die wirtschaftlichen Grundfreiheiten ordentlich abgewogen werden. ({9}) Wenn ich das hier so offen sagen darf: Es ist einigermaßen durchsichtig, wenn die Linksfraktion genau zehn Tage später einen Antrag mit identischen Forderungen stellt, aber an keiner Stelle deutlich macht, wie sie sich konstruktiv für diese Forderungen einsetzen oder wie sie verantwortungsvoll Politik in Europa machen will. ({10}) Für die SPD sage ich ganz deutlich: Wir lassen uns unsere guten Ideen von Ihnen nicht klauen. Die Menschen merken - auch im Europawahlkampf -, wer für das soziale Europa steht ({11}) und wer das Original und wer die Kopie ist. So selbstbewusst sind wir von der SPD, dass wir sagen: Wir stehen für das soziale Europa. Ich will kurz daran erinnern, dass wir gute Gründe für unsere Forderung einer sozialen Fortschrittsklausel haben. Die bekannten Urteile des EuGH haben uns alle einigermaßen besorgt gemacht. ({12}) Wir sehen genügend Anlass, diese Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu kritisieren. Ich sage deutlich: Es ist sehr ärgerlich, dass der Europäische Gerichtshof, der bei der Gestaltung des sozialen Europas und der europäischen Integration eigentlich immer unser Bündnispartner war, uns jetzt Anlass für Kritik gegeben hat. Aufgrund dieser Urteile halten wir die Ergänzung des Primärrechts durch eine soziale Fortschrittsklausel für sehr richtig und notwendig. Wir bleiben bei unserer Forderung. Ich möchte ganz deutlich betonen: Wir verbinden die Forderung nach einem sozialeren Europa mit einem sonnenklaren Bekenntnis zum Vertrag von Lissabon. Das ist der ganz entscheidende Unterschied zwischen unserer und Ihrer Politik. ({13}) Wir von der SPD wollen, dass der Vertrag von Lissabon so bald wie möglich in Kraft tritt. Wir hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht eine weise Entscheidung trifft. Wir hoffen auch, dass die Irinnen und Iren entsprechend abstimmen. Wir wollen, dass Europa mit dem Vertrag von Lissabon handlungsfähig bleibt und eine gute Grundlage schafft. Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass der Vertrag von Lissabon schon deutliche Verbesserungen für das soziale Europa bringt und für all diejenigen einen echten Fortschritt darstellt, die sich für das soziale Europa engagieren. Deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, warum Sie das nicht anerkennen wollen. ({14}) Der Vertrag von Lissabon enthält ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung ausgerichtet ist. Das ist ein Riesenfortschritt für all diejenigen, die sich um das soziale Europa kümmern. Die soziale Querschnittsklausel verpflichtet die Politik, auf ein hohes Beschäftigungsniveau und den sozialen Schutz zu achten. ({15}) Ein weiterer Riesenerfolg des Vertrages von Lissabon ist die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta. In dieser Charta sind soziale Grundrechte verbindlich verankert. Deshalb wird der Vertrag von Lissabon einen echten Fortschritt bringen. ({16}) Wir kommen zu dem Ergebnis, dass der Vertrag von Lissabon eine sehr gute Grundlage und der richtige Weg hin zu einem sozialen Europa ist. Ich gehe sogar so weit, mit Bezug auf die EuGH-Entscheidung zu sagen: Mit dem Vertrag von Lissabon hätten wir auch eine neue Grundlage für weitere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Ich bin mir sehr sicher, dass der Europäische Gerichtshof bei künftigen Urteilen dann zu einer anderen Abwägung zwischen wirtschaftlichen Grundfreiheiten und sozialen Grundrechten käme. Mein Fazit lautet: Europa muss sozialer werden. Dafür steht die SPD. Dafür setzen wir uns ein. Wir halten die soziale Fortschrittsklausel für eine richtige Ergänzung des Primärrechts. Deswegen werden wir uns gemeinsam mit den Gewerkschaften weiterhin dafür einsetzen. Aber man kann das soziale Europa nicht gestalten, wenn man den Vertrag von Lissabon ablehnt und die europäische Einigung insgesamt so kritisch beurteilt, wie Sie das tun. Die Linke muss sich zunächst klar zu Europa bekennen, bevor sie Forderungen im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon stellt. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Debatte auch im zuständigen Ausschuss führen. Herzlichen Dank. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich habe nur vier Minuten Redezeit. Darum werde ich nichts davon abgeben. ({0}) Aber Sie sind frei, Zwischenfragen zu stellen, um meine Redezeit zu verlängern. ({1}) Auch wir als Grüne sind der Meinung, dass das soziale Europa gestärkt werden muss. Die wichtigste Grundannahme, die wir dabei haben, ist: Wer mehr soziales Europa will, muss Europa mehr für ein soziales Europa tun lassen. Das heißt: Soziales Europa geht nur mit mehr Europa. ({2}) Europa muss mehr zwischen nationalstaatlichen Systemen koordinieren, und es muss mehr harmonisieren, wo Mindeststandards gefragt sind. Europa muss sich in mancher Hinsicht auch mehr aus Dingen heraushalten. Der Vertrag von Lissabon regelt das zum Beispiel für den Bereich der Daseinsvorsorge. Dass die Wasserversorgung in kommunaler Hand bleiben kann, wird durch den Vertrag von Lissabon geregelt. Das ist ein weiterer Punkt des sozialen Europas im Lissabonner Vertrag. ({3}) Trotzdem hat sich auch nach unserer Analyse eine Schieflage entwickelt. Im Laval-Urteil hat der EuGH eine Abwägung zwischen den sozialen Grundrechten, die in Art. 2 und in den dazugehörigen Dokumenten geregelt sind, und der Dienstleistungsfreiheit vorgenommen. Diese Abwägung zu machen, ist schon schwierig, aber aus unserer Sicht ist vor allem das Ergebnis falsch. Das Rüffert-Urteil des EuGH und das Urteil des Verwaltungsgerichts Celle besagen ausdrücklich, dass bei der Entsendung von Arbeitnehmern der geringere Lohn einen Wettbewerbsvorteil darstelle, der zumutbar sei. Wir halten das für falsch. Aber es war nicht nur der EuGH, der das festgestellt hat, sondern zuerst hat das Verwaltungsgericht Celle ein entsprechendes Urteil gefällt. Ich frage mich, warum eigentlich der große Sturm der Entrüstung nicht schon bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Celle ausgebrochen ist. Richtig ist: Wir wollen entgegensteuern. Wir wollen die sozialen Grundrechte stärken; wir wollen eine Gleichwertigkeit von sozialen Grundrechten und den Grundfreiheiten des Binnenmarkts herstellen. ({4}) Wir finden die Vorschläge zur Fortschrittsklausel, die der Europäische Gewerkschaftsbund gemacht hat, interessant. Aber Sie können nicht von mir erwarten, dass ich das, was der EGB aufgeschrieben hat, als richtig bezeichne. Darin sind auch viele Kinken. Einen grundsätzlichen Vorrang von sozialen Grundrechten vor jeglichem Primärrecht zu konstruieren, halte ich für wagemutig und auch für falsch. Es gibt primärrechtliche Ziele, für deren Verankerung wir Jahrzehnte gekämpft haben: Nachhaltigkeit, Ökologie und andere. Grundsätzlich gegenüber allem Primärrecht einen Vorrang zu definieren, halte ich für nicht zielführend. ({5}) Die Schwäche des Antrags der Linken ist, dass nur irgendeine Klausel gefordert wird. Sie geben noch nicht einmal Kriterien an, wie diese Klausel gestaltet sein sollte. Wir freuen uns auf die Debatte, und ich freue mich über die vier Minuten Redezeit, die leider fast schon vorbei sind. Zustimmen können wir dem Antrag nicht. Wir werden uns enthalten. Noch ein Punkt in dem Antrag ist aus unserer Sicht demokratiestörend. Sie wollen die Bundesregierung schon jetzt darauf festlegen, welche Kriterien der Kandidat für den Posten des Kommissionspräsidenten erfüllen soll. Im Lissabonner Vertrag haben wir erreicht, dass die Bürgerinnen und Bürger Einfluss darauf nehmen können, wer Präsident wird; denn das Ergebnis der Europawahl soll darüber mitbestimmen, wer das wird. ({6}) Diesen Punkt der Demokratisierung lehnen Sie mit Ihrem Antrag ab. Das ist Quatsch. Wissen Sie, was wir machen? Wir haben angekündigt, dass wir im Europaparlament nur einen Kommissionspräsidentschaftskandidaten mit unserer Stimme unterstützen, der sich verpflichtet, den sozialen Fortschritt in Europa voranzutreiben und die Forderung des Anderson-Berichts - der übrigens auch mit der SPD beschlossen wurde -, nämlich über eine Fortschrittsklausel nachzudenken, zu unterstützen. Das ist der Maßstab, den wir im EP an den neuen Kommissionspräsidentschaftskandidaten legen. So macht man das richtig, nicht über einen Antrag wie den, den Sie gestellt haben. ({7}) Deswegen enthalten wir uns. Ich habe meine Redezeit wenigstens genau eingehalten. Das ist eine kleine Hommage an die Vorredner. Danke. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13056. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und mitberatend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. Nach unserer ständigen Übung geht die Abstimmung über die Überweisung vor. Wer stimmt für die Überweisung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Überweisung ist damit eindeutig beschlossen. Über den Antrag in der Sache wird also heute nicht abgestimmt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Delfinschutz voranbringen - zu dem Antrag der Abgeordneten Undine Kurth ({1}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich beenden - Drucksachen 16/12868, 16/9102, 16/13203 Berichterstattung: Abgeordneten Ingbert Liebing Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Eva Bulling-Schröter Undine Kurth ({2}) Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Ingbert Liebing, Christoph Pries, Mechthild Rawert, Angelika Brunkhorst, Eva Bulling-Schröter und Undine Kurth.

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dass Delfine bedroht sind, ist uns allen nicht neu. Delfine verfügen auch seit Jahrzehnten über eine gewaltige mediale Präsenz. In den 60er-Jahren fing es mit der Fernsehserie „Flipper“ an, und bis heute ist der Mythos vom freundlichen Delfin ungebrochen. Gipfel einer damals unkritischen Freude am Delfin waren die in den 70er- und 80er-Jahren weit verbreiteten Delfinarien, in denen sich Touristen an Kunststücken erfreuten, die die Tiere zum Teil unter Qualen und unter erbärmlichen Lebensbedingungen erlernt hatten. In den Neunzigern setzte ein Umdenken ein: Allein in Deutschland wurden fünf der ursprünglich neun Delfinarien geschlossen. Dies war Ausdruck des sich entwickelten Bewusstseins für unsere natürliche Umgebung quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Naturschutz und Bewahrung der Schöpfung hatten einen neuen Stellenwert bekommen. Eine gute und unterstützenswerte Entwicklung; eine Entwicklung, die von der CDU/CSU immer mit Überzeugung mitgestaltet wurde - nicht nur in Bezug auf Delfine, sondern auf alle Meeressäuger. Nehmen wir nur die jüngsten Fortschritte. Das ACCOBAMS-Übereinkommen zum Schutz von Walen und Delfinen wurde von seinem ursprünglichen Geltungsbereich so ausgeweitet, dass eine Verbindung zum Kleinwalschutz im Mittelmeer geschaffen wurde. Hiermit haben wir der Tatsache Rechung getragen, dass die Kleinwale einen sehr viel weiträumigeren Lebensraum haben, als früher vermutet wurde. Im Rahmen von ACCOBAMS wurde mithilfe von detaillierten Schutzplänen und der Einrichtung spezieller Schutzgebiete erreicht, dass sich der Bestand der Schweinswale in der Nordsee deutlich erholt hat. Das ist ein Erfolg von ASCOBANS, aber auch ein Erfolg neuer technischer Schutzmethoden in der Fischerei, zum Beispiel der Pingerpflicht zur akustischen Vergrämung. Seitdem sie durchgängig eingesetzt werden, sind Beifänge deutlich gesunken. Die CDU/CSU hat sich außerdem mit Leib und Seele für den Schutz der Wale und die Beibehaltung des Moratoriums gegen den Walfang eingesetzt, dessen Aufhebung zwischenzeitlich ernsthaft drohte. Mit Erfolg! In unserem Antrag zum Schutz der Wale, Drucksache 16/4843, haben wir unter anderem konkrete Maßnahmen zum verbesserten Schutz aller Walarten, inklusive kleinerer Wale und Delfine, gefordert. Hierin wurde besonders auch vor den negativen anthropogenen Einflüssen wie zum Beispiel Verschmutzung, Beifang und Lärm gewarnt, die den Lebensraum der Bestände in freier Wildbahn ernsthaft bedrohen. Dies macht deutlich, dass wir als Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung das Thema Schutz der Wale und Delfine in höchstem Maße ernst nehmen und auf nationalem und internationalem Parkett auch entsprechend handeln. Seit einigen Jahren haben wir allerdings ein neues Problem, nämlich die wachsende Popularität von Delfintherapie. In den letzten Jahren ist es zu einem regelrechten Run auf Therapieangebote in diesem Bereich gekommen, nicht zuletzt durch übertriebene Medienberichte über die „Wunderheiler in Grau“. Deren Erfolgsquote ist allerdings nicht medizinisch belegt. Die bei der Delfintherapie beobachteten Effekte lassen sich zudem nach Meinung führender Experten auch durch andere Tierarten erzielen. Oftmals werden einheimische Haustiere bei Therapien eingesetzt, beispielsweise Hunde oder Pferde. Deshalb unterstützt auch die Bundesregierung Delfintherapie in keiner Art und Weise, weder verbal noch finanziell. Und dies ist auch in Zukunft nicht geplant. Schauen wir uns einmal die rechtliche Situation an: Die bestehenden Einfuhrregelungen stellen sicher, dass frei lebende Delfine und Wale nur unter strengsten Voraussetzungen und zu nicht kommerziellen Zwecken in die EG gelangen. Bei jeder Form der Haltung von Delfinen - sei dies in Delfinarien, zoologischen Gärten oder wissenschaftlichen Einrichtungen - sind in Deutschland die Vorgaben des Tierschutzrechts gleichermaßen zu beachten: Wer ein Tier hält, muss nach § 2 des Tierschutzgesetzes das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, darf die Möglichkeit des Tiers zu artgemäßer Bewegung nicht einschränken, muss gewährleisten, dass ihm keine Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden und muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Sind diese gesetzlichen Auflagen nicht erfüllt, kann eine Haltung jederzeit versagt oder widerrufen werden. Dass dies funktioniert, zeigte die bereits erwähnte Tatsache, dass in den vergangenen Jahren fünf der ehemals neun Delfinarien in Deutschland geschlossen wurden. Der Antrag auf Bau eines Delfinariums auf Rügen wurde auf Grundlage bestehenden Rechts und eines Gutachtens des wissenschaftlichen Beirats des Stralsunder Meeresmuseums nicht genehmigt. Eine artgerechte Haltung war in dem Fall offensichtlich nicht gewährleistet. EU- bzw. nationales Artenschutzrecht enthält mit Einfuhr-, Besitz- und Vermarktungsbeschränkungen sowie mit den bestehenden Nachweispflichten und Sanktionsvorschriften ein effektives Instrumentarium gegen illegale Einfuhren. So sind auch illegale Importe nach Deutschland nicht bekannt. Leider werden aber im europäischen Ausland nach wie vor Verstöße gegen geltendes Recht beobachtet. Die Unionsfraktion hat daher einen Antrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sich weiterhin auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene aktiv gegen die illegale Einfuhr von in freier Wildbahn gefangenen Delfinen einzusetzen und zur Vermeidung dieser Einfuhren entsprechende Kontrollen durchzuführen. Wir wollen darüber hinaus auch die Haltungsanforderungen für Delfine neuen Erkenntnissen anpassen. Im Rahmen des Säugetiergutachtens des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft müssen diese Haltungsanforderungen regelmäßig überarbeitet werden. Dabei muss beachtet werden, dass das bearbeitende Expertengremium paritätisch mit Fachkräften der Zoobranche, der Tierschutzorganisationen und mit unabhängigen Gutachtern besetzt wird. So wollen wir sichergestellt wissen, dass bei der Kriterienfestlegung größtmögliche Objektivität zum Tragen kommt. Zunächst wollen wir die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen und ihre Einhaltung streng kontrolliert wissen. Wenn dies geschieht, sind wir auch im Delfin- und Walschutz einen großen Schritt weiter. Die Griechen der Antike verehrten die Delfine als göttliche Geschöpfe. Der Sonnengott Apollon zum Beispiel, im Meer geboren, soll von einem Delfin an Land gebracht worden sein und sich zeitweise selbst in einen solchen verwandelt haben. Sie galten als klug, schön und lebensfroh, waren selbstlose Retter unzähliger Schiffbrüchiger und ein gutes Omen für Seefahrer und Fischer. Die alten Griechen sagten ihnen heilende Kräfte nach. Und wer einen Delfin töte, ziehe sich den Zorn der Götter zu, hieß es. Es stünde uns gut an, wenn wir uns ein wenig dieser Sichtweise wieder zu eigen machten. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass unsere Kinder diese Meeressäuger nicht nur noch aus Erzählungen kennen.

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann mich noch gut an meine erste Rede hier im Hause erinnern. Anfang Januar 2005 haben wir über das Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee debattiert. Der dazugehörende Gesetzentwurf wurde seinerzeit einstimmig angenommen. Heute debattieren wir wieder zum Thema Delfinschutz. Es gab ursprünglich einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben versucht, auf dieser Basis einen interfraktionellen Antrag zu entwickeln, sind aber leider gescheitert. Heute müssen wir daher über einen zusätzlichen Koaltionsantrag debattieren - zwei Anträge, die von ihrer Intention her eigentlich nicht so weit auseinanderliegen. Ich freue mich aber, dass im federführenden Umweltauschuss der Koalitionsantrag einstimmig und im mitberatenden Agrarauschuss bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen wurde. Was wollen wir mit unserem Antrag erreichen? Uns geht es in erster Linie darum, die Lebensgrundlagen der Delfine zu erhalten und zu verbessern. Delfine haben eine sehr geringe Reproduktionsquote. Wie alle anderen Wale auch, bringen sie immer nur ein Kalb zur Welt. Gleichzeitig sind die Lebensräume der Delfine zunehmend bedroht. Diese Bedrohung geht in erster Linie von Beifang durch die Fischerei aus. Entweder sterben die gefangenen Tiere einen qualvollen Erstickungstod in den Netzen, oder sie ziehen sich so schwere Verletzungen zu, dass sie später verenden. Damit aber nicht genug: Die zunehmende Verschmutzung der Meere, die Nahrungsknappheit durch Überfischung und die Einengung der Lebensräume durch die zunehmende Verlärmung der Meere sind für Delfine weltweit zu einer Bedrohung geworden. Hier müssen - und zwar international - weitere intensive Bemühungen stattfinden. Ziel muss sein, die Meeressäugetiere in der freien Wildbahn stärker zu schützen, und es ist gut, dass wir uns darin einig sind. Seit 1997 schließt die EU-Verordnung über den Schutz von Exemplaren wild lebender Tier- und Pflanzenarten ein Importverbot von Delfinen und Walen für kommerzielle Zwecke mit ein. Auch auf der Vertragskonferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens wurde der internationale Handel zu kommerziellen Zwecken verboten. Wir brauchen jedoch auch weiterhin Kontrollen, damit diese Verbote eingehalten werden. Wir müssen aber auch vor der eigenen Tür kehren. Daher setzen wir uns mit unserem Antrag für die Verbesserung der Haltungsbedingungen von Säugetieren in Zoos, Tierparks oder Delfinarien ein. Wir wollen frei lebende und in Deutschland gehaltene Delfine entsprechend ihren biologischen Bedürfnissen besser schützen. Es bringt nichts - und darauf läuft der Antrag der Grünen hinaus -, einfach alle Delfinarien per Gesetz zu schließen. Denn Fakt ist: Die Auswilderung von in Gefangenschaft lebenden Delfinen ist nicht möglich. Ich glaube nicht, dass dies eine zielführende Lösung sein kann. Wir wollen daher erreichen, dass in Deutschland alle Säugetiere in Zoos, Tierparks oder Delfinarien unter optimalen Bedingungen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gehalten werden. Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, dass das Säugetiergutachten an die Haltungsanforderungen für Delfine anzupassen ist und regelmäßig überarbeitet wird. Bisher enthält das Säugertiergutachten nur unzureichende Minimalanforderungen an die Tierhaltung und vernachlässigt neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Bei der Überarbeitung des Gutachtens wird darauf zu achten sein, dass das bearbeitende Expertengremium paritätisch mit Fachkräften der Zoobranche, der Tierschutzorganisationen sowie mit unabhängigen Gutachtern besetzt ist. Es ist ein erhabener und wunderschöner Anblick, Delfine in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass auch unsere Kinder und Enkel dies künftig erleben dürfen.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Weg für eine Neufassung des Säugetiergutachtens ist nach langen Debatten endlich frei, und das ist gut so. Seitdem das letzte Säugetiergutachten im Juni 1996 erschienen ist, sind 13 Jahre vergangen. In diesen 13 Jahren haben wir viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Haltung von Wildtieren in Zoos erlangt, die nun endlich auch im aktualisierten Gutachten Eingang finden und verpflichtend Gültigkeit für die Zukunft erlangen sollen. Nach Einschätzung zahlreicher Expertinnen und Experten enthält das noch gültige Gutachten von 1996 veraltete Minimalstandards und steht damit teilweise im Widerspruch zum europäischen Tierschutzgesetz, welches die Rechtsgrundlage für die Zootierhaltung bildet. Zu Protokoll gegebene Reden Dass es eine Aktualisierung des Säugetiergutachtens geben soll, habe ich bei meiner Rede zum Haushalt 2009 bereits angekündigt. Dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz stehen die notwendigen Mittel zur Verfügung. Im Ausschuss wurde hierfür immer über eine Größe von 250 000 bis 300 000 Euro diskutiert. Das Ministerium kann folglich sofort mit dieser notwendigen Maßnahme beginnen. Ich werde hier auf jeden Fall nicht lockerlassen und beständig nach dem Stand der Neufassung des Säugetiergutachtens nachfragen. Die Haltung und Pflege von Wildtieren in Zoos steht heute auf einem soliden Fundament: der EU-Zoo-Richtlinie aus dem Jahr 1999. Das Säugetiergutachten ist jedoch sehr viel konkreter. Es nennt Mindestanforderungen, zugeschnitten auf einzelne Säugetierarten. Es definiert die zur artgerechten Haltung erforderlichen Käfiggrößen, Futterarten, klimatischen Bedingungen, Gehegeeinrichtungen und vieles mehr. Diese Definitionen, diese Mindeststandards werden mit konkreten, in Zahlen ausgedruckten Anforderungen hinterlegt und sind damit valide messbar. Bundesweit wird das Gutachten deshalb von den Ländern für die Bewertung von Tiergehegen zugrunde gelegt. Durch seine Eindeutigkeit und Überprüfbarkeit hat es in der Praxis eine höhere Bedeutung als manch abstrakte Richtlinie. Die geforderte paritätische Besetzung des Expertengremiums mit Vertreter und Vertreterinnen von Zoos und Tierschutzorganisationen sowie unabhängigen Gutachtern und Gutachterinnen wird dazu führen, dass sowohl der Aufgabenerfüllung der Zoos als auch den Bedingungen einer artgerechten Tierhaltung nach neuesten Erkenntnissen Rechnung getragen wird. Darüber freuen wir uns als Besucher und Besucherinnen der Zoos in ganz besonderer Weise. Die SPD steht für aktiven Tierschutz. Die SPD steht dafür, dass Wildtiere in Zoos und Tierparks artgerecht gehalten werden. Die SPD steht zu den vielfältigen Aufgaben von Zoos. Wir wollen, dass Zoos Bildung vermitteln. Wir wollen, dass sie Erholung bieten und zum Artenschutz beitragen und wir wollen, dass Zoos der Forschung dienen. Dieser Antrag unterstützt die Zoos in ihrem ständigen Bestreben nach einer artgerechten Haltung von Wildtieren. Da bin ich mir sicher. Unser Antrag heißt, „Delfinschutz voranbringen“, und, liebe Tierschützer und Tierschützerinnen, dass tun wir hiermit. Viele von Ihnen wissen, dass ich mich seit Jahren sehr aktiv für den Schutz der Delfine einsetze. Seit Jahren fragen Tierschutzorganisationen auch zu Recht danach, ob die Haltungsbedingungen für Delfine in den auch in Deutschland noch existierenden Delfinarien tatsächlich artgerecht seien. Viele fordern die Schließung der Delfinarien. Viele Menschen in Deutschland wollen auch keine neuen Delfinarien, mögen die Namen dafür auch noch so wohlklingend sein, wie zum Beispiel „Blaue Lagune“ oder Ähnliches. Persönlich bin ich der Auffassung, dass Delfine in Gefangenschaft nicht artgerecht gehalten werden können. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bei der Aktualisierung des Säugetiergutachtens hinsichtlich der Anpassung und Überarbeitung der gesetzlichen Haltungsanforderungen für Delfine letztlich nur zu einem Ergebnis kommen kann: Entweder sind die Haltungsbedingungen der Delfine in Deutschland massiv zu verbessern, oder es muss sogar zu einem generellen Auslaufen der Gefangenschaftshaltung von Delfinen kommen. Dieses bleibt dem Ergebnis des Säugetiergutachtens vorbehalten. Es ist verboten, Delfine zu kommerziellen Zwecken einzusetzen. Aber was macht die „Delfintherapie“ anderes? Steckt hier kein kommerzielles Interesse dahinter? Ich wende mich nicht nur aus Gründen der meines Erachtens nicht artgerechten Haltung der Delfine gegen die Delfintherapie. Als Gesundheitspolitikerin sage ich: Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass diese Therapie erfolgreich ist. Ich möchte, dass mit den Gefühlen von Eltern von Kindern mit Behinderungen nicht gespielt werden kann. Ich möchte zum Schluss allen Tierschutzorganisationen danken, die sich generell für die artgerechte Haltung von Wildtieren einsetzen und einen entscheidenden Beitrag für den Schutz eines der intelligentesten Tiere auf unserem Planeten, des Delfins, leisten.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Unabhängig von den beiden vorliegenden Anträgen sollten wir uns vor Augen halten, dass der Deutsche Bundestag mit dem Antrag „Schutz der Wale sicherstellen“ ({0}) in der aktuellen Legislaturperiode schon einstimmig beschlossen hat, dass sich die Bundesregierung unter anderem für die Einrichtung weiterer Schutzgebiete für Wale und Delfine sowie für konkrete Maßnahmen zum verbesserten Schutz aller Walarten, inklusive kleinerer Wale und Delfine, vor negativen anthropogenen Einflüssen, wie zum Beispiel Verschmutzung, Beifang oder Lärm, einsetzen möge. Zudem haben wir uns für ein wirksames Monitoring dieser Maßnahmen ausgesprochen. Leider ist es in dieser Legislaturperiode - anders als noch in der 15. Wahlperiode - nicht gelungen, einen fraktionsübergreifenden Antrag einzubringen. Seitens der FDP hatte ich wiederholt die Bereitschaft dazu bekundet. Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Grünen sowie der sogenannten Großen Koalition. Wenn man die Genese des Antrags der Grünen kennt, dann war das allerdings absehbar. Im Vorfeld einer Kundgebung für den Delfinschutz am 9. Mai 2008 waren alle Fraktionen gefragt worden, ob sie ein generelles und absolutes Importverbot für Delfine, das keinerlei Ausnahmen zulässt, unterstützen würden. Alle Fraktionen hatten sich geäußert, nur die Koalition nicht. Die Grünen brachten damals den Antrag ein, über den wir heute abstimmen. In einer SPD-Pressemitteilung vom gleichen Tag hieß es, der Antrag der Grünen sei „überflüssig und hinfällig“. Unabhängig vom konkreten Inhalt des Antrags der Grünen stellt sich mir die Frage der Glaubwürdigkeit. Warum haben die Grünen die Forderungen nicht während ihrer Regierungsbeteiligung durchgesetzt? Laut Zu Protokoll gegebene Reden Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage von mir ({1}) hat das Bundesamt für Naturschutz, also eine oberste Bundesbehörde im Geschäftsbereich des damaligen grünen Bundesumweltministers Jürgen Trittin, im Jahr 2000 die Einfuhr und die spätere Wiederausfuhr von vier Delfinen genehmigt. Zwar können wir Ziffer I. des Antrags mittragen, aber trotz teils richtiger Ansätze kann die FDP die Forderungen der Grünen nicht bzw. nicht komplett unterstützen. Der Vorschlag der Verlängerung des Jahrs des Delfins um ein Jahr ist ganz nett. Aus Sicht der FDP sollte der Schutz der Wale und Delfine jedoch unabhängig von irgendeinem „Jahr des …“ auf der Agenda stehen. Hier zeigt sich zudem, dass der Grünen-Antrag veraltet ist, denn auch das Folgejahr ist vorbei. Die FDP unterstützt die Forderung nach Ausweisung von Meeresschutzgebieten. Das haben wir selbst beispielsweise im Antrag „Leitlinien für den internationalen Arten- und Lebensraumschutz im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt“ ({2}) gefordert. Anstrengungen zur Reduktion von Unterwasserlärm sind ebenso erforderlich. Das haben wir unter anderem in einer Kleinen Anfrage zum Schutz der Meeresumwelt beim Bau deutscher Offshore-Windparks ({3}) deutlich gemacht. Die Unterstützung von welchen Therapieformen auch immer ist nicht Aufgabe der Bundesregierung. Ebenso wenig ist es Aufgabe der Bundesregierung, über die Gefahren der Delfintherapie „umfassend zu informieren“. Ob Delfintherapien in die Leistungspflicht der Krankenversicherungen aufgenommen werden, entscheidet weder die Bundesregierung noch das Parlament. Derzeit handelt es sich um eine nicht anerkannte Heilmethode, sodass eine Delfintherapie nicht von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird. Laut Bundesregierung sind Einfuhren von Delfinen für Delfintherapien ohnehin ausgeschlossen. Es ist natürlich richtig, dass aus Sicht des Arten- und Tierschutzes solche Therapieformen, die ohne eine Entnahme wild lebender Tiere auskommen, selbstverständlich vorzugswürdig sind. Der Gesetzentwurf zur Ausweitung des ACCOBAMSAbkommensgebietes wurde vom Deutschen Bundestag im Übrigen schon im Januar 2006 einstimmig angenommen. Es ist selbstverständlich und bedürfte aus Sicht der FDP daher keinerlei Erwähnung, dass sich die Bundesregierung „aktiv gegen die illegale Einfuhr“ von Walen und Delfinen einsetzt. Die Forderung der Grünen nach einem generellen Haltungsverbot für Tiere, die so hohe Ansprüche an Haltung und Pflege stellen, dass sie nur in Zoologischen Gärten oder in wissenschaftlichen Einrichtungen gehalten werden sollten, ist ein Widerspruch in sich. Denn wenn diese Tiere in Zoos gehalten werden können, bedarf es keines generellen ausnahmslosen Haltungsverbots. Nach Art. 4 Abs. 1 c der EG-Artenschutzverordnung, die auch in Deutschland unmittelbar gilt, darf eine Einfuhrgenehmigung für Tiere aus Drittländern ohnehin nur unter der Bedingung erteilt werden, dass sich die zuständige wissenschaftliche Behörde vergewissert hat, dass „die für ein lebendes Exemplar vorgesehene Unterbringung am Bestimmungsort für dessen Erhaltung und Pflege angemessen ausgestattet ist“. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage erklärt, dass die tierschutzrechtlichen Vorgaben in Deutschland sowie die Bestimmungen der EG-Artenschutzverordnung eine Haltung von Cetacea-Arten, das heißt auch von Delfinen, nicht grundsätzlich ausschließen. Dem Antrag der Koalition stimmt die FDP zu. Die Koalition übernimmt viele Aussagen von den Grünen. Das betrifft das Thema Delfintherapie oder den Einsatz gegen die illegale Einfuhr von Walen und Delfinen. Insofern gilt das bereits Gesagte. Neu ist die Forderung, die Anforderungen an die Haltung von Delfinen anzupassen und das Säugetiergutachten des BMELV, das aus dem Jahr 1996 stammt, regelmäßig zu überarbeiten. Wie sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage ergibt, hält die Bundesregierung Neuauflagen des Gutachtens in regelmäßigen Zeitabständen „weder ({4}) realisierbar noch ({5}) fachlich sinnvoll“. Das sieht die FDP ebenso wie die Koalition anders. Das Säugetiergutachten soll die Anforderungen aus § 2 des Tierschutzgesetzes konkretisieren. Dazu muss es aber mit dem fortschreitenden Erkenntnisstand über den Artenschutz Schritt halten und daher regelmäßig überprüft werden.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Artenschutz im Swimmingpool? Delfine gibt es nicht mehr wie Sand am Meer. So viel vorweg. Die Delfine, die es noch gibt, leben meistens so: Sie leben in sogenannten Schulen, also in Gruppen von 20 bis 100 Tieren zusammen. Sie legen zum Teil Hunderte von Kilometern am Tag zurück und ernähren sich von Fischen, die sie jagen. Delfine sind zudem sehr verspielt. In Deutschland werden mehr als 1 000 Kleinwale, überwiegend also Delfine, in Gefangenschaft gehalten oder zur Schau gestellt. Ihr Leben sieht deutlich anders aus: Zumeist in unstrukturierten, zu flachen und zu kleinen Betonbecken müssen sie Zuschauer mit ihren Kunststückchen begeistern. Als Belohnung gibt es toten Fisch. Allein oder in Kleinstgruppen ziehen sie ansonsten stupide im Kreis. Mit artgerechter Haltung hat dies alles überhaupt nichts zu tun. Eines der häufigsten Argumente für eine Haltung von Delfinen in Gefangenschaft ist ihr vermeidlicher Nutzen in der sogenannten Delfintherapie, ein Nutzen, der bis heute durch nichts wissenschaftlich belegt, dafür aber widerlegt werden konnte. Delfine leben in einem der gefährdetsten Lebensräume der Erde - im Meer. Das Meer spielte in der Politik fast immer nur eine Rolle als unerschöpfliche Ressource für Lebensmittel. Erst jetzt, wo der Kollaps der meisten Meere bevorsteht, fällt auf, dass Meere hochkomplexe Ökosysteme sind, von denen wir Menschen abhängen. Die meisten Delfine sind inzwischen gefährdet, auch die in den Flüssen, wie der Amazonas-Delfin. Manche stehen Zu Protokoll gegebene Reden kurz vor der Ausrottung, etwa der Irawadi-Delfin. Schuld daran ist nicht nur der irrsinnige Fischfang nach allen Regeln der Naturausbeutung. Dem Irawadi-Delfin werden zum Beispiel Wasserstaudämme, Flussregulierungsmaßnahmen, illegale Fischfangmethoden und die Wasserverschmutzung zum Verhängnis. Grundsätzliche Ursachen für die Gefährdung der Delfine sind die Lärmverschmutzung, der Nahrungsmangel durch Überfischung, der Lebendtierfang, der Tod durch Beifang und die Verschmutzung ihrer Lebensräume. In den Gehirnen der Meeressäuger wurden mehr als 170 verschiedene chemische Substanzen gefunden, darunter polychlorierte Biphenyle ({0}), bromierte Flammschutzmittel und Pestizide wie DDT. Heutzutage ist lebensmüde, wer Walfleisch zu sich nimmt. Dort ist soviel Quecksilber drin, dass die eigene Gesundheit damit aufs Spiel gesetzt wird. Wenn ein Ökosystem vor der Zerstörung steht, werden die Folgen erst spät, meistens zu spät sichtbar. Hier zeigen sich Abhängigkeiten in der Nahrungskette. Zur Verdeutlichung: Der Delphin frisst Heringe. Der Mensch tut das auch. Gibt es keine Heringe mehr, bekommen auch die Delfine Probleme. Wenngleich es beispielsweise dem Nordseehering inzwischen wieder besser geht, ist der Ostseehering weiterhin stark überfischt. Die meisten Menschen berührt der Verlust der Heringe weniger. Delfine hingegen wecken Emotionen. Wer würde schon eine Kampagne zum Erhalt der Heringe unterstützen? Aber Delfine haben eine Lobby - wenngleich noch immer eine zu kleine. Was heißt das für die Politik, was heißt das für uns? Wenn wir uns für den Schutz der Delfine stark machen, müssen wir zwangsläufig ihren Lebensraum schützen. Der Schutz des Lebensraums bedeutet aber zugleich, dass wir all die anderen gefährdeten Meeresbewohner auch schützen. Artenschutz ist also immer auch Biotopschutz und umgekehrt - eine mehrfache Dividende vernünftigen Handelns im Sinne der Umwelt. Das Sterben der Delfine ist die Spitze eines Eisberges. Machen wir uns stark für den Erhalt dieser Tiere und wehren wir uns gegen ihren Missbrauch als Belustigungsobjekt oder angebliches Therapiewunder. Setzen wir uns dafür ein, den unwiederbringlichen Reichtum unserer Meere und Gewässer zu schützen. Setzen wir uns dafür ein, den Delfin als symbolträchtiges Tier für einen umfassenden Natur- und Artenschutz zu schützen. Überdenken wir die Folgen für Delfine beim Einsatz militärischer Sonare, beim Bau der Fehmarnbelt-Querung, bei der Suche nach Erdgas auf der Doggerbank, bei der Müllentsorgung auf den Weltmeeren. Unterstützen wir deshalb den Antrag der Grünen, und noch mehr - machen wir endlich Nägel mit Köpfen, bevor es zu spät ist.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Delfine sind aus vielfältigen Ursachen in ihrem Bestand weltweit bedroht und gehören daher zu Recht zu den besonders geschützten Meeressäugetieren. Durch Meeresverschmutzung, Überfischung und Klimawandel verlieren sie Lebensräume. Darüber hinaus sterben jährlich etwa 300 000 Wale und Delfine als Beifang in Fischereinetzen und werden zudem auch noch gezielt gejagt, um lebende Tiere zu bekommen. Diesen Wildfang von lebenden Delfinen erachtet der Aktionsplan für Wale und Delfine 2002-2010 der Weltnaturschutzorganisation IUCN als eine potenzielle Bedrohung für das Überleben der wild lebenden Kleinwalpopulationen, und es gilt zu klären, wie man diesem Wildfang begegnen kann. Die erhöhte Nachfrage nach Delfinen ist unter anderem auch durch die noch immer betriebenen Delfinarien zu erklären. Nachdem in den 1990er-Jahren die Mehrzahl der Delfinarien in Deutschland bereits geschlossen wurde, nahm das Interesse an ihnen seit dem Aufkommen der sogenannten Delfintherapie wieder zu. Bis heute konnten jedoch die therapeutischen Erfolge nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Im Gegenteil wird darauf verwiesen, dass Therapien mit domestizierten Tieren, welche wesentlich kostengünstiger und zudem artgerechter durchführbar sind. Delfintherapien werden daher auch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss anerkannt. Die Dachorganisation der Mensch-Tier-Organisationen, IAHAIO, hat auf ihrem Weltkongress in Prag bereits 1998 eine Deklaration verabschiedet, wonach tiergestützte Therapien nur unter eng umschriebenen Rahmenbedingungen stattfinden sollen. Der Schutz der Tiere vor Übernutzung muss dabei ebenso sichergestellt werden wie die Sicherheit der Patienten. Nachdrücklich spricht sich die IAHAIO gegen den Missbrauch von Wildtieren - namentlich von Delfinen - zu sogenannten therapeutischen Zwecken aus. Da Delfine hohe Anforderungen an Unterbringung, Fütterung und Beschäftigung stellen, sind diese intelligenten Meeressäuger in Gefangenschaft besonders schwer zu halten und leiden unter den Bedingungen der Gefangenschaft. Die Einrichtung der Gehege und Becken ist nicht an den Bewegungs-, Ruhe-, Schutz- und Ernährungsbedürfnissen sowie an den sonstigen essenziellen Verhaltensweisen der Tiere ausgerichtet. Dies ist überhaupt nicht möglich, da Delfine in Freiheit sehr weite Strecken schwimmen, täglich mehrfach in große Tiefen tauchen und sich über Echolot orientieren. Nachzuchten in Gefangenschaft gelingen daher so gut wie nie. Demzufolge müssen Delfinarien ihren „Bestand“ immer wieder durch Wildfänge „ergänzen“, was allen Artenschutzvorgaben widerspricht. Bündnis 90/Die Grünen fordern daher in ihrem Antrag „Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich beenden“ - Drucksache 16/9102 - die Bundesregierung unter anderem auf, Delfine und ihre Lebensräume verstärkt zu schützen, engagiert gegen den Lebendfang zu kämpfen, sich öffentlich gegen die Haltung von Delfinen in Gefangenschaft auszusprechen, sich auf europäischer und internationaler Ebene aktiv gegen die illegale Einfuhr von in freier Wildbahn gefangenen Delfinen und Walen einzusetzen, die Einfuhr von Delfinen nach Deutschland sowie den Handel mit Delfinen zu verbieten, die Haltung von Delfinen in Gefangenschaft - mit entsprechenden Übergangsregelungen - zu verbieten. Zu Protokoll gegebene Reden Undine Kurth ({0}) Hintergrund unseres Antrags ist auch die Tatsache, dass immer noch viele Tiere aus Wildfängen illegal nach Europa eingeführt werden. Der Zustand zahlreicher Populationen von Großen Tümmlern und Weißwalen, insbesondere jener, die vom Lebendfang für Delfinarien betroffen sind, ist bedenklich und ihre Erhaltung gefährdet. Die Neuerrichtung von Delfinarien und die dadurch notwendige Versorgung der Anlagen mit „frischen“ Delfinen und Walen erhöhen den Druck auf weitere Einfuhren wild gefangener Tiere. Zu dem von der großen Koalition vorgelegten Antrag „Delfinschutz voranbringen“ - Drucksache 16/12868 ist zu sagen: Wir freuen uns, dass sich die Koalition tatsächlich noch dieses Themas angenommen hat, nachdem in monatelangen Verhandlungen leider kein fraktionsübergreifender Antrag zustande kommen konnte. Doch leider geht der Koalitionsantrag in seinen Zielen und Forderungen definitiv nicht weit genug, um die Gefangenschaft von Delfinen zu beenden und für die derzeit noch in Deutschland befindlichen Delfine die Haltungsbedingungen deutlich zu verbessern. So fordert die Koalition in ihrem Antrag lediglich die Stärkung bestehenden Rechts und den Einsatz gegen die illegale Einfuhr von in freier Wildbahn gefangener Delfine - das ist zwar richtig und gut, aber nichts Neues und außerdem - und diesen Vorstoß begrüßen wir prinzipiell - die Anpassung der Haltungsanforderungen für Delfine im Rahmen des Säugetiergutachtens. Positiv ist, dass das bearbeitende Expertengremium paritätisch mit Fachkräften der Zoobranche, Tierschutzorganisationen und unabhängigen Gutachtern besetzt sein soll. Inwiefern die Umsetzung der Forderungen des Antrages tatsächlich den Delfinschutz und die Haltung der Delfine in Deutschland verbessern kann und ob die Große Koalition tatsächlich Wort hält und ihre eigenen Forderungen umsetzt, bleibt dahingestellt. Zu einer Beendigung der Haltung von Delfinen in Deutschland - die wir fordern - wird er jedoch nicht führen. Um jedoch ein Signal zu setzen, lehnen wir Ihren Antrag nicht ab, sondern enthalten uns.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/13203. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12868 mit dem Titel „Delfinschutz voranbringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9102 mit dem Titel „Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich beenden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Diskriminierende Altersgrenzen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements aufheben - Drucksachen 16/9630, 16/12985 Berichterstattung: Abgeordneten Markus Grübel Sibylle Laurischk Britta Haßelmann Auch hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben: Markus Grübel, Sönke Rix, Angelika Graf, Sibylle Laurischk, Elke Reinke und Britta Haßelmann.

Markus Grübel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir unterhalten uns heute über einen sehr kurzen Antrag der Oppositionsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, der lediglich zwei Seiten umfasst, der aber dennoch ein wichtiges und spannendes Thema, nämlich die Altersgrenzen, thematisiert. Ich möchte aber darauf verweisen, das wir bereits in erster Lesung ausführlich das Thema diskutiert haben. Es haben sich zwischenzeitlich keine neuen Sachstände bzw. Erkenntnisse ergeben. Im Ausschuss wurden die bereits bekannten Argumente ausgetauscht, ohne dass mich die Argumentation von Bündnis 90/Die Grünen überzeugen konnte. Ich verweise daher auf meine ausführliche Rede vom 25. September 2009 zu dem Thema und möchte meine Ausführungen kurzhalten. Nach wie vor gibt es keinen vollständigen Überblick über die in Gesetzen oder anderen Bestimmungen festgeschriebenen Altersgrenzen im Bereich des ehrenamtlichen Engagements. Die bisher zum Thema „Altersgrenzen“ vorliegenden Untersuchungen sind entweder nicht mehr aktuell oder erfassen nur einen Teilaspekt des Problems. Im Bereich der Jugendfreiwilligendienste sind Altersgrenzen enthalten. So sieht das Jugendfreiwilligendienstegesetz für das Freiwillige Ökologische Jahr ({0}) und das Freiwillige Soziale Jahr ({1}) eine Altersbegrenzung für junge Frauen und Männer zwischen 15 Jahren und 27 Jahren vor. Über die Altersbegrenzung definiert sich unter anderem der Sinn und Zweck eines FSJ/FÖJ. Ergänzend hat das BMFSFJ ein Gutachten zum Thema „Altersgrenzen und gesellschaftliche Teilhabe“ vergeben. Das Gutachten soll im Lichte der Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ({2}) eine Be24724 standsaufnahme der in Deutschland bestehenden Altersgrenzen, der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung sowie eine Beschreibung der dahinter stehenden Gründe und Motive enthalten. Der Entwurf des Gutachtens liegt inzwischen vor. Leider sind mir die genauen Inhalte noch nicht bekannt, sodass es an dieser Stelle keinen Sinn macht, über nichtöffentliche und unbekannte Dokumente zu dozieren. Wir werden uns zum gegebenen Zeitpunkt noch intensiv mit diesem Gutachten beschäftigen, da bin ich mir sicher. Zur Frage der bestehenden oberen Altersgrenze bei Schöffinnen und Schöffen hat die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der FDP „Seniorinnen und Senioren in Deutschland“ ({3}) ausführlich Stellung genommen. Die in § 33 Nr. 2 GVG festgelegte Höchstaltersgrenze, wonach das Schöffenamt bis in das 70. Lebensjahr hinein ausgeübt werden kann, ist sachgerecht. Sie gewährleistet einerseits die Einbindung älterer Mitbürger mit ihrer Erfahrung und ihrem oftmals großen ehrenamtlichen Engagement in dieses Amt und wird andererseits den Interessen der Strafrechtspflege gerecht. Das Schöffenamt ist ein nicht nur geistig, sondern auch körperlich sehr forderndes Ehrenamt. Mehrtägige und mehrwöchige Hauptverhandlungen sind insbesondere in Großverfahren heute keine Seltenheit mehr. Hier wird die körperliche Belastbarkeit der Schöffen, ihre Aufnahme- und Merkfähigkeit erheblich gefordert, da die Schöffinnen und Schöffen ohne Kenntnis des Akteninhalts lediglich aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung ihre Stimme gleichberechtigt mit den Berufsrichtern in der Beratung abgeben. Wenn ein Schöffe länger erkrankt, als die Hauptverhandlung unterbrochen werden darf, muss die Hauptverhandlung neu beginnen. Eine solche Situation muss schon aus prozessökonomischen Gründen vermieden werden. Die Unionsfraktion legt grundsätzlich Wert darauf, dass im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements eine Offenheit für alle Generationen gewährleistet ist. So wurde beispielsweise ergänzend zum Freiwilligen Sozialen und Ökologischen Jahr ab dem 1. Januar 2009 der Freiwilligendienst aller Generationen eingeführt, der Menschen aller Altersgruppen offen steht. Unter dem Leitmotiv „Engagement schlägt Brücken“ stärkt das Projekt ehrenamtliches Engagement. Der Dienst fördert die Kommunikation sowie das Miteinander der Generationen, unterstützt den Aufbau einer Engagementkultur und eröffnet neuen Zielgruppen den Zugang zu freiwilligem Engagement. Dabei stehen den Freiwilligen alle Themenfelder offen: von Gesundheit und Pflege, Bildung, Kultur und Sport bis hin zu Technik und Familienassistenz. Ein Schwerpunkt liegt auf der Ansprache älterer Menschen. Hier soll in besonderem Maße das Erfahrungswissen Älterer eingebunden werden. Alle interessierten Bürgerinnen und Bürger sind angesprochen. Ausgrenzungen über Alter, Herkunft erfolgen nicht. Das AGG ist im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements nicht einschlägig, da freiwilliges Engagement keine entgeltliche Leistungserbringung darstellt und damit nicht dem Bereich der Arbeitsverhältnisse zugeordnet werden kann. Ein Verstoß gegen das AGG kann somit auch nicht in Betracht kommen. Das zuständige BMFSFJ ist beim Thema Partizipation für ältere Menschen durch freiwilliges Engagement seit vielen Jahren aktiv. Seine diesbezüglichen erfolgreichen Modellprogramme - wie auch das Programm „Aktiv im Alter“ - setzen allerdings auf Freiwilligkeit, bei Kommunen wie auch bei den älteren Engagierten. Nachhaltige Strukturen können nur dann entstehen, wenn sich die Menschen in eigener Entscheidung der gesellschaftlichen Notwendigkeiten annehmen. Es ist Aufgabe von Kommunen und Ländern, die notwendigen Strukturen für ein solches freiwilliges Engagement individuell vor Ort zu schaffen. Der Bund steht hier nicht prioritär in der Pflicht. Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass auch die Familien- und Seniorenpolitiker der Unionsfraktion durchaus Diskussions- bzw. Änderungsbedarf bei den Altergrenzen sehen. Für eine ganze Reihe von Berufen und öffentlichen Tätigkeiten gibt es gesetzlich normierte oder tarifrechtliche Altersgrenzen. Diese Altersgrenzen sind aber zum Teil unzeitgemäß und diskriminierend. Die Arbeitsgruppe Familie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält es für notwendig, die starren Altersgrenzen zu überprüfen. Dies ergibt sich nicht nur aufgrund der ökonomischen Notwendigkeit durch den Bevölkerungsschwund, sondern ist auch der Tatsache geschuldet, dass in vielen Staaten das Verbot, Menschen allein aufgrund ihres Lebensalters zu benachteiligen, bereits Verfassungsrang genießt. Zudem stellt das Europarecht bindende Vorgaben zum Verbot der Altersdiskriminierung auf. Ich hoffe sehr, dass uns das lang ersehnte Gutachten in dieser Frage weiterbringt.

