Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt:
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass
der Kollege Volker Beck als stellvertretendes Mitglied
aus dem Vermittlungsausschuss ausscheidet. Als Nach-
folgerin wird die Kollegin Bärbel Höhn vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist die Kollegin Höhn zum stellvertreten-
den Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 16/13105 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/13107 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Wir
kommen daher gleich zu den Überweisungen. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 16/13105 und 16/13107 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: 2. Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Astrid Klug.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Heute hat das Bundeskabinett auf Vorschlag des Bundesumweltministers die zweite Verordnung
zur Durchführung des novellierten Fluglärmgesetzes beschlossen. Mit dieser Verordnung, der sogenannten Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung, werden Anforderungen an die Qualität des baulichen Schallschutzes
von Wohnungen und schutzbedürftigen Einrichtungen
im fluglärmbelasteten Umland von größeren Flugplätzen
in Deutschland geregelt.
Fluglärm beeinträchtigt noch immer die Lebensqualität vieler Menschen in unserem Land. Ziel der neuen
Schallschutzverordnung ist es, die Bürgerinnen und Bürger im Umfeld von Flughäfen besser vor Fluglärm zu
schützen. Damit schafft die Verordnung Klarheit bezüglich des bei Gebäuden erforderlichen Schallschutzes.
Zur Erinnerung: Im Jahr 2007 haben wir nach langen
und durchaus schwierigen Beratungen das Gesetz zum
Schutz gegen Fluglärm novelliert. Das ursprüngliche
Gesetz stammt aus dem Jahr 1971. Nach den Vorgaben
des novellierten Fluglärmgesetzes werden von den Ländern neue Lärmschutzbereiche für etwa 50 größere zivile
und militärische Flugplätze in Deutschland festgesetzt.
Die umfangreichen Vorbereitungen dafür sind derzeit im
Redetext
Gange. Die vom Bundesumweltministerium vorbereitete
erste Fluglärmschutzverordnung hat die Einzelheiten für
die Festsetzung der Lärmschutzbereiche und das Berechnungsverfahren bestimmt. Diese Verordnung ist im
Jahr 2008 in Kraft getreten.
Aufgrund des Fluglärmgesetzes selbst gelten in den
Lärmschutzbereichen abgestufte Baubeschränkungen und
Bauverbote für Wohnungen und schutzbedürftige Einrichtungen. Für bereits vorhandene Wohnungen und
schutzbedürftige Einrichtungen wurde ein Anspruch auf
Kostenerstattung für die Durchführung von baulichen
Schallschutzmaßnahmen eingeräumt. Im Hinblick auf die
Regelung der Schallschutzanforderungen in der neuen
Verordnung ist der Stand der Schallschutztechnik im
Hochbau zu beachten, niedergelegt beispielsweise in der
DIN 4109. Dies bestimmt § 7 Fluglärmgesetz ausdrücklich als maßgebliche Verordnungsermächtigung.
In der Verordnung sind drei verschiedene Fallkonstellationen unterschieden, für die jeweils spezifische Anforderungen gelten:
Erstens. Bei der Neuerrichtung von Wohnungen in einem Lärmschutzbereich müssen die Bauwilligen, sofern
sie aufgrund von Baubeschränkungen überhaupt bauen
dürfen - teilweise bestehen ja auch Bauverbote -, erhöhte
Schallschutzanforderungen einhalten. Diese Anforderungen erschweren das Heranrücken von Wohnbebauung an
die Flughäfen. Sie dienen der vorbeugenden Konfliktvermeidung ebenso wie die partiellen Bauverbote nach dem
Fluglärmgesetz, durch die geregelt wird, wo gar nicht gebaut werden darf.
Zweitens. Neben den Schallschutzanforderungen für
den Neubau regelt die neue Verordnung auch Art und
Umfang der erstattungsfähigen Aufwendungen für die
schallschutztechnische Nachrüstung des Wohnungsbestandes, wenn dieser von einem neuen Lärmschutzbereich erfasst wird. Entsprechendes gilt für bestehende
schutzbedürftige Einrichtungen wie Krankenhäuser, Altenheime oder Schulen. Die Kosten für den baulichen
Schallschutz, vor allem für den Einbau von Schallschutzfenstern, sind vom Flugplatzhalter zu tragen.
Aus meiner Sicht ist wichtig, zu betonen, dass das
Schutzniveau der Verordnung für die Nachrüstung des
Wohnungsbestandes dem Niveau entspricht, das bei anderen Lärmquellen, etwa dem Neu- und Ausbau von
Straße und Schiene, seit vielen Jahren verbindlich ist.
Diese Anforderungen und dieses Niveau haben wir übertragen. Das entspricht im Mittel Innenpegeln von
40 Dezibel tags und 30 Dezibel nachts. Die Schallschutzmaßnahmen führen zu einer Minderung des Fluglärms in der Wohnung und gewährleisten dort angemessene Wohnverhältnisse.
Drittens. Für die Anerkennung bislang durchgeführter
freiwilliger Schallschutzprogramme der Flughäfen ist
mit dieser Verordnung eine spezifische Anerkennungsmarge eingeführt worden. Danach sind Innenpegel von
45 Dezibel tags und 35 Dezibel nachts möglich. Wenn
diese Pegel nicht gewährleistet sind, muss nachgebessert
werden. Mit dieser Marge ist aber auch gewährleistet,
dass ein Austausch von Schallschutzfenstern, wie er in
den letzten Jahren vorgenommen wurde, in den Fällen
ausgeschlossen ist, in denen dies unangemessen wäre.
Wir sind der Meinung, dass man bei einer Gesamtbewertung dieser Verordnung anerkennen muss, dass sie
einen fairen Kompromiss zwischen den Interessen der
von Fluglärm Betroffenen und den Interessen der Flughafenbetreiber darstellt; beide Seiten wurden entsprechend berücksichtigt. Ich bin überzeugt, dass wir mit der
vorliegenden Verordnung eine auf Dauer tragfähige Regelung zum Schallschutz realisieren. Mit der neuen
Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung schafft die
Bundesregierung die Voraussetzungen für eine spürbare
Verbesserung der Wohnverhältnisse im Umland der großen Flugplätze in Deutschland. Zugleich wird damit für
die betroffenen Menschen und für die Flughäfen die
dringend erforderliche Rechtssicherheit bezüglich des
Umfangs des baulichen Schallschutzes geschaffen.
Die Verordnung wird jetzt dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet. Wir appellieren an dieser Stelle an die
Länder, der Verordnung zuzustimmen, damit sie rasch in
Kraft treten und für einen verbesserten Schutz vor Fluglärm sorgen kann.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über
den soeben berichtet wurde.
Herr Kollege Kauch, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, in § 3 Abs. 1 der Verordnung sind die Bauschalldämmmaße vorgegeben. Die Tabelle umfasst Dämmmaße für Außenpegel unter 60 dB am Tag und unter
50 dB in der Nacht. Laut Fluglärmgesetz sind bei
Lärmpegeln im Außenschallbereich unter 60 bzw.
50 dB überhaupt keine Lärmschutzmaßnahmen vorgesehen. Plant die Bundesregierung hier, sozusagen im
Vorgriff auf eine weitere Novellierung, die Grenzwerte
im Außenschallbereich, mit denen festgelegt wird, ab
wann Schallschutz zu bezahlen ist, abzusenken?
Die Bauschalldämmmaße in der Tabelle mit den verschiedenen Grenzwerten für die unterschiedlichen Belastungen am Tag, in der Nacht und je nach Entfernung
zum Flughafen sind so ausgestaltet, dass der Innenpegel
für alle Betroffenen am Ende in etwa den gleichen Wert
erreicht. Auch für diejenigen, die weiter weg wohnen,
sind entsprechende Maßnahmen zu treffen. Das gilt für
diejenigen, die von Lärm mit weniger als 60 dB betroffen sind.
Weitere Fragen? - Herr Kollege Kauch.
Ich habe eine Frage zu § 5 Abs. 4 der Verordnung.
Dort ist vorgesehen, dass die Kosten für Schallschutzmaßnahmen maximal 150 Euro pro Quadratmeter betragen, und zwar inklusive der Belüftungsmaßnahmen. Auf
welche Weise hat die Bundesregierung sichergestellt,
dass diese Kostengrenze in jedem Fall ausreichend ist,
um die Dämmmaße, die in § 3 der Verordnung genannt
sind, zu erreichen?
Bisher galt hier eine Höchstgrenze von 130 DM je
Quadratmeter; jetzt sollen 150 Euro je Quadratmeter gelten. Hier wurden die Kostensteigerungen seit der letzten
Verordnung eingerechnet, sodass an dieser Stelle der bisherige Höchstwert beibehalten wird.
Gibt es weitere Fragen? - Herr Kollege Kauch.
Das ist dann aber wirklich die letzte Frage. - Frau
Staatssekretärin, im Fluglärmgesetz von 2007, dem die
FDP zugestimmt hat, gibt es eine Bestimmung, die wir
kritisch gesehen haben, nämlich dass der Bund für diejenigen Flughäfen, die er selbst betreibt, niedrigere Anforderungen an den Schallschutz vorsieht als für diejenigen,
die den Privaten, den Ländern oder den Kommunen gehören. Ganz konkret: Für Militärflughäfen gilt erst ab einem deutlich höheren Schallpegel die Verpflichtung, den
Anwohnern Schallschutzmaßnahmen zu bezahlen. Plant
die Bundesregierung hier eine Novellierung, um die Anwohner von Militärflughäfen mit denen von Zivilflughäfen gleichzustellen?
Das Fluglärmgesetz ist gerade novelliert worden und
wird mit dieser Verordnung konkretisiert. Es ist richtig,
dass an militärische Flughäfen - und zwar nicht nur an
diejenigen, die im Eigentum des Staates stehen, sondern
auch an andere - andere Anforderungen als an zivile
Flughäfen gestellt werden. Das war im Wege des Kompromisses damals nicht anders durchsetzbar. Es gibt
keine Planung, das Fluglärmgesetz an dieser Stelle zu
novellieren.
Herr Kollege Kauch, haben Sie noch eine Frage? Nein. Dann schaue ich in die Runde, ob weitere Fragen
zu diesem Thema vorhanden sind. - Das ist nicht der
Fall.
Herr Staatsminister Gröhe, Sie beantworten Fragen zu
anderen Themen der Kabinettssitzung. Gibt es Fragen
dazu? - Frau Kollegin Enkelmann möchte gern eine
Frage stellen. Frau Enkelmann, bitte.
Heute Abend soll nach gutunterrichteten Kreisen ein
Spitzengespräch über Opel stattfinden. Nun haben sich
Teile der Bundesregierung in den letzten Wochen zu diesem Thema öffentlich sehr widersprüchlich geäußert. Ich
beziehe mich unter anderem auf die unsäglichen Vorstellungen des Wirtschaftsministers von und zu Guttenberg
über eine mögliche Insolvenz. Es gab auch noch andere
Ideen, die in die Öffentlichkeit getragen worden sind.
Erstens. Gab es eine deutliche Zurückweisung dieser
Vorstellungen im Kabinett? Sie sind wirtschaftlich und
politisch verantwortungslos.
Zweitens. Gibt es eine Verständigung im Kabinett
darüber, wie man in dieses Gipfeltreffen hineingeht?
Gibt es Vorstellungen darüber, mit welchen Angeboten
die Bundesregierung in ein solches Gespräch geht, um
Opel zu retten?
Frau Kollegin Enkelmann, die von Ihnen angesprochenen Fragestellungen waren nicht Gegenstand der
heutigen Beratungen des Kabinetts; insofern hat selbstverständlich keine Zurückweisung der von Ihnen geäußerten Bewertungen stattgefunden. Da Sie es für angemessen hielten, das in der Regierungsbefragung zum
Ausdruck zu bringen, nutze ich meinerseits die Gelegenheit, Ihre Bewertungen der Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers zurückzuweisen.
({0})
Gibt es noch weitere Fragen? - Frau Kollegin
Enkelmann.
Das Thema war also nicht Gegenstand der Kabinettssitzung. Ich stelle fest: Die Bundesregierung geht ohne
Konzept in diese Gespräche. Das ist nicht gut.
Zehntausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
zum Beispiel von Karstadt und Kaufhof, fürchten um
ihre Arbeitsplätze. Es gibt die Forderung, die Bundesregierung möge eine Bürgschaft für Arcandor übernehmen. War das Gegenstand der Kabinettssitzung?
Frau Kollegin Enkelmann, ich muss die Gelegenheit
wahrnehmen, die Vermutung zurückzuweisen, die Bundesregierung sei unvorbereitet, weil dieses Thema nicht
Gegenstand der Kabinettssitzung gewesen sei. Selbstverständlich gehen alle beteiligten Ressorts intensiv vorbereitet in die Gespräche mit den Interessenten. Das ist
völlig unabhängig davon, ob dazu am gleichen Tag eine
Kabinettsbefassung erfolgte.
Was nun die anderen Gesichtspunkte anbelangt, haben Sie die Frage in den Raum gestellt, ob es ein Interesse an Bürgschaften gebe. Dieses Thema ist nur zum
Teil für eine öffentliche Erörterung geeignet. Im Übrigen
wird bei ordnungsgemäßer Antragstellung darüber nicht
im Kabinett, sondern in den entsprechenden Gremien,
beispielsweise im Bürgschaftsausschuss, beraten. Zu
diesen Beratungen gibt es ebenfalls nur zu bestimmten
Zeitpunkten des Verfahrens öffentliche Stellungnahmen.
Einzelbürgschaftsanträge waren nicht Gegenstand der
Kabinettsberatung.
Gibt es weitere Fragen? - Frau Enkelmann.
Hat sich die Bundesregierung überhaupt mit den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigt,
nachdem sie über das offenkundig sehr wichtige Thema
Schallschutz beraten hat? Ich finde, über die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise musste in der Kabinettssitzung geredet werden: Welche Auswirkungen
hat die Krise auf die Beschäftigung? Wie kann die Regierung gegensteuern? Welche Vorschläge werden gemacht? Schallschutz ist eine Maßnahme unter vielen,
aber vielleicht nicht die zentrale.
Frau Kollegin Enkelmann, das Bundeskabinett hat
sich in seiner heutigen Sitzung mit dem Entwurf eines
Gesetzes über die Feststellung des zweiten Nachtragshaushalts befasst. Das ist in ausdrücklicher Weise eine
Befassung mit den Auswirkungen der Wirtschafts- und
Finanzkrise. Der Entwurf des Nachtragshaushalts wird
nun dem Bundestag zugeleitet; über den eingebrachten
Nachtragshaushalt wird eine Debatte stattfinden. Die
Beschlussfassung geht Ihnen, wie gesagt, zu.
Im Übrigen hat das Bundeskabinett - das sage ich,
ohne dass ich hier über einzelne Diskussionsverläufe berichten darf - selbstverständlich die Anwesenheit des
Bundesbankpräsidenten Weber und ihres Vizepräsidenten Zeitler genutzt, um Fragen der Auswirkungen der
Wirtschaftskrise, Fragen der Auswirkungen auf die Kreditversorgung der deutschen Industrie und andere Fragen
intensiv zu erörtern. Diese Fragen standen im Zentrum
der heutigen Kabinettsberatung.
Herr Kollege Schmitt, bitte.
Ich bitte die Bundesregierung, die sich heute auch mit
wirtschaftlichen Zukunftsfragen beschäftigt hat und die,
wie ich der Zeitung entnehmen konnte und wie mir der
Kollege Kasparick gerade bestätigt hat, ein Flughafenkonzept beschlossen hat, Auskunft darüber zu geben, inwieweit sichergestellt ist, dass dieses Flughafenkonzept,
das vor rund einem Jahr vorgelegt worden ist, ein deutliches Bekenntnis zu den großen internationalen Flughäfen in unserem Land beinhaltet. Wird mit diesem Konzept sichergestellt, dass wir uns dazu bekennen, dass
diese Flughäfen bei Bedarf ausgebaut werden können
und müssen und dass das dafür erforderliche Verwaltungsverfahren nicht erschwert wird?
Herr Kollege Kasparick, bitte.
Sie haben recht: Das Flughafenkonzept wurde heute
im Kabinett beschlossen. Wir haben - das ist wichtig mit allen Beteiligten sehr intensiv diskutiert, also mit
den Flughafenbetreibern, mit der deutschen Luftfahrtindustrie, mit den Ländern - sie sind für Flughafenplanungen in hohem Maße zuständig - und natürlich auch
mit den einzelnen Ressorts; besonders intensiv beteiligt
waren das BMU, das Wirtschaftsministerium und unser
Haus.
Wir waren am Anfang nicht sehr dicht beieinander;
aber nach einem sehr intensiven Gesprächsprozess ist es
gelungen, ein Konzept vorzulegen, das den berechtigten
Interessen der Häuser in Bezug auf Umwelt, Wirtschaft
und Verkehr Rechnung trägt. Aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums ist es gelungen, genau den Punkt anzusprechen, auf den Ihre Frage ausgerichtet ist, nämlich
auf die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Luftverkehrs, insbesondere auf die der Hubs, also der großen
Verkehrsflughäfen.
Wir haben in Abstimmung mit dem Bundesumweltministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium
Formulierungen gefunden, die deutlich machen, welche
Rolle der Luftverkehr für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hat und dass es an den Flughäfen Möglichkeiten der bedarfsbezogenen Erweiterung
geben muss, wodurch den Flughäfen Wachstum ermöglicht wird.
Allein der Flughafen Frankfurt hat über 70 000 Beschäftigte. Flughäfen sind sehr große Arbeitgeber in der
jeweiligen Region. Arbeitsmarktpolitisch freut uns besonders, dass die Flughäfen auch für gering qualifizierte
Personen Arbeitsplätze anbieten. Aus der Arbeitslosenstatistik wird ersichtlich, dass es insbesondere für gering
Qualifizierte schwer ist, einen Job zu bekommen. Die
Flughäfen sind gerade in diesem Bereich ein wichtiger
Faktor. Deswegen ist es gut, dass das Bundeskabinett
heute in der Fortschreibung des Flughafenkonzeptes
2000 das Flughafenkonzept 2009 mit der Perspektive
2020 verabschiedet hat.
Wir sind zusammen mit den beteiligten Häusern der
Auffassung, dass wir jetzt eine Grundlage haben, um die
Flughafeninfrastruktur, die wir haben - das Verhältnis
zwischen den großen Flughäfen und den Regionalflughäfen ist ja immer ein Spannungsverhältnis gewesen -,
mit den Ländern gemeinsam weiterzuentwickeln. Es
geht darum, Fehlinvestitionen und unnötige Konkurrenzinvestitionen zu vermeiden und die Infrastruktur, die insbesondere an den Schnittstellen vorgehalten werden
muss, so nach vorne zu bringen, dass wir die starken
Wirtschaftsregionen zukunftsfähig machen und umweltfreundlich entwickeln können.
Herr Kollege Heilmann, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, Sie haben gerade das Flughafenkonzept erläutert und die Rolle der
Länderseite angesprochen. Meine Nachfrage wäre: Inwiefern sind Vertreter der betroffenen Kommunen einbezogen worden? Die Kommunen sind in dieser Hinsicht
nicht ganz unerheblich. Mir fällt da insbesondere der
Flughafen Lübeck-Blankensee ein; auch dieser Flughafen ist nicht unumstritten. Für mich wäre es interessant,
zu erfahren, ob im Hinblick auf den Flughafen Lübeck,
auf den Flughafen Kiel oder auf den Fliegerhorst Jagel
- der auch zivil genutzt werden soll - die Kommunen
mit einbezogen wurden. So ein Flughafen hat ja erhebliche Auswirkungen auf kommunale Haushalte. Ich erinnere daran, dass es in Lübeck viele Diskussionen darüber gegeben hat.
Der Gesprächsprozess hat sich so organisiert, dass der
Bund mit den für die Planung von Flughäfen verantwortlichen Instanzen - das sind die Bundesländer - gesprochen hat. Die Bundesländer sind für die Infrastrukturplanung der Flughäfen zuständig. Sie haben natürlich
eine Abschichtungsaufgabe zu erfüllen. Wenn man sich
Standorte wie Frankfurt, Düsseldorf oder München anschaut, wird einem klar: Natürlich muss innerhalb des
entsprechenden Landes eine Verständigung darüber erzielt werden - auch in Absprache mit dem Bund; der
Bund wird ja künftig noch stärker eine koordinierende
Rolle einnehmen -, wie das Verhältnis zwischen den
zentralen Flughäfen und den kleineren Flughäfen aussehen soll.
Wir haben uns darauf verständigt, mit dem Flughafenkonzept einen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen
die Entwicklung der Flugwirtschaft in Deutschland stattfinden soll. Noch einmal direkt formuliert: Wir, die Bundesseite, haben nicht direkt mit den Kommunen verhandelt, sondern mit den - für die Planung zuständigen Ländern.
Der Kollege Ramelow, bitte.
Herr Staatsminister, hat bei dem Gespräch mit Bundesbankpräsident Weber in der Kabinettssitzung das
Thema Opel - Kaufverfahren, Bürgschaftsrahmen, Auswirkungen der Bürgschaften und der Bürgschaftsrisiken eine Rolle gespielt? Hat das Kabinett mit Herrn Weber in
diesem Zusammenhang die Schuldenentwicklung der öffentlichen Haushalte, die Auswirkungen der Konjunktursituation und das Verhältnis von Schuldenentwicklung und Schuldenbremse erörtert?
Herr Kollege Ramelow, ich möchte zunächst darauf
hinweisen, dass die Regierungsbefragung dazu dient,
Beschlüsse des Kabinetts zu erläutern, und nicht dazu
dient, unabhängig von Beschlüssen getätigte Meinungsbildungsprozesse innerhalb einer Kabinettsdiskussion,
die bewusst nicht öffentlich stattgefunden hat, öffentlich
zu machen.
Der Beschluss, der zu diesem Tagesordnungspunkt
gefasst wurde, ist der Nachtragshaushalt. Dieser geht
dem Plenum zu, wird umfassend erläutert, und die Bundesregierung steht dann selbstverständlich zur Befragung bereit.
Gleichwohl will ich Ihnen mitteilen, dass, wie ich der
Kollegin Enkelmann eben geantwortet habe, Opel bzw.
konkrete, einzelne Bürgschaftsfragen während der gesamten Kabinettssitzung - damit auch in dem Teil, zu
dem Sie jetzt konkret nachfragen - nicht Gegenstand der
Erörterungen waren.
Im Übrigen ist es so, dass der Bundesbankpräsident
ausschließlich zu diesem Tagesordnungspunkt an der
Kabinettssitzung teilgenommen hat; das im Hinblick auf
den Nachtragshaushalt. Der Nachtragshaushalt wird gebildet, um der steigenden Nettokreditaufnahme Rechnung zu tragen. Verschuldung, Verschuldungsabbau, Tilgung, Schuldenbremse, all das sind Themen, mit denen
wir uns diese Woche noch befassen werden. Dass diese
Themen Gegenstand der Erörterungen waren, können
Sie unterstellen.
Herr Kollege Schmitt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich möchte noch einmal das Flughafenkonzept ansprechen. Das tue ich allerdings nicht etwa deshalb, weil
ich in Sorge bin, da das Bundesumweltministerium die
Entscheidung mitträgt, dass nur noch Segelflugzeuge
landen und starten dürfen. Vielmehr geht es mir um das,
was damals im Mittelpunkt stand: dass sich der Bund zu
den Flughäfen bekennt und die notwendigen Erweiterungen nicht nur begleitet, sondern auch unter zeitlichen
Gesichtspunkten fördert. Dann war eine Art vorgezogenes Planfeststellungsverfahren, das zusätzliche Analysen
notwendig gemacht hätte, vorgesehen. Erst im Anschluss daran hätte ein Flughafen den Wunsch nach Erweiterung äußern dürfen. Dies hätte zur Folge gehabt,
dass für ein Planungs- und Erweiterungsverfahren wesentlich mehr Zeit als nach dem Status quo erforderlich
gewesen wäre.
Ich möchte erstens fragen, ob diese konkrete Regelung nach wie vor im Flughafenkonzept enthalten ist
oder ob die Passage, in der es hieß, dass eine Art vorgeschaltete Bedarfsanalyse stattfinden muss - eine solche
Analyse hätte, wie gesagt, einen erheblichen zeitlichen
Aufwand zur Folge -, gestrichen wurde.
Ingo Schmitt ({0})
Ich möchte eine zweite Frage stellen: Welche Regelungen sind im Flughafenkonzept zum Thema Nachtflugverbot getroffen worden?
Danke schön.
Herr Staatssekretär, bitte.
Ich möchte das, was ich bereits vorhin gesagt habe,
noch etwas deutlicher zum Ausdruck bringen. Im Flughafenkonzept wird die Bedeutung unserer großen Verkehrsflughäfen ausdrücklich betont. Wenn viele Player
am Tisch sitzen und man mit ihnen über ein solches
Konzept diskutiert, ist es wichtig, einen Ausgleich der
berechtigten Interessen herbeizuführen. Es gibt nämlich
keine vorrangigen und keine nachrangigen, sondern nur
gleichrangige Interessen, die man zu einem Ausgleich
bringen muss.
Ich glaube, dass uns dies mit dem jetzt vorliegenden
Konzept gelungen ist. Insbesondere auf die Frage „Welche Prioritäten sind im Rahmen der landesplanerischen
Gestaltung von Hubs und Regionalflughäfen zu setzen?“
haben wir eine Antwort gegeben, die es den Ländern ermöglicht, dem Bund ihre Planungen frühzeitig mitzuteilen. Der Bund will in Zukunft eine Rolle spielen, die
stärker auf Koordination ausgerichtet ist. Hierbei geht es
insbesondere um die Frage, wie sich die Großen gegenüber den Kleinen verhalten.
