Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, gibt es
einige amtliche Mitteilungen. Wir beginnen mit einer
rundum erfreulichen Mitteilung: Der Kollege Ernst
Burgbacher feiert heute seinen 60. Geburtstag.
({0})
Dazu darf ich Ihnen - ganz offenkundig im Namen des
ganzen Hauses - herzlich gratulieren.
Gratulieren möchte ich auch dem Kollegen Gert
Weisskirchen und der Kollegin Uschi Eid, die am 16.
bzw. 18. Mai ähnlich runde Geburtstage gefeiert haben.
Auch Ihnen meine ganz besonders herzlichen Glückwünsche!
({1})
- Ich weiß gar nicht, ob solche rührenden Verbrüderungsszenen von den Stenografen erfasst werden. Im
Ausnahmefall, finde ich, ist das angemessen; das will ich
hiermit angeregt haben.
Der Kollege Dr. Frank Schmidt hat mit Wirkung vom
25. Mai 2009 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin begrüße ich
herzlich die Kollegin Dr. Erika Ober.
({2})
Herzlich willkommen und gute Zusammenarbeit!
Die Fraktion der FDP teilt mit, dass Herr Gerry Kley
sein Amt als stellvertretendes Mitglied im Stiftungsrat
der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur niedergelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Christoph Waitz vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege
Waitz hiermit zum stellvertretenden Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
FDP:
Haltung der Bundesregierung zu den kritischen Äußerungen von EU-Kommissar Günter Verheugen über die Bankenaufsicht in
Deutschland
({3})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({4})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung des Übereinkommens vom 25. Juni
1998 über den Zugang zu Informationen, die
Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in
Umweltangelegenheiten ({5})
- Drucksache 16/13115 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Sicherung der Bauforderungen
- Drucksache 16/13159 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid
Wolff ({8}), Gisela Piltz, Dr. Max Stadler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufenthalt, die
Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet ({9})
- Drucksache 16/13160 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Peter Hettlich, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Alternativen zum Weiterbau der Bundesautobahn A 100 in Berlin
- Drucksache 16/13172 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({12}), Birgitt Bender, Dr. Thea Dückert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz schaffen - Verbindliches Register
für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter einführen
- Drucksache 16/13174 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({13})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck
({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dopingvergangenheit umfassend aufarbeiten
- Drucksache 16/13175 -
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({15}), Katrin Göring-Eckardt, Peter
Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umsetzungsgesetz für UNESCO-Welterbeübereinkommen vorlegen
- Drucksache 16/13176 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({16})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz
({17}), Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sport fördert Integration
- Drucksache 16/13177 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({18})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({19})
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({20})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild
Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des
Rates über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union ({21})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jerzy Montag,
Volker Beck ({22}), Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Europäische Überwachungsanordnung rechtsstaatlich absichern - Stellungnahme gemäß
Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
- Drucksachen 16/12733, 16/12856 ({23}),
16/13101 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({24})
Mechthild Dyckmans
Jerzy Montag
ZP 4 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({25}) zu dem Gesetz zur Änderung
des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
- Drucksachen 16/8100, 16/12315, 16/13079,
16/13210
Abgeordneter Wolfgang Zöller
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Jens Ackermann, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und
West
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Cornelia Behm, Birgitt Bender,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rentenwert in Ost und West angleichen
- Drucksachen 16/9482, 16/10375, 16/13201 Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck ({1}), Kai Gehring,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ({2})
- Drucksache 16/13154 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 7 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksachen 16/10529, 16/10581 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksache 16/31 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache 16/13219 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Dr. Michael Bürsch
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von
Neuforn, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Mehr Datenschutz beim so genannten Scoring
- Drucksachen 16/683, 16/13219 Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Dr. Michael Bürsch
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn
ZP 8 Beratung des Antrags der Bundesregierung
Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias
- Drucksache 16/13187 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({6})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Am heutigen Donnerstag werden die Tagesordnungspunkte 8, 20 und 30 abgesetzt. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken jeweils vor.
Morgen werden die Tagesordnungspunkte 44 und 45
abgesetzt und die Tagesordnungspunkte 41 und 42 getauscht.
Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften
- Drucksachen 16/12256, 16/12677 überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit ({8})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Der in der 220. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz24546
Präsident Dr. Norbert Lammert
lich dem Innenausschuss ({9}) und dem Ausschuss für Gesundheit ({10}) zur Mitberatung
überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften
- Drucksache 16/12784 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Der in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Akkreditierungsstelle ({13})
- Drucksache 16/12983 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
- Ich habe den Eindruck, auch dazu gibt es Einverneh-
men. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 f auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe ({15})
- Drucksache 16/6268 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({16})
- Drucksache 16/13094 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({17})
Joachim Stünker
Sevim Dağdelen
b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Regelung der Verständigung
im Strafverfahren
- Drucksache 16/12310 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung
der Verständigung im Strafverfahren
- Drucksache 16/11736 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Regelung von Absprachen im Strafverfahren
- Drucksache 16/4197 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({18})
- Drucksache 16/13095 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({19})
Joachim Stünker
Sevim Dağdelen
c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
- Drucksache 16/12428 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verfolgung
der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
- Drucksache 16/11735 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern ({20})
- Drucksache 16/7958 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({21})
- Drucksache 16/13145 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Siegfried Kauder ({22})
Joachim Stünker
Sevim Dağdelen
Präsident Dr. Norbert Lammert
d) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
- Drucksache 16/12321 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck ({23}),
Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung
für Strafverfolgungsmaßnahmen
- Drucksache 16/11434 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({24})
- Drucksache 16/13096 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({25})
Jörg van Essen
Jerzy Montag
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({26}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen,
Mechthild Dyckmans, Jens Ackermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Angemessene Haftentschädigung für Justizopfer sicherstellen
- Drucksachen 16/10614, 16/13096 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({27})
Jörg van Essen
Jerzy Montag
f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Untersuchungshaftrechts
- Drucksache 16/11644 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({28})
- Drucksache 16/13097 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({29})
Dr. Matthias Miersch
Sevim Dağdelen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
({30})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Mit den fünf Gesetzen, die wir heute
hier, im Deutschen Bundestag, beschließen, vollenden
wir das strafrechtliche Arbeitsprogramm der Großen
Koalition. In den vergangenen vier Jahren haben wir
knapp 30 Projekte realisiert. Damit haben wir nicht nur
den Koalitionsvertrag erfüllt, sondern wir haben auch
eine Menge erreicht: Wir haben mehr Sicherheit geschaffen, wir haben Opfer besser geschützt, und wir haben den Rechtsstaat gestärkt.
({0})
Zunächst zur Sicherheit. Immer wieder müssen wir
bestehende, neu identifizierte Schutzlücken im materiellen Strafrecht schließen. Das tun wir auch jetzt mit dem
GVVG. Künftig kann bestraft werden, wer sich zur Begehung von Terroranschlägen einer Ausbildung unterzieht. Wir stellen auch das Verbreiten von Anschlagsplänen im Internet unter Strafe. Mit diesem Gesetz
reagieren wir auf neue Organisationsformen des Terrorismus. Auch Einzeltäter, die wir zunehmend beobachten, können künftig angemessen bestraft werden.
({1})
Polizei und Justiz brauchen außerdem die nötigen Ermittlungsinstrumente. Mit der Vorratsdatenspeicherung
haben wir einen wichtigen Schritt unternommen, um
Straftaten aufklären zu können.
Schließlich brauchen wir auch ein Prozessrecht, das
hilft, Anschläge und andere schwere Verbrechen zu verhindern. Deshalb ist die Kronzeugenregelung, die wir
heute beschließen, so wichtig.
({2})
Das Verhalten eines Täters nach der Tat, Herr Kollege
Ströbele, konnte schon immer strafmildernd berücksichtigt werden.
({3})
Das schreiben wir jetzt ausdrücklich ins Gesetz. Zudem
schaffen wir klare Vorgaben, in welchem Umfang Strafen gemildert werden können. Das schafft sehr viel mehr
Transparenz und erhöht den Anreiz für eine Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz.
({4})
Trotzdem haben wir dafür gesorgt, dass auch in Zukunft niemand seiner gerechten Strafe entgeht, indem
wir im Gesetz zum Beispiel festgeschrieben haben, dass
bei Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht
unter ein Strafmaß von zehn Jahren erkannt werden darf.
Übermäßige Milderungen wird es also nicht geben. Das
verhindert das Gesetz.
Der Kampf gegen latente Gefahren des Terrorismus
ist wichtig. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die
Menschen vor den konkreten Alltagsgefahren sicher sind
und sich sicher fühlen. Auch diesbezüglich hat die
Große Koalition gehandelt und zum Beispiel den Schutz
vor Stalking verbessert. Inzwischen sind mehrere Tausend Verfahren zu diesem Straftatbestand anhängig. Das
zeigt, dass das eine notwendige Maßnahme war. Diese
Maßnahme kommt vor allem Frauen zugute; denn mehr
als 80 Prozent der Opfer sind Frauen.
Wir haben außerdem den Kampf gegen Kindesmissbrauch gestärkt und das erweiterte Führungszeugnis eingeführt. Das erhöht den Schutz der Kinder; denn jeder,
der künftig beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten will, muss durch Vorlage eines solchen Führungszeugnisses nachweisen, dass er nicht einschlägig vorbestraft ist.
Jugendliche können aber nicht nur Opfer, sondern
auch Täter werden. Deswegen haben wir zum Schutz vor
jugendlichen Gewalttätern zwischen 14 und 17 Jahren
den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherheitsverwahrung ausgedehnt. Wir haben außerdem das Jugendgerichtsgesetz ergänzt. Dort ist nun ausdrücklich
festgeschrieben: Bei Jugendlichen geht Erziehung vor
Strafe. Das ist ein deutliches Bekenntnis zu einer modernen Kriminalpolitik, und es ist eine klare Absage an
jene, die ständig nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts rufen.
({5})
Zu einem fairen Ausgleich von Freiheit und Sicherheit gehört aber auch die Stärkung der Bürgerrechte
und des Rechtsstaates. Auch das hat die Große Koalition mit Veränderungen in dieser Legislaturperiode angepackt. Wir haben vor allem mit der Neuregelung der
heimlichen Ermittlungsmaßnahmen gemäß Strafprozessordnung Maßstäbe gesetzt. Wir haben dort die Eingriffsvoraussetzungen verschärft, dem staatlichen Handeln
Grenzen gesetzt, den Schutz der Berufsgeheimnisträger
gestärkt und den Schutz gegen Überwachungsmaßnahmen ausgebaut.
Heute stärken wir den Rechtsstaat erneut: Wir stellen
die Beschränkungen für Untersuchungsgefangene, die
über die Freiheitsentziehung hinausgehen, zum Beispiel
die Postkontrolle, auf eine klare gesetzliche Grundlage.
Wir sorgen auch dafür, dass Gefangene Möglichkeiten
des Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen haben.
Wichtig ist zudem: Künftig müssen die Betroffenen
schon bei der Festnahme belehrt werden, und von Beginn der Haft an wird ihnen ein Pflichtverteidiger zur
Seite gestellt.
Außerdem wird heute durch einen Gesetzesbeschluss
die Entschädigung für all jene erhöht, die zu Unrecht
hinter Gittern saßen. Die Kosten dafür tragen die Länder; das ist so in diesem föderalen System. Ich bin den
Ländern dafür dankbar, dass diese Initiative von ihnen
ausgegangen ist.
({6})
Die vorgeschlagene Erhöhung der Entschädigung für
den immateriellen Schaden von 11 Euro auf 25 Euro pro
Tag ist notwendig und richtig. Richtig ist auch, dass wir
pauschal entschädigen, weil Ansehen, Vorleben, Prominenz oder Einkommen an dieser Stelle keine Rolle spielen dürfen. Die Freiheit der Betroffenen muss dem Staat
in jedem Falle gleich viel wert sein.
({7})
Um Gleichheit geht es auch bei dem letzten Projekt,
das wir heute verabschieden: der Verständigung im
Strafverfahren. An dieser Stelle gibt es immer ein großes
Missverständnis: Verständigungen sind - entgegen weitverbreiteter Ansicht, vor allen Dingen in der Presse keine Privilegien für Weiße-Kragen-Täter; vielmehr sind
sie in unserer Justiz gerade bei „kleinen Fischen“ Alltag.
Der Unmut ist auch deshalb entstanden, weil Verfahren
zu spektakulären Einzelfällen in der Vergangenheit zu
wenig transparent waren. Genau das wollen wir mit unserem Gesetz ändern: Wir wollen die Verständigung aus
den Gerichtsfluren und den Hinterzimmern holen und in
das Licht der Hauptverhandlung rücken.
({8})
Das sorgt für mehr Transparenz und stärkt auch das Vertrauen in die Justiz.
Eines muss klar sein: Egal wie prominent, wie bekannt, wie reich ein Angeklagter ist und egal wie gut
seine Anwälte sind: Vor dem Gesetz müssen auch weiterhin alle gleich sein.
({9})
Richtig ist deswegen, dass wir kürzlich die Tagessätze
bei Geldstrafen erhöht haben, und zwar von 5 000 Euro
auf bis zu 30 000 Euro, je nach Tagesverdienst einer Person. Das heißt: Wir können künftig auch Topverdiener
angemessen bestrafen.
Meine Damen und Herren, entscheidend bleibt allerdings, dass komplexe Wirtschafts- und Steuerstraftaten
von der Justiz vollständig aufgeklärt werden. Deswegen
müssen Staatsanwaltschaften und Gerichte personell
ausreichend ausgestattet sein. Sie wissen, dass meine
Schlussfolgerung zu diesem Thema unter dem Schlagwort steht: Gerechtigkeit braucht eine starke Justiz.
({10})
Dafür hat der Deutsche Bundestag in dieser Wahlperiode eine Menge getan. Ich denke, die Arbeit wird in
der nächsten Wahlperiode fortgesetzt werden. Ich
möchte mich bei all denen hier im Hohen Hause, die in
den letzten vier Jahren mit ihrem Engagement dazu beigetragen haben, dass wir weitere Erfolge für den sozialen Rechtsstaat erlangen konnten, recht herzlich bedanken.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe erwartet, dass die Bundesjustizministerin hier heute
eine Bilanz zieht. Bei den vielen verschiedenen Gesetzentwürfen, die zu einem Paket geschnürt worden sind,
bietet es sich tatsächlich an, einen Blick zurück auf diese
Legislaturperiode zu werfen.
In der Rechtspolitik ist es anders als in vielen anderen
Politikbereichen des Deutschen Bundestages. Wir haben
immer den Stil gepflegt, dass es zwischen Koalition und
Opposition intensive Gespräche über die entsprechenden
gesetzgeberischen Vorhaben gegeben hat.
({0})
All das, was wir in anderen Ausschüssen erleben - dass
man sich gelegentlich gegenseitig beschimpft, dass man
miteinander nicht sachlich umgeht -, ist in der Rechtspolitik, Gott sei Dank, nicht der Fall. Ich bin sehr dankbar dafür und schließe mich deshalb, Frau Ministerin,
dem Dank an, dass das in dieser Legislaturperiode in unserem Ausschuss, im Rechtsausschuss, wieder möglich
war.
({1})
- Ausnahmen bestätigen die Regel, Herr Kollege; das
wissen Sie.
Trotzdem möchte ich sagen, dass für uns als Liberale,
als FDP-Bundestagsfraktion, die heutige Bilanz sehr unterschiedlich ausfällt. Es gibt Dinge, die wir sehr begrüßen. Am meisten freut mich der Fortschritt, den wir im
Bereich des Operschutzes erreicht haben. Ich schaue
den Kollegen Kauder an, weil ich weiß, dass er ganz besondere Verantwortung dafür hat, dass wir hier ein Stück
vorangekommen sind, und zwar ein gehöriges Stück.
({2})
Ganz herzlichen Dank für Ihr Engagement! Viele andere
waren ebenfalls daran beteiligt, dass wir das schaffen
konnten.
Das findet jetzt zunehmend Kritik - ich bedauere das
sehr -, insbesondere in der Anwaltschaft. Wir erhalten
sehr viele Schreiben, in denen steht, die Rolle des Beschuldigten werde beeinträchtigt. Genau das ist aus meiner Sicht nicht der Fall. Das Opfer war im Strafprozess
bisher immer der Unbekannte, der Nichtinteressierende.
Dass das jetzt besser geworden ist, freut mich ganz besonders.
({3})
Es gibt einen zweiten Punkt, den ich kritisch ansprechen möchte. Ich hätte mich gefreut, wenn wir heute im
Rahmen dieses umfangreichen Paketes im Bereich des
Strafrechts auch eine vernünftige Regelung für die
Strafverfolgung von Soldaten aufgrund von Vorfällen, die sich beim Dienst im Ausland ereignet haben,
erreicht hätten.
({4})
Ich weiß, wie sehr sich der Bundesverteidigungsminister
- er sitzt auf der Regierungsbank - in dieser Frage engagiert hat, wie sehr er mich unterstützt hat. Herr Minister,
ganz herzlichen Dank! Aber wir haben immer noch
keine vernünftige Regelung.
({5})
Dass ein Ermittlungsverfahren wie das gegen den Oberfeldwebel, der in einer Notwehrsituation geschossen hat,
über neun Monate dauert, dass Rekonstruktionen auf einem Übungsplatz der Bundeswehr angeordnet werden,
macht deutlich, dass wir in diesem Bereich eine vernünftige Regelung brauchen.
Für mich ist klar: Zur Bundeswehr gehört der Staatsbürger in Uniform. Deswegen möchte ich, dass die zivile
Justiz erhalten bleibt. Aber: Die Justiz muss einsatzfest
sein. Es muss Staatsanwälte und Richter geben, die die
Besonderheiten des Auslandseinsatzes kennen. Deshalb
wird das - jedenfalls für meine Fraktion - einer der
wichtigsten Punkte auf der Agenda der Rechtspolitik in
der neuen Legislaturperiode sein.
({6})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem
ich ebenfalls bedauere, dass wir nicht zu einer Lösung
gekommen sind: Es geht um notwendige Nachsteuerungen im strafrechtlichen Wiederaufnahmerecht. Viele
kennen den Fall, dass eine Frau ermordet worden ist,
dass ihr Täter aufgrund einer DNA-Analyse feststeht
und dass er nicht bestraft werden kann.
({7})
- Ich meine es so, wie ich es hier sage. - Ich teile das
Gefühl ganz vieler, insbesondere der Angehörigen des
Opfers, die sich mit diesem Zustand nicht abfinden können.
({8})
Deswegen bedauere ich ganz außerordentlich, dass wir
hier nicht zu einer Lösung gekommen sind. Auch das
muss auf der Agenda bleiben.
({9})
Ich habe gesagt, dass die Bilanz dessen, was heute auf
der Tagesordnung steht, für uns unterschiedlich ausfällt.
Es gibt von uns Zustimmung, zum Beispiel zum Deal im
Strafverfahren. Frau Ministerin, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Das darf nicht nur etwas für Reiche sein,
sondern muss ein ganz selbstverständliches Prinzip im
Strafprozessrecht werden. Hier gelten alle Vorschriften,
die wir haben, zum Beispiel die Vorschrift, dass ein Verfahren bei Zahlung einer Geldbuße wegen Geringfügigkeit eingestellt werden kann. Das setzt Verständigung
voraus. Viele ganz normale Bürger profitieren davon.
Ich glaube, dass auch hier die Beratungen im Rechtsausschuss zu erheblichen Verbesserungen geführt haben.
Es ist klar: Das Konsensprinzip wird nicht eingeführt,
und es gibt weiterhin den Amtsermittlungsgrundsatz. Es
gibt auch ganz klare Regelungen dafür, dass das Gericht
keinen Druck machen darf und dass beispielsweise ein
Geständnis nur unter bestimmten Voraussetzungen verwertet werden kann. Es gibt also eine umfangreiche
rechtsstaatliche Sicherung. Ich halte das für einen großen Fortschritt.
({10})
Die Rechtsprechung hat sich immer mit dem Deal befasst, hat den Deal immer anerkannt und hat vor allen
Dingen immer gesetzliche Regelungen angemahnt. Das
begrüßen wir. Ich glaube, dass die heutige Entscheidung
eine gute Stunde für die Strafrechtspolitik ist, da wir im
Hinblick auf Absprachen im Strafprozess eine vernünftige Regelung gefunden haben.
Ich persönlich finde auch die neuen Regelungen gut,
die wir im Bereich der Untersuchungshaft treffen. Wie
ich sehe, ist heute auch ein Landesjustizminister anwesend, nämlich mein Parteifreund Goll aus BadenWürttemberg.
({11})
Ich weiß, dass aufseiten der Länder Sorgen wegen der
Pflichtverteidigerbestellung bei Inhaftnahme bestehen.
Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben diese Regelung
allerdings unterstützt; das sage ich in aller Deutlichkeit.
Die Länder befürchten, dass sie die Umsetzung dieser
Regelung zu viel kostet. Diese Sorge ist berechtigt, zumal die Länder unter erheblichem finanziellen Druck
stehen. Dennoch wäre ich Ihnen, Herr Minister Goll,
dankbar, wenn Sie bei Ihren Kollegen dafür werben würden, den Gedanken, der in der Anhörung des Rechtsausschusses vorgetragen worden ist, zu berücksichtigen.
Professor Schöch, der als Sachverständiger geladen war,
hat sehr beeindruckend dargelegt, dass die Pflichtverteidigerbestellung eine Verkürzung der Untersuchungshaft
zur Folge hat. Man kann also sagen, dass diese Regelung
für die Länder in finanzieller Hinsicht sogar von erheblichem Vorteil ist.
({12})
Wenn die Pflichtverteidigerbestellung tatsächlich zu
einer Verkürzung der Untersuchungshaft führt, dann ist
diese Regelung nicht nur unter pekuniären Gesichtspunkten von Bedeutung, sondern hat auch ein Stück weit
mehr Gerechtigkeit zur Folge. Untersuchungshaft ist
nämlich ein erheblicher Eingriff, und sie darf nur so
lange vollzogen werden, wie sie notwendig ist. Wenn die
Pflichtverteidigerbestellung dazu führt, dass jemand früher aus der Untersuchungshaft entlassen wird, weil für
die Untersuchungshaft keine Notwendigkeit mehr besteht, dann ist das auch ein Sieg für den Rechtsstaat und
die Sicherheit in unserem Land.
({13})
Weniger gut finden wir die Regelung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen. Da ich selbst
lange Zeit Oberstaatsanwalt war, kann ich Ihnen sagen:
Leider kommt es immer wieder vor, dass durch justizielles Handeln Unrecht geschieht, dass zum Beispiel jemand zu Unrecht verhaftet wird oder andere Schäden erleidet. Wenn der Staat Unrecht begangen hat, muss es
selbstverständlich sein, dass dieses Unrecht angemessen
entschädigt wird. Daher ist die Erhöhung der Entschädigung von bisher 11 Euro auf nunmehr 25 Euro pro Hafttag, wie sie die Länder vorgesehen haben, sicherlich ein
Fortschritt.
In einem Punkt bin ich allerdings anderer Meinung
als Sie, Frau Bundesjustizministerin: Die Einzelfälle unterscheiden sich; man kann nicht alles über einen Kamm
scheren. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, vertreten in
dieser Frage die gleiche Position wie die Anwälte. Wir
befürworten die österreichische Lösung und wollen, dass
im konkreten Einzelfall eine individuelle Entscheidung
getroffen wird. In Österreich zeigt sich, dass die durchschnittliche Entschädigung pro Hafttag bei konkreter
Beurteilung des Einzelfalles viel höher ausfällt. Wie ich
gelesen habe, werden in Österreich etwa 100 Euro pro
Tag für zu Unrecht erlittene Haft gezahlt. Bei diesem
Thema wird sich meine Fraktion enthalten. Die vorgesehene Regelung ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sie geht uns aber nicht weit genug.
Nicht zustimmen werden wir der Kronzeugenregelung. Frau Ministerin, Sie haben recht, dass es sich hierbei um ein allgemeines Prinzip handelt. In § 46 Abs. 2
des Strafgesetzbuches heißt es, dass bei der Strafzumessung auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat
zu berücksichtigen ist, beispielsweise der Umstand, dass
er gestanden oder durch Hinweise zur Aufklärung seiner
Tat beigetragen hat. Ich persönlich teile nicht die vielfältigen Sorgen, die in der Literatur, aber auch in der Lehre
im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung im Allgemeinen geäußert werden. Aber so, wie diese Regelung
jetzt ausgestaltet ist, findet sie meine Zustimmung und
die Zustimmung unserer Fraktion nicht.
({14})
Nach der vorgesehenen Regelung muss sich ein Angeklagter nicht unbedingt zur eigenen Tat äußern, beispielsweise zu Mittätern; vielmehr kann es, um eine
Strafermäßigung zu bekommen, ausreichen, wenn ein
Angeklagter Angaben zu einer Tat macht, mit der er
nichts zu tun hat.
({15})
Wenn beispielsweise ein Kindesmissbraucher Angaben
zu einem Subventionsbetrug macht, dann kann dies eine
Reduzierung seiner Strafe zur Folge haben.
({16})
- Nein, natürlich ist das kein Automatismus;
({17})
aber Sie ermöglichen eine solche Reduzierung. Das ist
eine Regelung, die wir als FDP-Bundestagsfraktion
nicht akzeptieren wollen.
({18})
Wir lehnen die Kronzeugenregelung in der Form, in der
sie heute von Ihnen vorgeschlagen wird, ab.
Wir lehnen auch das ab, was Sie für den Bereich der
Terrorcamps und der entsprechenden Ausbildung vorschlagen. Auch wir als FDP-Bundestagsfraktion sehen
selbstverständlich die Gefahren, die aus dem Islamismus
hervortreten. Wir sehen auch, dass es immer wieder auch
Reisen in Länder gibt, in denen in Terrorcamps ausgebildet wird. Wir sehen ebenfalls die Bedrohung für unser
Land. Das, was Sie vorschlagen, ist aus unserer Sicht
aber der falsche Weg.
({19})
Es hilft nicht, das sechzehnte Skalpell in einen Operationsraum zu legen, wenn es an Ärzten und Krankenschwestern fehlt. Deshalb ist unser Ansatz auch ein völlig anderer: Wir wollen die Nachrichtendienste, die dort
eine ganz wesentliche Bedeutung haben, stärken und deren Möglichkeiten verbessern, insbesondere hinsichtlich
der Aufklärung. Dafür sind wir offen.
Lieber Herr Danckert, die Lücke, die die Koalition
dort sieht, wird von mir und unserer Fraktion aber nicht
gesehen. Natürlich gibt es dort auch Einzeltäter. Das ist
aber keine neue Entwicklung. Es hat sich in der Vergangenheit doch gezeigt, dass sich überall dort, wo Organisationsdelikte nicht gegriffen haben, beispielsweise bei
den Kofferbombern in Köln, keinerlei Lücke hinsichtlich
der Möglichkeit gezeigt hat, diese Täter zu bestrafen.
({20})
Beide potenziellen Kofferbomber von Köln sind zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das heißt, die
Straflücken, die zu dieser Diskussion geführt haben, sind
nicht wirklich vorhanden.
({21})
Ich selbst bin einige Jahre lang in einer Staatsschutzabteilung tätig gewesen. Aus meiner staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit habe ich die Erfahrung mitgebracht,
dass es sehr gut ist, dass wir zwischen nachrichtendienstlicher Tätigkeit und Strafverfolgungstätigkeit unterscheiden.
({22})
Diese Unterscheidung wird hiermit gelockert. Auch
diese Entwicklung wird von uns nicht unterstützt. Daher
gibt es von FDP-Seite ein klares Nein zu Ihren Vorschlägen.
Insgesamt zeigt sich also ein gemischtes Bild. Ich
denke, dass wir in der Rechtspolitik in nächster Zeit
noch einiges zu tun haben - dann hoffentlich mit liberaler Handschrift.
Vielen Dank.
({23})
Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion ist der
nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser
Land ist in diesen Tagen 60 Jahre alt geworden. Wir alle
haben sicherlich noch die Feierlichkeiten vor unserem
geistigen Auge und die vielfältigen Lobgesänge auf unsere Verfassung in unserem Ohr. Nun ist unser Grundgesetz nicht nur an solchen Festtagen, dort vielleicht
ganz besonders, von Bedeutung, sondern es gilt natürlich
auch im Alltag, und es spielt in nahezu jeder Rechtsdebatte, auch heute wieder, eine Rolle.
Ich will darauf hinweisen, dass die Grundrechte
zwar klassische Abwehrrechte sind - deswegen will unser Freund Charly Dressel von der SPD ja, dass die Förderung des Sports als Staatsziel im Grundgesetz verankert wird; er will den Sport nämlich abwehren -;
({0})
aber im Moment - ich denke an die Skandale der letzten
Zeit in großen Firmen, Stichwort: Datenschutz - werden
die Privaten weniger durch den Staat als vielmehr durch
die Privaten bedroht.
Auch sonst finde ich, dass die Sicht auf die Grundrechte verkürzt wird, wenn man nur eine Bändigung und
Zähmung des Staates im Auge hat. Durch die Grundrechte werden vielmehr auch Fürsorge- und Schutzpflichten des Staates begründet, etwa im Bereich des
Arbeits- und Sozialrechts, aber auch im Bereich der inneren Sicherheit. Deswegen ist es sehr missverständlich,
Herr von Essen, dass Ihre Kollegin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, unlängst gesagt hat, es gebe kein
Grundrecht auf Sicherheit.
({1})
Es mag zwar kein Grundrecht auf Sicherheit geben; aber
auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung steht nicht expressis verbis im Grundgesetz,
({2})
sondern das Bundesverfassungsgericht hat es aus der Zusammenschau vieler Grundrechtsartikel entwickelt. Genauso wie es eine grundrechtlich verbürgte Schutzpflicht
des Staates gibt - das, Herr Montag, können Sie in mehreren Bänden des Bundesverfassungsgerichts nachlesen;
ich empfehle etwa den 80. und den 107. Band -,
({3})
erwächst als Reflex auf diese Schutzpflicht natürlich
auch ein Recht des Bürgers darauf, dass er geschützt
wird.
Nun will ich die Begehrlichkeit hier gar nicht so groß
werden lassen und sagen, dass der Staat einen hundertprozentigen Schutz gewährleisten kann; das wäre ja völlig unredlich. Wir müssen aber versuchen, den Schutz so
weit wie möglich zu gewähren und die Gefahren so weit
wie möglich zu reduzieren. Dass wir dabei vermintes
Gelände betreten und uns in einem Spannungsfeld zwischen dem Anspruch auf Sicherheit einerseits und dem
Anspruch auf Freiheit andererseits bewegen, ist doch
klar.
Deswegen haben wir mit dem Gesetzentwurf zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten einen weiteren Schritt hin zur Gewährleistung von Recht und Sicherheit getan. Herr van Essen,
Sie haben gesagt, es nütze nichts, das 16. Skalpell in den
Operationssaal zu bringen, wenn es zu wenig Ärzte gibt.
Es nützt aber auch nichts, einen ganzen Operationssaal
voller Ärzte zu haben, wenn Sie ihnen kein Skalpell in
die Hand geben.
({4})
Deswegen wollen wir auch Verhaltensweisen, die
wirklich nicht sozial adäquat sind, mit einbeziehen. Wer
nach Afghanistan, Pakistan oder sonst wohin reist,
({5})
um sich dort im Umgang mit Waffen und Sprengstoff zu
schulen, kann uns doch nicht weismachen, dass er das
deshalb macht, um hier bei der Kirmes in Zehlendorf
Schützenkönig beim „Laufenden Keiler“ zu werden. Das
ist aberwitzig. Mit dem Gesetz schaffen wir eine Grundlage, damit gegen die Gefährder ermittelt werden kann.
Wir wollen ermitteln, verfolgen und am Ende auf einer
sicheren Rechtsgrundlage bestrafen können.
({6})
Deswegen haben wir diesen Gesetzentwurf auf den Weg
gebracht und werden ihn heute verabschieden.
({7})
Wie immer, wenn die Große Koalition im Begriff ist,
Sicherheitsgesetze zu verabschieden, kommt geradezu
reflexartig das Argument von der linken Seite, von den
Grünen, aber auch von den Freidemokraten
({8})
- genau, das Bundesverfassungsgericht; darauf komme
ich gleich zu sprechen -, wir würden wieder den Popanz
des „Big Brother is watching you“ aufbauen, und das
Bundesverfassungsgericht hebe andauernd unsere Sicherheitsgesetze wieder auf. Mit diesem Märchen
möchte ich jetzt aufräumen.
({9})
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Reihe von Sicherheitsgesetzen aufgehoben, die zu einer Zeit, als die
Grünen Koalitionspartner waren, verabschiedet worden
sind.
({10})
Wir sind auch nicht dafür haftbar, dass Landesgesetze
aufgehoben werden. Seit dem 18. Oktober 2005, dem
Tag der Konstituierung des Bundestages für diese Legislaturperiode, hat das Bundesverfassungsgericht nicht ein
einziges Sicherheitsgesetz dieser Koalition aufgehoben.
Es hat lediglich am 11. März 2008 im Wege einer einstweiligen Anordnung die Nutzung bereits gespeicherter
Daten in einem Teilbereich ausgesetzt. Im Übrigen hat
es das Telekommunikationsüberwachungsgesetz unbeanstandet gelassen.
Andere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die Sicherheitsgesetze dieser Koalition aufgehoben hätten, wie Sie immer wieder behaupten, gibt es
nicht.
({11})
Merken Sie sich das ein für alle Mal. Durch gebetsmühlenhafte Wiederholung, dass von uns erarbeitete Gesetze
aufgehoben worden sind, wird diese Behauptung nicht
besser oder gar richtig.
({12})
Wenn ich schon bei der Unredlichkeit der Kritik an
unserer Rechtspolitik bin, dann will ich - wenn auch sozusagen als Obiter dictum - darauf hinweisen, dass sich
in die Phalanx dieser unredlichen Kritiker inzwischen
auch ehemalige Verfassungsrichter einreihen.
({13})
So haben Exverfassungsrichter Jentsch und der frühere
Vizepräsident Mahrenholz in einer Anhörung zur Wahlrechtsreform - nachdem das Bundesverfassungsgericht
die Wahlrechtsvorschriften für verfassungswidrig erklärt
hat; freilich hat es dem Gesetzgeber eine Frist bis zum
30. Juni 2011 eingeräumt, um das zu heilen - allen Ernstes die Auffassung vertreten, dass wir, so zunächst Herr
Jentsch, wenn wir jetzt die Bundestagswahl auf der
Grundlage dieser Normen durchführten, die Erwartung
des Bundesverfassungsgerichts enttäuschen würden,
wenn wir das nicht noch vorher machen. Noch schlimmer hat es Mahrenholz formuliert, der gesagt hat, die
Wahlen wären dann verfassungswidrig.
({14})
Herr Präsident, gestatten Sie auch mir einmal, etwas
vorzulesen. Ich weiß, dass es in diesem Hause einen Generaldispens von der Geschäftsordnung gibt, weil wir inzwischen zu einem Vorlesewettbewerb verkommen sind,
wie wir nachher noch sehen werden.
({15})
Genauso wie die Lektüre des Gesetzes häufig bei der
Rechtsfindung hilft, hilft auch die Lektüre der Entscheidungsgründe eines Urteils weiter. Das Bundesverfassungsgericht hat wörtlich ausgeführt:
({16})
Im Hinblick auf die hohe Komplexität des Regelungsauftrags und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Fristen zur Vorbereitung einer Bundestagswahl erscheint es daher
- gut hinhören! unangemessen, dem Gesetzgeber aufzugeben, das
Wahlrecht rechtzeitig vor Ablauf der gegenwärtigen Wahlperiode zu ändern.
Ein derart kurzer Zeitraum birgt die Gefahr, dass
die Alternativen nicht in der notwendigen Weise
bedacht und erörtert werden können.
Meine Damen und Herren, wenn die Erwartung des
Bundesverfassungsgerichts, dass wir das rechtzeitig machen, in dieser Formulierung begründet sein soll und
wenn das Bundesverfassungsgericht es ausdrücklich für
unangemessen hält, dann halte ich es für unglaublich,
dass diese Herrschaften mit der Autorität ihrer früheren
Ämter bei den Bürgern den Eindruck erwecken wollen,
wenn sie zur Wahl gingen, nähmen sie an einer verfassungswidrigen Wahl teil. Das hilft nicht, die Wahlmüdigkeit zu beenden.
({17})
Wir verabschieden heute neben dem Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten auch erneut die Kronzeugenregelung.
Wir hatten schon einmal, zwischen 1989 und 1999, eine,
wenn auch viel abgespecktere Form der Kronzeugenregelung - sie ist dann von Rot-Grün nicht weiter verfolgt
worden -,
({18})
und wir verabschieden heute sozusagen eine Strafzumessungsregel in § 46 des Strafgesetzbuches, wonach ein
Täter in den „Genuss“ einer Strafmilderung oder Strafbefreiung kommen kann, allerdings unter Wahrung
schwerster rechtsstaatlicher Kautelen. Es darf nicht etwa
der Mörder freigesprochen werden; vielmehr bleiben
Tat- und Schuldangemessenheit weiterhin die Richtschnur für dieses Verfahren. Aber wenn ein Täter bei der
Aufdeckung oder Verfolgung anderer Straftaten hilft,
kann er freigesprochen werden, wenn auch nicht automatisch,
({19})
wie Herr Stünker eben zu Recht dazwischengerufen hat
bei dem Beispiel, ob der Kinderschänder freigesprochen
werden kann, weil er zur Überführung des Ladendiebes
beigetragen hat.
Diese Kronzeugenregelung ist ein weiterer Meilenstein bei der Aufklärung komplizierter Straftaten, bei denen man häufig das Instrumentarium, das einem zur Verfügung steht, gar nicht effizient genug einsetzen kann
und deshalb auf die Mithilfe von Straftätern angewiesen
ist.
({20})
Die Frau Ministerin hat eben auch die Absprachen
im Strafprozess angesprochen. Dazu haben wir bereits in
der ersten Lesung von der linken Seite unsägliche Vergleiche gehört; das Strafgesetzbuch sei kein Handelsgesetzbuch, wobei, Herr Nešković, auch das Handelsgesetzbuch nicht zur freien Disposition steht, sondern
sicherlich ebenso nach bestimmten Rechtsregeln auszulegen ist. Aber dazu ist genug gesagt worden: Pontius
Pilatus und Incitatus, eines der Pferde des Kaisers
Caligula, das dieser - die schwächste Personalentscheidung - einmal zum Konsul ernannt hat; das ist vergleichbar mit Ihrer Berufung in früherer Zeit zu einem Bundesrichter,
({21})
jedenfalls wenn Sie solche Bemerkungen machen, wie
Sie sie hier gemacht haben.
Herr Kollege Gehb, ich glaube nicht, dass dies die Art
der Auseinandersetzung um die von Ihnen zu Recht als
ernsthaft gewürdigten Themen in besonderer Weise befördert.
({0})
Herr Präsident, ich nehme das zur Kenntnis. Wenn Sie
allerdings die Rede gehört hätten, die mich zu dieser Replik geführt hat, könnten Sie dafür etwas mehr Verständnis aufbringen. Aber ich will gern zugeben, dass ich in
der mir eigenen Art der freien Rede gelegentlich dazu
neige, über das Maß hinauszuschießen. Das tut mir leid;
das passiert auch anderen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich will auf ein ganz wesentliches Element hinweisen. Im Zusammenhang mit
der Absprache im Strafprozess ist eben der Begriff
Transparenz gefallen. Es ist ganz wesentlich, dass dies
aus dem Dunstkreis der Mauschelei, der Heimlichtuerei
herausgeholt worden ist. Das ist richtig. Bei dem Stichwort Transparenz fällt mir der Deutsche Anwaltstag ein,
der am Donnerstag letzter Woche begonnen hat und bei
dem sich der inzwischen ausgeschiedene Präsident
Kilger in seiner Eröffnungsrede doch weiß Gott wieder
nicht die Aussage verkneifen konnte, dass die Große Koalition ihre Rechtspolitik in intransparenter Geheimnistuerei verabschiede; damit wird sozusagen der Vorwurf
des kollusiven Zusammenspiels erhoben.
({1})
- Seien Sie froh, dass Sie nicht da waren, Herr Stünker.
({2})
Dieser Vorwurf ist, nachdem sich Herr Kilger vor einem
Jahr dazu hat hinreißen lassen, den deutschen Rechtsstaat mit Guantánamo zu vergleichen, ein weiterer
schwerer Fauxpas. Meines Erachtens ist das gesamte
Haus aufgerufen, dies zurückzuweisen. Es gibt nicht
mehr Transparenz bei der Verabschiedung von Gesetzen
als in der Form, wie wir es tun.
({3})
Ebenso wie andere Berufsverbände, etwa der Deutsche Richterbund oder die BRAK, ist auch der Deutsche
Anwaltsverein nahezu bei allen unseren Anhörungen mit
einem Repräsentanten als Sachverständigem vertreten,
wobei von dieser Seite nicht immer die klügsten Einwände kommen.
({4})
Ich denke nur daran, dass in dem Verfahren zur Wiederaufnahme, das Sie angesprochen haben, ein vom DAV
entsandter Sachverständiger gesagt hat, das erinnere ihn
an Gestapo-Methoden.
({5})
Liebe Repräsentanten des Deutschen Anwaltsvereins, bitte
vermeiden Sie Anleihen und Metaphern aus der Nazizeit, Guantánamo, Abu Ghureib oder Ähnlichem. Der
deutsche Rechtsstaat muss im Hinblick auf alle anderen
Staaten dieser Welt keinen Vergleich scheuen. Ich finde,
das müsste unter allen Fraktionen und Parteien in diesem
Haus Konsens sein, liebe Freunde.
({6})
Mit den Gesetzentwürfen, die wir heute verabschieden - ich sage das ohne Anspruch auf Vollständigkeit;
das Untersuchungshaftrecht und die Erhöhung der Entschädigung für zu Unrecht in Strafhaft gewesene Gefangene wurden schon angesprochen - und die übrigens ein
besonderes Anliegen der Unionsfraktion sind, haben wir
im Grunde genommen die Koalitionsvereinbarung mit
der Präzision eines Schweizer Uhrwerks abgearbeitet.
Allen Unkenrufen, dass diese Koalition kraftlos sei und
dass sie zerstritten sei, zum Trotz möchte ich für die
Rechtspolitik sagen - ich bin der rechtspolitische Sprecher und nicht der Vorsitzende meiner Fraktion -,
({7})
dass das, was wir in den letzten vier Jahren auf dem Gebiet der Rechtspolitik geleistet haben, sowohl in der Art,
wie wir menschlich zusammengearbeitet haben - das gilt
für meine Beziehungen als rechtspolitischer Sprecher
der CDU/CSU-Fraktion zu Herrn Stünker, Herrn Peter
Danckert, Charly Dressel, Herrn Körper und insbesondere zur Ministerin und zum Staatssekretär Alfred Hartenbach -, also was den persönlichen Umgang angeht,
als auch in der Sache, in Zukunft nicht mehr so schnell
geleistet wird und in der Vergangenheit nicht geleistet
worden ist.
({8})
Wir werden diese Koalition kraftvoll, ernsthaft, konstruktiv und anständig zu Ende bringen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Die Kollegin Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Herr Gehb, obwohl es wirklich reizt, Ihnen
zu antworten, lässt es meine Redezeit nur zu, auf die
Entwürfe der Gesetze zur Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten sowie zur
Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern einzugehen.
Die Bundesregierung will die Vorbereitung von Terroranschlägen unter Strafe stellen. So weit die guten Absichten. Doch die vorliegenden Gesetzentwürfe taugen
nicht zu mehr Sicherheit. Sie stellen einen Bruch mit
fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien dar.
({0})
Bisher wird jemand für eine Tat bestraft, lieber Herr
Kollege, die er auch begangen oder zumindest versucht
hat. Doch nun soll bereits eine Tat zur Strafverfolgung
führen, die weder begangen noch versucht wurde.
({1})
Nicht einmal konkrete Anschlagspläne müssen für die
Strafverfolgung angeblich terroristischer Vorbereitungshandlungen nachgewiesen werden. Ob es sich bei dem
Herunterladen von Sprengstoffrezepten aus dem Internet
um wissenschaftliches Interesse, bloße Neugier
({2})
oder die Vorbereitung eines Anschlags handelt, ob ein
Guerillacamp zu journalistischen Recherchezwecken,
aus Abenteuerlust
({3})
- ich freue mich, dass Sie sich so schön aufregen - oder
zur Kampfausbildung besucht wird, ob ein Wecker gekauft wird, um nicht zu verschlafen oder um damit einen
Zeitzünder für eine Bombe zu basteln, soll sich demnächst aus der politischen und der religiösen Gesinnung
einer Person ableiten
({4})
und kann mit bis zu zehn Jahren bestraft werden.
Damit findet eine Abkehr vom Tatprinzip im deutschen Strafrecht statt. Tätergesinnung und Täterpersönlichkeit statt des Unrechtsgehalt einer Tat sollen nun bereits der Grund für eine Strafverfolgung sein.
({5})
Das nennen wir Gesinnungsjustiz.
({6})
Um es mit den Worten der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen zu charakterisieren - Zitat, bezogen auf das Gesetz -:
Das ist nicht weniger als das Gedankenverbrechen …
aus Orwells 1984.
Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft wollen
durch die vorliegenden Gesetze noch mehr Vollmachten für Lauschangriffe, Bespitzelung und Untersuchungshaft. Darum geht es in Wirklichkeit. Doch es ist
rechtsstaatlich unhaltbar, mit Gummiparagrafen neue
Straftatbestände zu schaffen, um auf diese Weise Strafverfolgungsbehörden mit weiteren Sondervollmachten
auszurüsten.
({7})
Das sollte auch der Justizministerin Zypries klar sein,
wenn sie ihre eigenen Gesetze schon als „verfassungsrechtlich auf Kante genäht“ bezeichnet. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Diese Gesetze bereiten nicht nur einer weiteren Gesinnungs- und
Schnüffeljustiz den Weg - schlimmer noch, sie schaffen
ein illegitimes Feindstrafrecht, das in seiner Konsequenz
in der Tat, Herr Gehb, nach Guantánamo führt. Das ist
mit uns nicht zu machen, und deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
({8})
Ich erteile dem Kollegen Jerzy Montag, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition hat heute fünf strafrechtspolitische
Vorhaben und elf Gesetzentwürfe zu einer gemeinsamen
Beratung zusammengefasst. Auch wenn die Rechtspolitik damit endlich einmal bei Tageslicht und zur Primetime diskutiert wird - ich werde den Verdacht nicht los,
dass doch wieder nur schnöde Taktik dahintersteckt. Es
ist nicht zu übersehen, dass damit höchstproblematische
und rechtsstaatlich wirklich abscheuliche Vorhaben im
Windschatten von zum Teil oder in Gänze zustimmungsfähigen Gesetzentwürfen segeln sollen.
({0})
Sie wollen Ihre rechtspolitischen Schandtaten
({1})
damit verdecken; aber ich glaube, das wird Ihnen nicht
gelingen.
Erstens: die Kronzeugenregelung. Was Sie als Strafzumessungsregel für Aufklärungs- und Präventionshilfe
heute hier vorlegen, ist tatsächlich ein unwürdiger Handel mit der Gerechtigkeit.
({2})
Straftäter, die den Ermittlungsbehörden ihr Wissen über
Straftaten offenbaren, an denen sie selbst in keiner Weise
beteiligt waren, sollen erhebliche Strafrabatte erhalten.
Selbst Mörder sollen so einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe entkommen können. Ausdrücklich kann eine
schuldunangemessen niedrige Strafe verhängt werden;
manche können von jeglicher Strafe verschont bleiben.
Das ist nichts anderes als ein Judaslohn für Verrat. Besonders schockierend ist, dass selbst Mörder in den Genuss eines solchen zweifelhaften Vorteils kommen können.
({3})
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dressel?
Aber gerne.
Herr Kollege Montag, Sie haben soeben ausgeführt,
selbst Mörder könnten in den Genuss einer geringeren
als der lebenslangen Freiheitsstrafe kommen. Ist Ihnen
die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen bekannt, wonach regelmäßig sogar wegen Mordes
zu einer geringeren Freiheitsstrafe als der lebenslänglichen verurteilt wird? Begründet wird das mit Art. 1 des
Grundgesetzes in Verbindung mit dem Schuldprinzip.
({0})
Lieber Kollege Dressel, Sie sind offensichtlich
schlecht informiert. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Sie kein Strafrechtler sind. Eine solche
Rechtsprechung, wonach die Justiz in der Regel verpflichtet wäre, bei Mord keine lebenslängliche Freiheitsstrafe zu verhängen, gibt es nicht.
({0})
Es gibt entgegen der gesetzlichen Regelung, wonach es
keine Ausnahmen von lebenslänglich geben kann, eine
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich
auf die Konstellation der Tat bezieht. Ich erinnere Sie an
die Tat einer Tochter, die jahrelang von ihrem Vater
missbraucht, geschlagen, vergewaltigt wurde und ihren
Vater im Schlaf mit dem Hammer erschlug. In einem
solchen Fall, so das Bundesverfassungsgericht, kann es
das, was im Strafgesetzbuch steht, nämlich auf jeden
Fall lebenslänglich, nicht geben. Sie aber wollen in dieses Gesetz hineinschreiben, dass ein Mörder, der über
eine Tat, mit der er nichts zu tun hat, etwas aussagt, wegen des Verrats dieses völlig anderen Falles der lebenslänglichen Freiheitsstrafe entgehen kann, auch wenn es
für die Ausführung seiner Mordtat keinerlei Milderungsgründe gibt. Das nenne ich eine schuldunangemessen
niedrige Bestrafung.
({1})
Es gibt keinen Bedarf für eine solche Regelung.
Selbst ein strafrechtlicher Staatsnotstand würde sie nicht
rechtfertigen. Wir befinden uns aber bei der Verfolgung
und Bekämpfung der Kriminalität in Deutschland nicht
in einem Notstand. Den Problemen, die es bei der Prävention zum Schutze der Bevölkerung, bei der Aufklärung von Straftaten und bei einer effektiven, schnellen
und rechtsstaatlichen Bearbeitung angeklagter Straftaten gibt, müssen die Länder - das ist ihre Pflicht; eine
Flucht in die Kronzeugenregelung ist keine Lösung - mit
einer ausreichenden personellen und Sachausstattung der
Ermittlungsbehörden begegnen.
({2})
Viele Argumente, die zu Unrecht gegen eine Verständigung im Strafprozess vorgebracht werden, treffen bei
der Kronzeugenregelung geradezu ins Schwarze. Alles
Entscheidende spielt sich vor Eröffnung des Hauptverfahrens ab, also ohne das Gericht, das später in der
Hauptverhandlung nur noch als Notar eines längst ausgehandelten Geschäfts benötigt wird. Der Verrat, als
Aufklärungshilfe kaschiert, und der Lohn, nämlich der
Strafrabatt,
({3})
werden zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft
einerseits und dem Straftäter andererseits ausgehandelt.
Das ist wirklich ein schmutziger Deal mit dem Verbrecher, der eigentlich hinter Gitter gehört.
({4})
In der Beschlussempfehlung zur heutigen Debatte
heißt es dazu von Ihnen in aller Deutlichkeit - ich zitiere -:
Für kooperationsbereite Straftäter … soll deshalb
die Möglichkeit … des Absehens von Strafe geschaffen werden, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welche Art von Straftat sie selbst begangen haben.
Auch der Kollege Kauder würde Ihnen gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Ich gestatte sie sehr gerne, aber erst nach dem Satz,
den ich jetzt noch sagen will; denn dann bin ich mit dem
Thema Kronzeugenregelung fertig.
Ich vermute, darüber werden wir sofort eine Verständigung erreichen.
Ich sage Ihnen: Nichts von dem Guten, das heute in
die Strafprozessordnung punktuell geschrieben werden
soll, kann eine solche Kronzeugenregelung rechtfertigen. Deswegen lehnen wir sie ab.
({0})
Jetzt bitte Herr Kollege Kauder.
Herr Kollege Montag, habe ich es richtig verstanden,
dass Sie der Auffassung sind, dass über die Strafmilderung eines Angeklagten, der Angaben macht, die Polizei
und die Staatsanwaltschaft entscheiden, ohne den Richter einzubinden?
({0})
Ich kenne die Vorschrift des § 46 b StGB, den wir verabschieden wollen, nur so, dass darüber rechtsstaatlich ein
Gericht zu entscheiden hat und die Strafmilderung nicht
gewähren muss, sondern nach Abwägung aller entscheidenden Strafzumessungsgründe und Strafzumessungstatsachen darüber befindet.
Lieber Kollege Kauder, auch darüber möchte ich die
Öffentlichkeit aufklären.
({0})
- Es gibt nichts zuzugeben, Herr Kollege Danckert. Das,
was in der Fragestellung insinuiert wird, ist falsch. Deswegen will ich es auch Ihnen, lieber Kollege Danckert,
jetzt noch einmal erklären. Aber vor allen Dingen will
ich es Ihnen, Herr Kollege Kauder, erläutern, damit es
nicht von meiner Redezeit abgeht.
Der entscheidende Punkt ist, dass dieses Geschäft, die
Aufklärungshilfe gegen einen Strafrabatt, eingefädelt
und beendet sein muss, bevor das Hauptverfahren eröffnet worden ist, bevor also das Gericht mit dem Fall
überhaupt befasst worden ist. Eine spätere Erklärung des
Beschuldigten führt nach Ihrem Gesetzentwurf eben
nicht zu der Möglichkeit dieses Handels.
({1})
Das bedeutet praktisch und faktisch in der Zukunft, dass
die Polizei, vielleicht sogar mit einem noch nicht verteidigten Beschuldigten, die Gespräche führen wird, die es
heute in Drogensachen schon in jedem Verfahren gibt.
Das Allererste, was die Polizei zu einem festgenommenen Drogenbeschuldigten sagt, ist: Grüß Gott - in
Bayern - oder guten Tag, das ist § 31 des Betäubungsmittelgesetzes, lesen Sie ihn sich genau durch. Darin
steht, welchen Strafrabatt Sie von uns bekommen, wenn
Sie Angaben machen.
({2})
- Das ist das, was die Polizei regelmäßig erklärt. - Dann
wird dieses Geschäft zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft einerseits und dem Täter andererseits natürlich zustande kommen. Dann - da haben Sie Recht - gehen diejenigen
({3})
- nichts da! -, die das Geschäft verhandelt haben, vor
den Richter - rein formal - und sagen mehr oder minder:
Du bist der Notar, du bestätigst das nur noch.
({4})
Das wird in der Zukunft die Folge sein. So ist das
auch bei § 31 Betäubungsmittelgesetz. Das ist die Praxis. Lieber Kollege Kauder, Sie kennen sie sehr genau.
({5})
Meine Damen und Herren, die neuen Strafvorschriften der §§ 89 a und 89 b StGB stellen jedwede Aufnahme von Beziehungen zu einer Gruppe unter Strafe,
wenn dies einer zukünftigen Unterweisung in irgendwelchen, nicht näher bezeichneten Fertigkeiten dienen soll,
die wiederum der möglichen zukünftigen, nach Ort und
Zeit nicht bestimmten Ausführung einer schweren Straftat dienen sollen.
Diese Vorschriften sind viel mehr als nur ein rechtsstaatlicher Kollateralschaden. Die Vorbereitung einer
Vorbereitung einer Straftat unter Strafe zu stellen, ist
Ausdruck einer Sicherheitsphobie, die keine Grenzen
und keine Regeln kennt, sondern nur Erfolg haben will,
und dies offensichtlich um jeden Preis.
({6})
Die Bundesjustizministerin hat dies reichlich euphemistisch „ein Gesetz auf Kante nähen“ genannt. Ihre
Kollegin, Frau Zypries, die Justizsenatorin von der Aue,
SPD, hat am 6. März 2009 dazu im Bundesrat erklärt:
Die Straftatbestände sind unbestimmt, konturlos und
kaum handhabbar. Die Gefahr, dass unbescholtene Bürger betroffen sein werden, bewegt sich in einem Größenbereich, der nicht vertretbar ist. Der Gesetzentwurf führt
die Rechtspolitik auf einen Pfad, an dessen Ende die Gefahr besteht, dass Errungenschaften aufs Spiel gesetzt
werden, die uns heute vor Willkür schützen. In Deutschland soll kein Mensch allein für seine Absichten bestraft
werden.
Das ist die Kritik Ihrer sozialdemokratischen Kollegin an Ihrem Gesetzentwurf, Frau Zypries.
({7})
Ganz bewusst, meine Damen und Herren, wende ich
mich jetzt nicht nur an die Kolleginnen und Kollegen der
Sozialdemokraten, sondern auch an die der CDU/CSU.
Es gibt Menschen, die aus Habsucht oder aus Gier, aus
Hass oder aus grenzenloser Verblendung schreckliche
Straftaten vorhaben. Manche denken nur an sie; manche
bereiten sich in Gedanken darauf vor, sie irgendwann in
Zukunft zu begehen; manche üben sich sogar in Fertigkeiten, die sie in Zukunft vielleicht auch einzusetzen gedenken. All dem ist in einem Rechtsstaat mit den Mitteln
des Strafrechts nicht zu begegnen. Strafrecht ist kein Gefahrenbekämpfungsrecht. Genauso, wie wir uns gegenseitig versichern, dass wir uns als Demokraten beim
Schutz unserer parlamentarischen Demokratie nicht von
Demokratiefeinden auseinandertreiben lassen wollen,
rufe ich heute die Rechtspolitiker aller Fraktionen dazu
auf, sich nicht von dem Ruf nach größtmöglicher angeblicher Sicherheit und von vermeintlichen neuen Sicherheitslücken in immer neue, fragwürdige Gesetze hineintreiben zu lassen.
({8})
Wir dürfen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen
Strafrechts eben nicht scheibchenweise einer trügerischen Sicherheit opfern. Vielmehr müssen wir das beherzigen, was uns allen der Bundesverfassungsrichter
Hoffmann-Riem am 14. März 2009 auf dem Kongress
meiner Fraktion „60 Jahre Grundgesetz - Fundamente
der Freiheit stärken“ mit auf den Weg gegeben hat, nämlich: Wir müssen wieder lernen, mit Risiken zu leben.
Das, meine Damen und Herren, macht uns nicht
wehrlos. Lassen wir uns das doch nicht einreden! Das
macht uns gerade gegenüber Straftätern, die unsere freiheitliche, rechtsstaatliche, grundrechtsorientierte Ordnung im Visier haben, stark. Die heute zur Abstimmung
stehenden neuen Straftatbestände lehnen wir Grünen ab.
({9})
Es gibt keine Debatte über Reformen des Rechts der
Untersuchungshaft ohne den Hinweis, dass es ein großer
Fehler war, das Recht der Untersuchungshaft und des Jugendstrafvollzugs in die Länderkompetenz zu geben,
aber so ist es geschehen. Jetzt - das hat etwas Tragikomisches, kann man schon sagen - legt der Bund mit den
Resten seiner Kompetenz einen Gesetzentwurf zum
Untersuchungshaftrecht vor, nachdem er es über Jahrzehnte, als er die Kompetenz hatte, nicht geschafft hat,
und zwar bei allen Konstellationen in diesem Haus, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen.
Ich habe in der ersten Lesung dazu schon Grundsätzliches erklärt.
({10})
Darauf will ich Bezug nehmen und an dieser Stelle nur
noch einmal sagen, was fehlt. Es fehlt eine feste Frist für
das Ende der U-Haft: U-Haft darf in der Regel nur für
sechs Monate, höchstens jedoch zwölf Monate verhängt
werden. - Einem Gesetz mit einer solchen Regelung hätten wir zustimmen können.
({11})
Die Länder planen einen § 1 ihrer Gesetze zum Untersuchungshaftvollzug mit folgendem Wortlaut - ich hätte
es gut gefunden, wenn Sie die Kraft gehabt hätten, eine
solche Regelung auch in den hier vorliegenden Gesetzentwurf aufzunehmen -:
Die Untersuchungshaftgefangenen gelten als unschuldig. Sie sind so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung
einer Strafe festgehalten.
Eine solche Regelung, in der die Unschuldsvermutung
an erster Stelle genannt wird, wäre auch in Ihrem Gesetz
begrüßenswert gewesen.
({12})
Die Pflichtverteidigerbestellung wird erheblich verbessert.
({13})
Aber ich will an dieser Stelle schon noch daran erinnern,
dass die Kollegen Danckert und Kauder in der ersten Debatte wie die Löwen gebrüllt haben
({14})
und ausgeführt haben, Pflichtverteidigung ab der ersten
Sekunde der vorläufigen Festnahme sei absolut unverzichtbar; aus Zeitgründen kann ich die Zitate nicht mehr
vortragen. Es ist ein Fortschritt erzielt worden - wir haben eine bessere Regelung gefunden -, aber trotz Ihres
Gebrülls in der ersten Lesung ist es nur ein ganz zaghafter Schritt.
({15})
Meine Redezeit geht zu Ende. Deswegen will ich zu
dem Deal im Prozess nur so viel sagen: Ich halte die Kritik daran - heute auch in der Süddeutschen zu lesen für, um ein Wort von Ihnen, Herr Präsident, aufzunehmen, unmaßstäblich. Wir Grünen stimmen diesem Gesetzentwurf zu, und zwar ausdrücklich deswegen, weil
darin rechtsstaatliche Regelungen im Bereich der Verständigung im Strafprozess festgeschrieben werden, und
das ist richtig so.
({16})
Zuallerletzt zur Haftentschädigung. 11 Euro pro Tag
für unschuldig verbüßte Haft, das war jämmerlich. Mit
25 Euro haben wir im europäischen Maßstab, Herr Goll,
immer noch die rote Laterne; wir liegen damit an letzter
Stelle. Es wird vielleicht nicht als große Notwendigkeit
gesehen, die Entschädigung für unschuldig erlittenen
Freiheitsentzug großzügig zu regeln, aber für eine gute
Rechtspolitik wäre es doch wichtig gewesen.
({17})
Peter Danckert ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Montag, der
Herrn Kauder und mir vorwirft, gebrüllt zu haben,
({0})
hätte sich etwas sorgfältiger mit der Materie beschäftigen müssen. Hätte er das getan, wäre er zu diesem Hinweis gar nicht erst gekommen.
Wir sind in einer seltsamen Mischung aus Generaldebatte und Befassung mit den konkreten Gesetzentwürfen. Mein Fazit der letzten vier Jahre lautet: Wir haben
hier eine wirklich hervorragende Rechtspolitik gemacht.
({1})
Das lag nicht nur, wie der Kollege Gehb gesagt hat, an
den menschlichen Beziehungen - sie sind die Grundlage
dafür -; wir haben auch um die jeweils beste Lösung gerungen.
({2})
Das war nicht immer ganz einfach, aber wir haben gute
Lösungen gefunden. Ich bedanke mich daher beim Justizministerium und bei der großen Zahl von Mitarbeitern, die uns im Gesetzgebungsverfahren begleitet haben.
Ich will Ihnen, Herr van Essen, obwohl meine Redezeit knapp ist, sagen: Sie haben mich in zwei Punkten
wirklich maßlos enttäuscht. Zum einen hat mich Ihr Vorschlag enttäuscht, wie mit Wiederaufnahmetatbeständen umgegangen werden soll. Ich habe in meiner Arbeitsgruppe zu denen gehört, die gefordert haben, zu
überlegen, wie wir Wiederaufnahmetatbestände neu fassen können - auch wegen des genannten Falles. Aber
was Sie uns hier geboten haben, als Sie hier vom Pult gefordert haben, gewissermaßen als Oberrichter unter Verzicht auf die Unschuldsvermutung, die ja in Ihrer Argumentation sonst immer eine große Rolle spielt,
festzulegen, wer schuldig ist, war schon ziemlich starker
Tobak.
({3})
Sie sollten sich einmal überlegen, ob es richtig ist, sich
in dieser Frage sozusagen zum Oberrichter aufzuschwingen.
({4})
Der DNA-Test ist - das wissen Sie - nach der Rechtsprechung ein Element in einer langen Kette von Beweiselementen und nicht das allein ausschlaggebende. Man
kann nicht aufgrund dieses einen Elements sagen, dass
jemand schuldig ist.
({5})
Wenn ich jemals einen Grund gehabt hätte, meine Meinung in dieser Frage zu ändern, wäre Ihr Beitrag der Anlass dazu gewesen. So viel dazu.
Zum Zweiten hat mich enttäuscht, dass Sie hier gesagt haben, das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Straftaten sei falsch;
stattdessen solle man besser die Zahl der Mitarbeiter
beim Bundesnachrichtendienst und auch den anderen
Diensten aufstocken. Diese Argumentation halte ich für
absurd. Dann könnte man ja genauso gut fordern, alle
Straftatbestände abzuschaffen und das Heer der Polizisten zu erweitern.
({6})
- Ja, ich weiß, ich kann es besser. Aber Ihr Argument
war an dieser Stelle ganz besonders schlecht. Deshalb
war diese Replik nötig.
({7})
Zu dem Gesetz zur Kronzeugenregelung will ich nur
Folgendes sagen: Wenn wir uns etwas eingehender mit
dieser Materie beschäftigen, finden wir im Kontext unseres Strafgesetzbuches viele Fälle, bei denen zum Beispiel aus Gründen der Opportunität auf die Verfolgung
schwerster Straftaten verzichtet wird bzw. es gar nicht
erst zu einer Verhandlung kommt.
({8})
- Ja, schauen Sie sich doch die Straftatbestände an. Vielleicht wissen Sie es aber auch nicht, weil Sie sich nicht
gründlich genug mit dieser Frage beschäftigt haben.
Das, was wir hier machen, also die Legalisierung von
bestimmten Regelungen, die sinnvoll und gut sind, ist
demzufolge der richtige Weg. Wenn Sie hier den Eindruck vermitteln, es käme nun dazu, dass alles schon im
Vorfeld zwischen Angeklagten und Staatsanwalt ausgedealt würde,
({9})
dann verschweigen Sie der Öffentlichkeit ein entscheidendes Element, nämlich dass es einer Entscheidung des
Gerichts bedarf. Wenn das Gericht dem Deal nicht zustimmt, dann funktioniert all das, was vorher besprochen
worden ist, eben nicht. Was Sie hier an dieser Stelle gemacht haben, ist wirklich bösartig.
({10})
Ich akzeptiere ja, dass man in einer solchen Frage anderer Meinung sein kann. Ich kann aber nicht akzeptieren, wenn scheinheilig
({11})
argumentiert wird, indem das Gericht, das letztendlich
das Urteil spricht, sozusagen beiseitegeschoben und behauptet wird - auch das ist eine seltsame Auffassung von
Rechtsstaatlichkeit -, der Richter sei nur noch Notar.
({12})
Das ist wirklich - da kann ich mich dem Zwischenruf
von Herrn Gehb nur anschließen - unglaublich.
Jetzt zu den Themen, die mich in besonderer Weise
beschäftigt haben. Wir haben hier, wie ich finde, etwas
erreicht, was mir am Anfang nicht sinnvoll zu sein
schien. Ich war kein Befürworter der Verständigung im
Strafverfahren, einfach deswegen, um es kurz und knapp
zu sagen, weil dabei die Kunst der Strafverteidigung verloren geht. Die Kolleginnen und Kollegen überlegen
dann nur noch, wie sie so rasch wie möglich dealen können, ohne überhaupt die Vorbedingung hierfür erfüllt zu
haben, nämlich ein gründliches Aktenstudium.
({13})
Das ist sozusagen die Ausgangssituation. Wir haben aber
einen Auftrag mit auf den Weg bekommen, der - 24560
Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Danckert, dass
Sie geneigt sind, eine Zwischenfrage des Kollegen Montag zu beantworten.
Ich freue mich darüber.
Bitte schön.
Danke. - Herr Kollege Danckert, Sie haben das Hohelied auf Ihre Kronzeugenregelung gesungen. Beim
Thema „Deal“ erklären Sie nun, dass Sie bisher dagegen
gewesen seien, weil, wenn der Deal eingeführt würde,
jeder Verteidiger, statt im Rahmen des kontradiktorischen Strafprozesses für seinen Mandaten zu kämpfen,
als Erstes daran denken würde, wie man zu einer gütlichen oder besseren Einigung kommen könnte.
Ich frage Sie: Trifft diese Argumentation nicht in einem noch stärkeren Maße auf die Kronzeugenregelung
zu, die Sie ins Gesetz schreiben wollen? Das bedeutet
doch, dass jeder Verteidiger beim ersten Kontakt mit einem Beschuldigten sagen wird: Lassen wir einmal den
eigentlichen Tatvorwurf beiseite. Es interessiert nicht,
was du gemacht haben sollst. Das Erste, was ich von dir
wissen muss, ist: Weißt du irgendetwas über einen anderen? Wenn das der Fall ist, dann kann ich zur Polizei und
Staatsanwaltschaft gehen und in einen Deal der Kronzeugenregelung einsteigen. - Das wird die Folge Ihres
Kronzeugenparagrafen sein und genau das bestätigen,
was Sie beim Thema „Deal“ als Befürchtung geäußert
haben.
({0})
War das eine Frage oder eine Feststellung? Die Kronzeugenregelung ist ein rechtstaatliches Verfahren. Am
Ende entscheidet das Gericht, und zwar nicht als Notar
im Sinne einer Beurkundung einer wie auch immer gearteten Absprache. Das ist die eine Seite.
Die Verständigung im Strafverfahren gibt es in der
Gerichtspraxis seit 15 bis 20 Jahren. Ich habe mich zwar
immer dagegen ausgesprochen, aber am Gesetzgebungsverfahren, das im Übrigen ausgezeichnet war, teilgenommen. Dabei habe ich sozusagen Schritt für Schritt
- auch wegen meiner Bedenken am Gesetzgebungsverfahren - entscheidende Hinweise gegeben und entscheidende Veränderungen bewirkt, sodass ich letztendlich
diesem Gesetz zustimmen kann und werde. Ich halte es
für richtig.
Der Große Senat hat uns in seinem Beschluss vom
März 2005 einen Auftrag gegeben. Wir haben, nachdem
viele Versuche vorher gescheitert sind, den Antrag angenommen und eine, wie ich finde, vernünftige und handhabbare Regelung getroffen. Es ist vor allen Dingen eine
Regelung - die Bundesjustizministerin hat darauf hingewiesen -, die die Absprache bzw. den Deal ins Licht der
Öffentlichkeit rückt, in die Hauptverhandlung bringt und
nicht auf den Fluren des Gerichts verbleiben lässt.
({0})
- Das ist Pech! Sie haben ja auch gar keine Frage gestellt, sondern eine Feststellung getroffen, durch die ich
eine kleine Verlängerung meiner Redezeit gewonnen
habe.
({1})
Die Verständigung im Strafverfahren ist okay.
Sie haben am Ende Ihrer Rede beanstandet, dass es
nicht gelungen ist, eine große Reform im Untersuchungshaftrecht auf den Weg zu bringen. Herr Kollege
Kauder und ich haben sie angestoßen, weil es einen
Grund gab, bestimmte Gedanken einzubringen. Eine
große Reform, wie sie Ihnen vorschwebt - und die man
sich durchaus vorstellen kann -, wäre in dieser Legislaturperiode nicht fertig geworden. Mir, als ehemaligem
Strafverteidiger, und auch Ihnen müsste es eigentlich
wichtig sein, dass wir ein fast historisches Ergebnis erzielt haben, indem wir dem in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten sofort die Hinzuziehung eines
Pflichtverteidigers ermöglichen. Das hat es in den letzten 100 Jahren nicht gegeben. Die Anwälte haben immer
darum gekämpft. Nun haben wir es erreicht. Es ist daher
eine seltsame Geschichte, dass die Opposition nun anfängt zu mäkeln und sagt, dass sie an dieser oder jener
Stelle noch Veränderungen haben will, anstatt das Ergebnis zu würdigen. Aber das ist Ihr gutes Recht als Opposition.
Etwas anderes ist in diesem Zusammenhang auch
noch wichtig: Die Rechtsprechung hat uns zur Akteneinsicht gemäß § 147 StPO gewisse Hinweise gegeben.
Wir haben hier eine Verbesserung erreicht, indem wir ins
Gesetz geschrieben haben, dass derjenige, der sich in
Untersuchungshaft befindet, Akteneinsicht - in der Regel über seinen Anwalt - bekommen kann. Das heißt, im
neuen Gesetz gibt es in dieser Hinsicht Verbesserungen.
Bisher gab es nur den Anspruch auf Informationen, die
für den Haftbefehl Voraussetzung waren. Jetzt erhält der
Anwalt die Möglichkeit, durch Akteneinsicht - die die
Regel sein wird - die Dinge herauszuarbeiten, die möglicherweise zu einer Aufhebung des Haftbefehls führen.
Herr Kollege Danckert.
Das ist ein großer Fortschritt. Deshalb kann man diesem Gesetz mit gutem Gewissen zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort erhält der Kollege Siegfried Kauder, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die Menschen verbinden Politik auch mit Köpfen. Wenn
es um die innere Sicherheit geht, ist der Kollege Montag
eher nicht der Kopf, an den man denkt, und die Kollegin
Jelpke schon gar nicht.
({0})
Wenn von innerer Sicherheit gesprochen wird, denkt
man an Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble,
({1})
der für Sicherheit in diesem Land steht: Ohne ihn gäbe
es kein BKA-Gesetz, ohne ihn gäbe es keine Onlinedurchsuchung, ohne ihn gäbe es keine Vorratsdatenspeicherung.
({2})
- An der Reaktion hier im Saal sieht man, dass man
leicht die Spreu vom Weizen trennen kann.
({3})
Die CDU bzw. CSU ist die Partei der inneren Sicherheit.
({4})
Innere Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Es
geht nicht um Freiheit oder Sicherheit,
({5})
sondern um Freiheit in Sicherheit. Freiheit und Sicherheit bedingen sich wechselseitig.
({6})
Wir werden die Sicherheitsstruktur in Deutschland verbessern, indem wir zwei Gesetzgebungsvorhaben umsetzen.
Eine Kronzeugenregelung gab es schon einmal; im
Jahr 1999 lief sie aus. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen
von der SPD, ich habe Verständnis dafür, dass Sie sich in
der rot-grünen Koalition in der Rechtspolitik mit den
Grünen etwas schwertaten.
({7})
Die Grünen wollten nicht, dass die Kronzeugenregelung
fortgesetzt wird, weil es nahezu keine Anwendungsfälle
gegeben habe.
({8})
Warum hat es keine Anwendungsfälle gegeben? Weil die
Kronzeugenregelung an § 73 d StGB - Erweiterter Verfall - andockte und damit viel zu engmaschig gestrickt
war. Wenn Sie die Praktiker gefragt hätten, hätten die Ihnen erklärt: Wir brauchen die Kronzeugenregelung, man
muss sie ausweiten.
({9})
Ich empfehle, in der Zeitschrift für Rechtspolitik aus dem
Jahr 2000, Seite 121, den Aufsatz von Pfeiffer zu lesen.
Dann sehen Sie, dass Sie damals die falsche Entscheidung getroffen haben. Dies korrigieren wir heute in
zweiter und dritter Lesung.
Die Kronzeugenregelung ist nichts Ungewöhnliches.
Eine Kronzeugenregelung gibt es zum Beispiel in § 31
des Betäubungsmittelgesetzes. Lieber Kollege Montag,
den Fall, den Sie geschildert haben, dass ein Polizeibeamter einem Inhaftierten zusagt: Wenn du Angaben
machst, wirst du eine mildere Strafe bekommen, mag es
in der Praxis geben;
({10})
aber das wäre eine unzulässige Vernehmungsmethode
und nicht verwertbar. Sie erzählen Humbug aus der
Kiste eines Strafverteidigers. Das sind Extremfälle, die
es so nicht gibt.
({11})
Die Kronzeugenregelung ist etwas Sinnvolles. Sie
sollten § 46 b Abs. 2 unseres Gesetzentwurfes lesen!
Dann werden Sie schnell feststellen, dass auch bei Strafmilderung die schuldangemessene Strafe nicht unterschritten werden darf. Es ist nichts Ungewöhnliches,
dass ein Nachtatverhalten bei der Strafhöhe berücksichtigt wird; das ergibt sich schon aus § 46 StGB, Grundsätze der Strafzumessung.
({12})
- Genau, Herr Kollege Ströbele: Bei Mördern greift
§ 46 StGB nicht, weil auf Mord lebenslange Freiheitsstrafe steht. Genau deswegen brauchen wir den vorgeschlagenen § 46 b StGB. Denn auch in diesem Bereich
ist Aufklärung notwendig. Sie sind da auf dem Holzweg.
({13})
Siegfried Kauder ({14})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wie hat die Kollegin Jelpke, die, weil sie Nichtjuristin ist, mit den
Straftatbeständen ein bisschen Probleme hat,
({15})
die Vorschriften zur Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen staatsgefährdender Gewaltdelikte gegeißelt! Ist
es denn etwas Ungewöhnliches, dass im Strafgesetzbuch
Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt werden?
Wie ist es denn in § 30 des Strafgesetzbuches? Dort wird
eine Vorbereitungshandlung, die zu einem Verbrechen
führt, ganz bewusst unter Strafe gestellt. Denn wir wollen dieses Verbrechen verhindern.
({16})
- Herr Kollege Montag, Sie sollten sich nicht dümmer
stellen, als es geboten ist.
({17})
Sie wissen sehr wohl, warum § 30 StGB bei terroristischen Vorbereitungshandlungen nicht greift: weil wir
zwei Täter und einen konkreten Tatplan, den wir bei der
Aufklärung terroristischer Straftaten noch nicht kennen,
brauchen. Das sind doch olle Kamellen; das wissen wir
Rechtspolitiker doch seit langem.
({18})
Deswegen brauchen wir die Strafvorschriften, wie sie in
§ 89 a und § 89 b StGB zukünftig vorgesehen sind.
({19})
Wer in ein Terrorcamp reist, um sich dort ausbilden zu
lassen, dem wollen wir bewusst eine Strafe androhen.
Herr Kollege Wieland, Strafrecht kann auch - wir haben schon darüber diskutiert - präventiv wirken. Es ist
eine verfahrensrechtliche Bezugsnorm, die es in der Tat
ermöglicht,
({20})
schon in der Vorbereitungsphase Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchzuführen, damit wir einen terroristischen Anschlag verhindern können, rechtzeitig den Fuß in der Tür haben
({21})
und Ermittlungsansätze gewinnen, um gegen diese Täter
vorzugehen.
({22})
Wir bauen aber nicht nur an einer Sicherheitsarchitektur; wir verbessern auch die Voraussetzungen in einem
Strafverfahren. Ich bin dem Kollegen van Essen dankbar, dass er den Opferschutz erwähnt hat. Ein Gesetzgebungsvorhaben ist noch nicht umgesetzt: das zweite Opferrechtsreformgesetz. Ich würde mich freuen, wenn wir
dies mit vereinter Kraft noch in dieser Legislaturperiode
schaffen würden.
({23})
Man darf aber keinen Tunnelblick haben - ich gehe
davon aus, dass Sie mir einen solchen auch nicht unterstellen -: Ein Rechtsstaat darf sich nicht nur um die Opfer von Straftaten kümmern; auch die Beschuldigten
müssen Rechte haben. Herr Kollege van Essen, ich bin
mir dessen bewusst, dass wir, wenn wir über den Opferschutz reden, auch immer prüfen müssen, ob wir mit opferschützenden Vorschriften die Rechte eines Beschuldigten, für den die Unschuldsvermutung gilt, nicht allzu
sehr einschränken.
Kollege Montag, was war denn unter Rot-Grün? Die
Idee, frühzeitig einen Pflichtverteidiger zu bestellen,
hätte doch gerade Ihnen kommen können. Sie kam aber
offensichtlich nicht.
({24})
- Haben Sie sich nicht durchsetzen können? - Wir jedenfalls werden dies in dieser Legislaturperiode umsetzen.
({25})
Die Rechte des Beschuldigten werden verbessert, indem
wir frühzeitig eine Pflichtverteidigerbestellung zulassen.
Herr Kollege Danckert und ich durften uns dieses Themas annehmen. Ich bin außerordentlich dankbar dafür,
dass wir damit Erfolg hatten.
Es ist richtig, was vorgetragen worden ist: Die Bedenken der Länder sind unberechtigt. Die frühzeitige
Pflichtverteidigerbestellung führt nach Modellversuchen
zu einer deutlichen Verkürzung der Dauer der Untersuchungshaft und somit zu Einsparungen in den Länderhaushalten.
({26})
- Ja, Kollege Ströbele, dies führt auch zu mehr Gerechtigkeit. Auch diese Idee hätte Ihnen unter Rot-Grün
kommen können.
({27})
Nun hat Kollege Montag moniert, dass die Haftentschädigung schon immer zu gering gewesen sei. Lesen
Sie einmal in den Annalen nach, wer überhaupt auf die
Idee gekommen ist, die Haftentschädigung anzuheben.
Siegfried Kauder ({28})
Vielleicht stoßen Sie da auf einen bestimmten Namen.
Man kann natürlich weiter meckern und sagen, 25 Euro
pro Tag seien für eine zu Unrecht verbüßte Haft zu wenig. Folgendes muss man erst einmal klarstellen: Hier
geht es um einen sogenannten immateriellen Schaden.
Die Justizministerin hat recht: Wenn es um einen immateriellen Schaden, also nicht um einen Vermögensschaden, geht, ist jeder gleichwertig. Da kann es nicht sein,
dass jemand eine höhere und ein anderer eine geringere
Entschädigung bekommt. Das ist beim materiellen Schaden so, aber nicht beim immateriellen Schaden.
({29})
Deswegen bin ich den Ländern, deren Haushalte knapp
bemessen sind, dankbar, dass sie sich dafür verwendet
haben, die Haftentschädigung auf 25 Euro pro Tag anzuheben.
Zum Abschluss ein Wort - nicht zum Deal, Herr Kollege Montag - zur Verfahrensabsprache im Strafprozess.
({30})
Auch hier bin ich Innenminister Wolfgang Schäuble außerordentlich dankbar, dass er ein Problem angesprochen hat, das wir ebenfalls gelöst haben - gerade Sie,
Herr Kollege Montag, der Sie das Beispiel angeführt haben, was alles bei Gericht verhandelt wird, wären der
Richtige gewesen, auf dieses Problem aufmerksam zu
machen -: nämlich die Frage, wer kontrolliert, dass bei
der Verfahrensabsprache die Spielregeln eingehalten
worden sind. In der Sachverständigenanhörung zu diesem Thema hat ein Sachverständiger ein nicht gerade
gutes Bild von der Justiz gezeichnet. Er sagte, es würden
zu viele Deals durchgeführt, was unzulässig sei.
Wir brauchen also eine Kontrollinstanz. Eine solche
haben wir dadurch eingeführt, dass dann, wenn die Verfahrensabsprache erfolgreich gewesen ist, nicht auf
Rechtsmittel verzichtet werden kann, sodass die Staatsanwaltschaft und - Herr Kollege van Essen, das hat
vielleicht keiner gemerkt - auch der Nebenkläger
Rechtsmittel einlegen können und die Frage, ob die Verfahrensabsprache ordnungsgemäß zustande gekommen
ist, prüfen lassen können.
Sie sehen also: Wir machen eine Rechtspolitik mit
Augenmaß und Vernunft. Wir verbessern die Sicherheitsarchitektur Deutschlands und achten gleichzeitig
darauf, dass Strafverfahren rechtsstaatlich sind und bleiben. Ich bedauere es sehr, dass aus diesem Haus die Botschaft nach außen dringt, es gebe Strafverfahren, die diesen Regeln nicht entsprechen würden.
({31})
Wolfgang Nešković ist der nächste Redner für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir beraten heute in insgesamt
90 Minuten über elf Vorlagen. In 90 Minuten kann man
über eine solche Fülle parlamentarischer Initiativen, die
zudem - der Kollege Montag hat es gesagt - fundamentale Veränderungen unseres Strafsystems vornehmen,
nicht verantwortungsvoll beraten. Das ist keine parlamentarische Debatte. Das ist eine Alibiveranstaltung für
das Protokoll. Die Menschen in diesem Land haben einen Anspruch darauf, dass sich die Abgeordneten ausreichend Zeit nehmen, um schwierige Probleme in angemessener Zeit hier im Plenum zu debattieren.
({0})
Herr Kollege Nešković, darf ich Sie einen Augenblick
unterbrechen? Sie sollten bei der jetzt zuhörenden Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken, die Beratung
hätte heute Morgen erst begonnen und würde heute aufhören. Hier wird eine Beratung, die vorher stattgefunden
hat, zum Abschluss gebracht.
({0})
Kritik ist natürlich zulässig, aber es sollte nicht der falsche Eindruck entstehen, dass hier in 90 Minuten fünf
Gesetzgebungsvorhaben abschließend beraten würden.
({1})
Herr Lammert, ich habe Ihren Einwand erwartet und
daher antizipierend gesagt: in angemessener Zeit öffentlich im Parlament zu debattieren. Ich habe nur die öffentliche Debatte gemeint, die Ausweis unserer Arbeit
ist und in der wir der Öffentlichkeit zeigen, wie wir mit
diesen elf Vorlagen umgehen. Das habe ich zum Gegenstand meiner Kritik gemacht. Dazu fühle ich mich berechtigt.
({0})
Ich werde mich deswegen in meinen Ausführungen
nur auf die Kronzeugenregelung und den Deal im Strafverfahren beschränken müssen. Diese Entwürfe sind falsche Antworten auf eine wichtige Frage. Die wichtige
Frage lautet: Wie kann es endlich gelingen, die deutsche
Strafjustiz von ihrer Überlastung zu befreien? Die Linke
gibt Ihnen eine Antwort darauf, die von den allermeisten
Sachverständigen und den meisten meiner Kolleginnen
und Kollegen, den Richterinnen und Richtern im Lande,
geteilt wird: Einer überlasteten Justiz müssen Sie die
personellen und sachlichen Mittel an die Hand geben,
die es ihr ermöglichen, ihre verantwortungsvollen Aufgaben in ausreichender Zeit zu erfüllen. In unserem
Land haben zu wenig Richter zu wenig Zeit, um zu viel
Arbeit zu erledigen.
({1})
Denn es gilt weiterhin: Die Mutter der Wahrheit und der
Gerechtigkeit ist die Zeit. Richter brauchen ausreichend
Zeit für ihre Arbeit. Das ist die Antwort, die wir für richtig halten.
Die Entwürfe zur Kronzeugenregelung und zum Deal
geben eine ganz andere Antwort. Sie lautet: Wir geben
der klammen Justiz keinen zusätzlichen Cent für ihre
verantwortungsvolle Arbeit, sondern wir entlasten die
Justiz, indem wir richtige und wichtige Kernprinzipien
des Strafrechts preisgeben, weil ihre Beibehaltung zu
viel Zeit kosten würde. Dieser falschen Antwort werden
Sie nachher Ihre Stimme geben. Sie werden am Ende
dieser, wie ich finde, Nichtdebatte Ja sagen zur neuen
Kronzeugenregelung. Nach dieser Regelung kann - ich
sage: kann - einem Straftäter die Strafe erlassen oder gemildert werden, nur weil er Aufklärungshilfe bei einer
ganz anderen Straftat geleistet hat.
({2})
In der Konsequenz kann das dazu führen, dass ein
Vergewaltiger künftig deswegen straffrei ausgehen kann
oder eine wesentlich mildere Strafe erhält, nur weil er
dazu beiträgt, dass Straftaten wie zum Beispiel Geldfälschung, Geldwäsche oder Computerbetrug aufgeklärt
werden.
({3})
Dadurch werden Täter bevorzugt, die im kriminellen
Milieu tief verstrickt sind und daher Kenntnis von anderen Straftaten haben. Opfer von Straftaten werden entsetzt feststellen, dass man Täter laufen lässt oder milder
bestraft, nur weil sie sich für das Gericht in anderer Sache nützlich gemacht haben. Solche Belohnungen für
kriminelle Verstrickungen werden Sie den Wählerinnen
und Wählern nicht erklären können. Sie werden diesen
unwürdigen Handel mit der Gerechtigkeit dennoch in
wenigen Minuten hier beschließen.
Sie werden ohne Zweifel auch Ja sagen zum Deal im
Strafverfahren, und Sie werden damit die Zweiklassenjustiz legalisieren.
({4})
Deals kommen überproportional häufig in komplizierten
Wirtschaftsfällen vor. Hier wird die Überlastung der
klammen Justiz besonders deutlich. Den Gerichten fehlen die Mittel und das Personal, um trickreich verschleierte Vermögenslagen aufzuklären und komplizierte
Geldflüsse nachzuvollziehen. Sie sehen sich dabei Angeklagten gegenüber, die über bestens bezahlte und bestens ausgebildete Anwälte verfügen, die dem Gericht mit
langwieriger und anstrengender Konfliktverteidigung
drohen.
Anstatt nun aber den Gerichten finanziell unter die
Arme zu greifen, verführen Sie die Richterinnen und
Richter, mit den Angeklagten Handel zu treiben. Der
Angeklagte gesteht, sodass sich die Richter die Mühseligkeit einer langen und konfliktreichen Verhandlung ersparen können.
({5})
Als Gegenleistung einigt man sich mit dem Angeklagten
auf eine Strafe, die dieser für angemessen hält. Ich wiederhole: Das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch.
({6})
Wer Banken mit einer Feuerwaffe ausraubt und ohne
großen Aufwand überführt werden kann, den trifft die
volle Härte des Gesetzes. Wenn der Chef derselben Bank
aber mit dem Computer trickreich und damit kompliziert
seine Kunden betrügt, wird das Gericht künftig mit dem
Herrn beraten, welche Strafe ihm denn genehm wäre.
({7})
Wohin dieser Weg führt, den Sie jetzt beschließen
wollen, können Sie einer Onlinedarstellung eines bekannten Strafverteidigers aus Essen entnehmen, der so
für sich und um seine Mandanten wirbt. Ich zitiere aus
diesem Werbeschreiben eines Strafverteidigers. Darin
heißt es:
Sie haben einen Prozess vor dem Amtsgericht,
Schöffengericht oder Landgericht. Dann werden
Sie erleben, dass ich schon vor der Hauptverhandlung einen Deal mit der Staatsanwaltschaft und dem
Gericht abstimmen kann. Dieser Deal dient einem
optimalen Ergebnis für Ihr Verfahren.
Bedenken Sie, dass Richter und Verteidiger die
gleiche Sprache sprechen und sich häufig aus anderen Verfahren kennen. Dieses Vertrauensverhältnis
führt dazu, dass eine gute Gesprächsbasis für Ihren
Prozess geschaffen wird.
({8})
- Ich karikiere nicht. Das ist wörtlich im Internet nachzulesen.
Strafprozesse werden heute oft außerhalb vom Gerichtssaal geklärt. Absprachen gehören zum Alltag.
Der Grund hierfür ist recht simpel zu erklären. Die
Staatsanwaltschaften sind dermaßen überlastet,
dass sie froh sind, wenn ihnen ein Verteidiger ein
vernünftiges Angebot macht. Sie können damit
diese Akte schließen und sich der nächsten widmen. So einfach kann das sein. Der Strafprozess
wird zum Geben und Nehmen.
Das Gleiche gilt für die Hauptverhandlung: Richter
wollen ein schnelles Verfahren. Ein geständiger
Angeklagter ist die Voraussetzung für eine schnelle
Verfahrensbeendigung. Im Gegenzug muss das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft aber auch etwas in
die Waagschale legen.
({9})
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Dies erfolgt meist in der Form, dass ein mildes Urteil in Aussicht gestellt wird. … Manchmal kann
der Angeklagte ein Schnäppchen machen.
Vielen Dank.
({10})
Der Kollege Dr. Matthias Miersch ist der nächste
Redner für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorweg eine allgemeine Bemerkung: Herr Kollege Kauder, Sie haben den Minister Schäuble hier als Garanten
für die innere Sicherheit dargestellt.
({0})
Ich nehme für die SPD-Fraktion und vor allen Dingen
für unsere Justizministerin in Anspruch, dass wir die
Kraft sind, die in dieser Großen Koalition innere Sicherheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit miteinander verbinden will.
({1})
Ich glaube, man muss an mehreren Stellen doch ein
bisschen auf die Praxis verweisen. Meines Erachtens ist
es eine Stärke des Rechtsausschusses - ich bin erst seit
dieser Legislaturperiode Mitglied des Rechtsausschusses -,
({2})
dass ihm tatsächlich viele Praktiker angehören, nämlich
Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte. Insofern
wundert es mich schon, Herr Kollege Montag - vielleicht machen wir einmal eine Strafverteidigung zusammen -,
({3})
dass Sie ein so schlechtes Bild von unserer Berufszunft
haben. Wenn Sie glauben, angesichts der Kronzeugenregelung würde die erste Mandantenberatung mit der
Frage beginnen, ob der Mandant uns ein anderes Verfahren offenbart, dann haben Sie sich, glaube ich, relativ
weit von der aktiven Verteidigung entfernt.
({4})
Ich glaube, dass es zu vernünftigen Regelungen und zu
einer größeren Transparenz kommt.
Im Übrigen, Herr Kollege Nešković, Sie haben zum
Thema Deal eine Internetseite eines Anwalts zitiert. Ja,
das, was einer der Berufskollegen dort macht, ist zu kritisieren. Aber man muss doch sagen: Gerade das, was
Sie hier zitiert haben, muss Anlass dafür sein, eine solche Regelung des Deals klar und transparent ins Gesetz
zu schreiben.
({5})
Ich weiß es; denn ich nehme regelmäßig an Strafverteidigertagen teil. Ich verfolge die Reden sehr aufmerksam. Aber machen wir uns nichts vor: All das, was an
der Regelung zur Verständigung kritisiert wird, ist alltägliche Gerichtspraxis.
({6})
Es ist auch nicht von Nachteil, weil jeder der Beteiligten,
die im Übrigen zustimmen müssen, sehr genau abwägen
kann, ob das, worüber man sich verständigen soll, ein
adäquates, ein angemessenes Ergebnis ist. Insofern finde
ich es völlig falsch und denke, es geht an der Praxis vorbei, wenn man hier Unrechtmäßigkeit etc. unterstellt.
Das Gegenteil ist der Fall. Durch diese Regelung werden
Sicherheit und Transparenz geschaffen.
({7})
Mir war es ganz wichtig, dass vor allen Dingen die Verbindung mit dem Rechtsmittelverzicht aufgelöst und
nicht Gegenstand der Regelung ist, weil dadurch ein
Druckmittel vorhanden wäre, das unter Umständen tatsächlich zu kritisieren gewesen wäre. Insofern, glaube
ich, ist das eine sehr gute Regelung.
Eine andere Frage, die heute mehrfach angesprochen
wurde, stößt auf die Kritik der Bundesländer. Es geht darum - aus meiner Sicht ist dies ein Meilenschritt -, jemandem in Untersuchungshaft schnell einen Verteidiger
zur Verfügung zu stellen. Ich habe ein Schreiben des niedersächsischen Justizministers erhalten. Er schreibt, dass
es keine Begründung dafür gibt. Er befürchtet eine hohe
monetäre Belastung der Länder.
Ich war als Strafverteidiger an einem Projekt in Göttingen beteiligt und kenne die Ergebnisse einer Studie in
Hessen, die über drei Jahre untersucht hat, was die frühzeitige Beiordnung eines Verteidigers bedeutet. Ich
rate jedem, vor allen Dingen den Länderministern, sich
diese Studien sehr genau anzusehen. Die Untersuchungshaft verkürzt sich dadurch um durchschnittlich bis zu
60 Tage. Wenn man bedenkt, dass den Ländern pro Hafttag 100 Euro aufgebürdet werden, ist jeder Tag, der vermieden wird, ein Pluspunkt.
Es ist auch ein Pluspunkt für mehr Rechtsstaatlichkeit, weil es um den gravierendsten Eingriff geht, den
unser Rechtssystem vorsieht. Die frühzeitige Beiordnung eines Verteidigers ermöglicht es, in kürzester Zeit
beispielsweise das familiäre Umfeld zu ergründen, Therapieeinrichtungen zu kontaktieren, das Strafverfahren
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
und einen Haftprüfungstermin richtig und ordnungsgemäß vorzubereiten. Das heißt, die frühzeitige Beiordnung führt auch zur Verfahrensverkürzung. Insofern gibt
es nicht nur ein monetäres Argument, sondern auch ein
gewichtiges rechtsstaatliches Argument, das diesen Meilenschritt heute rechtfertigt.
({8})
Ein anderes Thema, das die Länder genauso betrifft,
ist die Entschädigung der Opfer von Strafverfolgungsmaßnahmen. In der Debatte darüber herrschte
20 Jahre lang Ebbe. Der Kollege Kauder und die Bundesjustizministerin haben die Länder aufgefordert bzw.
gebeten, dazu Vorschläge zu machen. Ich glaube, es ist
ein Schritt,
({9})
dass wir es nach 20 Jahren schaffen, die Entschädigung
auf das Doppelte anzuheben. Aber ich habe auch großes
Verständnis für all diejenigen, die sagen, dass wir weiter
daran basteln müssen.
({10})
Der niedersächsische Justizminister hat auch dazu einen
Brief geschrieben. Er schreibt, es sei abstrus, an Forderungen in Höhe von 100 Euro zu denken, unabhängig
davon, dass eine Angemessenheit wahrscheinlich nie erreicht wird. Das, was mit einer Inhaftierung verbunden
ist, können sich sicherlich nur diejenigen richtig vorstellen, die einmal in dieser Situation gewesen sind.
({11})
Ich finde es vernünftig, ins europäische Ausland zu
schauen und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte zu Rate zu ziehen. Ich habe bei mir
im Wahlkreis eine Gruppe, eine Initiative, die sich mit
dieser Frage intensiv beschäftigt und auch die Fälle des
europäischen Auslands untersucht hat.
Ich denke, wir sollten die Vorschläge aus Berlin, die
der Grünen und die der FDP nicht einfach zu den Akten
legen.
({12})
Es macht Sinn, heute den vorliegenden Gesetzentwurf
als ersten Schritt zu verabschieden; denn er ist die Voraussetzung, um überhaupt voranzukommen. Wir sollten
aber auch überlegen, ob man eventuell auch andere Bemessungskriterien anwendet, vom Strafvorwurf bis zur
Dauer der Inhaftierung.
Ich lade Sie ein, in der nächsten Legislaturperiode, in
der wir hoffentlich wieder im Rechtsausschuss Politik
machen können, diese Frage gemeinsam mit uns anzugehen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Norbert Geis ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zweifellos ist in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode auf dem Gebiet der Rechtspolitik sehr
viel geleistet worden. An dieser Stelle ist ein Dank angebracht: an die Bundesjustizministerin, an die Beamten
im Bundesjustizministerium, vor allem aber an die Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss. Hier ist viel
Arbeit geleistet worden; das muss man auch einmal vor
der Öffentlichkeit kundtun. Dafür herzlichen Dank!
({0})
- Auch die Opposition hätte an dieser Stelle ruhig klatschen können.
({1})
- Danke schön.
Ich möchte zu vier Punkten Stellung nehmen: zur
Kronzeugenregelung, zum Deal, zum Thema Terrorcamps und zur Untersuchungshaft.
({2})
- Das werde ich morgen tun, Herr Kollege. Ich bitte Sie
aber schon jetzt, sich die Ohren zu putzen.
({3})
Lassen Sie mich jetzt ein wichtiges Thema ansprechen. Die Kronzeugenregelung - das haben wir heute
Morgen schon gehört - ist im Jahre 1999 ausgelaufen.
Das war ein Fehler. Hier bin ich anderer Auffassung als
Sie, Herr Montag, und als Sie, Herrn van Essen, auch
wenn ich Ihre Meinung sehr schätze, weil Sie einige sehr
wichtige Argumente angeführt haben.
({4})
Ich bin der Auffassung, dass die Kronzeugenregelung
einen wesentlichen Beitrag zum Schutz unserer Rechtsordnung und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger leisten kann.
({5})
Lassen Sie mich kurz auf die Gründe zu sprechen kommen. Welche Aufgaben hat das Strafrecht? Die wichtigste Aufgabe des Strafrechts ist, die Rechtsordnung
zu schützen und den Leuten klarzumachen: Wer gegen
ein Gesetz verstößt, der muss mit Strafe rechnen. - Es
hat also, wie wir alle wissen, auch eine präventive Bedeutung.
({6})
Wenn es angesichts der Beweislage aber unmöglich ist,
ein Verbrechen aufzudecken und die Täter vor Gericht
zu bringen, damit sie abgeurteilt werden, dann verliert
das Strafrecht an Kraft. Dem wollen wir mit der Kronzeugenregelung entgegenwirken.
Wir alle wissen, in welchen Fällen die Kronzeugenregelung in der Regel greift, nämlich bei Wirtschaftsverbrechen, in Fällen der organisierten Kriminalität und im
Zusammenhang mit Terrorvereinigungen. Solche Terrorvereinigungen kapseln sich bekanntlich sehr stark ab und
haben einen konspirativen Charakter. Es ist kaum möglich, in sie einzudringen. Außerdem ist es völlig ausgeschlossen, dort einen verdeckten Ermittler einzuschleusen. Aus diesen Gründen ist es nicht gerade leicht, ihre
Strukturen aufzubrechen.
Wir alle wissen auch, warum beispielsweise die
Strukturen der Mafia in Italien aufgebrochen werden
konnten, nämlich deshalb, weil sich aus der Mitte der
Mafia Zeugen gefunden haben, die über die Strukturen
und die Hintermänner ausgesagt haben. Ein solches Verhalten wollen wir mithilfe der Kronzeugenregelung erreichen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ja, bitte.
({0})
Herr Kollege Geis, Sie haben erwähnt, dass die Dauer
der Prozesse in Wirtschaftsstrafverfahren und ähnlichen
Verfahren verkürzt werden könne und darauf hingewiesen, dass die Kronzeugenregelung in solchen Fällen zur
Anwendung kommen könne. Aus der Praxis wissen wir
- um das festzustellen, muss man nur täglich Zeitung lesen -, dass es in Wirtschaftsstrafverfahren und ähnlichen
Verfahren auch heute schon, ohne dass die Kronzeugenregelung gilt, ständig zu solchen Deals kommt.
Vorhin ist schon zutreffend auf die eigentliche Bedeutung der Kronzeugenregelung hingewiesen worden, die
darin liegt, dass auch Mörder - ich betone: Mörder - in
den Genuss kommen können, dass ihre Strafe in erheblichem Umfang gesenkt wird, und zwar bis auf zehn Jahre
Freiheitsstrafe. Als die Kronzeugenregelung unter RotGrün ausgelaufen ist, waren die Einzigen, die dies bedauert und sich nach der Kronzeugenregelung zurückgesehnt haben, Mörder, die auf die Möglichkeit eines solchen Deals gewartet haben.
Halten Sie es für richtig, dass diese Regelung, die eigentlich nur für diesen Fall etwas Besonderes bringt und
notwendig ist, so ins Gesetz aufgenommen wird? Für die
ganzen anderen Fälle brauchen Sie sie nicht.
({0})
Diese werden schon heute nach § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches, nach dem das Nachtatverhalten strafmildernd berücksichtigt werden kann, verhandelt.
Herr Ströbele, zunächst einmal unterscheide ich natürlich zwischen einem Deal bei Wirtschaftsstrafsachen
und der Kronzeugenregelung. Bei der weltweiten kriminellen wirtschaftlichen Tätigkeit der Wirtschaftsgilde
- so würde ich fast sagen, weil man schlecht davon sprechen kann, dass es eine Vereinigung ist - ist schon auch
ein starkes konspiratives Element vorhanden. Deswegen
brauchen wir auch für diesen Bereich die Kronzeugenregelung. Wir brauchen sie aber noch viel mehr für die Bereiche Terror und organisierte Kriminalität. Die Kronzeugenregelung ist ein vorzügliches Instrument, um in
diesen Bereichen tätig zu werden.
Nun zur Frage, die Sie gestellt haben, ob es richtig ist,
dass dann auch ein Mörder mit einer geringeren Strafe
davonkommt. Wir haben in den Gesetzentwurf geschrieben: „nicht unter zehn Jahren“. Das ist ja schon einmal
ein Vorbehalt. Insofern wird Ihr Aspekt berücksichtigt.
Sie müssen aber bedenken, dass wir keinen Kronzeugen bekommen, wenn wir keine Anreize bieten. Durch
die Rechtsordnung müssen auch Anreize geboten werden, um die Rechtsordnung zu schützen. Deswegen verteidige ich es auch, dass selbst ein Mörder besser davonkommt, wenn er Strukturen aufdeckt und damit hilft,
neue Straftaten zu verhindern. Darum geht es uns. Es
geht uns um den Schutz der Menschen.
({0})
Dies sind uns die Abstriche im Rahmen der Strafverfolgung wert.
({1})
Kommen wir zum Deal. Es ist heute hier schon oft
genug gesagt worden, welche Bedeutung der Deal hat.
Der Deal ist ein Instrument, das im Strafverfahren laufend gebraucht wird, und er ist notwendig geworden. Es
ist richtig, dass er jetzt gesetzlich geregelt wird, damit
das letztendlich keinen Willkürcharakter hat, wonach ihn
der eine bekommt und der andere nicht. Dem haftet ein
gewisser Hautgout an. Deswegen ist es richtig, dass wir
das heute gesetzlich regeln. Das ist ja auch in zwei wichtigen Entscheidungen des BGH gefordert worden. Die
letzte stammt aus 2005, in der er noch einmal eine gesetzliche Regelung gefordert hat. Deswegen wollen wir
den Deal, der gängige Praxis ist, gesetzlich regeln.
Die Frage ist allerdings - damit habe ich mich
schwergetan -, ob man das Geständnis des Täters nicht
doch braucht. Wie will ich einen solchen Deal überhaupt
verantworten, wenn der Täter keinen reinen Tisch
macht? Das hätte ich schon verlangt. Dazu hat man sich
im Kompromiss aber nicht durchringen können, wenn
ich das so sagen darf. Trotzdem nehme ich diese gesetzliche Regelung so an, wie sie ist.
({2})
- Doch, es ist leider so, wie ich sage.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, sind die
Terrorcamps. Natürlich ist schon vieles zur Bekämpfung des Terrorismus gesagt worden. Das ist ein Ungeheuer, das unsere ganze Zivilisation bedroht. Wir müssen uns dazu in der Rechtsordnung einiges einfallen
lassen. Es geht nicht an, dass wir an diesem Ungeheuer
vorbeiblicken oder versuchen, hindurchzublicken. Es bedroht uns mit aller Gewalt. Deswegen glaube ich, dass es
notwendig ist, auch die Täter zu finden und ihrer habhaft
zu werden, die sich in solchen islamistischen Terrorcamps ausbilden lassen wollen.
Es wird aber sehr schwierig sein. Wenn Sie sich die
gesetzliche Regelung genau durchlesen, dann stellen Sie
fest, dass sie so kompliziert ist, dass es in der Praxis sehr
schwierig sein wird, sie überhaupt justiziabel zu halten,
({3})
weil ich glaube, dass es so, wie sie jetzt gestaltet ist,
schwierig sein wird, den Beweis anzutreten.
Ich bin der Auffassung - Herr van Essen, das wird Ihnen jetzt nicht gefallen -, dass schon die Teilnahme an
einem solchen Terrorcamp strafbar sein müsste.
({4})
Denn alles andere ist einfach zu schwierig, und wir würden in der täglichen Praxis nicht weiterkommen.
({5})
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Untersuchungshaft. Es ist zwar richtig - das begrüße ich
uneingeschränkt -, dass der freie Bürger oder die freie
Bürgerin, die in Untersuchungshaft geraten - dabei gilt
zunächst die Unschuldsvermutung -, einen Pflichtverteidiger haben müssen, wenn sie nicht so betucht sind wie
andere, die sofort einen Verteidiger bestellen können.
Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein.
Allerdings weise ich darauf hin, dass in der jüngsten
Vergangenheit die Zahl der Verurteilungen von Untersuchungshäftlingen deutlich zurückgegangen ist, auch
ohne Bestellung eines Pflichtverteidigers.
({6})
Außerdem erfolgt die Anordnung der Untersuchungshaft
- auch das darf man nicht übersehen, Herr Danckert
Herr Kollege Geis.
- in der Regel nur dann, wenn ein Tatverdacht auf
eine schwere Straftat vorliegt oder Fluchtgefahr gegeben
ist. Das wird auch dann der Fall sein, wenn ein Pflichtverteidiger bestellt wird.
Herr Kollege Geis.
Dennoch ist es richtig - schon aufgrund des Prinzips
der Gleichbehandlung -, dass wir eine Regelung treffen,
wie sie in unserem Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Joachim Stünker für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube,
am Ende dieser sehr lebhaften rechtspolitischen Debatte
und auch am Ende dieser Legislaturperiode kann man
eine Lehre ziehen: Rechtspolitik darf man nicht mit
ideologischen Scheuklappen machen. Diejenigen, die
Rechtspolitik mit ideologischen Scheuklappen betreiben, leben in einer anderen Welt und kommen dann zu
solchen Reden - es tut mir leid, das festzustellen -, wie
Sie sie gehalten haben, Herr Kollege Montag, und auch
Sie, Herr Kollege Nešković.
({0})
- Herr Kollege Nešković, wenn Sie mir vorhalten, ich
würde heucheln, dann muss ich Ihnen sagen - jetzt muss
ich vorsichtig sein, dass ich keinen Ordnungsruf bekomme -: An Heuchelei sind Sie nicht zu überbieten.
({1})
Bei der Rechtspolitik muss man zunächst einmal auch
die Rechtswirklichkeit in den Blick nehmen. Mit den
Gesetzentwürfen, die wir heute beraten, schreiben wir
rechtspolitische Geschichte. Die Regelungen, die wir
heute beschließen, werden irgendwann in die Geschichte
eingehen. Denn es geht überwiegend um Fragen im
Strafrecht und Strafprozessrecht, die über Jahrzehnte
streitig waren, die diskutiert worden sind. Dies bringen
wir heute zu einem Abschluss.
Von daher muss ich, der ich mich fast ein ganzes Leben lang auf verschiedenen Ebenen mit dem Recht beJoachim Stünker
fasst habe, feststellen, dass heute ein guter Tag ist. Ich
bin stolz darauf, dass wir diese Regelungen verabschieden.
({2})
Ich will kurz auf die einzelnen Punkte eingehen. Der
erste Punkt ist die Untersuchungshaft. Ich bin als junger Richter 1981 in das Bundesministerium der Justiz
abgeordnet worden - es war nur ein kurzes Gastspiel -,
als die Untersuchungshaft neu geregelt werden sollte. Es
sollte ein Untersuchungshaftgesetzbuch erarbeitet werden. Ich bin nach einem Dreivierteljahr wieder gegangen, weil ich gemerkt habe, dass niemand das wirklich
machen wollte. Es war nicht möglich, das zwischen
Bund und Ländern abzustimmen.
Heute schaffen wir vor dem Hintergrund der neuen
föderalen Zuständigkeiten - das ist richtig - eine Regelung, mit der wir eine Frage lösen, die auch lange streitig
war, indem wir festlegen, dass jeder Beschuldigte an
dem Tag, an dem ihm ein Haftbefehl zugestellt wird, einen Pflichtverteidiger bekommt. Das ist ein Riesenschritt für die Waffengleichheit im Strafprozess.
({3})
Ich appelliere an die Länder, in dieser Frage nicht
dem Versuch zu erliegen, ein Verfahren im Vermittlungsausschuss anzustreben. Es wäre nicht gut, wenn wir die
Gewährung rechtsstaatlicher Grundsätze sozusagen nur
von finanziellen Voraussetzungen abhängig machen
würden. Davor kann ich nur warnen.
({4})
Der zweite Punkt ist die Kronzeugenregelung. Mit
den vorliegenden Regelungen entscheiden wir einen
20 Jahre alten Streit. Es ist bereits an die alten Regelungen erinnert worden. Seitens der Länder wurde auch
jetzt wieder der Wunsch erhoben, eine bereichsspezifische Regelung mit einzelnen Tatbeständen zu schaffen.
Das haben wir Sozialdemokraten immer abgelehnt, und
deshalb ist die alte Regelung seinerzeit unter Rot-Grün
ausgelaufen. Heute schaffen wir eine Strafzumessungsregelung. Das ist ein riesiger Unterschied. Das hat etwas
mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Herr Kollege Montag, das
Bild vom deutschen Strafprozess, das Sie hier gezeichnet haben, mag auf bayerische Amtsgerichte zutreffen,
gibt aber nicht die Wirklichkeit in deutschen Landen
wieder.
({5})
Wir schaffen nämlich eine Regelung, die in der Revision
überprüfbar ist, weil das Gericht in seinem Urteil die
Strafzumessung begründen muss. Es muss darlegen, auf
welchem Weg es zu dieser Strafzumessung gekommen
ist, es muss vor dem Hintergrund dessen, was der Angeklagte als Kronzeuge ausgesagt hat, eine angemessene
Gewichtung darlegen. Ein Kronzeuge für einen Ladendiebstahl kann keine Strafmilderung für ein Vergewaltigungsdelikt erhalten, wie es hier teilweise erzählt worden ist. Das Ganze wird justiziabel und kann in der
Revision überprüft werden.
({6})
Zum nächsten Punkt - das bekämpfen Sie immer,
Herr Kollege Montag; ich glaube, Sie haben es nicht verstanden -:
({7})
Wir sagen, der Kronzeuge muss sein Wissen vor Eröffnung des Hauptverfahrens kundtun, im Zwischenverfahren.
({8})
- Nein, das ist genau das Richtige, um Missbrauch einzudämmen!
({9})
Da wird nämlich klar: Er kann nicht in der Hauptverhandlung plötzlich äußern, er wisse da aber etwas, was
sich hinterher als falsch herausstellt. Es muss einer sein,
der wirklich aus Überzeugung sagt: Ich räume hier auf,
ich mache Schluss mit meiner kriminellen Vergangenheit, und darum will ich euch dies und das erzählen,
({10})
um so - sozusagen als Beginn der Resozialisierung - ein
neues Leben anzufangen.
Mit dieser Regelung wird die Kronzeugenregelung
auf ganz wenige, wirklich schwerwiegende Fälle beschränkt. Dies wird also nicht die allgemeine Praxis im
Strafprozess in Deutschland sein. An dieser Stelle haben
wir also eine rechtsstaatliche Regelung mit hoher Hürde
getroffen.
({11})
Lassen Sie mich einen Satz zur Verständigung im
Strafprozess sagen. Das Wort Deal mag ich nicht; das
mag daran liegen, dass ich 25 Jahre meines Lebens als
Richter gearbeitet habe. Ich habe nie gedealt; ich habe
viele Verständigungen getroffen. Herr Kollege Nešković
und auch andere tun immer so, als sei dies die Folge davon, dass die Strafjustiz so überlastet sei
({12})
und die Länder auf diesem Gebiet ihren Aufgaben nicht
nachkämen. Sicherlich ist etwas daran, dass die Strafjustiz überlastet ist; das ist gar nicht zu bestreiten.
Ich habe es in der ersten Lesung schon gesagt, wiederhole es heute jedoch: Die Verständigung im Strafprozess ist das Ergebnis einer anderen Kultur im Strafprozess. Als ich im Jahre 1975 als junger Richter als
Beisitzer in eine Große Strafkammer kam, wurde dort so
verhandelt: Vorn saß das Gericht, überhöht, da vorne
tanzten ein paar Figuren herum, da wurden Zeugenvernehmungen durchgeführt, der Angeklagte wurde befragt.
Der Vorsitzende machte das nach einem streng formalen
Verfahren, keiner verzog eine Miene, keiner sagte, was
er von dem ganzen Ding hielt, und zum Schluss kam ein
Urteil heraus, angesichts dessen der arme Angeklagte
gar nicht wusste, was ihm geschehen war.
Dann kam eine andere Kultur in den Strafprozess hinein, nämlich die Kultur des Gesprächs. Sicherlich hat
meine Generation mit dazu beigetragen - sowohl Richter
als auch Strafverteidiger -, dass es dort zu Veränderungen gekommen ist. In diesem Zusammenhang kam man
dann auch zu Absprachen. Das ist der Hintergrund gewesen, nicht die angebliche Ressourcenknappheit in der
Justiz.
Dass dies selbstverständlich auch zu Missbrauch geführt hat, ist menschlich und stellt die andere Seite dar.
Um genau diesen Missbrauch auszuschließen, Grenzen
einzuziehen und Regeln zu setzen, verabschieden wir
jetzt dieses Gesetz: für mehr Rechtsstaatlichkeit, für
mehr Transparenz und dafür, dass das Ganze revisionsrechtlich überprüft werden kann.
({13})
Es tut mir leid, Herr Kollege Nešković: Ich bin immer
noch davon überzeugt, dass in der Bundesrepublik
Deutschland die Gewaltenteilung funktioniert. Sie funktioniert gut, aber nicht aus Ihrem ideologischen Blickwinkel.
({14})
Letzte Anmerkung, Herr Präsident; ich bin gleich damit fertig. Ich muss noch zwei, drei Sätze zu den Terrorcamps sagen dürfen, weil behauptet wurde, das
Ganze sei Gesinnungsstrafrecht und Ähnliches.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle, dass wir
diese Tatbestände für einen ganz eng begrenzten Kreis
von Straftätern definieren. Wir wissen, Herr Kollege van
Essen, weil wir die Dienste haben, dass unter uns Menschen leben, die deutsche Staatsbürger sind, aber trotzdem im Ausland in entsprechenden Einrichtungen gewesen sind, um sich ausbilden zu lassen und anschließend
in diesem Land schwere Anschläge durchzuführen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Aber wir können nach geltendem Recht nichts dagegen tun; das ist das Problem. Deshalb handeln wir hochverantwortlich, wenn wir diese Regelung, die bei genauer Betrachtung rechtsstaatlich sehr eng gefasst ist,
heute verabschieden.
Auch ich bedanke mich für vier Jahre hervorragende
Rechtspolitik. Man könnte noch viele andere Bereiche
nennen. Ich bin sicher: Die Große Koalition wird im Gegensatz zu dem, was Herr Kilger gesagt haben soll, in
die Geschichte eingehen.
({0})
Wir haben in der Rechtspolitik sehr viel erreicht.
Schönen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 4 a. Wir kommen nun zur Ab-
stimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Strafgesetzbuches - Strafzumessung bei Aufklärungs-
und Präventionshilfe. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13094,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/6268 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich darf diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erhe-
ben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition an-
genommen.
Tagesordnungspunkt 4 b. Hier geht es um die Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung
im Strafverfahren. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/13095, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/12310 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der
Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.1)
Weiterhin Tagesordnungspunkt 4 b. Jetzt geht es um
die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum
von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einge-
brachten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Ver-
1) Anlage 3
Präsident Dr. Norbert Lammert
ständigung im Strafverfahren. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13095, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/11736 für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Das ist einvernehmlich so beschlossen.
Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen
im Strafverfahren ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf der ge-
nannten Drucksache, den Gesetzentwurf des Bundes-
rates auf Drucksache 16/4197 abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord-
nung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 4 c. Wir stimmen nun über den
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren
staatsgefährdenden Gewalttaten ab. Unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Rechtsaus-
schuss auf Drucksache 16/13145, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/12428 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Wer dieser Beschlussemp-
fehlung folgt und dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmt, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem von den Fraktionen von
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset-
zes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren
staatsgefährdenden Gewalttaten ab. Hier empfiehlt der
Rechtsausschuss unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13145, den Gesetzent-
wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/11735 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Ist jemand an-
derer Meinung oder will sich enthalten? - Diese Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen über den vom Bundesrat eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Aufenthalts
in terroristischen Ausbildungslagern ab. Hier empfiehlt
der Rechtsausschuss unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung auf der genannten Drucksache, den
Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/7958
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt die weitere
Beratung.
Tagesordnungspunkt 4 d. Wir stimmen über den vom
Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung
für Strafverfolgungsmaßnahmen ab. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13096, den Gesetzentwurf
des Bundesrates auf Drucksache 16/12321 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in
zweiter Beratung mehrheitlich angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in die-
ser Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich von den
Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf mit
der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Gesetzes
über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf der genannten Drucksa-
che, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf der Drucksache 16/11434 abzulehnen. Die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte
ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mehrheitlich abgelehnt. Damit entfällt die wei-
tere Beratung.
Tagesordnungspunkt 4 e. Wir setzen die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf
Drucksache 16/13096 fort. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, den
Antrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/10614 mit
dem Titel „Angemessene Haftentschädigung für Justiz-
opfer sicherstellen“ abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Diese Beschlussempfehlung ist mit Mehr-
heit angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 f. Wir stimmen nun über den
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts ab.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/13097, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf der Drucksache 16/11644 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ange-
nommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Damit können wir diesen umfangreichen Tagesord-
nungspunkt abschließen. Ich bedanke mich für die Mit-
wirkung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung
- Drucksache 16/13156 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Frank Schäffler, Jens
Ackermann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Schließung kreditwirtschaftlicher Aufsichtslücken
- Drucksache 16/12884 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung
- Drucksache 16/12885 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer
Brüderle, Florian Toncar, Frank Schäffler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Enteignungen
- Drucksache 16/12904 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Frank Schäffler, Jens Ackermann,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes
- Drucksache 16/12996 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Otto Fricke, Rainer Brüderle, Jens Ackermann,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Sozialisierung
- Drucksache 16/3301 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6})
- Drucksache 16/7729 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Philipp Mißfelder
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Ulrike
Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Mittelstandsförderung sichern - ERP-Vermögen aus der KfW-Bankengruppe herauslösen
- Drucksachen 16/8928, 16/11630 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Herbert Schui
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese
Aussprache eine Stunde dauern. - Ich sehe dazu keinen
Widerspruch. Dann können wir das so vereinbaren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile mit der Bitte,
dass diejenigen, die diesem Tagesordnungspunkt nicht
mehr folgen können oder wollen, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortsetzen, als erstem Redner dem
Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion das
Wort.
({8})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Rheinland und das Oderbruch haben etwas Leidvolles gemeinsam. Jedes Jahr aufs Neue besteht die Gefahr eines
Hochwassers. Das ist prinzipiell bekannt. Deswegen gibt
es dort Dämme, Überflutungsgebiete, ausreichend Sandsäcke und einen gut vorbereiteten Katastrophenschutz.
Trotzdem kann es zu Hochwasserkatastrophen kommen.
Die erste Pflicht des Staates ist es dann, den Betroffenen
mit allen Kräften rasch und effektiv zu helfen. Dafür ist
er da, und daran zweifelt hoffentlich niemand.
Die internationale Finanzkrise hatte mehrere Ursachen. Die meisten waren bekannt, aber sie wurden unterschätzt. Es gab keine ausreichenden Dämme und keine
Flutungsbecken, vor allem nicht im angloamerikanischen Raum. Die Dynamik und Entwicklung der Krise
aber wurden von allen stark unterschätzt. Stichworte
sind: der Zusammenbruch von sechs Investmentbanken,
62 Hedgefonds, die Insolvenz von Lehman Brothers, der
Interbankenmarkt, toxische Papiere - alles Namen und
Begriffe, die mittlerweile geläufig sind, es vor der Krise
Carsten Schneider ({0})
aber wahrscheinlich nicht waren -, die Zahlungsunfähigkeit eines Staates, nämlich Islands, andere Staaten, die
auf der Kippe stehen, zum Beispiel die Ukraine oder die
Staaten im baltischen Raum. Mit diesen Begriffen kann
man die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise
beschreiben, einer Finanzkrise, die auch heute noch mit
ihren Auswirkungen auf das Wachstum der Wirtschaft in
der ganzen Welt und vor allen Dingen - durch unsere
starke Exportabhängigkeit - in Deutschland zu spüren
ist.
Wir haben in einem ersten Schritt im Oktober des
letzten Jahres mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz
erste Dämme eingezogen. Sie haben gewirkt: Das Finanzsystem hat sich zunächst stabilisiert. Keiner braucht
mehr Angst um seine Spareinlagen zu haben. Der Zahlungsverkehr funktioniert wieder. Die Kreditversorgung, zumindest nach den aktuellen Zahlen der Bundesbank, ist noch in ausreichendem Maße sichergestellt.
Nichtsdestotrotz gibt es einige erkennbare Probleme
- darauf gehe ich noch ein -, die mit der hier vorgelegten Novelle des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes aufgegriffen werden. Nicht nur toxische Wertpapiere von
Unternehmen sind von einem schlechten Rating betroffen; vielmehr sind mittlerweile selbst die Kurse von
Staatsanleihen gefallen. Das hat zur Folge, dass die Eigenkapitalbasis der Banken zunehmend mehr eingeschränkt wird und damit die notwendige Kreditvergabe
schwieriger wird, wenn es an einer starken Eigenkapitalunterlegung fehlt.
Daher hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt - wir als Fraktion übernehmen ihn und bringen ihn
heute hier ein -, der auf diese Fragen eine notwendige
Antwort gibt. Uns als Fraktion waren dabei drei Punkte
besonders wichtig:
Erstens. Es soll keine zentrale Bad Bank für schlechte
Papiere geben, sondern jedes Institut ist für die Auslagerung und in letzter Konsequenz für die Verluste selbst
verantwortlich.
Zweitens. Es fließen keine weiteren Steuergelder oder
zusätzliche Staatsgarantien über das hinaus, was wir bereits im Oktober 2008 beschlossen haben.
Drittens. Am Ende der Laufzeit dieser Zweckgesellschaften - das ist sehr technisch; umgangssprachlich
werden sie „Bad Banks“ genannt, man kann aber auch
Rekonstruktionsbanken sagen - zahlen die Alteigentümer, das heißt die Aktionäre, nicht die Steuerzahler. Das
ist für meine Fraktion ein entscheidender Punkt.
({1})
Nicht nur die privaten Banken sind betroffen. Auch
bei den Landesbanken gibt es erkennbare strukturelle
Probleme. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es bei
den Eigentümern, in diesem Fall den Sparkassen, die das
Problem zum Teil erkannt haben, aber vor allen Dingen
bei den Ministerpräsidenten der Länder wie mit den drei
Affen ist: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Man
versucht schon seit einem Jahr, damit durchzukommen,
aber das wird nicht weiter funktionieren.
Wenn wir die Regelungen im Gesetzentwurf in Bezug
auf die Landesbanken im parlamentarischen Verfahren
noch ändern sollten - ich sehe dafür die Notwendigkeit,
weil das System, so wie es jetzt ist, in seiner Struktur
nicht überlebensfähig ist -, erwarte ich ein klares Konzept seitens der Eigentümer und damit der Länder zu einer Neuaufstellung, das heißt einer Rekonstruktion des
Landesbankensektors. Anderenfalls wird meiner Fraktion eine Zustimmung sehr schwerfallen oder nicht möglich sein.
({2})
Die Vertreter der anderen Fraktionen werden sich
zum Gesetzentwurf und zu Bad Banks ja noch äußern.
Was ich bisher öffentlich von der Linken zu diesem Problem gehört habe, läuft darauf hinaus, dass sie eine
Staatsbank gründen und alles selber machen wollen.
Dieses System hatten wir schon bis 1990. Das hat nicht
funktioniert. Ich glaube, diesen Ansatz kann man ad acta
legen. Das gilt auch für den Vorschlag der FDP, zu dem
man sagen muss: Dort, wo die FDP nach Markt schreit,
schreit der Markt nach dem Staat, zumindest nach Teilverstaatlichung. Banker, die eine Teilverstaatlichung fordern, hätte ich mir vorher nicht vorstellen können.
Unser Ziel bleibt ein stabiler Finanzmarkt. Wir wollen kein drittes oder viertes Konjunkturpaket - hier haben wir genügend Maßnahmen ergriffen -, sondern wir
wollen - das ist zwingend notwendig - den Geldfluss
wieder in Gang bringen. Ich will klar sagen, dass ich
noch Bedenken habe, ob die Regelungen in unserem Gesetzentwurf ausreichend sind, um die Einsicht der Banker in die Notwendigkeit dieser Regelungen herbeizuführen. Ich erwarte, dass das Angebot, das wir als Staat
machen, angenommen wird. Ich erwarte, dass nicht wieder Eigenkapitalrenditen von 25 Prozent hinausposaunt
werden, die im Zweifel nichts weiter als Zahlen auf dem
Papier sind, aber der Realität nicht standhalten, mit der
Folge, dass am Ende die Kreditversorgung für den Mittelständler, also für den kleinen Unternehmer, aber auch
für den großen Unternehmer auf der Strecke bleibt. Das
kann und darf nicht sein.
({3})
Dafür werden wir im parlamentarischen Verfahren zu
sorgen haben.
Die bisherigen Maßnahmen greifen durchaus. In Anbetracht des ersten Halbjahres der Maßnahmen zur
Finanzmarktstabilisierung bleibt aber eines aufzugreifen: das Problem der Rekapitalisierung von Banken.
Banken brauchen Eigenkapital, um Kredite vergeben zu
können. Das Eigenkapital wird aber durch Wertberichtigungen und die schlechtere wirtschaftliche Entwicklung
aufgezehrt.
An dieser Stelle sehe ich die Notwendigkeit, das
Eigenkapital der Banken deutlich aufzustocken; wir werden zum gesamten Themenkomplex, unter anderem
auch zu diesem Punkt, eine Anhörung durchführen. Die
Banken dürfen sich das Geld gern am Markt holen, das
heißt Aktien ausgeben. Sollte dies nicht möglich sein,
muss der Staat an dieser Stelle - wir haben noch beste24574
Carsten Schneider ({4})
hende Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro - stärker
aktiv werden. Im Zweifel müssen wir - so machen es die
Engländer und die Amerikaner - den Banken das Geld
aufdrängen,
({5})
damit an die Wirtschaft Kredite zu vertretbaren Konditionen vergeben werden können. Die EZB senkt zwar
immerzu den Leitzins, allerdings habe ich den Eindruck,
dass dies bei den Unternehmen nicht so richtig ankommt. Auch das kann nicht sein.
({6})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der für
meine Fraktion sehr wichtig ist. Der Gesetzentwurf
greift viele unserer Bedenken auf, zum Beispiel die
Frage: Wird der Steuerzahler belastet oder nicht? Er wird
nicht belastet. Es verbleibt aber ein Restrisiko. Das Restrisiko ist die Insolvenz einer Bank. In dem Falle würden wir, als Vertreter der Bürger, auf den Kosten sitzen
bleiben. Das will ich nicht. Das gilt es zu verhindern, indem wir eine Restrisikoumlage einführen. Unsere Partei bzw. unsere Fraktion haben sich bereits auf dem
Parteitag im Oktober dafür ausgesprochen.
Jeder Finanzmarktakteur profitiert davon, wenn der
Staat einen soliden Finanzmarkt garantiert: die Sparkassen, die Genossenschaften und auch die Großbanken. Es
profitieren nicht nur diejenigen, die Mittel in Anspruch
nehmen, sondern alle, weil Vertrauen geschaffen wird.
Wenn eine Bank zusammenbricht, kommt es zu einem Dominoeffekt, der zu Ausfällen und Verlusten
führt. Dieses Restrisiko darf daher nicht vom Steuerzahler, also der Allgemeinheit, getragen werden. Es muss
eine Restrisikoumlage eingeführt werden, die von allen
Marktteilnehmern bezahlt wird und das Restrisiko abschirmt.
({7})
Das ist systemgerecht und ordnungspolitisch sauber, was
auch vom Bundesbankpräsidenten bestätigt wurde. Das
wäre somit eine gelungene Vervollständigung des Gesetzentwurfs. Ich hoffe, dass wir uns darauf verständigen
können.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Toncar von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heute von den Koalitionsfraktionen vorgelegte
Gesetzentwurf wurde in guter Absicht erstellt. Es geht
zu Recht darum, die Vertrauenskrise im Bankensektor
einzudämmen. Wenn dies nicht gelingt, wird sich die allgemeine Wirtschaftskrise, die den Alltag der Menschen
in Deutschland immer stärker bestimmt, verlängern. Es
geht darum, sicherzustellen, dass Unternehmen in
Deutschland wieder Kredite zu vernünftigen Konditionen erhalten und dass Investitionen sowie Arbeitsplätze
finanziert und gesichert werden. Dies gilt insbesondere
für den Mittelstand, der besonders unter der Krise leidet.
({0})
Es ist zugegebenermaßen eine komplexe Aufgabe, sicherzustellen, dass die Bilanzen von Banken bereinigt
und gleichzeitig die Risiken für den Steuerzahler begrenzt werden. Es ist nicht leicht, dies miteinander zu
vereinbaren. Ich bin durchaus der Meinung, dass man
diesen Gesetzentwurf schneller hätte erarbeiten können.
Viele Banken haben ihre Papiere heute schon abgeschrieben. Das Eigenkapital dieser Banken ist stark belastet, was sich in den Kreditkonditionen niederschlägt;
der Herr Kollege Schneider hat das soeben angesprochen. Die Leitzinsen sind niedrig, aber die Kreditkonditionen haben sich dramatisch verschärft. All das hat mit
dem Kapitalschwund vieler Banken zu tun. Deswegen
ist es zu spät, diesen Gesetzentwurf erst heute zu beraten.
({1})
Man hätte seit Ende 2008 mit Hochdruck an diesem
Gesetzentwurf arbeiten müssen.
({2})
Die ersten Experten haben sich in diesem Zeitraum
gemeldet. Es war aber vermutlich Sand im Getriebe der
Koalition, der dazu geführt hat, dass es erst jetzt passiert.
Es war sogar so, dass die Bundesregierung von ihren eigenen Institutionen dazu gedrängt werden musste. Die
Bundesbank hat angefangen, an Vorschlägen zu arbeiten,
weil nichts passiert ist. Der SoFFin, die KfW und auch
die BaFin haben plötzlich angefangen, eigene Ideen zu
entwickeln. Daher kann man sagen, dass dieses Vorhaben politisch leider zu spät angegangen worden ist. Die
Bundesregierung ist hier von ihren eigenen Institutionen
getrieben worden. Deswegen tragen Sie, meine Damen
und Herren von der Koalition, ein gutes Stück der Verantwortung für diesen Zeitverzug.
Das Modell steht allen deutschen Banken offen. Aber
es ist kein Geheimnis, dass es einige gibt, die ganz besonders darauf angewiesen sind, ihre Bilanzen bereinigen zu können. Ich spreche von den staatlichen Banken,
von den Landesbanken, die in massiven Problemen stecken. Dieses Gesetz ist faktisch als Rettungsanker gerade für die staatlichen Banken gedacht; sie haben das
größte Interesse daran.
Aber jedem ist auch klar - der Bundesregierung ebenfalls -, dass der Gesetzentwurf noch geändert werden
muss, damit die Landesbanken ihre Bilanzen tatsächlich
bereinigen können. Er passt noch nicht so richtig auf die
öffentlich-rechtlichen Banken. Das heißt, was heute vorliegt, ist noch gar nicht das Konzept für diejenigen, die
die größte Hilfe brauchen, die am dringendsten Hilfe benötigen. Insofern besteht noch kein Grund zum Feiern;
es ist allenfalls ein Einstieg in die Lösung des BewerFlorian Toncar
tungs-, des Bilanzierungsproblems bei den Landesbanken.
({3})
Niemand verlangt von der Bundesregierung Unmögliches, etwa dass sie die Länder zwingt, sich insoweit
vernünftiger zu verhalten und auf eine Konsolidierung
der Landesbanken hinzuarbeiten. Ein Gesetz wie das
vorliegende sollte aber schon genutzt werden, um Druck
auszuüben, um den Druck zu erhöhen, damit in die Landesbanken wirklich wieder Nachhaltigkeit einzieht und
ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell entwickelt wird.
Es ist leicht, Nachbarn mit starken Worten zu beschimpfen. Ich würde mir wünschen, dass man einmal
dort Klartext spricht, wo die Missstände am größten
sind: gegenüber den Ministerpräsidenten, gegenüber den
Ländern. Sonst besteht das systemische Risiko an unserem eigenen Finanzplatz weiter und wird uns noch lange
Sorgen bereiten.
({4})
Die FDP wird den vorgelegten Entwurf prüfen. Wenn
er wirksam ist, wenn damit die Probleme bei den staatlichen Banken ernsthaft angegangen werden, werden wir
uns überlegen, zuzustimmen.
Ich möchte noch auf eine der Vorlagen der FDP eingehen. Sicherlich sind alle sehr diskussionswürdig, aber
ein Gesetzentwurf ist mir ganz besonders wichtig. Es
geht um das Thema „Parlamentarische Kontrolle“. Was
die Informationspolitik der Bundesregierung angeht, so
gibt es Defizite, die aus den verschiedensten Fraktionen
heraus, auch aus den Regierungsfraktionen heraus,
schon heute beklagt werden. Wenn der Koalitionsentwurf so beschlossen wird, wenn diese Zweckgesellschaften eingerichtet werden, dann - das muss uns klar
sein - wird der Sonderfonds neben dem Bundeshaushalt
noch mindestens weitere 20 Jahre bestehen; das ist garantiert. Er wird nicht vorher liquidiert werden können.
Das heißt, mit diesem Gesetzentwurf ist die Verlängerung des Sonderfonds, des zweiten Haushalts, vorprogrammiert. Im Übrigen erhöhen sich die Risiken durch
diese Garantien beträchtlich. Die Risiken bei den
Zweckgesellschaften sind höher als die Risiken, die
durch Garantien herkömmlicher Art bisher eingegangen
worden sind.
({5})
Ich glaube, dass das Parlament darauf reagieren muss.
Wir schlagen in unserem Gesetzentwurf vor, die parlamentarischen Kontrollrechte klarzustellen und auszuweiten. Dieses Anliegen sollte uns alle einen. Wir sind
an diesem Punkt gesprächsbereit, erwarten aber, dass das
Parlament mit diesem Gesetzentwurf - damit ist die Verlängerung der Laufzeit des SoFFin um mindestens
20 weitere Jahre verbunden - auch seine eigenen Mitwirkungsrechte stärkt.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vertrauen ist ein zentraler Schlüssel zu wirtschaftlichem Wachstum. An beidem mangelt es leider in
der deutschen Wirtschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
({0})
Vertrauen wiederherzustellen, in einer befristeten Maßnahme durch den Staat, ist das Gebot der Stunde. Wir
müssen alles daransetzen, dass man im Finanzsystem
untereinander wieder Vertrauen fasst und dass die Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen in das finanzielle
System fassen.
Wir sind angesichts der Rezession und der Finanzkrise in den vergangenen Monaten entschlossene
Schritte gegangen, um dieses Vertrauen aufzubauen. Am
Anfang stand das Sparbuch. Wir erinnern uns kaum noch
daran: Die Garantie der Bundeskanzlerin für die Spareinlagen war nicht nur finanziell wichtig; sie war auch
ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal dafür, dass
wir uns zuvorderst um diejenigen kümmern, die ihr Erspartes gesichert sehen wollen. Erst dann, in einem zweiten Schritt, haben wir uns unter dem Stichwort Finanzmarktstabilisierung an das herangewagt, was gemeinhin
als „Bankenrettung“ bezeichnet wird.
Die Bezeichnung „Bankenrettung“ führt aber ein bisschen vom Kern unserer Politik weg. Unsere Politik ist
nämlich vor allen Dingen Bürgerrettung; denn jeder ist
auf ein funktionsfähiges Finanzdienstleistungssystem
angewiesen - der Handwerker, was die Bezahlung seiner
Rechnung angeht, oder die Rentnerin bzw. der Rentner,
was die Auszahlung der Rente angeht.
({1})
Diese Politik ist im Kern auch Mittelstandsförderung.
Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen
sind auf diese Dienstleistung angewiesen; ohne diese
könnten sie nicht existieren. Deswegen ist das eine Politik nicht nur für die großen, sondern auch für die kleinen
und mittleren wirtschaftlichen Akteure,
({2})
und in diesem Sinne letztendlich auch eine Politik der
Arbeitsplatzsicherung.
Finanzmarktstabilisierung ist Arbeitsplatzsicherung.
Die Große Depression in den 30er-Jahren und das damit
einhergehende Bankensterben haben zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Unsere Politik führt dazu, dass die Folgen
der Wirtschafts- und Finanzkrise gemildert werden. Von
daher ist sie gelebte soziale Marktwirtschaft und in diesem Sinne ein guter Beitrag der unionsgeführten Bundesregierung zum wirtschaftlichen Fortkommen Deutschlands.
({3})
Wenn wir auf die letzten Wochen und Monate zurückschauen, können wir feststellen: Diese Politik ist auch
erfolgreich. Anders als in anderen Ländern ist keine einzige Finanzinstitution in Deutschland gezwungen worden, ihre Türen zu schließen. Das verloren gegangene
Vertrauen der Banken untereinander wird schrittweise
wieder aufgebaut - für die Techniker: Der Interbankenhandel kommt wieder in Gang; sein Volumen nimmt zu.
Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, setzt auf eine qualitative Fortentwicklung dieser notwendigen und erfolgreichen Politik, die im vergangenen
Winterhalbjahr unter Mitwirkung des Bundestages, insbesondere des Haushaltsausschusses, innerhalb einer
einzigen Woche konsequent umgesetzt worden ist.
Bei dieser Bankenpolitik gibt es zwischen folgenden
drei Aspekten einen inneren Zusammenhang: Es geht
einmal um die Stabilisierung des Bankensystems; zum
Zweiten geht es um den Schutz des Steuerzahlers vor
Lasten, die er eigentlich nicht tragen muss; drittens geht
es um Wachstumsförderung.
Der vorliegende Gesetzentwurf zielt im Kern darauf
ab, das Problem des Bilanzschrotts in den Bankbilanzen
zu lösen. Wie ein Krebsgeschwür hat es sich dort hineingefressen, das Vertrauen der Banken untereinander
gefährdet und ihr Eigenkapital ausgezehrt. Dass sie deshalb immer weniger Kredite vergeben, ist nicht in unserem Interesse. Deshalb müssen wir dieses Problem lösen. Vor allen Dingen müssen wir es besser lösen als die
Amerikaner, die zwar viel Geld der Steuerzahler ausgegeben haben, um diese Papiere aufzukaufen, aber kein
positives Ergebnis erzielt haben, oder als die Engländer,
die die Risiken versichert haben.
Die deutsche Lösung beruht im Kern auf der Eigentümerverantwortung; die Eigentümer der Banken haften für den Bilanzschrott. Bei maximaler Schonung des
Steuerzahlers geben wir den Banken die Möglichkeit,
entsprechende Papiere in eine Zweckgesellschaft auszulagern. Dafür werden staatlich garantierte Papiere in die
Bilanzen eingestellt. Letztendlich findet also ein Aktivtausch statt. Das entspricht einem Vorschlag, den ich in
die Debatte eingeführt habe, und orientiert sich am
Grundgedanken der Ausgleichsforderung.
Zentral ist es, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass der Bilanzschrott auf Dauer aus den Bilanzen
herausgenommen und damit das Problem gelöst wird fachsprachlich: Ein echter Abgang muss erfolgen. Letztlich tragen damit die Aktionäre über die nächsten Jahre
die Verluste aus den Papieren. Das ist eine Lösung im
Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil deutlich wird, wer eigentlich die Verantwortung trägt. Für
diese Lösung gibt es sehr viele englische Begriffe. Ich
halte sie für wenig zielführend. Ich möchte lieber von einer Beiboot-Lösung sprechen, und zwar in dem Sinne,
dass die Banken ein Beiboot zu Wasser lassen, das ihnen
zeitweilig hilft, dass das eigentliche Schiff wieder in stabile Lage kommt und Fahrt aufnehmen kann. Erst wenn
die ins Beiboot ausgelagerten Probleme abgearbeitet
sind, wird dieses von den Banken wieder eingeholt. Die
Eigentümerverantwortung ist also das zentrale Anliegen
bei dieser Beiboot-Lösung und damit dieses Gesetzentwurfes.
Kollege Schneider hat vorhin ein weiteres Problem
angesprochen, ein Problem, das im Gesetzentwurf noch
nicht geregelt ist, aber für uns ein drängendes Problem
ist: die Landesbanken. Hierzu will ich die Position der
Unionsfraktion deutlich machen.