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich darüber, dass wir hier im Deutschen Bundestag über Alter und Altern reden und auch die Altersdiskriminierung zum Gegenstand der Diskussionen machen. Denn es ist und war Ziel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, AGG, für eine Antidiskriminierungskultur in Deutschland zu sensibilisieren. Und der Deutsche Bundestag muss hier Vorreiter sein und auf Stimmungen und neue Entwicklungen im Land eingehen. Zu Recht mahnen die Grünen eine überdenkenswerte Regelung im Gerichtsverfassungsgesetz, GVG, an, wonach Personen ab dem 70. Lebensjahr das Ehrenamt des Schöffen nicht mehr ausüben sollen. Wir sollten in der Tat überlegen, ob die eine oder andere Altersgrenze in einer Unmenge von Gesetzen und Verordnungen tatsächlich ihren Sinn erfüllt. Die Lebenserwartung der Menschen steigt Jahr für Jahr, das muss auch dazu führen, dass bisherige Altersgrenzen generell überprüft werden. Daher begrüßen die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Vergabe eines Gutachtens durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sehr. Auf der Grundlage dieses Gutachtens müssen meiner Ansicht nach sämtliche Altersgrenzen überprüft werden und Möglichkeiten auf dem Feld des Ehrenamts ausgeschöpft werden, damit Ältere an der Gesellschaft besser partizipieren können. Und ich bin daher auch immer wieder Zu Protokoll gegebene Reden Angelika Graf ({0}) froh, dass es uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gelungen ist, das Gleichbehandlungsgesetz um das Merkmal Alter im zivilrechtlichen Teil gegen den Willen der Union zu erweitern, womit wir einen Beitrag dafür geleistet haben, dass viele möglicherweise veraltete Regelungen auf den Prüfstand kommen. Die Regelungen bei den Schöffen ist aber kein Bestandteil der Rechtsmaterie des AGG. Der Antrag basiert auf dem AGG, auch wenn es nicht explizit genannt wird, und deshalb hätte ich mir in ihrem Antrag mehr Klarheit gewünscht. Sie haben bereits in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage Ihrerseits die Antwort erhalten, dass das AGG im Hinblick auf das Schöffenamt nicht angewendet werden kann, weil es sich weder um eine Erwerbstätigkeit handelt noch ein zivilrechtliches Schuldverhältnis begründet wird. Und auch wenn Sie dies verstanden haben, dann bleibt die Frage, ob das Beispiel des Schöffenamtes ein gutes Beispiel ist, das für einen Antrag zitiert werden sollte. Denn bei dieser Regelung handelt es sich um eine Soll-Regelung, und der Gesetzgeber hat hier bereits den Zuständigen einen Ermessensspielraum eingeräumt, den ich mir im Übrigen auch für andere Regelungen wünschen würde. Zudem ist die Periode für ein Schöffenamt erst auf fünf Jahre verlängert worden, weshalb also auch 75-Jährige noch das Schöffenamt bekleiden dürfen. Wir sind als Gesetzgeber natürlich angehalten, altersdiskriminierende Regelungen auf den Prüfstand zu stellen, und insbesondere im bürgerschaftlichen Engagement haben diese nichts zu suchen! Damit leisten wir vielleicht auch einen Beitrag dafür, dass Jungpolitiker der Union nicht für Altersgrenzen im Wahlrecht für Ältere plädieren, wie das in der Vergangenheit auch schon geschehen ist. Doch möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir mit dem AGG ein Gesetz verabschiedet haben, das viele Bürgerinnen und Bürger ermächtigt, sich gegen Altersdiskriminierung zu wehren. Es zeigt bereits Wirkung - ohne dass es zu einer Prozessflut gekommen ist. Ein Viertel der Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betreffen das Merkmal Alter. Das zeigt, liebe Kollegen von der Union, nicht nur, dass es richtig war, Alter als Merkmal ins Gesetz aufzunehmen, es zeigt, dass Alter eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz hat. Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, das die Menschen beschäftigt. Auch in einer mir vorliegenden Rechtsprechungsübersicht zum AGG des BMFSFJ ist Alter offenbar das Merkmal des AGG, das die Gerichte am meisten beschäftigt. Zwar halten sich die Prozesse insgesamt in Grenzen, doch wir haben es bereits mit interessanten gerichtlichen Auseinandersetzungen zu tun, die für mehr Sensibilisierung in diesem Feld sorgen und Gesetzgeber, aber auch die Tarifpartner zu mehr Fingerspitzengefühl gegenüber älteren Menschen zwingen. Die Gerichte wiesen in diesen ersten Urteilen explizit und zu Recht darauf hin, dass Altersgrenzen gut begründet werden müssen. Ich habe hier Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat, dass auch Altersgrenzen zukünftig stärker unter die Lupe geraten und mögliche Begrenzungen besser begründet werden bzw. uns als Gesetzgeber zu Recht beschäftigen werden. Es freut mich, dass die Bundesregierung in einer Antwort auf die bereits genannte Kleine Anfrage zum selben Thema explizit festgestellt hat, dass bei sämtlichen Programmen des Bundes auf die Offenheit für alle Altersgruppen geachtet wird. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass Programme und Projekte der Bundesregierung, die das bürgerschaftlichen Engagement betreffen, keine Diskriminierungen älterer Menschen vornehmen. Da mir auch keine Fälle zumindest aus unserem Ministerium bekannt sind, halte ich auch deshalb Ihren Antrag für überflüssig und wir lehnen ihn deshalb ab.

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum zweiten Mal sprechen wir heute über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Diskriminierende Altersgrenzen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements aufheben“. Mit Ihrem Antrag sprechen Sie durchaus wichtige Punkte an, und ich freue mich, dass das Thema bürgerschaftliches Engagement auch durch unsere parlamentarischen Beratungen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Klar ist: Die bisher bestehenden Altersgrenzen im bürgerschaftlichen Engagement müssen überprüft werden. Allein die höhere Lebenserwartung und die Erhöhung des Renteneintrittsalters machen bzw. machten diese Überprüfung notwendig. Denn: In meinem ersten Beitrag im September des vergangenen Jahres habe ich bereits erwähnt, dass die Bundesregierung ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, um einen umfassenden Überblick über die Altersgrenzen zu erhalten, die auch untergesetzlich in Vereinen und Verbänden bestehen. Dieses Gutachten wird in Kürze vorgelegt. Einige Erkenntnisse wurden mir bereits mitgeteilt. So stellt das Gutachten fest, dass es im Wesentlichen zwei Arten von Altersgrenzen gibt: Altersgrenzen für ehrenamtliche Tätigkeiten, zum Beispiel für die Ausübung bestimmter Funktionen in einem Verein ({0}); Altersgrenzen für bürgerschaftliches Engagement, in dem es direkt um Personen geht, so zum Beispiel in der Telefonseelsorge oder bei der sozialen Betreuung von kranken, alten und pflegebedürftigen Menschen. Im ersten Bereich, also da, wo es um die Wählbarkeit in bestimmte Funktionen geht, wird häufig das 70. Lebensjahr als Altersgrenze festgelegt. Bei den sozial engagierten Tätigkeiten gibt es je nach Tätigkeitsfeld unterschiedliche Altersgrenzen. Bei der Telefonseelsorge darf man zum Beispiel bis zum 60. Lebensjahr tätig sein, während diejenigen, die ehrenamtlich Patienten in Krankenhäusern besuchen ({1}), sich teilweise bis zum 80. Lebensjahr engagieren. Diese Regelungen, die sich je nach Tätigkeitsfeld aus der Praxis ergeben haben, halte ich für nachvollziehbar. Ich kann mir vorstellen, dass die Anforderungen an diese Engagementformen und die Belastungen hoch sind. Somit eignen sie sich dann, wenn die Belastbarkeit nachlässt - und das ist bei älteren Personen zwangsläufig der Fall -, nicht mehr als Tätigkeit. Außerdem begegnet man damit einem wichtigen Problem: Häufig wissen VereinsmitglieZu Protokoll gegebene Reden der nicht, wie sie verdienten und lang engagierten Personen zu verstehen geben können, dass sie sie für nicht mehr belastbar und deshalb nicht für wählbar bzw. einsetzbar halten. Außerdem - und das halte ich für einen wichtigen Punkt -: Die Altersgrenzen wurden dem Gutachten zufolge nicht willkürlich festgelegt, sondern ihnen liegen die Erfahrungen aus der Praxis zugrunde, und sie berücksichtigen auch die unterschiedlichen Anforderungen in den unterschiedlichen Bereichen. Ich finde: Es bestehen in den bekannten Fällen gerechtfertigte Altersdifferenzierungen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, was uns aber nicht davon abhalten sollte, dieses Thema weiter im Blick zu behalten. Schließlich wandelt sich Gesellschaft und so sollte sich auch die Möglichkeit zum Engagement wandeln. Auch Personen, die für das eine oder andere Tätigkeitsfeld nicht mehr geeignet sind, sollten die Möglichkeit bekommen, ein anderes Engagement aufzunehmen, was zu ihnen, ihren Fähigkeiten und ihren Interessen passt. Der Leitgedanke einer idealen generationsübergreifenden Engagementpolitik sollte meiner Vorstellung nach lauten: Wer will, der darf. Oder besser noch: Wer will, der soll können. Und es gibt viele Ältere, die wollen und können. Das haben wir auch schon im Verlauf der aktuellen Legislaturperiode erkannt: Im letzten Jahr ist das Programm „Generationenübergreifende Freiwilligendienste“ ausgelaufen. Hier hatten Menschen aller Generationen die Möglichkeit, sich zu engagieren, und das in einem geregelten Rahmen ({2}). Die Erfolge dieses Projektes wurden aufgegriffen. Das neue Programm „Freiwilligendienste aller Generationen“, das zum 1. Januar 2009 gestartet ist, gewährleistet Qualitätsstandards, Qualifizierungsmöglichkeiten, Verbindlichkeit und passgenaue Angebote für Freiwillige, egal wie alt sie sind oder woher sie kommen. Sie sprechen jedoch noch einen anderen Punkt an, den ich für durchaus bedenkenswert halte, und zwar die Altersgrenzen bei Schöffinnen und Schöffen. Eine Abschaffung dieser Altersgrenzen ist durchaus eine Überlegung wert! Schließlich - und da argumentieren Sie ganz richtig ist der Ausschluss von Personen aus gesundheitlichen Gründen schon im Gerichtsverfassungsgesetz ({3}) begründet. Den Personen, also, die Mitglieder des Gemeinderates oder der Ratsversammlung, die die Schöffinnen und Schöffen berufen, sollte die Kompetenz zugetraut und die Verantwortung übergeben werden, völlig losgelöst von Alter, Geschlecht, Berufsstand etc. zu entscheiden, wer für ein solches Amt infrage kommt und auf die Vorschlagliste gesetzt wird. Nebenbei bemerkt: Für Politiker und andere Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft gibt es auch keine Altersgrenzen. Und warum sollte ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete noch lange nach dem 70. Geburtstag im Bundestag sitzen, ein Schöffe oder eine Schöffin aber gleichzeitig nicht? Ich danke Ihnen für diesen Antrag, denn eine Diskussion um die Altersgrenzen im bürgerschaftlichen Engagement war und ist sinnvoll. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und das Gutachten in Auftrag gegeben. Die Bundesregierung arbeitet also schon an Ihrem Anliegen. Wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Unser Begriff vom Alter hat sich in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrzehnten stark gewandelt und wird sich weiterhin wandeln. Dies hängt vor allem mit dem Gesundheitszustand zusammen, oder, salopp und modern ausgedrückt, es hängt davon ab, wie fit man ist. Wir werden - häufiger als heute - 70-Jährige erleben, die noch voll die beruflichen Herausforderungen meistern können, aber auch diejenigen, die „wirklich nicht mehr können“. Notwendig sind daher vor allen Dingen ein Mentalitätswechsel und ein verändertes Altersbild von Wirtschaft und Gesellschaft. Ich möchte kritisch anmerken, dass unsere Kultur die „Kräfte“ des Alters noch nicht ausreichend erkannt hat und in weiten Teilen ungenutzt lässt. Wenn heute auf gesellschaftlicher Ebene über Alter gesprochen wird, dann stehen die Belastungen im Vordergrund, aber nicht die möglichen Gewinne. Eine altenfreundliche Kultur, in der Ältere ihre Fähigkeiten in gleicher Weise einbringen können wie jüngere Menschen, hat sich in unserem Land noch nicht wirklich ausbilden können. Die Tatsache, dass Menschen ab einem bestimmten Lebensalter als „alt“ wahrgenommen werden, ist vor allem Folge gesellschaftlicher Konvention. Die langjährige Praxis, Menschen immer früher aus gesellschaftlichen Funktions- und Verantwortungsbereichen auszugliedern, insbesondere in der Arbeitswelt, ist nicht mehr zeitgemäß. Tatsächlich war sie es nie, hat aber meines Erachtens entscheidend dazu beigetragen, dass das gesellschaftliche Altenbild sich immer weiter vom realen Altersbild entfernte. Das heutige gesellschaftliche Altersbild ist von Stereotypen und negativen Vorurteilen gegenüber dem Alter und älteren Menschen bestimmt. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ressourcen des Alters werden nicht erkannt. Gerade das höhere Lebensalter geht vielfach mit einem Zuwachs an Wissen, Erfahrungen und Handlungskompetenz einher. Wir können es uns nicht leisten, das Wissen ganzer Generationen brachliegen zu lassen. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufgaben können in Zukunft nur dann bewältigt werden, wenn die Beteiligung auch Älterer erfolgt. Vorausgesetzt, die „Bedingungen stimmen“, ist zu erwarten, dass ein Teil der „Älteren von heute“ und insbesondere der „Älteren von morgen“ länger aktiv zu sein als Gewinn betrachten, zumindest, wenn dies nicht mit den starren Altersgrenzen von heute verbunden ist. Eine Gesellschaft des langen Lebens, in der es zunehmend mehr Ältere und Alte gibt, ist kein Schreckgespenst. Mit klaren Perspektiven können wir diese Entwicklung meistern. Wir brauchen eine konkrete Vision für die Nutzung des Lebensabschnitts der gewonnenen Jahre. Der gesellschaftliche Umgang mit Alter bedeutet heute, dass ältere Menschen noch viel zu wenig als aktive, mitverantwortlich handelnde Bürger angesprochen werden, die durch ihr Engagement und durch ihre Lebenserfahrung viel zur Bürgergesellschaft beitragen können. Die zahlreichen Jahre nach Ausscheiden aus dem Beruf selbstverantwortlich und aktiv zu gestalten und dabei auch nach Möglichkeiten zu suchen, wie man sich für die Gesellschaft engagieren kann, ist eine bedeutende Lebensaufgabe im Alter. Ich möchte hier wie bereits in meiner ersten Rede zu diesem Antrag ausdrücklich betonen, dass wir das Grundanliegen des vorliegenden Antrages der Fraktion der Grünen für sehr unterstützenswert halten. GleichzeiZu Protokoll gegebene Reden tig ist aber festzustellen, dass der Hauptpunkt Ihres Antrages, nämlich der erste Punkt Ihres Forderungskataloges, „sämtliche Gesetze und sonstige Vorschriften des Bundes dahin gehend zu überprüfen, ob diskriminierende Altersgrenzen bestehen, und diese ggf. zu ändern bzw. Änderungsentwürfe vorzulegen“ von der Bundesregierung zumindest angegangen wurde - und dies bereits erheblich vor der Einbringung Ihres Antrags in den Deutschen Bundestag am 18. Juni 2008. Das zu erstellende Gutachten zum Thema Altersgrenzen und gesellschaftliche Teilhabe wurde in Auftrag gegeben und wird bald vorliegen. Dieses Gutachten soll eine Bestandsaufnahme der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Altersgrenzen enthalten, die ein Ausschlusskriterium für gesellschaftlich relevante Tätigkeiten älterer Menschen darstellen könnten. Dabei sollen nicht nur gesetzliche bzw. rechtlich festgelegte Altersgrenzen erfasst werden, sondern auch untergesetzliche „weiche“ Altersgrenzen, die geeignet sind, älteren Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft - auch im Hinblick auf freiwilliges und bürgerliches Engagement in der Zivilgesellschaft - zu verwehren. Erste Eindrücke dieses Gutachtens wurden uns bereits im Ausschuss präsentiert. Ich muss gestehen, dass ich diesen Vortrag sehr ernüchternd fand und hoffe, dass sich dieser Eindruck bei genauer Lektüre des Gutachtens nicht bestätigt. Die FDP tritt konsequent dafür ein, das gesellschaftliche Altenbild zu entstauben und den Realitäten anzupassen. Die Seniorenpolitik hat nach unserem Verständnis die Aufgabe, dieses neue Leitbild des Alters voranzutreiben. Hierzu gehört auch die Überprüfung aller Altersgrenzen. Nicht nur diejenigen des bürgerschaftlichen Engagements, sondern generell alle Altersgrenzen, auch diejenigen zur Ausübung bestimmter Berufe, müssen kritisch hinterfragt und überprüft werden. Ich bin sicher, dass sich der überwiegende Teil dieser Altersgrenzen als verzichtbar erweisen wird. Unsere Kritik am vorliegenden Antrag ist, dass er nicht weit genug geht und alle Altersgrenzen auf den Prüfstand stellt. Trotzdem stimmen wir zu, da es richtig ist, das Altenbild zu revidieren, Altersgrenzen einzureißen und das bürgerschaftliche Engagement zu stärken.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich hoffe, wir alle sind uns in einem Punkt einig: Alle Menschen brauchen unabhängig von ihrem Lebensalter Angebote und Räume zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten, ihres Wissens und ihrer Erfahrungen. Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung zuerst und fast alleine an bürgerschaftliches Engagement denkt, wenn sie an die Beteiligung älterer Menschen denkt. Wie sieht es aber mit sicheren, altersgerechten Arbeitsplätzen als der anderen Seite der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus? Wie sieht es mit einer den Lebensstandard sichernden, armutsfeste Teilhabe ermöglichenden Rente aus? Wann begreifen Sie endlich, dass Rentnerinnen und Rentner in Ost und West für gleiche Lebensleistung die gleiche Rente bekommen müssen? Hier schauen unsere Seniorinnen und Senioren allzu oft in die Röhre. Die stark ansteigende Altersarmut ist ein deutliches Zeichen dafür. Dabei dehnt sich die Phase des aktiven Alters zunehmend aus. Über eine immer größer werdende Zahl von Jahren bleibt eine eigenverantwortliche Lebensführung möglich. Die Fraktion Die Linke hebt stets die Fähigkeiten und Kenntnisse der Seniorinnen und Senioren hervor und möchte sie fördern. Aber ganz wichtig ist uns gleichzeitig, dass diejenigen, die auf Unterstützung angewiesen sind, nicht ausgegrenzt werden. Denn die Gruppe der Seniorinnen und Senioren ist ebenso verschiedenartig wie die anderer Altersphasen. Für die Linke steht fest, dass sich dies auch im politischen Bereich widerspiegeln muss. Daher verlangen wir: Ältere Menschen sind in allen sie betreffenden Lebensbereichen als Expertinnen und Experten in eigener Sache einzubeziehen. Aber wie sieht im Gegensatz dazu die Realität aus? Gestiegene Selbstständigkeit und eine längere Aktivitätsphase der älteren Menschen gehen gerade nicht mit gestiegener Selbstbestimmung und Mitwirkung einher. Die Linke fordert deswegen für ältere Menschen mehr Mitwirkungsrechte und mehr Selbstbestimmung - nicht nur im Engagementbereich. Es ist natürlich wichtig, allen älteren Menschen freiwilliges Engagement zu ermöglichen. Deshalb unterstützen wir grundsätzlich das Anliegen, bürgerschaftliches Engagement für Ältere - aber eben nicht nur für diese attraktiver zu machen und bestehende Einschränkungen sowie Diskriminierungen abzubauen. Schon jetzt kann man den vielen älteren Menschen nicht genug Anerkennung zollen für ihr beispielloses, aufopferungsvolles Engagement. Aber wir dürfen nicht auf der Stelle stehen bleiben: Eine verbesserte Infrastruktur und Anerkennungskultur, regelmäßige Berichterstattung in den Medien, konsequenter Versicherungsschutz, kostenlose Qualifikationsund Fortbildungskurse und auch bessere finanzielle Anerkennung sind neben vielen anderen Dingen dringend erforderlich. Dem Antrag der Grünen hinsichtlich diskriminierender Altersgrenzen im Ehrenamt stimmen wir zu, obwohl der Forderungsteil viel zu allgemein gehalten wurde. Es werden leider keine konkreten Vorschläge unterbreitet, wie bessere Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement geschaffen werden könnten und welche weiteren Altersgrenzen - Kreditvergabe etc. - überdacht werden sollten. Die einzige einigermaßen konkrete Forderung im Antrag der Grünen betrifft die Aufhebung der oberen Altersgrenzen für Schöffinnen und Schöffen. Diesem Anliegen können wir zustimmen. Es wird immer schwieriger, Engagierte zu finden, die ein Schöffenamt ausüben möchten. Deshalb genügt es meiner Meinung nach auch, auf den körperlichen und geistigen Zustand und nicht auf ein mögliches Höchstalter abzustellen. Es ist aber schon sehr verwunderlich, dass die Altersgrenze für die Berufung zum Schöffenamt erhalten bleiben soll, die Bundesregierung aber, ohne mit der Wimper zu zucken, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anhebt. Wenn es darum geht, ältere Menschen länger arbeiten zu lassen bzw. de facto ihre Renten zu kürzen, spielen Altersgrenzen nach oben plötzlich keine Rolle mehr. CDU/CSU und SPD zerschlagen die solidarische Rentenversicherung, treiben die Menschen in die private Vorsorge und fördern dadurch Altersarmut. Zu Protokoll gegebene Reden Die Linke fordert dagegen: Die Rente mit 67 muss zurückgenommen werden. Wir wollen flexible Ausstiegsmöglichkeiten schon vor dem 65. Lebensjahr. Die große und vorbildliche Bereitschaft der Seniorinnen und Senioren zu freiwilliger ehrenamtlicher Tätigkeit darf alles in allem nicht dazu missbraucht werden, reguläre, qualifizierte Arbeitsplätze zu ersetzen und sie vom Arbeits- in den Engagementmarkt zu drängen. Ältere Menschen brauchen gute Arbeit und gutes Ehrenamt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, bauen Sie nicht nur diskriminierende Altersgrenzen ab, geben Sie unseren Seniorinnen und Senioren auch mehr Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte! Die Linke jedenfalls verschließt sich nicht vor Altersweisheit.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist wirklich bedauerlich, dass die Große Koalition nicht über ihren Schatten springen kann, um unserem An- trag „Altersgrenzen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements aufheben“ zuzustimmen. Dabei ist es offen- sichtlich, dass hier nicht die inhaltliche Auseinanderset- zung das Votum begründet. Das Bundesseniorenministe- rium hat ja sogar ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die bestehenden Altersgrenzen zu untersuchen. Auf die Ergebnisse - die ursprünglich im November vorliegen sollten - warten wir allerdings noch immer. Aber übersetzen wir ihre politische Entscheidung, die- sen Antrag abzulehnen, doch einmal in die gesellschaftli- che Realität und schauen fünf Jahre in die Zukunft. 2014 ist die zweite Amtszeit des frisch gewählten Bundespräsi- denten gerade abgelaufen. Auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung wird er eventuell auch das Amt ei- nes Schöffen in Erwägung ziehen. Warum auch nicht? Doch leider wird ihm dann der Weg für diese Art des bür- gerschaftlichen Engagements nicht offen stehen. Sie schließen die Augen vor einer Gesellschaft, die im- mer älter wird und immer fitter bleibt. Dabei ist es eigent- lich nicht zu übersehen: In einer alternden Gesellschaft müssen wir die Altersgrenzen ganz neu überdenken, si- cherlich nicht nur im Bereich des bürgerschaftlichen En- gagments, aber eben auch dort - oder besser: eben genau dort. Denn in einer Gesellschaft, in der es immer weniger junge Menschen gibt und immer mehr ältere, brauchen wir Angebote und Möglichkeiten, auch in der nachberuf- lichen Phase aktiv an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Partizipation ist das Schlüssel-, ja das Zauberwort für eine Gesellschaft im demografischen Wandel. Nur wenn wir es schaffen, auch unsere älteren Bürgerinnen und Bürger in die Gesellschaft einzubinden, dann ist sie auch gerecht. Altersgrenzen relativieren sich in einer Gesell- schaft, in der die ältere Generation zunehmend heteroge- ner wird. Die Schutzfunktion, die Altersgrenzen für die Planung des Lebenslaufs entfaltet haben, ist angesichts der gesellschaftlichen Wandelprozesse in der Form nicht mehr aktuell. Hier ist die Politik gefragt, neue Wege zu gehen - auch um dem ursprünglichen Schutzgedanken wieder gerecht zu werden. Die Antwort auf die zuneh- mende Heterogenität kann daher nur sein, den Zugang zu den Angeboten für die gesellschaftliche Teilhabe im Alter quantitativ und qualitativ zu verbessern. Es ist daher ein gutes Signal, dass zumindest die Op- position die Zeichen der Zeit erkannt hat und diesem An- trag geschlossen zustimmen wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12985, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9630 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 26 a und 26 b sowie Zusatzpunkt 6: 26 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Transsexuellengesetzes ({0}) - Drucksache 16/13157 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Transsexuellengesetz aufheben - Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle schaffen - Drucksache 16/12893 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({3}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ({4}) - Drucksache 16/13154 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Helmut Brandt, Gabriele Fograscher, Gisela Piltz, Dr. Barbara Höll und Irmingard Schewe-Gerigk.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des TranssexuellengesetHelmut Brandt zes, dem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2008 vorausgeht. In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei. Im Klartext bedeutet das, es sei verfassungswidrig, für Transsexuelle eine Personenstandsänderung nur unter dem Vorbehalt der Ehelosigkeit des Betroffenen vorzunehmen. Nach derzeit geltendem Recht müssen sich verheiratete Transsexuelle erst scheiden lassen, bevor sie von Amts wegen dem anderen Geschlecht zugeordnet werden können, selbst dann, wenn beide Ehepartner die Fortführung ihrer Ehe wünschen. Nach dem geltenden Scheidungsrecht müssen sie vor dem Scheidungsrichter lügen, um ihn von der Zerrüttung ihrer Ehe zu überzeugen. Das ist kein Zustand. Dem müssen wir entgegenwirken. Wir dürfen nicht zulassen, dass Amtshandlungen zur Farce werden. Mit diesem Gesetzentwurf entsprechen wir voll und ganz den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts. Verheiratete Transsexuelle, die eine Personenstandsänderung anstreben, können nun bei Erfüllung aller sonstigen Kriterien ihre Ehe fortführen, sofern sich beide Partner ausdrücklich damit einverstanden erklären. In der Konsequenz bedeutet das, dass wir damit einer sehr geringen Anzahl von Menschen die Möglichkeit einer de facto gleichgeschlechtlichen Ehe eröffnen. Lassen Sie mich dazu einige Anmerkungen machen. Erstens - das möchte ich in aller Klarheit sagen -: Der Wegfall der Ehelosigkeit als Voraussetzung in § 8 Transsexuellgesetz präjudiziert keineswegs die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Das Prinzip, wonach eine Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden kann, bleibt durch dieses Gesetz zu Recht unberührt. Wir würden einer Abschaffung dieses Prinzips auch vehement entgegenwirken. Es geht in diesem Gesetzentwurf darum, den betroffenen Eheleuten die Möglichkeit zu geben, ihre rechtmäßig geschlossene Ehe fortzuführen, sofern sie es denn wünschen, auch wenn einer von beiden eine Personenstandsänderung beantragt, nachdem er sich einer unwiderruflichen und im Übrigen zur Zeugungsunfähigkeit führenden Geschlechtsumwandlung unterzogen hat. Dieses Doppelkriterium wie auch die sonstigen strengen Auflagen bleiben bei der Personenstandsänderung nämlich unberührt. Nun kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich jemand einer Hormonbehandlung und einem operativen Eingriff dieses Ausmaßes unterwirft, nur um eine nun gleichgeschlechtlich gewordene Ehe fortführen zu können und somit das oben genannte Prinzip der Ehe zwischen Mann und Frau zu unterminieren. Ich kann nur erahnen, mit wie viel Unannehmlichkeiten, ja Leid diese Behandlungen verbunden sind, sodass meiner Überzeugung nach nicht davon auszugehen ist, dass sie von den betroffenen Menschen leichtfertig in Kauf genommen würden, nur um das Gesetz zu umgehen. Ich glaube vielmehr, dass diese Tatsache dafür spricht, dass die Ehe als eine auch mir persönlich sehr wichtige Institution durch die Gesetzesänderung des Transsexuellengesetzes nicht gefährdet und nicht infrage gestellt wird. Sie wird erst recht nicht der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gleichgestellt. Zum vom Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 festgeschriebenen besonderen Schutz der Ehe gehört meiner Ansicht nach auch, dass sich der Staat nicht in rechtskräftige Ehen einmischen darf, sofern diese dem geltenden Recht und den Anliegen der Eheleute entsprechen. Diese äußerst seltenen de facto gleichgeschlechtlichen Ehen, die so manchem Sorgen bereiten könnten, wurden als Ehen zwischen Mann und Frau geschlossen und sind somit rechtens. Die Frage, die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte, ist folgende: Darf der Staat Eheleute gegen ihren Willen zur Scheidung zwingen, wenn nach der Personenstandsänderung beide dem gleichen Geschlecht zugeordnet sind? Wir müssen in diesem Punkt dem Bundesverfassungsgericht zustimmen und dem Willen der Eheleute folgen. Täten wir das nicht, gerieten wir bei Beibehaltung des jetzigen Rechts wider Willen in die Gefahr, die Institution Ehe zu schwächen, nämlich dann, wenn wir dem Staat dieses Recht auf erzwungene Scheidung beließen. Man stelle sich einmal vor, der Staat würde sich anmaßen, eine völlig normale Ehe gegen den Willen der Beteiligten scheiden zu wollen. Natürlich muss aber auch gleichzeitig gewährleistet sein, dass die Personenstandsänderung ein Scheidungsgrund für beide Partner sein kann. Ich kann nämlich auch jene Betroffenen verstehen, die die Personenstandsänderungen als so schwerwiegende Veränderung werten, dass sie der Ansicht sind, dass die Ehe nicht fortgeführt werden kann. Deshalb ist es unabdingbar, dass beide Partner sowohl bei der Namens- als auch bei der Personenstandsänderung beteiligt sind und bleiben. Das Recht auf persönliche Selbstbestimmung des Antragstellers darf nicht bedeuten, dass der unmittelbar betroffene Partner nicht einbezogen werden darf; im Gegenteil. Nun einige Ausführungen zum Zustandekommen dieser Gesetzesänderung. Seit einigen Jahren beschäftige ich mich als zuständiger Berichterstatter der CDU/CSUFraktion im Innenausschuss des Deutschen Bundestages mit Änderungsvorschlägen zum Transsexuellengesetz. Es ergibt sich meiner Ansicht nach noch weiterer Änderungsbedarf, der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Tatsächlich hat uns das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil auferlegt, die in diesem Änderungsgesetz vorgenommenen Modifizierungen noch vor dem 1. August 2009 vorzunehmen. So war es nicht möglich, innerhalb eines Jahres legitime prozedurale Erleichterungen für die Transsexuellen sowohl bei der Vornamensänderung, der sogenannten kleinen Lösung, als auch bei der Personenstandsänderung, also der „großen Lösung“, umzusetzen. Diese müssen auf die nächste Legislaturperiode vertagt werden. Lassen Sie mich Ihnen einige dieser potenziellen zukünftigen Änderungen kurz vorstellen. Da das ursprüngliche Gesetz aus dem Jahre 1980 stammt, berücksichtigt es nicht aktuellste medizinische Erkenntnisse zur Transsexualität. So wird im Transsexuellengesetz in § 1 Abs. 1 und 3 Nr. 2 die „Unumkehrbarkeit der inneren Überzeugung“ in Bezug auf die Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht zum Kriterium für eine Namensänderung Zu Protokoll gegebene Reden gemacht, die ihrerseits eine Vorstufe zur Personenstandsänderung ist. Heutzutage gehen Psychologen jedoch davon aus, dass von einer völligen „Unumkehrbarkeit“ in Fragen der sexuellen Zugehörigkeit und Neigung im Allgemeinen nicht die Rede sein dürfe, da diese Unumkehrbarkeit nie mit völliger Sicherheit festgestellt werden könne. Somit könnten sich Ärzte um des Selbstschutzes willen weigern, ein solches Zeugnis auszustellen. Vielmehr sollte das ärztliche Attest feststellen, dass „eine fortdauernde innere Überzeugung“ bezüglich der sexuellen Identität vorliege. Dieser Frage wird sich der 17. Deutsche Bundestag annehmen müssen. Im Übrigen erschiene es mir sinnvoll, zugunsten eines ärztlichen auf ein explizit „fach“ärztliches Zeugnis zu verzichten. Somit stünde den Antragstellern frei, sich an den Arzt ihres Vertrauens zu wenden, der sie seit Jahren betreut. Andere strittigere Punkte bedürfen noch der intensiven Prüfung. All das wird der nächste Bundestag zu beurteilen und gegebenenfalls umzusetzen haben. Wichtig ist heute, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen, denn er geht in die richtige Richtung. Zum einen bringt er das Transsexuellengesetz mit dem Grundgesetz in Einklang und trägt zum anderen den legitimen Wünschen von betroffenen Personen Rechnung. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf folglich zu.