Was die Wachstumsmöglichkeiten der Flughäfen angeht, wurde uns sowohl vonseiten der Industrie als auch
des Bundeswirtschaftsministeriums bestätigt, dass die
im vorliegenden Konzept gefunden Formulierungen
Wachstum ermöglichen. Das war auch unser Anliegen.
Was das Thema Nachtflug betrifft, bedeutet dies, dass
die Möglichkeit besteht, zusammen mit den zuständigen
Instanzen, die man dafür braucht - beispielsweise
gemeinsam mit den Fluglärmkommissionen, die es
bekanntlich an den Verkehrsflughäfen gibt -, bedarfsorientierte Lösungen zu finden, die die Aspekte des Umweltschutzes und des Lärmschutzes sowie die wirtschaftlichen Interessen so miteinander verbinden, dass
die Flughäfen Wachstumsmöglichkeiten haben und ihre
wirtschaftliche Entwicklung nicht beschnitten wird.
Die eher weichen Formulierungen, die im Flughafenkonzept enthalten sind, sind hilfreich, weil sie uns vor
Ort die notwendige Flexibilität ermöglichen; die Diskussionen, die diesbezüglich beispielsweise in Leipzig,
Frankfurt und München geführt werden, sind bekannt.
Wir haben verabredet, dass der Bund den Entscheidungen, die die Fluglärmkommissionen vor Ort nach Abwägung der Interessen treffen, in der Regel folgt. Wir
jedenfalls sind der Meinung, dass wir mit dem Flughafenkonzept, das wir jetzt vorgelegt haben, einen großen
Schritt nach vorne machen und die zentralen Wirtschaftsstrukturen stärken.
Frau Kollegin Enkelmann, bitte.
Frau Präsidentin, mit Ihrer freundlichen Genehmigung möchte ich gerne auf den § 106 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hinweisen.
Dort heißt es:
In Sitzungswochen findet eine Befragung der Bundesregierung statt, bei der die Mitglieder des Bundestages Fragen von aktuellem Interesse an die
Bundesregierung im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit, vorrangig jedoch zur vorangegangenen Sitzung …, stellen können.
Ich darf also nicht nur Fragen nach Beschlüssen des Kabinetts, sondern sehr wohl auch Fragen von öffentlichem
Interesse stellen. Vor diesem Hintergrund frage ich noch
einmal: Mit welchem Konzept geht die Bundesregierung
in die Gespräche heute Abend? Welches Ziel verfolgt die
Bundesregierung? Inwieweit ist sie tatsächlich bereit,
auch über Bürgschaften usw. nachzudenken?
Herr Staatsminister, bitte.
Frau Kollegin Enkelmann, ich habe gerade schon darauf hingewiesen, dass es in der Vergangenheit selbstverständlich auch öffentliche Positionierungen der Bundesregierung gab, mit denen in Sonderheit die damit befassten Ministerien und nicht zuletzt der Wirtschaftsminister
deutlich gemacht haben, welche Fragen zu den konkret
vorliegenden Angeboten noch zu stellen sind. Diese Fragen sollen in den vertraulichen Gesprächen behandelt
werden, die heute mit den Interessenten bezüglich ihrer
Angebote an GM, dem die Entscheidung ja obliegt, geführt werden. Es sind dem Wesen nach Fragen, die sich
auf die potenziellen Investoren beziehen und bei denen
es nicht um eine politische Positionierung der Regierung
geht.
Die Fragen im Hinblick auf die Risikosicherung des
Steuerzahlers, auf bestimmte Brückenfunktionen bei der
Finanzierung sowie auf Arbeitsplatz- und Standortsicherheiten sind hier wiederholt erörtert worden. Der
Bundeswirtschaftsminister hat deutlich gemacht, welche Fragen nach den bisherigen Gesprächen noch offengeblieben sind. Diese Gespräche werden heute mit dem
Ziel fortgesetzt, der Bewertung der Punkte näherzukommen, die ich angesprochen habe: Standorterhalt, Zukunftsfähigkeit des Konzeptes und in Sonderheit, welche
Hilfen und Garantien erbeten werden und in welcher
Weise potenzielle Investoren ein eigenes Risiko eingehen.
Diese Fragen werden heute möglicherweise nicht abschließend beantwortet, aber hoffentlich einen weiteren
Schritt der Klärung zugeführt. Das steht im Zentrum der
heutigen Gespräche.
Herr Kollege Ramelow.
Herr Staatsminister, nachdem wir geklärt haben, dass
ich zulässigerweise - gedeckt durch die Geschäftsordnung; die Kollegin Enkelmann hat Ihnen die entsprechende Stelle gerade vorgelesen - nachfragen kann, welche Debatten heute im Kabinett aus aktuellem Anlass
stattgefunden haben, hake ich jetzt noch einmal nach.
Ich bin durchaus der Meinung, dass man die Themen
Investoren und Investorengespräche vertraulich abarbeiten muss. Das ist auch nicht Gegenstand meines Nachfragens, sondern es geht um die Brückenfinanzierung,
die Sie gerade angesprochen haben. Mich interessiert, ob
in der Kabinettssitzung eindeutig klargestellt worden ist,
dass es von keinem Kabinettsmitglied mehr verantwortungsloses Gerede am Wochenende geben darf, bei dem
die Wörter „Zerschlagung“ oder „Insolvenz“ kurz in den
Raum gestellt werden. Es gehört sich nämlich nicht, darüber am Wochenende immer wieder öffentlich zu sprechen.
Die Brückenfinanzierung war heute Morgen auch
schon Gegenstand im Wirtschaftsausschuss hier im
Hause. Also muss es im Kabinett im Rahmen der Erörterung ja die Festlegung gegeben haben, dass man gedenkt, die gesamten staatlichen Bürgschaften für die
Brückenfinanzierung so auszustatten, dass dem Treuhänder ein Beirat beigeordnet wird, in dem nicht die öffentliche Hand, sondern eine privatrechtliche Institution die
Federführung hat.
Ich würde gerne nachfragen, ob es Gegenstand der
Erörterung in der Kabinettssitzung war, dass wir, wenn
wir schon so viel Geld des Steuerzahlers in die Hand
nehmen, auch eine Rückbindung im öffentlichen Interesse sichern müssen und das nicht an PricewaterhouseCoopers übergeben können. Ich habe nichts dagegen,
dass sie mit in dem Beirat sitzen; aber ich bin doch der
Meinung, dass die öffentliche Hand, wenn sie der Hauptfinanzierer der Brückenfinanzierung ist, auch in der Verantwortung steht.
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege Ramelow, ich weiß nicht, ob dies der
Ort ist, jetzt über die Geschäftsordnung und darüber zu
debattieren, in welcher Weise durch die zitierte Vorschrift die Möglichkeit geboten wird, die Mitglieder der
Bundesregierung in ihrer jeweiligen Ressortverantwortung zu aktuellen Themen zu befragen, die Gegenstand
der Kabinettserörterung waren, und in welcher Weise damit verbunden ist, dass Diskussionsprozesse im Kabinett
- das ist die interne Meinungsbildung der Regierung auf dem Fragewege hier gleichsam öffentlich gemacht
werden können. Ich glaube, dass das nicht notwendig ist.
Insofern will ich zumindest bezweifeln, dass Ihre
Grundannahme, damit sei geklärt, dass Sie alles fragen
können, berechtigt ist.
Im Übrigen sage ich deutlich, was ich jetzt schon
mehrfach ausgeführt habe: Das Thema Opel - da beziehe ich die von Ihnen angesprochenen Unterfragen mit
ein - ist nicht Gegenstand der Beratung des Bundeskabinetts gewesen. Sie haben ja wieder auf die Frage abgestellt, ob es Gegenstand der Beratung war, in welcher
Weise das Bürgschaftsprogramm abgewickelt wird. Dies
war im Hinblick auf den Fall, um den es im Zusammenhang mit der Investorensuche für Opel möglicherweise
geht, nicht Gegenstand der Kabinettserörterung.
Frau Kollegin Behm, bitte.
Vielen Dank, dass ich noch das Wort bekomme; denn
ich bin eben erst aus dem Ausschuss herbeigeeilt.
Als Brandenburgerin möchte ich eine Frage zu dem
Thema Schallschutzmaßnahmen an Flughäfen stellen.
Trifft es zu, dass die vom Umweltbundesamt geleitete
Facharbeitsgruppe zur Schallschutzverordnung mehrheitlich im Rauminneren ein Schutzniveau von 25 Dezibel
in der Nacht und 35 Dezibel am Tag bzw. 30 Dezibel bei
schutzbedürftigen Einrichtungen empfohlen hat, aber die
neue Schallschutzverordnung nunmehr bis zu 48 Dezibel am Tag im Rauminneren erlauben soll? Das wären
deutlich schlechtere Werte, als sie bisher nach der
Schallschutzvorschrift VDI 2719 und DIN gelten. Sie
sind auch deutlich schlechter als die Werte, die zum Beispiel beim Flughafen München zugrunde gelegt worden
sind.
Frau Kollegin Behm, wir hatten diesen Themenbereich tatsächlich schon abgeschlossen. Ich lasse aber die
Frage noch zu. Frau Staatssekretärin, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin Behm, noch einmal zur
Erläuterung: Die Regelungen, die jetzt in der Verordnung vorgesehen sind, schreiben vor, dass bei Neubauten
Innenraumpegel zwischen 27 und 37 Dezibel erreicht
werden müssen. Bei Bestandsbauten - also dort, wo die
Nachrüstung des Wohnungsbestands erforderlich ist sind es zwischen 30 und 40 Dezibel, je nach Tag- oder
Nachtschutzzone. In den Fällen, wo bereits seitens der
Flughäfen freiwillige Schallschutzmaßnahmen vorgenommen worden sind, gibt es eine zusätzliche Marge
zwischen 35 und 45 Dezibel. Das ist keine Verschlechterung gegenüber dem Status quo. Es ist vielmehr eine
Verbesserung; denn im Fluglärmgesetz sind drei statt der
bisher zwei Schutzzonen vorgesehen.
In die Festlegung dieser Werte sind sehr viele Interessen mit eingeflossen. Dazu gehören die Interessen der
Anwohner und der vom Fluglärm Betroffenen genauso
wie die Frage der Finanzierung durch die Flughafenbe24498
treiber. Die Regelungen sind am Ende als Ergebnis des
Interessenausgleichs zustande gekommen.
Ich beende die heutige Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/13102 Die Fragen werden in der vorgegebenen Reihenfolge
aufgerufen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Hermann Kues bereit.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Kai Gehring
auf:
Inwiefern teilt die Bundesregierung die Beurteilungen des
Bundesjugendkuratoriums bezüglich ihrer Jugendpolitik, nach
denen eine „hohe politische Priorität nicht erkennbar“ sei,
sich ihre „Jugendpolitik als ein Flickenteppich unabgestimmter Maßnahmen, Programme und Aktivitäten unterschiedlicher Ministerien“ erweise und „ein integrierendes Gesamtkonzept, das gemeinsame Ziele solcher Aktivitäten und eine
aufeinander abgestimmte Gesamtstrategie enthalten würde,
dagegen nicht“ existiere ({0}), und welche Konsequenzen
zieht sie aus dieser kritischen Bewertung durch das von ihr
berufene Sachverständigengremium?
Bitte schön.
Herr Abgeordneter Gehring, zunächst einmal verweise ich darauf, dass das Bundesjugendkuratorium ein
Beratungsgremium der Bundesregierung ist. Dieses Gremium wurde am 2. Februar 2007 gebeten, praxisorientierte Vorschläge bei der Profilierung der Jugendpolitik
vorzulegen. Ende März 2009 hat das Bundesjugendkuratorium daher die zitierte Stellungnahme „Zur Neupositionierung von Jugendpolitik: Notwendigkeit und Stolpersteine“ beschlossen.
Das Bundesjugendkuratorium hat in seiner Stellungnahme den querschnittsorientierten Ansatz der Jugendpolitik hervorgehoben, den aktuellen Stand der Debatte
zu einer zukunftsorientierten Jugendpolitik reflektiert,
die wichtigsten Handlungsfelder einer kohärenten Jugendpolitik aufgeführt und eine umfangreiche Darstellung der aktuellen politischen und fachlichen Diskurse
dazu vorgelegt. Die Bundesregierung dankt dem Bundesjugendkuratorium ausdrücklich für das Papier und
wird die darin enthaltenen Hinweise für die Entwicklung
einer kohärenten Jugendpolitik - soweit der Bund betroffen ist - prüfen.
Allerdings hat die Bundesregierung in ihrer Antwort
auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen „Jugendliche in Deutschland: Perspektiven
durch Zugänge, Teilhabe und Generationengerechtigkeit“ vom 23. März 2007 zu den Zielen und Inhalten der
Jugendpolitik auf Bundesebene bereits deutlich gemacht, wo sie konkrete Handlungsziele für eine umfassende Jugendpolitik sieht, die hier nicht erneut im Einzelnen erläutert werden müssen. Danach bezieht sich
Jugendpolitik auf viele Themenfelder und ist als Querschnittspolitik angelegt. Auch die Stellungnahme des
Bundesjugendkuratoriums hebt gerade diesen querschnittsorientierten Ansatz hervor.
In den zwei Jahren, in denen diese Stellungnahme erarbeitet wurde, sind darauf aufbauend und in Abstimmung mit den zuständigen Ressorts der Bundesregierung
Überlegungen zur Weiterentwicklung der Jugendpolitik
angestellt worden. Dabei haben wir auch von dem kontinuierlichen Beratungsprozess des Bundesjugendkuratoriums bezüglich dieser Thematik profitiert. Insofern ist
es auch nicht überraschend, dass Planungsüberlegungen
des Bundesjugendministeriums zum Beispiel zur Arbeit
mit benachteiligten jungen Menschen - dort haben wir
einen ganz neuen Schwerpunkt gesetzt - eine gute Abstützung durch Vorschläge des Bundesjugendkuratoriums erfahren.
So wird zum Beispiel am 15. Juni 2009 in Berlin die
neue Initiative des Bundesjugendministeriums im Rahmen der Bundeskonferenz „JUGEND STÄRKEN Neue Wege einer zukunftsorientierten Jugendpolitik“
vorgestellt. Mit dieser Initiative entwickelt und erprobt
das Bundesjugendministerium neue Wege und Methoden zur sozialen, schulischen und beruflichen Integration junger Menschen mit schlechteren Startchancen.
Diese Initiative soll nachhaltige Impulse für eine aktive
Jugendpolitik insbesondere für diese Zielgruppen in die
Länder und Kommunen geben und die Politik des Bundesjugendministeriums für benachteiligte junge Menschen noch schlagkräftiger gestalten.
Die Aussagen des Bundesjugendkuratoriums zum
Schutz von Jugendlichen vor Gewalt oder Gefährdungen, etwa durch Medien, sind für die Bundesregierung
eine Bestätigung ihrer aktuellen Schwerpunktsetzung.
Insbesondere die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten
elektronischer, digitaler und interaktiver Medien stellen
eine zunehmende Herausforderung für Eltern, Erziehende und auch Lehrpersonal dar. In allen Phasen spielen die Eltern eine ganz wichtige Rolle. Sie können aus
ihrer Verantwortung nicht entlassen werden. Der Staat
kann sie aber bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen. Neben den gesetzlichen Regelungen zum Jugendund Verbraucherschutz sind die Förderung von Medienkompetenz und Medienerziehungskompetenz wichtige
Bestandteile eines wirksamen Schutzkonzeptes.
Insofern kann die Bundesregierung die in der mündlichen Frage zitierte Kritik des Bundesjugendkuratoriums,
es handele sich bei der Jugendpolitik der Bundesregierung um einen „Flickenteppich unabgestimmter Maßnahmen, Programme und Aktivitäten“, nicht nachvollziehen. Sie bleibt bei dem von ihr eingeschlagenen
zukunftsorientierten Kurs.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Zum Hintergrund
der Frage, die Sie gerade beantworten wollten, weise ich
darauf hin, dass gerade in der Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums gesagt wird, die Ausführungen in
der Antwort, die Sie auf unsere Große Anfrage zur Jugendpolitik gegeben haben, stünden - Zitat - „in scharfem Kontrast zur gegenwärtigen Wirklichkeit von Jugendpolitik“. Deshalb bitte ich um Ihre Einschätzung zu
zwei Vorschlägen, die das von der Bundesregierung berufene Sachverständigengremium „Bundesjugendkuratorium“ unterbreitet hat.
Erstens geht es um den Verbesserungsvorschlag des
Bundesjugendkuratoriums, die Einführung eines regelmäßigen Jugendmonitorings zu prüfen. Mich interessiert, ob die Bundesregierung dazu bereits Prüfungen
vorgenommen und Überlegungen angestellt hat, ob ein
solches Jugendmonitoring künftig sinnvoll ist, um die
Wissensbasis für eine zukunftsfähige Jugendpolitik zu
erhöhen und um Daten über die Ressourcenverteilung
innerhalb der jugendpolitischen Bereiche zu gewinnen,
was angesichts des Kinder- und Jugendberichts vor allem im Jugendbereich sehr wichtig ist.
Zu dem zweiten Vorschlag des Bundesjugendkuratoriums frage ich Sie: Halten Sie es für richtig, eine ressortübergreifende Zuständigkeit des BMFSFJ durch eine
Änderung der Geschäftsordnung der Bundesregierung
zu erweitern?
Zunächst einmal zu dem möglichen Mehrwert eines
Jugendmonitorings: Hinsichtlich dessen, was hier zusammengefasst dargestellt wird, ist für uns nicht unmittelbar nachvollziehbar, was damit erreicht werden soll.
Der bloße Hinweis auf lückenhaftes Wissen kann dies
unseres Erachtens noch nicht rechtfertigen und schon gar
nicht Antworten auf die Fragen geben, was künftig noch
gemacht werden soll, wer es machen soll und wer es tatsächlich bezahlen soll.
Es existiert eine bestimmte Ordnung der Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden in Bezug auf
diese Themen und Fragestellungen. Im Grunde genommen gibt es bereits eine intensive Berichterstattung. Wir
schaffen es gar nicht, die vielen Anregungen, die beispielsweise im 11., 12. und 13. Jugendbericht vorgegeben worden sind, von heute auf morgen umzusetzen;
denn dies ist ein Prozess, in den die verschiedenen Ebenen einbezogen werden müssen und in dem auch andere
mitentscheiden. Das entscheidet weder allein das Bundesjugendministerium noch die Bundesregierung. Das
allein hilft nicht. Man muss sich schon konkrete Gedanken über die Instrumente machen. Im Übrigen glaube
ich, dass die Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums arg theoretisch und textlastig ist. Sie ersetzt nicht
politische Überlegungen.
Was die Zuständigkeiten angeht, verhält es sich so,
dass das Bundesfamilienministerium innerhalb der Bundesregierung durchaus eine koordinierende Funktion
innehat, was die Jugendpolitik angeht. Wenn Sie sich die
unterschiedlichen Sachbereiche ansehen - wir haben
ausdrücklich festgestellt, dass es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt -, dann erkennen Sie, dass eine
Fülle von Ressorts betroffen ist - vom Arbeitsministerium über das Bildungsministerium bis hin zum Gesundheitsministerium -, die dort in eigener Verantwortung tätig sind. Daher kann nicht alles ohne Weiteres
konzentriert werden. Wenn man die Länder und die
kommunale Ebene einbezieht, dann wird noch deutlicher, dass es dort immer eine vielschichtige Struktur geben wird und dass es daher darauf ankommt, dies kohärent zu gestalten. Ich glaube, es ist sachgerecht, die
unterschiedliche Vielschichtigkeit in den einzelnen Regionen zu berücksichtigen; denn wenn wir dies nicht hätten, fänden wir - je nach Region in Deutschland - keine
unterschiedlichen Antworten. Deswegen halten wir an
der föderalen Struktur fest.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
In der Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums
ist hervorgehoben, dass eine stärkere Partizipation und
eine Diskussion über das Wahlalter zu einer zukunftsfähigen Jugendpolitik gehören. Deshalb frage ich Sie, ob
die Bundesregierung die Einschätzung des Bundesjugendkuratoriums teilt, nach der „die Überprüfung von
Einschränkungen des aktiven Wahlrechts mit Bezug auf
das Alter … ein zentrales Anliegen einer umfassend verstandenen Jugendpolitik“ ist, und welche Konsequenzen
Sie daraus ziehen.
Das ist eine konkrete Einschätzung der Wissenschaftler, die dem Bundesjugendkuratorium angehören. Die
Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, dass das
Wahlrecht geändert werden müsste.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen 2 und 3 der Kollegin Brigitte
Pothmer werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Altmaier bereit.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Monika Lazar auf:
Mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung darauf reagieren, dass, wie im Verfassungsschutzbericht 2008 beschrieben, autonome nationalistische Gruppen
bei Demonstrationen zunehmend gewalttätige Auseinandersetzungen suchen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Lazar,
ich kann Ihnen zunächst bestätigen, dass die Bundesregierung selbstverständlich alle gewaltbereiten extremistischen Gruppierungen beobachtet, und zwar mit
besonderer Aufmerksamkeit. Das gilt auch für die von
Ihnen angesprochenen autonomen Nationalisten. Was
nun Ihre konkrete Frage im Hinblick auf die Maßnahmen angeht, die bei gewalttätigen Auseinandersetzungen
ergriffen werden: Dies fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder. Wie Sie wissen, beteiligt sich die
Bundespolizei bisweilen an entsprechenden Einsätzen.
Aber sie wird dann unterstellt. Das wird von den jeweiligen Ländern entschieden und angeordnet. Zu deren Zuständigkeitsbereich äußert sich die Bundesregierung generell und grundsätzlich nicht.
Ich will aber hinzufügen, dass wir neben der polizeilichen Reaktion selbstverständlich gefordert sind, auf dieses Phänomen gesellschaftspolitisch zu reagieren. Wir
sind präventiv gefordert, positive Einflussfaktoren wie
erlebte Toleranz und Offenheit, berufliche und persönliche Anerkennung und Wertschätzung, Zivilcourage, Integration und Teilhabe zu fördern und zu unterstützen,
um damit zentrifugalen Kräften entgegenzuwirken. Sie
selbst wissen aufgrund Ihres eigenen Engagements, dass
es eine Fülle von Initiativen und Programmen gibt, die
hierzu von der Bundesregierung eingerichtet worden
sind. Ich nenne beispielhaft das Programm „Vielfalt tut
gut“ im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Die Fragen zu den Bundesprogrammen hätte ich an
Herrn Staatssekretär Kues stellen müssen, der mir wahrscheinlich gut hätte antworten können. Da Sie aber jetzt
mein Gesprächspartner sind, stelle ich eine andere Frage.
Es ist sicherlich sinnvoll, die gesamten Debatten aus
Bundessicht zu betrachten. Mich würde interessieren, ob
diese konkrete neue Erscheinung der autonomen Nationalisten auch in der Innenministerkonferenz, in der das
BMI vertreten ist, eine Rolle spielt. Mir geht es um die
neue Gewalt, aber auch um Parolen, die in den letzten
Jahren nicht so häufig zu hören waren. Ich erwähne
exemplarisch zwei, die ich gehört habe. Eine Parole, die
immer wieder bei diesen Demonstrationen gerufen wird,
lautet: „Nationaler Sozialismus jetzt!“ Das ist sehr
grenzwertig. Eine andere Parole ist: „Nie wieder Krieg nach unserem Sieg“. Das betrifft ja den Verfassungsschutz, für den die Länder, aber auch der Bund zuständig
sind. Deshalb würde mich Ihre diesbezügliche Einschätzung interessieren. Wird die Entwicklung von der Bundesseite beobachtet, und versucht man, im Benehmen
mit den Ländern die Gremien dafür zu sensibilisieren?
Frau Kollegin Lazar, ich habe eingangs gesagt, dass
wir diese Aktivitäten sehr genau beobachten. Es handelt
sich um rund 400 autonome Nationalisten. Es gibt darüber hinaus ein Umfeld. Dies wird von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachtet. Die Erkenntnisse, die darüber gewonnen
werden, werden ausgetauscht. Ich bitte allerdings um
Verständnis dafür, dass ich Einzelheiten über das hinaus,
was im Verfassungsschutzbericht dargelegt ist, an dieser
Stelle nicht erörtern kann. Sie wissen, dass es dafür die
zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages gibt.
Der Bundestag hat sich vorbehalten, derartige Fragen
speziell im Parlamentarischen Kontrollgremium zu behandeln. Im Übrigen beschäftigt sich die Innenministerkonferenz, wie Sie wissen, regelmäßig mit Fragen, die
mit dem politischen Extremismus in Zusammenhang stehen. Ich bitte um Verständnis, dass ich an dieser Stelle
nicht in der Lage bin, über die Tagesordnung der nächsten IMK, die nicht vom Bundesinnenministerium aufgestellt wird - die IMK ist eine Einrichtung der Länder;
das Bundesinnenministerium ist dort nur Gast -, zu referieren.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Vielleicht können Sie mir verraten, ob es ein Wunsch
des Bundesinnenministeriums wäre, bei der nächsten Innenministerkonferenz auch diese Teilbereiche anzusprechen; denn Sie können wahrscheinlich auf die Tagesordnung Einfluss nehmen.
Frau Kollegin Lazar, ich kann Ihnen jedenfalls verraten, wenn Sie es nicht ohnehin schon wissen, dass es ein
dringender Wunsch des Bundesinnenministeriums ist,
dass bei Demonstrationen und bei der Ausübung des
grundgesetzlich geschützten Rechts auf Demonstrationsfreiheit, Gewalttätigkeiten - egal ob von rechts oder von
links - nach Möglichkeit gar nicht vorkommen bzw.
diese eingedämmt und bekämpft werden. Das ist ein Anliegen des Bundesinnenministeriums. Wir haben in der
letzten Zeit eine Reihe von Vorfällen erlebt, die Anlass
geben, die Frage zu stellen, ob alle notwendigen Vorkehrungen getroffen worden sind, um beispielsweise den
Schutz von unbeteiligten Bürgerinnen und Bürgern, Demonstranten, aber auch Polizisten sicherzustellen. Über
diese Fragen wird selbstverständlich in den zuständigen
Gremien geredet.