Landesbanken sind ein unverzichtbarer Bestandteil
der Mittelstandsfinanzierung. Ihre Eigentümerstruktur
stellt sich ja so dar: Eigentümer sind nicht nur die Länder, sondern auch die Sparkassen. Wer die Landesbanken nun aus politischen Gründen im Stich lässt, gefährdet eine zentrale Säule der Kreditfinanzierung des
Mittelstands und ist mitverantwortlich für eine mögliche
Ausweitung der Arbeitslosigkeit.
({4})
Das ist der politische Ausgangspunkt dieser Debatte
über die Landesbanken.
({5})
Außerdem möchte ich deutlich machen, dass die Beiboot-Lösung auch eine Option für die Lösung der Probleme der Landesbanken ist. Auch sie können einen Teil
ihrer Papiere abwracken.
Es gibt aber einen weiteren Bereich, für den derzeit
noch eine gesetzgeberische Lösung fehlt. Diese wollen
wir im Laufe dieses Verfahrens finden. Dafür wird sich
die Unionsfraktion einsetzen. Wir lassen den Mittelstand
und die Sparkassen mit der Kreditfinanzierung nicht im
Stich. Wir wollen eine Lösung innerhalb dieses Gesetzes.
({6})
Herr Kollege Kampeter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Selbstverständlich.
Bitte, Herr Fricke.
Herr Kampeter, mir fehlt ein klares Bekenntnis. Ich
stimme vollkommen zu, dass wir die Finanzierung des
Mittelstandes sichern müssen und dass hier die Sparkassen und auch die Landesbanken eine Rolle spielen. Mich
interessiert Folgendes: Wer bleibt dann nach Meinung
der CDU/CSU in der Haftung für den Schrott, den die
Landesbanken haben? Sind Sie der Meinung, dass sich
die Eigentümer aus der Haftung herausnehmen können,
indem der Steuerzahler an anderer Stelle - beispielsweise über Kapitalerhöhungen - den Sparkassen hilft,
oder bleibt es dabei, dass diejenigen in der Haftung sind,
die bisher Eigentümer sind?
Der Grundgedanke all unserer Überlegungen zur
Bankenrettung ist, dass die Eigentümer für das verantwortlich sind, was in ihren Banken passiert ist. Wenn ich
auf die Landesbanken abziele, dann sind die Adressaten
einer Lösung selbstverständlich die Eigentümer der Banken.
({0})
Dass war beispielsweise im Fall von Nordrhein-Westfalen der Fall, wo sich die Landschaftsverbände, das
Land und die Sparkassen sehr kooperativ zeigen.
({1})
Das gilt auch für viele andere Bereiche. Es kann keine
Lösung geben, an der sich die Eigentümer der Landesbank nicht beteiligen. Das ist die Position der Unionsfraktion. Das muss man in aller Klarheit sagen.
({2})
Ich will hinzufügen, Herr Kollege Fricke, dass dadurch, dass wir eine Debatte über die Landesbanken angefangen haben, Bewegung in die Szenerie gekommen
ist. Heute lesen wir in den Zeitungen über das Angebot
der Sparkassen, enger zusammenarbeiten zu wollen. Das
wurde bisher immer infrage gestellt. Manche sprechen
jetzt von einer Strukturreform. Wir als Unionsfraktion
sind für diese Debatte offen. Wir sind für das eine oder
andere Reformmodell durchaus zu haben. Wenn dies so
präzise und so konkret von den Ländern, von den Eigentümern der Landesbanken und damit auch der Sparkassen, eingebracht wird, dann bin ich zuversichtlich, dass
die Bedenken hinsichtlich einer Lösung des Landesbankenproblems, die es noch in Teilen der SPD-Fraktion
gibt, ausgeräumt werden können. Dies ist im Interesse
unseres Landes. Daran wollen wir als Unionsfraktion
nicht nur mit einzelnen Regelungen, sondern mit dem
Gesetzentwurf insgesamt beitragen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nichts hören, nichts sehen, nichts oder nur die Hälfte sagen - so agieren Sie von der Koalition, Herr Schneider.
So werden Sie kein Vertrauen schaffen; denn nur wer
sich seiner Verantwortung stellt und aus seinen eigenen
Fehlern lernt, ist überhaupt befähigt, das Richtige zu tun.
({0})
Sie machen immer nur so weiter. Das ist grob fahrlässiges Verhalten.
Gerade die deutsche Politik ist in hohem Maße für die
weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise verantwortlich.
({1})
Sie haben die Deregulierung der Finanzmärkte massiv
vorangetrieben. Um einige Beispiele zu nennen: Erstens.
2004 wurden unter Rot-Grün die Hedgefonds in
Deutschland zugelassen.
({2})
- Sie haben sie erstmals in gering regulierter Form zugelassen.
({3})
Zweitens. Sie haben jahrelang nichts, aber auch gar
nichts gegen Steueroasen getan.
Drittens haben Sie durch die Zulassung von Zweckgesellschaften überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, dass Banken in einer solchen Art und Weise agieren
konnten.
({4})
Die Bankenaufsicht, Herr Sanio, erklärte uns, dass sie
zum Beispiel bei der Sachsen LB Manndeckung hatten.
Alle waren dann völlig überrascht, dass es eine solche
Katastrophe gab.
({5})
Es fragt sich, warum Landesbanken und Sparkassen
so agiert haben. Das ist ein zweiter großer Verantwortungsbereich, dem Sie sich endlich stellen müssten. Sie
haben die Steuerbasis der Kommunen und Länder
immer weiter nach unten getrieben. Durch die Steuerreformen ist es seit 1999 bei Kommunen und Ländern zu
massiven Steuerausfällen gekommen.
({6})
Das ist die Realität.
({7})
Allein durch die im Rahmen der Unternehmensteuerreform 1999/2000 durchgeführte Senkung der Körperschaftsteuersätze kam es zu jährlichen Ausfällen von
rund 10 Milliarden Euro für die Länder und Kommunen.
({8})
Natürlich bekamen die Landesfinanzminister Dollarzeichen in den Augen wie Dagobert Duck, als sie die Möglichkeit sahen, zum Beispiel durch Gründung einer
Zweckgesellschaft in Irland hohe Renditen zu erzielen.
Sie aber haben diesen Druck erzeugt. Dem müssten Sie
sich endlich stellen.
({9})
Wenn man sich vor Augen hält, dass der Anteil der Landesbanken und anderer deutscher Banken wie zum
Beispiel der Dresdner Bank an den Hochzins-/Hochrisikofinanzinstrumenten in den USA 2007 - zu einem Zeitpunkt, als sich amerikanische Banken aus diesem
Geschäft schon wieder schrittweise zurückzogen - 15 Prozent betrug, erkennt man: In Erwartung hoher Renditen
investierten deutsche Unternehmen in die risikoreichsten
und zweifelhaftesten Adressen der Wall Street. Die
Realität ist: Sie haben sie dorthin getrieben.
({10})
Herr Steinbrück erklärte noch im September 2008:
Die Krise ist eine amerikanische und wird uns nicht so
interessieren. Frau Merkel verkündet jetzt: Aus der Krise
werden wir gestärkt hervorgehen. - Wie denn, wenn Sie
nicht bereit sind, aus Ihren Fehlern zu lernen?
Jetzt muss eine Stärkung des Kreditsektors das Ziel
sein, um ihn überhaupt wieder funktionsfähig zu machen. Die Firmen klagen über extreme Schwierigkeiten
bei der Kreditversorgung. Ein aktuelles Beispiel ist
Karstadt; Karstadt hat Schwierigkeiten, überhaupt eine
Kreditlinie zu bekommen. Es braucht eine Klärung der
Eigenkapitalprobleme der Banken; denn die toxischen
Papiere fressen die Eigenkapitalbasis der Banken auf,
sodass sie keine Kredite mehr vergeben können. Aber
wie kann man verhindern, dass am Ende die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür zahlen müssen? Legen
die Banken endlich offen, welche toxischen Papiere ihre
Bilanzen belasten? Sind Sie, meine Damen und Herren
von der Koalition, bereit, die Finanzmärkte zu regulieren? Wenn man sich ansieht, was Regierungskoalition
und Regierung machen, muss man leider sagen: Getan
wird viel zu wenig, fast nichts. Auch das heute vorgelegte Modell ist eine Mogelpackung.
({11})
Erstens. Wir werden mit einer Teillösung nicht weiterkommen. Eine Teillösung schafft nicht automatisch
Vertrauen; denn es bleibt ein Rest in den Bilanzen. Wir
wissen noch immer nicht, wie groß dieser Rest ist. Einen
Zwang zur Offenlegung, welche toxischen Papiere die
Bilanzen belasten, gibt es nicht; das wird den Banken
überlassen. Jeder, der staatliche Unterstützung wie
Hartz IV beziehen will, muss sich de facto vor dem Amt
ausziehen. Die Banken bekommen Garantien und Geld,
ohne dass von ihnen Derartiges verlangt wird. Es ist eine
Unverschämtheit, wie Sie mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgehen.
({12})
Ein Zwang zur Offenlegung ist notwendig. Wir können
die Bewertung der Papiere doch nicht den Banken überlassen. Das ist doch wohl unsere Pflicht und Aufgabe.
Zweitens. Die EZB hat den Leitzins kontinuierlich
gesenkt; er liegt derzeit bei 1 Prozent. Was tun die Banken? Geben sie die Zinssenkung an die Wirtschaft, an
die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die
Kredite brauchen, weiter? Nein. Die Kreditzinsen für
Unternehmen liegen derzeit bei 6 bis 7 Prozent, und der
Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken hat
vor kurzem verkündet, dass sie absehbar noch steigen
werden. Die Banken geben die Senkung des Leitzinses
also nicht weiter. Das ist nicht hinnehmbar.
({13})
Drittens. Der Handel mit toxischen und faulen Papieren läuft weiter. Letztendlich tun Sie nichts dagegen. Ihr
Agieren bei der Commerzbank spricht eine eindeutige
Sprache. Wir als Linke haben Sie gefragt - ich zitiere
aus unserer Kleinen Anfrage -:
Werden sich die Vertreter der Bundesregierung im
Aufsichtsrat dafür einsetzen, die Aktivitäten der
Bank hinsichtlich der unter den Fragen 8 und 9 benannten Themen kritisch zu überprüfen und ggf. zu
korrigieren?
Es geht dabei um Steuerhinterziehung, um das Agieren
der Commerzbank
in verschiedenen Steueroasen, so zum Beispiel Andorra, den Cayman-Inseln, Liechtenstein, Luxemburg, Malta und Singapur.
Was antwortet die Regierung?
Die auf Veranlassung des Bundes gewählten oder
entsandten Aufsichtsratsmitglieder erfüllen ihre
Aufgabe im Rahmen der einschlägigen Vorschriften
und im Interesse des Unternehmens.
Ich dachte, die sollen die Interessen der Bürgerinnen und
Bürger vertreten und nicht die Interessen des Unternehmens.
({14})
Wir sagen Ihnen: Was Sie uns vorgelegt haben, wird
die Krise nicht beheben. Es werden nur Teillösungen angestrebt; das funktioniert nicht. Wir haben Ihnen viele
Dinge, die jetzt passiert sind, vorausgesagt; doch Sie
wollten nicht hören. Es wäre jetzt an der Zeit, dass Sie
die Ohren öffnen, um zu hören, nachdenken und dann
entsprechend agieren.
Das schwedische Modell hat gezeigt, dass es funktionieren kann. Aber es hat nur funktioniert, weil die Banken verstaatlicht wurden.
({15})
Nur dadurch, dass die systemrelevanten Großbanken
verstaatlicht werden, ist überhaupt eine demokratische
Kontrolle möglich.
({16})
Nur so wird es gelingen, dass die Banken ihre Geschäftstätigkeit auf das zurückführen, wofür sie gegründet wurden: Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Verwaltung der
Einlagen und Sparguthaben, kostengünstige und flächendeckende Versorgung der Realwirtschaft.
Ich danke Ihnen.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Bonde vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
erleben in diesen Wochen ein besonderes Schauspiel:
Überall dort, wo sich große Aufgaben stellen, verkündet
die Koalition eine Lösung, und im Wochentakt wird an
dieser Lösung nachgebessert. Wir sehen es am Bundeshaushalt. Hier wurde uns gerade der zweite Nachtrag
vorgelegt.
Heute haben wir die erste Lesung des zweiten Nachtrages zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Sie haben
dieses Gesetz schon neulich nachbessern müssen. Ihre
Ursprungslogik war, uns Steuerzahler in eine milliardenschwere Erpressungssituation im Zusammenhang mit
Herrn Flowers und anderen im Rahmen der Hypo Real
Estate hineinzutreiben. Heute schlagen Sie uns vor,
nachzubessern, weil in Ihrer ursprünglichen Konzeption
nicht vorgesehen war, wie mit Schrottpapieren umzugehen ist; denn Sie hatten geglaubt, dass Sie mit einem
- für die Banken sehr schönen - Verfahren über Bürgschaften durchkommen werden. Die nächste Nachbesserung ist schon angekündigt; denn Sie können bis heute
nicht sagen, wie es bei den Landesbanken weitergeht.
Selbst bei der Frage der Bad Bank - wir alle wissen, dass
es hierbei vor allem um die Landesbanken geht - ist
diese Koalition nicht in der Lage, für die Landesbanken
einen Weg aufzuzeigen.
({0})
Das Ganze macht deutlich, dass Sie, auch wenn die
Notwendigkeit zur Verabschiedung eines Pakets zur
Bankenrettung unbestritten ist, mit der falschen Logik an
die Sache herangehen. Das holt Sie jetzt bei jedem einzelnen Schritt ein, den Sie im Rahmen Ihrer Nachbesserungen machen.
Ein zentraler Strickfehler ist bis heute, dass es an
Transparenz fehlt. Als Parlament werden wir mit der
Einstufung „Geheim“ unterrichtet - wenn überhaupt.
Der Bevölkerung lassen Sie bis heute keine Chance, zu
erkennen, wer am Ende von den Rettungsschirmen in
Milliardenhöhe profitiert.
({1})
Jetzt wird bekannt, welche Bank welche Bürgschaft bekommt. Aber das Spannende ist doch: Wer sind insgesamt die Profiteure der Rettung, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler finanzieren?
({2})
Ich will es einmal benennen: Die Deutsche Bank bzw.
Herr Ackermann wären vielleicht etwas weniger aufgeblasen gewesen, wenn bekannt wäre, wie sehr die Deutsche Bank von den Rettungsmaßnahmen indirekt profitiert
({3})
und an welchen Stellen der Wert ihrer Anteile und ausstehende Zahlungen und Kredite gerettet worden sind.
({4})
Jetzt ist dies per se nicht illegitim, weil auch die Deutsche Bank Bestandteil des Finanzmarktes ist. Aber ich
glaube, dass in der Frage, wer die Profiteure sind, ein höheres Maß an Ehrlichkeit nötig ist. Sie sind bis heute
nicht bereit, dementsprechend vorzugehen.
({5})
Die Selbstentmachtung des Parlaments in der Bankenrettung, die wir zunehmend erleben, ist offensichtlich. Ich kann Sie von der Koalition nur auffordern, den
unhaltbaren Zustand zu beenden, dass das Kernrecht des
Parlamentes, nämlich das Haushaltsrecht, im Zusammenhang mit der Entscheidung, ein Paket von 480 Milliarden Euro zu verabschieden, völlig ausgehebelt ist. In
dem diesbezüglichen Entwurf der Bundesregierung sind
wieder keine zusätzlichen Parlamentsrechte vorgesehen.
Ich möchte Sie wirklich auffordern, diesen Zustand zu
beenden. Es ist mit der Ehre eines Parlamentes nicht vereinbar, der Bundesregierung - da kann man ihr noch so
sehr vertrauen - Blankoschecks auszustellen. Ich appelliere an Ihr Gewissen und an Ihre Ehre als Parlamentarier, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden.
({6})
Zum Thema Bad Banks. Man kann viel darüber diskutieren. Wir glauben, dass man die Situation schon im
Herbst hätte angehen müssen. Ich glaube, dass wir heute
besser dastünden, wenn wir den Weg einer intelligenten
Teilverstaatlichung gegangen wären und nicht den Weg,
den Sie gegangen sind. Es geht nicht darum, Banken unbedingt zu verstaatlichen, sondern darum, Sicherheiten
für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen und eine Rekapitalisierung auf Basis einer fairen Risikoabschätzung
zu ermöglichen.
An dieser Stelle sind wir bei der Frage, welcher Logik
man bei der Rettung von Banken folgt. Wenn im Zentrum steht, dass man Banken nicht um ihrer selbst willen
rettet, sondern, um das System zu erhalten, dann muss
man überlegen, ob es Sinn macht, die Banken zu fragen,
wie sie gerne gerettet würden. Um es mit den Worten des
Kollegen Kampeter zu sagen, der die toxischen Papiere
mit Krebsgeschwüren verglichen hat: Ich kenne keinen
Arzt, der das Krebsgeschwür interviewt und es fragt:
Wie hätten Sie es denn gerne? Wäre Ihnen der komplette
Abgang genehm?
({7})
So haben Sie Ihr Bad-Bank-Modell konstruiert.
Da Sie keine Bank zu einem Stresstest verpflichten
wie in den USA, können Sie auch keine Bank verpflichten, bei einem negativen Ergebnis des Stresstestes eine
Bad Bank zu konstruieren. Am Ende heißt das, dass
viele Banken, die eigentlich eine solche Konstruktion
bräuchten, keine Bad Bank gründen werden, weil sich
das für die Bank betriebswirtschaftlich nicht rentiert.
Folgt man der betriebswirtschaftlichen Logik, steht nämlich das Interesse des Aktionärs im Vordergrund und
nicht die Erhaltung des volkswirtschaftlichen Systems.
({8})
Mit Ihrem Entwurf zur Ausgestaltung der Bad Banks
sind Sie wieder einmal den Menschen auf den Leim gegangen, die der Meinung sind, dass Bankenrettung von
Bankern oder zumindest von Anwälten, die für Banken
arbeiten, gemacht werden muss. Das ist es, was wir kritisieren. Es ist notwendig, dass wir bei den toxischen Papieren vorankommen. Ich glaube aber, Sie befinden sich
auf der falschen Spur und folgen der falschen Logik.
Ich glaube, die Teilnahme an einem solchen Modell
muss für diejenigen Banken verbindlich sein, die einen
Stresstest mit realistischen Risikoszenarien nicht bestehen.
({9})
Alles andere würde bedeuten, dass die Banken betriebswirtschaftliche Rettungsszenarien entwickeln, die zur
Folge haben, dass genau die Kredite heruntergefahren
werden, die der Mittelstand jetzt braucht. Das betrifft
den Handwerker genauso, wie es die Frage berührt, wie
die Innovationen, die wir heute insbesondere im Bereich
der Umwelttechniken brauchen, finanziert werden. Wir
alle wissen, dass der Aufschwung nur kommen kann,
wenn wir in dieser Krise hochinnovative Produkte entwickeln und in zukünftige Märkte investieren. Genau
das verhindern Sie aber mit Ihrer Strategie. Diese Strategie wird dazu führen, dass viele Banken ihre Kreditvolumina herunterfahren, weil sie bezüglich ihrer Eigenkapitalquote unter Druck stehen.
Das, was Sie hier machen, ist auch wirtschaftspolitisch falsch. Sie versuchen wieder einmal, mit einem
möglichst geringen Einsatz eine harte Maßnahme zu verhindern. Am Ende wird das aber nur dazu führen, dass es
nicht bei diesen Korrekturen am Gesetz bleibt, sondern
Sie munter weiter korrigieren müssen.
Ihre Ansage, dass dieses Modell die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nichts kosten wird, ist längst überholt. Sie haben uns ja auch schon versprochen, dass der
Haushalt bis 2011 ausgeglichen sein würde.
({10})
Insofern fürchte ich, dass Ihr Versprechen, dies würde
den Steuerzahler nichts kosten, leider nichts wert ist.
({11})
Sie müssen in der Anhörung und im parlamentarischen
Verfahren noch erheblich nacharbeiten. So leid es mir
tut, aber diese Bad Bank ist auch ein Bad Law. Neben
der schlechten Bank ist es also auch ein schlechtes Gesetz. Diese schlechte Gesetzgebung der Bundesregierung ist ein Problem, das wir als Parlament ausbaden
müssen.
Herzlichen Dank.
({12})
Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Lage ist ernst. Deswegen verbietet es sich
eigentlich auch für Oppositionsparteien, diese Debatte
für billige Polemik zu nutzen.
Ich danke den Rednerinnen und Rednern von SPD
und CDU/CSU, aber auch Herrn Toncar von der FDP für
ihre Beiträge, die zeigen, dass wir darin übereinstimmen,
dass die vergangenen Monate eindeutig gezeigt haben,
dass die bisherigen staatlichen Rettungsmaßnahmen
nicht ausreichen, dass wir mehr tun müssen.
({0})
Jetzt ist der Ton lauter. Allerdings ist mir eine Minute
Redezeit verloren gegangen, Herr Präsident; vielleicht
bekomme ich sie dazu.
Diese Minute können Sie gerne hinzubekommen. Bitte schön.
Ich habe gesagt: Die Lage ist zu ernst, als dass man
seitens der Opposition, hier insbesondere von der Linken, die zum Teil verwirrt ist und verwirrende Argumente vorbringt und Behauptungen aufstellt, mit billiger
Polemik arbeitet.
Wir von der SPD, der CDU/CSU und der FDP stimmen darin überein, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen. Kollege Kampeter hat schon darauf hingewiesen, wie das Problem, das auf diesem
Globus in einer völlig neuen Dramatik aufgetreten ist,
weltweit angegangen wurde. Die Amerikaner haben versucht, zu einer Lösung zu kommen, die im Wesentlichen
den Steuerzahler belastet, was nicht das Gelbe vom Ei
ist. Die Briten haben es mit einer Versicherungslösung
versucht; das hat nicht funktioniert.
Wir haben lange darüber nachgedacht und hatten am
Schluss noch einen Zielkonflikt zu lösen. Wir wollten
nämlich einerseits die Bilanzen der Banken entlasten,
andererseits aber den Steuerzahler damit nicht belasten.
({0})
Um dieses Problem doch noch zu lösen, haben wir das
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland eingeschaltet, das Verbesserungsvorschläge angebracht hat, die wir
in den Gesetzentwurf eingearbeitet haben, den dankenswerterweise heute die Koalitionsfraktionen als Fraktionsinitiative einbringen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege
Bonde hat gefragt: Wer sind die Profiteure? Die Profiteure dieser Rettungsaktion sind
({2})
die Handwerker, die Häuslebauer,
({3})
die Selbstständigen, die Unternehmen.
({4})
Wir wollen mit unserem Modell im Interesse des Schutzes und des Erhalts der Arbeitsplätze den Geldkreislauf
innerhalb der Bankenwirtschaft wieder in Gang setzen
und neue vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen.
Das Bad-Bank-Modell funktioniert in folgender
Weise: Die bisher unterschiedlich wertberichtigten Papiere werden mit einem zusätzlichen Abschlag von
10 Prozent, den die Bank verkraften muss, in eine
Zweckgesellschaft übertragen. Die Bank übernimmt
eine Schuldverschreibung dieser Zweckgesellschaft,
macht also einen Aktivtausch. Die verbrieften Rückzahlungsverpflichtungen der Zweckgesellschaft werden
vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung garantiert.
Die Garantie wirkt zugunsten der Bank, die die Schuldverschreibung erworben hat. Der Vorteil ist, dass die
Bank diese Schuldverschreibung bei der Bundesbank zur
Beschaffung neuen Geldes einreichen kann, was mit den
ursprünglichen Wertpapieren nicht möglich war. Damit
können wir Eigenkapital freisetzen, das für die Vergabe
neuer Kredite an Häuslebauer, Unternehmen, Selbstständige und Handwerker dringend gebraucht wird. Das ermöglichen wir durch diese Maßnahmen.
({5})
Diese Garantie wird für die Banken allerdings nicht
zum Nulltarif erhältlich sein. Die Bank muss mehrfach
zahlen. Erstens muss sie für die übernommene Garantie
eine Garantiegebühr an den SoFFin bezahlen. Sie muss
zweitens einen Ausgleichsbetrag in gleichbleibenden
Raten über die Garantielaufzeit von maximal 20 Jahren
zahlen, der aus der Differenz zwischen dem um 10 Prozent reduzierten Buchwert und dem durch Sonderprüfer
noch festzusetzenden vermuteten Endwert dieser Papiere, dem sogenannten Fundamentalwert bei Fälligkeit,
ermittelt wird. Die Differenz muss auf der Zeitachse ausgeglichen werden. Drittens muss sie die Ausschüttungen
an ihre Anteilseigner - bei Aktiengesellschaft also die
Dividenden - sperren und an den Bund auskehren, falls
der tatsächliche Marktwert bei Fälligkeit unter dem geschätzten Fundamentalwert liegen sollte. Insofern haben
die Koalitionsfraktionen jetzt gemeinsam einen Vorschlag eingebracht, der den Steuerzahler maximal
schützt.
Es ist auch über die Frage des Kollegen Toncar diskutiert worden: Wie steht es mit dem Konsolidierungsmodell? Richtig ist: Der SoFFin hat sich mit der Erarbeitung dieses Modells Verdienste erworben. Bei der
Diskussion hat sich aber gezeigt, welche vielfältigen
Fragen noch zu lösen sind, die noch in der Prüfung sind
und auf die der SoFFin noch keine Antworten hat. Ich
möchte nur ein Beispiel nennen: Es sollen ja nicht nur
Risikopositionen ausgelagert werden, sondern auch Geschäftsfelder. Die Eigentümer müssen sich endlich dazu
äußern, welche Geschäftsfelder sie auslagern wollen.
({6})
Wenn sie sich geäußert haben, welche Geschäftsfelder
sie auslagern wollen, muss geklärt werden, bei wem die
politische Verantwortung liegen soll. Ich möchte darauf
hinweisen, dass mit manchen Geschäftsfeldern sehr viel
Personal verbunden ist. Was geschieht dann mit dem
Personal? Wer trägt am Schluss die politische Verantwortung dafür, was mit dem Personal zu geschehen hat?
({7})
All diese Fragen bedürfen einer vertieften Erörterung.
Das kann man nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln,
Herr Kollege Toncar.
({8})
Wir sind dabei, mit den Ländern und den Sparkassen
über die noch offenen Fragen zu diskutieren. Wir wollen
Abwicklungsgesellschaften in der Rechtsform von Anstalten des öffentlichen Rechts gründen, auf die die Risikopositionen und ganze Geschäftsbereiche übertragen
werden können.
({9})
Wir sind im Übrigen, Herr Kollege Kampeter, guten
Willens, Ihnen die Lösungsvorschläge in der nächsten
Zeit zu übermitteln,
({10})
damit Sie rechtzeitig vor der Schlussberatung im Haushaltsausschuss über diese Lösungsvorschläge nicht nur
nachdenken, sondern auch entscheiden können.
({11})
In diesem Sinne „Glück auf!“ für unser Vorhaben.
({12})
Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben es zu Recht angesprochen: Die Lage ist
ernst. Es ist kein alltäglicher Vorgang, mit dem wir uns
hier heute zu beschäftigen haben. Es sollte auch nicht
zur Regel werden. Aber wenn die Notwendigkeit besteht, dann müssen wir uns im Parlament mit dem Problem so auseinandersetzen, wie es heute geschieht.
Die FDP hat im Interesse der Aufrechterhaltung des
Finanzmarktes für die Bürger in unserem Land dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz zugestimmt. Die FDP ist
allerdings der Auffassung, dass neben den kurzfristigen
Löschaktionen in diesem Bereich auch die Frage nach
der Verursachung der Brände zwingend gestellt werden
muss. Denn im Zusammenhang mit der Frage, wer die
Verantwortung trägt, ist gleichzeitig Vorsorge dafür zu
treffen, dass so etwas nicht wieder geschehen kann.
({0})
Der Finanzsektor - das ist nicht jedem Bürger unseres
Landes klar - ist der am stärksten regulierte und beaufsichtigte Bereich unserer Wirtschaft. Im Kreditwesengesetz sind klare Regelungen über die Liquidität und das
Eigenkapital der Banken aufgestellt. Trotz dieser Regeln, trotz einer staatlichen Aufsicht durch die Bankenaufsicht und die Bundesbank und trotz einer Aufsicht
durch das Bundesfinanzministerium ist unser Finanzsystem in eine Krise geraten, wie sie überhaupt nicht vorstellbar war. Deshalb handelt es sich hier aus unserer
Sicht an erster Stelle um Staatsversagen.
({1})
Um es auch hinsichtlich der Landesbanken klarzustellen: Nach Auffassung der FDP sollte der Staat nicht
Unternehmer sein. Es ist nicht die Aufgabe des Staates,
private Banken wie die IKB oder Landesbanken zu führen, für deren Verluste in vielen Bundesländern der Steuerzahler einzustehen hat. Wir müssen uns wieder auf die
Grundordnung besinnen. Der Staat sollte die Regeln setzen und Schiedsrichter sein, aber nicht Marktteilnehmer.
Das sind Grundsätze, die uns die soziale Marktwirtschaft
gelehrt hat und auf die wir zurückkommen müssen, damit die Wirtschaft wieder florieren kann.
({2})
Es ist nach wie vor ein Skandal, dass die Hypo Real
Estate, die inzwischen über 100 Milliarden Euro staatlicher Gelder erhalten hat, überhaupt nicht der Bankenaufsicht unterlag. Dadurch kam es zu Problemen. Bis heute
hat kein Mitglied der Bundesregierung erklärt, dass ein
Fehler passiert sei oder dass man Verantwortung habe.
Verantwortung in unserem Staat kann nicht so aussehen,
dass die Repräsentanten des Staates, die in der Aufsicht,
in der Verantwortung sind, sagen: Das ist jetzt alles so
gelaufen, jetzt lasst uns nur nach vorne schauen. - Stattdessen müssen wir prüfen, was falsch gelaufen ist und
wer die Verantwortung trägt. Die Verantwortlichen müssen klar benannt werden. An der Stelle erwarte ich immer noch ein Wort der Entschuldigung des Finanzministers für das Versagen der Finanzaufsicht, das unter seiner
Ägide entstanden ist.
({3})
Das ist bis heute nicht erfolgt. Das ist ein Armutszeugnis
von Verantwortung in unserem Land. Das ist nicht hinzunehmen.
({4})
Im Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung ist geregelt, dass die Banken ihre Schrottpapiere - so werden sie umgangssprachlich genannt zum Buchwert minus 10 Prozent abgeben sollen. Diesem Buchwert soll ein Fundamentalwert gegenübergestellt werden. Hier stellt sich schon heute die Frage, ob
es bilanztechnisch nicht so sein müsste, dass der Buchwert den Fundamentalwert bereits abbildet. Wenn das so
wäre, dann gäbe es nämlich gar keinen Unterschied zwischen Buchwert und Fundamentalwert. Oder sind in den
Buchwerten der Banken Werte abgebildet, die in Wirklichkeit schon gar nicht mehr zu erzielen wären? Hier
sollte die Bankenaufsicht sehr vorsichtig sein; denn eigentlich dürfte das gar nicht sein.
Es gibt also noch viele offene Fragen, mit denen wir
uns in einer Anhörung befassen müssen. Ein Gesetzentwurf liegt zwar vor. Ich gehe aber davon aus, dass er
massiv verändert werden muss. Eines der Hauptprobleme in diesem Bereich sind die Landesbanken. Weil
es unterschiedliche Landesbanken gibt, muss für sie eine
Lösung gefunden werden, die institutsspezifisch ist.
Insofern stelle ich fest: Wenn man mit diesem Gesetz
versuchen möchte, auf dem Finanzmarkt wieder etwas
mehr Vertrauen zu schaffen, dann sollte es so formuliert
werden, dass es auch angenommen werden kann. Ich
habe Zweifel, ob private Banken angesichts der Bedingungen und Kautelen, die mit diesem Gesetz verbunden
sind, überhaupt interessiert und in der Lage sein werden,
dieses Gesetz anzunehmen, um wieder Kapital zu erhalten und das zu tun, was nötig ist: Kredite an den Mittelstand und die Wirtschaft insgesamt zu vergeben, damit
unsere Wirtschaft wieder vorankommt, die Zahl der Arbeitsplätze steigt und die Zahl der Arbeitslosen sinkt.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Rupprecht von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere akute und äußerst dringende Aufgabe ist es, eine
Albert Rupprecht ({0})
drohende Kreditklemme für Handwerk, Mittelstand und
Industrie im Lande abzuwenden. Die Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben, hängt entscheidend von der
Eigenkapitalausstattung ab. Das Eigenkapital ist derzeit dreifach massiv unter Beschuss:
Erstens: Die Produkte in den Bilanzen verlieren tagtäglich weiter an Wert. Das wird auch so bleiben, solange unter anderem die Immobilienpreise in den USA
fallen. Zum Zweiten: Durch die Wirtschaftskrise fallen
Unternehmenskredite aus. Zum Dritten: Die Herabstufung durch Ratingagenturen zwingt Banken nach
Basel II, mehr Eigenkapital zu hinterlegen. Weil Banken
auf dem Kapitalmarkt derzeit aber kein Kapital bekommen, bleibt ihnen letztendlich nur die Möglichkeit, die
Kreditvergabe herunterzufahren. Deswegen ist es eine
Schlüsselaufgabe, das Eigenkapital in den Bankbilanzen
zu stabilisieren. Sonst kommt es im Laufe des Jahres zu
einer breiten Kreditklemme und zu einem weiteren Einbruch von Wachstum und Beschäftigung.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird das Eigenkapital stabilisiert. Giftige Produkte in einem Umfang von 200 Milliarden Euro können in Zweckgesellschaften ausgelagert werden. Die Altlasten werden dort
über 20 Jahre abgetragen. Und - das ist entscheidend
und war unsere klare politische Vorgabe -: Das verbleibende Defizit wird von den Alteigentümern getragen.
Wir haben Wort gehalten: Der Steuerzahler wird nicht
zusätzlich belastet.
({1})
Sehr geehrte Damen und Herren, Modellrechnungen
zeigen uns: Im äußersten Fall kann durch die Auslagerung giftiger Produkte in einem Umfang von
200 Milliarden Euro die Fähigkeit deutscher Banken,
Kredite zu vergeben, in einer Größenordnung von
2,5 Billionen Euro steigen. Auch wenn dieses Rechenbeispiel ein Extremfall ist, der in der Praxis nicht eintreten wird, weil nicht alle Banken mitmachen werden und
weil nicht jedes giftige Produkt mit 100 Prozent Eigenkapital hinterlegt werden muss, zeigt es die Dimension,
um die es beim heute vorliegenden Gesetzentwurf geht.
Im Vergleich dazu ist das Konjunkturprogramm II mit
seinem Volumen von 50 Milliarden Euro eigentlich
nachrangig. Oder andersherum: Ohne die Kraft der Banken, Kredite zu vergeben, wird es kein Ende der Wirtschaftskrise geben.
Deswegen ist es auch höchste Zeit, dass der Gesetzentwurf vorliegt. Die Finanzpolitiker der Unionsfraktion
haben das bereits im Dezember 2008 gefordert, und
zwar in den jetzt vorliegenden Grundzügen. Ich kann
mir die Anmerkung an dieser Stelle nicht verkneifen:
Minister Steinbrück hat unsere Vorschläge damals massiv abgelehnt und geantwortet:
Einige sollten erst nachdenken … Die Einrichtung
einer sogenannten Bad Bank würde Deutschland
150 bis 200 Mrd. Euro kosten.
In der Tat: Nachdenken kann etwas bewegen. Das gilt
auch beim Finanzminister.
({2})
Das vorliegende Modell der Zweckgesellschaft ist in
den Grundzügen sehr gut gelungen. Kompliment an die
Fachleute in den Ministerien! Im Detail gibt es aber einen Änderungsbedarf zu diskutieren. Zudem fehlt der
notwendige zweite Teil für die Landesbanken. Es geht
im Konkreten um folgende Punkte:
Erstens. Der zehnprozentige Abschlag beim Auslagern in die Zweckgesellschaft kostet manche Bank wertvolles Eigenkapital in Milliardenhöhe. Wir sollten auf
diesen Abschlag verzichten.
Zweitens. Wieso ist der Stichtag der Wertermittlung
der 31. März 2009 und nicht der 31. Dezember 2008? In
diesen drei Monaten ist der Wert der Produkte massiv
gesunken. Auch das kostet wertvolles Eigenkapital.
Drittens. Der Anwendungsbereich. Es macht keinen
Sinn, ausschließlich ABS-Papiere zuzulassen. Wenn wir
Klarheit in den Bilanzen der Banken und Vertrauen zwischen den Banken erreichen wollen, muss alles, was toxisch ist, offengelegt werden und raus aus den Büchern.
Viertens. Die Banken müssen wieder fähig werden,
privates Eigenkapital zu bekommen, statt dauerhaft am
staatlichen Tropf zu hängen. Das gelingt aber nur, wenn
die neuen Aktionäre, zum Beispiel nach Kapitalerhöhungen, frei von Altlasten sind, das heißt, die Altlasten müssen ausschließlich von den Alteigentümern getragen
werden und nicht von den Neueigentümern nach Kapitalerhöhungen.
Fünftens. Wenn wir die Banken wieder auf gesunde
Füße stellen wollen, dann ist es notwendig, dass ganze
Geschäftsbereiche, die nicht zukunftsfähig sind, ausgelagert werden können. Das gilt vor allem für die Landesbanken, und das geht weit über die toxischen Assets hinaus. Der SoFFin hat hier bereits vor Monaten
Vorschläge für derartige Konsolidierungsbanken vorgelegt.
Dazu brauchen wir - das ist unsere feste Überzeugung - einen Gesetzentwurf vonseiten des Finanzministeriums, der bis heute leider nicht vorliegt. Wir brauchen
diese Konsolidierung für die Landesbanken, wir brauchen sie aber auch, um Schaden von den regionalen
Sparkassen abzuwenden. Es ist der klare Wunsch der
Unionsfraktion, dass der Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren um dieses Element erweitert wird. Wir
brauchen hier endlich einen Gesetzestext.
Wir werden keinen gesetzlichen Zwang zur Auslagerung der giftigen Papiere beschließen. Wir erwarten
aber, dass die betroffenen Banken mitmachen. Andernfalls muss die Bankaufsicht mit Druck dafür sorgen.
Die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen
der Bundesrepublik Deutschland zu meistern, ist ein
Riesenkraftakt für unser Land. Bundesregierung und Gesetzgeber haben das Land in den vergangenen Monaten
stabilisiert und das Schlimmste verhindert. Auch der
vorliegende Gesetzentwurf hilft, Schaden vom deutschen Volke abzuwehren.
({3})
Albert Rupprecht ({4})
Die Banken sind aber auch gefordert, das Gesetz zu
nutzen und im möglichen Rahmen Kredite zu vergeben.
Die Banken haben hier ganz klar eine Verantwortung für
unser Land.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich denke, wir haben hier zum ersten Mal in
den letzten 16 Jahren - seitdem habe ich die Möglichkeit, Gesetzgebung mitzugestalten - das Phänomen einer
prozessbegleitenden Gesetzgebung. Das muss auch so
sein. Wir haben ein neues Problem, das sich in die eine
oder andere Richtung auf eine Art und Weise zuspitzt,
die zwei, drei Monate vorher möglicherweise gar nicht
erkennbar gewesen ist. Deswegen müssen wir sozusagen
just in time eine Feinsteuerung an den grundsätzlich
richtigen Instrumenten vornehmen, die wir uns mit dem
Finanzmarktstabilisierungsgesetz gegeben haben. Das
ist der Prozess, und das kann man uns nicht vorwerfen,
sondern man müsste uns eigentlich dafür loben, dass wir
so klug sind, diese Feinsteuerung vorzunehmen und
nicht an Prinzipien festzuhalten, die möglicherweise
nicht mehr problemadäquat sind.
({0})
Das gilt auch für das Problem des besonderen
Abschreibungsbedarfs für die sogenannten faulen oder
toxischen Papiere. Dieser Begriff ist eigentlich völlig
falsch. Wir haben bildlich betrachtet einen Hühnerbestand, von dem wir wissen, dass einige der Hühner krank
sind. Wir wissen aber nicht genau, welche. Es gibt entweder die Möglichkeit, dass wir uns für Keulung entscheiden - das wäre auf die Banken übertragen eine
mittlere Katastrophe -, oder wir entscheiden uns für
Quarantäne. Wir haben uns für Quarantäne entschieden.
Die infizierten Papiere kommen in Quarantäne. Auf der
Zeitachse wird sich zeigen, wo es einen hundertprozentigen Abschreibungsbedarf gibt und wo es eine Wertaufholung gibt. Das ist die Kunst. Deswegen gibt es auch
zwei unterschiedliche Buchwerte: einen möglicherweise
jetzt und den zweiten zum Zeitpunkt der Schlussabrechnung. Die Differenz wird bewertet.
Auch der Vorwurf, wir würden im Zusammenhang
mit dem Abschreibungsbedarf keine Transparenz
schaffen, ist aus meiner Sicht, ehrlich gesagt, völliger
Blödsinn.
({1})
In dem Augenblick, in dem wir Banken die Möglichkeit geben, diese Bestände auszulagern und darüber auch
noch eine Garantie zu geben, ist doch völlig klar, dass es
von beiden Seiten einen detaillierten Bewertungsprozess
geben wird. Es wird auch gestritten werden, um zu einer
vernünftigen Bewertung zu kommen. Transparenter wird
es nicht sein. Der Staat und der SoFFin sind mit dabei.
Insofern ist das, denke ich, ein guter Prozess. In dem
Bereich der Auslagerung von besonderem Abschreibungsbedarf sind im Übrigen die Landesbanken voll mit
einbezogen. Wir können gar keinen Unterschied zwischen Privatbanken, Landesbanken oder irgendwelchen
Bankentypen machen. Sie sind mit dabei. Das Angebot
gilt auch für sie.
Herr Kollege Schultz, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Höll?
Ja, selbstverständlich.
Danke, Herr Kollege. - Ich habe eine Frage. Sie haben eben das Bild der infizierten Hühner verwandt. Wie
machen Sie das, wenn Sie nicht einmal wissen, welche
Hühner infiziert sind? Auf Vermutung hin? Es gibt
schließlich keinen Zwang auf Offenlegung.
So ist das bei der Quarantäne, ob beim Hühnerbestand
oder in jedwedem anderen Fall, dass man die Kranken
sozusagen von den Gesunden isoliert - das gilt für den
gesamten Bestand - und beobachtet, wie sich die Dinge
entwickeln. Aber man will eine Infizierung weiterer Bestände - in diesem Fall der guten Bank - vermeiden.
Deswegen wird die Trennung vorgenommen.
Die Transparenz wird dadurch geschaffen, dass bewertet werden muss, welcher Buchwert jetzt bzw. mit einem Abschlag realistisch wäre. Der gesamte Abschreibungsprozess wird dann begleitet werden, und am Ende
gibt es einen neuen Wert, den wir noch nicht kennen. Er
kann viel gesünder sein - um im Bild zu bleiben -, als
wir es uns heute vorstellen; er kann aber auch schlechter
sein. Die notwendige Transparenz entsteht innerhalb der
Bad Bank durch den beidseitigen Bewertungsprozess,
nämlich durch die Bank selber als De-facto-Eigentümer
und den Garantiegeber.
Zu dem Sonderthema Landesbanken: Man darf es
sich, finde ich, nicht ganz so einfach machen, Herr Kampeter. Ich bin immer dafür gewesen, dass wir uns um die
Landesbanken kümmern, die eine bedeutende Rolle
spielen - 20 Prozent aller Unternehmenskredite, Kredite
für Selbstständige usw. laufen nach wie vor über die
Landesbanken -, statt nur deshalb nichts zu tun, weil die
Landesbanken ausschließlich in den Ländern betroffen
sind, wo derzeit sozusagen eine andere Feldpostnummer
regiert. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass
in den letzten Jahren zum Teil durch die Eigentümer, insbesondere die Landesregierungen, mehr als merkwürdig
Reinhard Schultz ({0})
und sträflich mit den Landesbanken umgegangen worden ist.
({1})
Es gab viele Chancen, sie zu sanieren und zu konsolidieren. Das Gegenteil ist gemacht worden. Nach den letzten
Krisen Anfang dieses Jahrzehnts hat man sich nicht besonnen, sondern im Grunde genommen weitergemacht,
als wäre nichts passiert. Da muss man nach den Verantwortlichkeiten fragen.
({2})
Sind wir dafür verantwortlich oder sind es diejenigen,
die in den Bundesländern auch die finanzpolitische Verantwortung tragen?
Dass die Sparkassen dabei mit im Boot sind, wissen
wir. Wir wissen auch, dass die Sparkassen als Miteigentümer gegenüber einer Landesregierung in einer wesentlich schwächeren Stellung sind. Denn wir haben parallel
dazu die Gesetzgebung der Länder im Zusammenhang
mit den Landessparkassen als erzieherische Prozesse mit
vertikaler Integration und anderem mehr erlebt, die dazu
beigetragen haben, dass sich die Sparkassen in ihrer
Eigentümerrolle nicht mehr gegen die Länder wehren
konnten.
Aber wir müssen das Problem lösen. Deswegen bin
ich auch froh darüber, dass heute der Sparkassen- und Giroverband sein Papier vorgelegt hat, welche Kernfelder
er sich für die künftige Landesbankenstruktur vorstellt, nämlich, um das zu zitieren, Sparkassenzentralbank, komplementäres Mittelstandsgeschäft, Unternehmensgeschäft, Begleitung der heimischen Kunden im
internationalen Geschäft und kundenorientiertes Kapitalmarktgeschäft. Dies ist eine abschließende Aufzählung
der Felder, über die man gut diskutieren kann. Das Investmentgeschäft und Kapitalmarktgeschäfte genereller
Art fallen weg, ebenso Immobilienspezialfinanzierungen
und andere Dinge. Das heißt, sie konzentrieren sich auf
ein Kernfeld, das auch in Blickweite dessen steht, was
die Sparkassen als Miteigentümer zur Verstärkung ihrer
Handlungsfähigkeit brauchen.
Daraus folgt die zweite Frage: Wie viele Landesbanken brauchen wir? Dazu muss ein klarer Fahrplan her, sodass am Ende nur noch eine passgenaue Kapazität an
Landesbanken vorhanden ist, wie sie die Sparkassen als
Zentralinstitut und als Mittelstandsbank tatsächlich benötigen, und kein Stück mehr. Wenn dieser Plan vorliegt und
die Länder mitmachen, dann ist es doch selbstverständlich, dass wir dafür sind, auch die dann überflüssigen,
nicht mehr tragfähigen Geschäftsfelder in eine andere
Umgebung zu nehmen und sie sozusagen sozialplanmäßig abzuschmelzen. Diesen hierbei stattfindenden Prozess wollen wir garantieren.
Wenn aber mit uns ein Spielchen gemacht werden
sollte, indem im Grunde genommen alles beim Alten
bleibt und nur eine Holding über die bestehenden Landesbanken errichtet wird, sie aber weitermachen können
wie bisher,
({3})
dann werden wir das garantiert nicht mitmachen.
({4})
- Die SPD-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat
ihre Schularbeiten gemacht, als sie ihre Krisen hatte, und
hat der Regierung Rüttgers eine gesunde WestLB übergeben.
({5})
Wie man in so kurzer Zeit aus einem relativ gesunden
Institut einen Todkranken machen kann,
({6})
bei dessen Rettung derzeit die Landesregierung und auch
die Präsidenten der regionalen Sparkassen nur deswegen
so konstruktiv sind,
({7})
weil sie noch auf dem letzten Drücker aus dem offenen
Sarg springen wollen - das ist doch der Grund -, ist mir
ein Rätsel. Die WestLB ist im freien Fall; leider, muss
man sagen. Wie man das so schnell hinbekommen kann,
ist schon ein finanzpolitisches Kunststück.
({8})
Ich will zum Ende kommen.
Ja, bitte.
Ich unterstreiche ausdrücklich die Forderung von
Carsten Schneider, beim Risiko für den Steuerzahler
eine weitere Reißleine einzuziehen. Falls die Situation
eintritt, dass einzelne Banken während dieses 20-jährigen Prozesses das Zeitliche segnen, was ich nicht hoffe,
und damit das Instrument Dividendenausschüttungssperre nicht mehr greift, muss die Finanzfamilie insgesamt dafür bezahlen.
Herr Kollege Schultz, bitte!
Nachgelagerte Restrisikoumlage muss sein; anderenfalls ist dies politisch gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern nicht vermittelbar, die das dann letztendlich bezahlen müssten oder die Sorge hätten, es bezahlen zu
müssen. Zumindest die großen Volksparteien dürften das
nicht vertreten können.
Reinhard Schultz ({0})
Vielen Dank.
({1})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Otto Bernhardt das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Schultz: Es ist
eigentlich unter Ihrem Niveau, was Sie zur Westdeutschen Landesbank gesagt haben, die Sie geordnet übergeben haben wollen. Es bedürfte eines speziellen Vortrags, dies zurückzuweisen. Ich sage nur ganz klar: Diese
Aussagen haben mit der Wirklichkeit überhaupt nichts
zu tun.
({0})
Die Debatte hat Folgendes gezeigt: Wir alle sind davon überzeugt, dass wir etwas tun müssen, um unseren
Banken die Möglichkeit zu geben, ihre Bilanzen von den
schlechten Papieren zu entlasten. In der Tat ist dies der
einzige Punkt, den wir bisher noch nicht gelöst haben;
aber dies gilt nicht nur für uns in Deutschland. Auch das
Versicherungsmodell in Großbritannien hat nicht zur
Entlastung der Bilanzen geführt; ebenso ist der Versuch
der Vereinigten Staaten, mit dem Einsatz umfangreicher
öffentlicher Gelder Private zu animieren, diese Papiere
zu kaufen, zumindest bisher nicht aufgegangen.
Natürlich ist der vorliegende Gesetzentwurf nur ein
erster Schritt; das wissen wir.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, da wir das Ganze am
3. Juli abschließen müssen - wir brauchen bis zur Sommerpause eine gesetzliche Grundlage für dieses Thema -,
war es richtig, zunächst einmal diesen ersten Schritt vorzulegen, der natürlich nur das Problem der schlechten Papiere löst.
({2})
Er löst natürlich nicht das Hauptproblem unserer Landesbanken, ganze Bereiche abzugeben. Aber ich gehe
davon aus - der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen -, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch Lösungen für diesen Teil gefunden werden. Ich
bin sicher, dass wir am 3. Juli etwas verabschieden werden, das auch dieses Problem löst.
Die Frage, warum die schlechten Papiere aus der Bilanz genommen werden müssen, kann man einfach mit
einem Satz beantworten: Die betroffenen Kreditinstitute
sind sonst nicht in der Lage, im notwendigen Umfang
neue Kredite zu geben. Wenn sie das nicht können, dann
kommt die Realwirtschaft nicht wieder in Gang. Das
heißt, dies ist eine Entscheidung für die Realwirtschaft,
die wir zwingend treffen müssen.
({3})
Bei der Beantwortung der Frage, um welches Volumen es sich handelt, hat eine Zahl die Öffentlichkeit ein
bisschen verunsichert. Bei den 850 Milliarden Euro, die
einmal genannt wurden, handelt es sich um Papiere, die
die Banken gerne abgeben würden nach dem Motto
„Wünsch dir was“. Aber ich glaube, bei den Papieren,
die wirklich infrage kommen, bewegen wir uns in einer
Größenordnung von 200 Milliarden Euro. Es ist richtig, dass wir beim Prinzip der Freiwilligkeit bleiben. Das
heißt, jede Bank muss selbst entscheiden, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Mein Eindruck ist,
dass sechs Banken davon Gebrauch machen müssen.
Vielleicht kommt noch eine siebte Bank hinzu. Es geht
um vier Landesbanken, die Hypo Real Estate und die
Commerzbank.
Das entscheidende Problem, vor dem wir standen
- das hat der Staatssekretär Diller aufgeführt -, war die
Beantwortung der Frage, wie wir einen Weg finden, dass
auf der einen Seite die Bankbilanzen endgültig entlastet
werden und auf der anderen Seite die Risiken nicht vom
Steuerzahler, sondern letztlich von den Verursachern
getragen werden. Hier gibt es aus meiner Sicht durchaus
eine Reihe ungeklärter Fragen und Probleme. Ich nenne
als Beispiel den 10-prozentigen Abschlag. Dieser Vorschlag stammt nicht von uns oder vom Finanzministerium, sondern von der EU. Aber ich kann mich damit
noch nicht anfreunden; denn das würde bei Papieren mit
einem Volumen von 200 Milliarden Euro einen Abschreibungsbedarf in Höhe von 20 Milliarden Euro bedeuten. Ich weiß nicht, woher die zur Diskussion stehenden Banken das nehmen sollen. Die Bestimmung, dass
diejenigen, denen es schlecht geht, wegen der 7-ProzentGrenze nicht abschreiben müssen, erscheint mir unter
dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung sehr problematisch. Das heißt, wer gut gewirtschaftet hat, muss
10 Prozent abschreiben, wer schlecht gewirtschaftet hat,
nicht. Das ist für mich eine ganz offene Frage.
({4})
Ich glaube einfach nicht daran, dass noch so gute
Fachleute in der Lage sind, den wirklichen Preis der infrage kommenden Papiere zu ermitteln. Den gibt es einfach nicht. Wir stellen aber auf diesen Preis ab. Ich bin
noch immer nicht sicher, ob wir wirklich die Risiken aus
den Bankbilanzen nehmen können, wenn die Banken
selber später für die Risiken zahlen müssen. Wie Sie
wissen, gibt es unterschiedliche Auffassungen unter den
Wirtschaftsprüfern. Ich habe zurzeit mehr Sorge wegen
der Problematik der Konsolidierung. Weil die gesamten
Chancen und Risiken aus den „Beibooten“ beim Mutterinstitut bleiben, ist für mich das Thema der Konsolidierung noch nicht aus der Welt. Wir müssen darüber in
Ruhe diskutieren.
Ich stelle fest, dass ein Aspekt noch nicht angesprochen wurde. Ich möchte das in Form einer Frage tun, obOtto Bernhardt
wohl ich vermute, dass dieser Ansatz falsch verstanden
wird. Deutsche Banken, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, können unter Umständen 20 Jahre keine
Dividenden zahlen. In anderen Ländern übernimmt zum
größten Teil der Steuerzahler die Risiken. Ich will das
nicht, stelle aber die kritische Frage: Können unsere
Kreditinstitute, die von dieser Möglichkeit Gebrauch
machen, international konkurrieren, wenn sie 20 Jahre
keine Gewinne ausschütten können? Das ist eine sehr
kritische Frage, mit der wir uns sicherlich auch in der
nächsten Legislaturperiode befassen müssen.
Ich stelle abschließend fest: Die Große Koalition ist
auch in der Lage, das letzte schwierige Problem der internationalen Finanzkrise zu lösen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einen guten ersten Schritt darstellt.
Wir werden am 3. Juli einen umfassenden Gesetzentwurf
zu dieser Problematik verabschieden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/13156, 16/12884, 16/12885 und
16/12996 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/12904 soll ebenfalls
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
überwiesen werden. Die Federführung ist jedoch strittig.
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion der FDP
wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion der FDP, also Federführung beim Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, abstimmen. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also Federführung
beim Finanzausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
({0})
- Nein, Sie haben sich enthalten. Ich kann es nicht ändern. Wollen Sie gerne, dass wir die Abstimmung wiederholen? Ich bin gerne dazu bereit.
({1})
Also: Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der
CDU/CSU und der SPD? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Jetzt stimmt es. Der Überweisungsvorschlag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der FDP zur Abschaffung der Soziali-
sierung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/7729, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/3301 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung
der FDP-Fraktion und Gegenstimmen aller anderen
Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt die dritte Beratung.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Mittelstandsförderung
sichern - ERP-Vermögen aus der KfW-Bankengruppe
herauslösen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/11630, den An-
trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8928 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Frak-
tion und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 46 a bis 46 o sowie
Zusatzpunkte 2 a bis 2 h auf:
46 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung ({2})
- Drucksache 16/13106 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen
- Drucksache 16/13125 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Akkreditierungsstelle ({5})
- Drucksache 16/13126 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 16/13108 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})
Rechtsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 16/13109 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})
Rechtsausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Beschlüssen vom 24. September 2004 zur Änderung des Rotterdamer Übereinkommens vom
10. September 1998 über das Verfahren der
vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien
sowie Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel im internationalen Handel
- Drucksache 16/13110 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über das
Schulobstprogramm ({10})
- Drucksache 16/13111 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({11})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Rindfleischetikettierungsgeset-
zes
- Drucksache 16/13112 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
i) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinge-
setzes
- Drucksache 16/13158 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({12}), Cornelia Behm, Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bleihaltige Jagdmunition verbieten
- Drucksache 16/13173 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({13})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Mücke, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich
({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Rechte der Fluggäste stärken
- Drucksache 16/12997 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
l) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung Deutschlands Rolle in der globalen Wissensgesellschaft stärken
- Drucksache 16/8338 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({16})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
m) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Masterplan Güterverkehr und Logistik
- Drucksache 16/10049 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Hauptgutachten 2007 des Wissenschaftlichen
Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen „Welt im Wandel - Sicherheitsrisiko Klimawandel“
und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 16/11600 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({18})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
o) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen
Ethikrat
Jahresbericht 2008
- Drucksache 16/12510 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({19})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung des Übereinkommens vom 25. Juni
1998 über den Zugang zu Informationen, die
Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in
Umweltangelegenheiten ({20})
- Drucksache 16/13115 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({21})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Sicherung der Bauforderungen
- Drucksache 16/13159 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({22})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid
Wolff ({23}), Gisela Piltz, Dr. Max Stadler,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufenthalt, die
Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet ({24})
- Drucksache 16/13160 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({25})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Peter Hettlich, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Alternativen zum Weiterbau der Bundesautobahn A 100 in Berlin
- Drucksache 16/13172 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({26})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({27}), Birgitt Bender, Dr. Thea Dückert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz schaffen - Verbindliches Register
für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter einführen
- Drucksache 16/13174 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({28})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck
({29}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dopingvergangenheit umfassend aufarbeiten
- Drucksache 16/13175 -
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({30}), Katrin Göring-Eckardt, Peter
Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umsetzungsgesetz für UNESCO-Welterbeübereinkommen vorlegen
- Drucksache 16/13176 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({31})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Swen Schulz ({32}),
Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sport fördert Integration
- Drucksache 16/13177 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({33})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/13174 soll
federführend beim Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 47 a bis 47 p sowie
Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 47 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vereinfachung und Modernisierung des
Patentrechts
- Drucksache 16/11339 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({34})
- Drucksache 16/13099 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13099, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/11339 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher
Vorschriften
- Drucksache 16/12587 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({35})
- Drucksache 16/13184 Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13184, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12587 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({36}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Dr. Karl Addicks,
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Sozialverträgliche Beendigung des subventionierten Steinkohlebergbaus beschleunigen
- Drucksachen 16/8772, 16/10508 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10508, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/8772 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 47 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({37}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Festlegung eines
Rahmens für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern
({38})
({39})
KOM({40}) 887 endg.; Ratsdok. 17564/08
- Drucksachen 16/11819 Nr. A.22, 16/12980 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von FDP und
den Linken angenommen.1)
Tagesordnungspunkt 47 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({41}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin An-
dreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vergaberecht konsequent sozial gestalten -
Gemeinnützige Unternehmen nicht benachtei-
ligen
- Drucksachen 16/12694, 16/13155 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Volkmar Uwe Vogel
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13155, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/12694, abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von der Fraktion
Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 47 f bis
47 p. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
1) Anlage 4
Tagesordnungspunkt 47 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42})
Sammelübersicht 565 zu Petitionen
- Drucksache 16/13004 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 565 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43})
Sammelübersicht 566 zu Petitionen
- Drucksache 16/13005 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 566 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44})
Sammelübersicht 567 zu Petitionen
- Drucksache 16/13006 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 567 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45})
Sammelübersicht 568 zu Petitionen
- Drucksache 16/13007 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 568 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46})
Sammelübersicht 569 zu Petitionen
- Drucksache 16/13008 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 569 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47})
Sammelübersicht 570 zu Petitionen
- Drucksache 16/13009 24592
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 570 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({48})
Sammelübersicht 571 zu Petitionen
- Drucksache 16/13010 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 571 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen
bei Gegenstimmen der FDP und der Linken angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({49})
Sammelübersicht 572 zu Petitionen
- Drucksache 16/13011 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 572 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({50})
Sammelübersicht 573 zu Petitionen
- Drucksache 16/13012 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 573 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen der FDP-Fraktion und des Bündnisses 90/
Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({51})
Sammelübersicht 574 zu Petitionen
- Drucksache 16/13013 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 574 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen
gegen die Stimmen von FDP und Linken angenommen.
Tagesordnungspunkt 47 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({52})
Sammelübersicht 575 zu Petitionen
- Drucksache 16/13014 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 575 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 3:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({53})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild
Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des
Rates über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union ({54})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck ({55}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Europäische Überwachungsanordnung
rechtsstaatlich absichern - Stellungnahme
gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
- Drucksachen 16/12733, 16/12856({56}), 16/13101 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({57})
Mechthild Dyckmans
Jerzy Montag
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12733 mit dem Titel „Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates
über die Europäische Überwachungsanordnung in Ermittlungsverfahren innerhalb der Europäischen Union“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen und bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
16/12856 ({58}) mit dem Titel „Europäische Überwachungsanordnung rechtsstaatlich absichern - Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen und bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({59}) zu dem Gesetz zur Änderung
des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbu-
ches sowie anderer Vorschriften
- Drucksachen 16/8100, 16/12315, 16/13079,
16/13210 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Zöller
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? -
Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu einer Erklärung
gewünscht? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses auf Drucksache 16/13210? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen von FDP
und Linken angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
Zusatzpunkt 5 auf:
6 a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus
Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes ({60})
- Drucksache 16/7035 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({61})
- Drucksache 16/13055 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({62})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten gegenüber Älteren in den neuen Bundesländern bei der Überleitung von DDRAlterssicherungen in das bundesdeutsche
Recht
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gerechte Alterseinkünfte für Beschäftigte
im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gerechte Lösung für die rentenrechtliche Situation von in der DDR Geschiedenen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Schaffung einer gerechten Versorgungslösung für die vormalige berufsbezogene Zuwendung für Ballettmitglieder in der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Regelung der Ansprüche der Bergleute der
Braunkohleveredlung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Beseitigung von Rentennachteilen für Zeiten
der Pflege von Angehörigen in der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rentenrechtliche Anerkennung für fehlende
Zeiten von Land- und Forstwirten, Handwerkern und anderen Selbstständigen sowie
deren mithelfenden Familienangehörigen
aus der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rentenrechtliche Anerkennung von zweiten
Bildungswegen und Aspiranturen in der
DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rentenrechtliche Anerkennung von DDRSozialversicherungsregelungen für ins Ausland mitreisende Ehepartnerinnen und Ehepartner sowie von im Ausland erworbenen
rentenrechtlichen Zeiten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rentenrechtliche Anerkennung aller freiwilligen Beiträge aus DDR-Zeiten
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kein Versorgungsunrecht bei den Zusatzund Sonderversorgungen der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Regelung der Ansprüche und Anwartschaften auf Alterssicherung für Angehörige der
Deutschen Reichsbahn
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Angemessene Altersversorgung für Professorinnen und Professoren neuen Rechts,
Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Dienst,
Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, Beschäftigte universitärer und anderer
wissenschaftlicher außeruniversitärer Einrichtungen in den neuen Bundesländern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Schaffung einer angemessenen Altersversorgung für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die nach 1990 ihre Tätigkeit fortgesetzt
haben
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Schaffung einer angemessenen Altersversorgung für Angehörige von Bundeswehr, Zoll
und Polizei, die nach 1990 ihre Tätigkeit
fortgesetzt haben
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einheitliche Regelung der Altersversorgung
für Angehörige der technischen Intelligenz
der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Peter Hettlich, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Versorgung für Geschiedene aus den neuen
Bundesländern verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Jan Mücke, Jens Ackermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Faires Nachversicherungsangebot zur Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und
West
- Drucksachen 16/7019, 16/7020, 16/7021, 16/7022,
16/7023, 16/7024, 16/7025, 16/7026, 16/7027,
16/7028, 16/7029, 16/7030, 16/7031, 16/7032,
16/7033, 16/7034, 16/11684, 16/11236, 16/13055 Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({63})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Jens Ackermann, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und
West
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Cornelia Behm, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rentenwert in Ost und West angleichen
- Drucksachen 16/9482, 16/10375, 16/13201 Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir über die Vorlagen der Fraktion Die Linke später namentlich abstimmen
werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Viel ist Wiederholung bei den Vorlagen, über die wir
heute im Parlament zu entscheiden haben. Da gibt es den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Verbesserung
der Rentenberechnung für hohe Funktionäre der Nomenklatura des Partei- und Staatsapparates der DDR. Ebenfalls zur Entscheidung stehen 16 Anträge derselben
Fraktion. Dabei geht es um Einzelfragen der Überleitung
des lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts. Ebenso
geht es um Einzelfragen der Überführung von Versorgungsansprüchen und Versorgungsanwartschaften, die in
der DDR erworben worden sind, in die gesetzliche Rentenversicherung.
(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Da können
Sie ruhig Berufsgruppen nennen: Ärztinnen
und Ärzte, Krankenschwestern! Ganz irdische
Menschen!
Dann sprechen wir über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesserung der Alterssicherung
von Geschiedenen in den neuen Bundesländern und
schließlich über einen von der Fraktion der FDP vorgelegten Antrag betreffend Nachversicherungsangebot zur
Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und West;
auch das steht zur Abstimmung.
({0})
19 Jahre nach der Wiedervereinigung und mehr als
17 Jahre nach der Überleitung des lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts sind alle angesprochenen Themen
wiederholt im parlamentarischen Verfahren, aber auch
durch nationale und internationale Gerichte überprüft
worden. Unter dem Strich steht eine klare Erkenntnis:
Die politische Grundsatzentscheidung, im wiedervereinten Deutschland ein gemeinsames lohn- und beitragsbezogenes Rentenrecht zu etablieren, war, ist und bleibt
richtig.
({1})
Das beweist auch die Entwicklung in den neuen Ländern. Die verfügbare Nettostandardrente Ost betrug
1990 nur rund 40 Prozent der vergleichbaren Westrente.
Das hat sich seither erheblich verbessert.
({2})
Durch die anstehende Rentenanpassung zum 1. Juli 2009
erhöht sie sich auf ungefähr 89 Prozent.
({3})
Natürlich waren wir uns immer bewusst, dass mit den
Regelungen zur Rentenüberleitung nicht sämtliche Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger in den neuen
Ländern erfüllt werden können. Ich will an dieser Stelle
nicht noch einmal eine detaillierte Analyse der Ausgangsbedingungen vornehmen, wie sie in der Phase der
Wiedervereinigung bestanden, und nicht wiederholen,
was alles an Ungerechtigkeiten im damaligen DDR-Rentensystem erkannt worden ist. Allerdings will ich daran
erinnern, dass bei der Wiedervereinigung zwei völlig unterschiedliche Rentensysteme mit erheblichen Unterschieden im Rentenrecht zusammenzuführen waren.
({4})
Dazu kamen unterschiedliche Währungen und ein deutlich geringeres Lohnniveau in der ehemaligen DDR.
({5})
Es galt die Vereinbarung, alle Rentenansprüche aus den
Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der DDR in die
gesetzliche Rentenversicherung zu überführen.
Diese Systementscheidung hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1999 bestätigt. Es hat dabei auch klargestellt, dass der Gesetzgeber die in der
DDR zurückgelegten Erwerbsbiografien nicht so stellen
kann, als ob sie in der Bundesrepublik zurückgelegt worden wären. Auch bestimmte Besonderheiten des DDRRentenrechts, die mit dem lohn- und beitragsbezogenen
Rentenrecht der Bundesrepublik Deutschland nicht zu
vereinbaren waren, konnten nicht in das gemeinsame
Dauerrecht übernommen werden.
({6})
Allerdings ist der berechtigten Forderung der Rentnerinnen und Rentner sowie der rentennahen Jahrgänge in
den neuen Ländern nach Vertrauensschutz Rechnung getragen worden, nämlich durch großzügige Übergangsvorschriften, die in die Gesetzgebung Eingang gefunden
haben.
({7})
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben am
4. Mai 2009 zu den Themen, die hier zur Debatte stehen,
Sachverständige angehört und mit ihnen ausgiebig diskutiert.
({8})
Die Sachverständigen haben einhellig zum Ausdruck gebracht, dass eine Korrektur der geltenden Regelungen
rechtlich nicht geboten sei. Sie haben damit frühere Entscheidungen des Bundestages bestätigt. An dieser Stelle
muss auch deutlich gesagt werden, dass in der Vergangenheit die meisten der heute hier wiederum zur Abstimmung stehenden Sachverhalte keine parlamentarischen
Mehrheiten gefunden haben.
({9})
Natürlich, die Sachverständigen haben bei einigen
wenigen Punkten auch unterschiedliche Bewertungen
vorgenommen.
({10})
In jedem Fall wurde aber eingeräumt, dass eine sachgerechte Lösung, ohne dass neue Bewertungswidersprüche
und Gleichbehandlungsprobleme aufgeworfen werden,
kaum zu erreichen sein wird.
({11})
Die Folge einer Sonderregelung für Männer und Frauen,
die ihre Erwerbsleben in der DDR verbracht haben,
brächte in der Regel die Schlechterstellung von Personen
mit vergleichbaren Lebens- und Berufswegen in der
Bundesrepublik Deutschland mit sich.
({12})
So haben in der DDR zum Beispiel Krankenschwestern und Krankenpfleger oder Familienangehörige von
Landwirten, Handwerkern und Selbstständigen, die im
privaten Betrieb mitgeholfen haben, keine hohen Rentenansprüche erworben. Eine Verbesserung ihrer Situation wäre jedoch nicht mit der Lohn- und Beitragsbezogenheit der Rentenversicherung vereinbar
({13})
und würde zwangsläufig Folgeforderungen von Personen in vergleichbarer Situation in den alten Ländern hervorrufen.
Ein klares Nein verdient auch die geforderte Ausweitung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes. Hinter dieser Forderung nach einer entsprechenden Ausweitung verbirgt sich im Kern nichts anderes als
eine Neuauflage des sogenannten Intelligenzrentenrechts
der ehemaligen DDR.
({14})
Dabei muss man aber berücksichtigen, dass die meisten
Beschäftigten - auch viele hochqualifizierte Berufsgruppen - keinen Zugang zu der sogenannten Intelligenzrente hatten. Sie mussten ihre Verdienste über 600 Mark
mit zusätzlichen Beiträgen in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung versichern, wenn sie erreichen wollten, dass auch diese Verdienste rentenwirksam werden.
({15})
Diese zusätzlich geleisteten Beiträge führen jetzt zu
deutlich höheren Renten. Eine Ausweitung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes auf
bestimmte akademische Berufe würde im Ergebnis also
zu einem Sonderrecht auf Schließung von Lücken in der
Zusatzrentenversicherung führen.
({16})
Das wäre ungerecht. Deswegen war es auch richtig, dass
die Mehrheit der Mitglieder des Arbeits- und Sozialausschusses das abgelehnt hat.
Realitätsfern ist auch der Vorschlag der FDP-Fraktion, den Personen- und Berufsgruppen, über die wir hier
sprechen, sozusagen ein Nachversicherungsangebot zu
unterbreiten und ihnen das Recht einzuräumen, nachträglich Beiträge zu entrichten.
({17})
Erstens ist, wie ich glaube, nicht zu erwarten, dass die
Betroffenen die notwendigen Eigenleistungen, die zur
Verbesserung ihrer Rente zu erbringen sind, aufbringen
können oder wollen.
({18})
Zweitens bleibt die Frage unbeantwortet, wie eine
Nachzahlung auszugestalten wäre, wenn bereits über
Jahrzehnte eine Rente oder auch nur eine abgeleitete
Hinterbliebenenrente bezogen wird.
Auch die Forderung nach einer Verbesserung der rentenrechtlichen Stellung der vor 1990 in der DDR Geschiedenen ist in der Vergangenheit einer gründlichen
Prüfung unterzogen worden. Eine Lösung, die nicht zu
neuen Ungerechtigkeiten führen würde und von der Verwaltung auch umgesetzt werden könnte, ist bislang nicht
gefunden worden.
({19})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Rentenfragen haben immer auch etwas mit Vertrauen zu tun. Für
Vertrauen sind eine solide Politik und bis zum Ende
durchdachte Lösungen notwendig. Hier darf man kein
aktionistisches Stückwerk machen.
({20})
Da darf man auch nicht schöne Forderungen formulieren, die am Ende dazu beitragen, dass Ungerechtigkeiten
in anderen Bereichen entstehen. Deshalb war es, wie ich
glaube, richtig, dass die Mehrheit des Ausschusses allen
Anträgen eine Absage erteilt hat.
({21})
Letztlich bleibt es dabei: Es war eine historisch einmalige Leistung, wie die rentenrechtlichen Fragen der
deutschen Einheit beantwortet worden sind. Vielleicht
nicht ganz ohne die eine oder andere gefühlte Unzulänglichkeit,
({22})
aber auf jeden Fall gilt: Es war eine große solidarische
Leistung, die hier erbracht worden ist. Diese solidarische
Leistung hat auch die Handlungsfähigkeit des Sozialstaates und des deutschen Rentensystems deutlich unterstrichen.
({23})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der heutigen rentenpolitischen Debatte schauen wir nach
vorn, aber auch ein wenig zurück. Wir schauen nach
vorn, wenn es um die Vereinheitlichung des Rentenrechts in unserem Lande geht, die auch fast 20 Jahre
nach der deutschen Einheit noch offen ist. Wir schauen
zurück, wenn wir uns noch einmal die Rentenüberleitung und ihre Wirkungen genauer ansehen und nach Lösungen für Gruppen Betroffener suchen, die sich aus unterschiedlichen Gründen benachteiligt fühlen.
Ich will mit der Vereinheitlichung des Rentenrechts
beginnen und vorab noch einmal, Herr Staatssekretär
Thönnes, sehr klar und deutlich für unsere Fraktion feststellen: Die Rentenüberleitung war und bleibt eine der
herausragenden Leistungen der deutschen Einheit und
unseres Sozialstaates.
({0})
Ich habe allergrößten Respekt vor denen, die nach der
Einheit in sehr kurzer Zeit diese komplexe Reform auf
den Weg gebracht haben.
Für die Menschen in den neuen Ländern brachte das
Rentenüberleitungsgesetz eine Sicherheit im Alter, die
sich viele zu DDR-Zeiten so nicht erhoffen konnten, und
sie brachte eine enorme Aufwertung der Rente.
({1})
Dass die Rentenberechnung in den alten und den neuen
Ländern nach unterschiedlichem Recht erfolgte, war im
ersten Jahr nach der Einheit notwendig und sinnvoll,
weil nur so die Renten in den neuen Ländern von ihrem
zunächst noch niedrigen Niveau angehoben werden
konnten. Seit 2004 holt der Rentenwert Ost gegenüber
dem Rentenwert West allerdings kaum noch auf. Er liegt
seitdem ziemlich konstant bei etwa 12 Prozent unter
dem Rentenwert West. Selbst wenn sich zum 1. Juli
2009 noch ein wenig ändert, Herr Staatssekretär, muss
man doch feststellen: Der Lückenschluss zwischen Ost
und West ist angesichts der geringen Rentenanpassungen
der letzten Jahre mit bestehendem Rentenrecht nicht zu
erwarten. Es besteht Handlungsbedarf; aber die Regierung tut nichts.
({2})
Das haben Sie, Herr Staatssekretär, mit Ihrem heutigen Beitrag noch einmal unterstrichen. Dazu passt es
eben nicht, dass der Kollege Schaaf von der SPD oder
der Kollege Peter Weiß von der Union im Ausschuss
gestern eingeräumt haben, dass es durchaus Handlungsbedarf gebe und zeitnah etwas geschehen müsse. Aber
dann wird nur gemauert; es gibt nichts als Schweigen.
Das ist uns, Herr Kollege Weiß, Herr Kollege Schaaf
- das geht auch an die Adresse der Bundesregierung -,
zu wenig.
({3})
Worauf warten Sie eigentlich? Warten Sie auf besseres
Wetter, oder was? Es gibt keinen Grund, zu warten.
Wir haben gehandelt. Die FDP hat mit ihrem Antrag
für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West als
erste Fraktion des Deutschen Bundestages im Juni letzten Jahres ein Konzept zur Vereinheitlichung des deutschen Rentenrechts vorgelegt.
({4})
Danach soll zum 1. Juli 2010, also 20 Jahre nach der
deutschen Einheit, in ganz Deutschland ein einheitliches
Rentenrecht eingeführt werden,
({5})
mit einheitlichem Rentenwert, einheitlichen Entgeltpunkten und einheitlicher Beitragsbemessungsgrenze.
Ab diesem Stichtag passen sich alle Renten entsprechend der Entwicklung des einheitlichen Rentenwertes
an. Jeder Euro Rentenbeitrag erbringt ab dem Stichtag
im ganzen Bundesgebiet den gleichen Rentenanspruch.
Mit diesem von uns vorgeschlagenen Weg wird die Einheit auch im Rentenrecht endlich erreicht.
({6})
Bei der Einführung des einheitlichen Rentenrechts
bleiben alle bisherigen Renten und Rentenanwartschaften in Ost und West in ihrem Wert voll erhalten. Der ausstehende künftige Prozess einer Angleichung des Rentenwerts Ost an den Rentenwert West und die Hoffnung
auf damit verbundene Rentensteigerungen in der Zukunft werden in die Gegenwart vorgezogen, und die Versicherten werden mit einer Einmalzahlung abgefunden.
Alle Versicherten mit Entgeltpunkten Ost erhalten eine
solche Einmalzahlung, die versicherungsmathematisch
korrekt abgezinst die Erwartung auf die künftige Angleichung widerspiegelt. Die individuelle Höhe der Einmalzahlung orientiert sich an der Zahl der erworbenen Entgeltpunkte und der durchschnittlichen Lebenserwartung
des eigenen Jahrgangs.
In der Anhörung - ich habe Ihren Zwischenruf sehr
wohl gehört, Frau Kollegin Schewe-Gerigk; ich wundere
mich, weil Ihr Vorschlag weitgehend von unserem abgeschrieben worden ist, jedenfalls was den Stichtag und
die Vereinheitlichung betrifft, auch wenn Sie am Ende
den ein oder anderen Baustein angefügt haben - wurde
viel Unterstützung für eine Vereinheitlichung des Rentenrechts zum jetzigen Zeitpunkt von der Deutschen
Rentenversicherung, von Professor Ruland, geäußert.
({7})
Dass es Kritik an der von uns vorgeschlagenen Einmalzahlung gegeben hat, haben wir sehr wohl zur
Kenntnis genommen. Wir halten eine solche Einmalzahlung allerdings für politisch geboten, um die Menschen
mitzunehmen. Wir wollen die Einmalzahlung, und wir
wollen auch das Optionsrecht. Wir trauen den Menschen
zu, eine solche Entscheidung selbst zu treffen. Das unterscheidet uns wahrscheinlich von den anderen Fraktionen hier im Haus.
({8})
Damit komme ich zu dem zweiten Punkt, der kritischen Begutachtung der Rentenüberleitung. Gemeinsamer Kritikpunkt der betroffenen Versicherten - sie haben
sich ja in großer Zahl an uns alle gewandt - ist, dass sich
bei ihnen Besonderheiten des DDR-Rentenrechts im
Zuge der Rentenüberleitung nachteilig auswirken. Dabei
ist die Betroffenheit unterschiedlich. Vereinfacht katego24598
risiert sind es drei Gruppen, die sich durch die Vorgehensweise bei der Rentenüberleitung gegenüber anderen
Versicherten mit DDR-Arbeitsbiografie benachteiligt
fühlen: Es sind erstens solche Versicherte, die aus rechtlichen, politischen oder sonstigen Gründen zu DDR-Zeiten keine Rentenversicherungsbeiträge zur Altersvorsorge leisten konnten; zweitens solche Versicherte, die
zu DDR-Zeiten über Ansprüche verfügten, die aber, weil
sie mit dem SGB VI nicht kompatibel waren, nicht überführt wurden; und drittens solche Versicherte, deren Anwartschaften im Zuge der Überleitung in das SGB VI
und nicht in andere Versorgungssysteme übergeleitet
wurden.
Eine Lösung dieses komplexen Problems kann, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht darin
bestehen, einfach allen Forderungen in vollem Umfang
nachzugeben. Damit machen Sie es sich etwas zu leicht.
({9})
Denn dies würde zu ungerechtfertigten Besserstellungen
gegenüber Versicherten in den alten Bundesländern führen,
({10})
oder es würde sich eine Benachteiligung anderer Versicherter in den neuen Bundesländern ergeben.
({11})
Wir haben - wie wohl Sie alle - eine Vielzahl von Zuschriften erhalten. Ich sage hier für meine Fraktion sehr
deutlich: Wir können die Betroffenheit der Menschen,
die sich an uns gewandt haben, nachvollziehen, und wir
wollen den Menschen helfen. Aber die Beseitigung von
Benachteiligungen darf kein Unrecht schaffen.
({12})
Deswegen ist es für uns wichtig, dass eine für alle Versicherten, in Ost und West, gerechte Lösung - auf dem
Boden der Beitragsäquivalenz, über eine Nachversicherung bzw. über eine freiwillige nachträgliche Versicherung - gefunden wird. Die Modalitäten der Nachversicherung sind dabei für jede Gruppe einzeln festzulegen.
({13})
Im Anhörungsverfahren ist uns, Frau Kollegin
Schewe-Gerigk, von Sachverständigenseite sehr wohl
bestätigt worden, dass man dem Anliegen, einen Interessenausgleich herbeizuführen, mit dem Antrag der FDP
am nächsten kommt, weil sich damit individuelle Lösungen für die ostdeutschen Interessengruppen erarbeiten
lassen, weil auf der Grundlage einer Nachversicherung
nicht vom Prinzip der Beitragsbezogenheit in der gesetzlichen Rentenversicherung abgewichen wird
({14})
und weil damit eine gesamtgesellschaftlich gerechte,
verfassungskonforme Lösung geschaffen und die bisherige Systematik des SGB VI beibehalten werden kann.
Dieser Lösungsansatz ist einfach und pragmatisch.
Nachversicherungslösungen hat es auch in der Vergangenheit gegeben. Wir bieten den Betroffenen mit unserem Konzept eine faire Chance, Lücken zu schließen.
Die Anträge der Linken werden dieser komplexen
Fragestellung nicht gerecht. Die Linke schlägt im Wesentlichen pauschale Besserstellungen vor, ohne danach
zu fragen, ob damit nicht neue Probleme geschaffen
werden. Das ist aus unserer Sicht systemwidrig. Es ist
auch einseitig und reißt Wunden zwischen Ost und West
auf, anstatt dass für die notwendige Rechtsangleichung
gesorgt wird.
({15})
Zusammenfassend: Wir lehnen den Gesetzentwurf
und den Antrag der Linken, die die Versorgung von Mitarbeitern der Staatssicherheit zum Gegenstand haben,
ab.
({16})
Bei den anderen Anträgen werden wir uns enthalten,
weil wir Handlungsbedarf sehen, aber den Lösungsweg
nicht teilen.
Wir haben einen anderen, einen systemkonformen
Lösungsansatz. Diesen Lösungsweg bitte ich Sie mit uns
gemeinsam zu beschreiten. Ebenso bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem Vorschlag für eine Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und West.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die gesetzliche Rentenversicherung ist in aller
Munde, nicht nur weil wir uns aufgrund der demografischen Entwicklung in unserem Land generell Gedanken
über die Zukunft der Rentenversicherung machen müssen, sondern auch weil aufgrund von Arbeitslosigkeit
und wegen der konjunkturellen Einbrüche, über die wir
in der vorherigen Debatte diskutiert haben, sinkende
Beitragseinnahmen drohen. Im 20. Jahr des Falls der
Mauer sprechen wir berechtigterweise über die Vereinheitlichung des Rentensystems in Deutschland. Bis
heute sind die Bestimmungen für die Rentenberechnung
- berechtigterweise - unterschiedlich; der Staatssekretär
hat dies ausgeführt. Über das Ziel, in einer überschaubaMaria Michalk
ren Zeit eine Vereinheitlichung, also eine Anpassung zu
schaffen, sind wir uns grundsätzlich einig.
({0})
Nur der Weg ist nicht klar. Alle hier eingebrachten Vorschläge sind nicht zu Ende gedacht; lieber Herr Kolb,
das müssen Sie sich sagen lassen.
({1})
Meistens wird die Behandlung dieses Themas mit der
Hoffnung auf eine außergewöhnliche Rentenerhöhung
verbunden. In den Anträgen der Linken wird immer wieder auf äußerst populistische Art suggeriert, dass dies
passieren muss und finanziell möglich ist,
({2})
ohne dass sich die Linke um die Finanzierungsanteile
der Länder und des Bundes kümmert. Diese Anträge
sind einfach populistisch.
Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein Spiegelbild der beruflichen Entwicklung. Die Höhe der Rente
wird durch die geleisteten Beiträge bestimmt. Wir alle
wissen, dass zu Zeiten der DDR die Höhe der geleisteten
Beiträge der Frauen und Männer, die damals hart gearbeitet haben, fast umgekehrt proportional zur jetzigen
Rentenhöhe war. Es war eine Meisterleistung, den beschlossenen Einführungs- und Angleichungsprozess auf
der Basis einer außergewöhnlichen Solidaritätsleistung
der Versichertengemeinschaft in ganz Deutschland zu
vollbringen.
({3})
Denn die Ausgangsrente im Einführungsjahr 1992 ist bis
heute immerhin mehr als verdoppelt worden ist. Wer
leugnet, dass das eine besondere Leistung ist, der ist
nicht in der Realität angekommen.
({4})
Wahr ist aber auch, dass dieser Angleichungsprozess
ins Stocken geraten ist und dass die gesetzliche Rentenversicherung nunmehr sowohl in Ost als auch in West
nicht immer gewährleistet, dass Versicherte, die langjährig in Vollzeit berufstätig gewesen sind und Pflichtbeiträge gezahlt haben, eine Altersrente erhalten, die höher
als die Grundsicherung ist. Einer Pflichtversicherung,
die diese Gewähr nicht bietet, droht der Verlust der Legitimation. Diese Fragen haben wir gesamtstaatlich zu beantworten; das ist keine Frage der Ost-West-Angleichung. Die Anträge der FDP, der Grünen und der Linken
tragen dazu nichts bei.
({5})
Das aber ist nicht mit den manchmal schwer zu verstehenden Ungereimtheiten zu verwechseln, die sich aus
dem komplexen Prozess der Überführung des nach Berufsgruppen differenzierten Rentenversicherungssystems der DDR in das einkommensbezogene Rentensystem der Bundesrepublik ergeben und die oftmals durch
Rechtsprechung und Verwaltungspraxis neu gestaltet
wurden. Das wurde in der Anhörung an verschiedenen
Stellen deutlich.
Auf der Grundlage des Renten-Überleitungsgesetzes
von Juli 1991 wurden die Anwartschaften und die Ansprüche der Versicherten in den neuen Bundesländern in
das gleichermaßen beitragsbezogene und lohndynamische System der Rentenversicherung der Bundesrepublik überführt. Es musste zum einen sichergestellt
werden, dass die nach dem Rentenrecht der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in angemessener
Weise erhalten bleiben.
Zum anderen war der unterschiedlichen Ausgangssituation bei den Einkommensverhältnissen Rechnung
zu tragen; das hat mein Vorredner bestätigt. Deshalb
wurden zahlreiche spezifische Übergangsregelungen für
die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer und Rentner
in den neuen Bundesländern in das SGB VI aufgenommen, was den Übergangsprozess natürlich verkompliziert und nach Wegfall der Übergangsregelungen zu weiteren Verstimmungen bzw. weiterem Unverständnis
geführt hat. Aber von vornherein war klar, dass es sich
hierbei um Übergangsregelungen handelt. Das ist auch
systemkonform.
Statt aufzuklären, versucht die Fraktion der PDS, jetzt
der Linken, kontinuierlich, die Rentenüberführungsregelungen grundsätzlich infrage zu stellen und nach Möglichkeit zu revidieren. Die 17 heute vorliegenden Vorlagen sind ein großer Beweis dafür.
({6})
Wir versuchen stattdessen, für die notwendigen Korrekturen zu sorgen,
({7})
was manchmal schwierig ist. Hierzu ein Beispiel - Sie dürfen nicht übersehen, was zwischenzeitlich passiert ist -:
War bis zum 1. Juli 1999 in den neuen wie in den alten
Ländern die Nettolohnentwicklung für die Anpassung
maßgebend, wurde im Rahmen der Rentenüberleitung
die Anpassungsformel für die neuen Länder dahin gehend ergänzt, dass der aktuelle Rentenwert Ost immer in
dem Maße anzupassen ist, dass sich in den alten und in
den neuen Ländern ein identisches Nettorentenniveau ergibt. Ich will darauf hinweisen, dass 2004 eine Schutzklausel Ost eingeführt wurde, die eine Verschlechterung
des Verhältnisses zwischen aktuellem Rentenwert Ost
und aktuellem Rentenwert ausschließt.
Zunehmende Akzeptanzprobleme des Rentensystems
erwachsen nicht aus den unterschiedlich hohen Rentenzahlungen - ich will festhalten, dass die verfügbare Eckrente 2008 in den alten Bundesländern bei 1 078 Euro
und in den neuen Ländern bei rund 950 Euro lag -, sondern eher aus einer Ungleichbehandlung gleicher Beitragsleistungen hinsichtlich der damit erworbenen Rentenansprüche.
Die Hochwertung der Löhne Ost ist bei erreichter
Ost-West-Angleichung der Tariflöhne ebenso auf den
Prüfstand zu stellen wie die eine oder andere Verwaltungsvorschrift, die mit der Berechnung der Opferrente
in Zusammenhang steht, die zwar außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wird, aber den
gleichen Bezugspunkt hat, nämlich das Unrecht der
DDR. Ich erwähne das, weil meines Erachtens ein direkter Zusammenhang besteht zu den durch die Sonderversorgungssysteme der DDR Privilegierten und den von
ihnen erstrittenen Urteilen, die zu höheren Monatsrenten
und erheblichen Nachzahlungen zulasten der Steuer- und
der Versichertengemeinschaft geführt haben.
Als Krönung will die Linke mit einem der vorliegenden Anträge nun auch noch erreichen, dass den im Partei- und Staatsapparat der DDR tätigen Personen die
Entgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze bei der Berechnung der Rentenansprüche zugute kommen. Das ist
dreist, wundert aber nicht; denn wir wissen, dass Sonderversorgungsbegünstigte zur Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
gehen und sich bestätigen lassen - das ist eine unbegreifliche Tatsache -, dass sie zu dieser Kategorie gehören,
um nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz höhere Renten zu bekommen.
({8})
Bei manchen ist das Ausmaß des Pendels der Uhr, das
wir Gewissen nennen, nicht wahrnehmbar. Sie haben offenbar kein Gewissen, wenn es ums Geld geht.
({9})
Seit 2005 gilt für herausragende Funktionsträger,
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
- insbesondere im Parteiapparat der SED und der Regierung der DDR, bei der Begrenzung des rentenrechtlich zu berücksichtigenden Einkommens das Durchschnittseinkommen.
Frau Michalk, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Warum soll das falsch sein?
Ich stelle fest: Die Anträge sind zum Teil durch Urteile bestätigt. Für einen Teil stehen Urteile noch aus.
Andere liegen im Grenzbereich des Renten- und Versorgungsrechts.
Frau Kollegin!
Wir werden eine generelle Lösung finden
({0})
und all diese Anträge ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Jetzt hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Staatssekretär, Sie haben hier über die Nomenklatura,
Partei- und Staatsfunktionäre geredet.
({0})
Ich habe mir einmal angeschaut, wie die Rentensysteme
der DDR und der Bundesrepublik aussahen: Die DDR
hatte eine kleine Kirche, die Bundesrepublik aber einen
riesigen Dom mit Türmen, von denen man in der DDR
nicht einmal geträumt hat. Nun haben Sie die kleine Kirche in das erste Schiff des Doms hineingestellt.
({1})
Jetzt gibt es keine Türme mehr - und Sie behaupten, ein
Rentenrecht, das so extrem unterschiedlich ist wie das
der Bundesrepublik, sei gerecht. Sie machen mir Spaß!
({2})
Frau Michalk, wenn Sie von Parteifunktionären reden, vergessen Sie immer die Funktionäre der Blockparteien. Die zählen aber auch zu den Funktionären, verstehen Sie?
({3})
Heute geht es gar nicht um die Angleichung des
Rentenwerts Ost an den allgemeinen Rentenwert; das
haben wir schon beantragt. Das beantragen auch Sie;
aber Sie wollen nicht, dass die niedrigeren Osteinkommen höher bewertet werden.
({4})
Sie wollen die Ostdeutschen erheblich benachteiligen.
Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
({5})
Aber unser diesbezüglicher Antrag ist vom Bundestag ja
schon abgelehnt worden.
Jetzt geht es um 17 Anträge, und zwar zu Überführungslücken, Versorgungsunrecht und Rentenstrafrecht.
Dabei geht es nicht nur um die heutigen Rentnerinnen
und Rentner, sondern auch um eine große Zahl künftiger
Rentnerinnen und Rentner, die noch gar nicht im Rentenalter sind, die davon aber alle betroffen sein werden.
Bei Überführungslücken geht es um DDR-typische
Regelungen, die einfach ignoriert wurden. Beim Versorgungsunrecht geht es um zusätzliche Versorgungssysteme, in die eingezahlt wurde. Diese zusätzlichen Versorgungssysteme haben Sie einfach nicht anerkannt, und
die entsprechenden Leistungen haben Sie gestrichen.
Beim Rentenstrafrecht geht es um das, was Frau
Michalk hier unter so viel Beifall sagte, aber die Rente
ist nicht dazu geeignet, die Biografie eines Menschen zu
beurteilen. Rente ist wertneutral, und Sie versuchen immer wieder, eine gegenteilige Auffassung durchzusetzen. Dass das eine Partei macht, die nach 1945 an die
Nazibonzen die größten Renten gezahlt hat, ist und
bleibt ein Skandal.
({6})
- So ist es. Das kann ich Ihnen beweisen.
({7})
Im Übrigen hat Frau Bundeskanzlerin Merkel Sie,
Ihre Fraktion, aufgefordert, bis Ende 2007 eine Liste
noch zu klärender Fragen im Osten zusammenzustellen.
Sie haben der Bitte der Kanzlerin nicht entsprochen. Nur
meine Fraktion hat der Bitte entsprochen und eine solche
Liste vorgelegt. Darüber werden wir heute entscheiden.
({8})
Ich weiß - da stimme ich Ihnen sogar zu -, dass die
Rentenüberleitung durchaus positiv bewertet werden
kann.
({9})
Ich weiß auch, dass viele durch die Überleitung einen
höheren Rentenanspruch erhalten haben, als sie ihn in
der DDR je erworben hätten.
({10})
Ich weiß ebenfalls, dass die DDR-Renten ziemlich niedrig waren.
({11})
- Ich kann im Unterschied zu Ihnen differenzieren. Sie
können das nicht; das ist das Problem. ({12})
Aber ich weiß natürlich auch, dass die Kostenstruktur in
der DDR eine ganz andere war.
Jetzt geht es um Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen, die wir überwinden müssen. Leider ist meine
Redezeit so kurz, dass ich Ihnen diese 17 Anträge nicht
vorstellen kann.
({13})
- Ich höre, dass Sie das sehr bedauern. Schlagen Sie der
Präsidentin vor, meine Redezeit zu verlängern; dann
stelle ich Ihnen alle Anträge vor.
({14})
Es geht darum, dass Sie bestimmte Ansprüche nicht
anerkannt haben, und das hat Folgen. Frau Michalk, Sie
finden das gerecht. Ich kenne Menschen, die von diesen
Folgen betroffen sind; sie kommen zu mir in die Sprechstunden.
({15})
Es gibt eine ganze Reihe von Bürgerinnen und Bürgern,
deren Ansprüche nicht anerkannt worden sind und die
neben einer ganz kleinen Rente eine Grundsicherung bekommen. Bei jeder Rentensteigerung, egal wie groß sie
ist, wird die Grundsicherung entsprechend abgeschmolzen. Seit Jahren bekommen diese Menschen nicht einen
halben Euro mehr, obwohl die Preise ständig steigen.
Rentensteigerungen sind für diese Menschen in Wirklichkeit regelmäßig nichts anderes als Minusrunden.
({16})
Jetzt nenne ich Ihnen vier Beispiele, zu denen ich
gern Erklärungen hätte.
Das erste Beispiel betrifft mithelfende Familienangehörige von privaten Handwerkern, meine Damen und
Herren von der FDP.
({17})
Diese Personen waren in der DDR automatisch rentenversichert. Hier kannte man das nicht und hat deren Ansprüche einfach gestrichen. Warum sind wir nicht in der
Lage, den Rentenanspruch dieser Personen anzuerkennen? Ich begreife es nicht.
({18})
Zweitens. Für geschiedene Frauen und in Ausnahmefällen auch für geschiedene Männer gab es in der DDR
keinen Versorgungsausgleich. Wir haben einen Vorschlag für einen solchen Ausgleich gemacht. Sie lehnen
diesen Vorschlag ab. Warum wollen Sie Geschiedene so
viel schlechter stellen? Ich verstehe es nicht.
(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel [FDP]:
Warum haben Sie es in der DDR nicht geregelt? Sie hätten den Versorgungsausgleich in
der DDR doch regeln können! Herr Gysi, warum waren Sie eigentlich so ungerecht?
Als drittes Beispiel nenne ich die Hausfrauen. Die
Hausfrauen - es gab nur wenige Hausmänner - hatten in
der DDR die Möglichkeit, monatlich Marken im Wert
zwischen 3 und 9 Mark zu kleben - und sie haben sie geklebt. In der DDR hing die Höhe der Rente weniger von
der Beitragshöhe, als vielmehr von der Anzahl der Jahre
ab, in denen Beiträge gezahlt wurden. Auf diese Weise
kamen viele Hausfrauen auf eine große Anzahl von Rentenjahren. Die daraus resultierende Anwartschaft haben
Sie einfach mit der Begründung gestrichen, dass Sie das
nicht kennen. Das ist arrogant und ignorant. Wir fordern
nur, dass Sie diese Entscheidung korrigieren.
({19})
Viertes Beispiel - es folgt die nächste Kritik -: Krankenschwestern. Die Löhne von Krankenschwestern in
der DDR waren viel zu gering.
({20})
- Das bestreite ich doch gar nicht. Hören Sie doch erst
einmal zu! - Deshalb hat der Gesetzgeber ihnen eine Erhöhung der Rente um den Faktor 1,5 zugesagt. Diese Erhöhung haben Sie gestrichen.
({21})
Wir wollen doch nur, dass die Krankenschwestern den
Anspruch wieder erwerben, den sie schon einmal hatten.
Herr Dr. Gysi, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bunge aus Ihrer Fraktion zulassen?
({0})
Ja.
({0})
- Jetzt wundern Sie sich; das sollten Sie auch.
Kollege Gysi, Sie stellen hier relativ einfache Lösungen vor. Ich habe in der Ausschussarbeit immer sehr
viele Gegenargumente gehört. Vielleicht können Sie sich
hier dazu einmal positionieren?
({0})
Das erste Gegenargument ist: Das alles müsste die
Versichertengemeinschaft bezahlen; das ist zu teuer. Das
zweite Gegenargument ist: Wenn das geregelt würde,
würde man die Menschen im Osten gegenüber den Menschen im Westen bevorteilen. Das dritte Argument ist:
Der Bund ist für die zusätzlichen Versorgungen sowieso
nicht mehr zuständig, weil das Ländersache ist. Mich
würde interessieren, wie Sie dazu stehen.
({1})
Ich kann dazu ganz kurz Stellung nehmen.
Die in unseren Anträgen vorgesehenen Maßnahmen
müssten - abgesehen von denen in einem einzigen Antrag - aus Steuermitteln und nicht aus Versicherungsbeiträgen finanziert werden. Der Einwand ist deshalb
falsch. Nur der Ausgleich bei der Überwindung des Rentenstrafrechts müsste tatsächlich aus Versicherungsmitteln finanziert werden.
Der zweite Einwand ist nachweislich falsch. Zum
Beispiel bezieht heute eine Krankenschwester in den
neuen Bundesländern eine Rente in Höhe von 68 Prozent
der Rente einer Krankenschwester in den alten Bundesländern. Käme der angesprochene Faktor hinzu, wäre sie
noch lange nicht bei 100 Prozent. Zu behaupten, dass sie
besser stehe, ist albern. Nehmen Sie die Balletttänzerinnen und Balletttänzer: Deren Versorgungsanspruch ist
komplett gestrichen worden. Wir streiten hier übrigens
über circa 1 500 Personen. Sie konnten sich nicht nachversichern und sind eindeutig schlechter gestellt. Es geht
in keinem einzigen Fall um eine Besserstellung.
Was Bund und Länder betrifft: Es geht um Lücken
und Fehlleistungen nach Schließen des Einigungsvertrages. Aus dieser Verantwortung kann sich der Bund nicht
verabschieden. Er hat diese Probleme zu lösen und kann
das Ganze nicht auf die Länder übertragen.
({0})
Lassen Sie mich in meiner Rede fortfahren. Es geht
auch - das haben Sie erwähnt - um die Berufsgruppen
mit Zusatzversorgungssystemen. Das betrifft die wissenschaftliche, die technische, die medizinische und die
künstlerische Intelligenz; es geht um Beschäftigte im
Staatsapparat, in sämtlichen Parteien, auch in den Blockparteien, und in gesellschaftlichen Organisationen. Ich
sage Ihnen noch einmal: Das Rentenrecht ist nicht das
Feld, auf dem man eine Biografie bewertet.
({1})
Das kann man mit dem Strafrecht machen, wenn es dafür Anhaltspunkte gibt, oder mit anderen Mitteln, aber
nicht mit dem Rentenrecht.
({2})
Gerade die Union hat das früher immer abgelehnt. Erst
nach dem Ende der DDR ist sie dafür eingetreten.
Ein weiterer Punkt ist der Ausgleich bei der Überwindung des Rentenstrafrechts. Das gilt für die Personen,
die genannt wurden, übrigens wiederum für Angehörige
der Blockparteien. Dazu gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts; dessen Vorgaben haben Sie nur
zum Teil, also nicht ganz, erfüllt.
({3})
Lassen Sie mich auch noch die Beschäftigten der
Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post erwähnen, denen Ansprüche zustanden, die einfach gestrichen
worden sind. Sie sind im Verhältnis zu Beschäftigten der
Post in der Bundesrepublik oder auch der Deutschen
Bundesbahn benachteiligt. Ich verstehe nicht, warum wir
das Problem nicht lösen können.
Ich sage noch einmal: Uns geht es niemals um eine
Besserstellung. Zu behaupten, dass es uns darum geht,
ist doch Quatsch. Letztlich wollen wir, dass eine gleiche
Lebensleistung zu einer gleichen Rente führt. Das ist
doch nicht zu viel verlangt von unserer Gesellschaft.
({4})
- Nein, das ist Quatsch.
Der Staatssekretär hat zu Recht gesagt, dass wir schon
zum zigsten Mal darüber diskutieren. Solange wir im
Bundestag sind, werden Sie in jeder Legislaturperiode
diese Anträge vorgelegt bekommen,
({5})
um deutlich zu machen, dass das, was Sie gemacht haben, ungerecht ist. Ich bin doch nicht derjenige, der Leistung nicht würdigen kann. Das, was hier aber geschehen
ist, ist ungerecht. Wissen Sie, was mich stört? Sie setzen
auf die biologische Lösung.
({6})
Sie wissen, dass jedes Jahr Betroffene sterben und es immer weniger werden, die einen Anspruch haben. Das ist
überhaupt nicht hinzunehmen.
({7})
Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Ein weiteres Argument mag ich auch nicht, nämlich das, dass kein Geld
da ist. In einer Woche können Sie 480 Milliarden Euro
für die Banken bereitstellen, aber diese lächerlichen Beträge haben Sie nicht.
({8})
Stellen Sie endlich Rentengerechtigkeit her!
({9})
Irmingard Schewe-Gerigk hat jetzt das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gysi, 20 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit haben Sie die Mauer wieder hochgezogen, und zwar
die Mauer in den Köpfen.
({0})
Wir haben heute über 18 Anträge und einen Gesetzentwurf zu befinden, die sich mit der Überleitung der Alterssicherung in der DDR in gesamtdeutsches Recht befassen. Wir wissen: Es gibt Personengruppen, die Grund
haben, mit ihrer finanziellen Situation unzufrieden zu
sein. Aber die Vorschläge, die die Linke liefert, sind
nicht geeignet, gerechte Lösungen zu finden.
({1})
Angesichts der Vielfalt und Fülle der Anträge haben
wir Bündnisgrüne uns folgende Fragen gestellt: Ist es
heute, also knapp 20 Jahre nach dem Mauerfall, noch gerechtfertigt, Sachverhalte des DDR-Rechts im deutschen
Rentenrecht fortzuführen? Führen gesetzliche Änderungen zugunsten einiger Gruppen nicht zu neuen Ungerechtigkeiten bei anderen? Werden die Versicherten in
Ost und West nach gleichen Maßstäben behandelt? Welches sind aus heutiger Sicht die sozialpolitisch dringendsten Prioritäten? Wo besteht in Abwägung all dieser
Fragen wirklich Nachbesserungsbedarf?
({2})
Alle drei Oppositionsfraktionen haben Anträge vorgelegt, während die Bundesregierung trotz vollmundiger
Ankündigung der Kanzlerin die dringend notwendige
Rentenangleichung auf unbestimmte Zeit vertagt hat.
Die Große Koalition hat sich hinter der Botschaft verschanzt: Es ist noch viel zu tun, warten wir es ab. Auch
Frau Michalk hat angekündigt, in der nächsten Legislaturperiode werde man in diesem Bereich etwas unternehmen.
Wir Grüne haben uns nicht für das Aussitzen entschieden, sondern dafür, sozialpolitische Prioritäten zu
setzen. Deshalb haben wir unseren Antrag zur Angleichung des Rentenwerts Ost an den allgemeinen Rentenwert in den Bundestag eingebracht. Wir Grüne wollen
die Rentenangleichung nicht auf die lange Bank schieben.
({3})
Damit die Beschäftigten eine Perspektive haben,
muss jetzt gehandelt werden. Eine Angleichung des
Rentenwerts Ost ist kurzfristig möglich. Die Hochwertung wollen wir auf diejenigen Menschen - und zwar in
Ost und in West - begrenzen, die wenig verdienen.
({4})
Dabei wollen wir, anders als die Linken, keine neuen
Ungerechtigkeiten schaffen. Herr Gysi von der Linken,
wie wollen Sie es eigentlich rechtfertigen, dass jemand
in Frankfurt an der Oder bei gleicher Vergütung 30 Prozent mehr Rentenanwartschaften erzielen würde als jemand in Frankfurt am Main? Eine solche Politik baut
Mauern.
({5})
Ich habe mich heute über Folgendes sehr gefreut: Wir
haben eine Stellungnahme des DGB-Landesseniorenbeirates Thüringen - nicht etwa Nordrhein-Westfalen, sondern Thüringen - erhalten. Darin heißt es: Da die
Abkopplung der Lohnentwicklung von der Wirtschaftsentwicklung die Zunahme der Altersarmut in ganz
Deutschland zu einem Problem macht, ist der Vorschlag
der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, alle
niedrigen Einkommen in Deutschland hochzuwerten, ein
zukunftsfähiger, sinnvoller und gestaltungsfähiger Lösungsansatz. So viel zur Stellungnahme des DGB-Landesseniorenbeirates Thüringen.
({6})
Wir haben darüber hinaus einen Antrag zur Verbesserung der Versorgung von Geschiedenen aus den neuen
Bundesländern eingebracht, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht. Die Bundesregierung behauptet bisher,
hier bestehe kein Handlungsbedarf, weil in der DDR
auch Frauen mit Kindern ebenso wie Männer durchgängig erwerbstätig waren und somit auch genügend Rentenanwartschaften aufbauen konnten. Die von uns vorgeschlagene Sachverständige, Professorin Trappe, konnte
diese Behauptung in der Anhörung hinreichend widerlegen. Sie hat dargestellt, dass sie in ihren Studien zu dem
Ergebnis kam, dass die älteren Frauen, die Kindererziehung zu leisten hatten, diese in den ersten Jahren selbst
organisieren mussten. Dies hat zur Folge, dass sie in ihren Erwerbsbiografien Lücken von bis zu acht Jahren haben. Die jüngeren Frauen haben die Doppelbelastung
durch vermehrte Teilzeitarbeit ausgeglichen, was bei
Männern so gut wie gar nicht vorkam.
Wenn man sich mit dem Inhalt des Alterssicherungsberichts befasst, so wird deutlich, warum 37 Prozent der
in der DDR geschiedenen Frauen über ein monatliches
Nettoalterseinkommen von lediglich 500 bis 750 Euro
verfügen - in den alten Bundesländern ist dies nur bei
28 Prozent der Frauen der Fall - und warum das monatliche Nettoalterseinkommen von weiteren 3 Prozent dieser Frauen sogar noch darunter liegt. Warum die Bundesregierung angesichts dessen weiterhin behauptet, die
Kindererziehung in der DDR habe im Hinblick auf die
Rentenanwartschaften keine Nachteile zur Folge, bleibt
ihr Geheimnis - oder ist die Begründung dafür, nichts zu
tun.
({7})
Wir haben uns aus sozialpolitischen Gründen für eine
Nachbesserung bei der Versorgung von vor 1992 in den
neuen Ländern Geschiedenen entschieden. Es kann nicht
gerecht sein, dass diejenigen, die Kinder erzogen haben,
im Alter armutsgefährdet sind, nur weil die DDR aus
ideologischen Gründen den Unterhaltsbedarf von Frauen
im Falle einer Scheidung ignoriert hat. Den in der DDR
geschiedenen Frauen bleibt auch eine Witwenrente verwehrt, weil das DDR-Recht keine Unterhaltspflicht für
Eheleute vorsah. Dass beide Instrumente in Ostdeutschland im Unterschied zum Westen Deutschlands nicht angewendet werden, nährt bei den Geschiedenen das Gefühl, Bürgerinnen zweiter Klasse zu sein.
Wir haben den Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst eingeschränkt. Natürlich ist uns klar, dass es auf
den ersten Blick so aussieht, als bestehe eine Ungleichbehandlung, da bei den einen der Versorgungsausgleich
aus Steuermitteln finanziert wird und bei den anderen
dadurch, dass die Altersversorgung des Expartners gemindert wird. Bei näherer Betrachtung stellt man aber
fest, dass keine Ungleichbehandlung vorliegt; denn vielen ist der Zugang zum Versorgungsausgleich für immer
verwehrt. Um von Ungleichbehandlung sprechen zu
können, muss man eigentlich Gleiches mit Gleichem
vergleichen.
({8})
Auch das Finanzargument zieht nicht. Wer dreistellige Milliardenbeträge aufbringen kann, um einen
Schutzschirm für Banken zu errichten, der sollte die
Frauen, die sich in dieser Situation befinden, nicht im
Regen stehen lassen.
({9})
Ich komme zur FDP. Die FDP möchte die Überwindung von Benachteiligungen aus der Rentenüberleitung
dadurch erreichen, dass sie den Weg für eine Nachversicherung öffnet. Herr Kolb, ich glaube, dass Sie hier ein
anderes Ziel im Auge haben. Wir sind der Meinung, dass
eine Nachbesserung dann gerechtfertigt ist, wenn die
Gruppe andernfalls armutsgefährdet wäre. Sie schlagen
vor, dass Rentner und Rentnerinnen ihre Rente mit einer
Nachzahlung von Beiträgen aufbessern können. Professor Ruland hat es in der Anhörung gesagt: Man braucht
21 500 Euro, um die Rente um 100 Euro im Monat zu
erhöhen. Da frage ich mich wirklich: Haben die betroffenen Menschen wirklich 21 500 Euro auf dem Konto?
({10})
Sie haben eine andere Gruppe im Auge. Sie wollen eine
Lösung für Versicherte, die viel Geld haben und deren
Lebenserwartung überdurchschnittlich hoch ausfällt.
Die Devise der Linken heißt: Wünsch dir was, wir
versprechen dir alles! Die FDP sagt: Wir versprechen
den Menschen, die viel Geld haben, alles.
({11})
So sieht verantwortliche Politik nicht aus. Weder das
Aussitzen der Bundesregierung noch eine Politik des
„Wünsch dir was“ ist angemessen. Auch Lösungen lediglich für Gutsituierte sind für uns nicht akzeptabel.
Darum bitten wir Sie um Zustimmung zu den Anträgen
der Grünen.
Vielen Dank.
({12})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Paul Lehrieder.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Lieber Kollege Gysi, ich habe eine
Bitte an Sie: Wenn Bürger aus Ihrem Wahlkreis in Ihr
Wahlkreisbüro kommen und eine Rentenauskunft erhalten möchten, dann sprechen Sie bitte mit den Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion aus dem Ausschuss für
Arbeit und Soziales, bevor Sie diese Bürger mit
Falschinformationen heimschicken.
({0})
Sie haben sich hingestellt und ausgeführt, dass eine
Rentensteigerung mit der Höhe der Grundsicherung verrechnet wird. Sie haben den Leuten aber nicht die Systematik erläutert. Die Renten steigen zum 1. Juli 2009 entsprechend den Lohnabschlüssen des Vorjahres. Zum
1. Juli 2009 steigen aber auch die SGB-XII- und die
Hartz-IV-Leistungen. Das sollte man ehrlicherweise hinzufügen, lieber Herr Kollege Gysi. Probieren Sie es in
Zukunft einmal mit der Wahrheit!
({1})
Wie meine Kollegin Maria Michalk schon überzeugend ausgeführt hat,
({2})
werden die DDR-Rentenansprüche innerhalb eines starken und verlässlichen Systems eingelöst, nämlich der
gesamtdeutschen gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Gründe, warum wir die hier vorliegenden Anträge der Linken ablehnen, hat sie ebenfalls bereits ausführlich erläutert. Was die Linke als Ungerechtigkeiten
im Renten-Überleitungsgesetz und im Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatzund Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets bezeichnet hat, hat seine Ursache vor allem in der Willkür
im DDR-Rentenrecht. Dort gab es gerade keine eindeutigen, einklagbaren Regeln für die Zusatzrenten.
Die Linken sind mit ihren Anträgen allein auf den Effekt aus. Diese Anträge betreffen Einzelgruppen, deren
Anliegen bereits von früheren Bundesregierungen immer wieder geprüft worden sind. Wenn wir diese nun
pauschal besserstellten, führte dies zwangsläufig zu Ungerechtigkeiten bei anderen Gruppen. Ich bestätige die
diesbezüglich gewählte Ausdrucksweise des Staatssekretärs Thönnes ausdrücklich: Es ist schlichtweg aktionistisches Stückwerk.
Die Anträge der FDP und der Grünen zur Rentenangleichung zwischen Ost und West haben da schon
mehr Substanz. Ja, es stimmt: Viele Menschen verstehen
nicht, warum es nach knapp zwei Jahrzehnten deutscher
Einheit noch immer unterschiedliche Rentensysteme in
Ost und West mit den damit verbundenen unterschiedlichen Rentenberechnungen gibt. Der sogenannte Rentenwert ist im Osten mit 23,34 Euro noch immer niedriger
als der im Westen mit 26,56 Euro.
Ich habe großes Verständnis für die Forderung, die
Rentenwerte zum 1. Juli 2010 zu vereinheitlichen.
({3})
Dies fordert die FDP. Die Grünen haben in ihrem hier
vorliegenden Antrag vom 24. September 2008 eine Angleichung bereits zum 1. Januar 2009 verlangt. Die
Union will ebenfalls eine grundsätzliche Angleichung;
diese Angleichung ist für uns aber kein Selbstzweck.
Entscheidend für die Angleichung ist für uns das konkrete Ergebnis für die Beitragszahler und die Rentner. Es
geht nicht um eine Vereinheitlichung um jeden Preis im
Hauruckverfahren.
Mit der Umstellung der Renten auf D-Mark und der
Hochwertung früherer Arbeitsentgelte auf Westniveau
wurde die Altersversorgung in der ehemaligen DDR zunächst einmal auf eine solide Grundlage gestellt. Dies
hat sogar der Kollege Gysi bestätigen müssen.
Nahezu für alle ostdeutschen Rentner geht die Rentenüberleitung mit einer erheblichen finanziellen Verbesserung einher. Auch das wurde sogar von der Linken
eingeräumt. Beim Rentenzahlbetrag sind sie heute im
Vergleich zu den Rentnern im Westen im Durchschnitt
bessergestellt. Die monatliche Rente im Osten beträgt
durchschnittlich 1 004 Euro für Männer und 684 Euro
für Frauen. Im Westen sind es dagegen 967 Euro für
Männer und 485 Euro für Frauen.
({4})
Dabei sind die Ostrenten etwa zu 40 Prozent durch Beitragseinnahmen gedeckt. Im Westen sind es 80 Prozent
bzw., wie Herr Thönnes gesagt hat, bereits 89 Prozent.
Das Problem sind allerdings - wie oben ausgeführt die ungleichen Rentenwerte in West und Ost. Gegen eine
vorzeitige Angleichung der Ost- an die Westrenten
spricht, dass dann im Gegenzug auch die Hochwertung
der im Osten erzielten Arbeitsverdienste auf das Westniveau aufgegeben werden müsste. Im Westen musste im
Jahr 2006 ein Arbeitnehmer 29 304 Euro im Jahr verdienen, um einen Entgeltpunkt in der Rentenversicherung
gutgeschrieben zu bekommen. Im Osten musste ein Arbeitnehmer lediglich 24 880 Euro verdienen, um ebenfalls einen Entgeltpunkt gutgeschrieben zu bekommen.
Sein Einkommen wurde - auch darauf wurde bereits hingewiesen - nämlich für die Rentenberechnung mit dem
Wert 1,19 hochgewertet.
Die Versicherten im Osten sind somit objektiv durch
diese Höherbewertung bessergestellt gegenüber denen
im Westen. Wenn wir das beenden, würde den gegenwärtigen Beitragszahlern und künftigen Rentnern im Osten die Aussicht genommen, bei vergleichbarer Erwerbsbiografie jemals gleich hohe Renten wie im Westen zu
bekommen. Der derzeitige Lohnabstand würde in den
zukünftigen Renten im Osten verfestigt. Die gegenwärtige Rentnergeneration würde auf Kosten der künftigen
Rentnergeneration bessergestellt und damit die Generationengerechtigkeit beeinträchtigt, zumal es auch ein
Verstoß gegen die Lohn- und Beitragsbezogenheit der
Rentenleistungen wäre.
Die sofortige oder stufenweise Angleichung der Ostan die Westrentenwerte, abgekoppelt von der Lohnentwicklung, scheidet zudem auch aus finanziellen Gründen aus. Eine Rentenangleichung würde die Rentenkasse
zusätzlich mit 6,2 Milliarden Euro belasten. Man könnte
einwenden, dass wir schon ein paar Milliarden Euro für
anderes ausgegeben haben und es darauf jetzt auch nicht
mehr ankommt. Damit würden aber die bisherigen Erfolge bei der Stabilisierung der Lohnnebenkosten weitgehend zunichtegemacht.
Die Union will die Renten - ob in West oder Ost auch in Zukunft finanziell vernünftig absichern. Heute
wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein interessanter Artikel über den Bundeszuschuss zur Rente
veröffentlicht.
({5})
Wie Sie sicherlich wissen, ist der Bundeszuschuss zur
Rentenversicherung mit rund 79,2 Milliarden Euro im
Jahr 2009 der mit Abstand größte Ausgabenblock im
Bundeshaushalt. Auch Aufwendungen der Rentenkasse
für Leistungen, die sich aus der Wiedervereinigung ergeben, werden über den Zuschuss erstattet. Ohne den Bundeszuschuss lägen die Rentenbeitragssätze von derzeit
19,9 Prozent beträchtlich höher als jetzt.
Ich könnte noch mehr Gedanken ausführen. Ich darf
darauf hinweisen, dass die Rentensteigerung zum 1. Juli
dieses Jahres im Osten mit 3,38 Prozent um fast
1 Prozentpunkt höher ausfällt als im Westen. Auch hier
wird eine Angleichung angestrebt. Wie Frau Kollegin
Michalk ausgeführt hat, arbeiten wir an einer gründlichen, gerechten und finanzierbaren Angleichung der
Ost- und Westrenten. Aber dazu braucht es Zeit und
nicht solche populistischen und aktionistischen Anträge,
wie sie heute vorliegen.
({6})
Danke schön.
({7})
Der Kollege Klaas Hübner hat das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Anträge vor allem von der Linkspartei, über
die wir heute diskutieren, sind in erster Linie eines:
Theater und Show. Sie sind nicht wirklich daran interessiert, Lösungen zu finden. Wenn es noch eines Beweises
bedurft hätte, dann ist es der Marathon von namentlichen
Abstimmungen, in die Sie uns heute zwingen
({0})
und die dazu beitragen, dass ein, glaube ich, auch für Sie
wichtiges Thema - der Jahresbericht zum Stand der
deutschen Einheit - weit in die Nacht verschoben wird.
Daran zeigt sich, dass Sie nicht an einer Lösung interessiert sind.
({1})
In Ihren Anträgen versprechen Sie allen alles, ganz
unterschiedlichen Gruppen, angefangen bei dem der
Stasi gegenüber weisungsberechtigten Parteisekretär bis
zur mithelfenden Ehefrau, vom Balletttänzer bis zum
Professor neuen Rechts.
({2})
Das hat mit differenzierter und sozial verantwortungsvoller Politik nichts zu tun.
({3})
Sie sind nicht an einer Lösung interessiert, sondern setzen auf Ablehnung.
Nebenbei bemerkt haben Sie interessanterweise eine
Gruppe in den uns vorliegenden Petitionen ausgelassen.
({4})
Ich habe sie jedenfalls nicht gefunden. Es sind diejenigen, die Sie wohl immer noch als „Republikflüchtlinge“
ansehen, mithin DDR-Bewohner, die vor dem Fall der
Mauer das Land verlassen haben und aus nachvollziehbaren Gründen nicht in die FZR eingezahlt haben. Ausgerechnet für diese Gruppe machen Sie sich nicht zum
Anwalt. Das zeigt Ihr veraltetes und überkommenes
Denken.
({5})
Sie zeichnen hier ein Bild von Not, Elend und Ungerechtigkeit, das die Wirklichkeit bis ins Absurde verzerrt. Natürlich gibt es Änderungsbedarf. Fast 20 Jahre
nach der Rentenüberleitung wäre es ein Wunder, wenn
sich keine Bruchstellen zeigten. Zunächst müssen wir jedoch feststellen: Die Rentenüberleitung war eine absolute Erfolgsgeschichte. Der Mehrheit der 4 Millionen
Rentner in den ostdeutschen Bundesländern geht es
heute weitaus besser, als es ihnen zu DDR-Zeiten jemals
gegangen wäre. Das ist eine gewaltige Leistung aller
Bürgerinnen und Bürger in Ost und West.
({6})
Ich lasse dabei sogar außer Betracht, ob die DDR
überhaupt in der Lage gewesen wäre, die eingegangenen
Verpflichtungen auch zu erfüllen.
({7})
Sie erinnern sich, dass zum Ende der DDR-Zeit der
Schürer-Bericht erschien, in dem vorgeschlagen wurde,
alle Sozialleistungen in der DDR pauschal um 30 Prozent zu kürzen. Demgegenüber geht es uns heute eindeutig besser.
({8})
Der eben vorgelegte Armutsatlas des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes bestätigt dieses Bild indirekt. Man
mag sich über die angelegten Maßstäbe streiten; überdeutlich aber ist: Eine Einkommensgrenze verläuft entlang der ehemaligen Staatsgrenze der DDR. Nur eine
einzige Gruppe fällt heraus. Nirgendwo in Deutschland
sind nach einem Bericht des Statistischen Bundesamtes
von Mai 2009 aktuell so wenige Menschen von Altersarmut betroffen wie in Ostdeutschland. Auch das ist die
Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({9})
Allerdings möchte ich die Gelegenheit ebenfalls dazu
nutzen, unsere Vorstellungen für die Zukunft darzulegen,
wohl wissend, dass ich mich dabei auf dünnem Eis bewege. Bei jeder Entscheidung ist sorgfältig zwischen
den Interessen der ostdeutschen Rentner und denen der
ostdeutschen Versicherten - einige Redner haben darauf
hingewiesen - abzuwägen. Augenmaß ist hier gefragt.
Meines Erachtens brauchen wir hierfür eine Lösung, die
Akzeptanz in der gesamten Gesellschaft, in Ost wie in
West, findet. Es macht dabei sicherlich wenig Sinn, sich
hinter juristischen Argumentationen zu verstecken.
20 Jahre nach der Wiedergewinnung der Einheit und im
60. Jahr des Bestehens des Grundgesetzes sollte sich jeder in unserem Staatswesen aufgehoben und angenommen fühlen. Dafür zu sorgen, ist unsere Aufgabe.
Ich weiß, dass wir für die Vollendung der Einheit
auch die subjektiv empfundene Wertschätzung der Menschen, ihre Emotionen und ihre soziale Lage in unsere
Überlegungen einbeziehen müssen. Aus vielen Begegnungen im Wahlkreis und aus Gesprächen mit Vertretern
betroffener Gruppen ist mir durchaus klar, dass sich das
Gefühl der Ungerechtigkeit, das Gefühl, kein vollwertiger Bürger unseres Gemeinwesens zu sein, zum guten
Teil aus dem unterschiedlichen Rentenwert nährt. Wir
können noch so viel über Statistik und Zahlbeträge reden was bleibt, ist dieser unterschiedliche Rentenwert. Sicherlich geht es auch um Zahlen; aber es geht ebenso um
ein Gefühl, um das Gefühl der Wertschätzung der persönlichen Lebensleistung.
Eine angemessene Lösung ist nach meiner festen
Überzeugung in diesem Zusammenhang nur im Rahmen
eines ganzheitlichen, umfassenden Rentenüberleitungsabschlussgesetzes möglich. Wir brauchen ein solches
Abschlussgesetz, in dem wir politisch festlegen, wie wir
in Zukunft damit umgehen wollen. Das ist die entscheidende Forderung meiner Fraktion.
({10})
Entschuldigung, Herr Hübner, einen Augenblick. Ich kann verstehen, dass man, wenn man hereinkommt
und auf die namentliche Abstimmung wartet, nicht
gleich völlig ruhig ist. Dass sich aber Stehgrüppchen im
Plenarsaal bilden, finde ich dem Redner gegenüber nicht
in Ordnung. Daher bitte ich Sie, die noch notwendigen
Absprachen draußen zu treffen. - Herr Hübner, bitte
schön.
Vielen Dank. - Kernpunkt dieses Gesetzes müsste
sein, nach einem bestimmten Termin in Deutschland ein
einheitliches Rentenberechnungssystem gelten zu
lassen. Das betrifft sowohl den Rentenwert als auch
das Durchschnittsentgelt und die Beitragsbemessungsgrenze.
({0})
Allerdings darf dies nicht nur zulasten der Versicherten gehen; darauf weise ich ausdrücklich hin. Ich glaube
durchaus, dass wir flankierend den Hochwertungsfaktor
für geringere Einkünfte in Ostdeutschland erst nach und
nach abbauen werden. Ein möglicher Stichtag zur endgültigen Angleichung wäre das Auslaufen des Solidarpaktes 2019.
Ich weiß auch, dass für die gegenwärtige Rentnergeneration eine solche Vereinheitlichung zunächst keine
Verbesserung bedeuten würde. Auch das muss klar gesagt werden.
({1})
Rentensystematisch wäre nur eine rückwirkende Übernahme des aktuellen Rentenwertes für Ostrentner eine
saubere Lösung; aber sie ist - das wissen wir alle - weder bezahlbar noch wirklich in der Gesamtgesellschaft
vermittelbar. Auch das gehört zur Wahrheit.
Diejenigen, die etwas anderes meinen, sollten sich die
Stellungnahmen aus der Anhörung ansehen, zum Beispiel diejenige des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der
darauf explizit hingewiesen hat. Sicherlich kann man
viele Möglichkeiten diskutieren, wie man den Bestandsrentnern helfen kann, zum Beispiel durch Einmalzahlungen oder durch Abschläge. Aber der entscheidende
Punkt ist, dass wir das Grundproblem erst dann lösen
werden, wenn sich die Entgeltbedingungen in Ost und
West angeglichen haben. Deshalb stehen wir dafür ein:
Wir brauchen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn für Gesamtdeutschland.
({2})
Wir haben in den letzten zwei Jahren darüber konkret
verhandelt. Die Koalitionsfraktionen haben konstruktive Vorschläge gemacht. Das Gesetz wäre im Bundesrat
zustimmungspflichtig gewesen. Bedauerlicherweise haben sich nicht alle Ministerpräsidenten der ostdeutschen
Bundesländer angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen dazu durchringen können, dem Gesetzentwurf
zuzustimmen; das kann man verstehen.
({3})
Aber es bleibt für uns Verpflichtung, für die Zukunft ein
neues Konzept aufzuzeigen.
Gewisse Brüche waren in der Vergangenheit mit Sicherheit unvermeidlich und sind angesichts der Gesamtleistung zu tolerieren. Wenn wir aber etwas machen wollen, müssen wir uns Kriterien setzen. Für uns
Sozialdemokraten wird das Hauptkriterium immer die
soziale Bedürftigkeit und die Würdigung der konkreten
Lebensleistung der Menschen sein. Die Lebensleistung
wurde oft unter schwierigen Bedingungen erbracht. Der
ruinöse Zustand der Wirtschaft in der DDR war sicherlich nicht mangelndem Fleiß und Einfallsreichtum ihrer
Bürger geschuldet, im Gegenteil. Wir wollen dort nachbessern, wo es möglich ist, Akzeptanz zu finden. Die
Akzeptanz in diesem Haus werden wir aber nur erreichen, wenn wir zugleich auch klarmachen, dass damit
ein Schlussstrich gegenüber weiteren Ansprüchen gezogen wird. Beides gehört unmittelbar zusammen.
Ich will eine Gruppe herausgreifen, an der man meiner Meinung nach exemplarisch klarmachen kann, dass
noch Handlungsnotwendigkeit besteht; Sie haben das
zum Teil bereits angesprochen. Ich spreche konkret von
den Krankenschwestern und Krankenpflegern in Ostdeutschland. Zumeist geht es um Frauen. Sie haben eine
sehr schwierige Arbeit bei zum Teil erbärmlicher Bezahlung geleistet. Sie haben ebenso wie die Krankenschwestern in Westdeutschland viel dazu beigetragen,
dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in dem Land
aufrechterhalten werden konnte. Ich glaube, es wäre angemessen, dass wir den Ostrentnerinnen ein Stück weit
Anerkennung zollen und dass sie heute nicht unter ihrer
schlechten Bezahlung zu DDR-Zeiten leiden müssen.
Hier besteht für uns Handlungsbedarf.
({4})
In unserem Wahlprogramm steht zu den Ostrenten
zwar nur ein Satz, aber ein sehr gewichtiger. Wir sagen:
Wir werden die Angleichung der Rentensysteme in Ost
und West in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen.
({5})
Ich will Ihnen unsere Vorstellungen dazu skizzieren. Es
gilt dabei Vor- und Nachteile abzuwägen und eine Lösung zu finden, die in Gesamtdeutschland akzeptiert
wird. Dazu müssen wir zu einem Abschlussgesetz kommen, das auch die Rentenüberleitung klärt. Wir brauchen
in Deutschland ein einheitliches Sozialrecht. Wir brauchen dazu einheitliche gesetzliche Mindestlöhne und ein
einheitliches Rentenberechnungssystem.
Herzlichen Dank.
({6})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, bitte
ich die Hinzugekommenen, die Gesprächsgruppen aufzulösen und nach draußen zu verlagern, damit der letzte
Redner die Chance hat, gehört zu werden.
Franz Romer erhält jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Eine der größten Leistungen des
wiedervereinten Deutschlands ist ganz sicher die Überführung der Rentenansprüche. Die Menschen in der ehemaligen DDR haben durch Einzahlungen vor der Wiedervereinigung Anspruch auf eine Rente der heutigen
gesetzlichen Rentenversicherung erlangt. Wir haben es
geschafft, die vielen Sonderversorgungsregelungen der
DDR gemäß dem Gleichheitsgrundsatz in Ansprüche auf
gesetzliche Rente zu überführen. Wir können stolz darauf sein, dass die heutigen Auszahlungsbeträge sehr
viel höher sind als der Wert der Einzahlungen vor der
Wiedervereinigung.
({0})
Herr Gysi, hören Sie endlich mit Ihren ketzerischen und
teilweise unwahren Behauptungen auf!
({1})
Lassen Sie mich ein paar allgemeine Worte zum
Thema Rente sagen. Ich habe in diesem Jahr das zukünftige Renteneintrittsalter von 67 Jahren erreicht.
Ich bin froh, dass wir jetzt eine Rentenkürzung dauerhaft ausschließen können. Die umlagefinanzierte Rente
ist seit ihrer Einführung 1957 noch nie gekürzt worden.
Das bleibt auch in Zukunft so.
({2})
Trotzdem bleibt die Höhe der Rente weiter lohn- und
beitragsbezogen. Unterbliebene Kürzungen werden später mit Erhöhungen verrechnet. Die Rente folgt also weiter der allgemeinen Lohnentwicklung.
Die Union setzt sich seit jeher für eine vernünftige
Rentenpolitik ein. Einerseits müssen Rentnerinnen und
Rentner die verdiente Rente mit Erhöhungen erhalten,
andererseits treten wir für einen stabilen Beitragssatz
ein. Nur die konsequente Reformpolitik der Großen Koalition macht es jetzt möglich, die Renten entsprechend
der Lohnentwicklung zum 1. Juli zu erhöhen. Diese Erhöhung ist so stark wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Ich
freue mich, dass die Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr von der guten Entwicklung der Vorjahre profitieren können.
({3})
Auch bei der Angleichung zwischen Ost und West
kommen wir jetzt endlich weiter voran. Durch höhere
Lohnsteigerungen in den neuen Bundesländern können
hier die Renten prozentual stärker steigen. Die Finanzierung der Rentenkasse bleibt auch mit der Rentenerhöhung stabil. Wir haben eine volle Monatsausgabe als Finanzierungsreserve. Leider sind die prognostizierten
Arbeitsmarktzahlen momentan nicht so positiv. Ich bin
aber zuversichtlich, dass wir mit den Rücklagen im System Teile der Mindereinnahmen im Abschwung abfedern und damit den Beitragssatz langfristig stabil halten
können.
Immer wieder werde ich von Bürgern aus meinem
Wahlkreis auf die Sicherheit unseres Rentensystems in
der Finanzkrise angesprochen. Es ist wirklich beruhigend, dass die umlagenfinanzierte Rentenversicherung
als wichtigste Säule unserer dreigliedrigen Altersversorgung von einer Finanzmarktkrise nicht betroffen sein
kann. Ich will klar sagen: Eine zusätzliche Absicherung
eines Teils der Rente über den Kapitalmarkt wie bei der
Riester-Rente ist sinnvoll. Das Risiko einer völligen
Umstellung der Rente auf Kapitaldeckung ist nicht berechenbar.
({4})
Die Krise, die kaum jemand vorhergesehen hat, zeigt,
dass man mit allem rechnen muss. Deshalb dürfen wir
langfristig unser krisenfestes System nicht aufgeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte
Rede im Deutschen Bundestag. Erlauben Sie mir noch
eine kurze persönliche Anmerkung. Ich gehöre diesem
Haus nun mit kurzer Unterbrechung seit 1990 an. Ich
war damals stolz darauf, Mitglied im ersten gemeinsamen Deutschen Bundestag zu sein. Ich habe den Umzug
nach Berlin miterlebt und viele Erfahrungen gesammelt:
als meine Fraktion in der Regierung war, später dann in
der Opposition und nun zuletzt auch in der Großen Koalition mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Das war
für mich die intensivste Zeit meines Lebens. Ich komme
als gelernter Mechaniker und Betriebsratsvorsitzender
aus der Kommunalpolitik, und dorthin gehe ich jetzt
wieder zurück. Der Abschied fällt mir nicht schwer. Ich
werde zwar alle vermissen,
({5})
aber auch den Ruhestand mit meiner Frau, meinen Kindern und meinen fünf Enkeln genießen.
({6})
Ich möchte Ihnen allen für eine interessante, erlebnisreiche und spannende Zeit hier im Parlament danken. Ich
durfte viele interessante Menschen kennenlernen und
Freunde gewinnen, unter den Mitgliedern aller Fraktionen, unter den Mitarbeitern des Hauses, der Fraktionen
und der Abgeordneten. Ich wünsche Ihnen für die neue
Legislaturperiode, dass Sie weiter so engagiert für die
Bevölkerung in unserem Land arbeiten und gerade den
jungen Menschen zeigen, dass sich Mitmachen in der
Politik immer lohnt.
Danke schön.
({7})
Herr Romer, im Namen des ganzen Hauses danke ich
Ihnen sehr herzlich für Ihre Arbeit als Abgeordneter im
Deutschen Bundestag. Nicht alle finden bei ihrer letzten
Rede im Plenarsaal so viele Abgeordnete vor; das ist
wirklich etwas Besonderes.
({0})
Letzten Endes haben Sie uns fast das Schönste gesagt,
was man uns sagen kann: dass Sie uns alle vermissen
werden. Das passiert uns nicht jeden Tag. Herzlichen
Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnen
bekannt, dass eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der
Geschäftsordnung vorliegt, namentlich der Kolleginnen
und Kollegen Iris Gleicke, Dr. Margrit Spielmann,
Dr. Peter Danckert, Dirk Manzewski, Volker Blumentritt,
Klaus Uwe Benneter, Ernst Kranz, Andreas Weigel,
Petra Merkel, Carsten Schneider, Andreas Steppuhn,
Hans-Joachim Hacker, Engelbert Wistuba, Petra Heß,
Marko Mühlstein, Simone Violka, Rainer Fornahl,
Dr. Gerhard Botz und Martin Burkert sowie der Kol-
leginnen und Kollegen Kai Wegner, Dr. Michael Luther,
Jens Koeppen, Michael Kretschmer, Dr. Peter Jahr,
Dr. Hans-Heinrich Jordan, Susanne Jaffke-Witt, Robert
Hochbaum, Michael Stübgen, Arnold Vaatz, Marco
Wanderwitz, Eckhardt Rehberg, Volkmar Vogel und
Ulrich Petzold.1)
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte
ich Ihnen noch einige Hinweise zum Abstimmungsverfahren geben. Danach gebe ich Ihnen einige weitere Namen von Abgeordneten bekannt, die nach § 31 der Geschäftsordnung eine Erklärung abgegeben haben; die
Namen werden mir gerade vorgelegt.
Zunächst zum Verfahren. Die Fraktion Die Linke hat
namentliche Abstimmung zu ihrem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes sowie zu ihren weiteren
16 Anträgen zu Korrekturen bei der Überleitung von
DDR-Alterssicherungen in das bundesdeutsche Recht
verlangt.
Es ist verabredet, die insgesamt 17 namentlichen Abstimmungen auf einem Stimmzettel zusammenzufassen.
Falls noch nicht geschehen, erhalten Sie den Stimmzettel
von den Plenarassistentinnen und -assistenten hier im
Saal. Auf diesem Stimmzettel tragen Sie bitte zunächst
Ihren Namen und die Bezeichnung Ihrer Fraktion deutlich in Druckbuchstaben ein, also bitte nicht unterschreiben, sondern Druckbuchstaben benutzen, sodass wir
diese Angaben später lesen können.
Unter der Namensleiste finden Sie eine Auflistung
der 17 abzustimmenden Vorlagen. Sie haben die Möglichkeit, jede einzelne Vorlage mit einem Kreuz bei „Ja“,
„Nein“ oder „Enthaltung“ zu markieren - ein Kreuz bei
jeder Vorlage.
({2})
- Nicht jeder nur ein Kreuz, sondern jeder ein Kreuz bei
einer Vorlage. - Stimmzettel ohne Namensangabe oder
Einzelabstimmungen mit mehr als einem Kreuz je Vor-
1) Anlagen 6 bis 10
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
lage sind ungültig. Sie können die Stimmzettel auf Ihrem
Platz ankreuzen. Nachdem Sie den Stimmzettel ausge-
füllt haben, werfen Sie ihn bitte hier vorn in die aufge-
stellten Urnen.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13055
unter den Buchstaben a bis q die Ablehnung der Vorla-
gen. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist verabre-
det, dass unmittelbar über die Anträge und nicht über die
Empfehlungen des Ausschusses abgestimmt wird. Das
heißt also: Wenn Sie einem Antrag zustimmen wollen,
müssen Sie mit Ja stimmen. Wenn Sie einen Antrag ab-
lehnen wollen, müssen Sie mit Nein stimmen.
Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss noch
weitere einfache Abstimmungen durchführen werden.
Bevor Herr Kauder und alle anderen ihre Stimmzettel
einwerfen dürfen, bitte ich die Schriftführerinnen und
Schriftführer, sich an die Urnen zu begeben.
Währenddessen verlese ich die Namen weiterer Kol-
leginnen und Kollegen, die Erklärungen abgegeben ha-
ben: Manfred Kolbe, Dr. Marlies Volkmer, Katharina
Landgraf, Andreas Lämmel, Dr. Christoph Bergner,
Wolfgang Gunkel, Silvia Schmidt, Maik Reichel, Ulrich
Adam, Veronika Bellmann, Günter Baumann, Klaus
Brähmig, Manfred Grund, Bernd Heynemann, Ingo
Schmitt, Katharina Reiche, Uda Heller und Monika
Grütters.1)
Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an ih-
rem Platz und somit alle Urnen besetzt? - Das scheint
der Fall zu sein. Dann ist die Abstimmung eröffnet. Ist
noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seinen
Stimmzettel nicht abgegeben hat? - Das ist der Fall.
Dann warte ich noch ein bisschen.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen, die an der Ab-
stimmung teilnehmen wollten, ihren Stimmzettel nun
abgegeben? - Das scheint mir der Fall zu sein. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen.
Die vollständige Auswertung der Stimmzettel wird
erhebliche Zeit beanspruchen. So werden die Schrift-
führerinnen und Schriftführer zunächst noch kein zah-
lenmäßiges Ergebnis ermitteln, sondern nach Sichtung
der Stimmzettel feststellen, ob die Vorlagen angenom-
men oder abgelehnt wurden. Das vorläufige Ergebnis
der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Bevor wir die Abstimmungen über die Beschluss-
empfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales
auf Drucksache 16/13055 fortsetzen, möchte ich einen
Hinweis geben: Für mich wäre es sehr komfortabel,
wenn ich sehen könnte, wer wie abstimmt. Durch dieje-
nigen, die im Saal stehen, ist die Sicht behindert.
1) Anlagen 6 bis 10
2) Seite 24619 C und Anlagen 31 bis 46
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe r seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11684
mit dem Titel „Versorgung für Geschiedene aus den
neuen Bundesländern verbessern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung der Koalition angenommen. Dagegen gestimmt
hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die FDP-Fraktion und die Fraktion Die Linke.
Unter Buchstabe s seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11236 mit dem Titel „Faires Nachversicherungsangebot zur Vereinheitlichung des Rentenrechts in Ost und West“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! Die Enthaltungen! - Die Beschlussempfehlung ist bei
Zustimmung der CDU/CSU, der SPD, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Die Fraktion der FDP hat dagegen gestimmt.
Zusatzpunkt 5. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West“. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13201, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/9482 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben wiederum CDU/CSU,
SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Fraktion Die Linke. Die
FDP hat dagegen gestimmt.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13201 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/10375 mit dem Titel „Rentenwert in
Ost und West angleichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung
der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion Die Linke
angenommen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
dagegen gestimmt.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 ({4})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({5}) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien
({6}) und der Republik
Serbien vom 9. Juni 1999
- Drucksachen 16/12881, 16/13204
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Dr. Werner Hoyer
Marieluise Beck ({0})
Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/13216 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Roland Claus
Omid Nouripour
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später
namentlich abstimmen.