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir beraten heute drei Vorlagen zur Änderung des Transsexuellengesetzes. Anlass für notwendige Änderungen sind Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die einige Teile des Transsexuellenrechts als verfassungswidrig erklärt haben. Der Gesetzgeber hat die Auflage, den verfassungswidrigen Zustand des § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG - Gebot der Ehelosigkeit bei Personenstandsänderungen - bis zum 1. August 2009 zu beseitigen. Dieser Auflage des Bundesverfassungsgerichts kommen wir mit dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf nach, der die Streichung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 vorsieht. Damit wird es Transsexuellen ermöglicht, eine rechtliche Anerkennung der neuen Geschlechtsidentität zu bekommen, ohne sich scheiden lassen zu müssen. Es handelt sich hierbei um eine geringe Zahl von Transsexuellen, die erst während der Ehe ihre Transsexualität entdeckt oder offenbart haben und deren Ehe an dieser tiefgreifenden Veränderung der Paarbeziehung nicht zerbrochen ist, sondern nach dem Willen beider Ehegatten fortgesetzt werden soll. Diese Änderung begrüßen wir. Für meine Fraktion kann ich sagen: Wir hätten uns mehr gewünscht. Das Transsexuellengesetz ist fast 30 Jahre alt und entspricht weder dem Stand der Wissenschaft noch der Lebenswirklichkeit. Eine umfassende Novellierung ist notwendig. Im Einzelnen: Die Vornamensänderung sollte erleichtert werden. Das wurde auch in dem öffentlichen Fachgespräch mit Betroffenen und Sachverständigen des Innenausschusses im Februar 2007 deutlich. Bisher muss der Antragsteller mindestens seit drei Jahren in dem anderen Geschlecht, dem er sich zugehörig fühlt, leben, und es muss mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändert. Zudem ist ein Vertreter des öffentlichen Interesses beim Verfahren vor dem Amtsgericht anwesend, und Gutachten von zwei Sachverständigen, die sich mit Transsexualismus auskennen, sind einzuholen. Diese hohen Hürden sind eine große psychische und finanzielle Belastung für die Antragsteller und führen dazu, dass sich die Verfahren bis zu zwei Jahre hinziehen können. Wir könnten uns vorstellen, auf den Vertreter des öffentlichen Interesses und auf die Gutachten zu verzichten, und sehen es stattdessen als ausreichend an, ein ärztliches Zeugnis vorzulegen. Eine Antragstellung auf Vornamensänderung beim Standesamt wäre für uns denkbar. Damit könnten die Kosten, auch für den Staat, und die Dauer der Verfahren wesentlich gesenkt werden. Voraussetzung für die Personenstandsänderung ist die Vornamensänderung. Das halte ich auch weiterhin für richtig. Das Gebot der Ehelosigkeit wird durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf bereits aufgehoben. Als problematisch sehe ich aber die Forderung nach einer dauerhaften Fortpflanzungsunfähigkeit und den zwingenden operativen Eingriff zur Angleichung der äußeren Geschlechtsmerkmale. Nach heutigem Stand der Wissenschaft kann aus der weitgehend sicheren Diagnose „Transsexualität“ keine Indikation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abgeleitet werden. Zwischen 20 Prozent und 30 Prozent der Transsexuellen wollen laut Deutscher Gesellschaft für Sexualforschung keine Geschlechtsumwandlung. Deshalb entspricht die Annahme, jeder Transsexuelle strebe mit allen Mitteln die Veränderung seiner Geschlechtsmerkmale an, nicht mehr der Lebenswirklichkeit. Man kann die Zeit zwischen „kleiner Lösung“ - Vornamensänderung - und „großer Lösung“ - Personenstandsänderung - nicht mehr als Durchgangsstadium ansehen. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung stellt dazu fest, dass die Tatsache, dass ein Antragsteller für eine Vornamensänderung keine geschlechtstransformierenden operativen Eingriffe anstrebe, keinen Zweifel an der Diagnose „Transsexualität“ zulasse. Zudem muss die Frage gestellt werden, ob irreversible chirurgische oder medizinische Eingriffe für eine Fortpflanzungsunfähigkeit und Geschlechtsumwandlung zur Änderung des Personenstandes nach § 8 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 TSG vereinbar sind mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Ich halte diese Forderung des § 8 TSG für einen unangemessenen Eingriff des Staates in die Grundrechte von Menschen. Auch führt diese Regelung zu einer Ungleichbehandlung von Transsexuellen: Anerkannte Transsexuelle mit Geschlechtsangleichung können ihren Personenstand ändern; anerkannte Transsexuelle, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Operation vornehmen lassen, können den Personenstand nicht ändern. Meiner Meinung nach sollte diese Ungleichbehandlung aufgehoben Zu Protokoll gegebene Reden werden. Darum werden wir uns dann in der nächsten Legislaturperiode kümmern müssen. Nun zu den weiteren vorliegenden Initiativen. Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen will das Transsexuellengesetz durch ein Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ersetzen. Anlass für diesen Gesetzentwurf ist die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen einzelne Vorschriften des Transsexuellengesetzes als verfassungswidrig und somit nicht mehr anwendbar erklärt hat. Die Grünen wollen sowohl die Vornamensänderung als auch die Personenstandsänderung von den nach Landesrecht für das Personenstandswesen zuständigen Behörden vornehmen lassen. Für die Änderung des Vornamens habe ich bei einer solchen Regelung keine Bedenken. Bei der Änderung des Personenstandes würde ich weiterhin die Entscheidung des zuständigen Gerichts befürworten, da es sich hierbei um einen weitreichenden Akt mit größeren Rechtsfolgen handelt. Die Linken fordern unter anderem in ihrem Antrag, dass mehrere Vornamen verschiedenen Geschlechts möglich sein sollten und dass neben den personenstandsrechtlichen Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ auch die Einträge „intersexuell“ und „transgender“ zugelassen werden sollen. Dies schafft meines Erachtens mehr Verwirrung und Probleme für Transsexuelle, als dass es zu tatsächlichen Erleichterungen im Alltag kommt. Ich sehe Handlungsbedarf über die jetzt vorgelegte Änderung hinaus und hoffe, dass der nächste Deutsche Bundestag in neuer Konstellation zu Regelungen kommt, die das Leben und den Alltag der Betroffenen erleichtern.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich muss schon sagen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, dass mich der heute von Ihnen hier vorgelegte Gesetzentwurf sehr verwundert. Das Hü und Hott Ihrer Gesetzgebung ist schon ein Trauerspiel. Ich finde es unerträglich, wie Sie mit den Betroffenen umgehen. Erst passiert gar nichts, dann wird ein Referentenentwurf erarbeitet, dann wird er wieder zurückgezogen, dann landet ein ganz anderer hier im Plenum. Für diejenigen Menschen, die endlich Rechtssicherheit haben wollen, die endlich ein verfassungsgemäßes und vor allem zeitgemäßes Transsexuellengesetz erwarten - und das völlig zu Recht -, ist das schon Umgang, der von grober Missachtung zeugt. Als ich den heute hier vorliegenden Gesetzentwurf gelesen habe, musste ich mir erst einmal verwundert die Augen reiben: Jetzt doch nur die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils? Gerade noch rechtzeitig vor Fristablauf? Das entspricht nicht dem, was als große Reform angekündigt war - und nicht nur angekündigt, sondern vor allem sehnlich erwartet. Seit vielen Jahren warten die Betroffenen auf eine Regelung, die ihre Rechte und insbesondere ihre Würde achtet und sich dabei an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Die Bundesregierung hat diese berechtigten Erwartungen stets ignoriert und ist untätig geblieben. Sie hat sich mitnichten um die Betroffenen gekümmert, sondern es immer wieder darauf ankommen lassen, dass das Bundesverfassungsgericht ihr die Entscheidung abnimmt. Das ist kein verantwortungsvoller Umgang mit der Verantwortung. Das ist unerträgliche Ignoranz. Noch im April hat die Bundesregierung dann ein Gesetz vorbereitet, das angeblich dieser großen Reform dienen sollte. Allerdings hat sie dabei erneut alle schon längst bekannten notwendigen und von den betroffenen Verbänden mit großer Sachkunde vorgetragenen Lösungsvorschläge schlichtweg ignoriert. Im Hauruckverfahren wurde ohne vorherige Beteiligung des hohen Sachverstands der Verbände ein Referentenentwurf vorgelegt, von dem man allerdings nur sagen kann, dass es ein Glück ist, dass er nicht das Licht dieses Hauses erblickt hat. Immerhin. Denn es wäre ja auch nichts Neues, dass die Bundesregierung völlig untaugliche Gesetzentwürfe wider besseres Wissen hier im Bundestag mit ihrer Koalitionsmehrheit durchpeitscht - ohne Rücksicht auf Verluste. Wenigstens das bleibt uns hier erspart. Insofern ist es tatsächlich sogar besser, heute nur die Minimallösung vorzunehmen, um wenigstens endlich der Vorgabe des Verfassungsgerichts nachzukommen. Denn das, was die Bundesregierung unter einer großen Reform versteht, wäre für die Betroffenen keine Verbesserung gewesen, sondern nur ein großer Murks. Daher bin ich im Grunde sogar froh, dass dieser verwunderlich schmale Gesetzentwurf heute hier vorliegt. Damit werden zwar immer noch nicht die zahlreichen Probleme gelöst, damit wird zwar immer noch die schon lange erforderliche umfassende Neuregelung vertagt; aber wenigstens werden nicht die bisher bekannten völlig unzureichenden und sogar falschen Vorschläge der Bundesregierung Gesetz. Die jetzt vorgelegte Änderung ist auch aus Sicht der FDP-Fraktion zwingend geboten, aber sie darf nicht das Ende des Themas sein. Im Gegenteil: Die eigentliche Arbeit einer umfassenden Reform muss jetzt endlich unter Einbeziehung der Verbände beginnen. Genau hier aber gibt es keinerlei Anzeichen, dass die Bundesregierung das Problem auch nur angehen will. Mit keinem Wort wird in der Gesetzesbegründung erwähnt, dass hier erst ein winziger Anfang gemacht wird, dass auf jeden Fall noch mehr folgen wird, ja folgen muss. Aus unserer Sicht aber muss das Thema unbedingt auf der Agenda bleiben: Eine umfassende Reform des Transsexuellengesetzes, die Verfahrenserleichterungen und Entbürokratisierungsmaßnahmen vorsieht und die insbesondere endlich das Erfordernis der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit aufgibt, bleibt dringend notwendig. Seit dem letzten Jahr liegt dem Bundestag ein Antrag der FDP-Fraktion vor, in dem wir umfassende Vorschläge machen, die bei einer Reform des Gesetzes zwingend beachtet werden sollten. Ich kann hier nur an die Bundesregierung appellieren: Schauen Sie sich doch noch einmal unsere Vorschläge genau an. Dann hätten Sie sich und den Betroffenen im April einen unsäglichen Referentenentwurf erspart und könnten schon längst viel weiter sein. Im Gegensatz zu Ihrem untauglichen Versuch vom letzten Monat haben die Vorschläge der FDP-FrakZu Protokoll gegebene Reden tion vom letzten Jahr von den betroffenen Fachverbänden Zustimmung erfahren. Zur Lösung der Probleme müssen sich endlich auch Union und SPD bekennen, damit in der nächsten Legislaturperiode ohne Hast und mit der gebotenen Sorgfalt endlich ein guter Gesetzentwurf vorgelegt und auch verabschiedet werden kann. Die Betroffenen haben jetzt lange genug darauf gewartet.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Als am 1. Januar 1981 das Transsexuellengesetz in Kraft trat, war dies ein großer Vorteil für die Betroffenen. Zum ersten Mal wurden Transsexuelle vom Gesetzgeber anerkannt. Die Bundesrepublik hatte damit eine Vorreiterrolle übernommen. Menschen, die sich im falschen Körper fühlen und ihren Körper ihrem für sich beanspruchten Geschlecht angleichen wollten, wurde vom Gesetzgeber eine Möglichkeit geboten in ihrem Geschlecht auch anerkannt zu werden. Transsexuelle können einen anderen geschlechtsbezogenen Vornamen annehmen. Dies wird als kleine Lösung bezeichnet. Und Transsexuelle können ihren Personenstand ändern, also ihren standesamtlichen Geschlechtseintrag. Also, Herr statt Frau, oder umgekehrt. - Dies ist die sogenannte große Lösung. Die Vornamens- und Personenstandsänderung ist für Transsexuelle sehr wichtig; denn nur so können sie auch sicher sein, dass sie sich nicht bei einem Brief vom Amt, der Wahlbenachrichtigung oder Ähnlichem zu ihrem vorherigen Geschlecht offenbaren müssen, es also zu einem ungewollten Outing kommt. Doch insbesondere die große Lösung ist mit erheblichen Hürden verbunden. Hier sind im Besonderen zu nennen: ein kompliziertes Gutachtersystem mit Anwartszeiten und erheblichen Kosten und die Notwendigkeit zur Fortpflanzungsunfähigkeit. Die Betroffenen empfinden die Begutachtung als entwürdigend. Der Zwang zur Fortpflanzungsunfähigkeit ist besonders kritikwürdig. Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2005 in einer Urteilsbegründung - BverfG, BvL 3/03 vom 6. Dezember 2005 -: Für eine unterschiedliche personenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung sieht die Fachliteratur deshalb keine haltbaren Gründe mehr. Im Februar setzte auch das österreichische Verwaltungsgericht ein Signal, als es urteilte, dass schwerwiegende operative Eingriffe keine Voraussetzung für die rechtliche Änderung des Geschlechtseintrags sein dürfen. Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Sie stehen unter Handlungsdruck. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Mai 2008 über die Pflicht zur Scheidung beim Personenstandswechsel eines Transsexuellen nach der Geschlechtsangleichung. Es entschied, dass dies nicht mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - dem besonderen Schutz von Ehe und Familie durch den Staat - vereinbar sei. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete den Gesetzgeber zu einer Änderung bis zum August 2009. Und nun legen Sie uns auf den letzten Drücker einen Gesetzentwurf vor. Dabei beschränken Sie sich nur auf die Ihnen auferlegte Neuregelung und dies wollten sie in erster Lesung nicht einmal debattieren. Aber eine Reform des Transsexuellengesetzes tut insgesamt not. Aber den Bedürfnissen der Betroffenen wird dies nicht gerecht. Denn unangetastet bleiben das entwürdigende und langwierige Begutachtungssystem und die Pflicht zur Fortpflanzungsunfähigkeit beim Wechsel des Personenstandes. Sie hätten zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes die Chance zu einer Reform des Transsexuellengesetzes, die die Würde der Betroffenen achtet. Diese Chance haben Sie verpasst. Wenigstens haben Sie Abstand genommen von dem zuvor in Ihrem Hause kursierenden Entwurf, den Sie hier klammheimlich und in aller Eile zunächst durchpeitschen wollten. Die Linke sagt: Wir brauchen keine Sondergesetze für geschlechtliche und sexuelle Minderheiten. Wir brauchen endlich eine Liberalisierung der bestehenden Gesetze und Verwaltungsvorschriften, die die Betroffenen in ihrer Würde achtet. Wir haben einen Antrag eingebracht, der das Vornamens- und Personenstandsrecht liberalisieren würde. Dies würde auch Transgendern und Intersexuellen zugutekommen. Die Änderung des Vornamens sowie des Personenstandes soll damit allen Menschen offenstehen. Ich bin froh, dass sich auch die Grünen unseren Forderungen angeschlossen haben und hier einen Gesetzentwurf vorlegen, der sich unseren Liberalisierungsbemühungen anschließt. Die Regierungskoalition hat die Möglichkeit in dieser Legislaturperiode verpasst. Sie müssen sich jetzt vor den Betroffenen rechtfertigen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das geltende Transsexuellengesetz ist fast 30 Jahre alt und entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Es stellt für die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit unbegründete Hürden auf, die die Würde und die Selbstbestimmung von transsexuellen Menschen beeinträchtigen. Bereits fünfmal hat das Bun- desverfassungsgericht einzelne Vorschriften des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt Auch weitere Vorschriften des TSG sind verfassungsrechtlich in der Kritik. Im Februar dieses Jahres kam aus dem Bundesinnen- ministerium der Entwurf für ein Transsexuellenrechtsre- formgesetz. In der Begründung hieß es: Das Transsexuellengesetz ist seit seinem Inkrafttre- ten am 1. Januar 1981 nicht reformiert worden. Viele Regelungen entsprechen nicht mehr dem heu- tigen Kenntnisstand. Auch verschiedene Eingaben an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundes- tages in den vergangenen Jahren zeigen, dass ein großes Bedürfnis für eine Reform des Transsexuel- lengesetzes besteht. Aufbauend auf den Anregungen der politischen Parteien im Deutschen Bundestag, Zu Protokoll gegebene Reden von Verbänden der Betroffenen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema und vorliegen- den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts sieht der Gesetzwurf eine umfassende Reform des Transsexuellenrechts vor. Leider hat der Entwurf nicht gehalten, was er verspro- chen hat. Angesichts der massiven Kritik der Interessen- verbände sowie von Expertinnen und Experten wurde die- ser völlig verfehlte Reformversuch zurückgezogen. Anstatt aber die Kritik positiv aufzugreifen und den Ent- wurf anzureichern, legt die Große Koalition nun nur ein kleines Änderungsgesetz vor, das lediglich der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, nach der das Erfordernis der Ehelosigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG mit den Grundrechten unvereinbar ist, Rechnung trägt. Sie brauchten also ein ganzes Jahr, um eine einzige Vor- schrift vom TSG zu streichen. Weitere Reformschritte werden hingegen auf die nächste Legislaturperiode ver- schoben. Wieder wird eine Chance vergeben, das Trans- sexuellengesetz insgesamt zu novellieren. Nur am Rande möchte ich betonen, dass dieser Vor- schlag in der Realität nichts ändert. Der § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG wird schon aufgrund des Urteils des Bundesverfas- sungsgerichts nicht angewandt. Dies zeigt jedoch, wie viel Ignoranz in der Großen Koalition steckt, wie wenig die Belange und das Selbstbestimmungsrecht der trans- sexuellen Menschen für sie bedeuten, und schließlich, wie wenig reformfähig die beiden Regierungsparteien in den Fragen der Gesellschaftspolitik sind. Deshalb hat sich die Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen dafür entschieden, den Entwurf eines Geset- zes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit, ÄVFGG, in den Deutschen Bundestag einzubringen. Damit sollen die Grundrechte Transsexueller in vollem Umfang verwirklicht werden, indem die tatsächliche Vielfalt von Identitäten akzeptiert wird, anstatt transsexuelle Menschen in vorgegebene Raster zu pressen und ihnen das Leben damit zu erschwe- ren. Deshalb wollen wir das Verfahren für die Änderung der Vornamen deutlich vereinfachen und nur vom Ge- schlechtsempfinden des Antragstellers abhängig machen. Es wird nunmehr auf die bisher geforderte mindestens dreijährige Dauer des Zwangs des Zugehörigkeitsemp- findens zum anderen Geschlecht sowie auf den irreversib- len Charakter dieses Empfindens verzichtet. Die Trans- sexualität kann nicht diagnostiziert werden; lediglich der Antragsteller selbst kann letztlich über seine geschlecht- liche Identität Auskunft geben. Außerdem tastet eine Überprüfung des Ergebnisses des Sich-selbst-Begreifens von Staats wegen den Sexualbereich des Menschen an, den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz stellt. Es wird weiter auf die Anrufung eines Gerichts ver- zichtet. Der Antrag ist bei den nach jeweiligem Landes- recht für das Personenstandswesen zuständigen Behör- den zu stellen, sodass die Vornamensänderung im Rahmen eines Verwaltungsaktes erfolgt. Auch das Verfahren zur Feststellung der Geschlechts- zugehörigkeit soll vereinfacht und beschleunigt werden. Es wird auf die verfassungsrechtlich unhaltbare Voraus- setzung einer dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit ver- zichtet. Ebenso wird die Personenstandsänderung nicht mehr von der deutlichen operativen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts abhängig ge- macht. Diese Kategorie ist nicht zeitgemäß und lässt sich in einer individualistischen Gesellschaft mit pluralisti- schen Lebensformen nicht definieren. Damit sind das subjektive, mit den bisherigen Angaben nicht überein- stimmende Geschlechtsempfinden des Antragstellers sowie die auch heute geltenden statusrechtlichen Zu- gangsvoraussetzungen einzige Bedingungen für eine Per- sonenstandänderung. Der Deutsche Bundestag hat vor 30 Jahren ein Gesetz vorbereitet, mit dem das Bundesverfassungsgericht sich schon mehrmals befassen musste. Lassen Sie uns deshalb diesmal ein Gesetz verabschieden, das die Grundrechte der transsexuellen Menschen respektiert und keine An- haltspunkte für die Notwendigkeit einer weiteren verfas- sungsrechtlichen Überprüfung gibt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/13157, 16/12893 und 16/13154 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 23 a bis 23 c: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gudrun Kopp, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung wettbewerblicher Strukturen im Markt für Postdienstleistungen ({0}) - Drucksache 16/8906 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) - Drucksache 16/13152 - Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Barthel b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abge- ordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wettbewerbsintensität im Binnenmarkt für Postdienstleistungen erhöhen - Drucksachen 16/8773, 16/13152 - Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Barthel c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Frank Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Schäffler, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen Post AG bei der Umsatzsteuer - Drucksachen 16/676, 16/8809 Berichterstattung: Abgeordnete Lydia Westrich Dr. Volker Wissing Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Georg Nüßlein, Klaus Barthel, Lydia Westrich, Gudrun Kopp, Sabine Zimmermann und Dr. Thea Dückert haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die FDP fordert in ihrem Gesetzentwurf mehr Wettbewerb auf dem deutschen Postmarkt. Das wollen wir auch. Aber mehr Wettbewerb führt nicht immer automatisch zu mehr Beschäftigung, wie wir es begrüßen würden. Der Leitgedanke der sozialen Marktwirtschaft soll sich auch auf dem Postmarkt wiederfinden. Wettbewerb pur, wie es die FDP einfordert, führt schnell zu sozialen Verzerrungen und regionalen Benachteiligungen in der postalischen Versorgung; wie zu befürchten im ländlichen Raum. Wird den klaren Regeln des Wettbewerbs ohne Leitplanken gefolgt, so würden wir bald sehen, wie manche Postdienstleistungen aus der Fläche verschwinden. Wir wollen aber, dass auch zukünftig flächendeckend postalische Dienstleistungen für alle Menschen auch im ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Das ist nur mit entsprechender Regulierung im Zuge der Liberalisierung zu schaffen. Die größte Weiterentwicklung im deutschen Postmarkt haben wir zum Anfang letzten Jahres geschafft mit der vollständigen Liberalisierung des deutschen Postmarktes und dem kompletten Wegfall des Monopols, also der gesetzlichen Exklusivlizenz der Deutschen Post AG. Das Datum 1. Januar 2008 ist der Meilenstein für „Mehr Wettbewerb im Postmarkt“. Nichtsdestotrotz liegt dieser Meilenstein gerade einmal ein gutes Jahr zurück. Dieser neu und vollständig geöffnete Markt braucht Zeit, sich zu etablieren und zu festigen. Dies geschieht bereits im Paketbereich mit Erfolg. Geschätzte Zahlen vom Postwettbewerber Hermes belegen, circa ein Drittel aller Privatpakete werden in Deutschland von Hermes ausgeliefert. Mittlerweile gibt es im Paketshop-Netz von Hermes 14 000 Annahmestellen - beim Getränkehändler, beim Bäcker oder in der Wäscherei um die Ecke. Auch neue Arbeitsplätze durch die Errichtung neuer Distributionszentren wurden geschaffen. Genau so wünschen wir uns das. Dank höherer Sendungsaufkommen bei den Paketen infolge von Entwicklungen wie Ebay und zahlreicher Webshops sowie neuer innovativer Ideen funktioniert hier ein gesunder Wettbewerb. Das zeigt: Wir haben bereits mehr Wettbewerb in Deutschland geschaffen. Das ist eine gute Nachricht. Neben der Forderung nach noch stärkerem Wettbewerb im Postmarkt will die FDP eine steuerliche Gleichbehandlung aller Anbieter im lizenzierten Bereich. Diese soll hergestellt werden durch eine Einführung der Umsatzsteuerpflicht für die Deutsche Post AG. Die steuerliche Gleichbehandlung findet meine Zustimmung. Nur Art und Zeitpunkt der Umsetzung sind im Detail zu betrachten. Gerade jetzt in den schwierigen Zeiten der Wirtschaftskrise wären Portoerhöhungen gänzlich das falsche Signal. Höhere Portopreise würden bei den Bürgerinnen und Bürgern zu Recht auf völliges Unverständnis und Ärger stoßen. Das muss man bei der Entscheidung über die künftige umsatzsteuerliche Behandlung im Blick haben. Einen weiteren Punkt halte ich beim Thema Umsatzsteuer für wichtig. Wettbewerber, die ebenfalls in ganz Deutschland flächendeckend Briefe zustellen und Briefe annehmen, müssen auch im Hinblick auf die Umsatzsteuerbelastung gleich behandelt werden. Das ist fairer Wettbewerb. Herstellen kann man den auf zwei Arten: durch eine Steuerpflicht für alle Marktteilnehmer wie durch eine Steuerbefreiung. Letztere verhindert eher Portoerhöhungen. Allerdings darf Deutschland in der Mehrwertsteuerfrage nicht isoliert handeln. Es war richtig, das EuGHUrteil im britischen Verfahren TNT Post - British Mail abzuwarten, bevor wir hier im Schnellschuss ein Gesetz verabschiedet hätten. Es ging im EuGH-Urteil um die zwei wichtigen Fragen, welche Postdienstleistung von der Mehrwertsteuer zu befreien sind und wie eine „öffentliche Posteinrichtung“ zu definieren ist. Ende April 2009 wurde nun das Urteil verkündet. Das Urteil zeigt uns drei wesentliche Eckpunkte auf: Erstens. Universaldienstleistungen nach dem Postgesetz und nach der Postuniversaldienstleistungsverordnung sind steuerbefreit. Zweitens. Mehrwertsteuerpflichtig sind Universaldienstleistungen, die zu individuell ausgehandelten Bedingungen erbracht werden. Drittens. Die Steuerbefreiung setzt eine Verpflichtung des Unternehmers voraus, den gesamten Universaldienst oder einen Teil dessen zu erbringen. Ein Teil in diesem Sinne sind Briefdienstleistungen oder Paketdienstleistungen gemäß Postuniversaldienstleistungsverordnung, die jeweils flächendeckend erbracht werden. Diese Eckpunkte müssen wir nun bei einer Änderung bzw. Anpassung unseres Umsatzsteuergesetzes berücksichtigen. Wollen wir in Deutschland den Übergang von einem ehemals staatlichen Monopol zu einem freien Wettbewerb positiv begleiten, so müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Es geht dabei um die Rahmenbedingungen für die Kunden, die Rahmenbedingungen für die betroffenen Unternehmen und um die Rahmenbedingungen für die betroffenen Arbeitnehmer. Wir dürfen nicht vergessen, in diesem Bereich der Postdienstleistungen sind in Deutschland mehr als 200 000 Menschen beschäftigt. Deswegen dürfen wir nicht nur von Märkten und mehr Wettbewerb reden. Wir sollten vor allem auch über die Menschen und deren berufliche Perspektiven nachdenken. Und wir müssen die flächendeckende Versorgung der Menschen mit einfachen Postdienstleistungen gewähren und sicherstellen. Dabei sind günstige Preise wichtig; genauso wie die Nähe zum Kunden und eine gute Qualität der Dienstleistung. Besonders die flächendeckende Versorgung mit Briefdienstleistungen im ländlichen Raum muss an dieser Stelle ein besonderes Gewicht haben. Es reicht mir nicht, zu wissen, dass theoretisch eine Postfiliale in allen Regionen Deutschlands möglich ist. Unsere Aufgabe muss es sein, sicherzustellen, dass die Menschen überall ihre Briefe und Pakete, an jedem Werktag und ohne lange Wege verschicken und erhalten können. Den Übergang von einem ehemals staatlichen Monopol zu einem freien Wettbewerb positiv begleiten, das bedeutet für mich daher, einen geregelten Übergang zu schaffen unter Berücksichtigung der Interessen der Kunden und der Beschäftigten der bisherigen Monopolbranche und ebenso unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der neuen Marktteilnehmer. Ganz gewiss werden wir daher das Umsatzsteuergesetz und die PostUniversaldienstleistungsverordnung an die neuen Marktbedingungen anpassen müssen, um für alle Marktteilnehmer gleiche Chance zu schaffen.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heute können wir nach einem Jahr und mehrfacher Beratung im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und den mitberatenden Ausschüssen sowie zwei Anhörungen zu den angesprochenen postpolitischen Themen über die Anträge der FDP abschließend entscheiden. Der Ausschuss empfiehlt mit Mehrheit, sie abzulehnen. Wir Sozialdemokraten können unverändert auf das verweisen, was wir dazu schon in der ersten Lesung vorgetragen haben. Die Entwicklung im Postsektor und die Entscheidung des EuGH haben unsere Auffassung rundum bestätigt und die der FDP widerlegt. Besonders deutlich wird dies bei der Frage der Umsatzsteuer auf Postdienstleistungen. Das Urteil des EuGH vom 23. April 2009 lässt die ganze FDP-Argumentation in sich zusammenbrechen: Es ist nicht nur möglich, sondern europarechtlich zwingend vorgeschrieben, öffentliche Postdienstleistungen von der Mehrwertsteuer zu befreien. Der EuGH unterscheidet klar zwischen solchen Anbietern, die Teile der Wertschöpfungskette bedienen oder Leistungen für einzelne Regionen und Kundengruppen erbringen, und solchen, die den Universaldienst nach gesetzlichen Kriterien flächendeckend und nachprüfbar erbringen. Die einen sind mit Umsatzsteuer zu belasten, die anderen nicht. Wir können auf nationaler Ebene definieren, welchen Umfang der Universaldienst haben soll und wer gegenüber der Öffentlichkeit verpflichtet ist, ihn oder Teile davon zu erbringen. „Öffentliche“ Postunternehmen sind also nicht von den Eigentumsverhältnissen her definiert, sondern aus der Frage der Erbringung universeller Dienste heraus. Dazu bestehen im Übrigen Mindeststandards, welche den zweiten Teil des FDP-Antrags als europarechtswidrig kennzeichnen. Dies ließe sich schon allein aus den Mindestvorgaben der Postdiensterichtlinie ableiten, die die von der FDP vorgesehene Gewichtsgrenze von 50 Gramm für „Pflicht“-Briefe klar ausschließt. Die EU sieht aber auch keinen zweigeteilten Universaldienst vor, also einen mehrwertsteuerfreien und einen mehrwertsteuerpflichtigen. Was Universaldienst ist, ist steuerfrei und was Universaldienst ist, entscheiden die Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip, solange die EUweiten Mindeststandards eingehalten werden. Für Deutschland ist der Universaldienst im Postgesetz und in der Post-Universaldienstleistungsverordnung abschließend geregelt. Die Pflicht zum Einsammeln ({0}), Transportieren, Sortieren und Zustellen von Postsendungen kann auch nicht ernsthaft an der Frage festgemacht werden, ob mehr als 50 Sendungen ({1}) verschickt werden, sondern ob eine solche Leistung für die Allgemeinheit zu allgemein zugänglichen Bedingungen angeboten wird und nach den Kriterien des Universaldienstes erbracht wird. Logischerweise sagt also der EuGH, nur individuell ausgehandelte einzelvertragliche Dienstleistungen sind mehrwertsteuerlich gesondert zu behandeln, also zu besteuern, alles andere nicht. Vereine, Sozialverbände und kleine und mittelständische Betriebe würden sich schön bedanken, wenn sie plötzlich 19 Prozent für ihre Sendungen mehr bezahlen müssten. Schließlich und endlich der Mindestlohn. Soziale Standards und Mindestlohn seien, so die FDP in ihrer Antragsbegründung, Fremdkörper in unserer Wettbewerbsordnung. Das ist also die soziale Marktwirtschaft à la Westerwelle. Wen wundert es da, dass wachsende Teile der Bevölkerung Zweifel an unserer Wirtschaftsordnung bekommen! Auch wenn es die FDP nicht wahrhaben will: Das Wort „Wettbewerb“ kommt in unserem seit 60 Jahren bewährten Grundgesetz nicht ein einziges Mal vor. „Briefgeheimnis“, „Postgeheimnis“ und die Verpflichtung des Staates, flächendeckend angemessene und ausreichende Postdienstleistungen zu gewährleisten das steht im Grundgesetz. Und auch im Postgesetz ist die Förderung des Wettbewerbs nur ein Ziel. Gleichberechtigt fordert es die Grundversorgung durch einen flächendeckenden und erschwinglichen Universaldienst sowie ausdrücklich die Berücksichtigung sozialer Belange, damals noch mit Zustimmung der FDP. Die FDP-Behauptung, der Post-Mindestlohn hätte Unternehmen und Arbeitsplätze vernichtet, hat mit der Realität auf einem schrumpfenden Markt nichts zu tun. Die PIN-Insolvenz, die als Beleg herangezogen wird, fand statt, als der Mindestlohn noch gar nicht in Kraft war. Bis heute - und das zeigen die Erhebungen der Bundesnetzagentur und die Alltagserfahrung - wird in weiten Bereichen der Mindestlohn nach wie vor nicht gezahlt. Wer es nicht schafft, mit einem Mindestlohn, der um ein Drittel unter dem Durchschnitt des bei der Deutschen Post AG bezahlten Einkommens liegt, in diesen Markt erfolgreich einzutreten, der sollte sein unternehmerisches Konzept überprüfen anstatt auf den Mindestlohn zu zeigen. Alle Beschäftigten der Postbranche können sicher sein, dass die SPD-Bundestagsfraktion auch in Zukunft alles daransetzen wird, den branchenbezogen, in der Großen Koalition durchgesetzten Mindestlohn wirksam werden zu lassen, auch wenn eine gerichtlich als solche eingestufte Pseudogewerkschaft die geringe Zahl ihrer Mitglieder durch den höheren Ausstoß an Presseerklärungen zu kompensieren versucht. Zu Protokoll gegebene Reden Ich will aber namens meiner Fraktion auch deutlich machen, dass die Deutsche Post AG selbst in der Pflicht steht, in der Pflicht, den Universaldienst zu erbringen, anstatt ihn beispielsweise durch Qualitätsmängel in den Filialen und bei der Zustellung zu durchlöchern oder ihn durch wiederkehrende Vorstöße, was man alles eigentlich nicht mehr machen will, infrage zu stellen. Empört sind wir aktuell über die Ankündigungen des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post, die Folgen der krisenbedingten Umsatzrückgänge und des Desasters in den USA mit Kosten von circa 7,5 Milliarden Euro jetzt allein den Beschäftigten in Deutschland aufzuladen. Sie sollen mehr arbeiten und weniger Geld bekommen. Sollten sie nicht mitmachen, droht der Arbeitgeber mit Fremdvergaben. Wir weisen diesen Erpressungsversuch in aller Deutlichkeit zurück und warnen den Vorstand des Unternehmens vor einer Konfliktstrategie gegenüber seinen Beschäftigten, zumal sonst die Debatte über Managementfehler im Postkonzern neue Nahrung bekäme. Postpolitik bleibt also spannend. Im Sinne des Dargestellten, aber ganz anders als von der FDP gefordert, müssen wir unser Umsatzsteuerrecht nach dem EuGHUrteil ausgestalten. Wir müssen den Universaldienst auf Grundlage der Erfahrungen der Kunden und künftiger Anforderungen sichern, präzisieren, ausbauen und modernisieren. Wir werden die Arbeitsbedingungen in der gesamten Branche sozial gestalten und so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten. Auch im Postsektor ist kein Platz für Dumpingstrategien, von wem sie immer ausgehen mögen. Preise, Qualität und Arbeitsplätze gehören zusammen. Das bleibt eine politische Gestaltungsaufgabe.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Deutschland gibt es keine gesetzliche Regelung, nach der ein Unternehmen zur ständigen und flächendeckenden Erbringung von Postuniversaldienstleistungen verpflichtet werden kann. Deshalb müssen wir in Deutschland den Unternehmen, die tatsächlich flächendeckend die Postuniversaldienstleistungen anbieten, eine Steuerbefreiung gewähren. Das hat der Europäische Gerichtshof jetzt eindeutig festgestellt. Damit ist der Gesetzentwurf der FDP, der alle Postdienstleistungen der Mehrwertsteuer unterwerfen will, eindeutig europarechtswidrig. Bezogen sich Sachverständige, die die Einführung der Mehrwertsteuer auf alle Postdienstleistungen befürworteten, bisher auf die Rechtsprechung aus dem Jahr 1985, so ist nunmehr eindeutig klar, dass der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern dieses Stück Daseinsvorsorge gewährleisten muss und die ausführenden Unternehmen zu unterstützen hat. Ich bin sehr froh, dass dieses Mal nicht der Wettbewerb oder tatsächliche oder vermeintliche Wettbewerbsverzerrungen im Mittelpunkt standen, sondern wirklich der Anspruch der Menschen eines Landes, flächendeckend zu gleichen Preisen und Bedingungen versorgt zu werden. Ich hätte mir zwar gut vorstellen können, dass ein Universaldienst nicht nur die Mindestanforderungen umfasst. Unsere Postuniversaldienstleistungsverordnung geht ein gutes Stück über die EU-Mindestanforderungen hinaus. Diese erweiterten Dienstleistungen würde ich auch gern für die Kunden in unserem Land beibehalten. Die Nachnahmesendungen spielen heute nicht mehr die ganz große Rolle wie früher, aber sie werden bei Versandhäusern immer noch als Möglichkeit angeboten und gerade von älteren Menschen genutzt. Wichtig wäre auf jeden Fall die Expresssendung und auch die Möglichkeit, größere Pakete bis 20 Kilogramm zu versenden. Infopost und Infobrief habe ich selbst häufig genutzt. Schon eine Einladung zu Hochzeit oder Geburtstag und Ähnliches übersteigt häufig die 50er-Grenze für Briefe. Da werden Infopost oder Infobrief gern genutzt. Da im Urteil des Europäischen Gerichtshofes auf die nationale Umsetzung nicht eingegangen wurde, ist es meiner Ansicht nach ohne Weiteres möglich, die universalen Dienstleistungen auf das national gewünschte Maß auszudehnen. Deshalb ist eine sorgfältige Prüfung des Urteils notwendig, auch im Lichte der Einlassung der Generalanwältin Frau Kokott im Vorfeld der Entscheidung. Der Wettbewerb im Postwesen ist wichtig. Die garantierte flächendeckende gleichmäßige und preisgünstige Versorgung unserer Bürgerinnen und Bürger mit Postdienstleistungen ist die Aufgabe, um die sich unser Staat zu kümmern hat. Er hat die Unternehmen zu entlasten, die sich verpflichten, diese Universaldienstleistungen zu erfüllen. Die Belastung mit der Mehrwertsteuer würde diese Aufgaben für die Kunden erheblich verteuern. Dass die FDP der Meinung ist, dass alle Leistungen, auch die der Daseinsvorsorge, am besten durch den freien Markt geregelt und erbracht werden, hat sie immer wieder deutlich gemacht. Selbst das riesige Versagen der Märkte im Finanzbereich und seine schlimmen Folgen für die Realwirtschaft und die Haushalte können diesen Irrglauben nicht erschüttern. Unternehmenskonzepte, deren Gewinnerwartungen darauf beruhen, Arbeitskraft auszubeuten - das nenne ich Beschäftigung unterhalb von Mindestlöhnen -, zählen bei der FDP höher als die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, gut versorgt zu werden. Das ist nicht meine Linie und die meiner sozialdemokratischen Fraktion. Wir lehnen deshalb die Gesetzesentwürfe der FDP ab und werden nach sorgfältiger Prüfung der Möglichkeiten, die das Urteil des EUGH an Spielraum lässt, ein europagerechtes Gesetz verabschieden. Dessen Schwerpunkt wird auf der optimalen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger liegen und die Unternehmen unterstützen, die die Universaldienstleistungen ganz oder teilweise verpflichtend erbringen können.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Machen wir uns nichts vor - der sogenannten Großen Koalition liegt nichts ferner, als noch in dieser Legislaturperiode den Markt für Postdienstleistungen endlich wirksam zu liberalisieren. Ausschließlich auf das Drängen von uns Liberalen beraten wir heute abermals über die Frage, wie auf dem deutschen Markt für Postdienstleistungen endlich echter Wettbewerb geschaffen werden kann - und das eineinhalb Jahre nach dem Wegfall der Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG zur Beförderung bestimmter Briefsendungen. Zu Protokoll gegebene Reden Es ist schon bezeichnend, was sich die Regierung alles einfallen lässt, um ja nicht die Privilegierung der Deutsche Post AG, die noch immer zu 30 Prozent in Staatsbesitz ist, aufzugeben. Von dem Zeitpunkt an, als die formale Liberalisierung des Marktes für Postdienstleistungen beschlossene Sache war, verschwendet die Regierung einen Großteil ihrer Ressourcen darauf, immer abenteuerlichere Begründungen dafür zu finden, warum der Weltkonzern Deutsche Post AG - oder neuerdings Deutsche Post DHL - weiterhin vor dem Wind des Wettbewerbs geschützt werden könnte. Doch eins nach dem anderen: Die FDP hat bereits vor über einem Jahr als einzige Partei im Deutschen Bundestag ein Gesetz vorgelegt, auf dessen Grundlage echter Wettbewerb auf dem Markt für Postdienstleistungen möglich gewesen wäre. Denn dies war, so verstehen es zumindest wir Liberalen, ja Sinn und Zweck der Liberalisierung des Marktes für Postdienstleistungen. Die wesentlichen Wettbewerbshemmnisse, namentlich der weltweit höchste Mindestlohn und die Umsatzsteuerbefreiung der Deutsche Post AG sowie etliche andere unnötige Überfrachtungen des derzeit geltenden Postgesetzes wären mit unserem Gesetzentwurf endlich beseitigt und Verbraucher, Arbeitnehmer, Unternehmen und nicht zuletzt der Fiskus kämen endlich in den Genuss, die Früchte des echten Wettbewerbs zu ernten. Die beiden größten Hemmschuhe für freien und fairen Wettbewerb auf dem Postmarkt habe ich eben bereits genannt. Da ist zunächst der völlig überhöhte, im rechtsfreien Raum schwebende Postmindestlohn zu nennen, der nichts anderes zum Ziel hat, als potenzielle oder bereits vorhandene Wettbewerber des ehemaligen Monopolisten aus dem Markt zu drängen - und hierbei im Übrigen sehr zweifelhafte Erfolge erzielte. Der in Kauf genommene Kollateralschaden war die Vernichtung von 19 000 Arbeitsplätzen im lizenzpflichtigen Bereich, weil es den Wettbewerbern schlicht nicht möglich war, unter derartigen Bedingungen Marktanteile zu erobern bzw. zu erhalten. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht Berlin am 18. Dezember 2008 bereits zum zweiten Male klargestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Postmindestlohns durch den Bundesarbeitsminister schlicht rechtswidrig war, doch dies ignoriert der Arbeitsminister geflissentlich. Ich kann nur an Herrn Scholz appellieren, sich weitere peinliche Prozesse zu ersparen und den Postmindestlohn endlich ersatzlos zu streichen - dies wäre im Übrigen auch ein großer Schritt zu mehr Arbeitplätzen im Niedriglohnbereich, die wir so dringend benötigen. Doch damit nicht genug. In der Anhörung zum Postwettbewerbsgesetz der FDP am 19. Januar 2009 im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages hat der renommierte Wettbewerbsrechtler Professor Wernhard Möschel den Postmindestlohn als einen verbotenen und nichtigen Kartellvertrag bezeichnet, der gegen deutsches und europäisches Kartellrecht verstößt. Er fordert das Bundeskartellamt zum Handeln auf. Darüber hinaus sieht Professor Möschel die Bundesregierung hier sogar in der Regresspflicht. Im Klartext heißt das: Erst wurde durch einen Rechtsbruch ein Monopol zementiert, um dann auf Kosten der Steuerzahler diesen Schaden zu reparieren. Der weitere Knackpunkt, der echten Wettbewerb auf diesem Markt verhindert, ist die Umsatzsteuerbefreiung der Deutsche Post AG für sogenannte Universaldienstleistungen. Bei der Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 18. März 2009 hat die Bundesregierung sich damit aus der Affäre gezogen, dass sie für das weitere Gesetzgebungsverfahren das Urteil des EuGH zur Umsatzsteuerrichtlinie abwarten wollte. Dieses Urteil liegt seit dem 28. April 2009 vor und besagt eindeutig, dass eine ungleiche steuerliche Behandlung von Erbringern von Universaldienstleistungen rechtswidrig ist. Mit ihrer gegenwärtigen Praxis begeht die Bundesregierung also einmal mehr klaren Rechtsbruch. Doch Handeln ist bei dieser Bundesregierung Fehlanzeige. Vielmehr liefert uns die sogenannte Große Koalition einmal mehr ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer Zerstrittenheit und Planlosigkeit: Wirtschafts- und Finanzminister können in ihrer Auffassung zu den Konsequenzen des Urteils nicht unterschiedlicherer Meinung sein. Während Bundesminister zu Guttenberg zu Recht Änderungsbedarf am Regierungsentwurf feststellt, sieht Bundesminister Steinbrück sich noch immer auf dem festen Boden des Gesetzes - wie er zu dieser Ansicht kommt, bleibt dabei schleierhaft. Seit gestern ist endgültig klar, dass die umsatzsteuerliche Gleichbehandlung aller Anbieter dem klientelpolitischen Geschachere der Koalitionsfraktionen zum Opfer gefallen ist. Ich muss wohl nicht extra betonen, dass der Schaden für die Wettbewerber der Deutsche Post AG durch die inkonsequente Liberalisierung und andauernde Privilegierung der Deutsche Post AG immens ist: Die Wettbewerber müssen die gleichen oder attraktivere Produkte um 19 Prozent günstiger anbieten, um mit dem ehemaligen Monopolisten konkurrenzfähig zu sein. Der deutsche Markt für Postdienstleistungen ist somit schlichtweg nicht attraktiv für Investoren - es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn die Wettbewerber sich schlussendlich aus Deutschland zurückziehen und ihr Geld in anderen Ländern investieren, die ihnen Rechtssicherheit und faire Wettbewerbsbedingungen garantieren. Dass damit Tausende von Arbeitsplätzen vor allem - aber nicht nur im Niedriglohnbereich wegfallen, rundet den Schaden, den die Regierung durch ihr Handeln der deutschen Volkswirtschaft zufügt, in tragisch-perfekter Weise ab. Der EuGH hat die Position der FDP bestätigt: Eine einseitige Steuerbefreiung für einen Marktteilnehmer darf es nicht geben. Steuerliche Gleichbehandlung ist daher unerlässlich. Die FDP-Bundestagsfraktion hat in ihrem Gesetzentwurf beantragt, für alle Post-Universaldienstleister gleichermaßen eine Umsatzsteuerpflicht anzusetzen. Selbstverständlich akzeptieren wir aber das neueste EuGH-Urteil und erwarten nun von der Bundesregierung, dass sie eine Umsatzsteuerbefreiung nicht nur für die Deutsche Post AG, sondern auch für deren Wettbewerber schnellstens vorsieht. Gleiches ({0})Recht für alle - dieses Gleichbehandlungsgebot und damit Wettbewerbsneutralität steht für uns Liberale im Vordergrund, auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Zu Protokoll gegebene Reden Fazit: Auf dem Markt für Postdienstleistungen muss endlich Wettbewerb Einzug halten. Die wirkliche Beendigung der Monopolstellung der Deutsche Post AG ist im Interesse aller Bürger und Steuerzahler, der Arbeitnehmer und der Unternehmen. Ich frage mich wirklich, worauf die Bundesregierung noch wartet.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gute Post statt Profite, für dieses Motto streitet Die Linke. Wie notwendig es ist, für dieses Motto zu streiten, wurde mir in den letzten Wochen wieder deutlich. In zwei Schreiben teilte mir die Deutsche Post AG mit, dass in meinem Wahlkreis eine bisher von der Deutschen Post als Eigenbetrieb geführte Postfiliale „umgewandelt“ wird. Stattdessen soll künftig ein Einzelhandelsgeschäft Postdienste anbieten. Zum 31. Juli soll eine andere Post-Service-Filiale geschlossen werden. Wann und wo an anderer Stelle Postdienste angeboten werden, steht noch nicht fest. Die allein auf Profit orientierte Unternehmenspolitik des Staatsunternehmens Deutsche Post bekommt die Region immer mehr zu spüren. Kundennähe und Kundenzufriedenheit rücken deutlich in den Hintergrund. Die Ortsnähe geht verloren. Für die Beschäftigten gilt dank der Gewerkschaft Verdi der Kündigungsschutz. Dennoch ergeben sich auch für sie Veränderungen, nicht immer zum Guten. Zu den Anträgen der FDP, die Anlass der heutigen Auseinandersetzung sind, will ich keine großen Worte verlieren. Ich frage mich nur, wie die SPD ihren Wählern eine mögliche Koalition mit einer Partei vermitteln will, die fordert, den Branchenmindestlohn im Postdienst aufzuheben. Im Folgenden will ich auf eine aktuelle Entwicklung aufmerksam machen. Die zeigt: Wir befinden uns auf einem falschen Weg und sollten schleunigst einen Richtungswechsel vornehmen. Es geht um die Ankündigung des Chefs der Deutschen Post AG, Dr. Frank Appel, mit der Gewerkschaft über längere Arbeitszeiten und eine Verschiebung der für Dezember 2009 geplanten Gehaltserhöhung von 3 Prozent verhandeln zu wollen. Das ist eine völlig falsche Antwort auf die Krise. Hier wäre die Bundesregierung gefragt einzugreifen, schließlich ist sie über die Beteiligung der KfW-Bank mit über 30,5 Prozent der größte Einzelaktionär bei der Post und müsste diesen Einfluss geltend machen. Bei der Bahn hat sie aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit den Börsengang abgesagt und Bahnchef Mehdorn entlassen. Ich frage mich, was noch passieren soll, bis die Große Koalition von Union und SPD im Interesse der Beschäftigten ähnliche Schritte bei der Post unternimmt. Mir scheint, hier wird Postchef Appel freie Hand gelassen. Ja, seine Provokation scheint sogar gewünscht zu sein. Die Bundesregierung lehnt es ab, sich in die Geschäftspolitik des Vorstandes einzumischen. Sie äußert zugleich Verständnis für die „Maßnahmen des Vorstandes der Deutschen Post AG zur Kostensenkung“. Er hätte auf die „Ertragsrückgänge mit Vorschlägen zu Kosteneinsparungen reagieren“ müssen, so antwortete mir jüngst die Bundesregierung in einer Fragestunde. Aber das passt alles nicht zusammen. Denn die Post schreibt keine Verluste. Im Briefgeschäft hat sie in den ersten drei Monaten dieses Jahres sogar noch einen Gewinn von 407 Millionen Euro gemacht. Aber das scheint dem Postchef und der Bundesregierung nicht zu reichen. Zugleich stellt man sich die Frage, warum Geld eingespart werden soll, wenn zugleich an die Aktionäre über 725 Millionen Euro als Dividende ausgeschüttet werden. Für mich lassen all diese Fakten nur eine Schlussfolgerung zu: Postchef Appel versucht, die Verunsicherung der allgemeinen Krise zu nutzen, um die Gewinne auf Kosten der Beschäftigten zu erhöhen - und die Bundesregierung lässt ihn gewähren. Die Linke wird das nicht hinnehmen. Zu Recht hat die Gewerkschaft Verdi diese Provokation des Postchefs zurückgewiesen. Wir werden sie und die Postbeschäftigten inner- und außerhalb des Parlaments unterstützen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die FDP will Steuern erhöhen, das ist wirklich eine Überraschung. Leider heißt das nicht, dass wir fortan von ihren hohlen Wahlkampfversprechen zu Steuersenkungen für alle verschont würden. Die FDP fordert nur, dass die Deutsche Post AG nicht mehr von der Mehrwertsteuer befreit sein soll. Damit verkämpft sie sich an einer komplett aussichtslosen Stelle. Denn erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil bestätigt, was längst klar war: Flächendeckende Postdienste gehören zum Gemeinwohl und sind deswegen von der Mehrwertsteuer zu befreien. Der Vorschlag der FDP ist damit nicht nur obsolet, sondern sogar europarechtswidrig. In einem Punkt hat die FDP recht: Der Wettbewerb auf dem Postmarkt funktioniert nicht. Noch immer bestimmt die Deutsche Post AG, wo es lang geht. De facto wirkt die Mehrwertsteuerbefreiung dieses Unternehmens wie ein Monopolschutz. Denn sie privilegiert die DPAG gegenüber allen ihren Konkurrenten. Leider hat die FDP daraus aber die falschen Schlüsse gezogen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs dagegen weist einen Weg aus den verkrusteten Monopolstrukturen, den wir Grüne richtig finden. Es verlangt, dass auch Unternehmen, die nicht alle Teilbereiche des Universaldienstes anbieten, aber bestimmte Leistungen flächendeckend bereitstellen, von der Mehrwertsteuer befreit werden müssen. Das bedeutet, wenn ein Postdienstleister flächendeckend Pakete ausliefert, aber keine Briefdienste anbietet, braucht er auch keine Umsatzsteuer zu zahlen. Diese Position vertreten wir schon lange, während Bundesregierung und FDP mit ihren Vorschlägen in die falsche Richtung gegangen sind und sich jetzt fragen lassen müssen, wie sie ihre Ideen weiterverfolgen wollen, wenn sie damit Europarecht brechen. Die Vorstellungen der FDP zu Postdienstleistungen kreisen einzig und allein um wirtschaftliche Interessen. In dieser verkürzten Sicht sind weder die Interessen der Kunden noch die der Kommunen, geschweige denn die der Angestellten im Postsektor von Belang. Die FDP setzt einseitig auf mehr Wettbewerb und will dafür auch den Postmindestlohn opfern. Dass sie damit vor allem Lohndumping und Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten Zu Protokoll gegebene Reden befördert, ist ihr völlig egal. Mehr Verbraucherschutz und eine kommunenfreundliche Modernisierung des Universaldienstes spielen für die FDP ebenfalls keine Rolle. Auch die Bundesregierung hat sich einer kommunenund verbraucherfreundlichen Reform des Universaldienstes bisher nicht angenommen. Dabei ist hier eine Menge zu tun. Mängel in der Postversorgung gibt es nicht erst seit gestern. Jetzt hat die Deutsche Post AG außerdem angekündigt, dass sie Tausende Stellen krisenbedingt streichen wird. Das wird nicht ohne Folgen für die Postversorgung bleiben. Vor allem im ländlichen Raum schließt schon jetzt ein Postamt nach dem anderen. Briefe und Pakete können nur noch in weit entfernten Filialen zu absurden Öffnungszeiten, in unverständlichen Paketautomaten oder in sogenannten Postagenturen, die nicht selten aus einem Tischchen in einem Kiosk bestehen, aufgegeben oder abgeholt werden. Manche Kommunen haben in der Not angefangen, auf eigene Kosten selbst Postämter zu betreiben, um die Versorgungslücke zu schließen. Und auch die Postzustellung funktioniert vielerorts weiterhin nicht reibungslos. Aber diese Probleme interessieren die FDP nicht. Im Gegenteil, sie fordert, die Vorgaben des Universaldienstes zurückzufahren, und bereitet so den Weg für eine schlechtere Versorgung. Wir Grüne dagegen setzen uns schon lange dafür ein, dass die flächendeckende Postversorgung verbraucherund kommunenfreundlich ausgestaltet wird. Dazu zählen für uns nicht nur ein funktionierender Wettbewerb im Postsektor und die Beseitigung der immer wieder auftretenden Mängel, sondern vor allem auch ein zeitgemäßes, bezahlbares, flächendeckendes Angebot von Postdienstleistungen. In Zeiten des Internets nutzen Bürgerinnen und Bürger die Post anders als noch vor zehn Jahren. Es ist höchste Zeit, die Vorgaben der Universaldienste fit für das 21. Jahrhundert zu machen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit kommen wir zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt 23 a: Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Stärkung wettbewerblicher Strukturen im Markt für Postdienstleistungen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13152, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8906 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Befürwortung des Gesetzentwurfs durch die FDP. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 23 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Wettbewerbsintensität im Binnenmarkt für Postdienstleistungen erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13152, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8773 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP. Tagesordnungspunkt 23 c: Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen Post AG bei der Umsatzsteuer“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8809, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/676 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Klaas Hübner, Andrea Wicklein, Ernst Bahr ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2008 - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2008 - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2008 - Drucksachen 16/10852, 16/10854, 16/10454, 16/13121 Berichterstattung: Abgeordneter Jan Mücke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Ulrich Kasparick.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde ein wichtiges Thema: Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2008. Er bezieht sich auf das Jahr 2007. Ich will Ihnen in einigen wenigen Worten die wichtigsten Trends beschreiben, mit denen die Bundesregierung versucht, mit den besonderen Problemen in den neuen Bundesländern umzugehen. Wir glauben, dass der Bericht zum Stand der deutschen Einheit, der Ihnen ja schon im Sommer des vergangenen Jahres zugegangen ist, beschreibt, dass die Grundsatzentscheidung, die neuen Länder mit zwei zentralen Strategien aufzubauen, nämlich Innovation und Infrastruktur, richtig war. Wir sehen, dass die Branchen, die auf Innovation gesetzt haben, mit der aktuellen Krise besser umgehen können als die Branchen, die nicht auf Innovation gesetzt haben. Die Bundesregierung hat sich bemüht, die Forschungslandschaft systematisch auszubauen und die neu entstehenden kleinen und mittelständischen Unternehmen mit den starken Forschungszentren so zusammenzubringen, dass sie als Cluster antreten können. Wir sehen bei der Exzellenzinitiative, dass die ostdeutschen Hochschulen und Universitäten in den Bereichen konkurrenzfähig sind, die auch für die alten Länder neu sind. In den alten Themenfeldern haben es die neuen Länder schwer, weil die Kapazitäten der Hochschuleinrichtungen in der Regel kleiner sind; aber bei den neuen Technologien sind wir gleichauf. Daran, dass Mitteldeutschland mittlerweile der Solarstandort Nummer eins in der Welt geworden ist, sieht man, dass es zielführend war, auf Innovation zu setzen. Das gibt uns in der aktuellen Krise, die der Bericht 2008 natürlich noch nicht berücksichtigen konnte, die berechtigte Hoffnung, dass insbesondere die Branchen, die hochinnovativ sind, besser durch die Weltwirtschaftskrise kommen als andere Branchen. Wer sich in der Solarwirtschaft umtut, wer sich einmal das „Solar Valley“ anschaut, wer einmal nach Bitterfeld geht, der sieht, dass hier mit gezielter Förderung des Bundes ein Raum entsteht, der einem traditionellen Chemiestandort die nächste Stufe einer zukunftsfähigen Entwicklung ermöglicht. Wir wollen der Industrie helfen, industrielle Grundprodukte herzustellen, die nicht mehr vom Erdöl abhängen, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen kommen. ({0}) Die erste Bioraffinerie wird dort gebaut. Es gibt eine ganz enge Verknüpfung zwischen den Max-Planck-Instituten, den Fraunhofer-Instituten und den klassischen Universitäten, die sagen: Wir müssen zusammen mit dem BiomasseForschungsZentrum, für das sich vier Bundesministerien zusammengetan haben, einen Beitrag dazu leisten, dass die chemische Industrie zukunftsfest, also auch erdölunabhängiger wird. Wer sich Norddeutschland und das anschaut, was im Ostseeraum passiert, ausgehend von den Hochschulen, die einen Ostseeverbund miteinander verabredet haben, der erkennt, dass Standorte wie Greifswald, Rostock, Wismar oder Stralsund, also solche, wo internationale Forschung organisiert wird, davon wirklich profitieren. ({1}) Wir haben uns in der aktuellen Krise - der Hinweis sei erlaubt, auch wenn wir jetzt eigentlich über das Jahr 2007 reden - darum bemüht, die Förderprogramme im Konjunkturpaket II mit besonderem Fokus auf die neuen Länder auszurichten. Die neuen Länder bekommen überproportional mehr Mittel. Das ist zielführend. ({2}) Wir brauchen das bei der GA, wir brauchen das bei der Innovationsförderung, und wir brauchen das, wenn es darum geht, den demografischen Wandel zu bewältigen. Alle, die sich mit dem Wiederaufbau der neuen Länder im Rahmen eines Prozesses von mittlerweile 20 Jahren beschäftigen, wissen, dass all das, was wir bisher an modernster Infrastruktur geschaffen haben, durch den demografischen Wandel gefährdet wird. Meine Fachleute im Hause sagen mir: Die eigentliche Herausforderung liegt in diesem Bereich. Wir merken, dass das, was die Bundespolitik zusammen mit den Landespolitiken anbieten kann, sehr begrenzt ist. Man kann demografischen Wandel nicht durch ein Bundesgesetz außer Kraft setzen. Deswegen muss man sich fokussieren. Wir müssen uns auf das Thema Fachkräfte und darauf fokussieren, den Technologievorsprung, den wir uns erarbeitet haben, zu halten. Das bedeutet, dass es richtig ist, die Exzellenzinitiative dahin gehend fortzusetzen, dass wir auf hochinnovativen Feldern, auf denen die ostdeutschen Standorte gut dabei sind, Verstärkungsmittel zur Verfügung stellen. Wir haben vonseiten des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung angefangen, mit Modellregionen zu agieren. Das ist gut angelaufen, sodass wir das jetzt auch auf die alten Länder ausweiten können. In diesem Bereich zeigt sich ebenfalls: Ostdeutschland ist mittlerweile ein Innovationsstandort geworden. Das gilt nicht nur für die Projekte beim Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und für andere Dinge modernster Infrastruktur. Auch wenn es darum geht, für Entwicklungen, die in den nächsten Jahren auch die alten Länder erreichen werden, Lösungen zu finden, wird Ostdeutschland zunehmend zum Modell. Das ist gut. Wir wollen diesen Weg fortsetzen. Wir glauben, dass die besondere Berücksichtigung im Konjunkturpaket II, dem Förderprogramm für die neuen Länder, helfen wird, die aktuelle Krise zu mildern und abzufedern. Wir glauben ebenfalls, dass insbesondere die Standorte, die zusammen mit den Ländern auf Innovationen gesetzt haben, die Krise gut überstehen können. Wir haben noch eine Menge vor uns. Sie wissen, der Solidarpakt II ist zeitlich befristet. Es werden weniger Mittel zur Verfügung stehen. Umso mehr sind wir gezwungen, die Kräfte zu bündeln. Wir glauben aber, dass die prinzipielle strategische Ausrichtung vernünftig ist und ausgebaut werden sollte, nämlich die Konzentration auf Infrastruktur und Innovation. Herzlichen Dank für die Unterstützung im Parlament. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Jan Mücke von der FDP-Fraktion hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich das Wort dem Kollegen Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Staatssekretär, was Sie beschrieben haben, können wir und kann ich voll unterstützen. Gerade wenn man Anträge der Linken zum Bericht zum Stand der deutschen Einheit liest, ist es zwingend geboten, sich zurückzuerinnern: Wie sah es vor 20 Jahren aus? Gerade den Linken rate ich dringend, sich einen Bericht vorzunehmen, den Mitglieder ihrer Vorgängerpartei geschrieben haben, nämlich den Schürer-Bericht. Der Schürer-Bericht sagt aus, dass die DDR pleite war, dass man betteln gehen musste - man wollte 23 Milliarden DM von der Bundesregierung -, damit 1991 nicht die Zahlungsunfähigkeit festgestellt werden musste. Der Kern des Berichts war die Aussage, dass dann, wenn die Verschuldung im Jahr 1990 gestoppt werden soll, der Lebensstandard um 30 Prozent sinken muss. Bei der heutigen Debatte über den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2008 muss man also auch daran erinnern, dass die DDR vor 20 Jahren schlichtweg marode und pleite war. ({0}) Da Sie von den Linken ja immer so sehr auf die soziale Seite schauen, möchte ich stichpunktartig einige weitere Dinge in Erinnerung rufen. Lebenserwartung: Die Lebenserwartung ist in den letzten 20 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern bei den Frauen um sechs Jahre und bei den Männern um sieben Jahre gestiegen. Gesundheitsvorsorge: Die Wartezeit für gefäßchirur- gische Eingriffe - erinnern wir uns zurück - betrug mehr als zwei Jahre. Nicht einmal für jeden zweiten Nieren- kranken stand ein Dialyseplatz zur Verfügung. Rente: Sie betrug ein Drittel des Nettoeinkommens eines normalen Arbeitnehmerhaushaltes. Arbeitsproduktivität: Sie betrug lediglich 40 Prozent des heutigen Wertes. Nicht viel besser sah es bei der In- frastruktur aus. Umweltsituation: Der maßgebliche Grenzwert lag bei 150 Mikrogramm pro Kubikmeter, in Leipzig lagen die 1) Anlage 30 Werte 1989 aber zwischen 160 und 310 Mikrogramm pro Kubikmeter, und im Winter 1989 betrug der Wert an 30 Tagen 600 Mikrogramm pro Kubikmeter. Eine Folge davon war, dass die Zahl der Kinder in der ehemaligen DDR, die an Bronchitis erkrankten, von 1974 bis 1989 um 172 Prozent gestiegen ist. Man kann hier heute nicht debattieren, ohne diese Ausgangsposition noch einmal zu benennen, ohne auf die Zwischenetappen wie den Fonds Deutsche Einheit, den Erblastentilgungsfonds, Solidarpakt I und Solidarpakt II hinzuweisen und ohne die Solidarität des Westens noch einmal deutlich zu machen. Allein die Aufbauhilfen, das heißt, das, was die neuen Länder zusätzlich zwischen 1991 und 2008 bekommen haben, hatten einen Umfang von rund 320 Milliarden Euro. Ohne all dies hätten wir heute nicht den Stand erreicht, den wir jetzt erreicht haben. Ich denke, wir sollten erstens stolz auf das Erreichte sein ({1}) und zweitens das, was durch die Anstrengungen der Menschen im Osten und durch die Solidarität des Westens erreicht worden ist, nicht schlecht- oder kleinreden unbeschadet der noch zu lösenden Probleme. Herr Staatssekretär, Sie haben recht: Wir haben mittlerweile eine durchaus robuste Wirtschaftsstruktur, eine gesunde Mischung aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, die im Bereich Forschung und Innovation tätig sind, und einen ausgeprägten Dienstleistungs- und Tourismussektor. Somit war es richtig, Investitionszulagen auch für den gastgewerblichen Bereich zu gewähren. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg konnten deswegen zum Beispiel im Mai 2009 einen Rückgang der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahresmonat verzeichnen. All die gesamten Maßnahmen haben - trotz der noch zu lösenden Probleme - dazu geführt, dass wirtschaftliche Kerne entwickelt wurden, wettbewerbsfähige Unternehmen in vielen Regionen entstanden sind und der Osten auch gut auf nationalen und internationalen Märkten aufgestellt ist. Ich denke, es ist richtig, dass auch wir Abgeordnete aus den neuen Bundesländern den Neuansatz mittragen und immer dann, wenn es um strukturschwache Regionen geht, nicht mehr ausschließlich die strukturschwachen Regionen in den neuen Bundesländern in den Blick nehmen, sondern auch die betreffenden Regionen in Westdeutschland. Deshalb muss der neue Ansatzpunkt bei der Regionalförderung lauten, alle strukturschwachen Regionen in Deutschland zu betrachten. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, da es die letzte Debatte in dieser Legislaturperiode zum Stand der deutschen Einheit sein wird, möchte ich nur kursorisch aufführen, was wir in dieser Legislaturperiode erreicht haben: Wir haben die GA-Mittel gerade durch das Konjunkturpaket II massiv aufgestockt. Wir haben die I-Zulage, die 2011 wieder überprüft wird, verlängert. Allein im Jahr 2008 wurden Investitionshilfen in Höhe von 570 Millionen Euro geleistet. All denen, die immer wieder behaupten, der Osten komme zu kurz, sei gesagt, dass von den Investitionsmitteln aus dem ERP-Fonds fast 1 Milliarde Euro - das sind 20 Prozent mehr als für die alten Bundesländer - in die neuen Bundesländer fließen. Ich habe mir die Mühe gemacht, zu vergleichen. Es ist nämlich wichtig, dass das Gefühl, das die Linken bei den Menschen wecken wollen, sozusagen korrigiert wird. Bei den Konjunkturpaketen I und II und dem Programm, das aus der Maut finanziert wird - insgesamt sind es 6,6 Milliarden Euro -, bekommen Bayern und Baden-Württemberg 891 Millionen Euro und die neuen Bundesländer, die deutlich weniger Einwohner haben und etwa flächengleich sind, 837 Millionen Euro. Das heißt: Es gibt überhaupt keine Benachteiligung. Ganz im Gegenteil - ich kann die Aussage des Staatssekretärs nur unterstützen -: Wir bekommen mehr, als uns nach dem Königsteiner Schlüssel zustehen würde. ({3}) Wenn Bundesländer wie Berlin und MecklenburgVorpommern am wenigsten davon abbekommen, dann liegt das an den Planungsleistungen. In Berlin regiert Rot-Rot. In Mecklenburg-Vorpommern hat bis 2006 ebenfalls Rot-Rot regiert. Andere Länder wie Sachsen, Thüringen oder Sachsen-Anhalt haben fertige Projekte in der Schublade gehabt und bekommen deshalb mehr als 90 Prozent dieser 837 Millionen Euro. Insoweit hat die politische Farbe auch etwas damit zu tun, was man von den Programmen des Bundes in Anspruch nehmen kann. Für die Unionsfraktion ist ein Thema zukünftig ganz wichtig, und ich bin froh, dass es in Punkt 11 Eingang gefunden hat. Es geht darum, dass wir im Korridor von der Adria bis zur Ostsee Logistikräume und Wirtschaftsräume entwickeln und vernetzen. ({4}) Herr Staatssekretär, es hat fast drei Jahre gedauert, bis das Verkehrsministerium diese Anregung aufgenommen hat. Ich bin ausdrücklich dankbar, dass die Stellungnahme der Bundesregierung zur TEN-Revision die Aussage enthält, dass wir Lücken schließen müssen, Lücken zwischen Berlin und den Ostseehäfen und Lücken zwischen Prag und Berlin. Das heißt, dass wir eine durchgehende transeuropäische Verbindung von Italien, Österreich, Bayern und Mitteldeutschland und ebenso eine Verbindung von der Adria, über Ungarn und Tschechien nach Berlin, zu den Ostseehäfen und bis nach Skandinavien haben müssen. ({5}) Ich sage das deswegen ausdrücklich, weil es wichtig ist, hinsichtlich der Zukunftspotenziale die Osterweiterung der Europäischen Union im Blick zu haben. Zusätzliche Potenziale können nach unserem Dafürhalten nur aus den südlichen Ballungsräumen in Vernetzung mit den nördlichen Ballungsräumen kommen. Deswegen wird es eines der zentralen Felder der nächsten Jahre sein, diese Achse im Interesse der neuen Bundesländer zu entwickeln, aber auch im Interesse Bayerns, Tschechiens und aller anderen Länder, die auf dieser Achse liegen. Herzlichen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Jahresbericht enthält neben erwartungsgemäß jeder Menge Eigenlob durchaus auch viele Elemente einer differenzierten, einer kritischen Analyse. Das ist zu begrüßen und stellt auch einen Fortschritt gegenüber früheren Berichten dar. Herr Kasparick, sosehr man Ihren Ausführungen in vielem zustimmen kann, muss man feststellen: Leider haben weder dieser Bericht noch Ihre Position, die Sie im Plenum vorgetragen haben, irgendeine Auswirkung auf das Regierungshandeln. Die Bundesregierung ignoriert im Wesentlichen diese Berichte. Das Ergebnis ist, dass sich vor allem Ostdeutsche seit vier Jahren von der aus Ostdeutschland stammenden Kanzlerin Merkel und ihrem Ostbeauftragten Tiefensee enttäuscht sehen. ({0}) Dass Sie jetzt wenige Wochen und Monate vor der Wahl mit Papieren und Positionen zu Wort kommen wollen, offenbart die Zwielichtigkeit Ihres Ansatzes. ({1}) Wenn wir über den Osten reden, dann geht es uns auf der einen Seite darum, die nach wie vor vorhandenen Diskriminierungen abzubauen. ({2}) Darüber haben wir heute Mittag im Zusammenhang mit dem Thema „Ostrenten“ sehr ausgiebig gesprochen. Ein weiteres Feld, auf das ich Sie aufmerksam machen will, ist, dass der Anteil von Beschäftigungsverhältnissen mit Niedriglohn, von Zeit- und Leiharbeit in Ostdeutschland mehr als doppelt so hoch wie im Westen der Republik ist. Beschäftigung im Niedriglohnsektor, Zeit- und Leiharbeit sind gerade für junge Menschen Freiheitseinschränkungen, die sie hinzunehmen haben. Ich will heute aber über die zweite Seite von Ostdeutschland reden, nämlich darüber, dass inzwischen 20 Jahre lang Erfahrungen mit der Transformation gesammelt wurden. Diese Erfahrungen verdienen es, bundesweit anerkannt zu werden. Bislang greift die Bundesregierung nicht darauf zurück, sodass diese Erfahrungen brachliegen. Die Fraktionen der Linken in den Landtagen - nicht nur in den ostdeutschen - und die Fraktion im Bundestag haben vor kurzem ein „Leitbild Ostdeutschland 2020“ vorgelegt, in dem vier Jahre politischer und vor allem wissenschaftlicher Arbeit stecken. Der Kern dieser Überlegungen ist, dass es an der Zeit ist, ostdeutsche Erfahrungen endlich für einen sozial-ökologischen Umbau in der gesamten Bundesrepublik zu nutzen. ({3}) Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert; da sind sich inzwischen nahezu alle ernstzunehmenden Wissenschaftler einig. ({4}) Das „Leitbild Ostdeutschland 2020“ beantwortet auch die Frage: Was kommt dann? Ich will Ihnen dazu ein paar Beispiele nennen. Zuvor will ich Ihnen aber sagen: Aus der Krise führen nur neue Wege. Wer denkt, ein „Weiter so!“ genügt, ist auf dem Holzweg. Ostdeutschland ist ein guter Lernort für neues Denken. ({5}) Wir haben in den neuen Bundesländern einen riesigen Vorsprung beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir wissen: Die erneuerbaren Energien kommen nicht von selbst ins Haus. Diesen Erfahrungsvorsprung zu nutzen, auch bundesweit, davon sind wir im Moment aber noch weit entfernt. Wir haben 20 Jahre Erfahrungsvorsprung mit dem Stadtumbau Ost. Jetzt findet - das begrüßen wir - auch ein Stadtumbau West statt. Es gibt aber keinen Ansatz, die Erfahrungen aus dem Osten beim Stadtumbau West zu nutzen. ({6}) Wir haben im Osten einen Erfahrungsvorsprung bei der Verbindung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung. In den alten Bundesländern ist die Situation bei der Kinderbetreuung katastrophal. ({7}) Ein wirklicher Beitrag zu einem Konjunkturprogramm wäre, sich vorzunehmen, die Kinderbetreuung im Westen wenigstens auf das Ostniveau zu bringen. ({8}) Viele weitere Beispiele ließen sich anführen. ({9}) Ostdeutsche haben also allen Grund, selbstbewusst und nicht gebückt die deutsche Einheit mit zu gestalten. Die Linke wird sich auch angesichts gewachsener bundespolitischer Verantwortung den Lebensinteressen der Ostdeutschen in besonderer Weise verbunden fühlen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Peter Hettlich von der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen hat seine Rede zu Protokoll gege- ben,1) sodass ich als letzter Rednerin in dieser Debatte der Kollegin Iris Gleicke für die SPD-Fraktion das Wort geben kann. ({0})

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor fast 20 Jahren haben die DDR-Bürgerinnen und -Bürger in einer friedlichen Revolution die Mauer niedergerissen, die Staatsführung samt Stasi in die Wüste geschickt und so die deutsche Einheit möglich gemacht. ({0}) Es war für uns Ostdeutsche eine gute Zeit, in der nichts unmöglich schien. Ich war noch jung, ({1}) als die DDR ihr wohlverdientes Ende fand; aber ich kann mich noch gut erinnern an unsere Ängste, an unsere Hoffnungen und an unsere Träume. Viele Hoffnungen haben sich erfüllt, viele Träume sind Wirklichkeit geworden. ({2}) Wir haben unglaublich viel erreicht. Das muss jeder, der sich an die DDR wahrhaftig und ohne verklärten Blick erinnert, zugeben. ({3}) Es gibt aber auch viele Träume und Hoffnungen, die sich nicht erfüllt haben. Manches hat sich als blanke Illu- sion erwiesen. Manches ist an der harten Realität ge- scheitert. Die Euphorie von damals ist dem kritischen 1) Anlage 30 Blick auf einen noch immer nicht abgeschlossenen Aufholprozess längst gewichen. Vielen Menschen wurde in diesem Prozess unglaublich viel abverlangt: ein Höchstmaß an Willen und Bereitschaft zur Veränderung, die Fähigkeit, mit teilweise gänzlich neuen äußeren Bedingungen umzugehen und dabei die tagtäglichen Probleme zu meistern. Wir können auf das, was wir geleistet haben, stolz sein, und zwar jeder Einzelne. Und wir sind stolz darauf. Wir haben damals nicht bei null angefangen. Wir hatten eine ganze Menge, auf dem wir aufbauen konnten und an das wir anknüpfen konnten. Wir erwarten, dass diese Leistung endlich allgemein anerkannt wird. ({4}) Wir erwarten auch, dass die hinter diesen Leistungen stehenden ostdeutschen Biografien endlich anerkannt werden. Sie sollen anerkannt werden als die Lebensläufe von Menschen, die in großer Mehrheit versucht haben, unter den schwierigen und zum Teil fürchterlichen Bedingungen einer Diktatur ein anständiges Leben zu führen. Folgendes möchte ich für die Angehörigen meiner ostdeutschen Generation sagen: Unsere Väter und Mütter haben einen Anspruch auf Respekt und auf die Anerkennung ihrer Lebensleistung. ({5}) Als ostdeutsche Sozialdemokraten setzen wir auf das neu entstandene und gewachsene ostdeutsche Selbstbewusstsein. Dieses Selbstbewusstsein beschränkt sich nicht nur auf eine schmale Minderheit, sondern beflügelt eine breite Mehrheit. Dieses Selbstbewusstsein gründet im Stolz auf das bereits Erreichte und im kritischen Blick auf die nach wie vor bestehenden Defizite. Wir haben schon viel erreicht. Es gibt aber noch viel zu tun. Wir fordern ohne Wenn und Aber das ein, was den Ostdeutschen zusteht. Dazu gehören unter anderem: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ({6}) ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West und ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn in Ost und West. Es geht um die Vollendung der sozialen Einheit unseres Landes. Dafür stehen wir als ostdeutsche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. ({7}) Unter der Führung von Wolfgang Tiefensee ist der Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit vorgelegt worden. Er zieht ohne jede Schönfärberei eine ehrliche Zwischenbilanz und beschreibt einen Aufholprozess, der fortgesetzt und beschleunigt werden muss. Das kann natürlich einigen ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten nicht in den Kram passen, die beim Aufbau Ost vor allen Dingen auf Propaganda setzen. Oder haben sie etwa unsere gemeinsamen Entschließungsanträge und unsere gemeinsame Arbeit im Deutschen Bundestag nicht mitverfolgt? Wohl auch deshalb haben diese ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten vor ein paar Tagen ein Papier verbreitet, in dem sie ankündigen, im Fall eines Sieges bei der Bundestagswahl den Aufbau Ost wieder direkt im Kanzleramt ansiedeln zu wollen. ({8}) Wahrscheinlich ist das eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Dieter Althaus, der sich nach der Landtagswahl in Thüringen einen neuen Job suchen muss. ({9}) Der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Böhmer hat sich immerhin nur wenige Stunden nach Bekanntwerden dieses substanzlosen Papiers mit deutlichen Worten von dieser Forderung distanziert. Er wird wissen, warum. Der Ministerpräsident Böhmer braucht sich aber keine Sorgen zu machen, und die Menschen in Ostdeutschland brauchen sich keine Sorgen zu machen: Der Aufbau Ost bleibt auch nach der Bundestagswahl bei Wolfgang Tiefensee in guten Händen und wird dann auch vom Kanzleramt aus wieder wirkungsvoll unterstützt. ({10}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/13121. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2008 auf Drucksache 16/10454 die Annahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/10852 zu dem genannten Jahresbericht. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke sowie bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10854 zum Jahresbericht 2008. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist ebenfalls angenommen, und zwar mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gleichstellung der Geschlechter in der Privatwirtschaft durch wirksame gesetzliche Regelungen fördern - Drucksachen 16/9486, 16/12986 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eva Möllring Ina Lenke Jörn Wunderlich Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Eva Möllring, Renate Gradistanac, Caren Marks, Ina Lenke, Dr. Barbara Höll und Irmingard Schewe-Gerigk.