Die Frage 5 des Kollegen Volker Beck sowie die
Frage 6 der Kollegin Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette
Kressl zur Verfügung. Die Fragen 7 und 8 des Kollegen
Christoph Waitz werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Dr. Jürgen Koppelin werden
aufgrund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien ebenfalls schriftVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
lich beantwortet. Außerdem werden die Fragen 11
und 12 des Kollegen Dr. Volker Wissing und die Frage 13
der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch schriftlich beantwortet.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Frank Spieth werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 16 der Kollegin Britta
Haßelmann auf:
Inwieweit sind die in den Konjunkturpaketen I und II beschlossenen Steuererleichterungen und die mit dem geplanten
Bürgerentlastungsgesetz verbundenen Steuererleichterungen
in die aktuelle Steuerschätzung eingegangen?
Sehr geehrte Frau Kollegin Haßelmann, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die finanziellen Auswirkungen der in den Konjunkturpaketen I und II beschlossenen Maßnahmen und die mit dem geplanten Gesetz
zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen, das wir auch „Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung“ nennen, verbundenen Effekte - letztere nach dem Stand des Regierungsentwurfs,
weil der Abschluss der parlamentarischen Beratungen
noch aussteht und die entsprechenden finanziellen Auswirkungen nicht bekannt sein konnten - wurden in die
aktuelle Steuerschätzung einbezogen.
Als Folge der drei hier angesprochenen Rechtsänderungen wurden bei der Steuerschätzung für die Kassenjahre 2009 bis 2013 folgende Mindereinnahmen auf gesamtstaatlicher Ebene - darauf bezog sich Ihre Frage ermittelt: im Jahr 2009 durch das Konjunkturpaket I
minus 2,6 Milliarden Euro, durch das Konjunkturpaket II minus 4,9 Milliarden Euro, in der Summe minus
7,5 Milliarden Euro; im Jahr 2010 durch das Konjunkturpaket I minus 5,7 Milliarden Euro, durch das Konjunkturpaket II minus 5,6 Milliarden Euro, durch das
Bürgerentlastungsgesetz minus 8,1 Milliarden Euro, in
der Summe minus 19,4 Milliarden Euro; im Jahr 2011
durch das Konjunkturpaket I minus 5,9 Milliarden Euro,
durch das Konjunkturpaket II minus 6,1 Milliarden Euro,
durch das Bürgerentlastungsgesetz minus 10,5 Milliarden Euro, in der Summe minus 22,5 Milliarden Euro; im
Jahr 2012 durch das Konjunkturpaket I minus 3,9 Milliarden Euro, durch das Konjunkturpaket II minus
6,2 Milliarden Euro, durch das Bürgerentlastungsgesetz
minus 10,6 Milliarden Euro, in der Summe minus
20,7 Milliarden Euro; im Jahr 2013 durch das Konjunkturpaket I minus 1,4 Milliarden Euro, durch das Konjunkturpaket II minus 6,3 Milliarden Euro, durch das
Bürgerentlastungsgesetz minus 11,3 Milliarden Euro, in
der Summe minus 19,0 Milliarden Euro.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Ich möchte erst die Antwort auf meine zweite Frage
abwarten.
Ich beantworte die Fragen gern zusammen, aber man
muss es mir sagen.
Ich wusste das auch nicht.
Dann rufe ich auch die Frage 17 der Kollegin Britta
Haßelmann auf:
Wie hoch ist der Anteil dieser Steuererleichterungen an
den in der Steuerschätzung für die Gemeinden ermittelten
Mindereinnahmen, differenziert nach den Steuererleichterungen im Konjunkturpaket I, im Konjunkturpaket II und dem
geplanten Bürgerentlastungsgesetz?
Frau Präsidentin, das wussten wir beide nicht, aber
wir können ja flexibel reagieren.
Gegenüber der jeweils letzten Steuerschätzung - November 2008 für 2009, Mai 2008 für 2010 bis 2012 - ergeben sich nach der Mai-Steuerschätzung 2009 folgende
Mindereinnahmen für die Gemeinden: 2009 insgesamt
minus 7,6 Milliarden Euro, davon durch Steuerrechtsänderungen minus 2,4 Milliarden Euro, davon wiederum
durch das Konjunkturpaket I minus 0,7 Milliarden Euro,
durch das Konjunkturpaket II minus 0,7 Milliarden
Euro, durch das Bürgerentlastungsgesetz keine Veränderung, durch die Gesamtheit der drei Gesetze also minus
1,4 Milliarden Euro; 2010 insgesamt minus 10,7 Milliarden Euro, davon durch Steuerrechtsänderungen minus
4,7 Milliarden Euro, davon wiederum durch das Konjunkturpaket I minus 1,7 Milliarden Euro, durch das
Konjunkturpaket II minus 0,8 Milliarden Euro, durch das
Bürgerentlastungsgesetz minus 1,2 Milliarden Euro,
durch die Gesamtheit der drei Gesetze also minus 3,7 Milliarden Euro; 2011 insgesamt minus 12,1 Milliarden Euro,
davon durch Steuerrechtsänderungen minus 5,0 Milliarden Euro, davon wiederum durch das Konjunkturpaket I
minus 1,7 Milliarden Euro, durch das Konjunkturpaket II minus 0,9 Milliarden Euro, durch das Bürgerentlastungsgesetz minus 1,5 Milliarden Euro, durch die
Gesamtheit der drei Gesetze also minus 4,1 Milliarden
Euro; 2012 insgesamt minus 12,2 Milliarden Euro, davon durch Steuerrechtsänderungen minus 4,3 Milliarden
Euro, davon wiederum durch das Konjunkturpaket I
minus 1,0 Milliarden Euro, durch das Konjunkturpaket II minus 0,9 Milliarden Euro, durch das Bürgerentlastungsgesetz minus 1,5 Milliarden Euro, durch die
Gesamtheit der drei Gesetze also minus 3,4 Milliarden
Euro.
Das war nicht der Windbericht, sondern die Übersicht
über die Steuermindereinnahmen.
Jetzt haben Sie vier Zusatzfragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank auch Ihnen, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung meiner
beiden Fragen. Dadurch wurde ja noch einmal deutlich,
dass in der Frage der Steuermindereinnahmen neben der
Krise - wir haben ja hier schon über wegbrechende Gewerbesteuereinnahmen und andere Dinge diskutiert auch bestimmte Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag erhebliche Auswirkungen auf die drei Ebenen
Bund, Länder und Kommunen haben.
Mich würde interessieren, ob innerhalb der Bundesregierung und speziell im Bundesministerium der Finanzen aufgrund der massiven Einbrüche an Steuereinnahmen bzw. der Steuermindereinnahmen darüber diskutiert
wird, Gesetzesinitiativen hinsichtlich einer Mindestfinanzausstattung der kommunalen Ebene - diese interessiert mich jetzt besonders - auf den Weg zu bringen.
Frau Kollegin Haßelmann, Sie wissen sicherlich, dass
es nicht möglich ist, die massiven positiven Wirkungen,
die ja zum Beispiel durch das im Konjunkturpaket II enthaltene kommunale Investitionsprogramm zu erwarten
sind, in die Steuerschätzung, die ich gerade dargestellt
habe, einzurechnen. Ich weise deshalb darauf hin, dass
durch die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
hier im Parlament durch das Konjunkturpaket II schon
Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden, die - davon
gehen wir aus - ganz deutliche Entlastungen für die
Kommunen bringen werden. Beispielsweise werden die
Möglichkeiten für Investitionen in die Region, die das
Konjunkturpaket II eröffnet, nach unserer Überzeugung
ganz massiv das regionale Handwerk und Unternehmen
mit regionalem Bezug stärken. Auf die Art und Weise
werden ganz sicher, auch wenn das jetzt natürlich noch
nicht abschätzbar ist, auch Steuermehreinnahmen generiert.
Bezüglich des föderalen Finanzierungssystems sind
derzeit keine Gesetzesinitiativen von unserer Seite vorgesehen. Auch Sie wissen ja, dass wir das aufgrund der
Kürze der in dieser Legislaturperiode noch zur Verfügung stehenden Zeit kaum schaffen würden und solche
Initiativen unter das Prinzip der Diskontinuität fallen
würden.
Ihre weiteren Zusatzfragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, sicherlich werden wir am Freitag im Rahmen der
Föderalismusreform II über die Frage der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und auch über die
von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen diskutieren.
Ich habe deshalb nach der Mindestfinanzausstattung
gefragt, weil wir aufgrund der Krise doch sehr kurzfristig, wie auch in vielen anderen Bereichen, zu Gesetzesinitiativen vonseiten der Bundesregierung Stellung nehmen oder gar Gesetze beschließen müssen. Aufgrund der
Krise sehen Sie sich ja veranlasst, in vielen Bereichen
Änderungen vorzunehmen. Deshalb habe ich gezielt
nach der Mindestfinanzausstattung gefragt.
Der Ansatz Ihres Ministeriums, das Ganze makrofinanztechnisch zu sehen - ähnliche Ausführungen haben Sie ja schon einmal in Bezug auf die Konjunkturprogramme gemacht -, ist aufgrund der Zahlen aus den
Kommunen unseres Erachtens nicht haltbar; ich nenne
zum Beispiel die 220 Millionen Euro Mindereinnahmen
in Köln und verweise auf die ähnliche Situation in Stuttgart, München etc. Alle Städte berichten ja von massiven
Rückgängen bzw. Einbrüchen bei den Steuereinnahmen.
Deshalb frage ich noch einmal: Gibt es, auch im Hinblick auf den Beginn der nächsten Legislaturperiode,
eine irgendwie geartete Initiative Ihres Hauses, in Bezug
auf eine verlässliche Finanzausstattung der Kommunen
aktiv zu werden? Eine Betrachtung der Gesamtfinanzsituation nach dem Motto: „Ihr werdet davon in ein paar
Jahren etwas haben“ kann keiner der kommunalen Spitzenverbände nachvollziehen.
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich teile Ihre Einschätzung, dass das kommunale Investitionsprogramm keine
positiven Auswirkungen auf die Finanzsituation der
Kommunen hat, nicht. Die momentanen Zahlen lassen
das noch nicht erkennen. Nachdem der Bund die 10 Milliarden Euro an die Kommunen weitergeleitet hat, haben
nun auch die Länder die entsprechenden Umsetzungsregelungen fertig. Nach meinen Erkenntnissen - da beziehe ich mich zum Beispiel auf meinen Wahlkreis, der
ja auch eine Reihe von Kommunen umfasst - ist es so,
dass die Gemeinderäte jetzt die Beschlüsse gefasst haben, dass die Aufträge ausgeschrieben werden, zum Teil
auch schon vergeben worden sind, sodass wir sehr sicher
sind - das haben die kommunalen Spitzenverbände deutlich gemacht -, dass dies nicht erst in ein paar Jahren,
sondern noch im Laufe dieses Jahres greifen wird.
Zusätzlich - Ihre Frage war ja sehr umfangreich; ich
möchte noch zwei Punkte herausgreifen - weise ich darauf hin, dass beispielsweise die Regelung des kommunalen Finanzausgleichs nicht in der Hand des Bundes
liegt - das wissen Sie sicherlich auch - und dass der
Bundestag hier kein Gesetz beschließen kann, in dem die
kommunale Lastenverteilung geregelt wird.
Ich will bezüglich der Mindestfinanzausstattung auf
einen dritten Punkt hinweisen: Es ist so, dass in den letzten Jahren beispielsweise durch die Hinzurechnung von
Mieten und Pachten bei der Gewerbesteuerberechnung
auch deutlich stabilisierende Elemente für die Finanzausstattung der Kommunen auf den Weg gebracht und
beschlossen worden sind. Obwohl es von sehr vielen
Wirtschaftsverbänden massive Versuche gibt, die hierdurch entstehenden Kosten im Rahmen der Gegenfinanzierung der Unternehmensteuer wieder zu reduzieren, ist
dies nicht Gegenstand der momentan laufenden Gesetzgebungsverfahren. Mir ist es ein großes Anliegen, darauf
hinzuweisen.
Bitte, Ihre weitere Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Danke für die Beantwortung, Frau Staatssekretärin. Nachdem Sie ja deutlich gemacht haben, dass es zur Mindestfinanzausstattung keine Überlegungen gibt und auch im Rahmen der
Beschlüsse zur Föderalismuskommission II am Freitag
keine Berücksichtigung der Kommunen zu erwarten ist,
ist meine Frage, ob es Überlegungen in Ihrem Haus oder
in der Bundesregierung gibt, endlich ein Konnexitätsprinzip zu verankern, das heißt, dass wir endlich festlegen, dass wir uns verpflichten, Bundesgesetze, durch die
auf der kommunalen Ebene Mehrkosten entstehen, dann
auch finanziell zu unterlegen bzw. den Kommunen die
Kosten zu erstatten.
Ich frage das deshalb, weil wir am Montag die Anhörung zum Kinderschutzgesetz hatten und die Bundesfamilienministerin abschließend gesagt hat, das Gesetz
hätte keinerlei finanzielle Auswirkungen. Das bestreiten
alle Ebenen außer der Bundesebene. Nun ist das Gesetz
seit heute - Gott sei Dank - vom Tisch. Mich würde dennoch interessieren - das haben wir ja auch bei anderen
Gesetzesvorhaben -, ob Sie beabsichtigen, das Prinzip
der Konnexität, wie auch in manchen Landesverfassungen vorgesehen, auf Bundesebene zu verankern.
Frau Kollegin, ich kann jetzt inhaltlich nichts zu dem
Gesetz unter der Federführung des Familienministeriums sagen. Sonst würde ich mich womöglich vergaloppieren, weil ich ja auch bei der Anhörung nicht dabei
war.
Ich will aber anhand der Tatsache, dass es ab 2014 das
Recht der Eltern auf einen Betreuungsplatz für ihre
Kinder geben wird, beispielhaft deutlich machen, dass
wir inzwischen indirekt durchaus Verantwortungen des
Bundes haben, Aufgaben der Kommunen finanziell mit
zu unterstützen. Durch Veränderungen aufgrund der Ergebnisse der Föderalismuskommission I sind ja die
Durchgriffsmöglichkeiten des Bundes auf die Kommunen eingeschränkt worden. So besteht zum Beispiel der
Rechtsanspruch auf diesen Betreuungsplatz gegenüber
den Ländern. An diesem anerkanntermaßen sehr großen,
auch finanziell wichtigen Schritt für die Kommunen
wird sich der Bund zukünftig nicht nur über ein Investitionsprogramm, sondern durch entsprechende Umsatzsteueranteile dauerhaft, Jahr für Jahr an den Kosten für
die Gewährleistung dieses Rechtsanspruchs mit über
700 Millionen Euro jährlich, und zwar unbegrenzt, beteiligen. Ich sage dies, um deutlich zu machen, dass es
dieser Bundesregierung immer ein wichtiges Anliegen
war, zu sagen: Wenn der Bund Aufgaben für wichtig hält
- dazu zählt, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durchgesetzt wird -, dann muss es für deren
Erledigung eine finanzielle Unterstützung des Bundes
geben.
Sie haben noch eine Frage.
Frau Staatssekretärin, Ihrer Antwort entnehme ich,
dass es keinerlei Überlegungen innerhalb der Bundesregierung und auch nicht in Ihrem Haus gibt, das Prinzip
der Konnexität zu verankern, das dann greifen würde,
wenn Bundesgesetze auf den Weg gebracht werden, die
finanzielle Auswirkungen auf die kommunale Ebene haben. Da am Freitag im Rahmen der Debatte zur Föderalismusreform das Durchgriffsrecht geändert wird, frage
ich: Gibt es Planungen in Ihrem Haus, ein solches Prinzip zu verankern?
Sehr geehrte Frau Kollegin, in den am Freitag im
Rahmen der Föderalismusreform zu verabschiedenden
Gesetzen wird es nicht enthalten sein. Alle Planungen
über die Legislatur hinaus werden der dann herrschenden parlamentarischen Mehrheit und den sie tragenden
Fraktionen vorbehalten sein. Insofern ist es ein wenig
schwierig, im Moment über zukünftige Planungen Auskunft zu geben.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Schauerte bereit.
Die Fragen 18 und 19 der Kollegin Sylvia KottingUhl sowie die Fragen 20 und 21 des Kollegen HansJosef Fell werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten Gitta
Connemann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den geplanten Bau von
Kohlekraftwerken in Dörpen/Emsland, Emden und in Eemshaven/Niederlande, und lehnt die Bundesregierung diese
Standorte ab, oder befürwortet sie diese?
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Bundesregierung spricht sich grundsätzlich nicht für oder gegen konkrete Kraftwerksstandorte
in Deutschland aus. Sie geht davon aus, dass die Investorenentscheidung für einen bestimmten Kraftwerkstyp
und den Standort vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten getroffen wurde, sodass dadurch die
Stromverbraucher in der Region und auch anderswo von
einer vergleichsweise preiswerten Stromproduktion profitieren würden.
Hinsichtlich der Umweltverträglichkeit entscheiden
die Genehmigungsbehörden unabhängig auf Basis rechtlicher Vorgaben. Für alle dem europäischen Emissionshandel unterliegenden Anlagen, zu denen alle mit fossilen
Brennstoffen betriebenen Kraftwerke gehören, werden
ab 2013 die erlaubten CO2-Gesamtemissionen durch
eine gemeinsame Entscheidung von Europäischem Par24504
lament und Ministerrat genau vorgegeben. Deswegen
bleibt das Einhalten der Klimaziele garantiert, unabhängig davon, ob an einem bestimmten Standort ein Kraftwerk errichtet wird oder nicht.
Der Einsatz hocheffizienter Kraftwerke bewirkt vielmehr, dass alte, ineffiziente Kraftwerke weniger genutzt
oder sogar vom Netz genommen werden können und dadurch eine preiswertere Stromproduktion unter Einhaltung der Klimaziele - ich sage sogar: der verbesserten
Klimaziele - erreicht sowie die Umweltbelastungen hinsichtlich anderer Schadstoffe reduziert werden kann. So weit meine Antwort.
Vielen Dank. - Frau Kollegin, Sie können fragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade erklärt, dass sich die Bundesregierung
nicht für oder gegen konkrete Kraftwerksstandorte in
Deutschland ausspricht. Das überrascht mich nicht. Ich
frage mich aber: Kann oder will sie es nicht?
Aus meiner konkreten Erfahrung zurzeit vor Ort weiß
ich, dass von einigen politischen Vertretern immer wieder behauptet wird bzw. der Eindruck suggeriert wird,
dass der Bund konkrete Standortentscheidungen beeinflussen bzw. verhindern könnte. Deswegen meine Nachfrage: Kann der Bund - und wenn ja, wie - auf eine konkrete Standortentscheidung Einfluss nehmen, wie zum
Beispiel in Dörpen, Eemshaven oder Emden?
Frau Kollegin, ich kenne diese Debatten, die vor Ort
geführt werden. Ich kann ganz eindeutig und ohne jeden
Zweifel sagen: Der Bund kann es nicht, weil er keine
Kompetenz dazu hat. Das liegt an der eindeutigen Zuständigkeitsregelung in unserem föderalen Aufbau. Das
ist am Ende eine Entscheidung der Länder und der Kommunen sowie der dort verfassungsgemäß eingerichteten
zuständigen Behörden.
Vielen Dank für die Klarstellung, Herr Staatssekretär. Sie haben deutlich gemacht, in diesem Zusammenhang
keine konkrete Aussage treffen zu dürfen. Sie sprechen
sich aber grundsätzlich für die Notwendigkeit des Baus
von Kohlekraftwerken aus, übrigens auch aus umweltpolitischen Gründen. Meine Nachfrage: Sprechen Sie
damit nur im Namen der CDU/CSU-geführten Ministerien oder auch der SPD-geführten Häuser?
Diese Nachfrage resultiert aus meiner derzeitigen
Wahrnehmung vor Ort, dass entgegen der Aussagen von
Herrn Bundesumweltminister Gabriel, der sich vehement dazu bekannt hat, den Bau von Kohlekraftwerken
zu unterstützen, vonseiten seiner Parteikollegen der Eindruck erzeugt wird, als ob dies nur eine CDU/CSU-getragene Meinung sei.
Ich kann Ihnen auch hier eine eindeutige und klare
Antwort geben: Die Notwendigkeit des Baus von Kohlekraftwerken ist die gemeinsame Überzeugung der Bundesregierung, einschließlich des Bundesumweltministeriums. Ich halte Versuche - wenn das denn der Fall
wäre -, parteipolitische Spielchen zu betreiben, für
schädlich. Wir betreiben hier eine gemeinsame, gesamtstaatliche Aufgabenwahrnehmung. Auch wenn es vor
Ort Probleme gibt - das ist nicht ganz ungewöhnlich -,
bleibt dies die Antwort der gesamten Bundesregierung.
({0})
Frau Kollegin Höhn, bitte.
Herr Staatssekretär, vor anderthalb Wochen haben in
Emden ungefähr 5 000 Menschen gegen das geplante
Kohlekraftwerk demonstriert. Ministerpräsident Wulff
aus Niedersachsen hat in diesem Zusammenhang gesagt,
er wolle das Kohlekraftwerk in Emden nicht gegen den
Willen der Bevölkerung in dieser Region bauen lassen.
Wie sieht das die Bundesregierung? Kann sie die Haltung von Herrn Wulff unterstützen, und meint auch das
Bundeswirtschaftsministerium, dass man es nicht gegen
die Position der Menschen in dieser Region bauen
sollte? Sehen Sie den Protest von 5 000 Menschen als
Zeichen für den Willen der Bevölkerung, dass dieses
Kraftwerk nicht gebaut werden soll?
Frau Kollegin Höhn, auch hier ist die Trennung der
Zuständigkeiten zu beachten. Wir genehmigen solche
Vorhaben nicht; das machen die Länder und die Gemeinden. Wie sie sich dazu stellen, liegt in ihrer eigenen Verantwortung. Das hat die Bundesregierung nicht zu kommentieren.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission wegen der schon seit
mehr als einem Jahr verspäteten Umsetzung der Richtlinie
über Energieeffizienz und Energiedienstleistungen zu verhindern, und welche Sanktionen könnten Deutschland in einem
solchen Vertragsverletzungsverfahren schlimmstenfalls drohen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Höhn, die Bundesregierung unterrichtet die Europäische Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens fortlaufend über Fortschritte
bei der Umsetzung der Richtlinie über Energieeffizienz
und Energiedienstleistungen. Dabei hat die Bundesregierung die Europäische Kommission insbesondere über die
im Rahmen des Integrierten Energie- und Klimaprogramms der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen
zur Steigerung der Energieeffizienz, über die Einrichtung der Bundesstelle für Energieeffizienz und über den
Verfahrensstand zum Energieeffizienzgesetz informiert.
Im Falle einer bislang nicht beschlossenen Klageerhebung durch die Europäische Kommission wegen nicht
vollständiger Umsetzung der Richtlinie droht nach geltender Rechtslage noch nicht unmittelbar eine finanzielle
Sanktion, sondern es ergeht zunächst ein Feststellungsurteil durch den Europäischen Gerichtshof nach Art. 226
des EG-Vertrages. Erst danach kann die Europäische
Kommission das Vertragsverletzungsverfahren nach
Art. 228 des EG-Vertrages einleiten, das dann zu finanziellen Sanktionen führen kann. Die mögliche Sanktionierung für die Zeit zwischen Ersturteil und Zweiturteil
nach Art. 228 des EG-Vertrages bzw. dem Ende des Verstoßes besteht in der Zahlung eines Pauschalbetrages.
Außerdem ist zusätzlich ein Zwangsgeld ab dem Zweiturteil möglich. Finanzielle Sanktionen würde der Europäische Gerichtshof gegebenenfalls auf Vorschlag der
Europäischen Kommission beschließen. Die Europäische Kommission berechnet die Sanktionen, die sie für
angemessen hält, nach den Parametern Schwere, Dauer
des Verstoßes sowie erforderliche Präventionswirkung,
um einen erneuten Verstoß zu verhindern.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, es geht um die EnergieeffizienzRichtlinie. Die Bundesregierung hätte die Richtlinie
schon vor einem Jahr umsetzen müssen.
Die Verbraucher hätten geringere Kosten zu tragen,
wenn Sie stärker auf Energieeffizienz gesetzt hätten;
auch das ist ein Aspekt von Energieeffizienz. Deshalb
frage ich Sie: Warum sind Sie bei der CCS-Technik so
unglaublich schnell - ein Gesetzentwurf zur CCS-Technik liegt vor, bei dem es um Subventionen für große
Energiekonzerne geht; diesen wollen Sie noch in dieser
Legislaturperiode durchpeitschen, weil Sie die CCSTechnik in Deutschland einführen wollen -, aber bei der
Energieeffizienz so langsam, obwohl Sie den Menschen
durch eine Steigerung der Energieeffizienz besser helfen
könnten, weil die Energiekosten dann geringer wären?
Warum haben Sie die Richtlinie, die schon vor einem
Jahr hätte umgesetzt sein sollen, immer noch nicht umgesetzt?
Wir arbeiten sehr intensiv auf dem Gebiet der Energieeffizienz. Wir haben mit einer Reihe von gesetzlichen
Maßnahmen und freiwilligen Vereinbarungen sehr große
Fortschritte gemacht. Wir haben in Deutschland einen
Ablaufplan. Ich darf einige Zahlen nennen: 52 Prozent
der Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und
46 Prozent der Unternehmen mit mehr als 200 000 Euro
Energiekosten pro Jahr erfüllen bereits heute freiwillig
diese Richtlinie komplett. Wir sind also gut vorangekommen. Wir sind auf dem Wege, diese Erfolge weiter
auszubauen.