Verabredet ist, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Detlef Dzembritzki für die SPD-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sozialdemokraten werden der Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zustimmen.
Wir können feststellen, dass sich die Herstellung von Sicherheit in multilateraler Verantwortung bewährt hat.
UNMIK und EULEX sind Instrumente, die zwar nicht
als total vollkommen bezeichnet werden können, die
aber sicherlich dazu beigetragen haben, dass Mord und
Totschlag in dieser Region ein Ende gesetzt wurde und
sich wieder Stabilität und Sicherheit entwickeln konnten.
Wenn man die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten,
deren Einsatz mit dem vorliegenden Antrag mandatiert
werden soll, mit der in früheren Jahren vergleicht, dann
kann man erfreut feststellen, dass die Präsenz im Laufe
der Jahre deutlich reduziert werden konnte. Die NATO
hatte einmal 50 000 Soldatinnen und Soldaten im Kosovo; heute sind es 13 700. Die Mandatierung, die wir
ursprünglich beschlossen hatten, sah 8 900 Soldatinnen
und Soldaten vor; nun sind dort noch 2 225 im Einsatz.
Damit sind derzeit weniger deutsche Soldatinnen und
Soldaten im Kosovo, als auch die jetzt vorgesehene
Mandatierung zulassen würde. Das ist ein gutes Zeichen.
Die Signale stehen so, dass wir davon ausgehen können,
dass bis zum Jahresende, wenn sich die Präsenz der Polizei und anderer Institutionen dort weiter erhöht haben
wird, eine weitere Reduzierung möglich ist.
({0})
Das festzuhalten ist, wie ich glaube, richtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will in diesem
Zusammenhang noch einmal Eulen nach Athen tragen.
Der Westbalkan liegt im Herzen Europas. In der Region
leben 22 Millionen Menschen, in der heutigen Europäischen Union 500 Millionen. Albanien, Mazedonien,
Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien, Montenegro
und schließlich dem Kosovo sind, wie wir wissen, auf
der Konferenz von Thessaloniki 2003 Perspektiven zur
Aufnahme in die Europäische Union eröffnet worden.
Nach nunmehr sechs Jahren halte ich persönlich es
für sinnvoll, noch einmal zu schauen, ob es nicht nach
Ratifizierung des Lissabon-Vertrages möglich wäre, einen weiteren Sondergipfel für diese Region durchzuführen.
({1})
Man hätte dadurch die Chance, die bis dahin stattgefundenen Entwicklungen, Konsolidierungen und Stabilisierungen der Demokratien in der Region zu würdigen. Sicherlich müsste man auch die neu entstandene Situation
aufgrund der Weltwirtschaftskrise berücksichtigen.
Sinnvoll wäre aber doch, ein neues verantwortungsvolles Gesamtkonzept zu erarbeiten, das alle 22 Millionen
Menschen in der Region einbezieht, und Beitrittsverhandlungen mit allen betroffenen Staaten mit dem Ziel
einzuleiten, nach Möglichkeit alle gleichzeitig aufzunehmen, unabhängig vom jetzigen Verhandlungsstatus. Die
Verhandlungen müssten bis dahin natürlich so weit gediehen sein, dass dann auch wirklich die Aufnahmekriterien erfüllt sind.
({2})
Es muss doch verhindert werden, dass sich die Staaten dort gegenseitig ausspielen und die EU gleich mit.
Ich glaube, hier müssen entscheidende Schritte gemacht
werden. Die EU und auch wir dürfen erwarten, dass die
Staaten in dieser Region gegenseitig ihre Souveränität
akzeptieren und Erpressungspotenziale nicht nutzen ({3})
ich sage das so deutlich insbesondere mit Blick auf Slowenien und Kroatien -, also nicht versuchen, die Prozesse der Heranführung ihrer Nachbarstaaten an die EU
zu stören oder gar aufzuhalten.
({4})
Zur guten Nachbarschaftspolitik in dieser Region gehört auch, ethno-nationalistische Gefühle nicht zu instrumentalisieren. Außerdem gehört dazu, wie ich meine,
Kroatien und Serbien die Befugnis zu entziehen, die
Pässe für kroatische oder serbische Bürgerinnen und
Bürger von Bosnien-Herzegowina auszustellen. Man
muss einmal klar sagen, dass wir auch hier einen anderen Stil erwarten.
({5})
Die EU sollte, um diesem Prozess zu neuem Schwung
zu verhelfen, im Gegenzug Reisefreiheit ermöglichen,
also vom momentanen Visaregime Abschied nehmen
und ein neues erlassen,
({6})
und die Vernetzung der dortigen Energie- und Verkehrsnetze mit denen der EU vorantreiben.
Die Parlamentarier sollten als Beobachter in das Europäische Parlament eingeladen werden, um Signale zu
setzen. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass wir die
Zusammenarbeit wollen und dass diese Länder in die
Europäische Union gehören. Möglicherweise muss man
aufgrund der Weltwirtschaftskrise noch besondere Programme entwickeln. Ich glaube, dass das Europäische
Parlament und die Europäische Kommission aufgerufen
sind, diesem Erweiterungsprozess, der dem Herzen Europas gilt, eine neue Dynamik zu verleihen.
({7})
Dies wird aller Voraussicht nach meine letzte Rede im
Deutschen Bundestag sein. Denn nach drei Wahlperioden werde ich nicht mehr kandidieren.
({8})
Ich muss dem Alter und der Familie Tribut zollen. Das
ist eine gute Gelegenheit, ein Stück weit darüber nachzudenken, dass das Bundestagsmandat, wie Sie alle wissen, eine besondere Herausforderung ist. Ich glaube
auch, dass es ein besonderes Privileg ist. Ich möchte
mich bei Ihnen für die erfahrene Kollegialität über Fraktionsgrenzen hinweg herzlich bedanken. Das war eine
besondere Erfahrung. Auch die liebenswerte Zusammenarbeit in der SPD-Fraktion war eine gute Erfahrung.
({9})
- Das habe ich doch gesagt: über Fraktionsgrenzen hinweg. Herr Leibrecht, ich werde die Zusammenarbeit mit
Ihnen vermissen, weil sie immer ein Vergnügen war.
Wir als Außenpolitikerinnen und -politiker haben in
unseren Arbeitsfeldern durch unsere Tätigkeit die besondere Chance, die gute Nachbarschaft in Europa, aber
auch den Respekt und die Anerkennung gegenüber
Deutschland weltweit erleben zu können. Ich glaube, es
ist immer wieder eine Herausforderung für uns alle, zu
wissen, dass der Wohlstand der Menschen unseres Landes und der Frieden abhängig von dem Wohlbefinden
des globalen Dorfes sind und auch davon, ob Frieden
und Verständigung überall erreicht werden und ob der
Interessenausgleich zwischen Nord und Süd gelingt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Unterausschuss „Vereinte Nationen“, lieber Kollege Leibrecht,
wir wissen sehr wohl, wie wichtig die multilateralen Instrumente und Institutionen sind. Meine herzliche Bitte
an die Kolleginnen und Kollegen, die weitermachen:
Vergessen Sie bitte diese multilaterale Verantwortung
und die Pflege dieser Institutionen nicht. Sie sind, wie
alles, unvollkommen, aber wir haben nichts Besseres,
was bei der Ausübung von globaler Verantwortungsbereitschaft für diese Welt zur Verfügung steht. Deswegen
bin ich sehr froh, dass ich in diesem Bereich mitwirken
konnte. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen,
die weitermachen, noch mehr Erfolg, als ich ihn möglicherweise hatte.
Vielen Dank.
({10})
Herr Dzembritzki, nehmen Sie den herzlichen Dank
des gesamten Hauses für die Arbeit, die Sie geleistet haben, entgegen und auch dafür, dass Sie einer derjenigen
sind, die immer auch einen Blick für andere weit über
unsere Grenzen hinaus haben. Herzlichen Dank!
({0})
Bevor ich die nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen mitteilen, dass es eine klare Ablehnung aller Anträge zum Thema „Rentenrecht“ gibt. Die genauen
Stimmverteilungen werden später im Stenografischen
Bericht öffentlich gemacht.
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Harald Leibrecht für die FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Lieber Detlef Dzembritzki, auch von der FDP-Fraktion
und von mir persönlich alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg. Ich danke Ihnen für die tolle Zusammenarbeit.
Es hat richtig Freude gemacht. Danke schön.
({0})
Die FDP-Bundestagsfraktion wird der Fortsetzung
der deutschen Beteiligung an der KFOR-Mission, über
die im Anschluss an diese Debatte abgestimmt wird, zustimmen. Ohne Zweifel besteht die Verantwortung der
internationalen Gemeinschaft und besonders Europas für
das Kosovo fort. Das gilt auch ein Jahr nach der Erklärung der Unabhängigkeit.
Die Erinnerung an das, was Ende der 90er-Jahre im
Kosovo passiert ist, ist auch heute noch sehr präsent. Ich
erinnere mich noch gut an 2003, als ich erstmals im Kosovo war.
Ich habe dort ein zerstörtes, geschundenes Land vorgefunden, ein Land, dessen Menschen einen schrecklichen Krieg hinter sich hatten, deren Leben von Hass,
Schrecken und Perspektivlosigkeit geprägt war. Viele
Häuser, ganze Dörfer waren zerstört, ihre Bewohner entweder tot oder auf der Flucht. Einstmals friedlich nebeneinanderlebende Serben und Albaner verabscheuten
sich. Die Felder und Weinberge konnten nicht bewirtschaftet werden, weil sie vermint waren. Schönste KulHarald Leibrecht
turgüter wie Klöster und Kirchen wurden angezündet
und zerstört. Die Lage damals war mehr als deprimierend.
Inzwischen hat sich die Sicherheitslage dank der hervorragenden Arbeit unserer Soldaten stark verbessert.
({1})
Doch noch ist die Lage nicht so stabil, dass sich die
KFOR-Soldaten der internationalen Gemeinschaft zurückziehen könnten. Aus diesem Grund stimmen wir, die
FDP, einer Verlängerung des Mandats mit reduzierter
Mannstärke zu. Wir Liberale begrüßen es, dass es darüber hinaus innerhalb der Bundesregierung inzwischen
Überlegungen gibt, die Truppenstärke zukünftig noch
weiter zu reduzieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle hier im
Haus bestätigen uns gegenseitig immer wieder, dass
Rechtsstaatlichkeit die erste und wichtigste Voraussetzung für ein funktionierendes staatliches Gebilde ist.
Das gilt ganz besonders für sogenannte Post-Conflict-Situationen, wie sie auf dem Balkan vorliegen. Deshalb ist
es strukturell betrachtet richtig, dass wir im Kosovo mit
der EULEX-Mission genau an dieser Stelle ansetzen.
Rechtsstaatlichkeit ist für das Kosovo überlebenswichtig. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir das Land eines Tages wirklich sich selbst werden überlassen können.
({2})
Die Probleme, die insbesondere im Norden des
Kosovo in den Gebieten mit serbischer Mehrheit bestehen, sind uns allen bekannt, und man darf sie nicht kleinreden. Genauso klar ist aber: Probleme in einem Teil des
Kosovo dürfen die Entwicklung im Rest des Landes
nicht aufhalten. Die Probleme, die zu lösen sind - insbesondere beim Kampf gegen organisierte Kriminalität
und Korruption und beim Aufbau einer selbsttragenden
wirtschaftlichen Entwicklung - bleiben gewaltig. Wir
müssen unseren Partnern im Kosovo immer wieder deutlich machen, dass Unabhängigkeit zuallererst ein hohes
Maß an Verantwortung bedingt. Dem müssen die Kosovaren gerecht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Aufmerksamkeit, die das Kosovo in der letzten Zeit - zu Recht bekommen hat, sind wir gut beraten, nicht etwa eine Balkanpolitik für das Kosovo zu schreiben, sondern umgekehrt eine Kosovo-Politik zu betreiben, die der Region
insgesamt zugutekommt. Wir müssen die Region insgesamt im Blick behalten. Das heißt nicht zuletzt, dass wir
versuchen müssen, die proeuropäischen Kräfte in Serbien zu unterstützen.
({3})
Es spricht in hohem Maße für die serbische Bevölkerung, dass sie sich in der politischen Auseinandersetzung
im eigenen Land mehrheitlich nicht hinter jene Kräfte
gestellt hat, die die Kosovo-Frage zur entscheidenden
nationalen Frage erheben wollten, sondern sich für die
Europäer im eigenen Land entschieden haben.
({4})
Diese proeuropäischen Kräfte müssen wir im Interesse
des Kosovos wie auch im eigenen Interesse unterstützen.
Diese Kräfte brauchen Erfolge; diese Erkenntnis war in
der Debatte, die in diesem Hohen Hause vor einem Jahr
geführt wurde, weit verbreitet. Inzwischen sind die Bemühungen in dieser Hinsicht ein wenig eingeschlafen
und sollten dringend intensiviert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwortung für das
Kosovo wird uns noch sehr lange erhalten bleiben.
Große Aufgaben gilt es zu bewältigen, nicht nur im
Kosovo selbst, sondern in der gesamten Region. Ich bin
zuversichtlich, dass uns dies mit Beharrlichkeit und Entschlossenheit aller Beteiligten gut gelingen wird.
Vielen Dank.
({5})
Philipp Mißfelder erhält jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich in dieser wichtigen Debatte
den Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz ausdrücklich unser aller Dank aussprechen, und zwar aus
folgendem Grund: Manch einer mag den Eindruck haben, dass die Verlängerung gerade dieses Mandats, weil
es jetzt zum wiederholten Male stattfinden wird, ein
Routinevorgang ist. Das ist es aus meiner Sicht nicht.
Der Einsatz ist nach wie vor gefährlich. Die Situation ist
für die Soldatinnen und Soldaten und gerade auch für
ihre Angehörigen sicherlich nicht einfach. Deshalb
möchte ich den Betroffenen an dieser Stelle als Erstes einen Dank aussprechen.
({0})
Wir werden heute in namentlicher Abstimmung erneut über eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung an
der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo abstimmen. Ich möchte zu Beginn meiner Rede die Position unserer Fraktion deutlich machen: Wir werden dieser Mandatsverlängerung zustimmen. 1999 wurde durch
die rot-grüne Bundesregierung und die damalige parlamentarische Mehrheit der fast schon historische Beschluss gefasst, sich auf dem Balkan zu engagieren - mit
Erfolg, wie man feststellen muss. Denn die Lage im
Kosovo ist deutlich besser geworden.
Besonders seit der Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar 2008 hat sich die Ent24614
wicklung positiv verstetigt. Erfreulich ist vor allem, dass
es an dem Tag, an dem sich die Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung jährte, weder zu einer Eskalation
der Situation noch gar zu einer Destabilisierung der militärischen oder politischen Lage gekommen ist. Vielmehr
liegt das Wirtschaftswachstum im Kosovo trotz der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise bei über 3 Prozent.
Das Kosovo ist mittlerweile Mitglied des Internationalen
Währungsfonds und hat deshalb Zugang zu Krediten.
Die Voraussetzungen für politische Stabilität sind positiv
zu beurteilen, da die ökonomische Stabilität weitaus besser ist, als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Insofern
ist dies ein großer Erfolg der Menschen im Kosovo, aber
natürlich auch derjenigen Freunde und Partner, die die
Menschen und die gemäßigten politischen Kräfte dort
unterstützen, also ein Erfolg derjenigen, die Truppen für
einen Einsatz im Kosovo bereitstellen.
Das Kosovo hat zudem eine Verfassung, die die Minderheitenrechte besonders der Serben ausdrücklich
schützt. Das ist natürlich eine Voraussetzung für politische Zusammenarbeit und lässt für die Zukunft hoffen.
Insbesondere durch die EULEX-Mission der Europäischen Union wird im Kosovo im Bereich der Polizei und
der Justiz mehr Rechtsstaatlichkeit aufgebaut. Gerade
dieser Aspekt ist neben dem militärischen Engagement
für unseren Ansatz sehr wichtig und lässt uns für die Zukunft optimistisch sein, dass die Situation im Kosovo
stabil bleibt. Die Sicherheit ist nicht akut gefährdet; aber
sie bleibt dennoch instabil. Deshalb ist dieses Engagement weiterhin notwendig.
In Gesprächen mit Menschen aus dem Kosovo, die im
Rahmen von Besuchergruppen einzelner Stiftungen zu
uns kommen, oder in Gesprächen anlässlich von Besuchen von Partnerorganisationen auf europäischer Ebene
stellt man immer wieder fest, dass die Spannungen zwischen den Volksgruppen keineswegs abgebaut sind,
selbst wenn jetzt Stabilität herrscht. Deshalb müssen wir
darauf achten, dass dieser Einsatz auch in Zukunft Erfolg hat und dass die Grundvoraussetzungen für Stabilität und Zusammenarbeit in dieser Region vorhanden
bleiben.
Die Verwirklichung von Rechtsstaatlichkeit und politischer Stabilität kann nur dann gelingen, wenn das
Kosovo eigene Erfolge hat. Deshalb ist es ein ganz besonders wichtiger Aspekt, dass eigene militärische
Kräfte aufgebaut werden. So ist es besonders erfreulich,
dass der Aufbau der Kosovo Security Force sehr weit
vorangeschritten ist und dass die professionelle Unterstützung beim Aufbau dieser Strukturen und bei der Beschaffung der Ausrüstung sehr stark an NATO-Standards
ausgerichtet ist. Das ist ein Vorteil für die Zukunft des
Kosovos.
Dass der Umfang dieses Engagements jedoch dauerhaft zurückgehen muss, dokumentieren wir in folgender
Weise: Wir reduzieren die Personalobergrenze von
8 500 auf 3 500 Soldatinnen und Soldaten. Aktuell sind
2 200 Männer und Frauen, die der Bundeswehr angehören, im Kosovo. Auch daran sieht man, dass unser Engagement auf Dauer - das ist die politische Aussage der
Reduzierung der Personalobergrenze - einen anderen
Umfang haben wird, als das noch vor einigen Jahren der
Fall war.
Für die Zukunft der Europäischen Union ist es von
entscheidender Bedeutung, dass auf dem Balkan Stabilität herrscht und die Entwicklung auf dem Balkan - innerhalb der einzelnen Länder, aber auch im Miteinander
der Staaten - so weit voranschreitet, dass Konflikte nicht
wieder auftreten können. Es ist wichtig, dass Deutschland einen Beitrag zur Entwicklung dieser Länder leistet,
und zwar in den aufgezeigten Bereichen: Aufbau der
Polizeigewalt, Aufbau der Rechtsstaatlichkeit und Aufbau eigener militärischer Strukturen. Eine Unterstützung
unsererseits ist weiterhin notwendig. Heute dokumentieren wir, dass dies kein leeres Versprechen ist, sondern
dass sich Deutschland auch in Zukunft stark engagieren
wird. Es ist keine Kleinigkeit, wenn wir heute beschließen, weiterhin deutsche Soldaten im Ausland zu stationieren.
Vielen Dank.
({1})
Die Kollegin Monika Knoche spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und
Damen! Ich vertrete die Position der Linken zum
Kosovo. Diese Position unterscheidet sich grundlegend
von allen anderen. Weder legitimieren wir im Nachhinein den Angriffskrieg auf Jugoslawien noch sehen
wir die politisch-rechtlichen Grundlagen, auf die sich
eine Verlängerung des KFOR-Einsatzes stützen könnte.
({0})
Rot-Grün - ich erinnere mich sehr gut - hat vor zehn
Jahren mit einem unerträglichen Auschwitz-Vergleich
und mit der Lüge vom Hufeisenplan
({1})
das emotionale Feld dafür bereitet, dass sich Deutschland erstmals nach 1945 wieder an einem Krieg beteiligten konnte. Das vergessen wir Linken nicht.
Die Menschenrechtsverbrechen der serbischen und
der kosovarischen Seite wurden als moralische Legitimation des Bombardements angeführt. In Rambouillet
wurde Rugova durch die UCK am Verhandlungstisch ersetzt und eben keine friedliche Lösung gefunden. Wir
haben dem Jugoslawien-Krieg damals entschieden widersprochen. Wir haben ihn abgelehnt und in der Folge,
im Februar 2008, auch die Abtrennung des Kosovos von
Serbien verurteilt.
({2})
Ich erinnere mich auch gut daran, dass die Gewaltbereitschaft auf der Seite der kosovarischen Nationalisten
ausschlaggebend in Ihrer Argumentation dafür war, die
Abtrennung von Serbien zu befürworten. Das entsprach
Ihrer Befriedungsstrategie. Das war und ist unverantwortlich und widerspricht dem europäischen Gedanken
der Vielvölkerstaatlichkeit.
({3})
Seither haben nur 60 Staaten der Welt dieses Territorialgebilde anerkannt.
({4})
Die Mehrheit der Staaten der Welt unterstützt Serbien
vor dem Internationalen Gerichtshof.
Wie man am Beispiel Südossetiens sieht, ist der Völkerrechtsbruch in Sachen Kosovo leider kein Einzelfall
geblieben. Es muss uns doch zu denken geben, dass man
die völkerrechtlichen Fragen so nachlässig behandelt
hat. Es ist falsch, den Völkerrechtsbruch dadurch fortzuschreiben, dass Deutschland weiterhin deutsche Soldaten im Kosovo einsetzt und sich an der KFOR beteiligt.
({5})
Ich hebe noch einmal hervor: Die UN-Resolution 1244
besagt, dass die Statusfrage des Kosovo offen ist. Es gilt
daher, bei jedem Engagement die Statusneutralität zu
wahren.
({6})
Warum sprechen Sie in diesem Haus nicht davon,
dass Spanien, das mit den Basken erhebliche Konflikte
austrägt, dass Griechenland, Zypern, Rumänien und die
Slowakei die Anerkennung des Kosovo strikt ablehnen?
Diese Länder können, wollen und werden eine Anerkennung des Kosovo nicht unterstützen. Wer also hat den
europäischen Konsens nicht hergestellt - diejenigen, die
auf die europäische Philosophie verweisen und auf eine
nichtethnische Separation drängen, oder jene, die sich
über die Völkerrechtsfragen hinweggesetzt haben? Als
es um Bosnien-Herzegowina ging, sind Sie noch für die
Multiethnizität eingetreten.
Die Autonomie für das Kosovo wäre die richtige Haltung gewesen und hätte auch eine einheitliche Haltung
Europas ermöglicht.
Spanien zieht nun die Konsequenzen und zieht seine
Truppen komplett ab. England zieht seine Truppen im
September ab. Nur Deutschland will bis zu 3 500 Soldaten dorthin beordern. Wir Linke fordern, dass Deutschland mit Spanien und England gleichzieht und die deutschen Soldaten abzieht.
({7})
Ich weise darauf hin, dass Deutschland gerade erst
durch die EULEX-Entscheidung von der UN noch einmal vor Augen geführt bekam, dass die UN das zivile
Engagement der EULEX weiterhin unter die Statusneutralität stellt. Wir sind also mit unserer Rechtsauffassung
nicht allein.
Ich sage aber auch: Die UN-Mission UNMIK und die
Militärpräsenz KFOR haben sich in den letzten Jahren
keine Lorbeeren verdient; denn der zivile Aufbau ist
wirklich nicht gestärkt worden. Es herrschen - das wissen alle, die sich damit beschäftigen - albanisch-kosovarische Clanstrukturen, in die Rechtsstaatlichkeit nicht
vordringt. Kriegsverbrechen können nicht hinreichend
geahndet, Verbrecher nicht vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verurteilt werden, weil Zeugen
sterben, umgebracht oder mundtot gemacht werden.
Mitrovica ist ein Beispiel dafür, dass Roma vertrieben
wurden und bis heute nicht wieder zurückkehren können
und auch dafür, dass serbische Flüchtlinge nicht wieder
in ihre Häuser zurückkehren können.
Ich sage hier wieder und wieder: Kosovo ist in
Europa der Dreh- und Angelpunkt des Drogen- und
Menschenhandels und Umschlagplatz für Zwangsprostitution von Frauen. Nach wie vor verabsäumt es die
Bundesregierung, gemäß der UN-Resolution 1325 die
Frauen am Aufbau der zivilen Ordnung zu beteiligen.
({8})
Die Menschenrechtsstandards werden bei der Vergabe
von Geldern an die Eliten im Kosovo ebenfalls nicht
zwingend angewandt. Ich bin der Meinung, der Westen
muss endlich mehr Mut zeigen, um die Machthaber im
Kosovo in ihre Schranken zu verweisen; denn die
Rechtsstaatlichkeit ist in Europa unteilbar.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Es sind viele politische und auch rechtliche Gründe,
die dazu geführt haben, dass wir die Zustimmung versagen werden.
({0})
Marieluise Beck ist die nächste Rednern für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Aufgrund dieser Selbstgerechtigkeit, mit der
Sie hier auftreten, Frau Knoche, stellen Sie sich natürlich
nie die Frage, wie viele Kosovo-Albaner heute überhaupt noch im Kosovo leben könnten oder würden,
wenn es die Intervention der KFOR nicht gegeben hätte.
({0})
Marieluise Beck ({1})
Ich möchte dem Kollegen Dzembritzki noch einmal
meinen Dank aussprechen. Sie haben uns hier ja den
Auftrag gegeben, nicht nur auf die einzelnen Länder auf
dem Balkan zu schauen, sondern auf die Region. Das
möchte ich sehr unterstützen.
Natürlich haben wir bei der Frage der europäischen
Perspektive, also der EU-Perspektive, einen Acquis,
aber wir sollten nicht vergessen, dass wir in ganz
schwieriges Fahrwasser kommen, wenn wir diese Länder nur einzeln betrachten. Unter anderem geht es - Sie
wissen, dass mir das besonders am Herzen liegt - um
Bosnien-Herzegowina. Diesem Staat hat die internationale Gemeinschaft eine Verfassung gegeben, die ihn
kaum lebensfähig macht. Wenn nun die Nachbarstaaten
Bosniens der EU beitreten können, aber Bosnien außen
vor bleibt - unter anderem auch, weil es durch uns eine
so schlechte Verfassung bekommen hat -, dann sollten
wir doch noch einmal an unsere Verantwortung denken.
Es geht um die Region und nicht nur um einzelne Länder, und wenn wir heute über das Kosovo und KFOR
sprechen, sprechen wir auch über die Region.
Deswegen möchte ich meinen Blick heute noch einmal auf Serbien richten. Wir wissen, dass weite Teile
Serbiens sich unendlich schwer damit tun, die Realität,
die mit der Unabhängigkeit des Kosovos geschaffen
worden ist, anzuerkennen. Und die Realität ist: Serbien
hat das Kosovo durch eigenes Zutun verloren. Nicht nur
hatte Milosevic in den 90er-Jahren ein brutales Apartheid-Regime gegenüber den Kosovo-Albanern errichtet,
ihnen die Autonomie genommen und auch noch Truppen
in Bewegung gesetzt, sondern dieses Regime hatte auch
in den Jahren zuvor gegen Teile seines eigenen Landes
und seiner eigenen Bevölkerung Krieg geführt, und
diese Aggression hatte ihren Preis.
({2})
Das Serbien von heute ist nicht mehr das Serbien von
Milosevic und Karadzic. Wir sollten anerkennen, dass
die Regierung in Belgrad ihren Blick in Richtung EU
richtet und sich Mühe gibt, auch den Blick der Bevölkerung dorthin zu lenken. Dennoch - das wissen wir - stecken Politik und Gesellschaft in dem bitteren Prozess,
sich mit ihrem historischen Erbe auseinanderzusetzen.
Wir wissen, dass von manchen Serben die Abtrennung des Kosovo als Demütigung Serbiens empfunden
wird. Aber es geht nicht um Demütigung und auch nicht
um Schuld, sondern um die Übernahme einer historischen - ich betone das - Verantwortung für vergangenes
Unrecht. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Bevölkerung und den radikalen Verführern in ihrem Land
wird der serbischen Politik nicht erspart bleiben. Deswegen ist es unerträglich - ich sage das heute noch einmal -,
dass der Schlächter von Srebrenica, General Mladic, immer noch in Serbien Unterschlupf finden kann.
({3})
In Deutschland weiß man, was es bedeutet, einen Teil
des eigenen Staatsgebietes, des eigenen Landes zu verlieren. Hier hat es Jahrzehnte gedauert, bis dies von der
Mehrheit der Gesellschaft und der Politik akzeptiert
worden ist. In Deutschland weiß man, dass es deutsches
Verschulden war, das zu diesem Verlust geführt hatte.
Diese eigenen Erfahrungen und Kenntnisse sollten wir in
den Umgang mit unseren Gesprächspartnerinnen und
Gesprächspartnern in Serbien einfließen lassen.
Manches deutet darauf hin, dass von den radikalen
Kräften in Serbien nach wie vor mit dem Gedanken gespielt wird, zumindest den Norden Mitrovicas aus dem
Kosovo faktisch herauszulösen. Wir müssen Belgrad
sehr deutlich machen: Eine Teilung des Kosovos wird
vom Westen nicht akzeptiert. Man bedenke nur, welche
Büchse der Pandora aufgemacht würde, wenn das Kosovo von einem multiethnischen Staat in einen ethnisch
sortierten überführt werden würde. Die Zukunft des Presevo-Tals in Serbien und die Teilung Bosniens stünden
als Nächstes auf der Tagesordnung. Wir alle wissen das.
Dieselbe Botschaft geht an die Regierung in Pristina,
die unsere Unterstützung nur dann erwarten kann, wenn
sie mit aller Kraft die serbische Minderheit integriert und
versucht, sie zu halten, sich also wirklich bemüht, allen
Menschen jeder Herkunft und jeder Religion in ihrem
Land Raum zu geben. Eine klare Botschaft darf allerdings keiner Belgrader Regierung erspart bleiben: Wer
in Belgrad der Bevölkerung weismacht, der Weg in die
EU und eine Blockade bei der Kosovo-Frage wären miteinander vereinbar, streut der serbischen Bevölkerung
Sand in die Augen.
({4})
Wir beschließen heute noch einmal die Verlängerung
des KFOR-Mandats, weil wir wissen, dass ein Konflikt,
wenn er erst einmal ausgebrochen ist und sich ausbreiten
konnte, fürchterliche und tiefe Gräben und Wunden hinterlässt, die nur schwer zu heilen und zu schließen sind.
Die Lektion der Balkan-Kriege lautet: Nichts ist schlimmer, als wenn Aggression offen wüten kann. Frau Knoche, wenn die Wunden erst einmal sehr tief sind, ist die
Versöhnung extrem schwierig. Deswegen lohnt sich jede
präventive Maßnahme. Dazu gehört der KFOR-Einsatz.
Daher stimmt Bündnis 90/Die Grünen diesem Einsatz
zu.
Schönen Dank.
({5})
Die Kollegin Uta Zapf hat jetzt das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit zehn Jahren stehen die KFOR-Truppen im Kosovo.
Das Gespenst des Krieges wurde gebannt - das hat
Frank-Walter Steinmeier bei der Einbringung des AntraUta Zapf
ges gesagt. Das Gespenst mag gebannt sein. Dennoch
wissen wir, dass auf KFOR noch nicht verzichtet werden
kann. Es wird sicherlich zu Truppenreduzierungen kommen; das ist schon erwähnt worden. Wir sollten aber vorsichtig sein; denn auch die Unruhen vom März 2004
sind noch nicht vergessen.
Ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung haben
60 Staaten das Kosovo anerkannt. Allerdings ist das unabhängige Kosovo alles andere als vollkommen souverän, die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates gilt
nach wie vor - sie wurde durch keine neue Entscheidung
abgelöst -, und UNMIK vertritt das Kosovo in internationalen Organisationen.
Dass die Situation immer ein bisschen in Bewegung
ist, sieht man daran, dass 44 Staaten, die offensichtlich
für den Beitritt zum IWF gestimmt haben, bisher noch
nicht ihre Anerkennung ausgesprochen haben und dass
Russland in die Kontaktgruppe zurückgekehrt ist. Ich
glaube, wir brauchen noch Geduld. Es geht zwar nur
langsam voran, aber es wird eine Lösung geben. Ich
glaube, im Hinblick auf diese Lösung ist die europäische
Perspektive des Kosovo, aber auch des gesamten Westbalkans von sehr großer Wichtigkeit. Auch für Serbien
ist sie wichtig, und die Serben wissen das.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste Jahrestag
der Unabhängigkeit wurde gefeiert, und er verlief friedlich. Dass an der Sondersitzung des Kosovo-Parlaments
weder die serbischen Abgeordneten noch die Abgeordneten der anderen Minderheiten teilnahmen, zeigt, dass
noch viel getan werden muss, um die Serben, die Albaner und die anderen Minderheiten zu einem friedlichen
Zusammenleben zu führen.
Der KFOR-Einsatz wurde vor zehn Jahren beschlossen. Zehn Jahre, das ist eine unendlich lang erscheinende
Zeit. Die Entscheidung zum Einsatz der KFOR als
Schutztruppe, um ein Aufflammen von Kämpfen zwischen albanischen und serbischen Gruppen zu verhindern und die serbische Bevölkerung zu schützen, war als
logische Folge des Eingreifens der NATO nicht das
größte Problem. Der vorherige Beschluss, an der völkerrechtlich umstrittenen Intervention teilzunehmen, war
allerdings eine quälende und schwere Entscheidung. Ich
glaube, niemand von uns hat sie sich leicht gemacht.
({0})
Warum haben wir damals geholfen? Warum haben
wir diese Entscheidung getroffen? Die Vertreibungen
und der Mord an der albanischen Bevölkerung, die unendlichen Flüchtlingsströme und die Lage in Mazedonien, die wir jeden Tag im Fernsehen verfolgt haben,
machten deutlich, dass ein Verbrechen an der eigenen
Bevölkerung begangen wurde. Die völkerrechtliche Legitimität des Eingreifens der NATO war umstritten, obwohl - ich sage deutlich: obwohl - die UNO die Vertreibungen, die Menschenrechtsverletzungen und die
Verbrechen in Jugoslawien ausdrücklich als Bedrohung
des Weltfriedens bezeichnet hat.
Hier prallen zwei völkerrechtliche Prinzipien aufeinander, die bis heute in einem ungelösten Widerspruch
zueinander stehen: die Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten eines souveränen Staates und die Verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft,
Menschenrechte zu schützen und ethnische Vertreibungen sowie Genozid nicht untätig hinzunehmen.
„The Responsibility to Protect“, die Schutzverantwortung der Staaten, lautete der Titel des Berichts einer internationalen Kommission vom Dezember 2001, in dem
sie sich mit der Staatssouveränität und dem Recht oder
der Pflicht zur Intervention auseinandersetzte. Die umstrittene Intervention im Kosovo veranlasste Kofi Annan,
die internationale Staatengemeinschaft im Jahre 1999 und
dann noch einmal im Jahre 2000 aufzufordern, in dieser
Frage einen Konsens zu finden. Ich zitiere Kofi Annan:
Wenn humanitäre Interventionen in der Tat ein unakzeptabler Anschlag auf die Souveränität sind, wie
sollen wir dann auf Ruanda, auf Srebrenica antworten - auf schlimme und systematische Verletzungen
der Menschenrechte, die jede Vorstellung unserer
Humanität verletzen?
Bis heute gibt es keine schlüssige Antwort auf diese
Frage von Kofi Annan.
Nach Ruanda und Srebrenica sehen wir in Darfur im
Sudan und in Simbabwe hilflos zu, wie Regierungen ihre
Schutzpflicht gegenüber der eigenen Bevölkerung grob
vernachlässigen, internationale Konventionen verachten,
Menschenrechte mit Füßen treten, Vertreibung, Mord
und Genozid zulassen oder auch ausüben.
Im Jahre 2004 legte das High Level Panel on Threats,
Challenges and Change einen Bericht mit dem Titel
„Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung“ vor. Diesem Bericht folgte ein Bericht des Generalsekretärs mit dem Titel „In größerer Freiheit: Auf dem
Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten
für alle“.
In allen diesen drei Berichten - inklusive der
„Responsibility to Protect“ - hat man sich genau mit dieser Diskrepanz auseinandergesetzt. Es wurden auch Vorschläge zur Lösung gemacht, die dann eine völkerrechtliche Grundlage sicherer Art werden. In allen Berichten
wird aus der Verpflichtung der souveränen Staaten, seine
eigenen Bürgerinnen und Bürger vor Not, Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung und Genozid zu schützen, die Verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft zur Intervention abgeleitet, sollte dieser Staat
nicht in der Lage oder willens sein, dieser Schutzpflicht
nachzukommen.
Drei Grundsätze wurden aufgestellt:
Erstens. Prävention. Die Mittel haben wir, aber sie
funktionieren noch nicht in ausreichendem Maße.
Zweitens. Die Verantwortung, zu handeln. Dies muss
notfalls mit Zwangsmaßnahmen und im Falle der Ultima
Ratio mit militärischen Mitteln geschehen.
Drittens. Die Verantwortung für den Wiederaufbau,
für die Beseitigung der Ursachen der Konflikte und für
die volle Unterstützung bei der Versöhnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles haben wir
im Kosovo getan. Wir tun dies noch, und wir werden
dies so lange tun, bis die Region befriedet ist. Eines haben wir noch nicht geleistet, nämlich die unaufgelöste
Spannung zwischen der Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten eines Staates und unserer „Responsibility to Protect“ aufzulösen.
Ich wünsche mir von Herzen, dass wir diese Diskussion endlich vertieft und ohne Eifer und Zorn hier in diesem Hause führen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Robert Hochbaum spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Manche mögen sich noch erinnern können: Es
sind jetzt fast auf den Tag genau zehn Jahre, seitdem sich
Deutschland am Einsatz im Kosovo beteiligt. Am
11. Juni 1999 hat der Deutsche Bundestag das KosovoMandat im Rahmen der NATO-Mission zum ersten Mal
beschlossen.
Sicherlich war dies damals wie heute für alle keine
einfache Entscheidung. Die Tatsachen aber, die man im
Kosovo vorfand, sprachen eine eindeutige Sprache - ich
glaube, das haben Sie, werte Frau Knoche, vergessen -:
({0})
1,4 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, 1,8 Millionen
obdachlose Menschen, Massenhinrichtungen, Massenvergewaltigungen und brutalste Waffengewalt waren an
der Tagesordnung. Der damalige Kommandeur im Kosovo, General Fritz von Korff, beschrieb die Lage gegenüber Journalisten mit den Worten: Es gibt keine innere Ordnung, es gibt nur Hass.
Heute entscheiden wir zum elften Mal darüber, ob wir
unser Engagement im Kosovo fortführen. In diesen Tagen
hören wir von einer Lage, die sich zumindest im Vergleich
zu der von damals deutlich verbessert hat. Selbst die Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 und die
damit verbundenen düsteren Prognosen führten zu keiner Eskalation und auch nicht zu einer deutlichen Destabilisierung der Lage im Land.
Gegenwärtig erkennen 60 Staaten, darunter zum Beispiel auch Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, die Unabhängigkeit des Kosovos an. Das ist für
mich und wohl auch für Sie ein Zeichen, dass die beteiligten Regierungen nicht auf Konfrontation, sondern auf
Kooperation setzen. Es ist auch ein deutliches Zeichen
für die Menschen vor Ort, liebe Frau Knoche. Sie werden dadurch ermuntert, aufeinander zuzugehen, sich die
Hände zu reichen und sich zu versöhnen.
Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Demokratisierung ist das Inkrafttreten der kosovarischen Verfassung im vergangenen Jahr. Sie ist das Fundament für
Rechtsstaatlichkeit und daher von enormer Wichtigkeit
für die Menschen im Land. Ihr Zustandekommen stellt
einen wesentlichen Baustein aller internationalen und
kosovarischen Bemühungen zur Friedenssicherung dar.
Wenn wir Vergangenheit und Istzustand im Kosovo
miteinander vergleichen, dann ist augenscheinlich, dass
der Einsatz der NATO und damit der Einsatz unserer
Bundeswehr zu weitestgehend stabilen Verhältnisse im
Kosovo beigetragen haben.
({1})
Ohne diesen Einsatz wäre keine Stabilisierung des
Landes möglich gewesen. Deutschland hat dazu einen
nicht unerheblichen Beitrag geleistet. Mit bisher insgesamt über 100 000 Soldatinnen und Soldaten konnte der
Auftrag, im Kosovo ein rechtsstaatliches und demokratisches Umfeld herzustellen, inzwischen schon in großem
Umfang erfüllt werden.
Auch wenn es hier und anderswo schon öfters angeklungen ist, so möchte ich es an dieser Stelle gerne wiederholen; weil ich denke, dass es nicht oft genug gesagt
werden kann: Allen beteiligten Soldatinnen und Soldaten gebührt unser Dank. Sie stehen für Frieden, Freiheit
und Demokratie im Kosovo und für eine friedliche Perspektive in ganz Europa.
({2})
Die Fortschritte, die das Kosovo hin zu einer friedlichen Entwicklung gemacht hat, sind beachtlich. Dennoch steht es - man darf da nicht blauäugig sein - vor
Herausforderungen, die nicht zu unterschätzen sind und
von uns ernst genommen werden müssen.
So muss beispielsweise die sehr junge Verfassung von
den dort lebenden Menschen - und zwar von allen - erst
noch in vollem Umfang angenommen werden. Sie muss
gelebt und verinnerlicht werden.
Ein weiteres Problem stellt der wirtschaftliche Aufbau des Landes dar. In Zeiten der weltweiten Finanzund Wirtschaftskrise ist dies kein leichtes Unterfangen
und benötigt - wie zurzeit überall auf dieser Welt - ökonomisches Fingerspitzengefühl.
Aber auch die Sicherheitsstrukturen müssen noch
weiter entwickelt und ausgebaut werden. Mit EULEX,
der Rechtsstaat- und Polizeimission Europas, und dem
Aufbau der Kosovo Security Force ist man gut vorangekommen. Es wurden schon viele Sicherheitskräfte ausgebildet. Weitere - und zwar sehr viele - befinden sich
in der Ausbildung. Dies gilt es weiter fortzuführen und
zu unterstützen. Nur effektive Sicherheitsstrukturen soRobert Hochbaum
wie rechtsstaatliche Instrumentarien sind Garanten für
einen fortwährenden Frieden.
Die Entwicklung mit EULEX und der Kosovo Security Force lässt die Gewährleistung der Sicherheit in Eigenverantwortlichkeit der kosovarischen Kräfte in greifbare Nähe rücken. Damit sind wir auf dem richtigen
Weg, was im Übrigen auch die heute zur Debatte stehende Reduzierung der Truppenstärke ermöglicht hat.
Aber - das ist entscheidend - der Aufbau der Sicherheitsstrukturen und die Ausbildung der Polizei- und
Militärkräfte müssen mit Geduld, höchster Gewissenhaftigkeit und vor allem Nachhaltigkeit vollzogen werden.
Es wäre ein Kardinalfehler und äußerst fatal, Erreichtes
durch zu schnelles und unüberlegtes Handeln zu gefährden und somit eine mögliche Destabilisierung einer ganzen Region hervorzurufen. Das zarte Pflänzchen der Stabilität im Kosovo muss weiter gesichert, gefestigt und
ausgebaut werden. Forderungen nach einem schnelleren
bzw. gänzlichen Rückzug unserer Truppen sind dabei
wenig zielführend und meiner Meinung nach verantwortungslos.
({3})
Wenn wir heute - ich hoffe, mit großer Zustimmung
des Hauses - die weitere friedliche Entwicklung des Kosovos unterstützen, dann tun wir dies nicht gegen den
Wunsch der Kosovaren. Unmissverständlich hat auch
der dortige Präsident Sejdiu mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass die Unterstützung der KFOR gewünscht, gewollt und willkommen ist. Unterstützen wir ihn, vor allem aber die Menschen im Kosovo bei ihrem Streben
nach Frieden, Freiheit und Demokratie!
Herzlichen Dank.
({4})
Damit schließe ich die Aussprache.
Ich komme kurz zurück auf die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b. Ich hatte Ihnen schon mitgeteilt, dass
die Schriftführerinnen und Schriftführer für den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/7035 und die Anträge auf
den Drucksachen 16/7019 bis 16/7034 eine Mehrheit
von Neinstimmen festgestellt haben. Es ist noch zu sagen, dass damit der Gesetzentwurf in zweiter Lesung sowie die 16 Anträge der Fraktion Die Linke abgelehnt
sind.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 52
nein: 513
enthalten: 1
Ja
FDP
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({0})
({1})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({4})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({5})
Dirk Fischer ({6})
Axel E. Fischer ({7})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({8})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({9})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({10})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({11})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({12})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({13})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({14})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({15})
Stefan Müller ({16})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Katherina Reiche ({17})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({18})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({19})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({20})
Andreas Schmidt ({21})
Ingo Schmitt ({22})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({23})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({24})
Gerald Weiß ({25})
Karl-Georg Wellmann
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({26})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({27})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({28})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({29})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({30})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({31})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({32})
Frank Hofmann ({33})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({34})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({35})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({36})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({37})
Michael Müller ({38})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({39})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({40})
Michael Roth ({41})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({42})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({43})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({44})
Silvia Schmidt ({45})
Renate Schmidt ({46})
Heinz Schmitt ({47})
Carsten Schneider ({48})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({49})
Swen Schulz ({50})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({51})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({52})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({53})
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({54})
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({55})
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({56})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({57})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({58})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Markus Kurth
Undine Kurth ({59})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({60})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({61})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Enthalten
CDU/CSU
Uda Carmen Freia Heller
Ich komme jetzt zur Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/13204 zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
deutschen Beteiligung an der internationalen Sicher-
heitspräsenz im Kosovo. Hierzu liegt eine Erklärung nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung der Kollegin Waltraut
Wolff vor.1) Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf
Drucksache 16/12881 zuzustimmen. Es ist namentliche
Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen
1) Anlage 11
einzunehmen. - Sind jetzt alle Urnen besetzt? - Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Das scheint nicht der
Fall zu sein.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen
später bekanntgegeben.2)
2) Ergebnis Seite 24623 D
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir setzen die Abstimmungen fort.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/13224. Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
Fraktion Die Linke und CDU/CSU gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP
abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 16/13105 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes ({1})
- Drucksache 16/12280 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 16/13217 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Gisela Piltz
Wolfgang Wieland
b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/12279 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/13107 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes
für Flugsicherung und zur Änderung und
Anpassung weiterer Vorschriften
- Drucksache 16/11608 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
- Drucksache 16/13213 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Königshofen
Jan Mücke
Winfried Hermann
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Mücke,
Horst Friedrich ({5}), Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Zukunft der Flugsicherung verfassungskonform gestalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothée
Menzner, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Deutsche Flugsicherung europarechtlichen
Rahmenbedingungen anpassen
- Drucksachen 16/7133, 16/3803, 16/11168 Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer
Zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Art. 87 d des Grundgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher
Vorschriften liegen ein Änderungsantrag der Fraktion
der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke vor. Über den von den Fraktionen der CDU/CSU
und SPD sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
werden wir später in dritter Beratung namentlich abstimmen. Ich mache darauf aufmerksam, dass zur Annahme
dieses Gesetzentwurfs die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erforderlich ist.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Uwe Beckmeyer, SPD-Fraktion.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In dieser Legislaturperiode befassen wir uns mit
dem zur Diskussion stehenden Thema das zweite Mal.
Ich bin überzeugt, dass unser Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes auch das positive Votum
des Bundespräsidialamtes finden wird.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union streben
eine engere Zusammenarbeit im Luftverkehr an. Ziel der
Kooperation ist, die Verkehrsströme auch in der Luft effektiver zu organisieren. Während wir am Boden mit
dem Schengen-Abkommen zwischen den europäischen
Staaten die Freizügigkeit von Personen- und WarenverUwe Beckmeyer
kehr verwirklicht haben, leisten wir uns am Himmel
noch immer nationale Kleinstaaterei. Flugzeuge müssen
an den nationalen Grenzen bei der jeweiligen Flugsicherungsorganisation im grenznahen Raum teilweise im Minutentakt an- und wieder abgemeldet werden. Das
zwingt vielfach dazu, das Flugziel nicht auf direktem
Weg anzusteuern, sondern Umwege in Kauf zu nehmen.
Das bedeutet einen erhöhten Kerosinverbrauch, erhöht
die Flugkosten und verteuert damit die Preise für den
Verbraucher. Auch die CO2-Emissionen steigen unnötigerweise.
Im Jahr 2004 hat die Europäische Union mit einem
ersten Verordnungspaket die Errichtung eines einheitlichen europäischen Luftraums - Single European Sky beschlossen. Damals wollte man - wir wollen das weiterhin - Flugtrassen optimieren und die Schadstoffemissionen der Flugzeuge reduzieren. In grenzüberschreitenden Luftraumblöcken ist nun eine Zusammenarbeit der
nationalen Flugsicherungsorganisationen der europäischen Mitgliedstaaten vorgesehen.
Ohne den Beschluss der vorliegenden Gesetzentwürfe
kann sich Deutschland nicht aktiv an der Ausgestaltung
eben dieses Single European Sky und an der Gründung
eines einheitlichen Luftraumblocks zwischen Belgien,
Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden
und der Schweiz beteiligen. Das wäre ein fatales Zeichen in Richtung Brüssel, und das wäre ein fatales Zeichen für die Umwelt. Im Herbst stehen weitere
Beschlüsse der Europäischen Union an, die für die Mitgliedstaaten gerade in diesem Zusammenhang von großer Wichtigkeit sind, die unmittelbar geltendes Recht
sein werden und die Mitgliedstaaten auch zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit in Europa im Luftverkehr
zwingen werden. Im grenznahen deutschen Luftraum und
an Regionalflughäfen sind schon heute aus praktischen
Gründen ausländische Flugsicherungsorganisationen wie
Austro Control tätig. Die regionalen Gegebenheiten im
Verlauf der Grenzen zu unseren Nachbarstaaten lassen es
im Sinne einer lückenlosen Luftraumüberwachung nicht
zu, dass die Tätigkeiten von Flugsicherungsorganisationen jeweils an den nationalen Grenzen enden. Der
Bundespräsident hat ja - er hat das 2006 in seiner Begründung zur Nichtausfertigung des vom Deutschen
Bundestag beschlossenen Gesetzes zur Neuregelung der
Flugsicherung deutlich gemacht - verfassungsrechtliche
Bedenken geltend gemacht.
Europäische Vorgaben zur Trennung von Aufsicht
und Durchführung der Flugsicherung durch die Errichtung eines Bundesamtes für Flugsicherung werden wir
ebenfalls umsetzen. Jede Tätigkeit im Bereich Flugsicherung in Deutschland steht zukünftig unter der Aufsicht des Staates, vertreten durch das neu zu errichtende
Bundesamt für Flugsicherung.
Mit der Grundgesetzänderung wird geregelt, dass die
Luftverkehrsverwaltung in Deutschland eine hoheitliche
Aufgabe des Bundes bleibt, jedoch auf dem Wege der
Beleihung auch in mittelbarer Bundesverwaltung ausgeübt werden kann.
({0})
Diese Klarstellung in der Verfassung ist notwendig, da der
Bundespräsident im Jahr 2006 verfassungsrechtliche Bedenken geäußert hat, ob die seit Jahren geübte Praxis der
Beleihung der Deutschen Flugsicherung von der bisherigen Formulierung im Grundgesetz gedeckt ist. Wir kommen also dieser Anregung des Bundespräsidenten nach.
Wir schreiben mit dem Gesetz zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften fest, dass auch in Zukunft die
Deutsche Flugsicherung die bestimmende Flugsicherungsorganisation in Deutschland bleiben wird, und das
als zu 100 Prozent bundeseigene Institution. Eine Privatisierung ist ausgeschlossen. In grenznahen Bereichen
schaffen wir die rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass
durch Kooperation auch ausländische Flugsicherungsorganisationen, allerdings nur als Unterauftragnehmer der
Deutschen Flugsicherung, tätig werden können.
Herr Kollege Beckmeyer.
Ich komme zum Schluss, meine liebe, verehrte Präsidentin.
({0})
Ich will am Ende noch eines sagen. Wir haben nach der
Anhörung diverse Vorschläge, zum Beispiel der Gewerkschaft der Flugsicherung in Bezug auf den Erhalt
der Erlaubnispflicht für flugtechnisches Personal, mit
aufgenommen, auch mit Blick auf die Sicherheitsstandards.
Herr Kollege Beckmeyer, Sie reden jetzt auf Kosten
Ihrer nachfolgenden Kollegen.
({0})
Noch ein letzter Gedanke: Wir werden uns bei der
Umsetzung der jeweiligen Errichtungsgesetze zum Beispiel auch die Zuweisung von Personal und die Dienstvorgesetztenbefugnisse der Deutschen Flugsicherung
anschauen.
Herzlichen Dank. - Ich bitte um Entschuldigung, verehrte Frau Präsidentin.
({0})
Sie müssen sich bei Ihren Kollegen entschuldigen,
nicht bei mir.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 7 zurück und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen
Sicherheitspräsenz im Kosovo bekannt: abgegebene
Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 503, mit Nein haben gestimmt 54, Enthaltungen 8. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 565;
davon
ja: 503
nein: 54
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({1})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Andreas Jung ({6})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({8})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({23})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({24})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({35})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Michael Roth ({37})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({38})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({39})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({40})
Silvia Schmidt ({41})
Renate Schmidt ({42})
Heinz Schmitt ({43})
Carsten Schneider ({44})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({47})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({50})
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({51})
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({52})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({53})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({54})
Thilo Hoppe
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({55})
Markus Kurth
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({56})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({57})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
({58})
Dr. Peter Gauweiler
Willy Wimmer ({59})
SPD
Gregor Amann
Petra Hinz ({60})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
FDP
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Dr. Martina Bunge
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Wolfgang Nesković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({61})
({62})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
SPD
Waltraud Wolff
({63})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Dr. Anton Hofreiter
Monika Lazar
Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege
Jan Mücke, FDP-Fraktion.
({64})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut, möchte
man meinen. Nachdem wir uns mit dem Prozess der Privatisierung der Flugsicherung seit 1990 beschäftigen,
haben wir heute den schönen Zustand, dass wir uns zumindest ganz überwiegend einig sind, heute diese
Grundgesetzänderung zu beschließen.
Dies geschieht aus zwei Gründen:
Erstens. Wir wollen es der Deutschen Flugsicherung
ermöglichen, in Europa tätig zu werden. Die beste Flugsicherung der Welt hat auch einen europäischen Anspruch. Es ist gut, dass wir die verfassungsrechtlichen
Voraussetzungen für funktionale Luftraumblöcke in
Europa schaffen.
({0})
Damit wird es möglich sein, in Europa von Punkt zu
Punkt zu fliegen.
Es ist doch nicht normal, dass wir in der Luft aufgrund von nationalen Flugsicherungsgrenzen mehrere
Umwege fliegen müssen, sodass beispielsweise ein
Flugzeug auf einem Flug von Madrid nach Frankfurt
praktisch ein Drittel der Flugstrecke zusätzlich unterwegs ist, um nationale Flugsicherungsgrenzen zu umgehen. Das ist keine vernünftige Politik.
Dies ist umso unvernünftiger, weil wir CO2 einsparen,
mit den knappen natürlichen Ressourcen sparsam umgehen und Zeit sparen wollen und auch das Fliegen langfristig erschwinglich bleiben soll. Deshalb ist es ganz
wichtig, dass wir heute diese Änderung des Grundgesetzes und die Ausführungsgesetze, die mit zu diesem Paket gehören, beschließen.
({1})
Zweitens. Wir haben seit über 50 Jahren in den
Grenzgebieten von Deutschland einen quasi rechtswidrigen Zustand - das ist für die FDP-Fraktion ein zwingender Grund, zu handeln -; denn dort gilt nicht das, was in
Art. 87 d des Grundgesetzes steht, dass nämlich die
Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung zu
erfolgen hat. Skyguide, Austro Control und einige andere Flugsicherungsorganisationen gehören eben nicht
zur bundeseigenen Verwaltung. Deshalb besteht dringender Bedarf, hier die Rechtslage zu ändern, um den
bestehenden technischen Möglichkeiten Rechnung zu
tragen.
Ich möchte ganz klar sagen, dass dieses Gesetzespaket, das heute zur Abstimmung im Deutschen Bundestag
steht, keine Lex Skyguide ist, obwohl ich weiß, dass der
eine oder andere Kollege das möglicherweise so sieht.
Das Gegenteil ist richtig: Nicht nur die Schweiz ist darauf angewiesen, dass wir rechtmäßige Zustände schaffen, sondern umgekehrt sind wir als Europäer genauso
darauf angewiesen, mit der Schweiz zu kooperieren,
wenn wir funktionale Luftraumblöcke und damit Punktzu-Punkt-Flugverbindungen in Europa schaffen wollen.
({2})
Im Gegenzug muss es möglich sein, dass wir über
Schweizer Territorium fliegen. In Europa müssen wir
auf Flügen, beispielsweise von Großbritannien oder Holland nach Italien oder von Südfrankreich nach Deutschland, den Schweizer Luftraum nutzen können. Deshalb
ist das, was wir heute hier beschließen, ein Geben und
Nehmen zugleich.
Die Regelungen, die vorgeschlagen werden, finden
bis auf das Gesetz zur Änderung luftverkehrsrechtlicher
Vorschriften unsere Zustimmung. Es ist ganz klar: Wenn
eine Flugsicherungsorganisation vom Staat mit der Aufgabe der Flugsicherung beliehen wird, dann muss es dafür eine staatliche Aufsicht geben. Das sehen auch wir
Liberale so. Dennoch gehen wir davon aus, dass der
ganz überwiegende Teil von Flugsicherungstätigkeiten
keine hoheitlichen Tätigkeiten originärer Art sind, sondern dass diese Tätigkeit eine Dienstleistung ist.
Das sieht im Übrigen auch die Europäische Union so.
Deshalb macht die Europäische Union keine Vorschriften, ob Flugsicherung zwingend staatlich oder supranational organisiert werden muss, sondern die Europäische Union geht davon aus, dass das auch privat erfolgen
kann. Genau deshalb können wir dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften
nicht zustimmen.
({3})
Mit diesem Gesetzentwurf soll ausgeschlossen werden, dass die DFS als momentan noch zu 100 Prozent im
Eigentum des Bundes befindliches Unternehmen jemals
etwas an diesen Eigentumsverhältnissen ändern kann.
Das halten wir für nicht richtig; denn wir wollen auch
bei der Flugsicherung mehr Wettbewerb erreichen und
damit bessere Leistungen ermöglichen.
Die Deutsche Flugsicherung bestätigt im Übrigen
diese unsere Ansicht; denn sie hat, seitdem sie in privater Rechtsform geführt wird, eine gute Leistungsbilanz
vorgelegt. Darauf können wir mit Recht stolz sein.
({4})
- Lieber Herr Kollege Benneter, ich will Ihnen dazu einmal eine Zahl nennen.
({5})
Die DFS macht für jedes Jahr eine Aufstellung darüber,
wie viele aller Flüge pünktlich ankommen. Anfang der
90er-Jahre oder in den 80er-Jahren haben wir katastrophale Verspätungszeiten gehabt, und das bei weniger
Flugbewegungen. Heute finden in Deutschland und in
Europa sehr viel mehr Flüge statt, und trotzdem liegt die
Pünktlichkeit bei 97,7 Prozent. Das ist eine ganz tolle
Leistung.
({6})
Wir wollen, dass die Deutsche Flugsicherung auch
langfristig auf festen Grundlagen steht, dass sie gut arbeiten kann, dass sie international tätig werden kann.
Wir wollen vor allen Dingen erreichen, dass wir in Europa CO2 einsparen. Dieses Instrument ist viel wichtiger
als beispielsweise die komplizierte Einführung von
Emissionshandelssystemen, und es kann sofort eingeführt werden und führt auch sofort zu Ergebnissen. Deshalb werden wir als FDP-Bundestagsfraktion heute der
Grundgesetzänderung und auch der Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung zustimmen.
({7})
Wir wollen allerdings nicht, dass eine Privatisierung
über das Luftverkehrsgesetz ausgeschlossen wird.
({8})
Es bleibt unser langfristiges Ziel, dass die DFS auch privat geführt werden kann.
Hinzu kommt, dass wir uns auf das verlassen, was uns
die Verfassungsressorts bei der Behandlung der Gesetzesvorlage gesagt haben: Die Verfassungsressorts gehen
davon aus, dass die Deutsche Flugsicherung auch mit
der jetzt vorliegenden Formulierung der Änderung des
Grundgesetzes zu einem späteren Zeitpunkt privatisiert
werden kann. Das ist auch der Grund für uns, weshalb
wir hier zustimmen können.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Königshofen, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wer Mitte des
19. Jahrhunderts von Berlin nach Lissabon mit der Kutsche fuhr,
({0})
hatte viele Grenzen zu überwinden, Kontrollen über sich
ergehen zu lassen und war froh, wenn er irgendwann ankam. Heute können Sie mit dem Wagen von Berlin nach
Lissabon fahren und kommen womöglich ohne eine einzige Kontrolle dort an.
({1})
In der Luft haben wir allerdings Verhältnisse wie vor
150, 200 Jahren.
({2})
Piloten hangeln sich von Flugsicherung zu Flugsicherung, Zickzackflüge - das ist ja schon erwähnt worden -,
das alles ist heute noch normal. Das kostet Zeit, das kostet Geld. Von der Umweltverschmutzung möchte ich gar
nicht reden.
Daher unternehmen wir jetzt den zweiten Anlauf zur
Neuorganisation der Flugsicherung in Deutschland. Wir
berücksichtigen dabei die Kritik und die Anregungen des
Bundespräsidenten. Wir werden das Grundgesetz anpassen. Wir werden auf die Kapitalprivatisierung der DFS
verzichten. Wir konzentrieren uns auf das, was für die
Entwicklung eines einheitlichen europäischen Luftraumes notwendig ist. So beraten und beschließen wir heute
die Änderung des Grundgesetzes, die Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften, und wir beraten das Gesetz zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes.
Die Errichtung des Bundesaufsichtsamtes - das ist gesagt worden - ist Vorgabe der entsprechenden europäischen Richtlinien. Der operative und der regulative Be24628
reich bei der Flugsicherung sollen getrennt werden. Die
Staaten sollen den regulativen Bereich hoheitlich wahrnehmen - auf europäischer Ebene wird das Eurocontrol
übernehmen -, allerdings verlieren sie den operativen
Bereich. Dieser wird künftig von den Flugsicherungsorganisationen wahrgenommen. Deswegen ist heute der
Beschluss über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung erforderlich.
Es ist schon gesagt worden: Die aktuellen Gegebenheiten in der Bundesrepublik machen auch eine Anpassung des Grundgesetzes notwendig. In den Grenzregionen im Norden, im Westen und im Süden arbeiten
Nachbarorganisationen, beispielsweise in Südbaden die
beliebte Skyguide. Auf Regionalflughäfen sind Fluglotsen von Austro Control tätig. Das Grundgesetz schreibt
allerdings eine bundeseigene Verwaltung vor. Nur, wir
werden in den Grenzregionen die Nachbarorganisationen nicht vertreiben können, und wir wollen es auch
nicht. Wir können beispielsweise in Südbaden nicht die
Deutsche Flugsicherung bis zur Grenze tätig werden lassen, um dann 12 Kilometer vor der Landung in der
Schweiz an den Schweizer Kollegen zu übergeben. Ich
möchte mal wissen, welchen Aufschrei es in Südbaden
gäbe, wenn es dort zu einem weiteren Unfall käme! Das
Verfahren wird also so bleiben müssen; es muss nur besser geregelt werden als bisher. Dazu wird uns die heute
zu verabschiedende Gesetzgebung die Möglichkeiten
geben. Es wird Beauftragungen geben. Es wird eine Aufsicht geben. Es wird im Rahmen von SES Staatsverträge
geben. Man wird die Haftung und sicherlich auch den
Regress regeln können.
Die Grundgesetzänderung soll aber auch dazu beitragen - das ist mein Hauptanliegen -, dass wir an der
Spitze stehen, wenn es darum geht, auf europäischer
Ebene den Einigungsprozess im Luftraum voranzutreiben. Es gibt 60 Luftraumkontrollstellen, 27 nationale
Flugsicherungen, 22 unterschiedliche Systeme, 30 Programmiersprachen - doppelt so viele wie in den USA bei
nur halb so großem Luftverkehrsaufkommen. Das ist antiquiert. Das muss beseitigt werden.
Dazu brauchen wir neue Wege. Deswegen soll es in
Europa zur Bildung von Luftraumblöcken kommen. Beispielsweise werden wir mit der Schweiz, mit Frankreich
und mit den Beneluxstaaten zusammen einen Luftraumblock bilden, nämlich den Luftraumblock Europe Central, in dem dann natürlich nicht nur Deutsche tätig sein
können. So wie die DFS im Ausland tätig wird, müssen,
jedenfalls theoretisch, auch bei uns andere tätig sein
können.
Dazu brauchen wir ebenfalls eine Grundgesetzänderung. Immer dann, wenn die Vertreter der Regierungen
zusammengekommen sind, mussten wir sagen: Wir sind
zwar im Prinzip dafür, aber das Grundgesetz steht dem
entgegen. Das müssen wir erst noch ändern. - So zuletzt
geschehen im März dieses Jahres.
Im Oktober kommt es zum Schwur, kommt es zur
endgültigen Beschlussfassung. Ich möchte, dass die
Deutschen da voranschreiten. Wir sind diejenigen, die
Europa immer wieder gefordert haben, die Europa wollen; wir sind auch Nutznießer von Europa. Wir wollen
nicht an der Seite stehen. Wir haben die beste Flugsicherung der Welt. Es wäre lächerlich, wenn sie da an der
Seite stünde und die anderen das machten. Wer kann das
wollen? Die Deutschen müssen also mitmachen. Am
besten ist es, wenn unsere erprobten Systeme von den
anderen gewürdigt und, soweit das möglich ist, übernommen werden.
({3})
Eine Privatisierung - das ist auch schon angesprochen
worden - sieht das Gesetzespaket nicht vor. Wir schreiben fest: Die Anteile müssen im Besitz der Bundesrepublik bleiben. - Angesichts dessen sind Befürchtungen, es
käme zu einem Ausverkauf der DFS, nicht gerechtfertigt.
Der einheitliche europäische Luftraum wird eine wesentliche Verbesserung im ökonomischen wie auch im
ökologischen Sinne bringen. Wir werden damit Flugzeiten verkürzen und den Kerosinverbrauch senken können.
Das spart Kosten und reduziert sehr wahrscheinlich auch
den Flugpreis. Schließlich werden wir auch beim Umweltschutz einen Schritt nach vorne machen, der eigentlich nichts kostet. Experten sagen eine Senkung der Kerosinkosten um bis zu 20 Prozent und eine Senkung des
CO2-Ausstoßes um bis zu 12 Prozent voraus. Überlegen
Sie einmal, wie sehr wir feilschen, wenn es nur um eine
1-prozentige Reduktion in anderen Bereichen geht. Hier
ist mit geringem Aufwand ganz leicht eine Reduktion
möglich. Herr Hunold, der Chef von Air Berlin, hat in
der Anhörung gesagt, es handle sich um ein riesiges
Konjunkturpaket, das nichts kostet. Recht hat der Mann.
Ich möchte mich zum Schluss bei allen bedanken, die
mitgeholfen haben, dass das heute möglich wurde, insbesondere bei meinen Kollegen Dirk Fischer und HansPeter Friedrich, bei Uwe Beckmeyer und Christian Carstensen von der SPD, bei Horst Friedrich und Jan Mücke,
den wir ja gerade erleben durften, von der FDP. Ich
möchte aber auch Winfried Hermann Dankeschön sagen.
Ihre Fraktion stimmt zwar heute nicht zu, sondern enthält sich. Aber Sie waren bei der ganzen Diskussion immer sehr konstruktiv, auch wenn Sie die letzte Hürde
nicht nehmen. Ich weiß ja, dass der Wahlkampf kommt
und die Grünen, die wieder in den Bundestag kommen
wollen, damit Punkte bei ihren Wählern machen wollen.
({4})
Ein Letztes, meine Damen und Herren. Es handelt
sich wohl um meine letzte Rede im Bundestag. Ich darf
mich deswegen bei Ihnen allen bedanken, die Sie mich
ertragen haben, die Sie mich unterstützt haben, die Sie
mit mir gestritten haben. Es war eine interessante und
spannende Zeit. Ich wünsche Ihnen, dass Sie im nächsten Bundestag die Aufgaben, die auf Sie zukommen, mit
Erfolg meistern. Es wird ja ein gewaltiger Berg sein, der
da abzutragen ist.
Viel Erfolg, Gottes Segen und Ihnen allen eine gute
Zukunft!
({5})
Herr Kollege Königshofen, ich danke Ihnen im Namen aller Mitglieder des Hohen Hauses recht herzlich
für Ihre Arbeit hier im Parlament und im Haushaltsausschuss. Sie waren ja Berichterstatter für unseren Etat.
Herzlichen Dank und für die Zukunft alles Gute!
({0})
Für die Linke gebe ich das Wort der Kollegin Dorothée Menzner.
({1})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir Linken begrüßen im Grundsatz die Idee eines Single
European Sky. Wir begrüßen die Schaffung eines zentraleuropäischen Luftraums.
({0})
Es ist unstrittig, dass deswegen Anpassungen von Gesetzen an europäische Realitäten notwendig sind. Da es
aber beim BAF-Gesetz im Detail doch Dissenspunkte
gibt, werden wir uns an der Stelle heute enthalten.
Hinsichtlich der anderen Punkte, zu denen heute eine
Beschlussfassung erfolgt, haben wir einen grundlegenden Dissens. Das bezieht sich zum einen auf das Gesetz
zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften und
zum anderen auf das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes.
Um das Ziel eines Single European Sky zu erreichen,
würde die Schaffung zwischenstaatlicher Einrichtungen,
die auf zwischenstaatlichen Abkommen beruhen, ausreichen. Wie schon beim ersten Anlauf, der zur Privatisierung der Flugsicherung unternommen wurde, haben wir
auch gegenüber den heute zur Abstimmung stehenden
Vorlagen grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken.
({1})
Letzte Woche haben wir alle gemeinsam das Grundgesetz gelobt und gefeiert. Nun erleben wir einen erneuten
Anlauf von CDU/CSU, SPD und FDP, dieses Grundgesetz auszuhöhlen. Es ist sozusagen eine Grundgesetzänderung auf Vorrat; denn die neue Fassung - das hat Kollege Mücke eben deutlich gemacht - ermöglicht sehr
wohl in einem späteren Schritt die Privatisierung der
Flugsicherung, und das mit einfacher Mehrheit des Bundestages.
({2})
Dabei gibt es Beschlussfassungen vieler Parteien, aus
denen hervorgeht, dass das nicht sein soll. Ich möchte einen Beschluss der SPD vom Hamburger Parteitag im
Oktober 2007 zitieren, in dem es heißt:
Die Mitglieder der Bundestagsfraktion
- gemeint ist die SPD-Bundestagsfraktion werden aufgefordert, keinesfalls einer nochmaligen
Gesetzesinitiative zur Privatisierung der für die
Luftsicherheit und die Lenkung des Flugverkehrs
zuständigen Behörde und insbesondere keiner dafür
erforderlichen Änderung des Grundgesetzes zuzustimmen.
({3})
Wie hoch die Messlatte für eine Änderung des Grundgesetzes hängt, haben wir in den zurückliegenden Wochen im Ausschuss mehrfach diskutiert. Wir alle kennen
die Begründung aus dem Bundespräsidialamt von der
ersten Ablehnung 2006. Anders als 2006 stehen wir
Linke mit der Ablehnung der Änderung des Grundgesetzes diesmal nicht alleine da. Das wurde in der Anhörung
deutlich, und das wird auch in Publikationen von Juristen deutlich. Ich möchte Professor Hobe von der Universität Köln zitieren, der meint, dass es einen Kernbestand
staatlicher Aufgaben gibt, der nach Art. 79 Abs. 3 in
Verbindung mit Art. 20 des Grundgesetzes verfassungsfest geschützt ist und zu dem auch die Luftverkehrssicherheit als sonderpolizeiliche Aufgabe gehören könnte.
Dann wäre die Änderung unzulässig.
Sie mögen einwenden, dass sich für jede Meinung ein
Jurist findet, der sie bestätigt. Von daher möchte ich nur
anfügen, dass der Professor für Verfassungsrecht Peter
Huber von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität diese Bedenken teilt. Das ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Mai nachzulesen. Dazu kann
man einen ausführlicheren Text finden.
({4})
Werte Kollegen der SPD, wie Sie die von Ihnen vorgesehene Beschlussfassung vor Ihren Mitgliedern und
Ihrer Wählerschaft rechtfertigen, soll nicht das Problem
der Linken sein. Aber ich möchte Ihnen allen sagen: Eine
abermalige Nichtunterzeichnung durch den Bundespräsidenten oder aber ein Normenkontrollverfahren - und wir
wissen, dass mehrere Bundesländer darüber nachdenken wäre ein peinlicher Vorgang für den gesamten Bundestag.
Die Linke hält es für unzulässig, in der vorgeschlagenen Art und Weise am Grundgesetz herumzuschrauben.
({5})
Diesen Verfassungsbruch macht die Linke nicht mit. Wir
Linke sagen aber nicht nur, was wir nicht mitmachen,
was nicht geht, und begründen das. Wir machen auch
Vorschläge, wie es gehen kann, weil - ich sagte es eingangs - Single European Sky vom Ansatz her eine
durchaus sinnvolle und erstrebenswerte Sache ist. Ich
empfehle Ihnen, noch einmal einen Blick in unsere Entschließungsanträge zu werfen. Sie zeigen einen Weg auf,
wie wir Single European Sky näherkommen können,
ohne das Grundgesetz weiter auszuhöhlen.
Ich danke.
({6})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Alle Rednerinnen und Redner haben es deutlich
gemacht: Die derzeitige Situation am Himmel von Europa ist absolut anachronistisch. Wir haben nationalstaatliche Regelungen und Regulierungen in einem internationalen Verkehrssystem; das kann nicht mehr
zeitgemäß sein. Insofern sage ich für uns Grüne: Wir unterstützen das Projekt des einheitlichen europäischen
Himmels, und dafür ist es sinnvoll, gesetzgeberisch aktiv
zu werden.
({0})
Das Projekt ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll.
Ich füge aber hinzu - weil ich dies immer wieder in den
Reden höre -: Es ist keine Wunderwaffe zur Bekämpfung des Klimawandels. Wenn alle Flugverkehre effizienter geregelt sind und mehr geflogen wird, wird das
dem Klima nicht helfen. Man sollte sich da nichts vormachen.
({1})
Eine Änderung des Grundgesetzes ist auch deswegen
notwendig, weil wir heute im Grenzbereich, insbesondere in Süddeutschland, Zustände haben, die nicht von
der Verfassung abgedeckt sind. Man kann Skyguide
beim besten Willen nicht als „bundeseigene Verwaltung“
bezeichnen. Auch Austro Control kann nicht als solche
gewertet werden. Hier besteht zwingend Handlungsbedarf.
({2})
Das ist der Grund, weshalb wir all die Jahre konstruktiv mitgearbeitet haben. Vielen Dank für das Kompliment, Kollege Norbert Königshofen; ich gebe es gerne
zurück. Wir haben es uns auch heute nicht leicht gemacht, unsere Position zu finden. Wahlkampftaktisch
hätten wir einfach Nein sagen können. Es kommt ja immer gut, zu sagen: Wir sind an der Spitze der Gegner von
Fluglärm. - Aber das war uns zu billig. Wir haben uns
die Mühe gemacht, uns die Sache genau anzuschauen
und zu argumentieren. Entscheidend ist, ob der jetzt vorliegende Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes
tauglich ist, ob er zielführend, haltbar und eindeutig ist.
Das sind für uns wichtige Kriterien. Daran messen wir,
ob wir ihm zustimmen können.
Ich muss Ihnen sagen: Wir haben erhebliche Bedenken; deswegen können wir nicht zustimmen. Wir enthalten uns, weil wir der Meinung sind, dass etwas geschehen muss; aber wir brauchen eine bessere Regelung.
({3})
Was sind unsere Kritikpunkte im Einzelnen? Es ist
immer wieder danach gefragt worden, ob einer Privatisierung der Deutschen Flugsicherung mit der jetzt vorgeschlagenen Regelung Tür und Tor geöffnet wird. Sie haben diese Frage, wie ich finde, elegant umschifft, sie
nicht benannt, aber trotzdem geregelt. Ich will Ihnen
auch sagen, wie und warum. Wir reden heute allgemein
über die Notwendigkeit einer Neuregelung, nicht aber
darüber, dass der durchaus bedeutende Passus, der in unserer Verfassung steht, dass über die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisationsform der Luftverkehrsverwaltung durch Bundesgesetz entschieden
wird, gestrichen werden soll. Dadurch wird noch keine
Privatisierung der Deutschen Flugsicherung eingeleitet;
aber Sie räumen die verfassungsmäßige Hürde, die bisher besteht, ab. Im Begleitgesetz heißt es jedoch, dass
die Deutsche Flugsicherung zu 100 Prozent in Bundeshand bleibt. Damit unterbreiten Sie ein doppeldeutiges
Angebot: Diejenigen, die die Deutsche Flugsicherung
auf gar keinen Fall privatisieren wollen, können Sie auf
das Begleitgesetz verweisen; denjenigen, die die Deutsche Flugsicherung privatisieren wollen, können Sie sagen, dass zur Privatisierung zukünftig eine einfache
Mehrheit ausreicht. Insofern ist Ihr Gesetzentwurf kein
Beitrag zu einer klaren Entscheidung. Sie drücken sich
um eine Entscheidung; Sie konnten sie in Ihren Fraktionen nicht fällen. Aber Sie schaffen Raum für eine Privatisierung, noch dazu für eine undifferenzierte.
Ohne weitere Vorgaben wollen Sie Hoheitsrechte an
die Schweizer Skyguide abgeben.
({4})
Verfassungsrechtlich ist das hochproblematisch. Das ist
unser nächster Einwand. In der Expertenanhörung ist
gesagt worden, dass es natürlich wichtige, hoheitliche
Aufgaben gibt, die ein Staat für sich definieren muss.
Selbstverständlich gibt es im Luftverkehrsrecht, im Luftsicherheits- und -steuerungsrecht hoheitliche Aufgaben.
Die Experten haben immer wieder gesagt, dass ein großer
Teil, die klassischen Dienstleistungen, privatisiert werden
kann, dass aber ein hoheitlicher Bereich beim Staat verbleiben muss. Selbst der Experte Ronellenfitsch, der an
sich sehr für Privatisierung ist, hat gesagt: Wir müssen
den hoheitlichen Kern klar definieren. Er hat den Vorschlag gemacht, in die Verfassung zu schreiben: Soweit
hoheitliche Aufgaben nicht zwingend erledigt werden
müssen, kann man privatisieren. - Genau das haben Sie
nicht gemacht. Stattdessen haben Sie diesen Bereich allgemein geöffnet.
Im Falle der ausländischen Beleihung haben Sie gar
keine Barriere eingeführt. Dabei können Sie nicht behaupten, dass man auf Skyguide die gleichen Zugriffsrechte hat wie auf die Deutsche Flugsicherung.
({5})
Wir sehen ja an dem Rechtsstreit über den Flugverkehrsunfall von Überlingen, dass man weder bei der Kontrolle
noch bei der Haftung direkten Zugriff auf Skyguide hat.
Das ist ein Riesenproblem. Verfassungsexperten haben
gesagt: Man muss sich vor verfassungswidriger Korrektur des Grundgesetzes hüten. Das ist ein, wie ich finde,
schwerwiegender Einwand und für uns der Hauptgrund,
warum wir nicht zustimmen können. Der Deutsche Bundestag kann es sich nicht leisten, in dieser Frage ein drittes Mal peinlich zu scheitern. Eine Reihe von Juristen
mag sagen, dass die Regelung wasserdicht ist. Es gibt
aber genügend, die mahnen: Halt, so geht es nicht! Die
Große Koalition schlägt diese Warnung in den Wind,
weil man kurz vor Toresschluss eine Last-Minute-Entscheidung herbeiführen möchte - auch in der Hoffnung,
dass nicht alle genau hinschauen, weil wir heute 25 namentliche Abstimmungen haben und nicht jeder das
Ganze durchschaut.
Ich will zum Schluss sagen: Wir stimmen der Einrichtung eines Bundesaufsichtsamtes ausdrücklich zu. Diese
neue Regelung ist auf europäischer Ebene und somit
auch für Deutschland sinnvoll. Wir wollen an dieser
Stelle konstruktiv mitwirken. In den beiden anderen Fällen können wir uns nur enthalten, da unsere Bedenken zu
schwerwiegend sind.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Deutsche Bundestag entscheidet heute über ein zentrales Projekt der Bundesregierung, das große Auswirkungen auf die Gestaltungsmöglichkeiten Deutschlands
innerhalb der Europäischen Union haben wird. Sie entscheiden heute, wie die Bundesregierung im Herbst votiert, wenn es darum geht, ob wir dem SES-II-Paket zustimmen oder nicht. Die Mehrheit im Deutschen
Bundestag ermutigt uns zu der begründeten Hoffnung,
dass wir Europa an führender Stelle mitgestalten werden
können.
Der jetzige Zustand, insbesondere in den Grenzregionen, entspricht nicht der deutschen Verfassung. Dass die
Flugsicherung durch Organisationen wie Skyguide betrieben wird, widerspricht dem Grundgesetz. Das ist einer der Gründe, warum Handlungsbedarf besteht. Der eigentlich entscheidende Grund ist - das wurde von
Norbert Königshofen und Uwe Beckmeyer gesagt -,
dass wir ein deutlich effektiveres System brauchen.
Wenn Sie in den Vereinigten Staaten von der Ostküste
zur Westküste fliegen, betreut Sie nur eine Flugsicherungsorganisation. Wenn Sie von Brüssel nach Paris fliegen, werden Sie von neun verschiedenen Flugsicherungsorganisationen betreut. Das ist nicht sinnvoll
organisiert.
Ich möchte auf die eben von Winfried Hermann dargestellte Begründung eingehen, warum die Grünen die
Grundgesetzänderung ablehnen. Die Grundgesetzänderung und die Einrichtung eines Bundesaufsichtsamtes
für Flugsicherung bedeuten eine höhere Sicherheit als in
der Vergangenheit, so zum Beispiel in Fragen der Haftung. Es wird dann völlig klar sein, dass derjenige, der
beleiht, auch haftet; in diesem Falle ist das die Bundesrepublik Deutschland. Das ist klarer geregelt, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Die Durchgriffs- und Kontrollrechte, die die Bundesregierung gegenüber den beliehenen Organisationen hat,
werden ebenfalls klarer geregelt sein. Sie wissen, dass
wir mit unseren Nachbarstaaten, mit denen wir schon
jetzt zusammenarbeiten, diesbezüglich Staatsverträge
vorbereiten und Verabredungen treffen. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird genau diese Aufgabe
haben.
Außerdem werden nur solche Organisationen in den
Grenzregionen Deutschlands Flugsicherung betreiben
dürfen, die nach europäischen Standards zertifiziert sind.
Wir lassen nicht irgendwelche Organisationen in unser
Hoheitsgebiet, sondern nur die, mit denen wir uns auf
europäischer Ebene verständigt haben und die nach europäischen Standards zertifiziert sind. Es liegt allerdings
in unserem Interesse - das wurde bereits gesagt -, dass
die stärkste Flugsicherungsorganisation, die wir in Europa haben, an führender Stelle Flugsicherungsdienste
anbietet.
Abschließend möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die in den letzten drei Jahren mitgeholfen haben,
diesen nicht einfachen Prozess zu gestalten. Ich danke
den Berichterstattern und all denjenigen, die sich an der
Anhörung beteiligt haben. Ich danke den Gewerkschaften, den Unternehmen, den Wissenschaftlern und den
politischen Beratern. Es war kein einfacher Prozess.
Wir glauben, dass die sich abzeichnende Mehrheit,
die sich hier im Deutschen Bundestag für die Grundgesetzänderung, für die Einrichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und für die notwendigen
Begleitgesetze ausspricht, Europa ein großes Stück nach
vorne bringt. Dies ist ein großer Schritt zu mehr Klimaschutz und zu mehr Umweltschutz. Wir können mehr für
die Unternehmen, die Flugleistungen und Flugsicherung
anbieten, tun. Wir können einen Beitrag dazu leisten,
dass Europa noch weiter zusammenwächst. Dafür habe
ich mich bei Ihnen zu bedanken.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Fischer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Worum geht es heute? Wir wollen die Steuerung des
Luftverkehrs in Deutschland und in Europa verbessern.
Wir hatten in Deutschland bis 1992 die Bundesanstalt
für Flugsicherung. Dann haben wir das Grundgesetz geändert und den heutigen Art. 87 d Grundgesetz geschaffen. Wir haben die zivil-militärische Flugsicherung integriert. Das geschah übrigens auch damals in zwei
Runden; das hat bei der Flugsicherung wohl mittlerweile
Tradition. Seit dem 1. Januar 1993 gibt es die Deutsche
Flugsicherung GmbH. Was die finanziellen Konsequenzen anbelangt, ist zu sagen: Vorher musste der deutsche
Steuerzahler mit jedem Bundeshaushalt Geld in das System pumpen; heute werden von der DFS jedes Jahr Gewinne an den Bundeshaushalt abgeführt. Das ist der wesentliche finanzielle Unterschied.
({0})
Die Effizienz des deutschen Systems ist nachhaltig
verbessert worden. Ein Kollege hat dankenswerterweise
darauf hingewiesen, dass die IATA der Deutschen Flugsicherung GmbH den Eagle Award verliehen und sie damit als beste Flugsicherungsgesellschaft der Welt ausgezeichnet hat. Ich kann nur sagen: Wir können mit Stolz
auf die Leistung der Geschäftsführung und der Mitarbeiter der DFS schauen. Das freut uns sehr.
({1})
Aus sehr guten und nachvollziehbaren Gründen hat
die Europäische Union 2004 mit vier Verordnungen den
Einheitlichen Europäischen Luftraum, den Single European Sky, ins Werk gesetzt. Zunächst entstand Single
European Sky I. Das war eine Grundsatzentscheidung,
an der sich Deutschland inhaltlich stark beteiligt hat. Damit sollte der europäischen Kleinstaaterei im Luftverkehr ein Ende bereitet werden. Die Absurdität, dass der
Himmel frei ist, wir in Europa aber an unseren kleinstaatlichen Grenzen entlangfliegen, sollte beendet werden.
({2})
Das Vorbild war Nordamerika, wo die FAA mit einem
einheitlichen System den ganzen nordamerikanischen
Subkontinent hocheffizient steuert. Das wollen wir auch
in Europa realisieren.
In 2009 entscheidet die Europäische Union. Das Europäische Parlament hat der Vorlage zugestimmt; der
Ministerrat hat sie zustimmend zur Kenntnis genommen.
Anfang Oktober wird der Ministerrat seine endgültige
Entscheidung treffen. Heute geht es auch darum, ob
26 Staaten Ja sagen, während Deutschland sagen muss:
„Wir können wegen unseres Grundgesetzes nicht zustimmen“, oder ob wir diese Blamage Deutschlands vermeiden, indem wir unser Grundgesetz zwischenzeitlich
EU-konform gestalten und diesem sinnvollen Prozess
zustimmen.
({3})
Zunächst werden - dies ist wahrscheinlich nur ein
Zwischenschritt - neun funktionale Luftraumblöcke eingerichtet. Deutschland wird dann mit Frankreich, der
Schweiz und den Beneluxstaaten im sogenannten
FABEC, im funktionalen Luftraumblock Zentraleuropa,
verbunden. Aus 60 Luftraumkontrollstellen und
27 nationalen Flugsicherungsorganisationen wird ein
konzentriertes System gebildet.
Das Thema der materiellen Privatisierung ist vom
Tisch. Das Gesetz enthält die Formulierung, dass die
Flugsicherungsorganisation bei uns in Form einer GmbH
geführt und beliehen wird, deren Anteile ausschließlich
vom Bund gehalten werden. Das ist nach meiner Auffassung vertretbar, weil der Alleingesellschafter Bund in
der Zwischenzeit § 2 des Gesellschaftsvertrages der DFS
geändert hat. Der Gesellschaft ist es jetzt möglich, Flugsicherungsdienste in Europa und damit verbundene Nebengeschäfte im In- und Ausland anzubieten, Zweigniederlassungen zu errichten und sich an anderen
Unternehmen zu beteiligen bzw. solche zu erwerben
oder zu errichten. Das heißt, die bisher ergebnisschädliche Selbstblockade der DFS und unseres Landes in diesem Bereich ist aufgelöst worden. Diese Selbstblockade
war ein wesentlicher Grund, warum die Geschäftsleitung
der DFS gesagt hat, dass wir den Einstieg in die materielle Privatisierung brauchen. Aufgrund dieser Änderung
wird dies nicht mehr als notwendig erachtet.
Die Grundgesetzänderung ist unerlässlich, damit
Deutschland an der SES-Entwicklung teilhaben kann.
Kein anderer EU-Mitgliedstaat hat Verfassungsprobleme
wie Deutschland. In der Regel ist die Flugsicherung
überhaupt nicht in den Verfassungen geregelt. In
Deutschland ist das dem Föderalismus geschuldet.
Wir sind für SES, weil das für die Passagiere, die Airlines und die Umwelt gut ist: direkte Flugrouten, kürzere
Flugzeiten, weniger Treibstoff, geringere Kosten, 10 bis
12 Prozent weniger CO2-Emissionen in Europa. Dies ist
eines der größten und wichtigsten Ökologieprojekte in
Europa. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.
({4})
Wir wollen erreichen, dass das großartige Know-how
und die großartige Qualität unserer DFS GmbH in Europa noch wirksamer werden können. Auch deswegen sind
wir für diesen Prozess.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 7. Juni ist Europawahl. Dies ist eines der überzeugendsten europäischen
Gemeinschaftsprojekte. Deswegen die herzliche Bitte:
Stimmen Sie zu!
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Klaus
Uwe Benneter, SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man über
Luftverkehrsverwaltung in Deutschland spricht, tut man
das nicht nur als Verkehrspolitiker, sondern auch als Verfassungsrechtler. Das haben wir in der Anhörung getan.
Frau Menzner, ich weiß nicht, ob Sie der ganzen Anhörung gefolgt sind oder folgen konnten. Jedenfalls ist in
der Anhörung dargelegt worden, wie man es regeln
kann, dass die Luftverkehrsverwaltung nicht privatisiert
wird, sondern unter hoheitlicher Bundesverwaltung verbleibt.
Wir als SPD haben das auf unserem Parteitag in Hamburg nicht etwa deshalb beschlossen, weil wir unbedingt
dagegen sind, dass etwas privatisiert wird. Wir wollen
allerdings nicht so wild privatisieren wie die FDP, geht
es doch bei der Luftverkehrsverwaltung um die Sicherheit der Menschen in der Luft. Viele Tausende sind über
Deutschland in der Luft. Ihnen müssen wir garantieren,
dass der Staat ein Auge auf die Luftsicherheit hat, dass
die Luftverkehrsverwaltung im Wesentlichen eine staatliche, eine hoheitliche Aufgabe bleibt. Das haben wir
richtig gelöst.
({0})
Wir haben in Hamburg auch deshalb beschlossen, diesen
Bereich nicht zu privatisieren, um den Sicherheitssektor
nicht privaten Profitinteressen zu überlassen.
Winfried Hermann, wir haben nach der Anhörung
eine Änderung durchgesetzt, der alle Ressorts zugestimmt haben. Die Bundesregierung hatte eine Grundgesetzänderung mit dem Halbsatz „soweit Recht der Europäischen Gemeinschaft nicht entgegensteht“ vorgesehen.
Das wäre eine sehr weit gehende Öffnung gewesen; man
hätte dann unter Umständen den Umweg über Europa
nutzen können. Aber gerade diesen Halbsatz haben wir
gestrichen.
({1})
Der von den Grünen vorgeschlagene Sachverständige
für Verfassungsrecht hat mir ausdrücklich bestätigt, damit sei auch garantiert, dass eine Privatisierung, die ursprünglich einmal vorgesehen war, nicht mehr erfolgen
kann. Das wird jetzt einfachgesetzlich untermauert. Insofern müsste es auch Ihnen, den Grünen, möglich sein,
dieser wesentlichen Verbesserung zuzustimmen.
({2})
- Nein, stimmen Sie nicht mit Weiß; Blau ist jetzt angesagt.
Ich kann Ihnen und allen meinen Kolleginnen und
Kollegen nur empfehlen: Unterstützen Sie dieses nicht
nur ökonomisch, sondern auch ökologisch wichtige Unternehmen und stimmen Sie mit Blau.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bun-
desregierung sowie den Fraktionen der CDU/CSU und
SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Ände-
rung des Grundgesetzes, Art. 87 d. Dazu liegen mir
mehrere persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor.1)
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/13217, die Gesetzent-
würfe der Bundesregierung sowie der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf den Drucksachen 16/13105 und
16/12280 zusammenzuführen und in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfes die Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-
forderlich ist. Das sind mindestens 408 Stimmen.
Wir stimmen über den Gesetzentwurf namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Jetzt sind alle Urnen besetzt. Ich
eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, wieder die
Plätze einzunehmen. - Wir setzen die Abstimmungen
fort.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/13225. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/
Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
abgelehnt.
Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften. Der Aus-
schuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/13213, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
1) Anlagen 12 und 13
2) Ergebnis Seite 24634 D
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12279 in der
Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für
den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13226? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion der FDP mit
dem Rest der Stimmen des Hauses abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die
Grünen und bei Gegenstimmen der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Ergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13227.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13213, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/13107 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und
Anpassung weiterer Vorschriften. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 3
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13213,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/11608 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/11168.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/7133 mit dem Titel „Zukunft
der Flugsicherung verfassungskonform gestalten“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit dem
Rest der Stimmen des Hauses angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3803
mit dem Titel „Deutsche Flugsicherung europarechtlichen Rahmenbedingungen anpassen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Enthaltung der
Fraktion der FDP und bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Milch-Exportsubventionen sofort stoppen Weitere Zerstörung der Märkte in Entwicklungsländern verhindern
- Drucksachen 16/12308, 16/13119 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Röring
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Höfken
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch.
Bevor ich den ersten Redner aufrufe, gebe ich das von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - bekannt: abgegebene Stimmen 562. Mit Ja haben gestimmt 459, mit
Nein haben gestimmt 59, Enthaltungen 44. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 562;
davon
ja: 459
nein: 59
enthalten: 44
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({4})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({5})
Dirk Fischer ({6})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({8})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Gerald Weiß ({22})
Karl-Georg Wellmann
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({28})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({40})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Renate Schmidt ({44})
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({47})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({48})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({49})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({50})
Uwe Barth
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({51})
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({52})
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({53})
Cornelia Pieper
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({54})
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
CDU/CSU
Michael Brand
Thomas Dörflinger
Ute Granold
Andreas Jung ({55})
Siegfried Kauder ({56})
Peter Weiß ({57})
Anette Widmann-Mauz
SPD
Peter Friedrich
Rita Schwarzelühr-Sutter
FDP
Ernst Burgbacher
Sibylle Laurischk
Patrick Meinhardt
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({58})
({59})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Bettina Herlitzius
Enthalten
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({60})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({61})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({62})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({63})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({64})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion.
({65})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Bäuerin.
({0})
Wer in diesem Hohen Hause kann das von sich sagen?
Ich bin Bäuerin, und ich bin seit vielen Jahren als
Landfrau im Ehrenamt engagiert und verankert. Das
heißt, ich kenne das Innenleben und vor allem das Berufsleben unserer Bäuerinnen und Bauern.
({1})
Meine langjährige Beobachtung als Milchbäuerin war
eigentlich immer die Gleiche: Wir arbeiten gerne, wir
jammern nicht über eine Siebentagewoche. Wir arbeiten
auch deshalb gerne, weil wir in und mit unserer Familie
arbeiten.
Der Arbeitsplatz Bauernhof ist für mich hochinteressant, und ich rate allen, die es noch nicht getan haben,
die Chance auf ein Praktikum auf unseren Bauernhöfen
zu nutzen. Sie werden sehen, dass Sie mit ganz anderen
und positiven Erkenntnissen zurückkommen. Auf diese
Idee ist jetzt übrigens auch die zuständige EU-Kommissarin Fischer Boel gekommen, die ihre Mitarbeiter in der
Sommerpause ebenfalls auf unsere Bauernhöfe schicken
will.
({2})
Ich sage es noch einmal: Sie werden aufgrund der Vielfalt unserer Landwirtschaft in Deutschland platt sein.
Platt sind im Moment allerdings unsere Milchbäuerinnen und Milchbauern selber. Wir erinnern uns an die
Hochpreisphase, an den kurzen Höhenflug bei den
Milchpreisen und an den steilen Sinkflug. Spätestens
jetzt, da die Abschlüsse des Lebensmitteleinzelhandels
mit den Molkereien festgezurrt worden sind, können wir
von einem wirklichen Absturz sprechen. Es sind Preise
wie vor 50 Jahren: Der Liter Milch kostet im Supermarkt
42 Cent, der Bauer erhält 20 Cent. Um einen kleinen
Vergleich herzustellen: Ein Glas Mineralwasser kostet
20 Cent, ein Glas Milch kostet 4,2 Cent. Diese wenigen
Zahlen machen deutlich: Der Hilfeschrei der Bäuerinnen
und Bauern ist berechtigt; denn das ist längst kein Problem mehr von großen oder kleinen Betrieben. Dieser
niedrige Milchpreis trifft viele Existenzen.
({3})
Dabei ist und bleibt die Landwirtschaft - das vergessen
viele - die Basis unseres Seins. Die Agrikultur ist die
Mutter aller Kulturen, und wir brauchen sie auch in Zukunft.
Wir - meine Arbeitsgruppe - wollen die Landwirtschaft nicht nur in Gunstlagen, sondern wir wollen die
Landwirtschaft flächendeckend. Wenn der Bund und
Europa bestimmte Dinge nicht ausgleichen können,
dann sind aus meiner Sicht nach wie vor die Bundesländer gefragt. Ich kann für mein Bundesland, für Bayern,
sprechen: Bayern hat die Landwirtschaft vor Ort in den
vergangenen Jahrzehnten ganz toll unterstützt.
Ob Lebensmittelerzeugung, Energieerzeugung oder
Klimaschutz: Die Landwirtschaft spielt für mich eine
Schlüsselrolle. Viele Fragen, die unsere Zukunft betreffen, kann nämlich nur die Pflanze beantworten. Das gilt
weltweit. An der Stelle ein herzliches Dankeschön an die
Arbeitsgruppe AWZ, also an die Arbeitsgruppe für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Mit
dieser und unserer Arbeitsgruppe für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz haben wir ein gemeinsames Positionspapier mit dem Titel „Globale Herausforderungen - Sicherung der Welternährung“ erstellt.
Ein Fazit lautet: Die Bauern in Europa und in den Entwicklungsländern dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
({4})
Weltweit müssen in Zukunft mit immer weniger
Ackerflächen immer mehr Menschen ernährt werden.
Das heißt, unser Boden muss so gepflegt, ernährt und
versorgt werden, dass er uns alle ernähren kann. Ich sage
das, weil heute ein Antrag vorliegt, der aus meiner Sicht
so gnadenlos und einseitig schlecht ist, dass man ihn nur
ablehnen kann. Das werden wir auch tun.
({5})
Die Behauptungen über die Zerstörung anderer Märkte
sind - ich zitiere unseren Staatssekretär Dr. Gerd Müller
aus der gestrigen Ausschusssitzung - aus europäischer
Sicht geradezu aberwitzig.
({6})
Mit Ihrem Antrag wollen sie offensichtlich als Gutmenschen oder vielleicht auch als Schein-Heilige in die
Geschichte eingehen. Wir wollen nicht als Gutmenschen, sondern als Problemlöser in die Geschichte eingehen.
({7})
Dabei lassen wir uns von niemandem überbieten, und
ich als Bäuerin schon gar nicht.
Wir setzen auf Wahrheit und Klarheit. Ich lebe zwar
auf dem Dorf, aber ich lebe auch in Europa, und als
Agrarpolitikerin und Bäuerin weiß ich, dass seit Jahrzehnten Agrarpolitik in Europa gemacht wird
({8})
und dass auch Frau Künast in ihrer Regierungszeit viele
Beschlüsse mitgetragen hat. Ich erinnere an die Halbzeitbewertung - Mid-Term-Review - der Agrarreform
und an die festgelegte Absenkung der Interventionspreise für Magermilchpulver und Butter mit ihren jetzt
verheerenden Auswirkungen. Ich erinnere aber auch an
unsere Ministerin Ilse Aigner, die alle Register gezogen
hat, um auf deutscher oder europäischer Ebene eine
Mengenkürzung zu erreichen, aber weder in Deutschland noch in Europa eine Mehrheit gefunden hat.
Aber gerade weil wir die Rahmenbedingungen kennen, können wir uns nicht künstlich dumm stellen. Wenn
wir unsere Märkte ernsthaft stabilisieren wollen, müssen
wir uns jetzt auf die Maßnahmen konzentrieren, die
schnell und konkret wirken, also auf das Machbare.
Dazu gehören auch Exporterstattungen.
({9})
Sie verschweigen außerdem in Ihrem Antrag, dass
Europa diese Erstattungen in den letzten Jahren massiv
abgebaut hat. Aber in dieser Krisenzeit ist jetzt ein Notfall eingetreten. Solange dieses Instrument des Welthandels rechtlich erlaubt ist, müssen wir es auch nutzen. Alles andere wäre unverantwortlich.
({10})
Wer in dieser Krise Exporterstattungen zum Wohle
anderer Menschen ablehnt, muss sich auch fragen lassen,
für wen er eigentlich arbeitet.
({11})
Ein Verzicht hilft weder Burkina Faso noch unseren
Bauern in Deutschland und in Europa. Im Gegenteil, wir
verlören Arbeitsplätze und Wertschöpfung.
Wer allerdings wie die Kommission die Milchquoten
in der Vergangenheit nur erhöht hat und bis heute keine
Gesamtstrategie auf den Tisch gelegt hat, ist wenig
glaubwürdig. Deshalb ist es mehr als richtig, dass die
Kommission im Januar die private Lagerhaltung auf den
Weg gebracht und im März die öffentliche Intervention
ermöglicht hat. Ich nenne nur stichpunktartig die Themen Verfütterungsbeihilfen, Schulmilchabsatz und Verwertungsbeihilfen. All das sind Instrumente, die uns
helfen müssen. Ganz besonders wichtig ist, dass die Direktzahlungen so schnell wie möglich vorgezogen werden; dafür kämpfen wir.
({12})
Ich begrüße außerdem das Liquiditätshilfeprogramm
der Landwirtschaftlichen Rentenbank sowie alle Möglichkeiten, die der Milchfonds bietet, das EU-Konjunkturprogramm und die Absatzförderung Export. In unser
Speiseeis muss außerdem wieder Milch, auf unsere
Pizza muss wieder echter Käse.
Meine Damen und Herren, bevor es heute keiner sagt:
Einen tollen Erfolg haben wir in der Großen Koalition
doch schon erreicht, indem wir in dieser Woche die eklatante Wettbewerbsverzerrung beim Agrardiesel zumindest abgemildert haben. Wir nehmen zweimal
250 Millionen Euro in die Hand, damit die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber unseren wichtigsten Mitbewerbern wieder einigermaßen ins Gleichgewicht kommen.
({13})
Frau Kollegin Mortler, ich erinnere Sie daran, dass
Sie zum Ende kommen müssen.
Ich komme zum Ende. - Dafür erwarten wir und auch
ich von allen Akteuren, dass nicht nur wir Politiker, sondern auch alle anderen Beteiligten ihre Hausaufgaben
machen, dass die Landwirte ihre Kosten optimieren, die
Molkereien mit Produktinnovationen und damit mehr
Wertschöpfung in die Märkte gehen, dass der Lebensmitteleinzelhandel seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nachkommt, aber ebenso die Kommission
und die Verbraucher.
Frau Kollegin!
Nicht grüne Schauanträge entscheiden über die Zukunft - das muss jetzt noch sein, Frau Präsidentin -,
({0})
sondern verantwortliches Handeln. Die Zukunft braucht
nicht unsere Angst, sondern unser Handeln.
Danke schön.
({1})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In fünf Minuten hier etwas zu sagen, ist
grundsätzlich schwer; heute ist es besonders schwer,
weil das Abstimmungsverhalten für die Bürgerinnen und
Bürger, die vielleicht am Fernseher zuschauen oder die
da oben sitzen, teilweise kaum erkennbar ist. Ich will es
zu erklären versuchen.
Man bekommt einen Antrag in die Hand. Dessen fettgedruckte Überschrift heißt: „Milchexportsubventionen
sofort stoppen - Weitere Zerstörung der Märkte in Entwicklungsländern verhindern“. Eigentlich jeder, der zum
Nachdenken kommt, sagt: Es kann nicht angehen, dass
wir unsere Milchmarktprobleme auf dem Rücken der
Schwächsten in unserer Gesellschaft, nämlich dem der
armen Menschen in Afrika, austragen.
({0})
Jeder wird sofort sagen: Ich stimme der Idee zu, die hier
zum Ausdruck gebracht wird, wie man sie im Detail
auch gewichtet. Die Tatsache, dass viele Probleme der
afrikanischen Staaten nicht etwas mit unserer Subventionspolitik, sondern mit den dortigen politischen Verhältnissen zu tun haben, kommt hinzu. Aber Fakt ist: Es
ist unlauter, es ist meiner Meinung nach unmoralisch
und unethisch, wenn man Exportsubventionen sozusagen zur Bereinigung des eigenen Marktes in die Welt
schmeißt und dadurch sich entwickelnde Märkte zerstört.
({1})
Insofern wäre ich selbstverständlich sehr geneigt, dem
Antrag der Grünen zuzustimmen.
Aber, Kollegin Höfken - jetzt muss ich aufpassen;
wahrscheinlich werde ich jetzt gerügt -, die Schweinerei, die Sie in diesem Antrag anlegen, findet sich im
vierten Punkt. Im Grunde genommen geht es Ihnen überhaupt nicht um die Milchexportsubventionen, die wir im
Ausschuss lang und breit erörtert haben. Vielmehr geht
es Ihnen um ein politisches Signal gegenüber dem BDM.
({2})
Der Bund Deutscher Milchviehhalter ist der Meinung,
dass man unsere offenen Märkte dadurch regulieren
kann, dass man ein flexibles Mengensteuerungssystem
einführt. Alle Leute, die darüber nachgedacht haben,
empfinden die Idee des BDM als unrealistisch. Was machen Sie? Sie schreiben zunächst:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
sich dafür einzusetzen, dass ab sofort keine Exportsubventionen für Agrarexporte gewährt werden;
sich dafür einzusetzen, dass die Festsetzung von
Exporterstattungen für Milch und Milcherzeugnisse
rückgängig gemacht wird;
…
Viertens heißt es dann:
sich für die Entwicklung und Einführung eines flexiblen Steuerungsinstruments für die Milchmenge
in der EU einzusetzen.
Frau Höfken, es ist enttäuschend unaufrichtig von Ihnen,
({3})
dass Sie in einen Antrag etwas hineinbringen, was in
diesem Zusammenhang überhaupt nichts zu suchen hat,
sondern reines Anbiedern an den BDM und in meinen
Augen Verführen ist. Ich bin davon überzeugt, Frau
Höhn - ich habe sie vorgestern Abend bei einer Veranstaltung des BDM erlebt - ist nicht dumm genug, um
nicht zu wissen, dass der BDM mit seiner Position falsch
liegt. Daher ist es unlauter und fast bösartig, wenn man
den Menschen politisch Hoffnung macht, dass ein sensibles Mengensteuerungssystem innerhalb der EU und
auf einem globalen Markt möglich ist. Sie wissen, dass
das gar nicht möglich ist.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/
Die Grünen, ich glaube, ihr habt es nicht nötig, solche
Anträge einzubringen. Das ist nichts anderes als blindes
Anbiedern und im Grunde Missbrauch einer Situation,
die für die Entwicklungsländer hochdramatisch ist. Da
der Name des Kollegen Hoppe, der Vorsitzender des
Entwicklungshilfeausschusses ist, im Kopf Ihres Antrags aufgeführt wird, kann ich nur sagen - darüber müssen Sie sich im Klaren sein -: Sie missbrauchen im
Grunde genommen Ihre eigenen Leute. Sie wissen das
genau; denn Sie kommen auf die in Ihrem Antrag enthaltene Position mit keinem einzigen Wort in der Begründung zurück.
Aus unserer Sicht gilt Folgendes: Wir müssen die
Milchprobleme auf unserem nationalen Markt selbst lösen. Die Korrektur der Agrardieselbesteuerung war nö24640
tig. Aber sie ist ein fauler Kompromiss. Wer die Regelungen zur Agrardieselbesteuerung nur für zwei Jahre
mit der Begründung „Wir gehen in die Zeit vor Frau
Künast zurück“ ändert, hat nicht verstanden, dass es hier
im Grunde genommen um europäische Harmonisierung
und Wettbewerbsbedingungen geht.
({5})
Wir können in diesem Bereich gerne konsequent und
geradlinig weiterarbeiten. Hier können wir natürlich das
aufgreifen, was Kollegin Mortler gesagt hat: Gewährung
von Überbrückungshilfen, Vorziehen der Direktzahlungen und Auflegung von Schulmilchprogrammen. Das alles kann man machen, aber erstens nicht auf dem Rücken der Entwicklungsländer und zweitens nicht in der
meiner Meinung nach bösartigen Form, die Sie in Ihrem
Antrag zum Ausdruck bringen. Deswegen werden Sie
für einen solch verlogenen Antrag - eigentlich müsste es
unser gemeinsames Anliegen sein, dafür zu sorgen, dass
Märkte in den Entwicklungsländern entstehen, die die
Menschen vor Ort ein Stück glücklicher machen - keine
Zustimmung von uns bekommen.
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Zöllmer,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Marlene Mortler, ich möchte drei, vier Sätze aus
einem Auszug von Spiegel Online zitieren:
Eigentlich müsste die CSU den Bauern erklären,
dass sie die Macht über den Milchpreis verloren
hat. Es wäre die Wahrheit … Seehofer tut so, als
gäbe es ein Zurück zur alten Planwirtschaft. Dabei
weiß er, dass sich nicht einmal die deutschen Ministerpräsidenten darauf einigen können, die Milchmenge zu begrenzen. Er ist im Moment der größte
Illusionskünstler der deutschen Politik. Doch die
Bauern glauben seinen Tricks nicht.
So weit Spiegel Online. Ich kann nur sagen: Sie haben
recht.
Es sind viele schöne Worte gefunden worden, als es
darum ging, die gegenwärtige Welthandelsrunde der
WTO als Runde für die Entwicklungsländer zu beschreiben und Zugeständnisse der entwickelten Länder für die
armen Länder zu fordern. Es sollte faire Handels- und
Entwicklungschancen gerade für die armen Länder geben. Ich hatte die Möglichkeit, die Verhandlungen der
WTO in Hongkong vor Ort zu verfolgen. Es gab viele
Probleme in einem sehr komplexen Interessengeflecht.
Eines der zentralen Problemfelder für viele Entwicklungsländer waren die Exporterstattungen der EU für
Agrarprodukte; denn Exporterstattungen verzerren
Preisrelationen auf den Weltmärkten. Sie können zu
Dumpingangeboten führen mit der Folge, die heimische
Produktion in den betroffenen Ländern zu strangulieren.
Dafür gibt es in der Vergangenheit viele gravierende
Beispiele. Sinkende Einkommen und steigende Armut
sind häufig die Folge. Die Entwicklung der Landwirtschaft spielt eine zentrale Rolle bei der Armutsbekämpfung. Deshalb hat es in Hongkong die Zusage der EU gegeben, Exporterstattungen im Zuge der Verhandlungen
bis 2013 abzuschaffen. Auch Bundespräsident Köhler
hat sich im Übrigen für eine Abschaffung der Exportsubventionen starkgemacht.
Warum hat es nun diesen Rückfall bei der Milch gegeben? Was soll das, wem hilft das eigentlich? Es ist bekannt - Marlene Mortler hat darauf hingewiesen -, dass
es einen gravierenden Preisverfall auf dem Milchmarkt
gegeben hat. Es gibt ein deutliches Überangebot an
Milch nicht nur auf dem deutschen Markt. Nun wird wie
bei ähnlichen Überproduktionskrisen in der Vergangenheit der Versuch gemacht, diese Mengen mithilfe von
Exporterstattungen auf dem Weltmarkt abzusetzen.
Auch wenn die schädlichen Auswirkungen auf den
Märkten der Entwicklungsländer bisher gering sind,
auch wenn es sich formal um ein welthandelsrechtlich
zulässiges Instrument handelt, es ist politisch falsch, es
ist gefährlich.
({0})
Gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise, die auch den
Handel stark infiziert hat, macht es wenig Sinn, jetzt in
die Mottenkiste der Handelspolitik zu greifen und ein
völlig verstaubtes Instrument wieder ans Tageslicht zu
holen. Es hilft den Milchbauern nicht. Die Praxis zeigt
das. Die Milchbauern lehnen ein solches Instrument
nachdrücklich ab. Ich darf noch einmal zitieren:
Ein bizarrer Widerspruch: Deutschland stellt erhebliche Mittel für den Aufbau einer marktfähigen
Landwirtschaft in Schwellen- und Entwicklungsländern bereit - und gleichzeitig überfluten wir die
lokalen Märkte mit künstlich verbilligter Milch.
So weit aus einer Publikation des BDM.
Aber auch wenn es nicht zu verheerenden Wirkungen
auf den Märkten vieler Entwicklungsländer kommt: Dies
ist ein völlig falsches Signal. Es ermutigt all diejenigen
Länder, die Protektionismus für ein legitimes handelspolitisches Instrument halten. Protektionismus hat viele
Gesichter. Es wäre für uns verheerend, wenn diese protektionistischen Bestrebungen weiteren Auftrieb erhalten würden. Deutschland wäre der große Verlierer all
dieser Wettläufe. Wir als Exportnation Nummer eins haben ein großes Interesse an einem Abschluss der laufenden Doha-Handelsrunde. Wir sollten alles unterlassen,
was diesen Abschluss behindert. Neue Exportsubventionen behindern den Fortgang der WTO-Verhandlungen.
Das ist etwas, was wir überhaupt nicht gebrauchen können.
({1})
Warum werden wir den vorliegenden Antrag der Grünen trotzdem ablehnen? Dazu ist schon einiges gesagt
worden. Die Grünen haben in ihrem Antrag nicht nur gegen die Milchexportsubventionen Stellung bezogen
- diese Position unterstützen wir Sozialdemokraten, wie
ich deutlich gemacht habe -, sie haben gleichzeitig auch
Vorschläge zur Regulierung des Milchmarktes gemacht,
die wir nicht für zielführend halten. Damit werden zwei
Aspekte miteinander vermischt, die nur zufällig etwas
miteinander zu tun haben. Die in dem Antrag der Grünen
geforderte Steuerung der Milchmenge entspricht nicht
dem Weg, den die EU beschlossen hat. Danach werden
die Milchquoten auslaufen. Das ist auch richtig so. Die
Forderung nach neuen Quoten läuft in die Irre. Die Quotenregelung der Vergangenheit hat das Problem auf dem
Milchmarkt nicht verhindert. Im Gegenteil: Neue Quoten würden neue Probleme schaffen. Das wollen wir
nicht. Deshalb werden wir gegen den Antrag stimmen.
Vielen Dank.
({2})
Für die Linke gebe ich das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche hat die Bundesregierung den Milchbauern einen Teil der Mineralölsteuer erlassen. Schon im Januar wurden nach anderthalb Jahren Aussetzung die Exportsubventionen für
Milchprodukte wieder eingeführt. In Deutschland liegen
damit die Exportpreise für Milchprodukte im Durchschnitt 52 Prozent unter den tatsächlichen Produktionskosten. Durch Subventionen wie den Mineralölsteuererlass kann man keine fairen Preise erzielen. Die
Probleme auf dem europäischen Agrarmarkt bleiben damit weiterhin ungelöst. Butter, Käse und Milchpulver
werden zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU.
Aus entwicklungspolitischer Sicht ist das ein Irrsinn. In
einem Beschluss vom 5. März 2009 hat der Bundestag
die Bundesregierung aufgefordert, sich für die Abschaffung der Agrarsubventionen einzusetzen. Auch die Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unterstützte diese
Forderung. Das Versprechen der Landwirtschaftsministerin Aigner, dass keine Exporte in die ärmsten Entwicklungsländer subventioniert werden, wurde gebrochen.
Die Behauptung von CDU/CSU und Teilen der SPD,
dass die Situation des deutschen Milchmarktes nichts
mit den Exporterstattungen und der WTO zu tun hat, ist
blanker Unsinn.
({0})
Wenn subventioniertes Milchpulver billiger als die
Milch der lokalen Bäuerinnen und Bauern ist, dann werden Existenzen in den Entwicklungsländern vernichtet.
({1})
- Hören Sie zu! - 2005 war 1 Liter Milch auf Basis europäischen Milchpulvers in Burkina Faso 15 Cent billiger
als die heimische Frischmilch. Dieses Phänomen lässt
sich in vielen Staaten Subsahara-Afrikas beobachten.
Das hat dort Leben zerstört.
({2})
In Sambia ist Milch seit wenigen Jahren eine Einkommensquelle, auch dank deutscher und europäischer Entwicklungshilfe. John Mwemba, Vorsitzender einer
Milchkooperative, sagt:
Mit Kühen gelingt es …, jeden Monat Geld für Essen, Schule und Medizin zu erwirtschaften.
Die sambischen Milchbauern erhalten kaum Subventionen. Der Milchkonzern Campina dagegen hat in den
letzten fünf Jahren in Deutschland 12,7 Millionen Euro
an Agrarsubventionen geschenkt bekommen. Das muss
aufhören!
({3})
Sollte zudem in Sambia der ohnehin niedrige Zoll auf
Milchpulverimporte noch weiter sinken, könnte der Albtraum von Herrn Mwemba Wirklichkeit werden: „… wir
werden wieder arm sein“. Die afrikanischen Länder forderten deshalb, dass 40 Prozent der Produkte mit Zöllen
belegt werden dürfen.
({4})
Die EU hat gegenüber den Entwicklungsländern, den armen Ländern in Afrika, eine Höchstgrenze von 20 Prozent durchgeboxt.
({5})
Natürlich wollen wir faire Preise für die europäischen
und deutschen Milchproduzenten. Die EU hat jedoch
durch Anhebungen der Milchquote Überschüsse in der
Produktion und gesunkene Preise mitverursacht.
Unsere agrarpolitische Sprecherin Kirsten Tackmann
sagt ganz richtig:
Von 24 Cent und weniger für einen Liter Milch
kann kein Betrieb auf Dauer leben.
({6})
Wir brauchen einen agrarpolitischen Richtungswechsel hin zu einer Stabilisierung der regionalen Märkte mit
kostendeckenden Preisen. Dabei müssen wir vor allem
über die Marktmacht des Einzelhandels und der Großmolkereien sprechen.
Der Antrag der Grünen zur Abschaffung der Exportsubventionen für Milch kommt zum richtigen Zeitpunkt.
Sicher sind einige Ungereimtheiten im Feststellungsteil
zu bemängeln. Die Grünen sprechen vom „Geist der
Verhandlungen auf der WTO-Ebene“. Die Absenkung
der Schutzzölle ist ein Ergebnis der WTO-Verhandlungen. Insofern kann man das Scheitern der Verhandlungen nicht bedauern. Auch die Behauptung, dass die
meisten Exporte nach Afrika gingen, ist so nicht richtig.
Richtig ist natürlich, dass der Export von 1,2 Prozent der
deutschen Agrarprodukte in afrikanische Länder einen
unmenschlich hohen Schaden anrichtet.
Herr Kollege.
Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. - Die Behauptung der Koalition, dass die Subventionen deutscher
Milchexporte für den globalen Markt unerheblich seien,
ist beschämend, kurzsichtig und einfach falsch.
({0})
Deshalb werden wir, die Entwicklungspolitiker und viele
andere aus meiner Fraktion, dem Antrag der Grünen zustimmen.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Aydin, was Sie hier erzählen, ist natürlich Quatsch. Ohne Übermengen brauchten wir keine
Exportsubventionen. Insofern gibt es durchaus eine Verbindung.
({0})
Ich hätte Frau Mortler gern gefragt - das durfte ich
aber nicht -, ob sie eigentlich den Anträgen des Bundeslandes Bayern zustimmt: 5 Prozent Mengenabbau, Veränderung des Umrechnungsfaktors, Abschaffung der
Molkereisaldierung, Einbehaltung der Erhöhungsmengen in der nationalen Reserve. Dazu hat sie keinen Ton
gesagt.
Übrigens wäre es lohnend, auf den CDU-Minister
Hauk zu verweisen, der auch für Mengenregulierungen
ist;
({1})
auch Frankreich und Österreich sind dafür. Die Front
bröckelt also. Man muss klar sagen: Die Milchpolitik der
Bundesregierung bringt das Fass zum Überlaufen.
Ich bekomme Hunderte von Briefen aus allen Teilen
Deutschlands - Börtlingen, Detern, Windhagen - in denen es heißt: 5 000 Euro Verlust, 2 500 Euro Verlust,
4 000 Euro Verlust pro Monat.
({2})
Das ist die Situation, in die Sie die Betriebe gebracht haben und noch bringen.
Statt den Milchhahn endlich zuzudrehen, verplempern Bundesregierung und EU-Kommission Steuermilliarden für Exportsubventionen, um die selbst herbeigeführten Übermengen loszuwerden. Das geht auf Kosten
der Bauern in den Entwicklungsländern.
({3})
Das hat mein Vorredner schon dargestellt.
Ich nenne nur das, was der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und zwar auch
mit den Stimmen von CDU/CSU, beschlossen hat:
Der Ausschuss bittet die Bundesregierung eindringlich, sich weiterhin gegenüber der Europäischen
Kommission dafür einzusetzen, keine Exportsubventionen für Agrarexporte in Entwicklungsländer
zu gewähren.
Also auch von dieser Seite Zustimmung zu unserem Antrag.
({4})
Mit den bisherigen Maßnahmen konnte eine Entlastung des Marktes auf jeden Fall nicht erreicht werden,
und das Vorziehen der Direktzahlungen ist auch Milchschaumschlägerei. Das geht ebenso an der Problemursache vorbei. Was machen die Leute denn in einem halben
Jahr?
Steuerentlastung beim Agrardiesel: Über vier Jahre
hat diese Bundesregierung mit der Mehrwertsteuer den
Agrardiesel noch verteuert. Jetzt kommt plötzlich eine
marginale Absenkung. Bei 42 000 Euro Verlust eines
durchschnittlichen Milchviehbetriebs in Rheinland-Pfalz
sind 350 Euro wirklich nur ein Tropfen auf den heißen
Stein, und das Geld für notwendige Maßnahmen ist weg,
ganz abgesehen davon, dass das Ganze sowieso absolut
ungerecht ist.
({5})
Die Rechnung darf dann auch noch die neue Bundesregierung bezahlen.
Um die Übermengen loszuwerden, soll die Milch jetzt
in die Schulen fließen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass
der Bundesfinanzminister, genauso wie die Finanzminister der Bundesländer, diesem Vorhaben die Finanzierung
verweigern wird. Das Geld wird überhaupt nicht abgerufen.
Wir verlangen von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie
diese Mittel für Schulobst, Schulmilch und Armenspeisung endlich in ein vernünftiges Konzept zur gesunden
Ernährung in den Schulen und in den Kindergärten überführen. Dann kann man Sie auch ernst nehmen.
({6})
Fusionierung der Molkereien: Auch das macht die Situation eher schlimmer. Jedenfalls muss der Milchhahn
zugedreht werden, um Angebot und Nachfrage wieder
ins Gleichgewicht zu bringen.
Die gleiche Entwicklung hatten wir doch beim Weinmarkt, ehe wir über Fraktionsgrenzen hinweg endlich
eine Mengenregulierung herbeigeführt haben. Erst dann
konnten wir sagen: Der Markt entwickelt sich jetzt wieder gut.
({7})
„Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln
setzt …“ Das muss auch für den Milchmarkt gelten.
({0})
Ich will ganz ernsthaft sagen: Die Herausforderungen
der kommenden Jahre sind die Märkte für Energie und
für Lebensmittel. Genauso wie bei den erneuerbaren Energien - zum Beispiel beim EEG - muss die Politik bei
der Lebensmittelerzeugung für Unabhängigkeit und für
Sicherheit der Versorgung sorgen. Denn kommende Eskalationen im Ernährungsbereich kann keine Politik
durchstehen, und Sie am allerwenigsten.
Bündnis 90/Die Grünen wollen eine am Bedarf ausgerichtete, nachhaltige, qualitativ hochwertige und umweltgerechte Milchproduktion, die faire Erzeuger- und
Verbraucherpreise ermöglicht. Wir fordern die Kanzlerin
auf, morgen, wenn sie sich endlich einmal mit den Bäuerinnen trifft - ihr ist wahrscheinlich eingefallen, dass das
Wählerinnen sind -, die Notbremse zu ziehen.
({1})
Wir wollen die sofortige Abschaffung der Exportsubventionen. Wir wollen die sofortige Mengenbegrenzung.
({2})
Es ist verantwortungslos, bei einem so bedeutenden Bereich wie der Lebensmittelerzeugung den Steuerhebel
aus der Hand zu geben und die Milcherzeugung zu zerschlagen. Wir brauchen eine neue Diskussion über die
Milchproduktion.
Danke.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ulrich Kelber, SPD-Fraktion.
({0})
- Ich bitte, dem Kollegen Ulrich Kelber noch zuzuhören.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte Ihnen von meinem Freund Kangwa
erzählen. Kangwa ist fünf Jahre alt und geht schon zur
Schule. Er lebt mit seinem Bruder und zwei Cousins, die
Aidswaisen sind, zusammen mit seiner Mutter, seinem
Onkel und seiner Großmutter auf einer 1,5 Hektar großen Farm in der Copperbelt-Region in Sambia an der
Grenze zum Kongo.
Ich hatte das Privileg, Ende März/Anfang April auf
Einladung der christlichen Organisation „Justitia et Pax“
einige Tage mit dieser Familie auf der Farm zu leben und
zu arbeiten. Ich habe mir anschauen können, was die
Milchviehwirtschaft für diese Familie bedeutet. Die Familie hat vor drei Jahren mit einer geschenkten Kuh im
Rahmen des Heifer-Programms damit begonnen. Es ist
die Chance, Ernährung und Einkommen zu sichern.
Die Familie betreibt diese Milchviehwirtschaft unter
schwersten Bedingungen: massiver Mangel an Wasser
- Wasser muss mit reiner Muskelkraft aus einem tiefen
Erdloch geholt werden -, Mangel an Geräten, Fehlen
von Strom, keinerlei Mobilität; noch nicht einmal ein
Fahrrad kann sich diese Familie leisten.
Die Milch ist wichtig, erstens um Mangelernährung
bei den vier Kindern zu verhindern und zweitens um ein
zusätzliches kleines Einkommen zu erzielen. Nur mit
dieser Chance auf zusätzliches Einkommen kann das
Schulgeld für die vier Kinder bezahlt werden. Wird das
Schulgeld nicht rechtzeitig bezahlt, werden die Kinder
ab dem nächsten Tag von den Lehrerinnen und Lehrern
nach Hause geschickt.
Um dieses Geld zu erwirtschaften, geht Frau Malama,
die 60-jährige Hofpatronin, täglich bis zu 22 Kilometer
zu Fuß mit der Milchkanne zur Milchsammelstelle, um
die Milch dort abzugeben. Ich habe sie an einem Tag auf
diesem Weg begleitet. Für 3 Liter Milch - 1 Liter wird
für den Eigenkonsum abgezweigt - geht sie 5,5 Kilometer hin und 5,5 Kilometer zurück - für einen Erlös von
rund 60 Cent. Ohne dieses Geld ist der Schulbesuch der
Kinder nicht möglich. Ohne dieses Geld kann die veterinärmedizinische Versorgung der Kühe nicht gewährleistet werden. Würde die Kuh geschlachtet, könnte die Familie mit dem Erlös zwar einige Wochen und Monate
überleben; jegliche Chance auf Entwicklung wäre aber
vernichtet.
Was hat Sambia mit Milchexportsubventionen zu tun?
Wir haben doch festgelegt, dass nur in Schwellenländer,
nicht aber in Entwicklungsländer geliefert wird. Sambia
ist in einer Zollunion mit Südafrika. Nach Südafrika
wird geliefert, nicht nur aus Europa, sondern auch aus
Ländern außerhalb Europas. In der Größenordnung, in
der Milchpulver nach Südafrika geliefert wird, liefert
Südafrika Milchpulver nach Botswana, nach Sambia und
in andere Staaten. Der Milchpreis dort fällt in der Geschwindigkeit, in der der Preis für das exportierte Milchpulver fällt. Das vernichtet dort Existenzen. Alle Chancen, Milchviehwirtschaft aufzubauen, Mangelernährung
bei den Kindern zu verhindern und Einkommen zu erzielen, sind damit weg.
Deswegen, Frau Ministerin, fordere ich Sie auf - ich
bitte Sie nicht nur darum -, so manchen Klientelwünschen nicht nachzugeben, sondern im Europäischen Rat
mit Nein zu stimmen, wenn es um die Verlängerung der
Gewährung von Exportsubventionen für Milch geht. Es
geht um Existenzen und das Leben von Menschen.
({0})
Der Kollege Zöllmer hat dargestellt, warum die SPD
einem Antrag, der eine Reihe von Forderungen enthält,
nicht zustimmen kann; wir lehnen einige davon eben ab.
Als ich jene Farm verlassen habe, habe ich der Familie
und mir allerdings eines versprochen: Ich kann nicht gegen einen Antrag stimmen, der das Ziel hat, Milchexportsubventionen zu beenden. Ich werde mich daher
heute enthalten.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Milch-Exportsubventionen sofort
stoppen - Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick-
lungsländern verhindern“.
Zu dieser Abstimmung liegen mir etliche Erklärungen
nach § 31 GO vor.1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/13119, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12308 abzu-
lehnen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-
lich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich er-
öffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Carola Reimann, Detlef Parr, Frank
Spieth und weiteren Abgeordneten eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur diamorphinge-
stützten Substitutionsbehandlung
- Drucksache 16/11515 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
diamorphingestützte Substitutionsbehandlung
- Drucksache 16/7249 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Chris-
tian Ahrendt und weiteren Abgeordneten einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
1) Anlagen 14 und 15
2) Ergebnis Seite 24646 D
des Betäubungsmittelgesetzes und anderer
Vorschriften
- Drucksache 16/4696 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Gesundheit ({0})
- Drucksache 16/13021 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Eichhorn
Detlef Parr
Dr. Harald Terpe
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Spahn,
Maria Eichhorn, Dr. Hans Georg Faust und
weiterer Abgeordneter
Ausstiegsorientierte Drogenpolitik fortführen - Künftige Optionen durch ein neues
Modellprojekt zur heroingestützten Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger evaluieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald
Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesetzliche Voraussetzungen für heroingestützte Behandlung Schwerstabhängiger
schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Ulla Jelpke, Frank Spieth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Heroinmodell in die Regelversorgung überführen und Therapiefreiheit der Ärztinnen
und Ärzte schützen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Daniel Bahr ({2}), Heinz Lanfermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Kontrollierte Heroinabgabe in die Regelver-
sorgung aufnehmen
- Drucksachen 16/12238, 16/2075, 16/2503,
16/3840, 16/13021 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Eichhorn
Detlef Parr
Dr. Harald Terpe
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({3})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Daniel Bahr ({4}), Heinz Lanfermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Regelung zur Substitutionsbehandlung
Opiatabhängiger praxisnah gestalten Rechtssicherheit für substituierende Ärzte
schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald
Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Versorgungsqualität der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige verbessern
- Drucksachen 16/6795, 16/8212, 16/12513 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Spielmann
Über die Vorlagen werden wir später in einer oder
zwei namentlichen Abstimmungen - das ist abhängig
vom Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung und in mehreren einfachen Abstimmungen entscheiden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort der Kollegin Carola Reimann,
SPD-Fraktion.
({5})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute abschließend den überfraktionellen Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung.
Frau Kollegin, halten Sie bitte noch etwas inne.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen oder ihren Platz
einzunehmen.
({0})
Es dauert noch eine Dreiviertelstunde, bis die nächste
namentliche Abstimmung stattfindet. Diese Zeit sollten
wir nutzen, um den Ausführungen der Rednerinnen und
Redner zu folgen.
Jetzt, bitte.
Der Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen,
lehnt sich eng an die entsprechende Bundesratsinitiative
an und wird von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen
der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/
Die Grünen unterstützt. Ich möchte mich bei all den Unterstützerinnen und Unterstützern hier im Hause ganz
herzlich bedanken. Es spricht für die politische Kultur in
diesem Haus, dass wir bei aller Konkurrenz und Auseinandersetzung auch in der Lage sind, bei einzelnen
Sachfragen über Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam
Gesetze auf den Weg zu bringen.
({0})
Die breite Unterstützung für unseren Entwurf und die
Einsicht in die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung setzen sich auch außerhalb des Parlaments fort: in
Fachkreisen, in der Wissenschaft und vor Ort in den
Kommunen. Experten, Betroffene, Praktiker sowie auch
CDU-geführte Städte und Länder stehen hinter dem Entwurf. Erst letzte Woche habe ich ein Schreiben der Stadt
Frankfurt/Main erhalten - ich gehe davon aus, dass das
auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen zugegangen ist -, in dem noch einmal nachdrücklich für unseren
Gesetzentwurf geworben wird. Falls Ihnen das Schreiben nicht zugegangen ist, gebe ich gerne eine Kopie weiter.
Was wollen wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen?
Es geht darum, Schwerstheroinabhängigen mit massiven
Gesundheitsproblemen wieder eine Perspektive zu eröffnen. Es handelt sich hierbei meist um Menschen meines
Alters, die bereits eine traurige, langjährige Drogenkarriere hinter sich haben und in einem entsprechend
schlechten, zum Teil lebensbedrohlichen Gesundheitszustand sind. Wir sind verpflichtet, diesen Menschen, die
schon mehrere erfolglose Therapien hinter sich haben,
eine weitere Chance zu geben, ins Leben zurückzufinden. Denn - man muss es so deutlich sagen - allzu viele
Chancen eröffnen sich für Abhängige in diesem Stadium
der Erkrankung nicht mehr.
Die Behandlung mit Diamorphin ist für viele eine allerletzte Chance. Dass sie erfolgreich ist, belegt auch die
wissenschaftliche Begleitstudie des Modellprojekts. In
dieser klinischen Studie wurde klar nachgewiesen, dass
die Diamorphinbehandlung den Gesundheitszustand und
die Lebensumstände der Schwerstopiatabhängigen verbessert. Die Ergebnisse wiesen in allen Bereichen eine
statistisch signifikante Überlegenheit der diamorphingestützten Behandlung gegenüber der Methadonbehandlung auf. Das heißt, in den Modellprojekten haben
Schwerstabhängige wieder ins Leben zurückgefunden.
Daher wollen wir nun, nach Auslaufen der Modellprojekte, die Behandlung mit Diamorphin auf eine gesicherte gesetzliche Grundlage stellen, damit die Versorgung in den Einrichtungen fortgesetzt werden kann.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf geben wir den Schwerstabhängigen wieder
eine Perspektive. Wir legen aber auch strenge Kriterien
für die Behandlung mit Diamorphin fest. Wir wissen,
dass es sich nicht um irgendeine Substanz handelt. Deshalb finden sich in unserem Entwurf für die kontrollierte
Abgabe strikte Vorgaben, beispielsweise zum Personenkreis. Für eine Behandlung kommen nur Personen infrage, die über 23 Jahre alt sind. Sie müssen seit über
fünf Jahren opiatabhängig sein, verbunden mit schwerwiegenden körperlichen und psychischen Erkrankungen.
Sie müssen bereits zwei Therapien erfolglos hinter sich
haben. Hier kommt also niemand einfach so an Heroin
auf Rezept, wie von Einzelnen wenig kenntnisreich behauptet wird.
Genauso unsinnig ist die Behauptung, dass durch die
Überführung der diamorphingestützten Behandlung in
die Regelversorgung mit Zehntausenden von Patienten
zu rechnen sei.
({2})
Berücksichtigt man die eben genannten Anforderungen
und auch die Erfahrungen, die in unseren Nachbarländern,
den Niederlanden und der Schweiz, nach der Einführung
der Diamorphinbehandlung in die Regelversorgung gemacht wurden, so ist mit 2 000 bis 3 000 behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten zu rechnen, mehr
nicht. Von einem Ansturm kann also keine Rede sein.
Dieser Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit, er formuliert klare Regeln für die Diamorphinabgabe und begrenzt den Personenkreis auf diejenigen, die wirklich
Hilfe brauchen. Er basiert auf den positiven Ergebnissen
einer anerkannten klinischen Studie. Wie bereits erwähnt, wird er von einer breiten Mehrheit innerhalb und
außerhalb des Parlaments getragen, eben weil die Ergebnisse der Studie und vor Ort so eindeutig sind.
({3})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/
CSU, kann ich nicht nachvollziehen, warum Sie diesen
überfraktionellen Entwurf nicht mittragen.
({4})
Schon seit langer Zeit liegen die Ergebnisse auf dem
Tisch. Seit 2007 reden wir über das Thema. Erst jetzt,
zwei Jahre später, nach monatelangen Gesprächen und
nach der Einbringung eines überfraktionellen Entwurfs,
präsentieren Sie kurz vor knapp einen eigenen halbherzigen Antrag, der uns keinen einzigen Schritt weiterbringt.
({5})
Denn er belässt Betroffene wie Mitarbeiter in den Drogenambulanzen weiter in unsicheren Provisorien, obwohl es dafür keinen einzigen sachlichen Grund gibt.
Genau das merkt man Ihrem Antrag an. Denn statt überzeugender Argumente streuen Sie Zweifel, reden von
Horrorzahlen und stellen Fragen, die schon längst geklärt sind.
({6})
Das, was Sie vorgelegt haben, ist keine Alternative,
nicht für uns und schon gar nicht für die Schwerstabhängigen, die dringend Hilfe brauchen.
({7})
Aus diesem Grund kann ich nur noch einmal eindringlich dafür werben, heute den überfraktionellen Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung zu unterstützen. Es wird höchste Zeit, dass das
erfolgreich erprobte Modell auf eine gesicherte gesetzliche Grundlage gestellt wird, damit die Versorgung fortgesetzt werden kann.
({8})
Die Schwerstabhängigen, die alle Kraft zusammennehmen, um wieder in ein geregeltes Leben zurückzufinden,
und auch diejenigen, die ihnen im Rahmen der Projekte
dabei helfen, haben es verdient, dass wir nach den jahrelangen Debatten endlich Klarheit schaffen.
Danke.
({9})
Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 9 und
gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag „Milch-Exportsubventionen sofort
stoppen - Weitere Zerstörung der Märkte in Entwicklungsländern verhindern“ bekannt: abgegebene Stimmen
548. Mit Ja haben gestimmt 450, mit Nein haben gestimmt 65, Enthaltungen 33. Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 548;
davon
ja: 450
nein: 65
enthalten: 33
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Andreas Jung ({7})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({9})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({28})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({29})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({30})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Eike Hovermann
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({35})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({36})
Michael Müller ({37})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Steffen Reiche ({38})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({39})
Michael Roth ({40})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({41})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({42})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({43})
Silvia Schmidt ({44})
Renate Schmidt ({45})
Heinz Schmitt ({46})
Carsten Schneider ({47})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({48})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({49})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({50})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({51})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({52})
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({53})
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({54})
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({55})
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Christel Humme
DIE LINKE
Sevim Dağdelen
Heike Hänsel
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Ulrich Maurer
Dr. Norman Paech
Paul Schäfer ({56})
({57})
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({58})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({59})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({60})
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({61})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({62})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Enthalten
SPD
Gabriele Groneberg
Dr. Bärbel Kofler
Gesine Multhaupt
Dr. Erika Ober
Christel RiemannHanewinckel
Otto Schily
Dr. Wolfgang Wodarg
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Bodo Ramelow
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Der nächste Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDPFraktion.
({63})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein Blick in den Koalitionsvertrag von Union und SPD
zeigt: Die Sucht- und Drogenpolitik spielt bei den Koalitionsfraktionen im Gegensatz zur öffentlichen Aufmerksamkeit nur eine untergeordnete Rolle; ganze drei Sätze
ist sie ihnen wert.
({0})
Kein Wunder, dass über die Jahre auch im Bereich der
diamorphingestützten Substitutionsbehandlung Schwerstabhängiger nicht viel passiert ist.
Wir scheinen hier in Berlin weit weg zu sein von den
Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, in die
Abhängigkeit gerutscht sind und persönlich und materiell in Elend leben. Wie sonst erklärt sich, dass wir als
Bund uns zusammen mit den Bundesländern an Modellversuchen in sieben deutschen Großstädten finanziell
und ideell beteiligt haben, jetzt aber den letzten Schritt
- die nachgewiesenermaßen erfolgreiche Behandlungsmethode in die Regelversorgung aufzunehmen scheuen? Sicherlich bleiben, wie bei allen wissenschaftlichen Studien, Fragen offen.
({1})
Die können wir aber auch nach Verabschiedung des Gesetzes im Alltagsablauf beantworten. Formale Streitigkeiten sollten nicht länger auf den Schultern der Betroffenen ausgetragen werden.
({2})
Wer zum Beispiel in der Nähe unserer Bahnhöfe
Menschen antrifft, die mehr oder weniger versteckt in
tiefer persönlicher Not sind, sich offensichtlich selbst
nicht mehr helfen können und der verantwortungslosen,
gnadenlosen Verführung krimineller Dealer ausgesetzt
sind, darf nicht wegschauen.
({3})
Alle medizinischen Möglichkeiten müssen genutzt werden, um den Gesundheitszustand dieser Menschen zu
stabilisieren, sie vom Rand der Gesellschaft schrittweise
wieder in die Mitte der Gesellschaft zu führen und sie
zur Aufnahme weiterführender Therapien zu motivieren.
Diese humanitäre Verantwortung haben die Modellstädte Bonn, Frankfurt am Main, Hannover, Hamburg,
Köln, Karlsruhe und München auch für uns auf sich genommen. Nun gilt: Berlin, übernehmen Sie! Heute sind
wir als Gesetzgeber gefordert, die Schwerstabhängigen,
aber auch die Wissenschaftler, die Sozialarbeiter und die
ehrenamtlich Tätigen, die in diesem Modellprojekt aufopfernd gearbeitet haben, nicht im Stich zu lassen. Sie
sind mit ihren Erfahrungen offensichtlich viel weiter als
mancher Abgeordnete, viel näher an den Menschen, denen auch wir verpflichtet sind.
({4})
Es sollte eigentlich unstrittig sein, dass sich die diamorphingestützte Substitutionsbehandlung nahtlos in die
Reihe niedrigschwelliger Angebote der Suchtbekämpfung einreiht, die sich - darüber besteht über die Parteigrenzen hinweg Konsens - bewährt haben: Drogennotrufe, anonyme Telefonberatung, Konsumräume,
Krisenzentren, mobile aufsuchende Projekte, Methadonambulanzen - und nun, als Ergebnis einer ganz natürlichen Weiterentwicklung, die Einführung einer neuen Behandlungsmethode. Das ist konsequente Politik, die sich
an den Notwendigkeiten orientiert und individuelle Hilfen anbietet.
({5})
Wichtig ist, den betroffenen Menschen das Gefühl zu
geben, dass sie nicht alleingelassen werden, dass wir sie
nicht tiefer in die Enge der Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit treiben. Die Zahl der Drogentoten darf
nicht weiter steigen.
({6})
Mit dem Modellversuch ist einer überschaubaren Zahl
von Schwerstkranken Hilfe angeboten worden, und es ist
Vertrauen aufgebaut worden. Diese Basis durch Ablehnung unseres Gesetzentwurfes zu zerstören, wäre ein Armutszeugnis.