Dr. Eva Möllring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Gleichstellung von Frau und Mann in der Wirtschaft ist zu einem Kernthema dieser Wahlperiode geworden. Ich habe allein im Plenum inzwischen acht Reden zu den ungleichen Einkommen von Frauen und Männern gehalten. Nachdem die Koalitionsfraktionen im März 2008 einen Antrag mit konkreten Forderungen verabschiedet haben und vonseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein weiteres Positionspapier vorgelegt wurde, zielt nun auch die Linke mit weiteren Forderungen an die Privatwirtschaft nach. Allerdings, gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. Es ist natürlich richtig, dass wir - auch in der Privatwirtschaft - endlich die Gleichstellung von Männern und Frauen erreichen müssen. Schließlich verdienen Frauen in Deutschland immer noch 23 Prozent weniger als Männer. Und familienbedingte Auszeiten führen noch viel zu oft zu langwierigen Nachteilen. Bereits in unserem Antrag haben wir deutlich gemacht: Es sind viele Schritte in verschiedenen Politikfeldern erforderlich, um den Problemen zu Leibe zu rücken. Außerdem brauchen wir einen Mentalitätswechsel, sowohl aufseiten der Wirtschaft als auch aufseiten der Frauen. Die Beseitigung der komplexen Ursachen für die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern wird nicht mit einem Federstrich gelingen, sondern lässt sich nur Schritt für Schritt erreichen. Die Bundesregierung hat zu vielen Aspekten, die in dem vorliegenden Antrag angesprochen werden, bereits Maßnahmen ergriffen - ich erinnere dabei vor allem an meinen Vorschlag, den in der Schweiz entwickelten Lohntest „Logib“ einzuführen, damit jedes Unternehmen freiwillig selbst überprüfen kann, wie groß die Lohnlücke im jeweiligen Unternehmen ist. Wir sind sehr dankbar, dass unsere Familienministerin Dr. Ursula von der Leyen diesen Vorschlag aufgenommen hat und ihn gemeinsam mit der Wirtschaft umsetzt. Die entscheidende Herausforderung in der Gleichstellungspolitik ist meiner Ansicht nach die Chancengleichheit von Frauen und Männern. Dafür muss noch eine Reihe von Aufgaben bewältigt werden, von denen ich die wichtigsten nenne: erstens das Selbstvertrauen von jungen Frauen stärken, gut bezahlte, zukunftsträchtige Berufe zu wählen; zweitens die gerechte Bewertung und Bezahlung von Tätigkeiten, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, und zwar auch im Rahmen des Tarifgefüges; drittens Aufstiegschancen von Frauen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft verbessern und viertens die flankierende Unterstützung von kindererziehenden Eltern, auch bezüglich der Arbeitszeiten, der Anerkennung und Schätzung von Teilzeitarbeit und der Finanzierung von unterstützenden Hilfen. Liebe Kollegen von der Linken, Sie wollen, dass in jedem Betrieb genauso viele Frauen wie Männer beschäftigt sind. Wenn zum Beispiel ein Technikbetrieb mit 2 000 Beschäftigten eine solche Forderung umsetzen müsste, so bräuchte er ad hoc 1 000 weibliche Fachkräfte für alle Arbeitsebenen. Diese Frauen gibt es aber gar nicht auf dem Arbeitsmarkt, und es wird sie auch in den nächsten fünf Jahren nicht geben. Denn der Anteil der weiblichen Studienanfängerinnen liegt im Fach Maschinenbau bei 17,2 Prozent, im Fach Informatik bei 14,6 Prozent und im Fach Elektrotechnik nur bei 8,2 Prozent. In den technischen Ausbildungsberufen sieht es nicht viel anders aus. Frauen sind gerade in den MINT-Berufen chronisch extrem unterrepräsentiert. Es hilft also nichts, Betriebe und Unternehmen gesetzlich dazu zwingen zu wollen, gleich viel Männer und Frauen zu beschäftigen, wenn wir nicht von vornherein systematisch dafür sorgen, dass Mädchen ihr Interesse an technischen Fächern früher entwickeln und konsequent verfolgen. Dazu müssen wir die Schulbildung schon frühzeitig verändern und die Studienfächer ganz praktisch erweitern, um Frauen besser anzusprechen. Die Frage ist aber auch: Ist Elektrotechnik wirklich etwas Besseres als Kindererziehung oder Arzthilfe? Andersherum gesagt: Es ist überfällig, dass die Tarifparteien die Tätigkeitsbeschreibungen überprüfen und die Tätigkeiten von Frauen fair einschätzen. Genauso wichtig ist es, die Aufstiegschancen von Frauen zu verbessern. Dazu haben Sie einige Vorschläge gemacht, meine Damen und Herren von der Linken. Die sind auch nicht alle falsch. Eine jährliche Bestandsaufnahme der Beschäftigungsstruktur, konkrete Gleichstellungskonzeptionen und die Gleichstellungskompetenz von Führungskräften sind natürlich richtig und werden auch schon vielfach durchgeführt. Nur, mit der Brechstange, mit einer Frist von 24 Monaten, mit einem Auswahlrecht des Betriebsrates und mit Rechtsansprüchen auf Einstellung und Beförderungen werden Sie die Ziele nicht erreichen. Richtig ist: Die Betriebe müssen darauf achten, Frauen auf allen Ebenen für die jeweils höhere Position zu fördern. In der Anhörung Ende Januar war es schockierend zu hören, dass die Vertreter der Wirtschaft es klar abgelehnt haben, teilzeitbeschäftigte Frauen in Führungspositionen zu bringen. Gut 46 Prozent, also fast die Hälfte aller in Deutschland beschäftigten Frauen, haben 2007 in Teilzeit gearbeitet. Wenn diese alle nicht für Füh24746 rungspositionen infrage kommen, dann ist es logisch, dass der Anteil insgesamt so gering ist. Trotz aller Kinderbetreuungsangebote geht die Tendenz von Müttern und Vätern eindeutig dahin, zugunsten der Familie die Arbeitszeit zu reduzieren, weil sich Familienarbeit eben nicht durch eine Betreuungsstelle erledigt und weil Mütter und Väter die Entwicklung ihrer Kinder eben auch miterleben und positiv beeinflussen wollen. Durch das Elterngeld reduzieren inzwischen gerade auch zahlreiche Männer ihre Arbeitszeit oder unterbrechen ihre Tätigkeit und verstärken den Trend. Es wird einen Mentalitätswechsel geben müssen, um Fachkräfte - seien sie weiblich oder männlich - in den Betrieben zu halten und ihnen eine Karriere bis in Führungspositionen zu ermöglichen. Männer und Frauen, die ihre Familie mit Teilzeit kombinieren, werden sich nicht gefallen lassen, ihre Karriere ad acta legen zu müssen. Und warum sollte es nicht möglich sein, in einer Teilzeitbeschäftigung maßgebliche Verantwortung zu tragen und höhere Positionen auszufüllen? In diesem Zusammenhang kann ich mir auch gut vorstellen, dass sich eine Wettbewerbssituation zwischen den Unternehmen ergibt, wer die meisten gut ausgebildeten Teilzeitkräfte und die meisten Frauen in höheren Unternehmensebenen beschäftigt. Einen solchen Wettbewerb müssen wir politisch herausfordern und mitgestalten. Zu dem letzten, wichtigen Punkt, nämlich einer familienfreundlichen Gestaltung des Arbeitsmarktes, habe ich in den vergangenen Reden schon viel gesagt. In dieser Wahlperiode ist gerade in diesem Politikfeld ja wirklich ein erheblicher Bewusstseinswandel bei den Arbeitgebern erreicht worden. Deshalb kann ich nur sagen: Auf diesem Weg müssen wir weitermachen. Und wenn wir in der kommenden Wahlperiode endlich die Haushaltskräfte steuerlich anderen, betrieblichen Mitarbeitern gleichstellen, dann hätten wir wirklich den ganz großen Durchbruch erreicht.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, antworte erst kürzlich auf die Frage nach der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern so: „Frauen werden nicht gleich behandelt. Sie haben nicht die gleichen Chancen. Das ist unsere Realität.“ Unsere Realität ist auch, dass Frauen immer noch erheblich weniger verdienen als Männer. Im Durchschnitt sind es 23 Prozent weniger. Britische Wirtschaftswissenschaftler haben erst kürzlich prognostiziert, dass Frauen erst in 150 Jahren so viel verdienen werden wie Männer. Zwar habe jede Frauengeneration Fortschritte bei der Angleichung der Einkommen erzielt, allerdings habe sich dieser Prozess deutlich verlangsamt. Hierfür seien nicht nur familienbedingte Erwerbsunterbrechungen verantwortlich, denn auch Frauen ohne berufliche Auszeiten verdienten nach zehn Jahren im Durchschnitt 12 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, und dies bei gleicher Ausbildung, gleichem Alter und gleichem Beruf. Ursache hierfür sei die Diskriminierung von Frauen, der die Politik nicht ausreichend begegne. Ursächlich für die bestehende Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern sind nicht nur familienbedingte Erwerbsunterbrechungen, die geschlechtsspezifische „Humankapitalausstattung“ und das eingeschränkte Berufswahlverhalten von Frauen, wie oft verkürzt argumentiert wird - so auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, in der Broschüre „Erfolgreiche Politik für Frauen“. Eine neue Studie zur Lohnlücke in Führungspositionen in der Privatwirtschaft belegt deutlich, in welch hohem Umfang gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen für die Verdienstunterschiede von Bedeutung sind. Zu diesen zählen auch mittelbar und unmittelbar diskriminierende Praktiken auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmen. Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche, in dessen Unternehmen es in den vergangenen 60 Jahren keine einzige Frau im Vorstand gab, bekannte letzten Sonntag: „Wir sind fünf Herren im Vorstand, keine Frau. Das ist beschämend.“ Es ist in der Tat beschämend, dass die Spitzengremien der großen privaten Unternehmen in Deutschland nach wie vor eine nahezu reine Männerdomäne sind. In den 200 größten Unternehmen außerhalb des Finanzsektors sind nur 2,5 Prozent der Vorstandsposten mit Frauen besetzt. Der Frauenanteil in den Aufsichts- und Verwaltungsräten beträgt dort rund 9 Prozent. Dabei werden knapp drei Viertel der Frauen von den Arbeitnehmervertretungen entsandt. Dass hier eine Quote wirkt, hat Norwegen mit seiner 40-Prozent-Quotierung für Frauen in den Aufsichtsräten eindrücklich bewiesen. Im europäischen Vergleich liegt Norwegen mit einem Frauenanteil von 41 Prozent in den Topgremien der großen börsennotierten Unternehmen weit über dem Länderdurchschnitt, der 11 Prozent beträgt. Das Bundesgleichstellungsgesetz, das für die gesamte Bundesverwaltung gilt, hat erste positive Ergebnisse gebracht. Der Bund hat hier eine wichtige Vorbildfunktion. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass der zweite Erfahrungsbericht bald kommt. Derzeit gibt es nur eine beamtete Staatssekretärin, die erste seit sieben Jahren. Seit Gründung der Bundesrepublik gab es insgesamt nur sieben Frauen in dieser Funktion. Wir werden wohl auch hier weitere Strategien und Umsetzungsschritte entwickeln müssen. Denkbar wäre zum Beispiel ein Gleichstellungsindex für die obersten Bundesbehörden. Hier gibt es sicherlich auch kreative und effektive Vorschläge vonseiten der Gleichstellungsbeauftragten. Heute beraten wir einen Antrag der Linken, in dem die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter in der Privatwirtschaft durch wirksame gesetzliche Regelungen gefordert wird. Die bisherigen Bilanzen zur freiwilligen Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern haben nur geringe Erfolge aufgezeigt. Eine deutliche Erhöhung der Anzahl von Frauen in Führungspositionen hat es nicht gegeben. Wir brauchen daher weiter reichende Maßnahmen und eine umfassende Gesamtstrategie zur Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben. In Ihrem Antrag vermisse ich allerdings die Forderung nach flächendeckenden gesetzlichen Mindestlöhnen und eine Quotierung von Aufsichtsräten. Zu Protokoll gegebene Reden Da die CDU/CSU die Frauen auch beim Thema Entgeltgleichheit im Stich gelassen hat, haben wir von der SPD-Fraktion einen Zehnpunkteplan zur Gleichstellung im Erwerbsleben verabschiedet. Hier will ich kurz vier Punkte nennen. Wir wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Wir wollen eine gesetzliche Regelung für die Privatwirtschaft. Wir wollen eine gesetzliche Quote für die Besetzung von Aufsichtsratsposten, und wir wollen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. Der Sozialdemokrat August Bebel hat unsere Debatte gut auf einen Punkt gebracht. Ich zitiere: „Der Grad der Freiheit einer Gesellschaft misst sich immer an der Stellung der Frau.“

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die SPD will die Verwirklichung der Gleichstellung in unserer Gesellschaft durch gesetzliche Regelungen voranbringen. Denn die freiwillige Vereinbarung der Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der privaten Wirtschaft von 2001 hat nicht gewirkt. Sie erreicht weder die einzelnen Unternehmen und Betriebe noch verpflichtet sie zu etwas. Die Vereinbarung ist noch nicht einmal überall in der Wirtschaft bekannt. Auch die Frauenministerin hat leider wenig dazu beigetragen, sie bekannter zu machen. Die Bilanzen der Bundesregierung sprechen nicht einmal andeutungsweise für einen Strukturwandel in der Wirtschaft. In dieser Analyse sind wir uns fast alle einig. Nur in den Schlussfolgerungen nicht. Wir, die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion, haben Schlussfolgerungen gezogen. Wir haben - weil mit dem Koalitionspartner bei diesem Thema keine Einigkeit zu erzielen war - ein klares Positionspapier verabschiedet: Jetzt sind Frauen dran: Gleiche Chancen im Beruf verwirklichen! Damit machen wir deutlich: Ohne die Frauen geht es nicht. Deshalb legen wir verstärkt unser Augenmerk auf die Erwerbsarbeit von Frauen, und deshalb brauchen wir auch gesetzliche Regelungen. Entgeltgleichheit ist für die SPD eine Frage der Gerechtigkeit. Die heute überwiegend geschlechtsspezifisch getrennten Arbeitsmärkte müssen der Vergangenheit angehören ebenso wie die Zuschreibung von Teilzeitarbeit mehrheitlich den Frauen. 87 Prozent aller abhängig Beschäftigten, die 2008 pro Woche weniger als 20 Stunden gearbeitet haben, waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Frauen. In Medienberichten über eine bisher unveröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu Beginn dieser Woche ist zu lesen, dass die Lebenszufriedenheit von Müttern dann am größten ist, wenn sie Vollzeit arbeiten. Und ich füge hinzu: Nur die existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit von Frauen sichert wirkliche Chancengleichheit. Nicht hinzunehmen, ist der überproportionale Anteil von Frauen im Niedriglohnbereich. Hier brauchen wir als Erstes einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn. Dieser kommt Frauen dann überproportional zugute. Lohnunterschiede von bis zu 23 Prozent zwischen Männern und Frauen sind inakzeptabel. Als Erstes muss es daher mehr Transparenz bei Löhnen und Gehältern geben. Aber wir wissen auch: Die Entgeltdiskriminierung von Frauen wird sich nicht von selbst erledigen; denn dahinter verbergen sich immer noch mittelbare frauendiskriminierende Strukturen unserer Gesellschaft. Bei der Beseitigung von Entgeltdiskriminierung sind natürlich - wer will dies bestreiten - die Wirtschaft und die Tarifpartner gefordert. Denn neben der Privatwirtschaft tragen Tarifverträge eine erhebliche Mitverantwortung bei geschlechtsspezifischen Entgeltunterschieden. Wir können als Bundesgesetzgeber jedoch entsprechende Rahmenbedingungen setzen, wie wir es etwa mit dem Bundesgleichstellungsgesetz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz schon getan haben und weiter tun werden. Als Schlüssel zur Herstellung von Lohngleichheit gilt die Arbeitsbewertung. Wir wollen rechtlich verbindliche Diskriminierungschecks einführen. Den Entgeltsystemen müssen diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungssysteme zugrunde liegen. Wir werden uns gemeinsam mit den unterstützenden Gewerkschaften für eine solche Lösung einsetzen. Weiter werden wir uns für Quotenregelungen stark machen, und zwar überall dort, wo sie zielführend eingesetzt werden können. Was heißt das? Sie sollen und müssen immer dort greifen und eingesetzt werden, wo Frauen ohne dieses Instrument nicht zum Zuge kommen. Wir wissen um die Bedeutung, die eine Beteiligung beider Geschlechter an der Unternehmensführung für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen hat. Aber - die Beteiligung von Frauen in solchen Spitzenpositionen stagniert weiter. Sie ist aber nicht nur ein Gebot der Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch eines wirtschaftlicher Vernunft. Das schon viel zitierte Beispiel von der norwegischen 40-Prozent-Beteiligung von Frauen in den Aufsichtsräten möchte ich trotzdem noch einmal anführen. Wir wissen: Es hat gut und schnell gewirkt. Der Frauenanteil stieg schon unter der Drohung des Gesetzes an, und zwar von 18 Prozent in 2006 auf 30 Prozent im April 2007. Im April 2008 war dann die 40-Prozent-Marke erreicht. Es gibt kein Argument, warum dies bei uns nicht so sein würde. Qualifizierte Frauen gibt es genug. Bereits im Jahr 2007 hat der Deutsche Juristinnenbund eine Liste mit 450 Namen erstellt. Aber wie sieht unsere Realität aus ? Nach einer aktuellen Untersuchung - Februar/März 2009, HansBöckler-Stiftung - von 160 börsennotierten Unternehmen haben nur 10 Prozent der Unternehmen eine Frau im Vorstand. Der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten liegt bei 7,5 Prozent. Die SPD wird sich dafür einsetzen, dass eine gesetzliche Quote für die Besetzung von Aufsichtsratsmandaten mit Frauen eingeführt wird. Wir brauchen ein diskriminierungsfreies Steuerrecht, das heißt, dass wir das Ehegattensplitting und die Steuerklassen umgestalten müssen. Denn in ihrer jetzigen Ausgestaltung befördern sie genau die alten traditionellen Rollenbilder. Wir wollen wirkliche Chancengleichheit. Jetzt sind Frauen dran - damit Gleichstellung nicht weiter eine Forderung, sondern endlich Realität wird. Zu Protokoll gegebene Reden

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Linke fordert ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft ab fünf Mitarbeitern. Das geht an der Realität vorbei. Ziel des Gesetzesentwurfes soll es sein, dass Betriebe ab fünf Mitarbeitern ebenso viele Frauen wie Männer beschäftigen - ab fünf Beschäftigten -, eine jährliche Bestandsaufnahme der Beschäftigungsstruktur vorlegen - ab fünf Beschäftigten -, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umwandeln - ab fünf Beschäftigten -, betriebliche oder betrieblich mitfinanzierte externe Kinderbetreuung bereitstellen - ab fünf Beschäftigten. Und falls die im Gesetz genannten Maßnahmen - wohlgemerkt bei Betrieben ab fünf Beschäftigten - nach Ablauf von 24 Monaten nicht umgesetzt wurden, dann erfolgt zwangsweise die Wahl einer betrieblichen Gleichstellungsbeauftragten für Unternehmen ab 20 Beschäftigten, die Einrichtung einer Koordinierungsstelle, die den Betriebsrat und die Beschäftigten zu Fragen der Gleichstellung beraten soll, und die jährliche Bestandsaufnahme der Beschäftigungsstruktur. Was heißt das? Wie wird ein solches Gesetz in kleinen Betrieben mit sieben Beschäftigten wie beispielsweise einem Friseursalon, einem Blumenladen oder einer Bäckerei umgesetzt? Welche Wirkung hat ein solches Gesetz auf die gegenwärtige Personalstruktur? Muss der Inhaber oder die Inhaberin eines Friseursalons zwei weibliche Mitarbeiter entlassen und dafür zwei männliche Mitarbeiter einstellen? Kann ein solches Gesetz dann als Kündigungsgrund herangezogen werden? Dieser Gesetzentwurf wäre für kleine Betriebe die Fahrkarte in die Unternehmenspleite. Hier fehlt es den Autoren an betriebswirtschaftlichem Sachverstand. Abgesehen davon, Unternehmen suchen händeringend Frauen für technische Berufe. Gerade deshalb nehmen viele Betriebe und Behörden am Girls’ Day oder der Aktion MINT teil, um junge Frauen für Berufe außerhalb der traditionell weiblichen Ausbildungen zu begeistern. Bereits jetzt gibt es in vielen kleinen und mittleren Betrieben und Unternehmen hervorragende familienunterstützende Programme, die die Gleichstellung der Geschlechter unterstützen. Die DIHK hat gute und praktikable Ideen in einem Checkheft für familienfreundliche Unternehmensführung zusammengestellt. Das wird bereits genutzt. Klar ist, dass die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft und auch im öffentlichen Dienst noch nicht durchgesetzt wurde. Ob jedoch ein weiteres Gleichstellungsgesetz die Lösung bringt, bezweifle ich stark. Denn gerade das Gleichstellungsgesetz für die oberen Bundesbehörden des Bundes, das seit 2001 in Kraft ist, hat kaum Verbesserung geschaffen. Es hat sogar zu einer Erhöhung des Frauenanteils bei der Teilzeitarbeit geführt. Das wollen wir doch alle nicht. Meiner Überzeugung nach liegt der Schlüssel für Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt in einem flächendeckenden Betreuungsangebot für Kinder. Zwei Zahlen machen das deutlich: 80 Prozent aller Frauen ohne Kind sind erwerbstätig, aber nur 65 Prozent mit Kind. Nach wie vor ist es die mangelnde Kinderbetreuung, die eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern behindert. Solange wir das nicht geändert haben, werden Mütter und Väter nicht an den Arbeitsplatz zurückkehren und ihre Karriere nicht erfolgreich gestalten können. Aber nicht nur die fehlende Kinderbetreuung bremst, auch die Steuerklasse 5 macht die Aufnahme von Arbeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenig attraktiv. Hohes Brutto und niedriges Netto! Dann wird eher auf einen Minijob ausgewichen. Die im Antrag genannten Forderungen scheitern an Realitätsferne und am bürokratischen Aufwand plus den damit verbunden Kosten und sind in Krisenzeiten starr und unflexibel. Es kann nicht sein, das der Staat in Unternehmen ab fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hineinregiert und vorschreibt, wer eingestellt wird. Das ist ein Eingriff in die Organisationsabläufe und Personalstrukturen von Unternehmen. Dieses Bumeranggesetz wird Frauen eher schaden als nützen. Deshalb lehnt die FDPFraktion diesen Antrag ab.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Diskriminierung von Frauen in der Privatwirtschaft ist nicht länger hinnehmbar. Immer wieder wird in diesem Hause auf Freiwilligkeitsverpflichtungen der Wirtschaft gesetzt, um Frauen auch in sogenannten Männerberufen ihren Platz zu garantieren. Und immer wieder scheitert das Selbstverpflichtungsprinzip. Die aktuelle Krise macht es mehr als deutlich: Es ist Zeit zu handeln! Entgeltungleichheit von Frauen in Deutschland ist eben nicht ausschließlich Sache der Tarifparteien. Wir müssen Bedingungen dafür schaffen, dass die Tarifparteien tatsächlich zu Gleichberechtigung und wirksamer Entgeltgleichheit finden, gerade in Krisenzeiten. Dazu haben wir als Linke Ihnen einen Antrag vorgelegt. Sie brauchen diesem Antrag nur zuzustimmen, dann bleiben auch die Forderungen der SPD nach einem Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft nicht nur bloße Wahlkampftaktik. Für die Linke ist in Sachen Gleichstellung kein Platz für Taktik, sondern es bleibt beim klaren und verlässlichen Bekenntnis: Frauen gehört mindestens die Hälfte und das nicht nur in Aufsichtsräten. Wir bemühen uns, hier gemeinsam ein Gesetz zu verabschieden, welches für Unternehmen und Beschäftigte, Betriebsräte und Tarifvertragsparteien einen verbindlichen Rahmen dafür setzt, dass eigene, auf die verschiedenen Berufszweige zugeschnittene, differenzierte Vorgaben gemacht werden, wie die Entgeltgleichheit erreicht werden kann. Das muss konkret sein, und wir müssen konkret werden. Wir müssen gesetzgeberisch aktiv werden, ohne in die Tarifautonomie einzugreifen. Denn es ist Aufgabe des Staates, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern durchzusetzen. Er muss auf die Beseitigung der bestehenden Nachteile hinwirken. Tun wir dies hier gemeinsam, indem wir wirksame gesetzgeberische Rahmenbedingungen schaffen! Damit die Gleichstellung der Geschlechter in der Privatwirtschaft wirksam gefordert wird, sollen Betriebe verpflichtet werden, einen Maßnahmeplan zur Förderung Zu Protokoll gegebene Reden der Gleichstellung vorzulegen. Betriebe und Betriebsräte sollen zu aktiver Gleichstellungspolitik verpflichtet werden, dass Frauen bei Feststellung von Diskriminierung einen Rechtsanspruch auf Einstellung oder Beförderung haben. Die Linke sagt: Wir brauchen ein richtiges Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Zurzeit haben wir mit Ihrem Gesetz nur einen zahnlosen Tiger. Spürbare Verbesserungen bekommen wir nur, wenn wir endlich ein Verbandsklagerecht einführen. Damit gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit nicht nur der Wahlkampfschlager dieses Sommers bleibt, können wir heute gemeinsam endlich wirksame Rahmenbedingungen zur Gleichberechtigung und gleichen Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben schaffen. Die Linke steht für die Gleichstellung. Sie nicht!

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich freue mich, dass wir uns am Ende dieser Legisla- turperiode noch einmal mit dem Thema Gleichstellung in der Privatwirtschaft beschäftigen. Denn das ist leider bit- ter nötig. Deutschland ist unter dieser Regierung in Sa- chen Gleichstellung der Geschlechter weiter zurückge- fallen. Wir haben es schon öfter hier erörtert: Wir haben einen beschämend hohen Unterschied zwischen den Ge- hältern von Frauen und Männern, mit 23 Prozent sind wir nahezu europäisches Schlusslicht. Der Anteil von Frauen an den sogenannten geringfügig Beschäftigten liegt bei über 65 Prozent, der Anteil von Frauen am Niedriglohn- sektor bei fast 70 Prozent, der Anteil von Frauen an den Teilzeitbeschäftigten bei 83 Prozent - und zwar nicht, weil sie das so wählen, sondern weil sie Familie und Be- ruf vereinbaren müssen. Das Armutsrisiko von Alleiner- ziehenden ist mit 36 Prozent doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Haushalte. Und: Arme Alleinerzie- hende sind zu 95 Prozent Frauen. Bei den Führungskräf- ten tut sich nichts, Männer unter sich. Ebenso bei den Aufsichtsräten. Diese Zahlen sind bekannt, sie werden vom Statistischen Bundesamt, von den Forschungs- instituten, vom Frauenministerium veröffentlicht. Die letzten vier Jahre waren vier verlorene Jahre für die Frauenpolitik. Vom Frauenministerium werden die Bilanzen zur Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit in der Privatwirtschaft herausgegeben. Deren Ergebnisse lassen sich zusammenfassen als heiße Luft: viele Ab- sichtserklärungen, viele Prüfaufträge, durchaus interes- sante Einzelinitiativen. Aber gucken wir doch genau hin: Ausdrücklich war vereinbart worden, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Das DIW hat es gerade letzten Monat wieder veröffentlicht: Es gibt keine signifikanten Ergebnisse. 2007 ging der Frauen- anteil sogar wieder zurück. Die Vereinbarung ist komplett gescheitert. Die meisten Betriebe kennen sie nicht einmal. Sind Krisenzeiten die richtigen Zeiten für Gleichstel- lung? Ich meine: ja. Denn um ein abgegriffenes Bonmot zu verwenden: In jeder Krise steckt auch eine Chance. Wir müssen die Gelegenheit nutzen, verkrustete Struktu- ren aufzubrechen und die Gleichstellung voranzubringen. Wir brauchen grundlegende Veränderungen bei den Per- sonalstrukturen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Ohne ge- setzliche Regelungen wird es nicht gehen. Da bin ich ganz einer Meinung mit den Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion. Meine Fraktion hat ja auch entsprechende Anträge eingebracht. Wir brauchen differenzierte Daten zur Beschäftigtenstruktur. Ich begrüße, dass die Betriebe in zwei Jahren selbst Maßnahmen innerhalb konkreter Handlungsfelder entwickeln sollen. Die Vergabe öffentli- cher Aufträge an Gleichstellungsmaßnahmen zu knüpfen hat meine Fraktion bereits mehrfach beantragt, ebenso wie die Einführung eines Verbandsklagerechts. Ich freue mich, dass die Linke diese Grünen Forderungen inzwi- schen übernommen hat. Aber lassen Sie mich auch noch ein paar Sätze zu den Forderungen sagen, die wir nicht teilen: Zunächst. Das Gesetz soll für alle Betriebe ab fünf Be- schäftigte gelten. Ich denke, das ist zum einen unrealis- tisch, zum anderen aber auch nicht zielführend. Ein Betrieb mit fünf Beschäftigten, eine Arztpraxis, ein Fri- seursalon - die sollen alle Berichte schreiben und Maß- nahmen prüfen und umsetzen? Auch die starke Stellung des Betriebsrats ist aus mei- ner Sicht übertrieben. Er soll ein Initiativrecht, ein Mit- bestimmungsrecht, ein Auswahlrecht erhalten. Ebenso ist die Idee, dass Unternehmen ab 20 Beschäf- tigte eine beratende Koordinationsstelle zur Gleichstel- lung einrichten, ziemlich weltfern. Damit würde in der Konsequenz eine unspezifizierte Struktur errichtet, mit keinen Kompetenzen, keinem Budget. Wovon sie finan- ziert werden soll, lässt die Linke in ihrer üblichen Art of- fen. Daher mein Fazit: Ja, wir brauchen ein Gleichstel- lungsgesetz für die Privatwirtschaft. Große Teile Ihres Vorschlags begrüße und unterstütze ich, aber es gibt deutliche Schwächen im Detail.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12986, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9486 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität - Drucksachen 16/13123, 16/13185 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 1. Oktober 2008 über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität - Drucksachen 16/13124, 16/13186 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Clemens Binninger, Wolfgang Gunkel, Gisela Piltz, Jan Korte und Wolfgang Wieland.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vor wenigen Tagen wurde der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2008 vorgestellt. Eine ganz wesentliche Erkenntnis des Berichts: Vom islamistischen Terrorismus geht nach wie vor eine sehr ernst zu nehmende Bedrohung für Deutschland aus. Mehr noch: Obwohl in den letzten Jahren Anschläge in Deutschland erfolgreich aufgedeckt und vereitelt werden konnten, ist das internationale islamistisch-terroristische Spektrum nicht geschwächt. Im Gegenteil: Es gibt vermehrt Hinweise, dass junge Islamisten aus Deutschland in Terror-Camps gereist sind. Über das Internet werden immer wieder Drohbotschaften verbreitet, die sich zunehmend auf Deutschland beziehen. Diese Entwicklung müssen wir als Sicherheitspolitiker sehr ernst nehmen. Der islamistische Terrorismus, wie wir ihn in den letzten Jahren erleben, zeigt ganz deutlich, dass terroristische und kriminelle Netzwerke zunehmend international, über Landesgrenzen hinweg agieren - ein Aspekt der Globalisierung, wie er in den 90er-Jahren vielleicht so noch nicht absehbar gewesen ist. An dieser Entwicklung muss sich auch unsere Sicherheitspolitik orientieren, denn Sicherheit zu gewährleisten, gehört zu den vornehmsten Aufgaben unseres Staates. Wenn wir diese Entwicklung ernst nehmen, müssen wir erkennen, dass ein einzelner Staat allein oft nicht mehr viel ausrichten kann. Vielmehr müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern wirksame Lösungen finden wie es auch in der Vergangenheit schon geschehen ist. Wir müssen unsere Kooperation - davon bin ich überzeugt - ausbauen, um auch in Zukunft gegen den internationalen Terrorismus effektiv vorgehen zu können. Einer unserer wichtigsten Partner sind dabei die Vereinigten Staaten von Amerika. Zur Intensivierung unserer Zusammenarbeit mit den USA wurde am 1. Oktober 2008 ein Abkommen geschlossen, das wir mit den vorliegenden Gesetzentwürfen ratifizieren und in Bundesrecht umsetzen. Vorbild für dieses Abkommen war der 2005 zwischen Deutschland und weiteren EU-Staaten geschlossene Vertrag von Prüm, der sich mittlerweile als so erfolgreich erwiesen hat, dass die meisten der Kooperationsregelungen in den gemeinsamen EU-Rechtsrahmen übernommen wurden. Ich bin überzeugt, dass wir ähnliche Erfahrungen auch in der Zusammenarbeit mit den USA machen werden. Wie wichtig diese Kooperation ist, zeigt auch die Tatsache, dass mittlerweile auch andere EU-Staaten vergleichbare Abkommen mit den Vereinigten Staaten abschließen. Das „Prüm-ähnliche“ Abkommen zwischen Deutschland und den USA wird die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität verbessern. Das gilt insbesondere für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Das Abkommen sieht deshalb vor, dass Daten über Personen übermittelt werden können, die im begründeten Verdacht stehen, terroristische Straftaten zu begehen oder Terror-Ausbildungslager durchlaufen zu haben. Übermittelt werden dürfen in Zukunft Daten, die zur Identifizierung von Personen dienen Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit oder daktyloskopische Daten. Auch erfasst sind selbstverständlich Informationen zu Umständen, die den konkreten Terrorismusverdacht begründen. Darüber hinaus schafft es die Voraussetzung für einen automatisierten Austausch von Fingerabdruck- und DNA-Daten nach dem Vorbild des Prümer Vertrags. Deutschland und die USA gewähren sich nicht einen vollen Zugriff auf Daten. Das halte ich gerade bei diesen sehr sensiblen Daten für sehr wichtig. Stattdessen werden zukünftig im sogenannten Hit/No-Hit-Verfahren Fundstellendatensätze für Fingerabdrücke und DNA abgeglichen, die aber noch keine Identifikation der betreffenden Person zulassen. Ergeben sich bei diesem automatisierten Abgleich Übereinstimmungen zwischen den Datenbeständen und der fraglichen Spur, können dann personenbezogene Daten wie Name oder Anschrift - wie auch bisher üblich - auf dem normalen Wege der Rechtshilfe angefragt werden. Gerade weil es sich hier um sensible Daten in der internationalen Kooperation handelt, möchte ich auch auf das Thema Datenschutz eingehen, das bei dem Abkommen zwischen Deutschland und den USA wie auch beim Vertrag von Prüm sehr großgeschrieben wird. Es kann nicht im Interesse des Staates sein, Daten von Personen, von Terroristen zu schützen, die schwerste Straftaten vorbereiten. Hier wegzusehen und auf wichtige Kooperationselemente bei der Terrorismusbekämpfung zu verzichten, wäre der falsche Weg. Wir brauchen auch hier transparente Regeln und den unbedingten Schutz personenbezogener Daten. Genau das tut das Abkommen. Es werden ausschließlich Daten über Personen weitergegeben, die von den deutschen oder US-amerikanischen Behörden mit einem konkreten und bestätigten Verdacht dem terroristischen Umfeld zugerechnet werden. Das Hit/No-Hit-Verfahren wird von Datenschutzexperten sehr positiv bewertet, weil es sehr grundrechtsschonend ist. Personendaten werden erst dann ersichtlich, wenn Übereinstimmungen vorliegen, also ein übereinstimmender Fingerabdruck oder ein gleiches DNA-Profil. Außerdem sieht das Abkommen die vertrauliche Verwendung übermittelter Daten vor. Falsche Datensätze müssen demnach korrigiert oder gelöscht werden, wenn sie nicht mehr erforderlich sind. Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Umsetzungsgesetz zufolge verpflichtet, die vereinbarten völkerrechtlichen Auskunfts-, Sperrungs- und Löschungsansprüche eines Betroffenen gegenüber den USA geltend zu machen. Wir haben damit ein wirksames Instrument im grenzüberschreitenden Kampf gegen den internationalen Terrorismus, das gleichzeitig die strengen Datenschutzregelungen von Prüm adaptiert. Der frühzeitige Austausch von Informationen ist eine wesentliche Voraussetzung, um unseren Sicherheitsbehörden bei grenzüberschreitenden Aktivitäten von Terroristen die Möglichkeit zu geben, Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren, und zwar bevor Schaden eintritt. Das Abkommen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika ist dafür eine wichtige Grundlage. Deshalb stimmt die Union den vorliegenden Gesetzen zu.

Wolfgang Gunkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Heute beraten wir einen Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zu dem Abkommen vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität sowie ein Gesetz zur Umsetzung desselben Abkommens. Bereits im Oktober 2008 haben sich die Bundesregierung und die USA mit dem Abkommen auf eine Vertiefung ihrer Zusammenarbeit bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität geeinigt. Es enthält Regelungen für den automatisierten Abruf von DNA- und Fingerabdruckdaten sowie den Austausch von Daten terrorverdächtiger Personen. Auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus kann nur durch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit der Behörden reagiert werden. Um schwerwiegende Kriminalität gezielt bekämpfen und verhüten zu können, gibt es zu einer partnerschaftlichen Kooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten keine Alternative! Aber auch und gerade in Zeiten der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus müssen Grundrechte gewahrt bleiben. Der sensible Punkt bei diesem Abkommen ist ohne Zweifel der Datenschutz: So hat schon der Bundesrat Mitte Mai ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Datenschutzbestimmungen bei der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit zur Verbrechensbekämpfung eingehalten werden müssen. Vollkommen zu Recht weist der Bundesrat darauf hin, dass die datenschutzrechtlichen Anforderungen vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Datenschutzstandards der beiden Vertragsparteien zu bewerten sind! Deutlich ins Auge fallen hierbei die Parallelen zum Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, das wir am 20. April debattiert haben. Auch dort geht es um eine engere grenzübergreifende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Allerdings gelten für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union die allgemeinen Grundsätze des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008. Eine solche Grundlage gibt es für die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika nicht. Vor diesem Hintergrund muss vor allem der Art. 12 des Abkommens, der die Übermittlung von personenbezogenen Daten regeln soll, besonders kritisch betrachtet werden: Diese Regelung soll die Übermittlung von personenbezogenen Daten besonderer Kategorien eigentlich an strengere Anforderungen knüpfen. Allerdings sehe ich die Voraussetzungen hierfür nicht ausreichend konkretisiert. Es wird zwar eine „besondere Relevanz“ der Daten gefordert, allerdings wird nicht näher bestimmt, worum es sich bei dieser „besonderen Relevanz“ handeln soll. Genauso wenig wird der Übermittlungszweck konkretisiert. Der Text verweist pauschal auf „die Zwecke dieses Abkommens“. Außerdem bezieht sich die Sonderregelung des Art. 12 ausschließlich auf Spontanübermittlungen nach Art. 10 und gilt nicht für Datenübermittlungen nach Art. 5 und 8 des Abkommens. Wegen ihres besonderen Charakters ist die Spontanübermittlung aber explizit auf den Zweck der Verhinderung terroristischer Straftaten begrenzt. Diese Zweckbeschränkung geht aber aus Art. 12 nicht hervor. Auch eine verbindliche Definition der schwerwiegenden Kriminalität sowie der terroristischen Straftaten als Grundvoraussetzung für den Datenaustausch auf der Grundlage des Abkommens fehlt. In Art. 10 Abs. 3 des Abkommens ist zwar eine Notifizierung der Straftaten vorgesehen, allerdings kann diese jederzeit einseitig von einer der Vertragsparteien geändert werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Voraussetzungen für die Übermittlung von Daten nicht ausreichend konkretisiert werden, sind die Datenkategorien, die in Art. 12 aufgezählt werden, viel zu weitgehend! Wenn als Gegenargument hierzu immer wieder angeführt wird, dass sie dem Standardkatalog der allgemeinen Datenschutzgesetze entsprächen ist dies zwar faktisch richtig. Es wird aber ausgeblendet, dass die Zweckbestimmung dieser Gesetze wesentlich breiter gefasst ist und Art. 12 ausschließlich auf den konkreten Zweck abzielt, terroristische Straftaten nach Art. 10 zu verhindern. Inwieweit beispielsweise die Übermittlung über die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft dazu beitragen soll, Zu Protokoll gegebene Reden terroristische Straftaten zu verhindern, ist vollkommen rätselhaft und in keiner Weise nachvollziehbar. Vollkommen zu Recht protestieren die Gewerkschaften an dieser Stelle! Gewerkschaftszugehörigkeit darf kein Datum sein, das im Rahmen dieses Abkommens übermittelt wird! Der Diskriminierung und Repression von Gewerkschaftsangehörigen wäre damit Tür und Tor geöffnet! Doch auch die Übermittlung von Daten, die die Gesundheit oder das Sexualleben betreffen, scheint mehr als bedenklich. Darüber hinaus ist ebenso fraglich, was sie im Hinblick auf die „Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität und des Terrorismus“, der das Gesetz ja dienen soll, leisten sollen. Um es noch einmal deutlich zu machen: Es handelt sich hierbei um Daten, die im Hinblick auf den Zweck der Verhinderung terroristischer Straftaten nicht von Bedeutung sind! Von daher dürfen sie aus datenschutzrechtlichen Gründen auch nicht erhoben werden! Um der besonderen Schutzbedürftigkeit sensibler Daten Rechnung zu tragen, schlägt der Bundesrat vor, dass für die Übermittlung dieser Informationen die Zustimmung von zwei Mitarbeitern und des Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes erforderlich ist. Dieser Vorschlag scheint mir durchaus überlegenswert! Ein weiterer kritischer Punkt des Abkommens sind die fehlenden verbindlichen Löschungs- bzw. Prüffristen, wie auch der Bundesrat beklagt. Für alle übermittelten Daten sind diese Fristen dringend notwendig: Es kann nicht sein, dass die einmal erhobenen Daten ohne jede Frist bis in alle Ewigkeit gespeichert bleiben. Während für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union verbindlichen Löschungs- bzw. Prüffristen festgelegt sind, sieht der Art. 11 Abs. 2 des Abkommens lediglich vor, die übermittelten Daten nur so lange aufzubewahren, wie dies für den jeweiligen Zweck nötig ist. Der europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx fordert in Hinblick auf das angesprochene innereuropäische Abkommen klarere Datenschutzauflagen darüber, wie in die Datenbank aufgenommene irrelevante Datensätze zu behandeln sind. Diese Kritik lässt sich auch auf den heute debattierten Entwurf übertragen. Bei der Durchführung des Abkommens muss die Bundesregierung auf die Einhaltung eines hohen Datenschutzniveaus hinwirken. Dabei müssen die angesprochenen und keineswegs nur von mir kritisierten Aspekte berücksichtigt werden!