Wenn wir mit der Mehrheit dieses Parlaments beschließen, die CCS-Technologie einzuführen - das wäre
richtig, und das wollen wir -, dann ist das keine falsche
Eile, sondern konkret die Wahrnehmung von Verantwortung zur langfristigen Sicherstellung unserer Energieversorgung und zur Herstellung von bezahlbarer Energie.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat die Energieeffizienz
immer für ganz wichtig erklärt. Zum Beispiel haben Sie
in Meseberg 2007 ein Klimapaket beschlossen, nach
dem durch eine bessere Energieeffizienz 56 Millionen
Tonnen CO2 pro Jahr bis 2020 eingespart werden sollen.
Das entspricht immerhin einem Viertel der insgesamt
vorgesehenen Emissionsminderung. Wie viele von diesen 56 Millionen Tonnen CO2 haben Sie mit den vielen
freiwilligen Maßnahmen, die Sie eben angesprochen haben - Sie haben gesagt, Sie seien auf einem richtig guten
Weg -, jetzt schon eingespart?
Die konkrete Zahl der bis jetzt erreichten Einsparungen kann ich Ihnen hier nicht nennen. Ich bin nicht entsprechend vorbereitet. Ich sage Ihnen aber gerne zu, dass
Ihnen die Antwort auf diese Frage schriftlich nachgereicht wird.
({0})
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
In welchem Umfang hat die bereits mehr als ein Jahr dauernde Verzögerung des Energieeffizienzgesetzes dazu geführt,
dass Verbrauchern und Wirtschaft vermeidbare Energiekosten
entstanden sind und das Klima durch vermeidbare Treibhausgasemissionen belastet wurde?
Zu dieser Frage liegen der Bundesregierung keine Erhebungen vor. Zur Umsetzung der Richtlinie 2006/32/
EG wurden jedoch zahlreiche Maßnahmen und Gesetze
im Rahmen des Integrierten Energie- und Klimaprogramms der Bundesregierung beschlossen. Die damit
verbundene Steigerung der Energieeffizienz senkt tendenziell die Energiekosten. Außerdem werden Treibhausgasemissionen in Deutschland dadurch gemindert.
Ihre Zusatzfragen.
Ich stelle gerne eine Frage dazu. Gestern stand in der
Financial Times, dass die Bundesregierung plant, die
energieintensiven Wirtschaftsbereiche zu unterstützen,
weil sie höhere Energiekosten zu tragen haben, zum Beispiel aufgrund der CO2-Zertifikate. Der Kollege Pfeiffer
von der CDU/CSU-Fraktion hat gesagt, dass man in dieser Wahlperiode ein entsprechendes Paket verabschieden
will. Sie wollen die Wirtschaft also unterstützen, weil sie
hohe Energiepreise zu tragen hat. In dem Artikel wird
auch erwähnt, dass es schon Gespräche mit dem BMU
und dem Bundeswirtschaftsministerium gegeben hat.
Stimmt das? Sollen in dieser Legislaturperiode Subventionen für energieintensive Betriebe beschlossen werden,
um diese zu unterstützen?
Frau Höhn, Sie wissen, dass es bei uns einige energieintensive Betriebe gibt, die ganz eindeutig vor der
Entscheidung stehen, ob sie die Produktion einstellen,
Arbeitsplätze abbauen oder insgesamt schließen müssen.
Das ist eine in jedem Falle mehr als ärgerliche Entwicklung für die energieintensiven Unternehmen, die sich im
Wettbewerb befinden, zum Beispiel mit Unternehmen in
Frankreich, denen der Strom für die energieintensive
Herstellung der Güter und Waren erheblich günstiger geliefert wird. Unsere Stromkosten in diesen Bereichen
sind doppelt so hoch wie in Frankreich. Deswegen überlegen die Bundesregierung wie die Koalitionsfraktionen,
wie sie einen Arbeitsplatzabbau, der gerade in dieser
Situation doppelt ärgerlich ist, vermeiden können. Wir
suchen Lösungen, etwa eine befristete Energieverbilligung für einige wenige Produktionsverfahren, die besonders energieintensiv sind.
Sie haben noch eine Frage.
Welche Bereiche soll das betreffen? Das würde mich
jetzt sehr interessieren. Sie haben gesagt: wenige. Wie
hoch sollen die Subventionen sein, und wann sollen sie
beschlossen werden? Ich finde das interessant: Sie schlafen ein Jahr bezüglich der Energieeffizienz - dabei geht
es um hohe Preise für Verbraucher -, und jetzt wollen
Sie ganz schnell einen bestimmten Bereich subventionieren. Ich hätte gern konkret gewusst: welche Bereiche,
wie schnell und in welcher Höhe?
Frau Kollegin, das hat nicht den Zusammenhang, den
Sie in Ihrer Frage unterstellen. Die Energieeffizienzanstrengungen und hohe Energiekosten trotz aller wahrgenommenen Effizienzen - gehen Sie bitte davon aus, dass
wir uns bei diesen Unternehmen die Fortschritte bei der
Effizienz ansehen - haben nicht unmittelbar etwas miteinander zu tun. Selbst bei sparsamster Energieverwendung im Rahmen aller Effizienzprogramme generell
wird es Bereiche geben, in denen die Wettbewerbsfähigkeit von energieintensiven Betrieben bei gleichbleibender Höhe des Strompreises so bedroht ist, dass es
gerechtfertigt ist - dies haben Sie in rot-grünen Regierungszeiten am laufenden Bande getan; Sie werden sich
daran erinnern -, eine Hilfe zu geben. Das geschieht
nicht zulasten der Strompreise der übrigen Stromverbraucher.
({0})
- Das steht noch nicht fest. Wir sind im Prozess, festzustellen, was nötig ist, wie es gehen kann, wann es gehen
kann und um wie viel Geld es geht.
Die Frage 25 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch sowie
die Fragen 26 und 27 der Kollegin Sabine Zimmermann
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe deshalb die Frage 28 der Kollegin Sevim
Dağdelen auf:
Welche Bedingungen stellt die Bundesregierung für die
Bereitstellung von Bürgschaften und Staatshilfen gegenüber
den drei konkurrierenden Angeboten zur Übernahme der
Adam Opel GmbH?
Frau Kollegin Dağdelen, ich antworte wie folgt:
Eventuelle staatliche Unterstützungen sind an beihilfeund haushaltsrechtliche Voraussetzungen geknüpft,
welche die Bundesregierung vor deren Bereitstellung
sorgfältig prüfen wird. Da die vorgelegten Konzepte der
bisher bekannt gewordenen Interessenten an einer Fortführung oder industriellen Übernahme von Opel sich
stark unterscheiden, können wir zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht sagen, welche Bedingungen konkret einzufordern sind.
In jedem Fall wird es darauf ankommen, dass das von
General Motors zu wählende Investorenkonzept eine
tragfähige Lösung für die Adam Opel GmbH enthält. Zu
den weiteren Voraussetzungen gehören die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die staatlichen Mittel nicht verloren
gehen sowie dass die Mittel nicht zur Muttergesellschaft
ins Ausland abfließen können. Die Abstimmungsprozesse über entsprechende Abschottungsmechanismen,
zum Beispiel im Rahmen eines Treuhandmodells, sind
noch nicht abgeschlossen.
Lassen Sie mich eine Ergänzung anfügen: In diesem
Stand des Verfahrens ist eine öffentliche Erörterung, zu
welchen Bedingungen welche Hilfen an wen gegeben
werden, als durchaus problematisch anzusehen. Denn
dies betrifft einen Kernbereich der Verhandlungen, die
nun geführt werden müssen. Eine vorherige öffentliche
Festlegung ist für die Erzielung eines im Interesse des
deutschen Steuerzahlers liegenden optimierten Ergebnisses eher schwieriger denn nützlich.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich kann Sie nur darin unterstützen, dass es nicht besonders sinnvoll ist, unterschiedliche Aussagen - besonders vor dem Hintergrund, dass es heute Abend zu diesem Thema ein
Gipfeltreffen geben wird; bekanntlich hat die Bundesregierung dazu mehrere Gipfeltreffen abgehalten - zu den
Verhandlungen zu machen. Könnten Sie vielleicht an Ihren Minister die Bitte von mir und auch anderen Abgeordneten herantragen, dass man nicht von Insolvenzen
reden sollte, während man von anderen Übernahmeangebote und Konzepte verlangt? Denn solche Äußerungen lösen in der Öffentlichkeit Verunsicherung und Verängstigung aus, vor allen Dingen bei den Beschäftigten.
Ich möchte etwas zu den Bedingungen nachfragen.
Laut Presseberichten hat der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr Rüttgers, erklärt, es sei bei den
Verhandlungen klar, dass man einem Konzept, das den
Abbau von Arbeitsplätzen in Bochum in NordrheinWestfalen beinhalte und so keine Zukunft für Opel dort
vorsehe, nicht zustimmen könne. Am vergangenen Sonntag gab es eine Konferenz der Vertrauensleute der
IG Metall, auf der nochmals bestätigt wurde, dass die
NRW-Landesregierung und die Bundesregierung einem
Konzept, das einen Abbau von mehreren Tausend Arbeitsplätzen in Bochum vorsehe, ihre Zustimmung verweigern wollten.
Natürlich haben Sie bei den Verhandlungen wichtige
rechtliche Voraussetzungen zu beachten. Ich möchte Sie
fragen: Hat die Bundesregierung in den Verhandlungen
bisher die Position eingenommen, dass es keinen Arbeitsplatzabbau geben solle?
Ihre Frage beinhaltet zwei Elemente. Das erste Element war, dass der Minister zu Guttenberg, der in dieser
schwierigen Fragestellung bisher eine ganz hervorragende Arbeit geleistet hat,
({0})
in schädlicher Weise von Insolvenz gesprochen habe. Ich
halte es für absolut zielführend, hilfreich und notwendig,
bis zum Ende der Verhandlungen zwei Dinge festzuhalten:
Erstens. Kein Investor darf so behandelt werden, dass
er meint, er müsse aufgeben und habe keine Chance.
Zweitens. Es liegt im zentralen Interesse des deutschen
Steuerzahlers und der Beschäftigten bei Opel, dass wir
zur Findung der besten und am Ende auch bezahlbarsten
Lösung alle Investoren - am liebsten hätten wir noch den
einen oder anderen Investor zusätzlich - so lange wie
möglich in einem Bieterwettbewerb halten.
Das zweite Element in diesem Zusammenhang ist:
Sie werden den Druck auf alle Beteiligten, die jetzt ihre
Lösungsvorschläge präsentieren, nur so lange aufrechterhalten und damit den höchstmöglichen Ertrag für den
deutschen Steuerzahler und Zukunftsfestigkeit für die
Opel-Beschäftigten erreichen können, wenn Sie eine Insolvenz nicht einfach kategorisch ausschließen. In dem
Fall würden Sie sich um eine Gestaltungsmöglichkeit
bringen, die hilfreich sein kann, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Deswegen halte ich es für ausgesprochen sinnvoll,
hilfreich und konstruktiv, auch in dieser Phase zu sagen:
Ja, eine geordnete Insolvenz ist auch eine Lösung, die
unsere Rechtsordnung in solchen Fällen vorsieht. - Nur
so erreichen wir den bestmöglichen Verhandlungserfolg.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich habe immer gelernt: Wenn man etwas verkaufen
und einen privaten Investor finden möchte, dann verkündet man nicht sofort, dass man eine Insolvenz in Betracht zieht.
({0})
Normalerweise geht man anders vor, um Interessenten
zu gewinnen. Das, was Sie für konstruktiv, sinnvoll und
hilfreich halten, kommt bei den Opelanern in meinem
Wahlkreis ganz anders an. Diese sind eher verunsichert
und sagen: Das Gerede über die Insolvenz kann man gerade in dieser Zeit absolut nicht gebrauchen.
Ich möchte gerne auf die neuesten Meldungen eingehen, dass nach dem heutigen Beschluss des Aufsichtsrates der US-Autokonzern General Motors die Werke, die
Patente und sämtliche Rechte an Technologien von GM
Europe an Opel übertragen hat.
Ich möchte Sie nach dem derzeitigen Stand der Debatte über das Treuhandmodell fragen, weil es in den
vergangenen Wochen mehrere Vorschläge von den OpelHändlern, von den Bundesländern mit Opel-Standorten
und auch von den Vertretern der Beschäftigten gab, das
Unternehmen durch Staatsbeteiligungen zu retten, sofern
die für die Fortführung des Unternehmens erforderlichen
Patente, die Rechte und die Technologie an Opel abgegeben werden.
Soweit ich in dieser hochkritischen Situation der Verhandlungen überhaupt noch etwas Weitergehendes sagen
kann, will ich darauf hinweisen, dass für die Bundesregierung und erst recht für den Bundeswirtschaftsminister
eine staatliche Beteiligung der Bundesrepublik, wie sie
ein solches Modell vorsieht, nicht infrage kommt. Wir
sind zufrieden, dass wir mit dieser Grundkonstruktion
immerhin eine Situation erreicht haben, die vor vier Monaten noch undenkbar gewesen wäre, dass wir nämlich
jetzt drei, möglicherweise sogar vier ernsthafte, seriöse
Bewerber haben, die bereit sind, die industrielle Führerschaft und die industrielle Verantwortung zu übernehmen und sich an dem noch zu findenden Konstrukt, einem neuen Unternehmen deutschen oder europäischen
Zuschnitts, zu beteiligen, sodass im Moment die Forderung nach Verstaatlichung eher zurückstehen kann. Dass
Sie aus Ihrer Programmatik heraus generell für Staatsbeteiligungen sind, ist klar, aber das kann nicht unser Rat
sein in dieser schwierigen Situation.
({0})
Herr Kollege Schneider, bitte.
Herr Staatssekretär, Letzteres möchte ich zunächst
einmal zurückweisen. Primäres Ziel sollte - das gilt hoffentlich für alle Fraktionen in diesem Hause - der Erhalt
von möglichst vielen Arbeitsplätzen sein. Ich erlaube
mir, noch einmal nachzufragen - Frau Dağdelen hatte
Sie eben ausdrücklich danach gefragt, und Sie haben
keine Antwort auf die Frage gegeben -, inwieweit in Ihren Überlegungen die Frage eine Rolle spielt, ob und in
welchem Umfang Stellen abgebaut werden, und insbesondere, welche Bedeutung verschiedene Konzepte haben, die ausschließlich im Zusammenhang mit Bochum
diskutiert worden sind.
Sie haben recht; diese Frage habe ich vorhin nicht beantwortet. Ich hole das gerne nach und bedanke mich,
dass Sie mir Gelegenheit dazu geben.
Für uns ist natürlich der Erhalt von Arbeitsplätzen ein
ganz zentrales Beurteilungskriterium. Aber genauso
wichtig ist die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des
dann gefundenen Zuschnitts. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen alle Investoren, eine Rettung von Opel sei
ohne eine Veränderung in der Beschäftigungsintensität
nicht möglich. Eine solche Veränderung wäre übrigens
auch bei einer Staatsbeteiligung sehr wahrscheinlich unvermeidlich.
Die Frage ist, wie viele Arbeitsplätze wo und mit welcher Begründung abgebaut werden. Auch die Betriebsräte sehen, dass es ohne Arbeitsplatzabbau keine Lösung
geben kann. Das wissen die Belegschaften. Da ein vorläufiges Angebot vorliegt - vorläufig, es ist ja alles noch
nicht endgültig -, das zu einem ganz erheblichen, wie
wir sagen: deutlich überproportionalen, Arbeitsplatzabbau in Bochum führen würde, ist zu diesem Punkt eine
konkrete Nachverhandlung erforderlich, die noch nicht
abgeschlossen ist. Bei der Rettung des Opel-Konzerns
werden also europaweit und auch in Deutschland einige
Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Ein anderes Modell gibt es nicht, von keinem der Beteiligten.
Natürlich werden wir, sobald wir in diesem Zusammenhang nach der Bereitstellung von öffentlichen Mitteln gefragt werden, auch Wert darauf legen, dass diese
Arbeitsplatzveränderung - so will ich es einmal nennen
- sachgerecht, fair und sozialverträglich im Rahmen der
vorhandenen Möglichkeiten abläuft. Ganz werden wir
sie nicht verhindern können.
Herr Kollege Schäfer, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Noch eine Nachfrage, Herr Staatssekretär. Mich würde interessieren: Inwieweit sind der Gesamtbetriebsrat und die Betriebsräte
an den einzelnen Standorten an den Verhandlungen konkret beteiligt? Wird auf ihren Rat gehört? Inwieweit sind
sie in dieses Verfahren involviert?
Ich bin ganz sicher, dass der sehr engagiert und sehr
umsichtig arbeitende Gesamtbetriebsratsvorsitzende, von
dem man manches Mal den Eindruck hatte, er sei derjenige, der am meisten von der Führung, den Notwendigkeiten und den Problemen dieses Unternehmens wisse,
involviert ist. Inwieweit das schon zu diesem Zeitpunkt
des Verfahrens für Betriebsräte der einzelnen Standorte
zutrifft, entzieht sich meiner Kenntnis.
Ich kann nur noch einmal sagen: Alle Investoren gehen von einem erheblichen Kapazitätsabbau und damit
Arbeitsplatzabbau aus. Im Gespräch ist eine Größenordnung von etwa 10 000 Arbeitsplätzen. Das ist aber nicht
neu. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dass es - das ist unsere Zielvorgabe - weniger als 10 000 Arbeitsplätze
werden. Es gibt Anhaltspunkte, dass das gelingen kann.
Ich hoffe natürlich, dass in Deutschland deutlich weniger Arbeitsplätze abgebaut werden. Wenn Sie darüber
mit Belegschaftsmitgliedern sprechen, sehen Sie, dass
allen Beteiligten klar ist: In diesem Prozess geht es um
eine gerechte Verteilung der Belastungen.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Winfried
Nachtwei auf:
Trifft es zu, dass - wie der Spiegel am 18. Mai 2009 berichtet - die Bundesregierung die Lieferung von modernen
Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an das Emirat Katar genehmigt hat, und, wenn ja, wie begründet die Bundesregierung die Entscheidung, Kriegswaffen in Staaten außerhalb der
NATO und EU und in die Krisen- und Spannungsregion zu
liefern?
Herr Kollege Nachtwei, die Bundesregierung übt bei
der Kontrolle von Rüstungsexporten eine verantwortungsvolle Politik aus. Entscheidungen werden im jeweiligen Einzelfall nach einer sorgfältigen Prüfung unter
Berücksichtigung aller vorliegenden Umstände getroffen. Grundlage dafür sind die Politischen Grundsätze der
Bundesregierung aus dem Jahr 2000 - Sie werden sich
vielleicht daran erinnern ({0})
und der Verhaltenskodex der Europäischen Union vom
8. Juni 1998 bzw. der entsprechende Gemeinsame Standpunkt, der am 8. Dezember 2008 durch den Rat verabschiedet wurde.
Die Bundesregierung hat über eine mögliche Lieferung von Leopard-2-Panzern an das Emirat Katar auf der
Grundlage der Politischen Grundsätze aus dem Jahr
2000 entschieden. Die Verhandlungen im Bundessicherheitsrat unterliegen bekanntlich der Geheimhaltung.
Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, aus Ihrer Antwort, die Bundesregierung habe „auf der Grundlage von …“ entschieden,
schließe ich, dass sie positiv entschieden hat.
Jetzt meine Zusatzfrage. Sie haben die Rüstungsexportrichtlinien angesprochen. In den Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 steht, dass Rüstungsexporte an sogenannte sonstige Staaten - an Staaten
außerhalb von NATO, EU und an nicht gleichgestellte
Länder wie zum Beispiel Neuseeland und Australien grundsätzlich nicht genehmigt werden,
es sei denn, dass … besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen
für eine … Genehmigung sprechen.
Meine konkrete Frage: Welche erheblichen außenund sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und des Bündnisses sprechen für den
Export von Leopard-2-Panzern nach Katar?
Herr Nachtwei, Sie haben in Ihrer ersten Einlassung
erklärt, dass Sie aufgrund meiner Antwort davon ausgingen, dass diese Rüstungsexporte genehmigt seien. Dies
ist eine Annahme Ihrerseits, die ich weder bestätige noch
verneine.
({0})
Sie sind nicht berechtigt, mich so zu interpretieren, als
hätte ich sagen wollen: Dieser Vorgang ist positiv entschieden.
Damit erübrigen sich auch die weiteren Fragen. Denn
ansonsten würde ich mich spekulativ über einen Vorgang
äußern - außerdem müsste ich Gründe nennen, die dafür
sprechen -, von dem ich sagen muss: Ich kann ihn nicht
bestätigen und werde ihn nicht dementieren.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich möchte, wie es in diesem Hohen Hause üblich ist,
die sicherheitspolitischen Implikationen eines möglichen
Exportes ansprechen. Immerhin - Angehörige meiner
Altersgruppe erinnern sich daran - hat die Bundesrepublik in den 70er- und 80er-Jahren einen Beitrag zur militärischen Ausstattung des Irans und des Iraks geleistet.
Heute wissen wir - im SIPRI-Bericht wurde dies vor
einigen Wochen wieder einmal deutlich -, dass der Nahe
und Mittlere Osten die Weltregion ist, in die die meisten
Rüstungsexporte gehen. Hinzu kommt, dass Katar, auch
wenn die Situation dort zurzeit relativ stabil ist, Konflikte mit Nachbarstaaten hat. Meine Frage: Könnten die
Spannungen und Aufrüstungsprozesse in dieser Region
durch einen möglichen Rüstungsexport nach Katar, und
zwar unabhängig von diesem konkreten Fall, nicht befördert werden?
Herr Nachtwei, ich verstehe Ihre Sorgen. Wir nehmen
diese Ihre Sorgen sehr ernst. Die Richtlinien sind nicht
deswegen so gut, weil sie zur Zeit der Regierungsbeteiligung der Grünen formuliert worden sind. Vielmehr beachten wir sie auch aus eigenem Antrieb.
Ich kann nur sagen: Nach den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung werden Kriegswaffenexporte
in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder in denen solche drohen bzw. in denen
bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export
ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden, nicht
genehmigt. Die Bundesregierung beachtet diese Grundsätze bei ihren Einzelentscheidungen stets.
Herr Kollege Schäfer, bitte.
Danke. - Herr Kollege Schauerte, sehen Sie denn eine
Situation der Bedrohung für Katar, mit der eine Lieferung des Leopard 2 begründet werden könnte? Besteht
also Ihrer Meinung nach eine akute militärische Bedrohung?
Herr Kollege, es gibt keine Regelung, die besagt, dass
wir zu beurteilen haben, ob sich ein Land bedroht fühlt
oder nicht. Wir definieren unsere Rüstungsexporte im
Rahmen unserer Richtlinien aufgrund unserer eigenen
Beurteilung und unseres eigenen Interesses. Deswegen
ist es politisch ausgesprochen problematisch - ja, es
wäre sogar fehlerhaft -, öffentlich zu spekulieren, ob
und von wem Katar bedroht sein könnte. Wenn wir unsere Rüstungsexportgeschäfte auf diese Art und Weise
abwickeln und über alle Länder der Welt ein Zeugnis
aussprechen wollten, ob und von wem sie bedroht sein
könnten, werden wir uns über kurz oder lang in heftigsten außenpolitischen Turbulenzen befinden. Wir entscheiden nach unseren Richtlinien, und diese Entscheidungen nehmen wir sehr ernst.
Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Winfried
Nachtwei auf:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung mit Vertretern der
pakistanischen Regierung und der pakistanischen Streitkräfte
Gespräche über deutsche Rüstungslieferungen in die Krisen24510
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
und Kriegsregion führt und auch die Ausfuhr von hochmodernen U-Booten und anderen Kriegswaffen noch immer in Erwägung gezogen wird?
Die Antwort lautet: Bei Treffen der Bundesregierung
mit Vertretern der pakistanischen Regierung und der pakistanischen Streitkräfte kommen regelmäßig auch Fragen der nationalen und regionalen Sicherheit zur Sprache. Dabei hat die pakistanische Seite auch Interesse an
deutschen Rüstungslieferungen nach Pakistan signalisiert.
Über etwaige Anträge deutscher Firmen auf Ausfuhrgenehmigung entscheidet die Bundesregierung jeweils im
Einzelfall auf der Grundlage der Politischen Grundsätze,
die ich bereits erwähnt habe.
Im Rahmen der Antwort auf die Große Anfrage mit
dem Titel „Rüstungsexporte an Pakistan“, Bundestagsdrucksache 16/7969 vom 4. Februar 2008, hat die Bundesregierung ausführlich zu einem möglichen U-BootGeschäft mit Pakistan Stellung genommen. - Dabei
möchte ich es zunächst einmal bewenden lassen.
Ihre Zusatzfragen.
Die Financial Times Deutschland hat am 20. Mai
dieses Jahres berichtet, dass von Pakistan deutsche
Rüstungsgüter wie Dingo, Hubschrauber, Aufklärungssysteme und Nachtsichtgeräte gewünscht werden. Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung, diesen Exportanfragen nachzukommen?
Dies sind Spekulationen in der Financial Times
Deutschland vom 20. Mai 2009. Wie Sie wissen, werden
solche Spekulationen und Fragestellungen in dem zuständigen Gremium behandelt und nicht öffentlich debattiert.
Meines Wissens gilt die Financial Times Deutschland
ja wohl als ein einigermaßen seriöses und wenig spekulatives Blatt.
Ja.
Ich habe noch eine zweite Frage vor dem Hintergrund, dass ich als Mitglied des Verteidigungsausschusses mit zuständig für die Parlamentsarmee Bundeswehr
bin, dort eine ganz andere Transparenz erfahre und immer wieder erschüttert darüber bin, wie die Bundesregierung in Sachen Rüstungsexporte mit dem Parlament
umgeht. Ich kann mich jetzt auf die Vergangenheit beziehen, die wenigstens im Rüstungsexportbericht mehr
als ein Jahr später offengelegt wird, sodass wir das wenigstens nachträglich kommentieren können.