Die Kommunen und Städte, die an dem Modellprojekt beteiligt waren, haben ihre Hilfsangebote für Drogenabhängige in den letzten Jahren differenziert und
ausgeweitet. Prävention, Beratung, Therapie und Überlebenshilfe sind die Säulen, auf denen die Städte ihre
Drogenpolitik aufgebaut haben. Das entspricht den Leitlinien der Sucht- und Drogenpolitik der FDP-Bundestagsfraktion, die wir erst kürzlich verabschiedet haben.
({7})
Wir brauchen weitere gesetzliche Rahmenbedingungen, um diese grundlegende Arbeit der Kommunen und
Städte zu unterstützen.
Heute geht es darum, die Bedingungen für den konkreten Baustein „diamorphingestützte Substitutionsbehandlung“ zu schaffen. Damit soll den Modellstädten
gezeigt werden, dass ihre Arbeit unterstützt und erleichtert wird und dass sie auf dem richtigen Weg sind. Den
Betroffenen soll die Perspektive vermittelt und die
Sicherheit gegeben werden, dass die für sie lebenswich24650
tige Behandlung fortgeführt wird. Das sind Impulse, die
bundesweit ausstrahlen sollen.
Abschließend möchte ich betonen: Wir wollen kein
Heroin auf Krankenschein. Wir haben hohe Hürden gegen einen möglichen Missbrauch und Sonderregelungen,
die bei der Vergabe berücksichtigt werden müssen, in
den Gesetzentwurf eingearbeitet. In Ergänzung zu dem,
was Frau Kollegin Reimann gesagt hat, möchte ich weitere drei - für uns wichtige - Punkte nennen.
Kollege Parr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Eisel?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, gerade weil ich aus Bonn, also einer der
Modellstädte, komme, habe ich folgende Fragen:
Erstens. Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass in den
Modellstädten und auch beim Experten-Hearing die
Meinungen der Ärzte hinsichtlich des Erfolgs des Modellversuchs sehr unterschiedlich und sogar kontrovers
waren?
Zweitens. Würden Sie in Ihrer Argumentation zugestehen, dass wir uns, auch wenn man einen Weg für sinnvoll hält, der anders ist als der, den Sie vorschlagen, gegenseitig den Respekt nicht absprechen sollten, dass wir
- Sie durch eine gesetzliche Regelung, wir durch Fortsetzung des Modellversuches - das Beste für die Betroffenen erreichen wollen?
({0})
Sie haben recht: Bei einer solch schwierigen Frage,
die hier im Bundestag unterschiedlich beantwortet wird,
vertreten natürlich auch die Fachleute unterschiedliche
Auffassungen.
({0})
Allerdings gilt: Es handelt sich um einen Modellversuch mit validen Ergebnissen. Diese validen Ergebnisse
führen zu einer Mehrheit, die dem Versuch, diese Behandlung in die Regelversorgung zu überführen, positiv
gegenübersteht. Man muss die weiteren Erfahrungen abwarten. Die Mehrzahl der Stimmen fordert: Wir müssen
heute entscheiden.
({1})
Ich möchte auf drei Punkte eingehen, die für uns im
Hinblick auf die Hürden wichtig sind.
Erstens. Diamorphin darf ausschließlich zur Substitutionsbehandlung und nicht zur Schmerzbehandlung verschrieben werden.
Zweitens. Die Behandlung darf nur in bestimmten
Einrichtungen vorgenommen werden, deren Betrieb einer Erlaubnis der Landesbehörde bedarf, die über eine
besondere personelle und sachliche Ausstattung verfügen und die strenge Sicherheitsbedingungen erfüllen.
Drittens. Das benötigte Diamorphin darf nur auf einem Sondervertriebsweg geliefert werden.
Der Vorwurf, es gebe Heroin auf Krankenschein, läuft
also ins Leere. Die Zeit ist reif für eine Entscheidung.
Auch wenn der Kollege Spahn in einem Schreiben an
alle Kollegen im Bundestag gestern behauptete, der jetzige Zeitpunkt sei der falsche, sage ich: Es ist an der
Zeit, endlich Klarheit zu schaffen.
({2})
Lieber Kollege Spahn, Ihr Schreiben kann man nur
als einen letzten verzweifelten Versuch der Beeinflussung bewerten. Auch Sie gehen im Stillen davon aus,
dass sich die Mehrheit in diesem Hause jetzt für eine
klare Entscheidung ausspricht.
({3})
Die Fortsetzung der Modellprojekte, wie Sie sie fordern,
ist keine Alternative zu unserem Gesetzentwurf, sondern
nur ein überflüssiges Spiel auf Zeit.
({4})
Deswegen lassen wir uns nicht in die Irre führen. Gehen
wir heute mutig einen neuen Weg!
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass auf der Besuchertribüne
acht Kollegen aus dem US-Kongress in Begleitung unseres Kollegen Hans-Ulrich Klose Platz genommen haben.
Wir begrüßen sie recht herzlich hier im Hause.
({0})
Nun hat der Kollege Jens Spahn für die Unionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Parr, ich muss sagen: Wir waren in dieser Diskussion
schon einmal weiter.
({0})
Ich finde das, was Sie hier gerade gemacht haben, unglaublich. Sie können nicht einerseits diese Abstimmung
zu einer Gewissensfrage hochstilisieren - das ist der
Grund, warum diese Debatte heute in dieser Form stattfindet -,
({1})
und andererseits, wenn Ihnen und anderen Kollegen ein
Papier mit Argumenten zugeschickt wird, in dieser Art
und Weise mit der Meinung des anderen umgehen. Ich
finde, das war nicht besonders liberal, Herr Kollege Parr.
Das war völlig inakzeptabel!
({2})
Wir sollten uns nicht gegenseitig absprechen - das haben Sie gerade unterschwellig getan -, dass wir alle das
Beste für die Schwerstabhängigen in diesem Land wollen. Wir streiten über das Wie und nicht über das Ob.
Auch das muss klar sein, Herr Kollege Parr.
({3})
Es muss trotz aller Zwischenrufe möglich sein - das
müssen Sie ertragen -, die noch offenen Fragen, die in
der Anhörung von den Experten ziemlich deutlich formuliert worden sind, vorzubringen. Man muss sagen
dürfen, dass man diese Fragen weiter untersuchen will.
Darum geht es in unserem Modellprojekt.
Es gibt eine ganze Reihe offener Fragen. Ich will einige wenige nennen:
Die Einschlusskriterien sind schon mehrfach genannt
worden. Dabei geht es um die Frage, wer für diese Behandlung überhaupt infrage kommt. In Ihren Gesetzentwurf haben Sie keine Zahlen hineingeschrieben. Öffentlich haben Sie von 1 000 bis 2 000 Schwerstabhängigen
gesprochen. Es gibt allerdings Experten des GKV-Spitzenverbandes und der verfassten Ärzteschaft, die gesagt
haben - das sind keine Zahlen, die wir uns ausgedacht
haben -, dass bis zu 80 000 Menschen infrage kommen.
Selbst wenn die Wahrheit in der Mitte liegt, besteht ein
Riesenunterschied zu den Zahlen, die Sie hier nennen.
Angesichts dessen muss es doch erlaubt sein, bestimmte
Fragen zu stellen.
({4})
In der Debatte im Ausschuss haben Sie sich auf eine zahlenmäßige Begrenzung der Plätze, wie sie die Niederlande oder die Schweiz vorgenommen haben, nicht eingelassen.
({5})
Ein zweiter Punkt, der nicht Bestandteil der Studie
gewesen ist, ist die Ausstiegsorientierung. Natürlich ist
uns allen klar, dass es bei Schwerstabhängigen nicht innerhalb von Wochen oder Monaten gelingen kann
- wenn das überhaupt möglich ist -, zu einer Abstinenz
zu kommen. Das ist uns bewusst. Nichtsdestotrotz muss
eine solche Studie Ergebnisse zur Abstinenzorientierung
liefern, bevor man sich für eine Regelversorgung entscheidet. Dies ist eine Frage, die wir weiter untersuchen
wollen.
Es gibt Fragen zum Beikonsum. Es muss doch erlaubt
sein, die Frage zu stellen, warum jemand, der vom Staat
pures Heroin bekommt, weiter in prozentual großem
Umfang Straßenheroin oder Kokain konsumiert. Es
muss ebenfalls erlaubt sein, die Frage zu stellen, ob das
zum Erfolg des Modellprojektes beiträgt.
Wissen Sie, was der entscheidende Punkt ist? Sie
ignorieren folgenden Sachverhalt - das ist es, was mich
an Ihrem Gesetzentwurf am meisten verwundert -: Es
gab in dieser Studie zwei Gruppen - diejenigen, die weiterhin Methadon erhalten haben, und diejenigen, die Heroin im Original erhalten haben. Alle, die in das Projekt
gekommen sind, waren, und zwar in beiden Gruppen,
sogenannte Methadonversager, sind durch die Regelversorgung mit Methadon also nicht erreicht worden. Obwohl sie vorher durch die Regelversorgung mit Methadon nicht erreicht worden sind, ist es selbst in der
Methadonvergleichsgruppe gelungen, bei 74 Prozent der
Probanden den Gesundheitszustand zu verbessern, bei
55 Prozent den illegalen Konsum weiterer Drogen zu reduzieren und bei 40 Prozent zu erreichen, dass kein weiterer Kontakt zur Drogenszene besteht.
Zugegebenermaßen sind die Zahlen bei der Heroingruppe ein wenig besser. Aber die Frage, die zu stellen
ist, ist doch, ob der Stoff, den wir abgeben, zum Erfolg
führt oder ob nicht vielmehr die intensive psychosoziale
Betreuung in dem Modellprojekt zum Erfolg führt. Zumindest muss man sich einmal die Frage, was der eigentliche Erfolgsfaktor ist, stellen.
({6})
Sie blenden vollständig aus - und das schon seit Monaten -, dass es bei der Methadonvergleichsgruppe
enorme Erfolge gegeben hat.
({7})
Es stellt sich die Frage, ob man erst einmal die Regelversorgung mit Methadon verbessern sollte, bevor man unsicheren Schrittes weitergeht.
({8})
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, schlagen
wir vor, die von mir aufgeworfenen Fragen und weitere
offene Fragen, die auch in der Anhörung diskutiert worden sind, in einem Modellprojekt zu klären.
Frau Kollegin Reimann, wir haben das Angebot, dieses Modellprojekt fortzusetzen, tatsächlich erst vor einigen Monaten verschriftlicht; aber das mündliche Angebot von mir und anderen Kollegen hier im Parlament gab
es schon vor einem oder anderthalb Jahren. Tun Sie nicht
so, als wäre das Angebot erst auf den letzten Drücker gekommen. Sie hätten es schon lange annehmen können.
({9})
Dass Sie es nicht getan haben, ärgert mich umso
mehr, als eine Fortsetzung des Modellprojektes im
Grunde allen Seiten gerecht geworden wäre. Wir hätten
den beteiligten Städten ermöglicht, weiterzumachen
- das ist deren Ziel -, und sie hätten auch neue Probanden - in der Ihnen vorschwebenden Größenordnung von
1 000 bis 2 000 - aufnehmen können. Wir hätten es
möglich gemacht, in diesem Modellprojekt mit anderen
Schwerpunkten und Fragestellungen neue Erkenntnisse
zu gewinnen und insbesondere die von mir aufgeworfenen Fragen noch einmal anzugehen. Dann wäre es vielleicht auch mehr Mitgliedern dieses Hauses möglich gewesen, den Schritt in eine andere Richtung zu gehen. Ich
zumindest möchte gerne so viel wie eben möglich wissen, bevor ich eine solch grundlegende Entscheidung
treffe.
Übrigens blenden Sie in manchen öffentlichen Aussagen aus, dass es dieses Kompromissangebot gab. Sie tun
so, als würden wir einfach nur Njet, also Nein, sagen und
nichts anbieten. Das tun wir eben nicht. Wir hätten diesen Konflikt in dieser wichtigen gesellschaftspolitischen
Frage vermeiden können. Wir hätten die Chance gehabt,
mit einem solchen Modellprojekt im Konsens weitere
Erkenntnisse zu gewinnen und sowohl den Probanden
als auch den beteiligten Städten zu helfen. Die SPD hätte
es nicht nötig gehabt, an dieser Stelle den Koalitionsvertrag zu brechen.
({10})
- Das ist es doch. Lesen Sie einmal den Koalitionsvertrag. Sie stimmen anders ab als vereinbart.
Das eigentlich Bedauerliche ist - ({11})
- Dass Sie so schreien, zeigt mir, dass ich recht habe,
Frau Kollegin Hendricks. - Das einzig wirklich Bedauernswerte ist, dass Sie, indem Sie das Kompromissangebot, das den Interessen aller Beteiligten eigentlich
gerecht würde, ausschlagen, bei der Beantwortung einer
grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Frage einen
Konflikt wie den zulassen, mit dem wir es heute zu tun
haben.
({12})
Es hätte auch anders gehen können, und ich bedauere,
dass es nun so abläuft.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Ich kann ehrlichen Herzens sagen: Es ist für
mich als drogenpolitische Sprecherin der Fraktion
Die Linke ein wunderbarer Tag. Es ist ein exzellenter
Anlass für alle Kolleginnen und Kollegen, die sich zu einem gemeinsamen gesetzlichen Vorhaben entschieden
haben,
({0})
sich gegenseitig zu gratulieren; denn das ist der Tag einer humanen, rationalen und diskriminierungsfreien
Drogenpolitik in Deutschland.
({1})
Es ist ein Meilenstein.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Initiative, die
ich für die Linke schon sehr früh, im Jahr 2002, ergriffen
habe, nämlich gemeinsam mit den beiden anderen Oppositionsfraktionen, Grüne und FDP, einen bestimmten
Weg zu beschreiten, dazu geführt hat, dass wir endlich
- nach drei oder vier Legislaturperioden, in denen wir
über den Umgang mit von Heroin Schwerstabhängigen
diskutiert haben - zu parlamentarischen Mehrheiten finden konnten. Vielen Dank dafür!
({2})
Es ist kein Koalitionsbruch. Ich muss die Koalition
nicht verteidigen, wenn ich sage: Im Koalitionsvertrag
steht gar nichts über Heroinsubstitution.
({3})
Es ist deshalb sehr erfreulich, dass die SPD den Weg gewählt hat, diese Entscheidung heute gemeinsam mit den
Oppositionsfraktionen zu treffen.
Das wäre ohne das nachhaltige Engagement der deutschen Städte nicht möglich gewesen. Die Städte sind in
Modellprojekten das Wagnis eingegangen, diese Studien
durchzuführen. Sie konnten nämlich eines nicht mehr ertragen: die mutwillige medizinische Unterversorgung,
das medizinische Leid, das Menschen erfahren, die von
illegalen Spritzdrogen abhängig sind. Sie konnten die
Zerstörung der Familien als Folge dieser Kriminalisierung nicht mehr erdulden.
({4})
Wir sprechen heute über eine Arzneimittelzulassung.
({5})
Wir sprechen nicht darüber, Heroin anstatt Methadon zu
verabreichen, sondern darüber, eine Therapievielfalt zu
ermöglichen und denjenigen, die mit Methadon ärztlich
nicht umfassend versorgt werden können, eine Therapiealternative zu geben.
({6})
Das ist medizinethisch das Einzige, woran wir uns als
Abgeordnete zu halten haben. Wir haben als Abgeordnete nicht das Recht, gesetzliche Änderungen zu verweigern, weil man ein ideologisches Drogenabstinenzdogma im Kopf hat.
({7})
Ich komme aus Karlsruhe und begleite als Drogenpolitikerin das dortige Projekt seit 20 Jahren. Das Phänomenale in Karlsruhe ist geschehen: Personen sind nach
30 Jahren Heroinabhängigkeit in die Abstinenz gegangen. Auch ist erreicht worden, dass Menschen trotz ihrer
Sucht alt geworden sind. Es ist ein unglaublich hoher
ethischer Wert, dass Menschen aus ihrer Verelendung
heraus wieder eine Lebensperspektive finden.
({8})
Ein Betroffener ist in ein Altenheim gegangen und führt
dort diese Substitutionsbehandlung weiter. Diese medizinische Behandlung verlangt enorme Disziplin: Man
muss Einrichtungen dieser Art täglich aufsuchen.
Viele Menschen, die aus schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen in die Abhängigkeit von Heroin
geraten sind, können jetzt nicht nur ihre Sucht, sondern
sogar ihre Primärerkrankung behandeln lassen. Sie werden endlich in eine umfassende verantwortungsvolle medizinische Versorgung eingebunden, die die somatischen
und psychiatrischen Seiten umfasst. Sowohl bei Methadon als auch bei Heroin ist die psychosoziale Betreuung
ein Muss. Das steht im Gesetzentwurf. Es war bei der
Methadonsubstitution nicht anders.
({9})
Verdrehen Sie also nicht die Tatsachen, und erzählen Sie
der Bevölkerung keine Schauermärchen darüber!
({10})
Bei dem, was wir hier tun, handeln wir sehr verantwortungsbewusst. Für die medizinischen Einrichtungen,
die diese medizinisch hochinteressanten Personen auf ihrem Weg in ein besseres, gesünderes Leben begleiten,
sind absolut strikte Begrenzungen vorgesehen. Wir geben nichts frei. Es werden vielleicht 1 000 oder 2 000
Menschen davon profitieren.
({11})
Ich bin glücklich, dass wir heute darüber abstimmen
können.
({12})
Kollegin Knoche, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Spahn?
Ich bin mit meiner Rede fertig; aber fragen Sie ruhig,
Herr Spahn.
Das ist freundlich von Ihnen, Frau Kollegin. - Ich
habe eine relativ einfache Frage. Sie haben gerade die
Bedeutung der psychosozialen Betreuung hervorgehoben.
Ja.
Wie kommt es dann, dass sich die Antragsteller geweigert haben, den Zeitraum von sechs Monaten zu verlängern, obwohl wir im Ausschuss darauf hingewiesen
haben, dass es nicht sein kann, die psychosoziale Betreuung bei der Behandlung nur für sechs Monate - das ist
ein relativ kurzer Zeitraum für Schwerstabhängige - verpflichtend vorzusehen? Wenn die psychosoziale Betreuung so wichtig ist und wenn es nicht nur um eine dauerhafte Abgabe des Stoffes gehen soll, warum begrenzen
Sie die Verpflichtung dann auf sechs Monate?
({0})
Die Frage beantworte ich Ihnen gerne: Auch der
suchtabhängige Mensch ist ein autonomer und selbstbestimmter Mensch
({0})
und hat unseren Respekt verdient. Die Studien haben gezeigt, dass die Stabilisierung recht rasch vonstatten geht.
Was suchtabhängige Menschen danach brauchen, hält
unser gesamtes medizinisches Versorgungssystem bereit.
Sie können all die Hilfen, die sie brauchen, um diese
Therapie erfolgreich fortführen zu können, ambulant bekommen.
({1})
Führen Sie keine Zwangsmaßnahmen ein! Respektieren Sie die Würde auch dieser Menschen, und stellen Sie
sie nicht unter staatliche Kuratel. Das wäre falsch, und
das würde ich nie befürworten.
({2})
- Ja, das sage ich Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich wende mich zunächst einmal ausdrücklich an diejenigen Kolleginnen und Kollegen der Union, die ihren
Wahlkreis in einer der Städte haben, die den Modellversuch zur Diamorphinbehandlung erfolgreich durchgeführt haben.
({0})
Ich weiß, dass es auch unter Ihnen Abgeordnete gibt, die
genau wissen, dass die gesetzliche Regelung der Diamorphinbehandlung für die schwer opiatabhängigen Patientinnen und Patienten und für die jeweilige Kommune
positive Auswirkungen hat.
({1})
Ich wende mich an Sie, weil ich möchte, dass die Diamorphinbehandlung auch mit Ihrer Unterstützung zu einem Bestandteil der Regelversorgung wird.
({2})
Helfen Sie mit, dass sich die Diamorphinbehandlung auf
gesetzlicher Grundlage zu einem wichtigen Baustein in
der Therapie schwerstopiatabhängiger Menschen entwickeln kann!
Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf stellt
nur einen ersten, wenn auch entscheidenden Schritt dar,
um die Versorgung dieser schwerkranken Menschen zu
verbessern. Ich will darauf verzichten, die Argumente
für die Diamorphinbehandlung in epischer Breite vorzutragen. Ich will nur darauf hinweisen: Die Diamorphinbehandlung eröffnet nicht nur die Möglichkeit auf ein
Leben nach Heroin, und zwar bis zur Erlangung der Abstinenz, sondern sie ist oftmals auch die letzte Chance
auf ein Weiterleben überhaupt.
({3})
Das muss man wissen, wenn man von - Zitat - „möglicherweise statistisch relevanten Vorteilen der Diamorphingabe im Vergleich zur Methadonsubstitution“
spricht, wie es der Kollege Spahn in seiner gestern verschickten freundlichen Hilfestellung für eine persönliche
Erklärung getan hat.
({4})
Hinter diesen „möglicherweise statistisch relevanten
Vorteilen“ stehen persönliche Schicksale und konkrete
Überlebenschancen schwerkranker Menschen.
({5})
Ich glaube, manch einem in diesem Hause ist das noch
immer nicht bewusst.
({6})
Im Übrigen finde ich es von den Kolleginnen und
Kollegen der Union unredlich, die Methadonbehandlung
gegen die Diamorphinbehandlung auszuspielen.
({7})
Wir brauchen beide Therapieformen, um den Opiatabhängigen optimal helfen zu können: im Regelfall die
Methadonbehandlung und für die Patientinnen und Patienten, denen wir nicht anders helfen können, die Diamorphinbehandlung.
Die Union spielt aber nicht nur Methadonbehandlung
und Diamorphinbehandlung gegeneinander aus. Sie hat,
zumindest bislang, auch nichts Entscheidendes getan,
um die Versorgungsqualität im Rahmen der Methadonbehandlung zu verbessern.
({8})
Auch bei der Methadonbehandlung liegt nämlich einiges
im Argen.
({9})
Die Methadonbehandlung und die Bedingungen der
psychosozialen Betreuung opiatabhängiger Menschen in
Deutschland sind verbesserungswürdig. Auf der einen
Seite steigt die Zahl der zu behandelnden Patientinnen
und Patienten; auf der anderen Seite stagniert die Zahl
der Ärztinnen und Ärzte, die eine solche Behandlung
vornehmen. Die Folge ist ein immer ungünstiger werdendes Betreuungsverhältnis. Viele Ärzte fühlen sich zudem in ihrer ärztlichen Therapiefreiheit behindert. Die
Versorgungsqualität im Rahmen der Methadonbehandlung ist in zahlreichen Bundesländern nicht ausreichend,
insbesondere in den ländlichen Räumen und im Strafvollzug. Vor allem in den Ländern, in denen die Union
das Sagen hat, ist die Substitutionsbehandlung beispielsweise im Strafvollzug gar nicht oder nur unzureichend
ausgebaut.
({10})
Wir wissen, dass es auch bei der psychosozialen Betreuung Probleme gibt; auch diese Probleme dürfen nicht
übersehen werden.
({11})
Trotz großer Anstrengungen vieler Kommunen wird sie
noch nicht in ausreichendem Maße finanziert.
({12})
Außerdem gibt es keine einheitlichen Qualitätsstandards.
Statt als Mittel zur Verhinderung einer gesetzlichen
Regelung neue Forschungsprojekte zu fordern, hätte die
Union in ihrem Antrag lieber konkret schreiben sollen,
wie sie die psychosoziale Betreuung für Opiatabhängige
verbessern will.
({13})
Aber wenn es um dieses Thema geht, schweigen Sie.
Darüber hinaus ist nicht zu erklären, warum Sie in Ihrem Antrag schreiben, dass Sie restriktive Regelungen
zur Therapiebegrenzung anstreben. Die Rede ist unter
anderem von der Einführung eines Höchstalters der Patientinnen und Patienten. Außerdem streben Sie eine Begrenzung der Dauer der Behandlung auf fünf Jahre an.
({14})
Sie wollen sogar bestimmte Vorerkrankungen definieren,
was zur Folge hätte, dass Opiatabhängige von einer Diamorphinbehandlung ausgeschlossen würden. Diesen
Vorschlägen reden Sie das Wort.
({15})
Ich kann mich noch gut an die berechtigte Kritik erinnern, die auch aus Ihrer Fraktion geäußert wurde, als Ihr
Kollege Mißfelder vor einigen Jahren vorschlug, 85-jährigen Patientinnen und Patienten keine künstlichen Hüftgelenke mehr auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen einzusetzen.
({16})
- So war es nun einmal, Herr Spahn. - Ich meine, Ihr
Vorschlag, ein Höchstalter für die Diamorphinbehandlung festzulegen und die Behandlungszeit zu begrenzen,
geht leider in diese Richtung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um
breite Zustimmung zu dem gemeinsamen Gesetzentwurf; dafür stehen die Namen Reimann, Parr, Spieth und
auch mein Name. Der Gesetzentwurf umfasst auch die
Vorschläge des Bundesrates, das möchte ich hier noch
einmal betonen.
({17})
Durch seine Verabschiedung wird die jahrelange Diskussion über die Diamorphinbehandlung endlich zu einem
für die Betroffenen guten Ende gebracht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Marion Caspers-Merk.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kenne alle sieben Standorte, an denen der Modellversuch Diamorphin durchgeführt wird. Ich war mehrfach
an diesen Standorten. Mich haben die positiven Ergebnisse dort überzeugt.
({0})
Herr Kollege Spahn, auch ich war am Anfang - der
Modellversuch trägt noch meine Unterschrift als Drogenbeauftragte - ausgesprochen skeptisch, ob bei diesem Modellversuch positive Ergebnisse erzielt werden.
Wir haben damals dafür gesorgt, dass dieser Modellversuch ergebnisoffen angelegt wird.
({1})
Es sollte eine Kontrollgruppe mit der gleichen psychosozialen Betreuung geben. Es sollte zum einen eine Methadongruppe und zum anderen eine Diamorphingruppe geben.
Wir - die sieben Standorte und die Bundesländer, die
das Ganze mitfinanziert haben und auch Antragsteller
sind; es soll jetzt endlich Rechtssicherheit geschaffen
werden - haben immer gemeinschaftlich verabredet:
Wenn die Ergebnisse positiv sind, wird diese Therapie
Teil der Regelversorgung.
({2})
Jetzt sind die Ergebnisse positiv; das darf man nicht
künstlich kleinreden. Damit wird man der Dramatik der
Situation gar nicht gerecht.
Wir diskutieren über das Ganze seit mittlerweile sieben Jahren. 2002 startete der Modellversuch; 2005 hatten wir erste Ergebnisse. Ab 2006 haben wir darüber diskutiert, wie es weitergeht.
Herr Kollege Spahn, jetzt möchte ich Sie mit einem
konkreten Fall konfrontieren: Es geht um die 26-jährige
Tanja R. aus Karlsruhe, die mit 12 Jahren anfing, Heroin
zu nehmen. Sie war schwer drogenabhängig. Zur Finanzierung der Sucht hat sie sich prostituiert. Mehrfach
wurde sie wegen Beschaffungskriminalität aufgegriffen.
Sie war in zwei Therapien, einmal in einer Methadontherapie und einmal in einer Abstinenztherapie. Beide Therapien wurden abgebrochen; nichts half. Sie ist immer
tiefer abgerutscht. Das ging bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen; Schlimmeres konnte nur knapp abgewendet werden.
Sie ist zur Diamorphinbehandlung in Karlsruhe gekommen. Sie ist seither nicht mehr strafauffällig und
praktiziert auch keinen Beikonsum mehr. Wenn man sie
fragt, worin für sie der Unterschied zum vorherigen Leben besteht, dann antwortet sie: Ich fühle mich das erste
Mal wie ein vollwertiger Mensch.
({3})
Sie hat jetzt überhaupt erst einmal die Chance, ihr Leben
wieder in den Griff zu bekommen.
Jetzt geht es darum, dass man nach einer Modellphase
sagt: Jawohl, wir ergänzen unser gutes Angebot in der
Drogentherapie um ein weiteres Überlebenselement.
Nur derjenige, der überlebt, kann aussteigen. Wir bieten
hiermit eine weitere Überlebenshilfe an; denn diese Therapie hat sich bewährt.
({4})
Hier wird argumentiert: Das reicht noch nicht aus; wir
brauchen ein weiteres Modell. Wie lange sollen die betroffenen Städte und auch die Bundesländer eigentlich
noch in einer rechtlichen Unsicherheit gehalten werden?
Wie lange soll das Ganze eigentlich noch gehen?
({5})
Herr Kollege Spahn, Sie haben am Anfang gefordert,
den Modellversuch einzustellen; das war nicht ganz redlich. Danach gab es sehr viel Protest aus den Standortgemeinden,
({6})
und es gab sehr viele Diskussionen, auch mit den Bundesländern, die dieses Modellprojekt getragen haben. Ich
nenne nur der guten Ordnung halber noch einmal das
Abstimmungsergebnis im Bundesrat: Es gab 1 Gegenstimme, und zwar aus Bayern; es gab 2 Enthaltungen
- man konnte sich aus Gründen der Koalitionsdisziplin
nicht einigen - und 13 Jastimmen.
({7})
Das ist das Ergebnis. Das heißt, wir haben die Situation,
dass wir das gemeinschaftlich erreichen wollen. In den
Standortgemeinden gibt es eine große Mehrheit dafür,
und die Bundesländer wollen es auch. Deswegen ist es
unredlich, Herr Kollege Spahn, jetzt das Thema Koalitionsbruch zu diskutieren.
({8})
Ich bitte Sie herzlich - auch Sie, Herr Kollege Fraktionsvorsitzender -: Wir haben uns darauf geeinigt, dass es
Themen gibt, die jenseits der Fraktionsdisziplin zu diskutieren sind.
({9})
Weil es sich um ein ethisch sehr anspruchvolles Thema
handelt, haben wir dazu Gruppenanträge und -gesetzentwürfe vorgelegt.
({10})
Sie wurden in Ihrem Debattenbeitrag dieser ethischen
Dimension in keinem Punkt gerecht.
Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen im
Bundestag: Geben Sie den Weg frei! Versuchen Sie, mit
Ihrem Abstimmungsverhalten dazu beizutragen, dass für
die Standortgemeinden Klarheit herrscht und wir ein
weiteres Element der Überlebenshilfe installieren, das
sich bewährt hat.
Schönen Dank.
({11})
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Annette
Widmann-Mauz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Viele Betroffene, vor allem auch viele
Angehörige von Heroinabhängigen, verbinden mit jeder Drogentherapie die Hoffnung, einen nahen Menschen - vielleicht den Sohn oder die Tochter - nach Jahren des Leids wieder in ein menschenwürdiges Leben
zurückzuführen. Sie haben viele Momente der Verzweiflung und manchmal der Hoffnung erlebt und immer wieder Rückschläge erlitten.
Diesen schwerkranken Menschen zu helfen, sie vor
der Verelendung zu bewahren, zu stabilisieren und wieder starkzumachen, um von der Sucht loszukommen, ist
unser aller Aufgabe und Ziel in diesem Haus.
({0})
Deshalb empfinde ich es als befremdlich, in welcher Art
und Weise heute Nachmittag denjenigen, die Ihren GeAnnette Widmann-Mauz
setzentwurf nicht unterstützen, jegliche Empathie und
Hilfsbereitschaft abgesprochen wird.
({1})
Das ist nicht der Stil, den wir in Gewissensfragen - zu
denen erklären Sie die anstehenden Fragen - und ethisch
relevanten Fragen pflegen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Arbeit in
den Modellprojekten anerkennen.
({2})
Was von den Ärzten, Psychotherapeuten und Sozialarbeitern in der Prävention, Therapie und Begleitung geleistet wurde, ist ausdrücklich zu würdigen. Dank gilt
denjenigen, die sich mit viel Mühe und Herzblut engagiert haben.
Nichtsdestotrotz müssen wir als Politiker heute, wenn
wir entscheiden, ob die Substitutionsbehandlung mit Heroin in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden soll, offene Fragen
ansprechen. Wir dürfen uns nicht drücken. Es gilt nämlich, verantwortungsbewusst zu handeln: gegenüber den
Betroffenen, die schwerkrank sind und die wir nicht im
Stich lassen dürfen, gegenüber den Versicherten, mit deren Beitragsgeldern wir sorgfältig umgehen müssen, gegenüber anderen kranken Menschen, die auch einen Anspruch und ein Anrecht auf Behandlung mit adäquaten
Therapien haben, und gegenüber der Gesellschaft, wenn
wir bei der Vergabe des Suchtmittels Heroin auch in der
Drogenprävention weiterhin glaubwürdig sein wollen.
Wir müssen uns auch der Frage stellen, ob die gewonnenen Erkenntnisse ausreichen, um die Aufnahme von
Heroin als Substitut in die Regelversorgung zu rechtfertigen. Wir müssen uns doch fragen, ob die Kriterien und
Vorgaben, die Sie im Gesetzentwurf vorschlagen, sachgerecht und richtig gewählt sind.
Sie, die Unterstützer des Gesetzentwurfes, berufen
sich darauf, die Studie habe eindeutig die „Überlegenheit der Diamorphinbehandlung“ gegenüber der Methadonbehandlung bewiesen. Tatsächlich gibt es einen
wahrnehmbaren Unterschied. Aber die Unterschiede
zwischen der Heroinvergabe und der Methadonvergabe
im Projekt sind weit weniger groß, als Sie es auch heute
Nachmittag wieder dargelegt haben.
Kollegin Widmann-Mauz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nouripour?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen; denn ich
glaube, dass die Argumente im Zusammenhang gehört
werden müssen.
Mein Kollege Spahn hat darauf hingewiesen: 74 Prozent der sogenannten Methadonversager verzeichnen erhebliche gesundheitliche Verbesserungen, ebenso 80 Prozent derjenigen in der Heroingruppe. 74 Prozent derjenigen, die als eigentlich nicht erreichbar galten, erreichten
also erhebliche Verbesserungen. Wenn allein bei dieser
Personengruppe unter Modellprojektbedingungen auf
einmal ein solcher Behandlungserfolg zu registrieren ist,
dann lässt dies doch den Schluss zu, dass eben nicht nur
der Stoff wichtig war, sondern vor allen Dingen die Rahmenbedingungen eine ganz entscheidende Rolle gespielt
haben.
Dabei müssen wir uns insbesondere auf die psychosoziale Betreuung einlassen; wir können hier nicht so tun,
als ob dies keine Relevanz gehabt hätte. Vor allen Dingen müssen wir uns fragen, welche Schlussfolgerungen
aus dieser Erfolgsquote für Methadonpatienten zu ziehen
sind, und zwar für diejenigen in bestehenden Methadonsubstitutionstherapien. Das ist die Regel; die meisten
Drogenabhängigen werden doch genau in diesen Therapieformen behandelt.
Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen sind offenbar verbesserungswürdig. Darüber wurde von Ihrer Seite
kein Wort gesagt. Aber den betroffenen Menschen wird
in Ihrem Gesetzentwurf zugemutet - das sind nämlich
die Kriterien, um überhaupt mit Heroin behandelt zu
werden -, zweimal eine Therapie abgebrochen zu haben.
Sie, Frau Staatssekretärin, haben gerade ein solches Beispiel einer abgebrochenen Methadontherapie erwähnt.
Wir können es doch nicht zulassen, dass als Bedingung
formuliert wird, dass zuerst nicht ausreichende Methadontherapien abgebrochen werden müssen, damit die
Betroffenen anschließend in der Herointherapie die adäquate psychosoziale Betreuung erhalten. Das kann
nicht in unserem Interesse sein.
({0})
Kollegin Widmann-Mauz, entschuldigen Sie, dass ich
Sie unterbreche. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
bitte Sie, notwendige Absprachen vor der gleich folgenden Abstimmung außerhalb des Saales zu treffen und der
Kollegin Widmann-Mauz die ihr gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden.
({0})
Darüber hinaus war ich erstaunt, wie Sie wiederum zu
der Zahl von einigen Hundert Menschen kommen, die
nach Ihrer Ansicht in diesem Projekt Berücksichtigung
fänden. Die Anhörung ergab klar etwas anderes: In der
Bundesrepublik Deutschland verzeichnen wir zwischen
120 000 und 190 000 Heroinabhängige. Nach den Kriterien, die Sie im Gesetzentwurf vorgeben, kommen davon
60 000 bis 80 000 Abhängige infrage. Was ermutigt Sie
eigentlich zu der Aussage, dass nur 1 000 bis 2 000
Menschen diese Therapie nachfragen werden?
Sie haben entsprechende Bedingungen, beispielsweise die Zahl der Plätze zu begrenzen, nicht vorgesehen. Ich kann es mir nur so vorstellen, dass Sie an dieser
Stelle keine weiteren Plätze wollen, jedoch im Gesetzentwurf den Anspruch auf flächendeckende Versorgung
formulieren.
Wir wollen das Ziel des Ausstiegs aus der Drogensucht nicht aufgeben, auch wenn wir wissen, wie
schwierig dies ist und wie langwierig der Weg aus der
Sucht ist. Aber gerade deshalb, weil sich zu viele Suchtkranke in der Dauersubstitution befinden, müssen wir
die bestehenden Substitutionsbehandlungen verbessern
und ausstiegsorientierte Verfahren stärken.
Ich kann nur Folgendes sagen: Ich empfinde es als
ausgesprochen schade, dass Sie gerade der Bedeutung
der psychosozialen Beratung keinen Stellenwert eingeräumt haben. Sie sehen dafür nur sechs Monate vor; im
Modellprojekt hingegen war sie dauerhaft gewährleistet.
Ich kann mir eine solche Regelung nur unter der Voraussetzung vorstellen, dass Sie hierbei in finanzieller Hinsicht auf die Bundesländer Rücksicht genommen haben.
Ich bedaure es außerordentlich, dass Sie die letzten zwei
Jahre nicht genutzt haben, obwohl dieses Angebot von
unserer Fraktion immer wieder gemacht wurde, genau
denjenigen Fragen, die wir nach wie vor als offen ansehen, im Rahmen einer Erweiterung des Modells und unter Anwendung erweiterter Kriterien nachzugehen.
({0})
Wir fordern Sie deshalb auf: Lassen Sie uns die bestehenden Modellprojekte auch an weiteren Standorten sowie mit neuen Teilnehmerinnen und Teilnehmern weiterführen, um diese offenen Fragen zu klären, um
anschließend guten Gewissens entscheiden zu können.
Ich kann Ihnen wirklich nur sagen: Es gilt, verantwortungsbewusst zu handeln; es reicht nicht aus, hierbei das
Gewissen zu entlasten. Vielmehr müssen wir gewissenhafte Entscheidungen im Interesse der Menschen, der
Schwerstkranken in unserem Land, treffen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Mir liegt eine große Anzahl von Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir nehmen diese
zu Protokoll.1)
Bevor wir mit den Abstimmungen beginnen, bitte ich
um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ab-
stimmungsverfahren. Dazu wäre es für alle Kolleginnen
und Kollegen hilfreich, wenn es möglich wäre, dass
meine Stimme bis zur letzten Reihe durchdringt.
Wir kommen gleich zu den Abstimmungen über neun
Vorlagen zur Substitutionsbehandlung. Der Ausschuss
für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/13021, über den Gesetzentwurf
Dr. Reimann auf Drucksache 16/11515, den Gesetzent-
wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/7249 und den
Gesetzentwurf Ackermann auf Drucksache 16/4696 so-
wie den Antrag Spahn auf Drucksache 16/12238, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/2075, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/2503 und den Antrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/3840 einen Beschluss herbeizu-
führen. Eine darüber hinausgehende Beschlussempfeh-
lung hat der Ausschuss dazu nicht abgegeben.
1) Anlagen 17 bis 20
Hierzu wurde vereinbart: Zunächst wird über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Carola Reimann in
zweiter Lesung namentlich abgestimmt. Danach müssen
wir die Sitzung zur Auszählung des Abstimmungsergebnisses unterbrechen. Sollte dieser Gesetzentwurf die
Mehrheit finden, ist über die anderen unter Tagesordnungspunkt 12 a genannten Gesetzentwürfe sowie über
die unter Tagesordnungspunkt 12 b genannten Vorlagen
nicht mehr abzustimmen. Diese hätten sich erledigt. Wir
würden dann mit Tagesordnungspunkt 12 c fortfahren.
Erhält der Gesetzentwurf Dr. Reimann nicht die erforderliche Mehrheit, wären die beiden anderen unter Tagesordnungspunkt 12 a genannten Gesetzentwürfe ebenfalls erledigt. Wir kämen dann jedoch zu einer weiteren
namentlichen Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Jens Spahn und weiterer Abgeordneter. In diesem Fall würden wir außerdem über die weiteren unter
Tagesordnungspunkt 12 b genannten Vorlagen sowie
über die unter Tagesordnungspunkt 12 c genannten Vorlagen abstimmen. - Ich sehe, Sie sind mit diesem vereinbarten Vorgehen einverstanden. Dann verfahren wir so
und kommen zu den Abstimmungen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Dr. Carola Reimann, Detlef Parr, Frank
Spieth und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung auf Drucksache 16/11515. Wir stimmen
über den Gesetzentwurf namentlich ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, bei der Stimmabgabe
sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die
Sie verwenden, Ihren Namen tragen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehen Plätze einzunehmen. - Sind alle besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich
bitte Sie, zur Entgegennahme des Abstimmungsergebnisses wieder Platz zu nehmen.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Abgeordneten Dr. Carola Reimann und weiteren Abgeordneten eingebrachten
Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung auf Drucksache 16/11515 bekannt: abgegebene Stimmen 550. Mit Ja haben gestimmt 349 Kolleginnen und Kollegen,
({0})
mit Nein haben gestimmt 198 Kolleginnen und Kollegen, und 3 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten.
Vizepräsidentin Petra Pau
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 550;
davon
ja: 349
nein: 198
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Ursula Heinen
Norbert Königshofen
Stefan Müller ({1})
Rita Pawelski
Dr. Heinz Riesenhuber
Uwe Schummer
Bernd Siebert
Gerald Weiß ({2})
Elisabeth WinkelmeierBecker
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({3})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({4})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({5})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({6})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({7})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({8})
Iris Hoffmann ({9})
Frank Hofmann ({10})
Eike Hovermann
Christel Humme
Johannes Jung ({11})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({12})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({13})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({14})
Michael Müller ({15})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({16})
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({17})
Michael Roth ({18})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({19})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({20})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({21})
Silvia Schmidt ({22})
Renate Schmidt ({23})
Heinz Schmitt ({24})
Carsten Schneider ({25})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({26})
Swen Schulz ({27})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({28})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({29})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({30})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({31})
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({32})
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Vizepräsidentin Petra Pau
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({33})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Diana Golze
Heike Hänsel
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({34})
({35})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({36})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({37})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({38})
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({39})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({40})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({41})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({42})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({43})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({44})
Dirk Fischer ({45})
Axel E. Fischer ({46})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({47})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Andreas Jung ({48})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({49})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({50})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({51})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({52})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({53})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({54})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({55})
Klaus Riegert
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Vizepräsidentin Petra Pau
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({56})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({57})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({58})
Andreas Schmidt ({59})
Ingo Schmitt ({60})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Johannes Singhammer
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({61})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({62})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({63})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gerd Höfer
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
CDU/CSU
Andreas Storm
FDP
Hans-Joachim Otto
({64})
Der Gesetzentwurf ist angenommen, und das in zweiter Beratung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind mit diesem
Gesetzgebungsverfahren noch nicht fertig. Wir kommen
zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte wiederum die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt noch stehen, Platz zu nehmen oder, wenn sie an dieser Abstimmung nicht teilnehmen können, den Saal zu verlassen. Wie Sie wissen,
stimmen wir in der dritten Beratung und Schlussabstimmung durch Erheben von unseren Plätzen ab. Ich würde
das Abstimmungsergebnis gern zweifelsfrei für alle feststellen können.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit
dem vorher festgestellten Stimmenergebnis mehrheitlich
angenommen.
Mit der Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf entfällt,
wie vereinbart, die Abstimmung über die beiden Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/7249 und 16/4696 sowie
über die Anträge auf den Drucksachen 16/12238, 16/2075,
16/2503 und 16/3840.
Wir setzen nun die Abstimmungen mit Tagesordnungspunkt 12 c fort.
({65})
- Auch dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich,
die Gratulationen und den Austausch von Meinungen
über das gerade festgestellte Abstimmungsergebnis nicht
hier vorn vor dem Präsidium fortzusetzen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf
Drucksache 16/12513. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6795
mit dem Titel „Regelung zur Substitutionsbehandlung
Opiatabhängiger praxisnah gestalten - Rechtssicherheit
für substituierende Ärzte schaffen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/8212 mit dem Titel „Versorgungsqualität der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({66}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich
({67}), Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konjunktur jetzt stärken - Überlange Planungszeiten verhindern
- Drucksachen 16/11750, 16/13120 Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jörg Vogelsänger für die SPD-Fraktion.
({68})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt einmal einen Tagesordnungspunkt ohne namentliche Abstimmung. Das soll es heute auch noch geben.
({0})
Nichtsdestotrotz ist das Thema Verkehrsinfrastruktur
und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ein sehr wichtiges
Thema. Die Entwicklungschancen von Deutschland hän24662
gen davon ab, und gerade in der jetzigen Krise merkt
man, wie wichtig der dadurch bestehende Standortvorteil
für Deutschland ist. Deshalb glaube ich, dass wir fraktionsübergreifend ein Interesse daran haben, dass Planungszeiten verkürzt werden, dass beschleunigt wird.
Das ist sicherlich ein Anliegen, das auch mit dem Antrag
der FDP verfolgt wird. Nur halten wir den Weg, der darin von der FDP vorgezeichnet wird, für falsch. Ich will
das auch gern begründen.
In Vorbereitung auf meine Rede war ich beim zuständigen Straßenbauamt, das man als Verkehrspolitiker immer mal wieder besuchen sollte. Da habe ich mir aufzeigen lassen, wie lange solch ein Planungsprozess dauert,
also vom Beginn des Raumordnungsverfahrens über das
Linienbestimmungsverfahren und das Planfeststellungsverfahren bis hin zur Erstellung der Vergabeunterlagen
und zu der Vergabe. Bei keinem der Projekte sind wir
auf einen Zeitraum von weniger als sieben bis acht Jahren gekommen. Ich glaube, dass das verbesserungsbedürftig ist.
({1})
Sieben bis acht Jahre braucht man also schon, um den
gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen. Hinzu kommen
noch die Klageverfahren. Das dauert mitunter Jahre. Ein
Kollege im Verkehrsausschuss hat von Jahrzehnten gesprochen. Ich denke, die Beispiele kennt jeder.
Deshalb war es richtig, dass wir für besonders wichtige Verkehrsprojekte - es sind 85 - festgelegt haben:
Für Klagen gegen diese Projekte ist nur das Bundesverwaltungsgericht zuständig. Das halten wir für einen richtigen Schritt. Über eines muss man sicherlich diskutieren, nämlich darüber, ob die personelle Ausstattung
beim Bundesverwaltungsgericht dafür ausreichend ist.
Diese Frage muss erlaubt sein.
Ich muss selbstkritisch anmerken: Wir Politiker neigen dazu, immer wieder neue Gesetze und Verordnungen auf den Weg zu bringen. Der Vollzug muss dann natürlich auch gewährleistet sein. Dazu gibt es sicherlich
noch Diskussions- und Handlungsbedarf.
Der Weg, den die FDP vorschlägt - für Klagen sollen
in erster Instanz wieder Verwaltungsgerichte der Länder
zuständig sein -, bringt uns keinen Schritt weiter. Was
die Verfahrensdauer angeht, ist es dort nicht besser. Das
gilt auch in den Ländern, in denen die FDP mitregiert.
Wir sollten die Zuständigkeit dafür beim Bundesverwaltungsgericht belassen, sollten uns allerdings schon ansehen, ob die Verfahren dort entsprechend durchgeführt
werden.
Noch einmal allgemein zum Planungsrecht. Wir haben in Deutschland ein sehr ausgefeiltes Planungsrecht;
ich habe das schon dargestellt. Wir versuchen, alle Betroffenen in den Planungsprozess einzubeziehen. Das ist
sicherlich gut und richtig so. Trotzdem sollten wir überlegen, ob wir Planungsprozesse weiter straffen können,
ob wir bei den Raumordnungsverfahren, Linienbestimmungsverfahren und Planfeststellungsverfahren manches zusammenfassen können. Ich bin nämlich der festen Überzeugung: Der Ausbau der Infrastruktur in
Deutschland ist so wichtig, dass wir uns eine Planungsdauer von sieben bis acht Jahren für ein Verkehrsprojekt
einfach nicht leisten können.
({2})
Jetzt komme ich noch einmal zur Rolle der Gerichte.
Wir Verkehrspolitiker machen in den Wahlkreisen und
bei den Projekten, die wir begleiten, die Erfahrung: Es
wird immer Befürworter und Gegner von Verkehrsprojekten geben. Wer glaubt, dass dieses Problem durch ein
Gericht gelöst werden kann, der irrt. Es wird immer Bürger geben, die mit einem Verkehrsprojekt nicht einverstanden sind oder die mit einer Entscheidung nicht zufrieden sind. Deshalb sollte man grundsätzlich
überlegen, ob man mehrere Klageinstanzen zulassen
muss oder ob eine Klageinstanz ausreichend ist. Für die
Betroffenen sind mehrere Instanzen nicht unbedingt besser; es herrscht dann jahrelang Ungewissheit über die
Verfahren und darüber, ob das Verkehrsprojekt entsprechend realisiert wird.
Wir sind uns im Ziel einig: Beschleunigung der Verfahren. Eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf die
Ländergerichte lehnt die SPD-Fraktion aber ab.
Vielen Dank.
({3})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Horst
Friedrich das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem, was der Kollege Vogelsänger ausgeführt hat,
hat er sich nicht auf unseren Antrag bezogen; denn darin
geht es nicht um die Planungsverfahren, Herr Kollege
Vogelsänger, sondern - ich sage es noch einmal zum
Mitschreiben - es geht um die spannende Frage, ob das
Gesetz, das Sie hinsichtlich der 85 oder 86 sogenannten
Leuchtturmprojekte beschlossen haben
({0})
und nach dem für diese Projekte die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gegeben ist, die juristische Klärung beschleunigt.
In der Praxis bewirkt Ihr Gesetz das genaue Gegenteil; denn die durchschnittliche Dauer von Verfahren vor
dem Bundesverwaltungsgericht ist nicht kürzer geworden, sondern länger.
({1})
Sie ist, wenn die Angaben stimmen, von 6 Monaten und
22 Tagen auf 10 Monate und 19 Tage im Jahr 2008 angestiegen. Das ist ein Ergebnis Ihres Gesetzes.
Es gibt noch einen zweiten spannenden Punkt. Wir
haben häufig über das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz diskutiert, das wir richtigerweise geschaffen haben - das sage ich auch für die FDP -, weil es in
den neuen Ländern eben keine Oberverwaltungsgerichte
Horst Friedrich ({2})
gab, und das für bestimmte Verkehrsprojekte im Zuge
der deutschen Einheit die Einzügigkeit des Instanzenweges auf das Bundesverwaltungsgericht festschrieb. Weil
man sich nicht traute, es anders zu machen, hat man die
Gültigkeitsdauer mehrfach verlängert.
Als das nicht mehr ging und die Geltungsdauer des
Gesetzes endgültig abgelaufen war, hat man, anstatt sich
einen Ruck zu geben und ein einheitliches Planungsrecht
für ganz Deutschland zu installieren,
({3})
nun wiederum ein spezielles Planungsrecht geschaffen.
({4})
Dieses gilt für 85 Projekte, unabhängig von deren Wichtigkeit für ganz Deutschland; es schließt ja sogar
Ortsumgehungen in Brandenburg ein. Für den Rest des
Landes gilt das normale Planungsrecht. Im Rest des Landes beschwert sich allerdings keiner.
Als wir zu diesem Thema eine Anhörung durchgeführt haben, haben uns alle Praktiker aus den Ländern
händeringend gebeten, beim Instanzenweg die Oberverwaltungsgerichtsinstanz zu belassen; denn, Herr Kollege
Vogelsänger - auch das zeigt die Praxis -, nur 5 Prozent
der entsprechenden Fälle, die vor Oberverwaltungsgerichten behandelt werden, gehen überhaupt in die zweite
Instanz. In vielen Fällen wird Revision gar nicht zugelassen; in anderen wird sie gar nicht beantragt. Genau
um diese 5 Prozent geht es nun. Sie ziehen diese nun
aber als angeblichen Beleg für eine unbotmäßige Verlängerung von Planungszeiten heran. Entweder haben Sie
das Problem nicht begriffen,
({5})
oder Sie täuschen hier eine falsche Situation vor.
({6})
Vor diesem Hintergrund möchten wir - das ist auch
aus liberaler Sicht interessant - nun nach Jahren des
Aufbaus in den neuen Ländern durchsetzen, dass betroffene Bürger - jede Verkehrswegeplanung, die Private betrifft, ist auch ein Eingriff in das persönliche Eigentum die Chance haben, eine weitere Gerichtsinstanz zur
Überprüfung einer Gerichtsentscheidung anzurufen.
Das, was wir vorgelegt haben, ist, liebe Kollegen der
Union, in Konsequenz ja das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, deren Federführung Ministerpräsident Koch
meinem Freund und Kollegen Dieter Posch - jetzt wieder Verkehrsminister in Hessen, damals „nur“ Parlamentarier - mit der Maßgabe übertragen hat, die Planungsverfahren zu beschleunigen. Auch er fordert: Lasst uns
die Oberverwaltungsgerichtsinstanz!
Nun kann man ja sagen, es interessiere nicht, was die
Länder machen; aber, liebe Freunde, die Länder sind eigentlich diejenigen, die gemäß unserer Gesetzgebung
die Planung auszuführen haben.
({7})
Nach unserer Rechtsordnung fällt es in die Zuständigkeit
der Länder, für Baurecht zu sorgen. Was um Himmels
willen hindert uns dann daran, uns der Auffassung der
Länder anzuschließen und die Oberverwaltungsgerichtsinstanz zu belassen? Das würde drei Probleme lösen:
Erstens. Über die Masse der Projekte würden ortsnah,
zeitnah und vor allen Dingen mit Sach- und Fachkenntnis die Richter vor Ort entscheiden.
({8})
Zweitens. Das geht mindestens so schnell wie vor
dem Bundesverwaltungsgericht. Die Oberverwaltungsgerichte haben nämlich eine personelle Ausstattung, die
das Bundesverwaltungsgericht in dieser Form nicht hat.
Drittens. Im Falle eines für den Kläger negativen Gerichtsurteils besteht die Möglichkeit, dieses durch eine
weitere Gerichtsinstanz überprüfen zu lassen. Das erachten wir aus unserer Sicht schon für notwendig. Das
würde nichts, aber auch gar nichts am Zeitrahmen verändern.
Das, was Sie, Herr Vogelsänger, angesprochen haben,
betrifft eine völlig andere Ebene. Darüber kann man reden. Aber darum geht es in unserem Antrag nicht. Das
bestehende Problem haben auch Sie nicht gelöst; denn
Sie haben in Ihrem Gesetz ja nur die Einzügigkeit festgelegt. Es wäre deshalb sehr schön, wenn Sie einmal von
dem Schema: „Der Antrag ist von der FDP, also lehnen
wir ihn ab“ abweichen und über das nachdenken würden, was die Länder sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Erwartung,
dass Sie den Antrag doch ablehnen, und vor dem Hintergrund, dass ich nicht weiß, ob wir Verkehrspolitiker in
den nächsten zwei Sitzungswochen noch gefragt sind,
möchte ich darauf hinweisen, dass dieses durchaus
meine letzte Rede gewesen sein könnte, weil ich mich,
nachdem ich fünf Wahlperioden lang Abgeordneter war,
entschlossen habe, nicht wieder zu kandidieren. Sollte
ich irgendjemandem in diesem Hause bei meinen zahlreichen Darbietungen zu nahe getreten sein, bitte ich das
zu entschuldigen. Es war nie persönlich gemeint, sondern immer an der Sache orientiert.
({9})
Der Beifall beweist es: Die guten Wünsche des gesamten Hauses begleiten Sie.
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Blank für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Horst Friedrich, wir waren seit 1990 gemeinsam im Ausschuss tätig. Zum Abschluss unserer Bundestagstätigkeit
muss ich nun leider der FDP widersprechen.
({0})
Ich bin zwar der Meinung, dass sich euer Antrag „Konjunktur jetzt stärken“ in Wahlkampfzeiten gut anhört.
({1})
Er ist aber aus unserer Sicht im Grunde genommen gegenstandslos, weil es sich bei den Maßnahmen in den
Konjunkturprogrammen ausschließlich um Projekte handelt, bei denen Baurecht besteht bzw. Baurecht in Kürze
zu erwarten ist. Ihr Antrag ist aus unserer Sicht daher
überflüssig.
Deutschland ist seit 2006 in den Planungen schneller
geworden. Diese Feststellung ist zum einen erfreulich,
zum anderen aber nicht vom Himmel gefallen. Vielmehr
ist sie ein gegen die Widerstände aus der Opposition
durchgesetztes Zeichen politischer Glaubwürdigkeit dieser Koalition. Wir haben Wort gehalten und mit dem
Ende 2006 nach langer Diskussion verabschiedeten Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben den Koalitionsvertrag umgesetzt.
Die Diskussion war langwierig - sie dauerte weit über
ein Jahr - und mit vielen Anhörungen verbunden.
In diesem Koalitionsvertrag war festgelegt, dass mit
einem Planungsbeschleunigungsgesetz die Voraussetzung für eine bundesweit einheitliche Straffung, Vereinfachung und Verkürzung der Planungsprozesse zu schaffen ist. Denn gerade der Faktor Zeit nimmt seit Jahren
im internationalen Wettbewerb an Bedeutung stetig zu.
Deshalb stellen verkrustete Strukturen gerade im Planungsrecht ein Investitionshemmnis erster Kategorie
dar, die einen bedarfsgerechten und vor allem zeitnahen
Ausbau der Infrastruktur behindern. Deshalb haben wir
gehandelt.
Wir reden hier wohlgemerkt über eine Beschleunigung von Jahren, nicht nur von Wochen oder Monaten.
Diese schnellere Planung erspart Zeit und Geld.
({2})
Kollege Horst Friedrich, wir haben, was die A 7 betrifft,
30 Jahre gebraucht. So etwas würde mit diesem Gesetz
nicht mehr passieren.
({3})
Es waren 30 Jahre: vom Anfang bis zum Ende.
Das Gesetz von 2006 gehört daher aus unserer Sicht
zu den großen Erfolgen dieser Koalition. Wir haben bestehende Rechtsunsicherheiten beseitigt, Verfahren vereinfacht und beschleunigt. Leistungsfähige Verkehrsund Energieinfrastrukturen sind unbestritten wichtige
Standortfaktoren und Voraussetzung für ein produktives
und wachstumorientiertes Deutschland. Der vergleichsweise schnelle Aufbau moderner Infrastrukturen in den
neuen Bundesländern hat uns doch gezeigt, dass Baurecht auch in ganz Deutschland in angemessenen Zeitabschnitten geschaffen werden kann.
({4})
Zur Erinnerung: Im Straßenbau liegen die Planungszeiten bei circa 2 Jahren. Hinzu kommen noch die Jahre
für die Planfeststellung und Genehmigung. Bei Schieneninfrastrukturprojekten beträgt der durchschnittliche
Zeitaufwand für das Raumordnungsverfahren circa 6 bis
12 Monate, für die Planfeststellung etwa 12 bis
24 Monate und für die Plangenehmigung circa 6 bis
9 Monate. Ich glaube, das sind im Vergleich zu früher
keine schlechten Werte.
Im Gesetz von 2006 wurden auch Erleichterungen für
Projektzulassungsverfahren unter anderem im Bundesfernstraßenbereich, für die Schienenwege und für den
Bereich der Bundeswasserstraßen geschaffen. Eine der
vorgenommenen Änderungen betraf die Verkürzung des
gerichtlichen Instanzenzuges. Seitdem besteht in
Deutschland einheitliches Planungsrecht, ohne die Belange von Bürgerinnen und Bürgern einzuschränken.
({5})
Um zum jetzigen Zeitpunkt belastbare Aussagen zur
Handhabung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des
Bundesverwaltungsgerichts nach dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz treffen zu können, ist der
Betrachtungszeitraum noch zu kurz. Natürlich erwarten
wir zum gegebenen Zeitpunkt einen Erfahrungsbericht
der Bundesregierung, damit wir über die Weiterentwicklung des Kriterienkatalogs und der Vorhabensliste befinden können.
Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nachdem Sie
sich im Jahr 2006 gegen das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz
({6})
und jetzt auch gegen Konjunkturprogramme ausgesprochen haben,
({7})
mangelt es mir an Verständnis für Ihren Antrag. Natürlich schönen Sie Ihre Argumentation, indem Sie verschweigen, dass in den Jahren 2005 und 2006 zahlreiche
auf EU-Recht beruhende Regelungen den Prüfungsumfang erheblich erhöht haben.
({8})
Dadurch hat sich im Bereich der Infrastrukturplanung
die Dauer der erstinstanzlichen Verfahren allgemein verlängert.
Alle Ergebnisse der Anhörung sind damals in das Gesetz einbezogen worden. Die Anhörung hat auch ergeben, dass verfassungsrechtliche Bedenken, nämlich dass
der Rechtszug bei bestimmten Projekten auf das Bundesverwaltungsgericht beschränkt wird, nicht gerechtfertigt
sind. Deshalb verstehe ich Ihr Argument nicht.
({9})
- Nein, das stimmt nicht, Herr Kollege. Im Jahr 2007 lagen wir bei zwei Monaten und sechs Tagen, im Jahr 2008
bei sieben Monaten und siebenundzwanzig Tagen - wohlgemerkt: Monaten und nicht, wie früher, Jahren.
({10})
Zur Erinnerung: Die tatsächlichen Kosten für den Bau
von beispielsweise 1 Kilometer Autobahn belaufen sich
auf circa 26 Millionen Euro. Davon entfallen nur rund
25 Prozent auf die reinen Investitionskosten. 19 Prozent
werden für begleitende Investitionen in Lärmschutz, in
Telematik usw. aufgewandt. Allein die Verwaltungskosten
während der Genehmigungsphase machen 35 Prozent der
Kosten aus. Auf weitere Behörden und Verbände mit
Kostenerstattung sowie auf weitere von öffentlichen
Körperschaften getragene Gutachterkosten entfallen
21 Prozent der Kosten. Das konnte nicht so weitergehen.
Wir müssen doch auch bei den Planungskosten einsparen.
Meine Damen und Herren, Fazit ist, dass Deutschland
in den Planungen schneller geworden ist. Wir alle profitieren davon. Mobil bleiben, die Umwelt schonen, Wohlstand sichern: Darum geht es gerade in der jetzigen Wirtschaftskrise. Den Antrag der FDP halten wir aus den
genannten Gründen für unnötig; deshalb lehnen wir ihn
ab.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen, lassen
Sie mich noch ein paar persönliche Worte sagen. Ich
scheide im Herbst freiwillig aus dem Parlament aus. Ich
will ein bisschen mehr Freizeit haben. Seit 19 Jahren betreibe ich Verkehrspolitik, seit 1998 auch Baupolitik. Es
war, auch aufgrund der deutschen Einheit, eine sehr
spannende, aber natürlich auch arbeitsreiche Zeit.
Ich bedanke mich bei meiner Familie, die meine politische Arbeit immer kritisch begleitet hat. Ich bedanke
mich auch bei meinen persönlichen Mitarbeitern und
Mitarbeiterinnen. Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der CDU/CSU-Arbeitsgruppe
und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusses. Es war immer eine gute und vertrauensvolle
Zusammenarbeit. Dank geht natürlich auch an die Mitglieder meiner Arbeitsgruppe, die mich - als momentan
einziges weibliches Wesen - 19 Jahre lang ertragen haben. Ich glaube, es war nicht verkehrt, dass auch in der
Verkehrsarbeitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion eine
Frau saß.
Ich bedanke mich natürlich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen. Die Zusammenarbeit war immer gut. Die persönliche Zusammenarbeit hat über die Parteigrenzen hinweg reibungslos
funktioniert.
Ich will noch an Folgendes erinnern: Das Parlament
hat auch gegenüber der Bundesregierung manches
durchgesetzt. Der letzte Streich war die Honorarordnung
für Architekten und Ingenieure. Ohne das Parlament
wäre diese Honorarordnung gestrichen worden. Wir haben - parteiübergreifend - unseren Einfluss geltend gemacht und dafür gesorgt, dass es weiter eine Honorarordnung für Architekten und Ingenieure gibt.
({11})
Ich bedanke mich daher bei allen Kolleginnen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit.
Noch einen kurzen Hinweis an die Grünen: Ich habe
mich immer bemüht, im Parlament, gerade was die
Fach- und Sachpolitik angeht, niemanden zu ärgern. Einmal habe ich mich aber wahnsinnig geärgert und hätte
fast die Contenance verloren: als nämlich die Grünen einen Antrag zu weiblicher und männlicher Verkehrspolitik stellten. Da habe ich hier an diesem Rednerpult gesagt: Es gibt keine weibliche oder männliche, es gibt nur
eine gute oder schlechte Verkehrspolitik.
In diesem Sinne wünsche ich allen Kolleginnen und
Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode wieder dabei
sind, viel Erfolg. Ich wünsche auch, dass Sie im Interesse der Verkehrspolitik gute Arbeit leisten. Ich wünsche mir außerdem von unseren Geschäftsführerinnen
und Geschäftsführern, dass die Verkehrspolitik ein bisschen mehr Bedeutung bekommt und die Debatten zu
besseren Zeiten stattfinden werden, also nicht immer in
den Abendstunden, wo immer sehr viel zu Protokoll gegeben wird. Über die Verkehrs- und Baupolitik muss
hier im Parlament breit diskutiert werden.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg.
({12})
Frau Kollegin Blank, die guten Wünsche des gesamten Hauses begleiten Sie. Möge auch Ihr Wunsch nach
Freizeit in Erfüllung gehen. Ihre fraktionsübergreifenden
Wünsche an die Adresse der Geschäftsführerinnen und
Geschäftsführer werden im amtlichen Protokoll des
Deutschen Bundestages für die nachfolgenden Generationen der Verkehrspolitiker und Geschäftsführer nachzulesen sein.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lutz
Heilmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste! „Es ist etwas faul im Staate Dänemark“,
stellte einst der Dänenprinz Hamlet fest. Heute stelle ich
fest: Es ist etwas faul im Staate Deutschland. Warum? Im
Sommer 1998, also rund 400 Jahre nach Shakespeares
Hamlet, schien in Dänemark alles wieder in bester Ordnung zu sein. Da saßen im dänischen Århus viele Vertreter von Ländern zusammen, berieten und unterzeichne24666
ten am Ende die Århus-Konvention, die allen Menschen
umfangreiche Rechte im Umweltbereich gewährt.
Die durch die Århus-Konvention gewährten Rechte
bestehen in der Informationsbeschaffung, in der Beteiligung am Verwaltungsverfahren und in der Möglichkeit,
Klage gegen Umweltbeeinträchtigungen zu führen. Damals wurde richtig erkannt: Wer die Umwelt schützen
will, braucht Informationen. Wer sie erhalten will,
braucht Beteiligungsrechte. Wer Rechte durchsetzen
will, braucht den Zugang zu Gerichten.
Nun zu Deutschland. Hier haben sich SPD und CDU/
CSU daran gemacht, diese Rechte nicht nur nicht auszubauen, sondern unter dem Deckmantel, die Planungszeiten zu beschleunigen, eher einzuschränken. Die Beschleunigungsgesetze dieser Legislaturperiode, das
Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, über das
wir jetzt diskutieren, und die Beschleunigung im Immissionsschutzrecht sind Beispiele dafür.
Nur, meine Damen und Herren, wird hier am falschen
Ende Zeit gespart. Statt einer frühzeitigen Beteiligung
der Bürgerinnen und Bürger an Projekten können sich
diese erst sehr spät zu Projekten äußern und sich gegen
deren Auswirkungen wehren. Dies führt zu zähen Verhandlungen und langjährigen Gerichtsverfahren. Sie haben nicht verstanden, dass es um eine frühzeitige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger geht. Denn gerade
diese steigert die Akzeptanz für Entscheidungen im Infrastrukturbereich.
({0})
Die Akzeptanz einer Entscheidung hängt nicht allein
vom Ergebnis ab. Sie hängt davon ab, inwieweit das Verfahren als fair angesehen wurde. Wenn ein Verfahren
von den Bürgerinnen und Bürgern als gerecht eingestuft
wird, weil sie sich frühzeitig beteiligen konnten und Informationen erhalten haben, dann sind sie unter Umständen mit einem Ergebnis einverstanden, das nicht unbedingt ihre ursprüngliche Meinung widerspiegelt.
Einen weiteren Gewinn an Zeit hatten Sie sich - das
wurde heute schon diskutiert - durch die eininstanzliche
Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts erhofft.
Wie vorhergesehen - die FDP hat das deutlich gemacht ist das Gegenteil eingetreten. Das hat nun auch die FDP
erkannt. Ich kann nur sagen: Gut so, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der FDP!
({1})
Bleiben Sie aber bitte ehrlich. Auf zwei Seiten in Ihrem
Antrag erklären Sie, dass Sie schon vorher von einem
Flaschenhalseffekt und einem möglichen Stau beim
Bundesverwaltungsgericht gewarnt hätten.
({2})
Das ist aber falsch, lieber Kollege Friedrich.
({3})
Das hat der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts
bei der Anhörung deutlich gemacht. Aber Ihr Kollege
Mücke hat in seiner Rede zum Planungsbeschleunigungsgesetz betont - ich zitiere -, dass „dieser Verstopfungseffekt“ gar „nicht das eigentliche Kriterium ist, das
für uns eine Rolle spielt“.
({4})
Das sind die Worte Ihres Kollegen. Er hat das verfassungsrechtliche Problem und eben nicht den Verstopfungseffekt betont.
({5})
Sie geben immer vor, eine Partei der Bürgerrechte zu
sein. Schlagwörter wie „Bürgerfreiheit“, „Demokratie
wahren“ und „Rechte stärken“ gehören zu Ihrem alltäglichen Wortschatz. Ihr Kollege hat weiter gesagt - Sie haben das heute noch einmal bestätigt -,
dass es richtiger gewesen wäre, beim Verwaltungsverfahrensgesetz anzusetzen, um dort die Änderung
und Verkürzung des Planungsrechts einheitlich zu
regeln.
({6})
Das heißt letztendlich, dass Sie die ganze Verschlechterung, die die Große Koalition von SPD und CDU/CSU
herbeigeführt hat, auf das allgemeine Planungsrecht ausdehnen wollten. Das ist letztendlich das, was Sie erreichen wollten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP.
({7})
Das steht der Århus-Konvention und dem entgegen, was
Sie tagtäglich in der Öffentlichkeit verbreiten, nämlich
der Aussage, dass Sie eine Partei der Bürgerrechte seien.
({8})
Trotz dieser Kritik wird meine Fraktion Ihrem Antrag
zustimmen, weil Sie einen wichtigen Punkt dieses grauenvollen Planungsbeschleunigungsgesetzes richtigerweise angreifen. Die Linke bleibt aber bei der Feststellung: Deutschland ist von einer Umsetzung im Geiste
der Århus-Konvention meilenweit entfernt. Ich bleibe
dabei: Es ist etwas faul im Staate Deutschland.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Peter Hettlich das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch wenn die meisten von Ihnen wissen,
dass ich für die nächste Legislaturperiode nicht mehr zur
Wahl antreten werde, erspare ich Ihnen jetzt meine AbPeter Hettlich
schiedsrede. Ich muss nämlich heute Abend noch einmal
ran, wenn wir über den Stand der Deutschen Einheit debattieren, und sehr wahrscheinlich auch noch einmal in
der letzten Sitzungswoche. Wir sehen uns hier also in
trauter Runde noch einmal wieder.
({0})
Ich hoffe, dass ich dann ebenso wie die Kollegin Renate
Blank Gelegenheit bekomme, meine Redezeit zu überziehen.
Zum Thema: Wir haben schon in der Ausschusssitzung deutlich gemacht, dass wir den Antrag der FDP
voll und ganz unterstützen. Wir haben schon im Gesetzgebungsverfahren immer wieder gesagt, was die unserer
Ansicht nach zentralen Fragen sind: die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Århus-Konvention und der
Flaschenhalseffekt. Sie alle zitieren aus der Antwort auf
die schriftliche Anfrage, die ich an die Bundesregierung
gestellt habe. Ich muss das jetzt nicht wiederholen. Ich
möchte aber sagen, dass aus den Zahlen eindeutig hervorgeht, dass sich die Anzahl der Verfahren vor dem
Bundesverwaltungsgericht mindestens verdoppelt hat.
Das spricht für sich. Dem muss ich nichts hinzufügen.
Das scheint nicht der Effekt zu sein, den Sie alle sich erhofft haben.
Wenn man fragt, warum Planungsverfahren lange
dauern, dann muss man ins Detail gehen. Ich könnte Ihnen jetzt aus der Lamäng über einige Projekte berichten.
An der A 14, der A 72 in Sachsen oder der A 143 sieht
man, dass es auch andere Ursachen gibt: Es liegt an fehlenden Planungskapazitäten; nach wie vor wird zu viel
gleichzeitig geplant; es liegt daran, dass die Länder
keine Prioritäten setzen, und daran, dass allen alles versprochen wird, und zwar gleichzeitig und vor allem vor
Bundes- und Landtagswahlen. Diese Versprechen muss
man nach der Wahl natürlich halten. Dann fängt man irgendwo an zu planen, lässt das Projekt aber liegen, weil
die Länder, die die Projekte vorfinanzieren müssen,
nicht das notwendige Geld haben. Das ist das Dilemma.
Wenn wir über Planungsbeschleunigung sprechen, müssen wir auch über Ehrlichkeit bei den Verfahren sprechen.
({1})
Beim Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz denke
ich vor allen Dingen an die ominöse 85er-Liste. Lieber
Jörg Vogelsänger, ich weiß nicht, wie du es geschafft
hast, die Ortsumfahrungen in Brandenburg auf diese
Liste gesetzt zu bekommen. Die bundespolitische Bedeutung, um in die Projektvorrangliste aufgenommen zu
werden, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Vielleicht kannst du mir das nach meinem Ausscheiden aus
dem Bundestag einmal bei einem Bier erklären.
({2})
- Ja, das ist vermutlich ein Restant aus der Zeit von
Stolpe, der das damals mit hinübergezogen hat.
Aus meiner Sicht gibt es noch ein paar ganz andere
Faktoren. Wir sprechen hier über Planung, aber überhaupt nicht über den Bau. Wer spricht denn von den Vergabeklagen, die in letzter Zeit häufig erhoben werden?
Vergabeklagen sind auch eine Folge von Planung. Es hat
beispielsweise mehr als zwei Jahre gedauert, bis der Lückenschluss bei der A 38 in Sachsen-Anhalt fertig war,
weil unterlegene Mitbieter zu Recht geklagt haben und
Recht bekommen haben, was zur Folge hatte, dass das
ganze Vergabeverfahren neu aufgerollt werden musste.
Das ist eine Sache, über die hier überhaupt nicht diskutiert wird.
Wer spricht denn von der Unterfinanzierung beim
Bau? Die A 72 in Sachsen sollte zur Fußballweltmeisterschaft in Deutschland fertig sein. Wie es jetzt aussieht,
wird sie nicht einmal zur übernächsten Fußballweltmeisterschaft fertig sein - ich meine nicht die übernächste in
Deutschland, sondern in irgendeinem anderen Land -,
einfach deswegen, weil das Geld fehlt. Der Freistaat
Sachsen hat sein Geld an anderer Stelle ausgegeben. Wir
alle wissen, dass das Budget gedeckelt ist und man deswegen mit dem Geld auskommen muss, das man zur
Verfügung hat. Wenn man das Geld nicht hat, muss man
halt strecken und dehnen. Das gehört eben auch zur Ehrlichkeit beim Bauen von Straßen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP und wir
Grünen werden Sie wohl nicht überzeugen und dazu
bringen, dass Sie dem Antrag der FDP zustimmen. Aber
ich möchte Ihnen noch einmal ins Stammbuch schreiben: Bleiben Sie einfach offen auch für die Argumente
von kleinen Oppositionsfraktionen.
({3})
- Überwiegend klein oder temporär klein. - Wir haben
vielleicht manchmal nicht diese Scheuklappen wie die
Abgeordneten in großen Fraktionen.
Ich kann Ihnen übrigens noch etwas ins Stammbuch
schreiben: Ein gerade aus Klageverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht recht bekannter Anwalt hat uns
gesagt, dass als Folge der Verschärfungen im Bereich
der Beteiligung von Bürgern, aber auch durch die Möglichkeit, nur noch an einer Instanz zu klagen, die eingereichten Klagen heute von einer derart hohen Qualität
sind, dass man sich beispielsweise beim Bundesverwaltungsgericht manchmal schon fast den Gutachter sparen
kann, einfach weil die Würdigung vieler Aspekte schon
im Vorfeld vorgenommen wird. Wenn Sie das gewollt
haben - okay, ich habe nichts dagegen. Wir sehen ja,
dass das Bundesverwaltungsgericht an der Stelle absolut
autonom und frei von politischer Einflussnahme entscheidet.
Vielleicht gewinnen Sie irgendwann einmal die Erkenntnis, dass Sie mit diesem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz einen Irrweg eingeschlagen haben.
Das wäre ja wenigstens etwas.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Konjunktur
jetzt stärken - Überlange Planungszeiten verhindern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13120, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/11750 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens
„Investitions- und Tilgungsfonds“
- Drucksache 16/12662 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- Drucksache 16/13214 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Berg
Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/13215 Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith
Volker Kröning
Ulrike Flach
Anna Lührmann
Zu dem Gesetzentwurf, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Eckhardt Rehberg für die Unionsfraktionen.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wie sah die Situation in der deutschen Automobilindustrie, in der Zulieferindustrie und im Kraftfahrzeuggewerbe zum Ende des letzten Jahres und zu
Beginn dieses Jahres aus? Wir hatten bei den Kfz-Neuzulassungen im vierten Quartal 2008 einen Rückgang
um 23 Prozent zu verzeichnen. Nach den Aussagen des
Kraftfahrzeuggewerbes in der Anhörung am 13. Mai
2009 hat sich in den Autohäusern bis Ende Januar nichts
bewegt, und die Hoffnung auf Zuwächse im Servicebereich, auch aufgrund der Altersstruktur der Fahrzeuge,
hat sich mitnichten erfüllt.
Angesichts der Gesamtstruktur der deutschen Automobilindustrie mit 750 000 Beschäftigten, der Zulieferindustrie und des Kfz-Handwerks mit insgesamt
2 Millionen Beschäftigten - das sind rund 5 Prozent der
Beschäftigten insgesamt in Deutschland - musste man
schon in Sorge sein, dass es zu gravierenden Auswirkungen kommt, wenn der Staat nichts unternimmt.
Deswegen war es nach meinem Dafürhalten richtig,
dass wir zu Beginn dieses Jahres entschieden haben, eine
Umweltprämie für die Verschrottung von Pkws zu zahlen, die älter als neun Jahre sind.
Nun hat sich relativ schnell gezeigt, dass der Ansturm
wider Erwarten sehr groß ist. Deswegen ist es nach unserer Auffassung geboten, eine Aufstockung vorzunehmen. Gleichzeitig muss man an dieser Stelle deutlich
machen: Das sind jetzt 5 Milliarden Euro für 2 Millionen
Fahrzeuge. Das muss - jedenfalls nach meinem Dafürhalten - das Ende der Fahnenstange sein. Der BAFA liegen gegenwärtig 1,5 Millionen Anträge vor; für 250 000
davon sind die Prämien bereits ausbezahlt. Jeder kann
sich ausrechnen, dass bei kalendertäglich knapp 10 000
Neuanträgen in rund zwei Monaten der Topf leer ist. Wir
können, so meine ich, keine weiteren Aufstockungen
mehr vornehmen.
Wir machen im Rahmen dieser Änderung noch eines:
Insbesondere zum Beispiel für Behinderte wird die Frist,
innerhalb derer die Zulassung erfolgen muss, von sechs
auf neun Monate verlängert werden, um entsprechende
Umbaumaßnahmen vornehmen zu können. Am 30. Juni
2010 wird ein Endpunkt gesetzt; spätestens dann muss
das Neufahrzeug zugelassen sein. Gleichzeitig ist klar,
dass beim zweimillionsten Antrag Schluss ist. Hier besteht Rechtssicherheit, und zwar insofern, als die
5 Milliarden Euro, die Maßgabe des Haushaltes, die Begrenzung darstellen.
Ich bin nicht so glaubenshungrig, dass ich der
IG Metall in der Anhörung jeden Punkt ihrer Ausführungen zur volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser Umweltprämie geglaubt habe. Aber manches ist nachvollziehbar. Es ist nachvollziehbar, dass die Mehrwertsteuer
zurückfließt.
({0})
- Wissen Sie, in dieser kurzen Zeit noch eine Debatte
mit 16 Bundesländern zu führen - mit Ländern, in denen
eher Premiumklassen gebaut werden, mit Ländern, in
denen eher Mini- oder Kompaktklassen gebaut werden,
oder Ländern, in denen es gar keine Automobilindustrie
gibt, halte ich für abwegig. Hier galt es, schnell zu hanEckhardt Rehberg
deln. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben
schnell gehandelt.
({1})
Hier fließt also Geld zurück. Mehr als 50 Prozent der
Neuzulassungen sind Wagen deutscher Hersteller, insbesondere Opel, Ford und VW. Der Verband der Automobilindustrie hat ausgeführt, dass die Zulieferteile des
VW Polo, der in Spanien gebaut wird, zu 60 Prozent von
deutschen Zulieferern kommen. Daher zieht das ständig
vorgetragene Argument nicht, dass das Geld der deutschen Steuerzahler überwiegend ausländischen Fabrikaten zugutekommt. Ganz im Gegenteil: Wenn Sie ein Zulieferwerk wie das Airbagwerk in Laage besuchen, das
im Januar und Februar dieses Jahres massiv Kurzarbeit
angeordnet hatte, und Sie sehen, für welche Produkte zugeliefert wird, dann erkennen Sie, dass das Fabrikate
sind, die weltweit hergestellt werden.
Ich habe ganz bewusst den Begriff Umweltprämie gebraucht, weil die Daten, die uns vorliegen, zeigen, dass
mit der Umweltprämie ein Rückgang der CO2-Emissionen in Gramm pro Kilometer um 6 Prozent erreicht
wurde. Das liegt auch daran, dass ein neun Jahre altes
Auto, das jetzt verschrottet wird, natürlich schlechtere
Emissionswerte hat als jedes Auto, das heute gebaut
wird. Dass in der Klasse bis 120 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer ein Zuwachs der Neuzulassungen um
100 Prozent und in der Klasse zwischen 120 und
160 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer ein Zuwachs der Neuzulassungen um knapp 50 Prozent erreicht wurde, zeigt, dass von den Verbrauchern insbesondere umweltfreundliche, umweltschonende Autos
gekauft werden.
Die Anhörung hat auch sehr deutlich gezeigt: Die
Umweltprämie trägt mitnichten dazu bei, dass
Forschung und Entwicklung in irgendeiner Form zurückgestellt werden. Ganz im Gegenteil: Es wird weiter
intensiv geforscht, und die Ausgaben der deutschen Automobilhersteller in diesem Bereich werden eher zu- als
abnehmen. Es ist richtig, dass auch die Europäische Investitionsbank Kredite zur Verfügung stellt. Andere Länder haben mittlerweile nachgezogen, weil sie zur Kenntnis genommen haben, dass die Maßnahmen, die wir in
Deutschland durchführen, für eine wichtige Industrie
eine Brückenfunktion erfüllen.
In England werden seit Ende April dieses Jahres sogar 2 000 Pfund Abwrackprämie für ein zehn Jahre altes
Auto gezahlt.
({2})
- Es werden 2 000 Pfund gezahlt, 1 000 Pfund vom Hersteller und 1 000 Pfund vom Staat. Das ist ganz simpel.
({3})
Auch in Österreich ist man diesen Schritt gegangen,
in Frankreich sogar schon Ende 2008. Auch die Regierungen in China und Japan sowie in Brasilien und Russland setzen sich dafür ein, diese Brückenfunktion im Interesse der Automobilhersteller wahrzunehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass es keine Alternative zur Umweltprämie gegeben hat.
({4})
Die Alternative wäre nämlich gewesen, nichts zu tun.
Hätten wir nichts getan, hätte ich gerne einmal die Debattenbeiträge gerade der Linken und der Grünen im
Deutschen Bundestag erlebt und gehört, welche Vorwürfe Sie uns dann gemacht hätten.
({5})
- Frau Kollegin, die Stelle, an der wir ansetzen, ist genau
die richtige. Es ist auch richtig - das ist die feste Überzeugung der CDU/CSU-Fraktion -, diese 2 500 Euro als
Einkommen zu werten und Hartz-IV-Empfänger davon
auszuschließen. Mit dem, was Sie in Ihrem Änderungsantrag schreiben, berauben Sie sich Ihrer eigenen Argumente, warum die Umweltprämie kein Einkommen sein
soll. Sie wollen nämlich nicht, dass dieses Geld als Einkommen angerechnet wird.
Die beschriebene Brücke für die deutsche Automobilindustrie hat nicht nur direkt in der Automobilindustrie,
sondern auch weit darüber hinaus Arbeitsplätze gesichert. Deswegen bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({6})
Die Rede des Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-
Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat die Kollegin Ute Berg für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss sagen: Ich bin etwas irritiert, dass ich nicht
nach Herrn Brüderle bzw. nicht nach einem Vertreter der
FDP rede. Denn ich war eigentlich darauf eingestellt, in
meiner Rede all Ihre Vorwürfe und Ihre Fundamentalkritik zurückzuweisen.
({0})
Da ich das nun nicht tun muss, kann ich meine eigenen
Argumente vortragen.
Allerdings kann ich es der Opposition nicht ersparen,
zu Beginn meiner Rede kurz auf sie einzugehen. Ich
muss nämlich Ihre Unkenrufe, die Sie im Zusammen-
1) Anlage 26
hang mit der Umweltprämie immer wieder geäußert haben, zurückweisen. Diese Prämie hat sich als hervorragendes Mittel zur Stimulierung der Nachfrage erwiesen.
Sie ist genau das, was wir uns von ihr versprochen haben: eine Konjunkturspritze ersten Ranges.
({1})
Das bestätigen die aktuellen Zahlen des Statistischen
Bundesamtes zum ersten Quartal 2009. Während die
Wirtschaftsleistung insgesamt in den ersten drei Monaten dieses Jahres gegenüber den letzten Monaten des
letzten Jahres um 3,8 Prozent zurückging, wirkt die Binnennachfrage auf die Konjunktur in Deutschland stabilisierend. Der private Konsum ist sogar leicht gestiegen,
und zwar um circa 0,5 Prozent. Das liegt zum einen natürlich an der niedrigen Inflationsrate, ist zum anderen
aber auch das Ergebnis unserer Konjunkturmaßnahmen,
allen voran der Umweltprämie;
({2})
das sage ich ganz bewusst in dem Sinne, in dem es Herr
Rehberg bereits ausgeführt hat.
Wenn es um Maßnahmen zur Stärkung der Konjunktur geht, verweisen Ökonomen grundsätzlich auf die drei
T: Sie müssen timely, targeted und temporary sein. Das
heißt, sie müssen schnell wirken, sie müssen gezielt wirken, und sie müssen zeitlich befristet sein. Alle drei Kriterien erfüllt die Umweltprämie.
({3})
- Wenn Sie das meinen, ist das in Ordnung. Befristet
müssen solche Maßnahmen nämlich auch sein. Wenn Sie
dieses Kriterium befürworten, ist das schon einmal ein
Schritt in die richtige Richtung.
({4})
Die von Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagene
Prämie hat die Branche spürbar angeschoben. Sie hat
viele Händler und Zulieferbetriebe und damit Tausende
von Arbeitsplätzen gerettet.
({5})
- Kollege Fricke möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gut, Sie gestatten die Zwischenfrage. - Herr Fricke,
dann haben Sie das Wort.
Geschätzte Frau Kollegin Berg, auch wenn Sie den
Kollegen Brüderle sicherlich sehr zu Recht vermissen,
möchte ich doch noch etwas ergänzend fragen.
Sie haben gerade gesagt, dass die Befristung richtig
ist. War eine Verlängerung der Befristung dann falsch,
oder war die Verlängerung der Befristung auch richtig?
Ich darf Sie auch fragen - das ist mir sehr wichtig -:
Kann ich davon ausgehen, da Sie sagen, dass die Befristung gut ist, dass es die Position der SPD ist, die Abwrackprämie nicht über das Ende dieses Jahres hinaus zu
verlängern?
Ich kann Ihnen die drei Fragen, die Sie gestellt haben,
gerne beantworten: Ja, die Verlängerung der Befristung
war richtig. Ja, wir werden die Prämie nicht über das
Jahr 2009 hinaus verlängern. Allerdings werden wir es
gestatten, dass bis zum 30. Juni 2010 ausgeliefert wird.
Darauf komme ich aber gleich noch zu sprechen. An die
dritte Frage in diesem ganzen Kuddelmuddel erinnere
ich mich nicht mehr.
({0})
Noch einmal zurück: Durch die von Frank-Walter
Steinmeier vorgeschlagene Prämie wurde die Branche
spürbar angeschoben - das hatte ich eben schon gesagt -,
und es wurden alle entlastet und Arbeitsplätze gesichert.
Vielleicht sollten wir auch einmal andersherum fragen: Was hätte es uns gekostet, wenn wir die Prämie
nicht eingeführt hätten? Das ist in unserer Expertenanhörung sehr deutlich geworden: Durch die Prämie werden
etwa 200 000 Arbeitsplätze in der Automobilbranche gesichert, die ohne sie weggefallen wären, und die bereits
angekündigte Kurzarbeit musste nicht eingeführt werden. Kurzarbeiteranteile oder gar Arbeitslosengeld fallen
nicht an. Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge werden weiter bezahlt. Nicht zu vergessen sind die
zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer für die
zusätzlich verkauften Autos.
({1})
Fazit: Mit der Umweltprämie haben wir dafür gesorgt, dass Steuern fließen und der Staat Geld für die
Finanzierung von Arbeit und nicht von Arbeitslosigkeit
ausgeben kann. Neben den zusätzlichen Autokäufen, die
durch die Prämie nachweislich befördert werden, sind
auch - das haben einige leider noch immer nicht verstanden - die vorgezogenen Käufe durchaus eine beabsichtigte Wirkung, die mit der Prämie erzielt werden soll, um
das Konjunkturloch im Export jetzt schnellstmöglich abzufedern.
Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Änderungsantrag verlängern wir heute auch die Reservierungszeit
für die Umweltprämie auf neun Monate. Das haben wir
von SPD-Seite aus angeregt, weil einzelne Hersteller
nicht innerhalb der zunächst vorgesehenen sechs Monate
nach Kaufvertragsunterzeichnung liefern können. Das
gilt vor allem dann, wenn Sonderanfertigungen anfallen
- Herr Rehberg hat das schon erwähnt -, beispielsweise
auch für Menschen im Rollstuhl. Der 30. Juni 2010 - das
kann ich Ihnen versprechen, Herr Fricke - ist dann allerdings wirklich das Enddatum. Bis zu diesem Termin
müssen dann auch diese Autos ausgeliefert sein.
Abschließend noch eine dringende Bitte in Bezug auf
die Abwicklung der Prämie. Es sind über 1,5 Millionen
Anträge beim Bundesamt für Wirtschaft und AusfuhrUte Berg
kontrolle eingegangen. Leider ist die Situation bei der
Bearbeitung der Anträge noch sehr unbefriedigend.
Viele Käufer sind berechtigterweise verärgert darüber,
dass sie auf die Auszahlung der Prämie so lange warten
müssen. Uns erreichen inzwischen auch Briefe von
Händlern, die ihren Kunden die Prämie vorgestreckt haben und dadurch wirklich in die Bredouille geraten sind.
Das BAFA ist deutlich überlastet. Deshalb möchte ich
das zuständige Bundeswirtschaftsministerium auffordern, für ausreichend Personal beim BAFA zu sorgen,
damit die Leute nicht zu lange auf ihr Geld warten müssen.
Kollegin Berg, achten Sie bitte auf die Redezeit und
das Signal.
Ja, ich komme zum letzten Satz. - Es ist heute ein guter Tag für Automobilhändler, für Beschäftigte und für
Kunden, weil wir die Umweltprämie verbessert und ausgebaut haben.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Ulla
Lötzer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau
Berg, ich bleibe dabei: Die Abwrackprämie ist wirtschaftlich fragwürdig, ökologisch unsinnig und sozial
ungerecht.
({0})
Sie ist wirtschaftlich fragwürdig, weil die Probleme der
Automobilindustrie damit nur in die Zukunft verschoben, aber nicht gelöst werden.
Die Verlängerung der Prämie ist doch der erste Beweis dafür, dass Sie die Automobilindustrie zwar an den
Tropf gelegt haben. Sie können ihn aber nicht mehr entfernen, ohne den Patienten ganz über die Wupper gehen
zu lassen.
({1})
Kollegin Berg, selbstverständlich bestreiten auch wir
nicht den kurzfristigen konjunkturellen Effekt. Die
Nachfrage wird jetzt europaweit angeheizt. Autokäufe
werden vorgezogen. Aber was kommt danach? Unsere
Befürchtung ist, dass der Einbruch dann umso stärker
und die Situation in der Automobilindustrie umso
schlimmer wird.
Was ist mit den anderen Branchen? Sie stützen mit
der Abwrackprämie einseitig die Automobilindustrie
auch auf Kosten von anderen Branchen. Viele, die jetzt
ein neues Auto kaufen, sparen dafür an anderen Dingen,
oder - was noch schlimmer ist - sie überschulden sich,
um das neue Auto bezahlen zu können.
Es grenzt schon an Volksverdummung, Herr Rehberg,
das Ganze noch als Umweltprämie zu bezeichnen.
({2})
Die Kopplung an die Abgasnorm Euro 4 ist ein Witz.
Schließlich gibt es kaum noch ein Fahrzeug, das diese
Norm nicht erfüllt.
Auch die deutsche Automobilindustrie hat, verschuldet durch Ihre Regierung, die Entwicklung umweltfreundlicher Fahrzeuge und Verkehrssysteme massiv
verschlafen. Jetzt zementieren Sie mit der Ausgestaltung
der Abwrackprämie diese Entwicklung, statt eine Umkehr einzuleiten.
Es ist ein Skandal - das richte ich vor allem an die
Kolleginnen und Kollegen der SPD -, dass Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher nach wie vor ausgeschlossen
werden.
({3})
Unabhängig davon, dass sie ein falsches Mittel ist, ist
diese Vorgehensweise zutiefst diskriminierend und entwürdigend. Deshalb geben wir Ihnen mit unserem Änderungsantrag die Gelegenheit, wenigstens diesen Fehler
zu korrigieren. Noch besser wäre allerdings, mit der Anhebung von Hartz IV und mit einem gesetzlichen Mindestlohn eine dauerhafte Kaufkraftstärkung vorzunehmen.
({4})
Ihrer Abwrackprämie setzen wir unseren Zukunftsfonds entgegen. Die Automobilindustrie ist in einer
strukturellen Krise. 25 Prozent Überkapazitäten erfordern politische Antworten, die statt eines Strohfeuers einen Strukturwandel einleiten.
({5})
Wir wollen mit Beteiligungen aus dem Industriefonds
den sozialen und ökologischen Umbau der Automobilindustrie wie auch anderer Branchen vornehmen. Nur
auf diese Weise können auch mittel- und langfristig Arbeitsplätze gesichert werden.
({6})
Die gesamte Branche muss in Richtung umweltfreundlicher Verkehrskonzepte umgebaut werden.
Statt eines Strohfeuers wie der Abwrackprämie sollten Sie - das sage ich Ihnen gerade heute - endlich bei
Opel damit anfangen, Arbeitsplätze zu sichern. Beteiligen Sie sich mit den Ländern an Opel, statt das Problem
auf einen privaten Treuhändler abzuschieben, auf die Insolvenz zu spekulieren, wie es Herr zu Guttenberg permanent tut, oder das unwürdige Geschacher der letzten
Nacht fortzusetzen!
({7})
Leiten Sie einen ersten Schritt zu einer Entwicklung
ein, aus Opel einen Musterkonzern für umweltfreundliche Verkehrsmittel zu machen! Übernehmen Sie Verantwortung für Steuergelder und Arbeitsplätze bei Opel!
Das wäre ein Schritt, um Arbeitsplätze und die Zukunftsfähigkeit der Branche zu sichern. Mit der Abwrackprämie ist das nicht möglich.
Danke.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Dr. Thea Dückert das Wort.
Ich wiederhole meinen Hinweis von vor einer Stunde:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt so zahlreich herbeiströmen, bitte geben Sie auch den letzten
beiden Rednern in dieser Debatte die Chance, mit ihren
Argumenten zu Ihnen durchzudringen. Wir kommen danach zur namentlichen Abstimmung.
Sie haben das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Debatte um die Abwrackprämie offenbart ein sehr großes Jammertal der Großen Koalition,
weil Sie sich beständig weigern, zu begreifen, dass in
dieser großen ökonomischen Krise und in der drohenden
Klimakrise jeder Euro, den wir für Krisenbewältigung
ausgeben, so eingesetzt werden muss, dass eine doppelte
Dividende erzielt wird. Er muss doppelt in die Zukunft
hineinwirken, und zwar ökonomisch und ökologisch.
({0})
Hier werden über 5 Milliarden Euro als Wahlgeschenk
verteilt; sie wirken eben nicht als ein Element der Krisenbewältigung.
({1})
Diese Debatte ist zutiefst unehrlich, und dies in dreifacher Hinsicht. Der erste Punkt: Haushaltspolitisch ist
dies ein einfacher Taschenspielertrick. Was machen Sie?
Sie stocken die Prämie um 3,5 Milliarden Euro auf, aber
dieser Betrag taucht im Nachtragshaushalt, der in dieser
Woche ebenfalls vorgelegt wird, überhaupt nicht auf.
({2})
Gleichzeitig ist jedoch völlig klar, dass die Auszahlung
dieses Geldes eine höhere Verschuldung bedeutet. Die
Rechnung werden die zukünftigen Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler bezahlen müssen.
Die zweite Unehrlichkeit: Sie reden von Umweltprämie, aber sie ist hinsichtlich des Kaufs eines Neuwagens
an kein einziges ökologisches Kriterium gebunden. Es
werden keine CO2-Grenzen vorgegeben. Die Erfüllung
der Abgasnorm Euro 4 als Kriterium ist der große Witz,
der schon angesprochen wurde. Die genannte Norm läuft
in diesem Jahr aus. Ab 1. September 2009 gilt die
Abgasnorm Euro 5. Sie legen hier ein veraltetes Kriterium zugrunde und behaupten noch, dies belege die ökologische Orientierung. Das ist nichts als ein schlechter
Witz.
({3})
Sie fördern auch kaum Elektroautos, höchstens mit
ganz geringen Mitteln. Sie verweisen darauf, dass andere
Länder eine ähnliche Prämie haben. An Ihrer Stelle, Herr
Rehberg, wäre ich da ganz still, weil kein anderes Land
auf jegliche ökologische Lenkungswirkung verzichtet
hat. Jedes andere Land hat die Prämie an die Erfüllung
ökologischer Kriterien gekoppelt, nur Deutschland nicht.
Meine Damen und Herren, Sie behaupten, der Umwelteffekt erzielte sich quasi von allein, weil neue Autos
besser sind als alte. Dafür führen Sie als Beweis an, dass
der durchschnittliche CO2-Ausstoß bei Neuwagen in diesem Jahr gesunken sei. Aber auch hier argumentieren
Sie wieder unehrlich; denn in diesem Jahr gab es einen
Einbruch vor allen Dingen bei Premiumwagen. Weil der
Durchschnitt der Abgasemissionen bezogen auf die gesamte Flotte berechnet wird - das sagen Sie eben nicht -,
ergibt sich völlig automatisch als statistischer Effekt,
dass der durchschnittliche CO2-Ausstoß sinkt, wenn die
dicken Autos nicht mehr nachgefragt werden. Das hat
aber überhaupt nichts mit technologischer Entwicklung
zu tun, sondern mit einem konjunkturbedingten Einbruch auf einem Teil des Marktes. Das ähnelt der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Storchflug und
Geburtenrate; nichts anderes ist das.
({4})
Die dritte Unehrlichkeit in Ihrer Argumentation betrifft die angeblich nachhaltige konjunkturelle Wirkung.
In der Anhörung ist Ihnen dargelegt worden, dass die
Abwrackprämie einen Mitnahmeeffekt von 75 Prozent
hat. Das bedeutet, dass auf ein neu gekauftes Auto drei
Autos kommen, die auch ohne die Prämie gekauft worden wären. Somit werden durch die Abwrackprämie von
2 500 Euro für ein neues Auto insgesamt 10 000 Euro
Subventionen losgetreten.
Kollegin Dückert, achten Sie bitte auf die Zeit?
Es ist eine Milchmädchenrechnung - ich achte auf die
Zeit -, die Sie uns hier vorgelegt haben. Gerade aufgrund dessen behauptet kein einziger Ökonom in der
Bundesrepublik, der nicht der Autolobby zugerechnet
werden kann, dass hieraus ein nachhaltiger ökonomischer Effekt hinsichtlich der Kaufkraft resultiert.
Kollegin Dückert, Sie sind weit über die Zeit.
Ich komme zum Schluss. - Alle seriösen Ökonomen
sagen, es handele sich um ein Strohfeuer, das nicht nachhaltig sei. Es ist eher ein nachhaltiger Offenbarungseid
der Regierung.
({0})
Ich danke Ihnen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich vor
der Sitzung davon überzeugt, dass nach der Bundesversammlung alle Stühle wieder in den Plenarsaal gebracht
wurden. Wir haben zugegebenermaßen nicht alle Tische
zur heutigen Sitzung herbeischaffen können. Aber für jeden Kollegen und jede Kollegin ist ein Sitzplatz vorhanden. Ich bitte Sie, auch dem letzten Redner in dieser Debatte die notwendige Aufmerksamkeit zuzuwenden und
Ihre Plätze vor den Abstimmungen einzunehmen.
Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Thea Dückert, Sie haben davon gesprochen, dass
der Fonds ein Beweis für das Jammertal sei. Ich finde
es tragisch, dass die Grünen genauso wie die Linkspartei - auf die FDP müssen wir heute in dieser Debatte
verzichten - nur jammern, anstatt einmal, auch gegenüber der deutschen Öffentlichkeit, zum Ausdruck zu
bringen, dass hier ein effektives Instrument gefunden
worden ist, das Arbeitsplätze sichert und Kurzarbeit in
den betroffenen Betrieben verhindert.
({0})
Es wird nur gejammert!
({1})
Hier werden Pappkameraden aufgebaut, als ob es bei
diesem Instrument darum ginge, die gesamte Industriegesellschaft neu auszurichten. Darum ging es bei diesem
Instrument von Anfang an nicht. Vielmehr ist dieses Instrument dafür da, die Nachfrage in der Automobilindustrie und bei den Zulieferern, die sich im Dezember auf
einem Tiefpunkt befand, anzukurbeln. Genau dieses Ziel
des Maßnahmenpaketes ist erreicht worden. Wir reden
heute über eine Aufstockung, weil die Menschen entgegen den Prognosen vieler gerade von Ihnen zitierten
Ökonomen und Professoren, die wir in allen Talkshows
sehen, anders entschieden haben. Sie haben gesagt: Das
ist ein Instrument, das mir den Kauf eines Neuwagens
ermöglicht. Deswegen nehme ich dieses Instrument in
Anspruch. - Wir sollten daher nicht auf die Prognosen
von Professoren setzen, sondern zur Kenntnis nehmen,
dass die Menschen entschieden haben, dieses Instrument
in Anspruch zu nehmen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
Sie versuchen seit einiger Zeit, sich quasi als Gewerkschaftspartei zu gerieren.
({3})
Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, Folgendes zur
Kenntnis zur nehmen: Ich wohne an einem Automobilstandort und habe dort in den letzten Jahren als Sozialdemokrat viele spannende Diskussionen mit der IG Metall
geführt. Wenn Sie in der Anhörung, die wir in der letzten
Woche durchgeführt haben, gut zugehört haben, dann
muss Ihnen klar sein: Die IG Metall war zusammen mit
Frank-Walter Steinmeier und anderen der Urheber der
Abwrackprämie und steht voll und ganz dahinter. Deswegen stehen Sie hier völlig im Abseits. Das wissen die
Kolleginnen und Kollegen auch.
({4})
Es gibt eine Reihe von Vorurteilen. So heißt es, es
gebe nur Vorzugseffekte. Man muss zur Kenntnis nehmen - das besagt jede Untersuchung -, dass sehr viele
Menschen, die sich von altem Gebrauchtwagen zu altem
Gebrauchtwagen gehangelt haben und nie einen Neuwagen gekauft hätten, nun Neukunden geworden sind. Es
gibt des Weiteren das Vorurteil des Missbrauchs. Diesen
haben wir durch entsprechende Regelungen sehr schnell
in den Griff bekommen. Was die ökologische Lenkungswirkung angeht, liebe Thea Dückert: Wir wollen nicht
darüber reden, dass man vielleicht hätte mehr machen
können. Neben der Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2Ausstoß bedarf es vieler weiterer Instrumente, um in
diesem Bereich voranzukommen. Trotzdem darf man
nicht negieren, dass ein zehn Jahre altes Auto im
Schnitt 182 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt, während ein jetzt gekauftes Auto im Schnitt 155 Gramm
CO2 ausstößt. Das entspricht einer Senkung von 15 Prozent. Deswegen ist der Begriff „Umweltprämie“ richtig.
Wir sollten das nicht kleinreden, sondern in den Mittelpunkt stellen.
({5})
Abschließend: Es ist so viel von den Nebenwirkungen
der Abwrackprämie die Rede. Es ist richtig: Es gibt in
der Tat auch Nebenwirkungen. Es gibt Bereiche - ich
nenne zum Beispiel die Gebrauchtwagenhändler -, in
denen es jetzt Probleme gibt. Das wird überhaupt nicht
bestritten. Aber das Ziel war es, die Kurzarbeit und die
Entlassung von Menschen in der Automobilindustrie zu
verhindern. Dieses Ziel ist erreicht worden. Wer einen
Brand löschen will und nur über die Wasserschäden
spricht, der geht an dem Thema vorbei. Deswegen ohne
Wenn und Aber: Diese Abwrackprämie ist ein Erfolg gewesen
({6})
und wird es auch weiterhin sein. Die Aufstockung der
Abwrackprämie ist richtig, und deswegen werden wir
jetzt mit Ja stimmen.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung
eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungs-
fonds“. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/13214, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12662 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu gibt es einen
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke, über den wir
zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 16/13228? - Die Gegenstimmen! - Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-
nen mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun auf Verlan-
gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind jetzt alle Ur-
nen besetzt? - Das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung
eröffnet.
Bevor ich die Abstimmung schließe, gebe ich be-
kannt, dass es Erklärungen zur Abstimmung nach § 31
der Geschäftsordnung gibt, und zwar der Kolleginnen
und Kollegen Steffen Kampeter, Dr. Stephan Eisel,
Dr. Axel Berg, Gitta Connemann und Josef Göppel.1)
Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das
seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis geben wir später
bekannt.2)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Wer stimmt
für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/13229? - Wer ist dagegen? - Enthaltun-
gen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt, bei
Zustimmung durch die einbringenden Fraktion; die Ko-
alitionsfraktionen haben dagegen gestimmt, Bündnis 90/
Die Grünen und die Fraktion Die Linke haben sich ent-
halten.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Wolfgang Nešković, Ulla Jelpke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
1) Anlagen 21 bis 24
2) Siehe Seite 24676 C
Teilhabe ermöglichen - Kommunales Wahl-
recht einführen
- Drucksache 16/13165 -
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({0}),
Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes ({1})
- Drucksache 16/6628 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 16/13033 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff ({3})
Josef Philip Winkler
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Katrin Kunert, Petra Pau, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen
- Drucksachen 16/5904, 16/13033 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff ({5})
Josef Philip Winkler
Über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen sowie über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/5904 werden wir später wiederum namentlich abstimmen.
Für die Debatte ist eine halbe Stunde verabredet. - Da
sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort gebe ich an die
Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit unserem Antrag zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige möchten
wir heute in diesem Parlament vor allen Dingen NichtEU-Bürgerinnen und -Bürgern eine Chance geben und
endlich die Ungleichbehandlung von Nicht-EU-Bürgern
und EU-Bürgern aufheben.
In der Bundesrepublik Deutschland leben circa
6,7 Millionen Menschen nicht deutscher Staatsangehörigkeit, von denen 4,6 Millionen nicht aus den Ländern
der Europäischen Union stammen. Die durchschnittliche
Aufenthaltsdauer dieser Drittstaatenangehörigen beträgt
17 Jahre und ist im europäischen Vergleich überdurchschnittlich lang. Dem demokratischen Grundsatz, dass
die Betroffenheit von der Staatsgewalt der Anknüpfungspunkt für die Wahlberechtigung ist, wird durch den
Ausschluss der Drittstaatenangehörigen vom kommunalen Wahlrecht nicht Genüge getan. Diese fehlende Möglichkeit einer Beteiligung am Kernstück einer Demokratie, an den Wahlen, also das fehlende Wahlrecht, stellt
ein erhebliches Demokratiedefizit dar, dem wir Abhilfe
schaffen wollen, indem wir diesen Menschen die Möglichkeit geben, an den Wahlen teilzunehmen.
({0})
- Ich komme zu diesem Punkt noch.
Die Mehrheit der europäischen Länder erkennt neben
EU-Bürgerinnen und -Bürgern auch Drittstaatenangehörigen ein Wahlrecht auf lokaler Ebene zu. In ganzen
16 Ländern der Europäischen Union gibt es bereits ein
kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige. Ich
finde, Deutschland - die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
und Kanzlerin Merkel sprechen vom „Integrationsland
Deutschland“ - sollte mit der Ungleichbehandlung aufhören und diesen Menschen aus Drittstaaten die Möglichkeit geben, an den Wahlen teilzunehmen.
({1})
Was bedeutet aber dieses Abstrakte, diese 4,6 Millionen Menschen, konkret? Ich möchte Ihnen das erklären.
Eine Nachbarin aus meinem Wahlkreis, Aylin K., ist
46 Jahre alt, hat zwei Kinder. Sie ist im Ausländerbeirat,
engagiert sich im Elternverein vor Ort, engagiert sich im
Sportverein für ihre Kinder und engagiert sich natürlich
auch kommunalpolitisch. Weil sie aber nicht EU-Bürgerin ist und weil sie keine deutsche Staatsangehörige ist,
({2})
darf sie nicht auf kommunaler Ebene an den Wahlen teilnehmen.
({3})
Ein anderer, der seit drei Monaten in demselben Viertel
in derselben Stadt wohnt und die Unionsbürgerschaft
hat, darf dort an den Wahlen teilnehmen. Ich finde, es ist
ungerecht,
({4})
wenn jemand, der sich in der Stadt engagiert, in der er
seit 30 Jahren lebt, nicht an den Wahlen teilnehmen
kann, aber jemand, der drei Monate dort lebt, an den
Wahlen teilnehmen kann. Diese Ungerechtigkeit muss
beendet werden.
({5})
Herr Grindel, Sie haben gesagt: Warum sind die nicht
eingebürgert? Sollen sie sich doch einbürgern!
({6})
Wenn Sie und andere das kommunale Wahlrecht für
Drittstaatenangehörige mit dem Verweis ablehnen, die
Migrantinnen und Migranten könnten doch durch Einbürgerung gleiche Rechte erlangen, dann ist das angesichts der Einbürgerungszahlen wirklich zynisch und
heuchlerisch.
({7})
Der Rückgang seit 2000, seit der Novellierung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes, beträgt nämlich ganze
50 Prozent. Gegenüber 2000 kann bzw. will jetzt nur
noch die Hälfte aller Menschen eingebürgert werden. In
der Regierungszeit der Großen Koalition, 2006 bis 2008,
ist die Einbürgerungszahl um circa 22 Prozent gesunken.
Da kann die Integrationsbeauftragte noch so viel von
Willkommenskultur schwafeln oder auch fabulieren,
({8})
Ursache für den dramatischen Rückgang sind die gezielten Verschärfungen im Einbürgerungsrecht. Deshalb
kann man die Menschen nicht darauf verweisen, sie sollten sich doch einbürgern lassen, wenn man ihnen immer
wieder den Weg dorthin erschwert hat.
Zudem verweise ich noch einmal auf die 16 Länder in
der Europäischen Union, die das kommunale Wahlrecht
für die Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger eingeführt
haben.
({9})
Die massiv rückläufigen Einbürgerungszahlen sind
gerade ein weiteres Argument für die Einführung des
kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige,
weil wir verhindern wollen, dass es in Deutschland demokratiefreie Zonen gibt, weil in Stadtteilen immer größere Bevölkerungsteile nicht wählen dürfen. Ferner
wollen wir vermeiden, dass es in den kommunalen
Stadträten, in den kommunalen Parlamenten eine Legitimationskrise gibt, weil sie von 30 Prozent der Bevölkerung in einer Stadt gar nicht gewählt werden können, obwohl diese 30 Prozent mit den Entscheidungen, die diese
kommunalen Parlamente treffen, leben müssen.
Ich möchte ganz bewusst etwas an die Adresse der
SPD sagen: Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass mehrere Politikerinnen und Politiker der SPD
gerade in der letzten Zeit gegenüber türkischsprachigen
Medien sagen, dass sie das kommunale Wahlrecht einführen wollen.
({10})
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Jetzt, wenn Sie hier reden, werden Sie darauf verweisen,
dass der Koalitionspartner das nicht möchte.
({11})
Deshalb könne man das nicht einbringen,
({12})
und deshalb könne man das nicht beschließen.
Ich erinnere mich daran, dass im Vorfeld der
Bundestagswahl 2005 die SPD Nein zu der „MerkelSteuer“ gesagt hat und dann mit der CDU/CSU eine
Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozent beschlossen hat.
({13})
Wenn Sie das nicht wollen, der politische Wille also
nicht da ist, dann sagen Sie das ehrlich. Seien Sie nicht
zynisch und heuchlerisch und gehen vagabundieren und
sagen: „Wir wollen das kommunale Wahlrecht“, obwohl
Sie die Chance nicht nutzen, im Bundestag ein Zeichen
zur Förderung der demokratischen Kultur und eines gesellschaftlichen Konsenses zu setzen, den es bereits gibt.
Vielen Dank.
({14})
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen
von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Gesetzes zur
Errichtung eines Sondervermögens „Investitions- und
Tilgungsfonds“ bekannt: Abgegeben wurden 534 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 397 Abgeordnete, mit Nein
haben gestimmt 132 Abgeordnete; es gab 5 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 534;
davon
ja: 397
nein: 132
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Andreas Jung ({7})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({9})
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({12})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({28})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({29})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({30})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Eike Hovermann
Christel Humme
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({35})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({36})
Michael Müller ({37})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({40})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Heinz Schmitt ({44})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({47})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({48})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Nein
CDU/CSU
Gitta Connemann
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Michael Fuchs
Josef Göppel
Friedrich Merz
Peter Rzepka
Christian Freiherr von Stetten
Klaus-Peter Willsch
SPD
Dr. Axel Berg
Dr. Wolfgang Wodarg
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({49})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({50})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Dr. Erwin Lotter
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({51})
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({52})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Diana Golze
Heike Hänsel
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulrich Maurer
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({53})
({54})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({55})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({56})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({57})
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({58})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({59})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
SPD
DIE LINKE
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion.
({60})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Wir debattieren heute über die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts. Den Befürwortern geht es dabei um die Integration der seit Jahren hier lebenden Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. Im
Kern geht es ihnen aber um das Prinzip „Integration
durch Wahlrecht“.
Für unsere Fraktion hat das Thema Integration in der
Großen Koalition eine ganz besonders entscheidende
Rolle gespielt. Die Union mit der Kanzlerin hat sich hier
an die Spitze der Bewegung gesetzt.
({0})
Dabei wurden vier entscheidende politische Weichenstellungen vorgenommen:
Erstens. Die Integration wird durch Staatsministerin
Böhmer aus dem Kanzleramt heraus geleitet.
Zweitens. Mit dem Nationalen Integrationsplan setzen wir erstmals in einem Gesamtkonzept auf echte Partnerschaft mit den Migranten.
({1})
Drittens. Innenminister Schäuble hat die Deutsche Islam-Konferenz ins Leben gerufen. Wir führen damit den
Dialog mit dem Islam in Deutschland.
({2})
Klar ist natürlich, dass Integrationswille und Erlernen
der deutschen Sprache dabei Grundvoraussetzungen
sind.
Viertens. Mit der Novelle des Zuwanderungsrechts ist
nunmehr der Nachzug ausländischer Ehegatten an
Grundkenntnisse der deutschen Sprache gekoppelt.
({3})
Konkret bietet der deutsche Staat Zuwanderern deshalb
Sprachkurse und nachfolgende Orientierungskurse an.
Sie vermitteln Kenntnisse über die Grundlagen des deutschen Staates, der deutschen Geschichte und der deutschen Gesellschaft. Sie schaffen die notwendigen Voraussetzungen, um Bildungschancen und Angebote auf
dem Arbeitsmarkt nutzen, den Einbürgerungstest bestehen und schlussendlich die deutsche Staatsbürgerschaft
erwerben zu können.
Wie wichtig wir Integration nehmen, zeigt auch der
symbolische Akt am 12. Mai. Da haben Migrantinnen
und Migranten erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ihre Einbürgerungsurkunde im
Kanzleramt erhalten.
({4})
Verbunden ist damit die eindeutige Einladung an viele
weitere Migranten, sich einbürgern zu lassen.
Das alles macht ganz deutlich: Wir haben Integration
zu einer nationalen Aufgabe erhoben. Entscheidend ist
also, dass wir uns intensiv um eine gelungene Integration bemühen und nicht so tun, als ob infolge der Gewährung des Wahlrechts Integration funktioniere.
({5})
- Genau, Herr Veit.
Das Wahlrecht bildet das Kernstück der politischen
Beteiligung in einer Demokratie. Das ist einer der wenigen richtigen Sätze im Antrag der Linken, Frau
Dağdelen. Wie so oft ziehen Sie falsche Rückschlüsse.
Die richtige Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist, dass
das Wahlrecht einer Integration nachfolgen muss und
nicht an deren Anfang stehen darf.
({6})
Nur wer sich nach einer gelungenen Integration zu unserem Land, zu unserer Werteordnung, zu unserem Grundgesetz bekennt und sich deshalb einbürgern lässt, kann
auch mit das größte Privileg unserer Demokratie, das
Wahlrecht nämlich, für sich in Anspruch nehmen.
({7})
- Dazu komme ich gleich, Herr Winkler.
Es ist vollkommen falsch, so zu tun, als seien Migranten ohne Wahlrecht von unserer Gesellschaft ausgeschlossen. Die gesellschaftliche Teilhabe vollzieht sich
durch das Zusammenleben in den Städten und Stadtteilen, durch das Mitwirken in Vereinen und Verbänden
und bei öffentlichen Veranstaltungen. Migranten bereichern unser soziales Leben, indem sie ihre Traditionen,
Bräuche und Kultur pflegen. Unser Land lebt von der
Vielfalt der Menschen, die hier wohnen. Dem widerspricht es in keiner Weise, das Privileg des Wahlrechts
an die Einbürgerung zu knüpfen.
Trotzdem haben wir uns intensiv mit den politischen
und rechtlichen Fragen des kommunalen Ausländerwahlrechts auseinandergesetzt. So war es im Koalitionsvertrag beschlossen. Wir haben diesen Beschluss insbesondere mit der Sachverständigenanhörung im letzten
Herbst auch erfüllt.
({8})
Aus dieser Expertenanhörung habe ich für mich und
für unsere Fraktion den Schluss gezogen, Herr Veit, dass
eine Änderung des Art. 28 Grundgesetz wodurch auch
Drittstaatenangehörigen die Möglichkeit eines kommunalen Wahlrechts eingeräumt werden soll, wegen eines
Verstoßes gegen Art. 20 Grundgesetz verfassungswidrig
ist.
({9})
In Deutschland wird die Staatsgewalt vom Volk in
Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung ausgeübt. Dieses Prinzip der Volkssouveränität gehört unstrittig, meine ich, zu den Grundsätzen des
Art. 20 Abs. 2, wonach das Staatsvolk die Staatsgewalt
innehat, zu Grundsätzen, die durch die Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 geschützt sind.
({10})
Dieses Staatsvolk wird nach einer unter den Sachverständigen und Rechtsgelehrten stark vertretenen Auffassung von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 gleichgestellten Personen gebildet und
nicht durch die Gesamtheit der auf Dauer hier lebenden
Bevölkerung.
({11})
Die Eigenschaft als Deutscher ist also der Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zum Volk im Sinne des
Art. 20 als Träger der Staatsgewalt, die wiederum durch
Wahlen ausgedrückt wird.
({12})
- Dazu komme ich gleich. - Wer Deutscher ist, kann der
Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht regeln. Der
sogenannten Herrschaft in Deutschland unterworfen zu
sein, sich an Gesetze halten zu müssen und Steuern zu
zahlen, ist allerdings kein Kriterium.
({13})
Das Gleiche gilt für die Ebene der Länder, der Städte
und der Gemeinden. Auch dort wird die Staatsgewalt nur
vom Volk, das heißt, den deutschen Staatsangehörigen,
ausgeübt, die die jeweilige Vertretung zu wählen haben.
Jetzt komme ich zu Ihrem Einwand. Auf kommunaler
Ebene besteht tatsächlich eine Ausnahme. EU-Bürger
genießen seit 1992 eine Sonderbehandlung und haben
einen anderen Status. Das hat allerdings nicht mit einer
angeblich unerträglichen und ungerechten Ungleichbehandlung zu tun und ist ebenso wenig skandalös, sondern ist im Auftrag der europäischen Integration, der
schon seit 1949 in der Präambel des deutschen Grundgesetzes steht, begründet.
({14})
Genau das und nur das hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil aus dem Jahre 1990 erwähnt. Bezogen
auf Drittstaatenangehörige hat das Bundesverfassungsgericht keine entsprechende Äußerung gemacht.
({15})
Insoweit schafft Art. 23 des Grundgesetzes eine ganz besondere Legitimationsgrundlage für ein kommunales
Wahlrecht für EU-Ausländer.
({16})
Deshalb liegt darin gerade auch kein Verstoß gegen
Art. 3; denn - das haben Sie, Herr Grindel, vorhin schon
eingeworfen - es gilt der alte Rechtsgrundsatz, wonach
man Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln
muss.
Die beabsichtigte Grundgesetzänderung ist auch nicht
schon deshalb tolerabel, weil es ja allein um die kommunale Ebene gehe und das damit nicht so schlimm sei. Das
Bundesverfassungsgericht hat nämlich entschieden, dass
Kommunen gegenüber den Ländern und dem Bund
keine Sonderstellung genießen. Die Ausübung der
Staatsgewalt in Kommunen ist genauso Ausübung von
Staatsgewalt wie jede andere auch. Deshalb benötigen
wir für die Ausübung von Staatsgewalt eine einheitliche
Legitimationsgrundlage, nämlich die Zugehörigkeit zum
deutschen Staatsvolk.
({17})
Selbstverständlich besteht ein Menschenrecht auf
politische Teilhabe; auch dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits ausgesprochen, und zwar als Auftrag an den jeweiligen Staat. Nur hat es auch gesagt, dass
der Weg, den unsere Verfassung vorzeichnet, um diesen
Anspruch einzulösen, der Weg über die Einbürgerung
ist. Die Verleihung des politischen Mitbestimmungsrechtes ist die Krone der Einbürgerung. So haben es die
Sachverständigen formuliert.
({18})
- Was soll denn Einbürgerung, Frau Dağdelen, sonst
noch bedeuten? Gerade der Akt der Einbürgerung macht
den Unterschied aus: Durch ihn wird man vom bloßen
Mitglied der Zivilgesellschaft zum Mitglied der politischen Gemeinschaft.
({19})
Im Gegensatz zu den Befürwortern des kommunalen
Ausländerwahlrechts hält unsere Fraktion die Integration
für einen Prozess, an dessen Ende die Erteilung des
Wahlrechts steht, geknüpft an die Verleihung der Staatsbürgerschaft.
Zum Ende möchte ich noch auf den Einwand eingehen, dass sich aus der „Betroffenheit durch Staatsgewalt“ angeblich ein kommunales Wahlrecht ableiten
lasse. Auch dieses Argument ist meines Erachtens schief
und unpassend. Unstreitig am meisten betroffen sind
nämlich Drittstaatenangehörige durch die bundesgesetzlichen Regelungen des Ausländerrechtes. Deshalb würde
sich danach, wenn schon, insgesamt ein Wahlrecht ableiten lassen. Dass dies nicht unserem Grundgesetz entspricht und verfassungswidrig wäre, habe ich vorhin
schon ausgeführt.
({20})
Das Bundesverfassungsgericht hat klargemacht, dass es
mit dem Begriff des Volkes durchgängig das deutsche
Volk meint, definiert über die Staatsangehörigkeit, und
nicht die mitbetroffenen Anwesenden auf deutschem
Staatsgebiet.
({21})
Meine Damen und Herren, ebenso wenig Maßstab für
die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts
kann die Tatsache sein, dass 16 EU-Staaten ein solches
Wahlrecht gewähren. Im Übrigen zeigen gerade die Zahlen aus Dänemark oder Holland, dass dieses kommunale
Wahlrecht nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung führt,
sondern eher das Gegenteil der Fall ist.
({22})
Das heißt also, die Verleihung eines kommunalen Wahlrechts führt dort offenbar gerade nicht zu einer stärkeren
politischen Teilhabe.
({23})
Zusammenfassend ist zu sagen, Frau Dağdelen: Es
sprechen sowohl politische als auch rechtliche Argumente gegen die vorgeschlagene Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts. Wir als CDU/CSU-Fraktion lehnen daher die Anträge ab und werden uns
weiterhin mit besten Kräften dafür einsetzen, dass Integration in unserem Land gelingt.
({24})
Herzlichen Dank.
({25})
Die Kollegin Sibylle Laurischk ist die nächste Rednerin für die Fraktion der FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Partizipation am demokratischen Prozess ist ein Eckpfeiler unserer Demokratie. Das aktive und passive Wahlrecht ist
ein zentrales Bürgerrecht. In Wahlen bringen die Bürger
ihre Meinung und ihren Willen zum Ausdruck. Wahlen
sind die notwendige Rückkopplung des einzelnen Bürgers an die politisch Handelnden. Es sollten sich also
möglichst viele Menschen aktiv wie passiv an Wahlen
beteiligen können. In Deutschland ist dies Deutschen ab
dem 18. Lebensjahr uneingeschränkt möglich. Zusätzlich sind Bürger aus den EU-Ländern bei Kommunalwahlen stimmberechtigt und wählbar. Dem steht gegenüber, dass Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern in der
Kommune zwar die gleichen Pflichten wie alle Mitbürger haben, aber nicht mitbestimmen dürfen.
Wieder stellt sich die Frage, ob das Wahlrecht am Anfang oder am Ende des Integrationsprozesses stehen soll.
Die FDP ist der Meinung, dass die Gewährung eines
kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländer
grundsätzlich ein sinnvoller Schritt auf dem Weg zu einer gelungenen Integration sein kann.
({0})
Allerdings sind eine bestimmte Aufenthaltsdauer und die
Integration in die Gesellschaft erforderlich. Dann kann
das kommunale Wahlrecht eine Ermutigung sein, den
Weg über eine gelungene Integration zur Einbürgerung
zu gehen.
({1})
Ein erster Schritt kann dabei sein, ein Mitentscheidungsrecht auf kommunaler Ebene ausgeübt zu haben.
Es ist ein Zeichen an die Migranten, dass sie als Bürger
einer Stadt oder einer Gemeinde dazugehören sollen und
ernst genommen werden.
({2})
Dies scheint mir sogar der wichtigste Aspekt bei dieser
Diskussion zu sein. Nur wer ein echtes Mitbestimmungsrecht hat, ist auch anderweitig an der Entwicklung
der Gesellschaft interessiert, in der er dieses Recht hat
und ausübt. Exemplarisch ist die traditionell niedrige
Wahlbeteiligung bei den Europawahlen im Vergleich zu
den Bundestagswahlen. Viele Menschen sehen offenbar
zu wenig Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen
der EU.
Gerade als Zuwanderungsland brauchen wir eine offene Haltung gegenüber Zuwanderern, die wir für die
Weiterentwicklung dieses Landes brauchen. Menschen,
die zu uns kommen, brauchen ein klares Signal, dass sie
willkommen sind.
({3})
Ein solches Signal kann das kommunale Wahlrecht für
Nicht-EU-Ausländer sein.
Allerdings können wir das kommunale Wahlrecht
auch nicht verschenken.
({4})
Beim vorliegenden Gesetzentwurf sind die Hürden zur
Gewährung des kommunalen Wahlrechts so gering gesetzt,
({5})
dass es keine Prüfung mehr darstellt, ob die Betreffenden sich tatsächlich als Bürger ihrer Kommune verstehen, in der sie leben und für ihre Mitbürger wirken wollen.
({6})
Wir lehnen daher den vorliegenden Antrag und den Gesetzentwurf ab.
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der meiner Meinung nach bei der Diskussion über die Beteiligung von Zuwanderern an den kommunalen Wahlen
leicht übersehen wird, nämlich die Beteiligung von Aussiedlern. Wir haben zurzeit in verschiedenen Bundesländern Kommunalwahlen. Es ist festzustellen - ich weiß
das in meiner kommunalpolitischen Praxis -, dass sich
gerade Deutsche, die aus dem Gebiet der Russischen Föderation zugewandert sind, zu wenig an kommunalen
Wahlen beteiligen. Das ist meiner Ansicht nach ein Problem, das wir auch ansprechen müssen, wenn wir über
die Möglichkeit sprechen, Zuwanderern das kommunale
Wahlrecht zu gewähren. Wir als Parteien sind gefordert,
die Menschen, die zu uns kommen, aufzufordern, zu
kandidieren und sich an den Wahlen auf der ersten
Ebene, den kommunalen Wahlen, zu beteiligen. Ich
glaube, dass wir in diesem Bereich noch zu wenig Anstrengungen unternehmen. Hier können wir ein wichtiges Signal setzen.
Wir alle sind aufgefordert, in der nächsten Legislaturperiode in der Frage des kommunalen Wahlrechts endlich eine Lösung zu finden und es in breitem Konsens
einzuführen.
({7})
Klaus Uwe Benneter ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir von der SPD-Fraktion haben vollstes Verständnis
für das, wofür die Linken und auch die Bündnisgrünen
eintreten. Die Einführung des kommunalen Wahlrechts
für Nicht-EU-Ausländer ist schon lange ein Anliegen
von uns Sozialdemokraten; da gab es weder die Grünen
noch die Linken.
({0})
Warum wir den Vorlagen heute dennoch nicht zustimmen können, hat Frau Kollegin Dağdelen schon ausgeführt. Wir haben einen Koalitionspartner, der trotz
langen Drängens und trotz aller Versuche in den Koalitionsvereinbarungen nicht mitgemacht hat.
({1})
Warum, das ist eben vorgetragen worden.
({2})
Vielleicht noch einmal kurz zu dem rechtlichen Argument, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Dies ist
ja vom Bundesverfassungsgericht dahin gehend interpretiert worden, dass es nur um das deutsche Volk gehe.
Zum Glück haben wir einen Künstler gefunden, der uns
hier im Hof vor Augen hält, dass wir mehr sind als nur
das deutsche Volk, dass eigentlich die ganze Bevölkerung gemeint ist.
({3})
Darum geht es: Hier sollte nicht nur das deutsche Volk
vertreten sein - dies gilt erst recht in den Kommunen -;
vielmehr ist die ganze Bevölkerung zur Teilhabe und damit zur Mitsprache und zur Mitentscheidung aufgerufen.
Wir haben nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verfassung an dieser Stelle korrigiert:
Wir haben EU-Ausländern das kommunale Wahlrecht
eingeräumt. Das ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Situation, als das Bundesverfassungsgericht
darüber zu entscheiden hatte. Ich denke, wir haben hier
ein klares Signal gesetzt. Mir fehlt aber jegliche Argumentation, einen Unterschied zu machen zwischen einem Portugiesen, der, wenn er wenige Wochen seinen
Wohnsitz hier hat, mitwählen darf, und einem Norweger,
der dieses Recht nicht hat, auch wenn er schon zehn
Jahre hier wohnt.
({4})
Wenn es um die Entscheidung zum schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht geht, muss man hinzufügen, dass das Bundesverfassungsgericht klargemacht
hat, dass ein Landesgesetzgeber Derartiges nicht entsprechend regeln könne. Deshalb gehen der Gesetzentwurf der Grünen und die Anträge der Linken, den Bundesgesetzgeber aufzufordern, das in der Verfassung und
einzelgesetzlich zu korrigieren, in die richtige Richtung.
({5})
Von denen, die ihre latente Fremdenfeindlichkeit immer ein bisschen mitschwingen lassen,
({6})
kommt immer das Argument, die Ausländer könnten jederzeit wieder nach Hause gehen; sie müssten ja nicht
wie wir Deutschen hier am Ort verharren.
({7})
Man könne ihnen kein kommunales Wahlrecht geben,
weil sie von der deutschen Politik nicht dauerhaft betroffen seien. Ich meine, dass von den Kindergartenbeiträgen, die in der Kommune beschlossen werden, wie von
den Schlaglöchern auf den Straßen der Kommune alle
gleichermaßen betroffen sind, egal ob Nicht-EU-Ausländer, EU-Ausländer oder Deutsche.
({8})
Es ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein Grundanliegen, dass endlich erkannt wird, dass
es auch eine Frage der Menschenwürde - Art. 1 unseres
Grundgesetzes - ist, wie wir mit diesen Menschen umgehen.
({9})
Die Union schämt sich nicht einmal, die Symbolshow, die im Kanzleramt zur Einbürgerung veranstaltet
wird, als gutes Beispiel für Integration vorzuführen.
({10})
Also wirklich! Wenn Sie in Sachen Einbürgerung etwas
tun wollen, dann schaffen Sie endlich die Optionsregelung ab und geben Sie den Leuten die Möglichkeit, ihre
Staatsbürgerschaft zu behalten.
({11})
Das ist es, was wir meinen, wenn wir sagen, dass wir
nicht dauernd neue Gipfel brauchen, sondern konkrete
Verbesserungen für die Menschen.
({12})
Das ist besser als Sonntagsreden, das ist konkrete Integration.
({13})
Wenn es um das kommunale Wahlrecht geht, sage
ich: Man muss mitentscheiden können, was vor der eigenen Haustür passiert.
({14})
Diese Form der Teilhabe ist ein Menschenrecht. Ich habe
schon darauf hingewiesen: Durch Teilhabe wird die Bereitschaft gesteigert, sich einzubringen und mitzuwirken.
Dadurch wird ein neues Zugehörigkeitsgefühl geschaffen. Insofern sind wir alle aufgerufen, die guten Beispiele für Integration, die es in Schweden und in den
Niederlanden gibt, aufzugreifen. Auch das sollte man
sich merken: Dort gibt es nicht nur ein kommunales
Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer, dort gibt es auch die
meisten Einbürgerungen. Das heißt, das Wahlrecht befördert die Einbürgerungsbereitschaft und kommt unseren Integrationsbemühungen entgegen. Wir wollen die
Leute nicht draußenhalten; diesen Eindruck bekommt
man von der CDU/CSU. Wir wollen sie integrieren. Wir
wollen sie bei uns haben, und wir wollen, dass sie sich
hier möglichst zugehörig und zu Hause fühlen. Daher
brauchen wir das kommunale Wahlrecht.
({15})
Herr Benneter, der Applaus gibt mir Gelegenheit, Sie
zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter zulassen.
Ja.
Bitte.
Kollege Genosse Benneter!
({0})
Das ist kein unparlamentarischer Ausdruck. Das muss
ich nicht rügen.
Ich hoffe, Sie bekommen mit Ihrem Koalitionspartner
jetzt nicht zu viel Ärger.
Nun zu meiner Frage. Ich habe Ihrer wohlwollenden
Rede zum Kommunalwahlrecht sehr genau zugehört. Sie
haben ausgeführt, dass das Kommunalwahlrecht ein jahrelanges Anliegen der Grünen sei. Ich erinnere mich
aber, dass Rot-Grün in der letzten und vorletzten Legislaturperiode an der Regierung war.
({0})
Wenn das tatsächlich ein Anliegen von Rot-Grün war,
interessiert mich, warum es nicht durchgesetzt wurde.
({1})
Ich erinnere mich, dass die PDS im Jahre 1998 in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten war. Wir hätten dem
damals natürlich zugestimmt.
({2})
Frau Kollegin, Sie wissen ganz genau, dass die erste
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre
1990 gefällt wurde. Wir haben das Wahlrecht für EUAusländer erst später eingeführt. Das halte ich für einen
ganz wesentlichen Punkt. Heute wäre es möglich, ein
solches kommunales Wahlrecht auch sozusagen gegen
den Wortlaut der ursprünglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in die Verfassung einzubringen.
({0})
Insofern muss man akzeptieren, dass sich zwischen 1990
und 2009 überall etwas getan hat.
({1})
Nachdem wir den Beitrag von Frau Laurischk gehört
haben, können wir sicher sein, dass wir nach der Bundestagswahl die ausreichende Mehrheit in diesem Hause
haben werden, um einen wichtigen und konkreten
Schritt für die Integration von Nicht-EU-Ausländern zu
machen und das kommunale Wahlrecht auch für sie
durchzusetzen.
({2})
Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Insofern können
wir das heute als Vorbereitung begreifen. Wir müssen
deutlich machen, dass CDU und CSU an dieser Stelle
immer wieder latent versuchen, ihre Fremdenfeindlichkeit zum Ausdruck zu bringen.
({3})
Das müssen wir hier einmal ganz deutlich machen. Sie
versuchen immer, mit unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Wahlkampf zu machen.
({4})
Lassen Sie das! Wir werden die Mehrheit dagegensetzen.
({5})
Ich gebe zunächst dem Kollegen Kauder zu einer
Kurzintervention das Wort.
Herr Kollege Benneter, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion direkt
angesprochen haben.
({0})
Ich muss sagen: Aus der Sicht eines Koalitionspartners
ist es schon unhaltbar, was Sie hier abgeliefert haben.
({1})
Ich weise Ihre Aussage, dass man fremdenfeindlich ist,
wenn man Ihrem Vorschlag nicht folgt, in aller Form zurück. Das war eine böse Entgleisung, die Sie sich hier
geleistet haben, Herr Benneter.
({2})
Herr Benneter zur Antwort, bitte schön.
Herr Kollege Kauder, den Zusammenhang, den Sie
geschildert haben, habe ich so nicht hergestellt.
({0})
Ich habe davon gesprochen, dass ich es - nach meinem
Empfinden - als latente Fremdenfeindlichkeit empfinde,
({1})
wenn hier immer, gerade in Wahlkämpfen, der Versuch
unternommen wird - wir versuchen die Ausländerinnen
und Ausländer in Deutschland zu integrieren,
({2})
ihnen die gleiche Menschenwürde und das gleiche Menschenrecht auf Teilhabe in Deutschland zu gewähren -,
in dieser Art und Weise gegenzuhalten. In diesen Zusammenhang habe ich das gestellt.
({3})
Ich erteile als Nächstem dem Kollegen Josef Winkler
für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es freut mich, dass die eben so gelobte Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, die es nicht für
nötig befunden hat, der Debatte beizuwohnen, inzwischen eingetroffen ist. Herzlich willkommen!
({0})
Ich habe es jetzt ein bisschen schwer, weil die
schlimmsten Beschimpfungen alle schon gekommen
sind: Zynisch! Heuchlerisch! Fremdenfeindlich! - Nun
gut.
({1})
Wer dauerhaft in Deutschland lebt, soll
({2})
demokratisch mitbestimmen dürfen. Deshalb setzen wir
von Bündnis 90/Die Grünen uns für ein kommunales
Ausländerwahlrecht ein.
({3})
Herr Kollege Grindel, weil Sie immer sagen, man
solle sich einbürgern lassen, muss ich Ihnen sagen: Sie
wirken halt ein bisschen abschreckend.
({4})
Manche wollen nicht mit Ihnen die Staatsbürgerschaft
teilen. Es wird immer eine gewisse Minderheit geben,
die das so sieht.
({5})
Bereits im Jahre 1986 stellte der heutige Bundesverfassungsrichter Brun-Otto Bryde die grundlegende
Frage, ob unsere Demokratie auf Dauer einen erheblichen Teil ihrer Wohnbevölkerung von demokratischer
Partizipation ausschließen kann. Unsere Antwort hierauf
ist ganz eindeutig: Nein.
({6})
In Deutschland lebende Franzosen, Spanier und Polen
dürfen bereits an den Wahlen zu Stadt- und Gemeinderäten teilnehmen. Wer aber einen türkischen, vietnamesischen oder amerikanischen Pass hat, hat in der Kommunalpolitik bisher kein Stimmrecht.
Frau Kollegin Laurischk, wir sehen natürlich eine
Mindestaufenthaltsdauer vor. Das Wahlrecht soll nur für
diejenigen gelten, die ein Daueraufenthaltsrecht besitzen, und dafür muss man bestimmte Voraussetzungen erfüllen.
Um die bestehende Ungleichbehandlung zu verändern, ist eine Änderung des Art. 28 des Grundgesetzes
erforderlich. Wir haben einen entsprechenden Vorschlag präsentiert. In der Anhörung, Herr Kollege Wellenreuther, die Sie erwähnt haben, befanden Sie sich
mit der Position, die Sie vertreten haben, absolut in der
Minderheit. Das hätten Sie eben ehrlicherweise hinzufügen können.
({7})
Dass wir nicht sehenden Auges verfassungswidrige
Gesetzentwürfe einbringen, davon dürfen Sie zunächst
einmal ausgehen. Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der vom Bundesrat bereits 1987 beraten wurde.
Auch in dieser Legislaturperiode liegt eine gleichlautende Bundesratsinitiative meines Heimatlandes Rheinland-Pfalz vor. Diese haben wir aufgegriffen. Sie werden
doch wohl nicht im Ernst behaupten wollen, dass mein
Landesvater, Kurt Beck, ein Antidemokrat ist, der die
Verfassung nicht achtet.
({8})
- Klatschen Sie ruhig, meine Damen und Herren von der
SPD. Gleich haben Sie keine Gelegenheit mehr dazu.
({9})
Herr Kollege Benneter, Sie haben Bemerkenswertes
gesagt. Im Innenausschuss haben Sie eine Rede gehalten, die den Tenor hatte: Wir finden Ihren Gesetzentwurf
super, aber wir lehnen ihn trotzdem ab. Das ist für mich
ein bisschen zu dialektisch. Als Krankenpfleger bin ich
nicht so ausgebildet wie Sie als Genosse, aber das ist in
meinen Augen unlogisch.
({10})
Noch ulkiger wird es, wenn man sieht, dass Sie ein solches kommunales Wahlrecht in Ihrem Bundestagswahlprogramm versprechen. Es tut mir leid. Ich glaube, das
Versprechen nimmt Ihnen niemand ab.
({11})
Jetzt zur FDP: In der Anhörung hat Ihr Sachverständiger, der ehemalige Bundesminister Schmidt-Jortzig, die
Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts für
zulässig erklärt. Sie haben eben begründet, dass Sie da
keinen Widerspruch sehen, aber eine Mindestaufenthaltsdauer fordern. Sie versprechen in Ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl die Einführung eines solchen Wahlrechts auf der Ebene der Kommunen, hier
aber stimmen Sie gegen einen gut begründeten Gesetzentwurf und zwei Anträge. Das nimmt Ihnen auch niemand aus der betroffenen Bevölkerungsgruppe ab.
({12})
Integration ist mehr als nur Sprachförderung. Es geht
um eine gleichberechtigte Teilhabe für die Menschen,
die hier eine Heimat gefunden haben. Das kommunale
Wahlrecht fördert die Identifikation mit unserem Gemeinwesen und sorgt damit für mehr Integration.