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schon vor über einem Jahr hat die FDP-Fraktion die Bundesregierung nachdrücklich dazu aufgefordert, in Nachverhandlungen zu dem Abkommen mit den Vereinigten Staaten einzutreten, um insbesondere umfassende Datenschutzregelungen zu implementieren, eine gemeinsame Definition terroristischer Straftaten bzw. schwerwiegender Kriminalität aufzunehmen, den Zugriff auf Fingerabdruckdaten von Asylbewerbern oder Ausländern nach dem Aufenthaltsgesetz auszuschließen und den Rechtsschutz ausreichend zu gewährleisten. Nichts davon ist in den vorgelegten Gesetzentwürfen auch nur ansatzweise angegangen worden. Noch immer handelt es sich um die umfassende Weitergabe von Daten über eine Vielzahl von Personen auf völlig unbestimmter rechtlicher Grundlage, ohne datenschutzrechtliche Absicherungen, ohne ausreichenden Rechtsschutz und mit schwerwiegenden Eingriffen in die Grundrechte. Nicht einmal hält es die Bundesregierung auch im Umsetzungsgesetz für erforderlich, das Gesetz mit flankierenden rechtsstaatlichen Sicherungen auszustatten. Dabei ist es ja nicht so, als sei nicht bekannt, dass das Datenschutzniveau in den USA mit dem in Deutschland und Europa nicht vergleichbar ist - und damit will ich jetzt nicht sagen, dass hier alles ausreichend ist, sondern nur, dass es dort nicht besser ist. Die Bundesregierung gibt mit diesem Abkommen die Grundrechte der Menschen in Deutschland weitgehend schutzlos preis - ein unerhörter Vorgang für eine Regierung, die nach unserer Verfassung an die Grundrechte gebunden ist. Mit diesem Abkommen aber werden rechtsstaatliche Grundgewissheiten infrage gestellt. So dürfen nach Art. 12 des Abkommens Daten über die politischen Anschauungen, über religiöse Überzeugungen, über die Mitgliedschaft in Gewerkschaften oder auch das Sexualleben übermittelt werden. Es gibt keinen, aber auch gar keinen Grund, warum Daten über die Mitgliedschaft in einer Kirche, das Engagement in einer Gewerkschaft oder die sexuelle Orientierung für den Kampf gegen Terrorismus von Bedeutung sein könnten. Nicht nur handelt es sich um Daten, die den Staat per se nichts angehen. Diese Vorschriften sind geeignet, die Freiheit mindestens mittelbar zu beeinträchtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat es deutlich festgestellt: Wenn die Bürger in Furcht vor Überwachung leben, machen sie von ihren Freiheiten keinen Gebrauch mehr. Wenn jemand beim Eintritt in die Gewerkschaft Sorge haben muss, dass das den Staat interessiert, dass es in Verbindung mit Terrorismus gebracht und an andere Staaten zur Terrorabwehr übermittelt werden kann, dann muss er sich doch fragen: Was ist meine Vereinigungsfreiheit noch wert? Wenn die Daten zur Zugehörigkeit zu einer Kirche vom Staat nicht mehr deshalb erhoben werden, weil sie für den Abzug der Kirchensteuer erforderlich sind, sondern für den Kampf gegen Terrorismus, ist das im Hinblick auf die Religionsfreiheit mehr als bedenklich. Diese Datenkategorien müssen eigentlich aus dem Abkommen gestrichen werden. Das Mindeste aber wäre, die Weitergabe unter einen Richtervorbehalt zu stellen. Es kann nicht sein, dass derart sensible Daten ohne unabhängige Kontrolle weitergegeben werden. Man stelle sich einmal vor, dass im Rahmen einer Onlinedurchsuchung das BKA Kenntnis vom Sexualleben eines, um mal dieses schöne Wort zu verwenden, „Gefährders“ erhält. Und diese werden dann an die USA weitergegeben? Mit wem derjenige ins Bett geht? Oder mit wie vielen? Und wie steht es eigentlich mit dem Kernbereichsschutz? Der kommt in dem Gesetz überhaupt nicht vor. Daten gerade aus den genannten Bereichen, hinsichtlich der religiösen Überzeugungen oder des Sexuallebens können - dafür muss man kein Prophet sein - immer einen Bezug zum Kernbereich haben. Hier gibt es keine Kontrollinstanz, die unabhängig ist. Die FDP-Fraktion Zu Protokoll gegebene Reden hat zwar keinen Zweifel daran, dass beim BKA kluge und engagierte Polizistinnen und Polizisten arbeiten - aber das ändert nichts daran, dass es in einem Rechtsstaat nicht ausreicht, den Grundrechtsschutz allein in die Hände der Polizei zu legen. Gerade im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus müssen angesichts der Konsequenzen für Verdächtige, mit denen die USA nicht gerade zimperlich umgehen, um es einmal etwas euphemistisch auszudrücken, besonders hohe rechtsstaatliche Sicherungen angelegt werden. Das Prinzip Hoffnung auf eine grundrechtskonforme Behandlung durch die USA ist nicht ausreichend. Nicht nur fehlt in den USA eine Datenschutzaufsicht, die unabhängig ist, sondern es fehlt auch an Speicherfristen und Benachrichtigungspflichten. Auch ist es, sobald die Daten einmal übermittelt sind, nicht mehr möglich, die Kontrolle darüber zu behalten, was weiter mit ihnen geschieht. Ich darf hier mal an die Fluggastdaten erinnern oder an die Daten, die bei der Einreise in die USA fällig werden: Diese dürfen ohne weitere Kontrolle an inneramerikanische Stellen, an private Dritte, an ausländische Stellen inklusive Geheimdienste weitergegeben werden. Ich darf auch daran erinnern, dass es hier im Hause Konsens war, dass Fluggastdaten nur dann weitergegeben werden dürfen, wenn flankierend verbindlich der Datenschutz geregelt wird. Davon ist im vorliegenden Abkommen nichts zu finden. Ich möchte einmal verdeutlichen, worüber wir hier sprechen. Deutschland soll Daten an die USA weitergeben, um diese im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen. Das bedeutet in den USA zum Beispiel eine flächendeckende Überwachung der Finanzdaten völlig unbescholtener Bürgerinnen und Bürger ({0}). Die Bekämpfung des Terrorismus nehmen wir gerne auf, aber bitte auf dem Boden des Rechtsstaates. Es kann nicht sein, dass wir gerade das aufgeben, was wir gegen den Terrorismus am allermeisten verteidigen wollen: unsere Freiheit, unsere Grundrechte. Daher ist für die FDP-Fraktion völlig klar: Dieses Abkommen darf nicht ratifiziert werden. Nachverhandlungen sind notwendig, damit die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus auf eine Grundlage gestellt wird, die einem Rechtsstaat angemessen ist. Dazu gehören die von mir schon ganz zu Beginn genannten Forderungen nach einer verbindlichen Regelung zum Datenschutz für beide Seiten, die Festschreibung eines angemessenen Rechtsschutzes, die Klarstellung, dass Daten zum Sexualleben, zur religiösen Überzeugung oder zur Mitgliedschaft in Gewerkschaften nicht weitergegeben werden dürfen, die Sicherstellung des Kernbereichsschutzes, die Gewährleistung umfassender Benachrichtigung Betroffener, klar begrenzte Speicherfristen und die Gewährleistung, dass Daten nicht ohne weitere Kontrolle an andere Stellen weitergegeben werden können. Im Umsetzungsgesetz muss klar enthalten sein, dass Daten nach Art. 12 des Abkommens keinesfalls aufgrund etwaiger Vereinbarungen oder Anforderungen durch die USA erhoben werden dürfen und dass eine unabhängige richterliche Kontrolle stattfindet, um Kernbereichsverletzungen zu vermeiden. Weiterhin darf die Benachrichtigungspflicht nicht, wie vorgesehen, einem Schweizer Käse gleichen, sondern muss so gestaltet sein, dass regelmäßig eine Benachrichtigung auch tatsächlich erfolgt. Dies ist keine Petitesse, sondern verfassungsrechtlich geboten, da ansonsten bei heimlichen Maßnahmen jeglicher Rechtsschutz abgeschnitten ist. Die FDP-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, die Ratifizierung zurückzustellen, bis Nachverhandlungen erfolgt sind. In der vorliegenden Form ist den Gesetzentwürfen nicht zuzustimmen.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Abermals wird ein derart schwerwiegender Eingriff - wie der vorliegende Gesetzentwurf - in die Freiheitsund Grundrechte, in den Datenschutz und die Schutzbestimmungen des Grundgesetzes zu später Stunde, mit dem Willen, dieses Thema möglichst geräuschlos an der Öffentlichkeit vorbei zu den Akten zu legen, hier im Bundestag diskutiert. Der eigentliche Inhalt des Datenübermittlungsabkommens zwischen der Bundesrepublik und den USA wird der Legislative gar nicht erst zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt. Lediglich die Rechtsanpassungen, zur effizienten Handhabe des Abkommens, werden uns hier zur Diskussion gestellt. Ich möchte hiermit offiziell meinen Protest gegen diesen Umgang der Bundesregierung mit den gewählten Abgeordneten in unserer Demokratie anmelden. Das Parlament ist nicht das Abnickorgan exekutiver Überwachungs- und Allmachtsphantasien. Diese Debatte heute ist eine Farce. Sie beschädigt die Demokratie und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Parlamentarismus. Denn worum geht es hier eigentlich? Es geht darum, dass über den heute zu verhandelnden Entwurf eines Umsetzungsgesetzes der Bundesregierung durch die Hintertür ein aus meiner Sicht - und damit steht die Linke bei weitem nicht alleine da grundgesetzwidriges Abkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA legitimiert werden soll. Die Ergebnisse des am 1. Oktober 2008 geschlossenen Abkommens wurden trotz der bürgerrechtlichen Brisanz und der Tiefe der Eingriffe in die Freiheiten der Menschen in diesem Lande dem Parlament nicht vorgelegt. Wieder einmal muss die Begrifflichkeit des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus und die schwerwiegende Kriminalität herhalten, um unsere Gesellschaft weniger frei und damit unsicherer zu machen. Mit diesem Abkommen sollen personenbezogenen Daten, darunter DNA-Daten, einer unbegrenzten Zahl US-amerikanischer Sicherheitsbehörden, darunter Geheimdiensten jeder Art, zugänglich gemacht werden. Via Onlinezugriff werden Datenbanken deutscher Sicherheitsbehörden für US-Geheimdienste und Sicherheitsbehörden geöffnet. Datenschutzvorkehrungen oder bürgerrechtliche Aspekte wie eine Begrenzung der zu übermittelnden Daten oder eine Begrenzung der Speicherfristen sowie eine wirkliche Zweckbindung sind hierin nicht vorgesehen. Das Abkommen zeichnet sich vielmehr durch eine völlig haltlose Unverhältnismäßigkeit, mangelnde Bestimmtheit, unzureichende Zweckbindung, fehlende Sicherungen oder effektiven Rechtsschutz aus. So werden neben Namen und Geburtsdaten auch Identifikationsnummern und FingerZu Protokoll gegebene Reden abdrücke gespeichert und ausgetauscht. Mehr noch: Über den Umweg des Abkommens sollen nunmehr nicht nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik Informationen über „die Rasse oder ethnische Herkunft, politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften, die Gesundheit und das Sexualleben“ gespeichert werden. Das ist der grundrechtspolitische Dammbruch. Doch Bundesinnenminister Schäuble ({0}) reicht das noch immer nicht. In der Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates, vor allem den Art. 12 des Abkommens, also die soeben zitierten Informationen, die zusätzlich gespeichert und übermittelt werden sollen, betreffend, ist gar nicht mehr die Rede von der Speicherung von Informationen allein über die Gewerkschaftszugehörigkeit. Nein, hierin wird besonders auf die aktiven, mit Funktionen ausgestatteten Gewerkschafter abgehoben ({1}), wenn es heißt: „… darunter womöglich eine bestimmte Gewerkschaftsfunktion …“. Nicht nur, dass deutschen Gewerkschaftsmitgliedern eine Nähe zu Terrorismus und internationaler Kriminalität angedichtet wird, nein, das aktive Gewerkschaftsengagement wird durch die Bundesregierung „womöglich“ als eine Gefährdung angesehen. Besonders problematisch wird diese Aussage dann, wenn man bedenkt, dass es die Bundesregierung bislang nicht fertiggebracht hat, eine Definition dafür zu finden, was denn eigentlich unter „internationalem Terrorismus“ zu verstehen ist. Dementsprechend wird der Begriff seit 2001 so ziemlich für alles genutzt, was hilft, das Überwachungsnetz im Namen der Freiheit und der Sicherheit enger zu weben. Und erneut wird über dieses Abkommen das Bundeskriminalamt zu einer Superbehörde im Dunkelbereich ausgebaut. Die Bundesregierung versteckt dies in ihrem Umsetzungsgesetz mit dem Vorschlag, das BKA zur alleinigen Kontaktstelle zwecks Umsetzung des Datenabkommens mit den USA zu machen. Gleichzeitig weist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung selbst die Versuche des Bundesrates zurück ({2}), eine Kontrollinstanz innerhalb des BKA zur Überwachung der Übermittlungs- und Austauschverfahren einzuführen. Die Antwort der Bundesregierung, wonach die „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausreichend sensibilisiert“ wären und deshalb eine Kontrolle durch einen Richter und einen amtseigenen Richter „nicht erforderlich“ sei, ist anmaßend. Dieses Verfahren, dieses Abkommen, diese Debatte, dieser Entwurf eines Umsetzungsgesetzes sind eine gefährliche Farce und werden aus den genannten und vielen weiteren Gründen - die bekanntlich im Detail liegen von der Fraktion Die Linke unter schärfstem Protest abgelehnt.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im März 2008 hat Herr Schäuble stolz diesen Vertrag präsentiert. Zusammen mit George Bushs Heimatschutzminister lächelte er in die Kameras und verkündete, dass dies nun ein wichtiger Schritt gegen den internationalen Terrorismus sei. Wenn man den Herrn Schäuble über erfolgreichen Kampf gegen Terror reden hört, muss man ja immer vermuten: Hier sind einige Brüche mit unseren Rechtsstaatstraditionen verborgen, hier werden vermutlich neue Datensammlungen angelegt und hier werden Prinzipien des Datenschutzes über Bord geworfen. Und so ist es auch mit diesem Abkommen, einem Abkommen übrigens, zu dem es bei seinem Bekanntwerden im März 2008 heftige Kritik von allen Seiten gab. Der Innenausschuss hat den Bundesinnenminister damals auf die Defizite und Ungereimtheiten hingewiesen, Nachverhandlungen an bestimmten Punkten verlangt und eine Information des Parlamentes gefordert. Nichts davon hat Herr Schäuble erfüllt! Das passt zu seinem Gestus des obersten Terrorjägers, der am besten weiß, was die Bedrohungen sind und wie sie bekämpft werden, und der auch vorgibt zu wissen, wie man sie rechtsstaatlich bekämpft. Da haben wir allerdings einen ganz anderen Begriff von Rechtstaatlichkeit! Und wir sind auch der Auffassung, dass zu so einem Vertragswerk der zuständige Ausschuss des Bundestages besser informiert werden muss! Das Abkommen entspricht den Befürchtungen. Da sollen Daten ausgetauscht werden, um Terrorismus und schwere Kriminalität zu bekämpfen. Aber beides wird nur vage oder gar nicht definiert! Und was die USA als Terrorismus bezeichnen und wie sie da einen Verdacht konstruieren, das entspricht ja nicht immer unserem Verständnis. Das haben wir ja hier im Untersuchungsausschuss nun erfahren müssen! Der Datenaustausch steht ganz unter dem Schäuble’schen Motto „Lieber mehr wissen, als persönliche Daten schützen“. Das gipfelt dann in dem, was das Bundesinnenministerium eine „Schutzklausel“ nennt. Denn in Art. 12 des Abkommens heißt es: „Daten, aus denen die Rasse oder ethnische Herkunft, politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften hervorgeht oder die die Gesundheit oder das Sexualleben betreffen, dürfen nur zur Verfügung gestellt werden, wenn sie für die Zwecke dieses Abkommens besonders relevant sind.“ Wegen dieser besonderen Relevanz nennt der Minister das Schutzklausel! Aber wieso sollen denn solche Daten überhaupt übermittelt werden? Wie kann denn das Sexualleben besonders relevant für Terrorismusbekämpfung sein? Welche Gewerkschaft ist denn so gefährlich, dass sie bei der Bekämpfung von Schwerverbrechen besonders erwähnt werden müsste? Dieser letzte Satz müsste lauten „… dürfen nicht zur Verfügung gestellt werden“. Und Punkt! Und warum genau werden diese Daten denn erhoben? Wer forscht das denn aus? Das zeigt, welch gefährliche Blüten die Logik dieses Ministers treibt! Wir hatten im Frühjahr 2008 gefordert: Es darf keinen uferlosen Datenaustausch mit den USA geben! Den gibt es aber nun, denn das Abkommen ist so schlecht geblieben, wie es damals war. Deswegen bleiben wir auch bei unserer Haltung zu diesem Werk: Wir lehnen es ab! Zu Protokoll gegebene Reden

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/13123 und 16/13124 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die entsprechenden Gegenäußerungen der Bundesregierung zu den Stellungnahmen des Bundesrates auf den Drucksachen 16/13185 und 16/13186 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Neuregelung der Gewässerprivatisierung in Ostdeutschland - Drucksache 16/12994 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Dr. Michael Luther, Ernst Bahr, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Dagmar Enkelmann und Cornelia Behm.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen Antrag vorgelegt, die Gewässerprivatisierung in Ostdeutschland neu zu regeln. Worum geht es dabei? Auch wenn das Wort Braunkohle in dem Antrag nicht vorkommt, scheint es sich um ein Thema zu handeln, das nur im Rahmen der Braunkohlesanierung zum Tragen kommt. Ansonsten sind mir im Grunde keine Bereiche bekannt, in denen der Bund größere Seeflächen besitzt und privatisieren will. Nach der Wiedervereinigung wurde begonnen, den aktiven Braunkohlenbergbau in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu privatisieren. Die stillgelegten Tagebauflächen wurden in der Folge durch den Bund über die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, LMBV, saniert und im Anschluss daran verwertet. Insgesamt sprechen wir hier von einer Größenordung von anfangs rund 100 000 Hektar. Die Verwaltungsgesellschaft hat mittlerweile rund zwei Drittel dieser Fläche verkauft. Die Folgelandschaften des Braunkohlentagebaus in der Lausitz und in Mitteldeutschland sind heute vor allem durch eine Vielzahl neu entstandener Gewässer geprägt. In Zukunft werden durch die Renaturierung der ehemals bergbaulich genutzten 100 000 Hektar beinahe 120 Seen und Gewässer entstanden sein. Diese haben eine Größe von 10 bis 1 000 Hektar und entsprechen zusammen einer Gesamtfläche von etwa 27 000 Hektar. Die noch nicht veräußerte Restfläche von einem Drittel der ursprünglichen Fläche besteht heute zu mehr als der Hälfte aus diesen Tagebaurestseen. Neben der LMBV ist auf dem Gebiet der Flächenprivatisierung noch die BVVG, die Bodenverwertungsund -verwaltungs GmbH, tätig. Die BVVG hat die Aufgabe übernommen, insbesondere landwirtschaftlich genutzte Grundstücke aus dem Volkseigentum der DDR zu veräußern. Dazu gehört unter anderem auch eine geringe Anzahl von Seen und Gewässern. Der zur Debatte stehende Antrag hat zum Ziel, die Privatisierung von Gewässern in Ostdeutschland zu ändern, er will sie verbieten. Wie aber verfahren die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft und die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, wenn sie eine Fläche, bei der es sich auch mal um einen See handeln kann, verkaufen wollen? Die Verwaltungsgesellschaft bietet die Gewässer zunächst den zuständigen Gemeinden an. Diese müssen dann im Rahmen ihrer Prioritätensetzung entscheiden, ob sie die Seen erwerben wollen oder nicht. Hier sind daher die Gemeinden und Kreise gefordert, eventuell könnte aber auch die Landesregierung grundsätzlich unterstützend tätig werden. An dieser Stelle lohnt es sich, einmal einen Blick auf die drei betroffenen Bundesländer zu richten. Denn ich denke, dass der Freistaat Sachsen hier ein gutes Beispiel sein kann für Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Bis zum Jahr 2003 hat die Bergbau-Verwaltungsgesellschaft auch im Freistaat einzelne Seeflächen an Kommunen und Private veräußert. Daraufhin hat Sachsen mit der LMBV Verhandlungen aufgenommen, die Ende 2007 zum Abschluss einer „Gewässerrahmenvereinbarung“ geführt haben. Darin sichert der Freistaat Sachsen der LMBV zu, die Seen nach ihrer Fertigstellung zu übernehmen. Gleichzeitig ist der LMBV der Verkauf an Kommunen oder sonstige Dritte verboten. Damit ist dem Anliegen des Antrags im Freistaat Sachsen bereits Rechnung getragen. Einer weiteren Aufforderung des Bundes bedarf es daher nicht. Anders scheint jedoch die Situation in Brandenburg und eingeschränkt in Sachsen-Anhalt zu sein. Dort gibt es kein klares Bekenntnis des Landes zur Übernahme der Wasserflächen. Dies mag der Grund sein, weshalb sich die LMBV im Rahmen ihres Verwertungsauftrags andere Käufer sucht. Da die Leistungsfähigkeit der Kommunen häufig nicht ausreicht und ihnen die Übernahme der Seen gegebenenfalls auch durch die Kommunalaufsicht untersagt wird, bleiben nur Private. Ergebnis: Für Sachsen hat der Antrag keine Bedeutung, die mit ihm verfolgten Ziele sind bereits gesichert. Zudem ist der Bund der falsche Adressat des Antrags, da seine LMBV ja durchaus gewillt ist, die Flächen an öffentliche Träger zu vermarkten. Richtigerweise handelt es sich um landespolitische Fragen der Bundesländer, die noch keine Rahmenvereinbarung geschlossen haben. Es kann nicht das Ziel sein, dass der Bund dauerhaft Eigentümer und Betreiber dieser Flächen ist. Deswegen haben die Länder die Chance, diese zu übernehmen. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, müssen diese Wasserflächen privatisiert werden. Als großer Verfechter des Subsidiaritätsprinzips kann ich daher nur zum Schluss kommen, dass der Antrag abzulehnen ist. Der Bund muss nichts regeln, was die Länder eigenständig lösen können. Grundsätzlich möchte ich noch dem in diesem Antrag zutage tretenden Misstrauen widersprechen, dass der Verkauf von Gewässern an Privatpersonen grundsätzlich schlecht ist. Selbst wenn ein See von einem Privaten gekauft wird, bedeutet dies meines Erachtens nicht automatisch, dass beispielsweise der Tourismus unterbunden wird. Denn auch der neue Eigentümer hat ein Interesse, den See vernünftig zu nutzen. So kann durchaus die Möglichkeit bestehen, dass hier die Gemeinde gemeinsam mit dem neuen Eigentümer die touristische Entwicklung des Sees und anliegender Grundstücke gestaltet und vorantreibt. Hier ist natürlich viel Geschick und Phantasie von den politisch Verantwortlichen gefordert. Wo dies gelingt, wird so der Grundstock für ein privates Gewerbe und für neue Arbeitsplätze gelegt. Insoweit sollte klug überlegt werden, ob im Einzelfall tatsächlich ein See in öffentliches Eigentum einer Gemeinde überführt werden muss. Privatisierung kann ein guter Weg sein, vielfältigen Tourismus in den neuen Bundesländern auszubauen. Ich komme zum Schluss: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird diesen Antrag aus den genannten Gründen ablehnen.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Seen erfüllen vielfältige Funktionen. Sie beeinflussen den Wasserhaushalt und das Mikroklima in ihrer Umgebung. Sie sind ein wertvolles Biotop und Rückzugsgebiet vieler Tier- und Pflanzenarten. Gewässer sind ein wichtiger Bestandteil von Naherholungsgebieten und erhöhen die Attraktivität einer Region für den Tourismus. Alle diese Faktoren sprechen dafür, dass eine öffentliche Nutzung von Seen von großem Interesse für die Allgemeinheit ist - sowohl aus ökologischer wie auch aus wirtschaftlicher Sicht. Ob es eine Einschränkung der laufenden Privatisierungen von Seen geben sollte, hängt aber davon ab, inwieweit mit dem Verkauf die bisherigen Zugangs- und Nutzungsrechte beschnitten werden und damit gegen das Allgemeinwohl gehandelt wird. Eine Privatisierung erfolgt, wenn keine Nutzung als Wasserstraße vorliegt, wodurch das Gewässer dem Land zugeordnet würde. Steht die fischereiwirtschaftliche Nutzung im Vordergrund, wurde das Objekt von der Zuordnungsstelle an die BVVG gewiesen und kann dem Auftrag der BVVG entsprechend veräußert werden. Bei einem Verkauf wird der See zuerst der betroffenen Gemeinde außerhalb des freien Wettbewerbs angeboten. Gibt es dort keinen Bedarf oder keine Kaufmöglichkeit, wird in zweiter Stufe dem Pächter der Fischereirechte ein Angebot gemacht. Erst wenn auch dieser den Kauf ausschlägt, kommt es zu einer öffentlichen Ausschreibung. Bei einer solchen Ausschreibung ist die BVVG angehalten, größtmögliche Sensibilität gegenüber den Gemeinden zu wahren und mögliche Bedenken oder Probleme zu berücksichtigen. Gewohnheitsrechtliche Nutzungen oder schlüssige Planungen für eine touristische Erschließung können bei einer Privatisierung Berücksichtigung finden. Der Allgemeingebrauch, wie beispielsweise das Baden, bleibt beim Besitzerwechsel eines Sees ohnehin unberührt. Es besteht auch die Möglichkeit zur Gründung einer Stiftung - vonseiten des Landes, der Kommune oder von Bürgerinitiativen - zur Seenutzung. Eine solche Institution würde von der BVVG eine besondere Berücksichtigung als Käufer finden. Der ökologische Wert eines Gewässers dürfte durch veränderte Besitzverhältnisse jedoch nicht gemindert werden. Die Umweltauflagen im Umgang mit Gewässern gelten für alle Eigentümer gleichermaßen. Auch haben die Besitzverhältnisse wohl kaum einen Einfluss auf den Landschaftswasserhaushalt. Im Übrigen wurden bereits 70 Seen aus der BVVG-Masse an das Nationale Naturerbe übertragen, wodurch ein großer ökologischer Beitrag für den Biotopverbund und -schutz geleistet wurde. Es ist erfreulich, dass sich die Ziele des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den bestehenden Regelungen zur Gewässerprivatisierung decken. Mir ist auch kein Fall bekannt, bei dem die bestehende Praxis zu Problemen geführt hätte, die einer Neuregelung bedurften. Daher sehe ich keinen Handlungsbedarf und stimme dem vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht zu.

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Antrag der Grünen ist vor dem Hintergrund des Rechtsstreites um den Mellensee südlich von Berlin zu be- werten. Ich bin allerdings dagegen, aufgrund eines Ein- zelfalls das Kind mit dem Bade auszuschütten, so wie es die Grünen in ihrem Antrag tun. Denn bereits jetzt sind der privaten Nutzung von Seen deutliche gesetzliche Grenzen gesetzt. In Deutschland sind Seen - im Gegensatz zu fließen- den Gewässern und Grundwasser - grundsätzlich als Teil der Erdoberfläche eigentumsfähig. Allerdings unterliegt der Erwerber eines Sees im Gegensatz zu einem Boden- besitzer deutlichen Einschränkungen. Ich zitiere aus § 1 des Wasserhaushaltsgesetzes: „Die Gewässer sind als Bestandteil des Naturhaushalts und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu sichern. Sie sind so zu bewirtschaf- ten, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen Einzelner dienen, vermeidbare Beeinträchtigungen ihrer ökologischen Funktionen und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt unterbleiben und damit insgesamt eine nachhaltige Ent- wicklung gewährleistet wird.“ Und weiter: „Das Grundeigentum berechtigt nicht 1. zu einer Gewässer- benutzung, die nach diesem Gesetz oder nach den Lan- deswassergesetzen einer Erlaubnis oder Bewilligung bedarf, 2. zum Ausbau eines oberirdischen Gewässers.“ Das heißt: Wer einen Teich oder einen See gekauft hat, benötigt für fast alle Nutzungen des Gewässers eine was- serrechtliche Erlaubnis. Bei Umgestaltungen des Gewäs- sers wäre darüber hinaus auch eine Planfeststellung er- forderlich. Und diese Erlaubnis kann nur erteilt werden, wenn die privaten Nutzungen dem Wohl der Allgemein- heit nicht entgegenstehen. Damit ist der Besitzer eines Zu Protokoll gegebene Reden Oberflächengewässers kaum besser gestellt als jeder an- dere x-beliebige Nutzer eines Gewässers. Rund 10 000 Hektar Seen und Teiche sind in den neuen Bundesländern innerhalb der letzten sieben Jahre von öf- fentlichem in privaten Besitz übergegangen. Die Boden- verwertungs- und -verwaltungs GmbH, BVVG), eine Tochterfirma der Treuhandnachfolgegesellschaft, verwaltet und privatisiert landwirtschaftliche Flächen, Wälder und Seen aus staatlichem Besitz. Seit der Gründung der BVVG im Jahr 1992 ist schon fast ein Fünftel der zum Verkauf stehenden Gewässer an Kommunen und Privatleute veräußert worden. Doch noch immer sind etwa 43 000 Hektar übrig. Mit den bisher verkauften Gewässern hat die BVVG 15 Millionen Euro eingenommen durchschnittlich 15 Cent pro verkauften Quadratmeter See. Dieses Geld fließt in den Bundeshaushalt. Der geringe Preis von 15 Cent pro Quadratmeter ist ein Ausdruck davon, dass der Besitz einer Wasserfläche im Gegensatz zum Eigentum an Grund und Boden aufgrund der rechtlichen Restriktionen nicht sonderlich attraktiv ist. Zudem haben die Anrainerkommunen ein Vorkaufsrecht. Aber auch wenn sie den See nicht selbst kaufen möchten, haben die Kommunen ein Mitspracherecht bei den Verkaufsverhandlungen. Dadurch bleibt gewährleistet, dass der See auch nach seiner Privatisierung öffentlich genutzt werden kann. Der Antrag der Grünen geht also zu weit und ist überflüssig. Das Eigentumsrecht ist einer der Grundpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft. Das gilt generell auch für Seen. Zudem bietet die Möglichkeit einer Privatisierung auch Chancen für die Entwicklung touristischer Infrastruktur durch private Investoren. Im Übrigen handelt es sich bei den potenziellen Käufern nicht nur um Investoren mit finanziellen Interessen. Auch viele Naturschützer fragen bei der BVVG an, um ein Biotop zu schaffen und Lebensräume von Tieren und Pflanzen zu schützen. Das dürfte doch ganz im Interesse der Grünen liegen. Statt eine Privatisierung von Seen generell auszuschließen, geht es darum, im Einzelfall einen vernünftigen Kompromiss zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen zu finden. Ich denke, dies sollte auch im Fall Mellensee möglich sein.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stellen Sie sich vor, Sie sind glücklicher Besitzer eines Grundstücks am Wasser und verfügen sogar über einen Bootssteg. Plötzlich finden Sie im Briefkasten ein Schreiben, das Sie unmissverständlich auffordert, entweder 7 500 Euro zu zahlen oder den Bootssteg abzureißen. Oder Sie sind Bürgermeister einer Gemeinde, die ein Strandbad hat. Plötzlich soll Ihre Kommune für die Nutzung des Sees 50 000 Euro zahlen. Und Sie tun das, wenn auch zähneknirschend, weil der Eigner des Sees rechtlich die besseren Karten hat. Oder Sie gehören seit 40 Jahren einem Segelverein an. Diesem wird von heute auf morgen der Segelsport auf dem Gewässer fast unmöglich gemacht, weil der private Besitzer des Sees daran keinen Gefallen findet oder seinen Besitz vergolden will. All dies hat sich in den vergangenen Jahren so am Wandlitzsee nördlich von Berlin zugetragen, und es trägt noch heute erheblich zu Unmut bei. Für 400 000 Euro hatte die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft, BVVG, im Jahr 2003 die 200 Hektar Wasserfläche des Wandlitzsees an einen Düsseldorfer Immobilienprofi verkauft. Seitdem versucht der umtriebige Herr, seinen Besitz zu Geld zu machen, und beruft sich dabei aufs antiquierte preußische Wasserrecht. Fakt ist: Die Privatisierung des Sees lag nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Sie lag nicht im Interesse der Menschen, die am See wohnen, Erholung suchen oder Sport treiben. Die Hilferufe sind inzwischen unüberhörbar. Ich zitiere aus einem Schreiben des Vorsitzenden des Verbandes Brandenburgischer Segler vom März 2009 an mich: „Ich bitte Sie …, Ihre persönliche und politische Kraft zur Erhaltung des Segelvereins am Wandlitzsee einzusetzen. Ehrenamt, Kinder- und Jugendarbeit stellen gesellschaftliche Interessen dar. Hier muss privates Interesse hinten angestellt werden.“ Das kann ich nur dick unterstreichen. Es kann nicht sein, dass private Eigner mit öffentlichen Gewässern nach Gutsherrenart verfahren. Die Linke stellt dabei weniger die BVVG an den Pranger, sondern die seit Treuhandzeiten geltende Maxime des Bundesfinanzministers, die Flächen im Osten meistbietend zu verkaufen. Die politische Verantwortung dafür trägt letztlich die Bundesregierung. Das stets seitens der BVVG betonte Vorkaufsrecht der Kommunen zum Beispiel für Gewässer ist nicht das Papier wert, auf dem es steht. Allein 2008 hat die BVVG einen Überschuss von 366 Millionen Euro an die Bundeskasse abgeführt. Bis 2020, so wird geschätzt, wird der „goldene Boden“ im Osten dem Bund weitere 3 Milliarden Euro in die Kasse spülen. Dies geht vor allem zulasten ostdeutscher Agrarunternehmen und Kommunen. Im Jahre 2002 legte die BVVG die erste und meines Wissens bisher einzige Bilanz veräußerter Gewässer im Osten vor. Bereits zu dieser Zeit waren von der BVVG rund 10 000 Hektar Seen, Teiche, Flüsse und Bäche veräußert. Schon damals waren die gravierenden Folgen des Verkaufs an den Meistbietenden bekannt. Die rot-grüne Bundesregierung sah dem tatenlos zu. Jetzt kommt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Erkenntnis - ich zitiere aus der Antragsbegründung -: „Der offene Zugang zu den Seen und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für die weitere touristische Erschließung der heimischen Gewässer werden jedoch durch die Privatisierungsbemühungen des Bundes und der Länder gefährdet.“ Man könnte sagen: besser späte Einsicht als gar keine. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen springt aber auch zu kurz: Sie fordert, Seen nur dann im Besitz der öffentlichen Hand zu belassen, wenn der Gemeinwohlnutzen überwiegt. Sie verlangt ein Verkaufsmoratorium - aber nur bis zu einer Neuregelung der Privatisierung. Das ist inkonsequent. Soll künftig weiter verkauft werden - nur vielleicht zu etwas besseren Bedingungen? Und wer bestimmt, ob der Gemeinwohlnutzen überwiegt? Das ist doch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Verwaltungsgerichte. Die Linke ist generell gegen die Privatisierung von Wald, Agrarflächen und Gewässern, und das nicht, weil Zu Protokoll gegebene Reden das früher einmal Volkseigentum war. Der Drang, öffentliches Eigentum um jeden Preis zu privatisieren, hat die öffentlichen Hände in die Sackgasse geführt. Erst verkaufen sie Tafelsilber, um dann feststellen zu müssen, dass der öffentlichen Daseinsvorsorge buchstäblich der Boden unter den Füßen entschwindet. Nicht allein der Verkauf von Gewässern ist dauerhaft zu stoppen. Bei jedem Flächenverkauf in Ostdeutschland dürfen die Interessen der Kommunen und der Agrarunternehmen nicht mehr länger außen vor bleiben. Sie brauchen nicht nur ein Vorkaufs-, sondern vor allem ein Vetorecht. Die BVVG muss endlich den Interessen der Menschen im Osten und nicht denen des Finanzministers dienen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Viele Landschaften und Naturräume unseres Landes, insbesondere in Ostdeutschland, sind durch Seen geprägt. Sie vermitteln Heimatgefühl und sind zugleich Anziehungspunkte für Urlauber und Gäste. Darüber hinaus übernehmen sie mit ihren weitläufigen Schilf- und vielfältigen Uferbereichen wertvolle ökologische Funktionen, dienen der Regulierung des Landschaftswasserhaushaltes und sind für die Fischereiwirtschaft unverzichtbar. Viele Bürgerinnen und Bürger engagieren sich für Pflege, Unterhaltung und eine weitere touristische Erschließung der Gewässer. Der offene Zugang zu den Seen steht jedoch in Ostdeutschland durch die Privatisierungsbemühungen des Bundes und der Länder zur Disposition. Mit dem Einigungsvertrag sind zahlreiche Gewässer aus dem Besitz der DDR auf den Bund übergegangen, sofern sie nicht nach ihrer Zweckbestimmung am 1. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt waren, die von Ländern, Gemeinden oder sonstigen Trägern öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen sind. Die dem Bund zugeordneten Gewässer zählen zu seinem Finanzvermögen und werden nach und nach verkauft. Viele Gemeinden sind aufgrund ihrer Haushaltssituation aber nicht in der Lage, die auf ihrem Gebiet befindlichen Seen zu kaufen. Darüber hinaus ist es den Menschen in ihren Regionen schwer vermittelbar, warum Seen aus dem früheren Volkseigentum der DDR auf Kosten der Steuerzahler von den Kommunen wieder zurückgekauft werden müssen. Die Privatisierung der Gewässer birgt die Gefahr, dass Badestellen, Stege und Uferwege für die Öffentlichkeit nicht mehr nutzbar sind oder Freizeitbetätigungen auf den Seen wie Angeln und Baden durch neue Besitzer verboten oder kostenpflichtig werden. Die Privatisierung des Wandlitzsees im Landkreis Barnim in Brandenburg ist hierfür ein besonders drastisches Beispiel. Sowohl für Einheimische als auch für Gäste ist eine solche Entwicklung nicht akzeptabel. Gleichzeitig können Privatisierungen dazu führen, dass Fauna und Flora wirtschaftlichen Interessen weichen müssen und sich die Wasserqualität durch fehlende oder nicht sachgerechte Pflege verschlechtert. So besteht beispielsweise das Risiko, dass private Eigentümer mit dem Erhalt der Seen, insbesondere mit der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie im Einzelfall überfordert sein könnten, da die Gewässergüte oftmals von Faktoren beeinflusst wird, die sich dem Einfluss von Privatpersonen entziehen. Allein schon die Überprüfung der Wasserqualität und deren richtige Interpretation setzt technische und wissenschaftliche Expertise voraus. Denn See ist nicht gleich See. Was für einen See im Niedermoorbereich gut und normal ist, kann in einem nährstoffarmen See schon eine ökologische Katastrophe bedeuten. Mit unserem Antrag setzen wir uns dafür ein, dass Seen mit überwiegender Bedeutung für Naherholung und Naturtourismus, für ihr ökologisches Umfeld und den Landschaftswasserhaushalt im Besitz der öffentlichen Hand verbleiben. Denn eine Verpflichtung zur Privatisierung öffentlicher Güter besteht nach dem Einigungsvertrag nicht. Es obliegt dem Bund, zu entscheiden, bei welchen Gewässern das Gemeinwohlinteresse oder seine ökologische Bedeutung überwiegt. Hier wollen wir eine Privatisierung in Zukunft ausschließen. Bis die entsprechenden Rechtsgrundlagen dafür geschaffen sind, fordern wir den Bundesfinanzminister auf, die weitere Privatisierung durch ein Verkaufsmoratorium auszusetzen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12994 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften - Drucksachen 16/12258, 16/12676 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({0}) - Drucksache 16/13211 Berichterstattung: Abgeordneter Jens Ackermann Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Jens Spahn, Dr. Marlies Volkmer, Jens Ackermann, Frank Spieth, Elisabeth Scharfenberg und des Parlamentarischen Staatssekretärs Rolf Schwanitz.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Verbesserung des Schutzes der Patienten und Probanden steht im Mittelpunkt des Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften, das wir heute hier beschließen werden. Mit diesem Gesetz werden unter anderem europäische Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt, die eine Reihe von wichtigen Verbesserungen im Dienste der Produkt- und Anwendersicherheit bei Medizinprodukten mit sich bringen. Es gibt sehr, sehr große und bekannte Hersteller, aber der Medizinproduktebereich besteht vor allem aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, von denen viele weniger als 20 Mitarbeiter haben. Diese sind ein wichtiJens Spahn ger Wirtschaftsfaktor für unser Land. Sie zeichnen sich durch hohe Innovationskraft, hohe Exportorientierung und ein hohes Sicherheitsniveau bei den Medizinprodukten aus. Mit dem Medizinproduktegesetz haben wir nun den Spagat zwischen der Erhöhung des Schutzes der Patientinnen und Patienten bei klinischen Studien auf der einen Seite und gleichzeitig der Schaffung von handhabbaren und unbürokratischen Regelungen für die Betriebe in der Medizinprodukteindustrie gemeistert. Denn das Gesetz darf nicht dazu führen, dass die deutschen Medizinprodukteunternehmen wegen überbordender bürokratischer Anforderungen nicht mehr in der Lage sind, ihre hochwertigen Produkte zu entwickeln und zu fertigen. Es ist natürlich klar, dass bei der Genehmigung einer klinischen Prüfung an ein einfaches Blutdruckmessgerät andere Sicherheits- und Dokumentationsanforderungen gestellt werden müssen als an einen hochkomplexen Herzschrittmacher. Dies konnten wir nun erreichen. Lassen Sie mich kurz auf einige wesentliche Regelungsinhalte eingehen: Die wichtigste Veränderung ist die Zusammenführung und Vereinheitlichung von Aufgaben beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dem BfArM. Dazu zählen zum Beispiel die Genehmigung von klinischen Prüfungen oder die Einstufung von Medizinprodukten sowie die Abgrenzung zu anderen Produkten. Bisher sind hierfür in Deutschland etwa 65 Behörden verantwortlich, was zu Intransparenz und uneinheitlicher Rechtsanwendung geführt hat. Die Neuordnung der Zuständigkeiten auf Länder- und Bundesebene wird zu mehr Sicherheit und Effizienz in der Praxis führen. Gerade bei der Genehmigungspflicht von klinischen Prüfungen wurde in den parlamentarischen Beratungen erreicht, dass bei Medizinprodukten mit geringem Sicherheitsrisiko von dem generellen Genehmigungserfordernis durch das BfArM abgesehen werden kann. Um einen unangemessen hohen Prüfungsaufwand bei diesen Produkten zu vermeiden, wird die Behörde in diesem Fall im Kern eine Plausibilitätsprüfung der eingereichten Unterlagen vornehmen und nur in Zweifelsfällen weitere Schritte einleiten. Ich begrüße es sehr, dass wir eine risikobasierte Regelung der Genehmigungsmodalitäten für Medizinprodukte mit geringem Sicherheitsrisiko erreicht haben. Damit braucht die Medizinprodukteindustrie keinen unangemessenen Bürokratieaufwand und keine Doppelprüfungen zu befürchten, und das BfArM kann sich auf die Fälle konzentrieren, bei denen ein höheres Risiko vorliegt. Damit ist letztlich auch dem Probandenschutz gedient. In Bezug auf die Anforderungen an die Aufbereitung von Medizinprodukten, was bereits mehrfach Thema kritischer Medienberichterstattungen war, wurde eine neue erweiterte Ermächtigungsgrundlage geschaffen. Damit werden die Möglichkeiten für Vorschriften zur Aufbereitung von Medizinprodukten, für die bisher keine ausreichende Ermächtigung im Medizinproduktegesetz vorhanden war, erweitert. Bei der Frage der Aufbereitung von Medizinprodukten gilt es Folgendes zu beachten: Auf der einen Seite haben natürlich die Hersteller ein Interesse, möglichst viele Produkte als Einmalprodukte zu deklarieren. Dies kann aus Sicherheitsgründen geboten sein, dient teilweise aber auch der Steigerung der Verkaufszahlen. Auf der anderen Seite haben die Versichertengemeinschaft und die Anwender das Interesse - unter Einhaltung höchster Qualitätsstandards - an einem kostenbewussten Umgang mit den eingesetzten Materialien. Diese beiden Interessen gilt es so weit wie möglich insbesondere im Blick auf die Patientensicherheit auszugleichen und eine Gefährdung der Patientinnen und Patienten auszuschließen. Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, nach Vorlage des im Jahr 2010 erwarteten EU-Berichtes zur Wiederaufbereitung von Medizinprodukten und des Erfahrungsberichtes der Arbeitsgruppe beim RKI zeitnah den Deutschen Bundestag zu unterrichten und dabei zu erklären, wie die gesetzlichen Anforderungen bei der Aufbereitung von Medizinprodukten zur weiteren Optimierung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ergänzt werden sollten. Im vorliegenden Gesetz wird auch ein weiterer Punkt geregelt, der mir sehr wichtig erscheint. In letzter Zeit hat sich ein Trend verstärkt, verschiedene In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung als Heimtest anzubieten. In einigen europäischen Mitgliedstaaten sowie im Internet werden mittlerweile auch HIV-Heimtests für Laien angeboten. Diese Tests sind oftmals ungenau, insbesondere wenn sie nicht von medizinischem Fachpersonal angewandt werden. Gerade auch bei den weitreichenden Konsequenzen, die ein positives Ergebnis für den Betroffenen mit sich bringt, ist eine professionelle Beratung und Begleitung dringend erforderlich. Diese findet bei einem Heimtest nicht statt. Ich möchte nicht, dass ein Mensch am Rande einer Party, wo heute zum Teil Tests von Organisationen angeboten werden, oder alleine in seiner Wohnung mit der schwerwiegenden Diagnose konfrontiert wird, HIV-infiziert zu sein. Eine ärztliche Begleitung vom ersten Moment an ist wichtig, gerade für den Betroffenen. Deshalb haben wir im vorliegenden Gesetzentwurf festgeschrieben, dass diese Tests im Ergebnis nur an Ärzte und an medizinische Einrichtungen unter ärztlicher Leitung abgegeben werden dürfen. Damit ist sichergestellt, dass diese Tests unter fachlicher Aufsicht und mit dem Angebot der Beratung durchgeführt werden. Ich bin mir sicher, dass wir mit dem Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften einen großen Schritt vorankommen, um die Medizinprodukte in Deutschland für die Patientinnen und Patienten noch sicherer zu machen. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte behaupten, dass nahezu jeder Bürger bereits in seinem Leben mit Medizinprodukten in Berührung gekommen ist, ob mit Verbandmaterial, mit Kontaktlinsen, Zahnimplantaten oder einem künstlichen Gelenk. Wie die Aufzählung zeigt, ist das Risiko, das mit einem Medizinprodukt verbunden ist, sehr unterschiedlich. Am höchsten ist das Risiko unter anderem da, wo das Medizinprodukt dauerhaft im Körper verbleibt. Patientinnen und Patienten müssen hier in besonderer Weise sichergehen können, dass die verwendeten Medizinprodukte höchsten Sicherheitsstandards entsprechen und die Überwachung effizient organisiert ist. Zu Protokoll gegebene Reden Ehe ein Medizinprodukt in Verkehr gebracht wird, muss es intensiv geprüft werden. Für besonders risikoreiche Medizinprodukte der Klasse III, zum Beispiel Herzklappen, und für implantierbare Medizinprodukte, zum Beispiel Herzschrittmacher, müssen europäischem Recht zufolge neben einer klinischen Bewertung klinische Prüfungen an Probanden bzw. Patienten durchgeführt werden. Die gesetzlichen Regelungen im Medizinproduktebereich unterscheiden sich derzeit grundlegend von denen im Arzneimittelbereich. Im Arzneimittelbereich wird ein hohes Schutzniveau der Probanden und Patienten garantiert und damit auch Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit der geprüften Wirkstoffe geschaffen. Anders ist das bei Medizinprodukten. Die bisherigen Regelungen sind intransparent, und das Niveau des Probanden- und Patientenschutzes ist um vieles geringer als im Arzneimittelbereich. So kann zum Beispiel derzeit eine klinische Prüfung mit Medizinprodukten sofort nach einer formalen Anzeige begonnen werden, eine Genehmigung ist nicht erforderlich. Notwendig ist lediglich eine Stellungnahme einer beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, registrierten Ethikkommission. Dies können auch freie private Kommissionen sein, bei denen Sponsoren gegen Entgelt Gutachten in Auftrag geben. Man muss kein Experte für das Medizinprodukterecht sein, um zu erkennen, dass unabhängige Stellungnahmen nur durch unabhängige Gremien möglich sind. Dabei wurde bisher davon ausgegangen, dass die Ethikkommission so viel Sachverstand hat, dass sie neben der ethischen und wissenschaftlichen Bewertung des Prüfplans zum Beispiel auch die sicherheitstechnische Unbedenklichkeit des Produkts bewerten könnte. Die für diese Aufgabe spezialisierte benannte Stelle, zum Beispiel der TÜV, benötigt dafür allerdings mehrere Tage und Wochen. Dagegen wurde immer wieder von Ethikkommissionen berichtet, die ihre positiven Stellungnahmen innerhalb weniger Tage abgaben. Problematisch sind auch die derzeit vorhandenen zahlreichen Zuständigkeiten auf Länder- und Bundesebene. Insbesondere im Zusammenhang mit der Einstufung von Medizinprodukten und der Abgrenzung zu anderen Produkten führt die Zuständigkeit von mehr als 60 Behörden zu Nachteilen für die betroffenen Hersteller. Vor diesem Hintergrund führen wir aus Anlass der Umsetzung von europäischem Recht einige grundlegende Änderungen im Medizinprodukterecht ein. Zentral ist die Einführung einer Genehmigungspflicht für klinische Prüfungen mit Medizinprodukten zentral beim BfArM, wie es sie bei Arzneimitteln bereits seit langer Zeit gibt. Dabei kann die Bundesoberbehörde bei Produkten mit einem geringen Sicherheitsrisiko entscheiden, dass es keiner Genehmigung bedarf. Neben der Genehmigung durch die Bundesoberbehörde muss vor dem Beginn einer Prüfung auch eine zustimmende Bewertung einer Ethikkommission vorliegen. Die Ethikkommission muss nach Landesrecht gebildet, unabhängig und interdisziplinär besetzt sein. Die von ihr abgegebenen Bewertungen sind, wie im Arzneimittelbereich auch, Verwaltungsakte. Das mehrgleisige Verfahren ist notwendig, da Bundesoberbehörde und Ethikkommission verschiedene Aufgaben haben: Die Ethikkommission prüft die ethischen und rechtlichen Voraussetzungen der Prüfung, das BfArM die sicherheitstechnische Unbedenklichkeit des Produktes. Natürlich gibt es teilweise Überschneidungen, aber tatsächlich ist erst im Zusammenspiel der umfassenden materialtechnischen, wissenschaftlichen und ethischen Begutachtung sichergestellt, dass das Verhältnis von Nutzen und Risiko angemessen bewertet werden kann. Gleichzeit kann damit die Qualität der Studien erhöht werden. Zum Schutz der Sicherheit von Probanden und Patienten bei klinischen Prüfungen ist es notwendig, auftretende schwerwiegende unerwünschte Ereignisse während klinischer Prüfungen umfassend zu erfassen, wissenschaftlich zu bewerten und gegebenenfalls Korrekturen zu veranlassen. Auch diese Aufgabe wird künftig das BfArM innehaben. Die Überwachung der Hersteller und der Anwender von Medizinprodukten ist einer der Schlüssel für die Patientensicherheit nach dem Marktzugang. Als Voraussetzung einer bundeseinheitlichen und qualifizierten Marktüberwachung ermöglicht das Gesetz eine bundeseinheitliche Regelung in einer Rechtsverordnung. Eine wichtige Regelung des Gesetzes betrifft HIV/ Aids-Tests für Laien, die in anderen europäischen Ländern und über das Internet angeboten werden. Einige Hersteller planen bereits, die Tests auch auf den deutschen Markt zu bringen. Dies ist vor allem deshalb schwierig, da Laien die Resultate des Testverfahrens nicht richtig interpretieren können: Ein positives Ergebnis dieses Schnelltests muss immer erst durch einen Bestätigungstest wiederholt werden, ehe die Diagnose sicher gestellt werden kann. Medizinische Fachkreise betonen deshalb, dass diese Tests nur eingesetzt werden sollten, wenn eine Beratung sichergestellt ist. Davon abgesehen muss gewährleistet sein, dass die in Deutschland bestehende HIV-Meldepflicht erfüllt werden kann. Das Gesetz sieht daher vor, dass die Abgabe auf Ärzte, Gesundheitsbehörden und ambulante und stationäre Einrichtungen im Gesundheitswesen sowie Apotheken und Großhandel beschränkt wird. Letztere dürfen die Tests aber nur an Ärzte abgeben. Ich bin überzeugt davon, dass mit dem Gesetz sowohl der Probanden- und Patientenschutz bei klinischen Prüfungen von Medizinprodukten als auch die Sicherheit von Medizinprodukten generell verbessert werden können.