Ich habe dem Rüstungsexportbericht von 2007 entnommen, dass in 2007 der Export von deutschen Kriegswaffen und Rüstungsgütern im Wert von ungefähr
164 Millionen Euro an Pakistan genehmigt wurde. Im
selben Zeitraum erhielt Pakistan aus der Bundesrepublik
Mittel der Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von
20 Millionen Euro. Wir alle wissen, wie die Verhältnisse
in Pakistan sind und wie krass dort die Unterentwicklung
ist.
Meine Frage ist folgende: Ist diese Relation, dieses
krasse Missverhältnis, mit Ihrem Anspruch einer weitsichtigen Friedens- und Sicherheitspolitik vereinbar, wie
sie von Ihrem Kollegen, Staatsminister Erler, in seinem
vorzüglichen Buch Mission Weltfrieden überzeugend
dargestellt worden ist?
Ja, das ist vereinbar, und die Entscheidungen sind in
großer Verantwortung getroffen worden. Zu solchen Entscheidungen führen nicht Motive, die nur einen Punkt
berühren. Sie wissen, dass es sehr viele komplizierte Zusammenhänge gibt, und es wird auch nicht immer nur im
engen Sinne national entschieden, sondern hin und wieder werden die Entscheidungen auch in gemeinsamer
Verantwortung mit befreundeten Nationen und im Bündnis getroffen.
Ich gehe davon aus, dass es diese Kombination, wonach im Hinblick auf die vermeintlichen und tatsächlichen Sicherheitsbedürfnisse dieser Länder miteinander
Geschäfte gemacht werden und gleichzeitig Entwicklungshilfe für andere Zwecke, also unmittelbar an die
Menschen gerichtet, geleistet wird, häufiger gibt, als das
durch Ihre auf diesen Punkt zugespitzte Frage gezeigt
wird. Dieses Verfahren gibt es nicht nur in Bezug auf die
Rüstung.
Ich will ein anderes Beispiel erwähnen: Das große,
starke China erhält noch immer Entwicklungshilfe von
Deutschland. Auch hier kann man Fragen stellen. Hier
müssen aber sehr unterschiedliche Ebenen berücksichtigt werden. Insoweit kommt es zu solchen Parallelentscheidungen.
Herr Kollege Schäfer, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe verstanden, dass Sie zu
den konkret anhängigen möglichen Lieferungen - zum
Beispiel von U-Booten und dem Panzerfahrzeug Dingo nichts sagen wollen. Es handelt sich allerdings nicht nur
um Spekulationen der Financial Times Deutschland.
Neulich war der pakistanische Verteidigungsminister mit
konkreten Ansinnen und Wünschen in Berlin.
Meine Frage lautet: Ist nach Ihrer Auffassung unter
strikter Beachtung der Grundsätze aus dem Jahr 2000 an
Paul Schäfer ({0})
umfangreiche Waffenlieferungen an Pakistan zu denken,
oder ist das aus Ihrer Sicht a priori auszuschließen?
Ich muss mich entschuldigen. Ich habe Ihre Frage
nicht richtig verstanden. Können Sie sie bitte wiederholen?
Kann an intensive Waffengeschäfte mit Pakistan gedacht werden, wenn man die Politischen Grundsätze aus
dem Jahr 2000 strikt beachtet - Sie kennen die darin
festgehaltenen Kriterien -, oder schließen sich solche
Geschäfte dann kategorisch aus?
Damit sind wir wieder im spekulativen Bereich. Es tut
mir leid, dass ich keine andere Antwort geben kann.
Das Verhältnis zu Pakistan kann man doch bewerten.
Nein, nicht öffentlich. Es ist ja ein theoretischer Vorgang, und die Bundesregierung bewertet nicht öffentlich
die Frage, ob nach den Grundsätzen eine Lieferung nach
Pakistan erfolgen kann. Das würde zu außenpolitischen
Irritationen und Erklärungsnotwendigkeiten führen. Damit würden wir niemandem helfen. Wir berichten in der
vorgesehenen Art und Weise über erfolgte Rüstungsgeschäfte. Es ist zwischen Parlament und Regierung verabredet, dass das nach Ablauf eines Jahres geschieht,
und das wird ohne Zweifel korrekt erfolgen. Während
der Vorverhandlungen sind weitergehende Kommentierungen und Bewertungen schädlich für alle Beteiligten,
egal wie die Entscheidung ausgeht.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf. Die Fragen 31 und 32
des Kollegen Markus Kurth, die Fragen 33 und 34 der
Kollegin Elke Reinke sowie die Fragen 35 und 36 der
Kollegin Cornelia Hirsch und die Fragen 37 und 38 der
Kollegin Dr. Martina Bunge werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe deshalb den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Kasparick zur Verfügung.
Die Frage 39 des Kollegen Dr. Erwin Lotter wird
schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich die Frage 40 des Kollegen Rainder
Steenblock auf:
Inwieweit wird sich die Bundesregierung an eventuell anfallenden Kosten einer von etlichen schleswig-holsteinischen
Ostseebädern geforderten und von der Deutschen Bahn AG
bereits in Aussicht gestellten Ertüchtigung der bestehenden
Trasse oder einer kompletten Neutrassierung der Schienenhinterlandanbindung einer festen Querung über den Fehmarnbelt,
wegen welcher die Kieler Landesregierung nach Aussagen
vom Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein, Jost de
Jager, bereits in Verhandlungen mit dem Bundesminister für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee,
stehe, beteiligen, und welche Auswirkungen hätte eine solche
Ertüchtigung bzw. Neutrassierung nach Ansicht der Bundesregierung auf die Kosten der deutschen Hinterlandanbindung
aller Voraussicht nach insgesamt?
Lieber Kollege Steenblock, herzlichen Dank für Ihre
Frage zur Fehmarnbelt-Querung. Ich rufe kurz in Erinnerung, dass wir 2007 ein Memorandum of Understanding mit den Dänen unterzeichnet haben. 2008 haben
wir einen Staatsvertrag unterschrieben. Im Sommer 2008
hat die DB AG als Eigentümerin der Schieneninfrastruktur den Auftrag für die Vorplanung vergeben. Wie Sie
wissen, hat der Bund die Rolle des Finanziers. Denn die
DB AG ist seit 1995 für Vorplanung, Durchführung und
Ausschreibungen bis hin zu Abrechnungen zuständig.
Jetzt geht es an der Strecke darum, dass in der Vorplanung geprüft werden muss, welche Varianten für die
Hinterlandanbindung in dem Sinne zielführend sind,
dass die Haushalte - insbesondere der Bundeshaushalt nicht über Gebühr belastet werden. Wie Sie wissen, ist
vereinbart worden, dass die Brücke selbst von den Dänen finanziert wird und wir nur für den in Deutschland
liegenden Teil - also die Hinterlandanbindung - zuständig sind.
In Bezug auf die Vorzugsvarianten, die zurzeit geprüft
werden, muss man nach den Geboten der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit handeln. Wir müssen gleichzeitig
die Belange von Umweltschutz und Lärmschutz beachten. Jetzt liegt ein erstes Zwischenergebnis vor, das auch
der Landesregierung in Schleswig-Holstein und den betroffenen Regionen vorgestellt worden ist. Dieses Zwischenergebnis besagt, dass wir bis auf einige Ausnahmen mit der bestehenden Trasse arbeiten können.
Zur Vorplanung gehört - das ist ein normales Verfahren bei großen Projekten -, dass man Varianten vergleichen, also Alternativen untersuchen muss. Im Rahmen
von Planfeststellungen muss mit Einwänden und gegebenenfalls daraus folgenden Klagen gerechnet werden.
Deswegen müssen im Vorfeld eines Planfeststellungsverfahrens Trassenvarianten geprüft werden. Um dem
Rechnung zu tragen, wird im Rahmen der Planungsstudie auch eine autobahnparallele Trassenführung im Bereich Lübecker Bucht untersucht.
Zu den Kosten der Varianten können wir im Moment
noch nichts sagen, da die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Wir rechnen damit, dass wir diesbezüglich Ende des Jahres etwas klarer sehen. Insgesamt
gilt natürlich das Bundesschienenwegeausbaugesetz.
Von daher liegen der Finanzierung der Investition klare
Regelungen zugrunde.
Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Bei der Beantwortung der Frage ist mir nicht ganz klar geworden, wie die
Trassenentscheidung tatsächlich aussieht. Sie haben gesagt, wahrscheinlich könne man, vielleicht von einigen
Ausnahmen abgesehen, die bisherige Trasse nutzen. Sie
wissen sicherlich, dass es in der Region eine sehr umfangreiche Diskussion darüber gibt, dass die autobahnparallele Trasse aus Tourismusgründen die geeignetere
wäre. Sie haben gesagt, Sie untersuchten das, die bestehende Trasse sei jedoch die geeignetere. Sie können aber
nichts über die Kosten der Varianten sagen. So habe ich
Sie jetzt verstanden.
Nun entscheiden wir wahrscheinlich in der nächsten
Woche über den Staatsvertrag. Halten Sie es nicht für
eine schwierige Situation für die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages, wenn sie über einen Vertrag
entscheiden müssen und die damit verbundenen Kosten
überhaupt nicht kennen?
Nein, das ist nicht der Punkt. Der Staatsvertrag regelt
die Gesamtkosten und deren Aufteilung zwischen Dänemark und Deutschland. Insofern ist darüber nicht zu entscheiden.
Im Moment werden die Varianten untersucht, übrigens nicht vom Bund, sondern von der Deutschen Bahn.
Wenn diese Untersuchung abgeschlossen ist, kann man
eine Aussage darüber treffen, welche Kosten die autobahnparallele Trasse und der Ausbau der bestehenden
Trasse, abgesehen von wenigen Ausnahmen, verursachen. Das alles muss im Rahmen des Staatsvertrages liegen; das ist völlig klar. Man kann jetzt nicht zu Varianten
kommen, die den Rahmen sprengen, die der Staatsvertrag vorgibt. Aber wir müssen die Untersuchung abwarten, bevor wir sie bewerten können.
Neben dem Tourismus lassen sich natürlich auch Naturschutz- und Lärmschutzaspekte geltend machen. Das
in Deutschland geltende Planfeststellungsverfahren sieht
vor, dass alle Interessen, die mit einem großen Bauprojekt verbunden sind, miteinander abgeglichen werden
müssen. Dazu gehören auch touristische Belange.
Zweite Nachfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, dieser Staatsvertrag hängt selbstverständlich mit den Kosten zusammen; denn in diesem
Vertrag verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, die Kosten für die Hinterlandanbindung zu tragen.
Diese Kosten sind anscheinend nicht zu quantifizieren.
Für uns Abgeordnete wäre es aber sehr interessant, zu
wissen, worüber wir eigentlich abstimmen; denn die
Verwendung der Steuermittel, die die Bürgerinnen und
Bürger in erheblichem Umfang zahlen müssen, liegt in
unserer Verantwortung. Deshalb frage ich noch einmal
nach den Kosten.
Der Bundesrechnungshof hat gerade ein neues Gutachten veröffentlicht - Sie kennen es -, in dem er davon
ausgeht, dass die konventionelle Variante, also nicht die
autobahnparallele Neutrassierung der Bahnstrecke,
wenn man die normalen Kostensteigerungen berücksichtigt, 1,7 Milliarden Euro kosten werde. Meine Frage:
Haben Sie in etwa eine Vorstellung davon - ohne das
jetzt auf die letzte Zahl hinter dem Komma zu quantifizieren -, was eine Trassenverlegung kosten würde?
Ich muss es noch einmal sagen, damit es klar wird:
Wir folgen den Annahmen des Bundesrechnungshofs im
jetzigen Planungsstadium nicht; denn sie sind hoch spekulativ. Wir brauchen, wenn man das genau bewerten
will, eine gewisse Planungstiefe; wir brauchen die Ergebnisse. Wir rechnen im Sommer dieses Jahres damit.
Klar ist aber: Der Rahmen des Staatsvertrages darf
nicht verletzt werden. Die Hauptbaulast trägt Dänemark.
Wir sind für die Hinterlandanbindung zuständig. Die
Pflicht der Bundesregierung ist, die kostengünstigste Variante zu wählen. Wir können nicht eine Variante wählen, die den Bund in Zeiten knapper Ressourcen über
Gebühr belastet. Sie können sicher sein, dass wir darauf
sehr achten werden.
Wir kommen zu Frage 41 des Kollegen Steenblock:
Ist der Bund unter bestimmten Bedingungen bereit, einen
Teil der eventuell für Querungsbauwerke im Zuge der Schienenhinterlandanbindung einer festen Querung über den Fehmarnbelt anfallenden Kosten, die nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz die Kommunen zu tragen hätten, zu übernehmen,
und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grundlage ist § 13 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes.
Danach trägt der Bund ein Drittel. Mehr ist mit
Art. 104 a Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar.
Bitte, eine Nachfrage.
Herzlichen Dank für diese klare Antwort. Das heißt,
dass Verhandlungen nur über Trassen und nicht über
Kosten für den Bund anstehen.
Weil bei der Finanzierung der Trassen Mittel für die
Transeuropäischen Netze, TEN, immer eingerechnet
werden, stellt sich mir folgende Frage: Ursprünglich ist
dieses Projekt, was die Schienenstrecken angeht, als
Hochgeschwindigkeitstrasse, die von Kopenhagen bis
nach Bremen oder nach Hannover führt und an die
Hochgeschwindigkeitsnetze in Deutschland angebunden wird, bei der Europäischen Union beantragt. Die
konkreten Planungen sehen nun nur noch ein Regionalstreckenniveau und zum Teil einen eingleisigen Betrieb
mit einer maximalen Geschwindigkeit von 160 km/h
vor. Das hat nichts mehr mit einer Hochgeschwindigkeitstrasse zu tun. Der BUND hat am Montag eine Klage
dagegen in Brüssel eingereicht, da nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für die Gewährung der TENMittel gar nicht mehr gewährleistet sind. Wie beurteilt
die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass mit den
Steuergeldern, wie Sie selber gesagt haben, verantwortungsvoll umgegangen werden muss, die Möglichkeit,
dass die eingeplanten EU-Mittel gar nicht mehr zur Verfügung stehen, weil eine ganz andere Trasse, als bei der
EU beantragt, gebaut wird?
Sie werden verstehen, dass ich keine Stellungnahme
zu einem Vorgang abgebe, bei dem kürzlich eine Klage
eingereicht wurde. Nur so viel: Unsere Grundlage sind
das Memorandum of Understanding, der Staatsvertrag,
und das, was mit den Dänen verabredet ist. Wir wollen
eine kombinierte Straßen-Schienen-Verbindung mit einer zweigleisigen, elektrifizierten Eisenbahnstrecke und
einer vierstreifigen Straße. Das Ziel ist die Eröffnung im
Jahr 2018. Bis dahin soll die bestehende Strecke so ausgebaut werden, dass 160 km/h erreicht werden können.
Die Öresund-Brücke selbst soll eingleisig bleiben. Das
sind die verabredeten Vorhaben.
Sie wissen sicherlich, wie es sich mit Großprojekten
verhält. Wir sind erst bei den Vorplanungen. Wir haben
die erste Tranche in Höhe von 14,8 Millionen Euro an
die Deutsche Bahn ausgereicht, damit man mit den Vorplanungen im Juni 2008 beginnen konnte. Wenn die Vorplanungen und das Planfeststellungsverfahren, in das
alle Interessen einfließen, die zu berücksichtigen sind,
abgeschlossen sind und wenn man zu einem baurechtlich
relevanten Beschluss kommt, dann schaut man sich die
Finanzierung noch einmal genau an. Dann ist zum Beispiel der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zu beteiligen. Insofern sehe ich der Klage des BUND
mit großer Gelassenheit entgegen.
Eine weitere Nachfrage.
Eine letzte Nachfrage, Herr Staatssekretär, weil Sie
das gerade angesprochen haben. Natürlich sind wir in
der Planungsphase. Aber finden Sie nicht Planungen
aberwitzig - Sie kennen die Region -, wonach für den
Zubringer vom Festland zur Insel eine eingleisige Bahnstrecke und eine zweispurige Autostraße bzw. Autobrücke vorgesehen sind - viele deutsche und ausländische
Touristen besuchen die Insel; die existierende Brücke ist
sehr stark befahren -, während auf der viel weniger befahrenen Strecke von der Insel nach Dänemark eine vierspurige Autobahn und eine zweigleisige, elektrifizierte
Eisenbahnstrecke gebaut werden sollen? Wie kann man
dem deutschen Steuerzahler erklären, dass der vielbefahrene Zubringer eingleisig bzw. zweispurig, die Strecke
nach Dänemark aber zweigleisig bzw. vierspurig für
7 Milliarden Euro, die hauptsächlich die Dänen tragen,
gebaut wird?
Wir befinden uns jetzt in der Vorplanung, das heißt
die Deutsche Bahn AG; die eigentlichen Planungen haben noch gar nicht begonnen. In diesem Rahmen werden
verschiedene Varianten untersucht, unter anderem unter
Kostengesichtspunkten. Die Ergebnisse werden wir im
Herbst dieses Jahres haben. Erst dann werden wir entscheiden können.
Die Frage, die Brücke eingleisig zu führen und den
Zubringer breiter zu bauen, ist nicht zuletzt eine Frage
der Finanzierungslasten.
({0})
Es tut mir leid, Herr Kollege Steenblock, Ihr Fragerecht ist ausgeschöpft.
Die Frage 42 der Kollegin Gitta Connemann und die
Fragen 43 und 44 des Kollegen Dr. Ilja Seifert sollen
schriftlich beantwortet werden. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Staatsminister Dr. Gernot Erler zur Verfügung.
Die Frage 45 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann
und die Fragen 46 und 47 der Kollegin Ute Koczy sollen
ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 48 der Kollegin Dağdelen:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um
die Einhaltung und Umsetzung der von Mexiko akzeptierten
Verpflichtungen gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat zu
überprüfen, bei denen es um die Implementierung effektiverer
Sicherheitsmaßnahmen für die Menschenrechtsverteidiger
geht, damit zukünftige Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger verhindert werden und in Fällen von Ermordung, Drohung und Angriffen gegenüber Menschenrechtsverteidigern
strafrechtlich ermittelt wird und die Täter bestraft werden, sowie Mexiko darin zu unterstützen, die Empfehlungen durch
konkrete und effektive Aktionen umzusetzen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Mexiko hat im Februar 2009 in der vierten Sitzung
des UPR-Verfahrens, also des universellen periodischen
Staatenüberprüfungsverfahrens, vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf seinen nationalen Menschenrechtsbericht vorgestellt und sich den Fragen und abgegebenen Empfehlungen der Mitglieder des
UN-Menschenrechtsrats konstruktiv und aufgeschlossen gestellt. Hierbei wurden von Deutschland und anderen Mitgliedern des UN-Menschenrechtsrats Fragen insbesondere zu der schwierigen und häufig gefährdeten
Situation von Menschenrechtsverteidigern gestellt. Die
mexikanische Regierung wurde aufgefordert, die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidigern besser zu schützen.
Im Anschluss an diese Sitzung wurden gegenüber
Mexiko wie gegenüber allen anderen Ländern, die dem
UPR-Verfahren unterliegen, Empfehlungen abgegeben,
in denen auch die Situation von Menschenrechtsverteidigern ausdrücklich erwähnt ist. Gegenüber EU-Vertretern
hat die mexikanische Regierung im März 2009 angegeben, 83 der abgegebenen 91 Empfehlungen zu akzeptieren und in acht Fällen, bei denen eine gesetzliche Umsetzung wegen der Komplexität eine eingehendere Prüfung
erfordert, einen Vorbehalt einzulegen. Es liegen keine
Informationen vor, ob die Empfehlungen zu Menschenrechtsverteidigern uneingeschränkt angenommen werden. Die mexikanische Regierung zeigte sich jedoch bei
diesem Gespräch, auch zu diesem Thema offen. Im Rahmen des UPR-Verfahrens haben die Länder die Gelegenheit, noch einmal gegenüber dem Menschenrechtsrat der
Vereinten Nationen Stellung zu nehmen, ob sie die Empfehlungen annehmen oder zurückweisen. Diese Aussprache wird für Mexiko im Juni während der elften Sitzung
des Menschenrechtsrats stattfinden. Hierbei wird sich
Mexiko auch zu den Empfehlungen zu den in Mexiko tätigen Menschenrechtsverteidigern äußern.
Menschenrechtsfragen, insbesondere die Lage der
Menschenrechtsverteidiger, sind Gegenstand des intensiven bilateralen Dialogs der Bundesregierung mit Mexiko. Auf europäischer Ebene hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass ein verstärkter strukturierter
Menschenrechtsdialog mit Mexiko im Rahmen der strategischen Partnerschaft zwischen der Europäischen
Union und Mexiko begonnen wird. Menschenrechtsfragen waren bislang schon Gegenstand des auf Grundlage
des EU-Globalabkommens mit Mexiko geführten politischen Dialogs.
Nachfrage, Frau Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ich möchte gerade
auch vor dem Hintergrund der Gespräche nachfragen,
die ich als stellvertretende Vorsitzende der deutsch-mexikanischen Parlamentarier- und Parlamentarierinnengruppe mit pbi und den Menschenrechtsverteidigerinnen
und Menschenrechtsverteidigern vor Ort in Mexiko
führe.
Von den acht Empfehlungen, die im Rahmen des
Prüfverfahrens vor dem UN-Menschenrechtsrat formuliert wurden und die Mexiko noch nicht akzeptiert hat,
beziehen sich fünf auf die Anwendung der Militärgerichtsbarkeit, also Fuero Militar, und zwar auf Fälle, in
denen militärisches Personal wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilisten angezeigt wurde, wobei die
Ermittlungen der Militärgerichtsbarkeit in derartigen
Fällen stets zu Straflosigkeit führen. Meine Frage - die
Ihnen zugeschickte Frage haben Sie, mit Verlaub, Herr
Staatsminister, nicht besonders gut beantwortet - lautet:
Was gedenkt die Bundesregierung im Hinblick auf die
gegenüber Mexiko erhobene Forderung zu tun - neben
den Gesprächen, die ohnehin kontinuierlich geführt werden -, vom Militär begangene Menschenrechtsverletzungen, besonders die Fälle von Folter, erniedrigender
und grausamer Behandlung, vor zivilen Gerichten zu
verhandeln, auch wenn die Soldaten die Menschenrechtsverletzungen im Einsatz begangen haben? Ich
kann auch fragen: Wie will die Bundesregierung im Fall
einer Annahme Mexiko darin unterstützen, die Empfehlungen durch konkrete und auch effektive Maßnahmen
umzusetzen?
Frau Kollegin Dağdelen, ich hatte schon ausgeführt,
dass das UPR-Verfahren noch nicht abgeschlossen ist,
sodass durchaus die Möglichkeit besteht, in der nächsten
Aussprache mit Mexiko auf diese Empfehlungen zurückzukommen, auch auf die acht, die von Mexiko im
Augenblick noch nicht akzeptiert werden.
Ich habe zudem ausführlich dargelegt, dass wir auch
bilaterale Möglichkeiten und den verstärkten strukturellen Menschenrechtsdialog mit Mexiko regelmäßig nutzen, um Fragen im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverteidigern und ihrer Behandlung in Mexiko
anzusprechen. Ich kann noch anfügen, dass unsere Botschaft vor Ort in Mexiko sich regelmäßig mit diesen Fragen beschäftigt.
Zweite Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Eine Vorbemerkung
und eine Vorvorbemerkung. Die Vorvorbemerkung: In
meinem Namen wird das „g“ nicht gesprochen, wie das
der Herr Präsident richtigerweise macht. Herr Erler, wir
haben doch schon seit ein paar Jahren in den Fragestunden miteinander zu tun!
Die Vorbemerkung: Natürlich wird es im Juni wegen
des UPR-Verfahrens noch eine Zusammenkunft geben.
Deshalb frage ich schon jetzt: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun? Mit welcher Position geht sie da hinein? Sie geht ja nicht ohne Position, ohne Vorüberlegungen in ein solches Gespräch in Genf.
Jetzt zu meiner zweiten Nachfrage. Die jüngste Verfassungsreform in Mexiko enthält viele positive Aspekte. So soll etwa in die Verfassung aufgenommen werden, dass die Unschuldsvermutung gilt. Leider enthält
sie aber nur eine vage Definition des organisierten Verbrechens, welche mit der UN-Konvention, also der Konvention von Palermo, nicht übereinstimmt. Das betrifft
zum Beispiel die Arraigo, eine Form der Präventionsund Untersuchungshaft, die einen willkürlichen Charakter hat. Wie gedenkt die Bundesregierung mit der während der Sitzung vor dem UN-Menschenrechtsrat bekräftigten Verpflichtung Mexikos, die Menschenrechte
einzuhalten und die nationalen Gesetze und Regelungen
an die internationalen Abkommen anzugleichen, in den
bilateralen Beziehungen umzugehen, wenn Mexiko eine
Harmonisierung an die internationalen Abkommen in
den Fällen des organisierten Verbrechens und der Arraigo ablehnt?
Frau Dağdelen - ich hoffe, dass ich das „g“ jetzt endgültig unhörbar gemacht habe -,
({0})
natürlich müssen wir den zweiten Auftritt Mexikos in
Genf abwarten, weil wir erst dann genau wissen werden,
wie Mexiko die Tatsache erklärt, dass es Vorbehalte gegen acht der Empfehlungen hat. Sie haben korrekterweise dargestellt, dass es dabei überwiegend um die
Menschenrechtsverteidiger geht.