Herr Kollege Wellenreuther, Sie hatten es eben für
nötig befunden, darauf hinzuweisen, in zwei der 16 EUStaaten, die das kommunale Wahlrecht eingeführt haben,
sei die Wahlbeteiligung in dieser Bevölkerungsgruppe
- salopp gesagt - nicht so doll. Insgesamt haben es aber
16 Staaten eingeführt. Es wird einen Grund dafür geben,
dass Sie die anderen 14 Staaten nicht erwähnt haben.
Damit haben Sie sich in Ihrer Argumentation quasi
selbst überführt.
({13})
Außerdem wollen wir keine Wahlpflicht, sondern ein
Wahlrecht.
Integration kann auf verschiedenen Wegen gelingen.
Beim einen gelingt Integration dadurch, dass er sich am
Ende eines langen Prozesses einbürgern lässt, während
ein anderer aus verschiedensten Gründen, die man nachvollziehen kann oder nicht, eine fremde Staatsangehörigkeit behalten und gleichwohl den Rest seines Lebens in
unserem Land verbringen möchte. Wir wollen das ermöglichen und sind der Meinung, dass man sich trotz
Beibehaltung der anderen Staatsbürgerschaft in unserem
Gemeinwesen auf kommunaler Ebene engagieren können soll, nicht auf weiteren Ebenen, Herr Kollege Benneter.
({14})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13165 mit dem
Titel „Teilhabe ermöglichen - Kommunales Wahlrecht
einführen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt
bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die übrigen Fraktionen haben den Antrag abgelehnt.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Grundgesetzes ({0}). Der Innenaus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
auf Drucksache 16/13033, den Gesetzentwurf der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6628 ab-
zulehnen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Ver-
langen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich
ab.
Damit Sie sich darauf einstellen können, weise ich
darauf hin, dass wir später noch eine weitere namentli-
che Abstimmung durchführen werden.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das nicht
die Gelegenheit hatte, seine Stimme abzugeben? - Das
scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Ab-
stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis
der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Es geht um die
Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Druck-
sache 16/13033. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5904 mit dem
Titel „Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehö-
rige einführen“. Wir stimmen über die Beschluss-
empfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke
namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die Plätze erneut einzunehmen. - Sind alle
Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Ich schließe die Ab-
stimmung. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt
gegeben.2) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer erneut, mit der Auszählung zu beginnen.
Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP
Vereinbarung über Zusammenarbeit in Ange-
legenheiten der Europäischen Union ist einzig-
artig in Europa - Auslegungsfragen müssen
geklärt, noch bestehende Defizite beseitigt
werden
- Drucksache 16/13169 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({1}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Manuel Sarrazin, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
1) Ergebnis Seite 24690 A
2) Ergebnis Seite 24688 A
Zwei Jahre Europa-Vereinbarung - Bundesregierung muss ihre Verpflichtungen unverzüglich vollständig erfüllen
- Drucksachen 16/12109, 16/13205 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen
Michael Roth ({2})
Dr. Diether Dehm
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, indem ich das Wort dem
Kollegen Michael Roth für die SPD gebe.
({3})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir sind heute zusammengekommen, um
eine Zwischenbilanz eines für den Deutschen Bundestag
großen Erfolgsprojekts zu ziehen, nämlich der Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir können zu
Recht stolz auf diese Vereinbarung sein. Sie ist gut für
Deutschland, und sie ist gut für Europa, weil sie die parlamentarische Legitimation des europäischen Gesetzgebungsprozesses stärkt. Sie wird offensichtlich auch von
den nationalen Parlamenten vieler anderer Staaten als
gut bewertet, die sich in den vergangenen Monaten und
Jahren mit uns in Verbindung gesetzt haben, um uns zu
fragen: Wie habt ihr das erreicht? Wie sieht die konkrete
Umsetzung aus? - Es ist hilfreich, dass wir uns immer
wieder darüber verständigen, was aus dieser Vereinbarung werden kann und werden muss.
Es ist festzustellen: Hier bestehen nicht die klassischen Spannungsverhältnisse zwischen der Mehrheitsfraktion oder den Mehrheitsfraktionen einerseits und der
Opposition andererseits, sondern es besteht ein klassisches Spannungsverhältnis zwischen dem Deutschen
Bundestag als Ganzem auf der einen Seite und der Bundesregierung auf der anderen Seite. Diesem Spannungsverhältnis müssen wir gerecht werden.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen
und Kollegen von der FDP-Fraktion, die bereit sind, das
hohe Maß an Geschlossenheit, das ich für notwendig erachte, auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Ich bedaure
sehr, dass die geschätzten Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen nicht bereit waren, diesen Schritt der Gemeinsamkeit mitzugehen.
Beispielhaft möchte ich drei Defizite ansprechen - ich
bin allerdings sehr optimistisch, dass wir diese drei Defizite nach der Klarstellung durch ein Schreiben der Bundesregierung werden beheben können -:
Erstens haben wir es nunmehr hoffentlich geschafft,
dass die Herstellung des Einvernehmens, die als Bemühenszusage seitens der Bundesregierung in der VereinbaMichael Roth ({0})
rung festgelegt wurde, durch ein verbindliches Verfahren
geregelt wird und wir damit die Unklarheiten, die sich
aus der etwas vagen Formulierung der Vereinbarung
zwischen Bundestag und Bundesregierung ergeben haben, beheben können.
({1})
Der zweite Aspekt ist die Unterrichtung durch die Arbeitsgruppen des Rates. Das Auswärtige Amt hat uns vor
einigen wenigen Jahren selbst mitgeteilt, dass 100 von
141 Ratsarbeitsgruppen im sogenannten Hauptstadtformat tagen. Dahin gehend erwarte ich, dass die Unterrichtung spätestens in der nächsten Legislaturperiode im
Sinne des Deutschen Bundestages verbindlich geregelt
wird.
In dem Schreiben der geschätzten Kollegen der Bundesregierung wird davon gesprochen, dass man hier mittel- bis langfristig eine Regelung treffen wird. Das ist
mir zu wenig.
({2})
- Ich suche schon ständig. Sie sind gar nicht da.
({3})
- Das ist schade, aber wir schätzen die beiden Kollegen
trotzdem.
({4})
Drittens - hier bin ich auch den Mitstreitern der FDP
dankbar, dass sie noch einmal den Finger in die Wunde
gelegt haben - geht es uns insbesondere um eine bessere
Unterrichtung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik. Hier ist uns nunmehr eine indikative
Vorausschau zugesagt worden. Das kann hilfreich sein,
weil wir alle wissen, dass die parlamentarische Dimension auf EU-Ebene im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik leider noch am schwächsten ausgeprägt ist.
Hier ist eine starke Einbeziehung der nationalen Parlamente, vor allem auch des Deutschen Bundestages,
wichtig und hilfreich.
({5})
Natürlich sind die Verhandlungen und die Gespräche
zwischen uns und der Bundesregierung niemals einfach,
weil natürlich jeder seine Verantwortung wahrzunehmen
hat. Ich sage aber allen Skeptikern, die leider nicht nur in
der Bundesregierung sitzen: Die BBV hat uns geholfen,
vor allem auch bei unseren Verhandlungen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
({6})
Ich bin mir sicher, dass das ein ganz wichtiges Argument
für die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts dafür war, die demokratische Legitimation
auch durch den Deutschen Bundestag beim Vertrag von
Lissabon als garantiert anzusehen.
({7})
Deswegen ist die Vereinbarung zwischen Bundestag und
Bundesregierung eine Chance für mehr Europa. Sie
stärkt unsere Rolle und ist damit auch eine Hilfe für die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ich hoffe,
dass das Bundesverfassungsgericht auch alsbald eine
Entscheidung treffen wird.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind besser geworden, aber wir sind noch nicht gut genug. Deswegen
hoffe ich, dass dieser Zwischenbilanz, die wir heute hier
ziehen, immer wieder weitere Zwischenbilanzen, Evaluationen, Kontrollen und gemeinsame Gespräche folgen.
Ich möchte mich dabei ausdrücklich auch bei denjenigen bedanken, die uns hinter den Kulissen helfen, zum
Beispiel auch bei dem neu eingerichteten Europareferat
der Bundestagsverwaltung. Ich habe den Eindruck, dass
nicht nur wir als Europapolitiker, sondern auch die Fachausschüsse mehr einbezogen werden und dass die Informationen, die wir auch von den Kolleginnen und Kollegen Mitarbeitern in Brüssel erhalten, hilfreich für unsere
Arbeit sind.
Zum Schluss will ich mich - mir sei das gestattet auch noch einmal ausdrücklich bei einem unserer Mitarbeiter bedanken, der uns am Samstag in Richtung Vereinigte Staaten von Amerika leider verlassen wird, nämlich bei Christoph Thum. Er ist einer der Mitarbeiter, die
über Fraktionsgrenzen hinweg sicherlich ein hohes Ansehen genießen. Er hat auf der Mitarbeiterebene sehr
dazu beigetragen, dass diese BBV parlamentsfreundlich
formuliert worden ist. Ich bedauere, dass er uns für vier
Jahre verlässt. Ein guter Europäer wird aber sicherlich
auch in den Vereinigten Staaten von Amerika gebraucht.
Ich wünsche ihm alles Gute.
Vielen Dank.
({9})
Ich möchte Ihnen jetzt zunächst die Ergebnisse der
namentlichen Abstimmungen bekannt geben.
Erstens. Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Katrin Kunert,
Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Kommunales Wahlrecht für Drittstaatenangehörige einführen“ - es geht um die Drucksachen 16/5904 und 16/13033 -: abgegebene Stimmen
528. Mit Ja haben gestimmt 442, mit Nein haben gestimmt 84. Es hat 2 Enthaltungen gegeben. Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 528;
davon
ja: 443
nein: 83
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({9})
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Karl-Georg Wellmann
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({28})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Christel Humme
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Gerold Reichenbach
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({40})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({41})
Silvia Schmidt ({42})
Heinz Schmitt ({43})
Olaf Scholz
({44})
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({46})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({47})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({50})
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({51})
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulrich Maurer
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({52})
({53})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({54})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({55})
Thilo Hoppe
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Sylvia Kotting-Uhl
Markus Kurth
Undine Kurth ({56})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({57})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({58})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
SPD
Dr. Reinhold Hemker
Christel RiemannHanewinckel
Christoph Strässer
Enthalten
SPD
Ottmar Schreiner
Dr. Wolfgang Wodarg
Zweitens. Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({59}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({60}). Es geht um die
Drucksachen 16/6628 und 16/13033. Hier wurden abgegeben 531 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 88, mit Nein
haben gestimmt 438. Es gab 5 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 531;
davon
ja: 88
nein: 437
enthalten: 6
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Dr. Reinhold Hemker
Josip Juratovic
Christel RiemannHanewinckel
Christoph Strässer
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Heike Hänsel
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulrich Maurer
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({61})
({62})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({63})
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({64})
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({65})
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({66})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({67})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({68})
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({69})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({70})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({71})
Dirk Fischer ({72})
Axel E. Fischer ({73})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({74})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Andreas Jung ({75})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({76})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Dr. Kristina Köhler
({77})
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({78})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({79})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({80})
Stefan Müller ({81})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({82})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({83})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({84})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({85})
Andreas Schmidt ({86})
Ingo Schmitt ({87})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({88})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({89})
Gerald Weiß ({90})
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({91})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({92})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({93})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({94})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Angelika Graf ({95})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({96})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({97})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({98})
Frank Hofmann ({99})
Eike Hovermann
Christel Humme
Johannes Jung ({100})
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({101})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({102})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Detlef Müller ({103})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dr. Erika Ober
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({104})
Michael Roth ({105})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({106})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({107})
Silvia Schmidt ({108})
Heinz Schmitt ({109})
Olaf Scholz
({110})
Swen Schulz ({111})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({112})
Hildegard Wester
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({113})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({114})
Uwe Barth
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({115})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({116})
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({117})
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
SPD
Karin Kortmann
Markus Meckel
Michael Müller ({118})
Marlene Rupprecht
({119})
Ottmar Schreiner
Dr. Wolfgang Wodarg
Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich erteile
dem Kollegen Markus Löning für die FDP-Fraktion das
Wort.
({120})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, was mich mehr mit
Misstrauen erfüllen soll. Der erste Punkt ist das Lob, das
wir vonseiten der SPD für die FDP hören. Dafür bedanke ich mich in aller Form; darüber freue ich mich
sehr.
({0})
Denn ich muss ganz ernsthaft feststellen, dass es uns und
auch mir persönlich in dieser Legislaturperiode ein großes Anliegen war, dass sich der Deutsche Bundestag in
Sachen der Europäischen Union und bei der Beteiligung
an Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union
deutlich nach vorne bewegt hat. Ich will uns nicht selber
auf die Schulter klopfen, aber ich glaube, die FDP hat in
dieser Legislaturperiode ein Stück dazu beigetragen,
dass auch die Koalitionsfraktionen, die das eine oder andere Mal zum Jagen getragen werden mussten, jetzt die
Rechte des Parlamentes sehen. Sie müssen eingefordert
und kodifiziert werden, aber sie müssen selbstverständlich auch umgesetzt werden. Wir brauchen den politischen Willen - selbstverständlich auch in der jeweiligen
Regierungsmehrheit -, dass die Rechte, die das Parlament hat, auch wahrgenommen werden.
({1})
Der zweite Punkt, der mich ein bisschen misstrauisch
macht, ist, dass aus dem Auswärtigen Amt jetzt gar keiner zuhören mag.
({2})
- Es mag sein, dass sie auswärts sind. - Aber wir alle
wissen, wie schwer es dem Auswärtigen Amt insbesondere bei der Frage der Herstellung des Einvernehmens
mit dem Bundestag gefallen ist. Das ist in der BBV eindeutig geregelt. Da gibt es kein Zurück. Es ist klar, dass
vor der nächsten Vertragsverhandlung und vor der
nächsten Erweiterungsverhandlung das Einvernehmen
mit dem Deutschen Bundestag hergestellt werden muss.
Es tut mir leid, wenn dann von der Bundesregierung
Briefe kommen, die zumindest in diesem Punkt aus meiner Sicht windelweich formuliert sind.
Wir sollten als Bundestag ganz klar sagen: Wir lassen
uns Rechte, die wir haben, nicht durch windelweiche
Briefe wieder absprechen. Der Bundestag ist zu beteiligen. Bei Vertragsverhandlungen und Erweiterungsverhandlungen ist Einvernehmen herzustellen. Davon ist an
dieser Stelle kein Jota abzustreichen.
({3})
Wir werden es bald schon in der Frage Island erleben.
Dann wird sich die Frage stellen, inwieweit Einvernehmen hergestellt wird. Ich halte es auch für ein Gebot der
politischen Klugheit, zu sagen: „Wir binden euch Volksvertreter, die ihr am Ende des Prozesses das Ergebnis ratifizieren müsst, von Anfang an ein; wir reden mit euch
über den Verhandlungsgegenstand und die Eckpunkte
der Verhandlungen, und wir stellen ein Einvernehmen
her.“ Das erleichtert den politischen Prozess ungemein,
und es ist ein hoher Gewinn an Transparenz. Einen Gewinn an Transparenz brauchen wir in europäischen Angelegenheiten ganz bestimmt.
Die Rechte, die der Deutsche Bundestag aus der BBV
hat und die letztlich auf Art. 23 des Grundgesetzes fußen,
sind auch Verpflichtungen. Wir haben Informationsrechte, die deutlich ausgebaut worden sind und die wir
für unsere Arbeit brauchen. Aber wir sollten in Zukunft
Art. 23 auch als Verpflichtung verstehen, dass wir uns
als Vertreter des deutschen Volkes frühzeitig um die demokratische Kontrolle von Rechtsetzung auf europäischer Ebene kümmern. Nur wenn wir dies tun, werden
wir die nötige Transparenz herstellen. Nur wenn wir
Rechtsetzungsvorhaben im Plenum, in den Ausschüssen
und in öffentlichen Anhörungen debattieren, wird die
deutsche Öffentlichkeit über Pläne und Gesetzgebungsvorhaben informiert werden. Nur dann werden wir auch
in der europäischen Politik ausreichend Transparenz und
Öffentlichkeit herstellen. Das wird unsere Aufgabe als
Deutscher Bundestag sein.
Es wird auch die Aufgabe der Kolleginnen und Kollegen in der nächsten und der übernächsten Legislaturperiode sein, diese Dinge ganz herausragend in die Öffentlichkeit und in die politische Debatte zu tragen, solange
sie in der Planungsphase sind. Es geht nicht an, erst am
Ende, wenn die fertige Richtlinie hier ankommt, darüber
zu meckern, dass schon wieder eine Richtlinie komme,
die umgesetzt werden müsse, obwohl man nichts mehr
tun könne. Diese Zeiten sind aufgrund der BBV vorbei.
Wir sollten die Rechte und Pflichten, die uns daraus erwachsen, in Zukunft noch erheblich ernster nehmen.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum
Schluss noch sagen: Die Forderung, diese Rechte ernst
zu nehmen, richtet sich an jeden einzelnen Fachabgeordneten. Sie richtet sich nicht nur an die Kollegen aus dem
Europaausschuss. Vielmehr ist es im Wesentlichen die
Aufgabe der Kolleginnen und Kollegen in den zuständigen, den federführenden Fachausschüssen, dass sie Informationen, die vorliegen, wahrnehmen und in den
politischen Prozess einführen, damit rechtzeitig aufgenommen wird, welche politischen Debatten und welche
Entwürfe es in Brüssel gibt, was die Kommission plant,
was im dortigen Parlament und im Ministerrat debattiert
wird. Obwohl die Kolleginnen und Kollegen in den
Fachausschüssen dies inzwischen teilweise sehr gut machen, bin ich der Auffassung, dass es noch den einen
oder anderen Nachholbedarf gibt.
Vielen Dank.
({5})
Michael Stübgen hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bemühe mich, eine ebenso gute Rede wie beim letzten Mal zu halten, wie der Kollege von den Grünen gerade gesagt hat.
Die Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit
in Angelegenheiten der Europäischen Union - so heißt
dies sehr technisch - ist seit drei Jahren in Kraft. Seitdem hat sich, was europapolitische Arbeit des Bundestags betrifft, sehr viel geändert. Ich bin der Überzeugung: Diese Vereinbarung hat sich nachhaltig bewährt.
Wir können feststellen, dass bezüglich der Informationsrechte und Mitwirkungsrechte eines nationalen Parlaments in europapolitischen Angelegenheiten eine solche Vereinbarung in der Europäischen Union bislang
singulär ist. Es erfüllt mich auch mit einem gewissen
Stolz, dass viele nationale Parlamente in der Europäischen Union unsere Vereinbarung zugrunde gelegt
haben, um selbst stärkere Mitwirkungs- und Informationsrechte in europapolitischen Angelegenheiten zu bekommen. Das heißt, wir haben hier vor drei Jahren einen
sehr richtigen Weg beschritten. Darauf sollten wir auch
stolz sein.
Selbstverständlich handelt es sich bei den genannten
Angelegenheiten um sehr komplexe Bereiche. Deswegen gab es, wie jeder von uns noch in Erinnerung hat,
bei der Umsetzung der Vereinbarung hinsichtlich bestimmter Erfordernisse Auslegungsprobleme, einerseits
innerhalb des Bundestages, andererseits vor allen Dingen zwischen Bundestag und Bundesregierung. Teilweise ist es notwendig, darüber nachzudenken, wie man
die praktische Umsetzung effizienter gestalten kann.
Ebenso haben wir festgestellt, dass teilweise schlicht einiges fehlt, was notwendig ist. Für alle drei Dinge gibt es
Beispiele.
Wir haben deshalb sinnvollerweise vor zwei Jahren
damit begonnen, einen Monitoring-Prozess einzuleiten.
Das heißt, das Europareferat PA 1 der Bundestagsverwaltung erstellt jährlich einen Monitoring-Bericht, in
dem es analysiert, auf welchen Gebieten die Vereinbarung funktioniert und bei welchen Punkten es Defizite
gibt. Der zweite Monitoring-Bericht, der im Oktober
letzten Jahres vorgelegt wurde, stellte fest, dass sie in
weiten Teilen funktioniert, und zwar besser als noch ein
Jahr zuvor. Dennoch kristallisierten sich drei Defizite
schwerpunktmäßig heraus; wir haben begonnen, zu versuchen, diese Probleme zu lösen. Leider - das hat schon
der Kollege von der SPD gesagt - sind die Grünen mit
einem Schnellschuss ausgeschert, indem sie einen eigenen Antrag gestellt haben; das Wahljahr lässt grüßen.
Wir, die Koalitionsfraktionen, haben in bewährter Zusammenarbeit mit der FDP versucht, auch in der Auseinandersetzung zu Lösungen zu kommen, teilweise auch
im Streit mit der Bundesregierung. Diese Lösungen liegen jetzt in unserem Antrag vor, ebenso bereits in einem
Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Hintze
und des Staatsministers Gloser mit Zusicherungen für
verändertes Verhalten der Bundesregierung in bestimmten Dingen.
Ich glaube, dass es erfolgreich ist. Ich kann nicht
mehr auf die drei wesentlichen Punkte eingehen. Ich will
nur einen Punkt herausgreifen. Das folgende Beispiel
zeigt, dass wir im Umsetzungsprozess weiter an und mit
dieser Vereinbarung arbeiten müssen. Als wir 2006 diese
Vereinbarung ausgehandelt haben, war mir persönlich
als federführendem Verhandler der CDU/CSU-Fraktion
zum Beispiel nicht klar, dass keine Vertreter unserer
Ständigen Vertretung an den Sitzungen der Ratsarbeitsgruppen - damals waren es 150; mittlerweile sind es
wohl 250 bis 350 - teilnehmen. Da so keine Berichte
verfasst werden können, können bei uns auch keine ankommen. Solche Berichte sind nicht als Erfordernis in
der Vereinbarung enthalten. Deswegen haben wir bisher
keine Informationen über die Ratsarbeitsgruppen.
Wir haben es nun mit der Zusicherung der Bundesregierung geschafft, dass wir zunächst in den sogenannten High Level Groups in der Regel auf Abteilungsleiterebene einsteigen und dort die Berichte bekommen.
Ich glaube, wir müssen an diesem Thema weiterarbeiten.
Wir brauchen sicherlich nicht jedes Papier über die Tagungen der 300 oder 350 Ratsarbeitsgruppen; denn wir
können nicht mit allem etwas anfangen. Wir müssen
vielmehr sehen, dass wir das so strukturieren, dass wir
die wesentlichen Berichte bekommen. Hier hat sich die
Zusammenarbeit mit der Bundesregierung bewährt. Obwohl dies in der Vereinbarung nicht explizit erwähnt ist,
bekommen wir einen Einstieg in diese wichtige Unterrichtung. Wir werden in den nächsten Jahren sehen, wie
wir damit umgehen.
Gestatten Sie mir noch zwei kurze Bemerkungen. Ich
freue mich über den Brief, den der Parlamentarische
Staatssekretär uns geschrieben hat; denn er enthält das,
was wir verabredet haben, als Zusicherung. Ich möchte
nicht mäkeln, wohl aber darauf hinweisen, dass ich es
für besser gehalten hätte, wenn sich die Bundesregierung
hätte durchringen können, den Brief dem Parlamentspräsidenten und nicht dem Ausschussvorsitzenden zu schicken, nicht weil ich Letzteren nicht mag und nicht mit
ihm auskomme - wir sind sogar befreundet -, sondern
weil es um die Rechte des Bundestages geht. Diese repräsentiert der Bundestagspräsident besser. Wir werden
dafür sorgen, dass er das Schreiben bekommt.
Die Bundesregierung schreibt: Aus Sicht der Bundesregierung sind damit die entscheidenden noch offenen
Fragen zur Auslegung der BBV abschließend geklärt. Ich habe den Eindruck, dass dies ein frommer Wunsch
bleiben wird. Wir müssen im Prozess der Umsetzung
weiter an diesem Thema arbeiten. Wir werden sicherlich
auch neue Themen finden und weiterhin mit der Bundesregierung gut zusammenarbeiten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Alexander Ulrich spricht für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Vereinbarung, die die fünf Fraktionen vor etwa drei
Jahren beschlossen haben, stellt einen wichtigen Schritt
zur Verbesserung der Zusammenarbeit des Parlaments
mit der Bundesregierung dar; das haben die Vorredner
schon erwähnt. Aber wie so oft gibt es einen Unterschied
zwischen Theorie und Praxis. Wenn es eines Beispiels
bedürfte, das zeigt, dass es in der Praxis noch hapert,
dann, dass kein Vertreter der zuständigen Ministerien in
dieser Debatte anwesend ist. Das ist ein Stück weit ein
Beispiel dafür, dass man diese Sache nicht ernst genug
nimmt. Sie dürfen nicht nur Briefe schreiben, sondern
Sie hätten heute Abend auch anwesend sein müssen.
({0})
Wichtig für eine gute Zusammenarbeit ist die Arbeit,
die im Europareferat geleistet wird. Ich möchte hier ausdrücklich allen Mitarbeitern des Referats PA 1 danken,
die mit ihrer Tatkraft dazu beigetragen haben, dass wir
schon einige Schritte vorangekommen sind. Vielen Dank
an die Mitarbeiter in diesem Referat.
({1})
Die Monitoring-Berichte von PA 1 haben die Praxis
der Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung überprüft und vorhandene Mängel und Unzulänglichkeiten seitens der Bundesregierung bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der BBV offengelegt.
Daran knüpft der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
an. Der Antrag würdigt die positiven Seiten der Vereinbarung und die Verbesserung der EU-Arbeit des Bundestags. Aber auch Mängel werden beschrieben, und Abhilfe wird gefordert. Der Antrag ist sicherlich nicht
vollständig - das weiß jeder, der mit dieser Materie zu
tun hat -, weist aber in die richtige Richtung. Wir können als Linke diesem Antrag zustimmen.
({2})
Kurzfristig zu unserer heutigen Debatte haben der
Vorsitzende und die Obleute des EU-Ausschusses ein
Schreiben von Staatsminister Gloser und dem ParlamenAlexander Ulrich
tarischen Staatssekretär Hintze erhalten. Dort wird in
zwei Punkten vonseiten der Bundesregierung Besserung
gelobt. Man merkt den guten Willen, aber auch das
schlechte Gewissen und den Druck durch die heutige öffentliche Debatte. Leider ist aber zum Inhalt des Briefes
festzustellen: Auch die jetzigen Zusicherungen reichen
in beiden Punkten nicht aus. Erstens. Der Bundestag
muss aus allen Ratsarbeitsgruppen gründlich informiert
werden. Nicht nur dann, wenn die Vertretung in Brüssel
an den Sitzungen teilnimmt, hat der Bundestag ein Recht
auf Information. Zweitens. Bei beabsichtigten Vertragsänderungen will die Bundesregierung dem Bundestag
künftig mitteilen, dass es jetzt dem Deutschen Bundestag obliege, zu entscheiden, ob er zu dieser Unterrichtung Stellung nehmen wolle. In der Vereinbarung
zwischen Bundestag und Bundesregierung heißt es demgegenüber:
Vor der abschließenden Entscheidung im Rat bemüht sich die Bundesregierung, Einvernehmen mit
dem Deutschen Bundestag herzustellen.
Das bedeutet doch eine Verpflichtung der Bundesregierung, sich aktiv um die Zustimmung des Bundestags zu
bemühen. Das ist nun wirklich etwas anderes, als den
Bundestag auf seine angeblichen Obliegenheiten hinzuweisen. Wenn das nicht eine bloße Ungeschicklichkeit
sein könnte, müsste man das als Provokation verstehen.
({3})
Abschließend möchte ich noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen, der in beiden Anträgen nicht angesprochen worden ist. Trotz manch positiver Entwicklungen
bleibt der Zweifel, ob eine Vereinbarung das richtige Instrument ist, die Pflichten der Regierung gegenüber dem
Parlament festzulegen. Wir sehen uns durch die aufgetretenen Probleme in der Auffassung bestätigt, dass hier
durch gesetzliche Regelungen Abhilfe möglich wäre.
Wir sollten versuchen, dies gemeinsam in der nächsten
Wahlperiode anzugehen. Ich bin ganz sicher, dass wir in
der Zwischenzeit eine Hilfestellung von dritter Seite bekommen werden, vom Bundesverfassungsgericht. Das
Urteil, das demnächst ergeht, wird - darin waren sich
alle Prozessbeobachter einig - Leitplanken enthalten, die
die demokratische Legitimation des Handelns in der EU
sichern sollen, Leitplanken, die mehr Einfluss der nationalen Parlamente, auch des Bundestags, beinhalten. Das
wird die Qualität der EU-Arbeit des Deutschen Bundestags ganz erheblich steigern, und manche in diesem
Haus, die uns kritisiert haben, dass wir nach Karlsruhe
gegangen sind, werden vielleicht noch glücklich darüber
sein.
Vielen Dank.
({4})
Rainder Steenblock hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist überhaupt keine Frage, dass auch die Grünen diese
Zusammenarbeitsvereinbarung, die alle Fraktionen des
Bundestages mit der Bundesregierung geschlossen haben, als richtigen und wichtigen Schritt bezeichnen. Wir
haben sehr viel Engagement und Arbeit in das Zustandekommen dieser Vereinbarung gesteckt. Mit allen anderen haben wir daran sehr solidarisch und sehr konstruktiv gearbeitet. Aber was jetzt die Zwischenbilanz betrifft,
so ist es nicht richtig, dass wir einem vorliegenden Antrag der Koalition nicht zustimmen wollten. Vielmehr ist
der Antrag der Grünen schon seit Monaten im Verfahren.
Nicht einmal im Ausschuss, als diese Punkte beraten
wurden, konnte die Koalition einen Antrag vorlegen.
Jetzt, in letzter Sekunde ist ein Antrag zusammengeschustert worden. Das ist die historische Wahrheit zum
Zustandekommen dieses Antrags. Wir haben in Gesprächen dazu immer deutlich gesagt: Wir brauchen die Solidarität aller Fraktionen. Wir müssen uns unterhaken,
weil es hier um Rechte des Parlaments gegenüber der
Bundesregierung geht. Deshalb haben wir es für falsch
gehalten, einen Antrag vorzulegen, der die Bundesregierung kuschelig lobt und all das, was bisher nicht erreicht
worden ist, beschönigend darstellt. So geht es nicht,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Wenn wir etwas erreichen wollen, dann müssen wir hier
zusammenhalten.
Wir haben sehr viel erreicht, und unsere Arbeit ist
besser geworden. Herr Kollege Ulrich hat das Referat
PA 1, das gut arbeitet, und das Brüsseler Büro erwähnt.
Unsere Arbeit ist sehr viel europatauglicher geworden.
Aber die Regierung hat eine ganze Reihe von Punkten,
die wir vereinbart haben, nicht eingehalten. Ich finde,
das muss man hier sehr deutlich sagen. Wenn die Regierung die Vereinbarungen nicht einhält, dann muss das
von uns allen kritisiert werden; denn das berührt existenzielle Rechte des Bundestages bei der Zusammenarbeit
mit den europäischen Strukturen. Wir haben immer deutlich gemacht, dass wir als Bundestag, als nationales Parlament, Einfluss auf Entscheidungen in Brüssel nehmen
wollen. Wir wollen die Bundesregierung auch binden;
denn sowohl die Einvernehmensregelung als auch die
Möglichkeit des Parlamentsvorbehalts - das sind die
schärfsten Waffen, die wir haben - werden von der Bundesregierung ständig infrage gestellt. Dagegen müssen
wir uns wenden. Jetzt will die Bundesregierung nicht das
Einvernehmen mit uns herstellen, sondern sie interpretiert die Vereinbarung so, dass der Bundestag, wenn er
eine Stellungnahme abgeben möchte, diese abgeben
kann. Es ist umgekehrt vereinbart: Die Bundesregierung
muss Einvernehmen herstellen. Das hat sie nicht gemacht.
({1})
An dieser Stelle sollten wir gar nicht anfangen, irgendetwas zu beschönigen. Hier geht es um zentrale Rechte
der Mitgestaltung europäischer Politik, die wir einfordern.
Kollege Stübgen, Ihre heutige Rede war viel besser
als der Antrag.
({2})
Schon in Ihrer letzten Rede haben Sie deutlich gesagt:
Es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass einzelne
Aspekte nach wie vor noch nicht in ausreichendem
Maße umgesetzt worden sind; teilweise kann man
gar nicht erklären, warum das noch nicht geschehen
ist.
Das ist sehr richtig. Sie hätten so etwas auch in Ihrem
Antrag sagen können. Weil das nicht geschehen ist, werden wir diesem Antrag nicht zustimmen können. Wir
werden ihn nicht ablehnen, sondern uns enthalten, weil
der Antrag an vielen Stellen das Richtige enthält. Wir
müssen die Bundesregierung aber, gerade was die Frage
des Einvernehmens und den Parlamentsvorbehalt angeht, vor uns hertreiben; das ist unsere Aufgabe als Parlamentarier. Wenn wir unsere Rechte wahrnehmen wollen, sollten wir gemeinsam dafür kämpfen.
Vielen Dank.
({3})
Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, wenn man sich in einer Debatte in diesem
Haus ziemlich einig ist. Trotzdem ist es notwendig, auf
ein paar Unterschiede hinzuweisen, vor allen Dingen,
wenn bereits hochgegriffene Stichworte wie „historische
Wahrheiten“ gefallen sind und das Bundesverfassungsgericht bemüht wurde.
Die Vorgehensweise bei dem, was wir, im Parlament,
vertreten durch die Regierungskoalition, in den letzten
Monaten mit den Regierungsvertretern ausgehandelt haben, entspricht genau den Vorgaben der BBV: Das Parlament kämpft Stück für Stück um seine Rechte; die Regierung sagt natürlich nicht von sich aus, dass alle
Rechte zugestanden werden.
({0})
- Lieber Rainder Steenblock, das liegt daran, dass die
Regierung - ob Rot, Schwarz, Grün oder Gelb-Blau immer ein Stück weit darauf achten wird, „exekutiven
Kernbereich“ zu verteidigen; er soll möglichst groß sein.
Deshalb wird es immer diese Form von institutionellen
Konflikten geben, egal wer an der Regierung ist. Es ist
gut, dass wir noch vor der Bundestagswahl mit einer
hoffentlich breiten Mehrheit hier entsprechend Pflöcke
einschlagen.
Es ist bedauerlich, dass die Grünen, obwohl wir viele
Ihrer Vorschläge übernommen haben, dem Antrag nicht
beigetreten sind. Ich glaube, wir werden trotzdem gut
daran weiterarbeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
eines läuft aber nicht: nach Karlsruhe zu gehen, weil
man das nicht haben will, was die europäische Demokratie verbreitert und den nationalen Parlamenten mehr
Rechte gibt, aber angesichts dessen, dass man in Karlsruhe scheitert, zu sagen, irgendetwas Gutes werde für
den Bundestag noch herauskommen. Das ist eine doppelte Moral; man muss das benennen, was Sie da praktizieren.
({1})
Wir haben beim Zustandekommen der BBV auch Sie
von der Linken einbezogen. Es gab also eine große
Übereinstimmung im Parlament. Das war auch gut so.
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen wollen, müssen
wir auch fragen: Wie weit sind wir als Parlament in jeder
einzelnen Fraktion und jeder Facharbeitsgruppe gekommen, dass sich diese Form der Europäisierung schon
durchgesetzt hat, dass die europäische Dimension, die
Einmischung, als selbstverständlich genommen wird?
Herr Kollege Schneider würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das?
({0})
Ja, wenn ich danach noch ein bisschen weiterreden
darf. 15 Sekunden, bitte schön.
Lieber Kollege Schäfer, Sie haben eben von doppelter
Moral gesprochen. In diesem Zusammenhang würde
mich eines interessieren. In Art. 63 des Lissabonner Vertrags ist geregelt, dass „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs … verboten“ sind. Da gibt es keine vagen
Formulierungen. Das betrifft sowohl den Kapitalverkehr
der Länder der EU untereinander als auch mit Drittländern. Ist es dann nicht auch eine doppelte Moral, wenn
Sie hier zum offenen Bruch des Lissabonner Vertrags
auffordern, indem Sie zum Beispiel ein Verbot von
Hedgefonds fordern?
({0})
- Entschuldigung, der Vertrag ist, wie er ist. Ich hoffe
doch sehr, dass Sie wissen, was die Bundeskanzlerin unterschrieben hat und was in den einzelnen Artikeln steht.
- Von daher würde mich interessieren, ob Sie das als
doppelte Moral betrachten.
({1})
Kollege Schneider, das Problem Ihrer Fraktion ist,
dass Sie bis hin zum Thema Todesstrafe das Absurdeste
in diesen Vertrag hineinlesen, obwohl es nicht darin
steht. Das trifft leider auch in diesem Fall zu.
({0})
Deshalb bleibe ich bei dem Begriff „doppelte Moral“ der
Linkspartei.
Das Letzte - weil man sich auch an die eigene Nase
fassen muss, wenn man über Demokratisierung redet -:
Wenn wir erwarten, dass wir stärker öffentlich über
Europa diskutieren, muss die Frage im Bundestag gestellt werden, warum wir nicht generell unsere Ausschussarbeit öffentlich machen und die Öffentlichkeit
nur in bestimmten Ausnahmen oder besonderen Situationen ausschließen. Ich glaube, das gehört dazu. In anderen Parlamenten ist das üblich. Vielleicht könnte der
Europaausschuss gerade aufgrund der Entschließung,
die wir heute fassen, und aufgrund der Fortschritte, die
wir bei der Demokratisierung erzielt haben, hier im
Deutschen Bundestag mit gutem Beispiel vorangehen.
Vielen Dank.
({1})
Thomas Silberhorn spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dass wir in dieser Legislaturperiode den Vertrag
zwischen Bundestag und Bundesregierung über die Zusammenarbeit in EU-Angelegenheiten geschlossen haben und in derselben Wahlperiode auch eine Evaluierung
vornehmen, ist, wie ich meine, ein gutes Zeichen, mit
dem wir zum Ausdruck bringen, dass wir unsere Rolle in
europäischen Angelegenheiten sehr ernst nehmen. Manches hat sich auch erst durch die praktische Anwendung
dieses Vertrages in Erfahrung bringen lassen, beispielsweise die schon erwähnten sogenannten Hauptstadtformate, von denen wir bisher nichts wussten und die
deutlich machen, in welchem Ausmaß uns die Bundesregierung bisher schlicht über das in Unkenntnis gelassen hat, was sie in Brüssel verhandelt.
Es sind hier zwar eine Reihe von Verbesserungen in
Aussicht gestellt; aber ich möchte doch betonen, dass ich
mit dem einen Punkt nicht einverstanden sein kann, bei
dem es um die Frage geht, wie sich jetzt die Bundesregierung um das Einvernehmen mit dem Bundestag bemühen muss, wenn es um die Aufnahme von Verhandlungen über Beitritte und Vertragsänderungen geht.
({0})
Die Zusammenarbeitsvereinbarung sieht ausdrücklich
vor, dass sich die Bundesregierung um Einvernehmen
mit dem Deutschen Bundestag bemühen muss.
({1})
- Sie muss es übrigens nicht herstellen - Herr Kollege
Steenblock, ich hätte das gern; die Union hat dazu auch
einmal einen Gesetzentwurf eingebracht -, aber sie muss
sich zumindest bemühen.
Das, was uns jetzt vorliegt, ist ein Schreiben der Bundesregierung, in dem sie uns schlicht auf die entsprechende Ziffer der Vereinbarung hinweist und in dem von
dem Begriff „Einvernehmen“ überhaupt keine Rede ist.
({2})
Meine Damen und Herren, ein derart lausiges Schreiben
der Bundesregierung wird ihrer Verpflichtung aus dieser
Zusammenarbeitsvereinbarung nicht gerecht.
({3})
- Herr Kollege Schäfer, es ist nicht die Frage, ob das
meine oder Ihre oder unsere Bundesregierung ist,
({4})
ich bin ein frei gewählter Abgeordneter dieses Hauses,
und meine Aufgabe ist es auch als Mitglied einer Regierungsfraktion, eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung wahrzunehmen. Das ist unsere gemeinsame
Aufgabe in diesem Haus.
({5})
Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, ihre vertraglichen Verpflichtungen umzusetzen, die sie eingegangen ist, dann kann ich nur sagen: Transparenz, Verlässlichkeit und Parlamentsfreundlichkeit schauen
anders aus. Die Bundesregierung dokumentiert mit ihrem Schreiben schlichtweg, dass sie ihre vertraglichen
Verpflichtungen aus der Zusammenarbeitsvereinbarung
missachtet. Dass sie auch dieses Haus missachtet, dokumentiert sie durch die mangelnde Anwesenheit bei dieser Debatte.
({6})
Ich meine, dass das nicht ganz ohne Konsequenzen
bleiben kann. Dass die Bundesregierung ein solches Verhalten mit Schreiben dokumentiert, kurz bevor die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen
Vertrag von Lissabon ansteht, ist schon sehr verwegen.
Ich werde mir erlauben, das Bundesverfassungsgericht
von diesem Schreiben der Bundesregierung in Kenntnis
zu setzen, weil ich denke, dass es durchaus Erhellung
bieten kann, wie die Bundesregierung unsere Zusammenarbeitsvereinbarung versteht.
({7})
Es gibt Nachbarstaaten, die in solchen Fragen mittlerweile deutlich mutiger sind als wir. Das tschechische
Abgeordnetenhaus und der tschechische Senat haben
Mitte März ihre Geschäftsordnungen geändert und in
wichtigen Fragen für sich selbst ausdrückliche Zustimmungsvorbehalte verankert - übrigens genau in den Fragen, die auch Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht in Sachen Lissabon-Vertrag sind.
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Union in einem Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode Ähnliches gefordert hat.
Meine Damen und Herren, wir sind bei der Zusammenarbeitsvereinbarung deutlich weitergekommen, was
die Unterrichtung des Parlaments angeht; aber wir haben
noch eine Menge zu tun, was die aktive Mitwirkung des
Parlamentes und die Einflussnahme auf Entscheidungen
der Bundesregierung in Brüssel angeht. Ich bitte darum,
dass wir die Gemeinsamkeit der Parlamentarier pflegen,
auch in der Kontrolle der eigenen Regierung, und dass
wir unsere Mitverantwortung in europäischen Fragen genau dadurch zum Ausdruck bringen. Wir haben die
Chance, dass europäische Integration gelingt und dass
europäische Entscheidungen auf mehr Akzeptanz stoßen, als das bisher der Fall ist, wenn wir eine breite öffentliche Diskussion unter maßgeblicher Einbeziehung
des Bundestages führen können.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Druck-
sache 16/13169 mit dem Titel „Vereinbarung über Zu-
sammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen
Union ist einzigartig in Europa - Auslegungsfragen müs-
sen geklärt, noch bestehende Defizite beseitigt werden“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Damit ist der Antrag bei Zustimmung der
einbringenden Fraktionen angenommen. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke ha-
ben sich enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zwei Jahre
Europa-Vereinbarung - Bundesregierung muss ihre Ver-
pflichtungen unverzüglich vollständig erfüllen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13205, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12109 abzuleh-
nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koali-
tionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die
Fraktion der FDP hat sich enthalten.
Es liegen drei Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor, und zwar der Kollegen Löning, Link
und Volk.1)
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar
Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothée
Menzner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Schnellstmögliche Einführung eines generel-
len Tempolimits von 130 Stundenkilometern
auf Bundesautobahnen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Fritz Kuhn,
Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort
einführen
- Drucksachen 16/6932, 16/6894, 16/9321 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Gero Storjohann
Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu
debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann
ist so beschlossen.
Die Kollegen Jörg Vogelsänger, Patrick Döring und
Gero Storjohann haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben,2) sodass ich das Wort der Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke erteile.
({1})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Tempolimit, die Dritte! Dies ist die dritte Debatte seit
2007 zu dem Thema „Höchstgeschwindigkeiten auf
Bundesautobahnen einführen“. Wiederholt haben wir die
Argumente pro und kontra ausgetauscht. Ich möchte die
Argumente für ein allgemeines Tempolimit aber wenigstens noch einmal kurz nennen: die Senkung von Unfallund Opferzahlen - eine geringere Spreizung der Geschwindigkeiten auf Autobahnen minimiert Gefahren -,
({0})
1) Anlage 25
2) Anlage 27
die Möglichkeit, schnell und ohne Kosten den CO2-Ausstoß zu senken, geringerer Anreiz, stark motorisierte und
schwere Fahrzeuge zu kaufen, Lärmschutz und demografischer Wandel; gerade die Höchstgeschwindigkeiten,
die auf unseren Autobahnen gefahren werden, sind für
ältere Verkehrsteilnehmer ein Hemmnis, Autobahnen
überhaupt zu nutzen.
In diesem Hause ist eigentlich längst eine breite
Mehrheit für ein Tempolimit vorhanden: Die Grünen haben das beschlossen und einen entsprechenden Antrag
eingebracht, wir legen ebenfalls einen entsprechenden
Antrag vor, und auch die SPD hat auf ihren Parteitagen
immer wieder bekundet, dass sie eigentlich für ein allgemeines Tempolimit ist. Ohne die Parteien mit dem „C“
im Namen hätten wir also längst ein Tempolimit. Ich
frage die Kolleginnen und Kollegen: Wäre es nicht, zumindest an dieser Stelle, ehrlicher, das „C“ durch ein
„W“, das für Wirtschaft steht, zu ersetzen? Deswegen
ein „W“, weil hauptsächlich die großen Autokonzerne
wie Daimler, BMW und Porsche weiter ungestört
schnelle, schwere, hochmotorisierte Fahrzeuge verkaufen wollen.
({1})
Wie gesagt, auch in der SPD hat sich die Erkenntnis
der Sinnhaftigkeit eines Tempolimits längst durchgesetzt. Auf dem Hamburger Parteitag von 2007, den ich
heute schon einmal ansprach, war das ein Thema; es gab
einen Antrag und einen entsprechenden Beschluss. Deswegen fordere ich Sie von der SPD dazu auf, hier diesen
Beschluss umzusetzen. Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass der Antrag, den wir heute einbringen, ursprünglich aus Ihrer Fraktion stammt. Nachdem Sie ihn
zurückgezogen haben, haben wir ihn wortgleich aufgegriffen.
Allen, die sagen, man wisse nicht, ob ein Tempolimit
wirklich den gewünschten Effekt hat, entgegne ich: Im
Antragstext, den wir zur Abstimmung stellen, steht, dass
wir nach drei Jahren schauen wollen, was das Tempolimit gebracht hat. Wir wollen eine Evaluation durchführen und dann mögliche Schlussfolgerungen daraus ziehen. Von daher gehen wir kein Risiko ein, wenn wir
heute hier ein Tempolimit beschließen. Wir können es
testen.
({2})
Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, sich einmal zu
überlegen, ob Sie nicht doch im Sinne der Mehrheit Ihrer
Parteimitglieder abstimmen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Anton Hofreiter hat das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Argumente für ein Tempolimit sind bekannt: Wir sparen Millionen Tonnen CO2 ein, es entstehen uns keine Kosten. Wenn es allgemein eingeführt
wird, müssen höchstens einige wenige Schilder aufgestellt werden.
Ein allgemeines Tempolimit würde dafür sorgen, dass
die zwei- bis dreifache Menge an CO2 eingespart wird,
die durch das milliardenschwere Gebäudesanierungsprogramm eingespart wird.
({0})
Wir feiern uns gerne für das milliardenschwere Gebäudesanierungsprogramm. Dieses Programm ist auch richtig und wichtig; aber dafür geben wir 1 Milliarde Euro
pro Jahr aus. Durch ein Tempolimit könnten wir für
0 Cent die doppelte Menge an CO2 einsparen. Warum
tun wir dies nicht? Das frage ich die Kolleginnen und
Kollegen der Großen Koalition.
Des Weiteren gab es auf Autobahnabschnitten ohne
Geschwindigkeitsbeschränkungen im Jahr 2007 über
400 Tote. Die Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland
ist eine große Erfolgsgeschichte. Die Anzahl der Toten
und Schwerverletzten ist seit dem Höhepunkt in den
70er-Jahren stark zurückgegangen. Aber das Nichtvorhandensein eines Tempolimits hindert uns daran, in
diesem Bereich noch weitaus bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir wissen ja: Abschnitte ohne Geschwindigkeitsbegrenzung sind im Vergleich zu Abschnitten mit
Geschwindigkeitsbegrenzungen weitaus unfallträchtiger.
Die Aussage, die Autobahn ist die sicherste aller Straßen, die immer wieder von den Gegnern eines Tempolimits vorgebracht wird, ist bezüglich des Tempolimits
nicht überzeugend. Es ist ja nichts anderes als ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen, wenn man eine Autobahn,
auf der es keine Fußgänger und Fahrradfahrer sowie
keine Kreuzungen und Ampeln gibt, mit einer Bundesstraße vergleicht, auf der es all das gibt. Was muss man
wirklich vergleichen? Man muss einen Autobahnabschnitt mit Tempolimit mit einem Autobahnabschnitt
ohne Tempolimit vergleichen. Die sehr alten Versuche
aus der Vergangenheit - die entsprechende Forschung
wurde von der Bundesregierung eingestellt - zeigen uns:
Abschnitte mit Tempobeschränkungen sind verkehrssicherer. Deshalb lasst uns auch aus diesem Grunde ein
Tempolimit einführen.
({1})
Es ist bereits angesprochen worden, dass wir hier im
Hause eine Mehrheit hätten. Die Linke ist für ein Tempolimit, die Basis der SPD hat beschlossen, dass ein
Tempolimit aus den bekannten Gründen sinnvoll wäre,
und auch wir sind für ein Tempolimit. Das ist eine ganz
klare Mehrheit. Warum können wir, nachdem sich heute
ohnehin bei einigen Auseinandersetzungen gezeigt hat,
dass eine Mehrheit der Vernunft in diesem Parlament
vorhanden ist - ich sage nur: kommunales Ausländer24700
wahlrecht, der Umgang mit schwerst Heroinabhängigen -,
nicht noch einmal die Mehrheit der Vernunft Wirklichkeit werden lassen?
({2})
An die Vertreter der SPD: Geben Sie sich einen Ruck
und stimmen Sie unseren sinnvollen Argumenten zu.
Warum haben Sie so große Probleme mit der Einführung dieser Maßnahme? Ich glaube, das ist nur psychologisch zu erklären. Wir hatten einen Psychologen zu
Gast. Er hat uns erklärt, dass bei sehr hohen Geschwindigkeiten eine Art Temporausch auftritt. Dabei wird der
sogenannte Frontallappen des Gehirns schwächer durchblutet. Das ist der Teil des Gehirns, in dem das logische
Denken angesiedelt ist.
({3})
Geben Sie sich einen Ruck. Im Moment sitzen Sie bequem, die Durchblutung des Gehirns funktioniert hervorragend. Deshalb: Stimmen Sie unserem Antrag zu.
({4})
Wir haben die Mehrheit hier im Plenum, und ich bitte
Sie, sich jetzt diesen Ruck zu geben. Stimmen Sie unseren Anträgen zu. Man kann sowohl dem Antrag der Linken als auch unserem Antrag zustimmen. Dann hätten
wir heute etwas Sinnvolles für den Klimaschutz und die
Verkehrssicherheit getan.
Danke.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/9321. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6932
mit dem Titel „Schnellstmögliche Einführung eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf
Bundesautobahnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP bei
Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/6894 mit dem Titel „Tempolimit 130 km/h
auf Autobahnen sofort einführen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
dem gleichen Ergebnis wie die vorherige.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu der Satzung vom 26. Januar
2009 der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien
- Drucksachen 16/12789, 16/13122 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
- Drucksache 16/13202 Berichterstattung:
Abgeordente Dr. Maria Flachsbarth
Michael Kauch
Hans-Josef Fell
Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen
Dr. Hermann Scheer für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Seit 1956 gibt es die Internationale Atomenergie Agentur. Seit 1974 - also seit nunmehr 35 Jahren - gibt es die
Internationale Energieagentur. Seit 1957 gibt es Euratom
als eine auf Europa bezogene - seinerzeit vorwiegend
auf Westeuropa bezogene - internationale Regierungsorganisation zur Förderung der Atomenergie. Es gibt bei
der Internationalen Energieagentur noch einmal eine Unteragentur, die Nuclear Energy Agency. Diese Hinweise
zeigen, warum es in der Welt über viele Jahrzehnte hinweg eine derart einseitige Ausrichtung bezogen auf fossile und atomare Energien und eine jahrzehntelange
Ignoranz gegenüber den Möglichkeiten der erneuerbaren
Energien gegeben hat. Dies hängt nicht alleine, aber wesentlich damit zusammen, dass es auf der institutionellen
Ebene internationaler Regierungsorganisationen keine
Agentur bzw. keinen Advokaten für die Ausrichtung auf
erneuerbare Energien gab.
Nun haben wir die Situation, dass die Welt von Jahr
zu Jahr immer mehr erkennt und dass inzwischen kaum
mehr bestritten wird, dass sich alle Länder, nicht nur
Deutschland, generell in Richtung erneuerbare Energien
ausrichten müssen. Gestritten wird allenfalls noch über
die - allerdings nicht unwesentliche - Frage, wie lange
wir brauchen, um dorthin zu kommen. Diese Frage wird
sich natürlich umso positiver beantworten lassen, je
mehr Länder angefangen haben, ihre Energiepolitik tatsächlich so auszurichten.
Das geschieht allerdings nicht von selbst. Es kann
nicht von selbst geschehen; denn im Hinblick auf die
Nutzung der erneuerbaren Energien gibt es - außer bei
Großwasserkraft und bei bestimmten Formen der Bioenergie, die in vielen Ländern der Dritten Welt noch sehr
konventionell genutzt wird - im Grunde genommen
keine Erfahrungen, auf die man zurückgreifen könnte,
und die Technologien aus dem herkömmlichen Spektrum lassen sich nicht übertragen.
Das heißt, hier muss neu gelernt werden, hier muss
ausgebildet werden. Darauf muss man vorbereitet sein.
Es ist unglaublich wichtig, dass das, was über Jahrzehnte
versäumt worden ist, schnell nachgeholt wird. Dafür
muss es entsprechende Unterstützung geben. Es wird
notwendig sein, dass die Internationale Agentur für erneuerbare Energien ein Äquivalent gegenüber dem international und übrigens auch in vielen Ländern selbst einseitig ausgerichteten Institutionensystem wird, ein
Äquivalent, das es allen Ländern ermöglicht, die Entwicklung zur Nutzung der erneuerbaren Energien
schnell in die eigenen Hände zu nehmen und das technologische Know-how dafür zu bekommen. Zum technologischen Know-how gehört, dass jedes Land selbst viele
ausgebildete Menschen und die richtigen Konzeptionen
hat - dafür gibt es Lernerfahrungen aus anderen Ländern -,
um die Energiewende, die eine historische sein wird,
schnell vorantreiben zu können. Das beschreibt im Wesentlichen die Aufgaben der Internationalen Agentur für
erneuerbare Energien.
Wir haben hier eine besondere Möglichkeit und eine
besondere Verantwortung. Die besondere Möglichkeit
ist, dass wir zu den ganz wenigen Ländern gehören, die
aufgrund der politischen Entscheidungen der letzten
20 Jahre auf dem Weg zur Nutzung der erneuerbaren
Energien Stück für Stück vorangeschritten sind, rascher
als alle anderen und mit wachsendem Tempo, insbesondere seit der Verabschiedung des Erneuerbare-EnergienGesetzes im Jahr 2000.
Es gibt auch andere Maßnahmen, die dieses vorangetrieben haben. In Deutschland gibt es mittlerweile
81 Bachelor-Studiengänge und mehr als 60 Masterstudiengänge für erneuerbare Energien. Das ist mehr als
in jedem anderen Land. Viele junge Menschen wollen in
diese Richtung gehen, wollen ihren Beruf hier finden.
Das heißt, wir haben ein großes menschliches Potenzial.
Dieses menschliche Potenzial, was ja auch ein politisches Potenzial ist, haben wir dafür genutzt, die Initiative für die Gründung einer Internationalen Agentur für
erneuerbare Energien zu ergreifen. Damit haben wir etwas in die Hand genommen, was für das ganze internationale System von Institutionen meines Erachtens für
Jahrzehnte von wesentlicher, tragender Bedeutung sein
wird.
({0})
Es ist ein Meilenstein, den wir gesetzt haben.
Viele waren skeptisch, ob das überhaupt gelingen
kann, ob überhaupt Bedarf für eine solche Agentur besteht. Die Skeptiker sind widerlegt worden: Mittlerweile
haben 83 Länder unterzeichnet. Wenn die Internationale
Agentur für erneuerbare Energien Ende Juni ihre Grundentscheidungen personeller Art und im Hinblick auf den
Standort getroffen hat, werden es wahrscheinlich mehr
als 83 sein. Die Zahl der Mitglieder der Internationalen
Agentur für erneuerbare Energien wächst schneller, als
die jeder anderen bisher gegründeten internationalen Organisation gewachsen ist, und zwar weil ihre Bedeutung
erkannt wird.
Es ist gut, dass Deutschland - dessen Regierung,
nachdem dieses Parlament sie über viele Jahre hinweg
mit mehreren Resolutionen dazu gedrängt hatte, die Initiative zur Gründung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien ergriffen hat - das erste Land sein
wird, das die Ratifizierung dieses Vertragswerks vornimmt. Wir gehen dadurch weiter mit gutem Beispiel
voran und setzen ein Zeichen internationaler Solidarität
mit all denen, die bisher noch keine ausreichenden
Schritte getan haben, um die Energiewende zu realisieren. Deswegen bin ich froh, dass es uns heute mit hoher
Wahrscheinlichkeit gelingt, diese Ratifizierung einstimmig zu vollziehen.
({1})
Der Kollege Michael Kauch hat seine Rede zu Proto-
koll gegeben.1)
Somit erteile ich nun das Wort der Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er-
neuerbare Energien sind - wer sollte das bezweifeln? -
ein Schlüsselelement für eine nachhaltige Energieversor-
gung. Sie erweisen sich in einer Zeit steigender Energie-
preise, des fortschreitenden Klimawandels und sich im-
mer weiter verschärfender Ressourcenkonkurrenzen
mehr und mehr als ein großer Hoffnungsträger für un-
sere Zukunft.
Deutschland hat international eine Vorreiterrolle im
Bereich der erneuerbaren Energien eingenommen. Es ist
gut und richtig, dass wir diese Position in Verbindung
mit dem Ziel größerer Energieeffizienz kräftig ausbauen.
Die Bundesregierung bringt mit den Maßnahmen des In-
tegrierten Energie- und Klimaprogramms die Erreichung
der ehrgeizigen deutschen Klimaschutzziele auf den
Weg, die auf den Beschlüssen des Europäischen Rates
aus dem Jahr 2007 gründen. Als zentrales Element be-
inhalten sie die verstärkte Nutzung der erneuerbaren En-
ergien und erhöhte Energieeffizienz.
Mit diesen Regelungen wird nicht nur ein wichtiger
Schritt zur Erreichung der Klimaziele der Bundesregie-
rung getan; gleichzeitig werden mit dem Ausbau und der
technologischen Weiterentwicklung der erneuerbaren
Energien sowie der verstärkten Energieeffizienz Poten-
ziale erschlossen, die es ermöglichen, den Energiever-
brauch von den ständig steigenden Kosten für Strom, Öl
und Gas abzukoppeln.
Diese Maßnahmen haben das Potenzial, kostendämp-
fend zu wirken. Zudem leisten sie einen Beitrag, um
Deutschland von den Energieimporten unabhängiger zu
1) Anlage 28
machen und die Wertschöpfung in diesem Bereich sowie
die Anzahl der Arbeitsplätze in Deutschland auszubauen.
Gerade das Handwerk und der Mittelstand erhalten mit
diesen Gesetzen zusätzliche wirtschaftliche Perspektiven. Darüber hinaus wird konkret zur Generationengerechtigkeit beigetragen, indem endliche Ressourcen zugunsten nachfolgender Generationen geschont werden.
Den größten Beitrag zur Einsparung der vorgesehenen 270 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen bis
zum Jahr 2020 wird das Erneuerbare-Energien-Gesetz
im Strombereich leisten, das zum 1. Januar 2009 in Kraft
getreten ist. Dadurch werden 55 Millionen Tonnen
Emissionen eingespart. Es wurde im letzten Jahr auf der
Basis der ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung sowie im Dreiklang von Umweltschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit novelliert.
Das Integrierte Energie- und Klimaprogramm der
Bundesregierung ist nicht nur in der Geschichte der
deutschen Klimapolitik, sondern auch international einmalig. Es gibt kein vergleichbares Industrieland mit einem ähnlich ambitionierten und konkret ausgestalteten
Programm. Deutschland hat seine Hausaufgaben in
puncto erneuerbare Energien und Klimaschutz gemacht.
Mit dem Eneuerbare-Energien-Gesetz hat es auch im internationalen Vergleich ein besonders effizientes Instrument für einen zügigen Ausbau von erneuerbaren Energien etabliert. Dies bescheinigt uns zum Beispiel die EU.
Jetzt gilt es, den zunehmenden Ausbau der regenerativen Energien auch auf dem internationalen Parkett zu
begleiten. Voraussetzung für die friedliche Weiterentwicklung unserer Menschheit und das Wachstum unserer
Wirtschaft ist, dass wir auf eine sichere, erschwingliche,
saubere, zuverlässige und nachhaltige Energieversorgung zählen können. Dabei stehen wir vor enormen Herausforderungen: der globalen Erderwärmung, den
schwindenden natürlichen Ressourcen, dem Bevölkerungswachstum, zunehmendem Energiebedarf und der
ungleichen Verteilung der Energiequellen auf unserer
Erde.
Diese Vielzahl von Faktoren zeigt, dass es notwendig
ist, die jetzt noch auf fossilen Brennstoffen basierende
Energieversorgung zukünftig vermehrt auf eine Basis zu
stellen, die stärker Gewicht auf Energieeffizienz und regenerative Energien legt. Erneuerbare Energien sind die
entscheidende Antwort auf die Herausforderungen einer
zukünftigen globalen Energieversorgung. Viele Länder
setzen schon heute auf regenerative Energiequellen. Sie
wissen um die Notwendigkeit, in der Energieversorgung
neue Wege einzuschlagen, und fördern die Produktion
und Nutzung erneuerbarer Energien anhand verschiedener politischer und wirtschaftlicher Programme.
Allerdings wird das enorme Potenzial erneuerbarer
Energien derzeit noch längst nicht ausgeschöpft. Es gibt
viele Hindernisse, langwierige Genehmigungsverfahren, technische Barrieren, Einfuhrzölle, unsichere Finanzierungsmöglichkeiten und bei vielen Energieprojekten
mangelnde Kenntnisse darüber, welche Chancen erneuerbare Energien bieten. An diesen Schwachstellen setzt
die Internationale Agentur für erneuerbare Energien,
IRENA, an. Sie soll eine treibende Kraft bei der Förderung der nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Energien
werden.
Um den Ausbau der erneuerbaren Energien international voranzutreiben, verfolgt die Bundesregierung
entsprechend der Koalitionsvereinbarung das Ziel, eine
solche internationale Agentur zu initiieren. Das ist
sinnvoll, da es bislang noch keine internationale Institution gibt - der Kollege Hermann Scheer hat es eben
gesagt -, die sich hauptsächlich mit dem Ausbau regenerativer Energien, dem Informationsaustausch und der
Aus- und Fortbildung im Bereich der erneuerbaren Energien beschäftigt.
Die Organisation soll von einer möglichst breit aufgestellten Gruppe großer und kleiner Staaten, aber auch
von Industrie- und Entwicklungsländern gegründet werden. Kernziel von IRENA ist die Förderung des weltweiten Einsatzes erneuerbarer Energien. Dazu gehören zum
Beispiel verbesserte ordnungspolitische Rahmenbedingungen für regenerative Energien durch politische Beratung, verbesserte Technologietransfers, die Weiterentwicklung von Kompetenzen und die Vermittlung von
Know-how bezüglich erneuerbarer Energien, aber auch
eine verbesserte Information durch Politikforschung.
IRENA ist auch für internationale Information und
Kommunikation über erneuerbare Energien sowie für
die Zertifizierung und Standardisierung von Technologien im Bereich erneuerbarer Energien zuständig. Die
Organisation soll zur Entlastung endlicher Energiequellen und zur langfristigen Stabilisierung der Energiepreise beitragen. Gerade ärmere Länder sollen einen verbesserten Zugang zu Energie erhalten. Schließlich
wollen wir den Klimawandel international noch wirksamer bekämpfen.
Es ist wichtig, zu betonen, dass IRENA ihre Leistungen nur auf Nachfrage der Mitgliedstaaten bereitstellen
soll. Ihr Auftrag wird es nicht sein, internationale Verträge unmittelbar auf den Weg zu bringen. Über sämtliche Aktivitäten entscheiden vielmehr allein die Mitglieder.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt nachdrücklich, dass die Bundesregierung am 14. Januar die
Unterzeichnung der Satzung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien beschlossen hat. Auf der
anschließenden Gründungskonferenz am 26. Januar in
Bonn hat die Bundesrepublik Deutschland diese Satzung
gezeichnet. Das Treffen mit 125 Teilnehmerländern war
überaus erfolgreich. Bis heute unterschrieben 83 Länder
das Gründungsstatut. Allerdings fehlen noch einige
wichtige Länder - auch das muss man sagen -, beispielsweise die USA, China, Russland, Japan, Kanada, aber
auch Brasilien, Südafrika, Saudi-Arabien und Indonesien.
Schließlich haben bisher nicht alle EU-Staaten unterzeichnet - ich verweise auf das Vereinigte Königreich -,
ich hoffe: noch nicht unterzeichnet.
Die Bundesregierung hat am 14. Januar 2009 ebenfalls entschieden, sich mit dem Standort Bonn für den
Sitz der Organisation zu bewerben. Die zweite Sitzung
der Vorbereitungskommission wird am 28. und 29. Juni
dieses Jahres in Scharm al-Scheich in Ägypten stattfinDr. Maria Flachsbarth
den. Dort wird neben weiteren Personal- und Finanzfragen über den Sitz der Organisation sowie über den ersten
Generaldirektor bzw. die erste Generaldirektorin entschieden. Vor diesem Hintergrund ist eine zügige Ratifikation durch das Parlament der Bundesrepublik
Deutschland ein wichtiges politisches Signal. Deutschland soll bei den anstehenden Entscheidungen zu
IRENA voll handlungsfähig sein.
({0})
Wir unterstützen den Bundesumweltminister nachdrücklich, wenn er sich um einen Sitz der neuen Organisation in der Bundesstadt Bonn bemüht.
({1})
- Der Abgeordnete Kelber aus Bonn kann da in großkoalitionärer Einigkeit nur applaudieren. - Dies wäre
eine gute Entscheidung für die Weiterentwicklung der
erneuerbaren Energien weltweit und für den Weltmeister
im Bereich der erneuerbaren Energien, für Deutschland.
Erneuerbare Energien sind ein Schlüsselinstrument
für die nachhaltige Energieversorgung. Mit IRENA werden wir eine Organisation ins Leben rufen, die helfen
wird, das enorme Potenzial der erneuerbaren Energien
zu erschließen. IRENA soll als unabhängige Institution
für Chancengleichheit in der Welt sorgen und die Weiterentwicklung erneuerbarer Energien bewirken. Sie soll
insbesondere denen helfen, die heute noch keinen Zugang zu Elektrizität haben und ihre Entwicklungschancen deshalb nur eingeschränkt wahrnehmen können. Das
wird gut sein für den Klimaschutz. Das bringt den Menschen Versorgungssicherheit. Das trägt zu einer langfristigen Stabilisierung der Energiepreise bei, und das trägt
zur Generationengerechtigkeit bei. Wir bringen eine internationale Institution auf den Weg, die die Brücke zur
Zukunft der Menschheit in entscheidender Weise mitbauen wird.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Kurt Hill für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erneuerbare Energien sind ein Garant für bezahlbare
Energie, Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Friedenssicherung. 100 Prozent Strom aus erneuerbaren
Energien, das ist bis 2040 machbar.
Bereits in zehn Jahren wird im Bereich der Stromerzeugung der Anteil von Wasserkraft, Windenergie, Solarstrom, Bioenergie und Erdwärme auf fast die Hälfte
steigen; dessen bin ich mir gewiss. Das gelingt aber nur,
wenn wir die fossilen Energiekonzerne und auch deren
politische Kettenhunde in die Schranken weisen, werte
Kolleginnen und Kollegen. Die Verabschiedung der Satzung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien, IRENA, ist deshalb längst überfällig.
Energiepolitisch stehen wir jetzt vor einer Richtungsentscheidung: Fortführung der fossil-atomaren Energiewirtschaft oder Durchsetzung einer nachhaltigen Energiepolitik, basierend auf erneuerbaren Energien und
Energieeffizienz. Bleiben wir bei Kohle und Atom, nehmen die Risiken und Gefahren für Mensch und Umwelt
durch Reaktorpannen, aber auch durch das trojanische
Pferd der CO2-Verklappung zu. Die Kosten der Energienutzung steigen massiv an. Die Folge wird auch ein Versagen im Klimaschutz sein.
Mithilfe der erneuerbaren Energien können wir hingegen die erforderliche Minderung der Treibhausgase erreichen, die Importabhängigkeit beenden, eine sichere
Versorgung gewährleisten, die Energiepreise senken und
letztlich Hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen.
Um Sonne und Wind werden keine Kriege geführt, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Erneuerbare Energien sind ein wesentlicher Beitrag zur
Friedenspolitik.
Der Gesetzentwurf für die Errichtung der IRENA ist
eine klare Richtungsbestimmung zugunsten einer zukunftsfähigen Energiepolitik, und zwar im krassen Widerspruch zum tatsächlichen Regierungshandeln. Union
und Sozialdemokraten bejubeln den Zubau riesiger Kohlegroßkraftwerke, anstatt auf dezentrale Strukturen mit
Kraftwärmekopplung zu setzen.
({1})
Selbst in der SPD, Herr Kelber, wird mittlerweile hinter
vorgehaltener Hand mit einer Verlängerung der Laufzeit
der Atomkraftwerke gerechnet; so ist es doch. Wir werden daher sorgfältig darauf achten, dass die IRENA mit
Leben gefüllt und gegen Anwürfe der Energiekonzerne
- sie wollen eine rückwärtsgewandte Energiepolitik geschützt wird, Herr Kelber.
Vielen Dank.
({2})
Nun hat das Wort der Kollege Hans-Josef Fell für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Prozess der Gründung der Internationalen
Agentur für erneuerbare Energien, kurz: IRENA, tritt in
die entscheidende Phase. Für viele Menschen ist es erstaunlich, dass sich seit der Gründungsversammlung An24704
fang dieses Jahres in Bonn schon mehr als 80 Nationen
bereit erklärt haben, der IRENA beizutreten. Damit wurden wohl auch die letzten Zweifler und Verhinderer
überzeugt, diejenigen, die durch jahrelanges Belachen
und Verhindern der erneuerbaren Energien auch die
IRENA verhindern konnten. Sie wurden davon überzeugt, dass der Gedanke der erneuerbaren Energien
längst die gesamte Welt erobert hat.
({0})
Seit fast zwei Jahrzehnten kämpft EUROSOLAR - ich
will deutlich sagen: vor allem in der Person ihres Präsidenten, Hermann Scheer - um die Umsetzung des Vorschlages, IRENA zu gründen.
({1})
Wir Grünen haben die Gründung der IRENA immer unterstützt. Wir hatten diese Forderung frühzeitig, lange
vor anderen Parteien, in unseren Wahlprogrammen, und
wir haben sie in Bundestagsanträgen vielfach zum Ausdruck gebracht.
({2})
Den Nationen, die den Gründungsprozess im Vorfeld unterstützt und vorangetrieben haben, vor allem Deutschland, aber auch Dänemark und Spanien, sei an dieser
Stelle für ihren Einsatz gedankt.
({3})
Sosehr wir uns freuen, dass IRENA gegründet wurde:
Wir machen uns Sorgen, dass der interne Streit in der
Bundesregierung dazu führt, dass Deutschland am Ende
weder den Standort noch den Generalsekretär der
IRENA stellt.
({4})
Es wäre eine Torheit, wenn es aufgrund taktischer Ungeschicklichkeiten bei der Bewerbung um den Sitz von
IRENA dazu käme, dass Deutschland als Vorreiter der
erneuerbaren Energien und Wegbereiter der IRENA am
Ende mit leeren Händen dastünde.
({5})
Falls die Entscheidung für den Sitz nicht auf Bonn
fällt - für Bonn kämpfen wir alle gemeinsam intensiv und Abu Dhabi den Zuschlag bekommt, dann hat die
Bundesregierung nicht einmal einen Vorschlag für einen
geeigneten Generalsekretär.
({6})
Es dürfte keinen Zweifel geben, dass es hierzulande profilierte, geeignete Kandidaten gibt. Wir Grünen fordern
daher die Bundesregierung auf, den internen Streit
schnell zu beenden und einen Kandidaten zu präsentieren, der unter den Mitgliedsnationen bekannt ist und akzeptiert werden kann.
({7})
Entscheidend wird sein, dass die IRENA klar die Interessen des Ausbaus erneuerbarer Energien vertritt und
nicht von den Interessen der konventionellen, fossilen
und atomaren Energiewirtschaft verwässert wird. Nur
dann kann IRENA den weltweiten Ausbau der erneuerbaren Energien wirkungsvoll beschleunigen.
Es ist daher erfreulich, dass in der der heutigen
Entscheidung zugrundeliegenden Satzung, konkret: in
Art. 3 der Satzung vom 26. Januar 2009 der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien, ganz klar
nur erneuerbare Energien als Gegenstand von IRENA
definiert sind. Dies war nicht selbstverständlich. In manchen Nationen, etwa in Russland, wird beispielsweise
versucht, die Atomenergie als erneuerbare Energie zu
definieren, sie also umzudefinieren. Dies ist absurd und
völlig unverständlich; denn Uran ist bekanntlich ein endlicher und sehr begrenzter Rohstoff. Auch die Begehrlichkeiten der fossilen Energiewirtschaft, ihre Interessen
bei der IRENA unterzubringen, konnten erfolgreich abgewehrt werden. Das ist gut so, und das begrüßen wir.
({8})
Aufgabe der IRENA wird sein, das Wissen über erneuerbare Energien zusammenzutragen, auf dem aktuellsten Stand zu halten und den Transfer von Wissen,
zum Beispiel über Konferenzen und Internetauftritte, zu
organisieren. Dies gilt nicht nur für technologische
Inhalte im Bereich der Bildung und Ausbildung von Ingenieuren und Facharbeitern, sondern auch für entscheidende Politikmaßnahmen - zum Beispiel für zielführende Gesetze wie das deutsche Erneuerbare-EnergienGesetz -, um Regierungen und Parlamente entsprechend
zu informieren und zu beraten. Dies gilt genauso für
Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung, damit eine
breite Akzeptanz für den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien in allen Sektoren entstehen kann.
Die IRENA wird dazu einen entscheidenden Beitrag
leisten. Deshalb stimmen wir Grünen heute diesem Gesetzentwurf zu.
({9})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir sind bei IRENA in der Tat weit gekommen.
Am Anfang stand die Initiative von Hermann Scheer in
diesem Parlament, um den sich dann einige andere Abgeordnete - Hans-Josef Fell, Josef Göppel und auch ich geschart haben. Wir haben am Anfang für Mehrheiten in
unseren Fraktionen gekämpft. Wir hatten eine Mehrheit
in der rot-grünen Koalition. Wir haben mit dem damaligen Umweltminister durchaus ringen müssen.
({0})
Wir haben jetzt eine breite Mehrheit im Parlament,
und die drei zuständigen Minister - Steinmeier, Wieczorek-Zeul und Gabriel - haben dank der Hilfe von Sonderbotschaftern mit der Vorbereitung der Konferenz
dazu beigetragen, dass IRENA zustande gekommen ist.
In der Tat hat sie nun in der gesamten Welt Mitglieder.
({1})
Als Bundestagsabgeordneter aus Bonn möchte ich
mich für das Vertrauen bedanken, im Wettbewerb um
den Sitz der IRENA mit der Bundesstadt Bonn anzutreten. Wir haben ein starkes Angebot gemacht; das mögliche Umfeld ist bestens. Wir bieten die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, die IRENA braucht: Die
zuständigen UN-Organisationen, der Weltrat für Erneuerbare Energien, EUROSOLAR und der Welt-Windenergie-Verband sitzen in Bonn. Wir haben in NRW die
weltweit dichteste Wissenschaftslandschaft auf diesem
Gebiet. Wir bieten in Deutschland entsprechende Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten.
Deutschlands Politik insgesamt setzt klar Priorität auf
erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Die nordrhein-westfälische Landesvertretung als möglicher Sitz
ist ein fantastisches Gebäude, das direkt am Rhein liegt,
direkt neben dem UN-Hauptquartier, direkt neben dem
Kongresszentrum und direkt neben dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das kann kein anderer auf der Welt bieten. Ich
bitte, diese starke Bewerbung zu kommunizieren, und
zwar auch in der Hauptstadtpresse, die von den Diplomatinnen und Diplomaten gelesen wird.
Es gibt auch starke Bewerbungen außerhalb Deutschlands. Wir haben starke Konkurrenz: Wien, Kopenhagen, vor allem aber Abu Dhabi. Da Abu Dhabi seine Bewerbung bereits ins Internet gestellt hat, wissen wir, dass
die Vereinigten Arabischen Emirate deutlich mehr Geld
bieten. Sie zahlen auch einen wesentlich höheren Mitgliedsbeitrag. Wenn die Gerüchte, die man hört, stimmen
- sie hören sich ziemlich eindeutig an -, bieten sie auch
eine Reihe von Koppelgeschäften an, nach dem Motto:
Wenn du für Abu Dhabi stimmst, kaufe ich bei dir ein
Atomkraftwerk. Es ist wichtig, zu wissen, dass die Konkurrenz so vorgeht.
Ich glaube, dass wir uns nicht verstecken müssen. Wir
setzen klar Priorität auf erneuerbare Energien. Abu
Dhabi tut dies nicht: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben angeboten, 50 Millionen Euro zur Förderung
erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Deutschland gibt für die Förderung
von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in Entwicklungsländern bereits heute 1 Milliarde Euro pro
Jahr aus. Abu Dhabi hat angekündigt, wissenschaftliches
Know-how zur Verfügung zu stellen. Wir haben es
schon. Außerdem wurde angekündigt, Gesprächspartner
bereitzustellen. Wir bieten sie schon.
Unser Hauptproblem wird in der Tat darin bestehen,
dass wir gegen den harten Brocken der Koppelgeschäfte
angehen müssen. Als Bonner Abgeordneter darf ich es
mehr als andere zuspitzen: Wir gehen mit Zuversicht in
die Auseinandersetzungen, nach dem Motto: Kompetenz
und Engagement gegen Petrodollars.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
der Satzung der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13202, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/12789 und 16/13122 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, Michael Kauch, Florian
Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Menschenrechte von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen und Transgendern in Deutschland
und weltweit schützen
- Drucksache 16/12886 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Jürgen Klimke, Angelika
Graf, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Barbara Höll und
Thilo Hoppe.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12886 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie
({1})
- Drucksache 16/11642 -
1) Anlage 29
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 16/13098 Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Mechthild Dyckmans
Jerzy Montag
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Elisabeth Winkelmeier-Becker und Klaus Uwe Benneter
vor.
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Elisabeth WinkelmeierBecker, Klaus Uwe Benneter, Mechthild Dyckmans,
Wolfgang Nešković, Dr. Gerhard Schick und der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Wir beraten heute abschließend über die Umsetzung
der Aktionärsrechterichtlinie und über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Einführung erstinstanzlicher
Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten.
Durch die Umsetzung der EU-Richtlinie machen wir
das Recht der Hauptversammlungen fit für die Zukunft:
Die Anteilseigner können, wenn die Satzung es so
vorsieht, zukünftig online oder per Briefwahl an den
Hauptversammlungen teilnehmen; die für die Hauptversammlung erforderlichen Unterlagen kann die Aktiengesellschaft auf ihre Seite im Internet stellen. Damit ermöglichen wir die grenzüberschreitende Durchführung
von Hauptversammlungen und erhöhen gleichzeitig die
Teilnehmerzahlen und damit die demokratische Legitimationsgrundlage für Beschlüsse.
Zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes regeln
wir in Anlehnung an das Gesetz zur Modernisierung des
GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen
({0}) Ausnahmen von der bisherigen obligatorischen
Gründungsprüfung bei Kapitalerhöhungen mit Sacheinlagen. Wenn also beispielsweise Vermögensgegenstände
eingelegt werden sollen, für deren Bewertung eindeutige
Anhaltspunkte vorliegen, kann von dieser Erleichterung
Gebrauch gemacht werden. Die Gründungsprüfung
bleibt allerdings obligatorisch, wenn aufgrund besonderer Umstände, wie bei dem zwischenzeitlichen Aussetzen
des Handels mit den betreffenden Papieren, eine sichere
Bewertung der Einlagengegenstände im Einzelfall nicht
möglich ist.
Ein weiterer Gegenstand der Richtlinie ist die Deregulierung der Fälle, in denen sich Aktionäre mit ihren
Stimmrechten durch Kreditinstitute vertreten lassen - das
sogenannte Depotstimmrecht. Den Aktionären bleibt die
Möglichkeit erhalten, durch eine Dauervollmacht einen
unbürokratischen Weg zur Stimmrechtsausübung zu wählen. Einzelweisungen sind dementsprechend zur Stimmrechtsausübung nicht erforderlich. Dem Vorschlag, dass
Banken bei fehlender Einzelweisung einfach dem Abstimmungsverhalten der Unternehmensverwaltung folgen
müssten, sind wir aus guten Gründen nicht nachgekommen. Nach der neuen Regelung hat das depotführende
Kreditinstitut zwei Möglichkeiten, die Vollmacht für Fälle
fehlender Einzelweisung zu gestalten: Entweder es erarbeitet eigene Abstimmungsvorschläge in Anlehnung an
die geltende Rechtslage und stimmt bei fehlender Einzelweisung in diesem Sinne, oder das Kreditinstitut lässt sich
eine generelle Weisung geben, nach der es im Sinne der
Verwaltung bzw. bei abweichenden Verwaltungsvorschlägen im Sinne des Aufsichtsrats abstimmt. Auch dies sind
praktikable Vorgaben, die zu begrüßen sind.
Viel mehr als die eher technischen und weitgehend unstreitigen Änderungen durch die Aktionärsrechterichtlinie hat uns im Rechtsausschuss die Frage bewegt, wie die
einhellig beklagte Anhäufung von Unzulänglichkeiten
des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts zumindest
teilweise zu reparieren ist. Hier stehen die Praktiken des
sogenannten räuberischen Aktionärs im Schlaglicht. In
den letzten Jahren hat sich eine Anfechtungsindustrie von
einigen wenigen Aktionären etabliert. Dabei werden
Hauptversammlungsbeschlüsse mit der Wirkung angefochten, dass ihre Eintragung und damit die Ausführung
der beschlossenen Maßnahmen verschleppt wird. Die betreffenden Aktionäre lassen sich die Rücknahme ihrer Anfechtungen meist in Vergleichen teuer bezahlen. Es geht
ihnen folglich nicht um die Einhaltung von Aktionärsrechten, sondern lediglich um das Erlangen hoher Geldbeträge. Daher wäre der „räuberische Aktionär“ wohl
treffender als „erpresserischer Aktionär“ zu bezeichnen.
Und dieses Geschäft lohnt sich: Ist der gerichtliche Streitwert bei aktienrechtlichen Gegenständen noch auf
500 000 Euro begrenzt, so sind schon die Vergleichssummen im zweistelligen Millionenbereich keine Ausnahme.
Grund ist der sogenannte Vergleichsmehrwert, durch den
mit horrenden Vergütungsforderungen von Rechtsanwälten ein künstlicher Schaden erzeugt wird, den die Gesellschaft durch Vergleichszahlungen kompensiert.
Diesen Praktiken sagen wir mit dem Gesetz nun den
Kampf an. Dabei versuchen wir, mit verschiedenen Mitteln anzusetzen: Zum einen korrigieren wir einige Regelungen zum aktienrechtlichen Freigabeverfahren. Durch
dieses Verfahren, welches mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts ({1}) im Jahr 2005 eingeführt wurde, besteht
für die Gesellschaft die Möglichkeit, trotz erfolgter Anfechtung in bestimmten Fällen zur Umsetzung des Beschlusses zu gelangen. Mit einem Quorum im Freigabeverfahren soll nun erreicht werden, dass Trittbrettfahrern
von Klägern die Arbeit erschwert wird. Die Anteilseigner
müssen zukünftig einen Aktienanteil im Nennwert von
1 000 Euro halten, damit die Gesellschaft im aktienrechtlichen Freigabeverfahren den Hauptversammlungsbeschluss nicht trotz erfolgter Anfechtung umsetzen kann.
Dies entspricht im Regelfall einem Börsenwert von
10 000 bis 20 000 Euro.
Bei der Bemessung der Höhe des Quorums besteht der
Zielkonflikt, einerseits den missbräuchlich klagenden Aktionären die Fortsetzung ihrer erpresserischen Strategie
zu erschweren, andererseits nicht mit einem Federstrich
sämtlichen redlichen Klein- und einer Vielzahl von MinElisabeth Winkelmeier-Becker
derheitsaktionären die Möglichkeit aus der Hand zu nehmen, auch im Freigabeverfahren eine Eintragung eines
Hauptversammlungsbeschlusses zu verhindern. Denn eines muss uns auch bewusst sein: Die redlichen Anfechtungen haben seit jeher auch auf Schwachstellen und Lücken im Aktienrecht hingewiesen und somit zu einem
stetigen Korrekturprozess im Aktienrecht beigetragen.
Die unredlichen - weil aus rein sachfremden Erwägungen erfolgenden - Anfechtungen sind hier ein schwer zu
isolierendes Phänomen. Der entscheidende Aspekt, den
die erpresserischen Aktionäre ausnutzen, ist die zeitliche
Verzögerung, die der gerichtliche Instanzenzug mit sich
bringt. Dies betrifft wiederum in besonderem Maße das
Freigabeverfahren. Folglich bestand in den Beratungen
ein breiter Konsens zwischen den Fraktionen, dass das
Freigabeverfahren auf eine Instanz beschränkt werden
muss.
Ich bin froh, dass wir - anders, als es der Regierungsentwurf vorsah - die Oberlandesgerichte mit dieser Zuständigkeit betrauen werden. Dies entspricht dem gleichlautenden Gesetzentwurf des Bundesrats. Schließlich
sind es dieselben Senate, welche neben dem Freigabeverfahren auch im Hauptsacheverfahren letztinstanzlich entscheiden werden, da in der Vergangenheit kaum ein einschlägiger Rechtsstreit in der ersten Instanz beendet
wurde. Es wäre ein zumindest unglücklicher Zustand,
sollte das Oberlandesgericht eine Entscheidung in der
Hauptsache treffen, die vom Landgericht im Freigabeverfahren völlig anders bewertet wird. Es ist sinnvoll, hier
nach drei Jahren eine Evaluierung vorzunehmen und zu
überprüfen, ob die Neuregelung tatsächlich zu kürzeren
Verfahrensdauern und schnellerer Rechtssicherheit für
Gesellschaften und Aktionäre geführt hat. Das Ergebnis
sollte in eine größere Reform des Beschlussmängelrechts
Eingang finden.
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses enthalten folglich gleich zwei Aufforderungen
an den 17. Deutschen Bundestag: erstens die Evaluation
der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im aktienrechtlichen Freigabeverfahren bis Ende
2011; zweitens die Aufforderung an den nächsten Deutschen Bundestag, eine umfassende Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts auf den Weg zu bringen. So müssen wir dem Missbrauch von Anfechtungsund Klagemöglichkeiten im Recht der Aktiengesellschaften weiteren Boden entziehen.
Im Hinblick auf diese notwendige Reform möchte ich
einige Stichpunkte nennen, die in der Großen Koalition
bisher kontrovers diskutiert werden: Zu nennen ist die Befristung der Nichtigkeitsklagen. Aktuell ist die Praxis zu
beobachten, dass sich klagende Aktionäre bis zu einem
späteren Zeitpunkt Nichtigkeitsgründe „aufsparen“, um
nach dem Verstreichen mehrerer Monate erneuten Druck
auf die Gesellschaften ausüben und weiter erpresserisch
tätig werden zu können. Wenn wir es ernst meinen mit
dem Schutz redlicher Aktionäre und der Gesellschaften,
so muss auch hier eine sinnvolle Regelung gefunden werden.
Auch die Frage, ob in der im Freigabeverfahren
durchzuführenden Interessenabwägung nicht auch die Interessen der nichtklagenden, aber dennoch vom jeweiligen Beschluss betroffenen Aktionäre gewichtet werden,
muss neu beantwortet werden.
Schließlich sind weiterreichende Ansätze wie die Trennung der vorzeitigen Eintragung von der dauerhaften Bestandskraft zu diskutieren. Dann wäre es möglich, dass
die Rechtsfolgen erfolgreicher Anfechtungen nicht auf
Schadenersatzzahlungen beschränkt sind, sondern dass
die Umsetzung rechtswidriger Beschlüsse auch - zumindest ex nunc - rückgängig gemacht werden kann.
Es bleibt trotz des heute zu verabschiedenden Gesetzes
also viel zu tun im Beschlussmängelrecht. Mit dem ARUG
ist der große Wurf im Beschlussmängelrecht nicht geschafft. Sicher ist dieses Gesetz aber ein Schritt in die
richtige Richtung.
Ein kleiner Kritikpunkt bleibt: Leider hat es das zuständige Bundesministerium der Justiz nicht vermocht,
bis zum Tag der abschließenden Beratungen im Rechtsausschuss eine Bewertung der Bürokratiekosten für den
Gesetzentwurf vorzunehmen. Die entsprechende Zusage
der Bundesregierung gegenüber dem Normenkontrollrat
muss natürlich eingehalten werden. Auch wenn mit der
Umsetzung des Gesetzes sicher keine Steigerung der Bürokratiekosten verbunden ist, so geht es doch nicht an,
diese Zusage gewissermaßen wortlos am Parlament vorbei im Sande verlaufen zu lassen. Diese Praxis darf nicht
„Schule machen“ - daher spreche ich diesen Punkt an
dieser Stelle ausdrücklich an.
Das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie,
das wir heute verabschieden, enthält einige wichtige Änderungen gegenüber dem eingebrachten Gesetzentwurf.
Die Änderungen betreffen unter anderem die Regelungen
zur verdeckten Sacheinlage. Hier geht es um die Fälle, in
denen die Gesellschafter vereinbaren, dass Bareinlagen
geleistet werden und dies auch so in der Satzung der Aktiengesellschaft festgelegt wird. In Wahrheit werden aber
in diesem Zusammenhang Absprachen getroffen, wonach
die Gesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise
einen Sachwert erhält.
Nach den jetzt vorgenommenen Änderungen bleibt es
dabei, dass vorsätzliche Falschangaben zu der Art der
vereinbarten Einlagen strafbar sind; erkennt das Registergericht die verdeckte Sacheinlage, darf die Aktiengesellschaft nicht eingetragen werden. In der Insolvenz ist
es aber künftig so, dass der Wert der Sacheinlage auf die
bestehende Bareinlagepflicht angerechnet wird. Damit ist
sichergestellt, dass jeder seine Einlage zwar voll erbringen muss, aber auch nicht mehr. Wichtig ist dabei: Die
Beweislast für die Werthaltigkeit seiner Sacheinlage trägt
allein der Aktionär in vollem Umfang. Wir haben damit
die Lösung, die wir bereits im GmbH-Recht für die verdeckten Sacheinlagen gefunden haben, auf das Aktienrecht übertragen. Alle Sachverständigen, die wir als Berichterstatter bei unseren Beratungen hinzugezogen
haben, haben dies begrüßt.
Auch das Cashpooling, also das Hin- und Herzahlen
von Bareinlagen, haben wir parallel zum neuen GmbHZu Protokoll gegebene Reden
Recht geregelt. Fließt die an die neue Konzerntochter gezahlte Einlage beispielsweise sofort wieder an die Konzernmutter zurück, so ist die Bareinlageforderung künftig
dennoch erfüllt, wenn der Tochter ein vollwertiger Rückgewähranspruch zusteht. Damit gehen wir - wie im
GmbH-Recht - jetzt auch im Aktienrecht zu einer bilanziellen Betrachtungsweise über. Auch das haben die
Sachverständigen einhellig begrüßt.
Weiter haben wir kleinere Änderungen am VW-Gesetz
vorgenommen, die sich auf Einzelheiten der Vollmachtserteilung und -ausübung in der Hauptversammlung beziehen. Diese Änderungen waren zum einen notwendig,
um die Aktionärsrechterichtlinie auch im VW-Gesetz umzusetzen. Zum anderen waren sie eine Folge der EuGHRechtsprechung, die uns dazu zwang, bei entsprechend
hohem Aktienbesitz Stimmrechte auch über 20 Prozent hinaus zuzulassen. Infolge der alten Rechtslage war geregelt, dass niemand in der Hauptversammlung das Stimmrecht für mehr als ein Fünftel der Grundkapitals ausüben
durfte. Wenn aber ein Aktionär künftig mehr als 20 Prozent Stimmrechte haben darf, ist es unsinnig, ihm die Ausübung dieser Stimmrechte durch mehrere Vertreter in der
Hauptversammlung vorzuschreiben. Künftig kann sich
also der Großaktionär auch durch einen einzigen Vertreter in der Hauptversammlung vertreten lassen.
Am meisten haben uns aber die Regelungen zur Bekämpfung missbräuchlicher Aktionärsklagen beschäftigt.
Wir wissen, dass sich seit vielen Jahren eine wachsende
Branche von Berufsklägern entwickelt hat, die wichtige
Beschlüsse der Hauptversammlung anfechten und damit
die Eintragung der Beschlüsse verhindern. Auswertungen des elektronischen Bundesanzeigers haben ergeben,
dass die zehn fleißigsten Aktionärskläger innerhalb von
14 Monaten insgesamt 121-mal vor Gericht gezogen
sind. Sie können damit Kapitalerhöhungen oder Fusionen
blockieren, und zwar über eine längere Zeit. Denn das
Freigabeverfahren erstreckt sich derzeit über zwei Instanzen. Weil deshalb wichtige Strukturentscheidungen
nicht umgesetzt werden können, bieten die Aktiengesellschaften erhebliche Summen, um die Kläger zu einer Klagerücknahme zu bewegen. Am Ende steht dann häufig ein
Vergleich. Es gibt Kläger, die verdienen auf diese Weise
jährlich viele Millionen Euro. Der „Deutschlandfunk“
hat zu diesem Thema einen sehr aufschlussreichen Hintergrundbericht von Detlef Grumbach gesendet. Sie finden ihn im Internetarchiv des „Deutschlandfunks“. Ich
empfehle ihn zum Nachhören. Überschrift und Schlusswort, gesprochen von einem der bekanntesten VielfachAnfechtungskläger: „Der Gruß des Kaufmanns ist die
Klage.“ Ein solcher Klagegruß kann, wie gesagt, sehr
teuer sein. Das ist die eine Seite.
Wir haben aber von dem Sachverständigen Professor
Heribert Hirte gehört, dass derartige Aktionärsklagen in
der Vergangenheit häufig in der Sache begründet waren,
dass sie sogar Anlass für positive gesetzliche Änderungen
waren und dass die Möglichkeit solcher Anfechtungsklagen auch vorbeugend wirkt. Die Aktiengesellschaften
achten sehr darauf, dass keine Aktionärsrechte verletzt
werden, um keine Angriffspunkte zu geben. Das ist die andere Seite.
Mir war wichtig, erpresserischen Rechtsmissbrauch
zu erschweren, aber dennoch weiterhin angemessene
Rechtsschutzmöglichkeiten für redliche Kleinaktionäre
zu erhalten. Das Gesetz sieht nun vor, dass ein Freigabebeschluss ergeht, wenn der Kläger nicht mindestens einen
anteiligen Betrag von 1 000 Euro an der Aktiengesellschaft hält. Damit wird Trittbrettfahrern, die sich bisher
mit minimalem Aktienbesitz ohne eigenen Sachvortrag an
Klagen beteiligen, das Aufspringen erschwert. Außerdem
wird im Freigabeverfahren künftig erst- und letztinstanzlich vom Oberlandesgericht entschieden. Eine Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Wir erhoffen uns dadurch eine schnellere
Entscheidung bei hoher Entscheidungsqualität. Das Bundesjustizministerium haben wir gebeten, bis Ende 2011 zu
untersuchen, ob sich diese Regelung - im Vergleich zu
den heutigen Verfahrensdauern - tatsächlich bewährt
hat.
Schließlich haben wir uns im Einzelnen mit der Formulierung der Freigabeklausel beschäftigt. Dort ist geregelt, wann trotz Anfechtungsklage ein Beschluss der
Hauptversammlung eingetragen und vollzogen werden
kann. Hier ist wichtig, dass dabei nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Aktiengesellschaft auf der einen
Seite und die wirtschaftlichen Interessen des Aktionärs
auf der anderen Seite gegeneinander abgewogen werden.
Vielmehr stellt das Gesetz jetzt klar, dass bei Geltendmachung und Glaubhaftmachung eines besonders schweren
Rechtsverstoßes unabhängig von wirtschaftlichen Abwägungen die Freigabe nicht erteilt werden darf. Das gilt
zum Beispiel dann, wenn zu befürchten ist, dass elementare Aktionärsrechte verletzt wurden. In solchen Fällen
muss der Ausgang der Anfechtungsklage abgewartet werden. Insgesamt haben wir damit eine ausgewogene Regelung gefunden.
Nachdem bereits die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf zu Protokoll gegangen ist, ereilt uns dieses
Schicksal nun auch in der zweiten und dritten Lesung.
Verantwortlich für den Zeitdruck, der eine mündliche
Debatte verhindert, ist auch die späte Vorlage des Gesetzentwurfs. Ärgerlich ist dies vor allem auch vor dem
Hintergrund, dass Frau Ministerin Zypries in mehreren
Presseerklärungen auf die große Bedeutung dieses Gesetzesvorhabens hingewiesen hat. Aber reden und tun
sind eben zweierlei Dinge.
Schon im Oktober 2007 hatte die FDP-Bundestagsfraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung
gerichtet mit dem Titel „Umsetzungsfahrplan der Aktionärsrichtlinie in nationales Recht“ - Bundestagsdrucksache 16/6860. Erst am 29. Januar 2009 fand dann endlich die erste Lesung im Bundestag für ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie statt, in welchem auch die EU-Kapitalrichtlinie berücksichtigt wird.
Mit dem Entwurf sollen folgende Ziele verfolgt werden:
Verbesserung der Aktionärsinformationen, Erleichterung
der grenzüberschreitenden Ausübung von Aktionärsrechten, Modernisierung, Deregulierung und Flexibilisierung, Neugestaltung der Kapitalaufbringung durch
Zu Protokoll gegebene Reden
Sacheinlagen und Eindämmung missbräuchlicher Aktionärsklagen.
Zu Zeiten einer Großen Koalition ist es nicht selbstverständlich, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratungen noch wesentliche Verbesserungen an einem Gesetzentwurf erreicht werden können. Aus diesem Grunde
möchte ich heute die wirklich gute fraktionsübergreifende
Zusammenarbeit in den Berichterstattergesprächen des
Rechtsausschusses loben. Diese Beratungen haben dazu
beigetragen, dass für meine Fraktion wesentliche Punkte,
die ich auch schon in meiner Rede am 29. Januar 2009 erläutert habe, in die uns heute vorliegende Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages mit eingeflossen sind. Somit kann ich schon an dieser
Stelle sagen, meine Fraktion wird diesem Gesetzentwurf
zustimmen.
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass
vor allem die Regelungen zur Eindämmung missbräuchlicher Anfechtungsklagen nur einen ersten Schritt in die
richtige Richtung darstellen können. In der nächsten
Wahlperiode wird sich der Deutsche Bundestag erneut
umfassend mit einer Reform des Beschlussmängelrechts
befassen müssen. Denn die Bedeutung dieses Themas für
die deutschen Aktiengesellschaften ist nicht zu unterschätzen. Dies gilt umso mehr in den Zeiten der Finanzund Wirtschaftkrise. Die Reduzierung von Aktionärsklagen wird zu spürbaren Kostenreduzierungen führen quasi ein kleines Konjunkturpaket, das den Staat keinen
Cent kostet. Die Studie von Professor Baums aus dem
Jahre 2007 dürfte inzwischen allseits bekannt sein, sodass an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen
werden muss. Es bleibt festzuhalten, dass sogenannte Berufskläger auf der Grundlage nur weniger Aktien die mit
der Klageerhebung verbundene Sperre für Handelsregistereintragungen nutzen, um sich ihr Klagerecht von der
Gesellschaft gegen horrende Beträge „abkaufen“ zu lassen.
In einem ersten Schritt zur Eindämmung missbräuchlicher Aktionärsklagen hat sich die FDP-Bundestagsfraktion erfolgreich für einen weitergehenden Schutz eingesetzt, als es der Regierungsentwurf zunächst vorsah.
Damit wird nicht nur die Position der Aktiengesellschaften, sondern insbesondere auch die Position der großen
Mehrheit der Aktionäre, also der Eigentümer der Gesellschaft, gestärkt. Denn die in den letzten Jahren zu beobachtenden hohen Vergleichzahlungen an die Berufskläger
haben diese Eigentümer viel Geld gekostet. Die Verbesserungen schlagen sich vor allem in zwei Punkten nieder:
zum einen in der Erhöhung des Quorums im Freigabeverfahren auf 1 000 Euro und in der Einführung der erst- und
letztinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts
für Freigabeverfahren. Es freut mich besonders, dass wir
uns insoweit mit einer von der FDP in Bund und Ländern
vertretenen Ansicht durchsetzen konnten. Leider ist es uns
nicht gelungen, auch die Einführung einer Klagefrist für
Nichtigkeitsklagen bereits in diesem Gesetzentwurf mit zu
regeln.
Die Einführung eines Quorums von 1 000 Euro ist dabei meiner Ansicht nach eher von untergeordneter Bedeutung. Ein Quorum von 1 000 Euro Nennbetrag entspricht
einem Börsenwert von etwa 10 000 bis 20 000 Euro - ein
nicht geringer Betrag, aber eben auch ein Betrag, der von
den Berufsklägern wohl nicht allzu schwer zu erreichen
sein wird. Auch die Vertreter des Bundesjustizministeriums haben im Rahmen der Berichterstattergespräche
eingeräumt, dass ein solches Quorum kaum dazu geeignet sei, Berufskläger fernzuhalten. Vielmehr diene es
dazu, „Trittbrettfahrer“ fernzuhalten. Dies ist ein anderes, aber auch ein nachvollziehbares Motiv. Auf der anderen Seite wird der Rechtsschutz der Kleinaktionäre
nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Zwar können sie
Hauptversammlungsbeschlüsse nicht mehr blockieren,
sie haben aber weiterhin Anspruch auf Schadensersatz.
Viel wichtiger und für die Praxis von großer Bedeutung ist jedoch die Einführung der erstinstanzlichen
Zuständigkeit beim Oberlandesgericht im Rahmen des
Freigabeverfahrens. Denn das eigentliche Erpressungspotenzial der Berufskläger ist darin zu sehen, dass diese
die Verfahren in die Länge ziehen können. Durch diese
Zuständigkeitsverlagerung wird es zu zeitlich kürzeren
Verfahren kommen. Das Erpressungspotenzial der Berufskläger wird damit deutlich eingeschränkt werden.
Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich noch kurz
positiv die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie und
der Kapitalrichtlinie erwähnen. Die Rechte der Aktionäre
werden gestärkt, die Stimmrechtsausübung aus dem Ausland erleichtert und Überregulierungen werden abgebaut. Die Stärkung der Satzungsautonomie ist dabei für
die FDP-Bundestagsfraktion ein zentraler Gesichtspunkt
gewesen.
Sehr zu begrüßen ist auch, dass wir nun auch Regelungen zur verdeckten Sacheinlage für die Aktiengesellschaften aufgenommen haben. Dies entspricht einer Forderung der Praxis und gewährleistet eine einheitliche
Rechtslage bei Aktiengesellschaften und GmbHs.
Insgesamt ist das also ein zustimmungsfähiges Gesetz.
Der Probleme des geltenden Beschlussmängelrechts wird
sich meine Fraktion in der nächsten Wahlperiode erneut
intensiv annehmen.
Der „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie“ setzt im Kern EU-Richtlinien
um. Er enthält eine lange Liste von Detailregelungen, die
für sich genommen weniger interessant sind, als der Gesamteindruck, der sich aus ihnen ergibt. Der Entwurf zementiert erneut ein rechtspolitisch verfehltes Prinzip,
nach dem die Justizministerin und die Koalitionsfraktionen arbeiten. Das Prinzip lautet: Nicht das Problem wird
bekämpft, sondern lediglich seine Symptome.
Um welches Problem geht es vorliegend? Der Gesetzentwurf müht sich, dem Problem sogenannter räuberischer Aktionäre entgegenzutreten. Gemeint sind
Aktionäre, die rechtsmissbräuchlich Hauptversammlungsbeschlüsse durch Anfechtungsklagen angreifen. Warum gibt es dieses Phänomen? Warum sollte jemand klagen, obwohl ihn der Beschluss inhaltlich doch gar nicht
interessiert? Warum kann man damit Geld verdienen können? Die Antwort ist einfach. Der Justiz fehlen die persoZu Protokoll gegebene Reden
nellen und sachlichen Mittel, um die Anfechtungsverfahren zügig abschließen zu können. Der Zeitfaktor ist das
Druckmittel des räuberischen Aktionärs. Wer nicht Symptome bekämpfen will, sondern Ursachen, muss Aktionäre, die das Recht missbrauchen, zur Verantwortung ziehen. Das ist sogar die naheliegendste Lösung. Ein
wehrhaftes Recht eines modernen Rechtsstaates sollte
dazu auch in der Lage sein. So entschied das OLG Frankfurt am Main 2009 in einer einsamen und mutigen
Entscheidung auf Schadensersatz gegen einen solchen
Aktionär.
Das stumpfe Schwert des § 826 BGB ließe sich durch
den Gesetzgeber schärfen. Doch diese Wege wollte man
schon nicht mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts ({0})“ gehen. Obwohl sich die Hoffnungen dieses Gesetzes nicht erfüllten, wird im ARUG an ihm weiter
Feintuning betrieben. Das Ergebnis liegt Ihnen vor. An
seine Tauglichkeit glauben - ausweislich der Gesetzesbegründung - nicht einmal die Entwurfsverfasser selbst.
Nach dem Gesetz kann ein Hauptversammlungsbeschluss
durchgesetzt werden, wenn der klagende Aktionär Aktien
zu einem Anteil unter 1 000 Euro hält. Das sei eine
Grenze, ab der ein vernünftiges finanzielles Engagement
gegeben sei, das auf ein ernsthaftes Interesse schließen
lasse. Nur entspricht dieser Anteilswert einem durchschnittlichen Börsenwert von 20 000 Euro und kann sich
in Einzelfällen auch auf Millionenwerte belaufen. Nach
dem Gesetzentwurf soll keine Rolle spielen, welcher
Rechtsverstoß überhaupt angegriffen wird und wie gravierend er ist. Auch soll der Beschluss nicht rechtsmittelfähig sein. Die pfiffigen Juristen des Bundesjustizministeriums wollen darin aber keine Beschneidung des
Anfechtungsrechts sehen. Anfechten könne man ja weiterhin. Das Ergebnis spielt nur dann für die Wirkung des
Hauptversammlungsbeschlusses selbst keine Rolle mehr.
Hatte der Aktionär recht, wird er mit einem Schadensersatzanspruch getröstet. Das falsche Prinzip des „Dulde
und liquidiere“ wird somit salonfähig. Der Gesetzentwurf
wurde von den Interessenvertretern aus der Wirtschaft
bejubelt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Nach intensiven Beratungen liegt nun eine Fassung
des Gesetzes zur Umsetzung der europäischen Aktionärsrechterichtlinie, ARUG, vor. In der Gesamtschau handelt
es sich dabei um das Bemühen, die Aktionärsrechte zu
stärken. Wir stimmen dem Gesetz daher zu.
Ich spreche dennoch bewusst von Bemühungen um Aktionärsrechte, weil das Gesetz in vielen Bereichen lediglich optional Satzungsänderungen ermöglicht, deren tatsächliche Gebrauchmachung in der Praxis für uns Grüne
mehr als fraglich bleibt. Die sogenannte virtuelle Hauptversammlung wird somit sicherlich noch auf sich warten
lassen. Aber auch in weiteren Punkten haben wir Bedenken.
Diese betreffen insbesondere den Regelungsbereich
zur Eindämmung missbräuchlicher Anfechtungsklagen.
Auch wir Grüne erkennen die Bürde für die Unternehmen, welche aus unsinnig erhobenen Klagen resultiert,
die ausschließlich zum eigenen finanziellen Vorteil der
Anfechtungskläger initiiert werden. Gleichwohl sind
beim Umgang mit diesem Problem Behutsamkeit und Augenmaß gefordert, weil es immerhin ein zentrales Minderheitenrecht im Aktiengesetz tangiert. Überregulierung
kann hier schnell zur Beschneidung essenzieller Aktionärsrechte führen. Denn wir wollen ausdrücklich kritische Aktionäre, die Vorständen auf die Finger schauen
und entsprechend des Normengefüges im Aktienrecht einen
wichtigen Bestandteil im System der checks and balances
bedeuten.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah ein Maßnahmenbündel vor, das gezielt und fein justiert an verschiedenen
Stellschrauben ansetzte und in toto eine ausgewogene gesetzgeberische Lösung bot. Im Zuge der Beratungen hingegen wurden diese einzelnen Stellschrauben isoliert diskutiert und so intensiv nachgebessert, als müsste jede
Stellschraube für sich besehen das Problem lösen. So
wurde beispielsweise aus einem anfänglichen Quorum
von 100 Euro für das Freigabeverfahren, das ausweislich
der Gesetzesbegründung nur Trittbrettfahrer abhalten
sollte, ein Quorum auf dem Nennwert von 1 000 Euro.
Das entspricht bei normalen Börsenwerten im Mittelmaß
etwa 10 000 bis 20 000 Euro Anlagevolumen. Damit wird
zwar nicht die Anfechtung mit einer Aktie unmöglich,
durch die fehlende Einbeziehung ins Freigabeverfahren
wird allerdings die Effektivität der Kontrolle empfindlich
gemindert. Diese Regelung sehen wir äußerst kritisch. Es
wird nunmehr allenfalls Aktionärsvertretungen, nicht
aber kritischen Privatpersonen gelingen, dieses Quorum
aufzubringen.
Auch sind wir sehr skeptisch, was den neuen Instanzenzug mit Eingangsinstanz Oberlandesgericht anbelangt. Bei aller bemühten Dogmatik und Verrenkung in
der Begründung steht unter dem Strich doch die bedenkliche Tendenz, eine Art Zweiklassenjustiz zu etablieren, in
der den Landgerichten nicht der Sachverstand zugetraut
wird, mit entsprechenden Spezialmaterien angemessen
umzugehen. Es wäre sinnvoll, wenn sich der Rechtsausschuss Ende 2011 bei der Auswertung der in Auftrag gegebenen Untersuchung zu dieser Neuregelung mit den
skizzierten Bedenken auseinandersetzte.
Kurzum, beim lebhaft diskutierten Bereich der rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklagen schien die Bundesregierung wie traumatisiert zu sein, dass es nach dem
UMAG auch in einem zweiten Anlauf mit der Eindämmung solcher Klagen nicht klappen könnte. Daher ist
man vorsichtshalber grobschnitzig zu Werke gegangen
und hat dabei die Aktionärsrechte bedenklich stark gestutzt.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Übergang zur
elektronischen Informationsübermittlung durch die Aktiengesellschaften. Wir Grüne anerkennen die Bemühungen, die Kommunikation zwischen Gesellschaft und
Aktionär - gegebenenfalls über den Zwischenschritt Depotbank - mittelfristig elektronisch zu gestalten und damit sowohl Bürokratie abzubauen als auch Papierressourcen zu sparen. Gleichwohl muss dieser Prozess mit
Umsicht stattfinden. Priorität hat nach wie vor, dass die
Zu Protokoll gegebene Reden
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Aktionäre die Möglichkeit der Informationserlangung
haben.
Vor diesem Hintergrund erscheint uns die Regelung in
den §§ 125, 128 AktG n. F. problematisch, wonach die
Satzung der Gesellschaften festlegen kann, dass die Zustellung der Hauptversammlungsunterlagen auf den elektronischen Weg beschränkt werden kann. Statistische Erhebungen belegen, dass nur eine geringe Prozentzahl an
Aktionären momentan ihre Unterlagen elektronisch beziehen. Zudem sind die elektronischen Übermittlungswege zwischen Depotbank und Aktionär hierfür noch
nicht sicher genug. Die Kunden müssten nämlich entsprechende Onlinebankingzugänge haben. Eine reine Übermittlung via E-Mail kommt nicht infrage. Damit besteht
die Gefahr, dass ein Großteil gerade der Kleinaktionäre
keine Kenntnis von der Einberufung der Hauptversammlung erhält. Das grundsätzlich nachvollziehbare Argument der Kostenersparnis und Ressourcenschonung für
die Aktiengesellschaften sollte nicht zulasten der Kleinaktionäre gehen. Wir werden daher die Entwicklung in
diesem Bereich sehr kritisch verfolgen.
Schließlich sehe ich auch den Bereich des Depotstimmrechts nur ungenügend reformiert. Wichtig ist es,
Anreize und Strukturen für eine kritische Stimmrechtsvertretung gesetzlich zu installieren. Grünes Anliegen ist es,
die kritische Kontrolle durch Aktionäre in der Hauptversammlung zu stärken. Daher befürworten wir Strukturen,
nach denen Aktionärsvertretungen zunehmend Stimmrechte delegiert erhalten, um diese gebündelt und kritisch
in der Hauptversammlung einzusetzen. Grundsätzlich begrüßen wir es auch, wenn das Depotstimmrecht reformiert wird, damit beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute diese Dienstleistung überhaupt
wieder anbieten. Allerdings ist der neue § 135 AktG mit
einer fakultativen Kannregelung ausgestaltet. Wir haben
große Zweifel, dass die geschaffenen Anreize genügen,
um Banken wieder vermehrt zur Stimmrechtsvertretung
zu bewegen beziehungsweise um die - kritische - Hauptversammlungspräsenz zu steigern. Wir hätten uns die
Einführung eines verpflichtenden Angebots der Stimmrechtsvertretung von Depotbanken gewünscht.
Wenn in den abschließenden Beratungen anklang, man
müsse sich für die kommende Legislatur etwa das Beschlussmängelrecht nochmals konzeptionell vorknüpfen,
dann möchte ich abermals auf eine Sache hinweisen: Wesentlich wichtiger wäre es, endlich ein effektives Haftungssystem im Aktiengesetz zu entwickeln, demzufolge
begründete Ansprüche gegen Führungsorgane auch tatsächlich durchgesetzt werden. Hier besteht ein eklatantes
Durchsetzungsdefizit, das gerade im Rahmen der Finanzmarktkrise abermals deutlich wird.
Anlass für den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie - kurz ARUG - ist zunächst einmal die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom
Juli 2007. Diese Umsetzung muss bis 3. August 2009 erfolgen. Auf die Einzelheiten dieser Richtlinie möchte ich
hier nicht noch einmal eingehen, sondern es bei der Feststellung belassen, dass die grenzüberschreitende Information und Stimmrechtsausübung der Aktionäre erleichtert und dadurch das deutsche Aktienrecht der
Internationalisierung der Kapitalmärkte angepasst wird.
Die Internetseite der Gesellschaften wird zum zentralen
Informationsmedium ausgebaut, und elektronische Kommunikation, wie etwa die Onlineteilnahme von Aktionären oder die Abstimmung durch elektronische Briefwahl,
wird ermöglicht.
Neben der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie
verfolgen wir mit dem ARUG vor allem drei weitere Ziele:
die teilweise Umsetzung der geänderten Kapitalrichtlinie
durch Deregulierungen bei der Sachgründung; eine Vereinfachung des Depotstimmrechts der Kreditinstitute und
schließlich Maßnahmen gegen missbräuchliche Aktionärsklagen.
Im parlamentarischen Verfahren kam mit den Regelungen zur verdeckten Sacheinlage noch ein weiterer
wichtiger Punkt dazu. In das GmbH-Recht hatten wir entsprechende Regelungen bereits durch das MoMiG eingefügt, die von der Praxis und der Wissenschaft überwiegend gut aufgenommen wurden. Nach Prüfung der
aktien- und europarechtlichen Rahmenbedingungen
übernehmen wir diese Regelungen nun in das Aktienrecht
und beseitigen damit Rechtsfolgen, die in der Praxis häufig als unangemessen empfunden wurden.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich die Neuordnung
des gesamten Fristenregimes im Vorfeld der Hauptversammlung. Das ist für die Hauptversammlungspraxis ein
besonders wichtiger Punkt, weil es hier seit jeher Zweifelsfragen gab, was zu Fehlern und schlimmstenfalls zur
Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen geführt
hat. Künftig werden alle Fristen und Termine nach einem
einheitlichen Muster von der Hauptversammlung zurückberechnet, alle Fristen sind aufeinander abgestimmt und
harmonisiert. Die praktische Bedeutung dieses eher technisch klingenden Details ist nicht zu unterschätzen.
Die größte Aufmerksamkeit in der öffentlichen Diskussion haben wohl die Maßnahmen gegen die sogenannten
räuberischen Aktionäre erfahren. Gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten müssen zum Beispiel Sanierungsschritte rasch durchgeführt werden können; dabei
zählt oft jeder Monat. Es ist aus diesem Grund wichtig,
die Dauer der Freigabeverfahren abzukürzen, weil das
hauptsächliche „Erpressungspotenzial“ in einer langen
Verfahrensdauer liegt. Für eine solche Beschleunigung
haben wir mehrere Maßnahmen in das ARUG aufgenommen. Im parlamentarischen Verfahren haben wir uns
darüber hinaus nach intensiver Diskussion dafür
entschieden, als erste und einzige Instanz für das Freigabeverfahren das Oberlandesgericht vorzusehen. Ich bin
zuversichtlich, dass wir durch die Gesamtheit der Maßnahmen das fragwürdige Geschäftsmodell der räuberischen Aktionäre erheblich erschweren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das ARUG
den Aktiengesellschaften das Leben erleichtern wird.
Und das ist vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzkrise besonders wichtig, weil ein stabiles und in der
Praxis gut handhabbares Aktienrecht ein bedeutender
Standortfaktor für die Wirtschaft ist.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13098, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/11642 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der
Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker und Klaus
Uwe Benneter ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 16/13212? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, dass trotz der Annahme
einer Änderung sofort in die dritte Beratung eingetreten
wird. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann
können wir so verfahren.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei
der zweiten Lesung angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Soziale Fortschrittsklausel in die EU-Verträge
einfügen
- Drucksache 16/13056 Überweisung:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Hierzu ist eine Debattenzeit von einer halben Stunde
vereinbart. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Alexander Ulrich für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Europäischen Union müssen um die niedrigsten Löhne konkurrieren. Die Lohnentwicklung ist eine zentrale Ursache der Wirtschaftskrise, wie wir mittlerweile wissen.
Wenn Arbeitnehmer nicht konsumieren, werden Unternehmen nicht investieren und Banken das Kapital weiter
ins Kasino tragen. Durch die europäischen Verträge wird
der dramatische Rückgang der Lohnquote in der Europäischen Union gefördert, und damit wird die Wirtschaftskrise verlängert.
Der Europäische Gerichtshof untersagte etwa dem
Land Niedersachsen, bei öffentlichen Aufträgen die ortsüblichen Tariflöhne zu verlangen. Polnische Arbeitnehmer hätten auf einer deutschen Baustelle höchstens Anspruch auf Mindestlöhne. Mindestlöhne werden so zu
Höchstlöhnen. Mit dieser Rechtsprechung wird gegen
das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und damit gegen Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstoßen. Sie ist auch europafeindlich, weil
durch sie die Menschen in der EU gegeneinander ausgespielt werden.
({0})
Wenn ein deutsches Unternehmen nach Polen geht,
zahlt es selbstverständlich die niedrigeren polnischen
und nicht die deutschen Löhne. Umgekehrt soll dies
nicht gelten. Das in der Bolkestein-Richtlinie formulierte Herkunftslandprinzip erhält so über den Gerichtssaal wieder Geltung.
Dies ist auch ökonomischer Unsinn:
({1})
Erstens wird das Wachstum durch sinkende Löhne gebremst. Zweitens werden heimische Unternehmen gegenüber Entsendeunternehmen bei der Auftragsvergabe
zukünftig diskriminiert: Sie müssen Tariflöhne zahlen,
die anderen nicht. Drittens schaden diese Urteile auch
den Osteuropäern: Wenn die Löhne beim Exportweltmeister Deutschland sinken, dann haben wir einen weiteren Wettbewerbsvorteil gegenüber den EU-Nachbarn.
Diese Rechtsprechung hat ihre Ursache in europäischen Verträgen. Durch den Vertrag von Lissabon wird
hieran nichts geändert. Dem Europäischen Gerichtshof
wird somit weitere Munition für eine arbeitnehmerfeindliche Rechtsprechung geliefert.
Durch Art. 52 der Grundrechte-Charta werden - trotz
vieler positiver Aspekte dieser Charta - zahlreiche
Rechte beschränkt. Die Freiheiten des Binnenmarktes
haben weiter Vorrang vor den politischen und sozialen
Rechten der Arbeitnehmer. Der Europäische Gerichtshof
geht sogar so weit, die laut Grundgesetz unantastbare
Menschenwürde gegen unternehmerische Freiheiten abzuwägen. Deswegen haben wir, die Linke, gegen den
Vertrag von Lissabon geklagt. Nun hat auch die SPD das
Problem erkannt, und sie fordert zu unserer Überraschung eine Änderung des Vertrags von Lissabon durch
ein Sozialprotokoll. Wenn die SPD ihre Forderung ernst
nimmt, kann der Vertrag so nicht ratifiziert werden.
({2})
Sie haben unsere Forderung nach einem Sozialprotokoll bereits zweimal abgelehnt: einmal am 22. Oktober
2008 im Europäischen Parlament und am 20. Dezember
2008 im Bundestag. Die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer werden die SPD aufmerksam beobachten. Sie
wissen nach elf Jahren Regierungsverantwortung der
SPD, dass etwas heiße Luft gegen soziale Kälte nicht
schaden kann und nicht schaden wird. Die Linke wirkt.
({3})
Es wird sich zeigen, ob Sie Ihr Wahlversprechen genauso ernst nehmen, wie Sie es zuvor bei den Mindestlöhnen, der Mehrwertsteuer oder der Vermögensteuer
getan haben. Die parlamentarischen Mehrheiten für
diese Dinge sind da. Diese Mehrheiten wurden unter
Gerhard Schröder immer genutzt, wenn es darum ging,
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu schaden;
Hartz IV und Agenda 2010 sind Beispiele dafür. Sie
können diesmal beweisen, dass Sie diese Mehrheiten
nutzen, um etwas für die Menschen in Europa zu tun.
({4})
Kollege Axel Schäfer, in der letzten Debatte haben
Sie etwas von Doppelzüngigkeit gesagt. Wer wie die
SPD immer für die europäischen Verträge war und sich
jetzt hinstellt und eine gemeinsame Erklärung mit dem
DGB abgibt, der ist doppelzüngig. Sie hätten während
der Vertragsverhandlungen, spätestens nach dem Scheitern der Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden, sagen müssen: Jetzt muss das in den Verträgen
verankert werden. Sich jetzt, vor den Europawahlen,
hinzustellen und so etwas gemeinsam mit den Gewerkschaften zu erklären, ist doppelzüngig. Das werden die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht vergessen.
({5})
Die SPD muss beantworten, ob es am 7. Juni bei den Europawahlen heißt: „Pinocchio würde SPD wählen.“
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antragsteller suggeriert mit seinem Antrag,
die Europäische Union wäre allein wirtschaftlichen Interessen verpflichtet
({0})
und würde soziale Belange der Arbeitnehmer und der
Gesellschaft missachten. Das ist die übliche Verschwörungstheorie, die völlig an der Realität vorbeigeht.
Die europäische Integration und gerade der Binnenmarkt in der Europäischen Union ist in den letzten Jahrzehnten ein Motor für Wachstum, Beschäftigung und sozialen Wohlstand gewesen.
({1})
Wir haben heute die Situation, dass die Europäische
Union über 35 Prozent ihrer Mittel für Sozialpolitik, sozialen Zusammenhalt, Wachstum und Beschäftigung
ausgibt. Das sind über 300 Milliarden Euro in der Finanzperiode 2007 bis 2013. Das ist eine große Leistung
der europäischen Integration.
({2})
Für die Union ist klar: Wir sind für eine Europäische
Union, die die Rechte der Arbeitnehmer achtet und auch
den sozial Schwachen die Chancen der europäischen Integration offenhält. Soziale Politik ist aber in erster Linie
auch eine nationale Aufgabe. Das Anliegen, eine generelle Zuständigkeit der Europäischen Union für solche
Fragen zu begründen, lehnen wir ab. Europa muss Grenzen haben, und zwar auch in dieser Frage.
({3})
Wer einer immer stärkeren Zentralisierung der Sozialpolitik das Wort redet, der muss auch die ganze Wahrheit
sagen. Er muss dazusagen, dass eine Harmonisierung der
Standards auf europäischer Ebene im Ergebnis eine Abwertung der hohen deutschen Schutzstandards bewirkt.
Das ist die Realität.
({4})
Deswegen sind wir für sozialen Ausgleich und soziale
Rechte in der Europäischen Union. Wir sind aber nicht
für eine zentralisierte und harmonisierte Sozialpolitik,
die nicht unseren Interessen entspricht.
({5})
Mir bleiben jetzt noch sechseinhalb Minuten meiner
Redezeit von neun Minuten. Betrachten Sie es als meinen Beitrag zum sozialen Fortschritt in diesem Hause,
dass ich davon nicht erschöpfend Gebrauch mache.
Vielen Dank.
({6})
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Markus Löning.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich habe nicht einmal sechseinhalb Minuten Redezeit. Aber der Kollege Silberhorn hat im Tenor vieles
von dem getroffen, was ich auch sagen würde.
({0})
Herr Ulrich, Sie haben in Ihrer Rede von ökonomischem Unsinn geredet. Das ist eine treffende Beschreibung sowohl Ihres Vortrages als auch Ihres Antrages:
ökonomischer Unsinn. Sie versuchen nämlich, einen Gegensatz herzustellen. Das ist das Demagogische und Populistische an der Politik, die Sie hier vertreten. Sie versuchen, einen Gegensatz zwischen Marktwirtschaft und
Sozialem herzustellen.
({1})
Sie verstehen nicht, Sie wollen nicht verstehen - und Sie
streuen den Menschen Sand in die Augen -, dass die
Marktwirtschaft, der Binnenmarkt und das Zusammenarbeiten gerade in ökonomischen Belangen innerhalb der
Europäischen Union erst die Grundlage für den Wohlstand und den Sozialstaat in der Bundesrepublik
Deutschland geschaffen haben und immer noch schaffen.
({2})
- Selbstverständlich. Ich bleibe aber dabei, dass Sie mit
Ihrer Art der Darstellung des Gegensatzes den Leuten
Sand in die Augen streuen und versuchen, sie zu verulken, um es freundlich und parlamentarisch auszudrücken. Mir würde an anderer Stelle vielleicht noch etwas
anderes einfallen.
({3})
Lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema Mindestlohn verlieren. Bei diesem Thema sind nicht alle
Kollegen - auch der anderen Fraktionen - derselben
Meinung.
({4})
Auch beim Mindestlohn streuen Sie den Leuten Sand in
die Augen. Zu wessen Lasten geht denn Ihre Forderung
nach dem Mindestlohn? Wir sind uns doch einig, dass
die Menschen in unserem Land einen menschenwürdigen Mindeststandard brauchen; das steht völlig außer
Frage.
({5})
Die Frage ist immer: Wer bezahlt es? Wir sagen: Es ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dass Menschen,
die aufgrund ihrer Qualifikation, ihrer Arbeitsleistung
nicht in der Lage sind, bestimmte Werte zu erarbeiten,
vom Steuerzahler, von uns allen unterstützt werden.
({6})
Ihre Forderung nach dem Mindestlohn ist zutiefst unsozial. Damit grenzen Sie Leute mit geringer Qualifizierung aus dem Arbeitsmarkt aus. Das ist die Wahrheit
über Ihre Politik, die Wahrheit in Bezug auf die Frage
des Mindestlohns.
({7})
- Das mit den Dumpinglöhnen wird hier irgendeiner
anderen Partei zugeschrieben. Herr Ulrich, Sie sollten
sich in Bezug auf diese Frage sehr viel ernsthafter damit auseinandersetzen, was es tatsächlich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für den Arbeitsmarkt,
für Geringqualifizierte bedeutet, wenn Sie gesetzliche
Mindestlöhne vorschreiben. Das, was Sie hier vertreten,
ist ein Schlag ins Kontor, ein Schlag gerade gegen gering
qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
({8})
Quatschen Sie nicht so einen Unfug, was die Mindestlöhne angeht!
({9})
Meine Damen und Herren, auch ich möchte meine
Redezeit nicht vollständig ausschöpfen. Aber lassen Sie
mich einen letzten Punkt ansprechen, der aus meiner
Sicht wiederum den Populismus der Linkspartei und
ebenso deren Unehrlichkeit deutlich macht. Sie reden
Unfug wider besseres Wissen über das Thema LissabonVertrag. Wenn mich als Liberalen an dem Lissabon-Vertrag eines stört, dann ist es die Tatsache, wie wenig die
Marktwirtschaft und der Binnenmarkt darin betont werden. Es stört mich, wie weit soziale Fragen darin in den
Vordergrund gestellt wurden.
({10})
Trotzdem stimme ich als Liberaler dem Lissabon-Vertrag zu, weil er meiner Meinung nach Europa in der
Summe nach vorn bringt.
Sie versuchen auch an dieser Stelle, den Leuten Sand
in die Augen zu streuen. Sie sagen die Unwahrheit über
das, was der Lissabon-Vertrag für die Menschen bedeutet. Die Linke ist und bleibt eine populistische Partei, die
versucht, mit Demagogie Leute hinter sich zu bringen.
Dieser Versuch wird misslingen.
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Eva Högl für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Absicht des Antrags der Fraktion Die Linke ist klar:
Die Linke möchte als Partei wahrgenommen werden, die
das soziale Europa voranbringt. Das aber wird nicht gelingen, schon gar nicht mit diesem Antrag; denn es ist
völlig klar, dass die Linke in den Debatten über Europa
immer wieder versucht, der europäischen Zusammenarbeit zu schaden. Sie versucht, den globalen Herausforderungen und den internationalen Problemen, vor denen
wir stehen, mit nationaler Politik und plumpem Populismus zu begegnen.
({0})
Das ist ebenso aussichts- wie erfolglos. Diese Politik ist
zum Scheitern verurteilt.
Ich sage hier für die SPD ganz deutlich: Eine internationale Partei wie die SPD, die sich seit 1925 zu den Vereinigten Staaten von Europa bekennt, lässt sich hier im
Deutschen Bundestag von der Linkspartei nicht erklären,
was gute europäische Politik und was ein soziales Europa ist.
({1})
Wir stehen für das soziale Europa, und wir beweisen
das durch unser Engagement und vor allen Dingen durch
verantwortungsvolle Politik. Das ist eben keine heiße
Luft, sondern sie bringt frischen Wind und gute Ideen,
die Europa sehr gut tun.
({2})
Die Linkspartei, liebe Kolleginnen und Kollegen,
lehnt den Vertrag von Lissabon ab und klagt sogar vor
dem Bundesverfassungsgericht dagegen. Jetzt fordert sie
plötzlich Verbesserungen für den Vertrag von Lissabon.
Wie passt das zusammen? Das passt überhaupt nicht zusammen. Ich kann es mir nur so erklären: Die Linke ist
etwas verzweifelt und merkt, dass sie sich mit der Ablehnung des Lissabon-Vertrages in eine Sackgasse manövriert hat.
Ich will kurz daran erinnern, dass eine prominente Politikerin der Linkspartei, Sylvia-Yvonne Kaufmann, eine
kluge und engagierte Frau,
({3})
aus der Linkspartei ausgetreten ist, eine Frau, liebe Kolleginnen und Kollegen, die sich für Europa und für den
Lissabon-Vertrag sehr engagiert hat und sich um die europäische Einigung sehr verdient gemacht hat.
({4})
Sie hat aus echter Überzeugung an dem Lissabon-Vertrag mitgearbeitet. Für meine Partei kann ich sagen: Wir
sind froh, dass sie den Weg in unsere Partei gefunden
hat.
({5})
Das zeigt sehr deutlich, dass die Linkspartei auf dem
Holzweg ist und keine Konzepte für ein soziales Europa
hat.
Ich komme noch einmal zu dem hier angesprochenen
Positionspapier. Anfang Mai hat die SPD zusammen mit
den Gewerkschaften ein Positionspapier „Für ein Europa
des sozialen Fortschritts“ veröffentlicht. Darin sprechen
wir uns für eine Ergänzung des EU-Primärrechts durch
eine Fortschrittsklausel aus.
({6})
Wir haben gute Gründe dafür, dass wir das tun: Damit
soll klargestellt werden, dass die EU nicht nur dem wirtschaftlichen, sondern auch dem sozialen Fortschritt verpflichtet ist. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Klausel
in einem rechtlich verbindlichen Protokoll zum sozialen
Fortschritt ein Bestandteil der europäischen Verträge
wird.
({7})
- Wir sind das Original.
({8})
Wir möchten mit dieser Klausel deutlich machen - wir
sind sehr froh, dass wir hier die Gewerkschaften an unserer Seite haben -, dass Soziales und Wirtschaft keine
Gegensätze sind - der Kollege Löning hat das schon gesagt -, sondern untrennbar miteinander verbunden sind.
Aber wir wollen auch deutlich machen, dass im Konfliktfall - im Gegensatz zu den jüngsten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs - nicht die wirtschaftlichen
Grundfreiheiten Vorrang haben, sondern die sozialen
Grundrechte und die wirtschaftlichen Grundfreiheiten
ordentlich abgewogen werden.
({9})
Wenn ich das hier so offen sagen darf: Es ist einigermaßen durchsichtig, wenn die Linksfraktion genau zehn
Tage später einen Antrag mit identischen Forderungen
stellt, aber an keiner Stelle deutlich macht, wie sie sich
konstruktiv für diese Forderungen einsetzen oder wie sie
verantwortungsvoll Politik in Europa machen will.
({10})
Für die SPD sage ich ganz deutlich: Wir lassen uns
unsere guten Ideen von Ihnen nicht klauen. Die Menschen merken - auch im Europawahlkampf -, wer für
das soziale Europa steht
({11})
und wer das Original und wer die Kopie ist. So selbstbewusst sind wir von der SPD, dass wir sagen: Wir stehen
für das soziale Europa.
Ich will kurz daran erinnern, dass wir gute Gründe für
unsere Forderung einer sozialen Fortschrittsklausel haben. Die bekannten Urteile des EuGH haben uns alle einigermaßen besorgt gemacht.
({12})
Wir sehen genügend Anlass, diese Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu kritisieren. Ich sage deutlich: Es
ist sehr ärgerlich, dass der Europäische Gerichtshof, der
bei der Gestaltung des sozialen Europas und der europäischen Integration eigentlich immer unser Bündnispartner
war, uns jetzt Anlass für Kritik gegeben hat. Aufgrund
dieser Urteile halten wir die Ergänzung des Primärrechts
durch eine soziale Fortschrittsklausel für sehr richtig und
notwendig. Wir bleiben bei unserer Forderung.
Ich möchte ganz deutlich betonen: Wir verbinden die
Forderung nach einem sozialeren Europa mit einem sonnenklaren Bekenntnis zum Vertrag von Lissabon. Das ist
der ganz entscheidende Unterschied zwischen unserer
und Ihrer Politik.
({13})
Wir von der SPD wollen, dass der Vertrag von Lissabon
so bald wie möglich in Kraft tritt. Wir hoffen, dass das
Bundesverfassungsgericht eine weise Entscheidung
trifft. Wir hoffen auch, dass die Irinnen und Iren entsprechend abstimmen. Wir wollen, dass Europa mit dem
Vertrag von Lissabon handlungsfähig bleibt und eine
gute Grundlage schafft.
Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass der
Vertrag von Lissabon schon deutliche Verbesserungen
für das soziale Europa bringt und für all diejenigen einen
echten Fortschritt darstellt, die sich für das soziale Europa engagieren. Deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, warum Sie das nicht anerkennen wollen.
({14})
Der Vertrag von Lissabon enthält ein klares Bekenntnis
zur sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung
ausgerichtet ist. Das ist ein Riesenfortschritt für all diejenigen, die sich um das soziale Europa kümmern. Die soziale Querschnittsklausel verpflichtet die Politik, auf ein
hohes Beschäftigungsniveau und den sozialen Schutz zu
achten.
({15})
Ein weiterer Riesenerfolg des Vertrages von Lissabon ist
die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta. In dieser Charta sind soziale Grundrechte verbindlich verankert. Deshalb wird der Vertrag von Lissabon einen echten Fortschritt bringen.
({16})
Wir kommen zu dem Ergebnis, dass der Vertrag von
Lissabon eine sehr gute Grundlage und der richtige Weg
hin zu einem sozialen Europa ist. Ich gehe sogar so weit,
mit Bezug auf die EuGH-Entscheidung zu sagen: Mit
dem Vertrag von Lissabon hätten wir auch eine neue
Grundlage für weitere Entscheidungen des Europäischen
Gerichtshofs. Ich bin mir sehr sicher, dass der Europäische Gerichtshof bei künftigen Urteilen dann zu einer
anderen Abwägung zwischen wirtschaftlichen Grundfreiheiten und sozialen Grundrechten käme.
Mein Fazit lautet: Europa muss sozialer werden. Dafür steht die SPD. Dafür setzen wir uns ein. Wir halten
die soziale Fortschrittsklausel für eine richtige Ergänzung des Primärrechts. Deswegen werden wir uns gemeinsam mit den Gewerkschaften weiterhin dafür einsetzen. Aber man kann das soziale Europa nicht
gestalten, wenn man den Vertrag von Lissabon ablehnt
und die europäische Einigung insgesamt so kritisch beurteilt, wie Sie das tun. Die Linke muss sich zunächst
klar zu Europa bekennen, bevor sie Forderungen im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon stellt. Ich würde mir
wünschen, dass wir diese Debatte auch im zuständigen
Ausschuss führen.
Herzlichen Dank.
({17})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich
habe nur vier Minuten Redezeit. Darum werde ich nichts
davon abgeben.
({0})
Aber Sie sind frei, Zwischenfragen zu stellen, um meine
Redezeit zu verlängern.
({1})
Auch wir als Grüne sind der Meinung, dass das
soziale Europa gestärkt werden muss. Die wichtigste
Grundannahme, die wir dabei haben, ist: Wer mehr
soziales Europa will, muss Europa mehr für ein soziales
Europa tun lassen. Das heißt: Soziales Europa geht nur
mit mehr Europa.
({2})
Europa muss mehr zwischen nationalstaatlichen Systemen koordinieren, und es muss mehr harmonisieren, wo
Mindeststandards gefragt sind. Europa muss sich in
mancher Hinsicht auch mehr aus Dingen heraushalten.
Der Vertrag von Lissabon regelt das zum Beispiel für
den Bereich der Daseinsvorsorge. Dass die Wasserversorgung in kommunaler Hand bleiben kann, wird durch
den Vertrag von Lissabon geregelt. Das ist ein weiterer
Punkt des sozialen Europas im Lissabonner Vertrag.
({3})
Trotzdem hat sich auch nach unserer Analyse eine
Schieflage entwickelt. Im Laval-Urteil hat der EuGH
eine Abwägung zwischen den sozialen Grundrechten,
die in Art. 2 und in den dazugehörigen Dokumenten geregelt sind, und der Dienstleistungsfreiheit vorgenommen. Diese Abwägung zu machen, ist schon schwierig,
aber aus unserer Sicht ist vor allem das Ergebnis falsch.
Das Rüffert-Urteil des EuGH und das Urteil des Verwaltungsgerichts Celle besagen ausdrücklich, dass bei der
Entsendung von Arbeitnehmern der geringere Lohn einen Wettbewerbsvorteil darstelle, der zumutbar sei. Wir
halten das für falsch. Aber es war nicht nur der EuGH,
der das festgestellt hat, sondern zuerst hat das Verwaltungsgericht Celle ein entsprechendes Urteil gefällt. Ich
frage mich, warum eigentlich der große Sturm der Entrüstung nicht schon bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Celle ausgebrochen ist.
Richtig ist: Wir wollen entgegensteuern. Wir wollen
die sozialen Grundrechte stärken; wir wollen eine
Gleichwertigkeit von sozialen Grundrechten und den
Grundfreiheiten des Binnenmarkts herstellen.
({4})
Wir finden die Vorschläge zur Fortschrittsklausel, die
der Europäische Gewerkschaftsbund gemacht hat, interessant. Aber Sie können nicht von mir erwarten, dass
ich das, was der EGB aufgeschrieben hat, als richtig bezeichne. Darin sind auch viele Kinken. Einen grundsätzlichen Vorrang von sozialen Grundrechten vor jeglichem
Primärrecht zu konstruieren, halte ich für wagemutig
und auch für falsch. Es gibt primärrechtliche Ziele, für
deren Verankerung wir Jahrzehnte gekämpft haben:
Nachhaltigkeit, Ökologie und andere. Grundsätzlich gegenüber allem Primärrecht einen Vorrang zu definieren,
halte ich für nicht zielführend.
({5})
Die Schwäche des Antrags der Linken ist, dass nur irgendeine Klausel gefordert wird. Sie geben noch nicht
einmal Kriterien an, wie diese Klausel gestaltet sein
sollte. Wir freuen uns auf die Debatte, und ich freue
mich über die vier Minuten Redezeit, die leider fast
schon vorbei sind. Zustimmen können wir dem Antrag
nicht. Wir werden uns enthalten.
Noch ein Punkt in dem Antrag ist aus unserer Sicht
demokratiestörend. Sie wollen die Bundesregierung
schon jetzt darauf festlegen, welche Kriterien der Kandidat für den Posten des Kommissionspräsidenten erfüllen
soll. Im Lissabonner Vertrag haben wir erreicht, dass die
Bürgerinnen und Bürger Einfluss darauf nehmen können, wer Präsident wird; denn das Ergebnis der Europawahl soll darüber mitbestimmen, wer das wird.
({6})
Diesen Punkt der Demokratisierung lehnen Sie mit Ihrem Antrag ab. Das ist Quatsch. Wissen Sie, was wir machen? Wir haben angekündigt, dass wir im Europaparlament nur einen Kommissionspräsidentschaftskandidaten
mit unserer Stimme unterstützen, der sich verpflichtet,
den sozialen Fortschritt in Europa voranzutreiben und
die Forderung des Anderson-Berichts - der übrigens
auch mit der SPD beschlossen wurde -, nämlich über
eine Fortschrittsklausel nachzudenken, zu unterstützen.
Das ist der Maßstab, den wir im EP an den neuen
Kommissionspräsidentschaftskandidaten legen. So
macht man das richtig, nicht über einen Antrag wie den,
den Sie gestellt haben.
({7})
Deswegen enthalten wir uns.
Ich habe meine Redezeit wenigstens genau eingehalten. Das ist eine kleine Hommage an die Vorredner.
Danke.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/13056. Die Fraktion Die Linke
wünscht Abstimmung in der Sache, die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und
zwar federführend an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und mitberatend an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales. Nach unserer ständigen Übung geht die Abstimmung über die Überweisung
vor. Wer stimmt für die Überweisung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Überweisung ist damit eindeutig beschlossen. Über den Antrag in der Sache wird
also heute nicht abgestimmt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert,
Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Delfinschutz voranbringen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Undine
Kurth ({1}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich beenden
- Drucksachen 16/12868, 16/9102, 16/13203 Berichterstattung:
Abgeordneten Ingbert Liebing
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Eva Bulling-Schröter
Undine Kurth ({2})
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Ingbert Liebing, Christoph
Pries, Mechthild Rawert, Angelika Brunkhorst, Eva Bulling-Schröter und Undine Kurth.