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Medizinproduktegesetz hat sich in seiner gültigen Fassung bewährt. Die bestehenden Vorschriften zu Beginn, Durchführung, Überwachung und Dokumentation von klinischen Studien stellen einen guten Schutz für Probanden, Patienten und Hersteller von Medizinprodukten dar. Wenn wir heute über eine Novellierung zu befinden haben, müssen wir uns deshalb an folgenden Kriterien orientieren: Erstens: Alle rechtlichen Änderungen müssen sich daran messen lassen, ob sie geltendes Europarecht eins zu eins umsetzen. Für strengere Auflagen - wie sie bei andeZu Protokoll gegebene Reden ren EU-Rechtsakten in diesem Haus schon häufig beschlossen wurden - darf auch in Anbetracht der schwierigen Lage der mittelständischen Wirtschaft kein Platz sein. Zweitens: Alle Änderungen, die wir vornehmen, müssen für Patienten und Probanden einen echten Mehrwert an Sicherheit bringen. Bei klinischen Prüfungen und Studien haben wir es häufig mit invasiven Produkten zu tun, die zumindest für eine längere Zeit im Organismus verbleiben. Hier muss uns daran gelegen sein, das höchstmögliche Schutzniveau herzustellen bzw. zu wahren. Drittens: Reformen, die wir im Medizinproduktegesetz durchführen, sollten die Hersteller von Medizinprodukten im internationalen Wettbewerb stärken und den Forschungsstandort Deutschland festigen. Der Entwurf, der uns heute vorliegt, wird diesen Ansprüchen leider nicht gerecht, und das, obwohl wir nach mehrmaliger Ausschussberatung und einer sehr informativen Anhörung schon längst weiter sein müssten. Zwar wurden im Vergleich zur ersten Vorlage einige Verbesserungen eingearbeitet, was insbesondere die Rechtskonformität mit EG-Recht betrifft, dennoch laufen die zentralen Neuerungen unserem Bestreben, ein hohes Schutzniveau für Patienten und Probanden mit der Stärkung mittelständischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb in Einklang zu bringen, zuwider. Lassen Sie mich deshalb auf die Punkte eingehen, die mir als liberalem Gesundheitspolitiker Magenschmerzen bereiten. Die im Gesetzesentwurf in § 20 ({0}) und § 22 a) vorgesehene Genehmigungspflicht von klinischen Prüfungen geht über die europarechtlichen Anforderungen, die sich aus Art. 15 der Richtlinie 93/42/EWG und Art. 10 der Richtlinie 90/385/EWG nach der Änderung durch die Richtlinie 2007/47/EWG ergeben, hinaus. Daran kann auch die durch die Koalitionsfraktionen eingebrachte Ausnahmeregelung für Medizinprodukte mit geringem Sicherheitsrisiko nichts ändern. Ich habe versucht, von der Bundesregierung verlässliche Daten zu erhalten, die diese Verschärfung rechtfertigen. Es gibt sie nicht! Ein einziges Bundesland konnte über nachträgliche Abbrüche klinischer Studien valide Zahlen vorlegen. Ein einziges! Und nun raten Sie einmal, wie viele Studien dort zwischen 1995 und 2008 abgebrochen werden mussten. Ganze 10 Studien - bei einer Gesamtzahl von 326. Nun kann ich jeden verstehen, der sagt, auch 10 Studien sind zu viel. Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber es existieren keine Daten zur Risikoklassifizierung, was heißt, dass es sich bei den Fällen auch um 10 Studien mit Verbandsmaterial gehandelt haben könnte. Einen Hinweis auf den Aspekt der Risikoklassifizierung haben wir aber während der Anhörung bekommen. Das dort vertretene Unternehmen musste in den letzten 13 Jahren nicht eine einzige Studie mit seinen Hochrisikoprodukten - darunter implantierbare Defibrillatoren und Herzschrittmacher - im Nachhinein abbrechen. Jetzt mögen Sie einwenden, dass auch diese Angabe statistisch nicht besonders valide erscheint, und auch hier gebe ich Ihnen recht. Aber ich frage Sie: Wenn uns keine entsprechenden Unterlagen, Nachweise oder Daten vorliegen, dann können wir auch nicht bewerten, ob sich das Gesetz in dieser Hinsicht bewährt hat. Da hier niemand mit EGRecht, das es umzusetzen gilt, argumentieren kann, hätte ich mir gewünscht, dass die Regierung im Vorfeld entsprechende Daten erhoben hätte. Die nun vorgesehenen Neuregelungen werden zu Doppelprüfungen und damit verbunden zu einem erheblichen bürokratischen und finanziellen Mehraufwand sowohl aufseiten der Unternehmen als auch aufseiten des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte führen, ohne dass es auch nur einen Hinweis auf einen Mehrwert an Sicherheit für Patienten und Probanden gäbe. Allerhöchstens ein Placebo-Effekt wird auch bei der zweiten zentralen Neuerung zu beobachten sein: der Einsetzung der Ethikkommissionen nach Landesrecht. Die Änderungen der §§ 22 bis 24 werden zu einer Verdrängung universitärer und privatrechtlich organisierter Ethikkommissionen führen, ohne dass auch hier ein Mehrwert für Patienten, Probanden oder Hersteller erkenntlich wird. Im Gegenteil: Die Strukturen, die sich im Hinblick auf Patientensicherheit, Effizienz und Fachwissen etabliert haben, werden leichtfertig verändert. Dies ist zwar nicht zum Vorteil der Patienten, aber ganz sicher zum Nachteil für Unternehmen, die mit verzögerten Voten zu rechnen haben. Das bedeutet, dass sich die Innovationszyklen dieses wichtigen Industriezweiges verlangsamen werden, was im internationalen Wettbewerb ein erhebliches Risiko birgt. Im Vergleich zu den nicht geregelten Übergangsfristen, ist dies allerdings fast schon ein vernachlässigenswertes Problem: Die Hersteller von Medizinprodukten müssen Investitions- und Vertrauensschutz genießen. Das bedeutet, dass bei allen Veränderungen prüfrechtlicher Vorschriften angemessene Übergangszeiträume eingeräumt werden müssen. Ein zu früh gewählter Stichtag belastet nicht nur Unternehmen mit zusätzlichen Dokumentations- und Prüfpflichten, sondern bedeutet auch für das BfArM einen unverhältnismäßig hohen administrativen Aufwand. Der Regierungsentwurf führt weder zu einem besseren Schutz der Patienten und Probanden noch bringt er einen Mehrwert für Medizinprodukteunternehmen. Er geht an zentralen Stellen verschärfend über geltendes EU-Recht hinaus und ist mit den neu eingeführten Berichts-, Dokumentations- und Genehmigungspflichten geeignet, den Forschungsstandort Deutschland zu schwächen und die hier ansässigen Unternehmen mit zusätzlichem administrativen und finanziellen Aufwand zu belasten, ohne dass diese gesetzlichen Neuregelungen ein verbessertes Schutzniveau bedeuten würden. Eine solche Politik wird die FDP in diesem Hause nicht unterstützen. Wir lehnen den Gesetzentwurf deshalb ab.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Medizinprodukte sollen zukünftig geprüft und sicherer gemacht werden. Damit sollen die Patienten in Deutschland besser geschützt werden. Dieses zentrale Anliegen des hier zu beratenden Medizinproduktegesetzes wird von uns voll und ganz unterstützt. Künstliche Hüftgelenke oder Herzschrittmacher sind keine normalen Handelswaren, sondern sie sind medizinische Hilfsmittel, an deren Funktionsfähigkeit im Interesse der Patienten höchste Zu Protokoll gegebene Reden Frank Spieth ({0}) Anforderungen zu stellen sind. Diese Produkte dürfen nicht ohne vorhergehende fachlich qualifizierte Prüfung auf den Markt gebracht werden. Die Gewinninteressen der Hersteller dürfen keinen Vorrang vor der Gesundheit der Patienten haben. Patientenschutz muss an erster Stelle stehen, auch wenn es dadurch für die Hersteller zu einer Verzögerung in der Einführung neuer Produkte kommt. Diesem Grundsatz der Patientensicherheit folgt die Bundesregierung mit diesem Gesetz in weiten Bereichen. Bedauerlicherweise wurden aber einige Forderungen und Hinweise aus der Fachdebatte, auch mit den Sachverständigen, von der Koalition nicht in das Gesetz aufgenommen. Studien belegen, dass über 80 Prozent der Patienten nicht wissen, dass Einmalprodukte, wie zum Beispiel Schläuche, aufbereitet und wiederverwendet werden. Für diese wenig vertrauenerweckende Praxis gibt es bisher keine verbindliche Regeln. Die hätte man in diesem Gesetz treffen können. Wiederverwendete Einmalprodukte sind eine Gefahr für die Patientensicherheit. In einer Studie mit über 2 000 aufbereiteten Produkten wird belegt, dass fast die Hälfte der Produkte Oberflächenschäden und Verschmutzungen aufwies. Das ist eine Bedrohung der Gesundheit der Patienten. Andere Länder verbieten daher die Mehrfachwendung von Einmalprodukten in der Medizin. Das Medizinproduktegesetz wäre der richtige Ort gewesen, Abhilfe zu schaffen und die Wiederaufbereitung gesetzlich zu regeln oder auch zu verbieten. Doch die Koalition hat diese Möglichkeit nicht genutzt. Ein weiteres Problem: Es wird jetzt zwar gesetzlich geregelt, dass die Hersteller von Medizinprodukten Mängel an die zuständige Bundesbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, melden müssen. Diese Mitteilungsverpflichtung hat allerdings, wenn sie verletzt wird, keine Folgen für die Hersteller. Wenn die Meldung durch die Hersteller zu spät oder gar nicht erfolgt, dann bleibt es bei Briefen oder Mahnungen. Die Linke findet, dass diese Unterlassung zu einer Sanktion, zu einem Bußgeld führen muss, das dem Hersteller wehtut. Alles andere ist wirkungslos. Wenn also der Hersteller eines künstlichen Hüftgelenks davon erfährt, dass fünf bei Patienten eingebaute Gelenke gebrochen sind, dann muss er nach dem Gesetz den Vorfall dem BfArM melden, damit weiterer Schaden vermieden werden kann. Hält sich der Hersteller an das Gesetz und meldet die Probleme, hat das möglicherweise Konsequenzen für die Zulassung des Produkts und damit für den Gewinn des Unternehmens. Meldet der Hersteller das Problem nicht, passiert ihm nichts; aber dafür kommen Menschen zu Schaden. Erst vor knapp zwei Jahren ist es zu einem Medizinprodukteskandal gekommen. Damals wurde man darauf aufmerksam, dass Hüftgelenksprothesen eines Herstellers häufig brachen. Da diese Fälle nicht nur in Deutschland, sondern in mehreren EU-Staaten auftraten, habe ich schon damals gefordert, eine europäische Behörde zu schaffen, die für die Sicherheit und die Überwachung zuständig ist. Wäre man bereits nach den ersten fünf Brüchen auf das Problem aufmerksam geworden, hätten Dutzenden anderen Patienten Schmerzen und zusätzliche Operationen erspart werden können. Dafür muss man aber auch Sanktionsmöglichkeiten in das Gesetz schreiben. Aber genau dies wollte die Koalition nicht, obwohl das BfArM das Einführen von Sanktionsmöglichkeiten begrüßen würde. Wir halten diese Unterlassung für fahrlässig gegenüber den Patienten! Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung, und er ist gegenüber dem bisherigen Zustand im Sinne des Patientenschutzes ein eindeutiger Fortschritt. Da aber die Wiederverwendung von Einmalprodukten nicht untersagt oder wenigstens geregelt wird und die Sanktionsmöglichkeiten fehlen, wird sich die Fraktion Die Linke bei dem Gesetzentwurf enthalten.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wird sich bei der Abstimmung zur Novelle des Medizinproduktegesetzes - kurz MPG - enthalten. Im Wesentlichen können wir uns mit den getroffenen Regelungen einverstanden erklären, gleichen sie doch deutsches Recht an europäische Vorgaben an. Die Zentralisierung der Einstufung und Klassifizierung von Medizinprodukten beim BfArM als oberster Bundesbehörde halten wir für sinnvoll. Das gilt ebenso für die Regelung, In-vitroDiagnostika zur Erkennung von HIV-Infektionen künftig nur noch an ausgewählte Personen bzw. Einrichtungen abzugeben und damit sogenannte HIV-Heimtests zu unterbinden. Grundsätzlich begrüßen wir auch, dass klinische Prüfungen künftig einer Genehmigung bedürfen sollen. Wir verstehen jedoch nicht, warum die Koalition in letzter Minute unbedingt noch Ausnahmen für diese Regel beschließen und sich dem Druck der Industrie beugen musste. Bei Medizinprodukten mit „geringem Sicherheitsrisiko“ soll demnach eine Genehmigung durch die oberste Bundesbehörde nicht zwingend erforderlich sein. Was aber ist „risikoarm“? Dies soll nun in einer Rechtsverordnung geklärt werden, die dem Einfluss des Parlaments entzogen ist. Unseres Erachtens hätte die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung völlig ausgereicht, um unnötige Bürokratie zu vermeiden. Danach hätte eine Genehmigung dann als erteilt gegolten, wenn die Bundesbehörde 30 Tage nach Eingang des Antrags keine Einwände erhoben hätte. Ebenfalls begrüßt haben wir die noch eingebrachten Änderungen der Großen Koalition, die den Patientenschutz bei klinischen Prüfungen verbessern sollen. Mündliche Einwilligungen sollen nur dann möglich sein, wenn ein Zeuge für den Betroffenen anwesend ist und auch in die Aufklärung einbezogen wird. Wir hätten uns an dieser Stelle zwar den Zusatz gewünscht, dass es sich dabei um eine „Person des persönlichen Vertrauens“ handeln muss. Dennoch stimmt die Richtung. Auch die Streichung der Vorschrift im MPG, nach der eine Aufklärung und Einwilligung in besonders schweren Fällen ausbleiben könne, begrüßen wir. Problematisch sind außerdem Aspekte, die die Koalition mit der MPG-Novelle zu regeln versäumt. So hätte der Patientenschutz noch deutlicher gestärkt werden können. So sind für Minderjährige keine besonderen Aufklärungsbestimmungen ins Gesetz aufgeZu Protokoll gegebene Reden nommen worden. Dies wäre nach unserer Ansicht aber notwendig. Des Weiteren gab es unseres Erachtens zu Recht Forderungen, auch dem Gemeinsamen Bundesausschuss ein Anrufungsrecht gegenüber der obersten Bundesbehörde einzuräumen, sollte es zu Meinungsunterschieden kommen, wie ein Medizinprodukt zu klassifizieren ist. Die Koalition ist dem nicht nachgekommen. Wir begrüßen ebenfalls, dass schwerwiegende Vorkommnisse bei Prüfungen künftig gemeldet werden müssen. Trotz des Hinweises etwa vonseiten der Krankenkassen hat es die Koalition aber versäumt, diese Meldepflicht mit Sanktionen zu bewehren, sollten die Hersteller bzw. Prüfstellen dieser Pflicht nicht nachkommen bzw. Meldungen zu spät einreichen. Auch das Problem der Aufbereitung medizinischer Einmalprodukte hat die Koalition mit dem Gesetz nicht aufgegriffen. Es ist aber zu begrüßen, dass die Bundesregierung mit der vorliegenden Beschlussempfehlung des Ausschusses immerhin aufgefordert wird, „zeitnah“ Empfehlungen zur Umsetzung solcher Regelungen vorzulegen. Das ist zwar zeitlich sehr unbestimmt und kann sich bis Mitte 2010 hinziehen, aber es ist besser als nichts.

Rolf Schwanitz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002123

Wir verabschieden heute ein Gesetz, mit dem insbesondere die europäische Richtlinie 2007/47/EG in das nationale Recht umgesetzt wird. Diese Richtlinie beinhaltet eine Reihe von wichtigen Verbesserungen im Dienste der Produkt- und Patientensicherheit. Hervorzuheben sind dabei die umfangreichen Änderungen und Präzisierungen bezüglich der erforderlichen klinischen Bewertungen und der klinischen Prüfungen von Medizinprodukten. Für Medizinprodukte muss vor dem Markteintritt nicht nur deren technische Sicherheit nachgewiesen werden, vielmehr muss der Hersteller auch die Erfüllung der klinischen Leistungsfähigkeit seiner Produkte im Rahmen von klinischen Bewertungen beziehungsweise klinischen Prüfungen nachweisen können. Gleichzeitig wurden die Anforderungen an die Marktzugangsvoraussetzungen für Medizinprodukte mit „mittleren“ Risiken verschärft. Für diese Produkte wird zusätzlich zu einem funktionierenden und den einschlägigen internationalen Normen entsprechenden Qualitätsmanagementsystem auch eine unabhängige Produktprüfung einzelner repräsentativer Produkte gefordert. Nach einigen negativen Erfahrungen mit Produkten aus dem Homecare-Bereich wurden die Anforderungen an die technische Sicherheit dieser Produkte durch eine stärkere Betonung einer laiengerechten Produktauslegung, die die Fähigkeiten der Patienten besser berücksichtigt, erhöht. Um den europäischen Medizinproduktemarkt weiter harmonisieren zu können, wurden Möglichkeiten zur rechtsverbindlichen Abgrenzung von Medizinprodukten zu anderen Produkten eingeführt. Diese Maßnahmen sind grundsätzlich geeignet, das Leistungs- und Sicherheitsniveau von Medizinprodukten weiter zu erhöhen. Eine unzumutbare Belastung der Hersteller ergibt sich hieraus nicht, da bei bisher korrekter Anwendung des geltenden Rechts und Beachtung der gebotenen Sorgfaltspflichten der Mehraufwand eine vertretbare Größenordnung nicht überschreiten dürfte. Nach diesen grundsätzlichen Anmerkungen zur Richtlinie möchte ich im Folgenden auf die zentralen Punkte des Gesetzentwurfs näher eingehen. Ein Kernelement des vorliegenden Gesetzentwurfes ist die umfängliche Umgestaltung der Bestimmungen zu klinischen Prüfungen von Medizinprodukten. Derzeit sind die Voraussetzungen für klinische Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten sehr unterschiedlich geregelt. Neben der im Gegensatz zu Arzneimitteln nichtstaatlichen Zulassung und der gleichzeitig weit verbreiteten Unkenntnis über die Rahmenbedingen des sogenannten New Approach sind auch die Unterschiede bei den klinischen Prüfungen der Grund für gewisse Vorbehalte hinsichtlich der Sicherheit von Medizinprodukten. Die bestehenden Unterschiede zwischen den klinischen Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten werden von etlichen Fachleuten als nicht gerechtfertigt angesehen. Die Änderungen der Grundlagen für klinische Prüfungen in der Richtlinie 2007/47/EG werden daher zum Anlass genommen, sich des Themas grundsätzlich anzunehmen und im Interesse der Patientensicherheit eine angemessene Angleichung an die Bestimmungen über klinische Prüfungen mit Arzneimitteln vorzunehmen: Zentrale Anlaufstelle wird das BfArM. Die Zuständigkeiten sollen künftig somit weitgehend zentralisiert werden. Voraussetzung für eine klinische Prüfung wird künftig eine Genehmigung durch das BfArM - innerhalb von 30 Tagen; ansonsten fiktive Genehmigung - sein. Verpflichtend soll künftig auch eine positive Zustimmung einer nach Landesrecht gebildeten und damit zuständigen Ethik-Kommission sein. Die Aufgaben zwischen der Ethik-Kommission und dem BfArM werden klar getrennt. In der Medizinprodukte-Sicherheitsplan-Verordnung wird geregelt, dass das BfArM für die Bewertung von Meldungen über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse zuständig ist. Die Länder sollen weiterhin für die Überwachung der klinischen Prüfungen zuständig bleiben und werden deshalb vom BfArM unverzüglich über die genehmigten klinischen Prüfungen und die aufgetretenen schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse informiert. Insbesondere die Medizintechnikverbände haben sich gegen eine Genehmigungspflicht positioniert. Im Gesetzgebungsverfahren ist aus meiner Sicht ein guter Kompromiss gefunden worden. So kann die zuständige Bundesoberbehörde bei klinischen Prüfungen von Medizinprodukten mit geringem Sicherheitsrisiko von dem generellen Genehmigungserfordernis absehen. Zu Protokoll gegebene Reden Hinsichtlich der Einstufung und Klassifizierung von Medizinprodukten wird in § 13 Abs. 2 vorgesehen, dass bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Hersteller und einer benannten Stelle das BfArM die Angelegenheit abschließend entscheiden soll. Auf diese Weise können zentrale Entscheidungen bundeseinheitlich implementiert werden. Dies bedeutet eine wesentliche Erleichterung für Hersteller, aber auch für das BMG, da es künftig einen einheitlichen deutschen Standpunkt gibt, was Diskussionen auf europäischer Ebene erheblich erleichtern wird. Die Überwachung der medizinprodukterechtlichen Vorschriften durch die Länder ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Umsetzung dieser Vorschriften. Der Erfahrungsbericht des BMG zur Aufbereitung von Medizinprodukten in Deutschland hat erneut gezeigt, dass bei der Überwachung noch Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern bestehen. Das betrifft sowohl die personelle Ausstattung als auch die fachliche Kompetenz des Überwachungspersonals. Um dem Ziel einer bundeseinheitlichen qualitätsgesicherten Überwachung einen entscheidenden Schritt näherkommen zu können, ist eine Ermächtigung zum Erlass einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift vorgesehen. Diese soll Vorschriften zur Qualitätssicherung, zur Sachkenntnis der mit der Überwachung beauftragten Personen, zur Ausstattung, zum Informationsaustausch und zur Zusammenarbeit der Behörden enthalten. Die erweiterte Ermächtigungsgrundlage ist eine Konsequenz aus dem bereits erwähnten Erfahrungsbericht des BMG zur Aufbereitung von Medizinprodukten in Deutschland, den wir im vergangenen Jahr dem Ausschuss zur Verfügung gestellt haben. Damit werden die Möglichkeiten für zusätzliche Anforderungen an die Aufbereitung von Medizinprodukten geschaffen. So sollen zum Beispiel an die Aufbereitung und die Aufbereiter von Medizinprodukten mit besonders hohen Anforderungen an die Aufbereitung zusätzliche Anforderungen gestellt werden können. Dazu gehört eine Zertifizierungspflicht für bestimmte Aufbereiter. Ausgehend davon sind auch Anforderungen an die Zertifizierung von Aufbereitern und Anforderungen an die Konformitätsbewertungsstellen, die von der zuständigen Behörde anerkannt werden, in das Medizinprodukterecht aufzunehmen. Verschiedene In-vitro-Diagnostika werden zur Eigenanwendung als Heimtest angeboten, zum Beispiel Tests zur Blutzuckerbestimmung, Quick-Tests ({0}) etc. Dieser Trend hat sich in letzter Zeit verstärkt. In einigen europäischen Mitgliedstaaten sowie im Internet werden mittlerweile auch HIV-Tests für Laien angeboten. Einige Hersteller beabsichtigen, solche Tests auch auf den ökonomisch interessanten deutschen Markt zu bringen. Medizinisch nicht ausgebildete Laien verfügen aber in der Regel nicht über die notwendigen Fachkenntnisse, um die Aussagekraft der Resultate dieser Testverfahren richtig interpretieren zu können. Deshalb sollen In-vitro-Diagnostika zur Erkennung von HIV-Infektionen künftig nur an Ärzte, ambulante und stationäre Einrichtungen im Gesundheitswesen, an die Aids-Hilfe und Gesundheitsbehörden zur Anwendung abgegeben werden dürfen. Voraussetzung: Eine ärztliche Beratung muss sichergestellt sein. Apotheken und Großhandel sind in den Versorgungsweg einbezogen. Die Regelung ist auf drei Jahre befristet, um im Lichte der Erfahrungen eine eventuell zu modifizierende Anschlussregelung vorlegen zu können. Insgesamt werden wir heute ein sehr gutes Gesamtpaket zum Medizinproduktebereich beschließen, das sowohl den Anspruch der Patienten an sichere Medizinprodukte zufriedenstellt als auch die berechtigten Interessen der Medizintechnikindustrie beachtet.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13211, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/12258 und 16/12676 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der zweiten Lesung angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ökologische Konsumentenverantwortung statt Produktlenkung durch den Staat - Europäische Ökodesign-Richtlinie grundsätzlich überarbeiten - Drucksachen 16/11912, 16/12739 Berichterstattung: Abgeordnete Ulla Lötzer Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer, Rolf Hempelmann, Horst Meierhofer, Dr. Herbert Schui und Sylvia Kotting-Uhl haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei allem Streit über die richtige Politik, in einem herrscht in diesem Haus Einigkeit: Nur mit einer bezahlbaren, sicheren und umweltfreundlichen Energieversorgung können wir unseren Lebensstandard in Deutschland halten. Jedoch sehen wir uns hier gewaltigen Herausforderungen gegenüber: Klimawandel, steigende EnergieDr. Joachim Pfeiffer preise, begrenzte fossile Reserven und wachsende Importabhängigkeit von politisch instabilen Regionen und unzuverlässigen Partnerländern; um nur einige zu nennen. Die Lösung für diese Herausforderungen beruht aus meiner Sicht auf drei zentralen Elementen: Energie muss effizienter genutzt werden als heute, CO2-freie und moderne einheimische Energieträger müssen vorangebracht und der Wettbewerb muss weiter gestärkt werden. Denn nur der Markt liefert die kreativsten und innovativsten Produkte zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Manchmal muss die Politik den Markt jedoch durch entsprechende Rahmenbedingungen in eine gewisse Richtung lenken. Das ist bei der Energieeffizienz der Fall. Energieeffiziente Produkte sind normalerweise in der Anschaffung teurer, amortisieren sich jedoch im Laufe der Zeit aufgrund der Energieeinsparungen. Insgesamt gesehen sind energieeffiziente Produkte für den Kunden also günstiger. Leider ist es so, dass die meisten Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung die Lebenszykluskosten eines Produktes nicht einbeziehen und zu den billigsten Produkten greifen. Deshalb muss der Gesetzgeber hier entsprechende Rahmenbedingungen für den Markt setzen. Am Ende nutzt dieser Weg den Verbrauchern und dem Klima. Da zu Zeiten einer globalisierten Welt solche Maßnahmen nur auf internationaler Ebene sinn- und wirkungsvoll sind, hat die EU die Ökodesign-Richtlinie geschaffen. Mit dem Vorschlag zur Neufassung der ÖkodesignRichtlinie, der am 24. April 2009 vom Europäischen Parlament angenommen wurde, hat die Kommission nun den Rechtsrahmen auf alle energieverbrauchsrelevanten Produkte ausgeweitet. Bislang beschränkten sich die Ökodesign-Anforderungen auf energiebetriebene Produkte wie etwa Heizkessel, Wasserbereiter, Computer, Fernsehgeräte oder Industrieventilatoren. Auf energiebetriebene Produkte entfällt ein großer Teil des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen und Energie in der EU. Sie haben auch eine Reihe weiterer wichtiger Umweltauswirkungen. Bei den meisten in der EU auf dem Markt befindlichen Produktarten sind bei ähnlicher Funktion und Leistung sehr unterschiedliche Umweltauswirkungen zu beobachten. Jetzt haben Vertreter des Europäischen Parlaments und des Umweltministerrats einen Kompromiss für die Ausgestaltung der neuen EU-Ökodesign-Richtlinie gefunden. Es wurden Mindeststandards für die Effizienz neuer Produktgruppen, darunter zum Beispiel Fenster, Bau- und Dämmmaterialien, für den Fall festgelegt, dass die Industrie keine freiwilligen Maßnahmen ergreift. Mit der Ausweitung auf diese neuen Produkte bleibt die EUÖkodesign-Richtlinie nicht mehr länger nur auf energieverbrauchende Produkte beschränkt, sondern erweitert ihren Anwendungsbereich auch auf Produkte, mit denen der Energieverbrauch gesenkt werden kann. Zum Beispiel verbrauchen sparsame Wasserhähne und Duschköpfe nicht nur weniger Wasser, sondern auch weniger Energie bei der Warmwasserbereitung. Der Benutzungskomfort wird dadurch nicht beeinträchtigt. So wird beispielsweise geschätzt, dass in Europa bis 2020 zusätzliche Energieeinsparungen von 55 000 GWh - was 27 Millionen Tonnen CO2 bzw. der Leistung von zwei bis drei Kernkraftwerken entspricht - erzielen ließen, wenn 30 Prozent der in Gebäuden vorhandenen Einfachverglasungen durch Doppelscheiben ersetzt werden würden. Die Neufassung der Richtlinie soll insbesondere die Energieeffizienz verbessern und somit einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Zielvorgaben für Treibhausgasemissionen in der EU leisten. Die Elektrizitätsnachfrage ist die am schnellsten wachsende Kategorie des Endenergieverbrauchs und wird Prognosen zufolge in den nächsten 20 bis 30 Jahren weiter steigen, sofern die Politik nicht gegensteuert. Um eine breitflächige Markteinführung energieeffizienter Produkte zu beflügeln, brauchen wir auf der einen Seite anspruchsvolle Standards und auf der anderen Seite eine verbraucherfreundliche und transparente Verbrauchskennzeichnung der Produkte. Hier müssen wir darauf achten, dass nicht - wie oft versucht - ordnungsrechtlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Zu viel Bürokratie und globale wie europaweite Wettbewerbsverzerrungen müssen vermieden werden. Energieeinsparungen sind darüber hinaus die kostengünstigste Art, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. Bis zum Jahr 2020 strebt die Bundesregierung deshalb das Ziel an, die gesamtwirtschaftliche Energieproduktivität gegenüber dem Jahr 1990 zu verdoppeln. Dies bedeutet, dass im Jahr 2020 pro Einheit Bruttosozialprodukt nur halb so viel Energie verbraucht werden soll wie im Jahr 1990. Ein Patentrezept zur nachhaltigen Unterstützung von Energieeinsparung und Energieeffizienz gibt es nicht. Das ist schon allein deshalb so, weil die Vermeidung zusätzlicher Bürokratien und unverhältnismäßiger staatlicher Eingriffe einen hohen wirtschaftspolitischen Stellenwert hat. Wie viele Beispiele insbesondere aus der deutschen Industrie zeigen, sind diejenigen Maßnahmen für Energieeinsparung und Energieeffizienz die wirksamsten, die sich aufgrund der Preis- und Kostenrelationen über die Märkte selbst durchsetzen. Somit gilt es, staatliche Initiativen und Aktivitäten auf solche Bereiche zu konzentrieren, in denen wirtschaftlich rentable und somit für die Volkswirtschaft an sich nützliche Energieeinsparmaßnahmen deshalb nicht ergriffen werden, weil es beispielsweise an Informationen oder direkten Anreizen mangelt oder die Transaktionskosten zu hoch sind. Die Neufassung der Ökodesign-Richtlinie und deren Umsetzung in nationales Recht sind wichtige Schritte, um beim Thema „Energieeffizienz bei energieverbrauchsrelevanten Produkten“ voranzukommen. Dies dient als Rechtsrahmen und gewährleistet europaweit einheitliche Verfahren. Details zu den einzelnen Produktgruppen werden noch in Verordnungen erarbeitet. Hier kommt es auf die Spezifika des Produktes an, ob wir etwa den Top-Runner-Ansatz wählen oder weitergehende Ver- und Gebote erlassen. Im engen Dialog mit der Industrie müssen und werden wir dafür sorgen, dass dieses Gesetz eine Winwin-Situation für alle schafft: für das Klima, da weniger Ressourcen verbraucht werden, und für die Industrie Zu Protokoll gegebene Reden selbst, die mit innovativen Produkten erst den europäischen und im weiteren Schritt auch den internationalen Markt bedienen kann. Dazu binden wir die betroffene Industrie bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht eng ein. Dem liegt vor allem die Erwägung zugrunde, dass ein „Level Playing Field“ geschaffen werden muss, in dem die gleichen Maßstäbe auch für Importwaren gelten. Denn produktbezogene Effizienzstandards werden derzeit in allen Teilen der Welt erarbeitet, von Nordamerika über Australien bis China und Japan. Die Industrie hat daher ein erhebliches Bedürfnis daran, dass der europäische Binnenmarkt nicht zum Absatzplatz für ineffiziente billige Technologien, vor allem aus Fernost, wird. Die FDP möchte hier durch die Abschaffung bzw. grundlegende Revidierung der Ökodesign-Richtlinie das Rad der Zeit wieder zurückdrehen und damit verhindern, dass die europäischen Unternehmen auch in Zukunft auf einem von Wettbewerb geprägten internationalen Markt bestehen können. Daher lehnt die Unionsfraktion den Antrag der FDP ab.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die FDP-Fraktion fordert im vorliegenden Antrag, die Ökodesign-Richtlinie zurückzunehmen oder zumindest grundlegend zu revidieren. Um eines gleich vorwegzunehmen: Die SPD-Bundestagsfraktion wird diesem Anliegen auf keinen Fall zustimmen. Die 2005 in Kraft getretene Ökodesign-Richtlinie ist ein Erfolgsmodell und beginnt erst jetzt, ihre volle Wirkung zu entfalten. Die Richtlinie selbst setzt nur den Rahmen für darauf aufsetzende Durchführungsverordnungen mit Mindeststandards für energiebetriebene Produkte, die nun Stück für Stück erarbeitet werden. Für jede Produktgruppe werden in einem umfangreichen Verfahren Mindeststandards vorgeschlagen, mit den betroffenen Unternehmen diskutiert und schließlich verabschiedet. Im Rahmen dieses Prozesses wird nicht nur Wert gelegt auf Energieeffizienz, sondern auch auf eine umweltfreundliche und recyclinggerechte Gestaltung der Produkte. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie fordern, die ökologische Produktverantwortung nicht länger einseitig als Produzentenverantwortung zu verstehen, sondern den Verbraucher als Nutzer stärker in den Vordergrund zu stellen. Ich frage Sie, wer, wenn nicht der Hersteller hat in erster Linie eine Verantwortung für seine Produkte? Selbstverständlich ist neben dem Produzenten auch der Kunde als Nutzer eines Produkts in der Verantwortung. Dieser weiß aber oft gar nichts über die Zusammensetzung und Umweltfreundlichkeit seines Produkts und darüber hinaus möglicherweise nicht einmal etwas über dessen Energieverbrauch. Im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie werden Mindeststandards erlassen, an die sich nicht nur alle europäischen Hersteller zu halten haben, sondern auch außereuropäische Hersteller, sofern sie Produkte in die EU liefern. Vor diesem Hintergrund würden wir mit einer Abschaffung der Ökodesign-Richtlinie nicht nur den Kunden einen Bärendienst erweisen, die bei immer mehr energieverbrauchenden Produkten von ökologischen und energetischen Mindeststandards sowie einer EU-weit einheitlichen Energieverbrauchskennzeichnung profitieren, sondern auch keinen einzigen Schritt hin zu mehr Wettbewerb tun. Ganz im Gegenteil: Umweltfreundliche und energiesparende Produkte haben bei absehbar steigenden Energiepreisen sowie vor dem Hintergrund eines ehrgeizigen Klimaschutzes eindeutige Wettbewerbsvorteile. Sie sind schon heute Exportschlager und werden dies in Zukunft noch viel mehr sein. Deutsche Hersteller stehen hierbei an vorderster Front. Der Deutsche Bundestag hat sich auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion bereits mehrfach für die Einführung eines europäischen Top-Runner-Programms ausgesprochen. Mittlerweile bestätigen uns die Experten der Bundesregierung sowie von Verbraucherschutz- und Umweltverbänden, dass der europäische Ansatz mit der ÖkodesignRichtlinie dem japanischen Top-Runner-Ansatz gleichwertig, wenn nicht sogar überlegen ist. Der Top-Runner-Ansatz bezieht sich lediglich auf Energieeffizienz der jeweiligen Produkte bzw. Produktkategorien und erklärt das jeweils beste Produkt einer Kategorie zum Standard, der innerhalb einer vorgegebenen Frist von allen Herstellern zu erreichen ist. Die Sanktion bleibt mit der öffentlichen Nennung der Unternehmen, die die Vorgaben verfehlen, für europäische Verhältnisse allerdings recht mild. Der europäische Ansatz ist dagegen deutlich breiter sowie mehrschichtig aufgebaut. Durch die ÖkodesignRichtlinie sowie die Durchführungsverordnungen werden klare Mindestanforderungen an Umwelteigenschaften und Energieverbrauch gestellt. Es gibt - anders als in Japan - eine untere Abschneidegrenze. Geräte, die diese Mindestanforderungen nicht erreichen, dürfen in der EU gar nicht auf den Markt gebracht werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit für nationale Labels wie beispielsweise den Blauen Engel oder Ecotopten-Auszeichnungen. Als drittes Kriterium kommt dann noch die europaweit einheitliche Energieverbrauchskennzeichnung der jeweiligen Produktgruppen hinzu, die die nötige Transparenz für die Kunden schafft. Für eine bessere Transparenz und Verbraucherinformation ist eine eindeutige und informative Kennzeichnung - insbesondere im Hinblick auf den Energieverbrauch - erforderlich. Dies ist einer der wenigen Punkte, die wir im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie kritisieren. Die europäische Energieverbrauchskennzeichnung ist zwar dynamisch angelegt und wird - je nach Produktgruppe - alle drei bis fünf Jahre überprüft. Anstatt jedoch die bisherige „A-G-Klassifizierung“ anzupassen, an die sich die Verbraucher EU-weit in den letzten Jahren gewöhnt haben, werden nun neue Klassen wie beispielsweise „A-20%“ und „A-40%“ bei Haushaltsgeräten eingeführt. Zu allem Überfluss wird es zukünftig bei verschiedenen Produktgruppen verschiedene Klassifizierungen geben. So kann der effizienteste Kühlschrank zukünftig bei „A-40%“ liegen, der effizienteste Trockner aber vielleicht nur bei „A-20%“. Das ist nicht gerade hilfreich, aber leider dem europäischen Kompromiss geschuldet. Hier besteht sicher weiterer Handlungsbedarf Zu Protokoll gegebene Reden auf EU-Ebene, ohne dass dies jedoch ein Grund wäre, den gesamten Ansatz infrage zu stellen. Besonders wichtig ist die Dynamisierung der Verbrauchskennzeichnung. Wenn - wie heute in Deutschland zu beobachten - über 90 Prozent der Kühl- und Gefrierschränke die Energieeffizienzklasse „A“ erreichen, zeigt dies zwar den Fortschritt, den die Hersteller in den vergangenen Jahren in Sachen Energieeffizienz erreicht haben. Die energieeffizientesten Produkte sind jedoch schwerer erkennbar. Daher ist es gut, dass die Mindeststandards in klar definierten Zeitabständen überarbeitet werden. Die FDP-Fraktion übt besondere Kritik an der Überarbeitung der Ökodesign-Richtlinie. Die EU-Kommission hat im Juli 2008 einen Vorschlag vorgelegt, den Geltungsbereich der Richtlinie neben energiebetriebenen Produkten auch auf weitere energieverbrauchsrelevante Produkte auszuweiten, die „erhebliche Umweltauswirkungen“ sowie „erhebliches Potenzial für eine Verbesserung seiner Umweltverträglichkeit ohne übermäßig hohe Kosten“ haben müssen. Diese Erweiterung wird von der SPD-Bundestagsfraktion begrüßt. Wie bereits erwähnt werden im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie Mindeststandards im Hinblick auf Umwelteigenschaften und Energieeffizienz gesetzt. Gerade wegen der seit jeher hohen deutschen Umwelt- und Energieeffizienzstandards sollte deutschen Herstellern dieser Produkte - von Fenstern über Dämmstoffen bis hin zu Klima- und Lüftungsanlagen - vor der Erweiterung der Richtlinie nicht bange sein. Sie müsste - ganz im Gegenteil - den meisten Herstellern als willkommene Absatzförderung sogar sehr entgegenkommen. Aus all diesen Gründen lehnen wir den vorliegenden Antrag der FDPFraktion ab.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ökodesign-Richtlinie heißt das europäische Regelwerk, das für die Glühbirne nun sukzessive das „Aus“ bedeuten wird. Doch nicht nur die Glühbirne ist von diesen neuen Ökodesignanforderungen betroffen, sondern alle sogenannten energieverbrauchsrelevanten Produkte wie Kühlschränke, Klimaanlagen, Staubsauger, Fernseher, Straßenbeleuchtung oder auch PCs. Das Ziel: die Verringerung des Stromverbrauchs und so letztendlich ein Beitrag zum Klimaschutz. Dass wir von der Richtlinie nicht viel halten, macht unser Antrag, denke ich, mehr als genug deutlich. Und nicht nur wir sehen das so. Ottmar Edenhofer - offensichtlich unverdächtig, gegen den Klimaschutz zu sein - sagt - ich zitiere -: Das Verbot der Glühbirne ist blinder Aktionismus und zeugt von einer Regulierungswut, die der Klimapolitik kaum hilft, denn es geht jetzt nicht darum, den Bürgern etwas zu verbieten, sondern nach Möglichkeit den Bürgern Anreize zu schaffen, die sie dafür belohnen, wenn sie herausfinden, wo man am günstigsten und billigsten CO2 vermeidet. Recht hat er. Irritiert hat mich darüber hinaus, dass die Idee für diese Richtlinie diesmal angeblich nicht aus der so viel gescholtenen, weil regulierungswütigen Kommission kommt, sondern von der deutschen Bundesregierung. Praktisch, wenn man nicht selbst als Sündenbock herhalten muss, sondern Europa das übernimmt! Keine Frage, das Ziel, den individuellen Energieverbrauch zu optimieren und der Energieverschwendung entgegenzuwirken, ist sinnvoll. Aber: Eine konkrete Produktlenkung durch den Staat, wie das beim Glühbirnenverbot der Fall ist, halten wir Liberale sowohl ordnungspolitisch als auch ökologisch für falsch. Wir Liberale sind der Meinung, effizienter Energieverbrauch und der sparsame Umgang mit Ressourcen sind eher als Ergebnis privater Entscheidungen zu erwarten als durch hoheitliche Vorschriften. Und ich freue mich, dass Professor Edenhofer das genauso sieht. Anstatt mit Verboten wild um sich zu schlagen, kommt es uns deshalb insbesondere darauf an, dass die Verbraucher wissen, welche ökologischen Folgen ihr Handeln haben kann. Nur so können mündige Bürger letzten Endes auch souverän entscheiden. In unserem Antrag haben wir das als ökologische Konsumentenverantwortung bezeichnet. Auf das Glühbirnenbeispiel bezogen bedeutet das: Dem mündigen Bürger wäre es freigestellt, überall dort, wo das Licht nur kurz brennt, bei der guten alten Glühbirne zu bleiben und auf die Energiesparlampe, die noch nicht mal richtig hell ist, bevor man sie schon wieder ausschaltet, zu verzichten. Darüber hinaus lohnt sich gerade bei der so hochgelobten Energiesparlampe auch mal ein Blick auf die Gesamtökobilanz; denn Energiesparlampen verbrauchen zwar wenig Strom, sind aber quecksilberhaltig. Sie im normalen Hausmüll zu entsorgen, wäre für die Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes Gift. Abgesehen davon, dass wahrscheinlich doch die eine oder andere Energiesparlampe im Restmüll landen wird, hat dies zur Konsequenz, dass die ausrangierten Lampen zum Recyclinghof gebracht werden müssen - und das vielerorts mit dem Auto. In unserem Antrag fordern wir deshalb auch, nicht ausschließlich oder einseitig an Produkteigenschaften anzusetzen, sondern auch die Einsatz- und Gebrauchsbedingungen im Auge zu behalten - im Rahmen der ökologischen Konsumentenverantwortung, versteht sich. Letzter Punkt: die ökologische Sinnlosigkeit des Glühbirnenverbots. Denn - so unbequem dies für den einen oder anderen ist: Trotz des Glühbirnenverbots wird sich an der Menge des ausgestoßenen CO2 erst einmal gar nichts ändern. Die Ursache hierfür liegt im europäischen Emissionshandelssystem, das für jede Handelsperiode eine Obergrenze für die CO2-Emissionen festlegt. Wird durch das Glühbirnenverbot weniger Strom nachgefragt, benötigen auch die Stromproduzenten weniger Emissionszertifikate, und die so frei werdenden Zertifikate können verkauft werden. Die Emissionsreduktion, die bei den Kraftwerken erfolgt, würde also lediglich dazu führen, dass an anderer Stelle - vor allem in der Industrie mehr CO2 emittiert werden könnte. Und auch die Befürchtung, dass aufgrund der frei werdenden Emissionszertifikate die Zertifikatpreise nach unten gehen, halte ich Zu Protokoll gegebene Reden nicht für unbegründet. Und auch das wäre der Umwelt ganz sicher nicht zuträglich. Ich fordere Sie deshalb auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Europäische Parlament will eine Grundlage dafür schaffen, dass energieverbrauchsrelevante Produkte ökologischen Mindestanforderungen genügen müssen, zum Beispiel Glühlampen. Die FDP sieht dadurch alles bedroht, was ihr lieb und teuer ist, nämlich - Zitat „Freiheit, Lebensqualität und Wohlstand“ sowie „Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft.“ Nun gibt die FDP in ihrer Antragsbegründung zu, dass staatliche Vorschriften geboten sein können, wenn von Produkt oder Produktion eine schädliche Wirkung ausgehen kann. Sie stellt dann jedoch klar, dass der bloße Verbrauch von Ressourcen für sie noch kein Schaden ist. Allerdings gibt auch die FDP zu: Mit den Ressourcen muss sparsam umgegangen werden. Dies soll - wie kann es bei einem Antrag der FDP anders sein - über den Marktmechanismus, als Ergebnis privater Entscheidungen, sichergestellt werden. Die FDP nennt dafür zwei Bedingungen. Erstens müssen die Preise vom Staat so korrigiert werden, dass sie die Umweltschäden berücksichtigen. Zweitens müssen die Produkte eindeutig und informativ gekennzeichnet werden, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was sie kaufen. Man kann sich leicht klarmachen, dass diese Bedingungen nicht erfüllt werden können. Es spricht zwar nichts dagegen, die Kennzeichnungspflicht für Produkte auszuweiten. Es ist jedoch nicht möglich, alle wesentlichen Informationen über Schadstoffe, Energieverbrauch, Arbeitsbedingungen usw. bei Produkt, Produktionsverfahren, Zulieferern und Zuliefern von Zulieferern durch Kennzeichnung transparent zu machen. Unmöglich ist es auch, den gesellschaftlichen Schaden exakt zu beziffern und einzupreisen. Zunächst können nicht alle Schäden sinnvoll in Geldeinheiten ausgedrückt werden. Zweitens treten viele Schäden weit in der Zukunft ein und können nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden. Drittens wirken die Schadstoffe nicht isoliert, sondern in Kombination. Es ist daher nicht möglich, den Schaden eindeutig einzelnen Produkten zuzuordnen. Wie viel Schaden eine Tonne Kohlendioxid in der Atmosphäre verursacht, hängt davon ab, wie viel Kohlendioxid insgesamt emittiert wurde. Aber sehen wir von diesen Problemen ab und nehmen für einen Augenblick an, die FDP würde es ernst meinen. Sie müsste dann fordern, dass die ökologischen Kosten über eine Steuer auf den Produktpreis aufgeschlagen werden. Da sich aber die FDP als Steuersenkungspartei versteht, kann sie die Frage so nicht anpacken. Deshalb die vage Formulierung, die Preise müssten durch hoheitlichen Eingriff korrigiert werden. Überschlagen wir die Größenordnung. Der allseits anerkannte Ökonom Nicolas Stern hat bekanntermaßen die Kosten des Klimawandels auf 5 bis 20 Prozent des Weltbruttoinlandsproduktes geschätzt. Nehmen wir an, der Preismechanismus wirkt, wie dies die Parteigänger dieses Steuerungsinstruments erwarten, und der Schaden bleibt bei dem niedrigen Wert von 5 Prozent. Sehen wir auch davon ab, dass Industrieländer wie Deutschland überdurchschnittlich zur bisherigen weltweiten Umweltzerstörung beigetragen haben. Dann müsste die FDP also die Einführung einer Ökosteuer in einem Volumen von 5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes, also in Höhe von 125 Milliarden Euro fordern. Das entspricht in etwa einer Verdopplung der Mehrwertsteuer. Sicherlich fordert die FDP in ihrem Antrag keine konkreten Schritte in Richtung auf eine solche Ökosteuer. Er enthält auch keine konkreten Vorschläge zur umfangreichen Kennzeichnung von Produkten. Die FDP will diese Ansätze gar nicht ernsthaft verfolgen. Sie will nur die bescheidenen Schritte in Richtung einer verpflichtenden ökologischen Produktgestaltung verhindern. Deshalb endet der Antrag auch mit der Feststellung, dass die Unternehmen ja schon seit langem auf freiwilliger Basis Umweltmanagementsysteme anwenden und Verbraucher informieren. Im Prinzip soll es also weitergehen wie bisher. Es dürfte klar sein, dass so der Klimawandel nicht aufgehalten werden kann. Dafür bietet die FDP zwar keine Lösung, aber einen Schuldigen. Verantwortlich für Umweltschutz sind für sie letztlich nicht die Unternehmen oder die Politik, die sie gewähren lässt, sondern die Verbraucher.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ökologische Konsumentenverantwortung statt Produktlenkung durch den Staat: Schön wäre es, wenn alleine dies uns vor der Klimakatastrophe bewahren könnte. Konsumentenverantwortung - und sei sie auch ökologisch - ist leider kein Allheilmittel. Wir haben nur eine Welt! Würden alle Menschen so leben wie wir Europäer, bräuchten wir 2,6 Erden. Da hilft es nicht, mit dem Finger auf die USA und Kanada zu zeigen, die mit fünf Erden noch mehr „Umwelt pro Kopf“ verbrauchen. Es geht nicht an, dass alle Parteien sich an der Formulierung von zu erreichenden Umweltzielen beteiligen, kaum dass es aber um konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele geht, ein vermeintlicher „Verlust an Freiheit“ als unzumutbar konstatiert wird und das heutige Besitzstandswahren die Oberhand gewinnt. Der Klimawandel zwingt uns, unseren ökologischen Fußabdruck und den ökologischen Rucksack von unseren Produkten ehrlich zu betrachten. So hinterlassen einige von uns verwandte Rohstoffe, wie zum Beispiel Uran, aber auch bestimmte strategisch bedeutsame Metalle, die für unsere Alltagstechnologie unverzichtbar sind, einen Pfad der Zerstörung. Der ökologische Rucksack wiegt umso schwerer, je nachdem, unter welchen ökologischen Bedingen die Rohstoffgewinnung und die Produktion stattfindet. Verbraucherschutz heißt auch, dass Verbraucher nicht bei jedem Produkt wirklich im Detail nachforschen müssen, ob sie sich wegen unmenschlicher Lebensumstände der an der Produktion der Ware beteiligten Menschen und Zu Protokoll gegebene Reden Umweltzerstörung mit ihrem Konsum schuldig machen. Das geht nur, indem solche Produkte, respektive der Verkauf im europäischen Binnenmarkt verboten werden. Was wir vom Coltanabbau für Handys im Kongo wissen oder auch von der Gold- und Diamantengewinnung, ist erschütternd. Nun kann weder der Hersteller und noch weniger der Endkonsument die Herkunft und Verarbeitungswege der verwendeten Rohstoffe sicherstellen. Das macht auch die Zertifizierung und Kennzeichnung so schwierig. Versuche mit dem spezifischen Fingerabdruck von Edelmetallen, der ihre Herkunft eingrenzt, laufen zum Beispiel in Ruanda als deutsch finanziertes Modellprojekt. Bisherige Erfahrungen mit Zertifizierung und Kennzeichnung zeigen, dass Kennzeichnung zwar unterstützend wirken kann, für eine Problemlösung aber nicht mal in Ansätzen ausreicht. Was im zur Beratung stehenden Antrag sehr richtig gefordert wird, ist die Internalisierung externer Umweltkosten. Auch ich als Bündnisgrüne verfechte die ökologische Lenkung mittels wirksamer Marktmechanismen über den Preis. Zweck der in diese Richtung weisenden, von uns propagierten Konzepte zu Ökosteuer, Lenkungsabgabe und Ressourcenbonus ist es, die Umweltkosten jeweils in das Produkt zu bringen, anstatt, wie leider allzu oft üblich, die Gewinne bei den Herstellern zu lassen, die Umweltkosten aber der Allgemeinheit, in Deutschland also dem deutschen Steuerzahler anzulasten. Als Beispiel fallen mir dafür unweigerlich die Energiekonzerne mit Abwälzung der Risiken und Langzeitfolgen ({0}) auf den Steuerzahler und nachfolgende Generationen ein. Dass Preise die ökologische Wahrheit sagen sollten, ist eine jahrzehntealte Forderung der Grünen. Gerade die Erfahrungen mit Richtlinien und Verordnungen zur Herstellerverantwortung auf EU-Ebene zeigen uns aber auch, wie wichtig und wirkungsvoll ordnungsrechtliche Maßnahmen sind. Ein Gebot der Mindesteffizienz oder der Verzicht auf besonders gefährliche Inhaltsstoffe allein im Binnenmarkt der EU hat vielfach sofort weltweite Wirkung gezeigt - wie bei den gefährlichen Stoffen in Elektrogeräten in der RoHS-Richtlinie. Stellt man den Gesundheitsschutz oder die Umweltvorsorge in den Mittelpunkt der Hersteller- und Konsumentenverantwortung, lässt sich daher auf ordnungsrechtliche Maßnahmen nicht verzichten. Sich auf „ökologische Konsumentenverantwortung“ zu berufen, aber nur „Herstellerfreiheit“ zu meinen, findet jedenfalls nicht unsere Zustimmung und ist den Herausforderungen des Klimawandels in keiner Weise angemessen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit kommen wir auch hier zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12739, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11912 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion. Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 31: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Agrarwissenschaften in Deutschland auf neue Anforderungen ausrichten - Drucksache 16/12998 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Auch hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben: Dr. Hans-Heinrich Jordan, Dr. Wilhelm Priesmeier, Dr. Christel HappachKasan, Dr. Kirsten Tackmann und Cornelia Behm.