Neben den Möglichkeiten, die ich schon aufgezeigt
habe - bilaterale und multilaterale Gelegenheiten, etwa
EU-Mexiko-Dialog -, steht uns nur noch das Aufgreifen
von Einzelfällen offen, um deutlich zu machen, was unsere Position ist. Ich erinnere daran, dass das vor einiger
Zeit geschehen ist. Sie sind sicherlich über das tragische
Schicksal der indigenen Menschenrechtsverteidiger
Manuel Ponce Rosas und Raúl Lucas Lucía informiert,
die am 20. Februar verschleppt worden sind. Hierzu hat
es nicht nur eine scharfe Verurteilung durch die EU-Präsidentschaft gegeben, sondern am 16. April auch eine
Reise von ständigen Vertretern aus EU-Ländern in die
Provinz Guerrero - wir haben daran teilgenommen -,
mit dem Ziel, sich vor Ort sehr deutlich zu diesem Fall
zu äußern und darauf zu drängen, dass eine Aufklärung
stattfindet. Das sind die Möglichkeiten, die wir haben, in
dem Sinne tätig zu werden, wie Sie es hier angesprochen
haben und ganz offensichtlich auch wünschen.
Die Frage 49 des Abgeordneten Volker Beck und die
Frage 50 des Abgeordneten Wilhelm Josef Sebastian
sollen wiederum schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe als letzte Frage der Fragestunde die Frage 51
des Kollegen Manuel Sarrazin auf:
Trifft es zu, dass Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bereits sondiert hat, ob Friedrich Merz der nächste deutsche EUKommissar werden wird?
Herr Kollege Sarrazin, der Europäische Rat ist im Dezember 2008 übereingekommen, dass der Prozess der
Ernennung der künftigen Kommission, insbesondere die
Benennung ihres Präsidenten, unverzüglich nach den
Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 eingeleitet wird. Gemäß der annotierten Tagesordnung
strebt der tschechische EU-Vorsitz an, beim Europäischen Rat am 18./19. Juni 2009 Einvernehmen über die
Designierung des künftigen Kommissionspräsidenten zu
erzielen. Beschlüsse zu den übrigen Kommissaren stehen derzeit nicht an.
Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
nun ist es ja so, dass im deutschen Blätterwald Herr
Merz vonseiten der CDU für ein entsprechendes Amt ins
Spiel gebracht und nach Einschätzung der CDU-Seite
- ich weiß nicht, ob sich das auch auf die Kriterien, die
die Verträge beinhalten, bezieht - als kompetenter Kandidat auserkoren wurde. Kann ich aus Ihrer Aussage
schließen, dass sich die Bundesregierung derzeit nicht
damit befasst, ihren Vorschlag für die Vorschlagsliste,
die an den Präsidenten der Kommission, so er denn feststeht, zur Auswahl zu übermitteln ist, zu unterbreiten?
Ja, das schließen Sie richtig, Herr Kollege Sarrazin.
Ich habe hier nicht zufällig noch einmal das verabredete
Verfahren angesprochen. Sie wissen ja, dass sich die
Bundesregierung in EU-Angelegenheiten immer ganz
besonders verfahrenstreu verhält. Das ist auch hier der
Fall.
Was Sie jetzt ansprechen, ist eine völlig andere Sache.
Ich kann natürlich nur bestätigen, dass es schon entsprechende Pressemeldungen gibt. Ich muss aber fairerweise
sagen, auf Parteienebene gibt es nicht nur bei der CDU,
sondern auch bei der SPD Diskussionen über Personalien. Diese Diskussionen sind aber nicht identisch mit einer offiziellen Sondierung - danach hatten Sie konkret
gefragt -, ob jemand bereit wäre, zukünftig das Amt eines EU-Kommissars zu übernehmen. Eine solche findet
nicht statt.
Zweite Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank. - Jetzt lässt sich vermuten, ob der Vorschlag der SPD dem der CDU gleichwertig ist. Es gibt
aber einen Unterschied: Die CDU/CSU - das ist Ihnen
vielleicht bekannt - hat in ihrem gemeinsamen Wahlaufruf geschrieben, dass abhängig von dem Ergebnis der
Europawahlen die Person des deutschen Kommissars benannt werden sollte. Ich denke, dass Ihnen als Vertreter
der Bundesregierung keine Anzeichen dafür vorliegen,
dass die Europawahlen schon gelaufen sind, obwohl
manche CDU-Vertreter ja so tun. Auch die CDU weiß
natürlich, dass die Europawahlen noch bevorstehen.
Ich möchte nun aber die Bundesregierung fragen, ob
sie Anzeichen dafür hat, dass die Person Angela Merkel,
also die Bundeskanzlerin, in irgendeiner Form involviert
war und es Rücksprache mit ihr gab, welcher Vorschlag
vonseiten der CDU in der Öffentlichkeit benannt werden
würde.
Nein, solche Anzeichen liegen uns nicht vor.
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Ich habe gesagt: Wir haben gemeinsam ein Verfahren
verabredet. Wir werden uns an dieses Verfahren halten.
Nur in dem Fall, dass es doch schon vorher eine Verständigung zwischen den beiden Koalitionspartnern über
einen deutschen Kandidaten gibt, würden wir davon
abweichen. Ansonsten halten wir uns an den vorgezeichneten Fahrplan. Wir werden uns darüber verständigen,
wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Es gibt aber derzeit
noch keine Beratungen oder Beschlüsse über Personen,
die als EU-Kommissare infrage kämen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis
15.35 Uhr. Wir setzen die Sitzung mit dem Zusatzpunkt
„Aktuelle Stunde“ fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung wieder.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zu den kritischen Äußerungen von EU-Kommissar
Günter Verheugen über die Bankenaufsicht in
Deutschland
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Jürgen Koppelin von der
FDP.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
einigen Tagen sagte der EU-Kommissar Verheugen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung:
Deutschland war Weltmeister in riskanten Bankgeschäften. Nirgendwo auf der Welt … haben sich
Banken mit größerer Bereitschaft in unkalkulierbare Risiken gestürzt, allen voran die Landesbanken. Das hat jetzt dramatische Folgen für den deutschen Steuerzahler. … In der Kommission wird die
Rolle der deutschen Finanzaufsicht kritisch beurteilt.
Leider hat Günter Verheugen recht. Das haben auch
wir als Freie Demokraten gesagt. Es ist gut, dass eine
ähnliche Stimme auch einmal aus einem anderen politischen Lager kommt.
({0})
- Das ist doch lange her. Da waren auch Sie woanders.
({1})
Das können Sie ja nachher ausführen.
Günter Verheugen hat vielleicht mehr Detailkenntnisse; denn er kennt seine SPD-Pappenheimer natürlich
viel besser, als wir sie kennen. Dazu, dass Sie jetzt auf
Ihren Wahlplakaten schreiben: „Finanzhaie würden FDP
wählen“ - das können Sie gerne machen; man bekommt
sogar viel Sympathie dafür -, kann ich nur sagen: Dieser
Hai auf dem Plakat hat viele Zähne. Nun fangen wir einmal in dieser Aktuellen Stunde an, diesem Hai die Zähne
zu ziehen.
({2})
2002 hat die FDP gefordert, die Bankenaufsicht unter
einheitliche Kontrolle der Bundesbank zu stellen. Raten
Sie einmal, was Sie als Sozialdemokraten gemacht haben: Sie haben es abgelehnt. Wir haben gefordert, dass
die KfW unter die Bankenaufsicht gestellt wird. Was haben die Sozialdemokraten gemacht? Sie haben dies abgelehnt.
({3})
Stattdessen sind Sie - damals noch unter Hans Eichel als
Finanzminister - über die KfW bei der IKB-Bank eingestiegen. Das war eine Riesenpleite zum Schaden des
deutschen Steuerzahlers. Anschließend wurde sie - auf
Vorschlag der Sozialdemokraten - an eine sogenannte
Heuschrecke verkauft, wie Herr Müntefering sagen
würde.
Wir haben Ihnen immer gesagt: Es ist nicht Aufgabe
einer staatlichen Förderbank, sich an Risikogeschäften
zu beteiligen. Wo haben Sie gebremst? Sie sind seit elf
Jahren in der Verantwortung. Es ist null geschehen. Sie
waren nicht da.
({4})
Im Zusammenhang mit der Hypo Real Estate hat die
Bundesbank erhebliche Mängel festgestellt. Entsprechende Berichte gingen an das Bundesfinanzministerium. Wo landeten sie? In der Ablage. Nichts ist geschehen. Da fragt man sich doch: Was ist denn da los? Man
kann nur immer wieder sagen: Verheugen hat recht.
Wo waren denn die SPD-Finanzminister Lafontaine,
Eichel und Steinbrück, wenn es darum ging, die deutsche Bankenaufsicht zu stärken? Fehlanzeige über Fehlanzeige! Sie waren nicht da. Insofern hat Verheugen
recht. Sie hatten in den letzten elf Jahren überhaupt kein
Interesse, die deutsche Bankenaufsicht zu stärken.
({5})
Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel; Kollege Runde
wird sich an diesem Beispiel sicher erfreuen. Nehmen
wir die HSH Nordbank. Die Schwierigkeiten sind allgemein bekannt; aufgrund der knappen Redezeit will ich
das nicht weiter ausführen. Kollege Runde - auch Sie
waren in der Verantwortung; Sie waren Regierungschef
in Hamburg -, Sie werden der deutschen Bevölkerung
sagen müssen, wie es dazu kam, dass von der HSH
Nordbank 20 Tochterfirmen in der Karibik, in SteuerDr. h. c. Jürgen Koppelin
oasen, gegründet wurden. Den Kunden der HSH Nordbank wurde empfohlen, das Geld in die Karibik hinüberzuschaufeln.
({6})
Wann hat die Gründung dieser Unternehmen - insgesamt waren es 160 Beteiligungen der HSH Nordbank stattgefunden? Ich habe nicht recherchiert, ob Sie damals im Amt waren.
({7})
Das werden Sie uns erklären können.
Eines weiß ich: Der damalige Finanzminister des
Landes Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, Sozialdemokrat, saß im Aufsichtsrat. Heute ist er SPD-Chef in
Schleswig-Holstein. Wo sind denn die Herrschaften gewesen? Warum haben sie in ihrer Amtszeit nicht aufgepasst und gesagt: „Es kommt überhaupt nicht infrage,
dass in der Karibik von der HSH Nordbank Firmenbeteiligungen übernommen werden und dass ihr euer Geld
dahin verlagert“? Null ist geschehen. Da sind die Sozialdemokraten abgetaucht. Herzliche Grüße an Ihren Finanzhai!
({8})
Das hätten Sie stoppen können. Sie haben doch die Möglichkeit dazu gehabt. Nicht Freie Demokraten saßen in
den Aufsichtsgremien - das kann ich Ihnen sagen -, sondern Sie. Sozialdemokraten haben in allen Aufsichtsräten gesessen, aber sie haben nichts getan, was die Bankenaufsicht anbelangt.
Deswegen hat Herr Verheugen recht: „Deutschland
war Weltmeister in riskanten Bankgeschäften.“ Leider
- das muss man sagen - saßen viele Sozialdemokraten in
den Aufsichtsgremien und haben nichts getan. Sie haben
die Banken diese Geschäfte machen lassen. Das waren
keine von der FDP, sondern Sozialdemokraten.
({9})
Ich finde, man muss dem EU-Kommissar Verheugen
für seine deutlichen und klaren Worte wirklich dankbar
sein. Wir haben die heutige Aktuelle Stunde auch beantragt, um zu kritisieren, dass der Bundesfinanzminister
Herrn Verheugen öffentlich in unangemessener Weise
- entschuldigen Sie diesen harten Ausdruck - angemistet hat. So geht man nicht miteinander um. Man muss
sich mit Kritik beschäftigen; aber dieser Finanzminister
ist ja nicht in der Lage, sich mit Kritik zu beschäftigen.
Er ist nur in der Lage, verbal auszuteilen. Das ist doch
das Problem.
Zu Ihrem Plakat sage ich: Ich weiß nicht, was Finanzhaie wählen. Eines aber weiß ich: Finanzhaie haben sich
in den letzten elf Jahren bei den Sozialdemokraten sehr
wohl gefühlt.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Gunther Krichbaum von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherlich hätte ich mir vor einiger Zeit auch nicht träumen
lassen, dass ich als Christdemokrat eines Tages zwischen
Sozialdemokraten vermitteln muss.
Doch zunächst zu Ihren Äußerungen, Herr Koppelin.
Sinn und Zweck der heutigen Aktuellen Stunde, die Sie
angestoßen haben, haben sich mir nicht ohne Weiteres
erschlossen.
({0})
Nach Ihrem Redebeitrag weiß ich aber sehr wohl, dass
es Ihnen im Kern nur darum geht, den HRE-Untersuchungsausschuss etwas zu promoten, dem aus Ihrer
Sicht bislang offenbar die mediale Aufmerksamkeit
fehlt. Dem soll offenbar auch diese Veranstaltung heute
dienen.
Es ist doch so: Wir haben in Deutschland und Europa
nicht zu wenig Aufsicht. Wir haben Aufsichtsräte, die
BaFin, die Bundesbank, die EZB und Ratingagenturen.
Die Vergangenheit hat aber sicherlich gezeigt, dass wir
die Zahnräder besser ineinandergreifen lassen müssen.
Das heißt, dass die Aufsicht effizienter werden muss, als
sie bislang war. Zu sehr hat sich in der Vergangenheit der
eine auf den anderen verlassen.
Herr Koppelin, Sie haben die Repräsentanz in den
Aufsichtsräten beschrieben. Bitte sehr, da sitzen wir
doch alle in einem Boot. Deswegen dürfen Sie der Vollständigkeit halber ruhig erwähnen, dass bei der Bayern
LB ein Herr Zeil von der FDP im Aufsichtsrat sitzt,
({1})
dass bei der Landesbank Baden-Württemberg Justizminister Goll im Aufsichtsrat sitzt, dass bei der Landesbank Hessen-Thüringen Herr Dieter Posch von der FDP
im Aufsichtsrat sitzt.
({2})
Bitte sehr, diese Liste ließe sich fortschreiben. An dieser
Stelle kann ich nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte
die großen Steine lieber in der Hosentasche lassen, als
damit um sich zu werfen.
({3})
Vielmehr geht es doch um Folgendes. Sie haben einen
Blick auf die Historie geworfen. Man muss auch hier der
Wahrheit die Ehre geben. In der Vergangenheit war es
gerade Finanzminister Eichel - das muss man zu seiner
Ehrenrettung sagen -, der darauf hingewiesen hat, dass
wir ein Mehr an Aufsicht brauchen. Die Wahrheit an
dieser Stelle ist, dass er in der Vergangenheit an dem
Widerstand unserer angelsächsischen Freunde, unserer
britischen Partner, und unserer Partner in den USA gescheitert ist. Das ist doch die Wahrheit.
An dieser Stelle muss man darauf hinweisen, dass vor
einem Jahr ein Brief Furore gemacht hat, in dem auf genau diese Umstände hingewiesen wurde. Er wurde in
den Zeitungen abgedruckt. Dort hieß es: Finanzmärkte
dürfen uns nicht regieren; wir brauchen eine bessere und
effizientere Aufsicht. Das war ein Brief von politischen
Persönlichkeiten aus ganz Europa, der Furore gemacht
hat und an Aktualität mit Sicherheit nichts eingebüßt hat.
Wie gesagt, es ist über ein Jahr her. Von daher kann man
auch hier auf Herrn Verheugen verweisen. Ihm hätte es
sicherlich gut zu Gesicht gestanden, dieses Schriftstück
wieder herauszuziehen. Dann hätte er gesehen, dass
diese Punkte in Deutschland sehr wohl beachtet wurden.
Nein, es gibt in der Tat Forderungen für die Zukunft.
Deswegen muss der Blick an dieser Stelle nach vorne
gerichtet sein. Wir brauchen ein höheres Maß an Effizienz in der Aufsicht. Gerade das muss auch in Deutschland verbessert werden. Deswegen plädieren wir seitens
der CDU/CSU-Fraktion dafür, dass wir die Kompetenzen von Bundesbank und BaFin in diesem Bereich zusammenlegen, um eine bessere und wirksamere Bankenaufsicht zu erreichen. Die Kompetenzen müssen ein
Stück weit mehr auf die Bundesbank verlegt werden.
({4})
Wir brauchen ein europäisches Ratingsystem. Auch
das wird von unserer Fraktion ausdrücklich begrüßt. Generell muss sich gerade im Sinne der Verbraucher mehr
Transparenz auf dem Markt ergeben. Wir brauchen einen
TÜV für Finanzmarktprodukte. Die Verbraucher müssen
sich darauf verlassen können, dass sie wissen, was sie
tatsächlich einkaufen, gerade dann, wenn es sich wie bei
Finanzprodukten um unsichtbare Waren handelt.
Wir sollten anstreben - wenngleich das dem künftigen Kommissionspräsidenten vorbehalten bleibt -, einen
eigenen Kommissar für diesen Bereich einzusetzen. Das
heißt, in der Struktur der Europäischen Kommission
muss ein Kommissar für die Finanzmarktaufsicht und
für die Regulierung vorgesehen sein. Wir müssen auf
dem Weg der G 20 weitergehen. Gerade jetzt, da das Eisen heiß ist, sollten wir durchsetzen, dass die Standards,
die wir schon immer seitens Deutschlands durchsetzen
wollten, internationale Standards werden. Wir sollten
unsere amerikanischen und britischen Freunde jetzt davon überzeugen.
Ich denke, wenn wir das beherzigen - auch ausgehend
von der heutigen Mitteilung der Kommission in diesem
Zusammenhang; meine Redezeit erlaubt es mir nicht
mehr, mich dazu zu äußern -, sind wir auf einem sehr
guten Weg. Aber der Blick muss bei alledem nach vorn
gerichtet sein.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich denke, es gibt keinen Zweifel
daran, dass die Bankenaufsicht in Deutschland komplett
versagt hat. Aber es gibt auch keinen Zweifel daran, dass
die Bundesregierung dafür die Verantwortung übernehmen müsste. Leider tut sie das nicht. Wäre es nicht an
der Zeit, dass die Bundesregierung öffentlich ihr Versagen eingesteht und personelle und strukturelle Schlussfolgerungen zieht?
({0})
Das wäre die Voraussetzung für einen Neuanfang in der
Bankenaufsicht.
Doch wir erleben das nicht und auch keinen Neuanfang. Im Gegenteil: Die Aufklärer der Bankenkrise werden mit allen Mitteln behindert. Herr Sanio, der Chef der
Bankenaufsicht, hat vor ein paar Tagen erklärt, dass er
wegen der vielen Arbeit, die seine Behörde mit dem Untersuchungsausschuss des Bundestages habe, teilweise
die Bankenaufsicht einstelle. Das ist doch wirklich ein
Skandal.
({1})
Dieser Mann, der bisher alle Bankenkrisen verschlafen
hat und immer erst dann reagiert, wenn die Banken kurz
vor dem Bankrott stehen, will nun das Parlament erpressen und unter Druck setzen? Das dürfen wir uns nicht
gefallen lassen.
({2})
Es kommt mir fast so vor, als wäre Herr Sanio mittlerweile der Mehdorn der Bankenaufsicht. Es ist unerträglich, dass die Bundesregierung solche personifizierten
Sicherheitsrisiken weiter herumwurschteln lässt.
Doch nicht nur die Bankenaufsicht hat versagt. Vor allem das Finanzministerium hat seine Kontrollfunktion
nicht wahrgenommen. Jeder Lidl-Supermarkt in Deutschland wird stärker kontrolliert als die Banken. Wie wir wissen, ist alles noch viel schlimmer. Es fehlte nicht nur eine
gute Kontrolle der Banken, sondern die Bundesregierung
selbst hat sinnvolle Kontrollen beseitigt und den Weg für
die Finanzkrise mit freigemacht. Ich darf aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD zitieren. Darin
heißt es:
Die Mindestanforderungen der BaFin
- also der Finanzdienstleistungsaufsicht an das Risikomanagement der Banken … sollen
schlank ausgestaltet werden.
„Schlank“ ist in diesem Zusammenhang ein anderes
Wort für „kastriert“.
({3})
Allerdings hätte auch eine kastrierte Bankenaufsicht wenigstens im Vorfeld der Bankenkrise laut aufschreien
können. Doch dazu fehlte ihr der Mut. - Ich merke, einige der Herren fühlen sich direkt angesprochen.
Die Regierung versucht, durch blinden Aktionismus
von ihrem Versagen abzulenken. Früher wurden vor den
Wahlen jeden Tag Autobahnabschnitte eingeweiht. Heute
wird jeden Tag eine marode Bank gerettet. Doch was
kommt nach den Wahlen?
({4})
Dann kommt der Katzenjammer. Denn wer soll die Milliarden bezahlen, die für die Rettung der Banken ausgegeben wurden? Ich bin mir sicher: CDU, CSU und SPD
bereiten die nächste Wahllüge vor. Heute heißt es aus
dem Regierungslager noch: Steuern senken - natürlich
in erster Linie für Unternehmen. Doch nach der Bundestagswahl wird es wieder eine Anhebung der Mehrwertsteuer oder anderer Massensteuern geben. So war das
auch 2005; ich sage das voraus. Wir als Linke werden
uns dem entschieden entgegenstellen.
({5})
Die Bundesregierung gibt nun vor, den Bankensektor
strenger regulieren zu wollen. Doch gegenwärtig erleben
die Menschen nur, dass die Bundesregierung Milliarden
von Euro in marode Banken steckt.
Eine kleine Gruppe von Politikern und Bankmanagern entscheidet über die Vergabe von Milliarden von
Euro, ohne dass sie vom Bundestag wirksam kontrolliert
werden kann. Das ist wirklich ein unhaltbarer Zustand.
({6})
Die FDP versucht mit dieser Aktuellen Stunde allerdings den Eindruck zu erwecken, als ob die Schuld an
der Bankenkrise allein bei der Bundesregierung liegen
würde. Doch das stimmt nicht ganz.
({7})
Die Banken in unserem Land haben ein enormes Erpressungspotenzial. Ihre Lobbyisten sitzen nicht nur im Bundestag, sondern auch in wissenschaftlichen Einrichtungen, in Zeitungs- und Fernsehredaktionen.
({8})
Wer die Banken kontrollieren will, der muss ihnen,
meine Damen und Herren von der FDP, ihr Erpressungspotenzial nehmen. Dazu müssen die systemrelevanten
Banken in Deutschland verstaatlicht und demokratisch
kontrolliert werden.
({9})
Dazu gibt es aus Sicht der Linken keine sinnvolle Alternative.
Vielen Dank.
({10})
Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller das Wort.
Meine Damen und Herren! Die bisherigen Debattenbeiträge der Opposition erinnern mich an den Anfang
meiner parlamentarischen Tätigkeit im Deutschen Bundestag, als ich mich gefragt habe: Wozu dienen eigentlich Aktuelle Stunden? Die Antwort, die mir damals ein
Altvorderer gegeben hat, war: Du musst in fünf Minuten
möglichst massiv die Regierung beschimpfen. - Nichts
anderes hat hier stattgefunden. Das war völlige Inhaltsleere. Sie haben lediglich die Regierung beschimpft.
({0})
Deswegen möchte ich ein paar Fakten nennen. Frau
Dr. Lötzsch beklagt, dass wir die Banken nicht genügend
beaufsichtigt haben. Die ganze Zeit war die politische
Diskussion aber eine andere: Die Bundesregierung ist
aufgefordert worden, dafür zu sorgen, dass die Banken
in der Bundesrepublik Deutschland weniger stringent als
bisher beaufsichtigt werden, weil sich alle, von den
Volksbanken und Raiffeisenbanken bis hin zu den Geschäftsbanken, über die Bankenaufsicht und ihre Stringenz beklagt haben.
Im Übrigen, Frau Dr. Lötzsch, besteht die Bankenaufsicht nicht nur aus der BaFin, sondern in erster Linie aus
der Bundesbank; das haben Sie der Öffentlichkeit verschwiegen. Außerdem haben Sie verschwiegen, dass
sich in jeder Sitzungswoche dieses Bundestages ein parlamentarischer Ausschuss drei Stunden lang Zeit nimmt,
um über die Kreditvergabe, die Garantievergabe und die
stillen Einlagen an Banken zu beraten. Auch Ihre Fraktion ist in diesem Ausschuss vertreten, hat das Wort und
kann ihre Bedenken oder Anregungen vortragen.
Der Tagesordnungspunkt heißt: „Haltung der Bundesregierung zu den kritischen Äußerungen von EU-Kommissar Günter Verheugen über die Bankenaufsicht in
Deutschland“. Ich darf für die Bundesregierung erklären: Wir können diese Aussage des Herrn Kollegen
Verheugen nicht nachvollziehen.
({1})
Die deutsche Bankenaufsicht bewegt sich mit den ihr zur
Verfügung stehenden Instrumentarien voll und ganz im
Rahmen der europäischen Richtlinien. Wir haben die europäischen Richtlinien bezüglich der Bankenaufsicht
eins zu eins umgesetzt, was immer der politische Wille
der Koalitionsfraktionen war.
Dass sich andere Aufsichtsbehörden in anderen Ländern besser geschlagen haben, wird gern behauptet. Ich
zitiere das von Herrn Verheugen genannte Beispiel:
({2})
Andere Länder in Europa stehen besser mit ihren
Banken da. Italien zum Beispiel. Da gibt es keine
Schrottpapiere!
({3})
Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.
({4})
Denn Italien hat am 8. und 10. Oktober 2008 die rechtlichen Grundlagen für staatliche Unterstützungsmaßnahmen geschaffen. Die Banca d’Italia und das dortige Finanz- und Wirtschaftsministerium haben jetzt folgende
Möglichkeiten: die Rekapitalisierung von Banken durch
Erwerb von neu auszugebenden Aktien; Garantien für
Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit von bis
zu fünf Jahren, befristet auf Emissionen bis Ende 2009;
weitgehende Liquiditätsgarantien für italienische Banken; Tausch oder Absicherung von nicht-EZB-fähigen
Wertpapieren, die von italienischen Banken gehalten
werden, gegen Wertpapiere, die zur Beschaffung von Liquidität bei der EZB hinterlegt werden können; Absicherung der Spareinlagen über die gesetzliche Einlagensicherung hinaus für einen Zeitraum von 36 Monaten.