Dass Delfine bedroht sind, ist uns allen nicht neu. Delfine verfügen auch seit Jahrzehnten über eine gewaltige
mediale Präsenz. In den 60er-Jahren fing es mit der Fernsehserie „Flipper“ an, und bis heute ist der Mythos vom
freundlichen Delfin ungebrochen. Gipfel einer damals
unkritischen Freude am Delfin waren die in den 70er- und
80er-Jahren weit verbreiteten Delfinarien, in denen sich
Touristen an Kunststücken erfreuten, die die Tiere zum
Teil unter Qualen und unter erbärmlichen Lebensbedingungen erlernt hatten.
In den Neunzigern setzte ein Umdenken ein: Allein in
Deutschland wurden fünf der ursprünglich neun Delfinarien geschlossen. Dies war Ausdruck des sich entwickelten Bewusstseins für unsere natürliche Umgebung quer
durch alle gesellschaftlichen Schichten. Naturschutz und
Bewahrung der Schöpfung hatten einen neuen Stellenwert bekommen. Eine gute und unterstützenswerte Entwicklung; eine Entwicklung, die von der CDU/CSU immer mit Überzeugung mitgestaltet wurde - nicht nur in
Bezug auf Delfine, sondern auf alle Meeressäuger.
Nehmen wir nur die jüngsten Fortschritte. Das
ACCOBAMS-Übereinkommen zum Schutz von Walen und
Delfinen wurde von seinem ursprünglichen Geltungsbereich so ausgeweitet, dass eine Verbindung zum Kleinwalschutz im Mittelmeer geschaffen wurde. Hiermit
haben wir der Tatsache Rechung getragen, dass die
Kleinwale einen sehr viel weiträumigeren Lebensraum
haben, als früher vermutet wurde. Im Rahmen von
ACCOBAMS wurde mithilfe von detaillierten Schutzplänen und der Einrichtung spezieller Schutzgebiete erreicht, dass sich der Bestand der Schweinswale in der
Nordsee deutlich erholt hat. Das ist ein Erfolg von
ASCOBANS, aber auch ein Erfolg neuer technischer
Schutzmethoden in der Fischerei, zum Beispiel der Pingerpflicht zur akustischen Vergrämung. Seitdem sie
durchgängig eingesetzt werden, sind Beifänge deutlich
gesunken.
Die CDU/CSU hat sich außerdem mit Leib und Seele
für den Schutz der Wale und die Beibehaltung des Moratoriums gegen den Walfang eingesetzt, dessen Aufhebung
zwischenzeitlich ernsthaft drohte. Mit Erfolg!
In unserem Antrag zum Schutz der Wale, Drucksache
16/4843, haben wir unter anderem konkrete Maßnahmen
zum verbesserten Schutz aller Walarten, inklusive kleinerer Wale und Delfine, gefordert. Hierin wurde besonders
auch vor den negativen anthropogenen Einflüssen wie
zum Beispiel Verschmutzung, Beifang und Lärm gewarnt,
die den Lebensraum der Bestände in freier Wildbahn
ernsthaft bedrohen. Dies macht deutlich, dass wir als Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung das Thema
Schutz der Wale und Delfine in höchstem Maße ernst nehmen und auf nationalem und internationalem Parkett
auch entsprechend handeln.
Seit einigen Jahren haben wir allerdings ein neues
Problem, nämlich die wachsende Popularität von Delfintherapie. In den letzten Jahren ist es zu einem regelrechten Run auf Therapieangebote in diesem Bereich gekommen, nicht zuletzt durch übertriebene Medienberichte
über die „Wunderheiler in Grau“. Deren Erfolgsquote ist
allerdings nicht medizinisch belegt. Die bei der Delfintherapie beobachteten Effekte lassen sich zudem nach
Meinung führender Experten auch durch andere Tierarten erzielen. Oftmals werden einheimische Haustiere bei
Therapien eingesetzt, beispielsweise Hunde oder Pferde.
Deshalb unterstützt auch die Bundesregierung Delfintherapie in keiner Art und Weise, weder verbal noch finanziell. Und dies ist auch in Zukunft nicht geplant.
Schauen wir uns einmal die rechtliche Situation an:
Die bestehenden Einfuhrregelungen stellen sicher, dass
frei lebende Delfine und Wale nur unter strengsten Voraussetzungen und zu nicht kommerziellen Zwecken in
die EG gelangen. Bei jeder Form der Haltung von Delfinen - sei dies in Delfinarien, zoologischen Gärten oder
wissenschaftlichen Einrichtungen - sind in Deutschland
die Vorgaben des Tierschutzrechts gleichermaßen zu beachten: Wer ein Tier hält, muss nach § 2 des Tierschutzgesetzes das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen
entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, darf die Möglichkeit des Tiers
zu artgemäßer Bewegung nicht einschränken, muss gewährleisten, dass ihm keine Schmerzen oder vermeidbare
Leiden oder Schäden zugefügt werden und muss über die
für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Sind diese gesetzlichen
Auflagen nicht erfüllt, kann eine Haltung jederzeit versagt oder widerrufen werden.
Dass dies funktioniert, zeigte die bereits erwähnte Tatsache, dass in den vergangenen Jahren fünf der ehemals
neun Delfinarien in Deutschland geschlossen wurden.
Der Antrag auf Bau eines Delfinariums auf Rügen wurde
auf Grundlage bestehenden Rechts und eines Gutachtens
des wissenschaftlichen Beirats des Stralsunder Meeresmuseums nicht genehmigt. Eine artgerechte Haltung war
in dem Fall offensichtlich nicht gewährleistet.
EU- bzw. nationales Artenschutzrecht enthält mit Einfuhr-, Besitz- und Vermarktungsbeschränkungen sowie
mit den bestehenden Nachweispflichten und Sanktionsvorschriften ein effektives Instrumentarium gegen illegale Einfuhren. So sind auch illegale Importe nach
Deutschland nicht bekannt. Leider werden aber im europäischen Ausland nach wie vor Verstöße gegen geltendes
Recht beobachtet. Die Unionsfraktion hat daher einen
Antrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sich weiterhin auf nationaler, europäischer und
internationaler Ebene aktiv gegen die illegale Einfuhr
von in freier Wildbahn gefangenen Delfinen einzusetzen
und zur Vermeidung dieser Einfuhren entsprechende
Kontrollen durchzuführen.
Wir wollen darüber hinaus auch die Haltungsanforderungen für Delfine neuen Erkenntnissen anpassen. Im
Rahmen des Säugetiergutachtens des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft müssen diese Haltungsanforderungen regelmäßig
überarbeitet werden. Dabei muss beachtet werden, dass
das bearbeitende Expertengremium paritätisch mit Fachkräften der Zoobranche, der Tierschutzorganisationen
und mit unabhängigen Gutachtern besetzt wird. So wollen wir sichergestellt wissen, dass bei der Kriterienfestlegung größtmögliche Objektivität zum Tragen kommt.
Zunächst wollen wir die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen und ihre Einhaltung streng
kontrolliert wissen. Wenn dies geschieht, sind wir auch im
Delfin- und Walschutz einen großen Schritt weiter.
Die Griechen der Antike verehrten die Delfine als göttliche Geschöpfe. Der Sonnengott Apollon zum Beispiel,
im Meer geboren, soll von einem Delfin an Land gebracht
worden sein und sich zeitweise selbst in einen solchen
verwandelt haben. Sie galten als klug, schön und lebensfroh, waren selbstlose Retter unzähliger Schiffbrüchiger
und ein gutes Omen für Seefahrer und Fischer. Die alten
Griechen sagten ihnen heilende Kräfte nach. Und wer einen Delfin töte, ziehe sich den Zorn der Götter zu, hieß es.
Es stünde uns gut an, wenn wir uns ein wenig dieser Sichtweise wieder zu eigen machten.
Sorgen wir gemeinsam dafür, dass unsere Kinder diese
Meeressäuger nicht nur noch aus Erzählungen kennen.
Ich kann mich noch gut an meine erste Rede hier im
Hause erinnern. Anfang Januar 2005 haben wir über das
Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und
Ostsee debattiert. Der dazugehörende Gesetzentwurf
wurde seinerzeit einstimmig angenommen.
Heute debattieren wir wieder zum Thema Delfinschutz. Es gab ursprünglich einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben versucht, auf dieser Basis
einen interfraktionellen Antrag zu entwickeln, sind aber
leider gescheitert. Heute müssen wir daher über einen zusätzlichen Koaltionsantrag debattieren - zwei Anträge,
die von ihrer Intention her eigentlich nicht so weit auseinanderliegen. Ich freue mich aber, dass im federführenden Umweltauschuss der Koalitionsantrag einstimmig
und im mitberatenden Agrarauschuss bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen wurde.
Was wollen wir mit unserem Antrag erreichen? Uns
geht es in erster Linie darum, die Lebensgrundlagen der
Delfine zu erhalten und zu verbessern. Delfine haben eine
sehr geringe Reproduktionsquote. Wie alle anderen Wale
auch, bringen sie immer nur ein Kalb zur Welt. Gleichzeitig sind die Lebensräume der Delfine zunehmend bedroht.
Diese Bedrohung geht in erster Linie von Beifang durch
die Fischerei aus. Entweder sterben die gefangenen Tiere
einen qualvollen Erstickungstod in den Netzen, oder sie
ziehen sich so schwere Verletzungen zu, dass sie später
verenden.
Damit aber nicht genug: Die zunehmende Verschmutzung der Meere, die Nahrungsknappheit durch Überfischung und die Einengung der Lebensräume durch die
zunehmende Verlärmung der Meere sind für Delfine weltweit zu einer Bedrohung geworden. Hier müssen - und
zwar international - weitere intensive Bemühungen stattfinden. Ziel muss sein, die Meeressäugetiere in der freien
Wildbahn stärker zu schützen, und es ist gut, dass wir uns
darin einig sind.
Seit 1997 schließt die EU-Verordnung über den Schutz
von Exemplaren wild lebender Tier- und Pflanzenarten
ein Importverbot von Delfinen und Walen für kommerzielle Zwecke mit ein. Auch auf der Vertragskonferenz des
Washingtoner Artenschutzabkommens wurde der internationale Handel zu kommerziellen Zwecken verboten. Wir
brauchen jedoch auch weiterhin Kontrollen, damit diese
Verbote eingehalten werden.
Wir müssen aber auch vor der eigenen Tür kehren. Daher setzen wir uns mit unserem Antrag für die Verbesserung der Haltungsbedingungen von Säugetieren in Zoos,
Tierparks oder Delfinarien ein. Wir wollen frei lebende
und in Deutschland gehaltene Delfine entsprechend ihren
biologischen Bedürfnissen besser schützen. Es bringt
nichts - und darauf läuft der Antrag der Grünen hinaus -,
einfach alle Delfinarien per Gesetz zu schließen. Denn
Fakt ist: Die Auswilderung von in Gefangenschaft lebenden Delfinen ist nicht möglich. Ich glaube nicht, dass dies
eine zielführende Lösung sein kann. Wir wollen daher erreichen, dass in Deutschland alle Säugetiere in Zoos,
Tierparks oder Delfinarien unter optimalen Bedingungen
nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gehalten werden. Aus diesem Grund setzen wir uns dafür
ein, dass das Säugetiergutachten an die Haltungsanforderungen für Delfine anzupassen ist und regelmäßig
überarbeitet wird. Bisher enthält das Säugertiergutachten nur unzureichende Minimalanforderungen an die
Tierhaltung und vernachlässigt neueste wissenschaftliche
Erkenntnisse. Bei der Überarbeitung des Gutachtens
wird darauf zu achten sein, dass das bearbeitende Expertengremium paritätisch mit Fachkräften der Zoobranche,
der Tierschutzorganisationen sowie mit unabhängigen
Gutachtern besetzt ist.
Es ist ein erhabener und wunderschöner Anblick, Delfine in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass auch unsere Kinder und Enkel dies künftig erleben dürfen.
Der Weg für eine Neufassung des Säugetiergutachtens
ist nach langen Debatten endlich frei, und das ist gut so.
Seitdem das letzte Säugetiergutachten im Juni 1996 erschienen ist, sind 13 Jahre vergangen. In diesen 13 Jahren haben wir viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse
zur Haltung von Wildtieren in Zoos erlangt, die nun endlich auch im aktualisierten Gutachten Eingang finden
und verpflichtend Gültigkeit für die Zukunft erlangen sollen. Nach Einschätzung zahlreicher Expertinnen und
Experten enthält das noch gültige Gutachten von 1996
veraltete Minimalstandards und steht damit teilweise im
Widerspruch zum europäischen Tierschutzgesetz, welches die Rechtsgrundlage für die Zootierhaltung bildet.
Zu Protokoll gegebene Reden
Dass es eine Aktualisierung des Säugetiergutachtens
geben soll, habe ich bei meiner Rede zum Haushalt 2009
bereits angekündigt. Dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz stehen
die notwendigen Mittel zur Verfügung. Im Ausschuss
wurde hierfür immer über eine Größe von 250 000 bis
300 000 Euro diskutiert. Das Ministerium kann folglich
sofort mit dieser notwendigen Maßnahme beginnen. Ich
werde hier auf jeden Fall nicht lockerlassen und beständig nach dem Stand der Neufassung des Säugetiergutachtens nachfragen.
Die Haltung und Pflege von Wildtieren in Zoos steht
heute auf einem soliden Fundament: der EU-Zoo-Richtlinie aus dem Jahr 1999. Das Säugetiergutachten ist jedoch sehr viel konkreter. Es nennt Mindestanforderungen, zugeschnitten auf einzelne Säugetierarten. Es
definiert die zur artgerechten Haltung erforderlichen Käfiggrößen, Futterarten, klimatischen Bedingungen, Gehegeeinrichtungen und vieles mehr. Diese Definitionen,
diese Mindeststandards werden mit konkreten, in Zahlen
ausgedruckten Anforderungen hinterlegt und sind damit
valide messbar. Bundesweit wird das Gutachten deshalb
von den Ländern für die Bewertung von Tiergehegen zugrunde gelegt. Durch seine Eindeutigkeit und Überprüfbarkeit hat es in der Praxis eine höhere Bedeutung als
manch abstrakte Richtlinie. Die geforderte paritätische
Besetzung des Expertengremiums mit Vertreter und Vertreterinnen von Zoos und Tierschutzorganisationen sowie
unabhängigen Gutachtern und Gutachterinnen wird dazu
führen, dass sowohl der Aufgabenerfüllung der Zoos als
auch den Bedingungen einer artgerechten Tierhaltung
nach neuesten Erkenntnissen Rechnung getragen wird.
Darüber freuen wir uns als Besucher und Besucherinnen
der Zoos in ganz besonderer Weise.
Die SPD steht für aktiven Tierschutz. Die SPD steht
dafür, dass Wildtiere in Zoos und Tierparks artgerecht gehalten werden. Die SPD steht zu den vielfältigen Aufgaben von Zoos. Wir wollen, dass Zoos Bildung vermitteln.
Wir wollen, dass sie Erholung bieten und zum Artenschutz
beitragen und wir wollen, dass Zoos der Forschung dienen. Dieser Antrag unterstützt die Zoos in ihrem ständigen Bestreben nach einer artgerechten Haltung von Wildtieren. Da bin ich mir sicher. Unser Antrag heißt,
„Delfinschutz voranbringen“, und, liebe Tierschützer
und Tierschützerinnen, dass tun wir hiermit.
Viele von Ihnen wissen, dass ich mich seit Jahren sehr
aktiv für den Schutz der Delfine einsetze. Seit Jahren fragen Tierschutzorganisationen auch zu Recht danach, ob
die Haltungsbedingungen für Delfine in den auch in
Deutschland noch existierenden Delfinarien tatsächlich
artgerecht seien. Viele fordern die Schließung der Delfinarien. Viele Menschen in Deutschland wollen auch keine
neuen Delfinarien, mögen die Namen dafür auch noch so
wohlklingend sein, wie zum Beispiel „Blaue Lagune“
oder Ähnliches.
Persönlich bin ich der Auffassung, dass Delfine in Gefangenschaft nicht artgerecht gehalten werden können.
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bei der Aktualisierung des Säugetiergutachtens
hinsichtlich der Anpassung und Überarbeitung der gesetzlichen Haltungsanforderungen für Delfine letztlich
nur zu einem Ergebnis kommen kann: Entweder sind die
Haltungsbedingungen der Delfine in Deutschland massiv
zu verbessern, oder es muss sogar zu einem generellen
Auslaufen der Gefangenschaftshaltung von Delfinen
kommen. Dieses bleibt dem Ergebnis des Säugetiergutachtens vorbehalten.
Es ist verboten, Delfine zu kommerziellen Zwecken
einzusetzen. Aber was macht die „Delfintherapie“ anderes? Steckt hier kein kommerzielles Interesse dahinter?
Ich wende mich nicht nur aus Gründen der meines Erachtens nicht artgerechten Haltung der Delfine gegen die
Delfintherapie. Als Gesundheitspolitikerin sage ich: Es
gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass
diese Therapie erfolgreich ist. Ich möchte, dass mit den
Gefühlen von Eltern von Kindern mit Behinderungen
nicht gespielt werden kann.
Ich möchte zum Schluss allen Tierschutzorganisationen danken, die sich generell für die artgerechte Haltung
von Wildtieren einsetzen und einen entscheidenden Beitrag für den Schutz eines der intelligentesten Tiere auf unserem Planeten, des Delfins, leisten.
Unabhängig von den beiden vorliegenden Anträgen
sollten wir uns vor Augen halten, dass der Deutsche Bundestag mit dem Antrag „Schutz der Wale sicherstellen“
({0}) in
der aktuellen Legislaturperiode schon einstimmig beschlossen hat, dass sich die Bundesregierung unter anderem für die Einrichtung weiterer Schutzgebiete für Wale
und Delfine sowie für konkrete Maßnahmen zum verbesserten Schutz aller Walarten, inklusive kleinerer Wale und
Delfine, vor negativen anthropogenen Einflüssen, wie
zum Beispiel Verschmutzung, Beifang oder Lärm, einsetzen möge. Zudem haben wir uns für ein wirksames Monitoring dieser Maßnahmen ausgesprochen.
Leider ist es in dieser Legislaturperiode - anders als
noch in der 15. Wahlperiode - nicht gelungen, einen fraktionsübergreifenden Antrag einzubringen. Seitens der
FDP hatte ich wiederholt die Bereitschaft dazu bekundet.
Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen
den Grünen sowie der sogenannten Großen Koalition.
Wenn man die Genese des Antrags der Grünen kennt,
dann war das allerdings absehbar. Im Vorfeld einer
Kundgebung für den Delfinschutz am 9. Mai 2008 waren
alle Fraktionen gefragt worden, ob sie ein generelles und
absolutes Importverbot für Delfine, das keinerlei Ausnahmen zulässt, unterstützen würden. Alle Fraktionen hatten
sich geäußert, nur die Koalition nicht. Die Grünen brachten damals den Antrag ein, über den wir heute abstimmen. In einer SPD-Pressemitteilung vom gleichen Tag
hieß es, der Antrag der Grünen sei „überflüssig und hinfällig“.
Unabhängig vom konkreten Inhalt des Antrags der
Grünen stellt sich mir die Frage der Glaubwürdigkeit.
Warum haben die Grünen die Forderungen nicht während ihrer Regierungsbeteiligung durchgesetzt? Laut
Zu Protokoll gegebene Reden
Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage
von mir ({1}) hat
das Bundesamt für Naturschutz, also eine oberste Bundesbehörde im Geschäftsbereich des damaligen grünen
Bundesumweltministers Jürgen Trittin, im Jahr 2000 die
Einfuhr und die spätere Wiederausfuhr von vier Delfinen
genehmigt.
Zwar können wir Ziffer I. des Antrags mittragen, aber
trotz teils richtiger Ansätze kann die FDP die Forderungen der Grünen nicht bzw. nicht komplett unterstützen.
Der Vorschlag der Verlängerung des Jahrs des Delfins
um ein Jahr ist ganz nett. Aus Sicht der FDP sollte der
Schutz der Wale und Delfine jedoch unabhängig von
irgendeinem „Jahr des …“ auf der Agenda stehen. Hier
zeigt sich zudem, dass der Grünen-Antrag veraltet ist,
denn auch das Folgejahr ist vorbei.
Die FDP unterstützt die Forderung nach Ausweisung
von Meeresschutzgebieten. Das haben wir selbst beispielsweise im Antrag „Leitlinien für den internationalen
Arten- und Lebensraumschutz im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt“ ({2}) gefordert. Anstrengungen zur Reduktion von Unterwasserlärm sind ebenso erforderlich.
Das haben wir unter anderem in einer Kleinen Anfrage
zum Schutz der Meeresumwelt beim Bau deutscher Offshore-Windparks ({3})
deutlich gemacht.
Die Unterstützung von welchen Therapieformen auch
immer ist nicht Aufgabe der Bundesregierung. Ebenso
wenig ist es Aufgabe der Bundesregierung, über die Gefahren der Delfintherapie „umfassend zu informieren“.
Ob Delfintherapien in die Leistungspflicht der Krankenversicherungen aufgenommen werden, entscheidet weder
die Bundesregierung noch das Parlament. Derzeit handelt es sich um eine nicht anerkannte Heilmethode, sodass eine Delfintherapie nicht von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird. Laut Bundesregierung sind
Einfuhren von Delfinen für Delfintherapien ohnehin ausgeschlossen. Es ist natürlich richtig, dass aus Sicht des
Arten- und Tierschutzes solche Therapieformen, die ohne
eine Entnahme wild lebender Tiere auskommen, selbstverständlich vorzugswürdig sind.
Der Gesetzentwurf zur Ausweitung des ACCOBAMSAbkommensgebietes wurde vom Deutschen Bundestag im
Übrigen schon im Januar 2006 einstimmig angenommen.
Es ist selbstverständlich und bedürfte aus Sicht der FDP
daher keinerlei Erwähnung, dass sich die Bundesregierung „aktiv gegen die illegale Einfuhr“ von Walen und
Delfinen einsetzt.
Die Forderung der Grünen nach einem generellen
Haltungsverbot für Tiere, die so hohe Ansprüche an Haltung und Pflege stellen, dass sie nur in Zoologischen Gärten oder in wissenschaftlichen Einrichtungen gehalten
werden sollten, ist ein Widerspruch in sich. Denn wenn
diese Tiere in Zoos gehalten werden können, bedarf es
keines generellen ausnahmslosen Haltungsverbots.
Nach Art. 4 Abs. 1 c der EG-Artenschutzverordnung,
die auch in Deutschland unmittelbar gilt, darf eine Einfuhrgenehmigung für Tiere aus Drittländern ohnehin nur
unter der Bedingung erteilt werden, dass sich die zuständige wissenschaftliche Behörde vergewissert hat, dass
„die für ein lebendes Exemplar vorgesehene Unterbringung am Bestimmungsort für dessen Erhaltung und
Pflege angemessen ausgestattet ist“. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage erklärt,
dass die tierschutzrechtlichen Vorgaben in Deutschland
sowie die Bestimmungen der EG-Artenschutzverordnung
eine Haltung von Cetacea-Arten, das heißt auch von Delfinen, nicht grundsätzlich ausschließen.
Dem Antrag der Koalition stimmt die FDP zu. Die Koalition übernimmt viele Aussagen von den Grünen. Das
betrifft das Thema Delfintherapie oder den Einsatz gegen
die illegale Einfuhr von Walen und Delfinen. Insofern gilt
das bereits Gesagte.
Neu ist die Forderung, die Anforderungen an die Haltung von Delfinen anzupassen und das Säugetiergutachten des BMELV, das aus dem Jahr 1996 stammt, regelmäßig zu überarbeiten. Wie sich aus der Antwort der
Bundesregierung auf eine schriftliche Frage ergibt, hält
die Bundesregierung Neuauflagen des Gutachtens in regelmäßigen Zeitabständen „weder ({4}) realisierbar
noch ({5}) fachlich sinnvoll“. Das sieht die FDP ebenso
wie die Koalition anders. Das Säugetiergutachten soll die
Anforderungen aus § 2 des Tierschutzgesetzes konkretisieren. Dazu muss es aber mit dem fortschreitenden Erkenntnisstand über den Artenschutz Schritt halten und
daher regelmäßig überprüft werden.
Artenschutz im Swimmingpool? Delfine gibt es nicht
mehr wie Sand am Meer. So viel vorweg. Die Delfine, die
es noch gibt, leben meistens so: Sie leben in sogenannten
Schulen, also in Gruppen von 20 bis 100 Tieren zusammen. Sie legen zum Teil Hunderte von Kilometern am Tag
zurück und ernähren sich von Fischen, die sie jagen. Delfine sind zudem sehr verspielt.
In Deutschland werden mehr als 1 000 Kleinwale,
überwiegend also Delfine, in Gefangenschaft gehalten
oder zur Schau gestellt. Ihr Leben sieht deutlich anders
aus: Zumeist in unstrukturierten, zu flachen und zu kleinen Betonbecken müssen sie Zuschauer mit ihren Kunststückchen begeistern. Als Belohnung gibt es toten Fisch.
Allein oder in Kleinstgruppen ziehen sie ansonsten stupide im Kreis. Mit artgerechter Haltung hat dies alles
überhaupt nichts zu tun.
Eines der häufigsten Argumente für eine Haltung von
Delfinen in Gefangenschaft ist ihr vermeidlicher Nutzen
in der sogenannten Delfintherapie, ein Nutzen, der bis
heute durch nichts wissenschaftlich belegt, dafür aber widerlegt werden konnte.
Delfine leben in einem der gefährdetsten Lebensräume
der Erde - im Meer. Das Meer spielte in der Politik fast
immer nur eine Rolle als unerschöpfliche Ressource für
Lebensmittel. Erst jetzt, wo der Kollaps der meisten
Meere bevorsteht, fällt auf, dass Meere hochkomplexe
Ökosysteme sind, von denen wir Menschen abhängen.
Die meisten Delfine sind inzwischen gefährdet, auch die
in den Flüssen, wie der Amazonas-Delfin. Manche stehen
Zu Protokoll gegebene Reden
kurz vor der Ausrottung, etwa der Irawadi-Delfin. Schuld
daran ist nicht nur der irrsinnige Fischfang nach allen
Regeln der Naturausbeutung. Dem Irawadi-Delfin werden zum Beispiel Wasserstaudämme, Flussregulierungsmaßnahmen, illegale Fischfangmethoden und die Wasserverschmutzung zum Verhängnis.
Grundsätzliche Ursachen für die Gefährdung der Delfine sind die Lärmverschmutzung, der Nahrungsmangel
durch Überfischung, der Lebendtierfang, der Tod durch
Beifang und die Verschmutzung ihrer Lebensräume. In den
Gehirnen der Meeressäuger wurden mehr als 170 verschiedene chemische Substanzen gefunden, darunter
polychlorierte Biphenyle ({0}), bromierte Flammschutzmittel und Pestizide wie DDT. Heutzutage ist lebensmüde, wer Walfleisch zu sich nimmt.
Dort ist soviel Quecksilber drin, dass die eigene Gesundheit damit aufs Spiel gesetzt wird.
Wenn ein Ökosystem vor der Zerstörung steht, werden
die Folgen erst spät, meistens zu spät sichtbar. Hier zeigen sich Abhängigkeiten in der Nahrungskette. Zur Verdeutlichung: Der Delphin frisst Heringe. Der Mensch tut
das auch. Gibt es keine Heringe mehr, bekommen auch
die Delfine Probleme. Wenngleich es beispielsweise dem
Nordseehering inzwischen wieder besser geht, ist der
Ostseehering weiterhin stark überfischt. Die meisten
Menschen berührt der Verlust der Heringe weniger. Delfine hingegen wecken Emotionen. Wer würde schon eine
Kampagne zum Erhalt der Heringe unterstützen? Aber
Delfine haben eine Lobby - wenngleich noch immer eine
zu kleine.
Was heißt das für die Politik, was heißt das für uns?
Wenn wir uns für den Schutz der Delfine stark machen,
müssen wir zwangsläufig ihren Lebensraum schützen.
Der Schutz des Lebensraums bedeutet aber zugleich, dass
wir all die anderen gefährdeten Meeresbewohner auch
schützen. Artenschutz ist also immer auch Biotopschutz
und umgekehrt - eine mehrfache Dividende vernünftigen
Handelns im Sinne der Umwelt.
Das Sterben der Delfine ist die Spitze eines Eisberges.
Machen wir uns stark für den Erhalt dieser Tiere und
wehren wir uns gegen ihren Missbrauch als Belustigungsobjekt oder angebliches Therapiewunder. Setzen
wir uns dafür ein, den unwiederbringlichen Reichtum unserer Meere und Gewässer zu schützen. Setzen wir uns
dafür ein, den Delfin als symbolträchtiges Tier für einen
umfassenden Natur- und Artenschutz zu schützen. Überdenken wir die Folgen für Delfine beim Einsatz militärischer Sonare, beim Bau der Fehmarnbelt-Querung, bei
der Suche nach Erdgas auf der Doggerbank, bei der
Müllentsorgung auf den Weltmeeren. Unterstützen wir
deshalb den Antrag der Grünen, und noch mehr - machen
wir endlich Nägel mit Köpfen, bevor es zu spät ist.
Delfine sind aus vielfältigen Ursachen in ihrem Bestand weltweit bedroht und gehören daher zu Recht zu
den besonders geschützten Meeressäugetieren. Durch
Meeresverschmutzung, Überfischung und Klimawandel
verlieren sie Lebensräume. Darüber hinaus sterben jährlich etwa 300 000 Wale und Delfine als Beifang in Fischereinetzen und werden zudem auch noch gezielt gejagt, um
lebende Tiere zu bekommen.
Diesen Wildfang von lebenden Delfinen erachtet der
Aktionsplan für Wale und Delfine 2002-2010 der Weltnaturschutzorganisation IUCN als eine potenzielle Bedrohung für das Überleben der wild lebenden Kleinwalpopulationen, und es gilt zu klären, wie man diesem
Wildfang begegnen kann.
Die erhöhte Nachfrage nach Delfinen ist unter anderem auch durch die noch immer betriebenen Delfinarien
zu erklären. Nachdem in den 1990er-Jahren die Mehrzahl
der Delfinarien in Deutschland bereits geschlossen
wurde, nahm das Interesse an ihnen seit dem Aufkommen
der sogenannten Delfintherapie wieder zu. Bis heute
konnten jedoch die therapeutischen Erfolge nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Im Gegenteil wird darauf verwiesen, dass Therapien mit domestizierten Tieren, welche wesentlich kostengünstiger und zudem
artgerechter durchführbar sind. Delfintherapien werden
daher auch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss
anerkannt.
Die Dachorganisation der Mensch-Tier-Organisationen, IAHAIO, hat auf ihrem Weltkongress in Prag bereits
1998 eine Deklaration verabschiedet, wonach tiergestützte Therapien nur unter eng umschriebenen Rahmenbedingungen stattfinden sollen. Der Schutz der Tiere vor
Übernutzung muss dabei ebenso sichergestellt werden
wie die Sicherheit der Patienten. Nachdrücklich spricht
sich die IAHAIO gegen den Missbrauch von Wildtieren
- namentlich von Delfinen - zu sogenannten therapeutischen Zwecken aus.
Da Delfine hohe Anforderungen an Unterbringung,
Fütterung und Beschäftigung stellen, sind diese intelligenten Meeressäuger in Gefangenschaft besonders
schwer zu halten und leiden unter den Bedingungen der
Gefangenschaft. Die Einrichtung der Gehege und Becken
ist nicht an den Bewegungs-, Ruhe-, Schutz- und Ernährungsbedürfnissen sowie an den sonstigen essenziellen
Verhaltensweisen der Tiere ausgerichtet. Dies ist überhaupt nicht möglich, da Delfine in Freiheit sehr weite
Strecken schwimmen, täglich mehrfach in große Tiefen
tauchen und sich über Echolot orientieren. Nachzuchten
in Gefangenschaft gelingen daher so gut wie nie. Demzufolge müssen Delfinarien ihren „Bestand“ immer wieder
durch Wildfänge „ergänzen“, was allen Artenschutzvorgaben widerspricht.
Bündnis 90/Die Grünen fordern daher in ihrem Antrag
„Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich beenden“ - Drucksache 16/9102 - die Bundesregierung unter
anderem auf, Delfine und ihre Lebensräume verstärkt zu
schützen, engagiert gegen den Lebendfang zu kämpfen,
sich öffentlich gegen die Haltung von Delfinen in Gefangenschaft auszusprechen, sich auf europäischer und internationaler Ebene aktiv gegen die illegale Einfuhr von
in freier Wildbahn gefangenen Delfinen und Walen einzusetzen, die Einfuhr von Delfinen nach Deutschland sowie
den Handel mit Delfinen zu verbieten, die Haltung von
Delfinen in Gefangenschaft - mit entsprechenden Übergangsregelungen - zu verbieten.
Zu Protokoll gegebene Reden
Undine Kurth ({0})
Hintergrund unseres Antrags ist auch die Tatsache,
dass immer noch viele Tiere aus Wildfängen illegal nach
Europa eingeführt werden. Der Zustand zahlreicher Populationen von Großen Tümmlern und Weißwalen, insbesondere jener, die vom Lebendfang für Delfinarien betroffen sind, ist bedenklich und ihre Erhaltung gefährdet. Die
Neuerrichtung von Delfinarien und die dadurch notwendige Versorgung der Anlagen mit „frischen“ Delfinen
und Walen erhöhen den Druck auf weitere Einfuhren wild
gefangener Tiere.
Zu dem von der großen Koalition vorgelegten Antrag
„Delfinschutz voranbringen“ - Drucksache 16/12868 ist zu sagen: Wir freuen uns, dass sich die Koalition tatsächlich noch dieses Themas angenommen hat, nachdem
in monatelangen Verhandlungen leider kein fraktionsübergreifender Antrag zustande kommen konnte. Doch
leider geht der Koalitionsantrag in seinen Zielen und
Forderungen definitiv nicht weit genug, um die Gefangenschaft von Delfinen zu beenden und für die derzeit
noch in Deutschland befindlichen Delfine die Haltungsbedingungen deutlich zu verbessern.
So fordert die Koalition in ihrem Antrag lediglich die
Stärkung bestehenden Rechts und den Einsatz gegen die
illegale Einfuhr von in freier Wildbahn gefangener Delfine - das ist zwar richtig und gut, aber nichts Neues und außerdem - und diesen Vorstoß begrüßen wir prinzipiell - die Anpassung der Haltungsanforderungen für
Delfine im Rahmen des Säugetiergutachtens. Positiv ist,
dass das bearbeitende Expertengremium paritätisch mit
Fachkräften der Zoobranche, Tierschutzorganisationen
und unabhängigen Gutachtern besetzt sein soll.
Inwiefern die Umsetzung der Forderungen des Antrages tatsächlich den Delfinschutz und die Haltung der Delfine in Deutschland verbessern kann und ob die Große
Koalition tatsächlich Wort hält und ihre eigenen Forderungen umsetzt, bleibt dahingestellt. Zu einer Beendigung der Haltung von Delfinen in Deutschland - die wir
fordern - wird er jedoch nicht führen. Um jedoch ein
Signal zu setzen, lehnen wir Ihren Antrag nicht ab, sondern enthalten uns.
Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/13203.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12868
mit dem Titel „Delfinschutz voranbringen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9102 mit dem Titel „Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich beenden“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Ekin
Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Diskriminierende Altersgrenzen im Bereich
des bürgerschaftlichen Engagements aufheben
- Drucksachen 16/9630, 16/12985 Berichterstattung:
Abgeordneten Markus Grübel
Sibylle Laurischk
Britta Haßelmann
Auch hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen
ihre Reden zu Protokoll gegeben: Markus Grübel,
Sönke Rix, Angelika Graf, Sibylle Laurischk, Elke
Reinke und Britta Haßelmann.
Wir unterhalten uns heute über einen sehr kurzen Antrag der Oppositionsfraktion Bündnis 90/Die Grünen,
der lediglich zwei Seiten umfasst, der aber dennoch ein
wichtiges und spannendes Thema, nämlich die Altersgrenzen, thematisiert. Ich möchte aber darauf verweisen,
das wir bereits in erster Lesung ausführlich das Thema
diskutiert haben. Es haben sich zwischenzeitlich keine
neuen Sachstände bzw. Erkenntnisse ergeben. Im Ausschuss wurden die bereits bekannten Argumente ausgetauscht, ohne dass mich die Argumentation von Bündnis 90/Die Grünen überzeugen konnte. Ich verweise daher auf meine ausführliche Rede vom 25. September 2009
zu dem Thema und möchte meine Ausführungen kurzhalten.
Nach wie vor gibt es keinen vollständigen Überblick
über die in Gesetzen oder anderen Bestimmungen festgeschriebenen Altersgrenzen im Bereich des ehrenamtlichen Engagements. Die bisher zum Thema „Altersgrenzen“ vorliegenden Untersuchungen sind entweder nicht
mehr aktuell oder erfassen nur einen Teilaspekt des Problems.
Im Bereich der Jugendfreiwilligendienste sind Altersgrenzen enthalten. So sieht das Jugendfreiwilligendienstegesetz für das Freiwillige Ökologische Jahr ({0})
und das Freiwillige Soziale Jahr ({1}) eine Altersbegrenzung für junge Frauen und Männer zwischen 15 Jahren
und 27 Jahren vor. Über die Altersbegrenzung definiert
sich unter anderem der Sinn und Zweck eines FSJ/FÖJ.
Ergänzend hat das BMFSFJ ein Gutachten zum Thema
„Altersgrenzen und gesellschaftliche Teilhabe“ vergeben. Das Gutachten soll im Lichte der Regelungen des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ({2}) eine Be24724
standsaufnahme der in Deutschland bestehenden Altersgrenzen, der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung sowie eine Beschreibung der dahinter stehenden
Gründe und Motive enthalten. Der Entwurf des Gutachtens liegt inzwischen vor. Leider sind mir die genauen Inhalte noch nicht bekannt, sodass es an dieser Stelle keinen
Sinn macht, über nichtöffentliche und unbekannte Dokumente zu dozieren. Wir werden uns zum gegebenen Zeitpunkt noch intensiv mit diesem Gutachten beschäftigen,
da bin ich mir sicher.
Zur Frage der bestehenden oberen Altersgrenze bei
Schöffinnen und Schöffen hat die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion
der FDP „Seniorinnen und Senioren in Deutschland“
({3}) ausführlich Stellung genommen.
Die in § 33 Nr. 2 GVG festgelegte Höchstaltersgrenze,
wonach das Schöffenamt bis in das 70. Lebensjahr hinein
ausgeübt werden kann, ist sachgerecht. Sie gewährleistet
einerseits die Einbindung älterer Mitbürger mit ihrer Erfahrung und ihrem oftmals großen ehrenamtlichen Engagement in dieses Amt und wird andererseits den Interessen der Strafrechtspflege gerecht. Das Schöffenamt ist ein
nicht nur geistig, sondern auch körperlich sehr forderndes Ehrenamt. Mehrtägige und mehrwöchige Hauptverhandlungen sind insbesondere in Großverfahren heute
keine Seltenheit mehr. Hier wird die körperliche Belastbarkeit der Schöffen, ihre Aufnahme- und Merkfähigkeit
erheblich gefordert, da die Schöffinnen und Schöffen
ohne Kenntnis des Akteninhalts lediglich aufgrund des
Ergebnisses der Hauptverhandlung ihre Stimme gleichberechtigt mit den Berufsrichtern in der Beratung abgeben. Wenn ein Schöffe länger erkrankt, als die Hauptverhandlung unterbrochen werden darf, muss die
Hauptverhandlung neu beginnen. Eine solche Situation
muss schon aus prozessökonomischen Gründen vermieden werden.
Die Unionsfraktion legt grundsätzlich Wert darauf,
dass im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements
eine Offenheit für alle Generationen gewährleistet ist. So
wurde beispielsweise ergänzend zum Freiwilligen Sozialen und Ökologischen Jahr ab dem 1. Januar 2009 der
Freiwilligendienst aller Generationen eingeführt, der
Menschen aller Altersgruppen offen steht. Unter dem
Leitmotiv „Engagement schlägt Brücken“ stärkt das Projekt ehrenamtliches Engagement. Der Dienst fördert die
Kommunikation sowie das Miteinander der Generationen, unterstützt den Aufbau einer Engagementkultur und
eröffnet neuen Zielgruppen den Zugang zu freiwilligem
Engagement. Dabei stehen den Freiwilligen alle Themenfelder offen: von Gesundheit und Pflege, Bildung, Kultur
und Sport bis hin zu Technik und Familienassistenz. Ein
Schwerpunkt liegt auf der Ansprache älterer Menschen.
Hier soll in besonderem Maße das Erfahrungswissen Älterer eingebunden werden. Alle interessierten Bürgerinnen und Bürger sind angesprochen. Ausgrenzungen über
Alter, Herkunft erfolgen nicht.
Das AGG ist im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements nicht einschlägig, da freiwilliges Engagement
keine entgeltliche Leistungserbringung darstellt und damit nicht dem Bereich der Arbeitsverhältnisse zugeordnet
werden kann. Ein Verstoß gegen das AGG kann somit
auch nicht in Betracht kommen.
Das zuständige BMFSFJ ist beim Thema Partizipation
für ältere Menschen durch freiwilliges Engagement seit
vielen Jahren aktiv. Seine diesbezüglichen erfolgreichen
Modellprogramme - wie auch das Programm „Aktiv im
Alter“ - setzen allerdings auf Freiwilligkeit, bei Kommunen wie auch bei den älteren Engagierten. Nachhaltige
Strukturen können nur dann entstehen, wenn sich die
Menschen in eigener Entscheidung der gesellschaftlichen
Notwendigkeiten annehmen. Es ist Aufgabe von Kommunen und Ländern, die notwendigen Strukturen für ein solches freiwilliges Engagement individuell vor Ort zu
schaffen. Der Bund steht hier nicht prioritär in der
Pflicht.
Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass auch die
Familien- und Seniorenpolitiker der Unionsfraktion
durchaus Diskussions- bzw. Änderungsbedarf bei den Altergrenzen sehen. Für eine ganze Reihe von Berufen und
öffentlichen Tätigkeiten gibt es gesetzlich normierte oder
tarifrechtliche Altersgrenzen. Diese Altersgrenzen sind
aber zum Teil unzeitgemäß und diskriminierend. Die Arbeitsgruppe Familie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
hält es für notwendig, die starren Altersgrenzen zu überprüfen. Dies ergibt sich nicht nur aufgrund der ökonomischen Notwendigkeit durch den Bevölkerungsschwund,
sondern ist auch der Tatsache geschuldet, dass in vielen
Staaten das Verbot, Menschen allein aufgrund ihres Lebensalters zu benachteiligen, bereits Verfassungsrang genießt. Zudem stellt das Europarecht bindende Vorgaben
zum Verbot der Altersdiskriminierung auf. Ich hoffe sehr,
dass uns das lang ersehnte Gutachten in dieser Frage
weiterbringt.
Ich freue mich darüber, dass wir hier im Deutschen
Bundestag über Alter und Altern reden und auch die Altersdiskriminierung zum Gegenstand der Diskussionen
machen. Denn es ist und war Ziel des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes, AGG, für eine Antidiskriminierungskultur in Deutschland zu sensibilisieren. Und
der Deutsche Bundestag muss hier Vorreiter sein und auf
Stimmungen und neue Entwicklungen im Land eingehen.
Zu Recht mahnen die Grünen eine überdenkenswerte
Regelung im Gerichtsverfassungsgesetz, GVG, an, wonach Personen ab dem 70. Lebensjahr das Ehrenamt des
Schöffen nicht mehr ausüben sollen. Wir sollten in der Tat
überlegen, ob die eine oder andere Altersgrenze in einer
Unmenge von Gesetzen und Verordnungen tatsächlich ihren Sinn erfüllt. Die Lebenserwartung der Menschen
steigt Jahr für Jahr, das muss auch dazu führen, dass bisherige Altersgrenzen generell überprüft werden. Daher
begrüßen die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Vergabe eines Gutachtens durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sehr.
Auf der Grundlage dieses Gutachtens müssen meiner Ansicht nach sämtliche Altersgrenzen überprüft werden und
Möglichkeiten auf dem Feld des Ehrenamts ausgeschöpft
werden, damit Ältere an der Gesellschaft besser partizipieren können. Und ich bin daher auch immer wieder
Zu Protokoll gegebene Reden
Angelika Graf ({0})
froh, dass es uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gelungen ist, das Gleichbehandlungsgesetz um das
Merkmal Alter im zivilrechtlichen Teil gegen den Willen
der Union zu erweitern, womit wir einen Beitrag dafür
geleistet haben, dass viele möglicherweise veraltete Regelungen auf den Prüfstand kommen.
Die Regelungen bei den Schöffen ist aber kein Bestandteil der Rechtsmaterie des AGG. Der Antrag basiert
auf dem AGG, auch wenn es nicht explizit genannt wird,
und deshalb hätte ich mir in ihrem Antrag mehr Klarheit
gewünscht. Sie haben bereits in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage Ihrerseits die Antwort erhalten, dass das AGG im Hinblick auf das Schöffenamt nicht angewendet werden kann, weil es sich weder
um eine Erwerbstätigkeit handelt noch ein zivilrechtliches Schuldverhältnis begründet wird. Und auch wenn
Sie dies verstanden haben, dann bleibt die Frage, ob das
Beispiel des Schöffenamtes ein gutes Beispiel ist, das für
einen Antrag zitiert werden sollte. Denn bei dieser Regelung handelt es sich um eine Soll-Regelung, und der Gesetzgeber hat hier bereits den Zuständigen einen Ermessensspielraum eingeräumt, den ich mir im Übrigen auch
für andere Regelungen wünschen würde. Zudem ist die
Periode für ein Schöffenamt erst auf fünf Jahre verlängert
worden, weshalb also auch 75-Jährige noch das Schöffenamt bekleiden dürfen.
Wir sind als Gesetzgeber natürlich angehalten, altersdiskriminierende Regelungen auf den Prüfstand zu stellen, und insbesondere im bürgerschaftlichen Engagement
haben diese nichts zu suchen! Damit leisten wir vielleicht
auch einen Beitrag dafür, dass Jungpolitiker der Union
nicht für Altersgrenzen im Wahlrecht für Ältere plädieren,
wie das in der Vergangenheit auch schon geschehen ist.
Doch möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir mit
dem AGG ein Gesetz verabschiedet haben, das viele Bürgerinnen und Bürger ermächtigt, sich gegen Altersdiskriminierung zu wehren. Es zeigt bereits Wirkung - ohne
dass es zu einer Prozessflut gekommen ist. Ein Viertel der
Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
betreffen das Merkmal Alter. Das zeigt, liebe Kollegen
von der Union, nicht nur, dass es richtig war, Alter als
Merkmal ins Gesetz aufzunehmen, es zeigt, dass Alter
eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz hat.
Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, das die
Menschen beschäftigt. Auch in einer mir vorliegenden
Rechtsprechungsübersicht zum AGG des BMFSFJ ist Alter offenbar das Merkmal des AGG, das die Gerichte am
meisten beschäftigt. Zwar halten sich die Prozesse insgesamt in Grenzen, doch wir haben es bereits mit interessanten gerichtlichen Auseinandersetzungen zu tun, die
für mehr Sensibilisierung in diesem Feld sorgen und Gesetzgeber, aber auch die Tarifpartner zu mehr Fingerspitzengefühl gegenüber älteren Menschen zwingen. Die Gerichte wiesen in diesen ersten Urteilen explizit und zu
Recht darauf hin, dass Altersgrenzen gut begründet werden müssen. Ich habe hier Vertrauen in den deutschen
Rechtsstaat, dass auch Altersgrenzen zukünftig stärker
unter die Lupe geraten und mögliche Begrenzungen besser begründet werden bzw. uns als Gesetzgeber zu Recht
beschäftigen werden.
Es freut mich, dass die Bundesregierung in einer Antwort auf die bereits genannte Kleine Anfrage zum selben
Thema explizit festgestellt hat, dass bei sämtlichen
Programmen des Bundes auf die Offenheit für alle Altersgruppen geachtet wird. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass Programme und Projekte der Bundesregierung, die das bürgerschaftlichen Engagement
betreffen, keine Diskriminierungen älterer Menschen
vornehmen. Da mir auch keine Fälle zumindest aus unserem Ministerium bekannt sind, halte ich auch deshalb Ihren Antrag für überflüssig und wir lehnen ihn deshalb ab.
Zum zweiten Mal sprechen wir heute über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Diskriminierende
Altersgrenzen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements aufheben“.
Mit Ihrem Antrag sprechen Sie durchaus wichtige
Punkte an, und ich freue mich, dass das Thema bürgerschaftliches Engagement auch durch unsere parlamentarischen Beratungen immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Klar ist: Die bisher bestehenden Altersgrenzen im bürgerschaftlichen Engagement müssen überprüft werden.
Allein die höhere Lebenserwartung und die Erhöhung des
Renteneintrittsalters machen bzw. machten diese Überprüfung notwendig. Denn: In meinem ersten Beitrag im
September des vergangenen Jahres habe ich bereits erwähnt, dass die Bundesregierung ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, um einen umfassenden Überblick über
die Altersgrenzen zu erhalten, die auch untergesetzlich in
Vereinen und Verbänden bestehen. Dieses Gutachten wird
in Kürze vorgelegt. Einige Erkenntnisse wurden mir bereits mitgeteilt. So stellt das Gutachten fest, dass es im
Wesentlichen zwei Arten von Altersgrenzen gibt: Altersgrenzen für ehrenamtliche Tätigkeiten, zum Beispiel für
die Ausübung bestimmter Funktionen in einem Verein
({0}); Altersgrenzen für bürgerschaftliches Engagement, in dem es direkt um Personen geht, so
zum Beispiel in der Telefonseelsorge oder bei der sozialen
Betreuung von kranken, alten und pflegebedürftigen
Menschen.
Im ersten Bereich, also da, wo es um die Wählbarkeit
in bestimmte Funktionen geht, wird häufig das 70. Lebensjahr als Altersgrenze festgelegt. Bei den sozial engagierten Tätigkeiten gibt es je nach Tätigkeitsfeld unterschiedliche Altersgrenzen. Bei der Telefonseelsorge darf
man zum Beispiel bis zum 60. Lebensjahr tätig sein, während diejenigen, die ehrenamtlich Patienten in Krankenhäusern besuchen ({1}), sich teilweise bis zum 80. Lebensjahr engagieren.
Diese Regelungen, die sich je nach Tätigkeitsfeld aus der
Praxis ergeben haben, halte ich für nachvollziehbar. Ich
kann mir vorstellen, dass die Anforderungen an diese
Engagementformen und die Belastungen hoch sind. Somit
eignen sie sich dann, wenn die Belastbarkeit nachlässt
- und das ist bei älteren Personen zwangsläufig der Fall -,
nicht mehr als Tätigkeit. Außerdem begegnet man damit
einem wichtigen Problem: Häufig wissen VereinsmitglieZu Protokoll gegebene Reden
der nicht, wie sie verdienten und lang engagierten Personen zu verstehen geben können, dass sie sie für nicht mehr
belastbar und deshalb nicht für wählbar bzw. einsetzbar
halten. Außerdem - und das halte ich für einen wichtigen
Punkt -: Die Altersgrenzen wurden dem Gutachten zufolge nicht willkürlich festgelegt, sondern ihnen liegen
die Erfahrungen aus der Praxis zugrunde, und sie berücksichtigen auch die unterschiedlichen Anforderungen
in den unterschiedlichen Bereichen.
Ich finde: Es bestehen in den bekannten Fällen gerechtfertigte Altersdifferenzierungen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, was uns aber nicht davon
abhalten sollte, dieses Thema weiter im Blick zu behalten.
Schließlich wandelt sich Gesellschaft und so sollte sich
auch die Möglichkeit zum Engagement wandeln. Auch
Personen, die für das eine oder andere Tätigkeitsfeld
nicht mehr geeignet sind, sollten die Möglichkeit bekommen, ein anderes Engagement aufzunehmen, was zu ihnen, ihren Fähigkeiten und ihren Interessen passt. Der
Leitgedanke einer idealen generationsübergreifenden
Engagementpolitik sollte meiner Vorstellung nach lauten: Wer will, der darf. Oder besser noch: Wer will, der
soll können. Und es gibt viele Ältere, die wollen und können.
Das haben wir auch schon im Verlauf der aktuellen Legislaturperiode erkannt: Im letzten Jahr ist das Programm
„Generationenübergreifende Freiwilligendienste“ ausgelaufen. Hier hatten Menschen aller Generationen die
Möglichkeit, sich zu engagieren, und das in einem geregelten Rahmen ({2}).
Die Erfolge dieses Projektes wurden aufgegriffen. Das
neue Programm „Freiwilligendienste aller Generationen“, das zum 1. Januar 2009 gestartet ist, gewährleistet
Qualitätsstandards, Qualifizierungsmöglichkeiten, Verbindlichkeit und passgenaue Angebote für Freiwillige,
egal wie alt sie sind oder woher sie kommen.
Sie sprechen jedoch noch einen anderen Punkt an, den
ich für durchaus bedenkenswert halte, und zwar die Altersgrenzen bei Schöffinnen und Schöffen. Eine Abschaffung dieser Altersgrenzen ist durchaus eine Überlegung
wert! Schließlich - und da argumentieren Sie ganz richtig ist der Ausschluss von Personen aus gesundheitlichen
Gründen schon im Gerichtsverfassungsgesetz ({3}) begründet. Den Personen, also, die Mitglieder des Gemeinderates oder der Ratsversammlung, die die Schöffinnen
und Schöffen berufen, sollte die Kompetenz zugetraut und
die Verantwortung übergeben werden, völlig losgelöst
von Alter, Geschlecht, Berufsstand etc. zu entscheiden,
wer für ein solches Amt infrage kommt und auf die Vorschlagliste gesetzt wird. Nebenbei bemerkt: Für Politiker
und andere Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft
gibt es auch keine Altersgrenzen. Und warum sollte ein
Abgeordneter oder eine Abgeordnete noch lange nach
dem 70. Geburtstag im Bundestag sitzen, ein Schöffe oder
eine Schöffin aber gleichzeitig nicht?
Ich danke Ihnen für diesen Antrag, denn eine Diskussion um die Altersgrenzen im bürgerschaftlichen Engagement war und ist sinnvoll. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und das Gutachten in Auftrag gegeben. Die
Bundesregierung arbeitet also schon an Ihrem Anliegen.
Wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab.
Unser Begriff vom Alter hat sich in den vergangenen
Jahrhunderten und Jahrzehnten stark gewandelt und
wird sich weiterhin wandeln. Dies hängt vor allem mit
dem Gesundheitszustand zusammen, oder, salopp und
modern ausgedrückt, es hängt davon ab, wie fit man ist.
Wir werden - häufiger als heute - 70-Jährige erleben, die
noch voll die beruflichen Herausforderungen meistern
können, aber auch diejenigen, die „wirklich nicht mehr
können“. Notwendig sind daher vor allen Dingen ein
Mentalitätswechsel und ein verändertes Altersbild von
Wirtschaft und Gesellschaft.
Ich möchte kritisch anmerken, dass unsere Kultur die
„Kräfte“ des Alters noch nicht ausreichend erkannt hat
und in weiten Teilen ungenutzt lässt. Wenn heute auf gesellschaftlicher Ebene über Alter gesprochen wird, dann
stehen die Belastungen im Vordergrund, aber nicht die
möglichen Gewinne. Eine altenfreundliche Kultur, in der
Ältere ihre Fähigkeiten in gleicher Weise einbringen können wie jüngere Menschen, hat sich in unserem Land
noch nicht wirklich ausbilden können. Die Tatsache, dass
Menschen ab einem bestimmten Lebensalter als „alt“
wahrgenommen werden, ist vor allem Folge gesellschaftlicher Konvention. Die langjährige Praxis, Menschen immer früher aus gesellschaftlichen Funktions- und Verantwortungsbereichen auszugliedern, insbesondere in der
Arbeitswelt, ist nicht mehr zeitgemäß. Tatsächlich war sie
es nie, hat aber meines Erachtens entscheidend dazu beigetragen, dass das gesellschaftliche Altenbild sich immer
weiter vom realen Altersbild entfernte. Das heutige gesellschaftliche Altersbild ist von Stereotypen und negativen
Vorurteilen gegenüber dem Alter und älteren Menschen
bestimmt. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Ressourcen des Alters werden nicht erkannt. Gerade das
höhere Lebensalter geht vielfach mit einem Zuwachs an
Wissen, Erfahrungen und Handlungskompetenz einher.
Wir können es uns nicht leisten, das Wissen ganzer Generationen brachliegen zu lassen. Gesellschaftliche und
wirtschaftliche Aufgaben können in Zukunft nur dann bewältigt werden, wenn die Beteiligung auch Älterer erfolgt. Vorausgesetzt, die „Bedingungen stimmen“, ist zu
erwarten, dass ein Teil der „Älteren von heute“ und insbesondere der „Älteren von morgen“ länger aktiv zu sein
als Gewinn betrachten, zumindest, wenn dies nicht mit
den starren Altersgrenzen von heute verbunden ist. Eine
Gesellschaft des langen Lebens, in der es zunehmend
mehr Ältere und Alte gibt, ist kein Schreckgespenst. Mit
klaren Perspektiven können wir diese Entwicklung meistern. Wir brauchen eine konkrete Vision für die Nutzung
des Lebensabschnitts der gewonnenen Jahre. Der gesellschaftliche Umgang mit Alter bedeutet heute, dass ältere
Menschen noch viel zu wenig als aktive, mitverantwortlich handelnde Bürger angesprochen werden, die durch
ihr Engagement und durch ihre Lebenserfahrung viel zur
Bürgergesellschaft beitragen können. Die zahlreichen
Jahre nach Ausscheiden aus dem Beruf selbstverantwortlich und aktiv zu gestalten und dabei auch nach Möglichkeiten zu suchen, wie man sich für die Gesellschaft engagieren kann, ist eine bedeutende Lebensaufgabe im Alter.
Ich möchte hier wie bereits in meiner ersten Rede zu
diesem Antrag ausdrücklich betonen, dass wir das
Grundanliegen des vorliegenden Antrages der Fraktion
der Grünen für sehr unterstützenswert halten. GleichzeiZu Protokoll gegebene Reden
tig ist aber festzustellen, dass der Hauptpunkt Ihres Antrages, nämlich der erste Punkt Ihres Forderungskataloges, „sämtliche Gesetze und sonstige Vorschriften des
Bundes dahin gehend zu überprüfen, ob diskriminierende
Altersgrenzen bestehen, und diese ggf. zu ändern bzw. Änderungsentwürfe vorzulegen“ von der Bundesregierung
zumindest angegangen wurde - und dies bereits erheblich
vor der Einbringung Ihres Antrags in den Deutschen
Bundestag am 18. Juni 2008.
Das zu erstellende Gutachten zum Thema Altersgrenzen und gesellschaftliche Teilhabe wurde in Auftrag gegeben und wird bald vorliegen. Dieses Gutachten soll eine
Bestandsaufnahme der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Altersgrenzen enthalten, die ein Ausschlusskriterium für gesellschaftlich relevante Tätigkeiten älterer Menschen darstellen könnten. Dabei sollen
nicht nur gesetzliche bzw. rechtlich festgelegte Altersgrenzen erfasst werden, sondern auch untergesetzliche
„weiche“ Altersgrenzen, die geeignet sind, älteren Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft - auch im Hinblick
auf freiwilliges und bürgerliches Engagement in der Zivilgesellschaft - zu verwehren. Erste Eindrücke dieses
Gutachtens wurden uns bereits im Ausschuss präsentiert.
Ich muss gestehen, dass ich diesen Vortrag sehr ernüchternd fand und hoffe, dass sich dieser Eindruck bei genauer Lektüre des Gutachtens nicht bestätigt.
Die FDP tritt konsequent dafür ein, das gesellschaftliche Altenbild zu entstauben und den Realitäten anzupassen. Die Seniorenpolitik hat nach unserem Verständnis
die Aufgabe, dieses neue Leitbild des Alters voranzutreiben. Hierzu gehört auch die Überprüfung aller Altersgrenzen. Nicht nur diejenigen des bürgerschaftlichen Engagements, sondern generell alle Altersgrenzen, auch
diejenigen zur Ausübung bestimmter Berufe, müssen kritisch hinterfragt und überprüft werden. Ich bin sicher,
dass sich der überwiegende Teil dieser Altersgrenzen als
verzichtbar erweisen wird. Unsere Kritik am vorliegenden Antrag ist, dass er nicht weit genug geht und alle Altersgrenzen auf den Prüfstand stellt. Trotzdem stimmen
wir zu, da es richtig ist, das Altenbild zu revidieren, Altersgrenzen einzureißen und das bürgerschaftliche Engagement zu stärken.
Ich hoffe, wir alle sind uns in einem Punkt einig: Alle
Menschen brauchen unabhängig von ihrem Lebensalter
Angebote und Räume zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten,
ihres Wissens und ihrer Erfahrungen. Es ist bedauerlich,
dass die Bundesregierung zuerst und fast alleine an bürgerschaftliches Engagement denkt, wenn sie an die Beteiligung älterer Menschen denkt. Wie sieht es aber mit sicheren, altersgerechten Arbeitsplätzen als der anderen
Seite der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus? Wie
sieht es mit einer den Lebensstandard sichernden, armutsfeste Teilhabe ermöglichenden Rente aus? Wann begreifen Sie endlich, dass Rentnerinnen und Rentner in Ost
und West für gleiche Lebensleistung die gleiche Rente bekommen müssen? Hier schauen unsere Seniorinnen und
Senioren allzu oft in die Röhre. Die stark ansteigende Altersarmut ist ein deutliches Zeichen dafür.
Dabei dehnt sich die Phase des aktiven Alters zunehmend aus. Über eine immer größer werdende Zahl von
Jahren bleibt eine eigenverantwortliche Lebensführung
möglich. Die Fraktion Die Linke hebt stets die Fähigkeiten und Kenntnisse der Seniorinnen und Senioren hervor
und möchte sie fördern. Aber ganz wichtig ist uns gleichzeitig, dass diejenigen, die auf Unterstützung angewiesen
sind, nicht ausgegrenzt werden. Denn die Gruppe der
Seniorinnen und Senioren ist ebenso verschiedenartig
wie die anderer Altersphasen. Für die Linke steht fest,
dass sich dies auch im politischen Bereich widerspiegeln
muss. Daher verlangen wir: Ältere Menschen sind in allen sie betreffenden Lebensbereichen als Expertinnen und
Experten in eigener Sache einzubeziehen.
Aber wie sieht im Gegensatz dazu die Realität aus?
Gestiegene Selbstständigkeit und eine längere Aktivitätsphase der älteren Menschen gehen gerade nicht mit gestiegener Selbstbestimmung und Mitwirkung einher. Die
Linke fordert deswegen für ältere Menschen mehr Mitwirkungsrechte und mehr Selbstbestimmung - nicht nur
im Engagementbereich.
Es ist natürlich wichtig, allen älteren Menschen freiwilliges Engagement zu ermöglichen. Deshalb unterstützen wir grundsätzlich das Anliegen, bürgerschaftliches
Engagement für Ältere - aber eben nicht nur für diese attraktiver zu machen und bestehende Einschränkungen
sowie Diskriminierungen abzubauen. Schon jetzt kann
man den vielen älteren Menschen nicht genug Anerkennung zollen für ihr beispielloses, aufopferungsvolles
Engagement.
Aber wir dürfen nicht auf der Stelle stehen bleiben:
Eine verbesserte Infrastruktur und Anerkennungskultur,
regelmäßige Berichterstattung in den Medien, konsequenter Versicherungsschutz, kostenlose Qualifikationsund Fortbildungskurse und auch bessere finanzielle Anerkennung sind neben vielen anderen Dingen dringend
erforderlich.
Dem Antrag der Grünen hinsichtlich diskriminierender Altersgrenzen im Ehrenamt stimmen wir zu, obwohl
der Forderungsteil viel zu allgemein gehalten wurde. Es
werden leider keine konkreten Vorschläge unterbreitet,
wie bessere Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches
Engagement geschaffen werden könnten und welche weiteren Altersgrenzen - Kreditvergabe etc. - überdacht
werden sollten. Die einzige einigermaßen konkrete Forderung im Antrag der Grünen betrifft die Aufhebung der
oberen Altersgrenzen für Schöffinnen und Schöffen. Diesem Anliegen können wir zustimmen. Es wird immer
schwieriger, Engagierte zu finden, die ein Schöffenamt
ausüben möchten. Deshalb genügt es meiner Meinung
nach auch, auf den körperlichen und geistigen Zustand
und nicht auf ein mögliches Höchstalter abzustellen.
Es ist aber schon sehr verwunderlich, dass die Altersgrenze für die Berufung zum Schöffenamt erhalten bleiben soll, die Bundesregierung aber, ohne mit der Wimper
zu zucken, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anhebt.
Wenn es darum geht, ältere Menschen länger arbeiten zu
lassen bzw. de facto ihre Renten zu kürzen, spielen Altersgrenzen nach oben plötzlich keine Rolle mehr. CDU/CSU
und SPD zerschlagen die solidarische Rentenversicherung, treiben die Menschen in die private Vorsorge und
fördern dadurch Altersarmut.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Linke fordert dagegen: Die Rente mit 67 muss zurückgenommen werden. Wir wollen flexible Ausstiegsmöglichkeiten schon vor dem 65. Lebensjahr. Die große
und vorbildliche Bereitschaft der Seniorinnen und Senioren zu freiwilliger ehrenamtlicher Tätigkeit darf alles in
allem nicht dazu missbraucht werden, reguläre, qualifizierte Arbeitsplätze zu ersetzen und sie vom Arbeits- in
den Engagementmarkt zu drängen. Ältere Menschen
brauchen gute Arbeit und gutes Ehrenamt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, bauen Sie nicht nur diskriminierende Altersgrenzen ab, geben Sie unseren Seniorinnen und Senioren auch
mehr Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte! Die
Linke jedenfalls verschließt sich nicht vor Altersweisheit.
Es ist wirklich bedauerlich, dass die Große Koalition
nicht über ihren Schatten springen kann, um unserem An-
trag „Altersgrenzen im Bereich des bürgerschaftlichen
Engagements aufheben“ zuzustimmen. Dabei ist es offen-
sichtlich, dass hier nicht die inhaltliche Auseinanderset-
zung das Votum begründet. Das Bundesseniorenministe-
rium hat ja sogar ein Gutachten in Auftrag gegeben, um
die bestehenden Altersgrenzen zu untersuchen. Auf die
Ergebnisse - die ursprünglich im November vorliegen
sollten - warten wir allerdings noch immer.
Aber übersetzen wir ihre politische Entscheidung, die-
sen Antrag abzulehnen, doch einmal in die gesellschaftli-
che Realität und schauen fünf Jahre in die Zukunft. 2014
ist die zweite Amtszeit des frisch gewählten Bundespräsi-
denten gerade abgelaufen. Auf der Suche nach einer
neuen Beschäftigung wird er eventuell auch das Amt ei-
nes Schöffen in Erwägung ziehen. Warum auch nicht?
Doch leider wird ihm dann der Weg für diese Art des bür-
gerschaftlichen Engagements nicht offen stehen.
Sie schließen die Augen vor einer Gesellschaft, die im-
mer älter wird und immer fitter bleibt. Dabei ist es eigent-
lich nicht zu übersehen: In einer alternden Gesellschaft
müssen wir die Altersgrenzen ganz neu überdenken, si-
cherlich nicht nur im Bereich des bürgerschaftlichen En-
gagments, aber eben auch dort - oder besser: eben genau
dort. Denn in einer Gesellschaft, in der es immer weniger
junge Menschen gibt und immer mehr ältere, brauchen
wir Angebote und Möglichkeiten, auch in der nachberuf-
lichen Phase aktiv an dieser Gesellschaft teilzuhaben.
Partizipation ist das Schlüssel-, ja das Zauberwort für
eine Gesellschaft im demografischen Wandel. Nur wenn
wir es schaffen, auch unsere älteren Bürgerinnen und
Bürger in die Gesellschaft einzubinden, dann ist sie auch
gerecht. Altersgrenzen relativieren sich in einer Gesell-
schaft, in der die ältere Generation zunehmend heteroge-
ner wird. Die Schutzfunktion, die Altersgrenzen für die
Planung des Lebenslaufs entfaltet haben, ist angesichts
der gesellschaftlichen Wandelprozesse in der Form nicht
mehr aktuell. Hier ist die Politik gefragt, neue Wege zu
gehen - auch um dem ursprünglichen Schutzgedanken
wieder gerecht zu werden. Die Antwort auf die zuneh-
mende Heterogenität kann daher nur sein, den Zugang zu
den Angeboten für die gesellschaftliche Teilhabe im Alter
quantitativ und qualitativ zu verbessern.
Es ist daher ein gutes Signal, dass zumindest die Op-
position die Zeichen der Zeit erkannt hat und diesem An-
trag geschlossen zustimmen wird.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12985,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/9630 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 26 a
und 26 b sowie Zusatzpunkt 6:
26 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Transsexuellengesetzes ({0})
- Drucksache 16/13157 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Werner
Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Transsexuellengesetz aufheben - Rechtliche
Gestaltungsmöglichkeiten für Transsexuelle,
Transgender und Intersexuelle schaffen
- Drucksache 16/12893 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({3}), Kai
Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung
der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ({4})
- Drucksache 16/13154 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Helmut Brandt, Gabriele
Fograscher, Gisela Piltz, Dr. Barbara Höll und Irmingard
Schewe-Gerigk.
Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des TranssexuellengesetHelmut Brandt
zes, dem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
27. Mai 2008 vorausgeht.
In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht
festgestellt, dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG mit Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG
nicht vereinbar sei. Im Klartext bedeutet das, es sei verfassungswidrig, für Transsexuelle eine Personenstandsänderung nur unter dem Vorbehalt der Ehelosigkeit des
Betroffenen vorzunehmen. Nach derzeit geltendem Recht
müssen sich verheiratete Transsexuelle erst scheiden lassen, bevor sie von Amts wegen dem anderen Geschlecht
zugeordnet werden können, selbst dann, wenn beide Ehepartner die Fortführung ihrer Ehe wünschen. Nach dem
geltenden Scheidungsrecht müssen sie vor dem Scheidungsrichter lügen, um ihn von der Zerrüttung ihrer Ehe
zu überzeugen. Das ist kein Zustand. Dem müssen wir
entgegenwirken. Wir dürfen nicht zulassen, dass Amtshandlungen zur Farce werden.
Mit diesem Gesetzentwurf entsprechen wir voll und
ganz den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts.
Verheiratete Transsexuelle, die eine Personenstandsänderung anstreben, können nun bei Erfüllung aller sonstigen Kriterien ihre Ehe fortführen, sofern sich beide Partner ausdrücklich damit einverstanden erklären. In der
Konsequenz bedeutet das, dass wir damit einer sehr geringen Anzahl von Menschen die Möglichkeit einer de
facto gleichgeschlechtlichen Ehe eröffnen. Lassen Sie
mich dazu einige Anmerkungen machen.
Erstens - das möchte ich in aller Klarheit sagen -: Der
Wegfall der Ehelosigkeit als Voraussetzung in § 8 Transsexuellgesetz präjudiziert keineswegs die Einführung der
gleichgeschlechtlichen Ehe. Das Prinzip, wonach eine
Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden kann, bleibt durch dieses Gesetz zu Recht unberührt. Wir würden einer Abschaffung dieses Prinzips
auch vehement entgegenwirken.
Es geht in diesem Gesetzentwurf darum, den betroffenen Eheleuten die Möglichkeit zu geben, ihre rechtmäßig
geschlossene Ehe fortzuführen, sofern sie es denn wünschen, auch wenn einer von beiden eine Personenstandsänderung beantragt, nachdem er sich einer unwiderruflichen und im Übrigen zur Zeugungsunfähigkeit führenden
Geschlechtsumwandlung unterzogen hat. Dieses Doppelkriterium wie auch die sonstigen strengen Auflagen bleiben bei der Personenstandsänderung nämlich unberührt.
Nun kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich jemand einer Hormonbehandlung und
einem operativen Eingriff dieses Ausmaßes unterwirft,
nur um eine nun gleichgeschlechtlich gewordene Ehe
fortführen zu können und somit das oben genannte Prinzip der Ehe zwischen Mann und Frau zu unterminieren.
Ich kann nur erahnen, mit wie viel Unannehmlichkeiten,
ja Leid diese Behandlungen verbunden sind, sodass meiner Überzeugung nach nicht davon auszugehen ist, dass
sie von den betroffenen Menschen leichtfertig in Kauf genommen würden, nur um das Gesetz zu umgehen. Ich
glaube vielmehr, dass diese Tatsache dafür spricht, dass
die Ehe als eine auch mir persönlich sehr wichtige Institution durch die Gesetzesänderung des Transsexuellengesetzes nicht gefährdet und nicht infrage gestellt wird. Sie
wird erst recht nicht der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gleichgestellt.
Zum vom Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 festgeschriebenen besonderen Schutz der Ehe gehört meiner Ansicht
nach auch, dass sich der Staat nicht in rechtskräftige
Ehen einmischen darf, sofern diese dem geltenden Recht
und den Anliegen der Eheleute entsprechen. Diese äußerst seltenen de facto gleichgeschlechtlichen Ehen, die
so manchem Sorgen bereiten könnten, wurden als Ehen
zwischen Mann und Frau geschlossen und sind somit
rechtens. Die Frage, die das Bundesverfassungsgericht
zu entscheiden hatte, ist folgende: Darf der Staat Eheleute gegen ihren Willen zur Scheidung zwingen, wenn
nach der Personenstandsänderung beide dem gleichen
Geschlecht zugeordnet sind? Wir müssen in diesem Punkt
dem Bundesverfassungsgericht zustimmen und dem Willen der Eheleute folgen. Täten wir das nicht, gerieten wir
bei Beibehaltung des jetzigen Rechts wider Willen in die
Gefahr, die Institution Ehe zu schwächen, nämlich dann,
wenn wir dem Staat dieses Recht auf erzwungene Scheidung beließen. Man stelle sich einmal vor, der Staat
würde sich anmaßen, eine völlig normale Ehe gegen den
Willen der Beteiligten scheiden zu wollen.
Natürlich muss aber auch gleichzeitig gewährleistet
sein, dass die Personenstandsänderung ein Scheidungsgrund für beide Partner sein kann. Ich kann nämlich auch
jene Betroffenen verstehen, die die Personenstandsänderungen als so schwerwiegende Veränderung werten, dass
sie der Ansicht sind, dass die Ehe nicht fortgeführt werden kann. Deshalb ist es unabdingbar, dass beide Partner
sowohl bei der Namens- als auch bei der Personenstandsänderung beteiligt sind und bleiben. Das Recht auf persönliche Selbstbestimmung des Antragstellers darf nicht
bedeuten, dass der unmittelbar betroffene Partner nicht
einbezogen werden darf; im Gegenteil.
Nun einige Ausführungen zum Zustandekommen dieser Gesetzesänderung. Seit einigen Jahren beschäftige
ich mich als zuständiger Berichterstatter der CDU/CSUFraktion im Innenausschuss des Deutschen Bundestages
mit Änderungsvorschlägen zum Transsexuellengesetz. Es
ergibt sich meiner Ansicht nach noch weiterer Änderungsbedarf, der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Tatsächlich hat uns das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil auferlegt, die in
diesem Änderungsgesetz vorgenommenen Modifizierungen noch vor dem 1. August 2009 vorzunehmen. So war es
nicht möglich, innerhalb eines Jahres legitime prozedurale Erleichterungen für die Transsexuellen sowohl bei
der Vornamensänderung, der sogenannten kleinen Lösung, als auch bei der Personenstandsänderung, also der
„großen Lösung“, umzusetzen. Diese müssen auf die
nächste Legislaturperiode vertagt werden.
Lassen Sie mich Ihnen einige dieser potenziellen zukünftigen Änderungen kurz vorstellen. Da das ursprüngliche Gesetz aus dem Jahre 1980 stammt, berücksichtigt
es nicht aktuellste medizinische Erkenntnisse zur Transsexualität. So wird im Transsexuellengesetz in § 1 Abs. 1
und 3 Nr. 2 die „Unumkehrbarkeit der inneren Überzeugung“ in Bezug auf die Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht zum Kriterium für eine Namensänderung
Zu Protokoll gegebene Reden
gemacht, die ihrerseits eine Vorstufe zur Personenstandsänderung ist.
Heutzutage gehen Psychologen jedoch davon aus,
dass von einer völligen „Unumkehrbarkeit“ in Fragen
der sexuellen Zugehörigkeit und Neigung im Allgemeinen
nicht die Rede sein dürfe, da diese Unumkehrbarkeit nie
mit völliger Sicherheit festgestellt werden könne. Somit
könnten sich Ärzte um des Selbstschutzes willen weigern,
ein solches Zeugnis auszustellen. Vielmehr sollte das
ärztliche Attest feststellen, dass „eine fortdauernde innere Überzeugung“ bezüglich der sexuellen Identität vorliege. Dieser Frage wird sich der 17. Deutsche Bundestag
annehmen müssen.
Im Übrigen erschiene es mir sinnvoll, zugunsten eines
ärztlichen auf ein explizit „fach“ärztliches Zeugnis zu
verzichten. Somit stünde den Antragstellern frei, sich an
den Arzt ihres Vertrauens zu wenden, der sie seit Jahren
betreut.
Andere strittigere Punkte bedürfen noch der intensiven
Prüfung. All das wird der nächste Bundestag zu beurteilen und gegebenenfalls umzusetzen haben.
Wichtig ist heute, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen, denn er geht in die richtige Richtung. Zum einen
bringt er das Transsexuellengesetz mit dem Grundgesetz
in Einklang und trägt zum anderen den legitimen Wünschen von betroffenen Personen Rechnung.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf
folglich zu.
Wir beraten heute drei Vorlagen zur Änderung des
Transsexuellengesetzes. Anlass für notwendige Änderungen sind Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts,
die einige Teile des Transsexuellenrechts als verfassungswidrig erklärt haben.
Der Gesetzgeber hat die Auflage, den verfassungswidrigen Zustand des § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG - Gebot der Ehelosigkeit bei Personenstandsänderungen - bis zum 1. August 2009 zu beseitigen. Dieser Auflage des Bundesverfassungsgerichts kommen wir mit dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf nach, der die Streichung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 vorsieht. Damit wird es
Transsexuellen ermöglicht, eine rechtliche Anerkennung
der neuen Geschlechtsidentität zu bekommen, ohne sich
scheiden lassen zu müssen. Es handelt sich hierbei um
eine geringe Zahl von Transsexuellen, die erst während
der Ehe ihre Transsexualität entdeckt oder offenbart haben und deren Ehe an dieser tiefgreifenden Veränderung
der Paarbeziehung nicht zerbrochen ist, sondern nach
dem Willen beider Ehegatten fortgesetzt werden soll.
Diese Änderung begrüßen wir.
Für meine Fraktion kann ich sagen: Wir hätten uns
mehr gewünscht. Das Transsexuellengesetz ist fast
30 Jahre alt und entspricht weder dem Stand der Wissenschaft noch der Lebenswirklichkeit. Eine umfassende Novellierung ist notwendig.
Im Einzelnen: Die Vornamensänderung sollte erleichtert werden. Das wurde auch in dem öffentlichen Fachgespräch mit Betroffenen und Sachverständigen des Innenausschusses im Februar 2007 deutlich. Bisher muss der
Antragsteller mindestens seit drei Jahren in dem anderen
Geschlecht, dem er sich zugehörig fühlt, leben, und es
muss mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden,
dass sich das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändert.
Zudem ist ein Vertreter des öffentlichen Interesses
beim Verfahren vor dem Amtsgericht anwesend, und Gutachten von zwei Sachverständigen, die sich mit Transsexualismus auskennen, sind einzuholen. Diese hohen
Hürden sind eine große psychische und finanzielle Belastung für die Antragsteller und führen dazu, dass sich die
Verfahren bis zu zwei Jahre hinziehen können. Wir könnten uns vorstellen, auf den Vertreter des öffentlichen Interesses und auf die Gutachten zu verzichten, und sehen es
stattdessen als ausreichend an, ein ärztliches Zeugnis
vorzulegen. Eine Antragstellung auf Vornamensänderung
beim Standesamt wäre für uns denkbar. Damit könnten
die Kosten, auch für den Staat, und die Dauer der Verfahren wesentlich gesenkt werden.
Voraussetzung für die Personenstandsänderung ist die
Vornamensänderung. Das halte ich auch weiterhin für
richtig. Das Gebot der Ehelosigkeit wird durch den heute
vorliegenden Gesetzentwurf bereits aufgehoben. Als problematisch sehe ich aber die Forderung nach einer dauerhaften Fortpflanzungsunfähigkeit und den zwingenden
operativen Eingriff zur Angleichung der äußeren Geschlechtsmerkmale. Nach heutigem Stand der Wissenschaft kann aus der weitgehend sicheren Diagnose
„Transsexualität“ keine Indikation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abgeleitet werden.
Zwischen 20 Prozent und 30 Prozent der Transsexuellen wollen laut Deutscher Gesellschaft für Sexualforschung keine Geschlechtsumwandlung. Deshalb entspricht die Annahme, jeder Transsexuelle strebe mit allen
Mitteln die Veränderung seiner Geschlechtsmerkmale an,
nicht mehr der Lebenswirklichkeit. Man kann die Zeit
zwischen „kleiner Lösung“ - Vornamensänderung - und
„großer Lösung“ - Personenstandsänderung - nicht
mehr als Durchgangsstadium ansehen. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung stellt dazu fest, dass die
Tatsache, dass ein Antragsteller für eine Vornamensänderung keine geschlechtstransformierenden operativen
Eingriffe anstrebe, keinen Zweifel an der Diagnose
„Transsexualität“ zulasse. Zudem muss die Frage gestellt werden, ob irreversible chirurgische oder medizinische Eingriffe für eine Fortpflanzungsunfähigkeit und
Geschlechtsumwandlung zur Änderung des Personenstandes nach § 8 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 TSG vereinbar sind
mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Ich
halte diese Forderung des § 8 TSG für einen unangemessenen Eingriff des Staates in die Grundrechte von Menschen. Auch führt diese Regelung zu einer Ungleichbehandlung von Transsexuellen: Anerkannte Transsexuelle
mit Geschlechtsangleichung können ihren Personenstand
ändern; anerkannte Transsexuelle, die, aus welchen
Gründen auch immer, keine Operation vornehmen lassen,
können den Personenstand nicht ändern. Meiner Meinung nach sollte diese Ungleichbehandlung aufgehoben
Zu Protokoll gegebene Reden
werden. Darum werden wir uns dann in der nächsten Legislaturperiode kümmern müssen.
Nun zu den weiteren vorliegenden Initiativen. Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen will das Transsexuellengesetz durch ein Gesetz über die Änderung der
Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ersetzen. Anlass für diesen Gesetzentwurf ist die
Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen einzelne Vorschriften des Transsexuellengesetzes als verfassungswidrig und somit nicht
mehr anwendbar erklärt hat. Die Grünen wollen sowohl
die Vornamensänderung als auch die Personenstandsänderung von den nach Landesrecht für das Personenstandswesen zuständigen Behörden vornehmen lassen.
Für die Änderung des Vornamens habe ich bei einer solchen Regelung keine Bedenken. Bei der Änderung des
Personenstandes würde ich weiterhin die Entscheidung
des zuständigen Gerichts befürworten, da es sich hierbei
um einen weitreichenden Akt mit größeren Rechtsfolgen
handelt.
Die Linken fordern unter anderem in ihrem Antrag,
dass mehrere Vornamen verschiedenen Geschlechts möglich sein sollten und dass neben den personenstandsrechtlichen Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ auch
die Einträge „intersexuell“ und „transgender“ zugelassen werden sollen. Dies schafft meines Erachtens mehr
Verwirrung und Probleme für Transsexuelle, als dass es
zu tatsächlichen Erleichterungen im Alltag kommt.
Ich sehe Handlungsbedarf über die jetzt vorgelegte
Änderung hinaus und hoffe, dass der nächste Deutsche
Bundestag in neuer Konstellation zu Regelungen kommt,
die das Leben und den Alltag der Betroffenen erleichtern.
Ich muss schon sagen, sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen von Union und SPD, dass mich der heute von
Ihnen hier vorgelegte Gesetzentwurf sehr verwundert.
Das Hü und Hott Ihrer Gesetzgebung ist schon ein Trauerspiel. Ich finde es unerträglich, wie Sie mit den Betroffenen umgehen. Erst passiert gar nichts, dann wird ein
Referentenentwurf erarbeitet, dann wird er wieder zurückgezogen, dann landet ein ganz anderer hier im Plenum. Für diejenigen Menschen, die endlich Rechtssicherheit haben wollen, die endlich ein verfassungsgemäßes
und vor allem zeitgemäßes Transsexuellengesetz erwarten - und das völlig zu Recht -, ist das schon Umgang, der
von grober Missachtung zeugt.
Als ich den heute hier vorliegenden Gesetzentwurf gelesen habe, musste ich mir erst einmal verwundert die Augen reiben: Jetzt doch nur die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils? Gerade noch rechtzeitig vor
Fristablauf? Das entspricht nicht dem, was als große Reform angekündigt war - und nicht nur angekündigt, sondern vor allem sehnlich erwartet. Seit vielen Jahren warten die Betroffenen auf eine Regelung, die ihre Rechte und
insbesondere ihre Würde achtet und sich dabei an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Die Bundesregierung hat diese berechtigten Erwartungen stets
ignoriert und ist untätig geblieben. Sie hat sich mitnichten um die Betroffenen gekümmert, sondern es immer
wieder darauf ankommen lassen, dass das Bundesverfassungsgericht ihr die Entscheidung abnimmt. Das ist kein
verantwortungsvoller Umgang mit der Verantwortung.
Das ist unerträgliche Ignoranz.
Noch im April hat die Bundesregierung dann ein Gesetz vorbereitet, das angeblich dieser großen Reform dienen sollte. Allerdings hat sie dabei erneut alle schon
längst bekannten notwendigen und von den betroffenen
Verbänden mit großer Sachkunde vorgetragenen Lösungsvorschläge schlichtweg ignoriert. Im Hauruckverfahren wurde ohne vorherige Beteiligung des hohen
Sachverstands der Verbände ein Referentenentwurf vorgelegt, von dem man allerdings nur sagen kann, dass es
ein Glück ist, dass er nicht das Licht dieses Hauses erblickt hat. Immerhin. Denn es wäre ja auch nichts Neues,
dass die Bundesregierung völlig untaugliche Gesetzentwürfe wider besseres Wissen hier im Bundestag mit ihrer
Koalitionsmehrheit durchpeitscht - ohne Rücksicht auf
Verluste. Wenigstens das bleibt uns hier erspart. Insofern
ist es tatsächlich sogar besser, heute nur die Minimallösung vorzunehmen, um wenigstens endlich der Vorgabe
des Verfassungsgerichts nachzukommen. Denn das, was
die Bundesregierung unter einer großen Reform versteht,
wäre für die Betroffenen keine Verbesserung gewesen,
sondern nur ein großer Murks.
Daher bin ich im Grunde sogar froh, dass dieser verwunderlich schmale Gesetzentwurf heute hier vorliegt.
Damit werden zwar immer noch nicht die zahlreichen
Probleme gelöst, damit wird zwar immer noch die schon
lange erforderliche umfassende Neuregelung vertagt;
aber wenigstens werden nicht die bisher bekannten völlig
unzureichenden und sogar falschen Vorschläge der Bundesregierung Gesetz.
Die jetzt vorgelegte Änderung ist auch aus Sicht der
FDP-Fraktion zwingend geboten, aber sie darf nicht das
Ende des Themas sein. Im Gegenteil: Die eigentliche Arbeit einer umfassenden Reform muss jetzt endlich unter
Einbeziehung der Verbände beginnen. Genau hier aber
gibt es keinerlei Anzeichen, dass die Bundesregierung
das Problem auch nur angehen will. Mit keinem Wort
wird in der Gesetzesbegründung erwähnt, dass hier erst
ein winziger Anfang gemacht wird, dass auf jeden Fall
noch mehr folgen wird, ja folgen muss.
Aus unserer Sicht aber muss das Thema unbedingt auf
der Agenda bleiben: Eine umfassende Reform des Transsexuellengesetzes, die Verfahrenserleichterungen und
Entbürokratisierungsmaßnahmen vorsieht und die insbesondere endlich das Erfordernis der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit aufgibt, bleibt dringend notwendig. Seit dem letzten Jahr liegt dem Bundestag ein Antrag
der FDP-Fraktion vor, in dem wir umfassende Vorschläge machen, die bei einer Reform des Gesetzes zwingend beachtet werden sollten. Ich kann hier nur an die
Bundesregierung appellieren: Schauen Sie sich doch
noch einmal unsere Vorschläge genau an. Dann hätten
Sie sich und den Betroffenen im April einen unsäglichen
Referentenentwurf erspart und könnten schon längst viel
weiter sein. Im Gegensatz zu Ihrem untauglichen Versuch
vom letzten Monat haben die Vorschläge der FDP-FrakZu Protokoll gegebene Reden
tion vom letzten Jahr von den betroffenen Fachverbänden
Zustimmung erfahren.
Zur Lösung der Probleme müssen sich endlich auch
Union und SPD bekennen, damit in der nächsten Legislaturperiode ohne Hast und mit der gebotenen Sorgfalt
endlich ein guter Gesetzentwurf vorgelegt und auch verabschiedet werden kann. Die Betroffenen haben jetzt
lange genug darauf gewartet.
Als am 1. Januar 1981 das Transsexuellengesetz in
Kraft trat, war dies ein großer Vorteil für die Betroffenen.
Zum ersten Mal wurden Transsexuelle vom Gesetzgeber
anerkannt. Die Bundesrepublik hatte damit eine Vorreiterrolle übernommen.
Menschen, die sich im falschen Körper fühlen und ihren Körper ihrem für sich beanspruchten Geschlecht
angleichen wollten, wurde vom Gesetzgeber eine Möglichkeit geboten in ihrem Geschlecht auch anerkannt zu
werden. Transsexuelle können einen anderen geschlechtsbezogenen Vornamen annehmen. Dies wird als
kleine Lösung bezeichnet. Und Transsexuelle können ihren Personenstand ändern, also ihren standesamtlichen
Geschlechtseintrag. Also, Herr statt Frau, oder umgekehrt. - Dies ist die sogenannte große Lösung.
Die Vornamens- und Personenstandsänderung ist für
Transsexuelle sehr wichtig; denn nur so können sie auch
sicher sein, dass sie sich nicht bei einem Brief vom Amt,
der Wahlbenachrichtigung oder Ähnlichem zu ihrem vorherigen Geschlecht offenbaren müssen, es also zu einem
ungewollten Outing kommt.
Doch insbesondere die große Lösung ist mit erheblichen Hürden verbunden. Hier sind im Besonderen zu nennen: ein kompliziertes Gutachtersystem mit Anwartszeiten und erheblichen Kosten und die Notwendigkeit zur
Fortpflanzungsunfähigkeit. Die Betroffenen empfinden
die Begutachtung als entwürdigend. Der Zwang zur Fortpflanzungsunfähigkeit ist besonders kritikwürdig. Das
Bundesverfassungsgericht erklärte 2005 in einer Urteilsbegründung - BverfG, BvL 3/03 vom 6. Dezember 2005 -:
Für eine unterschiedliche personenstandsrechtliche
Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung sieht die Fachliteratur deshalb keine haltbaren Gründe mehr.
Im Februar setzte auch das österreichische Verwaltungsgericht ein Signal, als es urteilte, dass schwerwiegende operative Eingriffe keine Voraussetzung für die
rechtliche Änderung des Geschlechtseintrags sein dürfen.
Meine Damen und Herren der Regierungskoalition,
Sie stehen unter Handlungsdruck. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Mai 2008 über die Pflicht zur
Scheidung beim Personenstandswechsel eines Transsexuellen nach der Geschlechtsangleichung. Es entschied, dass dies nicht mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - dem besonderen Schutz von Ehe und Familie durch
den Staat - vereinbar sei. Das Bundesverfassungsgericht
verpflichtete den Gesetzgeber zu einer Änderung bis zum
August 2009.
Und nun legen Sie uns auf den letzten Drücker einen
Gesetzentwurf vor. Dabei beschränken Sie sich nur auf
die Ihnen auferlegte Neuregelung und dies wollten sie in
erster Lesung nicht einmal debattieren.
Aber eine Reform des Transsexuellengesetzes tut insgesamt not. Aber den Bedürfnissen der Betroffenen wird
dies nicht gerecht. Denn unangetastet bleiben das entwürdigende und langwierige Begutachtungssystem und
die Pflicht zur Fortpflanzungsunfähigkeit beim Wechsel
des Personenstandes.
Sie hätten zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes die
Chance zu einer Reform des Transsexuellengesetzes, die
die Würde der Betroffenen achtet. Diese Chance haben
Sie verpasst. Wenigstens haben Sie Abstand genommen
von dem zuvor in Ihrem Hause kursierenden Entwurf, den
Sie hier klammheimlich und in aller Eile zunächst durchpeitschen wollten.
Die Linke sagt: Wir brauchen keine Sondergesetze für
geschlechtliche und sexuelle Minderheiten. Wir brauchen
endlich eine Liberalisierung der bestehenden Gesetze
und Verwaltungsvorschriften, die die Betroffenen in ihrer
Würde achtet.
Wir haben einen Antrag eingebracht, der das Vornamens- und Personenstandsrecht liberalisieren würde.
Dies würde auch Transgendern und Intersexuellen zugutekommen. Die Änderung des Vornamens sowie des Personenstandes soll damit allen Menschen offenstehen. Ich
bin froh, dass sich auch die Grünen unseren Forderungen
angeschlossen haben und hier einen Gesetzentwurf vorlegen, der sich unseren Liberalisierungsbemühungen anschließt. Die Regierungskoalition hat die Möglichkeit in
dieser Legislaturperiode verpasst. Sie müssen sich jetzt
vor den Betroffenen rechtfertigen.
Das geltende Transsexuellengesetz ist fast 30 Jahre alt
und entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Es stellt
für die Änderung der Vornamen und die Feststellung der
Geschlechtszugehörigkeit unbegründete Hürden auf, die
die Würde und die Selbstbestimmung von transsexuellen
Menschen beeinträchtigen. Bereits fünfmal hat das Bun-
desverfassungsgericht einzelne Vorschriften des Gesetzes
für verfassungswidrig erklärt Auch weitere Vorschriften
des TSG sind verfassungsrechtlich in der Kritik.
Im Februar dieses Jahres kam aus dem Bundesinnen-
ministerium der Entwurf für ein Transsexuellenrechtsre-
formgesetz. In der Begründung hieß es:
Das Transsexuellengesetz ist seit seinem Inkrafttre-
ten am 1. Januar 1981 nicht reformiert worden.
Viele Regelungen entsprechen nicht mehr dem heu-
tigen Kenntnisstand. Auch verschiedene Eingaben
an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundes-
tages in den vergangenen Jahren zeigen, dass ein
großes Bedürfnis für eine Reform des Transsexuel-
lengesetzes besteht. Aufbauend auf den Anregungen
der politischen Parteien im Deutschen Bundestag,
Zu Protokoll gegebene Reden
von Verbänden der Betroffenen, wissenschaftlichen
Veröffentlichungen zu diesem Thema und vorliegen-
den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts
sieht der Gesetzwurf eine umfassende Reform des
Transsexuellenrechts vor.
Leider hat der Entwurf nicht gehalten, was er verspro-
chen hat. Angesichts der massiven Kritik der Interessen-
verbände sowie von Expertinnen und Experten wurde die-
ser völlig verfehlte Reformversuch zurückgezogen.
Anstatt aber die Kritik positiv aufzugreifen und den Ent-
wurf anzureichern, legt die Große Koalition nun nur ein
kleines Änderungsgesetz vor, das lediglich der Vorgabe
des Bundesverfassungsgerichts, nach der das Erfordernis
der Ehelosigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG mit den
Grundrechten unvereinbar ist, Rechnung trägt. Sie
brauchten also ein ganzes Jahr, um eine einzige Vor-
schrift vom TSG zu streichen. Weitere Reformschritte
werden hingegen auf die nächste Legislaturperiode ver-
schoben. Wieder wird eine Chance vergeben, das Trans-
sexuellengesetz insgesamt zu novellieren.
Nur am Rande möchte ich betonen, dass dieser Vor-
schlag in der Realität nichts ändert. Der § 8 Abs. 1 Nr. 2
TSG wird schon aufgrund des Urteils des Bundesverfas-
sungsgerichts nicht angewandt. Dies zeigt jedoch, wie
viel Ignoranz in der Großen Koalition steckt, wie wenig
die Belange und das Selbstbestimmungsrecht der trans-
sexuellen Menschen für sie bedeuten, und schließlich, wie
wenig reformfähig die beiden Regierungsparteien in den
Fragen der Gesellschaftspolitik sind.
Deshalb hat sich die Bundestagsfraktion Bündnis 90/
Die Grünen dafür entschieden, den Entwurf eines Geset-
zes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung
der Geschlechtszugehörigkeit, ÄVFGG, in den Deutschen
Bundestag einzubringen. Damit sollen die Grundrechte
Transsexueller in vollem Umfang verwirklicht werden,
indem die tatsächliche Vielfalt von Identitäten akzeptiert
wird, anstatt transsexuelle Menschen in vorgegebene
Raster zu pressen und ihnen das Leben damit zu erschwe-
ren.
Deshalb wollen wir das Verfahren für die Änderung
der Vornamen deutlich vereinfachen und nur vom Ge-
schlechtsempfinden des Antragstellers abhängig machen.
Es wird nunmehr auf die bisher geforderte mindestens
dreijährige Dauer des Zwangs des Zugehörigkeitsemp-
findens zum anderen Geschlecht sowie auf den irreversib-
len Charakter dieses Empfindens verzichtet. Die Trans-
sexualität kann nicht diagnostiziert werden; lediglich der
Antragsteller selbst kann letztlich über seine geschlecht-
liche Identität Auskunft geben. Außerdem tastet eine
Überprüfung des Ergebnisses des Sich-selbst-Begreifens
von Staats wegen den Sexualbereich des Menschen an,
den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den
verfassungsrechtlichen Schutz stellt.
Es wird weiter auf die Anrufung eines Gerichts ver-
zichtet. Der Antrag ist bei den nach jeweiligem Landes-
recht für das Personenstandswesen zuständigen Behör-
den zu stellen, sodass die Vornamensänderung im
Rahmen eines Verwaltungsaktes erfolgt.
Auch das Verfahren zur Feststellung der Geschlechts-
zugehörigkeit soll vereinfacht und beschleunigt werden.
Es wird auf die verfassungsrechtlich unhaltbare Voraus-
setzung einer dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit ver-
zichtet. Ebenso wird die Personenstandsänderung nicht
mehr von der deutlichen operativen Annäherung an das
Erscheinungsbild des anderen Geschlechts abhängig ge-
macht. Diese Kategorie ist nicht zeitgemäß und lässt sich
in einer individualistischen Gesellschaft mit pluralisti-
schen Lebensformen nicht definieren. Damit sind das
subjektive, mit den bisherigen Angaben nicht überein-
stimmende Geschlechtsempfinden des Antragstellers
sowie die auch heute geltenden statusrechtlichen Zu-
gangsvoraussetzungen einzige Bedingungen für eine Per-
sonenstandänderung.
Der Deutsche Bundestag hat vor 30 Jahren ein Gesetz
vorbereitet, mit dem das Bundesverfassungsgericht sich
schon mehrmals befassen musste. Lassen Sie uns deshalb
diesmal ein Gesetz verabschieden, das die Grundrechte
der transsexuellen Menschen respektiert und keine An-
haltspunkte für die Notwendigkeit einer weiteren verfas-
sungsrechtlichen Überprüfung gibt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/13157, 16/12893 und 16/13154
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 23 a bis
23 c:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gudrun Kopp, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung wettbewerblicher Strukturen im
Markt für Postdienstleistungen ({0})
- Drucksache 16/8906 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1})
- Drucksache 16/13152 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Martin
Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Wettbewerbsintensität im Binnenmarkt für
Postdienstleistungen erhöhen
- Drucksachen 16/8773, 16/13152 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Frank
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Schäffler, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen Post
AG bei der Umsatzsteuer
- Drucksachen 16/676, 16/8809 Berichterstattung:
Abgeordnete Lydia Westrich
Dr. Volker Wissing
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Georg Nüßlein,
Klaus Barthel, Lydia Westrich, Gudrun Kopp, Sabine
Zimmermann und Dr. Thea Dückert haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.
Die FDP fordert in ihrem Gesetzentwurf mehr Wettbewerb auf dem deutschen Postmarkt. Das wollen wir auch.
Aber mehr Wettbewerb führt nicht immer automatisch zu
mehr Beschäftigung, wie wir es begrüßen würden.
Der Leitgedanke der sozialen Marktwirtschaft soll
sich auch auf dem Postmarkt wiederfinden. Wettbewerb
pur, wie es die FDP einfordert, führt schnell zu sozialen
Verzerrungen und regionalen Benachteiligungen in der
postalischen Versorgung; wie zu befürchten im ländlichen Raum.
Wird den klaren Regeln des Wettbewerbs ohne Leitplanken gefolgt, so würden wir bald sehen, wie manche
Postdienstleistungen aus der Fläche verschwinden. Wir
wollen aber, dass auch zukünftig flächendeckend postalische Dienstleistungen für alle Menschen auch im ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Das ist nur mit entsprechender Regulierung im Zuge der Liberalisierung zu
schaffen.
Die größte Weiterentwicklung im deutschen Postmarkt
haben wir zum Anfang letzten Jahres geschafft mit der
vollständigen Liberalisierung des deutschen Postmarktes
und dem kompletten Wegfall des Monopols, also der gesetzlichen Exklusivlizenz der Deutschen Post AG. Das
Datum 1. Januar 2008 ist der Meilenstein für „Mehr
Wettbewerb im Postmarkt“. Nichtsdestotrotz liegt dieser
Meilenstein gerade einmal ein gutes Jahr zurück. Dieser
neu und vollständig geöffnete Markt braucht Zeit, sich zu
etablieren und zu festigen. Dies geschieht bereits im Paketbereich mit Erfolg. Geschätzte Zahlen vom Postwettbewerber Hermes belegen, circa ein Drittel aller Privatpakete werden in Deutschland von Hermes ausgeliefert.
Mittlerweile gibt es im Paketshop-Netz von Hermes
14 000 Annahmestellen - beim Getränkehändler, beim
Bäcker oder in der Wäscherei um die Ecke. Auch neue Arbeitsplätze durch die Errichtung neuer Distributionszentren wurden geschaffen. Genau so wünschen wir uns das.
Dank höherer Sendungsaufkommen bei den Paketen infolge von Entwicklungen wie Ebay und zahlreicher Webshops sowie neuer innovativer Ideen funktioniert hier ein
gesunder Wettbewerb. Das zeigt: Wir haben bereits mehr
Wettbewerb in Deutschland geschaffen. Das ist eine gute
Nachricht.
Neben der Forderung nach noch stärkerem Wettbewerb im Postmarkt will die FDP eine steuerliche Gleichbehandlung aller Anbieter im lizenzierten Bereich. Diese
soll hergestellt werden durch eine Einführung der Umsatzsteuerpflicht für die Deutsche Post AG. Die steuerliche Gleichbehandlung findet meine Zustimmung. Nur Art
und Zeitpunkt der Umsetzung sind im Detail zu betrachten. Gerade jetzt in den schwierigen Zeiten der Wirtschaftskrise wären Portoerhöhungen gänzlich das falsche Signal. Höhere Portopreise würden bei den
Bürgerinnen und Bürgern zu Recht auf völliges Unverständnis und Ärger stoßen. Das muss man bei der Entscheidung über die künftige umsatzsteuerliche Behandlung im Blick haben.
Einen weiteren Punkt halte ich beim Thema Umsatzsteuer für wichtig. Wettbewerber, die ebenfalls in ganz
Deutschland flächendeckend Briefe zustellen und Briefe
annehmen, müssen auch im Hinblick auf die Umsatzsteuerbelastung gleich behandelt werden. Das ist fairer Wettbewerb. Herstellen kann man den auf zwei Arten: durch
eine Steuerpflicht für alle Marktteilnehmer wie durch
eine Steuerbefreiung. Letztere verhindert eher Portoerhöhungen.
Allerdings darf Deutschland in der Mehrwertsteuerfrage nicht isoliert handeln. Es war richtig, das EuGHUrteil im britischen Verfahren TNT Post - British Mail
abzuwarten, bevor wir hier im Schnellschuss ein Gesetz
verabschiedet hätten. Es ging im EuGH-Urteil um die
zwei wichtigen Fragen, welche Postdienstleistung von
der Mehrwertsteuer zu befreien sind und wie eine „öffentliche Posteinrichtung“ zu definieren ist. Ende April 2009
wurde nun das Urteil verkündet.
Das Urteil zeigt uns drei wesentliche Eckpunkte auf:
Erstens. Universaldienstleistungen nach dem Postgesetz
und nach der Postuniversaldienstleistungsverordnung
sind steuerbefreit. Zweitens. Mehrwertsteuerpflichtig
sind Universaldienstleistungen, die zu individuell ausgehandelten Bedingungen erbracht werden. Drittens. Die
Steuerbefreiung setzt eine Verpflichtung des Unternehmers voraus, den gesamten Universaldienst oder einen
Teil dessen zu erbringen. Ein Teil in diesem Sinne sind
Briefdienstleistungen oder Paketdienstleistungen gemäß
Postuniversaldienstleistungsverordnung, die jeweils flächendeckend erbracht werden. Diese Eckpunkte müssen
wir nun bei einer Änderung bzw. Anpassung unseres Umsatzsteuergesetzes berücksichtigen.
Wollen wir in Deutschland den Übergang von einem
ehemals staatlichen Monopol zu einem freien Wettbewerb
positiv begleiten, so müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Es geht dabei um die Rahmenbedingungen für die Kunden, die Rahmenbedingungen für die
betroffenen Unternehmen und um die Rahmenbedingungen für die betroffenen Arbeitnehmer. Wir dürfen nicht
vergessen, in diesem Bereich der Postdienstleistungen
sind in Deutschland mehr als 200 000 Menschen beschäftigt. Deswegen dürfen wir nicht nur von Märkten und
mehr Wettbewerb reden. Wir sollten vor allem auch über
die Menschen und deren berufliche Perspektiven nachdenken. Und wir müssen die flächendeckende Versorgung
der Menschen mit einfachen Postdienstleistungen gewähren und sicherstellen. Dabei sind günstige Preise wichtig;
genauso wie die Nähe zum Kunden und eine gute Qualität
der Dienstleistung. Besonders die flächendeckende Versorgung mit Briefdienstleistungen im ländlichen Raum
muss an dieser Stelle ein besonderes Gewicht haben. Es
reicht mir nicht, zu wissen, dass theoretisch eine Postfiliale in allen Regionen Deutschlands möglich ist. Unsere Aufgabe muss es sein, sicherzustellen, dass die Menschen überall ihre Briefe und Pakete, an jedem Werktag
und ohne lange Wege verschicken und erhalten können.
Den Übergang von einem ehemals staatlichen Monopol zu einem freien Wettbewerb positiv begleiten, das bedeutet für mich daher, einen geregelten Übergang zu
schaffen unter Berücksichtigung der Interessen der Kunden und der Beschäftigten der bisherigen Monopolbranche und ebenso unter Berücksichtigung der berechtigten
Interessen der neuen Marktteilnehmer. Ganz gewiss
werden wir daher das Umsatzsteuergesetz und die PostUniversaldienstleistungsverordnung an die neuen Marktbedingungen anpassen müssen, um für alle Marktteilnehmer gleiche Chance zu schaffen.
Heute können wir nach einem Jahr und mehrfacher
Beratung im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
und den mitberatenden Ausschüssen sowie zwei Anhörungen zu den angesprochenen postpolitischen Themen
über die Anträge der FDP abschließend entscheiden. Der
Ausschuss empfiehlt mit Mehrheit, sie abzulehnen.
Wir Sozialdemokraten können unverändert auf das
verweisen, was wir dazu schon in der ersten Lesung vorgetragen haben. Die Entwicklung im Postsektor und die
Entscheidung des EuGH haben unsere Auffassung
rundum bestätigt und die der FDP widerlegt.
Besonders deutlich wird dies bei der Frage der Umsatzsteuer auf Postdienstleistungen. Das Urteil des
EuGH vom 23. April 2009 lässt die ganze FDP-Argumentation in sich zusammenbrechen: Es ist nicht nur möglich,
sondern europarechtlich zwingend vorgeschrieben, öffentliche Postdienstleistungen von der Mehrwertsteuer zu
befreien. Der EuGH unterscheidet klar zwischen solchen
Anbietern, die Teile der Wertschöpfungskette bedienen
oder Leistungen für einzelne Regionen und Kundengruppen erbringen, und solchen, die den Universaldienst nach
gesetzlichen Kriterien flächendeckend und nachprüfbar
erbringen. Die einen sind mit Umsatzsteuer zu belasten,
die anderen nicht. Wir können auf nationaler Ebene definieren, welchen Umfang der Universaldienst haben soll
und wer gegenüber der Öffentlichkeit verpflichtet ist, ihn
oder Teile davon zu erbringen. „Öffentliche“ Postunternehmen sind also nicht von den Eigentumsverhältnissen
her definiert, sondern aus der Frage der Erbringung universeller Dienste heraus.
Dazu bestehen im Übrigen Mindeststandards, welche
den zweiten Teil des FDP-Antrags als europarechtswidrig kennzeichnen. Dies ließe sich schon allein aus den
Mindestvorgaben der Postdiensterichtlinie ableiten, die
die von der FDP vorgesehene Gewichtsgrenze von
50 Gramm für „Pflicht“-Briefe klar ausschließt. Die EU
sieht aber auch keinen zweigeteilten Universaldienst vor,
also einen mehrwertsteuerfreien und einen mehrwertsteuerpflichtigen. Was Universaldienst ist, ist steuerfrei
und was Universaldienst ist, entscheiden die Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip, solange die EUweiten Mindeststandards eingehalten werden.
Für Deutschland ist der Universaldienst im Postgesetz
und in der Post-Universaldienstleistungsverordnung abschließend geregelt. Die Pflicht zum Einsammeln ({0}), Transportieren, Sortieren und Zustellen von Postsendungen kann auch nicht ernsthaft an der Frage
festgemacht werden, ob mehr als 50 Sendungen ({1}) verschickt werden, sondern ob eine solche Leistung für die Allgemeinheit zu allgemein zugänglichen Bedingungen angeboten wird und nach den
Kriterien des Universaldienstes erbracht wird. Logischerweise sagt also der EuGH, nur individuell ausgehandelte einzelvertragliche Dienstleistungen sind mehrwertsteuerlich gesondert zu behandeln, also zu
besteuern, alles andere nicht. Vereine, Sozialverbände
und kleine und mittelständische Betriebe würden sich
schön bedanken, wenn sie plötzlich 19 Prozent für ihre
Sendungen mehr bezahlen müssten.
Schließlich und endlich der Mindestlohn. Soziale Standards und Mindestlohn seien, so die FDP in ihrer Antragsbegründung, Fremdkörper in unserer Wettbewerbsordnung. Das ist also die soziale Marktwirtschaft à la
Westerwelle. Wen wundert es da, dass wachsende Teile
der Bevölkerung Zweifel an unserer Wirtschaftsordnung
bekommen! Auch wenn es die FDP nicht wahrhaben will:
Das Wort „Wettbewerb“ kommt in unserem seit
60 Jahren bewährten Grundgesetz nicht ein einziges Mal
vor. „Briefgeheimnis“, „Postgeheimnis“ und die Verpflichtung des Staates, flächendeckend angemessene und
ausreichende Postdienstleistungen zu gewährleisten das steht im Grundgesetz. Und auch im Postgesetz ist die
Förderung des Wettbewerbs nur ein Ziel. Gleichberechtigt fordert es die Grundversorgung durch einen flächendeckenden und erschwinglichen Universaldienst sowie
ausdrücklich die Berücksichtigung sozialer Belange, damals noch mit Zustimmung der FDP.
Die FDP-Behauptung, der Post-Mindestlohn hätte
Unternehmen und Arbeitsplätze vernichtet, hat mit der
Realität auf einem schrumpfenden Markt nichts zu tun.
Die PIN-Insolvenz, die als Beleg herangezogen wird,
fand statt, als der Mindestlohn noch gar nicht in Kraft
war. Bis heute - und das zeigen die Erhebungen der Bundesnetzagentur und die Alltagserfahrung - wird in weiten
Bereichen der Mindestlohn nach wie vor nicht gezahlt.
Wer es nicht schafft, mit einem Mindestlohn, der um ein
Drittel unter dem Durchschnitt des bei der Deutschen
Post AG bezahlten Einkommens liegt, in diesen Markt erfolgreich einzutreten, der sollte sein unternehmerisches
Konzept überprüfen anstatt auf den Mindestlohn zu zeigen.
Alle Beschäftigten der Postbranche können sicher
sein, dass die SPD-Bundestagsfraktion auch in Zukunft
alles daransetzen wird, den branchenbezogen, in der
Großen Koalition durchgesetzten Mindestlohn wirksam
werden zu lassen, auch wenn eine gerichtlich als solche
eingestufte Pseudogewerkschaft die geringe Zahl ihrer
Mitglieder durch den höheren Ausstoß an Presseerklärungen zu kompensieren versucht.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ich will aber namens meiner Fraktion auch deutlich
machen, dass die Deutsche Post AG selbst in der Pflicht
steht, in der Pflicht, den Universaldienst zu erbringen,
anstatt ihn beispielsweise durch Qualitätsmängel in den
Filialen und bei der Zustellung zu durchlöchern oder ihn
durch wiederkehrende Vorstöße, was man alles eigentlich
nicht mehr machen will, infrage zu stellen. Empört sind
wir aktuell über die Ankündigungen des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post, die Folgen der krisenbedingten Umsatzrückgänge und des Desasters in den USA mit
Kosten von circa 7,5 Milliarden Euro jetzt allein den Beschäftigten in Deutschland aufzuladen. Sie sollen mehr
arbeiten und weniger Geld bekommen. Sollten sie nicht
mitmachen, droht der Arbeitgeber mit Fremdvergaben.
Wir weisen diesen Erpressungsversuch in aller Deutlichkeit zurück und warnen den Vorstand des Unternehmens
vor einer Konfliktstrategie gegenüber seinen Beschäftigten, zumal sonst die Debatte über Managementfehler im
Postkonzern neue Nahrung bekäme.
Postpolitik bleibt also spannend. Im Sinne des Dargestellten, aber ganz anders als von der FDP gefordert,
müssen wir unser Umsatzsteuerrecht nach dem EuGHUrteil ausgestalten. Wir müssen den Universaldienst auf
Grundlage der Erfahrungen der Kunden und künftiger
Anforderungen sichern, präzisieren, ausbauen und modernisieren. Wir werden die Arbeitsbedingungen in der
gesamten Branche sozial gestalten und so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten. Auch im Postsektor ist kein
Platz für Dumpingstrategien, von wem sie immer ausgehen mögen. Preise, Qualität und Arbeitsplätze gehören
zusammen. Das bleibt eine politische Gestaltungsaufgabe.
In Deutschland gibt es keine gesetzliche Regelung,
nach der ein Unternehmen zur ständigen und flächendeckenden Erbringung von Postuniversaldienstleistungen verpflichtet werden kann. Deshalb müssen wir in
Deutschland den Unternehmen, die tatsächlich flächendeckend die Postuniversaldienstleistungen anbieten, eine
Steuerbefreiung gewähren. Das hat der Europäische
Gerichtshof jetzt eindeutig festgestellt. Damit ist der Gesetzentwurf der FDP, der alle Postdienstleistungen der
Mehrwertsteuer unterwerfen will, eindeutig europarechtswidrig.
Bezogen sich Sachverständige, die die Einführung der
Mehrwertsteuer auf alle Postdienstleistungen befürworteten, bisher auf die Rechtsprechung aus dem Jahr 1985,
so ist nunmehr eindeutig klar, dass der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern dieses Stück Daseinsvorsorge gewährleisten muss und die ausführenden Unternehmen zu
unterstützen hat. Ich bin sehr froh, dass dieses Mal nicht
der Wettbewerb oder tatsächliche oder vermeintliche
Wettbewerbsverzerrungen im Mittelpunkt standen, sondern wirklich der Anspruch der Menschen eines Landes,
flächendeckend zu gleichen Preisen und Bedingungen
versorgt zu werden.
Ich hätte mir zwar gut vorstellen können, dass ein Universaldienst nicht nur die Mindestanforderungen umfasst. Unsere Postuniversaldienstleistungsverordnung
geht ein gutes Stück über die EU-Mindestanforderungen
hinaus. Diese erweiterten Dienstleistungen würde ich
auch gern für die Kunden in unserem Land beibehalten.
Die Nachnahmesendungen spielen heute nicht mehr die
ganz große Rolle wie früher, aber sie werden bei Versandhäusern immer noch als Möglichkeit angeboten und gerade von älteren Menschen genutzt. Wichtig wäre auf jeden Fall die Expresssendung und auch die Möglichkeit,
größere Pakete bis 20 Kilogramm zu versenden. Infopost
und Infobrief habe ich selbst häufig genutzt. Schon eine
Einladung zu Hochzeit oder Geburtstag und Ähnliches
übersteigt häufig die 50er-Grenze für Briefe. Da werden
Infopost oder Infobrief gern genutzt.
Da im Urteil des Europäischen Gerichtshofes auf die
nationale Umsetzung nicht eingegangen wurde, ist es
meiner Ansicht nach ohne Weiteres möglich, die universalen Dienstleistungen auf das national gewünschte Maß
auszudehnen. Deshalb ist eine sorgfältige Prüfung des
Urteils notwendig, auch im Lichte der Einlassung der Generalanwältin Frau Kokott im Vorfeld der Entscheidung.
Der Wettbewerb im Postwesen ist wichtig. Die garantierte flächendeckende gleichmäßige und preisgünstige
Versorgung unserer Bürgerinnen und Bürger mit Postdienstleistungen ist die Aufgabe, um die sich unser Staat
zu kümmern hat. Er hat die Unternehmen zu entlasten, die
sich verpflichten, diese Universaldienstleistungen zu erfüllen. Die Belastung mit der Mehrwertsteuer würde
diese Aufgaben für die Kunden erheblich verteuern.
Dass die FDP der Meinung ist, dass alle Leistungen,
auch die der Daseinsvorsorge, am besten durch den
freien Markt geregelt und erbracht werden, hat sie immer
wieder deutlich gemacht. Selbst das riesige Versagen der
Märkte im Finanzbereich und seine schlimmen Folgen für
die Realwirtschaft und die Haushalte können diesen Irrglauben nicht erschüttern. Unternehmenskonzepte, deren
Gewinnerwartungen darauf beruhen, Arbeitskraft auszubeuten - das nenne ich Beschäftigung unterhalb von
Mindestlöhnen -, zählen bei der FDP höher als die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, gut versorgt zu
werden. Das ist nicht meine Linie und die meiner sozialdemokratischen Fraktion. Wir lehnen deshalb die Gesetzesentwürfe der FDP ab und werden nach sorgfältiger
Prüfung der Möglichkeiten, die das Urteil des EUGH an
Spielraum lässt, ein europagerechtes Gesetz verabschieden. Dessen Schwerpunkt wird auf der optimalen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger liegen und die Unternehmen unterstützen, die die Universaldienstleistungen
ganz oder teilweise verpflichtend erbringen können.
Machen wir uns nichts vor - der sogenannten Großen
Koalition liegt nichts ferner, als noch in dieser Legislaturperiode den Markt für Postdienstleistungen endlich
wirksam zu liberalisieren. Ausschließlich auf das Drängen von uns Liberalen beraten wir heute abermals über
die Frage, wie auf dem deutschen Markt für Postdienstleistungen endlich echter Wettbewerb geschaffen werden
kann - und das eineinhalb Jahre nach dem Wegfall der
Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG zur Beförderung
bestimmter Briefsendungen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Es ist schon bezeichnend, was sich die Regierung alles
einfallen lässt, um ja nicht die Privilegierung der Deutsche Post AG, die noch immer zu 30 Prozent in Staatsbesitz ist, aufzugeben. Von dem Zeitpunkt an, als die formale
Liberalisierung des Marktes für Postdienstleistungen beschlossene Sache war, verschwendet die Regierung einen
Großteil ihrer Ressourcen darauf, immer abenteuerlichere Begründungen dafür zu finden, warum der Weltkonzern Deutsche Post AG - oder neuerdings Deutsche
Post DHL - weiterhin vor dem Wind des Wettbewerbs geschützt werden könnte.
Doch eins nach dem anderen: Die FDP hat bereits vor
über einem Jahr als einzige Partei im Deutschen Bundestag ein Gesetz vorgelegt, auf dessen Grundlage echter
Wettbewerb auf dem Markt für Postdienstleistungen möglich gewesen wäre. Denn dies war, so verstehen es zumindest wir Liberalen, ja Sinn und Zweck der Liberalisierung
des Marktes für Postdienstleistungen. Die wesentlichen
Wettbewerbshemmnisse, namentlich der weltweit höchste
Mindestlohn und die Umsatzsteuerbefreiung der Deutsche Post AG sowie etliche andere unnötige Überfrachtungen des derzeit geltenden Postgesetzes wären mit unserem Gesetzentwurf endlich beseitigt und Verbraucher,
Arbeitnehmer, Unternehmen und nicht zuletzt der Fiskus
kämen endlich in den Genuss, die Früchte des echten
Wettbewerbs zu ernten.
Die beiden größten Hemmschuhe für freien und fairen
Wettbewerb auf dem Postmarkt habe ich eben bereits genannt. Da ist zunächst der völlig überhöhte, im rechtsfreien Raum schwebende Postmindestlohn zu nennen, der
nichts anderes zum Ziel hat, als potenzielle oder bereits
vorhandene Wettbewerber des ehemaligen Monopolisten
aus dem Markt zu drängen - und hierbei im Übrigen sehr
zweifelhafte Erfolge erzielte. Der in Kauf genommene
Kollateralschaden war die Vernichtung von 19 000 Arbeitsplätzen im lizenzpflichtigen Bereich, weil es den
Wettbewerbern schlicht nicht möglich war, unter derartigen Bedingungen Marktanteile zu erobern bzw. zu erhalten.
Zwar hat das Oberverwaltungsgericht Berlin am
18. Dezember 2008 bereits zum zweiten Male klargestellt,
dass die Allgemeinverbindlicherklärung des Postmindestlohns durch den Bundesarbeitsminister schlicht
rechtswidrig war, doch dies ignoriert der Arbeitsminister
geflissentlich. Ich kann nur an Herrn Scholz appellieren,
sich weitere peinliche Prozesse zu ersparen und den Postmindestlohn endlich ersatzlos zu streichen - dies wäre im
Übrigen auch ein großer Schritt zu mehr Arbeitplätzen im
Niedriglohnbereich, die wir so dringend benötigen.
Doch damit nicht genug. In der Anhörung zum Postwettbewerbsgesetz der FDP am 19. Januar 2009 im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutschen
Bundestages hat der renommierte Wettbewerbsrechtler
Professor Wernhard Möschel den Postmindestlohn als einen verbotenen und nichtigen Kartellvertrag bezeichnet,
der gegen deutsches und europäisches Kartellrecht verstößt. Er fordert das Bundeskartellamt zum Handeln auf.
Darüber hinaus sieht Professor Möschel die Bundesregierung hier sogar in der Regresspflicht. Im Klartext
heißt das: Erst wurde durch einen Rechtsbruch ein Monopol zementiert, um dann auf Kosten der Steuerzahler
diesen Schaden zu reparieren.
Der weitere Knackpunkt, der echten Wettbewerb auf
diesem Markt verhindert, ist die Umsatzsteuerbefreiung
der Deutsche Post AG für sogenannte Universaldienstleistungen. Bei der Anhörung im Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages am 18. März 2009 hat die Bundesregierung sich damit aus der Affäre gezogen, dass sie
für das weitere Gesetzgebungsverfahren das Urteil des
EuGH zur Umsatzsteuerrichtlinie abwarten wollte. Dieses Urteil liegt seit dem 28. April 2009 vor und besagt eindeutig, dass eine ungleiche steuerliche Behandlung von
Erbringern von Universaldienstleistungen rechtswidrig
ist. Mit ihrer gegenwärtigen Praxis begeht die Bundesregierung also einmal mehr klaren Rechtsbruch. Doch
Handeln ist bei dieser Bundesregierung Fehlanzeige.
Vielmehr liefert uns die sogenannte Große Koalition einmal mehr ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer Zerstrittenheit und Planlosigkeit: Wirtschafts- und Finanzminister
können in ihrer Auffassung zu den Konsequenzen des Urteils nicht unterschiedlicherer Meinung sein. Während
Bundesminister zu Guttenberg zu Recht Änderungsbedarf
am Regierungsentwurf feststellt, sieht Bundesminister
Steinbrück sich noch immer auf dem festen Boden des Gesetzes - wie er zu dieser Ansicht kommt, bleibt dabei
schleierhaft. Seit gestern ist endgültig klar, dass die umsatzsteuerliche Gleichbehandlung aller Anbieter dem klientelpolitischen Geschachere der Koalitionsfraktionen
zum Opfer gefallen ist.
Ich muss wohl nicht extra betonen, dass der Schaden
für die Wettbewerber der Deutsche Post AG durch die inkonsequente Liberalisierung und andauernde Privilegierung der Deutsche Post AG immens ist: Die Wettbewerber müssen die gleichen oder attraktivere Produkte um
19 Prozent günstiger anbieten, um mit dem ehemaligen
Monopolisten konkurrenzfähig zu sein. Der deutsche
Markt für Postdienstleistungen ist somit schlichtweg
nicht attraktiv für Investoren - es würde mich überhaupt
nicht wundern, wenn die Wettbewerber sich schlussendlich aus Deutschland zurückziehen und ihr Geld in anderen Ländern investieren, die ihnen Rechtssicherheit und
faire Wettbewerbsbedingungen garantieren. Dass damit
Tausende von Arbeitsplätzen vor allem - aber nicht nur im Niedriglohnbereich wegfallen, rundet den Schaden,
den die Regierung durch ihr Handeln der deutschen
Volkswirtschaft zufügt, in tragisch-perfekter Weise ab.
Der EuGH hat die Position der FDP bestätigt: Eine
einseitige Steuerbefreiung für einen Marktteilnehmer
darf es nicht geben. Steuerliche Gleichbehandlung ist daher unerlässlich. Die FDP-Bundestagsfraktion hat in ihrem Gesetzentwurf beantragt, für alle Post-Universaldienstleister gleichermaßen eine Umsatzsteuerpflicht
anzusetzen. Selbstverständlich akzeptieren wir aber das
neueste EuGH-Urteil und erwarten nun von der Bundesregierung, dass sie eine Umsatzsteuerbefreiung nicht nur
für die Deutsche Post AG, sondern auch für deren Wettbewerber schnellstens vorsieht. Gleiches ({0})Recht
für alle - dieses Gleichbehandlungsgebot und damit Wettbewerbsneutralität steht für uns Liberale im Vordergrund, auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten.
Zu Protokoll gegebene Reden
Fazit: Auf dem Markt für Postdienstleistungen muss
endlich Wettbewerb Einzug halten. Die wirkliche Beendigung der Monopolstellung der Deutsche Post AG ist im
Interesse aller Bürger und Steuerzahler, der Arbeitnehmer und der Unternehmen. Ich frage mich wirklich, worauf die Bundesregierung noch wartet.
Gute Post statt Profite, für dieses Motto streitet Die
Linke. Wie notwendig es ist, für dieses Motto zu streiten,
wurde mir in den letzten Wochen wieder deutlich. In zwei
Schreiben teilte mir die Deutsche Post AG mit, dass in
meinem Wahlkreis eine bisher von der Deutschen Post als
Eigenbetrieb geführte Postfiliale „umgewandelt“ wird.
Stattdessen soll künftig ein Einzelhandelsgeschäft Postdienste anbieten. Zum 31. Juli soll eine andere Post-Service-Filiale geschlossen werden. Wann und wo an anderer Stelle Postdienste angeboten werden, steht noch nicht
fest.
Die allein auf Profit orientierte Unternehmenspolitik
des Staatsunternehmens Deutsche Post bekommt die Region immer mehr zu spüren. Kundennähe und Kundenzufriedenheit rücken deutlich in den Hintergrund. Die Ortsnähe geht verloren. Für die Beschäftigten gilt dank der
Gewerkschaft Verdi der Kündigungsschutz. Dennoch ergeben sich auch für sie Veränderungen, nicht immer zum
Guten.
Zu den Anträgen der FDP, die Anlass der heutigen
Auseinandersetzung sind, will ich keine großen Worte
verlieren. Ich frage mich nur, wie die SPD ihren Wählern
eine mögliche Koalition mit einer Partei vermitteln will,
die fordert, den Branchenmindestlohn im Postdienst aufzuheben.
Im Folgenden will ich auf eine aktuelle Entwicklung
aufmerksam machen. Die zeigt: Wir befinden uns auf einem falschen Weg und sollten schleunigst einen Richtungswechsel vornehmen. Es geht um die Ankündigung
des Chefs der Deutschen Post AG, Dr. Frank Appel, mit
der Gewerkschaft über längere Arbeitszeiten und eine
Verschiebung der für Dezember 2009 geplanten Gehaltserhöhung von 3 Prozent verhandeln zu wollen. Das ist
eine völlig falsche Antwort auf die Krise.
Hier wäre die Bundesregierung gefragt einzugreifen,
schließlich ist sie über die Beteiligung der KfW-Bank mit
über 30,5 Prozent der größte Einzelaktionär bei der Post
und müsste diesen Einfluss geltend machen. Bei der Bahn
hat sie aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit den Börsengang abgesagt und Bahnchef Mehdorn entlassen. Ich
frage mich, was noch passieren soll, bis die Große
Koalition von Union und SPD im Interesse der Beschäftigten ähnliche Schritte bei der Post unternimmt. Mir
scheint, hier wird Postchef Appel freie Hand gelassen. Ja,
seine Provokation scheint sogar gewünscht zu sein. Die
Bundesregierung lehnt es ab, sich in die Geschäftspolitik
des Vorstandes einzumischen. Sie äußert zugleich Verständnis für die „Maßnahmen des Vorstandes der Deutschen Post AG zur Kostensenkung“. Er hätte auf die „Ertragsrückgänge mit Vorschlägen zu Kosteneinsparungen
reagieren“ müssen, so antwortete mir jüngst die Bundesregierung in einer Fragestunde.
Aber das passt alles nicht zusammen. Denn die Post
schreibt keine Verluste. Im Briefgeschäft hat sie in den
ersten drei Monaten dieses Jahres sogar noch einen Gewinn von 407 Millionen Euro gemacht. Aber das scheint
dem Postchef und der Bundesregierung nicht zu reichen.
Zugleich stellt man sich die Frage, warum Geld eingespart werden soll, wenn zugleich an die Aktionäre über
725 Millionen Euro als Dividende ausgeschüttet werden.
Für mich lassen all diese Fakten nur eine Schlussfolgerung zu: Postchef Appel versucht, die Verunsicherung der
allgemeinen Krise zu nutzen, um die Gewinne auf Kosten
der Beschäftigten zu erhöhen - und die Bundesregierung
lässt ihn gewähren. Die Linke wird das nicht hinnehmen.
Zu Recht hat die Gewerkschaft Verdi diese Provokation
des Postchefs zurückgewiesen. Wir werden sie und die
Postbeschäftigten inner- und außerhalb des Parlaments
unterstützen.
Die FDP will Steuern erhöhen, das ist wirklich eine
Überraschung. Leider heißt das nicht, dass wir fortan von
ihren hohlen Wahlkampfversprechen zu Steuersenkungen
für alle verschont würden. Die FDP fordert nur, dass die
Deutsche Post AG nicht mehr von der Mehrwertsteuer
befreit sein soll. Damit verkämpft sie sich an einer komplett aussichtslosen Stelle. Denn erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil bestätigt, was
längst klar war: Flächendeckende Postdienste gehören
zum Gemeinwohl und sind deswegen von der Mehrwertsteuer zu befreien. Der Vorschlag der FDP ist damit nicht
nur obsolet, sondern sogar europarechtswidrig.
In einem Punkt hat die FDP recht: Der Wettbewerb auf
dem Postmarkt funktioniert nicht. Noch immer bestimmt
die Deutsche Post AG, wo es lang geht. De facto wirkt die
Mehrwertsteuerbefreiung dieses Unternehmens wie ein
Monopolschutz. Denn sie privilegiert die DPAG gegenüber allen ihren Konkurrenten.
Leider hat die FDP daraus aber die falschen Schlüsse
gezogen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs dagegen weist einen Weg aus den verkrusteten Monopolstrukturen, den wir Grüne richtig finden. Es verlangt,
dass auch Unternehmen, die nicht alle Teilbereiche des
Universaldienstes anbieten, aber bestimmte Leistungen
flächendeckend bereitstellen, von der Mehrwertsteuer
befreit werden müssen. Das bedeutet, wenn ein Postdienstleister flächendeckend Pakete ausliefert, aber keine
Briefdienste anbietet, braucht er auch keine Umsatzsteuer zu zahlen. Diese Position vertreten wir schon
lange, während Bundesregierung und FDP mit ihren Vorschlägen in die falsche Richtung gegangen sind und sich
jetzt fragen lassen müssen, wie sie ihre Ideen weiterverfolgen wollen, wenn sie damit Europarecht brechen.
Die Vorstellungen der FDP zu Postdienstleistungen
kreisen einzig und allein um wirtschaftliche Interessen. In
dieser verkürzten Sicht sind weder die Interessen der
Kunden noch die der Kommunen, geschweige denn die
der Angestellten im Postsektor von Belang. Die FDP setzt
einseitig auf mehr Wettbewerb und will dafür auch den
Postmindestlohn opfern. Dass sie damit vor allem Lohndumping und Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten
Zu Protokoll gegebene Reden
befördert, ist ihr völlig egal. Mehr Verbraucherschutz und
eine kommunenfreundliche Modernisierung des Universaldienstes spielen für die FDP ebenfalls keine Rolle.
Auch die Bundesregierung hat sich einer kommunenund verbraucherfreundlichen Reform des Universaldienstes bisher nicht angenommen. Dabei ist hier eine
Menge zu tun. Mängel in der Postversorgung gibt es nicht
erst seit gestern. Jetzt hat die Deutsche Post AG außerdem angekündigt, dass sie Tausende Stellen krisenbedingt
streichen wird. Das wird nicht ohne Folgen für die Postversorgung bleiben. Vor allem im ländlichen Raum
schließt schon jetzt ein Postamt nach dem anderen. Briefe
und Pakete können nur noch in weit entfernten Filialen zu
absurden Öffnungszeiten, in unverständlichen Paketautomaten oder in sogenannten Postagenturen, die nicht selten aus einem Tischchen in einem Kiosk bestehen, aufgegeben oder abgeholt werden. Manche Kommunen haben
in der Not angefangen, auf eigene Kosten selbst Postämter zu betreiben, um die Versorgungslücke zu schließen. Und auch die Postzustellung funktioniert vielerorts
weiterhin nicht reibungslos. Aber diese Probleme interessieren die FDP nicht. Im Gegenteil, sie fordert, die Vorgaben des Universaldienstes zurückzufahren, und bereitet so den Weg für eine schlechtere Versorgung.
Wir Grüne dagegen setzen uns schon lange dafür ein,
dass die flächendeckende Postversorgung verbraucherund kommunenfreundlich ausgestaltet wird. Dazu zählen
für uns nicht nur ein funktionierender Wettbewerb im
Postsektor und die Beseitigung der immer wieder auftretenden Mängel, sondern vor allem auch ein zeitgemäßes,
bezahlbares, flächendeckendes Angebot von Postdienstleistungen. In Zeiten des Internets nutzen Bürgerinnen
und Bürger die Post anders als noch vor zehn Jahren. Es
ist höchste Zeit, die Vorgaben der Universaldienste fit für
das 21. Jahrhundert zu machen.
Damit kommen wir zur Abstimmung.
Tagesordnungspunkt 23 a: Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Stärkung wettbewerblicher Strukturen
im Markt für Postdienstleistungen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13152, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8906
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke bei Befürwortung des Gesetzentwurfs durch die FDP.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 23 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Wettbewerbsintensität im Binnenmarkt für Postdienstleistungen
erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13152, den
Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8773
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP.
Tagesordnungspunkt 23 c: Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen
Post AG bei der Umsatzsteuer“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8809, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/676 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Klaas Hübner, Andrea
Wicklein, Ernst Bahr ({1}), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit 2008
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus,
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit 2008
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit 2008
- Drucksachen 16/10852, 16/10854, 16/10454,
16/13121 Berichterstattung:
Abgeordneter Jan Mücke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Beratung eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und
höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Ulrich Kasparick.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu später Stunde ein wichtiges Thema: Jahresbericht
zum Stand der Deutschen Einheit 2008. Er bezieht sich
auf das Jahr 2007. Ich will Ihnen in einigen wenigen
Worten die wichtigsten Trends beschreiben, mit denen
die Bundesregierung versucht, mit den besonderen Problemen in den neuen Bundesländern umzugehen.
Wir glauben, dass der Bericht zum Stand der deutschen Einheit, der Ihnen ja schon im Sommer des vergangenen Jahres zugegangen ist, beschreibt, dass die
Grundsatzentscheidung, die neuen Länder mit zwei zentralen Strategien aufzubauen, nämlich Innovation und
Infrastruktur, richtig war. Wir sehen, dass die Branchen,
die auf Innovation gesetzt haben, mit der aktuellen Krise
besser umgehen können als die Branchen, die nicht auf
Innovation gesetzt haben.
Die Bundesregierung hat sich bemüht, die Forschungslandschaft systematisch auszubauen und die neu
entstehenden kleinen und mittelständischen Unternehmen mit den starken Forschungszentren so zusammenzubringen, dass sie als Cluster antreten können. Wir sehen bei der Exzellenzinitiative, dass die ostdeutschen
Hochschulen und Universitäten in den Bereichen konkurrenzfähig sind, die auch für die alten Länder neu sind.
In den alten Themenfeldern haben es die neuen Länder
schwer, weil die Kapazitäten der Hochschuleinrichtungen in der Regel kleiner sind; aber bei den neuen Technologien sind wir gleichauf.
Daran, dass Mitteldeutschland mittlerweile der Solarstandort Nummer eins in der Welt geworden ist, sieht
man, dass es zielführend war, auf Innovation zu setzen.
Das gibt uns in der aktuellen Krise, die der Bericht 2008
natürlich noch nicht berücksichtigen konnte, die berechtigte Hoffnung, dass insbesondere die Branchen, die
hochinnovativ sind, besser durch die Weltwirtschaftskrise kommen als andere Branchen. Wer sich in der Solarwirtschaft umtut, wer sich einmal das „Solar Valley“
anschaut, wer einmal nach Bitterfeld geht, der sieht, dass
hier mit gezielter Förderung des Bundes ein Raum entsteht, der einem traditionellen Chemiestandort die
nächste Stufe einer zukunftsfähigen Entwicklung ermöglicht.
Wir wollen der Industrie helfen, industrielle Grundprodukte herzustellen, die nicht mehr vom Erdöl abhängen, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen kommen.
({0})
Die erste Bioraffinerie wird dort gebaut. Es gibt eine
ganz enge Verknüpfung zwischen den Max-Planck-Instituten, den Fraunhofer-Instituten und den klassischen
Universitäten, die sagen: Wir müssen zusammen mit
dem BiomasseForschungsZentrum, für das sich vier
Bundesministerien zusammengetan haben, einen Beitrag
dazu leisten, dass die chemische Industrie zukunftsfest,
also auch erdölunabhängiger wird.
Wer sich Norddeutschland und das anschaut, was im
Ostseeraum passiert, ausgehend von den Hochschulen,
die einen Ostseeverbund miteinander verabredet haben,
der erkennt, dass Standorte wie Greifswald, Rostock,
Wismar oder Stralsund, also solche, wo internationale
Forschung organisiert wird, davon wirklich profitieren.
({1})
Wir haben uns in der aktuellen Krise - der Hinweis
sei erlaubt, auch wenn wir jetzt eigentlich über das Jahr
2007 reden - darum bemüht, die Förderprogramme im
Konjunkturpaket II mit besonderem Fokus auf die neuen
Länder auszurichten. Die neuen Länder bekommen
überproportional mehr Mittel. Das ist zielführend.
({2})
Wir brauchen das bei der GA, wir brauchen das bei
der Innovationsförderung, und wir brauchen das, wenn
es darum geht, den demografischen Wandel zu bewältigen. Alle, die sich mit dem Wiederaufbau der neuen
Länder im Rahmen eines Prozesses von mittlerweile
20 Jahren beschäftigen, wissen, dass all das, was wir bisher an modernster Infrastruktur geschaffen haben, durch
den demografischen Wandel gefährdet wird. Meine
Fachleute im Hause sagen mir: Die eigentliche Herausforderung liegt in diesem Bereich. Wir merken, dass das,
was die Bundespolitik zusammen mit den Landespolitiken anbieten kann, sehr begrenzt ist. Man kann demografischen Wandel nicht durch ein Bundesgesetz außer
Kraft setzen.
Deswegen muss man sich fokussieren. Wir müssen
uns auf das Thema Fachkräfte und darauf fokussieren,
den Technologievorsprung, den wir uns erarbeitet haben,
zu halten. Das bedeutet, dass es richtig ist, die Exzellenzinitiative dahin gehend fortzusetzen, dass wir auf hochinnovativen Feldern, auf denen die ostdeutschen Standorte gut dabei sind, Verstärkungsmittel zur Verfügung
stellen.
Wir haben vonseiten des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung angefangen, mit Modellregionen zu agieren. Das ist gut angelaufen, sodass
wir das jetzt auch auf die alten Länder ausweiten können. In diesem Bereich zeigt sich ebenfalls: Ostdeutschland ist mittlerweile ein Innovationsstandort geworden.
Das gilt nicht nur für die Projekte beim Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und für andere Dinge
modernster Infrastruktur. Auch wenn es darum geht, für
Entwicklungen, die in den nächsten Jahren auch die alten Länder erreichen werden, Lösungen zu finden, wird
Ostdeutschland zunehmend zum Modell. Das ist gut.
Wir wollen diesen Weg fortsetzen. Wir glauben, dass
die besondere Berücksichtigung im Konjunkturpaket II,
dem Förderprogramm für die neuen Länder, helfen wird,
die aktuelle Krise zu mildern und abzufedern. Wir glauben ebenfalls, dass insbesondere die Standorte, die zusammen mit den Ländern auf Innovationen gesetzt haben, die Krise gut überstehen können.
Wir haben noch eine Menge vor uns. Sie wissen, der
Solidarpakt II ist zeitlich befristet. Es werden weniger
Mittel zur Verfügung stehen. Umso mehr sind wir gezwungen, die Kräfte zu bündeln. Wir glauben aber, dass
die prinzipielle strategische Ausrichtung vernünftig ist
und ausgebaut werden sollte, nämlich die Konzentration
auf Infrastruktur und Innovation.
Herzlichen Dank für die Unterstützung im Parlament.
({3})
Der Kollege Jan Mücke von der FDP-Fraktion hat
seine Rede zu Protokoll gegeben.1)
Damit erteile ich das Wort dem Kollegen Eckhardt
Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Staatssekretär, was Sie beschrieben haben, können wir und kann ich voll unterstützen. Gerade
wenn man Anträge der Linken zum Bericht zum Stand
der deutschen Einheit liest, ist es zwingend geboten, sich
zurückzuerinnern: Wie sah es vor 20 Jahren aus?