Dr. Hans Heinrich Jordan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bildung, Wissenschaft und Forschung sind das Gebot der Stunde. Gerade in der schwierigen Wirtschaftssituation sichern sie Wohlstand. Sie sind die Basis, um wettbewerbsfähiger aus der Krise herauszukommen. Die CDU/CSU- und SPD-Bundestagsfraktionen haben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass ab dem Jahr 2009 jährlich 3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung investiert werden sollen. Andere europäische Staaten haben bereits heute ein BIP-Anteil an FuE von 3,5 Prozent und mehr. Allein die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung stiegen in dieser Legislaturperiode um 3 Milliarden Euro von 9 auf rund 12 Milliarden Euro. Im Rahmen des Konjunkturpakets II werden weitere 11 Milliarden Euro für Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation bereitgestellt. Für die Lösung der Welternährungsprobleme und im Kampf gegen den Klimawandel spielen die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Agrar- und Ernährungswissensforschung eine zentrale Rolle. Um Antworten auf die Probleme der Zukunft zu finden, sind neue Konzepte in der agrar- und ernährungswissenschaftlichen Forschung durch Bündelung und Vernetzung zu organisieren. Notwendige Maßnahmen sind in den zurückliegenden Jahren auf den Weg gebracht worden. Dies bezieht sich unter anderem auf die Neustrukturierung im Bereich der Ressortforschung des BMELV. Die Neustrukturierung bringt die Leistungskraft der Agrarforschung in Deutschland erheblich voran. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Agrarforschung in Deutschland. Als ein Beispiel des gesamten Maßnahmenkomplexes sei an dieser Stelle die Erweiterung der Forschungseinrichtung des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Insel Riems angeführt. Der Aufbruch der neu aufgestellten Ressortforschung ist in allen Einrichtungen zu spüren. Jetzt die notwendigen Standortverlagerungen, wie im Antrag der Linken gefordert, infrage zu stellen, wäre geradezu absurd, weil dadurch ihre Schlagkraft geschwächt würde, besonders dann, wenn die Stärkung der Agrarforschung als Schlüssel zur Lösung globaler Probleme erkannt worden ist. Die Vernetzung der Agrar- und Ernährungsforschung wird unter anderem durch den kürzlich entschiedenen Wettbewerb „Kompetenznetze der Agrar- und Ernährungsforschung“ gestärkt. Von bundesweit 27 eingereichten Strategiekonzepten sind in zwei Auswahlrunden die besten vier Agrarcluster unter Koordination der Universitäten Bonn, Kiel, Rostock und der Technischen Universität München ausgewählt worden. Darüber hinaus soll der deutsche Gartenbau durch Bündelung der wissenschaftlichen Kompetenzen unter Koordination der Universität Hannover unterstützt werden. Das Forschungsinformationssystem der Agrar- und Ernährungsforschung, FISA, wurde im März von Bund und Ländern eröffnet. Ich kann nur empfehlen, sich dort über Forschungsprojekte, Forschungsförderer und Forschungsinstitutionen im Agrar- und Ernährungsbereich in Deutschland zu informieren. Das FISA fördert die Vernetzung. Es wird die Effizienz der Forschung im Agrarund Ernährungsbereich weiter steigern. Mit dem Programm zur Innovationsförderung werden vom BMELV seit 2006 neue Technologien und Verfahren im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes unterstützt. Drahtlose Kommunikationssysteme für Landmaschinen, Unkrauterkennung zur gezielten Steuerung des Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, Züchtungsforschung für resistente Kulturpflanzen und leistungsfähige und gesunde Nutztiere sind nur einige Beispiele für eine Verbesserung der Nachhaltigkeit und die ressourcenschonende Steigerung der Produktivität. Ein weiteres Beispiel ist die Pflanzenbiotechnologie. Mithilfe der Genomforschung, der Systembiologie und der biologischen Sicherheitsforschung werden alle zur Verfügung stehenden technischen Optionen zur Pflanzenproduktion und -nutzung untersucht und entwickelt. Dabei wird auch der öffentliche Dialog über die Chancen geführt, die die moderne Biotechnologie eröffnet. Dazu zählt beispielsweise die Ertragssteigerung und die Erzeugung neuer Inhaltsstoffe bei der Pflanzenzüchtung oder die notwendige Anpassung von Nutzpflanzen an den Klimawandel. Im Rahmen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, GWK, pflegen die Bundes- und Länderressorts für Forschung und Landwirtschaft eine enge Zusammenarbeit und bilden eine Koordinierungsplattform. Das sind nur einige Beispiele, die neben der Vernetzung und Exzellenzsteigerung, einer höheren Attraktivität und der Förderung des agrarwissenschaftlichen Nachwuchses dienen. Insgesamt stiegen die Ausgaben des Bundes für die Agrar- und Ernährungsforschung von 2005 bis 2008 von etwa 155 Millionen Euro auf knapp 390 Millionen Euro; so der Bundesbericht Forschung und Innovation 2008. Dazu kommen noch teilweise Bundesmittel, zum Beispiel aus der Förderung der Biotechnologie und für die Nachhaltigkeit. Eine Bilanz, die sich in der Tat sehen lassen kann. Hieran sollten sich auch die anderen Verantwortlichen in den Ländern und in der Wirtschaft ein Vorbild nehmen. In der Forschung sind wir auf einem guten Weg, der mit gleicher Intensität fortzusetzen ist. Die universitäre Lehre ist frei. Eine Standardisierung der Lehrinhalte und Ausbildungsgänge ist kontraproduktiv und widerspricht dem Humboldt’schen Ideal von der universitären Freiheit von Forschung und Lehre. Mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen an deutschen Hochschulen ist bereits ein großer Teil der strukturellen Veränderung vollzogen. Studium und Ausbildung bedeuten heute häufig ein hohes Maß an Spezialisierung und Internationalisierung. Mit dem BolognaProzess wurden für Europa dazu die entscheidenden Grundsteine gelegt. Studenten haben nun die Möglichkeit, nach ihren Interessen an verschiedenen Hochschulen zu studieren. Die erworbenen Studienabschlüsse werden international anerkannt. Des Weiteren sind durch die Föderalismusreform I unter anderem die Rahmengesetzgebungskompetenzen des Bundes für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens entfallen, die in der Vergangenheit die Grundlage für die meisten Regelungen des Hochschulrahmengesetzes bildeten. Die im Antrag geforderte Vereinheitlichung von Ausbildungsgängen widerspricht eindeutig dem universitären Lehr- und Forschungsauftrag. Im Gegenteil: Die Lösung des Problems heißt Vielfalt. Im Gutachten des Wissenschaftsrates sind die Hochschulen aufgefordert worden, ihre bisherigen Lehr- und Forschungsstrukturen neu auszurichten. Gut ausgebildete Fachkräfte sind das Fundament einer innovativen Ernährungs- und Agrarwissenschaft. Ein weiterer Ausbau dieses wichtigen Forschungs- und Ausbildungsstranges ist ein Kernanliegen der CDU/CSUBundestagsfraktion. Denn die Herausforderungen lassen ein Ruhen unserer Bemühungen nicht zu. Innovationen sind die Grundlage einer zukunftsfähigen Entwicklung der Betriebe. Daher wird die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion in der nächsten Legislaturperiode eine breit angelegte Innovations- und Qualifizierungsoffensive für die Land- und Ernährungswirtschaft starten und die Vernetzung der Agrarforschung in Deutschland weiter stärken. Nur so können Land- und Ernährungswirtschaft die vielfältigen Anforderungen der Gesellschaft, vom qualitativ hochwertigen Angebot von Lebensmitteln und Rohstoffen bis zur Verbindung von effizienter Wirtschaftsweise mit Umwelt- und Naturschutz, wettbewerbsfähig leisten. Zudem müssen wir unserer internationalen Verantwortung gerecht werden mit Beiträgen zur Welternährung und zur nachhaltigen Entwicklung. Wir wollen, dass die deutsche Agrarforschung sowohl wissenschaftlich exzellent als auch praxisorientiert ist. Unverzichtbar ist eine hohe Ausbildungsqualität und -breite in ausreichender Kapazität für den wissenschaftlichen und praxisorientierten Führungsnachwuchs. Wir wollen die besten Köpfe auch für die Landwirtschaft gewinnen. Zu Protokoll gegebene Reden Dafür muss die Eigenständigkeit der Agrarwissenschaften erhalten werden. Sie müssen finanziell gestärkt, ihre Zusammenarbeit mit Industrie und Landwirtschaft gefördert und zukunftsfähige Strukturen geschaffen werden. Auch die Länder sind gefordert bei ihren Agrarfakultäten und Universitäts- und Fachhochschuleinrichtungen. Wir brauchen in allen Teilen Deutschlands regional verankerte und gleichzeitig überregionale, mit den außeruniversitären Forschungsinstituten sowie der Wirtschaft gut vernetzte Standorte. Ein beachtenswerter Ansatz ist das „Netzwerk Agrarwissenschaften Ostdeutschland“, das von den Agrarstandorten der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Rostock und der MartinLuther-Universität Halle gebildet wird. Voraussetzung für den Erfolg einer Innovationsoffensive Agrar sind innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und die breite Nutzung moderner Technologien einschließlich der Biotechnologie.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Fast 200 Jahre ist es her, dass Johann Heinrich von Thünen den Grundstein für die deutschen Agrarwissenschaften gelegt hat. Im Zuge dessen hat sich in Deutschland schrittweise eine breit gefächerte Agrarforschung entwickelt. Diese fußt mittlerweile auf vier Säulen: die unternehmenseigene Forschung, die Forschung an Fachhochschulen und Universitäten, die Forschung an diversen Landesforschungsinstituten und die bundeseigene Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Von dem, was dort im Einzelnen geleistet wird, konnte ich mich in Niedersachen während einiger persönlicher Besuche selbst überzeugen. Ich bin davon überzeugt, dass wir gut aufgestellt sind - und das nicht nur in meinem Bundesland. Die bayerischen Kollegen lobe ich nur ungern: Aber im Bereich der angewandten Agrarforschung haben sie sich ebenfalls sehr gut positioniert. Diese dezentrale Forschungsstruktur entspricht den Anforderungen in Deutschland mehr als zum Beispiel das Modell der Niederlande, wo die ganze Agrarforschung und -lehre auf den Standort Wageningen konzentriert wurde. Eine dezentrale Struktur birgt erfahrungsgemäß aber auch immer die Gefahr hoher Effizienzverluste, besonders dann, wenn die organisatorischen und finanziellen Verantwortlichkeiten auf verschiedene Ebenen verteilt sind. Das Charakteristikum agrarwissenschaftlicher Forschung ist die Problem- und Handlungsorientierung. Diese verlangt auch immer einen Standortbezug. Und dieser ist gerade in Deutschland gegeben, wo wir eine große Vielfalt an Standortbedingungen vorfinden. Dieser Standortbezug ist eng verbunden mit der Historie der Landnutzung in den jeweiligen Regionen Deutschlands. Wir schauen zurück auf eine sehr lange Brautradition einerseits und fast 2 000 Jahre Weinbautradition andererseits. Wir sehen eine obstbauliche Nutzung, die im Alten Lande bis zum Jahr 1321 zurückverfolgbar ist. Auf der Reichenau im Bodensee haben die Mönche bereits im 8. Jahrhundert Kräuter und Gewürze angebaut sowie Obstplantagen angelegt. Im Jahr 1747 entdeckte Andreas Sigismund Marggraf den Zucker in der Rübe. Seit 1774 hat sein Nachfolger die erste systematische Rübenzüchtung in Deutschland aufgebaut. Der historische Bezug zeigt sich an Standorten wie der Forschungsanstalt Geisenheim als eine der ältesten deutschen Forschungseinrichtungen für Weinbau, Önologie und Getränketechnologie oder auch an dem Institut für Zuckerrübenforschung an der Universität Göttingen als zentrale Forschungseinrichtung zur Entwicklung von Verfahren nachhaltiger Zuckerrübenproduktion in Deutschland. Insbesondere in den letzten fünf Jahrzehnten hat sich viel am Agrarforschungsstandort Deutschland getan. Wir haben in Deutschland die Forschung in der Breite ausgebaut und sind bis auf Molekularebene vorgedrungen, haben somit auch die Tiefe der Forschung ausgebaut. Dies ist ein Pfund, mit dem wir stärker wuchern müssen. Die inhaltlichen Herausforderungen im Agrar- und Ernährungsbereich haben sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert. Früher stand die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln im Fokus der Forschung im Pflanzenbau und in der Tierzucht. In den letzten beiden Jahrzehnten sind Aspekte der Produktqualität und -sicherheit von Lebensmitteln in den Vordergrund gerückt. Auch werden die Produktionsprozesse von Nahrungsmitteln in der Öffentlichkeit stärker hinterfragt. Für uns Sozialdemokraten sind Fragen nach der tiergerechten Ausgestaltung von Tierhaltungssystemen relevant. Wir wollen praxisreife Alternativvorschläge, wie wir die Haltungsbedingungen für unsere Nutztiere weiterentwickeln können. Auch muss die Forschung im ökologischen Landbau intensiviert werden; denn auch hier gibt es viele offene Fragen gerade im Bereich der Tierhaltung. Wir haben das große Thema Klimawandel auf der Agenda und benötigen Antworten auf die zunehmende Flächenkonkurrenz zwischen der Nahrungsmittelerzeugung und der Biomasseproduktion für energetische und stoffliche Zwecke. Gleichzeitig müssen wir mehr dafür tun, um die genetischen Ressourcen besser zu schützen und diese zu erhalten. Die Beforschung der oben genannten Aufgabenfelder hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die strukturelle Ausrichtung der Agrarforschung. Neue inhaltliche Herausforderungen ziehen zwangsläufig neue Strukturen nach sich, besonders dann, wenn wir perspektivisch nicht unbedingt mehr Geld für diesen Bereich zur Verfügung haben werden. Im Verantwortungsbereich des Bundes haben wir daher frühzeitig unsere Hausaufgaben gemacht. Die Koalition hat mit dem Gesetz zur Neuordnung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die organisatorischen Voraussetzungen für eine exzellente und effiziente Ressortforschung geschaffen. So kraftvoll, wie wir in der Koalition gemeinsam die notwendigen Strukturveränderungen angepackt haben, so sehr müssen wir nun auch an einigen Punkten die erforderlichen inhaltlichen Anpassungen angehen. Ein „Weiter so!“ in neuen Strukturen kann es nicht geben. Dafür sind die Herausforderungen zu groß. Daher appelliere ich an die Verantwortlichen im BMELV, endlich die Zu Protokoll gegebene Reden Voraussetzungen zu schaffen, dass die Ressortforschung in den Bereichen „Tierschutz“ und „artgerechte Haltungssysteme“ entsprechend finanziell ausgestattet wird. Der Ausbau des Forschungsstandortes Mariensee/Mecklenhorst ist seit vielen Jahren überfällig und wurde bisher unnötig behindert. Ich habe mit Freude vernommen, dass sich Staatssekretär Lindemann vor geraumer Zeit in Brüssel für ein europäisches Tierschutzforschungszentrum mit Sitz in Deutschland eingesetzt hat. Ich wiederhole an dieser Stelle, dass ich es für sehr sinnvoll halte, dieses Zentrum in Celle anzusiedeln. Wir sollten aber nicht darauf warten, bis die EU so weit ist. Die Aufwertung des Standortes Celle zu einem nationalen Tierschutzforschungszentrum ist überfällig. Liebe Kollegin Tackmann, auch ich halte viel davon, Strukturen turnusgemäß zu evaluieren. Aber in diesem Fall schießen sie mit Ihrer Forderung nach umfassender Evaluierung ein wenig über das Ziel hinaus. Diese Evaluierungen gibt es bereits und werden sowohl auf Länderals auch auf Bundesebene durchgeführt. Die Erkenntnislage ist klar, und entsprechend dieser haben wir auch gehandelt. Wir haben Ende 2007 den gesetzlichen Rahmen für die neuen Strukturen geschaffen. Nun müssen wir mal abwarten, wie sich die neuen Strukturen bewähren. Mir ist sehr an einer stärker interdisziplinär ausgerichteten Forschung gelegen, die die zunehmend komplexer werdenden Zusammenhänge in den einzelnen Wertschöpfungsketten der Nahrungsmittelproduktion und der nachwachsenden Rohstoffe besser erfassen und bewerten kann. Dafür brauchen die Forscher selbstverständlich auch Planungssicherheit für ihre Institute. Das müssen wir als Bundespolitiker durch kontinuierlich fortgeschriebene Forschungsprogramme gewährleisten. Die Koalitionsparteien haben die Bundesregierung im Herbst 2007 aufgefordert, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Exzellenz der Ressortforschung im Geschäftsbereich des BMELV weiter zu verbessern. Denn hier stehen wir natürlich auch im internationalen Wettbewerb. Zu den erforderlichen Maßnahmen zählen für mich insbesondere die Durchführung interner Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie die regelmäßige Durchführung externer Evaluationen. Gleichzeitig sollten wir verstärkt Zielvereinbarungen mit den Forschern schließen, wie dies internationaler Standard ist. Das Hauptaugenmerk - und da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Kollegin Tackmann - müssen wir auf die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern richten. Wir verbessern die Vernetzung der Ressortforschungseinrichtungen mit anderen Forschungseinrichtungen. Mit nationalen sowie internationalen Kooperationen wird für eine optimale Aufgabenerfüllung gesorgt. Die Verantwortlichen in den Bundesinstituten sind aufgefordert, bei der Stellenbesetzung und bei der Besetzung von Beiräten verstärkt international tätige Wissenschaftler zu berücksichtigen. Die Chancen für eine effizientere Agrarforschung in Deutschland liegen auch in der Schaffung regionaler bzw. fachlicher Netzwerke und Kooperationen. Das wird an einigen Standorten bereits äußerst erfolgreich praktiziert, muss an anderer Stelle aber noch ausgebaut werden. Wie Sie wissen, können wir vonseiten des Bundes gerne eine Vielzahl von Appellen an die Bundesländer richten. Ob die das dann immer umsetzen, daran habe ich meine Zweifel. Auch ich wünsche mir, dass die wissenschaftliche Lehre und die Ausbildung an Universitäten und Fachhochschulen verbessert und standardisiert werden. Wir sollen uns aber nur auf das beschränken, was wir direkt beeinflussen können. Die Länder müssen zukünftig stärker ihrer Verantwortung nachkommen. Forschungsschwerpunkte können und sollten nicht nur durch den Bund finanziert werden. Wenn die Leibniz-Universität Hannover ein neues Laborgebäude für die Forschung im Obstbau erhält, freue ich mich natürlich. Eine bessere Abstimmung und Koordination zwischen dem Bund und den Ländern wäre jedoch wünschenswert, damit wir noch effektiver forschen können. Zu ihrer Forderung nach einem Moratorium bei den Standortschließungen ist Folgendes zu sagen: In den Ressortforschungseinrichtungen im Verantwortungsbereich des BMELV sind insgesamt rund 2 700 wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Bedienstete beschäftigt. Die Bundesregierung wurde von den Koalitionsparteien bereits im Herbst 2007 aufgefordert, dass zusätzliche Einsparungen nicht zulasten der wissenschaftlichen Forschungsaktivitäten gehen dürfen, sondern zukünftig durch Effizienzsteigerung in der Verwaltung zu erbringen sind. Liebe Kollegin Tackmann, die Inhalte Ihres Antrages unterstütze ich bis auf Ihre Forderungen nach umfassender Evaluierung und einem Moratorium für Standortschließungen. Nur leider muss ich feststellen, dass Ihre Partei der aktuellen Diskussion um ein Jahr hinterherhinkt. Sie haben sich oft über die Große Koalition und ihre vermeintliche Trägheit beschwert. Im Bereich der Ressortforschung des BMELV haben wir unsere Hausaufgaben aber frühzeitig gemacht - und dies unter der Zielvorgabe, die Sie selber beschreiben: Schaffung einer effizienten deutschen Agrarforschung auf hohem internationalen Niveau! Heute kann ich Ihrem Antrag daher nicht zustimmen.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Neuordnung der Agrarressortforschung wurde im Oktober 2007 abgeschlossen. Dies war kein Gesellenstück des damaligen Ministers Horst Seehofer. Er hat vermutlich nicht einmal die Vorlagen gelesen. Es wurde damals eine bedeutende Chance vertan, Agrarwissenschaft und -forschung in Deutschland besser aufzustellen und für zukünftige Herausforderungen zu wappnen. Der Antrag der Linken heute ist da keine Hilfe. Schon 2007 war die Große Koalition nicht zu einer mutigen Reform in der Lage. Warum sollte sie es heute sein? Was also soll ein solcher Antrag? Er ist eine Fleißarbeit, gefällig geschrieben, der sich auf die Forderungen des Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2006 zwar beruft, sie sich aber nicht zu eigen macht. Die FDP lehnt den Antrag ab. Was soll die geforderte Bund-Länder-Koordinierungsund Beratungsinstitution? Ist sie die Einführung von Planwirtschaft in die Forschung? Das wollen wir nicht. Zu Protokoll gegebene Reden Der Wissenschaftsrat hat 2006 tief greifende Reformen der Agrarwissenschaften gefordert und die Bildung von Wissenschaftsclustern bei Einbindung verschiedener in einem Bereich tätiger Institute vorgeschlagen. Im Zuge der Neuordnung der Agrarressortforschung wäre die Bildung von Forschungsclustern vergleichsweise einfach gewesen. Doch die Bundesregierung hat die Vorschläge des Wissenschaftsrats in den Wind geschlagen und diese Chance vertan. Für die kommende Regierung wird es eine Herausforderung sein, auf die verunglückte Reform aufbauend bessere Strukturen zu schaffen. Nach Vorstellung der FDP darf Ressortforschung nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Zusammenhang mit den Universitäten, den Leibniz-, MaxPlanck-, und Fraunhofer-Instituten sowie den Instituten der Helmholtz-Gemeinschaft betrachtet werden. Dadurch können Synergieeffekte erzielt werden, und gleichzeitig wird die Arbeit der Ressortforschung genau wie die an Universitäten und Forschungsinstituten gestärkt. Angesichts knapper Mittel, die für die Forschung zur Verfügung stehen, dürfen Forschungseinrichtungen nicht als Infrastrukturmaßnahmen beliebig in die Landschaft gelegt werden, sondern es muss die räumliche Anbindung an andere Forschungseinrichtungen gegeben sein. Anders lassen sich eine gegenseitige Unterstützung bei Vorlesungen, Vorträgen und Kolloquien, die Betreuung von Master- und Doktorarbeiten nicht bei vertretbarem Zeitaufwand organisieren. Eine solche Unterstützung dient dem Austausch von Ideen, Konzepten und Gedanken und stärkt wissenschaftliche Exzellenz. Es gibt gute Beispiele im benachbarten Ausland, wie Agrarforschung effizient organisiert werden kann. Eine Konzentration von Grundlagenforschung, Anwendungsprojekten und Lehre in breit aufgestellten Universitätseinrichtungen ermöglicht dort heute einen hocheffizienten Einsatz öffentlicher Mittel. Das muss für unsere Forschungseinrichtungen in gleicher Weise ungesetzt werden. Die Bundesregierung hat 2007 ein Konzept umgesetzt, das 1996 erarbeitet worden war. Dies hat in der Zwischenzeit tüchtig Staub angesammelt. Das ist kein Ruhmesblatt. Die Ernährung hat heute im Vergleich zum Jahr 1996 einen ganz anderen Stellenwert. Fehlernährung führt zu Kosten im Gesundheitssystem. Die ernährungsbedingten Krankheiten verursachen 80 Prozent der Morbidität und Invalidität der Bevölkerung. Die Kosten der Bekämpfung der Krankheiten belasten das Gesundheitssystem in hohem Maße. Diabetes ist die teuerste Erkrankung, ihre Behandlung kostet jährlich 35 Milliarden Euro. Trotzdem hat die Bundesregierung entschieden, dass das MaxRubner-Institut, die ehemalige Forschungsanstalt für Ernährung und Landwirtschaft, das kleinste unter den vier großen Instituten werden soll. Das ist eine Fehlentscheidung. Dies wird den Aufgaben, die die Ressortforschung leisten muss, nicht gerecht. Das beherrschende Thema in der Landwirtschaft ist zurzeit die negative Entwicklung des Milchpreises, die für viele Milchviehbetriebe zu einem existenziellen Problem geworden ist. Die Studie der deutschen Milchindustrie hat bereits 2007 festgestellt: „Der Milchforschungsstandort Deutschland ist in Gefahr, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.“ Die Milchwirtschaft ist der umsatzstärkste Sektor der deutschen Agrarwirtschaft. Dieser Sektor ist auch durch Entscheidungen der Bundesregierung geschwächt worden. Auch wenn die Milchpreisentwicklung nicht von der Bundesregierung zu verantworten ist: Eine Stärkung der Wirtschaftskraft der Betriebe kann sich die Regierung nicht auf ihre Fahnen schreiben. Die kommende Regierung hat im Bereich der Organisation der Forschung viel zu tun, um die Fehler der schwarz-roten Koalition zu korrigieren.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Deutschland nennt sich selbst Land der Dichter und Denker. Bildung, Forschung und Lehre gehören in einem rohstoffarmen Land zu den wichtigen Standortfaktoren, die Gesellschaft, Politik und Wirtschaftsleben prägen sollten. Gerade für die Agrarwissenschaften werden die Lösungen globaler Probleme zunehmend zur existenziellen Verantwortung: Unter- und Mangelernährung bei anhaltendem Bevölkerungswachstum, Zerstörung von landwirtschaftlich, gartenbaulich oder forstlich nutzbaren Flächen, Wirkung des globalen Klimawandels auf die agrarischen Ökosysteme, Rückgang der biologischen Vielfalt und soziale und ökologische Folgen eines global deregulierten Marktes. Leistungsfähige Agrarwissenschaften haben gerade in ihrem Mutterland Deutschland in der Vergangenheit zu Selbstversorgungsicherung mit Nahrungsmitteln auf hohem Niveau und zur Lösung ökologischer und sozialer Probleme beigetragen. Eine besondere Stärke der Agrarwissenschaften war dabei immer ihre betont interdisziplinäre Ausrichtung. Den großen Herausforderungen wird aber die aktuelle politische Wahrnehmung der Agrarwissenschaften nicht gerecht. Die seit Jahrzehnten gesicherte Nahrungsmittelversorgung, ja Überversorgung in Deutschland und Europa hat wohl allzu sorglos und selbstzufrieden gemacht. Das Ergebnis dieser Vernachlässigung ist eine Krise der Agrarwissenschaft, die der Wissenschaftsrat unterdessen beklagt. Ein Grund ist die zersplitterte Verantwortung. Für die unterschiedlichen Institutionen der Agrarforschungslandschaft sind verschiedene Träger wie Bund, Länder oder Stiftungen zuständig. In unserem Antrag werden die damit verbundenen Probleme beschrieben und Vorschläge zur Behebung gemacht. Der Bund hat aber auch hausgemachte handfeste eigene Probleme geschaffen. Mit der Agrarressortforschung beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gibt es einen eigenständigen Wissenschaftsbereich für Politikberatung und hoheitliche Aufgaben. Er ist ebenso wichtig, wie er spätestens seit 1996 stiefmütterlich behandelt wird - abgesehen von ein paar Prestigeprojekten. Die Linke hält eine leistungsfähige Agrarressortforschung für unentbehrlich. Sie muss fachlich vernetzt sein mit der universitären und außeruniversitären Agrarforschung. Die fachliche Unabhängigkeit ihrer PolitikberaZu Protokoll gegebene Reden Dr. Kirsten Tackma tung muss gesichert sein. Dafür ist aber eine bedarfsgerechte finanzielle und personelle Ausstattung mit einer sinnvollen Struktur erforderlich. Aber sowohl das Rahmenkonzept von 1996 als auch das Neuordnungsgesetz von 2007 stellten hier falsche Weichen; denn es ging dabei vor allem um Personalabbau, der über die Schließung von Standorten forciert wurde. Nebenbei wurde auch die fachliche Mitbestimmung abgebaut. Seit 1996 wurden rund 1 000 Stellen gestrichen - das sind 30 Prozent. Von den verbliebenen rund 2 700 sollen in den nächsten Jahren noch einmal 350 wegfallen. Damit hatte eine ganze Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kaum Zugang zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen in der Agrarressortforschung. Viele trifft man dafür unterdessen im Ausland wieder. Da diese Stelleneinsparungen über zufällig frei werdende Stellen erbracht wurden, sind wichtige Aufgaben weggefallen oder werden nur noch teilweise erfüllt. Oft gingen und gehen dabei die wenigen höher qualifizierten Arbeitsplätze für Frauen in ländlichen Räumen verloren, die doch so dringend gebraucht werden. Die Folge ist zudem eine ungünstige Altersstruktur der Belegschaften. Die Arbeitsbelastung ist kaum mehr zumutbar. Wissenschaftliche Exzellenz ist unter solchen Bedingungen nur schwer zu halten. Die Kritik der Linken an diesem politisch gewollten Ausverkauf der Agrarressortforschung haben wir immer wieder vorgetragen: Es fehlt eine ambitionierte Fachkonzeption für eine wissenschaftlich begründete agrarpolitische Beratung der Bundesregierung. Es fehlt die Bedarfsanalyse der aktuellen und zukünftigen Erfordernisse für eine agrarwissenschaftliche Politikberatung des Bundesministeriums. Es fehlen langfristige Kosten-Nutzen-Rechnungen für die geplanten und zum Teil schon begonnenen Umsetzungsmaßnahmen. Und es fehlt vor allem eine plausible Prüfung der noch vorgesehenen Standortschließungen unter fachlichen, finanziellen, personellen und strukturpolitischen Gesichtspunkten. 1996 gab es 35 Agrarressortforschungsstandorte, davon sollen in den kommenden Jahren nur 21 übrig bleiben. Unter diesen Standortschließungen gibt es zum Beispiel in Brandenburg zwei besonders unsinnige Entscheidungen: erstens die Standortverlagerung des Instituts für Epidemiologie des Friedrich-Loeffler-Instituts von Wusterhausen an die Ostsee, zweitens die Verlagerung des Instituts für Forstgenetik und Forstpflanzenzüchtung von Waldsieversdorf in die Nähe von Hamburg. Diese beiden Entscheidungen sind ein strukturpolitisch verheerendes Signal für die ländliche Heimatregion und machen weder sozial noch fachlich oder finanziell Sinn. Das waren auch nicht die Entscheidungskriterien: Die Standorte werden vor allem geschlossen, damit Personal abgebaut werden kann - koste es, was es wolle. Deshalb ist eine der Hauptforderungen des Antrags der Linken die Vorlage einer Evaluierung der wissenschaftlichen, sozialen, finanziellen und strukturpolitischen Folgen der Standortschließungen und des Personalabbaus in der Agrarressortforschung seit 1996. Bis zur Vorlage dieser Analyse fordern wir ein Moratorium für Standortschließungen, das so lange in Kraft bleibt, bis dem Bundestag für die noch geplanten Standortschließungen eine Kosten-Nutzen-Rechnung einschließlich der Prüfung von Alternativen zur Standortschließung zur Beschlussfassung vorgelegt wurde. Unser Antrag enthält darüber hinaus noch viele weitere Vorschläge zur Überwindung der Krise in der universitären und außeruniversitären Agrarforschung, auf deren Diskussion im Ausschuss ich schon sehr neugierig bin.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Krise“ und „globale Herausforderungen“ sind die Begriffe, die von Politik und Gesellschaft seit einigen Monaten geradezu inflationär gebraucht werden: Klimakrise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Ernährungskrise - allesamt Krisen der Nachhaltigkeit - sind die globalen Herausforderungen, die zu bewältigen sind - hier und weltweit, und zwar ohne Verzögerungen. Ein Schlüssel dazu ist die Agrarforschung. Denn die Landwirtschaft, besser die Landnutzung, hat sowohl bedeutenden Einfluss auf das Klima als auch auf die weltweiten Waren- und Finanzströme, auf die regionale Wertschöpfung und auf die Frage, wie erfolgreich Armut und Hunger begegnet werden kann. Aber mit einem „Weiter so“ in der Landwirtschaft werden die Probleme eher verschärft als gelöst. Wenn der Klimawandel gebremst und trotz klimatischer Veränderungen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft im Jahr 2050 eine auf 9 Milliarden Menschen angewachsene Weltbevölkerung ernähren und mit Energie versorgen sollen, dann ist das nicht mit der züchterischen oder gar gentechnischen Bearbeitung von einigen wenigen Kulturpflanzen getan. Es müssen vielmehr Maßnahmen ergriffen werden, die den Artenschwund - auch den Verlust von Kulturpflanzen und kommerziell genutzten Tierarten und -rassen - bremsen. Es dürfen nicht weiter Agrar- und Forstflächen durch den Bau von Siedlungsund Verkehrsflächen der Nutzung entzogen werden. Devastiertes Land und verschmutzte Gewässer müssen rekultiviert werden. Was wir tun müssen, ist also ziemlich klar; nur, wie wir es tun müssen, dafür besteht immenser Forschungsbedarf. Die Agrarforschung sehe ich im Kontext von Klimawandel und Welternährung als zentrale Säule in einem interdisziplinären Forschungsverbund. Doch die Agrarforschung ist weder in Deutschland noch weltweit den an sie gestellten Anforderungen gewachsen. Anstatt die Forschung auszubauen und um neue Themenfelder wie Anpassung an den Klimawandel, klimafreundliches Wirtschaften etc. zu erweitern, wird sie seit Jahren zusammengekürzt - und das weltweit. So lautet eine der Forderungen des Weltagrarberichts, der ja von UN und Weltbank unterstützt wurde: Rücknahme der Kürzungen bei der Forschung. Der Antrag der Linken spricht in der Tat viele Punkte an, die im Argen liegen. Sowohl mit der Analyse der Situation der Agrarforschung in Deutschland als auch mit den ForZu Protokoll gegebene Reden nn ({0}) derungen stimmen wir Bündnisgrüne in großen Teilen überein. Eine ressortübergreifende Koordinierung und bessere Vernetzung der agrarwissenschaftlichen Institutionen sind ebenso notwendig wie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. An der Neustrukturierung der Agrarressortforschung hatten wir Grüne seinerzeit ausdrücklich kritisiert, dass weniger die zu lösenden Aufgaben als das begrenzte Budget Motor für die Veränderungen war. Insofern könnte eine Evaluation der bisher umgesetzten Maßnahmen noch zu einer Verbesserung im Bereich der Agrarforschung führen. Dass für eine qualitative und quantitative Verbesserung der agrarwissenschaftlichen Lehr- und Ausbildung eine verbesserte Koordinierung und Standardisierung der Lehrinhalte nötig ist, sehe ich nicht. Vielmehr lebt die interdisziplinäre Forschung durch die unterschiedliche Schwerpunktsetzung. Wir sollten das als Chance und nicht als Problem sehen. Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, worum es uns Grünen geht: Wir wollen den Ausbau der Forschung und neue Herausforderungen in bereits vorhandene oder neu zu begründende Forschungsfelder aufnehmen. Eine nachhaltige, das heißt zukunftsorientierte Landwirtschaft braucht ein höheres Forschungsbudget. Und die Agrarforschung braucht die strukturelle Einbettung in einen interdisziplinären Forschungsverbund zur Landnutzung, der die aktuellen Fragen, die uns Klimawandel und Bevölkerungswachstum stellen, beantwortet.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12998 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 33: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise unterstützen - Drucksache 16/13003 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Auch hier haben die Kolleginnen und Kollegen Jürgen Klimke, Dr. Sascha Raabe, Stephan Hilsberg, Hellmut Königshaus, Heike Hänsel und Ute Koczy ihre Reden zu Protokoll gegeben.

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am 18. und 19. Mai 2009 diskutierte der Rat der EUEntwicklungsminister über die aktuellen Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise auf die Entwicklungsländer. Leitlinie der deutschen Verhandlungsführung war dabei die starke Solidarität mit unseren Partnerländern in der Krise. Kernforderung war die von der nationalen Entwicklungszusammenarbeit und der EU-Zusammenarbeit immer wieder erklärte Zielmaßgabe, die Zusagen der ODA-Mittel weiter fortzuführen, trotz massiv einbrechender Weltwirtschaft. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass starke Entwicklungsländer ein Teil der Lösung sind. Nur mit ihnen zusammen kann die Weltwirtschaft nachhaltig aus der Krise geführt werden. Nichtsdestotrotz ist die Entwicklungspolitik in einer kritischen Phase. Die Aufholjagd der Schwellenländer ist erstmals gestoppt. Und daran leiden zum Beispiel in Indien 1,6 Millionen Arbeitnehmer, die neuerdings auf der Straße sitzen. Mit einer gewissen Verzögerung hat die Krise nun auch die ärmsten Länder dieser Welt erfasst. Der Teufelskreis von sinkenden Exporten, sinkenden Direktinvestitionen und sinkenden Überweisungen der Arbeitsmigranten hat sich in den letzten Monaten verschärft. 1 Milliarde Menschen leiden derzeit an Hunger, für Entwicklungspolitiker ein unhaltbarer Zustand. Jedoch geben wir nicht, wie im Grünen-Antrag behauptet, den Stimmen nach, die sagen, dass die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zurückgefahren werden müssen. Die EZ zurückzufahren wäre ein schlimmes Eigentor. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Verzahnung der Volkswirtschaften ist stärker als je zuvor. Unsere Exporte in die entsprechenden Länder haben sich in den letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt. Der Haushalt des BMZ ist mittlerweile der zweitgrößte Investitionshaushalt der Bundesrepublik Deutschland. Von ihm hängen allein in Deutschland zwischen 200 000 und 300 000 Arbeitsplätze ab. Dass dies so bleibt und wir gleichzeitig eine Stütze für die Entwicklungsländer sind, hat die Bundesregierung auf dem G-20-Gipfel in London eindrücklich bewiesen. Unter der Federführung der Bundeskanzlerin Angela Merkel haben wir uns für einen Aufbau einer neuen klaren Finanzmarktarchitektur entschieden. Dies hilft auch direkt den Entwicklungs- und Schwellenländern, denen 1 Billion US-Dollar zur Verfügung gestellt wurden. Damit sollen unter anderem die Mittel für den Internationalen Währungsfonds aufgestockt werden. Weiteres Ziel ist, über Garantien den Welthandel wieder in Schwung zu bringen - ein Signal an unsere Partnerländer. Allein dafür sollen 250 Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden. Angela Merkel garantiert dafür, dass Deutschland sich mit rund 60 Milliarden US-Dollar beteiligt. Sie liegt richtig, wenn sie von einem „Sieg für die globale Zusammenarbeit“ spricht. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass es auch ein Sieg der Vernunft ist. Die Dinge, die uns in die Krise gestürzt haben, dürfen sich nicht wiederholen. Die dort beschlossene Stärkung des IWF und der Weltbank zeigt auch, dass wir solidarisch sind. Deshalb vertrauen auch nach dem ARD-Deutschlandtrend 76 Prozent der Bundesbürger auf die globalen und deutschen Hilfen zur Selbsthilfe, die die Bundeskanzlerin für unsere Partnerländer mit diplomatischem Geschick ausgehandelt hat. Meine Darstellung macht klar, dass die Forderungen der Grünen in dem vorliegenden Antrag also schon erfüllt sind. Deutschland packt verantwortungsvoll für die Entwicklungsländer an. Gleiches gilt für die anderen Forde24776 rungen aus dem Antrag, die wie ein entwicklungsprogrammatischer Blumenstrauß aussehen: von jedem etwas, ohne Zusammenhang, ohne roten Faden, oft nur durch die ideologische Brille, dabei wenig Konstruktives oder gar Neues. Dagegen hat die Große Koalition unter der Federführung des Abgeordneten Walter Riester einen eindrucksvollen Antrag zur Sicherung der sozialen Sicherheit verabschiedet. Mittel für ökologische, menschenrechtliche und soziale Standards wurden an vielen Stellen der Haushalte der letzten vier Jahre programmatisch manifestiert. Hier sind die Mittel für Biodiversität, Deutsche Welle und Goethe-Institute oder im Bereich der Mikroversicherungen zu nennen. Die Grünen-Forderungen - nicht mehr als alte Forderungen! Trotzdem ist die Diskussion, die der Antrag heute auslöst, sinnvoll, da wir uns wieder und wieder auf die Krise und ihre Folgen besinnen müssen. Henry Kissinger hat vor kurzem gesagt: Die Krise ist eine Chance zur Besinnung. - Dieses Motto gilt auch für die Entwicklungspolitik. Wo stehen wir und was muss geschehen, damit wir die Entwicklungsziele der Millenniumserklärung trotz der derzeitigen Krise erreichen? Seit 2005 hat die Große Koalition in der EZ mehr erreicht als unter sieben Jahren Rot-Grün. Dies liegt zum einen an vielen engagierten Entwicklungspolitikern aus dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und nicht zuletzt auch an der Bundeskanzlerin, die als erste Kanzlerin aktiv Entwicklungspolitik betrieben hat. Es ist uns daher leichtgefallen, neue Impulse zu setzen. Endlich ist das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ ein entscheidender Bestandteil unserer Entwicklungszusammenarbeit geworden. Wir haben es geschafft, die schöpferische Kraft der Menschen in den Entwicklungsländern zur Entfaltung bringen zu können. Dazu gibt es zwei Ansatzpunkte: zum einen direkt bei den Menschen und zum anderen an den Rahmenbedingungen. Der Schlüsselsektor für die Hilfe am Menschen ist die Bildung in all ihren Ausprägungen. Dies gilt ebenso für die Förderung der ländlichen Entwicklung, die wir unter Rot-Grün immer gefordert und in der Großen Koalition endlich umgesetzt haben. Entscheidend sind aber auch die Rahmenbedingungen. Wir können manchen Ländern noch so viel Geld geben: Es wird nichts nützen. Ganz im Gegenteil! Ich möchte deshalb fünf Faktoren nennen, die für mich unabdingbar sind, wenn wir die Chance nutzen wollen, globale Armut zu bekämpfen: Erstens. Wir müssen das Grundziel „gute Regierungsführung“ mit allen Mitteln, die wir zu Verfügung stellen können, unterstützen. Egal, wie korrupt ein Regime ist, bei der Zusammenarbeit darf es keine doppelten Standards geben. Unsere Wertvorstellungen sind maßgeblich. Eigenverantwortlichkeit der Partnerländer ist kein Freibrief und keine Einbahnstraße! Zweitens. Ohne Wirtschaftswachstum in den betroffenen Ländern haben wir keine Chance, die Entwicklungsziele zu erreichen. Wir brauchen Wirtschaftsorientierung in unseren Partnerländern, aber auch in der Konzeption des BMZ. Drittens. Handelspolitik. Auch dieses Thema greift der Antrag auf. Nicht ganz überraschend arbeiten wir in der Großen Koalition schon an den Problemen, die die Grünen hier aufwerfen. Die WTO-Handelsrunde muss zum Abschluss gebracht, Exportsubventionen müssen verringert werden. Umweltdumping und Leiharbeit darf es nicht geben. Ich glaube, wir haben hier Konsens. Die Bundesregierung bezieht hier eindeutig Stellung. Die Forderungen aus dem Antrag unterstützen die Position der Regierung nur ein weiteres Mal. Viertens. Der größte Feind der Entwicklung ist der Krieg. Umgekehrt gibt es keine Sicherheit ohne Entwicklung. Wir müssen daher mehr Formen der Friedensschaffung entwickeln. Streitschlichtung auf allen Ebenen der Verwaltung ist dabei ein Stichwort, das noch stärker in der Konzeption des BMZ umgesetzt werden muss. Fünftens. Der Antrag mahnt richtigerweise an, dass die Koordination und Arbeitsteilung vorangetrieben werden. Ob EU, multilateral oder bilateral zwischen den Geberländern - die Aufgaben sind groß, aber sie werden derzeit aktiv konzeptionell bearbeitet. Die Große Koalition steht für die Umsetzung einer schlagkräftigen Entwicklungspolitik, und das ist auch im Koalitionsvertrag verankert. Wir erfüllen somit auch diese Forderung aus dem Antrag. Die derzeitige Krise beinhaltet vielleicht auch eine Chance für eine Umorientierung im Kampf gegen Hunger und Armut. Anstatt viele schon umgesetzte und im Umbau befindliche Aspekte der internationalen Entwicklungszusammenarbeit in ihrem Antrag zu fordern, hätten die Grünen vielleicht dieser Idee mehr Engagement entgegenbringen können: Es ist die Frage, wie es die armen Länder schaffen können, die eigenen Finanzmärkte und Kapitalmärkte so zu gestalten, dass die eigenen Ersparnisse, das eigene Kapital besser zu mobilisieren und zu nutzen sind. Dabei steht auch die Frage der regionalen Märkte und der verstärkten Kooperation untereinander im Mittelpunkt. Die Fehler, die wir gemacht haben, dürfen die Entwicklungsländer miteinander nicht auch begehen. Das Kapital der Entwicklungsländer darf nicht wie in den letzten Jahrzehnten in den Westen abfließen. Das, was vorhanden ist oder produziert wird, muss in den Entwicklungs- und Schwellenländern gehalten und dort investiert werden. Dies gilt ebenso für alle anderen Bereiche des wirtschaftlichen und ökologischen Handelns. Bestes Beispiel daher ist die Rohstoffpolitik. Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich in ihrer Konzeption der letzten Jahre deutlich verbessert. Wir haben viel geschafft. Für mich ist es wichtig, dass wir das Alleinstellungsmerkmal der deutschen EZ massiv gestärkt haben. Dies soll auch in der nächsten Wahlperiode das Ziel aller Entwicklungspolitiker sein.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise für die Entwicklungsländer werden derzeit in Politik und Wis- senschaft heftig diskutiert. Der Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen greift dieses Thema ambitioniert auf und un- terstreicht im Großen und Ganzen die Anstrengungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Insgesamt führt Zu Protokoll gegebene Reden jedoch der Antrag mit einem ganzen Konglomerat an ent- wicklungspolitischen Themen über sein Ziel hinaus. Eine solide Strategie, wie den Entwicklungsländern in ihrer jetzigen Situation gezielt unter die Arme gegriffen werden kann, zeigt der Grünenantrag nicht auf. Zu holzschnitt- artig fallen hier die Antworten auf die Wirtschafts- und Finanzkrise aus. Maßgebliche Initiativen der Weltbank, des IWF und der regionalen Entwicklungsbanken zur Abfederung der Krise bleiben unerwähnt. Zudem führt die Beschränkung auf Entwicklungsländer in die Irre. Einzelne Schwellen- länder sind ebenso wie einzelne Entwicklungsländer in ganz unterschiedlichem, manchmal sogar entgegenge- setztem Ausmaß betroffen als andere Länder aus ihrer Gruppe. Zentrale Bestimmungsfaktoren für die Schwere der „Ansteckung“ an der Wirtschafts- und Finanzkrise sind vielmehr der Grad der Integration eines Landes in den Welthandel und Weltfinanzmarkt, die Abhängigkeit von Agrar- und Rohstoffimporten bzw. Exporten, der in- ternationale Verschuldungsgrad, die Größe des Binnen- marktes, die Wirtschaftsstruktur, die aktuelle Perfomance der heimischen Wirtschaft etc. Diese Unterscheidungen laufen quer zu den klassischen Ländergruppeneinteilun- gen. Deshalb ist jede Forderung in diesem Antrag für manche Länder zutreffend und für andere nicht. Die Aus- führungen zu den folgenden Punkten sollen dies verdeut- lichen. Zu Forderung 1: Die Konjunkturprogramme der Bun- desregierung sehen im nationalen Rahmen Investitionen hauptsächlich in Bau und Verkehr vor. Vor allem die energetischen Sanierungen kommen dem Klimaschutz zu- gute, von dem letztlich auch die Entwicklungs- und Schwellenländer profitieren. Darüber hinaus wurde im Konjunkturpaket II beschlossen, der Weltbank 100 Mil- lionen Euro für einen Infrastrukturfonds zur Abfederung der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise für die ärms- ten Länder der Welt zur Verfügung zu stellen. Eine weitere Million Euro wurde im Rahmen des G-20-Gipfels für die Entwicklungsländer durch die Bundesregierung zugesi- chert. Wenn in diesem Zusammenhang also von Markt- verzerrungen gesprochen werden könnte, dann höchsten auf nationaler Ebene, nicht jedoch auf internationaler. Zu Forderung 2/4: Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer wurden bisher hauptsächlich über den monetären Wirkungskanal „infiziert“. Um die weitere Ausbreitung zu begrenzen, ist es daher erforderlich, vor allem auch in diesem Bereich schnell wirksame Gegen- maßnahmen zu ergreifen. Deutschland ist sich hier seiner Verantwortung bewusst und unternimmt bereits entspre- chende Anstrengungen. So haben BMZ und KfW gemeinsam mit der Weltbank- tochter IFC und der holländischen Entwicklungsbank FMO die „Microfinance Enhancement Facility“ konzipiert und aufgelegt. Die Fazilität stellt soliden, zielgruppenorientierten Mikrofinanzinstitutionen Refi- nanzierungen zur Verfügung, um die krisenbedingte Liquiditätsklemme zu überbrücken. Diese Maßnahme verfolgt die Absicht, die negativen Konsequenzen für Ein- kommen, Beschäftigung und Armutssituation in den Part- nerländern zu mildern bzw. abzuwenden. Um das Angebot von Währungsabsicherungen für Un- ternehmen in Entwicklungsländern zu erweitern, hat die Bundesregierung bereits Ende 2008 Mittel zur Stärkung des Eigenkapitals des Lokalwährungsfonds TCX zur Ver- fügung gestellt. Ziel ist hier eine Abfederung der krisen- bedingten starken Abwertung der lokalen Währungen für Unternehmen, die ihre Einnahmen in der lokalen Wäh- rung erwirtschaften. Grundsätzlich kommt es auf folgende vier Punkte an, in denen die Bundesregierung aktiv ist: a) Stärkung der nationalen Banken- und Finanzmarktaufsicht, b) Etablie- rung eines länderübergreifenden Krisenmanagements bei Finanzkrisen, c) Auf- und Ausbau von nationalen Kredit- registern, d) Entwicklung von Standards für „Responsible Banking“. Zu Forderung 3 betreffs ODA: Ein wesentliches Ergebnis der Anfang Dezember 2009 durchgeführten DohaKonferenz zur Entwicklungsfinanzierung war, dass die Geberländer trotz der absehbaren Rezession an den Plänen zur Steigerung der Entwicklungshilfezusagen festhalten wollen. Dieser Grundkonsens wurde bis dato nicht infrage gestellt. Zu Forderung 5/Forderung 6: Hier bietet der Antrag keine wesentlich neuen Aspekte. Die Bundesregierung hat bereits mehrfach betont, dass es erforderlich ist, auch solche laufenden Kosten verstärkt mitzufinanzieren, die zur Aufrechterhaltung der Sozialsysteme ({0}) bzw. zur Bestandssicherung von Strukturen erforderlich sind, die mithilfe der Entwicklungszusammenarbeit in den vergangenen Jahrzehnten mühsam aufgebaut wurden. Hinzu kommt die Intensivierung von sozialen Abfederungsmaßnahmen wie beispielsweise Food-for-Work-Programme, Cash-Transfers und Schulspeisungen. Apropos können diese Maßnahmen mühelos sehr kurzfristig umgesetzt werden, indem bereits bestehende Programme aufgestockt und ausgeweitet werden. Im Übrigen fehlen in diesem Antrag die entscheidenden Initiativen der Bundesregierung im Bereich der technischen Zusammenarbeit ({1}) und des capacity building. Beide Komponenten befähigen die betreffenden Länder in ihren Kompetenzen zur festen Etablierung von GoodGovernance-Strukturen. Zu Forderung 4/7: Die Bundesregierung setzt sich in der Entwicklungszusammenarbeit mit den Partnerländern gerade während der Finanz- und Wirtschaftskrise anhaltend dafür ein, Kleinsparer zu schützen, den lokalen Bankensektor vor dem Zusammenbruch zu bewahren und lokalen Unternehmen weiterhin Zugang zu Kredit und zu Währungsabsicherungsmöglichkeiten zu bieten. Dabei obliegt es der Verantwortung der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken, ihren weiterhin guten Zugang zur Refinanzierung zu nutzen, um antizyklisch zu agieren und den Entwicklungsländern das nötige Geld zur Fortführung ihrer Armutsbekämpfungsprogramme zur Verfügung zu stellen. Ich sehe zum Beispiel die Verbesserungsmöglichkeit, ihren Sektorprogrammen entsprechende Auflagen mit Blick auf eine effektivere Regulierung der nationalen Finanzmärkte aufzuerlegen. Den Entwicklungs- und Schwellenländern ist in der gegenwärtigen Situation vor allem geholfen, wenn die reZu Protokoll gegebene Reden gionalen Entwicklungsbanken ihr Angebot an Lokalwährungsfinanzierungen ausbauen und so die von Wechselkursschwankungen ausgehenden Risiken minimieren. Die Kapitalausstattung von Weltbank und regionalen Entwicklungsbanken befindet sich im Übrigen in einem hervorragenden Zustand, sodass ich im Augenblick die Notwendigkeit für eine weitere Kapitalaufstockung nicht sehe. Die Weltbank plant gegenwärtig die Ausleihungen zur Krisenabfederung um bis zu 100 Milliarden US-Dollar innerhalb von drei Jahren zu erhöhen. Allein die Weltbanktochter IFC will vier spezielle Krisenabfederungsinitiativen für die Bereiche Handelsfinanzierung, Bankenrekapitalisierung, Infrastruktur und Beratungsmaßnahmen auflegen. Der IWF plant die Einrichtung einer Short Term Liquidity Facility ({2}). Die regionalen Entwicklungsbanken planen ebenfalls, ihre Ausleihungen drastisch zu erhöhen. Zu Forderung 8: Einen Schuldenerlass für Länder zu erreichen, deren politische Handlungsfähigkeit infolge überhöhter Schulden gefährdet ist, gehört bereits im Augenblick in die Zielsetzung der erweiterten HIPC-Initiative. Die Bundesregierung hatte dafür damals maßgeblich ihren Einfluss geltend gemacht. Darüber hinaus stehen der internationalen Gemeinschaft mit dem Pariser und Londoner Club weitere Institutionen zur internationalen Umschuldung zur Verfügung. Ziel der Bundesregierung muss es heute sein, die Beschlüsse des Londoner G-20-Gipfels hinsichtlich der Kredithilfen für Entwicklungs- und Schwellenländer von multi- und bilateralen Gebern zügig umzusetzen. Zu Forderung 9: Die ausschließliche Forderung nach einem internationalen Insolvenzverfahren verkennt die Komplexität dieses Verlangens und würde letztlich nur bedeuten, das „Pferd von hinten aufzuzäumen“. Denn zunächst bedarf es der Ausarbeitung von Prinzipien und Regeln für die Schaffung eines internationalen Insolvenzrechts für Staaten. Darüber hinaus ist es auch zunächst sinnvoll zu prüfen, ob nicht die bestehenden Strukturen und Mechanismen zur Regelung von internationalen Insolvenzverfahren verbessert werden können. Im Übrigen hat sich die Stiglitz-Kommission unter Beteiligung der Bundesregierung bereits im März für die Einrichtung eines internationalen Insolvenz-Streitbeilegungsorgans ausgesprochen. Zu Forderung 10: Die Bundesregierung verfolgt hier im Rahmen der Europäischen Union klar eine deutliche Linie, die auf einen zügigen Abschluss der WTO-Handelsrunde abzielt. Eine Gruppe des BMWi arbeitet in Brüssel laufend daran, den Prozess weiter voranzutreiben. Auf Initiative der Bundesregierung wurde nach dem Abbruch der Doha-Gespräche im Sommer 2008 versucht, eine Ministerkonferenz im Dezember einzuberufen, um den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Im Augenblick hängt der Prozess vor allem wegen der Positionen der USA, Chinas und Indiens. Zumindest hat in den vergangenen Wochen der neue Handelsvertreter der Vereinigten Staaten Ron Kirk sich in einem positiven Tonfall zur WTO-Welthandelsrunde geäußert, was die Hoffnung auf einen baldigen Abschluss nähren könnte. Innerhalb der EU sind bis auf die Implementierung der geografischen Herkunftsangaben die Positionen eindeutig, und das nicht zuletzt dank der Anstrengungen der Bundesregierung. Der Antrag der Grünen ist insgesamt zu begrüßen, da er darauf abzielt, wie in der Wirtschafts- und Finanzkrise den Entwicklungsländern unterstützend zur Seite gestanden werden kann. Erforderlich wäre es dennoch gewesen, die Forderungen an die Bundesregierung stringenter zu formulieren. Die Durchmischung vielfältiger entwicklungspolitischer Themen macht es schwierig, konkrete Handlungsanweisungen für die Bundesregierung abzuleiten. Demzufolge kratzt der Antrag an vielen Stellen nur an der Oberfläche, ohne eine wirklich erkennbare Linie aufzuzeigen. Zudem spiegelt er Aussagen und Maßnahmen der Bundesregierung wieder, die bereits jetzt schon politisch verfolgt werden und gewollt sind.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Zuge der Asien-Krise in den 90er-Jahren kann ich mich noch gut an eine Metapher erinnern. So befürchtete man zu Beginn der Finanzkrise in Asien, dass „der Flügelschlag eines Schmetterlings im Pazifik einen Wirbelsturm am anderen Ende der Welt auslösen würde“. Glücklicherweise blieb damals die Krise größtenteils regional, und der Rest der Welt blieb überwiegend verschont. Doch ein Jahrzehnt später ist der Schmetterling zurück und hat mit seinen gewaltigen Flügelschlägen an der Wall Street die ganze Welt in Unordnung gebracht, auch in Timbuktu, Pôrto Alegre und Kuala Lumpur. Über die Ursachen der momentanen Finanzkrise kann man sich streiten. Fakt ist: Eine Tragik wird wieder einmal deutlich: Die Finanzkrise fand ihren Ursprung in den Büros der Investmentbanker und Börsendealer der Industrieländer, doch die größten Leidtragenden sind die Ärmsten der Armen in den Slums und Baracken der über 90 Entwicklungs- und Schwellenländer. Jüngsten Schätzungen der Weltbank zufolge erhöht sich die Zahl der absolut Armen aufgrund der Finanzkrise in diesem Jahr um bis zu 100 Millionen! Noch tragischer ist, dass Entwicklungsländer bestraft werden, die vieles richtig gemacht haben. Sie haben eine deutlich gute makroökonomische Politik verfolgt und sich aktiv in den internationalen Handels- und Finanzmarkt integriert. Ausgerechnet diese Länder kriegen die Folgen der Krise sehr schmerzhaft zu spüren. Für mich steht fest: Bei der derzeitigen Finanzkrise handelt es sich um einen Systemfehler. Und ein Systemfehler kann nur mit einer Systemlösung behoben werden. Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise hat den neoliberalen Glauben an die Selbstheilungskräfte der Märkte erschüttert. Das neoliberale System hat versagt. Neue Wirtschaftsdenker brauchen wir in Washington, Brüssel und den Hauptstädten der Welt. Ein neues - armutsminderndes und gerechtes - System ist dringend notwendig. Dabei sind nicht nur Finanzmanager und Finanzpolitiker gefordert. Auch - und besonders - wir als Entwicklungspolitiker sind an dieser Stelle gefragt. Denn nicht umsonst verstehen wir Sozialdemokraten Entwicklungszusammenarbeit als globale Strukturpolitik, die zu mehr Gerechtigkeit und Wohlstand führen soll. Zu Protokoll gegebene Reden Die ersten teils vielversprechenden Beschlüsse auf den beiden G-20-Gipfeln in Washington und London sind gefallen. Doch unser Weltfinanzsystem besteht aus weit mehr als nur aus 20 Staaten. Durchaus ungeachtet von der Öffentlichkeit wird in New York derzeit eine UN-Konferenz geplant, die alle Staaten der Weltgemeinschaft an einen Tisch bringen und sich mit den Auswirkungen der Finanzkrise befassen soll, ein sozusagen G-190-Gipfel, der das System reformieren möchte. In diesem Zusammenhang möchte ich unsere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul loben. Als Mitglied der UN-Expertenkommission zur Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems unter der Leitung des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz hat sie wieder einmal gezeigt, dass Deutschland an einer globalen Antwort auf die Finanzkrise interessiert ist. Dieses 16-köpfige hochrangige Gremium hat die desolate Finanzsituation akribisch analysiert und entsprechende politische Reaktionsmaßnahmen formuliert, die alle Staaten der Weltgemeinschaft betreffen. Unter anderem heißt es im Abschlussbericht, dass nationalstaatliche Bestrebungen, die zu mehr Protektionismus führen, genau die falsche Reaktion sind. Genauso wenig sind momentan neue handelsverzerrende Subventionen im Agrarbereich gefragt, wie sie derzeit im Bereich der Milchexportsubventionen von der EU wieder eingeführt werden. Falsch reagiert haben bisher auch die Industrieländer Italien und die Schweiz. Beide Länder haben als Reaktion auf die Finanzkrise beschlossen, ihre Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit drastisch zu kürzen. Ein fataler Fehler und ein sicherlich verkehrtes Zeichen an den Rest der Welt! Die Entwicklungsländer wollen auf Dauer keine Almosen. Nein, sie wollen nur endlich gerechte und gleiche Bedingungen, sich in den internationalen Warenund Finanzmarkt zu integrieren. Ich möchte nun abschließend auf den uns vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kurz eingehen. Ganz treu ihrer Programmatik haben die Kollegen der Oppositionsfraktion mit ihrem Antrag nichts anderes gemacht, als unsere sozialdemokratischen Anträge zu recyceln! Denn die im Grünen-Antrag enthaltenen Forderungen spiegeln von uns längst beschlossene Anträge wider. Einen erfolgreichen und entwicklungsorientierten Abschluss der derzeit laufenden Welthandelsrunde fordern wir längst, und wir setzen uns offensiv hierfür ein. Auf die Problematik der Rücküberweisung von Migranten in ihre Herkunftsländer haben wir bereits in einem Bundestagsbeschluss hingewiesen und entsprechende Lösungen geboten. Ebenso können wir tiefgreifende Anträge zu den Themen „Ländliche Entwicklung“ und „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ vorweisen. Als Entwicklungspolitiker haben wir nicht nur eine „Daseinsberechtigung“, weil wir Menschen helfen wollen, ihre Situation zu verbessern. Nein, wir setzen uns auch dafür ein, Finanzwirbelstürme zu vermeiden, die vom Flügelschlag eines Schmetterlings entstehen und Millionen von Menschen in die Armut reißen können.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir Entwicklungspolitiker wissen es schon lange: Die Bekämpfung der großen globalen Probleme wie Umweltzerstörung, Klimawandel, organisierte Kriminalität, Korruption, internationaler Terrorismus, Bürgerkriege, Menschenrechtsverletzungen und Flüchtlingsströme liegt im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft. Globale Krisen sind nicht nur, aber auch unsere Krisen. Die Ärmsten der Armen sind von diesen Katastrophen jedoch stets am härtesten betroffen. Jetzt ist es die durch Finanzspekulationen in den Industrieländern ausgelöste Wirtschafts- und Finanzkrise, deren realwirtschaftlichen Auswirkungen wieder die Entwicklungs- und Schwellenländer besonders hart treffen. Eine Folge sind leider auch der Anstieg der Zahl der an Hunger leidenden Menschen auf wohl über eine Milliarde Menschen, Massenarbeitslosigkeit und hohe Staatsverschuldungen der Entwicklungsländer über die kommenden Jahre. Wir müssen davon ausgehen, dass die Situation sich noch weiter verschärfen wird, da die Auswirkungen solcher wirtschaftlichen Verwerfungen auf die Entwicklungsländer dort erst zeitverzögert auftreten. Die Krise hat uns das Ausmaß der globalen Vernetzungen, aber auch die besondere Verletzlichkeit der Entwicklungsländer noch einmal klar vor Augen geführt. Jetzt gilt es, die Krise als Chance für die notwendigen Reformen in der Entwicklungspolitik zu nutzen. Notwendig sind neue Ideen und Konzepte, wie wir kurzfristig den Ärmsten der Armen aus der unmittelbaren Not heraushelfen und wie wir langfristig Entwicklungs- und Schwellenländer krisen- und widerstandsfester machen. Aber gerade an diesen Konzepten fehlt es. Auch ein halbes Jahr seit Beginn der Krise lassen die Bundesregierung und allen voran das BMZ ein wirksames Krisenmanagement vermissen. Dabei geht es darum, die Folgen der Krise für die am stärksten gefährdeten Gruppen abzufedern sowie die Förderung der Wirtschaftstätigkeit und Beschäftigung, zum Beispiel durch die Stärkung der Landwirtschaft, zu unterstützen. Während die EU-Kommission frühzeitig das Heft des Handels übernommen hat und eine Neuausrichtung der Prioritäten gefordert hat, gibt es keine vergleichbaren Konzepte aus dem BMZ. Auch der Antrag der Grünen glänzt nicht gerade mit neuen Ideen, sondern fordert, wie so häufig erneut „immer mehr vom selben“: mehr Geld, schnellerer Abfluss der Mittel, Schuldenerlasse etc. Das ist die Politik der vergangenen zehn Jahre. Auch vor der Krise zeigten sich diese Konzepte als wenig tauglich, um die Armut in Regionen wie Subsahara-Afrika nachhaltig zu verringern. Fällt Ihnen denn nichts Besseres ein? Tatsächlich ist es aber auch zunächst die Aufgabe der Bundesregierung, derartige Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Die einzigen Maßnahmen, die wir bisher erlebt haben, sind ein Flickenteppich von nebeneinander stehenden, nicht zusammenhängenden Einzelaktionen. Ein Akt der Hilflosigkeit war etwa die Gewährung eines zusätzlichen Beitrages von 100 Millionen Euro für den Infrastrukturfonds der Weltbank im Rahmen des Konjukturpaketes II. Ich bin mal sehr gespannt auf die Evaluierung dieser Maßnahmen im Hinblick auf die Umsetzung der Entwicklungs-Jahrtausendziele einerseits und der Konjunkturziele andererseits. Die vergangenen Jahre haben doch gezeigt, dass allen Bemühungen zum Trotz die Zu Protokoll gegebene Reden Ärmsten der Armen, zum Beispiel in Subsahara-Afrika, nicht von dieser Art der Armutsbekämpfung profitieren. Diese Krise hat vielmehr verdeutlicht, wie schädlich die wachsende finanzielle Abhängigkeit der Empfängerländer von den Industrieländern ist. Vorrangiges Ziel jeder entwicklungspolitischen Maßnahme muss daher jetzt die Armutsursachenbekämpfung sein. Jeder Bürger eines Entwicklungslandes muss in die Lage versetzt werden, sich mit eigener Arbeit selbst zu ernähren, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Der Schwerpunkt muss daher auf der wirtschaftlichen Entwicklung liegen, das heißt auf der Unterstützung von sich selbst tragenden Wirtschaftskreisläufen. Das ist eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit, die Entwicklungsländer viel besser ausrüstet, um solche Krisen zu überwinden. Wir brauchen eine umfassende Debatte auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene, wie wir mit den Mitteln höhere Wirksamkeit erreichen können. Statt einer Erhöhungsdebatte brauchen wir jetzt eine Effizienzdebatte. Denn mit den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise wächst auch der Erfolgsdruck der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit, den Nachweis zu erbringen, dass sich die Armut verringert und sich die Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern auch tatsächlich verbessert haben. Als Liberale unterstützen wir die Forderung der Grünen in dem Antrag, die laufende WTO-Runde abzuschließen und die EU-Agrarsubventionen abzubauen. Denn von einem freien Handel profitieren vor allem die Entwicklungsländer und die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Aus agrar- und entwicklungspolitischer Sicht ist es wichtig und notwendig, dass die laufende WTO-Runde zu einem weiteren Abbau des Agrarprotektionismus in allen beteiligten Ländern führt. Flankierend müssen die kleinbäuerlichen Betriebe in den Entwicklungsländern über die verschiedenen Entwicklungshilfeorganisationen besonders unterstützt werden. Die Bundesregierung hat weder Krisenmanagement betrieben noch neue Konzepte zur Bewältigung der Krise beschlossen. Ich kann das BMZ nur dringend auffordern, schleunigst zu handeln. Die Krise ist noch nicht vorüber und der Hunger in der Welt wartet nicht darauf, bis Deutschland endlich wieder eine handlungsfähige Koalition und eine tatkräftige Regierung hat, die handelt, anstatt nur zu reden. Handeln Sie jetzt!