Das sind handfeste Maßnahmen, die sich völlig im internationalen Rahmen bewegen. Diese Maßnahmen
sprechen aber gegen die Behauptung, eine italienische
Superaufsicht habe dort Probleme verhindert. Probleme
gab es offensichtlich; sonst hätte die italienische Regierung nicht zu solchen Maßnahmen gegriffen.
({5})
Deswegen ist das, was Verheugen mitgeteilt hat, frei erfunden und nicht nachzuvollziehen.
Gerade im Vergleich mit anderen Staaten, beispielsweise Großbritannien und den USA, ist die staatliche
Unterstützung des Bankensektors in Deutschland bisher
relativ moderat. In den USA wurde unter anderem der
Investmentbankenstatus faktisch abgeschafft. Dort sind
Staatshilfen für beinahe alle Großbanken notwendig.
Eine erhebliche Zahl regionaler Bankinstitute musste bereits geschlossen werden. In Großbritannien sind die
Probleme erheblich größer. Das zeigt sich an Pleiten diverser Banken und daran, dass Staatshilfen für beinahe
alle Großbanken geleistet worden sind.
Gelegentlich wird in der Diskussion auch die Frage
gestellt: Ist die spanische Aufsicht nicht besser als unsere? Der Glanz des Beispiels Spanien ist allerdings in
der Zwischenzeit durch Pleiten spanischer Banken sowie
durch offensichtlich generell und systematisch überzogene Bewertungen von Sicherheiten zur Erlangung von
Hypothekenkrediten erheblich verblasst.
({6})
Die BaFin hat übrigens bei einer eingehenden Untersuchung festgestellt, dass die spanische Aufsicht über
deutlich weitergehende Kompetenzen zur Regulierung
des Bankensektors verfügt als die BaFin selbst.
Damit auch die BaFin bessere Befugnisse hat, legte
die Bundesregierung kürzlich den Gesetzentwurf zur
Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht vor. Mithilfe des neuen Gesetzes sollen die Banken
zu einem sorgfältigeren Management ihrer Risiken angehalten werden. Wir alle sind als Abgeordnete des Deutschen Bundestages gefragt, der BaFin das notwendige
Eingriffsinstrumentarium zu verschaffen und dabei nicht
vor Kritik aus der Wirtschaft zurückzuschrecken.
Auch nicht zutreffend ist die Behauptung von Herrn
Verheugen, dass Deutschland „Weltmeister in riskanten
Bankgeschäften“ sei. In Wahrheit entfallen auf die USA
66 Prozent und auf Großbritannien 9 Prozent der Verluste von Banken. Erst dann folgen Deutschland mit
6,7 Prozent und die Schweiz mit 6 Prozent.
({7})
Heruntergebrochen auf einzelne Banken führen eindeutig amerikanische Banken das Feld der Verlustbringer
an. Ganz vorne mit dabei ist übrigens die schweizerische
UBS. In der Mitte liegen britische und ganz am Schluss
deutsche Banken. Das ist wahrlich nicht schön, aber
weltmeisterlich im negativen Sinne sind wir bestimmt
nicht.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte lässt mich ein bisschen sprachlos.
({0})
Alles ist richtig gelaufen. Wir haben alles richtig gemacht. Alles ist gut. - Das kann es ja wohl nicht sein.
({1})
Nach Auskunft der Bundesregierung haben wir bei
der IKB zu erwartende Verluste von 11 Milliarden Euro. Alles ist richtig gelaufen. Bei der Sachsen LB sind Risiken in Höhe von 2,75 Milliarden Euro auf die Steuerzahler übertragen worden, was die dort über Jahre hinweg
geleisteten Sanierungsbemühungen in kurzer Zeit zunichtemachen wird. - Alles ist gut gelaufen.
({2})
WestLB: Wir diskutieren darüber, ob nicht sogar einzelne Bundesländer ihre Tragfähigkeit überschritten haben. Denken Sie an die Äußerung von Herrn Rüttgers,
der sagte, das Land Nordrhein-Westfalen könne das bei
der WestLB vielleicht nicht mehr schultern. - Alles ist
richtig gelaufen.
Ja lebe ich denn in einem anderen Land? Selbst Herr
Sanio gibt inzwischen zu, dass der Finanzaufsicht einzelne Fehleinschätzungen unterlaufen sind. Doch die
Bundesregierung will das noch nicht erkannt haben. Ein
Desaster nach dem anderen ist herausgekommen. Ich
glaube, es ist an der Zeit, endlich zuzugeben, dass Fehler
gemacht worden sind.
({3})
Es wird, wenn Fehler zugegeben werden, gar nicht so
sein, dass alle sagen: Um Gottes willen! - Im Grunde genommen warten alle darauf, dass die Politik reagiert,
sich nüchtern daranmacht, die Fehler aufzuarbeiten, und
eine Kurskorrektur vornimmt. Dieses Kopf-in-denSand-Stecken muss endlich aufhören.
({4})
- Das Gesetz ist in der Anhörung nicht besonders gut
weggekommen. Sie waren wohl nicht lange in der Anhörung dabei - jedenfalls habe ich Sie nicht gesehen -;
deshalb will ich sagen: Die Experten hatten durchaus
kritische Anmerkungen.
Wenn Sie die Kritik von Herrn Verheugen nicht nachvollziehen können, empfehle ich Ihnen, sich die Fakten
noch einmal anzuschauen. Vielleicht ist „Weltmeister“
der falsche Begriff. Entscheidend ist nicht, glaube ich,
ob andere noch schlimmer waren, entscheidend ist auch
nicht das Ranking, entscheidend ist vielmehr, zuzugeben, dass Fehler - auch in Deutschland - es den deutschen Banken ermöglicht haben, in außerordentlich großem und selbst für unser Land sehr gefährlichem
Ausmaß Risikopapiere aufzukaufen.
({5})
Die Bankenaufsicht ist nicht in der Lage gewesen, das zu
verhindern; das wissen wir inzwischen. Die FAZ schrieb
im Februar 2008:
Nur unter der Voraussetzung, „dass es grundsätzlich
nie zu Marktstörungen kommt“, gehe die Strategie
der sächsischen Landesbanker auf, warnte die
BaFin.
Es sei ferner schon im April 2005 klar gewesen, dass das
richtig bitter werden könne. - Und dann kauft wenige
Monate später dieselbe Landesbank von dieser Art Papiere noch einmal nach und erhöht ihr Risiko. Die BaFin
sitzt im Verwaltungsrat; aber nichts wird gebremst. Alles
richtig gelaufen? Wachen wir auf und geben wir zu: Hier
ist Korrekturbedarf.
({6})
Ich dachte, wir seien weiter. Hat nicht in einem Bericht im Finanzausschuss das BMF schon zugestanden,
dass in Spanien in Bezug auf die Zweckgesellschaften
manches besser gelaufen ist? Drei Anläufe hat es gebraucht. Beim ersten Mal hieß es: Es kann gar nicht sein,
dass die Spanier etwas anders gemacht haben. - Beim
zweiten Mal hieß es: Nein, überhaupt nicht. - Erst beim
dritten Nachhaken haben Sie es zugestanden. Jetzt fallen
Sie wieder dahinter zurück. Dabei wissen wir, dass es
besser gewesen wäre, wenn die Aufsicht bei den Zweckgesellschaften knackiger zugegriffen hätte. Das hätte
Schaden verhindert. Wir sollten uns das eingestehen und
für die Zukunft Regelungen treffen, die dafür sorgen,
dass so etwas nicht mehr vorkommen kann. Das ist die
Aufgabe, die es jetzt zu leisten gilt.
({7})
Das in den Wahlkampf zu ziehen und zu sagen: „An
allem sind nur die Sozialdemokraten schuld“, ist aber
allzu billig, Herr Koppelin.
({8})
Sie wissen, dass die Reden von damals anders waren. An
vielen Stellen - denken Sie an die REITs-Gesetzgebung,
denken Sie aber auch an andere Regulierungsfragen,
zum Beispiel an die Regulierung der Hedgefonds, auch
international; lassen Sie uns ruhig in die Protokolle
schauen - haben die Freien Demokraten damals kritisiert: zu viel Bürokratie, zu viel Regulierung, zu viel
Aufsicht.
({9})
Wir müssen ehrlich sein und in aller Ruhe schauen,
was falsch gelaufen ist und wie man es korrigieren kann.
Dafür ist der Untersuchungsausschuss wichtig, Herr
Krichbaum.
({10})
Ich würde allen Parteien raten, sich an der Aufklärung in
diesem Ausschuss zu beteiligen und dafür zu sorgen,
dass so ein Desaster, in dieser Größenordnung, nie wieder vorkommt.
({11})
Das ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, und zwar
nicht nur der Opposition. Ich erwarte, dass die Koalitionsfraktionen an der Aufklärungsarbeit mitwirken.
({12})
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns in dieser Lage, wo die Arbeitslosigkeit steigt, wo die Menschen Angst um ihren Job haben, wo sie 30, 40 Prozent
ihrer privaten Altersvorsorge verloren haben, dass wir
Aufklärungsarbeit leisten, die Fehler analysieren und
Konsequenzen daraus ziehen. Nach der heutigen Debatte
habe ich allerdings den Eindruck, dass die Bereitschaft
dazu noch nicht da ist; die wird aber nötig sein.
Danke.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde
hat den Titel „Haltung der Bundesregierung zu den
kritischen Äußerungen von EU-Kommissar Günter
Verheugen über die Bankenaufsicht in Deutschland“.
Das Bundesfinanzministerium hat zu seinen Vorhaltungen eine Presseerklärung veröffentlicht - ich weiß nicht,
ob sie die Haltung der gesamten Bundesregierung widerspiegelt -, in der es heißt - ich zitiere -, Verheugen offenbare „eine überraschende Unkenntnis der Faktenlage“. Außerdem empfahl man dem EU-Politiker - er ist
immerhin EU-Kommissar -, die Rolle der „aggressiven
Deregulierungspolitik“ der EU-Kommission und deren
Verantwortung für den Ausbruch und die Folgen der
Finanzkrise nicht zu vergessen.
({0})
Meine Damen und Herren, genauso überzogen, wie
die Kritik von Verheugen war, ist auch diese Entgegnung
des Bundesfinanzministeriums hinsichtlich der Faktenlage.
({1})
Es ist nämlich nicht so, dass eine „aggressive Deregulierungspolitik“ betrieben worden ist. Vielmehr wurden,
auch von deutschen Interessen geprägt, im Rahmen der
Finanzmarktgesetzgebung auf europäischer Ebene neue
Regulierungen geschaffen, die später natürlich in nationales Recht umgesetzt werden sollten.
Da Herr Verheugen die Bankenaufsicht in Deutschland kritisiert hat, muss ich sagen: Als EU-Kommissar
hätte er sich stärker dafür einsetzen können, dass
Basel II in den Vereinigten Staaten von Amerika schneller umgesetzt wird, als das bisher der Fall war. Bisher ist
Basel II in den Vereinigten Staaten nämlich noch nicht in
allen Bereichen umgesetzt worden. Aus europäischer
und unserer nationalen Sicht ist auch dies eine Verpflichtung.
Meine Damen und Herren, heute geht es um die
Finanzaufsicht, vor allen Dingen um die Bankenaufsicht.
Man sollte in diesem Zusammenhang keine vorschnellen
Schlussfolgerungen ziehen. Man muss konstatieren: Die
Zusammenarbeit zwischen BaFin und Bundesbank bei
der Bewältigung der Finanzkrise, soweit sie deutsche
Finanzinstitute betraf, war gut. Beide Institutionen unterstützten unsere Anstrengungen im Rahmen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes und des -ergänzungsgesetzes und haben auch ihre Unterstützung für das
demnächst anstehende Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz signalisiert. Was die Systematik der
Maßnahmen angeht, mussten wir kaum etwas ändern.
Andere Länder hingegen, nicht zuletzt die USA und
England, haben ihre Methoden zur Bewältigung der
Finanzkrise mehrfach geändert und immer wieder Neues
versucht.
Jetzt geht es im Grunde darum, die Finanzmarktaufsicht auf europäischer Ebene neu zu strukturieren. Hierbei stehen sich zwei Modelle gegenüber. Einige - dieser
Weg wird auch von den Großbanken befürwortet - wollen eine zentralistische europäische Aufsicht.
({2})
Das kann aber nicht unsere Vorstellung von Aufsicht
sein. Von deutscher Seite wurde der Vorschlag gemacht,
einen Leadsupervisor einzurichten. Das Land, in dem die
Muttergesellschaft eines Konzerns ihren Sitz hat, sollte
bei der Aufsicht die Führerschaft übernehmen und durch
die nationalen Aufsichten in den Ländern, in denen der
Konzern außerdem vertreten ist, ergänzt werden. Beides
muss zusammengeführt werden.
Stellen Sie sich einmal vor, in der Finanzkrise, in der
wir uns gegenwärtig befinden, hätte es eine zentralistische und noch nicht abgestimmte europäische Aufsicht
gegeben. Wie hätte man die ordnungspolitischen Maßnahmen national umsetzen wollen? Über welche Ebenen
hätte dies in Deutschland geschehen sollen, wenn nicht
nach wie vor über die nationalen Aufsichtsbehörden?
An dieser Stelle ist die Europäische Kommission gefordert, den Bestrebungen des Europäischen Parlamentes Rechnung zu tragen. Die Auffassungen, die das
Europäische Parlament zum Thema Finanzaufsicht vertritt, entsprechen eher unseren Vorstellungen als die
Positionen der Europäischen Kommission, die eher in
zentralistischen Bahnen denkt. Eine zentralistische europäische Aufsicht ist nicht unsere Zielsetzung.
Man muss allerdings darüber nachdenken, ob wir als
Ausfluss der Regelungen auf europäischer Ebene in Zukunft auch auf nationaler Ebene eine eindeutige Zuständigkeit brauchen. Sollte die EZB auf europäischer Ebene
im Hinblick auf die Bankenaufsicht in Zukunft die zentrale Rolle spielen, wäre es logisch, diesen Schritt auf
nationaler Ebene nachzuvollziehen und die Bankenaufsicht bei der Bundesbank, die bisher lediglich sinnvolle
Ergänzungen vorgenommen hat, anzusiedeln. Diese Prozesse werden in den nächsten zwei, drei Jahren stattfinden.
Begleiten wir diesen Prozess konstruktiv und nicht
mit gegenseitigen Vorwürfen. Ich glaube, dann sind wir
für den Finanzmarkt und die Bürger in Deutschland gut
aufgestellt.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Volker Wissing von
der FDP-Fraktion.
({0})
Besten Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Kollege Dautzenberg, es ist
konstruktiv, wenn die Opposition im Deutschen Bundestag aufarbeitet, wo die Schwächen der deutschen Finanzaufsicht liegen.
({0})
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten das von diesem
Parlament, weil sich Gleiches nicht wiederholen darf.
({1})
Wir haben einen Finanzminister, der für das Ausland,
wenn es also um andere Staaten geht, immer Ratschläge
parat hat. Den Engländern erklärt er, wie man Konjunkturpakete macht, den Schweizern, Luxemburgern und
Liechtensteinern gibt er Nachhilfestunden in Sachen
Steuerehrlichkeit, und über Ouagadougou macht er sich
gerne lustig.
({2})
Wenn dann die kleinste Kritik gegen ihn selbst aufkommt, gerät er außer Rand und Band. Er weist alles
von sich und lässt seinen Staatssekretär hier verkünden,
die deutsche Finanzaufsicht, die einen Scherbenhaufen
vor sich findet, ein Desaster, habe alles richtig gemacht.
Das haben Sie hier ernsthaft erklärt. Das ist nicht die
Wahrheit.
({3})
Günter Verheugen hat nicht ohne Grund gesagt, dass
Deutschland Weltmeister in riskanten Bankgeschäften
war. Er hat das auch nicht aus der Luft gegriffen, er hat
einfach Fakten verglichen und festgestellt: Die Banken
anderer Länder halten weniger Giftpapiere als deutsche
Institute.
({4})
Nach elf Jahren Bankenaufsicht in der Hand der
Sozialdemokraten erleben wir jetzt die größte Sozialisierung privater Spekulationsverluste, die die Bundesrepublik Deutschland je gekannt hat.
({5})
Sie können hier nicht fragen, was das mit der SPD zu tun
hat. Das hat sehr viel mit Ihnen zu tun. Man kann daraus
nämlich den Schluss ziehen, dass für alle, die sich an den
privaten Finanzmärkten verzockt haben, die SPD ein
einziger Glücksfall ist.
Wie konnte es dazu kommen, dass es ausgerechnet in
Deutschland so viele toxische Wertpapiere gibt? Dafür
gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat die
Finanzaufsicht davon nichts mitbekommen - dann ist sie
nicht fähig, die Finanzmärkte angemessen zu überwachen - oder aber sie hat, um die Worte von Verheugen zu
benutzen, die Dinge einfach laufen lassen, was schlichtweg unverantwortlich ist.
({6})
Herr Diller, Sie können sich jetzt aussuchen, welche
Variante Sie für Herrn Steinbrück lieber hätten. Fest
steht aber: Es ist ein Versagen der Finanzaufsicht. Genau
das ist ein Versagen des Bundesministers der Finanzen.
({7})
Es ist nämlich eine ureigene Aufgabe des Finanzministers, für eine funktionsfähige Finanzaufsicht zu sorgen.
Das hat Steinbrück nicht getan.
({8})
Es gibt das Beispiel HRE. Bereits Anfang 2008 klingelten bei der Finanzaufsicht die Alarmglocken. Bereits
damals wurden Liquiditätsberichte erst im Wochen- und
später im Tagesrhythmus angefordert. Es wurde geprüft
und auch berichtet, aber Peer Steinbrück hat nichts getan. Obwohl die Alarmglocken bereits Anfang des Jahres 2008 deutlich läuteten, dauerte es sage und schreibe
bis September 2008, ehe der Finanzminister das Läuten
überhaupt einmal als leises Klingeln wahrnahm.
Neun Monate sind in einer Finanzmarktkrise eine
extrem lange Zeit, in der die Bundesregierung tatenlos
zugesehen hat, anstatt etwas zu unternehmen. Jetzt reden
Sie sich damit heraus, dass Sie sagen: Wir wussten Anfang des Jahres 2008 ja nicht, dass Lehman Brothers
ausgerechnet am 15. September 2008 in Insolvenz gerät.
Sie behaupten, dass die Schieflage der Hypo Real Estate
erst dadurch entstanden ist.
({9})
Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({10})
Wir werden Ihnen in dem Untersuchungsausschuss dezidiert nachweisen, dass die Schieflage der Hypo Real
Estate bereits lange vorher bestanden hat. Dann sind Sie
entlarvt.
({11})
Wie schlecht es um die deutsche Finanzaufsicht in
Deutschland tatsächlich bestellt ist, wird auch durch die
jüngsten Ankündigungen von Herrn Sanio verdeutlicht,
der sagt: Wenn ein Untersuchungsausschuss Akten von
der Finanzaufsicht möchte, dann kann die deutsche
Finanzaufsicht Banken nicht mehr beaufsichtigen, dann
müssen wir unsere Tätigkeit einstellen, weil es die deutsche Finanzaufsicht so aufhält, Fotokopien für einen Untersuchungsausschuss zu machen, dass sie mitten in der
Finanzmarktkrise keine Institute mehr prüfen kann. - Es
ist ein erschreckendes Bild, das sich hier bietet.
({12})
Es ist für die Bevölkerung beängstigend, dass Sie
sich, anstatt einmal selbstkritisch darüber nachzudenken,
was hier dringend verbessert werden muss, hier hinstellen und sagen: Es ist alles gut gelaufen! Weiter so!
Prima!
({13})
Der Präsident der BaFin hat nicht etwa gesagt, dass sie
einen personellen Engpass haben und eine Lösung brauchen, nein, er hat gesagt: Jetzt werden wir die Banken
nicht mehr prüfen.
Ich weiß nicht, ob das eine Art Trotzköpfchen-Prinzip
ist. Jedenfalls offenbart es ein erschreckendes Bild deutscher Finanzaufsicht, und es bestätigt die Auffassung
von Günter Verheugen auf dramatische Weise, dass das
laxe Amtsverständnis, das in der deutschen Finanzaufsicht herrscht, in engem Zusammenhang zur Finanzmarktkrise steht. Es ist unverantwortlich, von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu erwarten, dass sie mit
100 Milliarden Euro bürgen, aber selbst nicht bereit zu
sein, aufzuarbeiten, wo die Schwächen der deutschen
Finanzaufsicht liegen.
({14})
Sie haben gesagt, Verheugen liege völlig falsch. Heute
hat der EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy
erklärt, die Krise habe die Schwächen der Finanzaufsicht
offenbart. Die Finanzminister hätten häufig erst über die
Medien von Schwierigkeiten der Banken erfahren.
({15})
Es ist traurig und peinlich für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland. Aber genau so einen Finanzminister haben wir auch.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ortwin Runde von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
ich hörte, auf welche Äußerungen von Günter
Verheugen sich die Aktuelle Stunde bezieht, habe ich
mich mit dem Interview befasst, um bewerten zu können, ob Verheugen wieder auf dem Weg zu Ihnen, zur
FDP, ist oder ob er ein richtig guter Sozialdemokrat ist.
({0})
In dem Interview habe ich eine Reihe von interessanten
Punkten gefunden.
Verheugen beruft sich auf den früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors, der gesagt hat: „Man
kann nicht erwarten, dass die Menschen einen Markt
lieben.“ Das verstehe ich als ein Motiv von Verheugen
seinerzeit, die FDP zu verlassen, die immer auf die
Selbstregulierung der Märkte gesetzt hat.
({1})
Weiter hat er gesagt:
Ich predige seit Jahren, dass Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn braucht.
Das klingt ursozialdemokratisch.
({2})
Bezogen auf den Bereich Finanzmärkte und Finanzprodukte sagt er:
Man muss sich gerade neue Finanzprodukte sehr
genau anschauen. Ich hätte nichts dagegen, wenn
hochriskante Papiere künftig einer Zulassung bedürften.
Wenn Sie diese drei Positionen Verheugens mit unterstützten, dann wären wir in der Gestaltung der Gesellschaft ein gutes Stück weiter.
({3})
Dass auch ein Parteifreund wie Verheugen, der auf
der Brüsseler Ebene mit Kommissaren wie Neelie Kroes
und Charlie McCreevy zusammenarbeitet, sozusagen an
einem Schwarzen-Peter-Spielchen teilnimmt, will ich
ihm nicht verübeln. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass
ohne das Regulierungsdumping in Irland die Aktivitäten
der Sachsen LB oder der Hypo Real Estate mit der Deutschen Pfandbriefbank nicht möglich gewesen wären.
Dass EU-Kommissar Charlie McCreevy in der Vergangenheit ein großer Regulierer gewesen wäre, konnte ich
nicht feststellen.
({4})
Aus nationaler Sicht habe ich, was die Regulierung
der Finanzmärkte durch die Europäische Union und deren Aktivitäten angeht, ein sehr zwiespältiges Bild. Auch
was den gemeinsamen Auftritt Barrosos und McCreevys
kürzlich angeht, als sie sagten, bei den riskanten Finanzderivaten sollten die Banken lediglich 5 Prozent der Risiken in ihren eigenen Büchern behalten statt, wie von
vielen gefordert, 10, 15 oder gar 20 Prozent, weiß ich
nicht, ob auf dieser Ebene die richtigen Lektionen aus
der Krise gelernt worden sind. Deswegen halte ich es,
bezogen auf die Finanzmarktkrise, sehr viel stärker mit
meinem Hamburger Mitbürger Helmut Schmidt, der da
sagt: Wir brauchen für die Finanzmärkte endlich so etwas wie Regeln.
Jede Finanzmarktaufsicht ist davon abhängig, dass es
klare Regelwerke gibt. Wir sind uns auch darin einig,
dass sie international ausgerichtet sein sollten; sie müssen für alle Produkte und für alle Länder gelten. Es darf
dann eben keine Steueroasen geben. Wie wurden sie
doch gleich von Herrn Westerwelle bezeichnet? Erinnern wir uns einmal daran, wie Ihre Verteidigung der
Steueroasen aussah.
({5})
Dann müssen eben alle Produkte reguliert werden, damit
das Casino geschlossen wird. Auf der Grundlage solcher
Regelwerke kann in der Folge effiziente Finanzmarktkontrolle stattfinden.
In der heutigen Anhörung wurde vorgetragen, dass
wir die BaFin als die Behörde, die die Einhaltung von
Regelwerken zu kontrollieren hat, mit entsprechenden
Zugriffsrechten ausstatten müssen, sodass sie, bezogen
auf einzelne Institute, die Risiken eingegangen sind, entsprechende Eigenkapitalunterlegung festlegt.
In Bezug auf das Verhältnis der deutschen Aufsicht
zur europäischen Aufsicht stimme ich Herrn Dautzenberg
im Übrigen voll zu: In einer Situation, in der die einzelnen Länder die Risiken voll übernehmen müssen, können wir nicht zu einer zentralen Einheit bei der Finanzaufsicht kommen. Mein Vertrauen in die europäische
Ebene und die Europäische Kommission ist hinsichtlich
der Finanzmarktregulierung nicht so groß, als dass ich
gegenwärtig Aufsicht dorthin abgeben wollte. Wir wären
nicht gut beraten, diese Aufsicht an die europäische
Ebene abzugeben.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Hans Michelbach
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bürger erwarten glaubwürdige Antworten auf die
Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Gerade in der Krise
hat die Politik eine besondere Verantwortung; sie sollte
keine Bühne für Showkämpfe sein, weder in Berlin noch
in Brüssel. Ich halte es nicht für klug und angebracht,
dass Herr Verheugen durch seine Kritik an der deutschen
Finanzaufsicht gerade jetzt Öl ins Feuer gießt und mit
seinen öffentlichen Äußerungen den Finanzplatz
Deutschland geradezu beschädigt.