Gerade den Linken rate ich dringend, sich einen Bericht vorzunehmen, den Mitglieder ihrer Vorgängerpartei
geschrieben haben, nämlich den Schürer-Bericht. Der
Schürer-Bericht sagt aus, dass die DDR pleite war, dass
man betteln gehen musste - man wollte 23 Milliarden DM
von der Bundesregierung -, damit 1991 nicht die Zahlungsunfähigkeit festgestellt werden musste. Der Kern
des Berichts war die Aussage, dass dann, wenn die Verschuldung im Jahr 1990 gestoppt werden soll, der Lebensstandard um 30 Prozent sinken muss. Bei der heutigen Debatte über den Jahresbericht der Bundesregierung
zum Stand der deutschen Einheit 2008 muss man also
auch daran erinnern, dass die DDR vor 20 Jahren
schlichtweg marode und pleite war.
({0})
Da Sie von den Linken ja immer so sehr auf die soziale
Seite schauen, möchte ich stichpunktartig einige weitere
Dinge in Erinnerung rufen.
Lebenserwartung: Die Lebenserwartung ist in den
letzten 20 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern bei den
Frauen um sechs Jahre und bei den Männern um sieben
Jahre gestiegen.
Gesundheitsvorsorge: Die Wartezeit für gefäßchirur-
gische Eingriffe - erinnern wir uns zurück - betrug mehr
als zwei Jahre. Nicht einmal für jeden zweiten Nieren-
kranken stand ein Dialyseplatz zur Verfügung.
Rente: Sie betrug ein Drittel des Nettoeinkommens
eines normalen Arbeitnehmerhaushaltes.
Arbeitsproduktivität: Sie betrug lediglich 40 Prozent
des heutigen Wertes. Nicht viel besser sah es bei der In-
frastruktur aus.
Umweltsituation: Der maßgebliche Grenzwert lag bei
150 Mikrogramm pro Kubikmeter, in Leipzig lagen die
1) Anlage 30
Werte 1989 aber zwischen 160 und 310 Mikrogramm
pro Kubikmeter, und im Winter 1989 betrug der Wert an
30 Tagen 600 Mikrogramm pro Kubikmeter. Eine Folge
davon war, dass die Zahl der Kinder in der ehemaligen
DDR, die an Bronchitis erkrankten, von 1974 bis 1989
um 172 Prozent gestiegen ist.
Man kann hier heute nicht debattieren, ohne diese
Ausgangsposition noch einmal zu benennen, ohne auf
die Zwischenetappen wie den Fonds Deutsche Einheit,
den Erblastentilgungsfonds, Solidarpakt I und Solidarpakt II hinzuweisen und ohne die Solidarität des Westens
noch einmal deutlich zu machen. Allein die Aufbauhilfen, das heißt, das, was die neuen Länder zusätzlich zwischen 1991 und 2008 bekommen haben, hatten einen
Umfang von rund 320 Milliarden Euro. Ohne all dies
hätten wir heute nicht den Stand erreicht, den wir jetzt
erreicht haben.
Ich denke, wir sollten erstens stolz auf das Erreichte
sein
({1})
und zweitens das, was durch die Anstrengungen der
Menschen im Osten und durch die Solidarität des Westens erreicht worden ist, nicht schlecht- oder kleinreden unbeschadet der noch zu lösenden Probleme.
Herr Staatssekretär, Sie haben recht: Wir haben mittlerweile eine durchaus robuste Wirtschaftsstruktur, eine
gesunde Mischung aus kleinen und mittelständischen
Unternehmen, die im Bereich Forschung und Innovation
tätig sind, und einen ausgeprägten Dienstleistungs- und
Tourismussektor. Somit war es richtig, Investitionszulagen auch für den gastgewerblichen Bereich zu gewähren. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg konnten deswegen zum Beispiel im Mai 2009 einen
Rückgang der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahresmonat verzeichnen.
All die gesamten Maßnahmen haben - trotz der noch
zu lösenden Probleme - dazu geführt, dass wirtschaftliche Kerne entwickelt wurden, wettbewerbsfähige Unternehmen in vielen Regionen entstanden sind und der Osten auch gut auf nationalen und internationalen Märkten
aufgestellt ist.
Ich denke, es ist richtig, dass auch wir Abgeordnete
aus den neuen Bundesländern den Neuansatz mittragen
und immer dann, wenn es um strukturschwache Regionen geht, nicht mehr ausschließlich die strukturschwachen Regionen in den neuen Bundesländern in den Blick
nehmen, sondern auch die betreffenden Regionen in
Westdeutschland. Deshalb muss der neue Ansatzpunkt
bei der Regionalförderung lauten, alle strukturschwachen Regionen in Deutschland zu betrachten.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da es die
letzte Debatte in dieser Legislaturperiode zum Stand der
deutschen Einheit sein wird, möchte ich nur kursorisch
aufführen, was wir in dieser Legislaturperiode erreicht
haben:
Wir haben die GA-Mittel gerade durch das
Konjunkturpaket II massiv aufgestockt. Wir haben die
I-Zulage, die 2011 wieder überprüft wird, verlängert.
Allein im Jahr 2008 wurden Investitionshilfen in Höhe
von 570 Millionen Euro geleistet.
All denen, die immer wieder behaupten, der Osten
komme zu kurz, sei gesagt, dass von den Investitionsmitteln aus dem ERP-Fonds fast 1 Milliarde Euro - das sind
20 Prozent mehr als für die alten Bundesländer - in die
neuen Bundesländer fließen.
Ich habe mir die Mühe gemacht, zu vergleichen. Es
ist nämlich wichtig, dass das Gefühl, das die Linken bei
den Menschen wecken wollen, sozusagen korrigiert
wird. Bei den Konjunkturpaketen I und II und dem Programm, das aus der Maut finanziert wird - insgesamt
sind es 6,6 Milliarden Euro -, bekommen Bayern und
Baden-Württemberg 891 Millionen Euro und die neuen
Bundesländer, die deutlich weniger Einwohner haben
und etwa flächengleich sind, 837 Millionen Euro. Das
heißt: Es gibt überhaupt keine Benachteiligung. Ganz im
Gegenteil - ich kann die Aussage des Staatssekretärs nur
unterstützen -: Wir bekommen mehr, als uns nach dem
Königsteiner Schlüssel zustehen würde.
({3})
Wenn Bundesländer wie Berlin und MecklenburgVorpommern am wenigsten davon abbekommen, dann
liegt das an den Planungsleistungen. In Berlin regiert
Rot-Rot. In Mecklenburg-Vorpommern hat bis 2006
ebenfalls Rot-Rot regiert. Andere Länder wie Sachsen,
Thüringen oder Sachsen-Anhalt haben fertige Projekte
in der Schublade gehabt und bekommen deshalb mehr
als 90 Prozent dieser 837 Millionen Euro. Insoweit hat
die politische Farbe auch etwas damit zu tun, was man
von den Programmen des Bundes in Anspruch nehmen
kann.
Für die Unionsfraktion ist ein Thema zukünftig ganz
wichtig, und ich bin froh, dass es in Punkt 11 Eingang
gefunden hat. Es geht darum, dass wir im Korridor von
der Adria bis zur Ostsee Logistikräume und Wirtschaftsräume entwickeln und vernetzen.
({4})
Herr Staatssekretär, es hat fast drei Jahre gedauert, bis
das Verkehrsministerium diese Anregung aufgenommen
hat. Ich bin ausdrücklich dankbar, dass die Stellungnahme der Bundesregierung zur TEN-Revision die Aussage enthält, dass wir Lücken schließen müssen, Lücken
zwischen Berlin und den Ostseehäfen und Lücken zwischen Prag und Berlin. Das heißt, dass wir eine durchgehende transeuropäische Verbindung von Italien, Österreich, Bayern und Mitteldeutschland und ebenso eine
Verbindung von der Adria, über Ungarn und Tschechien
nach Berlin, zu den Ostseehäfen und bis nach Skandinavien haben müssen.
({5})
Ich sage das deswegen ausdrücklich, weil es wichtig
ist, hinsichtlich der Zukunftspotenziale die Osterweiterung der Europäischen Union im Blick zu haben. Zusätzliche Potenziale können nach unserem Dafürhalten nur
aus den südlichen Ballungsräumen in Vernetzung mit
den nördlichen Ballungsräumen kommen. Deswegen
wird es eines der zentralen Felder der nächsten Jahre
sein, diese Achse im Interesse der neuen Bundesländer
zu entwickeln, aber auch im Interesse Bayerns, Tschechiens und aller anderen Länder, die auf dieser Achse
liegen.
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der uns vorliegende Jahresbericht enthält neben
erwartungsgemäß jeder Menge Eigenlob durchaus auch
viele Elemente einer differenzierten, einer kritischen
Analyse. Das ist zu begrüßen und stellt auch einen Fortschritt gegenüber früheren Berichten dar.
Herr Kasparick, sosehr man Ihren Ausführungen in
vielem zustimmen kann, muss man feststellen: Leider
haben weder dieser Bericht noch Ihre Position, die Sie
im Plenum vorgetragen haben, irgendeine Auswirkung
auf das Regierungshandeln. Die Bundesregierung ignoriert im Wesentlichen diese Berichte. Das Ergebnis ist,
dass sich vor allem Ostdeutsche seit vier Jahren von der
aus Ostdeutschland stammenden Kanzlerin Merkel und
ihrem Ostbeauftragten Tiefensee enttäuscht sehen.
({0})
Dass Sie jetzt wenige Wochen und Monate vor der Wahl
mit Papieren und Positionen zu Wort kommen wollen,
offenbart die Zwielichtigkeit Ihres Ansatzes.
({1})
Wenn wir über den Osten reden, dann geht es uns auf
der einen Seite darum, die nach wie vor vorhandenen
Diskriminierungen abzubauen.
({2})
Darüber haben wir heute Mittag im Zusammenhang mit
dem Thema „Ostrenten“ sehr ausgiebig gesprochen.
Ein weiteres Feld, auf das ich Sie aufmerksam machen will, ist, dass der Anteil von Beschäftigungsverhältnissen mit Niedriglohn, von Zeit- und Leiharbeit in
Ostdeutschland mehr als doppelt so hoch wie im Westen
der Republik ist. Beschäftigung im Niedriglohnsektor,
Zeit- und Leiharbeit sind gerade für junge Menschen
Freiheitseinschränkungen, die sie hinzunehmen haben.
Ich will heute aber über die zweite Seite von Ostdeutschland reden, nämlich darüber, dass inzwischen
20 Jahre lang Erfahrungen mit der Transformation gesammelt wurden. Diese Erfahrungen verdienen es, bundesweit anerkannt zu werden. Bislang greift die Bundesregierung nicht darauf zurück, sodass diese Erfahrungen
brachliegen.
Die Fraktionen der Linken in den Landtagen - nicht
nur in den ostdeutschen - und die Fraktion im Bundestag
haben vor kurzem ein „Leitbild Ostdeutschland 2020“
vorgelegt, in dem vier Jahre politischer und vor allem
wissenschaftlicher Arbeit stecken. Der Kern dieser
Überlegungen ist, dass es an der Zeit ist, ostdeutsche Erfahrungen endlich für einen sozial-ökologischen Umbau
in der gesamten Bundesrepublik zu nutzen.
({3})
Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert; da
sind sich inzwischen nahezu alle ernstzunehmenden
Wissenschaftler einig.
({4})
Das „Leitbild Ostdeutschland 2020“ beantwortet auch
die Frage: Was kommt dann?
Ich will Ihnen dazu ein paar Beispiele nennen. Zuvor
will ich Ihnen aber sagen: Aus der Krise führen nur neue
Wege. Wer denkt, ein „Weiter so!“ genügt, ist auf dem
Holzweg. Ostdeutschland ist ein guter Lernort für neues
Denken.
({5})
Wir haben in den neuen Bundesländern einen riesigen
Vorsprung beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir
wissen: Die erneuerbaren Energien kommen nicht von
selbst ins Haus. Diesen Erfahrungsvorsprung zu nutzen,
auch bundesweit, davon sind wir im Moment aber noch
weit entfernt.
Wir haben 20 Jahre Erfahrungsvorsprung mit dem
Stadtumbau Ost. Jetzt findet - das begrüßen wir - auch
ein Stadtumbau West statt. Es gibt aber keinen Ansatz,
die Erfahrungen aus dem Osten beim Stadtumbau West
zu nutzen.
({6})
Wir haben im Osten einen Erfahrungsvorsprung bei
der Verbindung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung. In den alten Bundesländern ist die Situation bei der
Kinderbetreuung katastrophal.
({7})
Ein wirklicher Beitrag zu einem Konjunkturprogramm
wäre, sich vorzunehmen, die Kinderbetreuung im Westen wenigstens auf das Ostniveau zu bringen.
({8})
Viele weitere Beispiele ließen sich anführen.
({9})
Ostdeutsche haben also allen Grund, selbstbewusst
und nicht gebückt die deutsche Einheit mit zu gestalten.
Die Linke wird sich auch angesichts gewachsener bundespolitischer Verantwortung den Lebensinteressen der
Ostdeutschen in besonderer Weise verbunden fühlen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({10})
Der Kollege Peter Hettlich von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen hat seine Rede zu Protokoll gege-
ben,1) sodass ich als letzter Rednerin in dieser Debatte
der Kollegin Iris Gleicke für die SPD-Fraktion das Wort
geben kann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor fast 20 Jahren haben die DDR-Bürgerinnen und -Bürger in einer friedlichen Revolution die Mauer niedergerissen, die Staatsführung samt Stasi in die Wüste geschickt und so die deutsche Einheit möglich gemacht.
({0})
Es war für uns Ostdeutsche eine gute Zeit, in der nichts
unmöglich schien.
Ich war noch jung,
({1})
als die DDR ihr wohlverdientes Ende fand; aber ich kann
mich noch gut erinnern an unsere Ängste, an unsere
Hoffnungen und an unsere Träume. Viele Hoffnungen
haben sich erfüllt, viele Träume sind Wirklichkeit geworden.
({2})
Wir haben unglaublich viel erreicht. Das muss jeder, der
sich an die DDR wahrhaftig und ohne verklärten Blick
erinnert, zugeben.
({3})
Es gibt aber auch viele Träume und Hoffnungen, die
sich nicht erfüllt haben. Manches hat sich als blanke Illu-
sion erwiesen. Manches ist an der harten Realität ge-
scheitert. Die Euphorie von damals ist dem kritischen
1) Anlage 30
Blick auf einen noch immer nicht abgeschlossenen Aufholprozess längst gewichen.
Vielen Menschen wurde in diesem Prozess unglaublich viel abverlangt: ein Höchstmaß an Willen und Bereitschaft zur Veränderung, die Fähigkeit, mit teilweise
gänzlich neuen äußeren Bedingungen umzugehen und
dabei die tagtäglichen Probleme zu meistern. Wir können auf das, was wir geleistet haben, stolz sein, und zwar
jeder Einzelne. Und wir sind stolz darauf. Wir haben damals nicht bei null angefangen. Wir hatten eine ganze
Menge, auf dem wir aufbauen konnten und an das wir
anknüpfen konnten. Wir erwarten, dass diese Leistung
endlich allgemein anerkannt wird.
({4})
Wir erwarten auch, dass die hinter diesen Leistungen
stehenden ostdeutschen Biografien endlich anerkannt
werden. Sie sollen anerkannt werden als die Lebensläufe
von Menschen, die in großer Mehrheit versucht haben,
unter den schwierigen und zum Teil fürchterlichen Bedingungen einer Diktatur ein anständiges Leben zu führen. Folgendes möchte ich für die Angehörigen meiner
ostdeutschen Generation sagen: Unsere Väter und Mütter haben einen Anspruch auf Respekt und auf die Anerkennung ihrer Lebensleistung.
({5})
Als ostdeutsche Sozialdemokraten setzen wir auf das
neu entstandene und gewachsene ostdeutsche Selbstbewusstsein. Dieses Selbstbewusstsein beschränkt sich
nicht nur auf eine schmale Minderheit, sondern beflügelt
eine breite Mehrheit. Dieses Selbstbewusstsein gründet
im Stolz auf das bereits Erreichte und im kritischen
Blick auf die nach wie vor bestehenden Defizite. Wir haben schon viel erreicht. Es gibt aber noch viel zu tun.
Wir fordern ohne Wenn und Aber das ein, was den Ostdeutschen zusteht. Dazu gehören unter anderem: gleicher Lohn für gleiche Arbeit,
({6})
ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West und ein
einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn in Ost und West.
Es geht um die Vollendung der sozialen Einheit unseres
Landes. Dafür stehen wir als ostdeutsche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
({7})
Unter der Führung von Wolfgang Tiefensee ist der
Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit vorgelegt worden. Er zieht ohne jede Schönfärberei eine ehrliche Zwischenbilanz und beschreibt einen Aufholprozess, der fortgesetzt und beschleunigt werden muss. Das
kann natürlich einigen ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten nicht in den Kram passen, die beim Aufbau Ost
vor allen Dingen auf Propaganda setzen. Oder haben sie
etwa unsere gemeinsamen Entschließungsanträge und
unsere gemeinsame Arbeit im Deutschen Bundestag
nicht mitverfolgt? Wohl auch deshalb haben diese ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten vor ein paar Tagen
ein Papier verbreitet, in dem sie ankündigen, im Fall eines Sieges bei der Bundestagswahl den Aufbau Ost wieder direkt im Kanzleramt ansiedeln zu wollen.
({8})
Wahrscheinlich ist das eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Dieter Althaus, der sich nach der Landtagswahl in Thüringen einen neuen Job suchen muss.
({9})
Der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Böhmer
hat sich immerhin nur wenige Stunden nach Bekanntwerden dieses substanzlosen Papiers mit deutlichen
Worten von dieser Forderung distanziert. Er wird wissen, warum. Der Ministerpräsident Böhmer braucht sich
aber keine Sorgen zu machen, und die Menschen in Ostdeutschland brauchen sich keine Sorgen zu machen: Der
Aufbau Ost bleibt auch nach der Bundestagswahl bei
Wolfgang Tiefensee in guten Händen und wird dann
auch vom Kanzleramt aus wieder wirkungsvoll unterstützt.
({10})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/13121. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2008 auf Drucksache 16/10454 die Annahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/10852 zu
dem genannten Jahresbericht. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke sowie bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10854 zum
Jahresbericht 2008. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Diese
Beschlussempfehlung ist ebenfalls angenommen, und
zwar mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gleichstellung der Geschlechter in der Privatwirtschaft durch wirksame gesetzliche Regelungen fördern
- Drucksachen 16/9486, 16/12986 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Eva
Möllring, Renate Gradistanac, Caren Marks, Ina Lenke,
Dr. Barbara Höll und Irmingard Schewe-Gerigk.
Die Gleichstellung von Frau und Mann in der Wirtschaft ist zu einem Kernthema dieser Wahlperiode geworden. Ich habe allein im Plenum inzwischen acht Reden zu
den ungleichen Einkommen von Frauen und Männern gehalten. Nachdem die Koalitionsfraktionen im März 2008
einen Antrag mit konkreten Forderungen verabschiedet
haben und vonseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
ein weiteres Positionspapier vorgelegt wurde, zielt nun
auch die Linke mit weiteren Forderungen an die Privatwirtschaft nach. Allerdings, gut gemeint ist eben nicht gut
gemacht.
Es ist natürlich richtig, dass wir - auch in der Privatwirtschaft - endlich die Gleichstellung von Männern und
Frauen erreichen müssen. Schließlich verdienen Frauen
in Deutschland immer noch 23 Prozent weniger als Männer. Und familienbedingte Auszeiten führen noch viel zu
oft zu langwierigen Nachteilen.
Bereits in unserem Antrag haben wir deutlich gemacht: Es sind viele Schritte in verschiedenen Politikfeldern erforderlich, um den Problemen zu Leibe zu rücken.
Außerdem brauchen wir einen Mentalitätswechsel, sowohl aufseiten der Wirtschaft als auch aufseiten der
Frauen. Die Beseitigung der komplexen Ursachen für die
Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern wird
nicht mit einem Federstrich gelingen, sondern lässt sich
nur Schritt für Schritt erreichen.
Die Bundesregierung hat zu vielen Aspekten, die in
dem vorliegenden Antrag angesprochen werden, bereits
Maßnahmen ergriffen - ich erinnere dabei vor allem an
meinen Vorschlag, den in der Schweiz entwickelten Lohntest „Logib“ einzuführen, damit jedes Unternehmen freiwillig selbst überprüfen kann, wie groß die Lohnlücke im
jeweiligen Unternehmen ist. Wir sind sehr dankbar, dass
unsere Familienministerin Dr. Ursula von der Leyen diesen Vorschlag aufgenommen hat und ihn gemeinsam mit
der Wirtschaft umsetzt.
Die entscheidende Herausforderung in der Gleichstellungspolitik ist meiner Ansicht nach die Chancengleichheit von Frauen und Männern. Dafür muss noch eine
Reihe von Aufgaben bewältigt werden, von denen ich die
wichtigsten nenne: erstens das Selbstvertrauen von jungen Frauen stärken, gut bezahlte, zukunftsträchtige Berufe zu wählen; zweitens die gerechte Bewertung und Bezahlung von Tätigkeiten, die überwiegend von Frauen
ausgeübt werden, und zwar auch im Rahmen des Tarifgefüges; drittens Aufstiegschancen von Frauen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft verbessern und
viertens die flankierende Unterstützung von kindererziehenden Eltern, auch bezüglich der Arbeitszeiten, der Anerkennung und Schätzung von Teilzeitarbeit und der Finanzierung von unterstützenden Hilfen.
Liebe Kollegen von der Linken, Sie wollen, dass in jedem Betrieb genauso viele Frauen wie Männer beschäftigt sind. Wenn zum Beispiel ein Technikbetrieb mit 2 000
Beschäftigten eine solche Forderung umsetzen müsste, so
bräuchte er ad hoc 1 000 weibliche Fachkräfte für alle
Arbeitsebenen. Diese Frauen gibt es aber gar nicht auf
dem Arbeitsmarkt, und es wird sie auch in den nächsten
fünf Jahren nicht geben. Denn der Anteil der weiblichen
Studienanfängerinnen liegt im Fach Maschinenbau bei
17,2 Prozent, im Fach Informatik bei 14,6 Prozent und im
Fach Elektrotechnik nur bei 8,2 Prozent. In den technischen Ausbildungsberufen sieht es nicht viel anders aus.
Frauen sind gerade in den MINT-Berufen chronisch
extrem unterrepräsentiert. Es hilft also nichts, Betriebe
und Unternehmen gesetzlich dazu zwingen zu wollen,
gleich viel Männer und Frauen zu beschäftigen, wenn wir
nicht von vornherein systematisch dafür sorgen, dass
Mädchen ihr Interesse an technischen Fächern früher
entwickeln und konsequent verfolgen. Dazu müssen wir
die Schulbildung schon frühzeitig verändern und die Studienfächer ganz praktisch erweitern, um Frauen besser
anzusprechen.
Die Frage ist aber auch: Ist Elektrotechnik wirklich etwas Besseres als Kindererziehung oder Arzthilfe? Andersherum gesagt: Es ist überfällig, dass die Tarifparteien die Tätigkeitsbeschreibungen überprüfen und die
Tätigkeiten von Frauen fair einschätzen.
Genauso wichtig ist es, die Aufstiegschancen von
Frauen zu verbessern. Dazu haben Sie einige Vorschläge
gemacht, meine Damen und Herren von der Linken. Die
sind auch nicht alle falsch. Eine jährliche Bestandsaufnahme der Beschäftigungsstruktur, konkrete Gleichstellungskonzeptionen und die Gleichstellungskompetenz
von Führungskräften sind natürlich richtig und werden
auch schon vielfach durchgeführt. Nur, mit der Brechstange, mit einer Frist von 24 Monaten, mit einem Auswahlrecht des Betriebsrates und mit Rechtsansprüchen
auf Einstellung und Beförderungen werden Sie die Ziele
nicht erreichen.
Richtig ist: Die Betriebe müssen darauf achten,
Frauen auf allen Ebenen für die jeweils höhere Position
zu fördern. In der Anhörung Ende Januar war es schockierend zu hören, dass die Vertreter der Wirtschaft es
klar abgelehnt haben, teilzeitbeschäftigte Frauen in Führungspositionen zu bringen. Gut 46 Prozent, also fast die
Hälfte aller in Deutschland beschäftigten Frauen, haben
2007 in Teilzeit gearbeitet. Wenn diese alle nicht für Füh24746
rungspositionen infrage kommen, dann ist es logisch,
dass der Anteil insgesamt so gering ist.
Trotz aller Kinderbetreuungsangebote geht die Tendenz von Müttern und Vätern eindeutig dahin, zugunsten
der Familie die Arbeitszeit zu reduzieren, weil sich Familienarbeit eben nicht durch eine Betreuungsstelle erledigt
und weil Mütter und Väter die Entwicklung ihrer Kinder
eben auch miterleben und positiv beeinflussen wollen.
Durch das Elterngeld reduzieren inzwischen gerade auch
zahlreiche Männer ihre Arbeitszeit oder unterbrechen
ihre Tätigkeit und verstärken den Trend.
Es wird einen Mentalitätswechsel geben müssen, um
Fachkräfte - seien sie weiblich oder männlich - in den
Betrieben zu halten und ihnen eine Karriere bis in Führungspositionen zu ermöglichen. Männer und Frauen,
die ihre Familie mit Teilzeit kombinieren, werden sich
nicht gefallen lassen, ihre Karriere ad acta legen zu müssen. Und warum sollte es nicht möglich sein, in einer Teilzeitbeschäftigung maßgebliche Verantwortung zu tragen
und höhere Positionen auszufüllen?
In diesem Zusammenhang kann ich mir auch gut vorstellen, dass sich eine Wettbewerbssituation zwischen den
Unternehmen ergibt, wer die meisten gut ausgebildeten
Teilzeitkräfte und die meisten Frauen in höheren Unternehmensebenen beschäftigt. Einen solchen Wettbewerb
müssen wir politisch herausfordern und mitgestalten.
Zu dem letzten, wichtigen Punkt, nämlich einer familienfreundlichen Gestaltung des Arbeitsmarktes, habe ich
in den vergangenen Reden schon viel gesagt. In dieser
Wahlperiode ist gerade in diesem Politikfeld ja wirklich
ein erheblicher Bewusstseinswandel bei den Arbeitgebern erreicht worden. Deshalb kann ich nur sagen: Auf
diesem Weg müssen wir weitermachen. Und wenn wir in
der kommenden Wahlperiode endlich die Haushaltskräfte
steuerlich anderen, betrieblichen Mitarbeitern gleichstellen, dann hätten wir wirklich den ganz großen Durchbruch erreicht.
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin,
Jutta Allmendinger, antworte erst kürzlich auf die Frage
nach der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern so:
„Frauen werden nicht gleich behandelt. Sie haben nicht
die gleichen Chancen. Das ist unsere Realität.“
Unsere Realität ist auch, dass Frauen immer noch erheblich weniger verdienen als Männer. Im Durchschnitt
sind es 23 Prozent weniger. Britische Wirtschaftswissenschaftler haben erst kürzlich prognostiziert, dass Frauen
erst in 150 Jahren so viel verdienen werden wie Männer.
Zwar habe jede Frauengeneration Fortschritte bei der
Angleichung der Einkommen erzielt, allerdings habe sich
dieser Prozess deutlich verlangsamt. Hierfür seien nicht
nur familienbedingte Erwerbsunterbrechungen verantwortlich, denn auch Frauen ohne berufliche Auszeiten
verdienten nach zehn Jahren im Durchschnitt 12 Prozent
weniger als ihre männlichen Kollegen, und dies bei gleicher Ausbildung, gleichem Alter und gleichem Beruf. Ursache hierfür sei die Diskriminierung von Frauen, der die
Politik nicht ausreichend begegne.
Ursächlich für die bestehende Entgeltungleichheit
zwischen Frauen und Männern sind nicht nur familienbedingte Erwerbsunterbrechungen, die geschlechtsspezifische „Humankapitalausstattung“ und das eingeschränkte Berufswahlverhalten von Frauen, wie oft
verkürzt argumentiert wird - so auch von Ihnen, meine
Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, in der
Broschüre „Erfolgreiche Politik für Frauen“. Eine neue
Studie zur Lohnlücke in Führungspositionen in der Privatwirtschaft belegt deutlich, in welch hohem Umfang gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen für
die Verdienstunterschiede von Bedeutung sind. Zu diesen
zählen auch mittelbar und unmittelbar diskriminierende
Praktiken auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmen.
Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche, in dessen Unternehmen es in den vergangenen 60 Jahren keine einzige
Frau im Vorstand gab, bekannte letzten Sonntag: „Wir
sind fünf Herren im Vorstand, keine Frau. Das ist beschämend.“ Es ist in der Tat beschämend, dass die Spitzengremien der großen privaten Unternehmen in Deutschland
nach wie vor eine nahezu reine Männerdomäne sind. In
den 200 größten Unternehmen außerhalb des Finanzsektors sind nur 2,5 Prozent der Vorstandsposten mit Frauen
besetzt. Der Frauenanteil in den Aufsichts- und Verwaltungsräten beträgt dort rund 9 Prozent. Dabei werden
knapp drei Viertel der Frauen von den Arbeitnehmervertretungen entsandt. Dass hier eine Quote wirkt, hat Norwegen mit seiner 40-Prozent-Quotierung für Frauen in
den Aufsichtsräten eindrücklich bewiesen. Im europäischen Vergleich liegt Norwegen mit einem Frauenanteil
von 41 Prozent in den Topgremien der großen börsennotierten Unternehmen weit über dem Länderdurchschnitt,
der 11 Prozent beträgt.
Das Bundesgleichstellungsgesetz, das für die gesamte
Bundesverwaltung gilt, hat erste positive Ergebnisse gebracht. Der Bund hat hier eine wichtige Vorbildfunktion.
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass der zweite Erfahrungsbericht bald kommt. Derzeit gibt es nur eine beamtete
Staatssekretärin, die erste seit sieben Jahren. Seit Gründung der Bundesrepublik gab es insgesamt nur sieben
Frauen in dieser Funktion. Wir werden wohl auch hier
weitere Strategien und Umsetzungsschritte entwickeln
müssen. Denkbar wäre zum Beispiel ein Gleichstellungsindex für die obersten Bundesbehörden. Hier gibt es sicherlich auch kreative und effektive Vorschläge vonseiten
der Gleichstellungsbeauftragten.
Heute beraten wir einen Antrag der Linken, in dem die
Förderung der Gleichstellung der Geschlechter in der
Privatwirtschaft durch wirksame gesetzliche Regelungen
gefordert wird. Die bisherigen Bilanzen zur freiwilligen
Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von
Frauen und Männern haben nur geringe Erfolge aufgezeigt. Eine deutliche Erhöhung der Anzahl von Frauen in
Führungspositionen hat es nicht gegeben. Wir brauchen
daher weiter reichende Maßnahmen und eine umfassende
Gesamtstrategie zur Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben. In Ihrem Antrag vermisse ich allerdings die
Forderung nach flächendeckenden gesetzlichen Mindestlöhnen und eine Quotierung von Aufsichtsräten.
Zu Protokoll gegebene Reden
Da die CDU/CSU die Frauen auch beim Thema Entgeltgleichheit im Stich gelassen hat, haben wir von der
SPD-Fraktion einen Zehnpunkteplan zur Gleichstellung
im Erwerbsleben verabschiedet. Hier will ich kurz vier
Punkte nennen. Wir wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Wir wollen eine gesetzliche Regelung für die Privatwirtschaft. Wir wollen eine gesetzliche Quote für die Besetzung von Aufsichtsratsposten, und
wir wollen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige
Arbeit.
Der Sozialdemokrat August Bebel hat unsere Debatte
gut auf einen Punkt gebracht. Ich zitiere: „Der Grad der
Freiheit einer Gesellschaft misst sich immer an der Stellung der Frau.“
Die SPD will die Verwirklichung der Gleichstellung in
unserer Gesellschaft durch gesetzliche Regelungen voranbringen. Denn die freiwillige Vereinbarung der Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der privaten
Wirtschaft von 2001 hat nicht gewirkt. Sie erreicht weder
die einzelnen Unternehmen und Betriebe noch verpflichtet sie zu etwas. Die Vereinbarung ist noch nicht einmal
überall in der Wirtschaft bekannt. Auch die Frauenministerin hat leider wenig dazu beigetragen, sie bekannter zu
machen. Die Bilanzen der Bundesregierung sprechen
nicht einmal andeutungsweise für einen Strukturwandel
in der Wirtschaft. In dieser Analyse sind wir uns fast alle
einig. Nur in den Schlussfolgerungen nicht.
Wir, die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion, haben Schlussfolgerungen gezogen. Wir haben - weil mit
dem Koalitionspartner bei diesem Thema keine Einigkeit
zu erzielen war - ein klares Positionspapier verabschiedet: Jetzt sind Frauen dran: Gleiche Chancen im Beruf
verwirklichen! Damit machen wir deutlich: Ohne die
Frauen geht es nicht. Deshalb legen wir verstärkt unser
Augenmerk auf die Erwerbsarbeit von Frauen, und deshalb brauchen wir auch gesetzliche Regelungen. Entgeltgleichheit ist für die SPD eine Frage der Gerechtigkeit.
Die heute überwiegend geschlechtsspezifisch getrennten Arbeitsmärkte müssen der Vergangenheit angehören
ebenso wie die Zuschreibung von Teilzeitarbeit mehrheitlich den Frauen. 87 Prozent aller abhängig Beschäftigten, die 2008 pro Woche weniger als 20 Stunden gearbeitet haben, waren nach Angaben des Statistischen
Bundesamtes Frauen. In Medienberichten über eine bisher unveröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung zu Beginn dieser Woche ist zu lesen,
dass die Lebenszufriedenheit von Müttern dann am größten ist, wenn sie Vollzeit arbeiten. Und ich füge hinzu: Nur
die existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige
Erwerbsarbeit von Frauen sichert wirkliche Chancengleichheit.
Nicht hinzunehmen, ist der überproportionale Anteil
von Frauen im Niedriglohnbereich. Hier brauchen wir
als Erstes einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn. Dieser kommt Frauen dann überproportional zugute. Lohnunterschiede von bis zu 23 Prozent zwischen
Männern und Frauen sind inakzeptabel. Als Erstes muss
es daher mehr Transparenz bei Löhnen und Gehältern geben. Aber wir wissen auch: Die Entgeltdiskriminierung
von Frauen wird sich nicht von selbst erledigen; denn dahinter verbergen sich immer noch mittelbare frauendiskriminierende Strukturen unserer Gesellschaft. Bei der
Beseitigung von Entgeltdiskriminierung sind natürlich
- wer will dies bestreiten - die Wirtschaft und die Tarifpartner gefordert. Denn neben der Privatwirtschaft tragen Tarifverträge eine erhebliche Mitverantwortung bei
geschlechtsspezifischen Entgeltunterschieden. Wir können als Bundesgesetzgeber jedoch entsprechende
Rahmenbedingungen setzen, wie wir es etwa mit dem
Bundesgleichstellungsgesetz und dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz schon getan haben und weiter
tun werden. Als Schlüssel zur Herstellung von Lohngleichheit gilt die Arbeitsbewertung. Wir wollen rechtlich
verbindliche Diskriminierungschecks einführen. Den
Entgeltsystemen müssen diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungssysteme zugrunde liegen. Wir werden uns gemeinsam mit den unterstützenden Gewerkschaften für
eine solche Lösung einsetzen.
Weiter werden wir uns für Quotenregelungen stark
machen, und zwar überall dort, wo sie zielführend eingesetzt werden können. Was heißt das? Sie sollen und müssen immer dort greifen und eingesetzt werden, wo Frauen
ohne dieses Instrument nicht zum Zuge kommen. Wir wissen um die Bedeutung, die eine Beteiligung beider Geschlechter an der Unternehmensführung für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen hat. Aber - die
Beteiligung von Frauen in solchen Spitzenpositionen stagniert weiter. Sie ist aber nicht nur ein Gebot der Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch eines wirtschaftlicher Vernunft.
Das schon viel zitierte Beispiel von der norwegischen
40-Prozent-Beteiligung von Frauen in den Aufsichtsräten
möchte ich trotzdem noch einmal anführen. Wir wissen:
Es hat gut und schnell gewirkt. Der Frauenanteil stieg
schon unter der Drohung des Gesetzes an, und zwar von
18 Prozent in 2006 auf 30 Prozent im April 2007. Im April
2008 war dann die 40-Prozent-Marke erreicht. Es gibt
kein Argument, warum dies bei uns nicht so sein würde.
Qualifizierte Frauen gibt es genug. Bereits im Jahr 2007
hat der Deutsche Juristinnenbund eine Liste mit 450 Namen erstellt.
Aber wie sieht unsere Realität aus ? Nach einer aktuellen Untersuchung - Februar/März 2009, HansBöckler-Stiftung - von 160 börsennotierten Unternehmen
haben nur 10 Prozent der Unternehmen eine Frau im Vorstand. Der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten liegt bei
7,5 Prozent. Die SPD wird sich dafür einsetzen, dass eine
gesetzliche Quote für die Besetzung von Aufsichtsratsmandaten mit Frauen eingeführt wird. Wir brauchen ein
diskriminierungsfreies Steuerrecht, das heißt, dass wir
das Ehegattensplitting und die Steuerklassen umgestalten
müssen. Denn in ihrer jetzigen Ausgestaltung befördern
sie genau die alten traditionellen Rollenbilder. Wir wollen wirkliche Chancengleichheit.
Jetzt sind Frauen dran - damit Gleichstellung nicht
weiter eine Forderung, sondern endlich Realität wird.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die Linke fordert ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft ab fünf Mitarbeitern. Das geht an der
Realität vorbei. Ziel des Gesetzesentwurfes soll es sein,
dass Betriebe ab fünf Mitarbeitern ebenso viele Frauen
wie Männer beschäftigen - ab fünf Beschäftigten -, eine
jährliche Bestandsaufnahme der Beschäftigungsstruktur
vorlegen - ab fünf Beschäftigten -, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umwandeln - ab fünf Beschäftigten -,
betriebliche oder betrieblich mitfinanzierte externe Kinderbetreuung bereitstellen - ab fünf Beschäftigten. Und
falls die im Gesetz genannten Maßnahmen - wohlgemerkt
bei Betrieben ab fünf Beschäftigten - nach Ablauf von
24 Monaten nicht umgesetzt wurden, dann erfolgt
zwangsweise die Wahl einer betrieblichen Gleichstellungsbeauftragten für Unternehmen ab 20 Beschäftigten,
die Einrichtung einer Koordinierungsstelle, die den Betriebsrat und die Beschäftigten zu Fragen der Gleichstellung beraten soll, und die jährliche Bestandsaufnahme
der Beschäftigungsstruktur.
Was heißt das? Wie wird ein solches Gesetz in kleinen
Betrieben mit sieben Beschäftigten wie beispielsweise einem Friseursalon, einem Blumenladen oder einer Bäckerei umgesetzt? Welche Wirkung hat ein solches Gesetz auf
die gegenwärtige Personalstruktur? Muss der Inhaber
oder die Inhaberin eines Friseursalons zwei weibliche
Mitarbeiter entlassen und dafür zwei männliche Mitarbeiter einstellen? Kann ein solches Gesetz dann als Kündigungsgrund herangezogen werden?
Dieser Gesetzentwurf wäre für kleine Betriebe die
Fahrkarte in die Unternehmenspleite. Hier fehlt es den
Autoren an betriebswirtschaftlichem Sachverstand.
Abgesehen davon, Unternehmen suchen händeringend
Frauen für technische Berufe. Gerade deshalb nehmen
viele Betriebe und Behörden am Girls’ Day oder der Aktion MINT teil, um junge Frauen für Berufe außerhalb
der traditionell weiblichen Ausbildungen zu begeistern.
Bereits jetzt gibt es in vielen kleinen und mittleren Betrieben und Unternehmen hervorragende familienunterstützende Programme, die die Gleichstellung der Geschlechter unterstützen. Die DIHK hat gute und praktikable
Ideen in einem Checkheft für familienfreundliche Unternehmensführung zusammengestellt. Das wird bereits genutzt.
Klar ist, dass die Chancengleichheit von Frauen und
Männern in der Privatwirtschaft und auch im öffentlichen
Dienst noch nicht durchgesetzt wurde. Ob jedoch ein weiteres Gleichstellungsgesetz die Lösung bringt, bezweifle
ich stark. Denn gerade das Gleichstellungsgesetz für die
oberen Bundesbehörden des Bundes, das seit 2001 in
Kraft ist, hat kaum Verbesserung geschaffen. Es hat sogar
zu einer Erhöhung des Frauenanteils bei der Teilzeitarbeit geführt. Das wollen wir doch alle nicht.
Meiner Überzeugung nach liegt der Schlüssel für
Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt in einem flächendeckenden Betreuungsangebot für Kinder. Zwei Zahlen machen das deutlich: 80 Prozent aller Frauen ohne
Kind sind erwerbstätig, aber nur 65 Prozent mit Kind.
Nach wie vor ist es die mangelnde Kinderbetreuung, die
eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit von Frauen
und Männern behindert. Solange wir das nicht geändert
haben, werden Mütter und Väter nicht an den Arbeitsplatz zurückkehren und ihre Karriere nicht erfolgreich
gestalten können. Aber nicht nur die fehlende Kinderbetreuung bremst, auch die Steuerklasse 5 macht die Aufnahme von Arbeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenig attraktiv. Hohes Brutto und niedriges Netto!
Dann wird eher auf einen Minijob ausgewichen.
Die im Antrag genannten Forderungen scheitern an
Realitätsferne und am bürokratischen Aufwand plus den
damit verbunden Kosten und sind in Krisenzeiten starr
und unflexibel. Es kann nicht sein, das der Staat in Unternehmen ab fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hineinregiert und vorschreibt, wer eingestellt wird. Das ist ein
Eingriff in die Organisationsabläufe und Personalstrukturen von Unternehmen. Dieses Bumeranggesetz wird
Frauen eher schaden als nützen. Deshalb lehnt die FDPFraktion diesen Antrag ab.
Die Diskriminierung von Frauen in der Privatwirtschaft ist nicht länger hinnehmbar. Immer wieder wird in
diesem Hause auf Freiwilligkeitsverpflichtungen der
Wirtschaft gesetzt, um Frauen auch in sogenannten Männerberufen ihren Platz zu garantieren. Und immer wieder
scheitert das Selbstverpflichtungsprinzip. Die aktuelle
Krise macht es mehr als deutlich: Es ist Zeit zu handeln!
Entgeltungleichheit von Frauen in Deutschland ist
eben nicht ausschließlich Sache der Tarifparteien. Wir
müssen Bedingungen dafür schaffen, dass die Tarifparteien tatsächlich zu Gleichberechtigung und wirksamer
Entgeltgleichheit finden, gerade in Krisenzeiten. Dazu
haben wir als Linke Ihnen einen Antrag vorgelegt.
Sie brauchen diesem Antrag nur zuzustimmen, dann
bleiben auch die Forderungen der SPD nach einem
Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft nicht nur
bloße Wahlkampftaktik.
Für die Linke ist in Sachen Gleichstellung kein Platz
für Taktik, sondern es bleibt beim klaren und verlässlichen Bekenntnis: Frauen gehört mindestens die Hälfte und das nicht nur in Aufsichtsräten. Wir bemühen uns,
hier gemeinsam ein Gesetz zu verabschieden, welches für
Unternehmen und Beschäftigte, Betriebsräte und Tarifvertragsparteien einen verbindlichen Rahmen dafür setzt,
dass eigene, auf die verschiedenen Berufszweige zugeschnittene, differenzierte Vorgaben gemacht werden, wie
die Entgeltgleichheit erreicht werden kann. Das muss
konkret sein, und wir müssen konkret werden. Wir müssen
gesetzgeberisch aktiv werden, ohne in die Tarifautonomie
einzugreifen. Denn es ist Aufgabe des Staates, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von
Frauen und Männern durchzusetzen. Er muss auf die Beseitigung der bestehenden Nachteile hinwirken. Tun wir
dies hier gemeinsam, indem wir wirksame gesetzgeberische Rahmenbedingungen schaffen!
Damit die Gleichstellung der Geschlechter in der Privatwirtschaft wirksam gefordert wird, sollen Betriebe
verpflichtet werden, einen Maßnahmeplan zur Förderung
Zu Protokoll gegebene Reden
der Gleichstellung vorzulegen. Betriebe und Betriebsräte
sollen zu aktiver Gleichstellungspolitik verpflichtet werden, dass Frauen bei Feststellung von Diskriminierung
einen Rechtsanspruch auf Einstellung oder Beförderung
haben.
Die Linke sagt: Wir brauchen ein richtiges Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Zurzeit haben wir mit Ihrem Gesetz nur einen zahnlosen Tiger. Spürbare Verbesserungen bekommen wir nur, wenn wir endlich ein
Verbandsklagerecht einführen. Damit gleicher Lohn für
gleichwertige Arbeit nicht nur der Wahlkampfschlager
dieses Sommers bleibt, können wir heute gemeinsam endlich wirksame Rahmenbedingungen zur Gleichberechtigung und gleichen Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben
schaffen. Die Linke steht für die Gleichstellung. Sie nicht!
Ich freue mich, dass wir uns am Ende dieser Legisla-
turperiode noch einmal mit dem Thema Gleichstellung in
der Privatwirtschaft beschäftigen. Denn das ist leider bit-
ter nötig. Deutschland ist unter dieser Regierung in Sa-
chen Gleichstellung der Geschlechter weiter zurückge-
fallen. Wir haben es schon öfter hier erörtert: Wir haben
einen beschämend hohen Unterschied zwischen den Ge-
hältern von Frauen und Männern, mit 23 Prozent sind wir
nahezu europäisches Schlusslicht. Der Anteil von Frauen
an den sogenannten geringfügig Beschäftigten liegt bei
über 65 Prozent, der Anteil von Frauen am Niedriglohn-
sektor bei fast 70 Prozent, der Anteil von Frauen an den
Teilzeitbeschäftigten bei 83 Prozent - und zwar nicht,
weil sie das so wählen, sondern weil sie Familie und Be-
ruf vereinbaren müssen. Das Armutsrisiko von Alleiner-
ziehenden ist mit 36 Prozent doppelt so hoch wie im
Durchschnitt aller Haushalte. Und: Arme Alleinerzie-
hende sind zu 95 Prozent Frauen. Bei den Führungskräf-
ten tut sich nichts, Männer unter sich. Ebenso bei den
Aufsichtsräten. Diese Zahlen sind bekannt, sie werden
vom Statistischen Bundesamt, von den Forschungs-
instituten, vom Frauenministerium veröffentlicht.
Die letzten vier Jahre waren vier verlorene Jahre für
die Frauenpolitik. Vom Frauenministerium werden die
Bilanzen zur Vereinbarung zwischen Bundesregierung
und Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit in
der Privatwirtschaft herausgegeben. Deren Ergebnisse
lassen sich zusammenfassen als heiße Luft: viele Ab-
sichtserklärungen, viele Prüfaufträge, durchaus interes-
sante Einzelinitiativen. Aber gucken wir doch genau hin:
Ausdrücklich war vereinbart worden, den Anteil von
Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Das DIW hat
es gerade letzten Monat wieder veröffentlicht: Es gibt
keine signifikanten Ergebnisse. 2007 ging der Frauen-
anteil sogar wieder zurück. Die Vereinbarung ist komplett
gescheitert. Die meisten Betriebe kennen sie nicht einmal.
Sind Krisenzeiten die richtigen Zeiten für Gleichstel-
lung? Ich meine: ja. Denn um ein abgegriffenes Bonmot
zu verwenden: In jeder Krise steckt auch eine Chance.
Wir müssen die Gelegenheit nutzen, verkrustete Struktu-
ren aufzubrechen und die Gleichstellung voranzubringen.
Wir brauchen grundlegende Veränderungen bei den Per-
sonalstrukturen.
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Ohne ge-
setzliche Regelungen wird es nicht gehen. Da bin ich ganz
einer Meinung mit den Kolleginnen und Kollegen der
Linksfraktion. Meine Fraktion hat ja auch entsprechende
Anträge eingebracht. Wir brauchen differenzierte Daten
zur Beschäftigtenstruktur. Ich begrüße, dass die Betriebe
in zwei Jahren selbst Maßnahmen innerhalb konkreter
Handlungsfelder entwickeln sollen. Die Vergabe öffentli-
cher Aufträge an Gleichstellungsmaßnahmen zu knüpfen
hat meine Fraktion bereits mehrfach beantragt, ebenso
wie die Einführung eines Verbandsklagerechts. Ich freue
mich, dass die Linke diese Grünen Forderungen inzwi-
schen übernommen hat.
Aber lassen Sie mich auch noch ein paar Sätze zu den
Forderungen sagen, die wir nicht teilen:
Zunächst. Das Gesetz soll für alle Betriebe ab fünf Be-
schäftigte gelten. Ich denke, das ist zum einen unrealis-
tisch, zum anderen aber auch nicht zielführend. Ein
Betrieb mit fünf Beschäftigten, eine Arztpraxis, ein Fri-
seursalon - die sollen alle Berichte schreiben und Maß-
nahmen prüfen und umsetzen?
Auch die starke Stellung des Betriebsrats ist aus mei-
ner Sicht übertrieben. Er soll ein Initiativrecht, ein Mit-
bestimmungsrecht, ein Auswahlrecht erhalten.
Ebenso ist die Idee, dass Unternehmen ab 20 Beschäf-
tigte eine beratende Koordinationsstelle zur Gleichstel-
lung einrichten, ziemlich weltfern. Damit würde in der
Konsequenz eine unspezifizierte Struktur errichtet, mit
keinen Kompetenzen, keinem Budget. Wovon sie finan-
ziert werden soll, lässt die Linke in ihrer üblichen Art of-
fen.
Daher mein Fazit: Ja, wir brauchen ein Gleichstel-
lungsgesetz für die Privatwirtschaft. Große Teile Ihres
Vorschlags begrüße und unterstütze ich, aber es gibt
deutliche Schwächen im Detail.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12986, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9486
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke angenommen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 1. Oktober 2008 zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Vereinigten Staaten
von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität
- Drucksachen 16/13123, 16/13185 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Abkommens zwischen der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 1. Oktober 2008 über die Vertiefung
der Zusammenarbeit bei der Verhinderung
und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität
- Drucksachen 16/13124, 16/13186 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Clemens
Binninger, Wolfgang Gunkel, Gisela Piltz, Jan Korte und
Wolfgang Wieland.
Vor wenigen Tagen wurde der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2008 vorgestellt. Eine ganz wesentliche
Erkenntnis des Berichts: Vom islamistischen Terrorismus
geht nach wie vor eine sehr ernst zu nehmende Bedrohung
für Deutschland aus. Mehr noch: Obwohl in den letzten
Jahren Anschläge in Deutschland erfolgreich aufgedeckt
und vereitelt werden konnten, ist das internationale islamistisch-terroristische Spektrum nicht geschwächt. Im
Gegenteil: Es gibt vermehrt Hinweise, dass junge Islamisten aus Deutschland in Terror-Camps gereist sind.
Über das Internet werden immer wieder Drohbotschaften
verbreitet, die sich zunehmend auf Deutschland beziehen.
Diese Entwicklung müssen wir als Sicherheitspolitiker
sehr ernst nehmen.
Der islamistische Terrorismus, wie wir ihn in den letzten Jahren erleben, zeigt ganz deutlich, dass terroristische und kriminelle Netzwerke zunehmend international,
über Landesgrenzen hinweg agieren - ein Aspekt der
Globalisierung, wie er in den 90er-Jahren vielleicht so
noch nicht absehbar gewesen ist.
An dieser Entwicklung muss sich auch unsere Sicherheitspolitik orientieren, denn Sicherheit zu gewährleisten, gehört zu den vornehmsten Aufgaben unseres Staates. Wenn wir diese Entwicklung ernst nehmen, müssen
wir erkennen, dass ein einzelner Staat allein oft nicht
mehr viel ausrichten kann. Vielmehr müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern wirksame Lösungen finden wie es auch in der Vergangenheit schon geschehen ist.
Wir müssen unsere Kooperation - davon bin ich überzeugt - ausbauen, um auch in Zukunft gegen den internationalen Terrorismus effektiv vorgehen zu können.
Einer unserer wichtigsten Partner sind dabei die Vereinigten Staaten von Amerika. Zur Intensivierung unserer
Zusammenarbeit mit den USA wurde am 1. Oktober 2008
ein Abkommen geschlossen, das wir mit den vorliegenden
Gesetzentwürfen ratifizieren und in Bundesrecht umsetzen. Vorbild für dieses Abkommen war der 2005 zwischen
Deutschland und weiteren EU-Staaten geschlossene Vertrag von Prüm, der sich mittlerweile als so erfolgreich erwiesen hat, dass die meisten der Kooperationsregelungen
in den gemeinsamen EU-Rechtsrahmen übernommen
wurden. Ich bin überzeugt, dass wir ähnliche Erfahrungen auch in der Zusammenarbeit mit den USA machen
werden. Wie wichtig diese Kooperation ist, zeigt auch die
Tatsache, dass mittlerweile auch andere EU-Staaten vergleichbare Abkommen mit den Vereinigten Staaten abschließen.
Das „Prüm-ähnliche“ Abkommen zwischen Deutschland und den USA wird die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität verbessern.
Das gilt insbesondere für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Das Abkommen sieht deshalb vor,
dass Daten über Personen übermittelt werden können,
die im begründeten Verdacht stehen, terroristische Straftaten zu begehen oder Terror-Ausbildungslager durchlaufen zu haben. Übermittelt werden dürfen in Zukunft
Daten, die zur Identifizierung von Personen dienen Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit oder daktyloskopische Daten. Auch erfasst sind selbstverständlich Informationen zu Umständen, die den konkreten Terrorismusverdacht begründen.
Darüber hinaus schafft es die Voraussetzung für einen
automatisierten Austausch von Fingerabdruck- und
DNA-Daten nach dem Vorbild des Prümer Vertrags.
Deutschland und die USA gewähren sich nicht einen vollen Zugriff auf Daten. Das halte ich gerade bei diesen
sehr sensiblen Daten für sehr wichtig. Stattdessen werden
zukünftig im sogenannten Hit/No-Hit-Verfahren Fundstellendatensätze für Fingerabdrücke und DNA abgeglichen, die aber noch keine Identifikation der betreffenden
Person zulassen. Ergeben sich bei diesem automatisierten Abgleich Übereinstimmungen zwischen den Datenbeständen und der fraglichen Spur, können dann personenbezogene Daten wie Name oder Anschrift - wie auch
bisher üblich - auf dem normalen Wege der Rechtshilfe
angefragt werden.
Gerade weil es sich hier um sensible Daten in der internationalen Kooperation handelt, möchte ich auch auf das
Thema Datenschutz eingehen, das bei dem Abkommen zwischen Deutschland und den USA wie auch beim Vertrag
von Prüm sehr großgeschrieben wird. Es kann nicht im Interesse des Staates sein, Daten von Personen, von Terroristen zu schützen, die schwerste Straftaten vorbereiten. Hier
wegzusehen und auf wichtige Kooperationselemente bei
der Terrorismusbekämpfung zu verzichten, wäre der falsche Weg. Wir brauchen auch hier transparente Regeln
und den unbedingten Schutz personenbezogener Daten.
Genau das tut das Abkommen. Es werden ausschließlich
Daten über Personen weitergegeben, die von den deutschen oder US-amerikanischen Behörden mit einem konkreten und bestätigten Verdacht dem terroristischen Umfeld zugerechnet werden. Das Hit/No-Hit-Verfahren wird
von Datenschutzexperten sehr positiv bewertet, weil es
sehr grundrechtsschonend ist. Personendaten werden
erst dann ersichtlich, wenn Übereinstimmungen vorliegen, also ein übereinstimmender Fingerabdruck oder ein
gleiches DNA-Profil.
Außerdem sieht das Abkommen die vertrauliche Verwendung übermittelter Daten vor. Falsche Datensätze
müssen demnach korrigiert oder gelöscht werden, wenn
sie nicht mehr erforderlich sind. Die Bundesrepublik
Deutschland ist dem Umsetzungsgesetz zufolge verpflichtet, die vereinbarten völkerrechtlichen Auskunfts-,
Sperrungs- und Löschungsansprüche eines Betroffenen
gegenüber den USA geltend zu machen. Wir haben damit ein wirksames Instrument im grenzüberschreitenden
Kampf gegen den internationalen Terrorismus, das
gleichzeitig die strengen Datenschutzregelungen von
Prüm adaptiert.
Der frühzeitige Austausch von Informationen ist eine
wesentliche Voraussetzung, um unseren Sicherheitsbehörden bei grenzüberschreitenden Aktivitäten von Terroristen die Möglichkeit zu geben, Bedrohungen rechtzeitig
zu erkennen und abzuwehren, und zwar bevor Schaden
eintritt. Das Abkommen zwischen Deutschland und den
Vereinigten Staaten von Amerika ist dafür eine wichtige
Grundlage. Deshalb stimmt die Union den vorliegenden
Gesetzen zu.
Heute beraten wir einen Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zu dem Abkommen vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten
von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei
der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender
Kriminalität sowie ein Gesetz zur Umsetzung desselben
Abkommens.
Bereits im Oktober 2008 haben sich die Bundesregierung und die USA mit dem Abkommen auf eine Vertiefung
ihrer Zusammenarbeit bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität geeinigt. Es enthält Regelungen für
den automatisierten Abruf von DNA- und Fingerabdruckdaten sowie den Austausch von Daten terrorverdächtiger
Personen.
Auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus kann nur durch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit der Behörden reagiert werden. Um
schwerwiegende Kriminalität gezielt bekämpfen und verhüten zu können, gibt es zu einer partnerschaftlichen Kooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
den Vereinigten Staaten keine Alternative!
Aber auch und gerade in Zeiten der Bedrohung durch
den internationalen Terrorismus müssen Grundrechte gewahrt bleiben. Der sensible Punkt bei diesem Abkommen
ist ohne Zweifel der Datenschutz: So hat schon der Bundesrat Mitte Mai ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
Datenschutzbestimmungen bei der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit zur Verbrechensbekämpfung eingehalten werden müssen. Vollkommen zu Recht weist der
Bundesrat darauf hin, dass die datenschutzrechtlichen
Anforderungen vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Datenschutzstandards der beiden Vertragsparteien zu bewerten sind!
Deutlich ins Auge fallen hierbei die Parallelen zum
Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Rates vom
23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden
Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität,
das wir am 20. April debattiert haben. Auch dort geht es
um eine engere grenzübergreifende Zusammenarbeit der
Sicherheitsbehörden. Allerdings gelten für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union die allgemeinen Grundsätze des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008. Eine solche Grundlage gibt es für die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika nicht.
Vor diesem Hintergrund muss vor allem der Art. 12 des
Abkommens, der die Übermittlung von personenbezogenen Daten regeln soll, besonders kritisch betrachtet werden: Diese Regelung soll die Übermittlung von personenbezogenen Daten besonderer Kategorien eigentlich an
strengere Anforderungen knüpfen. Allerdings sehe ich die
Voraussetzungen hierfür nicht ausreichend konkretisiert.
Es wird zwar eine „besondere Relevanz“ der Daten gefordert, allerdings wird nicht näher bestimmt, worum es
sich bei dieser „besonderen Relevanz“ handeln soll. Genauso wenig wird der Übermittlungszweck konkretisiert.
Der Text verweist pauschal auf „die Zwecke dieses Abkommens“.
Außerdem bezieht sich die Sonderregelung des Art. 12
ausschließlich auf Spontanübermittlungen nach Art. 10
und gilt nicht für Datenübermittlungen nach Art. 5 und 8
des Abkommens. Wegen ihres besonderen Charakters ist
die Spontanübermittlung aber explizit auf den Zweck der
Verhinderung terroristischer Straftaten begrenzt. Diese
Zweckbeschränkung geht aber aus Art. 12 nicht hervor.
Auch eine verbindliche Definition der schwerwiegenden
Kriminalität sowie der terroristischen Straftaten als
Grundvoraussetzung für den Datenaustausch auf der
Grundlage des Abkommens fehlt. In Art. 10 Abs. 3 des
Abkommens ist zwar eine Notifizierung der Straftaten
vorgesehen, allerdings kann diese jederzeit einseitig von
einer der Vertragsparteien geändert werden. Gerade vor
dem Hintergrund, dass die Voraussetzungen für die Übermittlung von Daten nicht ausreichend konkretisiert werden, sind die Datenkategorien, die in Art. 12 aufgezählt
werden, viel zu weitgehend!
Wenn als Gegenargument hierzu immer wieder angeführt wird, dass sie dem Standardkatalog der allgemeinen
Datenschutzgesetze entsprächen ist dies zwar faktisch
richtig. Es wird aber ausgeblendet, dass die Zweckbestimmung dieser Gesetze wesentlich breiter gefasst ist
und Art. 12 ausschließlich auf den konkreten Zweck abzielt, terroristische Straftaten nach Art. 10 zu verhindern.
Inwieweit beispielsweise die Übermittlung über die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft dazu beitragen soll,
Zu Protokoll gegebene Reden
terroristische Straftaten zu verhindern, ist vollkommen
rätselhaft und in keiner Weise nachvollziehbar. Vollkommen zu Recht protestieren die Gewerkschaften an dieser
Stelle! Gewerkschaftszugehörigkeit darf kein Datum sein,
das im Rahmen dieses Abkommens übermittelt wird! Der
Diskriminierung und Repression von Gewerkschaftsangehörigen wäre damit Tür und Tor geöffnet! Doch auch
die Übermittlung von Daten, die die Gesundheit oder das
Sexualleben betreffen, scheint mehr als bedenklich. Darüber hinaus ist ebenso fraglich, was sie im Hinblick auf
die „Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender
Kriminalität und des Terrorismus“, der das Gesetz ja dienen soll, leisten sollen. Um es noch einmal deutlich zu
machen: Es handelt sich hierbei um Daten, die im Hinblick auf den Zweck der Verhinderung terroristischer
Straftaten nicht von Bedeutung sind! Von daher dürfen sie
aus datenschutzrechtlichen Gründen auch nicht erhoben
werden!
Um der besonderen Schutzbedürftigkeit sensibler Daten Rechnung zu tragen, schlägt der Bundesrat vor, dass
für die Übermittlung dieser Informationen die Zustimmung von zwei Mitarbeitern und des Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes erforderlich ist. Dieser
Vorschlag scheint mir durchaus überlegenswert!
Ein weiterer kritischer Punkt des Abkommens sind die
fehlenden verbindlichen Löschungs- bzw. Prüffristen, wie
auch der Bundesrat beklagt. Für alle übermittelten Daten
sind diese Fristen dringend notwendig: Es kann nicht
sein, dass die einmal erhobenen Daten ohne jede Frist bis
in alle Ewigkeit gespeichert bleiben. Während für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der
Europäischen Union verbindlichen Löschungs- bzw.
Prüffristen festgelegt sind, sieht der Art. 11 Abs. 2 des Abkommens lediglich vor, die übermittelten Daten nur so
lange aufzubewahren, wie dies für den jeweiligen Zweck
nötig ist. Der europäische Datenschutzbeauftragte Peter
Hustinx fordert in Hinblick auf das angesprochene innereuropäische Abkommen klarere Datenschutzauflagen
darüber, wie in die Datenbank aufgenommene irrelevante
Datensätze zu behandeln sind. Diese Kritik lässt sich
auch auf den heute debattierten Entwurf übertragen.
Bei der Durchführung des Abkommens muss die Bundesregierung auf die Einhaltung eines hohen Datenschutzniveaus hinwirken. Dabei müssen die angesprochenen und keineswegs nur von mir kritisierten Aspekte
berücksichtigt werden!
Schon vor über einem Jahr hat die FDP-Fraktion die
Bundesregierung nachdrücklich dazu aufgefordert, in
Nachverhandlungen zu dem Abkommen mit den Vereinigten Staaten einzutreten, um insbesondere umfassende Datenschutzregelungen zu implementieren, eine gemeinsame Definition terroristischer Straftaten bzw.
schwerwiegender Kriminalität aufzunehmen, den Zugriff
auf Fingerabdruckdaten von Asylbewerbern oder Ausländern nach dem Aufenthaltsgesetz auszuschließen und
den Rechtsschutz ausreichend zu gewährleisten.
Nichts davon ist in den vorgelegten Gesetzentwürfen
auch nur ansatzweise angegangen worden. Noch immer
handelt es sich um die umfassende Weitergabe von Daten
über eine Vielzahl von Personen auf völlig unbestimmter
rechtlicher Grundlage, ohne datenschutzrechtliche Absicherungen, ohne ausreichenden Rechtsschutz und mit
schwerwiegenden Eingriffen in die Grundrechte. Nicht
einmal hält es die Bundesregierung auch im Umsetzungsgesetz für erforderlich, das Gesetz mit flankierenden
rechtsstaatlichen Sicherungen auszustatten. Dabei ist es
ja nicht so, als sei nicht bekannt, dass das Datenschutzniveau in den USA mit dem in Deutschland und Europa
nicht vergleichbar ist - und damit will ich jetzt nicht sagen, dass hier alles ausreichend ist, sondern nur, dass es
dort nicht besser ist.
Die Bundesregierung gibt mit diesem Abkommen die
Grundrechte der Menschen in Deutschland weitgehend
schutzlos preis - ein unerhörter Vorgang für eine Regierung, die nach unserer Verfassung an die Grundrechte gebunden ist. Mit diesem Abkommen aber werden rechtsstaatliche Grundgewissheiten infrage gestellt. So dürfen
nach Art. 12 des Abkommens Daten über die politischen
Anschauungen, über religiöse Überzeugungen, über die
Mitgliedschaft in Gewerkschaften oder auch das Sexualleben übermittelt werden. Es gibt keinen, aber auch gar
keinen Grund, warum Daten über die Mitgliedschaft in
einer Kirche, das Engagement in einer Gewerkschaft
oder die sexuelle Orientierung für den Kampf gegen Terrorismus von Bedeutung sein könnten.
Nicht nur handelt es sich um Daten, die den Staat per
se nichts angehen. Diese Vorschriften sind geeignet, die
Freiheit mindestens mittelbar zu beeinträchtigen. Das
Bundesverfassungsgericht hat es deutlich festgestellt:
Wenn die Bürger in Furcht vor Überwachung leben, machen sie von ihren Freiheiten keinen Gebrauch mehr.
Wenn jemand beim Eintritt in die Gewerkschaft Sorge haben muss, dass das den Staat interessiert, dass es in Verbindung mit Terrorismus gebracht und an andere Staaten
zur Terrorabwehr übermittelt werden kann, dann muss er
sich doch fragen: Was ist meine Vereinigungsfreiheit noch
wert? Wenn die Daten zur Zugehörigkeit zu einer Kirche
vom Staat nicht mehr deshalb erhoben werden, weil sie
für den Abzug der Kirchensteuer erforderlich sind, sondern für den Kampf gegen Terrorismus, ist das im Hinblick auf die Religionsfreiheit mehr als bedenklich.
Diese Datenkategorien müssen eigentlich aus dem Abkommen gestrichen werden. Das Mindeste aber wäre, die
Weitergabe unter einen Richtervorbehalt zu stellen. Es
kann nicht sein, dass derart sensible Daten ohne unabhängige Kontrolle weitergegeben werden. Man stelle sich
einmal vor, dass im Rahmen einer Onlinedurchsuchung
das BKA Kenntnis vom Sexualleben eines, um mal dieses
schöne Wort zu verwenden, „Gefährders“ erhält. Und
diese werden dann an die USA weitergegeben? Mit wem
derjenige ins Bett geht? Oder mit wie vielen?
Und wie steht es eigentlich mit dem Kernbereichsschutz? Der kommt in dem Gesetz überhaupt nicht vor.
Daten gerade aus den genannten Bereichen, hinsichtlich
der religiösen Überzeugungen oder des Sexuallebens
können - dafür muss man kein Prophet sein - immer einen Bezug zum Kernbereich haben. Hier gibt es keine
Kontrollinstanz, die unabhängig ist. Die FDP-Fraktion
Zu Protokoll gegebene Reden
hat zwar keinen Zweifel daran, dass beim BKA kluge und
engagierte Polizistinnen und Polizisten arbeiten - aber
das ändert nichts daran, dass es in einem Rechtsstaat
nicht ausreicht, den Grundrechtsschutz allein in die
Hände der Polizei zu legen.
Gerade im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus
müssen angesichts der Konsequenzen für Verdächtige,
mit denen die USA nicht gerade zimperlich umgehen, um
es einmal etwas euphemistisch auszudrücken, besonders
hohe rechtsstaatliche Sicherungen angelegt werden. Das
Prinzip Hoffnung auf eine grundrechtskonforme Behandlung durch die USA ist nicht ausreichend. Nicht nur fehlt
in den USA eine Datenschutzaufsicht, die unabhängig ist,
sondern es fehlt auch an Speicherfristen und Benachrichtigungspflichten. Auch ist es, sobald die Daten einmal
übermittelt sind, nicht mehr möglich, die Kontrolle darüber zu behalten, was weiter mit ihnen geschieht. Ich
darf hier mal an die Fluggastdaten erinnern oder an die
Daten, die bei der Einreise in die USA fällig werden:
Diese dürfen ohne weitere Kontrolle an inneramerikanische Stellen, an private Dritte, an ausländische Stellen inklusive Geheimdienste weitergegeben werden. Ich darf
auch daran erinnern, dass es hier im Hause Konsens war,
dass Fluggastdaten nur dann weitergegeben werden dürfen, wenn flankierend verbindlich der Datenschutz geregelt wird. Davon ist im vorliegenden Abkommen nichts zu
finden.
Ich möchte einmal verdeutlichen, worüber wir hier
sprechen. Deutschland soll Daten an die USA weitergeben, um diese im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen. Das bedeutet in den USA zum Beispiel eine flächendeckende Überwachung der Finanzdaten völlig
unbescholtener Bürgerinnen und Bürger ({0}). Die
Bekämpfung des Terrorismus nehmen wir gerne auf, aber
bitte auf dem Boden des Rechtsstaates. Es kann nicht sein,
dass wir gerade das aufgeben, was wir gegen den Terrorismus am allermeisten verteidigen wollen: unsere Freiheit, unsere Grundrechte.
Daher ist für die FDP-Fraktion völlig klar: Dieses Abkommen darf nicht ratifiziert werden. Nachverhandlungen sind notwendig, damit die gemeinsame Bekämpfung
des Terrorismus auf eine Grundlage gestellt wird, die einem Rechtsstaat angemessen ist. Dazu gehören die von
mir schon ganz zu Beginn genannten Forderungen nach
einer verbindlichen Regelung zum Datenschutz für beide
Seiten, die Festschreibung eines angemessenen Rechtsschutzes, die Klarstellung, dass Daten zum Sexualleben,
zur religiösen Überzeugung oder zur Mitgliedschaft in
Gewerkschaften nicht weitergegeben werden dürfen, die
Sicherstellung des Kernbereichsschutzes, die Gewährleistung umfassender Benachrichtigung Betroffener, klar
begrenzte Speicherfristen und die Gewährleistung, dass
Daten nicht ohne weitere Kontrolle an andere Stellen weitergegeben werden können. Im Umsetzungsgesetz muss
klar enthalten sein, dass Daten nach Art. 12 des Abkommens keinesfalls aufgrund etwaiger Vereinbarungen oder
Anforderungen durch die USA erhoben werden dürfen
und dass eine unabhängige richterliche Kontrolle stattfindet, um Kernbereichsverletzungen zu vermeiden. Weiterhin darf die Benachrichtigungspflicht nicht, wie vorgesehen, einem Schweizer Käse gleichen, sondern muss so
gestaltet sein, dass regelmäßig eine Benachrichtigung
auch tatsächlich erfolgt. Dies ist keine Petitesse, sondern
verfassungsrechtlich geboten, da ansonsten bei heimlichen Maßnahmen jeglicher Rechtsschutz abgeschnitten
ist.
Die FDP-Fraktion fordert die Bundesregierung auf,
die Ratifizierung zurückzustellen, bis Nachverhandlungen erfolgt sind. In der vorliegenden Form ist den Gesetzentwürfen nicht zuzustimmen.
Abermals wird ein derart schwerwiegender Eingriff
- wie der vorliegende Gesetzentwurf - in die Freiheitsund Grundrechte, in den Datenschutz und die Schutzbestimmungen des Grundgesetzes zu später Stunde, mit dem
Willen, dieses Thema möglichst geräuschlos an der Öffentlichkeit vorbei zu den Akten zu legen, hier im Bundestag diskutiert. Der eigentliche Inhalt des Datenübermittlungsabkommens zwischen der Bundesrepublik und den
USA wird der Legislative gar nicht erst zur Beratung und
Beschlussfassung vorgelegt. Lediglich die Rechtsanpassungen, zur effizienten Handhabe des Abkommens, werden uns hier zur Diskussion gestellt.
Ich möchte hiermit offiziell meinen Protest gegen diesen Umgang der Bundesregierung mit den gewählten
Abgeordneten in unserer Demokratie anmelden. Das
Parlament ist nicht das Abnickorgan exekutiver Überwachungs- und Allmachtsphantasien.
Diese Debatte heute ist eine Farce. Sie beschädigt die
Demokratie und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Parlamentarismus. Denn worum geht es hier
eigentlich? Es geht darum, dass über den heute zu verhandelnden Entwurf eines Umsetzungsgesetzes der Bundesregierung durch die Hintertür ein aus meiner Sicht
- und damit steht die Linke bei weitem nicht alleine da grundgesetzwidriges Abkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA legitimiert werden soll. Die Ergebnisse des am 1. Oktober 2008 geschlossenen Abkommens
wurden trotz der bürgerrechtlichen Brisanz und der Tiefe
der Eingriffe in die Freiheiten der Menschen in diesem
Lande dem Parlament nicht vorgelegt.
Wieder einmal muss die Begrifflichkeit des Kampfes
gegen den internationalen Terrorismus und die schwerwiegende Kriminalität herhalten, um unsere Gesellschaft
weniger frei und damit unsicherer zu machen. Mit diesem
Abkommen sollen personenbezogenen Daten, darunter
DNA-Daten, einer unbegrenzten Zahl US-amerikanischer Sicherheitsbehörden, darunter Geheimdiensten jeder Art, zugänglich gemacht werden. Via Onlinezugriff
werden Datenbanken deutscher Sicherheitsbehörden für
US-Geheimdienste und Sicherheitsbehörden geöffnet.
Datenschutzvorkehrungen oder bürgerrechtliche Aspekte
wie eine Begrenzung der zu übermittelnden Daten oder
eine Begrenzung der Speicherfristen sowie eine wirkliche
Zweckbindung sind hierin nicht vorgesehen. Das Abkommen zeichnet sich vielmehr durch eine völlig haltlose Unverhältnismäßigkeit, mangelnde Bestimmtheit, unzureichende Zweckbindung, fehlende Sicherungen oder
effektiven Rechtsschutz aus. So werden neben Namen und
Geburtsdaten auch Identifikationsnummern und FingerZu Protokoll gegebene Reden
abdrücke gespeichert und ausgetauscht. Mehr noch:
Über den Umweg des Abkommens sollen nunmehr nicht
nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik Informationen über „die Rasse oder ethnische Herkunft,
politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften,
die Gesundheit und das Sexualleben“ gespeichert werden. Das ist der grundrechtspolitische Dammbruch.
Doch Bundesinnenminister Schäuble ({0}) reicht
das noch immer nicht. In der Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates,
vor allem den Art. 12 des Abkommens, also die soeben
zitierten Informationen, die zusätzlich gespeichert und
übermittelt werden sollen, betreffend, ist gar nicht mehr
die Rede von der Speicherung von Informationen allein
über die Gewerkschaftszugehörigkeit. Nein, hierin wird
besonders auf die aktiven, mit Funktionen ausgestatteten Gewerkschafter abgehoben ({1}), wenn es heißt: „… darunter womöglich eine
bestimmte Gewerkschaftsfunktion …“. Nicht nur, dass
deutschen Gewerkschaftsmitgliedern eine Nähe zu Terrorismus und internationaler Kriminalität angedichtet
wird, nein, das aktive Gewerkschaftsengagement wird
durch die Bundesregierung „womöglich“ als eine Gefährdung angesehen. Besonders problematisch wird
diese Aussage dann, wenn man bedenkt, dass es die
Bundesregierung bislang nicht fertiggebracht hat, eine
Definition dafür zu finden, was denn eigentlich unter „internationalem Terrorismus“ zu verstehen ist. Dementsprechend wird der Begriff seit 2001 so ziemlich für alles
genutzt, was hilft, das Überwachungsnetz im Namen der
Freiheit und der Sicherheit enger zu weben.
Und erneut wird über dieses Abkommen das Bundeskriminalamt zu einer Superbehörde im Dunkelbereich
ausgebaut. Die Bundesregierung versteckt dies in ihrem
Umsetzungsgesetz mit dem Vorschlag, das BKA zur alleinigen Kontaktstelle zwecks Umsetzung des Datenabkommens mit den USA zu machen. Gleichzeitig weist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung selbst die Versuche
des Bundesrates zurück ({2}),
eine Kontrollinstanz innerhalb des BKA zur Überwachung der Übermittlungs- und Austauschverfahren einzuführen. Die Antwort der Bundesregierung, wonach die
„Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausreichend sensibilisiert“ wären und deshalb eine Kontrolle durch einen
Richter und einen amtseigenen Richter „nicht erforderlich“ sei, ist anmaßend.
Dieses Verfahren, dieses Abkommen, diese Debatte,
dieser Entwurf eines Umsetzungsgesetzes sind eine gefährliche Farce und werden aus den genannten und vielen
weiteren Gründen - die bekanntlich im Detail liegen von der Fraktion Die Linke unter schärfstem Protest abgelehnt.
Im März 2008 hat Herr Schäuble stolz diesen Vertrag
präsentiert. Zusammen mit George Bushs Heimatschutzminister lächelte er in die Kameras und verkündete, dass
dies nun ein wichtiger Schritt gegen den internationalen
Terrorismus sei. Wenn man den Herrn Schäuble über erfolgreichen Kampf gegen Terror reden hört, muss man ja
immer vermuten: Hier sind einige Brüche mit unseren
Rechtsstaatstraditionen verborgen, hier werden vermutlich neue Datensammlungen angelegt und hier werden
Prinzipien des Datenschutzes über Bord geworfen.
Und so ist es auch mit diesem Abkommen, einem Abkommen übrigens, zu dem es bei seinem Bekanntwerden
im März 2008 heftige Kritik von allen Seiten gab. Der Innenausschuss hat den Bundesinnenminister damals auf
die Defizite und Ungereimtheiten hingewiesen, Nachverhandlungen an bestimmten Punkten verlangt und eine Information des Parlamentes gefordert. Nichts davon hat
Herr Schäuble erfüllt! Das passt zu seinem Gestus des
obersten Terrorjägers, der am besten weiß, was die Bedrohungen sind und wie sie bekämpft werden, und der
auch vorgibt zu wissen, wie man sie rechtsstaatlich bekämpft.
Da haben wir allerdings einen ganz anderen Begriff
von Rechtstaatlichkeit! Und wir sind auch der Auffassung, dass zu so einem Vertragswerk der zuständige Ausschuss des Bundestages besser informiert werden muss!
Das Abkommen entspricht den Befürchtungen. Da sollen Daten ausgetauscht werden, um Terrorismus und
schwere Kriminalität zu bekämpfen. Aber beides wird nur
vage oder gar nicht definiert! Und was die USA als
Terrorismus bezeichnen und wie sie da einen Verdacht
konstruieren, das entspricht ja nicht immer unserem Verständnis. Das haben wir ja hier im Untersuchungsausschuss nun erfahren müssen!
Der Datenaustausch steht ganz unter dem
Schäuble’schen Motto „Lieber mehr wissen, als persönliche Daten schützen“. Das gipfelt dann in dem, was das
Bundesinnenministerium eine „Schutzklausel“ nennt.
Denn in Art. 12 des Abkommens heißt es: „Daten, aus denen die Rasse oder ethnische Herkunft, politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder
die Mitgliedschaft in Gewerkschaften hervorgeht oder die
die Gesundheit oder das Sexualleben betreffen, dürfen
nur zur Verfügung gestellt werden, wenn sie für die Zwecke dieses Abkommens besonders relevant sind.“ Wegen
dieser besonderen Relevanz nennt der Minister das
Schutzklausel! Aber wieso sollen denn solche Daten
überhaupt übermittelt werden? Wie kann denn das Sexualleben besonders relevant für Terrorismusbekämpfung
sein? Welche Gewerkschaft ist denn so gefährlich, dass
sie bei der Bekämpfung von Schwerverbrechen besonders
erwähnt werden müsste? Dieser letzte Satz müsste lauten
„… dürfen nicht zur Verfügung gestellt werden“. Und
Punkt! Und warum genau werden diese Daten denn erhoben? Wer forscht das denn aus? Das zeigt, welch gefährliche Blüten die Logik dieses Ministers treibt!
Wir hatten im Frühjahr 2008 gefordert: Es darf keinen
uferlosen Datenaustausch mit den USA geben! Den gibt
es aber nun, denn das Abkommen ist so schlecht geblieben, wie es damals war. Deswegen bleiben wir auch bei
unserer Haltung zu diesem Werk: Wir lehnen es ab!
Zu Protokoll gegebene Reden
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/13123 und 16/13124 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die entsprechenden Gegenäußerungen der
Bundesregierung zu den Stellungnahmen des Bundesrates auf den Drucksachen 16/13185 und 16/13186 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Ulrike Höfken, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Neuregelung der Gewässerprivatisierung in
Ostdeutschland
- Drucksache 16/12994 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Dr. Michael Luther, Ernst Bahr, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Dagmar
Enkelmann und Cornelia Behm.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen
Antrag vorgelegt, die Gewässerprivatisierung in Ostdeutschland neu zu regeln. Worum geht es dabei? Auch
wenn das Wort Braunkohle in dem Antrag nicht vorkommt, scheint es sich um ein Thema zu handeln, das nur
im Rahmen der Braunkohlesanierung zum Tragen kommt.
Ansonsten sind mir im Grunde keine Bereiche bekannt, in
denen der Bund größere Seeflächen besitzt und privatisieren will.
Nach der Wiedervereinigung wurde begonnen, den aktiven Braunkohlenbergbau in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu
privatisieren. Die stillgelegten Tagebauflächen wurden in
der Folge durch den Bund über die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, LMBV, saniert und im Anschluss daran verwertet. Insgesamt sprechen wir hier von einer Größenordung von anfangs rund
100 000 Hektar. Die Verwaltungsgesellschaft hat mittlerweile rund zwei Drittel dieser Fläche verkauft.
Die Folgelandschaften des Braunkohlentagebaus in
der Lausitz und in Mitteldeutschland sind heute vor allem
durch eine Vielzahl neu entstandener Gewässer geprägt.
In Zukunft werden durch die Renaturierung der ehemals
bergbaulich genutzten 100 000 Hektar beinahe 120 Seen
und Gewässer entstanden sein. Diese haben eine Größe
von 10 bis 1 000 Hektar und entsprechen zusammen einer
Gesamtfläche von etwa 27 000 Hektar. Die noch nicht
veräußerte Restfläche von einem Drittel der ursprünglichen Fläche besteht heute zu mehr als der Hälfte aus diesen Tagebaurestseen.
Neben der LMBV ist auf dem Gebiet der Flächenprivatisierung noch die BVVG, die Bodenverwertungsund -verwaltungs GmbH, tätig. Die BVVG hat die Aufgabe übernommen, insbesondere landwirtschaftlich genutzte Grundstücke aus dem Volkseigentum der DDR zu
veräußern. Dazu gehört unter anderem auch eine geringe
Anzahl von Seen und Gewässern.
Der zur Debatte stehende Antrag hat zum Ziel, die Privatisierung von Gewässern in Ostdeutschland zu ändern,
er will sie verbieten. Wie aber verfahren die Lausitzer und
Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft und die
Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, wenn sie
eine Fläche, bei der es sich auch mal um einen See handeln kann, verkaufen wollen?
Die Verwaltungsgesellschaft bietet die Gewässer zunächst den zuständigen Gemeinden an. Diese müssen
dann im Rahmen ihrer Prioritätensetzung entscheiden,
ob sie die Seen erwerben wollen oder nicht. Hier sind daher die Gemeinden und Kreise gefordert, eventuell könnte
aber auch die Landesregierung grundsätzlich unterstützend tätig werden.
An dieser Stelle lohnt es sich, einmal einen Blick auf
die drei betroffenen Bundesländer zu richten. Denn ich
denke, dass der Freistaat Sachsen hier ein gutes Beispiel
sein kann für Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Bis zum
Jahr 2003 hat die Bergbau-Verwaltungsgesellschaft auch
im Freistaat einzelne Seeflächen an Kommunen und Private veräußert. Daraufhin hat Sachsen mit der LMBV
Verhandlungen aufgenommen, die Ende 2007 zum Abschluss einer „Gewässerrahmenvereinbarung“ geführt
haben. Darin sichert der Freistaat Sachsen der LMBV zu,
die Seen nach ihrer Fertigstellung zu übernehmen.
Gleichzeitig ist der LMBV der Verkauf an Kommunen
oder sonstige Dritte verboten. Damit ist dem Anliegen des
Antrags im Freistaat Sachsen bereits Rechnung getragen.
Einer weiteren Aufforderung des Bundes bedarf es daher
nicht.
Anders scheint jedoch die Situation in Brandenburg
und eingeschränkt in Sachsen-Anhalt zu sein. Dort gibt es
kein klares Bekenntnis des Landes zur Übernahme der
Wasserflächen. Dies mag der Grund sein, weshalb sich
die LMBV im Rahmen ihres Verwertungsauftrags andere
Käufer sucht. Da die Leistungsfähigkeit der Kommunen
häufig nicht ausreicht und ihnen die Übernahme der Seen
gegebenenfalls auch durch die Kommunalaufsicht untersagt wird, bleiben nur Private.
Ergebnis: Für Sachsen hat der Antrag keine Bedeutung, die mit ihm verfolgten Ziele sind bereits gesichert.
Zudem ist der Bund der falsche Adressat des Antrags, da
seine LMBV ja durchaus gewillt ist, die Flächen an öffentliche Träger zu vermarkten. Richtigerweise handelt es
sich um landespolitische Fragen der Bundesländer, die
noch keine Rahmenvereinbarung geschlossen haben. Es
kann nicht das Ziel sein, dass der Bund dauerhaft Eigentümer und Betreiber dieser Flächen ist. Deswegen haben
die Länder die Chance, diese zu übernehmen. Wenn sie
dazu nicht in der Lage sind, müssen diese Wasserflächen
privatisiert werden. Als großer Verfechter des Subsidiaritätsprinzips kann ich daher nur zum Schluss kommen,
dass der Antrag abzulehnen ist. Der Bund muss nichts regeln, was die Länder eigenständig lösen können.
Grundsätzlich möchte ich noch dem in diesem Antrag
zutage tretenden Misstrauen widersprechen, dass der
Verkauf von Gewässern an Privatpersonen grundsätzlich
schlecht ist. Selbst wenn ein See von einem Privaten gekauft wird, bedeutet dies meines Erachtens nicht automatisch, dass beispielsweise der Tourismus unterbunden
wird. Denn auch der neue Eigentümer hat ein Interesse,
den See vernünftig zu nutzen. So kann durchaus die Möglichkeit bestehen, dass hier die Gemeinde gemeinsam mit
dem neuen Eigentümer die touristische Entwicklung des
Sees und anliegender Grundstücke gestaltet und vorantreibt. Hier ist natürlich viel Geschick und Phantasie von
den politisch Verantwortlichen gefordert. Wo dies gelingt,
wird so der Grundstock für ein privates Gewerbe und für
neue Arbeitsplätze gelegt. Insoweit sollte klug überlegt
werden, ob im Einzelfall tatsächlich ein See in öffentliches Eigentum einer Gemeinde überführt werden muss.
Privatisierung kann ein guter Weg sein, vielfältigen Tourismus in den neuen Bundesländern auszubauen.
Ich komme zum Schluss: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird diesen Antrag aus den genannten Gründen
ablehnen.
Seen erfüllen vielfältige Funktionen. Sie beeinflussen
den Wasserhaushalt und das Mikroklima in ihrer Umgebung. Sie sind ein wertvolles Biotop und Rückzugsgebiet
vieler Tier- und Pflanzenarten. Gewässer sind ein wichtiger Bestandteil von Naherholungsgebieten und erhöhen
die Attraktivität einer Region für den Tourismus.
Alle diese Faktoren sprechen dafür, dass eine öffentliche Nutzung von Seen von großem Interesse für die Allgemeinheit ist - sowohl aus ökologischer wie auch aus
wirtschaftlicher Sicht. Ob es eine Einschränkung der laufenden Privatisierungen von Seen geben sollte, hängt
aber davon ab, inwieweit mit dem Verkauf die bisherigen
Zugangs- und Nutzungsrechte beschnitten werden und
damit gegen das Allgemeinwohl gehandelt wird.
Eine Privatisierung erfolgt, wenn keine Nutzung als
Wasserstraße vorliegt, wodurch das Gewässer dem Land
zugeordnet würde. Steht die fischereiwirtschaftliche Nutzung im Vordergrund, wurde das Objekt von der Zuordnungsstelle an die BVVG gewiesen und kann dem Auftrag
der BVVG entsprechend veräußert werden. Bei einem
Verkauf wird der See zuerst der betroffenen Gemeinde außerhalb des freien Wettbewerbs angeboten. Gibt es dort
keinen Bedarf oder keine Kaufmöglichkeit, wird in zweiter Stufe dem Pächter der Fischereirechte ein Angebot gemacht. Erst wenn auch dieser den Kauf ausschlägt,
kommt es zu einer öffentlichen Ausschreibung. Bei einer
solchen Ausschreibung ist die BVVG angehalten, größtmögliche Sensibilität gegenüber den Gemeinden zu wahren und mögliche Bedenken oder Probleme zu berücksichtigen. Gewohnheitsrechtliche Nutzungen oder
schlüssige Planungen für eine touristische Erschließung
können bei einer Privatisierung Berücksichtigung finden.
Der Allgemeingebrauch, wie beispielsweise das Baden,
bleibt beim Besitzerwechsel eines Sees ohnehin unberührt. Es besteht auch die Möglichkeit zur Gründung einer Stiftung - vonseiten des Landes, der Kommune oder
von Bürgerinitiativen - zur Seenutzung. Eine solche Institution würde von der BVVG eine besondere Berücksichtigung als Käufer finden.
Der ökologische Wert eines Gewässers dürfte durch
veränderte Besitzverhältnisse jedoch nicht gemindert
werden. Die Umweltauflagen im Umgang mit Gewässern
gelten für alle Eigentümer gleichermaßen. Auch haben
die Besitzverhältnisse wohl kaum einen Einfluss auf den
Landschaftswasserhaushalt. Im Übrigen wurden bereits
70 Seen aus der BVVG-Masse an das Nationale Naturerbe übertragen, wodurch ein großer ökologischer Beitrag für den Biotopverbund und -schutz geleistet wurde.
Es ist erfreulich, dass sich die Ziele des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den bestehenden
Regelungen zur Gewässerprivatisierung decken. Mir ist
auch kein Fall bekannt, bei dem die bestehende Praxis zu
Problemen geführt hätte, die einer Neuregelung bedurften. Daher sehe ich keinen Handlungsbedarf und stimme
dem vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen nicht zu.
Der Antrag der Grünen ist vor dem Hintergrund des
Rechtsstreites um den Mellensee südlich von Berlin zu be-
werten. Ich bin allerdings dagegen, aufgrund eines Ein-
zelfalls das Kind mit dem Bade auszuschütten, so wie es
die Grünen in ihrem Antrag tun. Denn bereits jetzt sind
der privaten Nutzung von Seen deutliche gesetzliche
Grenzen gesetzt.
In Deutschland sind Seen - im Gegensatz zu fließen-
den Gewässern und Grundwasser - grundsätzlich als Teil
der Erdoberfläche eigentumsfähig. Allerdings unterliegt
der Erwerber eines Sees im Gegensatz zu einem Boden-
besitzer deutlichen Einschränkungen. Ich zitiere aus § 1
des Wasserhaushaltsgesetzes: „Die Gewässer sind als
Bestandteil des Naturhaushalts und als Lebensraum für
Tiere und Pflanzen zu sichern. Sie sind so zu bewirtschaf-
ten, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang
mit ihm auch dem Nutzen Einzelner dienen, vermeidbare
Beeinträchtigungen ihrer ökologischen Funktionen und
der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und
Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt
unterbleiben und damit insgesamt eine nachhaltige Ent-
wicklung gewährleistet wird.“ Und weiter: „Das
Grundeigentum berechtigt nicht 1. zu einer Gewässer-
benutzung, die nach diesem Gesetz oder nach den Lan-
deswassergesetzen einer Erlaubnis oder Bewilligung
bedarf, 2. zum Ausbau eines oberirdischen Gewässers.“
Das heißt: Wer einen Teich oder einen See gekauft hat,
benötigt für fast alle Nutzungen des Gewässers eine was-
serrechtliche Erlaubnis. Bei Umgestaltungen des Gewäs-
sers wäre darüber hinaus auch eine Planfeststellung er-
forderlich. Und diese Erlaubnis kann nur erteilt werden,
wenn die privaten Nutzungen dem Wohl der Allgemein-
heit nicht entgegenstehen. Damit ist der Besitzer eines
Zu Protokoll gegebene Reden
Oberflächengewässers kaum besser gestellt als jeder an-
dere x-beliebige Nutzer eines Gewässers.
Rund 10 000 Hektar Seen und Teiche sind in den neuen
Bundesländern innerhalb der letzten sieben Jahre von öf-
fentlichem in privaten Besitz übergegangen. Die Boden-
verwertungs- und -verwaltungs GmbH, BVVG), eine
Tochterfirma der Treuhandnachfolgegesellschaft, verwaltet und privatisiert landwirtschaftliche Flächen, Wälder und Seen aus staatlichem Besitz. Seit der Gründung
der BVVG im Jahr 1992 ist schon fast ein Fünftel der zum
Verkauf stehenden Gewässer an Kommunen und Privatleute veräußert worden. Doch noch immer sind etwa
43 000 Hektar übrig. Mit den bisher verkauften Gewässern hat die BVVG 15 Millionen Euro eingenommen durchschnittlich 15 Cent pro verkauften Quadratmeter
See. Dieses Geld fließt in den Bundeshaushalt. Der geringe Preis von 15 Cent pro Quadratmeter ist ein Ausdruck davon, dass der Besitz einer Wasserfläche im Gegensatz zum Eigentum an Grund und Boden aufgrund der
rechtlichen Restriktionen nicht sonderlich attraktiv ist.
Zudem haben die Anrainerkommunen ein Vorkaufsrecht.
Aber auch wenn sie den See nicht selbst kaufen möchten,
haben die Kommunen ein Mitspracherecht bei den Verkaufsverhandlungen. Dadurch bleibt gewährleistet, dass
der See auch nach seiner Privatisierung öffentlich genutzt werden kann.
Der Antrag der Grünen geht also zu weit und ist überflüssig. Das Eigentumsrecht ist einer der Grundpfeiler
unserer sozialen Marktwirtschaft. Das gilt generell auch
für Seen. Zudem bietet die Möglichkeit einer Privatisierung auch Chancen für die Entwicklung touristischer Infrastruktur durch private Investoren. Im Übrigen handelt
es sich bei den potenziellen Käufern nicht nur um Investoren mit finanziellen Interessen. Auch viele Naturschützer fragen bei der BVVG an, um ein Biotop zu schaffen
und Lebensräume von Tieren und Pflanzen zu schützen.
Das dürfte doch ganz im Interesse der Grünen liegen.
Statt eine Privatisierung von Seen generell auszuschließen, geht es darum, im Einzelfall einen vernünftigen
Kompromiss zwischen ökologischen und ökonomischen
Interessen zu finden. Ich denke, dies sollte auch im Fall
Mellensee möglich sein.
Stellen Sie sich vor, Sie sind glücklicher Besitzer eines
Grundstücks am Wasser und verfügen sogar über einen
Bootssteg. Plötzlich finden Sie im Briefkasten ein Schreiben, das Sie unmissverständlich auffordert, entweder
7 500 Euro zu zahlen oder den Bootssteg abzureißen.
Oder Sie sind Bürgermeister einer Gemeinde, die ein
Strandbad hat. Plötzlich soll Ihre Kommune für die Nutzung des Sees 50 000 Euro zahlen. Und Sie tun das, wenn
auch zähneknirschend, weil der Eigner des Sees rechtlich
die besseren Karten hat. Oder Sie gehören seit 40 Jahren
einem Segelverein an. Diesem wird von heute auf morgen
der Segelsport auf dem Gewässer fast unmöglich gemacht, weil der private Besitzer des Sees daran keinen
Gefallen findet oder seinen Besitz vergolden will.
All dies hat sich in den vergangenen Jahren so am
Wandlitzsee nördlich von Berlin zugetragen, und es trägt
noch heute erheblich zu Unmut bei. Für 400 000 Euro
hatte die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft, BVVG, im Jahr 2003 die 200 Hektar
Wasserfläche des Wandlitzsees an einen Düsseldorfer Immobilienprofi verkauft. Seitdem versucht der umtriebige
Herr, seinen Besitz zu Geld zu machen, und beruft sich
dabei aufs antiquierte preußische Wasserrecht. Fakt ist:
Die Privatisierung des Sees lag nicht im Interesse der
Bürgerinnen und Bürger. Sie lag nicht im Interesse der
Menschen, die am See wohnen, Erholung suchen oder
Sport treiben. Die Hilferufe sind inzwischen unüberhörbar. Ich zitiere aus einem Schreiben des Vorsitzenden des
Verbandes Brandenburgischer Segler vom März 2009 an
mich: „Ich bitte Sie …, Ihre persönliche und politische
Kraft zur Erhaltung des Segelvereins am Wandlitzsee einzusetzen. Ehrenamt, Kinder- und Jugendarbeit stellen gesellschaftliche Interessen dar. Hier muss privates Interesse hinten angestellt werden.“ Das kann ich nur dick
unterstreichen. Es kann nicht sein, dass private Eigner
mit öffentlichen Gewässern nach Gutsherrenart verfahren.
Die Linke stellt dabei weniger die BVVG an den Pranger, sondern die seit Treuhandzeiten geltende Maxime des
Bundesfinanzministers, die Flächen im Osten meistbietend zu verkaufen. Die politische Verantwortung dafür
trägt letztlich die Bundesregierung. Das stets seitens der
BVVG betonte Vorkaufsrecht der Kommunen zum Beispiel für Gewässer ist nicht das Papier wert, auf dem es
steht. Allein 2008 hat die BVVG einen Überschuss von
366 Millionen Euro an die Bundeskasse abgeführt. Bis
2020, so wird geschätzt, wird der „goldene Boden“ im
Osten dem Bund weitere 3 Milliarden Euro in die Kasse
spülen. Dies geht vor allem zulasten ostdeutscher Agrarunternehmen und Kommunen.
Im Jahre 2002 legte die BVVG die erste und meines
Wissens bisher einzige Bilanz veräußerter Gewässer im
Osten vor. Bereits zu dieser Zeit waren von der BVVG
rund 10 000 Hektar Seen, Teiche, Flüsse und Bäche veräußert. Schon damals waren die gravierenden Folgen des
Verkaufs an den Meistbietenden bekannt. Die rot-grüne
Bundesregierung sah dem tatenlos zu.
Jetzt kommt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Erkenntnis - ich zitiere aus der Antragsbegründung -:
„Der offene Zugang zu den Seen und das Engagement der
Bürgerinnen und Bürger für die weitere touristische Erschließung der heimischen Gewässer werden jedoch
durch die Privatisierungsbemühungen des Bundes und
der Länder gefährdet.“ Man könnte sagen: besser späte
Einsicht als gar keine. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen springt aber auch zu kurz: Sie fordert,
Seen nur dann im Besitz der öffentlichen Hand zu belassen, wenn der Gemeinwohlnutzen überwiegt. Sie verlangt
ein Verkaufsmoratorium - aber nur bis zu einer Neuregelung der Privatisierung. Das ist inkonsequent. Soll künftig weiter verkauft werden - nur vielleicht zu etwas besseren Bedingungen? Und wer bestimmt, ob der
Gemeinwohlnutzen überwiegt? Das ist doch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Verwaltungsgerichte.
Die Linke ist generell gegen die Privatisierung von
Wald, Agrarflächen und Gewässern, und das nicht, weil
Zu Protokoll gegebene Reden
das früher einmal Volkseigentum war. Der Drang, öffentliches Eigentum um jeden Preis zu privatisieren, hat die
öffentlichen Hände in die Sackgasse geführt. Erst verkaufen sie Tafelsilber, um dann feststellen zu müssen, dass
der öffentlichen Daseinsvorsorge buchstäblich der Boden
unter den Füßen entschwindet. Nicht allein der Verkauf
von Gewässern ist dauerhaft zu stoppen. Bei jedem Flächenverkauf in Ostdeutschland dürfen die Interessen der
Kommunen und der Agrarunternehmen nicht mehr länger außen vor bleiben. Sie brauchen nicht nur ein Vorkaufs-, sondern vor allem ein Vetorecht. Die BVVG muss
endlich den Interessen der Menschen im Osten und nicht
denen des Finanzministers dienen.
Viele Landschaften und Naturräume unseres Landes,
insbesondere in Ostdeutschland, sind durch Seen geprägt. Sie vermitteln Heimatgefühl und sind zugleich Anziehungspunkte für Urlauber und Gäste. Darüber hinaus
übernehmen sie mit ihren weitläufigen Schilf- und vielfältigen Uferbereichen wertvolle ökologische Funktionen,
dienen der Regulierung des Landschaftswasserhaushaltes und sind für die Fischereiwirtschaft unverzichtbar.
Viele Bürgerinnen und Bürger engagieren sich für Pflege,
Unterhaltung und eine weitere touristische Erschließung
der Gewässer.
Der offene Zugang zu den Seen steht jedoch in Ostdeutschland durch die Privatisierungsbemühungen des
Bundes und der Länder zur Disposition. Mit dem Einigungsvertrag sind zahlreiche Gewässer aus dem Besitz
der DDR auf den Bund übergegangen, sofern sie nicht
nach ihrer Zweckbestimmung am 1. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt waren, die
von Ländern, Gemeinden oder sonstigen Trägern öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen sind. Die dem Bund zugeordneten Gewässer zählen zu seinem Finanzvermögen
und werden nach und nach verkauft. Viele Gemeinden
sind aufgrund ihrer Haushaltssituation aber nicht in der
Lage, die auf ihrem Gebiet befindlichen Seen zu kaufen.
Darüber hinaus ist es den Menschen in ihren Regionen
schwer vermittelbar, warum Seen aus dem früheren
Volkseigentum der DDR auf Kosten der Steuerzahler von
den Kommunen wieder zurückgekauft werden müssen.
Die Privatisierung der Gewässer birgt die Gefahr,
dass Badestellen, Stege und Uferwege für die Öffentlichkeit nicht mehr nutzbar sind oder Freizeitbetätigungen
auf den Seen wie Angeln und Baden durch neue Besitzer
verboten oder kostenpflichtig werden. Die Privatisierung
des Wandlitzsees im Landkreis Barnim in Brandenburg ist
hierfür ein besonders drastisches Beispiel. Sowohl für
Einheimische als auch für Gäste ist eine solche Entwicklung nicht akzeptabel. Gleichzeitig können Privatisierungen dazu führen, dass Fauna und Flora wirtschaftlichen
Interessen weichen müssen und sich die Wasserqualität
durch fehlende oder nicht sachgerechte Pflege verschlechtert. So besteht beispielsweise das Risiko, dass
private Eigentümer mit dem Erhalt der Seen, insbesondere mit der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie
im Einzelfall überfordert sein könnten, da die Gewässergüte oftmals von Faktoren beeinflusst wird, die sich dem
Einfluss von Privatpersonen entziehen. Allein schon die
Überprüfung der Wasserqualität und deren richtige Interpretation setzt technische und wissenschaftliche Expertise voraus. Denn See ist nicht gleich See. Was für einen
See im Niedermoorbereich gut und normal ist, kann in
einem nährstoffarmen See schon eine ökologische
Katastrophe bedeuten.
Mit unserem Antrag setzen wir uns dafür ein, dass
Seen mit überwiegender Bedeutung für Naherholung und
Naturtourismus, für ihr ökologisches Umfeld und den
Landschaftswasserhaushalt im Besitz der öffentlichen
Hand verbleiben. Denn eine Verpflichtung zur Privatisierung öffentlicher Güter besteht nach dem Einigungsvertrag nicht. Es obliegt dem Bund, zu entscheiden, bei welchen Gewässern das Gemeinwohlinteresse oder seine
ökologische Bedeutung überwiegt. Hier wollen wir eine
Privatisierung in Zukunft ausschließen. Bis die entsprechenden Rechtsgrundlagen dafür geschaffen sind, fordern wir den Bundesfinanzminister auf, die weitere Privatisierung durch ein Verkaufsmoratorium auszusetzen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12994 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit sind
Sie, wie ich sehe, einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung medizinprodukterechtlicher
Vorschriften
- Drucksachen 16/12258, 16/12676 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({0})
- Drucksache 16/13211 Berichterstattung:
Abgeordneter Jens Ackermann
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Jens Spahn,
Dr. Marlies Volkmer, Jens Ackermann, Frank Spieth,
Elisabeth Scharfenberg und des Parlamentarischen
Staatssekretärs Rolf Schwanitz.
Die Verbesserung des Schutzes der Patienten und Probanden steht im Mittelpunkt des Gesetzes zur Änderung
medizinprodukterechtlicher Vorschriften, das wir heute
hier beschließen werden. Mit diesem Gesetz werden unter
anderem europäische Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt, die eine Reihe von wichtigen Verbesserungen im
Dienste der Produkt- und Anwendersicherheit bei Medizinprodukten mit sich bringen.
Es gibt sehr, sehr große und bekannte Hersteller, aber
der Medizinproduktebereich besteht vor allem aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, von denen viele
weniger als 20 Mitarbeiter haben. Diese sind ein wichtiJens Spahn
ger Wirtschaftsfaktor für unser Land. Sie zeichnen sich
durch hohe Innovationskraft, hohe Exportorientierung
und ein hohes Sicherheitsniveau bei den Medizinprodukten aus. Mit dem Medizinproduktegesetz haben wir nun
den Spagat zwischen der Erhöhung des Schutzes der Patientinnen und Patienten bei klinischen Studien auf der einen Seite und gleichzeitig der Schaffung von handhabbaren und unbürokratischen Regelungen für die Betriebe in
der Medizinprodukteindustrie gemeistert. Denn das Gesetz darf nicht dazu führen, dass die deutschen Medizinprodukteunternehmen wegen überbordender bürokratischer Anforderungen nicht mehr in der Lage sind, ihre
hochwertigen Produkte zu entwickeln und zu fertigen. Es
ist natürlich klar, dass bei der Genehmigung einer klinischen Prüfung an ein einfaches Blutdruckmessgerät andere Sicherheits- und Dokumentationsanforderungen gestellt werden müssen als an einen hochkomplexen
Herzschrittmacher. Dies konnten wir nun erreichen.
Lassen Sie mich kurz auf einige wesentliche Regelungsinhalte eingehen: Die wichtigste Veränderung ist
die Zusammenführung und Vereinheitlichung von Aufgaben beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dem BfArM. Dazu zählen zum Beispiel die Genehmigung von klinischen Prüfungen oder die Einstufung
von Medizinprodukten sowie die Abgrenzung zu anderen
Produkten. Bisher sind hierfür in Deutschland etwa
65 Behörden verantwortlich, was zu Intransparenz und
uneinheitlicher Rechtsanwendung geführt hat. Die Neuordnung der Zuständigkeiten auf Länder- und Bundesebene wird zu mehr Sicherheit und Effizienz in der Praxis
führen.
Gerade bei der Genehmigungspflicht von klinischen
Prüfungen wurde in den parlamentarischen Beratungen
erreicht, dass bei Medizinprodukten mit geringem Sicherheitsrisiko von dem generellen Genehmigungserfordernis
durch das BfArM abgesehen werden kann. Um einen unangemessen hohen Prüfungsaufwand bei diesen Produkten zu vermeiden, wird die Behörde in diesem Fall im
Kern eine Plausibilitätsprüfung der eingereichten Unterlagen vornehmen und nur in Zweifelsfällen weitere
Schritte einleiten. Ich begrüße es sehr, dass wir eine risikobasierte Regelung der Genehmigungsmodalitäten für
Medizinprodukte mit geringem Sicherheitsrisiko erreicht
haben. Damit braucht die Medizinprodukteindustrie keinen unangemessenen Bürokratieaufwand und keine Doppelprüfungen zu befürchten, und das BfArM kann sich auf
die Fälle konzentrieren, bei denen ein höheres Risiko vorliegt. Damit ist letztlich auch dem Probandenschutz gedient.
In Bezug auf die Anforderungen an die Aufbereitung
von Medizinprodukten, was bereits mehrfach Thema kritischer Medienberichterstattungen war, wurde eine neue
erweiterte Ermächtigungsgrundlage geschaffen. Damit
werden die Möglichkeiten für Vorschriften zur Aufbereitung von Medizinprodukten, für die bisher keine ausreichende Ermächtigung im Medizinproduktegesetz vorhanden war, erweitert. Bei der Frage der Aufbereitung von
Medizinprodukten gilt es Folgendes zu beachten: Auf der
einen Seite haben natürlich die Hersteller ein Interesse,
möglichst viele Produkte als Einmalprodukte zu deklarieren. Dies kann aus Sicherheitsgründen geboten sein,
dient teilweise aber auch der Steigerung der Verkaufszahlen. Auf der anderen Seite haben die Versichertengemeinschaft und die Anwender das Interesse - unter Einhaltung
höchster Qualitätsstandards - an einem kostenbewussten
Umgang mit den eingesetzten Materialien. Diese beiden
Interessen gilt es so weit wie möglich insbesondere im
Blick auf die Patientensicherheit auszugleichen und eine
Gefährdung der Patientinnen und Patienten auszuschließen. Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert,
nach Vorlage des im Jahr 2010 erwarteten EU-Berichtes
zur Wiederaufbereitung von Medizinprodukten und des
Erfahrungsberichtes der Arbeitsgruppe beim RKI zeitnah
den Deutschen Bundestag zu unterrichten und dabei zu
erklären, wie die gesetzlichen Anforderungen bei der Aufbereitung von Medizinprodukten zur weiteren Optimierung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ergänzt
werden sollten.
Im vorliegenden Gesetz wird auch ein weiterer Punkt
geregelt, der mir sehr wichtig erscheint. In letzter Zeit hat
sich ein Trend verstärkt, verschiedene In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung als Heimtest anzubieten. In einigen europäischen Mitgliedstaaten sowie im Internet
werden mittlerweile auch HIV-Heimtests für Laien angeboten. Diese Tests sind oftmals ungenau, insbesondere
wenn sie nicht von medizinischem Fachpersonal angewandt werden. Gerade auch bei den weitreichenden Konsequenzen, die ein positives Ergebnis für den Betroffenen
mit sich bringt, ist eine professionelle Beratung und Begleitung dringend erforderlich. Diese findet bei einem
Heimtest nicht statt. Ich möchte nicht, dass ein Mensch
am Rande einer Party, wo heute zum Teil Tests von Organisationen angeboten werden, oder alleine in seiner Wohnung mit der schwerwiegenden Diagnose konfrontiert
wird, HIV-infiziert zu sein. Eine ärztliche Begleitung vom
ersten Moment an ist wichtig, gerade für den Betroffenen.
Deshalb haben wir im vorliegenden Gesetzentwurf festgeschrieben, dass diese Tests im Ergebnis nur an Ärzte
und an medizinische Einrichtungen unter ärztlicher Leitung abgegeben werden dürfen. Damit ist sichergestellt,
dass diese Tests unter fachlicher Aufsicht und mit dem
Angebot der Beratung durchgeführt werden.
Ich bin mir sicher, dass wir mit dem Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften einen großen Schritt vorankommen, um die Medizinprodukte in
Deutschland für die Patientinnen und Patienten noch sicherer zu machen. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich möchte behaupten, dass nahezu jeder Bürger bereits in seinem Leben mit Medizinprodukten in Berührung
gekommen ist, ob mit Verbandmaterial, mit Kontaktlinsen, Zahnimplantaten oder einem künstlichen Gelenk.
Wie die Aufzählung zeigt, ist das Risiko, das mit einem
Medizinprodukt verbunden ist, sehr unterschiedlich. Am
höchsten ist das Risiko unter anderem da, wo das Medizinprodukt dauerhaft im Körper verbleibt. Patientinnen
und Patienten müssen hier in besonderer Weise sichergehen können, dass die verwendeten Medizinprodukte
höchsten Sicherheitsstandards entsprechen und die Überwachung effizient organisiert ist.
Zu Protokoll gegebene Reden
Ehe ein Medizinprodukt in Verkehr gebracht wird,
muss es intensiv geprüft werden. Für besonders risikoreiche Medizinprodukte der Klasse III, zum Beispiel Herzklappen, und für implantierbare Medizinprodukte, zum
Beispiel Herzschrittmacher, müssen europäischem Recht
zufolge neben einer klinischen Bewertung klinische Prüfungen an Probanden bzw. Patienten durchgeführt werden.
Die gesetzlichen Regelungen im Medizinproduktebereich unterscheiden sich derzeit grundlegend von denen
im Arzneimittelbereich. Im Arzneimittelbereich wird ein
hohes Schutzniveau der Probanden und Patienten garantiert und damit auch Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit der geprüften Wirkstoffe geschaffen. Anders ist
das bei Medizinprodukten. Die bisherigen Regelungen
sind intransparent, und das Niveau des Probanden- und
Patientenschutzes ist um vieles geringer als im Arzneimittelbereich. So kann zum Beispiel derzeit eine klinische
Prüfung mit Medizinprodukten sofort nach einer formalen Anzeige begonnen werden, eine Genehmigung ist
nicht erforderlich. Notwendig ist lediglich eine Stellungnahme einer beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte, BfArM, registrierten Ethikkommission.
Dies können auch freie private Kommissionen sein, bei
denen Sponsoren gegen Entgelt Gutachten in Auftrag geben. Man muss kein Experte für das Medizinprodukterecht sein, um zu erkennen, dass unabhängige Stellungnahmen nur durch unabhängige Gremien möglich sind.
Dabei wurde bisher davon ausgegangen, dass die Ethikkommission so viel Sachverstand hat, dass sie neben der
ethischen und wissenschaftlichen Bewertung des Prüfplans zum Beispiel auch die sicherheitstechnische Unbedenklichkeit des Produkts bewerten könnte. Die für diese
Aufgabe spezialisierte benannte Stelle, zum Beispiel der
TÜV, benötigt dafür allerdings mehrere Tage und Wochen. Dagegen wurde immer wieder von Ethikkommissionen berichtet, die ihre positiven Stellungnahmen innerhalb weniger Tage abgaben.
Problematisch sind auch die derzeit vorhandenen
zahlreichen Zuständigkeiten auf Länder- und Bundesebene. Insbesondere im Zusammenhang mit der Einstufung von Medizinprodukten und der Abgrenzung zu anderen Produkten führt die Zuständigkeit von mehr als
60 Behörden zu Nachteilen für die betroffenen Hersteller.
Vor diesem Hintergrund führen wir aus Anlass der
Umsetzung von europäischem Recht einige grundlegende
Änderungen im Medizinprodukterecht ein. Zentral ist die
Einführung einer Genehmigungspflicht für klinische Prüfungen mit Medizinprodukten zentral beim BfArM, wie es
sie bei Arzneimitteln bereits seit langer Zeit gibt. Dabei
kann die Bundesoberbehörde bei Produkten mit einem
geringen Sicherheitsrisiko entscheiden, dass es keiner
Genehmigung bedarf. Neben der Genehmigung durch die
Bundesoberbehörde muss vor dem Beginn einer Prüfung
auch eine zustimmende Bewertung einer Ethikkommission vorliegen. Die Ethikkommission muss nach Landesrecht gebildet, unabhängig und interdisziplinär besetzt
sein. Die von ihr abgegebenen Bewertungen sind, wie im
Arzneimittelbereich auch, Verwaltungsakte.
Das mehrgleisige Verfahren ist notwendig, da Bundesoberbehörde und Ethikkommission verschiedene Aufgaben haben: Die Ethikkommission prüft die ethischen
und rechtlichen Voraussetzungen der Prüfung, das
BfArM die sicherheitstechnische Unbedenklichkeit des
Produktes. Natürlich gibt es teilweise Überschneidungen,
aber tatsächlich ist erst im Zusammenspiel der umfassenden materialtechnischen, wissenschaftlichen und ethischen Begutachtung sichergestellt, dass das Verhältnis
von Nutzen und Risiko angemessen bewertet werden
kann. Gleichzeit kann damit die Qualität der Studien erhöht werden.
Zum Schutz der Sicherheit von Probanden und Patienten bei klinischen Prüfungen ist es notwendig, auftretende
schwerwiegende unerwünschte Ereignisse während klinischer Prüfungen umfassend zu erfassen, wissenschaftlich
zu bewerten und gegebenenfalls Korrekturen zu veranlassen. Auch diese Aufgabe wird künftig das BfArM innehaben. Die Überwachung der Hersteller und der Anwender
von Medizinprodukten ist einer der Schlüssel für die
Patientensicherheit nach dem Marktzugang. Als Voraussetzung einer bundeseinheitlichen und qualifizierten
Marktüberwachung ermöglicht das Gesetz eine bundeseinheitliche Regelung in einer Rechtsverordnung.
Eine wichtige Regelung des Gesetzes betrifft HIV/
Aids-Tests für Laien, die in anderen europäischen Ländern und über das Internet angeboten werden. Einige
Hersteller planen bereits, die Tests auch auf den deutschen Markt zu bringen. Dies ist vor allem deshalb
schwierig, da Laien die Resultate des Testverfahrens
nicht richtig interpretieren können: Ein positives Ergebnis dieses Schnelltests muss immer erst durch einen Bestätigungstest wiederholt werden, ehe die Diagnose
sicher gestellt werden kann. Medizinische Fachkreise betonen deshalb, dass diese Tests nur eingesetzt werden
sollten, wenn eine Beratung sichergestellt ist. Davon abgesehen muss gewährleistet sein, dass die in Deutschland
bestehende HIV-Meldepflicht erfüllt werden kann. Das
Gesetz sieht daher vor, dass die Abgabe auf Ärzte, Gesundheitsbehörden und ambulante und stationäre Einrichtungen im Gesundheitswesen sowie Apotheken und
Großhandel beschränkt wird. Letztere dürfen die Tests
aber nur an Ärzte abgeben.
Ich bin überzeugt davon, dass mit dem Gesetz sowohl
der Probanden- und Patientenschutz bei klinischen Prüfungen von Medizinprodukten als auch die Sicherheit von
Medizinprodukten generell verbessert werden können.
Das Medizinproduktegesetz hat sich in seiner gültigen
Fassung bewährt. Die bestehenden Vorschriften zu Beginn, Durchführung, Überwachung und Dokumentation
von klinischen Studien stellen einen guten Schutz für Probanden, Patienten und Hersteller von Medizinprodukten
dar. Wenn wir heute über eine Novellierung zu befinden
haben, müssen wir uns deshalb an folgenden Kriterien
orientieren:
Erstens: Alle rechtlichen Änderungen müssen sich daran messen lassen, ob sie geltendes Europarecht eins zu
eins umsetzen. Für strengere Auflagen - wie sie bei andeZu Protokoll gegebene Reden
ren EU-Rechtsakten in diesem Haus schon häufig beschlossen wurden - darf auch in Anbetracht der schwierigen Lage der mittelständischen Wirtschaft kein Platz
sein.
Zweitens: Alle Änderungen, die wir vornehmen, müssen für Patienten und Probanden einen echten Mehrwert
an Sicherheit bringen. Bei klinischen Prüfungen und Studien haben wir es häufig mit invasiven Produkten zu tun,
die zumindest für eine längere Zeit im Organismus verbleiben. Hier muss uns daran gelegen sein, das höchstmögliche Schutzniveau herzustellen bzw. zu wahren.
Drittens: Reformen, die wir im Medizinproduktegesetz
durchführen, sollten die Hersteller von Medizinprodukten
im internationalen Wettbewerb stärken und den Forschungsstandort Deutschland festigen.
Der Entwurf, der uns heute vorliegt, wird diesen Ansprüchen leider nicht gerecht, und das, obwohl wir nach
mehrmaliger Ausschussberatung und einer sehr informativen Anhörung schon längst weiter sein müssten. Zwar
wurden im Vergleich zur ersten Vorlage einige Verbesserungen eingearbeitet, was insbesondere die Rechtskonformität mit EG-Recht betrifft, dennoch laufen die
zentralen Neuerungen unserem Bestreben, ein hohes
Schutzniveau für Patienten und Probanden mit der Stärkung mittelständischer Unternehmen im internationalen
Wettbewerb in Einklang zu bringen, zuwider. Lassen Sie
mich deshalb auf die Punkte eingehen, die mir als liberalem Gesundheitspolitiker Magenschmerzen bereiten.
Die im Gesetzesentwurf in § 20 ({0}) und § 22 a) vorgesehene Genehmigungspflicht von klinischen Prüfungen
geht über die europarechtlichen Anforderungen, die sich
aus Art. 15 der Richtlinie 93/42/EWG und Art. 10 der
Richtlinie 90/385/EWG nach der Änderung durch die
Richtlinie 2007/47/EWG ergeben, hinaus. Daran kann
auch die durch die Koalitionsfraktionen eingebrachte
Ausnahmeregelung für Medizinprodukte mit geringem Sicherheitsrisiko nichts ändern. Ich habe versucht, von der
Bundesregierung verlässliche Daten zu erhalten, die
diese Verschärfung rechtfertigen. Es gibt sie nicht! Ein
einziges Bundesland konnte über nachträgliche Abbrüche klinischer Studien valide Zahlen vorlegen. Ein einziges! Und nun raten Sie einmal, wie viele Studien dort zwischen 1995 und 2008 abgebrochen werden mussten.
Ganze 10 Studien - bei einer Gesamtzahl von 326. Nun
kann ich jeden verstehen, der sagt, auch 10 Studien sind
zu viel. Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber es existieren keine
Daten zur Risikoklassifizierung, was heißt, dass es sich
bei den Fällen auch um 10 Studien mit Verbandsmaterial
gehandelt haben könnte.
Einen Hinweis auf den Aspekt der Risikoklassifizierung haben wir aber während der Anhörung bekommen.
Das dort vertretene Unternehmen musste in den letzten
13 Jahren nicht eine einzige Studie mit seinen Hochrisikoprodukten - darunter implantierbare Defibrillatoren
und Herzschrittmacher - im Nachhinein abbrechen. Jetzt
mögen Sie einwenden, dass auch diese Angabe statistisch
nicht besonders valide erscheint, und auch hier gebe ich
Ihnen recht. Aber ich frage Sie: Wenn uns keine entsprechenden Unterlagen, Nachweise oder Daten vorliegen,
dann können wir auch nicht bewerten, ob sich das Gesetz
in dieser Hinsicht bewährt hat. Da hier niemand mit EGRecht, das es umzusetzen gilt, argumentieren kann, hätte
ich mir gewünscht, dass die Regierung im Vorfeld entsprechende Daten erhoben hätte.
Die nun vorgesehenen Neuregelungen werden zu Doppelprüfungen und damit verbunden zu einem erheblichen
bürokratischen und finanziellen Mehraufwand sowohl
aufseiten der Unternehmen als auch aufseiten des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte führen,
ohne dass es auch nur einen Hinweis auf einen Mehrwert
an Sicherheit für Patienten und Probanden gäbe.
Allerhöchstens ein Placebo-Effekt wird auch bei der
zweiten zentralen Neuerung zu beobachten sein: der Einsetzung der Ethikkommissionen nach Landesrecht. Die
Änderungen der §§ 22 bis 24 werden zu einer Verdrängung universitärer und privatrechtlich organisierter
Ethikkommissionen führen, ohne dass auch hier ein
Mehrwert für Patienten, Probanden oder Hersteller erkenntlich wird. Im Gegenteil: Die Strukturen, die sich im
Hinblick auf Patientensicherheit, Effizienz und Fachwissen etabliert haben, werden leichtfertig verändert. Dies
ist zwar nicht zum Vorteil der Patienten, aber ganz sicher
zum Nachteil für Unternehmen, die mit verzögerten Voten
zu rechnen haben. Das bedeutet, dass sich die Innovationszyklen dieses wichtigen Industriezweiges verlangsamen werden, was im internationalen Wettbewerb ein
erhebliches Risiko birgt. Im Vergleich zu den nicht geregelten Übergangsfristen, ist dies allerdings fast schon ein
vernachlässigenswertes Problem: Die Hersteller von
Medizinprodukten müssen Investitions- und Vertrauensschutz genießen. Das bedeutet, dass bei allen Veränderungen prüfrechtlicher Vorschriften angemessene Übergangszeiträume eingeräumt werden müssen. Ein zu früh
gewählter Stichtag belastet nicht nur Unternehmen mit
zusätzlichen Dokumentations- und Prüfpflichten, sondern bedeutet auch für das BfArM einen unverhältnismäßig hohen administrativen Aufwand.
Der Regierungsentwurf führt weder zu einem besseren
Schutz der Patienten und Probanden noch bringt er einen
Mehrwert für Medizinprodukteunternehmen. Er geht an
zentralen Stellen verschärfend über geltendes EU-Recht
hinaus und ist mit den neu eingeführten Berichts-, Dokumentations- und Genehmigungspflichten geeignet, den
Forschungsstandort Deutschland zu schwächen und die
hier ansässigen Unternehmen mit zusätzlichem administrativen und finanziellen Aufwand zu belasten, ohne dass
diese gesetzlichen Neuregelungen ein verbessertes
Schutzniveau bedeuten würden. Eine solche Politik wird
die FDP in diesem Hause nicht unterstützen. Wir lehnen
den Gesetzentwurf deshalb ab.
Medizinprodukte sollen zukünftig geprüft und sicherer
gemacht werden. Damit sollen die Patienten in Deutschland besser geschützt werden. Dieses zentrale Anliegen
des hier zu beratenden Medizinproduktegesetzes wird von
uns voll und ganz unterstützt. Künstliche Hüftgelenke
oder Herzschrittmacher sind keine normalen Handelswaren, sondern sie sind medizinische Hilfsmittel, an deren
Funktionsfähigkeit im Interesse der Patienten höchste
Zu Protokoll gegebene Reden
Frank Spieth ({0})
Anforderungen zu stellen sind. Diese Produkte dürfen
nicht ohne vorhergehende fachlich qualifizierte Prüfung
auf den Markt gebracht werden. Die Gewinninteressen
der Hersteller dürfen keinen Vorrang vor der Gesundheit
der Patienten haben. Patientenschutz muss an erster
Stelle stehen, auch wenn es dadurch für die Hersteller zu
einer Verzögerung in der Einführung neuer Produkte
kommt.
Diesem Grundsatz der Patientensicherheit folgt die
Bundesregierung mit diesem Gesetz in weiten Bereichen.
Bedauerlicherweise wurden aber einige Forderungen
und Hinweise aus der Fachdebatte, auch mit den Sachverständigen, von der Koalition nicht in das Gesetz aufgenommen. Studien belegen, dass über 80 Prozent der
Patienten nicht wissen, dass Einmalprodukte, wie zum
Beispiel Schläuche, aufbereitet und wiederverwendet
werden. Für diese wenig vertrauenerweckende Praxis
gibt es bisher keine verbindliche Regeln. Die hätte man in
diesem Gesetz treffen können. Wiederverwendete Einmalprodukte sind eine Gefahr für die Patientensicherheit. In
einer Studie mit über 2 000 aufbereiteten Produkten wird
belegt, dass fast die Hälfte der Produkte Oberflächenschäden und Verschmutzungen aufwies. Das ist eine Bedrohung der Gesundheit der Patienten. Andere Länder
verbieten daher die Mehrfachwendung von Einmalprodukten in der Medizin. Das Medizinproduktegesetz wäre
der richtige Ort gewesen, Abhilfe zu schaffen und die
Wiederaufbereitung gesetzlich zu regeln oder auch zu
verbieten. Doch die Koalition hat diese Möglichkeit nicht
genutzt.
Ein weiteres Problem: Es wird jetzt zwar gesetzlich geregelt, dass die Hersteller von Medizinprodukten Mängel
an die zuständige Bundesbehörde, das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, melden müssen. Diese Mitteilungsverpflichtung hat allerdings, wenn
sie verletzt wird, keine Folgen für die Hersteller. Wenn die
Meldung durch die Hersteller zu spät oder gar nicht erfolgt, dann bleibt es bei Briefen oder Mahnungen. Die
Linke findet, dass diese Unterlassung zu einer Sanktion,
zu einem Bußgeld führen muss, das dem Hersteller wehtut. Alles andere ist wirkungslos. Wenn also der Hersteller
eines künstlichen Hüftgelenks davon erfährt, dass fünf bei
Patienten eingebaute Gelenke gebrochen sind, dann muss
er nach dem Gesetz den Vorfall dem BfArM melden, damit
weiterer Schaden vermieden werden kann. Hält sich der
Hersteller an das Gesetz und meldet die Probleme, hat das
möglicherweise Konsequenzen für die Zulassung des Produkts und damit für den Gewinn des Unternehmens. Meldet der Hersteller das Problem nicht, passiert ihm nichts;
aber dafür kommen Menschen zu Schaden.
Erst vor knapp zwei Jahren ist es zu einem Medizinprodukteskandal gekommen. Damals wurde man darauf aufmerksam, dass Hüftgelenksprothesen eines Herstellers
häufig brachen. Da diese Fälle nicht nur in Deutschland,
sondern in mehreren EU-Staaten auftraten, habe ich
schon damals gefordert, eine europäische Behörde zu
schaffen, die für die Sicherheit und die Überwachung zuständig ist. Wäre man bereits nach den ersten fünf Brüchen auf das Problem aufmerksam geworden, hätten Dutzenden anderen Patienten Schmerzen und zusätzliche
Operationen erspart werden können. Dafür muss man
aber auch Sanktionsmöglichkeiten in das Gesetz schreiben. Aber genau dies wollte die Koalition nicht, obwohl
das BfArM das Einführen von Sanktionsmöglichkeiten
begrüßen würde. Wir halten diese Unterlassung für fahrlässig gegenüber den Patienten!
Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung, und er ist gegenüber dem bisherigen Zustand im
Sinne des Patientenschutzes ein eindeutiger Fortschritt.
Da aber die Wiederverwendung von Einmalprodukten
nicht untersagt oder wenigstens geregelt wird und die
Sanktionsmöglichkeiten fehlen, wird sich die Fraktion
Die Linke bei dem Gesetzentwurf enthalten.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
wird sich bei der Abstimmung zur Novelle des Medizinproduktegesetzes - kurz MPG - enthalten. Im Wesentlichen können wir uns mit den getroffenen Regelungen
einverstanden erklären, gleichen sie doch deutsches
Recht an europäische Vorgaben an. Die Zentralisierung
der Einstufung und Klassifizierung von Medizinprodukten beim BfArM als oberster Bundesbehörde halten wir
für sinnvoll. Das gilt ebenso für die Regelung, In-vitroDiagnostika zur Erkennung von HIV-Infektionen künftig
nur noch an ausgewählte Personen bzw. Einrichtungen
abzugeben und damit sogenannte HIV-Heimtests zu unterbinden.
Grundsätzlich begrüßen wir auch, dass klinische Prüfungen künftig einer Genehmigung bedürfen sollen. Wir
verstehen jedoch nicht, warum die Koalition in letzter Minute unbedingt noch Ausnahmen für diese Regel beschließen und sich dem Druck der Industrie beugen musste. Bei
Medizinprodukten mit „geringem Sicherheitsrisiko“ soll
demnach eine Genehmigung durch die oberste Bundesbehörde nicht zwingend erforderlich sein. Was aber ist „risikoarm“? Dies soll nun in einer Rechtsverordnung geklärt werden, die dem Einfluss des Parlaments entzogen
ist. Unseres Erachtens hätte die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung völlig ausgereicht, um
unnötige Bürokratie zu vermeiden. Danach hätte eine Genehmigung dann als erteilt gegolten, wenn die Bundesbehörde 30 Tage nach Eingang des Antrags keine Einwände
erhoben hätte.
Ebenfalls begrüßt haben wir die noch eingebrachten
Änderungen der Großen Koalition, die den Patientenschutz bei klinischen Prüfungen verbessern sollen. Mündliche Einwilligungen sollen nur dann möglich sein, wenn
ein Zeuge für den Betroffenen anwesend ist und auch in
die Aufklärung einbezogen wird. Wir hätten uns an dieser
Stelle zwar den Zusatz gewünscht, dass es sich dabei um
eine „Person des persönlichen Vertrauens“ handeln
muss. Dennoch stimmt die Richtung. Auch die Streichung
der Vorschrift im MPG, nach der eine Aufklärung und
Einwilligung in besonders schweren Fällen ausbleiben
könne, begrüßen wir. Problematisch sind außerdem Aspekte, die die Koalition mit der MPG-Novelle zu regeln
versäumt. So hätte der Patientenschutz noch deutlicher
gestärkt werden können. So sind für Minderjährige keine
besonderen Aufklärungsbestimmungen ins Gesetz aufgeZu Protokoll gegebene Reden
nommen worden. Dies wäre nach unserer Ansicht aber
notwendig.
Des Weiteren gab es unseres Erachtens zu Recht Forderungen, auch dem Gemeinsamen Bundesausschuss ein
Anrufungsrecht gegenüber der obersten Bundesbehörde
einzuräumen, sollte es zu Meinungsunterschieden kommen, wie ein Medizinprodukt zu klassifizieren ist. Die
Koalition ist dem nicht nachgekommen. Wir begrüßen
ebenfalls, dass schwerwiegende Vorkommnisse bei Prüfungen künftig gemeldet werden müssen. Trotz des Hinweises etwa vonseiten der Krankenkassen hat es die
Koalition aber versäumt, diese Meldepflicht mit Sanktionen zu bewehren, sollten die Hersteller bzw. Prüfstellen
dieser Pflicht nicht nachkommen bzw. Meldungen zu spät
einreichen.
Auch das Problem der Aufbereitung medizinischer
Einmalprodukte hat die Koalition mit dem Gesetz nicht
aufgegriffen. Es ist aber zu begrüßen, dass die Bundesregierung mit der vorliegenden Beschlussempfehlung des
Ausschusses immerhin aufgefordert wird, „zeitnah“
Empfehlungen zur Umsetzung solcher Regelungen vorzulegen. Das ist zwar zeitlich sehr unbestimmt und kann
sich bis Mitte 2010 hinziehen, aber es ist besser als
nichts.
Wir verabschieden heute ein Gesetz, mit dem insbesondere die europäische Richtlinie 2007/47/EG in das nationale Recht umgesetzt wird.
Diese Richtlinie beinhaltet eine Reihe von wichtigen
Verbesserungen im Dienste der Produkt- und Patientensicherheit. Hervorzuheben sind dabei die umfangreichen
Änderungen und Präzisierungen bezüglich der erforderlichen klinischen Bewertungen und der klinischen Prüfungen von Medizinprodukten. Für Medizinprodukte
muss vor dem Markteintritt nicht nur deren technische Sicherheit nachgewiesen werden, vielmehr muss der Hersteller auch die Erfüllung der klinischen Leistungsfähigkeit seiner Produkte im Rahmen von klinischen
Bewertungen beziehungsweise klinischen Prüfungen
nachweisen können. Gleichzeitig wurden die Anforderungen an die Marktzugangsvoraussetzungen für Medizinprodukte mit „mittleren“ Risiken verschärft. Für diese
Produkte wird zusätzlich zu einem funktionierenden und
den einschlägigen internationalen Normen entsprechenden Qualitätsmanagementsystem auch eine unabhängige
Produktprüfung einzelner repräsentativer Produkte gefordert.
Nach einigen negativen Erfahrungen mit Produkten
aus dem Homecare-Bereich wurden die Anforderungen
an die technische Sicherheit dieser Produkte durch eine
stärkere Betonung einer laiengerechten Produktauslegung, die die Fähigkeiten der Patienten besser berücksichtigt, erhöht. Um den europäischen Medizinproduktemarkt weiter harmonisieren zu können, wurden
Möglichkeiten zur rechtsverbindlichen Abgrenzung von
Medizinprodukten zu anderen Produkten eingeführt.
Diese Maßnahmen sind grundsätzlich geeignet, das
Leistungs- und Sicherheitsniveau von Medizinprodukten
weiter zu erhöhen. Eine unzumutbare Belastung der Hersteller ergibt sich hieraus nicht, da bei bisher korrekter
Anwendung des geltenden Rechts und Beachtung der gebotenen Sorgfaltspflichten der Mehraufwand eine vertretbare Größenordnung nicht überschreiten dürfte.
Nach diesen grundsätzlichen Anmerkungen zur Richtlinie möchte ich im Folgenden auf die zentralen Punkte
des Gesetzentwurfs näher eingehen.
Ein Kernelement des vorliegenden Gesetzentwurfes ist
die umfängliche Umgestaltung der Bestimmungen zu klinischen Prüfungen von Medizinprodukten. Derzeit sind
die Voraussetzungen für klinische Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten sehr unterschiedlich geregelt. Neben der im Gegensatz zu Arzneimitteln nichtstaatlichen Zulassung und der gleichzeitig weit verbreiteten
Unkenntnis über die Rahmenbedingen des sogenannten
New Approach sind auch die Unterschiede bei den klinischen Prüfungen der Grund für gewisse Vorbehalte hinsichtlich der Sicherheit von Medizinprodukten. Die bestehenden Unterschiede zwischen den klinischen Prüfungen
von Arzneimitteln und Medizinprodukten werden von etlichen Fachleuten als nicht gerechtfertigt angesehen.
Die Änderungen der Grundlagen für klinische Prüfungen in der Richtlinie 2007/47/EG werden daher zum Anlass genommen, sich des Themas grundsätzlich anzunehmen und im Interesse der Patientensicherheit eine
angemessene Angleichung an die Bestimmungen über klinische Prüfungen mit Arzneimitteln vorzunehmen:
Zentrale Anlaufstelle wird das BfArM. Die Zuständigkeiten sollen künftig somit weitgehend zentralisiert werden.
Voraussetzung für eine klinische Prüfung wird künftig
eine Genehmigung durch das BfArM - innerhalb von
30 Tagen; ansonsten fiktive Genehmigung - sein.
Verpflichtend soll künftig auch eine positive Zustimmung einer nach Landesrecht gebildeten und damit zuständigen Ethik-Kommission sein.
Die Aufgaben zwischen der Ethik-Kommission und
dem BfArM werden klar getrennt.
In der Medizinprodukte-Sicherheitsplan-Verordnung
wird geregelt, dass das BfArM für die Bewertung von
Meldungen über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse zuständig ist.
Die Länder sollen weiterhin für die Überwachung der
klinischen Prüfungen zuständig bleiben und werden deshalb vom BfArM unverzüglich über die genehmigten klinischen Prüfungen und die aufgetretenen schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse informiert.
Insbesondere die Medizintechnikverbände haben sich
gegen eine Genehmigungspflicht positioniert. Im Gesetzgebungsverfahren ist aus meiner Sicht ein guter
Kompromiss gefunden worden. So kann die zuständige
Bundesoberbehörde bei klinischen Prüfungen von Medizinprodukten mit geringem Sicherheitsrisiko von dem generellen Genehmigungserfordernis absehen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Hinsichtlich der Einstufung und Klassifizierung von
Medizinprodukten wird in § 13 Abs. 2 vorgesehen, dass
bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Hersteller
und einer benannten Stelle das BfArM die Angelegenheit
abschließend entscheiden soll. Auf diese Weise können
zentrale Entscheidungen bundeseinheitlich implementiert werden. Dies bedeutet eine wesentliche Erleichterung für Hersteller, aber auch für das BMG, da es künftig
einen einheitlichen deutschen Standpunkt gibt, was Diskussionen auf europäischer Ebene erheblich erleichtern
wird.
Die Überwachung der medizinprodukterechtlichen
Vorschriften durch die Länder ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Umsetzung dieser Vorschriften. Der
Erfahrungsbericht des BMG zur Aufbereitung von Medizinprodukten in Deutschland hat erneut gezeigt, dass bei
der Überwachung noch Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern bestehen. Das betrifft sowohl die personelle Ausstattung als auch die fachliche Kompetenz des
Überwachungspersonals.
Um dem Ziel einer bundeseinheitlichen qualitätsgesicherten Überwachung einen entscheidenden Schritt näherkommen zu können, ist eine Ermächtigung zum Erlass
einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift vorgesehen.
Diese soll Vorschriften zur Qualitätssicherung, zur Sachkenntnis der mit der Überwachung beauftragten Personen, zur Ausstattung, zum Informationsaustausch und zur
Zusammenarbeit der Behörden enthalten.
Die erweiterte Ermächtigungsgrundlage ist eine Konsequenz aus dem bereits erwähnten Erfahrungsbericht
des BMG zur Aufbereitung von Medizinprodukten in
Deutschland, den wir im vergangenen Jahr dem Ausschuss zur Verfügung gestellt haben. Damit werden die
Möglichkeiten für zusätzliche Anforderungen an die Aufbereitung von Medizinprodukten geschaffen. So sollen
zum Beispiel an die Aufbereitung und die Aufbereiter von
Medizinprodukten mit besonders hohen Anforderungen
an die Aufbereitung zusätzliche Anforderungen gestellt
werden können. Dazu gehört eine Zertifizierungspflicht
für bestimmte Aufbereiter. Ausgehend davon sind auch
Anforderungen an die Zertifizierung von Aufbereitern
und Anforderungen an die Konformitätsbewertungsstellen, die von der zuständigen Behörde anerkannt werden,
in das Medizinprodukterecht aufzunehmen.
Verschiedene In-vitro-Diagnostika werden zur Eigenanwendung als Heimtest angeboten, zum Beispiel Tests
zur Blutzuckerbestimmung, Quick-Tests ({0}) etc. Dieser Trend hat sich in letzter Zeit verstärkt. In einigen europäischen Mitgliedstaaten sowie im
Internet werden mittlerweile auch HIV-Tests für Laien
angeboten. Einige Hersteller beabsichtigen, solche Tests
auch auf den ökonomisch interessanten deutschen Markt
zu bringen. Medizinisch nicht ausgebildete Laien verfügen aber in der Regel nicht über die notwendigen Fachkenntnisse, um die Aussagekraft der Resultate dieser
Testverfahren richtig interpretieren zu können. Deshalb
sollen In-vitro-Diagnostika zur Erkennung von HIV-Infektionen künftig nur an Ärzte, ambulante und stationäre
Einrichtungen im Gesundheitswesen, an die Aids-Hilfe
und Gesundheitsbehörden zur Anwendung abgegeben
werden dürfen. Voraussetzung: Eine ärztliche Beratung
muss sichergestellt sein. Apotheken und Großhandel sind
in den Versorgungsweg einbezogen. Die Regelung ist auf
drei Jahre befristet, um im Lichte der Erfahrungen eine
eventuell zu modifizierende Anschlussregelung vorlegen
zu können.
Insgesamt werden wir heute ein sehr gutes Gesamtpaket zum Medizinproduktebereich beschließen, das sowohl
den Anspruch der Patienten an sichere Medizinprodukte
zufriedenstellt als auch die berechtigten Interessen der
Medizintechnikindustrie beachtet.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/13211, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/12258 und 16/12676 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der
zweiten Lesung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch,
Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Ökologische Konsumentenverantwortung
statt Produktlenkung durch den Staat - Europäische Ökodesign-Richtlinie grundsätzlich
überarbeiten
- Drucksachen 16/11912, 16/12739 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Lötzer
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer,
Rolf Hempelmann, Horst Meierhofer, Dr. Herbert Schui
und Sylvia Kotting-Uhl haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.
Bei allem Streit über die richtige Politik, in einem
herrscht in diesem Haus Einigkeit: Nur mit einer bezahlbaren, sicheren und umweltfreundlichen Energieversorgung können wir unseren Lebensstandard in Deutschland
halten. Jedoch sehen wir uns hier gewaltigen Herausforderungen gegenüber: Klimawandel, steigende EnergieDr. Joachim Pfeiffer
preise, begrenzte fossile Reserven und wachsende Importabhängigkeit von politisch instabilen Regionen und
unzuverlässigen Partnerländern; um nur einige zu nennen.