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Menschen in den Ländern des Südens sind nicht erst im Zuge der aktuellen Krise zu Opfern dieser Weltwirtschaftsordnung geworden, sie waren es auch schon in Zeiten des Wachstums. 500 Jahre Kolonialisierung und kapitalistische Globalisierung haben Abhängigkeit und Entwicklungsblockade im Süden zur Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand im Norden gemacht. Umso unbarmherziger schlägt die aktuelle Finanzmarkt-, Produktions- und Klimakrise auf die Länder des Südens durch. Wir brauchen deshalb völlig neue Ansätze für eine Weltwirtschafts- und -finanzordnung, die sozial und ökologisch nachhaltig gestaltet und demokratisch kontrolliert wird. Einige der im Antrag der Grünen aufgestellten Forderungen unterstützen wir: Die Linke fordert ebenfalls ein internationales Insolvenzverfahren, den Abbau der Agrarexportsubventionen und konkrete Schritte zur Erhöhung der ODA-Quote. Andere Forderungen sind viel zu defensiv formuliert: Die Grünen fordern „keiner Verschärfung der Migrationspolitik der Europäischen Union […] zuzustimmen“ oder „weitere Schuldenerlasse bei Entwicklungsländern in Erwägung zu ziehen“ - dies ist halbherzig und das kritisieren wir. Dass die Aufstockung der IWF-Mittel ein Ansatz zur Stabilisierung der Entwicklungs- und Schwellenländer sei, wie in der Begründung des Grünen-Antrags behauptet wird, sehen wir nicht. Nicht nur mit Blick auf die Vergangenheit des IWF, sondern auch mit einem differenzierten Blick auf die jüngsten umfangreichen Kreditvergaben - vor allem an osteuropäische Länder - sehen wir vielmehr die Gefahr, dass sich ein altes Muster unheilvoll wiederholt: Die Kreditnehmer treiben in die Schuldenfalle, der IWF - vor kurzem noch als Auslaufmodell gehandelt und im Begriff, von regionalen Banken abgelöst zu werden - wird wieder zum obersten Schuldeneintreiber, der direkten Einfluss auf die wirtschaftliche Ordnung der von ihm abhängigen Staaten nimmt und dort eine überwiegend prozyklische Wirtschaftspolitik durchsetzt. Die Linke fordert, dass die gegenwärtige Krise genutzt wird, grundlegend über eine Neuordnung des Weltfinanzmarktes nachzudenken. Die Debatte ist längst im vollen Gange. Die Linke fordert feste Wechselkurse, eine unabhängige Leitwährung, die vollständige Einordnung von IWF und Weltbank in das UN-System und die Stärkung von Fazilitäten, die regionale Lösungen anbieten. Konkrete Alternativen sind bereits sichtbar, zum Beispiel die von Venezuela initiierte Banco del Sur. Diese müssen unterstützt werden. Anders als die Grünen hat die Linke eine grundsätzliche Kritik an der Handelspolitik der Europäischen Union. In der Handelspolitik sind die neoliberalen Dogmen noch nicht hinterfragt. Im Gegenteil: Ungeachtet der Krisenerfahrungen setzt die EU weiter darauf, in den Partnerländern im Süden Dienstleistungen, darunter auch die Finanzdienstleistungen, zu liberalisieren. Die Forderung nach mehr Flexibilität in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ist uns deshalb zu defensiv. Die ganze Richtung stimmt nicht! Die Linke unterstützt die Forderung nach Neuverhandlung unter einem anderen Mandat, wie sie in vielen AKP-Staaten erhoben wird, und wir werden uns der Ratifizierung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen widersetzen. Wir hoffen dabei - trotz gegenteiliger Erfahrungen - auf die Unterstützung der Grünen. Insgesamt greifen die Vorschläge des vorliegenden Antrags zu kurz, wenn sie den Anspruch erfüllen sollen, „Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise ({0}) unterstützen“, wie es im Titel heißt. Nachhaltige Lösungen müssen viel grundsätzlicher an den Krisenursachen ansetzen. Im Vorfeld der UN-Gipfelkonferenz zur Finanzmarktkrise sollten wir die Zu Protokoll gegebene Reden Heike Häns Gelegenheit nutzen, solche Fragen, die ja international durchaus auf der Tagesordnung stehen, auch hier im Bundestag zu diskutieren. Die Stiglitz-Kommission hat einige interessante Anstöße dazu gegeben, unter anderem für ein globales Konjunkturprogramm und zur Neujustierung der internationalen Kreditvergabemechanismen. Die UN-Gipfelkonferenz Ende Juni könnte nun die Chance zu sehr weitreichenden Festlegungen bieten. Die Linke begrüßt, dass hier erstmals nicht die nur Krisenverursacher, sondern mehrheitlich die Krisenopfer über die Bewältigung der Krise und neue Regulationen verhandeln werden. Deshalb müssen von dieser Konferenz auch starke Botschaften ausgehen, die den Anspruch auf Regelungskompetenz der UN untermauern. Der Präsident der UN-Vollversammlung, Pater Miguel d’Escoto Brockmann aus Nicaragua, hat bereits sehr weitreichende Vorschläge eingebracht, unter anderem die Ablösung des Dollars als Reservewährung. Auch die künftige Rolle des Internationalen Währungsfonds hat d’Escoto sehr grundsätzlich infrage gestellt. Für uns weisen diese Vorschläge in die richtige Richtung. Die Linke unterstützt auch seine Forderungen nach globalen Steuern auf Kohlendioxid und Finanztransaktionen. Allerdings - wenig überraschend - hat d’Escoto für seine Vorschläge starken Gegenwind aus den Staaten des Nordens geerntet. Ich fordere die Bundesregierung auf, bei den laufenden Verhandlungen über das Abschlussdokument die fortschrittlichen Ansätze aus dem d’EscotoEntwurf zu unterstützen und sich dafür einzusetzen, dass der UN-Gipfel konkrete Wege in eine andere Weltwirtschaftsordnung aufzeigt. Das wäre die Voraussetzung, um einen wirkungsvollen und vor allem nachhaltigen Beitrag zur Bewältigung der Krisenfolgen in den Entwicklungsund Schwellenländern zu organisieren.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nie war es klarer: Diese Welt ist auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Für uns alle ist Globalisierung zur Realität geworden - mit all ihren positiven und negativen Folgen. Vor acht Wochen trat auf dem amerikanischen Kontinent zum ersten Mal eine neue Form des Grippevirus H1N1, die Schweinegrippe, auf. Mittlerweile haben 48 Länder der Weltgesundheitsorganisation offiziell 13 398 Fälle von Erkrankungen gemeldet. 95 Menschen sind gestorben, alle Kontinente sind betroffen. Vor knapp zwei Jahren begann in den USA die US-Immobilienkrise, auch „Subprime-Krise“ genannt. Was nach einer verhältnismäßig begrenzten und begrenzbaren Krise klang, hat sich mittlerweile ähnlich unaufhaltsam wie die Schweinegrippe ausgebreitet. Heute klingen die Bezeichnungen für diese Krise dramatisch: Wir reden von einer Weltwirtschaftskrise, der schlimmsten Wirtschaftsund Finanzkrise seit 80 Jahren. Offensichtlich ist: Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise sind nicht auf einzelne Regionen oder Kontinente beschränkt. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wird 2009 das gesamte Weltnationaleinkommen zurückgehen. Dieser negative Schock der Globalisierung trifft besonders die Entwicklungsländer - also genau diejenigen Länder, die nicht so stark in die Weltwirtschaft integriert sind. Bereits jetzt sind aufgrund der Krise 50 Millionen Menschen neu unter die Schwelle der absoluten Armut gefallen. Diese Zahl könnte sich bis zum Ende des Jahres auf 100 Millionen Menschen steigern. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich im Jahr 2000 verpflichtet, acht sogenannte Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 umzusetzen. In einigen Ländern wurden bereits deutliche Fortschritte erzielt. Doch auch dort rückt angesichts der jetzigen Lage der Welt ein Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele in weite Ferne. Wir dürfen die Entwicklungsländer in dieser Situation nicht wie so oft im Regen stehen lassen. Wir tragen ja die Verantwortung für diese Krise, die alle - in welcher Form auch immer - mitreißt, zumal die Auswirkungen der Krise viele Entwicklungsländer umso härter treffen, da die aktuelle Krise unmittelbar auf eine ohnehin fragile Situation folgt. In den letzten Jahren sahen sich insbesondere die rohstoffarmen Länder einer doppelten Belastung aus hohen Rohstoff- und hohen Lebensmittelpreisen ausgesetzt. In Haiti führten die stark angestiegenen Preise für Reis, Mais und andere Grundnahrungsmittel zu schweren Ausschreitungen mit mehreren Todesopfern. In Guinea waren die enorm gestiegenen Preise für Reis der Auslöser eines Generalstreikes, der sich im Laufe der Zeit zum Volksaufstand erweiterte und das Regime des Präsidenten an den Rand eines Umsturzes gebracht hatte. Paradoxerweise hat die Weltwirtschaftskrise jedoch dazu geführt, dass die Preise für Rohstoffe und damit für Lebensmittel wieder sanken, was positiv für viele Arme ist. Aber die rohstoffreichen Länder haben ihre Minen und ihre Produktion herunterfahren müssen. So ist zum Beispiel in Botswana durch den internationalen Kaufstopp bei Diamanten der Bergbau fast auf null gesetzt worden, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind ihre Arbeit los. Was bedeutet das konkret? Was können und müssen wir tun, um die Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Krise zu unterstützen? Deutschland muss nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten dafür eintreten, dass sich die Kluft zwischen reichen und armen Ländern und das Wohlstandsgefälle innerhalb der Länder nicht noch weiter vergrößern. Dafür haben wir Vorschläge unterbreitet. Aus eigenen Mitteln werden viele Entwicklungsländer die Auswirkungen der Krise für ihre Bevölkerung und ganz besonders für die verletzlichsten Gruppen wie Frauen mit Kindern nicht abfedern können. Das Auflegen von milliardenschweren Konjunkturprogrammen oder auch das Begleiten durch Sozialprogramme wie in den Industrieländern und in einigen Schwellenländern ist für sie meist undenkbar. Wir müssen sicherstellen, dass die von den Industrieländern beschlossenen Konjunkturpakete keine negativen Folgen auf die Entwicklungsländer haben. Und: Wir müssen den Entwicklungsländern dabei helfen, ihre Zahlungsbilanzschwierigkeiten auszugleichen. Die auf dem G-20-Gipfel in London beschlossene Aufstockung der Mittel für den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank sind dabei ein guter Schritt. Auch wenn sich die Zu Protokoll gegebene Reden el ({0}) Maßnahmen durch eine Konzentration auf die Wirtschaftszentren auf eine kurzfristige Stabilisierung der Weltwirtschaft beschränken werden, werden die Entwicklungsländer positive Auswirkungen spüren. In dieser Krise müssen wir die Weichen anders stellen: Investitionen in die Wirtschaft dürfen auf keinen Fall zulasten des Klimaschutzes gehen oder mit Umweltzerstörung einhergehen. Die Krise wäre die Chance zu einem Umsteuern in der Wirtschaftspolitik. Diese Gelegenheit zu einer Modernisierung und nachhaltigen Stabilisierung von Gesellschaften müssen wir nutzen. Wir brauchen einen weltweiten, einen Global Green New Deal, wie ihn auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, gefordert hat. In Entwicklungsländern haben viele Menschen - insbesondere Frauen - bereits ihre Arbeitsplätze verloren, weitere Hunderte Millionen Arbeitslose werden aller Voraussicht nach hinzukommen. Die Rücküberweisungen von Familienangehörigen im Ausland gehen zurück. Die Menschen in Entwicklungsländern sehen sich gezwungen, ihre wenigen persönlichen Ersparnisse aufzubrauchen. In afrikanischen und anderen Entwicklungsländern bedeutet dies zuallererst eine drastische Reduzierung der Einkommen von Frauen sowie der Beträge, die ihnen für die Ernährung der Familie zur Verfügung stehen. Soziale Sicherungsnetze, die die Menschen in Entwicklungsländern in dieser schwierigen Situation auffangen könnten, sind ohnehin oft ungenügend vorhanden. Dabei müssen wir uns besonders dafür engagieren, dass Entwicklungsländer beim Aufbau von sozialen Sicherungsnetzen, von Krankenversicherungen und anderen Formen der sozialen Absicherung unterstützt werden. Unsere Maßnahmen müssen sich auf die verwundbarsten Gruppen konzentrieren. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nicht nur das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Finanzinstitutionen erschüttert. Es ist an uns, zu beweisen, dass wir fest zu unseren Verpflichtungen stehen. Die Mittel der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit ODA, Official Development Aid, müssen mit einem klar festgelegten Zeitplan kontinuierlich erhöht und das 0,7-Prozent-Ziel endlich erreicht werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/13003 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hier sehe ich, Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 35: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Britta Haßelmann, Winfried Nachtwei, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Naturlandschaft Senne erhalten - Beteiligungsrechte beim Ausbau des Truppenübungsplatzes gewährleisten - Drucksache 16/12995 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({0}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die Kolleginnen und Kollegen Jürgen Herrmann, Rolf Kramer, Birgit Homburger, Inge Höger und Ute Koczy haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.

Jürgen Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003552, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Naturlandschaft Senne am Rande des Teutoburger Waldes ist ein ganz besonderer Naturraum, da stimme ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bündnis 90/Grünen-Fraktion, voll und ganz zu. Wir müssen sie schützen und erhalten - auch da stimme ich Ihnen voll zu. Wer hat sich denn aber bisher darum bemüht, diese Naturlandschaft zu erhalten? Wer hat etwas dazu beigetragen, dass sie sich zu einem Gebiet entwickeln konnte, in dem über 5 000 Tier- und Pflanzenarten leben? Kurioserweise hat sich diese Naturlandschaft entfalten können, ohne dass der Mensch hieran einen wesentlichen Anteil genommen hat und völlig unbeeindruckt von den wehrtechnischen Übungen, die von unseren britischen Bündnispartnern dort seit Jahrzehnten durchgeführt werden. Ein Widerspruch? Kein Widerspruch! Ohne menschliches Einwirken gab es hier über Jahrzehnte Truppenübungen im Einklang mit der Natur. Im Einklang miteinander lebten auch die Familien der britischen Streitkräfte und die Menschen der Anrainerkommunen. Von den 4 000 hier stationierten britischen Soldaten profitierten das örtliche Gewerbe, der Handel und viele Bürgerinnen und Bürger. Es wurden Arbeitsplätze geschaffen, es gab einen Ausbau der Infrastruktur, und viele mittelständische Betriebe waren Nutznießer britischer Auftraggeber. Wir leben in einer Demokratie, in der es immer wieder darum geht, verschiedene berechtigte Interessen gegeneinander abzuwägen. So muss auch hier, und zwar auf der Basis der gesetzlichen Grundlagen, abgewogen werden, was für den Naturraum Senne, die Menschen in der Region noch verträglich ist und was gleichzeitig den berechtigten Wünschen unseres britischen Bündnispartners entspricht. Laut Art. 53 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut dürfen „Truppen innerhalb der ihnen zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Flächen die zu der befriedigenden Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen“. Großbritannien ist einer der wichtigsten Bündnispartner Deutschlands, nicht zuletzt deshalb, weil er im Irak und in Afghanistan auch mit unseren Soldaten für eine freiheitliche Ordnung und friedliche Verhältnisse kämpft. Er sichert somit auch die deutschen Interessen im Ausland und schützt unser Land. Noch während der rot-grünen Regierung Schröder hat der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck festgestellt, dass „Deutschland auch am Hindukusch verteidigt wird“. Mit anderen Worten, er hatte neben vielen anderen guten verteidigungspolitischen Strategen erkannt, dass unsere Sicherheit nicht an den deutschen Grenzen endet. Wir agieren eben nicht nur als Deutsche, sondern als Europäer und haben somit auch die Verpflichtung, über den Tellerrand hinauszuschauen, auch wenn das mal unbequem ist. Auf der andeJürgen Herrmann ren Seite sind wir auch die Nutznießer dieser europäischen Sicherheitsstrategie und haben die Gewissheit, im Krisenfall auf eine breite Unterstützung zählen zu können. Jeder Soldat, der in Krisengebieten wie Afghanistan sein Leben lässt, ist einer zu viel, egal ob Brite oder Deutscher. Eine gute Vorbereitung auf den Ernstfall ist oberstes Gebot für den Schutz des Lebens der Soldaten im Einsatz und gewährleistet eine minimierte Verletzungsgefahr. Die Ausbaupläne der Briten, die im Übrigen längst nicht mehr dem entsprechen, was Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem Antrag formuliert haben, sondern massiv reduziert wurden, tragen den aktuellen Anforderungen nach einer bestmöglichen Ausbildung der Einsatzkräfte Rechnung. Auf Deutsch: Es geht um Menschenleben, und zwar täglich, denn wenn ich den Ernstfall immer wieder geübt und trainiert habe, bin ich vorbereitet, wenn es zum Schlimmsten kommt. Deshalb planen unsere britischen Freunde den Ausbau des Geländes zu Übungszwecken und haben uns angeboten, diese mitzunutzen. Soweit die Interessen aus gesamtdeutscher Sicht. Wer vor diesem Hintergrund noch fragt, wo da die Landesverteidigung stattfindet, macht die Augen zu vor der europäischen Verantwortung, die Deutschland zusammen mit den anderen europäischen Staaten trägt. Nun komme ich zu den Lokalinteressen der Anrainergemeinden und den rechtlichen Aspekten: Zunächst einmal kann ich feststellen, dass im Vorfeld ausführliche Gespräche mit den Gemeindevertretern vor Ort stattgefunden haben, in denen die Pläne durch britische Offiziere detailliert erläutert wurden und in denen alle Beteiligten ihre Meinung sagen konnten. Ich selbst habe mich ausführlich zusammen mit dem englischen Botschafter über die Planungen ausgetauscht und bin nach diesen Gesprächen davon überzeugt, dass es zu einer verträglichen Lösung für beide Seiten kommt. Sichtbarstes Zeichen sind die massiv reduzierten Ausbaupläne: Es werden keine 49 Kilometer Straßen ausgebaut und asphaltiert. Auf Höhlenkomplexe wird ganz verzichtet. Statt zwei Schießhäusern wird nur noch eines gebaut, statt fünf werden noch vier vorgeschobene Stützpunkte errichtet und anstatt sieben sind noch vier Übungsdörfer in der Planung. Diese Planungen finden unter strengster Beachtung der bestehenden umweltrechtlichen Vorschriften und auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 Baugesetzbuch statt. Umfängliche Umweltstudien werden seit letzten Jahres von einem Ingenieurbüro für Landschaftsarchitektur durchgeführt und ausgewertet. Das Bundesverteidigungsministerium kam zu dem Schluss, dass es nicht zu wesentlich größeren Lärmbelästigungen für die Anrainerkommunen kommen wird. Der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage vom November letzten Jahres entnehme ich, dass die Schießzeiten und somit eine mögliche Lärmbelästigung klar eingegrenzt sind. An Sonn- und Feiertagen wird überhaupt nicht geschossen. An Wochentagen darf nicht vor 8.00 angefangen und nach 16.00 geschossen werden. Nachtschießen darf höchstens dreimal im Monat geübt werden. In der Nähe von Ortschaften wird generell gar nicht geschossen. Eine rechtliche Beteiligung wird auch dadurch gewahrt, dass betroffene Gebietskörperschaften die Möglichkeit haben, gegen die Baumaßnahmen und den rechtlichen Bescheid der ausstellenden Behörde innerhalb eines Monats zu klagen. Ich kann Ihren Antrag nicht unterstützen, weil ich nicht erkennen kann, welche von Ihnen angesprochenen Punkte nach den jetzigen Planungen noch Bestand haben. Daher lehne ich ihn ab.

Rolf Kramer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vor allem Übungsplätze weisen aufgrund ihrer jahrelangen spezifischen militärischen Nutzung häufig eine besonders wertvolle Naturausstattung sowohl auf den Freigelände- als auch den Waldflächen aus. Dies gilt auch für den Übungsplatz Senne, und die Sorge um deren Erhalt ist nun Anlass für den heute zu beratenden Antrag der Grünen. Für das dort genannte Anliegen habe ich grundsätzlich volles Verständnis. Der Erhalt dieses schützenswerten Naturraums in der Senne ist ein hohes Gut und liegt im Interesse aller Beteiligten. Aber militärische Nutzung und Naturschutz schließen sich nicht aus. Vor allem Truppenübungsplätze sind häufig besonders wertvolle Naturgebiete mit viel Freigelände und zahlreichen Waldflächen. Dabei entstehen über die Jahre Strukturen, die es anderswo kaum noch gibt. Auf den militärischen Flächen treffen wir Landschaften an, die noch den traditionellen Strukturräumen der Regionen entsprechen. In Deutschland gibt es 25 Truppenübungsplätze mit einer Gesamtfläche von rund 240 000 Hektar. Der größte von ihnen ist Bergen in meinem Heimatland Niedersachsen mit etwa 28 500 Hektar. Drei Übungsplätze werden von den US-Streitkräften verwaltet und zwei von den Streitkräften Großbritanniens. Einer davon ist der im Antrag der Grünen angesprochene Übungsplatz Senne. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gebieten in der Bundesrepublik sind diese Gelände weder zersiedelt oder von Verkehrswegen zerschnitten noch werden sie wirtschaftlich genutzt oder als Freizeitgelände in Anspruch genommen. Darüber hinaus sind durch die Verteilung der Übungsgelände über das gesamte Gebiet der Bundesrepublik auf diese Weise ganz unterschiedliche Naturbiotope und Rückzugsflächen entstanden. Ihre Vielfalt reicht von ausgedehnten Sandflächen über Moorbereiche bis hin zu Heidegebieten. Rund 60 Prozent des Geländes sind bewaldet. Dabei sind auch dort fast alle natürlichen Waldgesellschaften vertreten, wie beispielsweise die Buchenmischwälder in Baumholder. Systematisch erfasst wurden die Tier- und Pflanzenarten dieser Gebiete seit Ende der 1980er-Jahre. Im Juli 2002 wurde die Richtlinie zur nachhaltigen Nutzung von Übungsplätzen in Deutschland erlassen. Diese und die Grundsatzweisung für den Umweltschutz in der Bundeswehr bilden die Grundlage für das Konzept zum Schutz der Umwelt innerhalb der Streitkräfte. Die militärische Nutzung ist sogar teilweise die Voraussetzung für die Existenz mancher Arten, eine Tatsache, die in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt ist und manchen auf den ersten Blick durchaus auch etwas Zu Protokoll gegebene Reden eigenartig erscheinen könnte. Unter Fachleuten ist es jedoch erwiesen, dass gerade die Übungsflächen der Bundeswehr den hohen Anforderungen des europäischen Naturschutzverbundsystems NATURA 2000 entsprechen. Dass die rein militärische Nutzung eines Truppenübungsplatzes der Natur nicht schadet, sondern oftmals nutzt, beweist die große Artenvielfalt und das Vorkommen vom Aussterben bedrohter Tierarten, die fast nur noch auf militärisch genutztem Gelände zu finden sind. Diese Aussagen gelten auch für den Truppenübungsplatz Senne. Die britischen Streitkräfte haben nun erklärt, den Truppenübungsplatz für mindestens weitere 27 Jahre zu nutzen. Außerdem soll er zum wichtigsten Ausbildungszentrum der britischen Armee in Deutschland ausgebaut werden. Dazu sollen ab diesem Jahr bauliche Veränderungen vorgenommen werden, insbesondere der Bau von weiteren sogenannten „Kampfdörfern“ auf dem Übungsgelände. Gegen diese Baumaßnahmen an sich sowie das damit verbundene Verfahren wendet sich nun der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Er greift damit Kritik aus der Region an diesen Maßnahmen auf. Die rechtliche Grundlage für die von der britischen Rheinarmee geplanten Baumaßnahmen auf dem Übungsplatz Senne bilden das NATO-Truppenstatut einschließlich Zusatzabkommen sowie die entsprechenden Ausführungsbestimmungen. Der Art. 21 a des „Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen“ legt dabei fest, dass auf „Vorhaben der Entsendestaaten“, hier Großbritannien, § 37 des Baugesetzbuches Anwendung findet. Damit fallen diese Baumaßnahmen formal unter die Privilegierung baulicher Maßnahmen des Bundes und der Länder. Der Abs. 2 lautet: „Handelt es sich dabei um Vorhaben, die der Landesverteidigung, dienstlichen Zwecken der Bundespolizei oder dem zivilen Bevölkerungsschutz dienen, ist nur die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich.“ Diese Regelung bedeutet, dass die Beteiligungsrechte der betroffenen Kommunen auf ein reines Anhörungsrecht eingeschränkt werden. Allerdings müssen auch in diesem Verfahren die geltenden deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften beachtet werden. Auch das deutsche Umwelt- und Naturschutzrecht findet damit seine Anwendung. Das Bundesverteidigungsministerium als zuständige oberste Bundesbehörde kann sich dabei auch nicht alleine über von den beteiligen Kommunen vorgebrachte Bedenken bzw. Widersprüche hinwegsetzen. Dazu ist vielmehr ein Einvernehmen zwischen Verteidigungs-, Verkehrs- und Finanzministerium in dieser Frage herzustellen. Ich gestehe ein, dieses Verfahren ist vor Ort bei den Betroffenen schwer vermittelbar, aber es hält sich an die derzeit geltende Rechtslage des NATO-Truppenstatuts. Daran wird sich kurzfristig auch nichts ändern lassen, auch nicht mit der Zustimmung zum Antrag der Grünen. Zur Klärung der grundsätzlichen Frage, ob das hier gewählte Verfahren nach § 37 Baugesetzbuch noch zeitgemäß ist, bedürfte es aus meiner Sicht mehr Zeit. Dieser Paragraf betrifft ja nicht nur militärische Liegenschaften, sondern die Privilegierung von Baumaßnahmen von Bund und Ländern allgemein. Im vorliegenden aktuellen Fall der Baumaßnahmen auf dem Übungsplatz Senne hat das Bundesverteidigungsministerium bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10801 vom 5. November 2008 deutlich gemacht, dass die Planung der Baumaßnahmen unter strikter Beachtung der bestehenden umweltrechtlichen Vorschriften erfolgt. Aufgrund der naturschutzfachlichen Untersuchungen wurden auch schon konkrete Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Verminderung von Schäden vorgeschlagen und eine deutliche Reduzierung des Bauumfangs erreicht. Aus meiner Sicht bleibt es allerdings unabdingbar, dass vonseiten des Verteidigungsministeriums sowie der britischen Streitkräfte die Transparenz des gesamten Verfahrens für die betroffenen Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort gewährleistet bleibt. Dazu sollten auch über die vorgeschriebenen Anhörungsrechte der Kommunen hinausgehende Maßnahmen vonseiten der Vorhabenträger mit einbezogen werden. Aus meiner Sicht bestände die Möglichkeit, dass dies auch der Bundestag in einer Entschließung gegenüber der Bundesregierung und dem federführenden Verteidigungsministerium zum Ausdruck bringt. Vielleicht ist dies ein Weg, auf den wir uns zwischen den Fraktionen einigen können. Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal feststellen: Militärische Nutzung und Naturschutz müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. In vielen Fällen bedingen sie sich gegenseitig. Lassen Sie uns diese Tatsache bei aller Kontroverse um die Baumaßnahmen auf dem Truppenübungsplatz Senne nicht aus den Augen verlieren.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Truppenübungsplatz Senne blickt auf eine 117-jährige Geschichte zurück. Was 1892 relativ bescheiden begann, weitete sich auf eine Fläche von 116 km2 aus. Die intensivste Nutzung fand ohne Zweifel während der Hochzeit des Kalten Krieges statt, als er den britischen Truppen überlassen war. Heute wird der Truppenübungsplatz unverändert von den britischen Streitkräften genutzt, die in der näheren Umgebung fünf Standorte mit 4 000 Soldaten unterhalten. Daneben nutzen allerdings auch die belgische und die niederländische Armee sowie die Bundeswehr den Übungsplatz, dessen weitaus größter Teil Eigentum der Bundesrepublik Deutschland ist. Wenngleich militärische Übungen ohne Zweifel eine Reihe von Umweltbelastungen mit sich bringen, so gewährleistet der Ausschluss anderer Nutzungen von Truppenübungsplätzen doch auch den Erhalt einzigartiger Landschaften. Dies trifft besonders auch für den Platz Senne zu, wie verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen beweisen. So ist hier ein Mosaik aus Heiden, Mooren, Dünen, naturnahen Fließgewässern und Feuchtwäldern erhalten geblieben, das einer ansonsten selten gewordenen Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten die Grundlage zum Überleben bietet. Besonders erwähnenswert ist, dass in dem Bereich seit Jahren der Arbeitskreis „Naturschutz auf dem Truppenübungsplatz Senne“ erfolgreich wirkt, dem sowohl britische und deutsche Militärvertreter als auch die zuständigen Behörden und ein Zu Protokoll gegebene Reden ehrenamtlich tätiger Naturschutzberaterstab der Bezirksregierung Detmold angehören. Soldatinnen und Soldaten müssen üben, um einsatzfähig zu sein. Ihnen müssen die notwendigen Übungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Es ist die Pflicht der Regierungen und Parlamente, die die Soldatinnen und Soldaten einsetzen, ihnen durch optimale Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung den größtmöglichsten Schutz zu gewähren. Es ist einfach doppelbödig, wenn Bündnis 90/Die Grünen einerseits Auslandseinsätze der Bundeswehr beschließen, andererseits den Streitkräften aber die notwendigen Übungsmöglichkeiten zunehmend entziehen wollen. Die Grünen haben erst kürzlich wieder dafür plädiert, Übungstätigkeiten der Bundeswehr in befreundete Länder verlegen zu wollen. Wollen auf der anderen Seite aber befreundete Länder in Deutschland üben, dann soll dies nicht möglich sein. Das ist nicht partnerschaftlich und schlicht unaufrichtig. Die britischen Streitkräfte waren im Verlauf von Gesprächen vor Ort und Verhandlungen kompromissbereit. Sie haben ihre ursprünglichen Ausbaupläne substanziell reduziert. Eine ähnliche Kompromissbereitschaft ist bei Bündnis 90/Die Grünen nicht zu erkennen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen richtet sich vordergründig gegen den Ausbau des Truppenübungsplatzes. Das Ziel zweier Bürgerinitiativen aus dem Umland ist jedoch ein anderes: die Aufgabe des Platzes. Ein solcher Schritt würde den deutschen Soldatinnen und Soldaten sowie denen der verbündeten Streitkräfte dauerhaft eine weitere Übungsmöglichkeit entziehen. Darüber hinaus würde eine Wertschöpfung von etwa 100 Millionen Euro pro Jahr entfallen und der Kleinflughafen Lippstadt, der sehr stark von Angehörigen der britischen Streitkräfte frequentiert wird, von der Schließung bedroht sein. Und mehr als fraglich wäre letztendlich, ob die derzeitige Pflanzen- und Tierwelt der Senne nach einer Schließung des Truppenübungsplatzes in ihrer Vielfalt und zum Teil Einzigartigkeit bestehen bleiben würde. Die FDP ist zweifelsfrei für den Erhalt der ungewöhnlichen Naturlandschaft. Sie ist aber ebenso entschieden für Redlichkeit, Verlässlichkeit und Lastenteilung. Wer Soldatinnen und Soldaten in Einsätze schickt, muss ihnen insbesondere auch durch optimale Ausbildung und Übungsmöglichkeiten sowie bestmögliche Ausrüstung und Bewaffnung die Chance geben, unversehrt aus eben diesen Einsätzen zurückzukehren. Dafür steht die FDP und deshalb lehnt sie den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Seit etwa 150 Jahren ist die Region Senne als Übungsplatz für Militärs zahlreichen Belastungen ausgesetzt. Anstatt diese unrühmliche Tradition nun endlich zum Abschluss zu bringen, will die britische Rheinarmee mit tatkräftiger Unterstützung der Bundesregierung den Truppenübungsplatz Senne weiter ausbauen. Die britische Armee beabsichtigt, bis 2012 die Übungsmöglichkeiten für ihre Soldaten in der Senne deutlich auszubauen und den Übungsplatz mindestens weitere 27 Jahre zu nutzen. Angeblich für den Ausbildungsbedarf der Soldatinnen und Soldaten sollen nun ein zusätzliches Schießhaus, vier vorgeschobene Stützpunkte und vier Übungsdörfer nötig sein. Ursprünglich hatte die britische Armee noch weiter gehende Ausbaupläne, die jedoch aus Geldmangel voraussichtlich nicht mehr umsetzbar sind. Es ist aber in jedem Fall mit einer ganz massiven Intensivierung des militärischen Übungsbetriebs zu rechnen. Dies wird zu mehr Lärmbelastung für die Anwohnerinnen und Anwohner, zu stärkeren Eingriffen in das wertvolle Ökosystem und zu einem noch weiter gehenden Ausschluss der Bevölkerung aus der Nutzung der Naturlandschaft führen. Wieder einmal macht die Bundesregierung hier Politik gegen die eigene Bevölkerung. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts EMNID befürchten 80 Prozent der Menschen in Ostwestfalen-Lippe massive Auswirkungen für Menschen und Natur durch den Ausbau des Truppenübungsplatzes Senne. Dennoch ermöglicht die Bundesregierung mit ihrer Behauptung, es würde hier unmittelbar um Belange der Landesverteidigung gehen, ein undemokratisches Planungsverfahren, in dem die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Menschen in der betroffenen Region Ostwestfalen-Lippe maßgeblich beschnitten werden. Es ist völlig inakzeptabel, dass die Öffentlichkeit und die betroffenen Kommunen bei den Planungen bestenfalls angehört werden, jedoch keine gesicherten Einspruchsmöglichkeiten bestehen. Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass hier nicht weiterhin militärisches Sonderrecht gilt, sondern wie bei allen anderen Planungsverfahren auch, die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner sowie die Zuständigkeiten der Kommunen beachtet werden. Dazu gehört auch die Möglichkeit zu Widerspruch und Klage gegen die Pläne der Militärs. Übungsplätze, auf denen Krieg und Besatzung im Irak und Afghanistan sowie möglicherweise zukünftig noch in weiteren Regionen geübt werden, verdienen keine Vorzugsbehandlung. Im Gegenteil, das Grundgesetz und die deutsche Geschichte verpflichten uns zu einer klaren Ablehnung jeder Form der Kriegsvorbereitung. Trotz der leichten Reduzierung der Entwicklungspläne der britischen Armee geht es immer noch um einen spürbaren Ausbau. Mit einer Entscheidung für den Ausbau wird mittel- und langfristig die Entwicklung eines Nationalparks Senne und der gesamten Region blockiert und eine militärische Nutzung auf Jahrzehnte festgeschrieben. Die Linke fordert deswegen die Aussetzung des undemokratischen Planungsverfahrens. Wir schließen uns der Forderung der Bürgerinitiativen „Keine neuen Kampfdörfer in der Senne!“ an und fordern darüber hinaus einen Stopp der Kriegsvorbereitungen in der Senne und anderen Übungsplätzen sowie die Schließung des Truppenübungsplatzes.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Naturlandschaft in der Senne gehört mit ihren mehr als 5 000 Tier- und Pflanzenarten, davon über 1 000 Arten der Roten Liste, zu den besonders schützenswerten Naturräumen in Deutschland. Wir Grünen treten aus diesem Grund schon lange dafür ein, diese einmalige Naturlandschaft zu bewahren und in einen Nationalpark SenneEggegebirge zu überführen. Zu Protokoll gegebene Reden Die in der Senne stationierten britischen Streitkräfte planen nun einen erheblichen Ausbau und eine wesentlich intensivere Nutzung ihres 112 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatzes Senne. Nach Aussage der britischen Streitkräfte ist der Zweck der geplanten Baumaßnahmen die Vorbereitung britischer Soldaten auf ihre Auslandseinsätze, unter anderem in Afghanistan. Die britischen Streitkräfte haben erklärt, dass sie den Truppenübungsplatz Senne weitere 27 Jahre nutzen und ihn zu einem wichtigen Zentrum der Ausbildung ihrer Soldaten machen wollen. Andere Übungsstandorte in NordrheinWestfalen und Niedersachsen sollen dafür geschlossen werden. Konkret sollen sogenannte Übungsdörfer für den Häuserkampf gebaut werden. Ich nenne diese Übungsdörfer beim wirklichen Namen: Es sind Kampfdörfer. Ich bin überzeugt davon, dass die Verwirklichung der britischen Ausbaupläne, auch in der durch den Protest der betroffenen Bürgerinnen und Bürger nun vorgelegten abgemilderten Form, das Ökosystem im Fauna-FloraHabitat- und Vogelschutzgebiet der Senne in erheblichem Ausmaß schädigen wird. Denn statt der bisher circa 4 000 britischen Soldaten soll die drei- bis vierfache Anzahl in der Senne üben. Diese Nutzungsintensivierung wäre nicht nur für Flora und Fauna schädlich, auch die Menschen der umliegenden Region und Anrainergemeinden würden durch zunehmenden Lärm bei Schieß- und Hubschrauberbetrieb und durch Kettenfahrzeuge auf Betonpisten zusätzlich beeinträchtigt und gestört. Für die angrenzenden Erholungs- und Kurorte wäre dies ein existenzbedrohender, herber Rückschlag. Die Nationalparkidee würde ebenfalls einen deutlichen Rückschlag erleiden und müsste für Jahrzehnte auf Eis gelegt werden. Die geplante Errichtung der Kampfdörfer in der Senne berührt zudem nachhaltig Belange des Natur- und des Lärmschutzes sowie der touristischen Entwicklung. Damit greift die beschriebene Baumaßnahme in originäre Zuständigkeiten der betroffenen Kreise und Kommunen ein. Doch die Beteiligungsrechte der betroffenen Kreise und Kommunen werden eingeschränkt und ausgehebelt. Denn zur Begründung einer in Aussicht gestellten Genehmigung der britischen Ausbaupläne ließ die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion im November 2008 verlauten: „Die Baumaßnahmen dienen unmittelbar der Landesverteidigung“. Durch die schwer nachvollziehbare Feststellung der Bundesregierung, bei den Ausbauplänen der vor allem außerhalb Europas eingesetzten britischen Streitkräfte handele es sich um Maßnahmen, die der unmittelbaren Landesverteidigung Deutschlands dienen, sollen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort als nachrangig eingestuft und die Beteiligungsrechte der Kreise und Kommunen ausgehebelt werden. Zudem wird der Verteidigungsbegriff damit bis zur Unkenntlichkeit ausgeweitet und politisch enthemmt. Das ist nicht akzeptabel und trifft auf unseren Widerstand. Wir fordern die Bundesregierung auf, klarzustellen, dass die geplanten Baumaßnahmen durch die britische Rheinarmee nicht „unmittelbar der Landesverteidigung dienen“, und dafür Sorge zu tragen, dass die betroffenen Kreise und Kommunen ihre legitimen Beteiligungsrechte wahrnehmen können. Wir fordern, dass bei der Planung die Belange der Senne-Anwohnerinnen und -Anwohner gewährleistet sind. Dazu gehört aus unserer Sicht selbstverständlich ein Widerspruchs- und Klagerecht der Betroffenen. Es darf nicht sein, dass die geplanten Bauvorhaben in einem reinen Anhörungsverfahren genehmigt werden. Die Zuständigkeitsrechte der lokalen Behörden - in diesem Fall betrifft das das Bau- und Umweltrecht sind zu beachten und einzuhalten. Ich fordere, bis zur abschließenden Klärung der Beteiligungsrechte der betroffenen Kreise und Kommunen sämtliche genehmigungsrechtlichen Maßnahmen zu unterlassen. Wir brauchen auf jeden Fall gesetzliche Voraussetzungen für Nutzungsplanungen, die dem heutigen Stand des materiellen Planungsrechts entsprechen. An die Adresse der britischen Streitkräfte sagen wir Grünen: Nehmen Sie von den Erweiterungsplänen Abstand! Jeglichen Plänen, die Senne militärisch intensiver zu nutzen, erteilen wir eine Absage - zum Schutz der Natur, für die Menschen. Am kommenden Pfingstmontag werde ich mit vielen Bürgerinnen und Bürgern unter dem Motto „Keine neuen Kampfdörfer in der Senne! Natur schützen - Landschaft bewahren - Frieden schaffen“ wieder auf die Straße gehen und engagiert und lautstark unserem Protest Ausdruck verleihen. Seien Sie sicher, dass wir Grünen das weitere Verfahren intensiv begleiten werden - vor Ort mit den Menschen genauso wie im parlamentarischen Raum. Zum Schluss möchte ich mein Bedauern zum Ausdruck bringen, dass es nicht gelungen ist, auf Grundlage des von uns eingebrachten Antrags zu einer interfraktionellen Einigung zu kommen und im Deutschen Bundestag eine gemeinsame Linie zu finden. CDU/CSU und FDP haben dem Antrag eine Absage erteilt. Das ist sehr schade; denn eigentlich sollten wir uns alle einig sein für den Erhalt der wertvollen Naturlandschaft Senne, für die Zukunft der Region mit einem Nationalpark!

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Auch hier wird interfraktionell Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12995 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind auch damit einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. ({0}) Ich wünsche Ihnen für den restlichen Abend noch einige angenehme Stunden und bedanke mich, dass Sie so lange ausgeharrt haben. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. Mai 2009, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.