({0})
Die Angriffe von Herrn Verheugen sind als sachwidrig zurückzuweisen. Deutschland war nicht Weltmeister
in riskanten Bankgeschäften, und die deutsche Bankenaufsicht hat die Dinge nicht einfach laufen lassen.
({1})
Ich wende mich gegen jede Geschichtsfälschung und
gegen falsche Verdächtigungen. Die Wahrheit ist doch:
Die Finanzkrise ist das Ergebnis von Fehlentwicklungen
in vielen unterschiedlichen Bereichen, die erst in ihrem
Zusammenwirken diese fatalen Folgen hatten.
({2})
Ihren Ursprung nahm die Krise, wie wir wissen, in
einem recht kleinen Segment für riskante Kredite am
US-amerikanischen Hypothekenmarkt. Die Verwerfungen am amerikanischen Immobilienmarkt entwickelten
ihre tatsächliche Brisanz und Reichweite aber erst durch
das Zusammenspiel mit anderen Ereignissen, die darauf
aufgebaut haben. Da war die konstruierte Niedrigzinspolitik der US-amerikanischen Zentralbank, die damit die
Suche nach renditeträchtigen Anlageformen anheizte.
({3})
Da war etwa die Tatsache, dass Hypothekenbanken Kreditforderungen in großem Maße überhaupt verkaufen
durften. Das machte sie nachlässig dabei, die Zahlungsmoral der Schuldner zu kontrollieren. Da war der zu
starke Verkauf der Kredite als Wertpapiere, durch die die
Hypothekenbanken die Belastung ihrer Eigenkapitalbasis vermindern und immer mehr schnellere Kredite
vergeben konnten. Da war die Ausgründung in Zweckgesellschaften und die Undurchschaubarkeit des Verbriefungssystems.
Das sind die wirklichen Ereignisse; sie müssen fachlich und fachkundig beurteilt werden, wollen wir das
verbessern, was notwendig ist.
Wir müssen selbstkritisch feststellen: Das alles war
international nicht eingeschränkt und konnte damit von
der Bankenaufsicht auch nicht korrigiert werden. Jeder
konnte kaufen und verkaufen, was er wollte. Herr Kollege Wissing, ich wundere mich, dass Sie heute gleichzeitig von Regulierung und Deregulierung sprechen.
Was denn nun? Wir müssen uns schon entscheiden, wohin wir in Zukunft wollen.
({4})
Wollen wir in die Richtung, die der Kollege Dr. Schick
in vielleicht zu scharfer Form angesprochen hat, oder
wollen wir Vernunft walten lassen, um unsere Banken
am Finanzplatz Deutschland auf internationaler Ebene
zu unterstützen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Politik gilt zunächst, ein erfolgreiches Krisenmanagement zu
betreiben und aus der Krise zu lernen. Vergangenheitsbewältigung allein bringt uns nicht weiter. In dieser Ausnahmesituation hat die Bundesregierung ein gutes Krisenmanagement betrieben. Tatsache ist: Die Bundesregierung
hat über Nacht ein nachhaltiges Lösungskonzept im
Sinne der sozialen Marktwirtschaft entwickelt und umgesetzt.
({5})
Wer diese Fakten leugnet, ist entweder falsch informiert
oder sorgt gezielt für politischen Flurschaden. Noch nie
wurde ein deutscher EU-Kommissar von einer Bundesregierung so hart kritisiert und als sachunkundig dargestellt, wie es heute der Kollege Diller getan hat.
({6})
Nun müssen wir Schritte hin zur systemischen
Neustrukturierung der nationalen, aber auch der internationalen Finanz- und Bankenmärkte sowie der Finanzaufsicht gehen. Hieran müssen wir ohne Scheuklappen
und Ideologie gehen. Wir müssen vernünftige Wege beschreiten. Dazu ist notwendig, dass wir, die Politik, eine
neue Vertrauensbasis für den deutschen Finanzplatz herstellen. Wir dürfen keine Verdächtigungen aussprechen
und wechselseitig Schuldzuweisungen vornehmen. Das
ist der falsche Weg. Dafür steht für Deutschland und insbesondere für die deutsche Volkswirtschaft viel zu viel
auf dem Spiel. Gerade wenn solche Diskussionen und
Debatten wie jetzt angezettelt werden, müssen wir Herrn
Verheugen, dem EU-Kommissar aus Deutschland, deutlich sagen: Das war eine völlig falsche Aussage. - Dafür
sollte er sich entschuldigen. Noch besser wäre, wenn wir
einen neuen deutschen EU-Kommissar bekämen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Staatssekretär Diller, Sie haben vorhin ein
paar Bemerkungen zur Funktion von Aktuellen Stunden
aus Sicht der Opposition gemacht und gesagt, es komme
für sie nur darauf an, kein gutes Haar an der Regierung
zu lassen. Herr Kollege Diller, ich möchte das ein Stück
weit modifizieren. Es hat auch etwas Gutes, wenn eine
Oppositionsfraktion eine Aktuelle Stunde nutzt, um etwas von eigenen alten und überzogenen Vorstellungen
abzurücken.
({0})
Die FDP hat uns über Jahre gepredigt, der Markt
dürfe nicht durch zu viele Aufsichtsregeln oder staatliche Eingriffe gestört werden. Herr Wissing und Herr
Koppelin, Sie haben sich zwar nicht zu einer staatlichen
Plankommission bekannt - so weit sind Sie nicht gegangen -, aber es war ziemlich nah dran.
({1})
Herr Koppelin, Sie reden überhaupt nicht mehr von der
Krise der Banken, sondern von der Krise der Bankenaufsicht.
({2})
Ich behaupte sicherlich nicht, dass sich die Aufsichtsbehörden in irgendeinem Land dieser Erde bei der Bankenaufsicht mit Ruhm bekleckert hätten. Das haben sie in
der Tat nicht. Aber dass Sie aus der Bankenkrise ein Behördenversagen machen, ist schon ein bisschen dicke.
Die Behörden haben sich nicht wirklich bewährt; das ist
wahr. Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen. Dass
Bundesbank und BaFin präventiv so gewirkt hätten, wie
man es sich gewünscht hätte, kann man nicht behaupten.
Sie bedürfen einer Stärkung.
Aber dass die FDP, die sich, wie ich finde, aus guter
Tradition zur Eigenverantwortung von Unternehmen bekennt, überhaupt nicht mehr darüber redet, dass in einem
Unternehmen bzw. in einer Bank das Risikomanagement
völlig scheitert, dass Wirtschaftsprüfer überhaupt nicht
mehr auf die Idee kommen, den Finger in die Wunde zu
legen, und Aufsichtsräte alles geschehen lassen,
({3})
ist erstaunlich.
({4})
Wenn es dazu kommt, dass Sie, Herr Wissing, eine differenziertere Haltung zu der Rolle von Aufsicht und Markt
einnehmen, dann ist das ein Fortschritt. Insofern hat es
sogar etwas Positives, wenn Sie neuerdings etwas anders
über solche Fragen reden als noch vor ein, zwei Jahren.
({5})
Wir haben heute Vormittag eine Anhörung im Finanzausschuss zur Stärkung der Bankenaufsicht gehabt, die
von der Bundesbank und von der BaFin ausgeübt wird.
Alle Sachverständigen haben zunächst einmal bekräftigt,
dass es vernünftig ist, dass man nicht nur darauf wartet,
bis auf internationaler Ebene alle Verabredungen getroffen worden sind, die wirklich sicherstellen können, dass
das Ausweichen von einer Bank auf ein Tochterunternehmen in einem anderen Land nicht zu einer völlig ungeregelten Entwicklung von Risiken führt. Vielmehr
muss man jetzt im Rahmen der nationalen Entscheidungsmöglichkeiten, die wir haben, unsere Bankenaufsicht, die Bundesbank und die BaFin, mit besseren Instrumenten ausstatten, als sie sie bisher zur Verfügung
hat.
Es bleibt aber natürlich dabei: Es war ein großer Erfolg, auch ein Erfolg unseres Bundesfinanzministers,
dass der G-20-Gipfel in London, verglichen mit früheren
Gipfeln, in unerwarteter Deutlichkeit ein Bekenntnis zu
international verabredeten Regeln für die Finanzmärkte
abgelegt hat. Das war vor wenigen Jahren undenkbar,
auch deshalb, weil dem ein überzogener Liberalismus in
der Brüsseler Kommission entgegenstand. Deutschland,
die Partner in der EU und auf internationaler Ebene werden diesen Weg beschreiten müssen, aber wir werden
nicht darauf warten können, bis alles schon verabredet
ist. Deswegen hoffe ich, dass Sie, Herr Kollege
Dr. Wissing, und Sie, Herr Kollege Koppelin, nachdem
Sie einen Ansatz zur Erkenntnis gemacht haben, die Regierung und die Koalition unterstützen werden, wenn sie
zur Stärkung der Bankenaufsicht in Deutschland das
Kreditwesengesetz und das Gesetz zur Aufsicht über die
Versicherungen ändern.
({6})
Vielleicht kommt Ihnen dabei sogar noch eine gute Idee.
({7})
Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will gleich zu Beginn meiner Rede feststellen, dass die Art und Weise, wie der deutsche EU-Kommissar Kritik an wichtigen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland geübt hat, unangemessen ist. So
äußert man sich nicht öffentlich als EU-Kommissar.
({0})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein italienischer oder
ein französischer Kommissar sich in einer ähnlichen
Form äußern würde. Das sagt nichts über den Inhalt aus.
Auf den komme ich noch. Ich finde es nicht gut, die
Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit in dieser Form
zu führen. Ich sage es deutlich: Das ist letztlich ein Angriff auf die Deutsche Bundesbank, die BaFin und das
Finanzministerium. Das ist nicht die Aufgabe eines EUKommissars.
({1})
- Sie haben recht, auch der Finanzminister ist bei diesem
Vorgehen nicht frei von Verantwortung. Ich habe ihn an
dieser Stelle verschiedentlich kritisiert.
Der entscheidende Punkt, unabhängig von allen
Stilfragen, ist nur: Abgesehen von ganz wenigen Wissenschaftlern, die leider keiner ernst genommen hat, hat
keine Bankenaufsicht in der Welt rechtzeitig mitgeteilt,
was auf uns zukommt.
Das heißt, das vorhandene Instrumentarium hat nicht
ausgereicht, um zu erkennen, was dort heranrollt. Die
Deutschen waren da nicht besser als die anderen, aber
- um es klar zu sagen - sie waren auch nicht schlechter.
Bevor ich weiter auf diesen Aspekt eingehe, sage ich:
Als die Krise da war, hat das Management in Deutschland zwischen Bundesbank, BaFin und Finanzministerium hervorragend funktioniert. Auch das muss man an
dieser Stelle einmal hervorheben.
Die Frage ist jetzt: Was können wir tun, um der Bankenaufsicht für die Zukunft das notwendige Instrumentarium an die Hand zu geben, damit sie solche Krisen
rechtzeitig erkennt? Einen kleinen Schritt haben wir
schon getan; ich verweise auf die heutige Anhörung im
Finanzausschuss zur Finanzmarktaufsicht. Wir werden
an verschiedenen Punkten etwas ändern.
Sie wissen, dass wir von der Union seit langem einen
größeren Schritt wollen, den wir in der Großen Koalition
aber nicht durchsetzen können. Wir wollten von Anfang
an - ich habe das von diesem Rednerpult aus schon vor
fünf oder sechs Jahren erklärt - die gesamte Bankenaufsicht bei der Bundesbank konzentrieren. Ich glaube, die
Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass das
nach wie vor der richtige Weg ist.
({2})
Aber: Wer sich einmal anschaut, was heute von Bundesbank und BaFin geleistet werden muss, der wird mir
zustimmen, wenn ich sage: Wir können nicht jetzt eine
grundlegende Reform durchführen. Die können wir
wirklich erst dann auf den Weg bringen, wenn die Krise
hinter uns liegt, vielleicht im Jahr 2011. Die Mitarbeiter
dort jetzt auch noch mit Grundsatzreformen zu überziehen, wäre sicher der falsche Weg.
Wir müssen noch bei einem anderen Punkt ansetzen,
und das ist schwierig. Wir müssen unserer Bankenaufsicht die Möglichkeit geben - ich sage sogar: die Verpflichtung -, in Zukunft auch Geschäftsmodelle zu prüfen.
({3})
Letztlich sind doch gerade die Landesbanken an ihrem
Geschäftsmodell kaputtgegangen. Sie haben sehr viel
Geld eingekauft, noch mit Staatsgarantien, hatten aber
keine vernünftigen Anlagemöglichkeiten und stürzten
sich dann - das gilt zumindest für die meisten - in dieses
Geschäft.
({4})
Heute ist es nicht Aufgabe der Bankenaufsicht, Geschäftsmodelle zu prüfen. Herr Sanio sagt sehr deutlich,
er sei nicht davon begeistert, diese Aufgabe zu bekommen. Ich gebe ihm recht; es ist sehr schwierig. Ich bleibe
aber dabei: Wenn eine Bank wie die Hypo Real Estate
auf der einen Seite Kredite mit einer Laufzeit von
17 Jahren vergibt und auf der anderen Seite den überwiegenden Teil davon kurzfristig deckt, braucht man
kein Banker zu sein, um zu wissen, dass das nicht funktionieren kann.
({5})
Wir müssen unserer Bankenaufsicht hierzu ein neues Instrumentarium geben.
({6})
Letztlich sind die meisten dieser Banken an ihrem Konzept gescheitert.
Nun zurück zur Bankenaufsicht: Was in den letzten
Monaten dort geleistet wurde, soll man auch von diesem
Rednerpult aus einmal anerkennen. Man arbeitet dort
unter den politischen Rahmenbedingungen, die wir hier
setzen.
({7})
Insofern sitzen die Schuldigen auch hier. Ich finde es ein
bisschen unfair, die Mitarbeiter dort, die zum Teil kein
Wochenende mehr kennen, plötzlich auch noch global
- ich komme auf meine Eingangsbemerkung zurück von Brüssel aus zu beschimpfen. Das ist nicht der richtige Weg. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, die Bankenaufsicht in Deutschland zu verbessern. Wer meint:
„Nur so weiter! Wir brauchen keine Veränderung!“, der
hat nicht begriffen, was sich in den letzten Monaten ereignet hat. Wir brauchen grundlegende Veränderungen.
Die Union wird daran mitarbeiten.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Simone Violka von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucher! Eine Aktuelle Stunde gibt
auch die Gelegenheit, viel zu lesen, nicht nur auf der eigenen Seite, sondern auch beim Antragsteller der Aktuellen Stunde. Auf der Internetseite der FDP findet sich inzwischen ein Argumentationsleitfaden zur Finanzkrise.
Es ist spannend, was da so steht:
Staatliche Eingriffe setzen Rahmen falsch.
… Am Beginn der Krise standen staatliche Eingriffe in den US-Immobilienmarkt: Jahrzehntelang
war es erklärtes Ziel der Politik in den USA, auch
nicht kreditwürdigen Personen zu Wohneigentum
zu verhelfen.
Letzteres unterschreibe ich sogar. Fakt ist nur: Keine
Bank in den USA war durch irgendein Gesetz gezwungen, das zu tun.
Das wissen Sie auch; denn noch im November letzten
Jahres hat Otto Graf Lambsdorff erklärt, die amerikanische Regierung habe es versäumt, klare Regelungen zur
Kreditvergabe festzulegen. Ja, was denn nun? Versteht
die FDP Deregulierung als staatlichen Eingriff? So steht
es bei Ihnen.
({0})
Vor dem Hintergrund, dass es, wenn so etwas Ähnliches
wie Basel II auch in den USA gegolten hätte, schon im
Vorfeld möglich gewesen wäre, das Desaster abzuwenden, ist mir ein bisschen mehr Regulierung lieber als
diese Form von Deregulierung, die uns nun in die Krise
geführt hat.
Es geht noch weiter:
Wir Liberale wissen: Kein Markt funktioniert ohne
klare Regeln, …
({1})
Deshalb tritt die FDP seit Jahrzehnten für Transparenz der Finanzmärkte ein.
Nachzulesen ist das für jeden zum Beispiel im Bundestagswahlprogramm der FDP von 1990. Da mussten Sie
aber lange suchen, um so einen Satz bei Ihnen zu finden.
Im Bundestagswahlprogramm von 1990 steht außerdem
noch die Forderung: „Die Macht der Banken und Versicherungen zu begrenzen“.
({2})
Im Bundestagswahlprogramm der FDP von 2005 findet
sich jedoch ein ganz anderer Satz:
Ferner muss der politische Einfluss im Bankensektor reduziert werden. Das vergrößert die Chancen
des Bankenstandortes Deutschland.
({3})
Wenn man sich dann einmal anschaut, was Ihr Vorsitzender zur gleichen Zeit, also zwischen 2005 und 2008,
veröffentlicht hat - er sagte zum Beispiel: Die Eingriffe
des Staates sollen zugunsten von mehr marktwirtschaftlichen Elementen und mehr Eigenverantwortung zurückgeführt werden; Deutschland braucht eine grundlegende
Kurskorrektur in Richtung mehr Deregulierung; die FDP
steht für Entstaatlichung statt Verstaatlichung, für eine
freie und faire Gesellschaft -, wird einem klar, wofür
FDP in Wirklichkeit steht: das F für „für“, das D für
„Deregulierung“, das P für „prinzipiell“. FDP ist also
gleich „Für Deregulierung prinzipiell“.
({4})
Schauen wir nun einmal, was die FDP hinsichtlich der
Bankenaufsicht fordert. Sie wollen die gesamte Kompetenz hierfür auf die Deutsche Bundesbank bei gleichzeitiger Abschaffung der politischen Einflussnahme übertragen - laut Westerwelle eine „Stiftung Warentest für
den Finanzmarkt“. Es ist also zwar Ihre Auffassung, dass
sich der Staat prinzipiell aus der Kontrolle heraushalten
soll, aber jetzt nutzen Sie jede Gelegenheit, zu suggerieren, der Staat sei mangels Kontrolle an der Misere
schuld. Das ist paradox, zeigt aber, welche moralischen
Grundregeln Sie befolgen, wenn es um Stimmenfang im
Wahljahr geht. Bei moralischen Fragen setzt die FDP ja
auf Deregulierung und setzt diese Forderung auch schon
seit Jahren konsequent in die Praxis um.
Ja, es wurden viele Fehler gemacht, und das weltweit.
Es gab Fehler im Bankenmanagement, bei den immer
verwirrender werdenden Finanzangeboten, aufgrund zu
hoher Renditeforderungen, bei der Kontrolle, aber eben
auch bei zu gutgläubigen Anlegerinnen und Anlegern,
die oftmals den Grundsatz nicht befolgten: Kaufe nur,
was du verstehst. - Wichtig ist es jetzt, Vertrauen wiederherzustellen, nicht nur zwischen den Banken, sondern
vor allen Dingen auch bei den Sparerinnen und Sparern.
Das gelingt aber nur, wenn man bereit ist, die gesamte
Bandbreite der verschiedenen Fehlerquellen aufzuarbeiten und daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Es geht
völlig am Thema vorbei, wenn man jetzt den Schwarzen
Peter einer einzigen Institution zuschiebt und so tut, als
wäre nichts passiert, wenn diese eine Stelle anders gehandelt hätte. Da verwechselt man Ursache und Wirkung.
Wir brauchen klare internationale Regeln und vor allen Dingen auch Sanktionsmöglichkeiten sowie stärkere
Befugnisse bei der Bankenaufsicht ohne rechtliche ErSimone Violka
messensspielräume. Da bin ich schon gespannt, wie sich
die FDP bei diesen Punkten positionieren wird.
({5})
Ich weiß noch genau, wie sich gerade die FDP, als noch
vor der Krise Peer Steinbrück hier an diesem Pult gefordert hat, dass man auf internationaler Ebene mehr Regeln aufstellen und einfordern sowie den Markt besser
regulieren soll, positioniert hat.
({6})
Da war das für sie alles Teufelswerk. Jetzt hat die FDP
plötzlich erkannt, welche Stimmung in der Bevölkerung
herrscht, und versucht jetzt entgegen all ihren Aussagen
aus den vergangenen Jahren, auf den Zug aufzuspringen.
Ich glaube, die Menschen im Land sind intelligent genug,
({7})
zu merken, dass das ein Scheinkampf ist und dass Sie sofort zu Ihrer Politik der Deregulierung zurückkehren, sobald Sie die Stimmen der Wähler erhalten haben.
({8})
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der
Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe vor 13 Jahren eine Lehre bei der
Sparkasse Deggendorf begonnen, zusammen mit Django
Asül, den vielleicht einige von Ihnen aus Funk und Fernsehen kennen. Eine der ersten Grundregeln, die ich gelernt habe, lautete: Je höher das Renditeversprechen eines Produktes, umso größer das Risiko.
Das Zweite war: Man soll schon verstehen, was man
da kauft.
({0})
Das waren zwei wirkliche Grundregeln. - Natürlich
auch beim Verkaufen, das ist auch klar.
Wir haben in dieser Finanzkrise feststellen können,
dass nicht nur die Anleger, sondern auch die Entscheidungsträger in den Banken und den Aufsichtsräten zum
Schluss bekennen mussten: Sie wussten nicht, was sie
dort eigentlich gekauft haben.
Das ist schon eines der Kernprobleme von Aufsicht
und Entscheidungsfindung, mit eine Ursache für diese
Finanzkrise.
Ein zweiter Bereich, der mit der ganzen Materie hier
zu tun hat, ist die Frage, welche Rahmenbedingungen
die Aufsicht gehabt hat. Denn Aufsicht kann nur im
Rahmen dessen ausgeübt werden, was vorgeschrieben
ist. Viele sprechen vom Finanz-TÜV. Selbst wenn man
für sein Auto eine noch so gute TÜV-Prüfung hat, hindert das niemanden daran, mit dem Auto gegen den
Baum zu fahren. Das hängt nicht davon ab, ob darauf ein
TÜV-Siegel ist.
Deswegen ist schon die spannende Frage, wie man
denn die Regeln für Finanzmärkte und Bankenaufsicht
definiert, damit das, was jetzt passiert ist, nicht noch einmal passieren kann, und deswegen interessiert schon die
Vergangenheit. Was ist denn schiefgelaufen, was diese
nicht in Deutschland, sondern weltweit stattfindende
Finanzkrise hervorgerufen hat? Was hätte man erkennen
müssen, was hätte man erkennen können, und was muss
man jetzt tun, damit das Entsprechende nicht wieder vorkommt?
({1})
Herr Wissing, Sie haben in Ihrer Rede ein spannendes
Wort gesagt - so fand ich -, das war „Selbstkritik“.
Selbstkritik hätten Sie hier aber als FDP üben müssen.
({2})
Denn ich erinnere mich, seit ich im Finanzausschuss bin,
an all die Fragestellungen, die mit verbesserter Regulierung zu tun haben, die mit mehr Aufsicht zu tun haben.
Wir haben hier zum Beispiel mehrmals Ratingagenturen
angehört, und da haben wir uns darüber unterhalten, ob
ein Modell von Ratingagenturen sinnvoll ist, bei dem sie
ohne jegliche Aufsicht sind, private Institutionen, die
über das Schicksal und Wohl von Papieren und Staaten
entscheiden und vielleicht selber sogar vorher noch Ratschläge geben, wie Papiere geschneidert werden, die sie
später selber objektiv „raten“. Als wir das als Sozialdemokraten thematisiert haben, da hat die FDP geschrien: Nein, nein, der freie Markt, der regelt das! Das
klappt doch alles wunderbar!
Als Hans Eichel, als Peer Steinbrück für internationale Regulierung der Finanzmärkte eingetreten sind, haben Sie von „Bürokratie“ gesprochen, die dort auf den
freien Markt wieder herniederprasselt.
({3})
Wir haben in diesem Haus mehrmals über die Frage von
Hedgefonds, die Frage von REITs - daran werden Sie
sich sicherlich noch gut erinnern - und von anderen Dingen gesprochen. Immer hieß es: Je mehr an Aufsicht, je
mehr an Regulierung, umso mehr Bürokratie ist das.
({4})
Die FDP hat immer die geistige Brandstiftung für das
gemacht, was jetzt passiert, und versucht jetzt, den
Feuerwehrmann zu geben.
({5})
Es würde einfach zur Ehrlichkeit dazugehören, dass man
auch sagt: Was haben wir denn in den letzten Jahren in
diesem Hohen Haus gesagt, und was davon bleibt denn
noch übrig im Wissen um die aktuelle Finanzkrise?
Wenn es jemanden gibt, der nicht das Recht hat, mit
dem Finger auf andere zu zeigen, dann ist es die FDP.
Das ist in dieser Debatte absolut sicher.
({6})
- Sie waren überall dabei. Das gestehe ich Ihnen zu, dass
die FDP überall dabei war. - Ach, ich? - In der Landesbank von Bayern war die SPD meines Wissens nicht mit
dabei, aber das ist egal. Darum geht es nicht. Die Frage
ist doch: Warum passierte es nicht nur an dieser Stelle,
sondern überall?
Nicht an den Worten, sondern an den Taten sollt ihr
sie erkennen. Die spannende Frage der Zukunft wird daher sein: Wird sich die FDP daran beteiligen, die Manager an die Kette zu legen, oder wird sie weiterhin dafür
plädieren, dass man sie an der langen Leine laufen lässt?
Ich wette alles, was ich habe, auf Letzteres.
Danke schön.
({7})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. Mai 2009,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.