Die Lösung für diese Herausforderungen beruht aus
meiner Sicht auf drei zentralen Elementen: Energie muss
effizienter genutzt werden als heute, CO2-freie und moderne einheimische Energieträger müssen vorangebracht
und der Wettbewerb muss weiter gestärkt werden. Denn
nur der Markt liefert die kreativsten und innovativsten
Produkte zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Manchmal muss die Politik den Markt jedoch durch
entsprechende Rahmenbedingungen in eine gewisse
Richtung lenken. Das ist bei der Energieeffizienz der Fall.
Energieeffiziente Produkte sind normalerweise in der Anschaffung teurer, amortisieren sich jedoch im Laufe der
Zeit aufgrund der Energieeinsparungen. Insgesamt gesehen sind energieeffiziente Produkte für den Kunden also
günstiger. Leider ist es so, dass die meisten Verbraucher
bei ihrer Kaufentscheidung die Lebenszykluskosten eines
Produktes nicht einbeziehen und zu den billigsten Produkten greifen. Deshalb muss der Gesetzgeber hier entsprechende Rahmenbedingungen für den Markt setzen.
Am Ende nutzt dieser Weg den Verbrauchern und dem
Klima.
Da zu Zeiten einer globalisierten Welt solche Maßnahmen nur auf internationaler Ebene sinn- und wirkungsvoll sind, hat die EU die Ökodesign-Richtlinie geschaffen. Mit dem Vorschlag zur Neufassung der ÖkodesignRichtlinie, der am 24. April 2009 vom Europäischen Parlament angenommen wurde, hat die Kommission nun den
Rechtsrahmen auf alle energieverbrauchsrelevanten Produkte ausgeweitet. Bislang beschränkten sich die Ökodesign-Anforderungen auf energiebetriebene Produkte
wie etwa Heizkessel, Wasserbereiter, Computer, Fernsehgeräte oder Industrieventilatoren. Auf energiebetriebene
Produkte entfällt ein großer Teil des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen und Energie in der EU. Sie haben
auch eine Reihe weiterer wichtiger Umweltauswirkungen. Bei den meisten in der EU auf dem Markt befindlichen Produktarten sind bei ähnlicher Funktion und Leistung sehr unterschiedliche Umweltauswirkungen zu
beobachten.
Jetzt haben Vertreter des Europäischen Parlaments
und des Umweltministerrats einen Kompromiss für die
Ausgestaltung der neuen EU-Ökodesign-Richtlinie gefunden. Es wurden Mindeststandards für die Effizienz
neuer Produktgruppen, darunter zum Beispiel Fenster,
Bau- und Dämmmaterialien, für den Fall festgelegt, dass
die Industrie keine freiwilligen Maßnahmen ergreift. Mit
der Ausweitung auf diese neuen Produkte bleibt die EUÖkodesign-Richtlinie nicht mehr länger nur auf energieverbrauchende Produkte beschränkt, sondern erweitert
ihren Anwendungsbereich auch auf Produkte, mit denen
der Energieverbrauch gesenkt werden kann. Zum Beispiel verbrauchen sparsame Wasserhähne und Duschköpfe nicht nur weniger Wasser, sondern auch weniger
Energie bei der Warmwasserbereitung. Der Benutzungskomfort wird dadurch nicht beeinträchtigt. So wird
beispielsweise geschätzt, dass in Europa bis 2020 zusätzliche Energieeinsparungen von 55 000 GWh - was
27 Millionen Tonnen CO2 bzw. der Leistung von zwei bis
drei Kernkraftwerken entspricht - erzielen ließen, wenn
30 Prozent der in Gebäuden vorhandenen Einfachverglasungen durch Doppelscheiben ersetzt werden würden.
Die Neufassung der Richtlinie soll insbesondere die
Energieeffizienz verbessern und somit einen wesentlichen
Beitrag zur Erreichung der Zielvorgaben für Treibhausgasemissionen in der EU leisten. Die Elektrizitätsnachfrage ist die am schnellsten wachsende Kategorie des
Endenergieverbrauchs und wird Prognosen zufolge in
den nächsten 20 bis 30 Jahren weiter steigen, sofern die
Politik nicht gegensteuert.
Um eine breitflächige Markteinführung energieeffizienter Produkte zu beflügeln, brauchen wir auf der einen
Seite anspruchsvolle Standards und auf der anderen Seite
eine verbraucherfreundliche und transparente Verbrauchskennzeichnung der Produkte. Hier müssen wir
darauf achten, dass nicht - wie oft versucht - ordnungsrechtlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Zu
viel Bürokratie und globale wie europaweite Wettbewerbsverzerrungen müssen vermieden werden.
Energieeinsparungen sind darüber hinaus die kostengünstigste Art, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und
die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. Bis
zum Jahr 2020 strebt die Bundesregierung deshalb das
Ziel an, die gesamtwirtschaftliche Energieproduktivität
gegenüber dem Jahr 1990 zu verdoppeln. Dies bedeutet,
dass im Jahr 2020 pro Einheit Bruttosozialprodukt nur
halb so viel Energie verbraucht werden soll wie im Jahr
1990. Ein Patentrezept zur nachhaltigen Unterstützung
von Energieeinsparung und Energieeffizienz gibt es nicht.
Das ist schon allein deshalb so, weil die Vermeidung zusätzlicher Bürokratien und unverhältnismäßiger staatlicher Eingriffe einen hohen wirtschaftspolitischen Stellenwert hat. Wie viele Beispiele insbesondere aus der
deutschen Industrie zeigen, sind diejenigen Maßnahmen
für Energieeinsparung und Energieeffizienz die wirksamsten, die sich aufgrund der Preis- und Kostenrelationen über die Märkte selbst durchsetzen.
Somit gilt es, staatliche Initiativen und Aktivitäten auf
solche Bereiche zu konzentrieren, in denen wirtschaftlich
rentable und somit für die Volkswirtschaft an sich nützliche Energieeinsparmaßnahmen deshalb nicht ergriffen
werden, weil es beispielsweise an Informationen oder direkten Anreizen mangelt oder die Transaktionskosten zu
hoch sind.
Die Neufassung der Ökodesign-Richtlinie und deren
Umsetzung in nationales Recht sind wichtige Schritte, um
beim Thema „Energieeffizienz bei energieverbrauchsrelevanten Produkten“ voranzukommen. Dies dient als
Rechtsrahmen und gewährleistet europaweit einheitliche
Verfahren. Details zu den einzelnen Produktgruppen werden noch in Verordnungen erarbeitet. Hier kommt es auf
die Spezifika des Produktes an, ob wir etwa den Top-Runner-Ansatz wählen oder weitergehende Ver- und Gebote
erlassen. Im engen Dialog mit der Industrie müssen und
werden wir dafür sorgen, dass dieses Gesetz eine Winwin-Situation für alle schafft: für das Klima, da weniger
Ressourcen verbraucht werden, und für die Industrie
Zu Protokoll gegebene Reden
selbst, die mit innovativen Produkten erst den europäischen und im weiteren Schritt auch den internationalen
Markt bedienen kann. Dazu binden wir die betroffene Industrie bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales
Recht eng ein. Dem liegt vor allem die Erwägung zugrunde, dass ein „Level Playing Field“ geschaffen werden muss, in dem die gleichen Maßstäbe auch für Importwaren gelten. Denn produktbezogene Effizienzstandards
werden derzeit in allen Teilen der Welt erarbeitet, von
Nordamerika über Australien bis China und Japan. Die
Industrie hat daher ein erhebliches Bedürfnis daran, dass
der europäische Binnenmarkt nicht zum Absatzplatz für
ineffiziente billige Technologien, vor allem aus Fernost,
wird.
Die FDP möchte hier durch die Abschaffung bzw.
grundlegende Revidierung der Ökodesign-Richtlinie das
Rad der Zeit wieder zurückdrehen und damit verhindern,
dass die europäischen Unternehmen auch in Zukunft auf
einem von Wettbewerb geprägten internationalen Markt
bestehen können. Daher lehnt die Unionsfraktion den Antrag der FDP ab.
Die FDP-Fraktion fordert im vorliegenden Antrag, die
Ökodesign-Richtlinie zurückzunehmen oder zumindest
grundlegend zu revidieren. Um eines gleich vorwegzunehmen: Die SPD-Bundestagsfraktion wird diesem Anliegen auf keinen Fall zustimmen.
Die 2005 in Kraft getretene Ökodesign-Richtlinie ist
ein Erfolgsmodell und beginnt erst jetzt, ihre volle Wirkung zu entfalten. Die Richtlinie selbst setzt nur den Rahmen für darauf aufsetzende Durchführungsverordnungen
mit Mindeststandards für energiebetriebene Produkte,
die nun Stück für Stück erarbeitet werden. Für jede Produktgruppe werden in einem umfangreichen Verfahren
Mindeststandards vorgeschlagen, mit den betroffenen
Unternehmen diskutiert und schließlich verabschiedet.
Im Rahmen dieses Prozesses wird nicht nur Wert gelegt
auf Energieeffizienz, sondern auch auf eine umweltfreundliche und recyclinggerechte Gestaltung der Produkte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie fordern, die ökologische Produktverantwortung nicht länger
einseitig als Produzentenverantwortung zu verstehen,
sondern den Verbraucher als Nutzer stärker in den Vordergrund zu stellen. Ich frage Sie, wer, wenn nicht der
Hersteller hat in erster Linie eine Verantwortung für
seine Produkte? Selbstverständlich ist neben dem Produzenten auch der Kunde als Nutzer eines Produkts in der
Verantwortung. Dieser weiß aber oft gar nichts über die
Zusammensetzung und Umweltfreundlichkeit seines Produkts und darüber hinaus möglicherweise nicht einmal
etwas über dessen Energieverbrauch.
Im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie werden Mindeststandards erlassen, an die sich nicht nur alle europäischen Hersteller zu halten haben, sondern auch außereuropäische Hersteller, sofern sie Produkte in die EU
liefern. Vor diesem Hintergrund würden wir mit einer Abschaffung der Ökodesign-Richtlinie nicht nur den Kunden einen Bärendienst erweisen, die bei immer mehr
energieverbrauchenden Produkten von ökologischen und
energetischen Mindeststandards sowie einer EU-weit
einheitlichen Energieverbrauchskennzeichnung profitieren, sondern auch keinen einzigen Schritt hin zu mehr
Wettbewerb tun. Ganz im Gegenteil: Umweltfreundliche
und energiesparende Produkte haben bei absehbar steigenden Energiepreisen sowie vor dem Hintergrund eines
ehrgeizigen Klimaschutzes eindeutige Wettbewerbsvorteile. Sie sind schon heute Exportschlager und werden
dies in Zukunft noch viel mehr sein. Deutsche Hersteller
stehen hierbei an vorderster Front. Der Deutsche
Bundestag hat sich auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion bereits mehrfach für die Einführung eines
europäischen Top-Runner-Programms ausgesprochen.
Mittlerweile bestätigen uns die Experten der Bundesregierung sowie von Verbraucherschutz- und Umweltverbänden, dass der europäische Ansatz mit der ÖkodesignRichtlinie dem japanischen Top-Runner-Ansatz gleichwertig, wenn nicht sogar überlegen ist.
Der Top-Runner-Ansatz bezieht sich lediglich auf
Energieeffizienz der jeweiligen Produkte bzw. Produktkategorien und erklärt das jeweils beste Produkt einer
Kategorie zum Standard, der innerhalb einer vorgegebenen Frist von allen Herstellern zu erreichen ist. Die
Sanktion bleibt mit der öffentlichen Nennung der Unternehmen, die die Vorgaben verfehlen, für europäische Verhältnisse allerdings recht mild.
Der europäische Ansatz ist dagegen deutlich breiter
sowie mehrschichtig aufgebaut. Durch die ÖkodesignRichtlinie sowie die Durchführungsverordnungen werden
klare Mindestanforderungen an Umwelteigenschaften
und Energieverbrauch gestellt. Es gibt - anders als in Japan - eine untere Abschneidegrenze. Geräte, die diese
Mindestanforderungen nicht erreichen, dürfen in der EU
gar nicht auf den Markt gebracht werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit für nationale Labels wie beispielsweise den Blauen Engel oder Ecotopten-Auszeichnungen. Als drittes Kriterium kommt dann noch die
europaweit einheitliche Energieverbrauchskennzeichnung der jeweiligen Produktgruppen hinzu, die die nötige
Transparenz für die Kunden schafft.
Für eine bessere Transparenz und Verbraucherinformation ist eine eindeutige und informative Kennzeichnung - insbesondere im Hinblick auf den Energieverbrauch - erforderlich. Dies ist einer der wenigen Punkte,
die wir im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie kritisieren.
Die europäische Energieverbrauchskennzeichnung ist
zwar dynamisch angelegt und wird - je nach Produktgruppe - alle drei bis fünf Jahre überprüft. Anstatt jedoch
die bisherige „A-G-Klassifizierung“ anzupassen, an die
sich die Verbraucher EU-weit in den letzten Jahren
gewöhnt haben, werden nun neue Klassen wie beispielsweise „A-20%“ und „A-40%“ bei Haushaltsgeräten
eingeführt. Zu allem Überfluss wird es zukünftig bei verschiedenen Produktgruppen verschiedene Klassifizierungen geben. So kann der effizienteste Kühlschrank zukünftig bei „A-40%“ liegen, der effizienteste Trockner aber
vielleicht nur bei „A-20%“. Das ist nicht gerade hilfreich, aber leider dem europäischen Kompromiss geschuldet. Hier besteht sicher weiterer Handlungsbedarf
Zu Protokoll gegebene Reden
auf EU-Ebene, ohne dass dies jedoch ein Grund wäre,
den gesamten Ansatz infrage zu stellen.
Besonders wichtig ist die Dynamisierung der Verbrauchskennzeichnung. Wenn - wie heute in Deutschland
zu beobachten - über 90 Prozent der Kühl- und Gefrierschränke die Energieeffizienzklasse „A“ erreichen, zeigt
dies zwar den Fortschritt, den die Hersteller in den vergangenen Jahren in Sachen Energieeffizienz erreicht haben. Die energieeffizientesten Produkte sind jedoch
schwerer erkennbar. Daher ist es gut, dass die Mindeststandards in klar definierten Zeitabständen überarbeitet
werden.
Die FDP-Fraktion übt besondere Kritik an der Überarbeitung der Ökodesign-Richtlinie. Die EU-Kommission hat im Juli 2008 einen Vorschlag vorgelegt, den Geltungsbereich der Richtlinie neben energiebetriebenen
Produkten auch auf weitere energieverbrauchsrelevante
Produkte auszuweiten, die „erhebliche Umweltauswirkungen“ sowie „erhebliches Potenzial für eine Verbesserung seiner Umweltverträglichkeit ohne übermäßig hohe
Kosten“ haben müssen. Diese Erweiterung wird von der
SPD-Bundestagsfraktion begrüßt.
Wie bereits erwähnt werden im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie Mindeststandards im Hinblick auf Umwelteigenschaften und Energieeffizienz gesetzt. Gerade
wegen der seit jeher hohen deutschen Umwelt- und Energieeffizienzstandards sollte deutschen Herstellern dieser
Produkte - von Fenstern über Dämmstoffen bis hin zu
Klima- und Lüftungsanlagen - vor der Erweiterung der
Richtlinie nicht bange sein. Sie müsste - ganz im Gegenteil - den meisten Herstellern als willkommene Absatzförderung sogar sehr entgegenkommen. Aus all diesen
Gründen lehnen wir den vorliegenden Antrag der FDPFraktion ab.
Ökodesign-Richtlinie heißt das europäische Regelwerk, das für die Glühbirne nun sukzessive das „Aus“ bedeuten wird. Doch nicht nur die Glühbirne ist von diesen
neuen Ökodesignanforderungen betroffen, sondern alle
sogenannten energieverbrauchsrelevanten Produkte wie
Kühlschränke, Klimaanlagen, Staubsauger, Fernseher,
Straßenbeleuchtung oder auch PCs. Das Ziel: die Verringerung des Stromverbrauchs und so letztendlich ein Beitrag zum Klimaschutz.
Dass wir von der Richtlinie nicht viel halten, macht unser Antrag, denke ich, mehr als genug deutlich. Und nicht
nur wir sehen das so. Ottmar Edenhofer - offensichtlich
unverdächtig, gegen den Klimaschutz zu sein - sagt - ich
zitiere -:
Das Verbot der Glühbirne ist blinder Aktionismus
und zeugt von einer Regulierungswut, die der Klimapolitik kaum hilft, denn es geht jetzt nicht darum,
den Bürgern etwas zu verbieten, sondern nach
Möglichkeit den Bürgern Anreize zu schaffen, die
sie dafür belohnen, wenn sie herausfinden, wo man
am günstigsten und billigsten CO2 vermeidet.
Recht hat er.
Irritiert hat mich darüber hinaus, dass die Idee für
diese Richtlinie diesmal angeblich nicht aus der so viel
gescholtenen, weil regulierungswütigen Kommission
kommt, sondern von der deutschen Bundesregierung.
Praktisch, wenn man nicht selbst als Sündenbock herhalten muss, sondern Europa das übernimmt! Keine Frage,
das Ziel, den individuellen Energieverbrauch zu optimieren und der Energieverschwendung entgegenzuwirken,
ist sinnvoll. Aber: Eine konkrete Produktlenkung durch
den Staat, wie das beim Glühbirnenverbot der Fall ist,
halten wir Liberale sowohl ordnungspolitisch als auch
ökologisch für falsch.
Wir Liberale sind der Meinung, effizienter Energieverbrauch und der sparsame Umgang mit Ressourcen sind
eher als Ergebnis privater Entscheidungen zu erwarten
als durch hoheitliche Vorschriften. Und ich freue mich,
dass Professor Edenhofer das genauso sieht. Anstatt mit
Verboten wild um sich zu schlagen, kommt es uns deshalb
insbesondere darauf an, dass die Verbraucher wissen,
welche ökologischen Folgen ihr Handeln haben kann.
Nur so können mündige Bürger letzten Endes auch souverän entscheiden. In unserem Antrag haben wir das als
ökologische Konsumentenverantwortung bezeichnet.
Auf das Glühbirnenbeispiel bezogen bedeutet das:
Dem mündigen Bürger wäre es freigestellt, überall dort,
wo das Licht nur kurz brennt, bei der guten alten Glühbirne zu bleiben und auf die Energiesparlampe, die noch
nicht mal richtig hell ist, bevor man sie schon wieder ausschaltet, zu verzichten.
Darüber hinaus lohnt sich gerade bei der so hochgelobten Energiesparlampe auch mal ein Blick auf die Gesamtökobilanz; denn Energiesparlampen verbrauchen
zwar wenig Strom, sind aber quecksilberhaltig. Sie im
normalen Hausmüll zu entsorgen, wäre für die Umwelt im
wahrsten Sinne des Wortes Gift. Abgesehen davon, dass
wahrscheinlich doch die eine oder andere Energiesparlampe im Restmüll landen wird, hat dies zur Konsequenz,
dass die ausrangierten Lampen zum Recyclinghof gebracht werden müssen - und das vielerorts mit dem Auto.
In unserem Antrag fordern wir deshalb auch, nicht
ausschließlich oder einseitig an Produkteigenschaften
anzusetzen, sondern auch die Einsatz- und Gebrauchsbedingungen im Auge zu behalten - im Rahmen der ökologischen Konsumentenverantwortung, versteht sich.
Letzter Punkt: die ökologische Sinnlosigkeit des Glühbirnenverbots. Denn - so unbequem dies für den einen
oder anderen ist: Trotz des Glühbirnenverbots wird sich
an der Menge des ausgestoßenen CO2 erst einmal gar
nichts ändern. Die Ursache hierfür liegt im europäischen
Emissionshandelssystem, das für jede Handelsperiode
eine Obergrenze für die CO2-Emissionen festlegt. Wird
durch das Glühbirnenverbot weniger Strom nachgefragt,
benötigen auch die Stromproduzenten weniger Emissionszertifikate, und die so frei werdenden Zertifikate
können verkauft werden. Die Emissionsreduktion, die bei
den Kraftwerken erfolgt, würde also lediglich dazu führen, dass an anderer Stelle - vor allem in der Industrie mehr CO2 emittiert werden könnte. Und auch die Befürchtung, dass aufgrund der frei werdenden Emissionszertifikate die Zertifikatpreise nach unten gehen, halte ich
Zu Protokoll gegebene Reden
nicht für unbegründet. Und auch das wäre der Umwelt
ganz sicher nicht zuträglich.
Ich fordere Sie deshalb auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Das Europäische Parlament will eine Grundlage dafür schaffen, dass energieverbrauchsrelevante Produkte
ökologischen Mindestanforderungen genügen müssen,
zum Beispiel Glühlampen. Die FDP sieht dadurch alles
bedroht, was ihr lieb und teuer ist, nämlich - Zitat „Freiheit, Lebensqualität und Wohlstand“ sowie „Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
Wirtschaft.“
Nun gibt die FDP in ihrer Antragsbegründung zu, dass
staatliche Vorschriften geboten sein können, wenn von
Produkt oder Produktion eine schädliche Wirkung ausgehen kann. Sie stellt dann jedoch klar, dass der bloße Verbrauch von Ressourcen für sie noch kein Schaden ist. Allerdings gibt auch die FDP zu: Mit den Ressourcen muss
sparsam umgegangen werden. Dies soll - wie kann es bei
einem Antrag der FDP anders sein - über den Marktmechanismus, als Ergebnis privater Entscheidungen, sichergestellt werden. Die FDP nennt dafür zwei Bedingungen. Erstens müssen die Preise vom Staat so
korrigiert werden, dass sie die Umweltschäden berücksichtigen. Zweitens müssen die Produkte eindeutig und
informativ gekennzeichnet werden, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was sie kaufen.
Man kann sich leicht klarmachen, dass diese Bedingungen nicht erfüllt werden können. Es spricht zwar
nichts dagegen, die Kennzeichnungspflicht für Produkte
auszuweiten. Es ist jedoch nicht möglich, alle wesentlichen Informationen über Schadstoffe, Energieverbrauch,
Arbeitsbedingungen usw. bei Produkt, Produktionsverfahren, Zulieferern und Zuliefern von Zulieferern durch
Kennzeichnung transparent zu machen.
Unmöglich ist es auch, den gesellschaftlichen Schaden
exakt zu beziffern und einzupreisen. Zunächst können
nicht alle Schäden sinnvoll in Geldeinheiten ausgedrückt
werden. Zweitens treten viele Schäden weit in der Zukunft
ein und können nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden.
Drittens wirken die Schadstoffe nicht isoliert, sondern in
Kombination. Es ist daher nicht möglich, den Schaden
eindeutig einzelnen Produkten zuzuordnen. Wie viel
Schaden eine Tonne Kohlendioxid in der Atmosphäre verursacht, hängt davon ab, wie viel Kohlendioxid insgesamt
emittiert wurde.
Aber sehen wir von diesen Problemen ab und nehmen
für einen Augenblick an, die FDP würde es ernst meinen.
Sie müsste dann fordern, dass die ökologischen Kosten
über eine Steuer auf den Produktpreis aufgeschlagen
werden. Da sich aber die FDP als Steuersenkungspartei
versteht, kann sie die Frage so nicht anpacken. Deshalb
die vage Formulierung, die Preise müssten durch hoheitlichen Eingriff korrigiert werden.
Überschlagen wir die Größenordnung. Der allseits
anerkannte Ökonom Nicolas Stern hat bekanntermaßen
die Kosten des Klimawandels auf 5 bis 20 Prozent des
Weltbruttoinlandsproduktes geschätzt. Nehmen wir an,
der Preismechanismus wirkt, wie dies die Parteigänger
dieses Steuerungsinstruments erwarten, und der Schaden
bleibt bei dem niedrigen Wert von 5 Prozent. Sehen wir
auch davon ab, dass Industrieländer wie Deutschland
überdurchschnittlich zur bisherigen weltweiten Umweltzerstörung beigetragen haben. Dann müsste die FDP
also die Einführung einer Ökosteuer in einem Volumen
von 5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes,
also in Höhe von 125 Milliarden Euro fordern. Das entspricht in etwa einer Verdopplung der Mehrwertsteuer.
Sicherlich fordert die FDP in ihrem Antrag keine konkreten Schritte in Richtung auf eine solche Ökosteuer. Er
enthält auch keine konkreten Vorschläge zur umfangreichen Kennzeichnung von Produkten. Die FDP will diese
Ansätze gar nicht ernsthaft verfolgen. Sie will nur die bescheidenen Schritte in Richtung einer verpflichtenden
ökologischen Produktgestaltung verhindern. Deshalb endet der Antrag auch mit der Feststellung, dass die Unternehmen ja schon seit langem auf freiwilliger Basis Umweltmanagementsysteme anwenden und Verbraucher
informieren. Im Prinzip soll es also weitergehen wie bisher.
Es dürfte klar sein, dass so der Klimawandel nicht aufgehalten werden kann. Dafür bietet die FDP zwar keine
Lösung, aber einen Schuldigen. Verantwortlich für Umweltschutz sind für sie letztlich nicht die Unternehmen
oder die Politik, die sie gewähren lässt, sondern die Verbraucher.
Ökologische Konsumentenverantwortung statt Produktlenkung durch den Staat: Schön wäre es, wenn
alleine dies uns vor der Klimakatastrophe bewahren
könnte. Konsumentenverantwortung - und sei sie auch
ökologisch - ist leider kein Allheilmittel. Wir haben nur
eine Welt! Würden alle Menschen so leben wie wir Europäer, bräuchten wir 2,6 Erden. Da hilft es nicht, mit dem
Finger auf die USA und Kanada zu zeigen, die mit fünf
Erden noch mehr „Umwelt pro Kopf“ verbrauchen.
Es geht nicht an, dass alle Parteien sich an der Formulierung von zu erreichenden Umweltzielen beteiligen,
kaum dass es aber um konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele geht, ein vermeintlicher „Verlust an
Freiheit“ als unzumutbar konstatiert wird und das heutige Besitzstandswahren die Oberhand gewinnt. Der Klimawandel zwingt uns, unseren ökologischen Fußabdruck
und den ökologischen Rucksack von unseren Produkten
ehrlich zu betrachten. So hinterlassen einige von uns verwandte Rohstoffe, wie zum Beispiel Uran, aber auch bestimmte strategisch bedeutsame Metalle, die für unsere
Alltagstechnologie unverzichtbar sind, einen Pfad der
Zerstörung. Der ökologische Rucksack wiegt umso
schwerer, je nachdem, unter welchen ökologischen Bedingen die Rohstoffgewinnung und die Produktion stattfindet.
Verbraucherschutz heißt auch, dass Verbraucher nicht
bei jedem Produkt wirklich im Detail nachforschen müssen, ob sie sich wegen unmenschlicher Lebensumstände
der an der Produktion der Ware beteiligten Menschen und
Zu Protokoll gegebene Reden
Umweltzerstörung mit ihrem Konsum schuldig machen.
Das geht nur, indem solche Produkte, respektive der Verkauf im europäischen Binnenmarkt verboten werden. Was
wir vom Coltanabbau für Handys im Kongo wissen oder
auch von der Gold- und Diamantengewinnung, ist erschütternd. Nun kann weder der Hersteller und noch weniger der Endkonsument die Herkunft und Verarbeitungswege der verwendeten Rohstoffe sicherstellen. Das macht
auch die Zertifizierung und Kennzeichnung so schwierig.
Versuche mit dem spezifischen Fingerabdruck von Edelmetallen, der ihre Herkunft eingrenzt, laufen zum Beispiel
in Ruanda als deutsch finanziertes Modellprojekt. Bisherige Erfahrungen mit Zertifizierung und Kennzeichnung
zeigen, dass Kennzeichnung zwar unterstützend wirken
kann, für eine Problemlösung aber nicht mal in Ansätzen
ausreicht.
Was im zur Beratung stehenden Antrag sehr richtig gefordert wird, ist die Internalisierung externer Umweltkosten. Auch ich als Bündnisgrüne verfechte die ökologische
Lenkung mittels wirksamer Marktmechanismen über den
Preis. Zweck der in diese Richtung weisenden, von uns
propagierten Konzepte zu Ökosteuer, Lenkungsabgabe
und Ressourcenbonus ist es, die Umweltkosten jeweils in
das Produkt zu bringen, anstatt, wie leider allzu oft üblich, die Gewinne bei den Herstellern zu lassen, die Umweltkosten aber der Allgemeinheit, in Deutschland also
dem deutschen Steuerzahler anzulasten. Als Beispiel fallen mir dafür unweigerlich die Energiekonzerne mit Abwälzung der Risiken und Langzeitfolgen ({0}) auf den Steuerzahler und nachfolgende Generationen ein. Dass Preise die ökologische Wahrheit sagen sollten, ist eine jahrzehntealte Forderung der Grünen. Gerade die Erfahrungen mit Richtlinien und Verordnungen
zur Herstellerverantwortung auf EU-Ebene zeigen uns
aber auch, wie wichtig und wirkungsvoll ordnungsrechtliche Maßnahmen sind. Ein Gebot der Mindesteffizienz
oder der Verzicht auf besonders gefährliche Inhaltsstoffe
allein im Binnenmarkt der EU hat vielfach sofort weltweite Wirkung gezeigt - wie bei den gefährlichen Stoffen in
Elektrogeräten in der RoHS-Richtlinie. Stellt man den Gesundheitsschutz oder die Umweltvorsorge in den Mittelpunkt der Hersteller- und Konsumentenverantwortung,
lässt sich daher auf ordnungsrechtliche Maßnahmen nicht
verzichten. Sich auf „ökologische Konsumentenverantwortung“ zu berufen, aber nur „Herstellerfreiheit“ zu
meinen, findet jedenfalls nicht unsere Zustimmung und ist
den Herausforderungen des Klimawandels in keiner
Weise angemessen.
Damit kommen wir auch hier zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12739, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/11912 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 31:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Die Agrarwissenschaften in Deutschland auf
neue Anforderungen ausrichten
- Drucksache 16/12998 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen
ihre Reden zu Protokoll gegeben: Dr. Hans-Heinrich
Jordan, Dr. Wilhelm Priesmeier, Dr. Christel HappachKasan, Dr. Kirsten Tackmann und Cornelia Behm.
Bildung, Wissenschaft und Forschung sind das Gebot
der Stunde. Gerade in der schwierigen Wirtschaftssituation sichern sie Wohlstand. Sie sind die Basis, um wettbewerbsfähiger aus der Krise herauszukommen.
Die CDU/CSU- und SPD-Bundestagsfraktionen haben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass ab dem
Jahr 2009 jährlich 3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung investiert werden sollen. Andere europäische Staaten haben bereits heute ein
BIP-Anteil an FuE von 3,5 Prozent und mehr. Allein die
Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung
stiegen in dieser Legislaturperiode um 3 Milliarden Euro
von 9 auf rund 12 Milliarden Euro. Im Rahmen des Konjunkturpakets II werden weitere 11 Milliarden Euro für
Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation bereitgestellt.
Für die Lösung der Welternährungsprobleme und im
Kampf gegen den Klimawandel spielen die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Agrar- und Ernährungswissensforschung eine zentrale Rolle. Um Antworten auf die
Probleme der Zukunft zu finden, sind neue Konzepte in
der agrar- und ernährungswissenschaftlichen Forschung
durch Bündelung und Vernetzung zu organisieren. Notwendige Maßnahmen sind in den zurückliegenden Jahren
auf den Weg gebracht worden. Dies bezieht sich unter anderem auf die Neustrukturierung im Bereich der Ressortforschung des BMELV.
Die Neustrukturierung bringt die Leistungskraft der
Agrarforschung in Deutschland erheblich voran. Sie ist
ein wesentlicher Bestandteil der Agrarforschung in
Deutschland. Als ein Beispiel des gesamten Maßnahmenkomplexes sei an dieser Stelle die Erweiterung der Forschungseinrichtung des Friedrich-Loeffler-Instituts auf
der Insel Riems angeführt. Der Aufbruch der neu aufgestellten Ressortforschung ist in allen Einrichtungen zu
spüren. Jetzt die notwendigen Standortverlagerungen,
wie im Antrag der Linken gefordert, infrage zu stellen,
wäre geradezu absurd, weil dadurch ihre Schlagkraft geschwächt würde, besonders dann, wenn die Stärkung der
Agrarforschung als Schlüssel zur Lösung globaler Probleme erkannt worden ist.
Die Vernetzung der Agrar- und Ernährungsforschung
wird unter anderem durch den kürzlich entschiedenen
Wettbewerb „Kompetenznetze der Agrar- und Ernährungsforschung“ gestärkt. Von bundesweit 27 eingereichten Strategiekonzepten sind in zwei Auswahlrunden
die besten vier Agrarcluster unter Koordination der Universitäten Bonn, Kiel, Rostock und der Technischen Universität München ausgewählt worden.
Darüber hinaus soll der deutsche Gartenbau durch
Bündelung der wissenschaftlichen Kompetenzen unter
Koordination der Universität Hannover unterstützt werden.
Das Forschungsinformationssystem der Agrar- und
Ernährungsforschung, FISA, wurde im März von Bund
und Ländern eröffnet. Ich kann nur empfehlen, sich dort
über Forschungsprojekte, Forschungsförderer und Forschungsinstitutionen im Agrar- und Ernährungsbereich
in Deutschland zu informieren. Das FISA fördert die Vernetzung. Es wird die Effizienz der Forschung im Agrarund Ernährungsbereich weiter steigern.
Mit dem Programm zur Innovationsförderung werden
vom BMELV seit 2006 neue Technologien und Verfahren
im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft und zur
Verbesserung des Verbraucherschutzes unterstützt.
Drahtlose Kommunikationssysteme für Landmaschinen,
Unkrauterkennung zur gezielten Steuerung des Einsatzes
von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, Züchtungsforschung für resistente Kulturpflanzen und leistungsfähige
und gesunde Nutztiere sind nur einige Beispiele für eine
Verbesserung der Nachhaltigkeit und die ressourcenschonende Steigerung der Produktivität.
Ein weiteres Beispiel ist die Pflanzenbiotechnologie.
Mithilfe der Genomforschung, der Systembiologie und
der biologischen Sicherheitsforschung werden alle zur
Verfügung stehenden technischen Optionen zur Pflanzenproduktion und -nutzung untersucht und entwickelt. Dabei wird auch der öffentliche Dialog über die Chancen
geführt, die die moderne Biotechnologie eröffnet. Dazu
zählt beispielsweise die Ertragssteigerung und die Erzeugung neuer Inhaltsstoffe bei der Pflanzenzüchtung oder
die notwendige Anpassung von Nutzpflanzen an den Klimawandel.
Im Rahmen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, GWK, pflegen die Bundes- und Länderressorts für
Forschung und Landwirtschaft eine enge Zusammenarbeit und bilden eine Koordinierungsplattform.
Das sind nur einige Beispiele, die neben der Vernetzung und Exzellenzsteigerung, einer höheren Attraktivität
und der Förderung des agrarwissenschaftlichen Nachwuchses dienen.
Insgesamt stiegen die Ausgaben des Bundes für die
Agrar- und Ernährungsforschung von 2005 bis 2008 von
etwa 155 Millionen Euro auf knapp 390 Millionen Euro;
so der Bundesbericht Forschung und Innovation 2008.
Dazu kommen noch teilweise Bundesmittel, zum Beispiel
aus der Förderung der Biotechnologie und für die Nachhaltigkeit. Eine Bilanz, die sich in der Tat sehen lassen
kann. Hieran sollten sich auch die anderen Verantwortlichen in den Ländern und in der Wirtschaft ein Vorbild
nehmen.
In der Forschung sind wir auf einem guten Weg, der
mit gleicher Intensität fortzusetzen ist.
Die universitäre Lehre ist frei. Eine Standardisierung
der Lehrinhalte und Ausbildungsgänge ist kontraproduktiv und widerspricht dem Humboldt’schen Ideal von der
universitären Freiheit von Forschung und Lehre. Mit der
Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen an
deutschen Hochschulen ist bereits ein großer Teil der
strukturellen Veränderung vollzogen. Studium und Ausbildung bedeuten heute häufig ein hohes Maß an Spezialisierung und Internationalisierung. Mit dem BolognaProzess wurden für Europa dazu die entscheidenden
Grundsteine gelegt. Studenten haben nun die Möglichkeit, nach ihren Interessen an verschiedenen Hochschulen zu studieren. Die erworbenen Studienabschlüsse werden international anerkannt.
Des Weiteren sind durch die Föderalismusreform I unter anderem die Rahmengesetzgebungskompetenzen des
Bundes für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens entfallen, die in der Vergangenheit die Grundlage
für die meisten Regelungen des Hochschulrahmengesetzes bildeten. Die im Antrag geforderte Vereinheitlichung
von Ausbildungsgängen widerspricht eindeutig dem universitären Lehr- und Forschungsauftrag. Im Gegenteil:
Die Lösung des Problems heißt Vielfalt. Im Gutachten des
Wissenschaftsrates sind die Hochschulen aufgefordert
worden, ihre bisherigen Lehr- und Forschungsstrukturen
neu auszurichten.
Gut ausgebildete Fachkräfte sind das Fundament einer innovativen Ernährungs- und Agrarwissenschaft. Ein
weiterer Ausbau dieses wichtigen Forschungs- und Ausbildungsstranges ist ein Kernanliegen der CDU/CSUBundestagsfraktion. Denn die Herausforderungen lassen
ein Ruhen unserer Bemühungen nicht zu.
Innovationen sind die Grundlage einer zukunftsfähigen Entwicklung der Betriebe. Daher wird die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion in der nächsten Legislaturperiode eine breit angelegte Innovations- und Qualifizierungsoffensive für die Land- und Ernährungswirtschaft
starten und die Vernetzung der Agrarforschung in
Deutschland weiter stärken. Nur so können Land- und
Ernährungswirtschaft die vielfältigen Anforderungen der
Gesellschaft, vom qualitativ hochwertigen Angebot von
Lebensmitteln und Rohstoffen bis zur Verbindung von effizienter Wirtschaftsweise mit Umwelt- und Naturschutz,
wettbewerbsfähig leisten. Zudem müssen wir unserer internationalen Verantwortung gerecht werden mit Beiträgen zur Welternährung und zur nachhaltigen Entwicklung.
Wir wollen, dass die deutsche Agrarforschung sowohl
wissenschaftlich exzellent als auch praxisorientiert ist. Unverzichtbar ist eine hohe Ausbildungsqualität und -breite
in ausreichender Kapazität für den wissenschaftlichen
und praxisorientierten Führungsnachwuchs. Wir wollen
die besten Köpfe auch für die Landwirtschaft gewinnen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Dafür muss die Eigenständigkeit der Agrarwissenschaften erhalten werden. Sie müssen finanziell gestärkt, ihre
Zusammenarbeit mit Industrie und Landwirtschaft gefördert und zukunftsfähige Strukturen geschaffen werden.
Auch die Länder sind gefordert bei ihren Agrarfakultäten und Universitäts- und Fachhochschuleinrichtungen. Wir brauchen in allen Teilen Deutschlands regional
verankerte und gleichzeitig überregionale, mit den außeruniversitären Forschungsinstituten sowie der Wirtschaft
gut vernetzte Standorte. Ein beachtenswerter Ansatz ist
das „Netzwerk Agrarwissenschaften Ostdeutschland“,
das von den Agrarstandorten der Humboldt-Universität
zu Berlin, der Universität Rostock und der MartinLuther-Universität Halle gebildet wird.
Voraussetzung für den Erfolg einer Innovationsoffensive Agrar sind innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und die breite Nutzung moderner Technologien
einschließlich der Biotechnologie.
Fast 200 Jahre ist es her, dass Johann Heinrich von
Thünen den Grundstein für die deutschen Agrarwissenschaften gelegt hat. Im Zuge dessen hat sich in Deutschland schrittweise eine breit gefächerte Agrarforschung
entwickelt. Diese fußt mittlerweile auf vier Säulen: die
unternehmenseigene Forschung, die Forschung an Fachhochschulen und Universitäten, die Forschung an diversen Landesforschungsinstituten und die bundeseigene
Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Von dem, was dort im Einzelnen geleistet wird, konnte
ich mich in Niedersachen während einiger persönlicher
Besuche selbst überzeugen. Ich bin davon überzeugt, dass
wir gut aufgestellt sind - und das nicht nur in meinem
Bundesland. Die bayerischen Kollegen lobe ich nur ungern: Aber im Bereich der angewandten Agrarforschung
haben sie sich ebenfalls sehr gut positioniert.
Diese dezentrale Forschungsstruktur entspricht den
Anforderungen in Deutschland mehr als zum Beispiel das
Modell der Niederlande, wo die ganze Agrarforschung
und -lehre auf den Standort Wageningen konzentriert
wurde. Eine dezentrale Struktur birgt erfahrungsgemäß
aber auch immer die Gefahr hoher Effizienzverluste, besonders dann, wenn die organisatorischen und finanziellen Verantwortlichkeiten auf verschiedene Ebenen verteilt sind.
Das Charakteristikum agrarwissenschaftlicher Forschung ist die Problem- und Handlungsorientierung.
Diese verlangt auch immer einen Standortbezug. Und
dieser ist gerade in Deutschland gegeben, wo wir eine
große Vielfalt an Standortbedingungen vorfinden. Dieser
Standortbezug ist eng verbunden mit der Historie der
Landnutzung in den jeweiligen Regionen Deutschlands.
Wir schauen zurück auf eine sehr lange Brautradition einerseits und fast 2 000 Jahre Weinbautradition andererseits. Wir sehen eine obstbauliche Nutzung, die im Alten
Lande bis zum Jahr 1321 zurückverfolgbar ist. Auf der
Reichenau im Bodensee haben die Mönche bereits im
8. Jahrhundert Kräuter und Gewürze angebaut sowie
Obstplantagen angelegt. Im Jahr 1747 entdeckte Andreas
Sigismund Marggraf den Zucker in der Rübe. Seit 1774
hat sein Nachfolger die erste systematische Rübenzüchtung in Deutschland aufgebaut. Der historische Bezug
zeigt sich an Standorten wie der Forschungsanstalt
Geisenheim als eine der ältesten deutschen Forschungseinrichtungen für Weinbau, Önologie und Getränketechnologie oder auch an dem Institut für Zuckerrübenforschung an der Universität Göttingen als zentrale
Forschungseinrichtung zur Entwicklung von Verfahren
nachhaltiger Zuckerrübenproduktion in Deutschland.
Insbesondere in den letzten fünf Jahrzehnten hat sich viel
am Agrarforschungsstandort Deutschland getan. Wir haben in Deutschland die Forschung in der Breite ausgebaut und sind bis auf Molekularebene vorgedrungen, haben somit auch die Tiefe der Forschung ausgebaut. Dies
ist ein Pfund, mit dem wir stärker wuchern müssen.
Die inhaltlichen Herausforderungen im Agrar- und
Ernährungsbereich haben sich in den letzten Jahrzehnten
erheblich verändert. Früher stand die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln im Fokus der Forschung im
Pflanzenbau und in der Tierzucht. In den letzten beiden
Jahrzehnten sind Aspekte der Produktqualität und -sicherheit von Lebensmitteln in den Vordergrund gerückt.
Auch werden die Produktionsprozesse von Nahrungsmitteln in der Öffentlichkeit stärker hinterfragt. Für uns Sozialdemokraten sind Fragen nach der tiergerechten Ausgestaltung von Tierhaltungssystemen relevant. Wir
wollen praxisreife Alternativvorschläge, wie wir die Haltungsbedingungen für unsere Nutztiere weiterentwickeln
können. Auch muss die Forschung im ökologischen Landbau intensiviert werden; denn auch hier gibt es viele offene Fragen gerade im Bereich der Tierhaltung. Wir haben das große Thema Klimawandel auf der Agenda und
benötigen Antworten auf die zunehmende Flächenkonkurrenz zwischen der Nahrungsmittelerzeugung und der
Biomasseproduktion für energetische und stoffliche Zwecke. Gleichzeitig müssen wir mehr dafür tun, um die genetischen Ressourcen besser zu schützen und diese zu erhalten.
Die Beforschung der oben genannten Aufgabenfelder
hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die strukturelle Ausrichtung der Agrarforschung. Neue inhaltliche
Herausforderungen ziehen zwangsläufig neue Strukturen
nach sich, besonders dann, wenn wir perspektivisch nicht
unbedingt mehr Geld für diesen Bereich zur Verfügung
haben werden. Im Verantwortungsbereich des Bundes haben wir daher frühzeitig unsere Hausaufgaben gemacht.
Die Koalition hat mit dem Gesetz zur Neuordnung der
Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die organisatorischen Voraussetzungen für eine
exzellente und effiziente Ressortforschung geschaffen.
So kraftvoll, wie wir in der Koalition gemeinsam die
notwendigen Strukturveränderungen angepackt haben,
so sehr müssen wir nun auch an einigen Punkten die erforderlichen inhaltlichen Anpassungen angehen. Ein
„Weiter so!“ in neuen Strukturen kann es nicht geben.
Dafür sind die Herausforderungen zu groß. Daher appelliere ich an die Verantwortlichen im BMELV, endlich die
Zu Protokoll gegebene Reden
Voraussetzungen zu schaffen, dass die Ressortforschung
in den Bereichen „Tierschutz“ und „artgerechte Haltungssysteme“ entsprechend finanziell ausgestattet wird.
Der Ausbau des Forschungsstandortes Mariensee/Mecklenhorst ist seit vielen Jahren überfällig und wurde bisher
unnötig behindert. Ich habe mit Freude vernommen, dass
sich Staatssekretär Lindemann vor geraumer Zeit in
Brüssel für ein europäisches Tierschutzforschungszentrum mit Sitz in Deutschland eingesetzt hat. Ich wiederhole an dieser Stelle, dass ich es für sehr sinnvoll halte,
dieses Zentrum in Celle anzusiedeln. Wir sollten aber
nicht darauf warten, bis die EU so weit ist. Die Aufwertung des Standortes Celle zu einem nationalen Tierschutzforschungszentrum ist überfällig.
Liebe Kollegin Tackmann, auch ich halte viel davon,
Strukturen turnusgemäß zu evaluieren. Aber in diesem
Fall schießen sie mit Ihrer Forderung nach umfassender
Evaluierung ein wenig über das Ziel hinaus. Diese Evaluierungen gibt es bereits und werden sowohl auf Länderals auch auf Bundesebene durchgeführt. Die Erkenntnislage ist klar, und entsprechend dieser haben wir auch gehandelt. Wir haben Ende 2007 den gesetzlichen Rahmen
für die neuen Strukturen geschaffen. Nun müssen wir mal
abwarten, wie sich die neuen Strukturen bewähren.
Mir ist sehr an einer stärker interdisziplinär ausgerichteten Forschung gelegen, die die zunehmend komplexer werdenden Zusammenhänge in den einzelnen Wertschöpfungsketten der Nahrungsmittelproduktion und der
nachwachsenden Rohstoffe besser erfassen und bewerten
kann. Dafür brauchen die Forscher selbstverständlich
auch Planungssicherheit für ihre Institute. Das müssen
wir als Bundespolitiker durch kontinuierlich fortgeschriebene Forschungsprogramme gewährleisten.
Die Koalitionsparteien haben die Bundesregierung im
Herbst 2007 aufgefordert, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Exzellenz der Ressortforschung
im Geschäftsbereich des BMELV weiter zu verbessern.
Denn hier stehen wir natürlich auch im internationalen
Wettbewerb. Zu den erforderlichen Maßnahmen zählen
für mich insbesondere die Durchführung interner Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie die regelmäßige Durchführung externer Evaluationen. Gleichzeitig sollten wir
verstärkt Zielvereinbarungen mit den Forschern schließen, wie dies internationaler Standard ist.
Das Hauptaugenmerk - und da bin ich ganz bei Ihnen,
Frau Kollegin Tackmann - müssen wir auf die Förderung
von Nachwuchswissenschaftlern richten. Wir verbessern
die Vernetzung der Ressortforschungseinrichtungen mit
anderen Forschungseinrichtungen. Mit nationalen sowie
internationalen Kooperationen wird für eine optimale
Aufgabenerfüllung gesorgt. Die Verantwortlichen in den
Bundesinstituten sind aufgefordert, bei der Stellenbesetzung und bei der Besetzung von Beiräten verstärkt international tätige Wissenschaftler zu berücksichtigen. Die
Chancen für eine effizientere Agrarforschung in Deutschland liegen auch in der Schaffung regionaler bzw. fachlicher Netzwerke und Kooperationen. Das wird an einigen
Standorten bereits äußerst erfolgreich praktiziert, muss
an anderer Stelle aber noch ausgebaut werden.
Wie Sie wissen, können wir vonseiten des Bundes
gerne eine Vielzahl von Appellen an die Bundesländer
richten. Ob die das dann immer umsetzen, daran habe ich
meine Zweifel. Auch ich wünsche mir, dass die wissenschaftliche Lehre und die Ausbildung an Universitäten
und Fachhochschulen verbessert und standardisiert werden. Wir sollen uns aber nur auf das beschränken, was
wir direkt beeinflussen können.
Die Länder müssen zukünftig stärker ihrer Verantwortung nachkommen. Forschungsschwerpunkte können und
sollten nicht nur durch den Bund finanziert werden. Wenn
die Leibniz-Universität Hannover ein neues Laborgebäude für die Forschung im Obstbau erhält, freue ich
mich natürlich. Eine bessere Abstimmung und Koordination zwischen dem Bund und den Ländern wäre jedoch
wünschenswert, damit wir noch effektiver forschen können.
Zu ihrer Forderung nach einem Moratorium bei den
Standortschließungen ist Folgendes zu sagen: In den Ressortforschungseinrichtungen im Verantwortungsbereich
des BMELV sind insgesamt rund 2 700 wissenschaftliche
und nichtwissenschaftliche Bedienstete beschäftigt. Die
Bundesregierung wurde von den Koalitionsparteien bereits im Herbst 2007 aufgefordert, dass zusätzliche Einsparungen nicht zulasten der wissenschaftlichen Forschungsaktivitäten gehen dürfen, sondern zukünftig
durch Effizienzsteigerung in der Verwaltung zu erbringen
sind.
Liebe Kollegin Tackmann, die Inhalte Ihres Antrages
unterstütze ich bis auf Ihre Forderungen nach umfassender Evaluierung und einem Moratorium für Standortschließungen. Nur leider muss ich feststellen, dass Ihre
Partei der aktuellen Diskussion um ein Jahr hinterherhinkt. Sie haben sich oft über die Große Koalition und
ihre vermeintliche Trägheit beschwert. Im Bereich der
Ressortforschung des BMELV haben wir unsere Hausaufgaben aber frühzeitig gemacht - und dies unter der
Zielvorgabe, die Sie selber beschreiben: Schaffung einer
effizienten deutschen Agrarforschung auf hohem internationalen Niveau! Heute kann ich Ihrem Antrag daher
nicht zustimmen.
Die Neuordnung der Agrarressortforschung wurde im
Oktober 2007 abgeschlossen. Dies war kein Gesellenstück des damaligen Ministers Horst Seehofer. Er hat vermutlich nicht einmal die Vorlagen gelesen. Es wurde damals eine bedeutende Chance vertan, Agrarwissenschaft
und -forschung in Deutschland besser aufzustellen und
für zukünftige Herausforderungen zu wappnen.
Der Antrag der Linken heute ist da keine Hilfe. Schon
2007 war die Große Koalition nicht zu einer mutigen Reform in der Lage. Warum sollte sie es heute sein? Was
also soll ein solcher Antrag? Er ist eine Fleißarbeit, gefällig geschrieben, der sich auf die Forderungen des Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2006 zwar beruft, sie sich
aber nicht zu eigen macht. Die FDP lehnt den Antrag ab.
Was soll die geforderte Bund-Länder-Koordinierungsund Beratungsinstitution? Ist sie die Einführung von
Planwirtschaft in die Forschung? Das wollen wir nicht.
Zu Protokoll gegebene Reden
Der Wissenschaftsrat hat 2006 tief greifende Reformen
der Agrarwissenschaften gefordert und die Bildung von
Wissenschaftsclustern bei Einbindung verschiedener in
einem Bereich tätiger Institute vorgeschlagen. Im Zuge
der Neuordnung der Agrarressortforschung wäre die Bildung von Forschungsclustern vergleichsweise einfach
gewesen. Doch die Bundesregierung hat die Vorschläge
des Wissenschaftsrats in den Wind geschlagen und diese
Chance vertan. Für die kommende Regierung wird es
eine Herausforderung sein, auf die verunglückte Reform
aufbauend bessere Strukturen zu schaffen.
Nach Vorstellung der FDP darf Ressortforschung
nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Zusammenhang mit den Universitäten, den Leibniz-, MaxPlanck-, und Fraunhofer-Instituten sowie den Instituten
der Helmholtz-Gemeinschaft betrachtet werden. Dadurch können Synergieeffekte erzielt werden, und gleichzeitig wird die Arbeit der Ressortforschung genau wie die
an Universitäten und Forschungsinstituten gestärkt.
Angesichts knapper Mittel, die für die Forschung zur
Verfügung stehen, dürfen Forschungseinrichtungen nicht
als Infrastrukturmaßnahmen beliebig in die Landschaft
gelegt werden, sondern es muss die räumliche Anbindung
an andere Forschungseinrichtungen gegeben sein. Anders lassen sich eine gegenseitige Unterstützung bei Vorlesungen, Vorträgen und Kolloquien, die Betreuung von
Master- und Doktorarbeiten nicht bei vertretbarem Zeitaufwand organisieren. Eine solche Unterstützung dient
dem Austausch von Ideen, Konzepten und Gedanken und
stärkt wissenschaftliche Exzellenz.
Es gibt gute Beispiele im benachbarten Ausland, wie
Agrarforschung effizient organisiert werden kann. Eine
Konzentration von Grundlagenforschung, Anwendungsprojekten und Lehre in breit aufgestellten Universitätseinrichtungen ermöglicht dort heute einen hocheffizienten Einsatz öffentlicher Mittel. Das muss für unsere
Forschungseinrichtungen in gleicher Weise ungesetzt
werden.
Die Bundesregierung hat 2007 ein Konzept umgesetzt,
das 1996 erarbeitet worden war. Dies hat in der Zwischenzeit tüchtig Staub angesammelt. Das ist kein Ruhmesblatt.
Die Ernährung hat heute im Vergleich zum Jahr 1996
einen ganz anderen Stellenwert. Fehlernährung führt zu
Kosten im Gesundheitssystem. Die ernährungsbedingten
Krankheiten verursachen 80 Prozent der Morbidität und
Invalidität der Bevölkerung. Die Kosten der Bekämpfung
der Krankheiten belasten das Gesundheitssystem in hohem Maße. Diabetes ist die teuerste Erkrankung, ihre Behandlung kostet jährlich 35 Milliarden Euro. Trotzdem
hat die Bundesregierung entschieden, dass das MaxRubner-Institut, die ehemalige Forschungsanstalt für Ernährung und Landwirtschaft, das kleinste unter den vier
großen Instituten werden soll. Das ist eine Fehlentscheidung. Dies wird den Aufgaben, die die Ressortforschung
leisten muss, nicht gerecht.
Das beherrschende Thema in der Landwirtschaft ist
zurzeit die negative Entwicklung des Milchpreises, die für
viele Milchviehbetriebe zu einem existenziellen Problem
geworden ist. Die Studie der deutschen Milchindustrie
hat bereits 2007 festgestellt: „Der Milchforschungsstandort Deutschland ist in Gefahr, seine internationale
Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.“ Die Milchwirtschaft
ist der umsatzstärkste Sektor der deutschen Agrarwirtschaft. Dieser Sektor ist auch durch Entscheidungen der
Bundesregierung geschwächt worden. Auch wenn die
Milchpreisentwicklung nicht von der Bundesregierung zu
verantworten ist: Eine Stärkung der Wirtschaftskraft der
Betriebe kann sich die Regierung nicht auf ihre Fahnen
schreiben. Die kommende Regierung hat im Bereich der
Organisation der Forschung viel zu tun, um die Fehler
der schwarz-roten Koalition zu korrigieren.
Deutschland nennt sich selbst Land der Dichter und
Denker. Bildung, Forschung und Lehre gehören in einem
rohstoffarmen Land zu den wichtigen Standortfaktoren,
die Gesellschaft, Politik und Wirtschaftsleben prägen
sollten. Gerade für die Agrarwissenschaften werden die
Lösungen globaler Probleme zunehmend zur existenziellen Verantwortung: Unter- und Mangelernährung bei
anhaltendem Bevölkerungswachstum, Zerstörung von
landwirtschaftlich, gartenbaulich oder forstlich nutzbaren Flächen, Wirkung des globalen Klimawandels auf die
agrarischen Ökosysteme, Rückgang der biologischen
Vielfalt und soziale und ökologische Folgen eines global
deregulierten Marktes.
Leistungsfähige Agrarwissenschaften haben gerade in
ihrem Mutterland Deutschland in der Vergangenheit zu
Selbstversorgungsicherung mit Nahrungsmitteln auf hohem Niveau und zur Lösung ökologischer und sozialer
Probleme beigetragen. Eine besondere Stärke der Agrarwissenschaften war dabei immer ihre betont interdisziplinäre Ausrichtung.
Den großen Herausforderungen wird aber die aktuelle
politische Wahrnehmung der Agrarwissenschaften nicht
gerecht. Die seit Jahrzehnten gesicherte Nahrungsmittelversorgung, ja Überversorgung in Deutschland und
Europa hat wohl allzu sorglos und selbstzufrieden gemacht. Das Ergebnis dieser Vernachlässigung ist eine
Krise der Agrarwissenschaft, die der Wissenschaftsrat
unterdessen beklagt.
Ein Grund ist die zersplitterte Verantwortung. Für die
unterschiedlichen Institutionen der Agrarforschungslandschaft sind verschiedene Träger wie Bund, Länder
oder Stiftungen zuständig. In unserem Antrag werden die
damit verbundenen Probleme beschrieben und Vorschläge zur Behebung gemacht. Der Bund hat aber auch
hausgemachte handfeste eigene Probleme geschaffen.
Mit der Agrarressortforschung beim Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
gibt es einen eigenständigen Wissenschaftsbereich für
Politikberatung und hoheitliche Aufgaben. Er ist ebenso
wichtig, wie er spätestens seit 1996 stiefmütterlich behandelt wird - abgesehen von ein paar Prestigeprojekten.
Die Linke hält eine leistungsfähige Agrarressortforschung für unentbehrlich. Sie muss fachlich vernetzt sein
mit der universitären und außeruniversitären Agrarforschung. Die fachliche Unabhängigkeit ihrer PolitikberaZu Protokoll gegebene Reden
Dr. Kirsten Tackma
tung muss gesichert sein. Dafür ist aber eine bedarfsgerechte finanzielle und personelle Ausstattung mit einer
sinnvollen Struktur erforderlich. Aber sowohl das Rahmenkonzept von 1996 als auch das Neuordnungsgesetz
von 2007 stellten hier falsche Weichen; denn es ging dabei vor allem um Personalabbau, der über die Schließung
von Standorten forciert wurde. Nebenbei wurde auch die
fachliche Mitbestimmung abgebaut. Seit 1996 wurden
rund 1 000 Stellen gestrichen - das sind 30 Prozent. Von
den verbliebenen rund 2 700 sollen in den nächsten Jahren noch einmal 350 wegfallen. Damit hatte eine ganze
Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kaum Zugang zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen
in der Agrarressortforschung. Viele trifft man dafür unterdessen im Ausland wieder.
Da diese Stelleneinsparungen über zufällig frei werdende Stellen erbracht wurden, sind wichtige Aufgaben
weggefallen oder werden nur noch teilweise erfüllt. Oft
gingen und gehen dabei die wenigen höher qualifizierten
Arbeitsplätze für Frauen in ländlichen Räumen verloren,
die doch so dringend gebraucht werden. Die Folge ist zudem eine ungünstige Altersstruktur der Belegschaften.
Die Arbeitsbelastung ist kaum mehr zumutbar. Wissenschaftliche Exzellenz ist unter solchen Bedingungen nur
schwer zu halten.
Die Kritik der Linken an diesem politisch gewollten
Ausverkauf der Agrarressortforschung haben wir immer
wieder vorgetragen:
Es fehlt eine ambitionierte Fachkonzeption für eine
wissenschaftlich begründete agrarpolitische Beratung
der Bundesregierung.
Es fehlt die Bedarfsanalyse der aktuellen und zukünftigen Erfordernisse für eine agrarwissenschaftliche Politikberatung des Bundesministeriums.
Es fehlen langfristige Kosten-Nutzen-Rechnungen für
die geplanten und zum Teil schon begonnenen Umsetzungsmaßnahmen.
Und es fehlt vor allem eine plausible Prüfung der noch
vorgesehenen Standortschließungen unter fachlichen,
finanziellen, personellen und strukturpolitischen Gesichtspunkten.
1996 gab es 35 Agrarressortforschungsstandorte, davon sollen in den kommenden Jahren nur 21 übrig bleiben. Unter diesen Standortschließungen gibt es zum
Beispiel in Brandenburg zwei besonders unsinnige Entscheidungen: erstens die Standortverlagerung des Instituts für Epidemiologie des Friedrich-Loeffler-Instituts
von Wusterhausen an die Ostsee, zweitens die Verlagerung des Instituts für Forstgenetik und Forstpflanzenzüchtung von Waldsieversdorf in die Nähe von Hamburg.
Diese beiden Entscheidungen sind ein strukturpolitisch verheerendes Signal für die ländliche Heimatregion
und machen weder sozial noch fachlich oder finanziell
Sinn. Das waren auch nicht die Entscheidungskriterien:
Die Standorte werden vor allem geschlossen, damit Personal abgebaut werden kann - koste es, was es wolle.
Deshalb ist eine der Hauptforderungen des Antrags der
Linken die Vorlage einer Evaluierung der wissenschaftlichen, sozialen, finanziellen und strukturpolitischen Folgen der Standortschließungen und des Personalabbaus in
der Agrarressortforschung seit 1996.
Bis zur Vorlage dieser Analyse fordern wir ein Moratorium für Standortschließungen, das so lange in Kraft
bleibt, bis dem Bundestag für die noch geplanten Standortschließungen eine Kosten-Nutzen-Rechnung einschließlich der Prüfung von Alternativen zur Standortschließung zur Beschlussfassung vorgelegt wurde. Unser
Antrag enthält darüber hinaus noch viele weitere Vorschläge zur Überwindung der Krise in der universitären
und außeruniversitären Agrarforschung, auf deren Diskussion im Ausschuss ich schon sehr neugierig bin.
„Krise“ und „globale Herausforderungen“ sind die
Begriffe, die von Politik und Gesellschaft seit einigen Monaten geradezu inflationär gebraucht werden: Klimakrise,
Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Ernährungskrise - allesamt
Krisen der Nachhaltigkeit - sind die globalen Herausforderungen, die zu bewältigen sind - hier und weltweit, und
zwar ohne Verzögerungen. Ein Schlüssel dazu ist die
Agrarforschung. Denn die Landwirtschaft, besser die
Landnutzung, hat sowohl bedeutenden Einfluss auf das
Klima als auch auf die weltweiten Waren- und Finanzströme, auf die regionale Wertschöpfung und auf die
Frage, wie erfolgreich Armut und Hunger begegnet werden kann. Aber mit einem „Weiter so“ in der Landwirtschaft werden die Probleme eher verschärft als gelöst.
Wenn der Klimawandel gebremst und trotz klimatischer Veränderungen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft im Jahr 2050 eine auf 9 Milliarden Menschen angewachsene Weltbevölkerung ernähren und mit Energie
versorgen sollen, dann ist das nicht mit der züchterischen
oder gar gentechnischen Bearbeitung von einigen wenigen Kulturpflanzen getan. Es müssen vielmehr Maßnahmen ergriffen werden, die den Artenschwund - auch den
Verlust von Kulturpflanzen und kommerziell genutzten
Tierarten und -rassen - bremsen. Es dürfen nicht weiter
Agrar- und Forstflächen durch den Bau von Siedlungsund Verkehrsflächen der Nutzung entzogen werden. Devastiertes Land und verschmutzte Gewässer müssen rekultiviert werden.
Was wir tun müssen, ist also ziemlich klar; nur, wie wir
es tun müssen, dafür besteht immenser Forschungsbedarf. Die Agrarforschung sehe ich im Kontext von Klimawandel und Welternährung als zentrale Säule in einem
interdisziplinären Forschungsverbund. Doch die Agrarforschung ist weder in Deutschland noch weltweit den an
sie gestellten Anforderungen gewachsen. Anstatt die Forschung auszubauen und um neue Themenfelder wie
Anpassung an den Klimawandel, klimafreundliches Wirtschaften etc. zu erweitern, wird sie seit Jahren zusammengekürzt - und das weltweit. So lautet eine der Forderungen des Weltagrarberichts, der ja von UN und Weltbank
unterstützt wurde: Rücknahme der Kürzungen bei der
Forschung.
Der Antrag der Linken spricht in der Tat viele Punkte an,
die im Argen liegen. Sowohl mit der Analyse der Situation
der Agrarforschung in Deutschland als auch mit den ForZu Protokoll gegebene Reden
nn ({0})
derungen stimmen wir Bündnisgrüne in großen Teilen
überein. Eine ressortübergreifende Koordinierung und
bessere Vernetzung der agrarwissenschaftlichen Institutionen sind ebenso notwendig wie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. An der Neustrukturierung
der Agrarressortforschung hatten wir Grüne seinerzeit
ausdrücklich kritisiert, dass weniger die zu lösenden Aufgaben als das begrenzte Budget Motor für die Veränderungen war. Insofern könnte eine Evaluation der bisher
umgesetzten Maßnahmen noch zu einer Verbesserung im
Bereich der Agrarforschung führen. Dass für eine qualitative und quantitative Verbesserung der agrarwissenschaftlichen Lehr- und Ausbildung eine verbesserte Koordinierung und Standardisierung der Lehrinhalte nötig
ist, sehe ich nicht. Vielmehr lebt die interdisziplinäre Forschung durch die unterschiedliche Schwerpunktsetzung.
Wir sollten das als Chance und nicht als Problem sehen.
Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, worum
es uns Grünen geht: Wir wollen den Ausbau der Forschung und neue Herausforderungen in bereits vorhandene oder neu zu begründende Forschungsfelder aufnehmen. Eine nachhaltige, das heißt zukunftsorientierte
Landwirtschaft braucht ein höheres Forschungsbudget.
Und die Agrarforschung braucht die strukturelle Einbettung in einen interdisziplinären Forschungsverbund zur
Landnutzung, der die aktuellen Fragen, die uns Klimawandel und Bevölkerungswachstum stellen, beantwortet.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12998 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 33:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Koczy, Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entwicklungsländer bei der Bewältigung der
Wirtschafts- und Finanzkrise unterstützen
- Drucksache 16/13003 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auch hier haben die Kolleginnen und Kollegen Jürgen Klimke, Dr. Sascha Raabe, Stephan Hilsberg, Hellmut Königshaus, Heike Hänsel und Ute Koczy ihre Reden zu Protokoll gegeben.
Am 18. und 19. Mai 2009 diskutierte der Rat der EUEntwicklungsminister über die aktuellen Auswirkungen
der weltweiten Finanzkrise auf die Entwicklungsländer.
Leitlinie der deutschen Verhandlungsführung war dabei
die starke Solidarität mit unseren Partnerländern in der
Krise. Kernforderung war die von der nationalen Entwicklungszusammenarbeit und der EU-Zusammenarbeit
immer wieder erklärte Zielmaßgabe, die Zusagen der
ODA-Mittel weiter fortzuführen, trotz massiv einbrechender Weltwirtschaft. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass starke Entwicklungsländer ein Teil
der Lösung sind. Nur mit ihnen zusammen kann die Weltwirtschaft nachhaltig aus der Krise geführt werden.
Nichtsdestotrotz ist die Entwicklungspolitik in einer
kritischen Phase. Die Aufholjagd der Schwellenländer ist
erstmals gestoppt. Und daran leiden zum Beispiel in Indien 1,6 Millionen Arbeitnehmer, die neuerdings auf der
Straße sitzen. Mit einer gewissen Verzögerung hat die
Krise nun auch die ärmsten Länder dieser Welt erfasst.
Der Teufelskreis von sinkenden Exporten, sinkenden
Direktinvestitionen und sinkenden Überweisungen der
Arbeitsmigranten hat sich in den letzten Monaten verschärft. 1 Milliarde Menschen leiden derzeit an Hunger,
für Entwicklungspolitiker ein unhaltbarer Zustand.
Jedoch geben wir nicht, wie im Grünen-Antrag behauptet, den Stimmen nach, die sagen, dass die Mittel für
die Entwicklungszusammenarbeit zurückgefahren werden müssen. Die EZ zurückzufahren wäre ein schlimmes
Eigentor. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Verzahnung
der Volkswirtschaften ist stärker als je zuvor. Unsere Exporte in die entsprechenden Länder haben sich in den
letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt. Der Haushalt
des BMZ ist mittlerweile der zweitgrößte Investitionshaushalt der Bundesrepublik Deutschland. Von ihm
hängen allein in Deutschland zwischen 200 000 und
300 000 Arbeitsplätze ab.
Dass dies so bleibt und wir gleichzeitig eine Stütze für
die Entwicklungsländer sind, hat die Bundesregierung
auf dem G-20-Gipfel in London eindrücklich bewiesen.
Unter der Federführung der Bundeskanzlerin Angela
Merkel haben wir uns für einen Aufbau einer neuen klaren Finanzmarktarchitektur entschieden. Dies hilft auch
direkt den Entwicklungs- und Schwellenländern, denen
1 Billion US-Dollar zur Verfügung gestellt wurden. Damit sollen unter anderem die Mittel für den Internationalen Währungsfonds aufgestockt werden. Weiteres Ziel ist,
über Garantien den Welthandel wieder in Schwung zu
bringen - ein Signal an unsere Partnerländer. Allein dafür sollen 250 Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden. Angela Merkel garantiert dafür, dass Deutschland
sich mit rund 60 Milliarden US-Dollar beteiligt. Sie liegt
richtig, wenn sie von einem „Sieg für die globale Zusammenarbeit“ spricht. Ich bin darüber hinaus der Meinung,
dass es auch ein Sieg der Vernunft ist. Die Dinge, die uns
in die Krise gestürzt haben, dürfen sich nicht wiederholen.
Die dort beschlossene Stärkung des IWF und der Weltbank zeigt auch, dass wir solidarisch sind. Deshalb vertrauen auch nach dem ARD-Deutschlandtrend 76 Prozent der Bundesbürger auf die globalen und deutschen
Hilfen zur Selbsthilfe, die die Bundeskanzlerin für unsere
Partnerländer mit diplomatischem Geschick ausgehandelt hat.
Meine Darstellung macht klar, dass die Forderungen
der Grünen in dem vorliegenden Antrag also schon erfüllt
sind. Deutschland packt verantwortungsvoll für die Entwicklungsländer an. Gleiches gilt für die anderen Forde24776
rungen aus dem Antrag, die wie ein entwicklungsprogrammatischer Blumenstrauß aussehen: von jedem
etwas, ohne Zusammenhang, ohne roten Faden, oft nur
durch die ideologische Brille, dabei wenig Konstruktives
oder gar Neues. Dagegen hat die Große Koalition unter
der Federführung des Abgeordneten Walter Riester einen
eindrucksvollen Antrag zur Sicherung der sozialen
Sicherheit verabschiedet. Mittel für ökologische, menschenrechtliche und soziale Standards wurden an vielen
Stellen der Haushalte der letzten vier Jahre programmatisch manifestiert. Hier sind die Mittel für Biodiversität,
Deutsche Welle und Goethe-Institute oder im Bereich der
Mikroversicherungen zu nennen. Die Grünen-Forderungen - nicht mehr als alte Forderungen!
Trotzdem ist die Diskussion, die der Antrag heute auslöst, sinnvoll, da wir uns wieder und wieder auf die Krise
und ihre Folgen besinnen müssen. Henry Kissinger hat
vor kurzem gesagt: Die Krise ist eine Chance zur Besinnung. - Dieses Motto gilt auch für die Entwicklungspolitik. Wo stehen wir und was muss geschehen, damit wir die
Entwicklungsziele der Millenniumserklärung trotz der
derzeitigen Krise erreichen?
Seit 2005 hat die Große Koalition in der EZ mehr erreicht als unter sieben Jahren Rot-Grün. Dies liegt zum
einen an vielen engagierten Entwicklungspolitikern aus
dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und nicht zuletzt auch an der Bundeskanzlerin, die als erste Kanzlerin aktiv Entwicklungspolitik betrieben hat. Es ist uns daher leichtgefallen, neue Impulse
zu setzen. Endlich ist das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“
ein entscheidender Bestandteil unserer Entwicklungszusammenarbeit geworden. Wir haben es geschafft, die
schöpferische Kraft der Menschen in den Entwicklungsländern zur Entfaltung bringen zu können. Dazu gibt es
zwei Ansatzpunkte: zum einen direkt bei den Menschen
und zum anderen an den Rahmenbedingungen.
Der Schlüsselsektor für die Hilfe am Menschen ist die
Bildung in all ihren Ausprägungen. Dies gilt ebenso für
die Förderung der ländlichen Entwicklung, die wir unter
Rot-Grün immer gefordert und in der Großen Koalition
endlich umgesetzt haben.
Entscheidend sind aber auch die Rahmenbedingungen. Wir können manchen Ländern noch so viel Geld geben: Es wird nichts nützen. Ganz im Gegenteil! Ich
möchte deshalb fünf Faktoren nennen, die für mich unabdingbar sind, wenn wir die Chance nutzen wollen, globale Armut zu bekämpfen:
Erstens. Wir müssen das Grundziel „gute Regierungsführung“ mit allen Mitteln, die wir zu Verfügung stellen
können, unterstützen. Egal, wie korrupt ein Regime ist,
bei der Zusammenarbeit darf es keine doppelten Standards geben. Unsere Wertvorstellungen sind maßgeblich.
Eigenverantwortlichkeit der Partnerländer ist kein Freibrief und keine Einbahnstraße!
Zweitens. Ohne Wirtschaftswachstum in den betroffenen Ländern haben wir keine Chance, die Entwicklungsziele zu erreichen. Wir brauchen Wirtschaftsorientierung
in unseren Partnerländern, aber auch in der Konzeption
des BMZ.
Drittens. Handelspolitik. Auch dieses Thema greift der
Antrag auf. Nicht ganz überraschend arbeiten wir in der
Großen Koalition schon an den Problemen, die die Grünen hier aufwerfen. Die WTO-Handelsrunde muss zum
Abschluss gebracht, Exportsubventionen müssen verringert werden. Umweltdumping und Leiharbeit darf es
nicht geben. Ich glaube, wir haben hier Konsens. Die
Bundesregierung bezieht hier eindeutig Stellung. Die
Forderungen aus dem Antrag unterstützen die Position
der Regierung nur ein weiteres Mal.
Viertens. Der größte Feind der Entwicklung ist der
Krieg. Umgekehrt gibt es keine Sicherheit ohne Entwicklung. Wir müssen daher mehr Formen der Friedensschaffung entwickeln. Streitschlichtung auf allen Ebenen der
Verwaltung ist dabei ein Stichwort, das noch stärker in
der Konzeption des BMZ umgesetzt werden muss.
Fünftens. Der Antrag mahnt richtigerweise an, dass
die Koordination und Arbeitsteilung vorangetrieben werden. Ob EU, multilateral oder bilateral zwischen den Geberländern - die Aufgaben sind groß, aber sie werden
derzeit aktiv konzeptionell bearbeitet. Die Große Koalition steht für die Umsetzung einer schlagkräftigen Entwicklungspolitik, und das ist auch im Koalitionsvertrag
verankert. Wir erfüllen somit auch diese Forderung aus
dem Antrag.
Die derzeitige Krise beinhaltet vielleicht auch eine
Chance für eine Umorientierung im Kampf gegen Hunger
und Armut. Anstatt viele schon umgesetzte und im Umbau
befindliche Aspekte der internationalen Entwicklungszusammenarbeit in ihrem Antrag zu fordern, hätten die Grünen vielleicht dieser Idee mehr Engagement entgegenbringen können: Es ist die Frage, wie es die armen
Länder schaffen können, die eigenen Finanzmärkte und
Kapitalmärkte so zu gestalten, dass die eigenen Ersparnisse, das eigene Kapital besser zu mobilisieren und zu
nutzen sind. Dabei steht auch die Frage der regionalen
Märkte und der verstärkten Kooperation untereinander
im Mittelpunkt. Die Fehler, die wir gemacht haben, dürfen die Entwicklungsländer miteinander nicht auch begehen. Das Kapital der Entwicklungsländer darf nicht wie
in den letzten Jahrzehnten in den Westen abfließen. Das,
was vorhanden ist oder produziert wird, muss in den Entwicklungs- und Schwellenländern gehalten und dort investiert werden. Dies gilt ebenso für alle anderen Bereiche des wirtschaftlichen und ökologischen Handelns.
Bestes Beispiel daher ist die Rohstoffpolitik.
Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich in ihrer
Konzeption der letzten Jahre deutlich verbessert. Wir haben viel geschafft. Für mich ist es wichtig, dass wir das
Alleinstellungsmerkmal der deutschen EZ massiv gestärkt haben. Dies soll auch in der nächsten Wahlperiode
das Ziel aller Entwicklungspolitiker sein.
Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise für die
Entwicklungsländer werden derzeit in Politik und Wis-
senschaft heftig diskutiert. Der Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen greift dieses Thema ambitioniert auf und un-
terstreicht im Großen und Ganzen die Anstrengungen der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Insgesamt führt
Zu Protokoll gegebene Reden
jedoch der Antrag mit einem ganzen Konglomerat an ent-
wicklungspolitischen Themen über sein Ziel hinaus. Eine
solide Strategie, wie den Entwicklungsländern in ihrer
jetzigen Situation gezielt unter die Arme gegriffen werden
kann, zeigt der Grünenantrag nicht auf. Zu holzschnitt-
artig fallen hier die Antworten auf die Wirtschafts- und
Finanzkrise aus.
Maßgebliche Initiativen der Weltbank, des IWF und
der regionalen Entwicklungsbanken zur Abfederung der
Krise bleiben unerwähnt. Zudem führt die Beschränkung
auf Entwicklungsländer in die Irre. Einzelne Schwellen-
länder sind ebenso wie einzelne Entwicklungsländer in
ganz unterschiedlichem, manchmal sogar entgegenge-
setztem Ausmaß betroffen als andere Länder aus ihrer
Gruppe. Zentrale Bestimmungsfaktoren für die Schwere
der „Ansteckung“ an der Wirtschafts- und Finanzkrise
sind vielmehr der Grad der Integration eines Landes in
den Welthandel und Weltfinanzmarkt, die Abhängigkeit
von Agrar- und Rohstoffimporten bzw. Exporten, der in-
ternationale Verschuldungsgrad, die Größe des Binnen-
marktes, die Wirtschaftsstruktur, die aktuelle Perfomance
der heimischen Wirtschaft etc. Diese Unterscheidungen
laufen quer zu den klassischen Ländergruppeneinteilun-
gen. Deshalb ist jede Forderung in diesem Antrag für
manche Länder zutreffend und für andere nicht. Die Aus-
führungen zu den folgenden Punkten sollen dies verdeut-
lichen.
Zu Forderung 1: Die Konjunkturprogramme der Bun-
desregierung sehen im nationalen Rahmen Investitionen
hauptsächlich in Bau und Verkehr vor. Vor allem die
energetischen Sanierungen kommen dem Klimaschutz zu-
gute, von dem letztlich auch die Entwicklungs- und
Schwellenländer profitieren. Darüber hinaus wurde im
Konjunkturpaket II beschlossen, der Weltbank 100 Mil-
lionen Euro für einen Infrastrukturfonds zur Abfederung
der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise für die ärms-
ten Länder der Welt zur Verfügung zu stellen. Eine weitere
Million Euro wurde im Rahmen des G-20-Gipfels für die
Entwicklungsländer durch die Bundesregierung zugesi-
chert. Wenn in diesem Zusammenhang also von Markt-
verzerrungen gesprochen werden könnte, dann höchsten
auf nationaler Ebene, nicht jedoch auf internationaler.
Zu Forderung 2/4: Die meisten Entwicklungs- und
Schwellenländer wurden bisher hauptsächlich über den
monetären Wirkungskanal „infiziert“. Um die weitere
Ausbreitung zu begrenzen, ist es daher erforderlich, vor
allem auch in diesem Bereich schnell wirksame Gegen-
maßnahmen zu ergreifen. Deutschland ist sich hier seiner
Verantwortung bewusst und unternimmt bereits entspre-
chende Anstrengungen.
So haben BMZ und KfW gemeinsam mit der Weltbank-
tochter IFC und der holländischen Entwicklungsbank
FMO die „Microfinance Enhancement Facility“
konzipiert und aufgelegt. Die Fazilität stellt soliden,
zielgruppenorientierten Mikrofinanzinstitutionen Refi-
nanzierungen zur Verfügung, um die krisenbedingte
Liquiditätsklemme zu überbrücken. Diese Maßnahme
verfolgt die Absicht, die negativen Konsequenzen für Ein-
kommen, Beschäftigung und Armutssituation in den Part-
nerländern zu mildern bzw. abzuwenden.
Um das Angebot von Währungsabsicherungen für Un-
ternehmen in Entwicklungsländern zu erweitern, hat die
Bundesregierung bereits Ende 2008 Mittel zur Stärkung
des Eigenkapitals des Lokalwährungsfonds TCX zur Ver-
fügung gestellt. Ziel ist hier eine Abfederung der krisen-
bedingten starken Abwertung der lokalen Währungen für
Unternehmen, die ihre Einnahmen in der lokalen Wäh-
rung erwirtschaften.
Grundsätzlich kommt es auf folgende vier Punkte an,
in denen die Bundesregierung aktiv ist: a) Stärkung der
nationalen Banken- und Finanzmarktaufsicht, b) Etablie-
rung eines länderübergreifenden Krisenmanagements bei
Finanzkrisen, c) Auf- und Ausbau von nationalen Kredit-
registern, d) Entwicklung von Standards für „Responsible Banking“.
Zu Forderung 3 betreffs ODA: Ein wesentliches Ergebnis der Anfang Dezember 2009 durchgeführten DohaKonferenz zur Entwicklungsfinanzierung war, dass die
Geberländer trotz der absehbaren Rezession an den Plänen zur Steigerung der Entwicklungshilfezusagen festhalten wollen. Dieser Grundkonsens wurde bis dato nicht infrage gestellt.
Zu Forderung 5/Forderung 6: Hier bietet der Antrag
keine wesentlich neuen Aspekte. Die Bundesregierung
hat bereits mehrfach betont, dass es erforderlich ist, auch
solche laufenden Kosten verstärkt mitzufinanzieren, die
zur Aufrechterhaltung der Sozialsysteme ({0}) bzw. zur Bestandssicherung von Strukturen erforderlich sind, die mithilfe der Entwicklungszusammenarbeit in den vergangenen Jahrzehnten mühsam
aufgebaut wurden. Hinzu kommt die Intensivierung von
sozialen Abfederungsmaßnahmen wie beispielsweise
Food-for-Work-Programme, Cash-Transfers und Schulspeisungen. Apropos können diese Maßnahmen mühelos
sehr kurzfristig umgesetzt werden, indem bereits bestehende Programme aufgestockt und ausgeweitet werden.
Im Übrigen fehlen in diesem Antrag die entscheidenden
Initiativen der Bundesregierung im Bereich der technischen Zusammenarbeit ({1}) und des capacity building.
Beide Komponenten befähigen die betreffenden Länder
in ihren Kompetenzen zur festen Etablierung von GoodGovernance-Strukturen.
Zu Forderung 4/7: Die Bundesregierung setzt sich in
der Entwicklungszusammenarbeit mit den Partnerländern gerade während der Finanz- und Wirtschaftskrise
anhaltend dafür ein, Kleinsparer zu schützen, den lokalen
Bankensektor vor dem Zusammenbruch zu bewahren und
lokalen Unternehmen weiterhin Zugang zu Kredit und zu
Währungsabsicherungsmöglichkeiten zu bieten. Dabei
obliegt es der Verantwortung der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken, ihren weiterhin guten Zugang zur Refinanzierung zu nutzen, um antizyklisch zu
agieren und den Entwicklungsländern das nötige Geld
zur Fortführung ihrer Armutsbekämpfungsprogramme
zur Verfügung zu stellen. Ich sehe zum Beispiel die Verbesserungsmöglichkeit, ihren Sektorprogrammen entsprechende Auflagen mit Blick auf eine effektivere Regulierung der nationalen Finanzmärkte aufzuerlegen.
Den Entwicklungs- und Schwellenländern ist in der gegenwärtigen Situation vor allem geholfen, wenn die reZu Protokoll gegebene Reden
gionalen Entwicklungsbanken ihr Angebot an Lokalwährungsfinanzierungen ausbauen und so die von
Wechselkursschwankungen ausgehenden Risiken minimieren. Die Kapitalausstattung von Weltbank und regionalen Entwicklungsbanken befindet sich im Übrigen in
einem hervorragenden Zustand, sodass ich im Augenblick die Notwendigkeit für eine weitere Kapitalaufstockung nicht sehe. Die Weltbank plant gegenwärtig die
Ausleihungen zur Krisenabfederung um bis zu 100 Milliarden US-Dollar innerhalb von drei Jahren zu erhöhen. Allein die Weltbanktochter IFC will vier spezielle Krisenabfederungsinitiativen für die Bereiche Handelsfinanzierung,
Bankenrekapitalisierung, Infrastruktur und Beratungsmaßnahmen auflegen. Der IWF plant die Einrichtung einer
Short Term Liquidity Facility ({2}). Die regionalen Entwicklungsbanken planen ebenfalls, ihre Ausleihungen
drastisch zu erhöhen.
Zu Forderung 8: Einen Schuldenerlass für Länder zu
erreichen, deren politische Handlungsfähigkeit infolge
überhöhter Schulden gefährdet ist, gehört bereits im Augenblick in die Zielsetzung der erweiterten HIPC-Initiative. Die Bundesregierung hatte dafür damals maßgeblich ihren Einfluss geltend gemacht. Darüber hinaus
stehen der internationalen Gemeinschaft mit dem Pariser
und Londoner Club weitere Institutionen zur internationalen Umschuldung zur Verfügung. Ziel der Bundesregierung muss es heute sein, die Beschlüsse des Londoner G-20-Gipfels hinsichtlich der Kredithilfen für
Entwicklungs- und Schwellenländer von multi- und bilateralen Gebern zügig umzusetzen.
Zu Forderung 9: Die ausschließliche Forderung nach
einem internationalen Insolvenzverfahren verkennt die
Komplexität dieses Verlangens und würde letztlich nur
bedeuten, das „Pferd von hinten aufzuzäumen“. Denn zunächst bedarf es der Ausarbeitung von Prinzipien und Regeln für die Schaffung eines internationalen Insolvenzrechts für Staaten. Darüber hinaus ist es auch zunächst
sinnvoll zu prüfen, ob nicht die bestehenden Strukturen
und Mechanismen zur Regelung von internationalen Insolvenzverfahren verbessert werden können. Im Übrigen
hat sich die Stiglitz-Kommission unter Beteiligung der
Bundesregierung bereits im März für die Einrichtung eines internationalen Insolvenz-Streitbeilegungsorgans
ausgesprochen.
Zu Forderung 10: Die Bundesregierung verfolgt hier
im Rahmen der Europäischen Union klar eine deutliche
Linie, die auf einen zügigen Abschluss der WTO-Handelsrunde abzielt. Eine Gruppe des BMWi arbeitet in
Brüssel laufend daran, den Prozess weiter voranzutreiben. Auf Initiative der Bundesregierung wurde nach dem
Abbruch der Doha-Gespräche im Sommer 2008 versucht,
eine Ministerkonferenz im Dezember einzuberufen, um
den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Im Augenblick
hängt der Prozess vor allem wegen der Positionen der
USA, Chinas und Indiens. Zumindest hat in den vergangenen Wochen der neue Handelsvertreter der Vereinigten
Staaten Ron Kirk sich in einem positiven Tonfall zur
WTO-Welthandelsrunde geäußert, was die Hoffnung auf
einen baldigen Abschluss nähren könnte. Innerhalb der
EU sind bis auf die Implementierung der geografischen
Herkunftsangaben die Positionen eindeutig, und das
nicht zuletzt dank der Anstrengungen der Bundesregierung.
Der Antrag der Grünen ist insgesamt zu begrüßen, da
er darauf abzielt, wie in der Wirtschafts- und Finanzkrise
den Entwicklungsländern unterstützend zur Seite gestanden werden kann. Erforderlich wäre es dennoch gewesen,
die Forderungen an die Bundesregierung stringenter zu
formulieren. Die Durchmischung vielfältiger entwicklungspolitischer Themen macht es schwierig, konkrete
Handlungsanweisungen für die Bundesregierung abzuleiten. Demzufolge kratzt der Antrag an vielen Stellen nur
an der Oberfläche, ohne eine wirklich erkennbare Linie
aufzuzeigen. Zudem spiegelt er Aussagen und Maßnahmen der Bundesregierung wieder, die bereits jetzt schon
politisch verfolgt werden und gewollt sind.
Im Zuge der Asien-Krise in den 90er-Jahren kann ich
mich noch gut an eine Metapher erinnern. So befürchtete
man zu Beginn der Finanzkrise in Asien, dass „der Flügelschlag eines Schmetterlings im Pazifik einen Wirbelsturm am anderen Ende der Welt auslösen würde“. Glücklicherweise blieb damals die Krise größtenteils regional, und der Rest der Welt blieb überwiegend verschont. Doch ein Jahrzehnt später ist der Schmetterling
zurück und hat mit seinen gewaltigen Flügelschlägen an
der Wall Street die ganze Welt in Unordnung gebracht,
auch in Timbuktu, Pôrto Alegre und Kuala Lumpur.
Über die Ursachen der momentanen Finanzkrise kann
man sich streiten. Fakt ist: Eine Tragik wird wieder einmal deutlich: Die Finanzkrise fand ihren Ursprung in den
Büros der Investmentbanker und Börsendealer der Industrieländer, doch die größten Leidtragenden sind die
Ärmsten der Armen in den Slums und Baracken der über
90 Entwicklungs- und Schwellenländer. Jüngsten Schätzungen der Weltbank zufolge erhöht sich die Zahl der absolut Armen aufgrund der Finanzkrise in diesem Jahr um
bis zu 100 Millionen! Noch tragischer ist, dass Entwicklungsländer bestraft werden, die vieles richtig gemacht
haben. Sie haben eine deutlich gute makroökonomische
Politik verfolgt und sich aktiv in den internationalen Handels- und Finanzmarkt integriert. Ausgerechnet diese
Länder kriegen die Folgen der Krise sehr schmerzhaft zu
spüren.
Für mich steht fest: Bei der derzeitigen Finanzkrise
handelt es sich um einen Systemfehler. Und ein Systemfehler kann nur mit einer Systemlösung behoben werden.
Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise hat den neoliberalen Glauben an die Selbstheilungskräfte der Märkte
erschüttert. Das neoliberale System hat versagt. Neue
Wirtschaftsdenker brauchen wir in Washington, Brüssel
und den Hauptstädten der Welt. Ein neues - armutsminderndes und gerechtes - System ist dringend notwendig.
Dabei sind nicht nur Finanzmanager und Finanzpolitiker
gefordert. Auch - und besonders - wir als Entwicklungspolitiker sind an dieser Stelle gefragt. Denn nicht umsonst
verstehen wir Sozialdemokraten Entwicklungszusammenarbeit als globale Strukturpolitik, die zu mehr Gerechtigkeit und Wohlstand führen soll.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die ersten teils vielversprechenden Beschlüsse auf den
beiden G-20-Gipfeln in Washington und London sind gefallen. Doch unser Weltfinanzsystem besteht aus weit
mehr als nur aus 20 Staaten. Durchaus ungeachtet von
der Öffentlichkeit wird in New York derzeit eine UN-Konferenz geplant, die alle Staaten der Weltgemeinschaft an
einen Tisch bringen und sich mit den Auswirkungen der
Finanzkrise befassen soll, ein sozusagen G-190-Gipfel,
der das System reformieren möchte.
In diesem Zusammenhang möchte ich unsere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul loben. Als
Mitglied der UN-Expertenkommission zur Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems unter der
Leitung des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz hat sie wieder einmal gezeigt, dass Deutschland an einer globalen
Antwort auf die Finanzkrise interessiert ist. Dieses 16-köpfige hochrangige Gremium hat die desolate Finanzsituation akribisch analysiert und entsprechende politische
Reaktionsmaßnahmen formuliert, die alle Staaten der
Weltgemeinschaft betreffen. Unter anderem heißt es im
Abschlussbericht, dass nationalstaatliche Bestrebungen,
die zu mehr Protektionismus führen, genau die falsche
Reaktion sind. Genauso wenig sind momentan neue handelsverzerrende Subventionen im Agrarbereich gefragt,
wie sie derzeit im Bereich der Milchexportsubventionen
von der EU wieder eingeführt werden.
Falsch reagiert haben bisher auch die Industrieländer
Italien und die Schweiz. Beide Länder haben als Reaktion
auf die Finanzkrise beschlossen, ihre Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit drastisch zu kürzen. Ein fataler Fehler und ein sicherlich verkehrtes Zeichen an den
Rest der Welt! Die Entwicklungsländer wollen auf Dauer
keine Almosen. Nein, sie wollen nur endlich gerechte und
gleiche Bedingungen, sich in den internationalen Warenund Finanzmarkt zu integrieren.
Ich möchte nun abschließend auf den uns vorliegenden
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kurz eingehen. Ganz treu ihrer Programmatik haben die Kollegen
der Oppositionsfraktion mit ihrem Antrag nichts anderes
gemacht, als unsere sozialdemokratischen Anträge zu recyceln! Denn die im Grünen-Antrag enthaltenen Forderungen spiegeln von uns längst beschlossene Anträge wider. Einen erfolgreichen und entwicklungsorientierten
Abschluss der derzeit laufenden Welthandelsrunde fordern wir längst, und wir setzen uns offensiv hierfür ein.
Auf die Problematik der Rücküberweisung von Migranten
in ihre Herkunftsländer haben wir bereits in einem Bundestagsbeschluss hingewiesen und entsprechende Lösungen geboten. Ebenso können wir tiefgreifende Anträge zu
den Themen „Ländliche Entwicklung“ und „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ vorweisen.
Als Entwicklungspolitiker haben wir nicht nur eine
„Daseinsberechtigung“, weil wir Menschen helfen wollen, ihre Situation zu verbessern. Nein, wir setzen uns
auch dafür ein, Finanzwirbelstürme zu vermeiden, die
vom Flügelschlag eines Schmetterlings entstehen und
Millionen von Menschen in die Armut reißen können.
Wir Entwicklungspolitiker wissen es schon lange: Die
Bekämpfung der großen globalen Probleme wie Umweltzerstörung, Klimawandel, organisierte Kriminalität,
Korruption, internationaler Terrorismus, Bürgerkriege,
Menschenrechtsverletzungen und Flüchtlingsströme liegt
im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft. Globale
Krisen sind nicht nur, aber auch unsere Krisen. Die Ärmsten der Armen sind von diesen Katastrophen jedoch stets
am härtesten betroffen.
Jetzt ist es die durch Finanzspekulationen in den Industrieländern ausgelöste Wirtschafts- und Finanzkrise,
deren realwirtschaftlichen Auswirkungen wieder die Entwicklungs- und Schwellenländer besonders hart treffen.
Eine Folge sind leider auch der Anstieg der Zahl der an
Hunger leidenden Menschen auf wohl über eine Milliarde
Menschen, Massenarbeitslosigkeit und hohe Staatsverschuldungen der Entwicklungsländer über die kommenden Jahre. Wir müssen davon ausgehen, dass die
Situation sich noch weiter verschärfen wird, da die Auswirkungen solcher wirtschaftlichen Verwerfungen auf die
Entwicklungsländer dort erst zeitverzögert auftreten.
Die Krise hat uns das Ausmaß der globalen Vernetzungen, aber auch die besondere Verletzlichkeit der Entwicklungsländer noch einmal klar vor Augen geführt. Jetzt gilt
es, die Krise als Chance für die notwendigen Reformen in
der Entwicklungspolitik zu nutzen. Notwendig sind neue
Ideen und Konzepte, wie wir kurzfristig den Ärmsten der
Armen aus der unmittelbaren Not heraushelfen und wie
wir langfristig Entwicklungs- und Schwellenländer krisen- und widerstandsfester machen.
Aber gerade an diesen Konzepten fehlt es. Auch ein
halbes Jahr seit Beginn der Krise lassen die Bundesregierung und allen voran das BMZ ein wirksames Krisenmanagement vermissen. Dabei geht es darum, die Folgen
der Krise für die am stärksten gefährdeten Gruppen abzufedern sowie die Förderung der Wirtschaftstätigkeit
und Beschäftigung, zum Beispiel durch die Stärkung der
Landwirtschaft, zu unterstützen. Während die EU-Kommission frühzeitig das Heft des Handels übernommen hat
und eine Neuausrichtung der Prioritäten gefordert hat,
gibt es keine vergleichbaren Konzepte aus dem BMZ.
Auch der Antrag der Grünen glänzt nicht gerade mit
neuen Ideen, sondern fordert, wie so häufig erneut „immer mehr vom selben“: mehr Geld, schnellerer Abfluss
der Mittel, Schuldenerlasse etc. Das ist die Politik der
vergangenen zehn Jahre. Auch vor der Krise zeigten sich
diese Konzepte als wenig tauglich, um die Armut in Regionen wie Subsahara-Afrika nachhaltig zu verringern.
Fällt Ihnen denn nichts Besseres ein?
Tatsächlich ist es aber auch zunächst die Aufgabe der
Bundesregierung, derartige Konzepte zu entwickeln und
umzusetzen. Die einzigen Maßnahmen, die wir bisher erlebt haben, sind ein Flickenteppich von nebeneinander
stehenden, nicht zusammenhängenden Einzelaktionen.
Ein Akt der Hilflosigkeit war etwa die Gewährung eines
zusätzlichen Beitrages von 100 Millionen Euro für den
Infrastrukturfonds der Weltbank im Rahmen des Konjukturpaketes II. Ich bin mal sehr gespannt auf die Evaluierung dieser Maßnahmen im Hinblick auf die Umsetzung
der Entwicklungs-Jahrtausendziele einerseits und der
Konjunkturziele andererseits. Die vergangenen Jahre haben doch gezeigt, dass allen Bemühungen zum Trotz die
Zu Protokoll gegebene Reden
Ärmsten der Armen, zum Beispiel in Subsahara-Afrika,
nicht von dieser Art der Armutsbekämpfung profitieren.
Diese Krise hat vielmehr verdeutlicht, wie schädlich die
wachsende finanzielle Abhängigkeit der Empfängerländer von den Industrieländern ist.
Vorrangiges Ziel jeder entwicklungspolitischen Maßnahme muss daher jetzt die Armutsursachenbekämpfung
sein. Jeder Bürger eines Entwicklungslandes muss in die
Lage versetzt werden, sich mit eigener Arbeit selbst zu ernähren, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Der
Schwerpunkt muss daher auf der wirtschaftlichen Entwicklung liegen, das heißt auf der Unterstützung von sich
selbst tragenden Wirtschaftskreisläufen. Das ist eine
nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit, die Entwicklungsländer viel besser ausrüstet, um solche Krisen zu
überwinden.
Wir brauchen eine umfassende Debatte auf nationaler,
europäischer und internationaler Ebene, wie wir mit den
Mitteln höhere Wirksamkeit erreichen können. Statt einer
Erhöhungsdebatte brauchen wir jetzt eine Effizienzdebatte. Denn mit den Auswirkungen der Wirtschafts- und
Finanzkrise wächst auch der Erfolgsdruck der deutschen
und internationalen Entwicklungszusammenarbeit, den
Nachweis zu erbringen, dass sich die Armut verringert
und sich die Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern auch tatsächlich verbessert haben.
Als Liberale unterstützen wir die Forderung der Grünen in dem Antrag, die laufende WTO-Runde abzuschließen und die EU-Agrarsubventionen abzubauen. Denn
von einem freien Handel profitieren vor allem die Entwicklungsländer und die kleinbäuerliche Landwirtschaft.
Aus agrar- und entwicklungspolitischer Sicht ist es wichtig und notwendig, dass die laufende WTO-Runde zu einem weiteren Abbau des Agrarprotektionismus in allen
beteiligten Ländern führt. Flankierend müssen die kleinbäuerlichen Betriebe in den Entwicklungsländern über
die verschiedenen Entwicklungshilfeorganisationen besonders unterstützt werden.
Die Bundesregierung hat weder Krisenmanagement
betrieben noch neue Konzepte zur Bewältigung der Krise
beschlossen. Ich kann das BMZ nur dringend auffordern,
schleunigst zu handeln. Die Krise ist noch nicht vorüber
und der Hunger in der Welt wartet nicht darauf, bis
Deutschland endlich wieder eine handlungsfähige Koalition und eine tatkräftige Regierung hat, die handelt, anstatt nur zu reden. Handeln Sie jetzt!
Die Menschen in den Ländern des Südens sind nicht
erst im Zuge der aktuellen Krise zu Opfern dieser Weltwirtschaftsordnung geworden, sie waren es auch schon in
Zeiten des Wachstums. 500 Jahre Kolonialisierung und
kapitalistische Globalisierung haben Abhängigkeit und
Entwicklungsblockade im Süden zur Voraussetzung für
Wachstum und Wohlstand im Norden gemacht. Umso unbarmherziger schlägt die aktuelle Finanzmarkt-, Produktions- und Klimakrise auf die Länder des Südens durch.
Wir brauchen deshalb völlig neue Ansätze für eine Weltwirtschafts- und -finanzordnung, die sozial und ökologisch nachhaltig gestaltet und demokratisch kontrolliert
wird.
Einige der im Antrag der Grünen aufgestellten Forderungen unterstützen wir: Die Linke fordert ebenfalls ein
internationales Insolvenzverfahren, den Abbau der
Agrarexportsubventionen und konkrete Schritte zur Erhöhung der ODA-Quote. Andere Forderungen sind viel zu
defensiv formuliert: Die Grünen fordern „keiner Verschärfung der Migrationspolitik der Europäischen Union
[…] zuzustimmen“ oder „weitere Schuldenerlasse bei
Entwicklungsländern in Erwägung zu ziehen“ - dies ist
halbherzig und das kritisieren wir.
Dass die Aufstockung der IWF-Mittel ein Ansatz zur
Stabilisierung der Entwicklungs- und Schwellenländer
sei, wie in der Begründung des Grünen-Antrags behauptet wird, sehen wir nicht. Nicht nur mit Blick auf die Vergangenheit des IWF, sondern auch mit einem differenzierten Blick auf die jüngsten umfangreichen Kreditvergaben
- vor allem an osteuropäische Länder - sehen wir vielmehr die Gefahr, dass sich ein altes Muster unheilvoll
wiederholt: Die Kreditnehmer treiben in die Schuldenfalle, der IWF - vor kurzem noch als Auslaufmodell gehandelt und im Begriff, von regionalen Banken abgelöst
zu werden - wird wieder zum obersten Schuldeneintreiber, der direkten Einfluss auf die wirtschaftliche Ordnung
der von ihm abhängigen Staaten nimmt und dort eine
überwiegend prozyklische Wirtschaftspolitik durchsetzt.
Die Linke fordert, dass die gegenwärtige Krise genutzt
wird, grundlegend über eine Neuordnung des Weltfinanzmarktes nachzudenken. Die Debatte ist längst im vollen
Gange. Die Linke fordert feste Wechselkurse, eine unabhängige Leitwährung, die vollständige Einordnung von
IWF und Weltbank in das UN-System und die Stärkung
von Fazilitäten, die regionale Lösungen anbieten. Konkrete Alternativen sind bereits sichtbar, zum Beispiel die
von Venezuela initiierte Banco del Sur. Diese müssen unterstützt werden.
Anders als die Grünen hat die Linke eine grundsätzliche Kritik an der Handelspolitik der Europäischen
Union. In der Handelspolitik sind die neoliberalen Dogmen noch nicht hinterfragt. Im Gegenteil: Ungeachtet der
Krisenerfahrungen setzt die EU weiter darauf, in den
Partnerländern im Süden Dienstleistungen, darunter
auch die Finanzdienstleistungen, zu liberalisieren. Die
Forderung nach mehr Flexibilität in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ist uns deshalb zu defensiv. Die
ganze Richtung stimmt nicht! Die Linke unterstützt die
Forderung nach Neuverhandlung unter einem anderen
Mandat, wie sie in vielen AKP-Staaten erhoben wird, und
wir werden uns der Ratifizierung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen widersetzen. Wir hoffen dabei - trotz
gegenteiliger Erfahrungen - auf die Unterstützung der
Grünen.
Insgesamt greifen die Vorschläge des vorliegenden
Antrags zu kurz, wenn sie den Anspruch erfüllen sollen,
„Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise ({0}) unterstützen“, wie es im
Titel heißt. Nachhaltige Lösungen müssen viel grundsätzlicher an den Krisenursachen ansetzen. Im Vorfeld der
UN-Gipfelkonferenz zur Finanzmarktkrise sollten wir die
Zu Protokoll gegebene Reden
Heike Häns
Gelegenheit nutzen, solche Fragen, die ja international
durchaus auf der Tagesordnung stehen, auch hier im Bundestag zu diskutieren.
Die Stiglitz-Kommission hat einige interessante
Anstöße dazu gegeben, unter anderem für ein globales
Konjunkturprogramm und zur Neujustierung der internationalen Kreditvergabemechanismen. Die UN-Gipfelkonferenz Ende Juni könnte nun die Chance zu sehr weitreichenden Festlegungen bieten. Die Linke begrüßt, dass
hier erstmals nicht die nur Krisenverursacher, sondern
mehrheitlich die Krisenopfer über die Bewältigung der
Krise und neue Regulationen verhandeln werden. Deshalb müssen von dieser Konferenz auch starke Botschaften ausgehen, die den Anspruch auf Regelungskompetenz
der UN untermauern. Der Präsident der UN-Vollversammlung, Pater Miguel d’Escoto Brockmann aus Nicaragua, hat bereits sehr weitreichende Vorschläge eingebracht, unter anderem die Ablösung des Dollars als
Reservewährung. Auch die künftige Rolle des Internationalen Währungsfonds hat d’Escoto sehr grundsätzlich infrage gestellt. Für uns weisen diese Vorschläge in die
richtige Richtung. Die Linke unterstützt auch seine Forderungen nach globalen Steuern auf Kohlendioxid und
Finanztransaktionen.
Allerdings - wenig überraschend - hat d’Escoto für
seine Vorschläge starken Gegenwind aus den Staaten des
Nordens geerntet. Ich fordere die Bundesregierung auf,
bei den laufenden Verhandlungen über das Abschlussdokument die fortschrittlichen Ansätze aus dem d’EscotoEntwurf zu unterstützen und sich dafür einzusetzen, dass
der UN-Gipfel konkrete Wege in eine andere Weltwirtschaftsordnung aufzeigt. Das wäre die Voraussetzung, um
einen wirkungsvollen und vor allem nachhaltigen Beitrag
zur Bewältigung der Krisenfolgen in den Entwicklungsund Schwellenländern zu organisieren.
Nie war es klarer: Diese Welt ist auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Für uns alle ist Globalisierung zur Realität geworden - mit all ihren positiven und
negativen Folgen. Vor acht Wochen trat auf dem amerikanischen Kontinent zum ersten Mal eine neue Form des
Grippevirus H1N1, die Schweinegrippe, auf. Mittlerweile haben 48 Länder der Weltgesundheitsorganisation offiziell 13 398 Fälle von Erkrankungen gemeldet.
95 Menschen sind gestorben, alle Kontinente sind betroffen.
Vor knapp zwei Jahren begann in den USA die US-Immobilienkrise, auch „Subprime-Krise“ genannt. Was
nach einer verhältnismäßig begrenzten und begrenzbaren
Krise klang, hat sich mittlerweile ähnlich unaufhaltsam
wie die Schweinegrippe ausgebreitet. Heute klingen die
Bezeichnungen für diese Krise dramatisch: Wir reden von
einer Weltwirtschaftskrise, der schlimmsten Wirtschaftsund Finanzkrise seit 80 Jahren. Offensichtlich ist: Die
Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise sind
nicht auf einzelne Regionen oder Kontinente beschränkt.
Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wird 2009 das
gesamte Weltnationaleinkommen zurückgehen.
Dieser negative Schock der Globalisierung trifft besonders die Entwicklungsländer - also genau diejenigen
Länder, die nicht so stark in die Weltwirtschaft integriert
sind. Bereits jetzt sind aufgrund der Krise 50 Millionen
Menschen neu unter die Schwelle der absoluten Armut
gefallen. Diese Zahl könnte sich bis zum Ende des Jahres
auf 100 Millionen Menschen steigern. Die internationale
Staatengemeinschaft hat sich im Jahr 2000 verpflichtet,
acht sogenannte Millenniumsentwicklungsziele bis 2015
umzusetzen. In einigen Ländern wurden bereits deutliche
Fortschritte erzielt. Doch auch dort rückt angesichts der
jetzigen Lage der Welt ein Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele in weite Ferne.
Wir dürfen die Entwicklungsländer in dieser Situation
nicht wie so oft im Regen stehen lassen. Wir tragen ja die
Verantwortung für diese Krise, die alle - in welcher Form
auch immer - mitreißt, zumal die Auswirkungen der Krise
viele Entwicklungsländer umso härter treffen, da die aktuelle Krise unmittelbar auf eine ohnehin fragile Situation folgt. In den letzten Jahren sahen sich insbesondere
die rohstoffarmen Länder einer doppelten Belastung aus
hohen Rohstoff- und hohen Lebensmittelpreisen ausgesetzt. In Haiti führten die stark angestiegenen Preise für
Reis, Mais und andere Grundnahrungsmittel zu schweren
Ausschreitungen mit mehreren Todesopfern. In Guinea
waren die enorm gestiegenen Preise für Reis der Auslöser
eines Generalstreikes, der sich im Laufe der Zeit zum
Volksaufstand erweiterte und das Regime des Präsidenten an den Rand eines Umsturzes gebracht hatte. Paradoxerweise hat die Weltwirtschaftskrise jedoch dazu geführt, dass die Preise für Rohstoffe und damit für
Lebensmittel wieder sanken, was positiv für viele Arme
ist. Aber die rohstoffreichen Länder haben ihre Minen
und ihre Produktion herunterfahren müssen. So ist zum
Beispiel in Botswana durch den internationalen
Kaufstopp bei Diamanten der Bergbau fast auf null gesetzt worden, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind ihre Arbeit los.
Was bedeutet das konkret? Was können und müssen
wir tun, um die Entwicklungsländer bei der Bewältigung
der Krise zu unterstützen? Deutschland muss nicht nur
mit Worten, sondern auch mit Taten dafür eintreten, dass
sich die Kluft zwischen reichen und armen Ländern und
das Wohlstandsgefälle innerhalb der Länder nicht noch
weiter vergrößern. Dafür haben wir Vorschläge unterbreitet. Aus eigenen Mitteln werden viele Entwicklungsländer die Auswirkungen der Krise für ihre Bevölkerung
und ganz besonders für die verletzlichsten Gruppen wie
Frauen mit Kindern nicht abfedern können. Das Auflegen
von milliardenschweren Konjunkturprogrammen oder
auch das Begleiten durch Sozialprogramme wie in den Industrieländern und in einigen Schwellenländern ist für
sie meist undenkbar.
Wir müssen sicherstellen, dass die von den Industrieländern beschlossenen Konjunkturpakete keine negativen Folgen auf die Entwicklungsländer haben. Und: Wir
müssen den Entwicklungsländern dabei helfen, ihre Zahlungsbilanzschwierigkeiten auszugleichen. Die auf dem
G-20-Gipfel in London beschlossene Aufstockung der
Mittel für den Internationalen Währungsfonds und die
Weltbank sind dabei ein guter Schritt. Auch wenn sich die
Zu Protokoll gegebene Reden
el ({0})
Maßnahmen durch eine Konzentration auf die Wirtschaftszentren auf eine kurzfristige Stabilisierung der
Weltwirtschaft beschränken werden, werden die Entwicklungsländer positive Auswirkungen spüren.
In dieser Krise müssen wir die Weichen anders stellen:
Investitionen in die Wirtschaft dürfen auf keinen Fall zulasten des Klimaschutzes gehen oder mit Umweltzerstörung einhergehen. Die Krise wäre die Chance zu einem
Umsteuern in der Wirtschaftspolitik. Diese Gelegenheit
zu einer Modernisierung und nachhaltigen Stabilisierung
von Gesellschaften müssen wir nutzen. Wir brauchen einen weltweiten, einen Global Green New Deal, wie ihn
auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen,
UNEP, gefordert hat.
In Entwicklungsländern haben viele Menschen - insbesondere Frauen - bereits ihre Arbeitsplätze verloren,
weitere Hunderte Millionen Arbeitslose werden aller Voraussicht nach hinzukommen. Die Rücküberweisungen
von Familienangehörigen im Ausland gehen zurück. Die
Menschen in Entwicklungsländern sehen sich gezwungen, ihre wenigen persönlichen Ersparnisse aufzubrauchen. In afrikanischen und anderen Entwicklungsländern
bedeutet dies zuallererst eine drastische Reduzierung der
Einkommen von Frauen sowie der Beträge, die ihnen für
die Ernährung der Familie zur Verfügung stehen. Soziale
Sicherungsnetze, die die Menschen in Entwicklungsländern in dieser schwierigen Situation auffangen könnten,
sind ohnehin oft ungenügend vorhanden. Dabei müssen
wir uns besonders dafür engagieren, dass Entwicklungsländer beim Aufbau von sozialen Sicherungsnetzen, von
Krankenversicherungen und anderen Formen der sozialen Absicherung unterstützt werden. Unsere Maßnahmen
müssen sich auf die verwundbarsten Gruppen konzentrieren.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nicht nur das
Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Finanzinstitutionen erschüttert. Es ist an uns, zu beweisen, dass wir
fest zu unseren Verpflichtungen stehen. Die Mittel der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit ODA, Official Development Aid, müssen mit einem klar festgelegten Zeitplan kontinuierlich erhöht und das 0,7-Prozent-Ziel
endlich erreicht werden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/13003 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hier sehe ich,
Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 35:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Koczy, Britta Haßelmann, Winfried Nachtwei,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Naturlandschaft Senne erhalten - Beteiligungsrechte beim Ausbau des Truppenübungsplatzes gewährleisten
- Drucksache 16/12995 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({0})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die Kolleginnen und Kollegen Jürgen Herrmann,
Rolf Kramer, Birgit Homburger, Inge Höger und Ute
Koczy haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.
Die Naturlandschaft Senne am Rande des Teutoburger
Waldes ist ein ganz besonderer Naturraum, da stimme ich
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bündnis 90/Grünen-Fraktion, voll und ganz zu. Wir müssen sie
schützen und erhalten - auch da stimme ich Ihnen voll zu.
Wer hat sich denn aber bisher darum bemüht, diese
Naturlandschaft zu erhalten? Wer hat etwas dazu beigetragen, dass sie sich zu einem Gebiet entwickeln
konnte, in dem über 5 000 Tier- und Pflanzenarten leben?
Kurioserweise hat sich diese Naturlandschaft entfalten
können, ohne dass der Mensch hieran einen wesentlichen
Anteil genommen hat und völlig unbeeindruckt von den
wehrtechnischen Übungen, die von unseren britischen
Bündnispartnern dort seit Jahrzehnten durchgeführt werden. Ein Widerspruch? Kein Widerspruch! Ohne menschliches Einwirken gab es hier über Jahrzehnte Truppenübungen im Einklang mit der Natur. Im Einklang miteinander lebten auch die Familien der britischen
Streitkräfte und die Menschen der Anrainerkommunen.
Von den 4 000 hier stationierten britischen Soldaten profitierten das örtliche Gewerbe, der Handel und viele Bürgerinnen und Bürger. Es wurden Arbeitsplätze geschaffen, es gab einen Ausbau der Infrastruktur, und viele
mittelständische Betriebe waren Nutznießer britischer
Auftraggeber.
Wir leben in einer Demokratie, in der es immer wieder
darum geht, verschiedene berechtigte Interessen gegeneinander abzuwägen. So muss auch hier, und zwar auf der
Basis der gesetzlichen Grundlagen, abgewogen werden,
was für den Naturraum Senne, die Menschen in der Region noch verträglich ist und was gleichzeitig den berechtigten Wünschen unseres britischen Bündnispartners entspricht. Laut Art. 53 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum
Nato-Truppenstatut dürfen „Truppen innerhalb der ihnen
zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Flächen die
zu der befriedigenden Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen“. Großbritannien ist einer der wichtigsten Bündnispartner
Deutschlands, nicht zuletzt deshalb, weil er im Irak und in
Afghanistan auch mit unseren Soldaten für eine freiheitliche Ordnung und friedliche Verhältnisse kämpft. Er sichert somit auch die deutschen Interessen im Ausland und
schützt unser Land. Noch während der rot-grünen Regierung Schröder hat der ehemalige Verteidigungsminister
Peter Struck festgestellt, dass „Deutschland auch am
Hindukusch verteidigt wird“. Mit anderen Worten, er
hatte neben vielen anderen guten verteidigungspolitischen Strategen erkannt, dass unsere Sicherheit nicht an
den deutschen Grenzen endet. Wir agieren eben nicht nur
als Deutsche, sondern als Europäer und haben somit
auch die Verpflichtung, über den Tellerrand hinauszuschauen, auch wenn das mal unbequem ist. Auf der andeJürgen Herrmann
ren Seite sind wir auch die Nutznießer dieser europäischen Sicherheitsstrategie und haben die Gewissheit, im
Krisenfall auf eine breite Unterstützung zählen zu können.
Jeder Soldat, der in Krisengebieten wie Afghanistan
sein Leben lässt, ist einer zu viel, egal ob Brite oder Deutscher. Eine gute Vorbereitung auf den Ernstfall ist oberstes Gebot für den Schutz des Lebens der Soldaten im Einsatz und gewährleistet eine minimierte Verletzungsgefahr.
Die Ausbaupläne der Briten, die im Übrigen längst nicht
mehr dem entsprechen, was Sie, verehrte Kolleginnen
und Kollegen, in Ihrem Antrag formuliert haben, sondern
massiv reduziert wurden, tragen den aktuellen Anforderungen nach einer bestmöglichen Ausbildung der
Einsatzkräfte Rechnung. Auf Deutsch: Es geht um Menschenleben, und zwar täglich, denn wenn ich den Ernstfall immer wieder geübt und trainiert habe, bin ich vorbereitet, wenn es zum Schlimmsten kommt. Deshalb
planen unsere britischen Freunde den Ausbau des Geländes zu Übungszwecken und haben uns angeboten, diese
mitzunutzen. Soweit die Interessen aus gesamtdeutscher
Sicht. Wer vor diesem Hintergrund noch fragt, wo da die
Landesverteidigung stattfindet, macht die Augen zu vor
der europäischen Verantwortung, die Deutschland zusammen mit den anderen europäischen Staaten trägt.
Nun komme ich zu den Lokalinteressen der Anrainergemeinden und den rechtlichen Aspekten: Zunächst einmal kann ich feststellen, dass im Vorfeld ausführliche
Gespräche mit den Gemeindevertretern vor Ort stattgefunden haben, in denen die Pläne durch britische Offiziere detailliert erläutert wurden und in denen alle Beteiligten ihre Meinung sagen konnten. Ich selbst habe mich
ausführlich zusammen mit dem englischen Botschafter
über die Planungen ausgetauscht und bin nach diesen
Gesprächen davon überzeugt, dass es zu einer verträglichen Lösung für beide Seiten kommt. Sichtbarstes Zeichen sind die massiv reduzierten Ausbaupläne: Es
werden keine 49 Kilometer Straßen ausgebaut und
asphaltiert. Auf Höhlenkomplexe wird ganz verzichtet.
Statt zwei Schießhäusern wird nur noch eines gebaut,
statt fünf werden noch vier vorgeschobene Stützpunkte errichtet und anstatt sieben sind noch vier Übungsdörfer in
der Planung. Diese Planungen finden unter strengster
Beachtung der bestehenden umweltrechtlichen Vorschriften und auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 Baugesetzbuch
statt. Umfängliche Umweltstudien werden seit letzten
Jahres von einem Ingenieurbüro für Landschaftsarchitektur durchgeführt und ausgewertet.
Das Bundesverteidigungsministerium kam zu dem
Schluss, dass es nicht zu wesentlich größeren Lärmbelästigungen für die Anrainerkommunen kommen wird. Der
Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage vom November letzten Jahres entnehme ich, dass die Schießzeiten und somit eine mögliche Lärmbelästigung klar eingegrenzt sind. An Sonn- und Feiertagen wird überhaupt
nicht geschossen. An Wochentagen darf nicht vor
8.00 angefangen und nach 16.00 geschossen werden.
Nachtschießen darf höchstens dreimal im Monat geübt
werden. In der Nähe von Ortschaften wird generell gar
nicht geschossen.
Eine rechtliche Beteiligung wird auch dadurch gewahrt, dass betroffene Gebietskörperschaften die Möglichkeit haben, gegen die Baumaßnahmen und den rechtlichen Bescheid der ausstellenden Behörde innerhalb
eines Monats zu klagen.
Ich kann Ihren Antrag nicht unterstützen, weil ich
nicht erkennen kann, welche von Ihnen angesprochenen
Punkte nach den jetzigen Planungen noch Bestand haben. Daher lehne ich ihn ab.
Vor allem Übungsplätze weisen aufgrund ihrer jahrelangen spezifischen militärischen Nutzung häufig eine
besonders wertvolle Naturausstattung sowohl auf den
Freigelände- als auch den Waldflächen aus. Dies gilt
auch für den Übungsplatz Senne, und die Sorge um deren
Erhalt ist nun Anlass für den heute zu beratenden Antrag
der Grünen.
Für das dort genannte Anliegen habe ich grundsätzlich volles Verständnis. Der Erhalt dieses schützenswerten Naturraums in der Senne ist ein hohes Gut und liegt
im Interesse aller Beteiligten. Aber militärische Nutzung
und Naturschutz schließen sich nicht aus. Vor allem Truppenübungsplätze sind häufig besonders wertvolle Naturgebiete mit viel Freigelände und zahlreichen Waldflächen. Dabei entstehen über die Jahre Strukturen, die es
anderswo kaum noch gibt. Auf den militärischen Flächen
treffen wir Landschaften an, die noch den traditionellen
Strukturräumen der Regionen entsprechen.
In Deutschland gibt es 25 Truppenübungsplätze mit einer Gesamtfläche von rund 240 000 Hektar. Der größte
von ihnen ist Bergen in meinem Heimatland Niedersachsen mit etwa 28 500 Hektar. Drei Übungsplätze werden
von den US-Streitkräften verwaltet und zwei von den
Streitkräften Großbritanniens. Einer davon ist der im Antrag der Grünen angesprochene Übungsplatz Senne. Im
Gegensatz zu den meisten anderen Gebieten in der Bundesrepublik sind diese Gelände weder zersiedelt oder von
Verkehrswegen zerschnitten noch werden sie wirtschaftlich genutzt oder als Freizeitgelände in Anspruch genommen.
Darüber hinaus sind durch die Verteilung der Übungsgelände über das gesamte Gebiet der Bundesrepublik auf
diese Weise ganz unterschiedliche Naturbiotope und
Rückzugsflächen entstanden. Ihre Vielfalt reicht von ausgedehnten Sandflächen über Moorbereiche bis hin zu
Heidegebieten. Rund 60 Prozent des Geländes sind bewaldet. Dabei sind auch dort fast alle natürlichen Waldgesellschaften vertreten, wie beispielsweise die Buchenmischwälder in Baumholder. Systematisch erfasst wurden
die Tier- und Pflanzenarten dieser Gebiete seit Ende der
1980er-Jahre. Im Juli 2002 wurde die Richtlinie zur
nachhaltigen Nutzung von Übungsplätzen in Deutschland erlassen. Diese und die Grundsatzweisung für den
Umweltschutz in der Bundeswehr bilden die Grundlage
für das Konzept zum Schutz der Umwelt innerhalb der
Streitkräfte. Die militärische Nutzung ist sogar teilweise
die Voraussetzung für die Existenz mancher Arten, eine
Tatsache, die in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt ist
und manchen auf den ersten Blick durchaus auch etwas
Zu Protokoll gegebene Reden
eigenartig erscheinen könnte. Unter Fachleuten ist es jedoch erwiesen, dass gerade die Übungsflächen der Bundeswehr den hohen Anforderungen des europäischen Naturschutzverbundsystems NATURA 2000 entsprechen.
Dass die rein militärische Nutzung eines Truppenübungsplatzes der Natur nicht schadet, sondern oftmals nutzt,
beweist die große Artenvielfalt und das Vorkommen vom
Aussterben bedrohter Tierarten, die fast nur noch auf militärisch genutztem Gelände zu finden sind.
Diese Aussagen gelten auch für den Truppenübungsplatz Senne. Die britischen Streitkräfte haben nun erklärt,
den Truppenübungsplatz für mindestens weitere 27 Jahre
zu nutzen. Außerdem soll er zum wichtigsten Ausbildungszentrum der britischen Armee in Deutschland ausgebaut werden. Dazu sollen ab diesem Jahr bauliche Veränderungen vorgenommen werden, insbesondere der Bau
von weiteren sogenannten „Kampfdörfern“ auf dem
Übungsgelände. Gegen diese Baumaßnahmen an sich sowie das damit verbundene Verfahren wendet sich nun der
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Er greift damit Kritik
aus der Region an diesen Maßnahmen auf.
Die rechtliche Grundlage für die von der britischen
Rheinarmee geplanten Baumaßnahmen auf dem Übungsplatz Senne bilden das NATO-Truppenstatut einschließlich Zusatzabkommen sowie die entsprechenden Ausführungsbestimmungen. Der Art. 21 a des „Gesetzes zum
NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen“
legt dabei fest, dass auf „Vorhaben der Entsendestaaten“, hier Großbritannien, § 37 des Baugesetzbuches Anwendung findet. Damit fallen diese Baumaßnahmen formal unter die Privilegierung baulicher Maßnahmen des
Bundes und der Länder. Der Abs. 2 lautet: „Handelt es
sich dabei um Vorhaben, die der Landesverteidigung,
dienstlichen Zwecken der Bundespolizei oder dem zivilen
Bevölkerungsschutz dienen, ist nur die Zustimmung der
höheren Verwaltungsbehörde erforderlich.“ Diese Regelung bedeutet, dass die Beteiligungsrechte der betroffenen Kommunen auf ein reines Anhörungsrecht eingeschränkt werden. Allerdings müssen auch in diesem
Verfahren die geltenden deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften beachtet werden. Auch das deutsche
Umwelt- und Naturschutzrecht findet damit seine Anwendung. Das Bundesverteidigungsministerium als zuständige oberste Bundesbehörde kann sich dabei auch nicht
alleine über von den beteiligen Kommunen vorgebrachte
Bedenken bzw. Widersprüche hinwegsetzen. Dazu ist vielmehr ein Einvernehmen zwischen Verteidigungs-, Verkehrs- und Finanzministerium in dieser Frage herzustellen.
Ich gestehe ein, dieses Verfahren ist vor Ort bei den
Betroffenen schwer vermittelbar, aber es hält sich an die
derzeit geltende Rechtslage des NATO-Truppenstatuts.
Daran wird sich kurzfristig auch nichts ändern lassen,
auch nicht mit der Zustimmung zum Antrag der Grünen.
Zur Klärung der grundsätzlichen Frage, ob das hier gewählte Verfahren nach § 37 Baugesetzbuch noch zeitgemäß ist, bedürfte es aus meiner Sicht mehr Zeit. Dieser
Paragraf betrifft ja nicht nur militärische Liegenschaften, sondern die Privilegierung von Baumaßnahmen von
Bund und Ländern allgemein.
Im vorliegenden aktuellen Fall der Baumaßnahmen
auf dem Übungsplatz Senne hat das Bundesverteidigungsministerium bereits in der Antwort auf die Kleine
Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10801 vom 5. November 2008 deutlich gemacht,
dass die Planung der Baumaßnahmen unter strikter Beachtung der bestehenden umweltrechtlichen Vorschriften
erfolgt. Aufgrund der naturschutzfachlichen Untersuchungen wurden auch schon konkrete Maßnahmen zur
Vermeidung bzw. Verminderung von Schäden vorgeschlagen und eine deutliche Reduzierung des Bauumfangs erreicht.
Aus meiner Sicht bleibt es allerdings unabdingbar,
dass vonseiten des Verteidigungsministeriums sowie der
britischen Streitkräfte die Transparenz des gesamten Verfahrens für die betroffenen Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort gewährleistet bleibt. Dazu sollten
auch über die vorgeschriebenen Anhörungsrechte der
Kommunen hinausgehende Maßnahmen vonseiten der
Vorhabenträger mit einbezogen werden. Aus meiner Sicht
bestände die Möglichkeit, dass dies auch der Bundestag
in einer Entschließung gegenüber der Bundesregierung
und dem federführenden Verteidigungsministerium zum
Ausdruck bringt. Vielleicht ist dies ein Weg, auf den wir
uns zwischen den Fraktionen einigen können.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal feststellen: Militärische Nutzung und Naturschutz müssen sich
nicht gegenseitig ausschließen. In vielen Fällen bedingen
sie sich gegenseitig. Lassen Sie uns diese Tatsache bei aller Kontroverse um die Baumaßnahmen auf dem Truppenübungsplatz Senne nicht aus den Augen verlieren.
Der Truppenübungsplatz Senne blickt auf eine 117-jährige Geschichte zurück. Was 1892 relativ bescheiden begann, weitete sich auf eine Fläche von 116 km2 aus. Die
intensivste Nutzung fand ohne Zweifel während der
Hochzeit des Kalten Krieges statt, als er den britischen
Truppen überlassen war. Heute wird der Truppenübungsplatz unverändert von den britischen Streitkräften genutzt, die in der näheren Umgebung fünf Standorte mit
4 000 Soldaten unterhalten. Daneben nutzen allerdings
auch die belgische und die niederländische Armee sowie
die Bundeswehr den Übungsplatz, dessen weitaus größter
Teil Eigentum der Bundesrepublik Deutschland ist.
Wenngleich militärische Übungen ohne Zweifel eine
Reihe von Umweltbelastungen mit sich bringen, so gewährleistet der Ausschluss anderer Nutzungen von Truppenübungsplätzen doch auch den Erhalt einzigartiger
Landschaften. Dies trifft besonders auch für den Platz
Senne zu, wie verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen beweisen. So ist hier ein Mosaik aus Heiden,
Mooren, Dünen, naturnahen Fließgewässern und Feuchtwäldern erhalten geblieben, das einer ansonsten selten
gewordenen Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten die
Grundlage zum Überleben bietet. Besonders erwähnenswert ist, dass in dem Bereich seit Jahren der Arbeitskreis
„Naturschutz auf dem Truppenübungsplatz Senne“ erfolgreich wirkt, dem sowohl britische und deutsche Militärvertreter als auch die zuständigen Behörden und ein
Zu Protokoll gegebene Reden
ehrenamtlich tätiger Naturschutzberaterstab der Bezirksregierung Detmold angehören.
Soldatinnen und Soldaten müssen üben, um einsatzfähig zu sein. Ihnen müssen die notwendigen Übungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Es ist die Pflicht
der Regierungen und Parlamente, die die Soldatinnen
und Soldaten einsetzen, ihnen durch optimale Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung den größtmöglichsten
Schutz zu gewähren. Es ist einfach doppelbödig, wenn
Bündnis 90/Die Grünen einerseits Auslandseinsätze der
Bundeswehr beschließen, andererseits den Streitkräften
aber die notwendigen Übungsmöglichkeiten zunehmend
entziehen wollen. Die Grünen haben erst kürzlich wieder
dafür plädiert, Übungstätigkeiten der Bundeswehr in befreundete Länder verlegen zu wollen. Wollen auf der anderen Seite aber befreundete Länder in Deutschland
üben, dann soll dies nicht möglich sein. Das ist nicht partnerschaftlich und schlicht unaufrichtig.
Die britischen Streitkräfte waren im Verlauf von Gesprächen vor Ort und Verhandlungen kompromissbereit.
Sie haben ihre ursprünglichen Ausbaupläne substanziell
reduziert. Eine ähnliche Kompromissbereitschaft ist bei
Bündnis 90/Die Grünen nicht zu erkennen. Der Antrag
von Bündnis 90/Die Grünen richtet sich vordergründig
gegen den Ausbau des Truppenübungsplatzes. Das Ziel
zweier Bürgerinitiativen aus dem Umland ist jedoch ein
anderes: die Aufgabe des Platzes. Ein solcher Schritt
würde den deutschen Soldatinnen und Soldaten sowie denen der verbündeten Streitkräfte dauerhaft eine weitere
Übungsmöglichkeit entziehen. Darüber hinaus würde
eine Wertschöpfung von etwa 100 Millionen Euro pro
Jahr entfallen und der Kleinflughafen Lippstadt, der sehr
stark von Angehörigen der britischen Streitkräfte frequentiert wird, von der Schließung bedroht sein. Und
mehr als fraglich wäre letztendlich, ob die derzeitige
Pflanzen- und Tierwelt der Senne nach einer Schließung
des Truppenübungsplatzes in ihrer Vielfalt und zum Teil
Einzigartigkeit bestehen bleiben würde.
Die FDP ist zweifelsfrei für den Erhalt der ungewöhnlichen Naturlandschaft. Sie ist aber ebenso entschieden
für Redlichkeit, Verlässlichkeit und Lastenteilung. Wer
Soldatinnen und Soldaten in Einsätze schickt, muss ihnen
insbesondere auch durch optimale Ausbildung und
Übungsmöglichkeiten sowie bestmögliche Ausrüstung
und Bewaffnung die Chance geben, unversehrt aus eben
diesen Einsätzen zurückzukehren. Dafür steht die FDP und deshalb lehnt sie den Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen ab.
Seit etwa 150 Jahren ist die Region Senne als Übungsplatz für Militärs zahlreichen Belastungen ausgesetzt.
Anstatt diese unrühmliche Tradition nun endlich zum Abschluss zu bringen, will die britische Rheinarmee mit tatkräftiger Unterstützung der Bundesregierung den Truppenübungsplatz Senne weiter ausbauen.
Die britische Armee beabsichtigt, bis 2012 die
Übungsmöglichkeiten für ihre Soldaten in der Senne
deutlich auszubauen und den Übungsplatz mindestens
weitere 27 Jahre zu nutzen. Angeblich für den Ausbildungsbedarf der Soldatinnen und Soldaten sollen nun ein
zusätzliches Schießhaus, vier vorgeschobene Stützpunkte
und vier Übungsdörfer nötig sein. Ursprünglich hatte die
britische Armee noch weiter gehende Ausbaupläne, die
jedoch aus Geldmangel voraussichtlich nicht mehr umsetzbar sind. Es ist aber in jedem Fall mit einer ganz massiven Intensivierung des militärischen Übungsbetriebs zu
rechnen. Dies wird zu mehr Lärmbelastung für die Anwohnerinnen und Anwohner, zu stärkeren Eingriffen in
das wertvolle Ökosystem und zu einem noch weiter gehenden Ausschluss der Bevölkerung aus der Nutzung der
Naturlandschaft führen.
Wieder einmal macht die Bundesregierung hier Politik
gegen die eigene Bevölkerung. Nach einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts EMNID befürchten 80 Prozent der Menschen in Ostwestfalen-Lippe massive Auswirkungen für Menschen und Natur durch den Ausbau
des Truppenübungsplatzes Senne. Dennoch ermöglicht
die Bundesregierung mit ihrer Behauptung, es würde hier
unmittelbar um Belange der Landesverteidigung gehen,
ein undemokratisches Planungsverfahren, in dem die
Mitbestimmungsmöglichkeiten der Menschen in der betroffenen Region Ostwestfalen-Lippe maßgeblich beschnitten werden. Es ist völlig inakzeptabel, dass die
Öffentlichkeit und die betroffenen Kommunen bei den
Planungen bestenfalls angehört werden, jedoch keine gesicherten Einspruchsmöglichkeiten bestehen. Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass hier nicht weiterhin militärisches Sonderrecht gilt, sondern wie bei allen
anderen Planungsverfahren auch, die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner sowie die Zuständigkeiten
der Kommunen beachtet werden. Dazu gehört auch die
Möglichkeit zu Widerspruch und Klage gegen die Pläne
der Militärs.
Übungsplätze, auf denen Krieg und Besatzung im Irak
und Afghanistan sowie möglicherweise zukünftig noch in
weiteren Regionen geübt werden, verdienen keine Vorzugsbehandlung. Im Gegenteil, das Grundgesetz und die
deutsche Geschichte verpflichten uns zu einer klaren Ablehnung jeder Form der Kriegsvorbereitung.
Trotz der leichten Reduzierung der Entwicklungspläne
der britischen Armee geht es immer noch um einen spürbaren Ausbau. Mit einer Entscheidung für den Ausbau
wird mittel- und langfristig die Entwicklung eines Nationalparks Senne und der gesamten Region blockiert und
eine militärische Nutzung auf Jahrzehnte festgeschrieben. Die Linke fordert deswegen die Aussetzung des
undemokratischen Planungsverfahrens. Wir schließen
uns der Forderung der Bürgerinitiativen „Keine neuen
Kampfdörfer in der Senne!“ an und fordern darüber hinaus einen Stopp der Kriegsvorbereitungen in der Senne
und anderen Übungsplätzen sowie die Schließung des
Truppenübungsplatzes.
Die Naturlandschaft in der Senne gehört mit ihren
mehr als 5 000 Tier- und Pflanzenarten, davon über 1 000
Arten der Roten Liste, zu den besonders schützenswerten
Naturräumen in Deutschland. Wir Grünen treten aus diesem Grund schon lange dafür ein, diese einmalige Naturlandschaft zu bewahren und in einen Nationalpark SenneEggegebirge zu überführen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Die in der Senne stationierten britischen Streitkräfte
planen nun einen erheblichen Ausbau und eine wesentlich intensivere Nutzung ihres 112 Quadratkilometer
großen Truppenübungsplatzes Senne. Nach Aussage der
britischen Streitkräfte ist der Zweck der geplanten Baumaßnahmen die Vorbereitung britischer Soldaten auf ihre
Auslandseinsätze, unter anderem in Afghanistan. Die britischen Streitkräfte haben erklärt, dass sie den Truppenübungsplatz Senne weitere 27 Jahre nutzen und ihn zu einem wichtigen Zentrum der Ausbildung ihrer Soldaten
machen wollen. Andere Übungsstandorte in NordrheinWestfalen und Niedersachsen sollen dafür geschlossen
werden. Konkret sollen sogenannte Übungsdörfer für den
Häuserkampf gebaut werden. Ich nenne diese Übungsdörfer beim wirklichen Namen: Es sind Kampfdörfer.
Ich bin überzeugt davon, dass die Verwirklichung der
britischen Ausbaupläne, auch in der durch den Protest
der betroffenen Bürgerinnen und Bürger nun vorgelegten
abgemilderten Form, das Ökosystem im Fauna-FloraHabitat- und Vogelschutzgebiet der Senne in erheblichem
Ausmaß schädigen wird. Denn statt der bisher circa
4 000 britischen Soldaten soll die drei- bis vierfache Anzahl in der Senne üben.
Diese Nutzungsintensivierung wäre nicht nur für
Flora und Fauna schädlich, auch die Menschen der umliegenden Region und Anrainergemeinden würden durch
zunehmenden Lärm bei Schieß- und Hubschrauberbetrieb und durch Kettenfahrzeuge auf Betonpisten zusätzlich beeinträchtigt und gestört. Für die angrenzenden Erholungs- und Kurorte wäre dies ein existenzbedrohender,
herber Rückschlag. Die Nationalparkidee würde ebenfalls einen deutlichen Rückschlag erleiden und müsste für
Jahrzehnte auf Eis gelegt werden. Die geplante Errichtung der Kampfdörfer in der Senne berührt zudem nachhaltig Belange des Natur- und des Lärmschutzes sowie
der touristischen Entwicklung. Damit greift die beschriebene Baumaßnahme in originäre Zuständigkeiten der betroffenen Kreise und Kommunen ein.
Doch die Beteiligungsrechte der betroffenen Kreise
und Kommunen werden eingeschränkt und ausgehebelt.
Denn zur Begründung einer in Aussicht gestellten Genehmigung der britischen Ausbaupläne ließ die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner
Fraktion im November 2008 verlauten: „Die Baumaßnahmen dienen unmittelbar der Landesverteidigung“.
Durch die schwer nachvollziehbare Feststellung der
Bundesregierung, bei den Ausbauplänen der vor allem
außerhalb Europas eingesetzten britischen Streitkräfte
handele es sich um Maßnahmen, die der unmittelbaren
Landesverteidigung Deutschlands dienen, sollen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort als nachrangig eingestuft und die Beteiligungsrechte der Kreise
und Kommunen ausgehebelt werden. Zudem wird der
Verteidigungsbegriff damit bis zur Unkenntlichkeit ausgeweitet und politisch enthemmt.
Das ist nicht akzeptabel und trifft auf unseren Widerstand. Wir fordern die Bundesregierung auf, klarzustellen,
dass die geplanten Baumaßnahmen durch die britische
Rheinarmee nicht „unmittelbar der Landesverteidigung
dienen“, und dafür Sorge zu tragen, dass die betroffenen
Kreise und Kommunen ihre legitimen Beteiligungsrechte
wahrnehmen können. Wir fordern, dass bei der Planung
die Belange der Senne-Anwohnerinnen und -Anwohner
gewährleistet sind. Dazu gehört aus unserer Sicht selbstverständlich ein Widerspruchs- und Klagerecht der Betroffenen. Es darf nicht sein, dass die geplanten Bauvorhaben in einem reinen Anhörungsverfahren genehmigt
werden. Die Zuständigkeitsrechte der lokalen Behörden
- in diesem Fall betrifft das das Bau- und Umweltrecht sind zu beachten und einzuhalten. Ich fordere, bis zur abschließenden Klärung der Beteiligungsrechte der betroffenen Kreise und Kommunen sämtliche genehmigungsrechtlichen Maßnahmen zu unterlassen.
Wir brauchen auf jeden Fall gesetzliche Voraussetzungen für Nutzungsplanungen, die dem heutigen Stand des
materiellen Planungsrechts entsprechen.
An die Adresse der britischen Streitkräfte sagen wir
Grünen: Nehmen Sie von den Erweiterungsplänen Abstand! Jeglichen Plänen, die Senne militärisch intensiver
zu nutzen, erteilen wir eine Absage - zum Schutz der Natur, für die Menschen.
Am kommenden Pfingstmontag werde ich mit vielen
Bürgerinnen und Bürgern unter dem Motto „Keine neuen
Kampfdörfer in der Senne! Natur schützen - Landschaft
bewahren - Frieden schaffen“ wieder auf die Straße gehen und engagiert und lautstark unserem Protest Ausdruck verleihen. Seien Sie sicher, dass wir Grünen das
weitere Verfahren intensiv begleiten werden - vor Ort mit
den Menschen genauso wie im parlamentarischen Raum.
Zum Schluss möchte ich mein Bedauern zum Ausdruck
bringen, dass es nicht gelungen ist, auf Grundlage des
von uns eingebrachten Antrags zu einer interfraktionellen Einigung zu kommen und im Deutschen Bundestag
eine gemeinsame Linie zu finden. CDU/CSU und FDP
haben dem Antrag eine Absage erteilt. Das ist sehr
schade; denn eigentlich sollten wir uns alle einig sein für den Erhalt der wertvollen Naturlandschaft Senne, für
die Zukunft der Region mit einem Nationalpark!
Auch hier wird interfraktionell Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12995 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind
auch damit einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
({0})
Ich wünsche Ihnen für den restlichen Abend noch einige
angenehme Stunden und bedanke mich, dass Sie so
lange ausgeharrt haben.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. Mai 2009, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.